Ein Kampf um Freiheit und Recht: Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach
 9783412215033, 9783412208417

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Bernhard Diestelkamp

Ein Kampf um Freiheit und Recht Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung:

Abbildung der Urkunde vom 9. Januar 1555 des Archivs der Gemeinde Freienseen im „Inventar der Gemeindearchive des Landkreises Giessen“ © 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlagentwurf: Satz + Layout Werkstatt Kluth GmbH, Erftstadt Satz: Satzpunkt Ewert, Bayreuth Druck und Bindung: xPrint s.r.o., Pribram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20841-7

Ich widme dieses Buch all jenen wackeren Freienseenern, die sich unerschrocken für das eingesetzt haben, was sie für ihr Recht hielten.

Vorwort In der Frühen Neuzeit bauten die Landesherren ihre Landeshoheit mittels Intensivierung vorhandener Rechtstitel aus. Dieser Vorgang ist vielfach beschrieben worden – meistens als Auseinandersetzung verschiedener Herrschaftsträger untereinander über die Frage, wer welchen Rechtstitel durchsetzen konnte. Weniger intensiv war dagegen das Interesse an den Reaktionen derjenigen, die diesen Rechtsansprüchen unterworfen waren, den Untertanen. Deren Erlebnishorizont geriet jedoch in breiterem Umfang mit der Forschungsrichtung ins Blickfeld, die man mit dem Stichwort „Untertanenprozesse“ kennzeichnet. In der prozessualen Abwehr der Steigerung alter oder Etablierung neuer Dienste und Abgaben zeigt sich, dass der Vorgang der Durchsetzung der Landeshoheit nicht nur horizontal als Auseinandersetzung feudaler Kräfte untereinander zu verstehen ist, sondern dass er auch gravierende Auswirkungen auf das Verhältnis der Untertanen zur Herrschaft hatte, das intensiviert und verdichtet wurde, wogegen sich die Betroffenen gelegentlich vehement wehrten. Aus der Gruppe von überall im Reich anzutreffenden Untertanenprozessen – einer im Übrigen für die Wetterau auch schon untersuchten Prozessgruppe – hebt sich ein Cluster von fast 50 Verfahren ab, die die oberhessische Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis über das Ende des Alten Reiches hinaus vor dem Reichskammergericht in Speyer und Wetzlar, einigen Visitationskommissionen und dem Reichshofrat in Wien sowie schließlich vor dem großherzoglich hessendarmstädtischen Oberappellationsgericht zu Darmstadt geführt hat. Nicht nur die durch die große Zahl von Verfahren bezeugte Intensität der Auseinandersetzung hebt sie von den sonst bekannten Untertanenprozessen ab, sondern vor allem der Umstand, dass dem Landesherrn nicht wie sonst üblich nur entgegengehalten wurde, das alte Herkommen verbiete die Erhöhung oder Neueinrichtung solcher Dienste und Abgaben. Die Freienseener bestritten vielmehr grundsätzlich, überhaupt den Grafen zu Solms-Laubach untertan zu sein. Sie seien nur Kaiser und Reich unterworfen, so dass kein Graf zu Solms-Laubach in ihrem Dorf die Landeshoheit beanspruchen könne. Diese grundsätzliche Haltung erklärt die Verbissenheit, mit der die Parteien um die von ihnen beanspruchten oder bestrittenen Rechte vor Gericht kämpften. In diesem Zusammenhang ist eine überwältigende Fülle von Quellen entstanden, die eine einmalige Möglichkeit bieten, die Auswirkungen der Festigung der Landeshoheit auf die betroffenen Untertanen zu erkennen. Bei der Untersuchung dieser Akten entsteht ein Bild der Zeit von großer Lebendigkeit und Frische. Was dem nachvollziehenden Historiker abstrakt als Strukturwandel erscheint, tritt ihm in diesen Auseinandersetzungen als ein den Alltag prä-

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Vorwort

gender Vorgang entgegen. Geschichte gewinnt damit einen lebensvollen Realitätsgehalt, bei dem auch der „arme Mann“ eine aktive Rolle spielte. Die Erschließung einer so großen Quellenmasse ist nur mit Hilfe derjenigen möglich, die die Akten in ihrer Obhut haben. Ich danke Herrn Karl Georg Graf zu Solms-Laubach, in dessen Archiv im Schloss Laubach die Hauptmasse der für diese Untersuchung einschlägigen Reichskammergerichtsprozessakten lagert, verbindlich für die Benutzungserlaubnis. Für die vertrauensvolle Umsetzung dieser Erlaubnis danke ich vor allem Herrn Gerhard Steinl, dem verdienstvollen ehrenamtlichen Verwalter des Laubacher Archivs. Herr Steinl hat mich zudem auf Akten aufmerksam gemacht, die er bei der Neuordnung des Laubacher Archivs nach der von der DFG finanzierten Verzeichnung der Reichskammergerichtsakten als Fälle erkannt hat, die vor dem Gericht in Wetzlar geschwebt haben. Ich danke ihm herzlich für alles. Der ehrenamtlichen Bibliothekarin der Schlossbibliothek Laubach, Frau Traudel Wellenkötter, danke ich dafür, dass sie mir für meine Arbeit in ihrem Arbeitsraum Gastrecht gewährt hat. Herrn Karl Krautwurst, dem passionierten Freienseener Heimatforscher und verdienstvollen Retter und Ordner des Freienseener Gemeindearchivs, danke ich sehr für die freundliche Zuarbeit bei der Benutzung des Gemeindearchivs sowie nicht zuletzt dafür, dass er mir in den ihm vertrauten Freienseener Waldungen Orte gezeigt hat, die in den Prozessakten eine Rolle spielen, wie den sogenannten Raubgraben oder die von ihm entdeckte Wüstung Baumkirchen. Für ihn ist die Geschichte noch immer lebendig. Ohne die unbürokratische Hilfe meines Schülers, leitenden Staatsarchivdirektor Professor Dr. Friedrich Battenberg, wäre es mir nicht möglich gewesen, die im Staatsarchiv Darmstadt liegenden Akten im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt benutzen zu dürfen. Dadurch konnte ich diesen letzten Teilbestand auch im Winter einsehen, einer Jahreszeit, in der ich keine ständigen Fahrten nach Darmstadt hätte durchführen können. Ihm sei dafür ebenso gedankt wie Frau Dr. Brockhoff für die Gastfreundschaft, die sie mir in den Räumen des Instituts für Stadtgeschichte der Stadt Frankfurt am Main gewährt hat, damit ich dort die Darmstädter Akten in Ruhe studieren konnte. Den Zugang zu den Reichshofratsakten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien hätte ich niemals gewonnen ohne die Hilfe von Herrn Hofrat, Professor Dr. Leopold Auer und Frau Dr. Eva Ortlieb, denen ich auch an dieser Stelle noch einmal herzlich dafür danken möchte. Die wenigen ergänzenden Belege zu meiner Problematik im Staatsarchiv Marburg erschloss mir dankenswerterweise Herr Oberarchivrat Dr. Menke. Herr Magister Tim Schoenwetter stellte mir nicht nur seine Magisterarbeit sondern auch die Dateien der von ihm gefundenen Drucke zur Verfügung. Er hat mir damit sehr geholfen, wofür ihm Dank gebührt. Kronberg im Mai 2011

Bernhard Diestelkamp

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1.

Die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.

Freienseens Herrschaftszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

3.

Unruhige Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3.1. Die Grafen zu Solms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3.2. Landgräflich hessische Schutzrechte in Freienseen . . . . . . . . . . 6 3.3. Wiedertäuferei als mentale Grundlage der Widersetzlichkeit . 8 3.4. Ratschläge aus Grünberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.5. Anlässe zur Unzufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

4.

Erste Prozesse am Reichskammergericht unter Graf Friedrich Magnus I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Gescheiterter Versuch von 1549/1550 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Klage von 1554 und die beiden kaiserlichen Privilegien für Freienseen vom 9. Januar 1555 . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Privilegien vom 9. Januar 1555 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Der Schutz- und Schirmbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Der Wappenbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Privilegienbestätigungen und Prozess um den Wappenbrief . .

15 15 16 19 19 20 24

5.

Die erste Phase des Hauptprozesses primi mandati (1554–1561) . . . 41 5.1. Graf Friedrich Magnus setzt gewaltsam seine Obrigkeit durch – die Freienseener reagieren mit Klagen in Speyer . . . . . 41 5.2. Prozessverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

6.

Die letzte Wegstrecke zum Endurteil im Hauptverfahren . . . . . . . . . 64 6.2. Das Auslaufen der anderen noch unerledigten Verfahren . . . . 67

7.

Das Endurteil in der Hauptsache vom 10. November 1574 . . . . . . . . 69

8.

Ein Endurteil – und doch kein Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. (Er-)Läuterungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Revision versus Deklaration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Herausgabe der Schlüssel sowie der Baurechnungen und Bauregister zur Kirche in Freienseen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4. Wertersatz für das gepfändete Vieh und Aufrechnung mit dem Ersatz für die abgeätzten Äcker, verweigerten Zinse, Gülten und Renten sowie für nicht geleistete Dienste ........................................... 8.5. Zoll und Erbhuldigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6. Holzfahrten, Fischerei und Baudienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 72 76 84

90 95 96

X

Inhaltsverzeichnis

8.7.

8.8. 8.9. 9.

10.

Verbot der Unterstützung der von der Gemeinde abgefallenen Nachbarn und Duldung der Wahl von Bürgermeistern, Heimbürger, Baumeister und Hirten . . . . . . . 98 Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Enttäuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Der Kampf vor Ort geht weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Agnes für ihre Söhne, die Grafen Johannes (Hans) Georg I. und Otto (1561–1581) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Graf Johann (Hans) Georg I. (1581–1600). . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Ergebnisse: Altes Ziel, aber neuer Stil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

Der Weg zum Marburger Vergleich vom 20. Mai 1639 . . . . . . . . . . . 10.1. Graf Albert Otto I. (1600/1607–1610) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . für ihren Sohn Graf Albert Otto II. (1610–1631) . . . . . . . . . . . . . . . 10.3. Graf Albert Otto II. (1631–1639) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 164 180

109 124 140

11. Der Marburger Vergleich vom 29. Mai 1639 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 12. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Katharina Juliana für Graf Carl Otto (1639 bis zur Grünberger Konferenz am 20./21. Oktober 1653) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 13. Graf Carl Otto (1654–1676) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 14. Graf Johann Friedrich (1676–1696) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 15. Graf Friedrich Ernst (1696-1723) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 16. Graf Friedrich Magnus II. (1723-1738) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 17. Graf Christian August (1738–1784) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 18. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Elisabeth Charlotte für Graf Friedrich Ludwig Christian (1784–1797) . . . . . . . 283 19. Graf Friedrich Ludwig Christian (1797–1806/1822) . . . . . . . . . . . . . . 333 20. Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten rechtlichem Kampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1 Quellenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2 Gewinne und Opfer der Freienseener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3 Die Ergebnisse für die Solms-Laubacher Herrschaft . . . . . . . .

336 336 338 345

„Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die Prozesse der Gemeinde Freienseen gegen die Grafen zu SolmsLaubach um deren Landeshoheit.“ Bernhard Diestelkamp

1.

Die Parteien

Freienseen ist ein Ort im Vogelsberg etwa viereinhalb Kilometer Luftlinie nordöstlich des solmsischen Residenzstädtchens Laubach und ca. sieben Kilometer Luftlinie südöstlich der landgräflich hessischen Amtsstadt Grünberg gelegen. Über diesen Ort zu reden, würde nicht lohnen, hätte nicht ein Teil seiner Bewohner seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert hinein mit den Grafen zu Solms-Laubach hartnäckig darum prozessiert, nicht der gräflichen Landeshoheit unterworfen zu sein. Bedurften die Kämpfer des fiktionalen Dorfes in Gallien für ihre Auseinandersetzungen mit den Römern um ihre Freiheit des Druidentrankes1, der ihnen unüberwindliche Kräfte verschaffte, so nahmen die Freienseener ebenso hoffnungsvoll immer wieder die Mittel des Rechtes zur Hand, um die von ihnen beanspruchte Freiheit gegenüber den benachbarten Grafen zu behaupten. Diese dagegen setzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel zur Brechung dieses Freiheitswillens ein. Schon allein durch die lange Dauer von mehr als zweieinhalb Jahrhunderten hebt sich dieses Ringen von anderen Untertanenprozessen ab, in denen sich bäuerliche Gemeinden gegen als unrechtmäßig empfundene Lasten vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches zur Wehr setzten2. Die Hartnäckigkeit erklärt sich daraus, dass die Freienseener nicht nur behaupteten, die eine oder andere Dienstbarkeit oder Abgabe entspreche nicht dem Herkommen und sei daher rechtswidrig, sondern dass sie beanspruchten, als freier Flecken nur dem Kaiser und dem Reich untertan zu sein, womit sie den Grafen zu Solms-Laubach jegliche Obrigkeit in ihrem Ort streitig machten. Das war eine Fundamentalopposition, die ihnen das Nachgeben in Einzelpunkten unmöglich machte. Umgekehrt konnten die Grafen ihnen dies auf keinen Fall durchgehen lassen, war doch Freienseen nach dem Residenz1

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Der Autor eines Zeitungsberichts über das Dorf zog ebenfalls diesen Vergleich: „Von Rindern, Ratten und – vor allem – Fröschen.“ Giessener Allgemeine Zeitung Nr. 25, 30. Januar 2010, S. 40. Dazu gibt es eine umfangreiche Literatur vor allem von Winfried Schulze und seinem Schülerkreis. Den Forschungsgang der Anfangsphase beschreibt eingehend: Werner Troßbach, Bauenbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1648–1806. Fallstudien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich. Quellen und Forschungen zur Hessischen Geschichte Bd. 52, Darmstadt-Marburg 1985, S. 1ff.

2

Die Parteien

städtchen Laubach der bedeutendste Ort ihrer sowieso nur aus 17 Dörfern bestehenden, kleinen Landesherrschaft in Oberhessen. In der Huldigungsliste der Grafschaft Solms-Laubach aus dem Jahr 16313 wurden insgesamt 875 zur Huldigung verpflichtete Untertanen aufgeführt, von denen 189, also fast 15%, in Freienseen beheimatet waren. Auch der Anteil von mehr als 11 % am gesamten Steuer-Kapital-Stock der Grafschaft Solms-Laubach4 erweist das Dorf Freienseen als einen so wesentlichen Bestandteil der Solms-Laubacher Herrschaft, dass sein Ausscheiden aus der gräflichen Landesherrschaft für die Grafen existenzgefährdende Folgen gehabt hätte. Diese hartnäckige Auseinandersetzung hat sich tief in das Bewusstsein der Beteiligten eingegraben. Alte Freienseener pflegen die Erinnerung daran noch heute mit Inbrunst5. Und auch den Grafen zu Solms-Laubach ist die Besonderheit ihres Verhältnisses zu Freienseen immer bewusst geblieben6.

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4 5

6

Gerhard Steinl, Solms-Laubacher Erbhuldigung von 1631. Hessische Familienkunde Bd. 26, Heft 1, 2002, S. 16 ff.. Cramer, Wetzlarer Nebenstunden, Teil 20 Nr. 2, S. 11ff. Symptomatisch die Publikation und Analyse der Privilegien Kaiser Karls V. von 1555: Karl Krautwurst und Artur Rühl, „Freienseen erhielt schon früh besondere Privilegien. Kaiser Karl V. gestand dem Ort bereits 1555 das Führen eines eigenen Wappens und Gemeindesiegels zu“. In: Heimat im Bild, 16. Woche, April 2000. Fortsetzung dortselbst unter dem Titel: „Symbol der Standfestigkeit und des Gemeinsinns. Im Streit um die Führung des kaiserlichen Wappens obsiegte Freienseen über die Laubacher Grafen.“ Zur Erteilung der Privilegien neuerdings: Bernhard Diestelkamp, Die Privilegien Kaiser Karls V. für Freienseen vom 9. Januar 1555. In: Worte des Rechts – Wörter zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Dieter Werkmüller zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 95ff. Zur langdauernden Geschichte der Bestätigungen: ders., Der Reichshofrat und die Bestätigung der Privilegien Kaiser Karls V. vom 9. Januar 1555 für die Gemeinde Freienseen in Oberhessen. Hess. Jahrbuch f. Landesgeschichte, 57, 2007, S. 27ff. Friedrich Ludwig Christian Graf zu Solms-Laubach begann 1783 eine „Geschichte der Entstehung und Fortsetzung aller zwischen dem Dorf Freyenseen und den Grafen zu Solms-Laubach als auch mit dem fürstlichen Haus Hessen wegen vermeintlicher hessischer Privilegien und prätendiertem Erbhuldigungsrecht entstandenen Streitigkeiten actenmäßig entworfen“ (1783): Handschrift: Gräfl. Archiv Laubach, A, Abt. XXX Freyenseensia K 58 Nr. 1. Er blieb aber stecken bei der Exzerpierung der Zeugenvernehmungen im Verfahren primi mandati des RKG. Obwohl Rudolph Graf zu Solms-Laubach seine „Geschichte des Grafen= und Fürstenhauses Solms“ (Frankfurt am Main 1865) personenbezogen angelegt hatte, widmete er als einzigem sachbezogenen Problem der Auseinandersetzung mit Freienseen einen eigenen Abschnitt (S. 165). Dieser Punkt war ihm also wichtig genug für eine Ausnahme von seiner Konzeption.

2.

Freienseens Herrschaftszugehörigkeit

Die Auseinandersetzungen sind dokumentiert in Akten von 48 Verfahren vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat sowie vor Visitationskommissionen. Eine solche umfangreiche Serie von prozessualen Auseinandersetzungen einer bäuerlichen Gemeinschaft mit ihrer Landesherrschaft1 ist mir aus der Literatur sonst nicht bekannt und auch bei der Durchsicht der Neuverzeichnungsinventare der Reichskammergerichtsakten2 nicht begegnet. Überprüft man die überlieferten Urkunden und anderen Quellen, ob die Freienseener Bauern gräfliche Untertanen waren oder nicht, so lassen die überlieferten Schriftquellen keinen anderen Schluss zu, als dass das Dorf Freienseen Teil der solms-laubachischen Landesherrschaft war. Freienseen hatte zusammen mit anderen Dörfern als Zubehör zur Burg Laubach den Herren von Hanau gehört, von denen der Herrschaftskomplex 1341 auf die Herren von Falkenstein überging3. Als diese im Mannesstamm im Jahre 1418 ausstarben, gehörte der Laubacher Bezirk zum Erbteil der Grafen zu Solms4. Seitdem erscheinen das Dorf Freienseen und seine Bewohner regelmäßig in gräf1

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3

4

Die einschlägigen Akten des Reichskammergerichts sind verzeichnet in: Reichskammergerichtsakten im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt und im gräflich solmsischen Archiv in Laubach, bearbeitet von Andrea Korte-Bögner und Cornelia Rösner-Hausmann, Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt Bd. 31, Darmstadt 1990 (=Inventar der Akten des Reichskammergerichts Nr. 15). Die Laubacher Akten werden zitiert: Gräfl. Archiv Laubach. Die auf verschiedene Archive verteilten Prozessakten des Reichskammergerichts wurden und werden mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach einheitlichen Richtlinien neu verzeichnet. Die neuen Findbücher werden von der jeweiligen Archivverwaltung in ihrer eigenen Findbuchreihe publiziert, erhalten aber zusätzlich Nummern eines „Inventars der Akten des Reichskammergerichts“. Ein Überblick mit bibliographischen Angaben des bisher Erschienenen findet sich jeweils im Anhang der jüngsten Publikation. Letzter Überblick: Inventar der pfälzischen Reichskammergerichtsakten, bearbeitet von Martin Armgart und Raimund J. Weber, herausgegeben von Jost Hausmann. Veröff. der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Bd. 111, 4, Koblenz 2009 (=Inventar der Akten des Reichskammergerichts Nr. 32), S.769–770. Urkundenbuch der Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau, bearbeitet von Heinrich Reimer. Publikationen aus den Königlich Preußischen Staatsarchiven Bd. 51=Hessisches Urkundenbuch 2. Abtheilung Bd. 2 (1301–1349), Leipzig 1893, Nr. 558, 560, 571, 574, 584. Friedrich Knöpp, Laubach. In: Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands Bd. 4 Hessen, 1960, S. 265f. Zur Herrschaft Münzenberg-Falkenstein: Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kasel-Basel 1959, S. 328ff., 333.

4

Freienseens Herrschaftszugehörigkeit

lichen Registern und Urkunden als Teil der solmsischen Landesherrschaft. Auch die Freienseener selbst haben mehrfach bekannt, Untertanen der Grafen zu Solms zu sein. So beurkundeten am 28. Mai 1508 Heimbürger und Gemeinde zu Freienseen – im Gericht Laubach gelegen –, dass sie etliche Schirmbriefe der Landgrafen zu Hessen ohne Wissen, Willen und Zustimmung ihres Herrn, des Grafen Philipp zu Solms, dem das Dorf mit aller Obrigkeit unmittelbar unterstehe, erlangt hätten5. Für diesen Ungehorsam hätte ihr Herr sie bestrafen können, worauf er jedoch verzichtet habe gegen das Versprechen, sich dieser Schirmbriefe nicht mehr zu bedienen. Nicht nur in dieser Urkunde erkannten die schon damals widerspenstigen Freienseener selbst an, Untertanen der Solmser zu sein6. Im Laufe der prozessualen Auseinandersetzung versuchten sie, den Beweiswert dieser Urkunden dadurch zu entkräften, dass sie vortrugen, sie seien ihnen mit Gewalt abgepresst worden. Sicherlich haben die erzürnten Grafen ihnen jeweils die Folgen ihres Zorns drastisch vor Augen geführt. Aber ihr mehrfaches Bekenntnis, dass der Graf zu Solms ihr Herr sei, stimmt so vollständig mit allen anderen Zeugnissen überein, dass man ihr Bekenntnis, zur Grafschaft Solms zu gehören, durch den prozessualen Widerspruch kaum als entkräftet wird ansehen können. Es ist also zu klären, wann und wodurch es dazu kam, dass die Freienseener die Position einnahmen, sie seien als freier Flecken allein Kaiser und Reich pflichtig und den Grafen zu Solms niemals untertänig gewesen, wie es in ihrer Supplik an Kaiser Karl V. wegen eines Schutzbriefes gegen die angeblich rechtswidrigen Übergriffe des Grafen Friedrich Magnus I. gegen sie steht7. Dazu muss knapp das Schicksal des Herrschaftskomplexes Laubach nach 1418 untersucht werden.

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV Nr. 35. Zum Beispiel 1532: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 53, Bürgermeister und Gemeinde zu Freienseen an Graf Philipp zu Solms, er möge sie als ihr gnädiger Herr vor Schaden bewahren. Abschrift der Supplik der Gemeinde Freienseen an die kaiserliche Majestät vom 20. Mai 1710 nebst Abschrift des darauf verliehenen Privilegs vom 1555 Januar 6: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV Nr. 37=HHStA Wien, RHR, Alte Prager Akten Nr. 5442.

3.

Unruhige Zeiten

3.1.

Die Grafen zu Solms

Im 15. Jahrhundert teilten die Grafen zu Solms ihre Herrschaft unter den Söhnen Graf Ottos1. Graf Johann, der Stammvater der Linien Solms-Lich und Solms-Laubach, erhielt unter anderem Laubach. Sein Sohn, Graf Philipp, herrschte bis zu seinem Tod als letzter über den gesamten Besitz der Johanneischen Linie2. Dessen zweitgeborener Sohn Otto heiratete die verwitwete Mutter Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen, Anna Herzogin von Mecklenburg3. Er hinterliess bei seinem Tod im Jahr 1522 den minderjährigen Sohn Friedrich Magnus I., für den sein Grossvater Philipp die Vormundschaft übernahm4. Der älteste Sohn Graf Philipps, Graf Reinhard, zog für Kaiser Karl V. als Obrist in den Schmalkaldischen Krieg und focht damit gegen den Halbbruder seines Neffen, den Anführer des evangelischen Schmalkaldischen Bundes. Nach dem Tod Graf Philipps am 3. Oktober 1544 teilten Onkel Reinhard und Neffe Friedrich Magnus I. den ererbten Besitz so unter sich, wie Graf Philipp es angeordnet hatte, allerdings ohne reale Abscheidung. Diese erschien wohl deshalb nicht zwingend geboten, weil beide Grafen vorwiegend nicht im Lande weilten, so dass sie mehr an den Einkünften interessiert waren als an direkter Herrschaftsausübung. Graf Reinhard stand für den Kaiser im Feld oder weilte am Kaiserhof, während Graf Friedrich Magnus I. sich zunächst vorwiegend in seiner ihm schon 1537 zugefallenen sächsischen Herrschaft Sonnewalde aufhielt. Erst am 9. November 1548 teilten die beiden Miterben die Grafschaft realiter. Dabei fiel an Graf Friedrich Magnus I. das Amt Laubach als eigenständige Grafschaft, gewissermassen der Gründungsakt der Grafschaft Solms-Laubach5. Die klare Trennung der Herrschaftssphären war mittlerweile wohl auch wegen der unterschiedlichen Konfessionsorientierung der beiden Grafen angesagt. Während Graf Reinhard als treuer Anhänger Kaiser Karls V. katholisch blieb, hatte sich der junge Graf Friedrich Magnus I. 1

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Graf zu Solms-Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 44: Linien- und Teilungstabelle des Hauses Solms. Zu Graf Philipp: Konrad Ziegler, Graf Philipp zu Solms-Lich. Sonnnewalder Heimatblätter, 1, 2001, S. 22ff. Graf zu Solms-Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 230. Zu Graf Friedrich Magnus I.: Graf zu Solms-Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 239ff.; Konrad Ziegler, Friedrich Magnus Graf zu Solms-Laubach. Sonnnewalder Heimatblätter, 2, 2002, S. 23ff. Graf zu Solms-Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 485ff.

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Unruhige Zeiten

unter enger Anlehnung an seinen Sonnewalder Lehnsherrn, den Kurfürsten von Sachsen, und parallel zu seinem Halbbruder Landgraf Philipp von Hessen der lutherischen Lehre zugewandt. Somit wies die solmsische Herrschaft nach dem Tode des alten Grafen Philipp durch die Wirren der Reformationszeit und wegen häufiger Abwesenheit der beiden regierenden Grafen eine gewisse Instabilität auf, die die Freienseener Untertanen veranlasst haben könnte, ältere Unabhängigkeitswünsche zu aktivieren.

3.2.

Landgräflich hessische Schutzrechte in Freienseen

Diese Unsicherheit auf der Herrschaftsseite kann aber nur der Auslöser für Freienseens rebellische Haltung gewesen sein, während die Ursachen in tieferen Schichten zu suchen sind. Ein wichtiger Faktor für die Entstehung und Intensivierung der Unruhe im Dorf Freienseen war der Streit der Grafen zu Solms mit den Landgrafen von Hessen über hessische Rechte in Freienseen. Unter den Einwohnern gab es landgräflich hessische Leibsangehörige, die anfänglich sogar in der Überzahl gewesen sein sollen. Im Laufe der Auseinandersetzungen wird angedeutet, dass es diese hessischen Leibsangehörigen gewesen seien, die sich gegen die solmsische Landesherrschaft aufgelehnt und die Prozesse am Reichskammergericht geführt hätten. Dazu holten sie sich verständlicherweise möglichst Rückendeckung bei Hessen. Schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte die offenbar von den hessischen Leibsangehörigen dominierte Gemeinde immer wieder hessische Schutzurkunden erwirkt, die sie gegen die Grafen zu Solms einzusetzen versuchte6. Dem hatte Graf Philipp zu steuern versucht, wie aus dem schon zitierten Revers vom Heimbürger und der Gemeinde zu Freienseen vom 28. Mai 1505 hervorgeht7. Darin unterwarfen sich die Freienseener Untertanen Graf Philipp erneut, wogegen dieser auf die Bestrafung wegen ihrer Unbotmässigkeit verzichtete. Allerdings trog seine Hoffnung, damit diesen für das Haus Solms nicht ungefährlichen Konflikt endgültig entschärft zu haben. Die Bauern hatten zwar gelobt, sich dieser landgräflichen Schutzbriefe nicht mehr zu bedienen, verschafften sich aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit neue

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In dem Prozess in puncto primi mandati (Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50: Protokolleintrag zum 9. November 1556) legten die Freienseener landgräfliche Schutzbriefe vor aus den Jahren: 1471, 1475, 1493, 1500, 1503. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV. Nr. 35 = A. XXX Freysenseensia K 59 Nr. 12a.

Landgräflich hessische Schutzrechte in Freienseen

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Urkunden8 und gingen immer wieder Hessen um Schutz gegen Solms-Laubach an. Zunächst nutzten sie die Abwesenheit ihrer Herren im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg dazu, erneut den hessischen Schutz gegen ihre Herrschaft zu aktivieren. Nach der Heimkehr der beiden Grafen mussten sie sich allerdings am 5. Juni 1548 erneut unterwerfen9. Sie mussten nicht nur ihre Abgaben- und Dienstpflichten in allen Einzelheiten bestätigen, sondern auch wieder versprechen, auf jeglichen fremden Schutz zu verzichten. Dieser neuen Unterwerfung konnten sich die Freienseener umso weniger entziehen, als ihr Schutzherr Landgraf Philipp der Grossmütige seit der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 von Kaiser Karl V. gefangen gehalten wurde, so dass Hessen politisch zu geschwächt war, um zugunsten der Freienseener Bauern intervenieren zu können. Folgerichtig versuchten diese nach der Heimkehr Landgraf Philipps im September 1552 unter Ausnutzung der Abwesenheit des Grafen Friedrich Magnus I. von Laubach, das alte Spiel neu aufzulegen und die hessische Schutzgerechtigkeit wieder für sich zu nutzen10. Die hessische Seite fühlte sich jedoch nach der schweren Niederlage gegen die Kaiser wohl nicht stark genug, um die ihm zugedachte Rolle anzunehmen. Landgraf Philipp schickte lediglich den Notar und Schreiber des Marburger Hauptgerichts Johann Irrenger mit vielen Dokumenten nach Laubach11. Der landgräfliche Schultheiß in Grünberg versicherte eilfertig, dass er die Freienseener nicht wegen einer hessischen Obrigkeit sondern allein wegen der landgräflichen Schutzgerechtigkeit habe zusammenrufen lassen12. Um zu klären, welche Rechte Hessen in Freienseen habe, einigten sich die beiden Halbbrüder 1554 auf ein Schiedsverfahren vor Herzog Wilhelm d. J. von Sachsen-Weimar13. Dieser entschied nach Einholung eines Rechtsgutachtens der Tübinger Fakultät am 13. Januar 1570 im sogenannten Weimarer Laudum14, dass Hessen in Freienseen zwar eine Schutzgerechtigkeit besitze, diese aber der solmsischen Obrigkeit nicht schaden solle und deswegen nur ein Nebenschutz sei. 8

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1525, 1548, 1558, 1651: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia K 59 Nr. 12a (1). Pergamenturkunde: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV. Nr. 36. Dazu: Graf zu Solms-Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 188. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 50–53 (zu 1552). Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 55. Welcher Art die Dokumente waren, ist nicht überliefert. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia K 55 Nr. 19 = A. LXXIII Nr. 50. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 203. Pergamenturkunde: Gräfl. Archiv Laubach, A. LVI Originalia Nr. 40.

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Unruhige Zeiten

Auch wenn damit verbindlich geklärt war, dass Solms-Laubach in Freienseen die Landesherrschaft besaß, die Hessen nicht beeinträchtigen durfte, war damit doch nicht zu verhindern, dass die widerspenstigen Bauern immer wieder in konkreten Anwendungsfällen prüften, wie belastbar diese Lösung war, indem sie sich bei Konflikten mit der gräflichen Obrigkeit um Hilfe an die hessen-darmstädtische Regierung in Giessen wandten. Diese intervenierte häufig zu ihren Gunsten trotz des Weimarer Laudums. Sogar die Parteien des Schiedsspruchs selbst hielten die 1570 gezogenen Grenzen keineswegs immer ein. So war 1664 Graf Carl Otto genötigt, gegen Landgraf Ludwig VI., dessen Generalwachtmeister und die Regierung in Giessen zu klagen, weil der landgräfliche Generalwachtmeister am 23. Juli 1663 mit militärischer Gewalt in Freienseen wegen Ungehorsams gegen ein hessisches Statut über die Erhöhung von Gebühren bei Neuzuzug in die Gemeinde eine Herde Rinder gepfändet hatte15. Im Jahr 1738 gab die Regierung in Giessen Graf Christian August wieder Anlass zu einer Klage beim Reichskammergericht, weil sie die gräfliche Jurisdiktion in Freienseen durch verschiedene schriftliche Einmischungen in Strafverfahren und die Pfändung von drei Kühen bei solms-laubachischen Untertanen als Vergeltungsmassnahme gegen gräfliche Strafen in Freienseen verletzt habe16. Die Einzelheiten dieser beiden Verfahren sind hier weniger wichtig als der Umstand, dass auch das Weimarer Laudum die Bauern nicht daran hindern konnte, immer wieder bei Hessen-Darmstadt Zuflucht zu suchen. Hessens Schutzgerechtigkeit war für das Verhalten der rebellischen Laubacher Untertanen in Freienseen also zwar wichtig, erklärt aber ihren grundsätzlichen Widerstand gegen die Unterwerfung unter Solms-Laubach nicht hinreichend.

3.3.

Wiedertäuferei als mentale Grundlage der Widersetzlichkeit

Bemerkenswerterweise hatten sich die Freienseener – wie überhaupt die Bauern in der Wetterau und im Vogelsberg – nicht aktiv am Bauernaufstand von 1524/25 beteiligt, obwohl die Gefahr nicht gering gewesen sein soll17. Allerdings bewahrten sich die Menschen in der Region auch nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes ein allgemeines Bewusstsein davon, eine mit 15 16 17

Gräfl.Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 15. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 69. Wolf-Heino Struck, Der Bauernkrieg am Mittelrhein und in Hessen. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau Bd. XXI, Wiesbaden 1975, S. 57, 62ff.

Wiedertäuferei als mentale Grundlage der Widersetzlichkeit

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Kaiser und Reich verbundene Freiheit und Gewohnheit gehabt zu haben, bei denen man sie belassen solle18. Fragt man danach, was die biederen Vogelsberger Bauern darüber hinaus dazu gebracht haben könnte, sich der solmsischen Herrschaft ganz entziehen zu wollen, weil sie nur Kaiser und Reich untertänig seien, so wird man an eine geistig-religiöse Bewegung denken müssen, die die Menschen in dieser Zeit stark beeindruckte. Seit dem Ende der dreißiger bis Mitte der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts hatte die in Oberhessen grassierende Wiedertäuferei einen Geist grundsätzlicher Widersetzlichkeit ins Land gebracht. Diese Bewegung gefährdete nämlich nicht nur den sowieso nur labilen religiösen Frieden, sondern wandte sich auch gegen die angestammten Obrigkeiten, denen die Wiedertäufer Eid und Gehorsam verweigerten, weshalb das Reichsrecht für sie auch die Bestrafung wegen Aufruhrs vorsah19. Graf Philipp trat dem umgehend entgegen, indem er 1537 zur Verhinderung weiterer Ausbreitung der Wiedertäuferei seine Untertanen und vor allem die Freienseener zu Lich auf dem Feld neu schwören ließ und diejenigen des Landes verwies, die diese neue Huldigung verweigerten20. Doch das Feuer schwelte unter der Oberfläche weiter. So wird zum Beispiel berichtet, Graf Philipp sei 1539/40 erneut streng gegen Wiedertäufer gerade in Freienseen vorgegangen, habe aber trotz harter Massnahmen wie Enteignung und Landesverweisung nichts Endgültiges bewirken können21. 1544 beauftragte der Graf den Frankfurter Juristen Fichard, ihm Frageartikel für Verhöre von Wiedertäufern in der Grafschaft Solms auszuarbeiten22. Darunter fehlte nicht die Frage, ob nicht zu Aufruhr und Empörung gepredigt worden sei (Artikel 5). Dass die Wiedertäufer besonders in Freienseen starken Widerhall gefunden hatten, beweisen die bis in die Mitte des Jahres 1544 bezeugten dortigen

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So Bauern in der Obergrafschaft Katzenelnbogen gegenüber einer von Landgraf Philipp eingesetzten Kommission: Karl Lind, Die Beschwerden der Bauern in der oberen Grafschaft Katzenellnbogen 1525. In: Philipp der Großmütige. Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit. Marburg 1904, S. 60f. Andreas Roth, Stichwort „Wiedertäufer“. In: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. V, Berlin 1995, Sp. 1370ff., 1373. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 56: Zeugen Nr. 10, 14, 25, 26. Ebendort Zusammenfassung der Zeugenaussagen Nr. 32, 44, 47. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 33–35. Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 4 Wiedertäuferakten 1527–1626, bearbeitetet von Walter Köhler, Walter Sohm und Theodor Sippel von Günther Franz. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck Bd. 11, Marburg 1951, S. 265f. Urkundliche Quellen (Anm. 21), S. 303 Nr. 125 C (1544) Juni.

10

Unruhige Zeiten

Verfolgungsmassnahmen Graf Philipps23. Unter diesem Aspekt gewinnt der Beschwerdepunkt der Freienseener eine tiefere Bedeutung, Graf Friedrich Magnus I. enthalte ihnen den Schlüssel zu ihrer Kirche und die kirchlichen Bauregister vor24. Der Landesherr wollte mit diesen Maßnahmen offenbar nicht nur sein allgemeines Aufsichtrecht über die Kirchen seines Herrschaftsgebietes durchsetzen25, was später durchaus konkret thematisiert wurde, sondern versuchte damit gewiss auch, kirchliche Eigenmächtigkeiten der rebellischen Freienseener zu unterbinden. Es ist nicht etwa eine nachträgliche und anachronistische Konstruktion, einen Zusammenhang zwischen der Widersetzlichkeit der Bauern in Freienseen mit den Ideen der Wiedertäuferei herzustellen. Vielmehr klagte schon Graf Friedrich Magnus I. von Anfang an, die Rebellion der Freienseener rühre daher, dass diese der häretischen Sekte der Wiedertäufer angehört hätten26, was sogar noch im 18. Jahrhundert bekannt war27.

3.4.

Ratschläge aus Grünberg

Die Idee, die landgräfliche Schutzgerechtigkeit für ihren Widerstand gegen die solmsische Landesherrschaft zu instrumentalisieren, mochte noch der bäuerlichen Lebenserfahrung der Freienseener entsprungen sein. Doch dürfte es den Horizont ihres rebellischen Geistes überschritten haben, ihre Position 23

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Urkundliche Quellen (Anm. 21), S. 265f. (1539 Dezember 14); S. 273 Nr. 102 (1540 Juli 15); S. 274 Nr. 103 (1540 August 6); S. 275 Nr. 104 (1540 August 16); S. 281 Nr. 112 B (1543 März 2); S. 295f. Nr. 122 (1544 Februar 2); S. 301 A, auch Anm. 1 (1544 Juni 11); S. 302f. Nr. 125 (1544 Juli 4); S. 304 Nr. 125 D (1544 Juni 30–Juli 5); S. 306 Anm. 1 (1544 Juli 10); S. 307 Nr. 125 E (1544 Juli 13+14); S. 308f. Nr. 126 (1544 Juli 14). Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV Nr. 37 = HHStA Wien, RHR Alte Prager Akten Nr. 5442. Zum Aspekt der Kirchenzucht als Mittel der Festigung landesherrlicher Ansprüche: Rudolf Vierhaus, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis 1763. Propyläen Geschichte Deutschlands Bd. 5, Berlin 1984, S. 132f.; Heinz Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa in interkonfessionell vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – eine Zwischenbilanz. In: Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Beiheft 16 der ZHF, Berlin 1994, S. 41ff. So schon am 15. Februar 1555 (Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 4, Art. 33–35) und wieder am 16. Dezember 1556 (a.a.O. Qu. 14). Am 7. November 1741 lässt Graf Christian August dies beim kurpfälzischen Vikariatshofgericht im Verfahren wegen der Bestätigung der Privilegien für Freienseen vortragen (HHStA Wien, RHR 83, Judicialia miscellanea Nr. 59).

Ratschläge aus Grünberg

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mit kaiserlichen Privilegien abzusichern, durch die sie vollständig aus der solmsischen Landesherrschaft herausgelöst und allein Kaiser und Reich unterstellt gewesen wären. Auch wenn man berücksichtigt, dass in der Region durchaus die Erinnerung daran wach geblieben war, dass man einst dem Kaiser als terra imperii besonders verbunden gewesen war28, bedeutete es doch den Übergang in eine andere Qualität, sich unter Berufung auf die alleinige Unterwerfung unter Kaiser und Reich der sich herausbildenden solmsischen Landesherrschaft vollständig entziehen zu wollen. Wie hilflos sogar die Betroffenen selbst letztlich diesem Umstand gegenüberstanden, zeigt die Entstehung der Froschlegende im Zusammenhang mit dem Erhalt der Kaiserprivilegien29. In einem Zeugenverhör im Zusammenhang des Prozesses primi mandati am 16. November 1559 und 5. März 156030 berichteten einige Zeugen, sie hätten von ihren Eltern oder anderen glaubwürdigen Zeugen gehört, dass sich das Dorf Freienseen besonderer Privilegien erfreue, weil sie einem Kaiser zur ungestörten Nachtruhe verholfen hätten, als er bei ihnen auf der Jagd übernachtet habe. Der Herrscher habe sich durch das Quaken der Frösche gestört gefühlt. Um ihm die gewünschte Nachtruhe zu verschaffen, hätten sie alle Frösche erschlagen. Darauf habe der Kaiser ihnen als Dank am nächsten Morgen ihre Privilegien verliehen. Diese von mehreren Zeugen aus verschiedenen Orten unabhängig voneinander wiedergegebene Erzählung weist alle Züge einer Legitimationslegende auf. Sie offenbart eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber dem Umstand, dass Freienseen sich in der Tat im Besitz kaiserlicher Privilegien befand, ohne dass die Zeitgenossen sich erklären konnten, womit die Dorfbewohner sich diese verdient haben könnten. Seitdem verspotteten die Nachbarn die Freienseener als Frääsch oder Frääschgicker31. Die Anregung, sich kaiserliche Privilegien zur rechtlichen Absicherung ihrer Position zu erwirken, dürften die Dörfler von Personen erhalten haben, die über einen etwas weiteren Horizont verfügten als sie selbst. Solche Ratge28

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30 31

Trossbach (Kap. 1, Anm. 2), S. 121ff.: Freigericht Kaichen und Karbener Mark; S. 149: Boxberg; S. 234, 472: Gründau. Dazu: B. Diestelkamp, Freienseen und die Frösche. Von den Wandlungen einer verfassungsgeschichtlichen Legende. Mitt. d. Oberhess. Geschichtsvereins Giessen, 94. Bd. 2009, S. 63ff. Die Umdeutung von „Frääsch(gicker)“ in „Fraisch“ (als Hochgerichtsbarkeit), wie sie Krautwurst-Rühl (Freienseen im Spiegel seiner Flurnamen, 1995, S. 33) vornehmen, sollte endgültig in den Bereich gelehrter Erfindungen verwiesen werden. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 14, f. 148ff., 177 v.ff. Auch bei Büdingen, auf das Krautwurst-Rühl (wie Anm. 29) als Parallelbeispiel verweisen, geht es nicht um die Hochgerichtsbarkeit, sondern ist der (Spott-) Name auf eine ähnliche Legende zurückzuführen.

12

Unruhige Zeiten

ber besaßen sie im städtischen Milieu der dicht benachbarten hessischen Amtstadt Grünberg, wohin auch verwandtschaftliche Beziehungen bestanden. Im Weimarer Laudum wurde zum Beispiel tadelnd vermerkt, dass der Rentmeister zu Grünberg die Freienseener übel beraten und in ihrer Halsstarrigkeit bestärkt habe, nicht mehr zu leisten, als in einer Urkunde Landgraf Ottos vor dreieinhalb Jahrhunderten gesagt worden sei, und dass sie gegen jede weitere Forderung geschützt werden sollten32. Die Bedeutung Grünberger Ratgeber für die Prozessführung scheint auch unmittelbar auf, als der Solmser Prokurator am 19. Januar 1564 einige von Freienseen benannte Kommissare für die Beweisaufnahme als parteiisch ablehnte33. Er machte geltend, dass Bürgermeister und Ratsherren der hessischen Stadt Grünberg Ratgeber, Freunde, Verwandte und zum Teil auch Sollicitatores der Kläger seien. Vor allem der Vornehmste im Rat und Bürgermeister Caspar Rab sei vor Zeiten Ratgeber und Zuflucht der Kläger gewesen. Bei seiner eigenen Vernehmung im Verfahren primi mandati habe er selbst zugegeben, dass er ihnen geraten und für sie sogar geschrieben habe. Dasselbe gelte für den Grünberger Stadtschreiber Conrad Magersuppe, der den Freienseenern ebenfalls nicht nur beratend geholfen habe, sondern ihnen auch als Schreiber ihrer Supplikationen und Berichte gedient habe. Die Rebellen bekamen also nicht nur von landgräflichen Amtsträgern in Grünberg politischen Rückhalt, sondern waren auch der städtischen Oberschicht in Grünberg verwandtschaftlich und freundschaftlich so eng verbunden, dass sie von dort Rat und Hilfe für ihre Prozessführung erhalten haben dürften. Dies kommt unmittelbar zum Ausdruck in der Bitte der Freienseener vom 8. Oktober 1554 an Bürgermeister und Rat der Stadt Grünberg, ihnen mit ihrem Stadtsiegel und ihrer Weisheit behilflich zu sein, da der Graf ihren Beschwerden nicht abhelfen wolle34. Es ist dies die Phase, in der sie am Reichskammergericht von Solms aufgefordert worden waren, ihre besonderen Freiheiten zu beweisen. Da dürfte ihnen die „Weisheit“ der Grünberger Freunde und Verwandten geraten haben, mit kaiserlichen Freiheitsprivilegien ihre prozessuale Lage grundlegend zu verbessern. Eine solche Hilfestellung für rebellische Bauern durch bürgerlich-städtische Sachkunde ist in dieser Region auch keineswegs singulär. Werner Trossbach hat für das 18. Jahrhundert festgestellt, dass prozessierende Dorfgemeinden 32 33

34

Dazu: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 98, Qu. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 523 = A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) exceptiones contra mutmaßliche commissarii. Schon vorher (nach 1563 April) waren solche Bedenken gegen von Freienseen benannte Kommissare vorgebracht worden: Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 254 (1) exceptiones contra nominationem commissariorum cum annexa petitione in causa tertii mandati. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50.

Anlässe zur Unzufriedenheit

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im damaligen Grünberger Amtmann Leutner35 oder dem Ortenberger Stadtschreiber Bott36 solche Helfer gehabt hätten.

3.5.

Anlässe zur Unzufriedenheit

Aus diesem Potential kritischer Momente erwuchs jedoch nur dann aktives Handeln, wenn die Betroffenen besonders gereizt wurden. Das war, wie sie selbst sagten, zum ersten Mal im Jahr 1546 geschehen. In diesem Jahr verlegte Graf Christian von Oldenburg im Verlauf des Schmalkaldischen Krieges sein Kriegsvolk von Sachsen an den Rhein37. Bei dieser Truppenbewegung musste sein Heerhaufen auch das Vogelsberg-WetterauGebiet durchqueren, wobei ein Fähnlein seiner Kriegsknechte bei den Dörfern Lartenbach und Freienseen einquartiert wurde. Eine solche Einquartierung von Söldnern war nicht nur wegen der Verpflegungskosten für die Quartiergeber teuer, sondern war auch wegen der rauen Sitten des Kriegsvolks höchst unwillkommen. Über diese normalen Gründe hinaus waren die Freienseener über dieses Feldlager in ihrer Gemarkung deshalb besonders erbost, weil sie meinten, dass die Gäste eigentlich für die Stadt Laubach vorgesehen gewesen seien. Als der Laubacher Bürgermeister an der Spitze einer Delegation von Bürgern seiner Stadt im Feldlager bei Freienseen erschien, um den Knechten Brot und Bier zu bringen, werteten die Freienseener dies deshalb nicht als eine Entlastung für ihre Unkosten, sondern hielten es für eine Verhöhnung und machten ihrem Unmut über die als Ungerechtigkeit empfundene Einquartierung dadurch Luft, dass sie die Laubacher handfest maltraitierten. Sie sollen sogar, wie Graf Friedrich Magnus I. vortragen ließ, die Kriegsknechte aufgewiegelt haben, nach Laubach zu ziehen. Wenn man sie dort nicht einlassen wolle, würden sie ihnen zeigen. wo die Mauer am niedrigsten sei. In ihrer Empörung über diese Ungerechtigkeit hatten die Bauern schließlich wieder bei Hessen um Schutz nachgesucht. Das war für die Grafen Reinhard und Friedrich Magnus I. Anlass genug gewesen, nach Wiederherstellung des Friedens im Reich und nach ihrer Rückkehr in die Grafschaft die Freienseener am 5. Juni 1548 zur erneuten Anerkennung der Unrechtmässigkeit ihres Vorgehens zu zwingen38. 35 36 37

38

Trossbach (Kap.1, Anm. 2), S. 444f.: Reichenbach. Trossbach (Kap.1, Anm. 2), S. 445: Mockstadt. Zu diesen Vorgängen: Gräfl. Archiv Laubach, A. Nr. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 36– 49. Kap. 3.2, Anm. 9. Die Unruhe war allerdings schon früher ausgebrochen und bekämpft worden. Schon im Mai (am Donnerstag nach Walpurgis (1.Mai)) 1548 wa-

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Unruhige Zeiten

Der Herausforderung durch die Einqartierung im Jahr 1546 begegneten die Freienseener also noch mit dem herkömmlichen Mittel der Anlehnung an Hessen. Von einer Klage beim Reichskammergericht ist nichts bekannt – vielleicht weil dies wegen des alsbaldigen Abzugs der Soldaten sowieso keine Abhilfe mehr hätte verschaffen können.

ren sechs Freienseener gefangen genommen und nach Laubach ins Gefängnis gebracht worden: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 13, Art. 23–31.

4.

Erste Prozesse am Reichskammergericht unter Graf Friedrich Magnus I. 4.1.

Gescheiterter Versuch von 1549/1550

Das war anders, als nach der Teilung vom 9. November 1548 aus dem alten Amt Laubach eine selbständige Grafschaft geworden war. Damit musste für den neuen Landesherrn eine Residenz geschaffen werden, in der er standesgemäß leben und die auch seine Verwaltung aufnehmen konnte. Der vom Chronisten des Hauses Solms als blosses Jagdhaus bezeichnete ältere Bau in Laubach1 musste zum Mittelpunkt einer reichsgräflichen Landesherrschaft ausgebaut werden. Nicht zuletzt benötigte der Graf nach seiner Verehelichung im Jahre 1554 eine repräsentative Unterkunft, wenn er mit seiner Gemahlin in seiner oberhessischen Grafschaft weilte. Für diesen Bau wurden die solms-laubachischen Untertanen zu Fuhrdiensten für die Heranschaffung von Kalk, Steinen, Erde und Holz in einem Umfang herangezogen, der das bis dahin notwendige und daher auch nur übliche Maß bei weitem überschritt. Diese erhöhten Dienstleistungen erbrachten alle anderen Untertanen scheinbar klaglos. Von deren Zähneknirschen ist jedenfalls nichts überliefert. In Freienseen jedoch, wo durch die Wiedertäuferei gerade noch vor zehn Jahren eine Neigung zum Widerstand gegen die Obrigkeit geschürt und gerade erst kürzlich die Unzufriedenheit mit der gräflichen Verwaltung im Zusammenhang mit der Einquartierungsfrage niedergeschlagen worden war, dürften die Bauern das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, nicht vergessen haben. So beschritten die Freienseener gegen die erhöhten Anforderungen den Rechtsweg und klagten dagegen in Speyer beim Reichskammergericht, wie es üblich zu werden begann2. Ob schon ein für die Jahre 1549/1550 zu erschliessendes Verfahren der Abwehr solcher altem Herkommen widersprechenden Leistungen gedient hatte, ist nicht sicher zu sagen, weil es dazu keine Prozessakten gibt. Solche Akten legte das Reichskammergericht erst an, wenn das Verfahren vom Extrajudizialstadium zum Judizialverfahren übergegangen war3. Dass die Freienseener ein Verfahren anzustrengen versucht haben, ist jedoch bekannt, weil 1

2 3

Graf zu Solms- Laubach, Geschichte (Kap. 2, Anm. 6), S. 242. Allerdings soll Graf Friedrich Magnus I. schon in diesem Bau geboren worden sein. Das Gebäude muss also schon damals gewisse repräsentative Funktionen gehabt haben. Vgl. Kap. 1, Anm. 1. Im Extrajudizialverfahren wurden die Prozessvoraussetzungen geprüft. Lagen sie nicht vor, so wurde die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne dass dafür eine Akte angelegt wurde.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

sie gegen die Klagabweisung Revision bei der Visitationskommission eingelegt hatten4. Sie waren damals jedoch juristisch schlecht beraten gewesen, denn die Kommission musste sie davon überzeugen, dass ihr Revisionsbegehren unbegründet sei und sie es deshalb besser zurücknehmen sollten. Mit Bescheid vom 18. Mai 1550 wurden sie danach in die Kosten des Verfahrens sowie in eine Strafe von vier Mark lötigen Silbers wegen mutwilliger Revision verurteilt. Dieser knappe Visitationsbescheid gibt leider weder Auskunft über den ursprünglichen Streitgegenstand noch über die Gründe für die Klagabweisung. Wir wissen durch diesen Revisionsbescheid also nur, dass sich die Freienseener schon einmal um die Jahre 1549/1550 vergeblich nach Speyer gewandt hatten.

4.2.

Die Klage von 1554 und die beiden kaiserlichen Privilegien für Freienseen vom 9. Januar 1555

Als Graf Friedrich Magnus I. im Jahr 1552 in seiner sächsischen Herrschaft Sonnewalde weilte, nutzten die Freienseener seine Abwesenheit zum Widerstand gegen ihn und seine Amtsträger5. Nach der Heimkehr in seine oberhessische Grafschaft Laubach stellte er seine herrschaftliche Position in den Jahren 1552/1553 dadurch wieder her, dass er gegen die aufsässigen Bewohner des Dorfes Freienseen verschiedene Gewaltmaßnahmen wie Pfändung von Vieh oder Gefangennahme von Rädelsführern ergriff. Damit habe er, wie diese meinten, gegen ihre Privilegien, Freiheiten und Gewohnheiten verstoßen und den Landfrieden gebrochen. Deshalb erwirkten sie am 25. August 1554 beim Reichskammergericht ein Mandat, mit dem dem Grafen befohlen wurde, das bei seinen Aktionen gepfändete Vieh wieder herauszugeben und die Gefangenen freizulassen6. Der Landesherr beurteilte die Vorgänge jedoch grundlegend anders. Er liess vortragen, dass die Freienseener seit dem verderblichen (Schmalkaldischen) Krieg versucht hätten, sich selbst zu befreien und von ihm als ihrem Erbherrn und ihrer Obrigkeit abzufallen7. Mit den von den Bauern beklagten Gewaltmaßnahmen habe er lediglich versucht, ihre Widersetzlichkeit zu brechen und sie wieder zum Gehorsam zurückzuzwingen8. 4 5 6

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8

HHStA Wien, RHR, Decisa Nr. 2440. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 50. Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 55 Nr. 19 fol. 1f. = A. LXXIII Nr. 50, Qu. 2. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 50–52; A. LXXIII Nr. 98, Qu. 4, Art. 11. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Art. 54–61+Qu. 55.

Die Klage von 1554 und die kaiserlichen Privilegien

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Um ihren Vorwurf des Landfriedensbruchs zu begründen, hatten sich die Freienseener nur allgemein auf ihre Privilegien, Freiheiten und löblichen, hergebrachten Gewohnheiten berufen, ohne im Prozess ausdrücklich zu behaupten, nur Kaiser und Reich untertan zu sein9. Ihr Vorwurf lautete vielmehr nur generell, Graf Friedrich Magnus I. habe sie gewaltsam in eine höchst verderbliche Dienstbarkeit nach seinem Belieben zwingen wollen. Auf dieses am 13. September 1554 zugestellte Mandat reagierte der Graf jedoch nicht mit der angeordneten Rückgabe des gepfändeten Viehs, sondern widersprach dem Mandat, so dass die Freienseener am 8. Oktober 1554 vom bislang einseitigen Mandatsprozess zum kontradiktorischen Verfahren übergehen mussten10, in dem der Beklagte seine Position ebenfalls darlegen konnte. Obwohl die Kläger sich in ihrer Supplik, mit der sie das Mandat erwirkt hatten, nur allgemein auf ihre Privilegien, Rechte und Gewohnheiten berufen hatten, bezog der Beklagte dies sofort konkret auf einen kaiserlichen Schutzund einen Wappenbrief, die die Bauern also schon ausserhalb des Verfahrens in Speyer ins Spiel gebracht haben mussten, auch wenn – wie Friedrich Magnus I. am 23. September 1555 tadelnd hinzufügte – die Kläger diese Urkunden erst am 9. Januar 1555 in Brüssel erwirkt hätten11. Am selben Tag, an dem der Prokurator der Freienseener in Speyer das Mandat beim Gericht zur Eröffnung des Prozesses einführte (8. Oktober 1554), wandten sich die Bauern mit ihrem schon genannten Hilfsersuchen an Bürgermeister und Rat zu Grünberg, weil Graf Friedrich Magnus I. ihnen keinen gnädigen Bescheid wegen seiner tätlichen Angriffe geben wolle12. Die zeitliche Nähe dieses Hilfsersuchens zu der am 18. Oktober 1554 zu Brüssel am Kaiserhof vorgetragenen Supplik um einen Schutz- und Schirmbrief sowie die Bestätigung ihres Wappenbriefes13 legt es nahe, den Schritt in Brüssel auf einen Rat aus Grünberg zurückzuführen. Allerdings führte die Einschaltung des Kaisers keineswegs zu dem erhofften Erfolg, auch wenn die Freienseener die im Oktober 1554 offenkundig noch fehlenden kaiserlichen Urkunden am 9. Januar 1555 erhielten und dann in Speyer vorweisen konnten. Am 2. November 1554 nahm Graf Friedrich Magnus I. den Prozess auf, indem er durch seinen Prokurator die Litiskontestation erklären ließ – diejenige Prozesserklärung, mit der das kontradikto9 10 11 12 13

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 2. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 25. Kap. 3.4, Anm. 34. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 9: Der allerdings undatierte Text (Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Nr. 37) ist eine beglaubigte Abschrift aus der kaiserlichen Reichshofratsregistratur für Graf Christian August vom 20. Mai 1710.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

rische Verfahren eröffnet wurde. In diesem Schriftsatz beharrte der Beklagte darauf, dass Freienseen ein ihm als Landesherrn untertäniges Dorf sei, in dem er die volle Jurisdiktion und Obrigkeit ausübe. Wegen des von Hessen beanspruchten Schutzes hätten er und Landgraf Philipp den jungen Herzog zu Sachsen-Weimar um einen Schiedsspruch angerufen, damit endgültig festgestellt werde, dass dieses Schutzrecht die solmsische Obrigkeit nicht beeinträchtige. Die Maßnahmen gegen die Bauern seien deshalb kein Landfriedensbruch, sondern Ausübung legitimer Obrigkeit gewesen. In einem am 26. November 1554 beim Gericht überreichten Schriftsatz gaben die Freienseener sich überrascht, dass der Graf sie arme Leute in einen langen und gefährlichen Prozess verwickeln wolle14. Weshalb sie glaubten, damit rechnen zu können, Graf Friedrich Magnus I. werde dem Mandat vom 25. August 1554 widerspruchslos gehorchen, bleibt unerfindlich. Sie bestritten, ihm untertänig zu sein und ihm gehuldigt zu haben, was angesichts mehrerer darüber von ihnen selbst ausgestellter Urkunden zumindest erstaunt. Jetzt brachten sie auch ausdrücklich vor, dass der freie Flecken Freienseen immer nur der kaiserlichen Majestät und dem Heiligen Reich gehört habe und sich solcher Gnaden noch jetzt erfreue. Damit nahm die Auseinandersetzung eine grundsätzlich neue Wendung. Um diese Behauptung beweisen zu können, brauchten sie also die am 18. Oktober 1554 beantragten Urkunden, die ihnen in der Tat am 9. Januar 1555 als kaiserlicher Schutz- und Schirmbrief15 sowie als Bestätigung eines angeblich verbrannten Wappenbriefs16 erteilt wurden. Dass die beiden Urkunden von der kaiserlichen Kanzlei ausgefertigt worden waren, also formal echt sind, ist niemals bestritten worden17. Da die Kanzlei jedoch die inhaltliche Richtigkeit nicht überprüfte – ja in der Regel gar nicht kontrollieren konnte – sondern üblicherweise die Angaben der Supplik, mit der die Ausstellung beantragt wurde, nur auf ihre Schlüssigkeit/ 14 15

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Anm. 9, Qu. 6. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia Nr. 37 = HHStA Wien, RHR, Alte Prager Akten Nr. 5442. Gedruckt in der vidimierten Bestätigung Kaiser Karls VI. vom 21. Juni 1713 in: „Abdruck kayserlicher privilegiorum auch deshalb bei des kayserl. und des H. Röm. Reichs Cammer = Gericht a multis seculis ergangenen resp. mandatorum & judicatorum in causa der Gemeinde des Flecken Freyenseen contra die Herren Graffen von Solms-Laubach“, 1725, S. 1ff. (ein Exemplar im Tresor der Löbsachsmühle im Seenbachtal bei Freienseen; StA Darmstadt G. 23. C. Nr. 2575). Pergamenturkunde mit stark beschädigtem Siegel im Archiv der Gemeinde Freienseen/Stadt Laubach Abt. II, Abschnitt 1, Konvol. 1, Fasc. 1 = HHStA Wien, RHR, Alte Prager Akten Nr. 5442. Druck: Krautwurst/Rühl, Freienseen erhielt schon früh besondere Privilegien (Kap.1, Anm. 5). Schon in der vidimierten Bestätigung Kaiser Karls VI. vom 20. Juni 1713 (wie Anm. 15, S. 4ff.). Dazu: Diestelkamp, Privilegien (wie Kap.1, Anm. 5).

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Wahrscheinlichkeit hin ansehen konnte, ist die formale Echtheit kein Beweis dafür, dass die darin beurkundete rechtliche Position – dass also Freienseen tatsächlich ein freier Flecken des Reiches18 mit dem Recht zur Wappenführung gewesen sei – wirklich stimmte. Man musste in der Kanzlei darauf vertrauen, dass Inhaber von Rechten, die durch das Privileg beeinträchtigt würden, ihre Gegenansprüche geltend machen würden, wie es auch in diesem Fall geschah.

4.3.

Die Privilegien vom 9. Januar 1555 4.3.1.

Der Schutz- und Schirmbrief

Den kaiserlichen Schutz- und Schirmbrief hatten die Freienseener mit dem Vorbringen erwirkt, Graf Friedrich Magnus I. zu Solms-Laubach wolle sie wie seine eigenen Untertanen mit schweren Servituten in seine Knechtschaft zwingen, obwohl sie ihm nie untertänig sondern immer frei und allein der kaiserlichen Majestät unterworfen gewesen seien19. Die Servituten waren wohl die von allen solms-laubachischen Untertanen geforderten Fuhrdienste zum Ausbau des Laubacher Schlosses, die die Freienseener verweigerten mit der Behauptung, nicht zur Grafschaft Solms-Laubach zu gehören. Sie erbaten den kaiserlichen Schutz gegen Graf Friedrich Magnus I., weil dieser ihren freien Flecken mit vorsätzlicher Gewalt überfalle, ihnen ihr Vieh wegnehme und Bewohner des Ortes ins Gefängnis werfen lasse, wo er sie ohne Speis und Trank halte. Es waren dies dieselben Vorwürfe, mit denen sie das Reichskammergerichtsmandat vom 24. August 1554 erwirkt hatten. Dies offenbart deutlich den Zusammenhang ihrer Aktivitäten in Brüssel mit dem Prozessgeschehen in Speyer. Sie setzten zudem hinzu, dass das Mandat des Kammergerichts den Grafen leider nicht davon abgehalten habe, weiter gewaltsam gegen sie vorzugehen. Deshalb solle der Kaiser sie in seinen und des Heiligen Reiches besonderen Schutz und Schirm aufnehmen. Dieses Schutzprivileg sollte ihren Vortrag beim Reichskammergericht ergänzen und unterstützen. Ihr Vorbringen in Brüssel konnte ihren Wunsch, ein Schutzprivileg vom Kaiser zu erhal18

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Zu Reichsdörfern: Kaufmann, E.: Stichwort „Reichsdörfer“ in HRG Bd. IV. 1986, Sp. 561ff. Die Aufstellung von Hugo (Verzeichnis der freien Reichsdörfer in Deutschland, Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte Bd. 2 H. 1, Hamburg 1835, S. 446ff.) führt Freyenseen unter den Reichsdörfern auf, deren Reichsunmittelbarkeit urkundlich nicht erwiesen ist (S. 475), obwohl er die Privilegierung von 1555 Januar 9 mit Bestätigungen bis Karl VI. 1713 nennt. Anm. 13.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

ten, durchaus begründen. Am Kaiserhof wusste man, dass es freie Reichsdörfer gab, so dass Freienseens Behauptung, ein solches zu sein, keineswegs unglaubwürdig war. Allerdings konnte man in Brüssel nicht überprüfen, ob Freienseen diese den kaiserlichen Schutz rechtfertigende Eigenschaft besaß, sondern musste sich darauf verlassen, dass dem widersprechende Rechte geltend gemacht würden. Die Kanzlei konnte also von der Richtigkeit auch dieses Teils der Freienseener Supplik ausgehen, so dass für die Kanzlei alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Schutz- und Schirmbriefes am 9. Januar 1555 vorlagen. Ob eine Rolle gespielt hat, dass Graf Friedrich Magnus I. zu den am Hof verhassten Protestanten gehörte, kann nur vermutet werden. Jedenfalls hat sein in Brüssel weilender Onkel, Graf Reinhard, dieses Ergebnis nicht verhindern können, obwohl er am Kaiserhof wohl gelitten war. Am 19. April 1555 ließen die Freienseener diese Urkunde dem solmsischen Amtmann zu Rödelheim Kraft Specht von Bubenheim zustellen20, woraufhin Graf Friedrich Magnus I. umgehend beim Kaiser dagegen remonstrierte. Auf diese Beschwerde hin erließ der Reichshofrat ein Mandat an Vorsteher und Gemeinde zu Freienseen, dass es nicht die Absicht des Kaisers gewesen sei, mit seinem Schutz- und Schirmbrief jemanden aus der Obrigkeit des Grafen Friedrich Magnus I. zu ziehen oder gar in die Rechtfertigung am Reichskammergericht einzugreifen21. Bis das Gericht geurteilt habe, sollten sie dem Grafen Gehorsam erweisen. Beide Parteien sollten während der Rechtshängigkeit des Streites in Speyer keine Neuerungen einführen22. Damit war der Versuch der Freienseener gescheitert, im Prozess mit dem kaiserlichen Schutzund Schirmbrief die von ihnen behauptete freie Rechtsstellung argumentativ abzusichern. Die Partie stand insofern wieder unentschieden wie vor Ausstellung des Schutzbriefes. 4.3.2. Der Wappenbrief Zugleich mit diesem Schutz- und Schirmbrief erwirkten die Freienseener auch einen Wappenbrief mit der Behauptung, sie hätten das Wappenrecht schon immer besessen, die Urkunde jedoch zusammen mit dem früher benutzten Wappen durch Brand im Zuge der Kriegsläufte verloren. Deshalb erbaten sie sich eine Erneuerung und Bestätigung in einer neuen Urkunde. Dieses Vorbringen war ebenfalls keineswegs ungewöhnlich oder gar von 20 21 22

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 25, Qu. 3. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV Nr. 38.

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vornherein unglaubwürdig, da in dieser Zeit Urkunden häufig durch Brände oder Plünderungen verloren gingen. Deshalb brauchte die Kanzlei Kaiser Karls V. keine Bedenken zu haben, den Freienseenern das Recht zur Führung eines Wappens zu bestätigen. Das Wappen sollte zweigeteilt sein und im unteren Feld auf blauem Grund einen Schwan, im oberen sodann auf gelbem/ goldenen Grund einen aufgerichteten schwarzen Adler mit ausgebreiteten Flügeln und offenem Schnabel mit ausgestreckter Zunge aufweisen. Dieses Wappenbildes – mit der Reichssymbolik des Adlers – sollten sie sich in allen ihren Angelegenheiten bedienen dürfen, vor allem auch in einem Siegel, das die Umschrift tragen sollte SIGILLUM COMMUNITATIS FREIENSEEN. Auch wenn die Kanzlei des Kaisers es in den Jahren 1554/1555 für möglich halten konnte, dass ein Reichsdorf ein solches Wappen und Siegel führen durfte, erscheint es wenig glaubwürdig, dass Freienseen dieses Recht schon vorher gehabt haben sollte, wie die Bauern es zur Begründung für ihr Bestätigungsersuchen vorgetragen hatten. Darauf wies der Graf in seinem gegen die Erwirkung dieses Wappenbriefs angestrengten Prozess ständig hin23. Wappen und danach geschnittene Siegel zu führen, war ursprünglich so sehr ein Vorrecht des Adels gewesen, dass kaiserliche Wappenbriefe, die bis 1519 verliehen worden waren, später als Adelsbriefe anerkannt wurden24. Unter den Kommunen führten anfänglich nur Städte und Märkte mit Ratsverfassung und Siegelrecht ein Wappen25. Dass die Supplikanten sich selbst in ihren Prozessschriften von Anfang an als Bürgermeister und ganze Gemeinde des freien Fleckens zu Freyenseen bezeichneten, geschah also nicht aus Eitelkeit, sondern war notwendiger Bestandteil der Prozessstrategie, sich als reichsunmittelbarer Flecken mit dem Recht zur Wappenführung darzustellen. Bestenfalls als Flecken mit einem Bürgermeister an der Spitze konnten sie hoffen, ihr Wappenrecht glaubhaft zu machen. Demgegenüber nannte die gräfliche Seite die Kläger nicht nur beharrlich Unsere ungehorsamen/rebellischen Untertanen zu Freyenseen, sondern wählte auch ebenso konsequent als Bezeichnung für den kommunalen Amtsträger der Gemeinde den Titel eines Heimbürger, wie es dem Vorsteher eines Dorfes zukam26. Ebenso wurden die Grafen nicht müde, drastisch immer wieder darauf hinzuweisen, dass Freienseen nur ein schlichtes, offenes Dorf sei, das weder mit Toren, Gräben, Hecken oder

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, 1555 Dezember 10. Heydenreuter, R.: Stichwort „Wappenrecht“. In: HRG Bd. V. 1994, Sp. 1139ff., 1140. Heydenreuter (wie Anm. 24), Sp. 1143. Buchda, R.: Stichwort „Heimbürger“. In: HRG Bd. II. 1972, Sp. 50.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

Schlagbäumen noch sonst verwahrt sei und weder Wacht noch Gericht habe27. Zudem müsse man sich fragen, zu welchen Geschäften sie eines solchen Wappens bedürften, da sie seit altersher zum Gericht Laubach gehört hätten und dort ihre Geschäfte beurkunden lassen könnten28. Beharrlich protestierte die gräfliche Seite immer wieder gegen den Gebrauch des Gemeindesiegels, weil die Grafen dieses Siegel und das Wappen überhaupt als Verunglimpfung ihrer landesherrlichen Rechte ansahen. Selbst nachdem im Frankfurter Protokoll von 1651 das Problem durch Vorlage der Kaiserurkunde gelöst zu sein schien29, reaktivierte die gräfliche Seite die Siegelproblematik bei jeder sich bietenden Gelegenheit30. Unter diesen Umständen erscheint es wie eine wohl überlegte, vorsorgliche List, dass die Freienseener in ihrer Supplik gebeten hatten, das Recht nicht nur „zu confirmiren, zu bestetten“, sondern auch, „wo vonnöthen, von neuem zu verleihen und zu geben“, was mit diesen Wendungen auch geschah. Damit konnten sie sich später darauf berufen, ihnen sei das Recht am 9. Januar 1555 zumindest neu verliehen worden, falls es mit der Bestätigung älterer Rechte nicht seine Ordnung habe. Während die Freienseener die Obrigkeit des Grafen Friedrich Magnus I. durch den Schutz- und Schirmbrief nur indirekt und schriftlich in Frage stellten, beließen sie es beim Wappenbrief nicht beim Erwerb dieser Urkunde, sondern setzten das darin verbriefte Recht umgehend in die Tat um, indem sie eine Wappentafel malen liessen und sie ostentativ am Kirchturm anbrachten31. Damit bekundeten sie in aller Öffentlichkeit, dass sie ein Reichsflecken seien und leugneten zugleich, Untertanen des Grafen zu sein. Das konnte Graf Friedrich Magnus I. nicht widerspruchslos hinnehmen. Dem öffentlichen Leugnen seiner Obrigkeit musste er mit einem ebenso öffentlichkeitswirksamen Akt begegnen. Am 8. Juli 1555 fiel er mit Bewaffneten in Freienseen ein und ließ vor allem das über der Kirchentür angebrachte Wappenschild abreißen und zerstören. Zugleich nutzte er die Gelegenheit dazu, den rebel27

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1555 September 23: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98. So auch noch im Schriftsatz vom 7. November 1741 an den Reichshofrat: HHStA Wien, RHR 83, judicialia miscellanea 59. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 4, 1555 Dezember 16. Abdruck kayserlicher privilegiorum 1725 (Anm. 15), S. 11. Ziff. 1. So wieder 1719: HHStA Wien, RHR, confir. priv. 54 Lit. C. 1789 April 3 will der gräfliche Prokurator eine Appellation wegen unerlaubten Gebrauchs eines vermeintlichen Gemeindesiegels für desert erklären lassen, was zu einer lebhaften Diskussion über die Unverbindlichkeit oder Rechtsverbindlichkeit des Frankfurter Konferenzprotokolls führt: Gräfl. Archiv Laubach, C. Nr. 177/1 (Judicialakten, extractus protoc. judicialis O.N.) Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51, 1555 September 4.

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lischen Bauern auch sonst handgreiflich klarzumachen, wer der Herr in ihrem Dorf war. Deshalb ließ er an Stelle des zerstörten Freienseener Gemeindewappens sein gräfliches Wappen an der Kirche anbringen, womit er unmißverständlich seinen Herrschaftsanspruch dokumentierte. Diesen Akt nahmen wiederum die Freienseener nicht widerstandslos hin, sondern rissen das solmsische Wappen ab und zerstörten es. Diesen Affront ließ Graf Friedrich Magnus I. ahnden, indem er den Laubacher Schultheiß mit bewaffneter Mannschaft in Freienseen einfallen ließ mit dem Auftrag, das zerstörte Wappen zu bergen und die Empörer zu bestrafen. Nachdem er so das äußere Erscheinungsbild in seinem Sinne gewaltsam korrigiert hatte, beschwerte er sich zusätzlich am Kaiserhof über die Erteilung des Wappenbriefes an seine Untertanen, weil diese sich die Urkunde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen hätten. Am 19. August 1555 reagierte der Reichshofrat mit einem bemerkenswert kühlen Mandat32, in dem er den Grafen zunächst belehrte, dass der Wappenbrief seine Obrigkeit durchaus nicht beeinträchtigen solle. Da alles rechtlich und nicht gewaltsam ausgetragen werden solle, sollten beide Parteien bis zum Urteil des Reichskammergerichts nichts Neues mehr unternehmen. Damit war es den Freienseenern verwehrt, unter Berufung auf den Wappenbrief erneut irgendwo das ihnen verliehene Wappen anzubringen. Der durch die faktische Ausnutzung des Wappenbriefs öffentlich vorgetragene Angriff auf die Obrigkeitsansprüche des Grafen zu Solms-Laubach im Dorf Freienseen hatte Graf Friedrich Magnus I. damit zunächst erfolgreich abgewehrt. Der Ratschlag, sich kaiserliche Urkunden zu beschaffen, um damit zu belegen, dass Freienseen nicht den Solmsern gehöre, sondern nur direkt Kaiser und Reich untertan sei, hatte also nicht zum erwünschten Erfolg geführt. Vielmehr erwies er sich schließlich sogar als kontraproduktiv, weil dadurch aus einem normalen Untertanenprozess wegen rechtswidriger Erhöhung von Leistungen durch den Landesherrn eine grundsätzliche rechtliche Auseinandersetzung über die Zugehörigkeit Freienseens zur Grafschaft Solms-Laubach geworden war. Danach mussten die Grafen und ihre Amtsträger jede auch nur geringfügige Verweigerung von traditionellen Leistungen durch die Freienseener als weiteren grundsätzlichen Angriff auf die gräfliche Landesherrschaft verstehen, den sie deshalb mit größter Schärfer abwehren mussten. Sie setzten Freienseener gefangen und ließen sie erst frei, wenn sie geschworen hatten, sich nicht mehr an der Prozessführung in Speyer zu beteiligen. 1585/1586 verboten sie sogar dem Pfarrer, Verlobte aus Freienseen zu trauen, wenn diese nicht vorher geschworen hätten, vom Prozess am Reichskammer-

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia Nr. 39.

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gericht abzustehen33. Außerdem pfändeten sie große Mengen Schafe, Kühe, Schweine und Pferde sowie Hausrat und Handwerkszeug mit dem Zusatz, dass jeder Einwohner seine Pfänder zurückerhalte, wenn er sich der gräflichen Herrschaft unterwerfe. Sie setzten also jedes erdenkliche Mittel ein, um der bedrohlichen Erosion ihrer Herrschaft zu begegnen. Auch wenn damit der Widerstand in Freienseen nicht gebrochen werden konnte, trafen die wirtschaftlichen Einbussen die Bauern doch empfindlich. Zudem gelang es immer wieder, die wegen des Vorgehens gegen die Herrschaft von Anfang an vorhandene Zwietracht in der Gemeinde zu vergrößern und zu vertiefen. Schließlich standen sich sogar die gehorsamen und die abtrünnigen Bauern in Speyer als Prozessparteien unversöhnlich gegenüber, weil sie sich im dörflichen Alltag das Leben gegenseitig schwer gemacht hatten und nun vom Reichskammergericht die Lösung ihrer Probleme erhofften. Der Hartnäckigkeit, mit der die Landesherrschaft ihre Positionen verteidigte, entsprach die Festigkeit, mit der sich die Ungehorsamen/Rebellischen auf ihre Privilegien beriefen, sie sich immer wieder bestätigen ließen und zur Grundlage ihrer Gegenwehr beim Reichskammergericht machten. Es war dies ein sich selbst nährender, ja steigernder Vorgang, dessen Einzelheiten aufzuhellen, lohnend erscheint.

4.4.

Privilegienbestätigungen und Prozess um den Wappenbrief

Eigentlich war es üblich, sich so wertvolle Privilegien beim Herrscherwechsel bestätigen zu lassen, um sicherzustellen, dass der neue Herrscher die darin verbrieften Rechte auch anerkannte. Allerdings war die Befriedigung dieses Sicherheitsbedürfnisses sehr kostspielig, weil der Reichshofrat und die Kanzlei in Prag und später in Wien sich die Ausfertigung solcher neuen Urkunden gut bezahlen ließen. Die Freienseener unterließen es schon nach der Abdankung Kaiser Karls V. am 23. August 1556, sich dessen Urkunden von seinem Bruder und Nachfolger als Kaiser, Ferdinand I., konfirmieren zu lassen34. Die denkbare Erklärung, dass sie dies für unnötig gehalten haben könnten, weil sie die Begünstigungen erhalten hatten, als Ferdinand I. schon König war, versagt bei den Herrscherwechseln zu Maximilian II. 1564, Rudolf II. 1576, Matthias 1612 und Ferdinand II. vom 22. März 1619. Von Ferdinand II. ließen sich die Freienseener allerdings einige Jahre nach seinem Herrschaftsantritt am 5. August 1622 ihren Schutzbrief bestätigen, 33 34

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 87, 1586 Oktober 10. Näheres zur Bestätigung der Freienseener Privilegien bei: B. Diestelkamp (Kap. 1, Anm. 5).

Privilegienbestätigungen und Prozess um den Wappenbrief

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wovon wir jedoch nur etwas durch eine Konfirmationsverfügung des Reichshofrates und eine Vidimierung von 1658 wissen35, während das Original im Freienseener Gemeindearchiv fehlt. Da der Reichshofrat die Wirkung der Privilegien von 1555 durch seine Zusatzmandate neutralisiert hatte, mochte es den Vogelsberger Bauern zunächst auch nicht mehr nützlich erscheinen, bei Herrscherwechseln vom neuen Herrscher die erwirkten Urkunden für viel Geld bestätigen oder erneuern zu lassen. Warum sie im Jahre 1622 ihre Meinung änderten, kann nur vermutet werden. Die große Zahl von Verfahren in Speyer, in denen sie mehrfach für sie günstige Entscheidungen des Gerichts erhalten hatten, ohne dass die SolmsLaubacher Grafen den Kampf um ihre Unterwerfung aufgegeben hatten, mochten mittlerweile Zweifel geweckt haben, ob sie allein durch Gerichtsverfahren ihr Ziel erreichen könnten. Die Reichsrichter hatten zwar einige wichtige Ansprüche der Grafen zu Solms-Laubach zurückgewiesen, dabei aber Freienseen keineswegs ausdrücklich als freien Reichsflecken anerkannt. Da mochte man im Dorf auf den Gedanken gekommen sein, den Kaiserhof wieder für sich zu aktivieren, indem man sich die so lange vernachlässigten Urkunden erneuern ließ. Doch befriedigt diese Erklärung nur begrenzt, zumal ein konkreter Anlass dafür nicht zu erkennen ist. Dass die Freienseener nach den Herrscherwechseln zu Ferdinand III. 1636 und Ferdinand IV. 1653 wieder keine Bestätigung erbaten, mag schließlich damit zusammenhängen, dass sie mit der gräflichen Seite durch Vermittlung Landgraf Georgs II. von Hessen Verhandlungen begonnen hatten, die am 29. Mai 1639 in Marburg zum Vergleichsabschluss führten36. Durch diesen Vergleich sollten alle Streitigkeiten, Prozesse und Widerwillen unter den Parteien aufgehoben sein. Insbesondere hatten die Freienseener in diesem Marburger Vergleich akzeptiert, dass die Gemeinde die Grafen Albrecht, Otto und ihre Nachfolger als ihre alleinige Obrigkeit anerkennen und ihnen Erbhuldigung leisten sollten. Danach könnte es ihnen sinnlos erschienen sein, sich ein Schutzprivileg bestätigen zu lassen, das davon ausging, dass Freienseen gerade nicht solms-laubachischer Obrigkeit unterstand. Anders stand es dagegen um den Wappenbrief. Dazu hieß es am Ende des Vergleichs, dass sich die Gemeinde des angemaßten Siegels enthalten solle, sofern sie das von ihr angeführte Privileg nicht beibringen könne. Das Streitpotential, das die Parteien über so lange Zeit hin beschäftigt hatte, war jedoch

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HHStA Wien, Reichshofrat, rer. resol. 102 Lit. D. Dort befindet sich auch eine vom fürstlich hessischen Regierungssekretär Jacob Seideln am 22. Dezember 1658 vidimierte Kopie, die für die Bestätigung vom 7. April 1658 als Grundlage diente. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 202 Freyenseensia. Druck (Anm. 15), S. 9ff.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

nicht so einfach zu beseitigen. Darüber gibt ein Protokoll über eine am 17. und 18. Juli 1651 in Frankfurt wieder durch hessische Vermittlung zustandegekommene Konferenz Auskunft37. Nach dem Frankfurter Konferenzprotokoll beanstandeten die gräflichen Deputierten als erstes, dass die Vollmacht der Freienseener mit dem inkriminierten Siegel beglaubigt sei. Doch dieses Mal waren die Bauern besser vorbereitet. Sie legten „ein Kayserl. OriginalPrivilegium von Kayser Carolo V.“ vor unter Bezugnahme auf die Klausel des Marburger Vergleichs. Die gräflichen Deputierten wollten diese Urkunde dem Grafen vorlegen und dann dem Marburger Vergleich entsprechend keine Einwendungen mehr erheben, was jedoch nicht geschah, indem die gräfliche Seite später immer wieder einwandte, die Freienseener hätten niemals die Originalurkunde von 1555 vorgezeigt. Die Verhandlungen von Marburg (1639) und Frankfurt (1651) mögen bei den Bauern das Bewusstsein dafür geschärft haben, wie wichtig es sein konnte, jederzeit durch Bestätigung des regierenden Herrschers unanfechtbare Privilegienausfertigungen zur Hand zu haben, zumal sie im Jahre 1656 viermal gezwungen waren, erneut gegen ihren gräflichen Landesherrn in Speyer klagen zu müssen38. Damit schienen endgültig die vielleicht 1639 und 1651 noch gehegte Hoffnung begraben zu sein, die Konflikte mit dem gräflichen Haus Solms-Laubach auf dem Verhandlungsweg beendet zu haben. Deshalb wurden die Vogelsberger Bauern nach der Thronbesteigung Kaiser Leopolds I. am 18. Juli 1658 am Kaiserhof wieder wegen der Urkundenbestätigung aktiv. Am 22. Dezember 1658 stellten sie auf den Reichshofratsagenten Tobias Sebastian Brannen eine Vollmacht aus mit dem Auftrag, von Kaiser Leopold I. ihre Privilegien renovieren, konfirmieren und sichern zu lassen39. Dieser reichte am 4. März 1659 beim Reichshofrat ein Memorial ein, in dem er die Bitte um Bestätigung der beiden Urkunden mit den pathetischen Worten begründete, dass die Freienseener diese Privilegien als ihr bestes Kleinod und köstlichstes Gut konservieren wollten40. Am 7. März 1659 stellte die Kanzlei die beiden Bestätigungsurkunden aus, in denen sie die Urkunden

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Druck (wie Kap. 1, Anm. 5), S. 11ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 44 (keine Leibhühner); Nr. 79 (Beachtung der Urteile von 1574 und 1582); Nr. 91 (Unterlassung von Eingriffen in die Brennerei und Brauerei); Nr. 102 (Pfändung von 80 Schafen wegen Grenzüberschreitung). HHStA Wien, Reichshofrat, rer. resolut. 102, Lit. A+B. Am selben Tag erfolgte auch die Vidimierung der Bestätigungsurkunde von 1622 durch den hessischen Sekretär: Die Vidimierung war also von einem Bediensteten des Freienseener Schutzherrn vorgenommen worden, um bei der beantragten Bestätigung jetzt 1658 vorgelegt werden zu können. HHStA Wien, Reichshofrat, rer. resolut. 102 Lit. F, Fasc. 1 mit Beilagen. A+B.

Privilegienbestätigungen und Prozess um den Wappenbrief

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Kaiser Karls V. von 1555 inserierte41. Diese Form der wörtlichen Einfügung des bestätigten Urkundentextes garantierte, dass nicht im Zuge der Bestätigung neue Rechtspositionen als hergebracht ausgegeben werden konnten. Wie notwendig dies war, erwies sich, als die Freienseener beim Nachfolger Kaiser Leopolds I., Kaiser Joseph I., am 5. Mai 1705 erneut in Wien aktiv wurden42. In ihrer Supplik baten sie nicht nur wieder um Bestätigung ihrer beiden Privilegien von 1555, sondern trugen ergänzend dazu vor, dass sie seit unvordenklichen Zeiten freien Handel und Wandel mit Immunität von Innungen und Zünften genossen hätten. Ihre Nahrung zögen sie vorwiegend aus dem Handel mit selbstgefertigtem Leinentuch. Deshalb baten sie darum, ihnen zum freien Handel mit diesen Tüchern die Abhaltung zweier Jahrmärkte zu bewilligen und diese Konzession in die Privilegienbestätigung zu inserieren. Dieser Versuch, im Zuge der Urkundenbestätigung Jahrmärkte mit Freiheit von Innungen und Zünften zu erhalten, war wohl die Reaktion auf Versuche der gräflichen Kanzlei in Laubach, das offenbar prosperierende Leinenweberhandwerk zu Freienseen und den Handel mit dem Leinen dem Zunftzwang zu unterwerfen. Gegen diese Versuche, sie in das merkantilistische Wirtschaftssystem der Grafschaft Solms-Laubach einzubinden, hatten die Freienseener schon im Jahre 1704 beim Reichskammergericht in Wetzlar geklagt43. Wie schon 1555 versuchten die Bauern also erneut, sich gegen ihren Landesherrn beim Kaiser Hilfe zu verschaffen, dieses Mal durch Ausweitung eines Privilegs. Doch der Reichshofrat ließ sich auf dieses Spiel nicht ein, sondern bewilligte allein die Konfirmation „in priori forma“, also wieder nur durch Inserierung der Urkunden Karls V., unter Ausschluss der Jahrmarktbewilligung. Ob das Fehlen einer Bestätigungsurkunde Kaiser Josephs I. im Freienseener Gemeindearchiv darauf zurückzuführen ist, dass die Freienseener an einer bloßen Konfirmation ihrer alten Rechte ohne das begehrte Jahrmarktprivileg nicht mehr interessiert waren und deshalb die Neuausfertigungen in Wien nicht einlösten, wie später vermutet wurde, oder ob ein ganz normaler Urkundenverlust die Ursache ist, mag dahinstehen. Auf die namens Freienseens am 21. März 1721 eingereichte Supplikation um Bestätigung der von Kaiser Leopold I. schon bestätigten, und daher kanz-

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Pergamenturkunde, Gemeindearchiv Freienseen/Stadt Laubach: Abt. II. Abschn. I, Konv. 1, Fasc. 2 (Wappenbrief), Ausfertigung mit Siegel in Holzkapsel. Kopien: HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54, Lit. A+B. Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 59 Nr. 12a. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 6. Die Klage richtete sich gegen den Bescheid der gräflichen Kanzlei vom 9. Juni 1700 wegen des Zunftzwanges der Leineweber.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

leimäßig unproblematischen Urkunden brauchte Graf Schönborn am 21. Juni 1713 nur die übliche Verfügung zu setzen: „fiat petita confirmatio in forma priori“44, womit Freienseen eine Erneuerung seiner Urkunden auch durch Kaiser Karl VI. erhielt. Allerdings wurde unter Graf Friedrich Ernst zu Solms-Laubach diese scheinbare Normalität durchbrochen, weil dieser, Geheimer Rat des Kaisers und Reichskammergerichtspräsident in Wetzlar, seine Kanzlei in Laubach anwies, die Freienseener am Gebrauch des Siegels zu hindern. Das veranlasste die Betroffenen dazu, die lange Zeit hindurch ruhende Erbschutzgerechtigkeit des hessischen Landgrafen wieder zu aktivieren, womit die für SolmsLaubach nicht ungefährliche Spannung mit dem übermächtigen Nachbarn erneut virulent wurde. Am 25. August 1719 hatte der Freienseener Bürgermeister Heinrich Immel sich bei der landgräflichen Regierung in Giessen darüber beschwert, dass er mit zehn Reichstalern Strafe belegt worden sei, weil er einigen Kesslern, die sich vorübergehend in Freienseen aufgehalten hätten, einen Gesundheitspass ausgestellt und diesen mit dem vom Kaiser verliehenen Siegel besiegelt habe45. Empört trugen sie vor, dass der Kaiser ihnen dieses Siegel verliehen habe, damit ihre Briefe und Instrumente glaubwürdig seien. In diesem Sinne hätten sie das Siegel seit mehr als hundert Jahren gebraucht, wie sich aus zahlreichen damit beglaubigten Prozessvollmachten beim Reichskammergericht ergebe. Dass der gräfliche Prokurator auch dies dort kürzlich beanstandet habe, dürfe ihnen hier nicht zum Nachteil gereichen, weil darüber das Gericht in dem Kameralprozess entscheiden müsse. Notfalls solle der Reichshofrat, regten die Bauern ihren landgräflichen Schutzherrn an, zu diesem Abschnitt eine Deklaration erteilen. Zumindest solle der Graf den bestraften Bürgermeister angesichts der Rechtslage von der Exekution der Strafe absolvieren. Die hessische Regierung in Giessen zeigte jedoch nur mäßiges Interesse, sich für dieses Anliegen der landgräflichen Schutzbefohlenen stark zu machen. Mehrfache Mahnungen46 führten schließlich zu einer Intervention des Landgrafen bei der Kanzlei in Laubach, ohne jedoch die gräfliche Verwaltung zum Verzicht auf die Durchsetzung ihres Strafanspruchs bewegen zu können. Deswegen wandten sich die Vogelsberger Bauern am 11. März 1720 unmittelbar an den Reichshofrat in Wien47 und beschwerten sich darüber, dass mittlerweile trotz landgräflicher Intervention die gegen Bürgermeister Immel verhängte Strafe durch Pfändung einer Kuh 44 45 46 47

HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54, Lit. C. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54, Lit. D+E. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54, Lit. H, sodann Lit. B. undatiert mit Beilage des ebenfalls undatierten Gesundheitspasses.

Privilegienbestätigungen und Prozess um den Wappenbrief

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vollstreckt worden sei. Sogar sei ein Reichskammergerichtsprozess ins Stocken geraten, weil der gräfliche Prokurator die von der Gemeinde mit ihrem Siegel beglaubigte Prozessvollmacht nicht anerkenne. Schließlich habe die gräfliche Kanzlei einen anderen Bürgermeister zu Freienseen namens Johann Konrad Rühl sogar zeitweilig ins Gefängnis geworfen, weil dieser einem Mitnachbarn unter dem Gemeindesiegel einen Reisepass nach Frankfurt ausgestellt habe. Die Bauern baten darum, der Kaiser möge ihr Privileg so erläutern, dass niemand sie unter irgendeinem Vorwand daran hindern dürfe, Gesundheitspässe unter ihrem Siegel zu erteilen oder das Siegel beim höchsten Reichstribunal zu gebrauchen. Doch auch in Wien ließ man sich lange Zeit, sich mit dem Anliegen aus dem Vogelsberg zu beschäftigen, so dass die Freienseener am 10. Dezember 1722 ihre Bitte um Deklaration des Privilegs in ihrem Sinne noch einmal anmahnen mussten48. Vielleicht lag dies auch daran, dass Graf Friedrich Ernst klug genug war, seine und seiner Kanzlei Maßnahmen argumentativ nicht direkt gegen den Siegelgebrauch zu richten. Vielmehr bestritt er der Gemeinde das Recht, solche Pässe und Vollmachten ausstellen zu dürfen, weil dies zu den Polizeisachen gehöre, die unbestreitbar ihm und nicht der Gemeinde zustünden. Diese Argumentationslinie war in zweierlei Hinsicht geschickt. Zum einen wurde, wenn es nicht primär um die Besiegelung sondern um das Recht zur Urkundenausstellung ging, nichts gegen die Wahrnehmung eines Rechts aus dem kaiserlichen Wappenbrief gesagt. Zum anderen sicherte die Zuordnung der Fälle zur Guten Polizei die gräflichen Maßnahmen vor gerichtlicher Nachprüfung durch eines der beiden Reichsgerichte, weil man gegen Polizeimaßnahmen nicht klagen durfte49. Dies war nicht nur wichtig wegen der bekannten Prozessfreudigkeit der rebellischen Untertanen zu Freienseen, sondern auch wegen einer eventuell dadurch auftretenden Jurisdiktionskollision zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat. Auf diesen Aspekt hatte Reichshofratsagent Hofrat Binder den Grafen Friedrich Ernst aufmerksam gemacht, als er ihm am 17. November 1716 berichtete, dass der Reichshofratspräsident und Reichsvicekanzler ihm wohl gewogen sei und dafür halte, dass die Sache schon längst in Wien verfangen sei, weil seine Untertanen sich dort bereits über seine üblen Aufführungen beklagt hätten und dies nur dessen Fortsetzung sei50. Doch sei zu 48 49

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HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Polizeisachen von den Justizsachen getrennt. Den Justizbehörden war es verboten, sich in polizeilichen Angelegenheiten einzumischen: Hans Maier, Artikel Polizei, HRG. Bd. 3, 1984, Sp. 1800ff. 1801. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXII, RHR-Sachen LVI (4) Nr. 12, Briefwechsel mit RHR-Agenten Binder.

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Erste Prozesse am Reichskammergericht

bemerken, ergänzte Hofrat Binder seinen Bericht, dass in diesem Fall wie in allen anderen solchen Sachen der Reichshofrat Reskripte nicht erlasse, wenn es conflicta jurisdictionis gebe. Dann handele nur der Kaiser immediate. Graf Friedrich Ernst zeigte sich in seinem Antwortschreiben vom 27. November 1716 als in Sachen des Jurisdiktionskonflikts bestens informiert. Obwohl es dabei um andere Fälle ging, in denen er in seiner Eigenschaft als Reichskammergerichtspräsident im Sinne des Grafen von Windischgrätz bei seinem Gericht interveniert hatte, ergibt sich daraus doch klar, dass der Graf über diese Problematik wohl informiert war. Er wusste, dass er im Streit um die Ausübung des Freienseener Wappenbriefes wegen eines eventuellen Jurisdiktionskonflikts keinen Eingriff des Reichshofrates zu fürchten brauchte, selbst wenn er sich in Wien nicht intensiv um die Abwehr der Freienseener Initiative wegen Urkundenbestätigung kümmerte. Diese abwartende Haltung konnte er sich umso eher leisten, als er in Erfahrung gebracht hatte, dass Kaiser Karl V. seine Freienseener Privilegien für das gräfliche Haus Solms-Laubach durch Dekrete entschärft hatte, in denen er versichert hatte, dass durch sie der gräflichen Obrigkeit kein Abbruch geschehen und dieser Streit vom Reichskammergericht entschieden werden solle51. Diese kaiserlichen Mandate waren offenkundig in Laubach in Vergessenheit geraten, so dass der Graf sie erst aus dem Reichshofratsarchiv beschaffen lassen musste. Auch wenn es Probleme bereitet hatte, diese Schriftstücke im Laubacher Archiv oder der Registratur des Reichshofratskanzlei ausfindig zu machen52, gelang es schließlich doch, diese die gräfliche Position bestärkenden kaiserlichen Mandate zu finden, womit die Notwendigkeit entfiel, in Wien aber auch in Wetzlar weiter aktiv zu werden. Allerdings erscheinen diese Vorgänge gewissermaßen nur als Vorspiel vor der entscheidenden Wende, nach der die Grafen zu Solms-Laubach sich doch für die Privilegienbestätigungen der Freienseener zu interessieren begannen. Diese Änderung der solms-laubachischen Politik setzte in dem langen Interregnum zwischen dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 und dem Herrschaftsantritt Kaiser Karls VII. am 25. Januar 1742 ein. Kurz vor diesem Umbruch im Reich hatte in der Grafschaft Solms-Laubach am 11. August 1738 der damals erst 24-jährige Graf Christian August die Regierung angetreten, der als sehr klug und fleißig charakterisiert wird. Wegen der ererbten Schuldenlast hatte er mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen, die er zunächst durch Straffung des Regiments in Laubach, später zusätzlich durch

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Dazu: Kap. 4.3.2, Anm. 32. Entsprechende Bemerkungen in der Korrespondenz: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXII RHR-Sachen LVI (4) Nr. 12.

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Kreditaufnahme zu bewältigen suchte53. Dazu gehörte offensichtlich auch, dass er gegenüber den aufrührerischen Untertanen zu Freienseen eine schärfere Gangart einschlug, um sie eindeutiger in die gräfliche Landesherrschaft einzugliedern. Die gräfliche Kanzlei begann im Herbst 1740 mit der Hessischen Regierung in Giessen eine lebhafte Korrespondenz um konkrete Fälle der hessischen Erbschutzgerechtigkeit in Freienseen54. Die Freienseener hatten sich wieder einmal nach Giessen um Schutz gewandt, weil sie sich durch die Aktivitäten des jungen Grafen bedrängt fühlten. Nicht zuletzt aber zeigte sich das neu erwachte landesherrliche Interesse daran, diesen alten Konflikt einzudämmen, darin, dass Graf Christian August als erster seines Hauses versuchte, die Bestätigung der Freienseener Privilegien zu verhindern. Die Gemeinde hatte am 17. März 1739 beim Reichshofrat um Privilegienbestätigung nachgesucht verbunden mit dem Antrag, eine Kommission einzusetzen, die sie gegen unrechte Gewalt schützen solle55. Dagegen wandte Graf Christian August am 3. April 1740 ein, dass die Sache wegen des Wappenbriefs seit fast 200 Jahren am Reichskammergericht rechtshängig sei, womit dieser noch aus der Speyerer Zeit des Reichskammergerichts stammende Prozess erstmals ausdrücklich als Hindernis für die Privilegienbestätigung ins Feld geführt wurde. Die von Graf Friedrich Ernst klugerweise vermiedene Jurisdiktionskollision der beiden Höchstgerichte war nun aktenkundig, so dass der Reichshofrat sich entscheiden musste. Am 8. Mai 1740 wiederholte der Reichshofratsagent der Freienseener den Antrag auf Privilegienerneuerung. Bevor jedoch darüber befunden werden konnte, starb Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740. Nunmehr beauftragte Graf Christian August seinen Wetzlarer Prokurator, den seit fast 150 Jahren ruhenden Reichskammergerichtsprozess wegen Kassation des Wappenbriefs wieder aufzunehmen, was dieser am 11. Dezember 1740 durch Reproduzierung der nach dem Tode des letzten Grafen notwendig gewordenen neuen Vollmacht und zweier anderer Schriftstücke in Wetzlar tat56. Dadurch wurde dieser Prozess reassumiert und bis zum Januar 1744 ordnungsgemäß betrieben. Zudem intervenierte Graf Christian August am 7. November 1741 beim während des Interregnums dafür zuständigen Reichsvikariatshofgericht des Kurfürsten zu Bayern und der Pfalz mit der rechtlichen Bitte pro suspendae confirmatione putativorum privilegiorum Caesareum donec his ex mente imperatoris Carlo V. concedentis ab anno 1555 insuper in camera imperiali pen53 54

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Graf zu Solms-Laubach (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 366ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 15, 17. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Protokoll sub dato.

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dens et anno 1740 utrinque reassumpta plenarie fuerit decisa57. Seine rebellischen Untertanen hätten sich bei Kaiser Karl V. die Privilegien durch Unwahrheiten erschlichen, was in dem Kameralprozess schon klargestellt worden sei. Wenn Kaiser Leopold I. diese Wahrheit gekannt hätte, hätte er sicherlich die beiden Privilegien nicht bestätigt. Auch wenn der Prozess lange Zeit hindurch nicht ordnungsgemäß betrieben worden sei, sei er doch noch rechtshängig, und sei eine Entscheidung sogar bald zu erwarten. Zur hellen Empörung des Grafen schickten die Freienseener gleichwohl eine Delegation nach Frankfurt an den Hof des dort residierenden neuen Kaisers Karls VII., die sich dort drei Wochen lang aufhielt, um wie gewohnt die Privilegienbestätigung zu erwirken58. Gegen diese Absicht seiner Untertanen wandte sich Graf Christian August mit dem Antrag, die Antragsteller sollten an das Reichskammergericht verwiesen und bis zu dessen Urteilsfällung durch kaiserliches Poenalmandat angehalten werden, ihrer rechtmäßigen Territorialherrschaft den gebührenden Respekt zu erweisen. Doch mit diesem Ansinnen hatte der Graf keinen Erfolg. Vielmehr bestätigte der Reichshofrat am 5. Mai 1742 der Gemeinde Freienseen erneut sowohl ihren Wappenbrief als auch ihr Schutzprivileg in Form der Inserierung der Urkunden Kaiser Karls V. von 155559. Die Intervention des Grafen fand nur dadurch Eingang in die Akten, dass der bekannten Formel „1.Fiat quidem petita confirmatio privilegiorum in priori forma“ erstmalig die Bemerkung beigefügt wurde „2. Jedoch geschiehet solches ohnbeschadet der für der Kaiserlichen Reichs Cammer Gericht rechtshängigen cassationem privilegii Caesarei /aber dergleichen ohnehin ad Cameram imperialem nicht gehörig/ nicht betreffenden Hauptsache.“ Damit war der durch den Hinweis des Grafen auf den Reichskammergerichtsprozess drohende Jurisdiktionskonflikt gerichtsintern pragmatisch gelöst worden: Über die Kassation der Privilegien wegen ihrer angeblichen Erschleichung musste in Wetzlar verhandelt und entschieden werden, obwohl dies nach Meinung der Reichshofräte eigentlich gar nicht mehr in die Zustän57

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HHStA Wien, Reichshofrat 83, Jud. Miscell. S. 9, beigebunden die in Wetzlar 1740 gedruckte actenmäßige facti species in Sachen weiland Graf Friedrich Magnus wider den Landgrafen zu Hessen-Darmstadt und Solms-Laubach wider die ungehorsamen Untertanen zu Freyenseen. In einer undatierten Supplik des gräflichen Reichshofratsagenten von Harpprecht (HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54) heißt es dazu, nach sicherem Vernehmen hätten die Freienseener sich dieser strafbaren Kühnheit durch ihre schon über drei Wochen nach Frankfurt gelegten Deputatos unterfangen, um die Konfirmation zu erlangen. HHStA Wien, Reichshofrat, Conform. Priv. 54. Gemeindearchiv Freienseen/Stadt Laubach Abt. II. Abschn. 1, Konv. 2, Fasc. 2 und 3.

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digkeit des Reichskammergerichts fiel60. Im Verfahren der Privilegienbestätigung vor dem Reichshofrat wurde nur geprüft, ob die vorgelegten Urkunden formal nicht zu beanstanden waren. Diese Prüfung wurde durch den Prozess ebensowenig berührt wie umgekehrt der Prozess durch die Bestätigungen nicht beeinflusst werden konnte. Eine Jurisdiktionskollision lag nach dieser Ansicht also nicht vor, was jedoch keineswegs unumstritten war61. Graf Christian August behagte dieser Ausgang jedenfalls nicht. Er ließ durch seinen Reichshofratsagenten von Harpprecht am 7. Juni 1742 in Wien anmahnen, dass die am 5. April übergebene Anzeige litis pendentiae cameralis noch nicht reflektiert worden sei, weshalb er eine declaratio conclusi forderte62. Am 19. Juni 1742 lehnte der Reichshofrat dieses Begehren jedoch endgültig ab und entschied, dass es bei dem Conclusum vom 5. Mai 1741 bleiben solle. Über diese Nichtberücksichtigung seiner Interessen war Graf Christian August so verärgert, dass er beim Reichstag Rekurs dagegen erhob mit der Bitte, beim Kaiser zu intervenieren wegen Fortsetzung der am Reichskammergericht seit 200 Jahren rechtshängigen anmaßlichen Freiheitssache63. Wenn am Kaiserhof schon keine ausdrückliche Einschränkung der Privilegien bei ihrer Bestätigung zu erreichen sei, so solle wenigstens das prozessuale Bemühen um ihre Kassierung wegen wahrheitswidriger Erschleichung bald zu einem positiven Ende kommen. Als mit der Wahl von Kaiser Franz I. am 23. September 1745 das wittelsbachische Intermezzo Karls VII. beendet wurde, zögerten die Freienseener nicht lange, sich auch vom neuen Kaiser ihre Privilegien erneuern zu lassen. Am 12. Oktober 1745 präsentierte ihr Agent ihr Begehren, dem der gräfliche Vertreter am 26. November mit dem erneuten Antrag begegnete, dass die Konfirmation nur sub expressa clausula superioritatis ac iurisdictionis territorialis Laubacensis reservatoria allermildest erkannt werde64. Zur Begründung ließ der Graf seine zusätzlichen Bedenken vortragen, die Petenten könnten 60

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Zu diesem Wechsel der Zuständigkeit für Privilegienkassationen: Diestelkamp, Zur ausschließlichen Zuständigkeit des Reichshofrats für die Kassation kaiserlicher Privilegien. In: Höchstgerichte im Europa in der Frühen Neuzeit, Wien, 2007, S. 163ff., 171ff. Dazu die Diskussion dieser Problematik in Wetzlar wie in Wien: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98 Exceptiones fori declinatoriae. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54: 1742 Juni 7. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98. Hess. StA Marburg, Bestand 4.e. Nr. 2010. Beiliegend ein Druck „Unfug des recursus ad comitia in Antastung seiner Kayserl. Majesät reservati iuris cognoscendi de suis privilegiis, Giessen 1744. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54.

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nicht nur in ihrer schon länger vorhandenen Absicht bestärkt werden, sich nicht nur die Reichsfreiheit, sondern auch die Stadtgerechtigkeit und eigenes Gericht zuzuschreiben, vornehmlich weil Freienseen von Wien versehentlich ein oppidum genannt worden sei. Trotzdem erließ der Reichshofrat am 7. Dezember 1745 das Conclusum, dass die Privilegien in priori forma zu konfirmieren seien. Allerdings begnügte er sich bei seinem Zusatz nicht mehr mit dem bloßen Hinweis auf den Kassationsprozess am Reichskammergericht, sondern erklärte entsprechend dem gräflichen Antrag ausdrücklich „Jedoch ohne Nachteil oder Abbruch der gräflich solms-laubachischen Landesherrn Obrigkeit, Recht und Gerechtigkeit noch sonst eines anderen Rechtens“. Dass der Reichshofrat mittlerweile größeres Verständnis für die landesherrliche Position entwickelt hatte, beweist die wie eine Entschuldigung wirkende Begründung, dass er die Konfirmation habe vornehmen müssen, weil der Kaiser in seiner Wahlkapitulation versprochen gehabt habe, allen Reichsständen ihre Gnaden und Freiheiten zu bekräftigen, und die Freienseener das Schutzprivileg und den Wappenbrief als Kanzleividimus vorgelegt hätten. Mit anderen Worten: Wir konnten aus Rechtsgründen leider nicht anders handeln. Dass sich der Wind mittlerweile jedoch gedreht hatte, zeigte sich auch daran, dass man in Wien nun auch die von der gräflichen Seite am Reichskammergericht verwendete Bezeichnung der Freienseener als „dero widerspenstige Untertanen“ verwendete. Am 7. Januar 1747 erließ der Reichshofrat als Conclusum ein Mandat gegen die Vogelsberger Bauern und deren fürstlichen Protektor, den Landgrafen zu Hessen-Darmstadt, und dessen Regierung zu Giessen wegen Tumult und verweigerter Subjektion „ob in dies crescentem morositatem ac renitentiam subditum refractariorum in pago Freyensee contra eosdam decernendo mandatum de nullo modo amplius resistendo proprio ac nativo domino“65. Das Conclusum enthielt drei Entscheidungen: 1. Zuerst erging das beantragte mandatum inhibitorium mit dem Befehl, dem angeborenen Eigenherrn nicht weiter zu widerstehen weder durch eigene Taten noch durch Anrufung mächtigerer Hand (also Hessens), sondern die Huldigung sine clausula zu leisten. 2. Sodann wurde der Graf für den unvermuteten Fall, dass die Freienseener diesem Mandat nicht gehorchen würden, sondern sich weiter den Missbrauch der kaiserlichen Privilegien zuschulden kommen lassen würden, zugesichert, dass dann auf sein besonderes Anrufen wegen der Kassation weiterer Bescheid erfolgen werde. 65

7. Januar 1747, Archiv der Gemeinde Freienseen/Stadt Laubach, Abt. II, Abschn. 1, Konv. 4, Fasc. 8 = HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54, Lit. M = Gräfl. Archiv Laubach, A. LVI, Reichshofratssachen Nr. 15, Correspondenz mit RHRAgent von Stieve.

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3. Schließlich sei aus des Grafen eigenen Angaben zu ersehen, dass die Sache der hessen-darmstädtischen Unterstützung bereits beim Reichskammergericht eingebracht worden sei, weshalb er deswegen dahin verwiesen werde. Das sind insofern neue Töne, als der von Solms angeprangerte Ungehorsam der Freienseener jetzt auch im Verfahren zur Bestätigung der Privilegien am Reichshofrat eine Rolle spielte und ihnen angedroht wurde, dass ihr Verhalten Konsequenzen für die Privilegien haben könne. Die bis dahin als hinderlich für eine Kassierung der Urkunden durch den Reichshofrat angesehene Justizkollision wegen des rechtshängigen Prozesses am Reichskammergericht, wurde mit einem juristischen Trick umgangen. In Wetzlar ging es um Kassierung wegen der angeblich wahrheitswidrigen Erschleichung der Privilegien im Jahre 1555, während der Reichshofrat jetzt im Jahre 1747 die Kassierung wegen rechtswidrigen Gebrauchs der Privilegien androhte. Die bisher bei den Verfahren am Reichshofrat wegen Erneuerung der Privilegien unangefochtene Position der bäuerlichen Antragsteller erscheint damit nicht mehr als so unerschütterlich wie bisher, weil die Konfirmation von ihrem Wohlverhalten abhängig gemacht wurde, das sie erfahrungsgemäß nicht zeigen würden, ja nach dem bisherigen Verlauf der Auseinandersetzung gar nicht zeigen konnten. Der Graf versuchte sehr bald, die ihm damit gebotene Möglichkeit zu nutzen. Allerdings erlitt er zunächst Schiffbruch, als er auch in Wien geltend machen wollte, die Privilegien seien 1555 fälschlich erschlichen worden. Diese exceptio wies der Reichshofrat am 27. November 1748 als unstatthaft zurück66. Zugleich ordnete er an, binnen zweier Monate solle volle Parition erklärt werden. Dem hessischen Landgrafen wurde in diplomatischen Wendungen klargemacht, dass seine Regierung in Giessen die hessische Schutzherrschaft über Freienseen nicht so ungebührlich ausüben dürfe, dass dadurch des Grafen zu Solms-Laubach Landesobrigkeit beeinträchtigt werde. Dem Grafen wurde nachgelassen, dass er einen Bescheid erhalten werde, wenn er demnächst separato auf Kassation der kaiserlichen Privilegien anrufen werde. Damit wies der Reichshofrat ausdrücklich auf diese Möglichkeit hin, die er 1747 nur angedeutet hatte. Nach dem Januar 1744 erlahmten bezeichnenderweise die solmsischen Aktivitäten im Wetzlarer Kassationsprozess wieder67. Stattdessen intensi66

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HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54 = Gräfl. Archiv Laubach A. LXXII, LVI Nr. 16 (Druck). Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Protokoll. Danach vollzog am 20. Januar 1744 der Freienseener Prokurator die letzte nachweisbare Prozesshandlung. In diesem Schriftsatz begründete er ausführlich, dass die Sache als Reservatrecht des Kaisers nach Wien gehöre.

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vierte die Laubacher Kanzlei die Beziehungen zum Reichshofrat in Wien68. Fortan bereitete die Solmser Seite sytematisch am Kaiserhof den Boden vor für den endgültigen Schlag gegen die Bestätigung der Freisenseener Privilegien. Zunächst setzte man in Laubach seine Hoffnung auf eine Verdeutlichung des Conclusum vom 4. Dezember 1749 im Sinne des Grafen69. Doch schließlich griff man in Laubach die in den Conclusa vom 7. Januar 1747 und 28. November 1748 eröffneten Möglichkeiten auf, dass Solms-Laubach in Wien die Kassation der Privilegien wegen Missbrauchs durch die Begünstigten erwirken könne70. Am 1. Juli 1754 schrieb der solmsische Reichshofratsagent von Harpprecht an Graf Christian August, es drohe eine ganz neue Katastrophe, da der bisherige Referent, der Graf von Wilczek, aus dem Reichshofrat ausscheide, um das Amt des Präsidenten der neu geschaffenen Rectificationskammer übernehmen zu können71. Damit die Sache wieder in gute Hände komme und auch bei gutem Tempo – weil der Baron von Senckenberg abwesend sei und nicht vor zwei Monaten zurückkehren werde – in dieser Zeit zur Relation gebracht werde, solle Graf Christian August beim Reichshofratspräsidenten, dem Grafen von Harrach, selbst intervenieren. Dieser Anregung entsprach der Graf am 13. August 1754 mit einem Handschreiben an den Grafen von Harrach, in dem er geschickt die ihm aus Wien gegebenen Informationen als Argumente benutzte. Viel genutzt scheint diese Intervention jedoch nicht gehabt zu haben. Jedenfalls ist eine Entscheidung zugunsten von Solms-Laubach nicht zu erkennen. Nach dem Herrschaftsantritt Kaiser Josephs II. am 18.August 1765 verloren die Freienseener wenig Zeit, um auch von diesem ihre Privilegien bestätigt zu bekommen72. Schon vorher hatte allerdings die gräfliche Kanzlei Laubach am 10. Februar 1766 vorsorglich den neuen Solmser Reichshofratsagenten von Stieve beauftragt, bei der Regierung des jungen Kaisers zu erkunden, ob ihr Graf nicht mit der Landes- und Gerichtsherr68

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Das ergibt sich aus der Korrespondenz: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXII Reichshofratssachen, LVI Nr. 19, Correspondenz des RHR-Agenten von Happrecht/ Wien über beim RHR laufende Prozesse (1750–1753); ebenda: Nr. 15, Correspondenz mit dem RHR-Agenten von Stieve zu Wien (1766). Anm. 2, Nr. 19: 1750 April 26: Kanzleidirektor/Laubach an von Harpprecht/Wien; 1750 August 3: dito. Anm. 64, Nr. 19. 1752 Januar 22: von Harpprecht/Wien an Kanzleidirektor/Laubach; 1752 Dezember 18 und 1754 Februar: Kanzleidirektor/Laubach an von Harpprecht/Wien. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129, Fasc. 124. Lt. Conclusum vom 7. Juli 1775 stellte die Gemeinde Freienseen den Antrag durch ihren Agenten Lyncker am 2. Juli 1766: HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54.

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schaft ausgestattet sei und ob die Bewohner des zu seiner Grafschaft gehörigen Dorfes Freienseen trotzdem um Bestätigung ihrer Privilegien nachsuchen und durch Bezahlung zu erhalten intendieren dürften73. Gegen solche Absichten solle der Adressat das Notwendige veranlassen. Als der Reichshofrat den Freienseener Antrag nach einem Jahr noch nicht beschieden hatte, reichte die Gemeinde am 7. Juli 1767 sechs Auszüge aus Reichshofratsprotokollen nach zum Nachweis dafür, dass die Vorgänger des Kaisers ihnen ihre Privilegien trotz des gräflichen Widerspruchs bestätigt hätten74. Deshalb solle nunmehr die resolutionem Caesaream ad exhibitum de 5. Juli 1766 maturiert und danach in dessen anteriorem resolutionem conformitate die confirmationem privilegii in forma priori bewilligt werden. Der Reichshofrat ließ sich jedoch mit dieser Entscheidung weiter Zeit bis zum 7. Juli 177575. Dann beschied er die Freienseener, dass der Ausgang des in puncto cassationis privilegiorum in Wetzlar anhängigen Prozess abgewartet werden solle. Verständlicherweise waren die Antragsteller mit dieser Lösung nicht einverstanden. Aber auch der Graf war mit diesem hinhaltenden Bescheid nicht zufrieden. Die Einsprüche von beiden Seiten führten jedoch zu keinem anderen Ergebnis in der Sache. Der Reichshofrat bekräftigte vielmehr am 1. September 1775, dass es beim Dekret vom 7. Juli 1747 bleiben solle76. Völlig überraschend für die Bauern aus dem Vogelsberg fügten die Reichshofräte jedoch hinzu, dass die sich in Wien aufhaltenden zwei Freienseener Deputierten (Johannes Riddere und Conrad Lutz) sich bei Vermeidung schärferer kaiserlicher Anordnung binnen 14 Tagen nach Hause zu begeben hätten. Womit die beiden Bauern den Unwillen der hohen Herren erregt hatten, wird nicht gesagt. Waren sie zu zudringlich geworden oder hatten sie nur nicht mehr genügend Geld, um sich das Wohlwollen der hohen Herren zu erhalten? Die Betroffenen waren deshalb besonders bestürzt, weil – wie die Freienseener später vortragen ließen – ihr Anliegen auf einem Vorgang von vor unvordenklichen Jahren beruhe, und sie ebenso lang den Besitzstand daran ausgeübt hätten77. Sie wollten ihr Ehren-Kleinod geschützt erhalten, für das sie unsägliche Drangsale erlitten und den größten Teil ihres Vermögens geopfert hätten. Die Gemeinde sei in einem so erschöpften Vermögenszustand, dass sie nicht mehr in der Lage sei, zur Erhaltung ihrer Freiheiten weiter dieselben Summen wie bisher aufzubringen. Die beiden letzten Conclusa, besonders das letzte, hätten die Gemeinde an den Rand der Verzweiflung gebracht. Die Hinweise auf 73 74 75 76 77

Anm. 64, Nr. 16. HHStA Wien, Reichshofrat, Confirm. Priv. 54. HHStA Wien, (Anm. 62), 54. HHStA Wien, (Anm. 62), 54. HHStA Wien, (Anm. 62), 54 (undatiert).

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die desolate finanzielle Lage der Gemeinde verstärken die Vermutung, dass die harsche Zurechtweisung der Bauerndelegierten mit ihrem Geldmangel zusammenhängt. Bekanntermaßen bedurfte es am Reichshofrat des ständigen Einsatzes von erheblichen Mitteln, um die zahlreichen am Verfahren Beteiligten zum Tätigwerden zu bewegen. Allerdings waren es nicht nur finanzielle Nöte, die den Freienseenern die Wahrung ihrer Rechte erschwerten. Aus Darmstadt, wohin sie sich in ihrer Verzweiflung erneut gewandt hatten, beklagte sich ein landgräflicher Beamter beim hessischen Reichshofratsagenten von Haffner am 6. Juni 1779, dass er leider über den Stand dieses seit Jahrhunderten währenden Streites nicht informiert sei78. Die bedauernswerten Freienseener seien öfter in nachlässige Hände geraten, weshalb selbst die wenigen Überbleibsel ihrer Urkunden abgängig seien. Daher bat er den Agenten, ob dieser nicht wenigstens eine vorläufige Konfirmation erwirken könne mit der Bedingung, dass es dem Grafen zu Solms überlassen bleibe, allenfalls seinen Widerspruch und seine Klage getrennt zu verfolgen. Damit wollten die Hessen für die Freienseen zurück zu dem früheren Status, der den Freienseenern die Privilegienbestätigung gebracht hatte, während den Solmsern nur nachgelassen worden war, ihre Rechte auf Kassation der Privilegien aktiv prozessual am Reichskammergericht zu verfolgen. Doch diese Phase war vorüber. Am 11. April 1781 beschied der Reichshofrat die hessen-darmstädtische Schutzgemeinde Freienseen auf ihre Bitte, erneut über ihre Privilegienbestätigung nachzudenken, dass es bei der Kaiserlichen Verordnung vom 7. Juli 1747 sein Bewenden haben solle79. Wenn die Impetranten ob causam cassationis privilegiorum nach Lage der Sache anrufen würden, so erfolge sodann ad illam causam weitere Kaiserliche Verordnung. Die Freienseener beklagten sich in Darmstadt darüber, dass der Reichshofrat in neuerer Zeit andere, dem Besitz und jure quaesito stracks widerstrebende Geheimsätze habe80. Auf ihre bei Kaiser Joseph II. eingelegte Bitte habe dieser ihnen bedeutet, beschwerten sie sich, dass sie den Prozess der Kassation abzuwarten hätten. Dadurch sei das gräfliche Haus ermuntert worden, die Freienseener Gerechtsame völlig zu unterdrücken. Sie würden durch einige Prozesse an den Bettelstab gebracht, wenn der Kaiser sie nicht schütze. Daher bitten sie darum, sie in ihrem Besitzstand durch Bestätigung der Privilegien zu schützen und das gräfliche Gesuch um Kassation in Gemäßheit der bereits ergangenen Conclusa des Reichshofrats in separato behandeln zu lassen. 78

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Archiv der Gemeinde Freienseen/Stadt Laubach, Abt. II, Abschn. 1, Konvol. 4, Fasc. 10 (Schriftverkehr über Bestätigung der alten Privilegien 1779 und 1781). HHStA Wien, (Anm. 62), 54. HHStA Wien, (Anm. 62), 54.

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Doch auch durch dieses letzte Aufbäumen der Freienseener konnte der Reichshofrat nicht mehr zu einer Kursänderung zu ihren Gunsten gebracht werden. Am 8. Oktober 1781 erhielten sie aus Darmstadt die Nachricht, dass man ungeachtet der flehentlichen Vorstellungen ein abschlägiges Conclusum erhalten habe81. Nachdem Graf Christian August in Wien wider Erwarten für seine Probleme wegen des Wappenbriefs keine endgültige Lösung gefunden hatte, erneuerte er die Aktivitäten beim Reichskammergericht und wandte sich am 7. Juni 1755 an den Kammergerichtspräsidenten, den Grafen zu Wied, in Wetzlar82. Mit bewegten Worten bat er um dessen „hülfliche Hand“ bei einer Rechtssache, die schon vor Jahren beschlossen und dem Assessor von Tönnemann83 zur Relation übertragen worden sei. Obwohl er selbst wie auch sein Prokurator und seine Kanzlei immer wieder wegen der Sache sollizitiert hätten, hätten sie nur leere Versprechungen erhalten. Er bitte daher den Herrn Präsidenten, der gegenwärtig in Abwesenheit des Herrn Kammerrichters das Direktorium ausübe, die Sache einem anderen Assessor, vielleicht Herrn von Harpprecht, zu übertragen, dessen Fleiß man gewiss sein könne. Herr Assessor von Tönnemann sei mit einer solchen Lösung sehr einverstanden, weil ihm der Herr Kammerrichter vor seiner Abreise, noch acht weitere Fälle zugeteilt habe, von denen er nicht wisse, ob er sie zu Lebzeiten noch werde bewältigen können, wie er dem gräflichen Prokurator geklagt habe. Da Herr von Tönneman damals 62 Jahren alt war, sich also in einem zu dieser Zeit als fortgeschritten geltenden Alter befand, ist dies nicht als Ausrede eines unfleißigen Richters zu bewerten. Der vom Kaiser präsentierte Assessor dürfte gerade in dieser heiklen Sache, in der auch Reservatrechte des Kaisers betroffen waren, den Abschluss der Relation nicht aus Faulheit immer wieder vor sich hergeschoben haben und hätte es deshalb sicherlich begrüßt, wenn der Präsident sie ihm abgenommen hätte. Der mit dieser Verzögerungstaktik unzufriedene Graf Christan August klagte dagegen, wenn die Sache weiter bei von Tönnemann bleibe, würden Hessen-Darmstadt und seinen widerspenstigen Untertanen zu Freienseen zur Fortsetzung ihrer widerrechtlichen Handlungen „Tür und Angel geöffnet“. Ob der Präsident Graf zu Wied diesem Ansuchen stattgab oder nicht, ist nicht festzustellen. Doch wenige Jahre später mit dem Tod des Assessors von Tönnemann am 20. August 1759 musste 81 82 83

HHStA Wien, (Anm. 62), S. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129, Fasc. 124. Zu diesem: Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Organisationsstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich. Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 26, T. II/1, 2003, S. 485ff.

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für die immer noch nicht erledigte Sache ein neuer Referent bestellt werden. Allerdings konnte auch der nunmehr zum Referenten bestellte Assessor von Cramer den Fall nicht so schnell abschließen, wie Graf Christian August es sich gewünscht hätte. Am 28. Dezember 1760 schrieb ihm der Graf, er bedaure es sehr, dass er ihn nicht in Laubach habe begrüßen können, so dass er jetzt wegen einer schon lange überfälligen Rechtssache brieflich sollizitieren müsse1. Er sei unstreitig in Freienseen Landesherr und habe deshalb alles Recht auf seiner Seite. Zusätzlich wandte er sich mit demselben Anliegen in einem weiteren Schreiben vom folgenden Tag an den Kammerrichter, den Fürsten zu Hohenlohe-Bartenstein, ohne dass seine Initiativen spürbare Konsequenzen gehabt hätte. Vielleicht dauerten die Gründe für das Zögern des Assessors von Tönnemann weiter an. Dieser Verlauf des Verfahrens am Reichskammergericht wegen Kassation des Wappenbriefs von 1555 und seine Verquickung mit den Verfahren am Reichshofrat wegen Bestätigung des Privilegs kann beispielhaft die Komplexität der Jurisdiktion beider Reichsgerichte zeigen. Das Interesse an einer klaren gerichtlichen Entscheidung konnte im Laufe der Entwicklung durchaus ersetzt werden durch die Meinung, dass es praktischer sein konnte, die Streitpunkte in der Schwebe zu halten.

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Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129, Fasc. 124.

5. 5.1.

Die erste Phase des Hauptprozesses primi mandati (1554–1561)

Graf Friedrich Magnus setzt gewaltsam seine Obrigkeit durch – die Freienseener reagieren mit Klagen in Speyer

Nachdem damit die Ursprünge der hartnäckigen Auseinandersetzungen zwischen Freienseen und Solms-Laubach aufgedeckt und auch der formale Rahmen des Problemfeldes konturiert ist, mag ein Blick auf Einzelheiten die Intensität des verbissenen Ringens noch mehr verdeutlichen. Graf Friedrich Magnus I. klagte, dass die Freienseener schon 1552 während des verderblichen Krieges und danach mehrfach wieder versucht hätten, sich selbst zu freien und von ihm, ihrem Erbherrn, abzufallen sowie sich seiner Obrigkeit zu entziehen1. Deshalb setzte er seine obrigkeitlichen Mittel ein, um sie zum Gehorsam zurückzuzwingen. Am Abend des 11. November 1552 kam er in das Dorf und nahm acht gemästete Schweine aus den Ställen als Strafe dafür, dass die Bauern entgegen seinem Verbot ihre Schweine weiter zur Mast in seine Wälder getrieben hätten2. Als die betroffenen Freienseener daraufhin zu ihm kamen, um die Schweine wieder einzulösen, erfragte er von ihnen erfolgreich, wer im Dorf die Aufwiegler und Anstifter solcher Rebellion seien. Diesen pfändete er 14 Tage später 17 Hauptrinder oder Kühe und weitere zwei Wochen darauf neun Pferde und ließ 730 Schafe mit Gewalt wegtreiben in der Hoffnung, die Rebellen dadurch zum Gehorsam gegenüber der solms-laubachischen Herrschaft bringen und sie zum Verlassen des hessischen Schutzes veranlassen zu können. Doch trat der erwünschte Erfolg nicht ein. Die Bauern erklärten vielmehr, sie wollten eher auf das Vieh verzichten, als zum Gehorsam zurückzukehren. Damit bewiesen sie von Anfang an eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit bei der Wahrung dessen, was sie als ihr Recht ansahen. In den Fastentagen der Adventszeit des Jahres 1552 nutzte der Graf den Umstand, dass die Bauern ihr Vieh in den Ställen halten mussten, erneut dazu, bei ihnen weitere 70 Stück Viehs aus den Ställen pfänden zu lassen, weil sie sich geweigert hatten, für Bauten am Schloss zu Laubach etliche Fahrten auszuführen3 – ein für Untertanenprozesse typischer Konflikt wegen Erhöhung

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Die Angaben entstammen: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 4; LXXIII Nr. 50, Qu. 1; Freyenseensia K 55 Nr. 19 fol. 1f. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 7, Artikel 54–61. Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 55 Nr. 19 fol. 1f. = LXXIII Nr. 50, Qu. 1.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

tradierter Dienstleistungen über das hergebrachte Maß hinaus. Nach diesen, tief in die wirtschaftliche Existenzgrundlage der betroffenen Freienseener eingreifenden Pfändungen ließ Graf Friedrich Magnus ihnen wieder ausrichten, dass jeder, der komme und ihm den Gehorsam erweise, also nicht zuletzt die angeforderten Dienste leiste, seine Kühe zurückbekomme. Dieses Angebot hätten einige auch genutzt und danach ihr Vieh zurückerhalten, womit bewiesen sei, dass der Graf nur den ihm zustehenden Gehorsam habe erzwingen wollen. Allerdings förderte dies den innerdörflichen Frieden nicht, weil es die Spannungen zwischen den Gehorsamen und den Rebellen vergrößerte. Zudem erschwerte es später den obsiegenden Freienseenern die Urteilsexekution, weil die gräfliche Seite darauf verweisen konnte, dass sie schon restituierte Pfänder nicht noch einmal erstatten müsse. Stattdessen seien die weiter Ungehorsamen dagegen nach Grünberg und Marburg gelaufen und hätten den Landgrafen gegen ihren Erbherrn aufgehetzt. Doch dagegen, dass der Landgraf sich ständig der Freienseener als seiner Schutzverwandten annehme, hatte Graf Friedrich Magnus I. mit seinem Halbbruder, Landgraf Philipp von Hessen, Herzog Wilhelm d. J. von Sachsen-Weimar als Schiedsrichter angerufen und ihn um einen Schiedsspruch über die hessischen Rechte im Dorf gebeten4. Die Freienseener Einwohnerschaft war also deutlich in zwei Parteien aufgespalten5. Anfangs überwog die Partei der Rebellen, was sich daran zeigt, dass 108 Freienseener wegen ihres Ungehorsams gepfändet worden waren6, während sich nur 25 Einwohner in dem vom Grafen veranlassten Notariatsinstrument vom 28. September 1556 als ihm gehorsame Untertanen von der Klage distanzierten7. Wo die Trennlinie zwischen beiden Parteien verlief, ist unklar. Später wurde behauptet, dass die Rebellen hessische, die Gehorsamen dagegen solms-laubachische Leibsangehörige gewesen seien. Das würde die Lage für die Solms-Laubacher weiter erschwert haben, weil dann Hessen in Freienseen unter den Einwohnern personenrechtlich das Übergewicht gehabt hätte, wofür es sonst allerdings keine Anzeichen gibt. Zudem war die Aufteilung weit instabiler als es die rechtlich präzise Kategorisierung nach Leibsangehörigkeit nahelegt, zumal es den Grafen immer wieder gelang, die Phalanx der Aufrührer durch Gewaltmaßnahmen aufzubrechen und Ungehorsame zur 4

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Das war schon vor dem Vergleich zwischen Graf Friedrich Magnus und Landgraf Philipp vom 22. April 1551 in Kassel über den Schutz im Dorf Freienseen geschehen: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 126 Freyenseensia. Diese Spaltung wird schon in der Litiskontestation vom 2. November 1554 erwähnt: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 8: 1577 Juli 3. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia III. 412 = A. LXXIII Nr. 51.

Graf Friedrich Magnus I. gegen die Freienseener

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Partei der Gehorsamen herüberzuzwingen. Die Kühe der Ungehorsamen seien, wie es üblich sei, 12 Wochen in Laubach behalten worden, bevor sie verkauft worden seien. Den anderen solms-laubachischen Untertanen, die die Fahrten zum Burgbau nach Laubach wegen der Weigerung der Freienseener allein machen müssten, wäre es sehr lästig geworden, erklärte der Graf, wenn er die Freienseener wegen ihres Ungehorsams von dieser Arbeit verschont hätte. Die Freienseener gehorchten jedoch auch der erneuten dreifachen Aufforderung des Grafen nicht, obwohl sogar der Landgraf sie durch den Grünberger Schultheißen ausdrücklich hatte auffordern lassen, Graf Friedrich Magnus I. beim Bau zu helfen. Die Behauptung, der Landesherr habe die Freienseener aus dem Vaterland vertrieben, sei nicht wahr. Schon am Pfingstsonnabend des Jahres 1553 hatte Graf Friedrich Magnus I. den Druck auf die widerspenstigen Freienseener verstärkt, indem er ihnen eine ganze Herde Vieh hatte wegnehmen lassen. Nachdem sie sich zur Ernährung von Weib und Kindern neues Vieh beschafft hatten, ließ er am 24. Juni 1553 auch diese 114 Kühe von der Gemeindeweide wegtreiben und einige Aufrührer ins Gefängnis werfen8. Eine der Maßnahmen, mit denen Graf Friedrich Magnus I. seine in Freienseen beanspruchten obrigkeitlichen Rechte demonstrativ wahrnehmen ließ, war das jährliche Ausheben zweier regelmäßig zufallender Gräben im Dorf, wozu er nach Ansicht der Bauern nicht berechtigt sei9. Diese Drangsalierungen trieben die Freienseener nach Speyer zum Reichskammergericht. Sie erteilten am 29. August 1554 dem Prokurator Dr. Dick schriftliche Prozessvollmacht10, nachdem dieser für sie schon am 25. August 1554 gegen Graf Friedrich Magnus I. ein Mandat wegen Rückerstattung des gepfändeten Viehs erwirkt hatte, das am 13. September 1554 in Frankfurt im Solmser Hof zugestellt worden war11. Es gebe jedoch, erwiderte der gräfliche Prokurator, durchaus etliche Personen, die mit den aufrührerischen Handlungen nicht einverstanden gewesen seien, wofür sie ihr Vieh zurückerhalten hätten. Damit wird von Anfang deutlich, dass die Freienseener Einwohnerschaft in Gehorsame und Ungehorsame aufgespalten war. Immerhin waren 108 Freienseener als Ungehor-

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Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 55 Nr. 19 fol. 1f. = A. LXXIII Nr. 50, Qu. 1. Undatierte Abschrift der Freienseener Supplikation an den Kaiser in Brüssel zu Erwirkung des Schutzbriefes (vor 1555 Januar 9) aus Akten des RHR. Gräfl. Achiv Laubach, A. Freyenseensia K 55 Nr. 19 fol. 4–6. Wie Anm. 5, fol. 1–4.

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same von den Pfändungen betroffen12, die damals offenbar die Mehrheit bildeten, während das von Graf Friedrich Magnus veranlasste Notariatsinstrument vom 28. September 1556 nur 25 Freienseener aufführt, die mit der Klage nicht einverstanden waren13. Die vom Grafen und seinen Amtsträgern bewusst geförderte Spaltung der Gemeinde Freienseen bot unterschiedlichste tatsächliche und rechtliche Möglichkeiten, in das Gemeindeleben einzugreifen, wovon Graf Friedrich Magnus I., seine Nachfolger und die gräfliche Verwaltung reichlich Gebrauch machten. Der Zwist unter den Bauern vergiftete aber auch das Zusammenleben im Dorf, weil sich die Nachbarn bei jeder Gelegenheit gegenseitig Schwierigkeiten machten. Angeblich weil die Gehorsamen das vom Grafen zurückerhaltene Vieh von dem der Ungehorsamen unterscheiden wollten, beanspruchten sie, einen eigenen Hirten anstellen zu dürfen, weshalb sie sich weigerten, ihren Lohnanteil für den Gemeindehirten zu bezahlen. An einer klaren Trennung des Viehs der Gehorsamen von dem der Ungehorsamen war jedoch eher die gräfliche Verwaltung interessiert, die dadurch bei zukünftigen Pfändungen schneller und irrtumsfreier auf das Vieh der Ungehorsamen zugreifen konnte. Das Zerbrechen der gemeinsamen Wirtschafts-und Lebensformen wollten die Ungehorsamen nicht widerstandslos hinnehmen. Deshalb pfändeten sie den Gehorsamen 12 Kühe, um sie zum Entrichten des Lohnanteils zu zwingen. Auch wollten sie ihnen kein Brennholz aus den Gemeindewäldern geben in der Hoffnung, sie damit in der Winterszeit auf ihre Seite zu zwingen. Doch zeigten diese eine ebenso große Starrköpfigkeit gegenüber solchen Maßnahmen wie die Aufrührer selbst gegenüber dem gräflichen Zwang. Graf Friedrich Magnus I. wandte gegen solche Maßnahmen ein, dass die Gemeinde grundsätzlich keine obrigkeitlichen Rechte im Dorf ausüben dürfe. Dies war, wie sich bald zeigen sollte, der Auftakt zu einer realen Spaltung der dörflichen Selbstverwaltung in Freienseen und damit einhergehend zu einer weitgehenden Zerrüttung der Verwaltung und Nutzung des Gemeindevermögens. Schon beim Beginn der Auseinandersetzungen waren damit alle Momente virulent, die die Wirrungen der folgenden Jahrzehnte, ja mehr als zweier Jahrhunderte alle Betroffenen wie auch die Gerichte intensiv beschäftigen sollten. Die harten und ihre Existenz bedrohenden gräflichen Maßnahmen nahmen die Bauern nicht tatenlos hin. Sie setzten sich zur Wehr, indem sie am 25. August 1554 in Speyer am Reichskammergericht ein Mandat erwirkten, das dem Grafen Friedrich Magnus I. zu Solms-Laubach befahl, den Betroffenen die weggenommenen Schweine, Kühe, Pferde und Schafe zu restituieren und

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 8. (1577 Juli 3). Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia III. 41 = LXXIII Nr. 51.

Graf Friedrich Magnus I. gegen die Freienseener

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die Gefangenen freizulassen14. Dieses Mandat nahm der gräfliche Amtmann zu Rödelheim, Kraft Specht von Bubenheim, für seinen abwesenden Herrn am 8. September 1554 aus der Hand des zustellenden Kammergerichtsboten entgegen15. Da solche Mandate nur auf dem Vortrag der Supplikanten basierten, hatten sie nur einen vorläufigen Charakter. Die Betroffenen konnten Einspruch gegen sie erheben und damit ein kontradiktorisches Verfahren eröffnen, in dem sie ihre Einwände und Gegenargumente geltend machen konnten. Die Freienseener verkannten offenbar diesen vorläufigen Charakter eines solchen mandatum cum clausula justificatoria und meinten, damit eine gerichtliche Bestätigung ihrer behaupteten Positionen zu besitzen. Nachdem der Graf am 10. Oktober 1554 den Licenciaten Mauritius Bräunlin zu seinem Prokurator in Speyer bestellt hatte, leitete dieser am 2. November 1554 mit der Litiskontestation formal die Prozessphase ein, in der der Graf seine widersprechenden Ansichten vortragen konnte. Seine Positionen standen erwartungsgemäß zu denen der Kläger in krassem Widerspruch. Seiner Meinung nach habe er keine unrechtmäßigen Gewalttaten begangen, sondern lediglich seine legitime landesherrliche Gewalt ausgeübt. Dagegen hätten die Freienseener nicht Freiheiten und Rechte verteidigt, sondern seien ungehorsame, aufrührerische, eidbrüchige Untertanen und Rebellen. Solche Vorwürfe wogen, ein Menschenalter nach der Niederschlagung der blutigen Bauernrevolte von 1524/25 schwer. Allen Zeitgenossen war durchaus noch gegenwärtig, zu welchen Greueln bäuerlicher Ungehorsam geführt hatte. Gleichwohl ließen sich die Richter von der Wucht solcher Formulierungen nicht beeindrucken, sondern prüften professionell, was beide Parteien in der Sache vorzutragen hatten. Mit dem gräflichen Widerspruch gegen das Mandat setzte ein prozessuales Ringen am Reichskammergericht ein, das bis zum 15. Oktober 1629 in der Prozessakte nachweisbar ist16. Trotz des Mandats ging Graf Friedrich Magnus weiter mit Gewaltmaßnahmen gegen die Freienseener vor in der Absicht, die rebellischen Untertanen zum Einlenken oder wenigstens einen Teil von ihnen auf seine Seite zwingen zu können. Am Montag nach Pfingsten des Jahres 1555 hatte der Graf die ganze Gemeinde Freienseen nach Laubach laden lassen unter Zusicherung freien Geleits, weil er nachbarlich mit ihnen reden wolle. Als sie auf dem Schlosshof versammelt waren, ließ er die Tore schließen und die versammel14

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIIII Nr. 50, Qu. 1 = Freienseensia K 55 Nr.19 fol. 1f. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 1. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50 letzte Eintragung im Protokoll. Das letzte Produkt ist ein Beschwerdebrief der Freienseener an ihren Prokurator, dass die Sache zu lange brach gelegen habe vom 2. März 1628.

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ten Bauern mit Rittern, Knechten und Laubacher Bürgern umringen, so dass sie gefangen waren und nicht entkommen konnten17. Er ließ ihnen einen angeblich von der Gemeinde frei verfassten Brief verlesen, in dem sie auf ihre Freiheiten verzichteten. Sie sollten diesen Brief annehmen und darauf einen Eid schwören. Als die Freienseener dies verweigerten, ließ der Graf drei Anführer ins Turmgefängnis werfen. Er behielt sie dort drei Tage ohne Essen und Trinken, so dass sie um Leib und Leben fürchteten. Deshalb akzeptierten sie schließlich ein schriftliches Versprechen, dass sie die von Freienseen vom landgräflichen Schutz abbringen wollten. Diesen von Solms abgedrungenen Brief nahm ihnen jedoch ein landgräflicher Befehlshaber, der mit schwer Bewaffneten eines Morgens ohne Wissen der Freienseener in ihr Dorf eingedrungen war, ab und nahm sie wieder in den landgräflichen Schutz auf. Allerdings bediente sich Graf Friedrich Magnus gegen seine ungehorsamen Untertanen nicht nur der Gewalt, um sie zur Rückkehr unter seine Herrschaft zu bewegen, sondern wehrte sich auch mit rechtlichen Mitteln gegen ihren Ungehorsam. So erwirkte er am 7. Mai gegen die Gemeinde Freienseen am Kaiserhof in Brüssel ein Mandat mit der Beschwerde, dass sie ihm unter dem Schein kaiserlichen Schutz und Schirms seine hergekommene Obrigkeit bestritten und ihm schuldige Abgaben verweigerten18. Im laufenden Prozess am Reichskammergericht verzögerten sie seiner Meinung nach die Rechtfertigung und gingen sogar tätlich gegen seine Amtleute vor. Vor den Osterfeiertagen hätten sie gegen altes Herkommen die Kirche versperrt und damit dem Pfarrer, der dort die Heiligen Sakramente habe reichen wollen, den Zugang unmöglich gemacht. Damit erhielt der aus der Wiedertäuferzeit stammende Vorwurf mangelnder Kirchentreue der Freienseener einen neuen Akzent. Auch hätten sie sich gegen einen gehorsamen Nachbarn gewandt und diesem auf seinem eigenen Acker ein Pferd ausgespannt, nur weil der Betreffende entgegen einem Verbot der Gemeinde ausgefahren sei. Auch hätten die Ungehorsamen den Gehorsamen verwehrt, ihre Schafe auf der Gemeindeweide weiden zu lassen, weshalb diese ihre Schafe auf anderen Weiden des Grafen außerhalb des Gemeindebezirks von Freienseen hätten weiden lassen müssen. Die Zwistigkeiten innerhalb der Einwohnerschaft von Freienseen hatten sich also weiter zugespitzt. Ein neuer Streitpunkt leuchtete auf in dem Vorwurf, dass sie öffentlich verkündet hätten, den Weinschank, der dem Grafen allein gehöre, an sich nehmen zu wollen. Dies alles brachte Graf Friedrich Magnus I. in Zusammenhang mit dem Schutz- und Schirmbrief des Kaisers vom 9. Januar 1555. Deshalb erklärte der Kaiser auf die Beschwerde des Grafen, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, mit dieser Urkunde jemanden aus der 17 18

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Gegendefensionalartikel Artikel 25–32. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 25, Qu. 3.

Graf Friedrich Magnus I. gegen die Freienseener

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Obrigkeit des Grafen zu ziehen oder gar in den Prozess am Reichskammergericht einzugreifen. Bis das Gericht geurteilt habe, sollten die Freienseener dem Grafen gehorsam sein. Damit hatte die kaiserliche Urkunde ihren Wert für den Prozess verloren, denn nun konnten die Freienseener sie nicht mehr zur rechtlichen Untermauerung ihrer behaupteten Reichsfreiheit benutzen. Nach dem Schlag gegen die Gemeinde zu Pfingsten 1555 begann im Sommer desselben Jahres eine neue Serie von Gewaltakten der gräflichen Seite gegen die Freienseener. Am 7. Juli 1555 nahm der solmsische Amtmann zu Rödelheim, Kraft Specht zu Bubenheim, Johannes Bötz und Johann Dill auf freier kaiserlicher Landstraße gefangen und ließ sie trotz Rechtserbietens wie Übeltäter gefesselt nach Laubach schaffen19. Das war nicht nur Landfriedensbruch durch Verletzung der Freiheit der kaiserlichen Straße, sondern richtete sich auch nicht zuletzt gegen die Prozessführung der Freienseener. Die beiden Festgenommenen waren nämlich Boten der Gemeinde nach Speyer mit neuen Informationen für den Freienseener Prokurator. Die Verteidigung der gräflichen Seite, dass die Festnahme eine Maßnahme gegen Landstreicherei zur Wahrung der Sicherheit auf der kaiserlichen Landstraße gewesen sei, überzeugt wenig angesichts des Umstandes, dass die beiden Freienseener Boten eine Dokumententasche mit sich führten und umgehend darauf hinwiesen, dass sie auf dem Weg nach Speyer seien. Der Laubacher Schultheiß öffnete diese Dokumententasche und überprüfte ihren Inhalt. Obwohl er sich damit von der Wahrheit ihres Vorbringens hatte überzeugen können und sicherlich auch die beiden Freienseener von Person kannte, behielt er sie weiter in Haft bis der von ihm aus Frankfurt angeforderte Nachrichter gekommen war, dem er die beiden vorführte. Dieser drohte ihnen starke Pein an, wenn sie nicht von der aufrührerischen Gemeinde abfielen. Peinlich für die gräfliche Seite – aber symptomatisch für das Ungezügelte ihres Vorgehens – war es, dass der am Abend des 8. Juli auf dem Feld bei bäuerlicher Arbeit ebenfalls inhaftierte und danach gefesselt nach Laubach ins Gefängnis gebrachte Balthasar Hessen, des alten Hessen Sohn, baldigst wieder freigelassen werden musste, weil sich herausstellte, dass weder sein Vater noch er selbst zu den Ungehorsamen gehörten, also Gewaltmaßnahmen gegen ihn unangebracht waren20. Die rebellischen Untertanen ließen ihrerseits auch nicht nach, dem nur wenige Kilometer entfernt residierenden Grafen vor Augen zu führen, wie wenig sie durch solche Maßnahmen zu beeindrucken seien, und insistierten immer wieder darauf, ein reichsfreier Flecken zu sein, der nicht der solms-laubachischen Obrigkeit unterworfen sei. Deshalb brachten sie das ih19

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51, 28. August 1556 Artikel 13 = Mandat vom 4. September 1555 = LXI Originalia IV. Nr. 40. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51 Responsiones vom 4. November 1556.

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nen vom Kaiser verliehene Wappen an prominenter Stelle über der Tür ihrer Kirche an21. Damit prangte der Reichsadler, dieses Symbol ihrer Widerständigkeit gegen Solms-Laubach, an einer Stelle, deren Öffentlichkeitswirksamkeit nicht zu überbieten war. Graf Friedrich Magnus I. erregte sich über diesen Vorfall so sehr, dass er seinen Onkel, Graf Reinhard zu Solms-Lich, aktivierte und mit ihm zusammen am 10. Juli 1555 mit einer großen Menge Bewaffneter zu Ross und zu Fuß in den Flecken Freienseen einfiel. Das geballte Aufgebot von Solms-Laubach und Solms-Lich offenbart, welche Bedeutung Friedrich Magnus I. dieser Aktion beimaß. Der Graf, so klagten die Freienseener bitter, habe ihre armen Weiber und Kinder ganz erbärmlich angebrüllt und sie aus dem Dorf ins Elend austreiben lassen, wobei seine Leute so erbarmungslos gehandelt hätten, wie man es nicht von Türken höre. Dies diskriminierte das gräfliche Vorgehen gravierend in einer Zeit, in der man den an den Grenzen des Reiches stehenden Türken jede erdenkliche Grausamkeit zutraute. Die gräflichen Leute seien in die Keller eingedrungen. Teilweise hätten sie den Wein ausgetrunken, teilweise nur die Zapfen herausgerissen, so dass der Wein in den Keller gelaufen sei. Einige Fässer seien völlig zerschlagen worden. Vor allem aber hätten die Bewaffneten das Schild mit dem Wappen abgerissen, das der Kaiser den Freienseenern verliehen habe, und es zerschlagen. Dies brachte dem Grafen anders als die Pfändungen keinen materiellen Nutzen, sondern war eine pure Machtdemonstration, um den Aufrührern auf besonders eindrückliche Weise vorzuführen, dass er ihre Haltung nicht akzeptieren werde. Die Gemeinde Freienseen nahm den Gewaltakt vom 10. Juli 1555 wiederum nicht klaglos hin, sondern beschwerte sich bei Kaiser Karl V. in Brüssel, der in einem Mandat an den Grafen vom 19. Juli 1555 darauf hinwies, dass dieser nach dem Poenalmandat des Reichskammergerichts während des Prozesses keine Neuerungen vornehmen dürfe noch die Bauern ihn seiner Obrigkeit und Gerechtigkeit entsetzen sollten22. Die Freienseener hätten versichert, diesem Gebot nachkommen zu wollen. Aber auch der Graf solle es bei dem Prozess bewenden lassen und gegen die Gemeinde nichts mehr unternehmen und sie vor allem nicht vergewaltigen. Wenn er etwas gegen die Supplik der Gemeinde einzuwenden habe, so solle er es den Kaiser wissen lassen. Auf den Gegenbericht des Grafen beschied der Reichshofrat in Brüssel ihn erneut, dass beide Teile bis zum Urteil des Reichskammergerichts nichts unternehmen sollten. Der Wappenbrief solle ihm allerdings an seiner Obrigkeit keinen Abbruch tun. Alles solle rein rechtlich ausgetragen werden. Nachdem eine weitere Remonstration des Grafen am Kaiserhof in Brüssel nur dazu geführt hatte, dass der Reichshofrat am 9. August erneut lediglich 21 22

Dazu: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51 = LXI Originalia Nr. 40. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV. Nr. 38.

Graf Friedrich Magnus I. gegen die Freienseener

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dazu ermahnte, in Ruhe und Frieden auf das Urteil des Reichskammergerichts zu warten23, mochten seine juristischen Ratgeber Graf Friedrich Magnus I. vorgeschlagen haben, selbst auch rechtlich gegen den Wappenbrief vorzugehen. Am 11. Oktober 1555 beantragte jedenfalls der gräfliche Prokurator am Reichskammergericht die Citation der Freienseener, weil der vom Kaiser erteilte Wappenbrief wegen ihrer falschen Angaben zu kassieren sei24. Spielte der Schutzbrief nur indirekt am Gericht eine Rolle, weil die Freienseener ihn zur Stützung ihrer Argumentation in das Verfahren dort eingeführt hatten25, so wurde mit dieser gräflichen Klage die Gültigkeit eines kaiserlichen Privilegs ausdrücklich zum Gegenstand eines Prozesses am Reichskammergericht gemacht, was im 18. Jahrhundert zu heftigen Auseinandersetzungen über die Kompetenz zur Privilegienkassation zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat führen sollte26. Die verschiedenen Mahnungen aus Brüssel zur Friedfertigkeit kamen zu spät, vor allem für Eben Henchen und Boetz, beide Einwohner von Freienseen, die in Laubach inhaftiert worden waren. Sie mussten am 18. Juli 1555 für die Entlassung aus dem Gefängnis Urfehdebriefe ausstellen27. Beide, heißt es in diesen Urkunden, hätten sich zusammen mit ihren Verwandten von der Erb- und Oberherrlichkeit des Grafen zu Solms und der Zahlung von Abgaben, Steuern, Zinsen und Gülten gänzlich frei machen wollen und den Grafen sogar beim Reichskammergericht verklagt. Da Henchen schon mehrfach Urfehde geschworen gehabt habe, sei er dadurch sogar straffällig geworden. Jetzt jedoch schworen beide, wirklich gehorsam zu sein und ihre Verwandten dazu zu veranlassen, den Prozess beim Reichskammergericht zu beenden. Dafür mussten sie Bürgen stellen. Die kaiserlichen Ermahnungen vermochten jedoch nicht, den aufgebrachten Graf zu ruhigerem Vorgehen zu veranlassen. Dazu traf ihn die Renitenz der Bauern zu existentiell. Der Bau eines so großen Schlosses konnte nur gelingen, wenn alle Kräfte der kleinen Landesherrschaft dazu beitrugen. Vor allem aber fürchtete er, dass andere Untertanen durch solch ein ärgerliches Exempel zu gleichem Abfall und Ungehorsam verführt werden könnten,

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia IV. Nr. 39. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 2 = Freyenseensia K 55 Nr. 125/5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51, 4. September 1555 = Parteiakten LXIII Nr. 51 = LXI Originalia IV. Nr. 40. Dazu: Diestelkamp (wie Kap. 4.4, Anm. 60), S. 164ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51, als Beilage zu den Responsiones vom 4. November 1556.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

wenn er dem nicht kräftig entgegentrete28. Am 22. August 1555 ließ er daher erneut nachts 350 Schafe im Schätzwert von 2.000 fl. wegtreiben sowie zur Erhaltung seiner Obrigkeit von der Pfarrkirche zu Freienseen das Schloss auswechseln und die Schlüssel zum neuen Schloss in seine Obhut nehmen29. Damit konnten die Freienseener den früher ihnen gemachten Vorwurf, sie hätten den Pfarrer daran gehindert, zu Ostern 1554 die Sakramente zu spenden, umdrehen und sich als treue Kirchgänger gerieren, indem sie sich darüber beklagten, dass sie durch das rechtswidrige Vorgehen des Grafen des Heiligen Gottesdienstes und der Sakramente beraubt würden. Die bedrängten Freienseener erhielten am 4. September 1555 in Esslingen, wohin das Reichskammergericht wegen der in Speyer ausgebrochenen Pest geflohen war, ein Mandat, in dem Graf Friedrich Magnus I. erneut verboten wurde, gegen die Freienseener gewaltsam vorzugehen30. Zur Abwehr des Vorwurfes, sie hätten rechtswidrig die Zahlung schuldiger Abgaben verweigert, ließen Bürgermeister und Gemeinde des freien Fleckens Freienseen am 28. September 1555 ein Notariatsinstrument aufnehmen, in dem sie ihre Vorstellung über das Fehlen eines Rechtsgrundes für einen Teil der geforderten Zinse präzisierten. Sie legten dar, dass sie alles getan hätten, um ihre Schuldigkeit zu erfüllen31. Sie hätten nie einen anderen Herrn als den Kaiser gehabt. Gleichwohl wolle Graf Friedrich Magnus in ihrem Ort Obrigkeit ausüben zum Beispiel wegen der Ausfelder in den Wüstungen, die des Grafen Vorfahren der Gemeinde vor über 80 Jahren zu bestimmten Bedingungen überlassen gehabt hätten. Auch beanspruche er die Obrigkeit wegen einiger Jahreszinsen und Dienstbarkeiten. Der freie Flecken Freienseen habe jedoch niemals mehr als drei Malter Hafer jährlich abgeben müssen. Die Ausfelder und die anderen Rechtstitel habe der Graf ihnen in Ungnade entzogen, indem er sie mit Glockenschlag öffentlich habe zusammenrufen lassen, um ihnen diese zu kündigen. Da er ihnen die Ausfelder genommen habe, seien sie auch nicht mehr zur Zahlung der Zinse verpflichtet. Rueln Cuntz und Wigl Kremer, beide Einwohner von Freienseen, bekundeten, dass ihr Dorf bisher Graf Friedrich Magnus I. nur drei Malter Hafer jährlich habe geben müssen, so wie es die Solmser Grafen von der Herrschaft Hanau übernommen habe Als sie auf Anforderung mit diesem Hafer in den Burghof nach Laubach gekommen seien und ihn Herrn Simon Latzen als Faktor des Grafen angeboten hätten, habe dieser die Annahme verweigert mit den Worten, er habe in sei28 29

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 4, Artikel 27 Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51, artikulierte Litiskontestation vom 28. August 1556, Artikel 15 = Qu. 25, Artikel 1–5 = LXI Originalia IV. Nr. 40. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51 = LXI Originalia IV. Nr. 40. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten Nr. 25, Qu. 3.

Graf Friedrich Magnus I. gegen die Freienseener

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nem Register 12 Achtel stehen. Wenn sie diese liefern wollten, würde er sie gern annehmen. Cuntz und Wigl hätten ihm geantwortet, sie wüssten genau, dass das Dorf früher die 12 Achtel gegeben habe, nämlich drei Malter für die Nutzung der Wüstungen, die sie von Graf Ludwig bekommen hätten. Auch diese sechs Achtel hätten sie gern gegeben, wenn Graf Friedrich Magnus I. ihnen die Nutzung der Wüstungen nicht entzogen hätte. Seitdem jedoch schuldeten sie diese sechs Achtel nicht mehr. Die Rückstände der letzten drei Jahre vom ihrer Meinung nach richtigen Teil der Hafergülte hätten sie liefern wollen. Herr Simon habe dies jedoch abgelehnt. Nachdem sie die Lieferung dreimal vergeblich angeboten hätten, hätten sie mit ihren Gespannen und 19 Pferden unverrichteter Dinge wieder nach Freienseen zurückfahren müssen. Darauf hätten die Freienseener den Hafer in Grünberg verkauft und den Erlös dort hinterlegt32. Mit diesem Vorgehen wollten beide Seiten verhindern, durch Leistung oder Annahme einer solchen die Rechtsposition der Gegenseite zu akzeptieren. Die Freienseener, indem sie nur den von ihnen anerkannten Anteil der gräflichen Forderung anboten, den der gräfliche Faktor jedoch als unzureichend ablehnte, weil er meinte, damit erkenne er auch die Rechtsauffassung der Freienseener an. Als Graf Friedrich Magnus I. die Reichstürkensteuer auf seine Untertanen umlegen wollte, weigerten sich die Freienseener unter Berufung auf ihren Status als reichsfreier Flecken konsequenterweise, ihm diese Umlage zu zahlen. Dass sie am Kaiserhof um eigenständige Veranlagung zur Reichstürkensteuer gebeten oder diese gar geleistet hätten, ist allerdings nicht bekannt. Nachdem der Graf sie dreimal, wie alle seine Untertanen, vergeblich zur Zahlung aufgefordert hatte, schickte er am 13. August 1556 den Laubacher Schultheiß mit 80 bis 90 Mann zu Fuß nach Freienseen, der ihnen ca. 12 Stück Vieh wegen der nichtgezahlten Steuern abpfändete33. Da die Bauern den Schultheiß gewaltsam an der Ausübung seines Amtes hätten hindern wollen, habe dieser sich gegen ihre Gewalt wehren müssen. Bei dieser Gelegenheit wollte Graf Friedrich Magnus zugleich aber auch noch eine alte Rechnung begleichen lassen. Wegen des Wappens und wegen mutwilligen Schießens in gräflichen Wäldern hatte der Graf dem Schultheißen befohlen, von den Bauern die Herausgabe des abgestoßenen Wappens, das er bei seiner ersten Aktion nur hatte zerstören lassen, und ihrer Büchsen zu fordern. Als die Freienseener sich weigerten, sah der Schultheiß sich gezwungen, nach dem Wappen und den Büch32

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So auch der Grünberger Stadtschreiber Konrad Magersuppe in einer Urkunde, die die Freiensener am 1. Juni 1556 in Speyer zu den Akten reichten: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten Nr. 25, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten Nr. 52, articuli defensionales = Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1).

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sen suchen zu lassen. Während man das Wappen nicht aufspüren konnte, wurden 18 oder 19 Büchsen gefunden mit Pulver auf der Pfanne, einige sogar mit gespanntem Schlagbolzen, also schussbereit. Schon wenn man die Menge der gepfändeten Kühe und Schafe bedenkt, erscheinen die Vogelsberger Bauern in Freienseen keineswegs als arme Leute. Dieser Eindruck einer gewissen Wohlhabenheit bestätigt sich durch den Befund, dass in diesem Dorf immerhin 18 oder 19 Büchsen, also recht kostbare Waffen, vorhanden waren. Nicht ohne Grund erscheint Freienseen im 17. Jahrhundert als zweitgrößter Steuerzahler der Grafschaft Solms-Laubach nach der Residenzstadt Laubach34. Diese Wohlhabenheit stammte wohl kaum von der eher kärglichen Landwirtschaft des Vogelsberges, sondern dürfte aus anderen Quellen erwachsen sein wie etwa dem Handel mit der Wolle von den zahlreichen Schafen. Als dem Schultheiß einige Weiber nachgelaufen seien, habe er ihnen verkündet, dass sie das gepfändete Vieh gegen Entrichtung der Steuer auslösen könnten. Weshalb er so leichtsinnig war, das Vieh nicht sofort nach Laubach treiben zu lassen, sondern es unbehütet auf der Freienseener Weide stehen ließ, ist nicht ersichtlich. Diese Unbedachtheit ermöglichte es jedenfalls einigen Ungehorsamen, ihr Vieh wieder nach Hause zu treiben, so dass sie diese Stücke nicht mehr zurückverlangen könnten, wie später der gräfliche Prokurator gegen das Restitutionsverlangen der Freienseener süffisant einwandte. Nachdem Bürgermeister und Gemeinde zu Freienseen am 26. Juni 1556 in dem vom Grafen angestrengten Verfahren wegen Kassation des Wappenbriefs eingewandt hatten, dass der Graf gegen sie keine actio, auch nicht eine actio in personam habe35, also nach Gemeinem Recht nicht klagen könne36, versuchte auch Graf Friedrich Magnus I., prozessual gegen die Beklagten zu argumentieren, indem er ihnen die Eigenschaft als rechtsfähige universitas absprach, die durch die Bürgermeister prozessual vertreten werden könne. Er griff den Umstand auf, dass sich nicht alle Einwohner Freienseens an den Prozessen mit ihm beteiligten. Am 28. September 1556 ließ er morgens um 8 Uhr von 25 gehorsamen Untertanen aus Freienseen von einem Notar in des Amtmanns Stube im Laubacher Schloss ein Notariatsinstrument aufnehmen37. Obwohl 34

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Nach von Cramer (Wetzlarer Nebenstunden Teil 20 Nr. 2, S. 8ff.) wiesen die 216 steuerpflichtigen Untertanen zu Laubach ein zu versteuerndes Vermögen von 49.736 fl. auf, die 124 Freiensener Steuerpflichtigen ein solches von 20.691 fl. Bemerkenswert die Veränderung bis zum Jahre 1694: In Laubach gab es in diesem Jahr nur noch 210 Untertanen mit einem Vermögen von 58.560 fl., in Freienseen dagegen 141 Steuerpflichtige mit 32.597 fl. Wer nach Gemeinem Recht klagen wollte, musste sich auf eine der darin vorgesehenen actiones (Klageformeln) stützen können. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXI Originalia III. Nr. 41.

Graf Friedirch Magnus I. gegen die Freienseener

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die Ungehorsamen den Grafen im Namen der ganzen Gemeinde Freienseen wegen verschiedener Sachen verklagt hätten, trügen doch keineswegs alle Einwohner des Dorfes diese Klagen mit. Auf ausdrücklichen Wunsch des Grafen erklärten alle Erschienenen, dass die Klagen nicht ihrem Willen entsprächen, wofür sie von ihren Nachbarn allerlei Ungemach hätten erdulden müssen. Am 18. September 1556 hätten sie gegen dieses Verfahren schon eine Protestationsschrift verfasst, die Konrad von Trohe für sie gesiegelt habe. Sie hätten darin dagegen protestiert, dass die Ungehorsamen im Namen der ganzen Gemeinde klagten und hätten sich wegen des ihrem Herrn geschuldeten Gehorsams von den anderen abgetrennt. Nachdem diese Schrift verlesen worden sei und alle Anwesenden erklärt hätten, dass dies ihr Wille sei, nahm der Notar darüber ein Instrument auf in Gegenwart des gräflichen Amtmanns und der beiden Sekretäre des Grafen sowie des Laubacher Pfarrers. Mit diesem Protestationsinstrument, dem sich die beiden auf Urfehde aus dem Gefängnis entlassenen Ebin Henchen und Boetz Henne aus Freienseen anschließen mussten38, begründete Graf Friedrich Magnus I. am 4. November 1556 in Speyer, dass die Kläger nicht hinreichend zu ihren Klagen legitimiert seien39. In diesem Instrument wird zum ersten präzisiert, was sich in der Wahl eines eigenen Hirten durch die Gehorsamen schon abgezeichnet hatte. In Freienseen hatten sich zwei Gemeinden mit jeweils eigenständigen Selbstverwaltungsorganen gebildet. Diese vom Grafen begünstigte Entwicklung sollte den Freienseenern noch allerlei Ungemach bereiten. Dies erkannten auch die juristischen Berater der Gemeinde. Sie hielten jedenfalls den Inhalt des Notariatsinstruments für wichtig genug, um am 10. Januar 1558 ausführlich darauf einzugehen40. Der Graf habe die protestierenden Gehorsamen nur deswegen zu dieser Aktion gegen ihre klagenden Nachbarn bewegen können, weil er ihnen angedroht habe, sie würden sonst alle Rechte verlieren und schwer bestraft werden. Die Protestation sei rechtsunwirksam, weil es anerkannten Rechtes sei, dass eine den Tatsachen widersprechende Protestation nichts gelte. Es sei aber offenbar und landkundig, dass die Freienseener dem Grafen nicht untertan und dieser nicht ihre Obrigkeit sei. Obwohl die Gemeinde so stark bedrängt worden sei, dass einige der armen Leute sich an einen anderen Ort hätten begeben müssen, wo sie Schutz und Schirm gegen die gräfliche Gewalt bekommen hätten, wolle sie lieber alles Mögliche erdulden, ehe sie sich von ihren Freiheiten und Rechten verdrängen 38 39

40

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten secundi mandati, 4. November 1556. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51 Protestation vom 4. November 1556 = LXXIII Nr. 20, Qu. 9 (Kopie aus anderer Akte) = LXIII Nr. 51 Parteiakten secundi mandati Qu. 19. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten Nr. 51, Qu. 20.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

lasse. Im Übrigen hätten die Protestierenden durchaus etwas von der Klage gewusst, weil dies allen in der Gemeinde bekannt gewesen sei. Nur Weiber und Knechte müssten davon nichts wissen, weil sie nicht zur Gemeinde gehörten. Der 12. Unterzeichner namens Boetz sei selbst sieben Mal persönlich in Speyer gewesen. Theyss Junge, der 21. Unterzeichner, habe mehr als ein Jahr lang Beiträge zum Kammergerichtskasten geleistet, womit indirekt verraten wird, dass die Gemeinde die Prozesse umlageweise finanzierte. Bei weiteren acht Unterzeichnern wird begründet, weshalb sie nicht zur Gemeinde gehörten, also auch nicht gegen die Prozesse der Gemeinde protestieren dürften. Zusätzlich zu den Angriffen auf die Tatsachen der Protestation, wiesen die Freienseener darauf hin, dass die Meinung, eine Gemeinde sei nicht vollständig, wenn sich einige von ihr absonderten, nach Baldus und Alexander Imola falsch sei. Dies war ein für die klagenden Freienseener wichtiges juristisches Gefecht, weil ihnen das Gericht mit Anerkennung der Protestation die Klagebefugnis hätte absprechen können, was aber nicht geschah. Sodann hatte die gräfliche Seite die Auseinandersetzungen auf einem anderen Kriegsschauplatz erneuert, auf dem sie den Rebellen allerhand Schwierigkeiten bereiten konnte, nämlich bei der für die Bauern existentiell wichtigen Waldnutzung. Am 1. Januar 1557 ließ der Graf einige Maibäume und andere Bäume schlagen und nach Laubach bringen41. Nicht zuletzt aber beschwerten sich am 22. März 1557 die Kläger darüber, dass sie in Not geraten seien, weil Graf Friedrich Magnus I. ihnen weitere 350 Schafe geraubt und sie trotz ergangener Mandate vom 4. Mai 1556 und 22. März 1557 weder restituiert noch ihren Wert erstattet habe42. Sie baten deshalb um ein neues, schärferes Mandat, hatten also die Hoffnung nicht aufgegeben, sie könnten die Auseinandersetzung mit Hilfe des Reichskammergerichts für sich gewinnen. Doch ihr Landesherr war ebenso hartnäckig wie sie. Er ließ am 24. Juni 1557 von seinen Dienern Gras der Freienseener, vornehmlich auf der Wiese von Hans Heintz und einiger armer Waisen, mähen und es nach Laubach bringen43. Als die Gräflichen am 25. Juni 1557 neues Gras mähen und abholen wollten, hatten die Freienseener wegen der Vorkommnisse des Vortages das Ihrige jedoch schon weggebracht, so dass die Amtleute unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Der Landesherr hatte dieses Vorgehen befohlen, weil die Ungehorsamen den Gehorsamen nichts vom Gras der Gemeindewei41

42 43

Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) libellus summarius vom 23. August 1557 = Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) 1560 März 6, Artikel 1+3. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Parteiakten Nr. 51, supplicatio wegen Urteils. Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) 1557 August 23= 1560 März 6, Artikel 7+9, 14+15 = Protestation vom 1557 August 18.

Graf Friedirch Magnus I. gegen die Freienseener

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den hätten abgeben wollen. Deshalb habe er ihnen durch einige Diener zu dem Ihrigen verhelfen müssen. Damit griff er aktiv ein in den Zwist innerhalb der Gemeinde um die Nutzung der Gemeindegüter. Dies setzte sich fort, als er am 27. Juni 1557 vier Freienseener gefangen nehmen und nach Laubach ins Gefängnis bringen ließ44. Er warf ihnen vor, die fetten Weiden, die allen zustünden, für sich allein abgemäht zu haben. Zudem hätten sie einige dem Grafen gehörende Rodewiesen gemäht, die sie zwar früher gegen Zins innegehabt hätten, die jetzt aber der Graf selbst nutze, womit er den Streit um die Nutzungsrechte an den Wüstungen oder Ausfeldern wieder aufgriff. Schließlich seien sie dabei ertappt worden, als sie auch noch die letzten Weiden gegen Recht und Verbot abmähten. Dies sei besonders strafwürdig, weil sie es während der Sonntagspredigt getan hätten. Die gemähten Weiden seien solmsisch und etwa eine Viertel Meile von Freienseen entfernt gelegen. Um die Unverfrorenheit der Freienseener besonders zu verdeutlichen, fügte der Prokurator sarkastisch hinzu, dass die Freienseener, wenn es so weitergehe, auch noch Schloss und Stadt Laubach beanspruchen würden, die ein halbe Meile von ihrem Dorf entfernt lägen. Der Streit um die Heuernte wurde aber auch auf unstreitig Freienseener Grund und Boden ausgetragen, offenbar, weil der Graf wieder für seine gehorsamen Untertanen Partei ergriff und Maßnahmen der Ungehorsamen gegen diese zu verhindern oder auszugleichen versuchte. So ließ er Hans Heintzen zwei Pferde wegnehmen sowie Heintz Möller und seine zwei Söhne gefangen nehmen und gewaltsam nach Laubach bringen, als sie ihr eigenes Gras mähen wollten. Außerdem hätten zwei solmsische Reiter zwei Freienseener, einen der lange Hans genannt, umgeritten, auf sie eingeschlagen und bis in den Ort verfolgt. Zwei andere solmsische Reiter hätten Johann Hessen und Ruprecht Schmidt, als sie im gräflichen Wald straffällig geworden seien, gewaltsam umgeritten und so heftig mit ihren Büchsen auf sie eingeschlagen, dass die eine Büchse entzwei gegangen sei. Als sie hätten fliehen wollen, hätten die Förster darauf verzichtet, von ihrer Waffe gegen sie Gebrauch zu machen und hätten sie nur gefangen nach Laubach führen wollen. Wenn auf den langen Hans geschossen worden sei, so liege dies daran, dass sich die Freienseener selbst immer mehr ihrer Büchsen bedienten, indem sie in seinem Wald schössen. Erst neulich habe man drei geschossene Hirsche gefunden, die nur von ihnen erlegt worden sein könnten. Als der Graf erkunden lassen wollte, wer dies getan haben könnte, wurde der lange Hans erwischt, wie er am Wasser auf Enten schoss. Der solmsische Knecht wollte ihm die Büchse abnehmen. Dagegen wehrte sich der lange Hans, indem er auf den 44

Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) 23. August 1557 = 1560 März 6, Artikel 5+6 = 1560 Juni 6, Artikel 10 = Protestation vom 18. August 1557.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

Knecht schoss, der daraufhin zurückgeschossen habe. Der lange Hans sei nur deshalb entkommen, weil er sich ins Wasser habe fallen lassen. Am 28. Juni 1557 verschärfte der Graf erneut den Druck, indem er viele Eichenbäume im Freienseener Gebiet vor dem Kreuzseener Berg fällen und nach Laubach bringen ließ45, womit wiederum die unterschiedliche Auffassung über die Berechtigung der Freienseener in den Wüstungen berührt war. Obwohl schon mehrfache Mandate des Reichskammergerichts ergangen waren, den Freienseener ihre Schafe zu restituieren und sie nicht entgegen dem Reichslandfrieden zu vergewaltigen oder sie zu beschweren, habe der Graf auch das jetzt ergangene Mandat mit Ladung auf die Poen des Landfriedens missachtet und sei nicht einmal zum Termin am 16. August 1558 erschienen. Stattdessen habe er seinem Schultheiß und seinen Laubacher Untertanen befohlen, am 13. August 1558 um 8 Uhr morgens schwer bewaffnet mit Büchsenschiessen in Freienseen einzufallen. Den Einwohnern seien ihre Tore und Türen gewaltsam geöffnet, Kisten und Schlösser aufgebrochen und ihr Inhalt nach Laubach mitgenommen worden, vor allem 19 Büchsen und 12 Stück Vieh. Der Schultheiß habe namens des Grafen gedroht, er werde mit ihnen noch ganz anders umspringen, wenn sie sich ihrem Herrn nicht wieder unterwerfen würden. Gegen diese Gewalttat erwirkten die Freienseener am 13. Oktober 1558 in Speyer ein Mandat, ihnen die Büchsen und das Vieh zu restituieren. Im Sommer des Jahres 1559 wurde Johann Volpen, der Pfeifer genannt, im Freienseener Buchenwald gefangen genommen und nach Laubach ins Gefängnis gebracht46. Für seine Freilassung musste er 20 fl. zahlen. Am 13. Juli 1559 traf dasselbe Schicksal Franz Oswalt, einen betagten Mann, als er auf dem Weg zum Markt in Grünberg war; sowie Hanns Hoff und andere Knechte auf dem Weg zur Arbeit auf dem Feld. Andere Freisenseener konnten vor der Verhaftung gerade noch rechtzeitig fliehen. Der gräfliche Prokurator bestritt die Sachverhalte nicht, sondern begründete sie damit, dass die Betroffenen sich wegen ihrer Rebellion alles selbst zuzuschreiben hätten47. Anfang des Jahres 1560 verschärfte sich die Spaltung der Gemeinde. Als Heintz Oswalt, ein gehorsamer Untertan des Grafen, im Februar 1560 etliches Holz für seine Bedürfnisse schlug, lauerten ihm zwei Ungehorsame heimlich auf und nahmen ihm mit Gewalt seine Axt ab48. Damit hätten sie, 45

46

47 48

Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) libellus summarius vom 23. August 1557 = 1560 März 6, Artikel 8. Zu diesem und den folgenden Vorfällen: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 46. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 47. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 48 Ziff. 1; Qu. 50 Ziff. 1.

Graf Friedirch Magnus I. gegen die Freienseener

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wie dieser meinte, den Grafen in seinem Besitz der Strafgewalt entsetzt, weil nur er strafweise Konfiskationen vornehmen lassen dürfe. Dahinter stand nach Ansicht der Klagenden jedoch, dass der Graf den Heintz Oswalt der Gemeinde abspenstig gemacht habe, so dass er solmsisch und von der Gemeinde abtrünnig geworden sei, ohne seine Bürgerpflichten zu erfüllen. Trotzdem habe er im Freienseener Wald eine Last Gerten geschlagen. Seit Menschengedenken besäßen die Freienseener diesen Wald in der Weise, dass sie jeden, den sie darin anträfen, abpfänden und strafen dürften. Mit dem Pfänden der Axt hätten sie also keinen Angriff gegen den Grafen begangen. Sie könnten diesen auch nicht im Besitz seiner Strafgewalt geschädigt haben, weil er keine Strafgewalt gehabt habe. Am 6. März 1560 klagten die Freienseener, dass der Graf durch seine Amtleute in Laubach etliche Freienseener Bürger mit allerlei Verheißungen auf seine Seite gebracht habe49. Mit diesen abgefallenen Freienseenern habe der Graf eine besondere Gemeinde in Freienseen aufgemacht. Auch habe er die Zusammensetzung der Gemeinde zu ändern versucht, indem er fremde, hergelaufene Leute in den Ort gesetzt habe. Der Graf habe dazu erklärt, dass er dies genauso tue wie seine Vorfahren auch, weil die neuen Leute besser und frommer seien als die mutwilligen Kläger. Damit wird gerichtskundig, dass Graf Friedrich Magnus I. die Spaltung der Gemeinde bis zur Bildung doppelter Gemeindeorgane systematisch förderte. Wie verbissen die Parteien mittlerweile waren, zeigte sich bei den geringsten Anlässen. Als am 12. März 1560 zwei gräfliche Förster in gräflichen Wäldern Leute von Weckersheim verhaftet hatten50, die sie auf dem Weg nach Laubach durch Freienseen führen mussten, eilten ungehorsame Freienseener Bauern herbei und wollten den Förstern die Täter abjagen. Damit wirkte sich der Abwehrinstinkt gegen obrigkeitliche Maßnahmen nicht mehr nur zugunsten von Mitbürgern aus, sondern es reichte, dass gräfliche Amtsträger irgendeine Amtshandlung vollzogen, um diesen Reflex auszulösen. Das Eingreifen der Freienseener ermutigte einen der Täter zu dem Versuch, dem einen Förster seine Büchse zu entwinden, wobei er ihn beinahe umgebracht habe. Nach Darstellung der Freienseener hatte sich der Aufruhr jedoch dagegen gerichtet, dass ein gräflicher Förster ihren Mitbürger Rühl Kuntz verhaftet gehabt habe. Ihm seien sie bis nach Laubach gefolgt, um sich darüber beim Grafen zu beschweren. Sie seien dem Förster dabei keineswegs zu nahe gekommen, sondern seien friedlich nach Freienseen zurückgekehrt. Allerdings hätten sie auch gehört, dass der Gefangene sich befreit habe. Er sei im Übrigen nicht in gräflichen Wäldern gefangen genommen, sondern auf Freien49 50

Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) Artikel 7–9. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 48 Ziff. 2; Qu. 50.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

seener Grund und Boden, also dort, wo die solmsische Obrigkeit keine Rechte hätte ausüben dürfen. Mittlerweile führte der Zwist innerhalb der Gemeinde zu erheblichen Gewalttaten gegen gehorsame solmsische Untertanen. Am dritten Fastensonntag vor Ostern (Oculi) 1560 erschien Chrispin Junghen und klagte in Laubach, dass ihm bei hellem Tage von Ungehorsamen neun große Steine ins Haus und zwei vor die Tür geworfen worden seien51. Diese legte er dem Grafen vor als Beweis dafür, dass man ihm nach Leib und Leben trachte. Da es ähnliche Vorfälle fast täglich gebe, bat er den Grafen, seine gehorsamen Untertanen vor solcher Gewalt zu schützen, weil sie sonst gezwungen würden, mit Weib und Kind das Dorf zu verlassen. Dieser Bitte kam Friedrich Magnus I. gern nach, da er, wie es in einem notariellen Protestationsinstrument vom 24. April 1560 heißt52, als von Gott gesetzte Obrigkeit seine Untertanen vor Gewalt und Unrecht schützen müsse. Der Graf bedurfte dieses Instruments zur Wahrung seiner Position gegenüber dem Reichskammergericht. Er konnte damit nachweisen, dass er die während laufender Verfahren gebotene Friedenspflicht in Freienseen nicht verletzt habe. Umgekehrt führte der Graf auf, wie oft und wie intensiv die Aufrührer seine gehorsamen Untertanen malträtiert hätten, womit sie ihrerseits verbotene Attentate während des Verfahrens primi mandati begangen hätten. Die mutwilligen, aufrührerischen Bauern sollten lieber ihre Klage beweisen und zu den dazu bestimmten Tagen erscheinen. In der Tat hatte Dr. Dick, der Freienseener Prokurator, mehrfach Fristen verstreichen lassen53, jedoch keineswegs über das auf beiden Seiten auch sonst übliche Maß hinaus, so dass dieser Beschwerdepunkt hergeholt klingt. Im Zuge dieser gewaltsamen Eingriffe in die innerdörflichen Auseinandersetzungen hatte die gräfliche Seite wieder einmal sieben Freienseener inhaftiert. Am 21. Juni 1560 berichtete er seinem Prokurator in Speyer von deren Entlassung aus dem Gefängnis54. Sie hätten für die zu erwartende Poen Kaution gestellt und bei der Entlassung eidlich versichert, dass sie nicht geschlagen worden seien und es im Turm kein stehendes Wasser gebe. Dies waren immer wiederkehrende Vorwürfe gegen die Gefangenhaltung im Turm zu Laubach, dass die Gefangenen dort misshandelt würden und in gesundheitsbedrohender Feuchtigkeit vegetieren müssten. Solchen nachträglich erhobenen Vorwürfen sollte durch diese Klauseln der Urfehden von Anfang an vorgebeugt werden. 51 52 53

54

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 48, Ziff. 3. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 48. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50 Protokoll: 1559 Oktober 20. 1560 März 6. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 49.

Verläufe der Prozesse

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Als Graf Friedrich Magnus I. am 13. Januar 1561 vor Vollendung seines 40. Lebensjahres starb, hinterließ er seiner Witwe Agnes von Wied und seinen unmündigen Kindern, darunter den Söhnen Johann Georg I. zu Solms-Laubach und Otto zu Solms-Sonnewalde, sieben laufende Verfahren am Reichskammergericht55, die im Laufe der letzten eineinhalb Jahrzehnte in Speyer rechtshängig gemacht worden waren. Die Freienseener hatten durch ihre Leugnung der solms-laubachischen Obrigkeit in ihrem Dorf immense wirtschaftliche Einbußen erlitten. Pferde, Schweine, mehrere Schafherden und zahlreiche Rinder und Kühe sowie Hausrat und Büchsen hatte der Graf bei ihnen pfänden lassen. Auch mussten sie das Zerschlagen ihrer Weinfässer und die Zerstörung von Hausrat erdulden. Sicherlich hatten einige das Knie gebeugt und die gräflichen Herrschaftsrechte in Freienseen anerkannt, so dass sie das ihnen gehörende Vieh zurückerhielten. Insgesamt aber wurde Freienseens Wirtschaftskraft tiefgehend geschädigt, ohne dass Graf Friedrich Magnus I. den Widerstandswillen der Freienseener damit hätte brechen können. Das gelang ihm auch nicht durch häufige Inhaftierung von Rädelsführern, auch wenn diese, um die Freilassung zu erlangen, in Urfehdebriefen schwören mussten, sich von den prozessführenden Ungehorsamen abzuwenden und zukünftig gehorsam zu sein. Immer wieder wurde dem Gericht das Anliegen vorgetragen, solche Urfehden und Eide als erzwungen für nichtig zu erklären. Das Reichskammergericht hat niemals einen der Kläger wegen einer solchen eidlichen Verzichtserklärung auf die Teilnahme an den Prozessen von diesen ausgeschlossen.

5.2.

Prozessverläufe

Insgesamt war es der Landesherrschaft jedoch gewiss lästig, sich immer wieder in Speyer am Reichskammergericht rechtfertigen zu müssen. Das kränkte nicht nur den Stolz, sondern nahm auch zunehmend erhebliche Zeit und Gelder in Anspruch, ohne dass der Rechtsfrieden in absehbarer Zeit wiederhergestellt werden konnte, wie eine Beobachtung der Prozessverläufe zeigt56.

55

56

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50 primi mandati (1554 September 9); Nr. 51 secundi mandati (1555 Oktober 22); Nr. 98 wegen Kassation des Wappenbriefs (1555 Dezember 13); Nr. 66 tertii mandati (1557 August 16) = Nr. 60; Nr. 52 quarti mandati (1557 Oktober 15); Nr. 53 quinti mandati (1558 Oktober 3); Nr. 54 sexti mandati (1560 Mai 6). Die Beobachtungen ergeben sich, soweit nichts anderes zitiert wird, aus der Analyse der Prozessprotokolle.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

Das Verfahren primi mandati wegen der Pfändungen des Grafen zur Rückzwingung der Abtrünnigen unter die solmsische Herrschaft und die Freilassung der zum selben Zweck gefangenen Rädelsführer der Rebellion nahm einen ordnungsgemäßen Verlauf. Schon zwei Jahre nach der Rechtshängigkeit (9. September 1554) kam es zu einem Beweisbeschluss über die Einvernahme zahlreicher Zeugen für die Behauptungen der Klage, die allerdings durch den Tod des einen Kommissars aufgehalten wurde, bis ein Ersatzmann bestellt worden war. Eine weitere Komplikation trat dadurch ein, dass sich am 12. März 1557 der hessische Landgraf als Intervenient in den Prozess einschalten wollte. Der Prokurator der Freienseener erklärte sich schließlich damit einverstanden, dass Sachsen und Hessen, die beiden anderen neben Solms-Laubach am Schiedsverfahren über die hessischen Rechte in Freienseen Beteiligten, in das Verfahren einbezogen werden konnten und forderte sie auf, sich zu seinem Schriftsatz vom 9. November 1556 und den damit eingereichten 13 landgräflichen Schutzurkunden für Freienseen zu äußern. Doch wenige Tage später protestierte am 17. März 1557 der gräfliche Anwalt gegen diese Ausweitung der Zahl der Prozessbeteiligten. Nachdem der Freienseener Prokurator auch die Vertretung Hessens am 18. Juni 1557 übernommen hatte, und mit Bescheid vom 19. Oktober 1558 die Defensionalartikel vom 15. Februar 1555 und die Elisivartikel vom 30. Oktober 1555 angenommen worden waren, mussten die Zeugen über die Behauptungen der gräflichen Seite vernommen werden57. Am 19. April 1559 fertigte der vom Kommissar benannte Mainzer Maler Schining im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme über die gräflichen Defensionalartikel eine Augenscheinskarte58. Insgesamt gestaltete sich die schnelle Durchführung der Beweisaufnahme deswegen als schwierig, weil sich am 5. Mai 1559 herausstellte, dass der zum Kommissar bestellte Pfennigmeister die Zeugen nicht prima citatione hatte vernehmen können. Erst am 10. Mai 1559 wurden erneut drei Monate Frist pro tertia citatione zugestanden. Am 23. Februar 1560 konnte der Anwalt der gräflichen Seite schließlich berichten, dass der Pfennigmeister alle Zeugen verhört habe. Zudem fand vom 19. bis 22 bis August 1560 eine Zeugenvernehmung über die Elisiv-und Peremtorialartikel der Freienseener statt59, in deren Zusammenhang auf Antrag der Kläger am 19. August 1560 57 58

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Zeugenverhör: Gräfl. Archiv Laubach A. XXX. Freyenseensia 13, T. 1, fol. 3ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX. Freyenseensia Nr. 124 fol. 113v.–146v. Die Karte ist in den Akten nicht auffindbar. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 15, T. III, fol. 135–352. Auch diese Karte ist in den Akten nicht zu finden. Am 30. Juni 1781 fertigte Johann Jost Dienstorf, Geometer, eine Kopie vom „Original-Riß“ von 1560 aus den „Kommissionsakten vom 8. Oktober 1554 (sic!) – Folio 5–15“. (Nachweis von Krautwurst).

Verläufe der Prozesse

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eine neue Augenscheinskarte, dieses Mal vom Speyerer Maler Christoffer Heyl gefertigt wurde60. Das bis zu diesem Punkt gediehene Verfahren war beim Tode des Grafen damit durchaus sachgerecht behandelt worden, was aber keineswegs zu einer schnellen Entscheidung führte. Erst am 29. Januar 1574 fällte das Reichskammergericht in dieser Sache eine sententia diffinitiva. Allerdings beendete auch dieses Endurteil den Streit keineswegs, weil sich eine Auseinandersetzung um die Exekution des Urteils anschloss, die ebenso langwierig und kompliziert war wie das Verfahren bis zur Urteilsfindung. In dem ein Jahr später begonnenen Verfahren secundi mandati hatte es heftige Auseinandersetzungen über den Schutz-und Schirmbrief des Kaisers gegeben, den die Freienseener zu ihren Gunsten in den Prozess eingeführt hatten, so dass das Reichskammergericht am 1. September 1559 die Gemüter erst einmal beruhigen musste. In einem Bescheid ordnete es an, dass beide Prokuratoren sich zukünftig in ihren Schriften aller Ungehörigkeiten und jeglichen Schimpfs enthalten sollten, wenn sie die dafür vorgesehene Strafe vermeiden wollten. Der Prokurator der Bauern hatte es jedoch schon bis dahin so arg getrieben, dass er in die dafür vorgesehene Strafe der Reichskammergerichtsordnung verurteilt wurde. Die heftigen Dispute über diese Fragen hatten verhindert, dass der Prozess bis zum Tode des Grafen inhaltlich wirklich gefördert werden konnte. Im Citationsprozess des Grafen wegen Kassation des Wappenbriefs sind ebenfalls keine inhaltlichen Fortschritte zu beobachten, weil der Prokurator der Freienseener sachgerechte Prozesshandlungen verzögerte. Noch am 26. Juni 1556 versuchte er, den Fall prozessual abzuwenden, indem er bestritt, dass Graf Friedrich Magnus I. sich für sein Begehren auf eine im gelehrten Prozessrecht notwendige Klageformel (actio) stützen könne61. Auf die Replik der Gegenseite und deren Conclusiones vom 31. August 155662 reagierten die Beklagten immer wieder nur zögerlich. Selbst nachdem dem Freienseener Prokurator am 22. Oktober 1557 gerichtlich aufgegeben worden war, binnen 14 Tagen zu antworten, ließ er sich damit doch bis zum 10. Januar 1558 Zeit63. Zuletzt reichte der gräfliche Sekretär Terhell am 3. Dezember 1558 responsiones ein. Von da an ruhte der Prozess für sechs Jahre, obwohl die gräfliche Seite besonders hätte interessiert sein müssen, ihn aktiv zu fördern.

60

61 62 63

Wie Anm. 57 fol. 13 v., 15 r+v, 24, 26, 40. mit Protest des gräflichen Anwalts, weil schon einmal ein Augenschein gemalt worden sei. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 6. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 7.

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Die erste Phase des Hauptprozesses (1554–1561)

Auch das dritte Mandatsverfahren gegen Graf Friedrich Magnus I. und Konsorten wegen Verwirkung der Poen des Landfriedens und Rückerstattung von gepfändetem Vieh sowie Freilassung von Gefangenen, das am 16. August 1557 begann, machte bis zum Januar 1560 keine rechten Fortschritte64. Der Prokurator Freienseens beantragte am 15. März 1563 in diesem Fall, dass er diese Sache zum Verfahren primi mandati ziehen und dort erörtern wolle. Doch weder der Beklagtenanwalt noch das Gericht ließen sich darauf ein. Dr. Bräunlin wollte Dr. Dick nur eine angemessene Frist zur Beantwortung einräumen. Dann solle die Sache für beschlossen erklärt werden. In diesem Sinne erteilte das Gericht am 22. März 1563 den Bescheid, dass Dr. Dick wegen der Gefangennahmen und anderer friedbrüchiger Handlungen des Grafen und seines Schultheißen Frist für seine Replik auf den Schriftsatz des Beklagten vom 14. Juni 1560 gewährt werde. Handele er dann nicht, so würden diese Punkte für beschlossen angenommen. Diese Entschlossenheit sowie das folgende Geplänkel um die Benennung von Kommissaren zur Beweisaufnahme erweckt die Hoffnung, dass wenigstens dieser Prozess sachgerecht beendet werden würde. Doch Dr. Fichard blieb nach Übernahme des Mandats am 1. September 1564 ein Jahr lang untätig. Schließlich erließ das Gericht am 2. Dezember 1566 den Bescheid, dass Dr. Dick zu den Einwendungen gegen die am 10. Januar 1564 benannten Kommissare Stellung nehmen solle. Zugleich aber wurde die Behandlung der Sache bis zur Erledigung des Hauptverfahrens zurückgestellt. Sie wurde niemals wieder aufgenommen. Der vierte Mandatsprozess wegen Landfriedensbruchs, der seit dem 15. Oktober 1557 rechtshängig war, war bis zum Tode des Grafen nicht über die ersten Prozesshandlungen hinausgekommen65. Danach kam es auch in diesem Prozess zu Diskussionen darum, ob das Verfahren bis zur Beendigung des Prozesses primi mandati ausgesetzt werden solle. Am 22. März 1563 entschied das Gericht, dass Dr. Dick in Sachen Landfriedensbruch, Gefangene und abgehauenes Holz auf die Einwendungen vom 14. August 1560 eingehen müsse. Nach einem Disput über die Kommissare zur Beweiserhebung vom 19. April 1563 bis zum 20. Januar 1565 beendete Dr. Dick das Verfahren mit dem Hinweis auf den Hauptprozess am 2. Dezember 1566. Danach gibt es keine Prozesshandlungen mehr in dieser Sache. Auch gegenüber dem 5. Mandat, das am 3. Oktober 1558 in das kontradiktorische Verfahren überführt worden war66, vertrat die gräfliche Seite zunächst den Standpunkt, dass sie dem Mandat nicht gehorchen müsse, weil die 64

65 66

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 66. Die folgenden Angaben sind dem Protokoll der Akte entnommen. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 52. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 53.

Verläufe der Prozesse

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beanstandeten Maßnahmen in Ausübung landesherrlicher Gewalt vorgenommen worden seien. Am 21. August 1559 erging schließlich der Bescheid, dass der Beklagte noch nicht in die im Mandat für den Ungehorsam angedrohte Poen verurteilt werden solle. Dagegen sollten die Kläger auf die exemtiones und die Widerklage vom 5. Oktober 1558 antworten. Bis zum Tod des Grafen wird Dr. Dick verurteilt, auf die Exemtionen und die Widerklage vom 5. Oktober 1558 einzugehen. Da er dies nicht tat, wurde er mit Bescheid vom 22. März 1563 erneut dazu verurteilt. Das 6. Mandat wegen Freilassung Inhaftierter, das erst am 6. Mai 1560 am Gericht eingereicht worden war, war vom Freienseener Prokurator anfangs mit besonderem Nachdruck betrieben worden. Es sei, trug er am 15. März 1560 vor, extremum periculum in mora, weil die armen Leute gefährlich gefangen gehalten würden, und einige von ihnen krank seien. Die Weigerung des gräflichen Prokurators, sich über einen Protest hinaus auf die Klage einzulassen, führte am 20. Mai und erneut am 10. Juni 1560 zu Bescheiden des Reichskammergerichts, dass der Beklagte sich auf die Klage einlassen müsse. Andernfalls werde die Sache als beschlossen angenommen. Trotz dieser Dringlichkeit schlief das Verfahren beim Tod des Grafen ein und wurde niemals wieder reaktiviert. Vielleicht waren die Gefangenen freigelassen worden, ohne dass dies nach Speyer gemeldet worden war, so dass die Kläger das Interesse an der Fortführung verloren hatten. Alle während der Regierungszeit des Grafen Friedrich Magnus I. begonnenen Prozesse waren somit bei seinem Tod unerledigt. Vorwiegend stellten die Kläger ihre Bemühungen ein, weil alles von der Entscheidung der Hauptsache abhänge. In der Tat hingen die in diesen Verfahren aufgeworfenen Fragen vom Zentralproblem des Prozesses primi mandati ab, ob Freienseen ein freies Reichsdorf war oder solms-laubachischer Landesobrigkeit unterstand und deshalb die vom Grafen getroffenen Maßnahmen hinnehmen musste.

6. Die letzte Wegstrecke zum Endurteil im Hauptverfahren Nach dem Tod des Grafen Friedrich Magnus I. wurden für dessen Witwe Agnes, geborene Gräfin zu Wied, und die minderjährigen Kinder die Grafen Philipp zu Solms-Braunfels und Johann II. zu Wied-Runkel zu Vormündern bestellt1. Diese bevollmächtigten am 26. Mai 1561 den schon für Graf Friedrich Magnus I. tätig gewesenen Licenciaten Mauritius Bräunlin zur Fortsetzung des Verfahrens primi mandati. Bräunlin nahm mit der Überreichung der Vollmachtsurkunde am 20. Oktober 1561 den Prozess wieder auf2. Schon vor dieser Unterbrechung des Verfahrens hatten die Parteivertreter begonnen, sich zum Abschluss des Verfahrens mit den Beweismitteln auseinanderzusetzen und vor allem die Beweiskraft der gegnerischen Zeugen zu entkräften. Der Freienseener Prokurator Dr. Dick erklärte Zeugen für unglaubwürdig wie etwa Heintz Oswalt, weil dieser durch den Grafen der Gemeinde abspenstig gemacht worden sei, sich jedoch seiner Bürgerpflichten nicht entledigt habe3. Oder er erklärte, die Behauptung, einem Freienseener seien neun Steine ins Haus geworfen worden, sei ein offensichtlicher Ungrund, der niemals bewiesen werden kann4. Eine schwere Beleidigung war sein Vortrag, der gräfliche Schultheiss habe zu den sieben Gefangenen gesagt Wo ist Euer Kaiser? Wie hilft er euch so fein? Und dergleichen Schmähworte mehr. Dem hielt der solmsische Anwalt entgegen, dass der Graf es nicht nötig habe, Oswalt oder irgendeinen anderen der Gemeinde Freienseen abspenstig zu machen, weil sie ohnehin alle seine geschworenen Untertanen seien5. Die Aussagen über Äußerungen des Schultheissen seien erlogen6. Dieser sei von Jugend an bis in sein hohes Alter von jetzt über 80 Jahren gut kaiserlich gewesen. Er sei auch zu ernst und zu klug für solche leichtfertigen Worte. Man sieht, dass mit harten Bandagen gekämpft wurde, um die Beweise im Sinne der eigenen Mandanten zu bewerten oder abzuwerten. Allerdings begnügte sich das Gericht nicht mit oberflächlichem Geplänkel. Als der Prokurator Dr. Dick für Freienseen sich am 26. Januar 1562 in der Audienz nur auf die von ihm am 8. Januar 1561 eingereichten Zeugenaussagen zu seinen Elisivartikeln und den beigefügten Augenschein des Malers 1

2 3 4 5 6

Der Kammerrichter Bischof Michael von Merseburg bestätigte am 9. Januar 1570 diese Vormundschaftsbestellung: Gräfl. Archiv Laubach, B. Nr. 1060. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 50, 1560 Juli 6. Wie Anm. 3. Wie Anm. 3, Qu. 51. 1560 Oktober 2. Wie Anm. 5.

Die letzte Wegstrecke zum Endurteil im Hauptverfahren

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Christoff Haseln berief7, beschied das Gericht ihn am 23. Februar 1562, er solle auf das über die Verteidigungsartikel vorgenommene Zeugenverhör eingehen. Da die Zeugenrolle 500 Blätter umfasse, erbat Dick eine Frist von sechs Wochen, während Bräunlin nur einen Monat zu benötigen meinte8. Beide Anwälte ließen sich aber weit mehr Zeit. Erst mehr als ein Jahr später am 15. März 1563 wurde Freienseen wieder aktiv9. Der Klägeranwalt trug in der Audienz vor, dass beide Seiten die Beweismittel lange genug gesehen und darauf gehandelt hätten, weshalb man jetzt zum Schluss kommen könne und solle. Obwohl er weiter darauf hinwies, dass der Gegenanwalt seit dem 12. November 1561 genügend Zeit gehabt habe, gewährte das Gericht Bräunlin auf seine Protestation am 22. März 1561 eine neue Frist von einem Monat10. Dieses Mal überschritten die Prokuratoren die gewährte Frist nur um einige Tage, indem Dick am 12. Mai 1563 und Bräunlin am 17. Mai 1563 ihre zusammenfassenden Stellungnahmen abgaben. Solms ließ am 17. Mai 1563 vortragen, es sei hinreichend bewiesen, dass Freienseen zur Grafschaft Solms gehöre. Das hätten alle Zeugen so ausgesagt, ausgenommen der zweite, der sich jedoch selbst als Ausländer bezeichnet habe, und der 50. Conrad Magersuppe, der jedoch als Schreiber und Ratgeber der Kläger parteiisch sei. Trotz dieser Beweislage wollten die Freienseener gantz vogelfrey, auch mit der geringsten servitus und subjection nit bemachtet sein11. Wieder begründete der Solmser Prokurator die Pfändung des Viehs und die Gefangensetzung einiger Freienseener damit, dass der Graf seine Obrigkeit habe schützen müssen, und um ferneren Unrat und böse Exempel, so andere gräfliche Untertanen daraus nehmen möchten, zu verhüten. Am 27. Mai 1563 schob Prokurator Bräunlin nach12, dass die Kläger keine Gemeinde sondern nur einzelne Personen seien13. Insbesondere aber wandte er ein, dass jeder der Freienseener Zeugen seinen eigenen Nutzen verfolge, weil er ein Mitbürger sei oder mindestens in dieser Sache sollizitiert habe. Sogar die Kommission habe sich bei der Zeugenvernehmung parteiisch zugunsten der Kläger verhalten. Genauso allgemein diskreditierte Dick die Unparteilichkeit der gräflichen Zeugen, indem er am 24. 7 8 9 10 11 12 13

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Protokolleintrag. Wie Anm. 7, Eintrag zu 1562 Februar 23. Wie Anm. 7, Eintrag zu 1563 März 15. Wie Anm. 7, Eintrag zu 1563 März 22. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 56. Wie Anm. 11, Qu. 57. Schon in der Probationsschrift des Solmser Prokurators vom 17. Mai 1563 (Qu. 55) hatte Bräunlin darauf hingewiesen, dass der 24. und 25. Zeuge bekundet hätten, wie über der Rechtfertigung gegen den Grafen die Gemeinde geteilt worden sei. Der 26. Zeuge habe sogar gesagt, dass etwa ein Drittel mit der Rechtfertigung nichts zu tun habe.

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Die letzte Wegstrecke zum Endurteil im Hauptverfahren

März 1563 darauf hinwies, dass sie fast alle Diener des Grafen oder diesem anderweitig zugetan seien14. Der 32. Zeuge, Herr Sintram Lutz, sei Pfarrer zu Freienseen und habe geholfen, die Kirche zu berauben und das Schloss von der Kirchentür abzuschlagen. Am 20. Januar 1564 bestritt der Solmser Anwalt, dass die Solmser Zeugen unglaubwürdig seien, nur weil sie dem Grafen halfen, seine Rechte durchzusetzen15. Der gewesene Pfarrer zu Freienseen, Herr Sintram, habe die Kirche nicht spoliiert und das Schloss aufgebrochen. Vielmehr habe es sich so abgespielt, dass dieser auf Veranlassung des Grafen Friedrich Magnus I. dabei gewesen sei, als das Pfarrhaus inventarisiert wurde. Das Schloss habe der Graf durch einen Schlosser auswechseln lassen, weil man sonst die Kirche nicht hätte betreten können. Immer wieder glaubte der eine Prokurator, im Interesse seiner Partei Einlassungen des Gegenanwalts nicht unbeantwortet lassen zu können, ohne dass das Gericht dem Einhalt gebot. Zwei Prokuratorenwechsel waren darüber notwendig geworden16. 1566 unterließ der neue solmsische Prokurator Dr. Fichard es, auf die Freienseener Einwendungen gegen die solmsischen Beweise vom 2. April 1565 einzugehen. Gleichwohl akzeptierte das Gericht Dr. Dicks Antrag vom 3. November 1567 nicht, das Verfahren wegen Ungehorsams der Beklagten für beschlossen anzunehmen und damit den Prozess zu beenden. Vielmehr ließ es zu, dass der neue Prokurator Dr. Fichard am 23. Januar 1568, also mit erheblicher Verspätung, zwei Schriftsätze einreichte, auf die Dr. Dick nur deshalb eingehen musste, weil ein Bescheid vom 31. Mai 1568 ihn dazu zwang. Nachdem er am 3. Dezember 1568 der gerichtlichen Auflage nachgekommen war, brachte der Ausfall des Prokurators Fichard, an dessen Stelle im Mai 1569 Licenciat Sylvius trat, erneut eine Verzögerung von zwei Jahren. Erst am 18. Juni 1571 übergab Sylvius seinen Schlussschriftsatz zusammen mit der Beurkundung einer Steinsetzung zur Grenzfeststellung und der beglaubigten Kopie des Weimarer Laudums. Am 20. August wehrte sich Dr. Dick gegen die dem Freienseener Augenschein widersprechende Steinsetzung. Dass das Prozessprotokoll nach der letzten anwaltlichen Initiative vom 25. September 1571 wiederum keine Einträge sachdienlicher Handlungen der beiden Prokuratoren mehr verzeichnet, zeugt in diesem Fall nicht von zögerlicher Haltung der Parteien oder des Gerichts, sondern ist wohl als ein Indiz für den langwierigen Entscheidungsprozess des Gerichts zu werten. Der Prozessstoff war im Laufe der Jahre immer umfänglicher und unüber14

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Exceptiones et probationes der Freienseener: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 58. Wie Anm. 14, Qu. 60. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Protokolleinträge zu 1564 September 1 (Dr. Caspar Fichard), 1569 Mai 29 (Licenciat Sylvius).

Das Auslaufen der anderen noch unerledigten Verfahren

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sichtlicher geworden, so dass die Urteilsfindung Zeit brauchte. Das leuchtet ein, wenn man das am 20. November 1574 verkündete Endurteil liest.

6.2.

Das Auslaufen der anderen noch unerledigten Verfahren

Von den anderen während der Regierungszeit des Grafen Friedrich Magnus I. in Speyer angestrengten sieben Verfahren17 waren zwei noch zu seinen Lebzeiten beendet worden18, so dass die vormundschaftliche Regierung noch fünf Prozesse weiter zu betreuen hatte. Den Prozess, der aus dem zweiten Mandat erwachsen war19, nahmen die Prokuratoren nur zaghaft wieder auf. Den Versuch des Freienseener Anwalts vom 15. März 156320, die weitere Behandlung dieses Falles bis zur Erörterung des Hauptverfahrens auszusetzen, lehnte Dr. Bräunlin ab. Ihm stimmte das Gericht zu, indem es Dr. Dick am 22. März 1563 verurteilte, bis nach den Gerichtsferien auf die Litiskontestation des Beklagtenanwalts zu antworten21. Doch nach Dr. Bräunlins Tod zeigte der neue Solmser Anwalt Dr. Fichard22 weit weniger Interesse an der intensiven Fortsetzung des Verfahrens. Er nahm es hin, dass Dr. Dick auch im Jahr 1565 dem Bescheid vom 22. März 1563 nicht entsprach. Nachdem dieser am 2. Oktober 1566 erklärt hatte. dass er die Sache bis zur Erörterung der Hauptsache zurückstellen wolle, erklärte Dr. Fichard sich damit am 5. Mai 1567 einverstanden. Auch nach dem Endurteil im Prozess primi mandati nahmen die Kläger das Verfahren nicht wieder auf, so dass dieses Verfahren unerledigt blieb. In dem für Graf Friedrich Magnus I. so wichtig gewesenen Prozess wegen Kassation des Wappenbriefes23 kam es nur kurzfristig zu neuen Prozesshandlungen. Nach dem 15. November 1571 schlief dieser Prozess für Jahrzehnte wieder ein. Auch im Citationsprozess wegen Verwirkung der Poen des Landfriedens und Rückerstattung von gepfändetem Vieh, der am 16. August 1557 begonnen hatte24, erreichte Dr. Dick am 2. Dezember 1566, dass die Behandlung der 17 18

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Kap. 5.1, Anm. 53. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 25; Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1), tertii mandati. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 51. Eintragung im Prozessprotokoll. Eintrag im Prozessprotokoll. Am 5. September 1564 zeigte Dr. Fichard die Übernahme des Mandats an. Am 1. Dezember überreichte er die Vollmacht der Vormünder. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 66.

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Die letzte Wegstrecke zum Endurteil im Hauptverfahren

Sache bis zur Erledigung des Hauptprozesses zurückgestellt wurde. Auch diesen Fall nahmen die Kläger niemals wieder auf. Im Prozess wegen unrechtmäßiger Pfändung des Baltasar Heintzen25 hatte das Gericht zwar am 22. März 1563 den Antrag von Dr. Dick auf Zurückstellung bis zum Endurteil primi mandati zurückgewiesen, was jedoch nicht verhinderte, dass der Prozess seit dem 1. Februar 1564 einschlief. Dasselbe Schicksal war dem letzten zu Lebzeiten des Grafen Friedrich Magnus I. angestrengten Mandatsprozess wegen Freilassung von Gefangenen beschieden26, obwohl der Klägeranwalt die Dringlichkeit einer Entscheidung mit dem Argument der äußersten Gefahr für Leben und Gesundheit der Gefangenen plausibel zu machen versucht hatte. Seit dem 16. August 1560 sind gleichwohl keine Prozesshandlungen mehr zu verzeichnen. Vielleicht waren die Gefangenen schließlich doch entlassen worden, so dass man den Mandatsprozess nicht mehr fortsetzen musste und konnte. Alle während der Regierungszeit des Grafen Friedrich Magnus I. begonnenen Prozesse waren bei seinem Tod noch unerledigt. Bis auf das Hauptverfahren stellten die Beteiligten nach dem Tode des Grafen jedoch ihre Bemühungen um ein Endurteil ein. Teils mag sich der Fall erledigt haben. Teilweise erklärten die Beklagten, dass alles von der Entscheidung vom Urteil in der Hauptsache abhänge. Stehe Freienseen unter solmsischer Obrigkeit, so seien die Maßnahmen des Grafen gerechtfertigt, während er gegen Freienseen als freies Reichsdorf so nicht hätte vorgehen dürfen.

25 26

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 53. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 54.

7.

Das Endurteil in der Hauptsache vom 10. November 1574

Nach 20-jährigem hartnäckigen Ringen sprach das Reichskammergericht am 10. November 1574 seine sententia diffinitiva, das Endurteil, in der Hauptsache1. Das Gericht entschied, dass die Söhne des verstorbenen Grafen Friedrich Magnus, die Grafen Hans Georg und Otto II.: 1.) Den Freienseenern nicht die Schlüssel zur Kirche und die Kirchenbauregister wegnehmen und dadurch ihre Kirche verschließen und sie ihnen vorenthalten dürften. 2.) Ebenso sei es ihnen nicht gestattet, von ihnen die jährlichen viertägigen Jagd-Dienste zum hohen Wildbret und von denjenigen, die nicht ihre Leibesangehörigen sind, die Fron zur hohen Jagd noch auch Gerichtshühner und Gerichtsbrote abzufordern. 3.) Sie sollten sich auch zu Freienseen keinen Zoll anmaßen. 4.) Die beiden Grafen müssten den Freienseenern die ihnen abgenommenen Kirchenschlüssel und Kirchenbauregister auch das abgepfändete und noch ausständige Vieh – so wie es in der artikulierten Klageschrift benannt worden sei – wie Kühe, Schafe, Rösser und Schweine restituieren oder, sofern nicht mehr vorhanden, den billigen Wert dafür ersetzen. 5.) Doch müssten die Freienseener sich dabei einen gebührenden Abzug für die aufgeätzten Äcker und verweigerten Zinsen, Gülten und Renten und die im 16. Defensionalartikel (ausgenommen die zur Hasenjagd) spezifizierten Dienste2 anrechnen lassen. Sie seien zudem verpflichtet, diese zukünftig zu leisten. 6.) In allen übrigen Punkten werde die Klage abgewiesen. 7.) Die Gerichtskosten würden gegeneinander kompensiert. Dieser detaillierte Spruch konnte die Kläger, auch wenn sie in vielen Punkten Recht bekommen hatten, nicht wirklich zufriedenstellen. Er erkannte nicht ausdrücklich an, dass Freienseen als freier Flecken des Reiches den Solmsern überhaupt nicht untertan sei, wie die Kläger es meinten, mit den 1

2

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Eintragung im Prozessprotokoll sub dato. Gedruckt: Abdruck (wie Kap. 4.2 Anm. 15), S. 21. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXYXIII Nr. 50, Qu. 7. In Artikel 16 hatte Graf Friedrich Magnus I. behauptet, die Freienseener schuldeten ihm spezifizierte Fronen und Dienste u. a. zum Heumachen, Heufahrten und Holzfuhren auch Dienste zum Jagen. Die Freienseener bestritten dies (Qu. 13) und setzten dagegen (Qu. 11), dass sie dem Grafen nur von den Ausfeldern der Wüstungen Dienste hätten leisten müssen. Da der Graf ihnen die Ausfelder aufgekündigt habe, seien sie auch nicht mehr zu diesen Diensten verpflichtet.

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Das Endurteil in der Hauptsache

Kaiserurkunden vom 9. Januar 1555 belegt zu haben. Andererseits wurde auch der gräflichen Seite nicht ausdrücklich zugesprochen, dass das Dorf Freienseen als Teil der Grafschaft Solms-Laubach ihrer Obrigkeit unterworfen sei, wie sie es immer wieder zur Abwehr der klägerischen Forderungen beansprucht hatte. Das Urteil blieb also gerade gegenüber den Besonderheiten des Falles indifferent und entsprach nur dem, was man auch aus anderen Untertanenprozessen kennt: Übermäßige Forderungen des Herrn, die nicht dem Herkommen entsprechen, werden zurückgewiesen. Die bei gewaltsam durchgesetzten Ansprüchen den Untertanen weggenommenen Gegenstände müssen folgerichtig restituiert oder ersetzt werden. Welche juristischen Gründe zu dieser Urteilsfindung geführt hatten, ist heute nicht mehr feststellbar, weil schriftliche Relationen, in denen die Assessoren den Fall zur Entscheidungsreife erörterten und denen man die Gründe für die Urteilsfindung entnehmen könnte, aus dieser Zeit nicht überliefert sind. So ist insbesondere nicht erkennbar, welche Rolle die Kaiserurkunden bei der Entscheidungsfindung gespielt hatten – oder auch nicht. Ebenso blieb die Frage der Obrigkeit im Dorf offen. Auch wenn man versuchen würde, gedanklich die für die einzelnen Entscheidungspunkte möglichen Rechtsgrundlagen ausfindig zu machen, gewönne man für die zentralen Punkte keine größere Klarheit, weil man jeden einzelnen Teil der Entscheidung so begründen kann, dass lediglich dem Herkommen entsprochen werden sollte, ohne dafür die Obrigkeit im Dorf bemühen zu müssen: – Kirchenschlüssel und Kirchenbauregister stehen nach Ansicht des Gerichts sachgerechterweise denjenigen zu, die den Bau errichtet und ihn daher zu unterhalten hatten, also hier der Gemeinde Freienseen, die die Kirche in ihrem Dorf selbst erbaut hatte. – Bei den Jagddiensten unterscheiden die Assessoren zwischen der Hohen Jagd und der Hasenjagd. Die Fron zur Hohen Jagd schulden nur solmslaubachische Leibesangehörige, die auch Gerichtshühner und Gerichtsbrote abliefern müssen. Die Kläger, überwiegend hessische Leibesangehörige, sind dagegen davon frei, weil diese Dienste und Abgaben aus der personalen Bindung der Leibeigenschaft fließen. Gegenüber den landgräflich-hessischen Leibesangehörigen verschafft keine Landesherrschaft oder Obrigkeit den Grafen zu Solms-Laubach solche Rechte. Umgekehrt würden die Rechte aus der Leibeigenschaft den Grafen zu Solms-Laubach auch in einem freien Flecken des Reiches zustehen, da sie sich nicht aus der Obrigkeit über den Ort ableiten, sondern aus der personalen Bindung der Leibeigenschaft.

Das Endurteil in der Hauptsache

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– Die Versagung des Zolles in Freienseen muss nicht darauf hindeuten, dass das Gericht meinte, den Grafen zu Solms stehe im Dorf die Obrigkeit nicht zu, denn seit dem Mittelalter war es untersagt, willkürlich neue Zölle einzurichten, so dass auch in diesem Punkt nur ein dem Herkommen entsprechender Rechtszustand wiederhergestellt worden sein könnte. – Die nach Ziffer 5 den beiden Grafen zustehenden Dienste und Fronen sind keineswegs zwingend aus gräflicher Landesherrschaft abzuleiten, sondern stünden auch jedem anderen Grund- oder Leibherrn zu. Der Text des Urteils brachte also in dem für beide Parteien entscheidenden Punkt, wer im Dorf Freienseen die Obrigkeit besitze, keine Klarheit. Auch in den anderen Streitfragen war der Wortlaut des Urteilstenors nicht klar und aus sich heraus verständlich. – Für die Zahl der zu restituierenden Kühe, Schweine, Pferde und Schafe verwies das Urteil auf die artikulierte Klageschrift, die man also zur Hand haben musste, wenn man sich ein Bild machen wollte, wie viel Stücke die Grafen den Freienseenern herausgeben oder deren Wert sie ihnen ersetzen sollten. – Noch grösser ist die Unsicherheit über dasjenige, was sich die Freienseener nach Ziffer 5 anrechnen lassen müssen. Abgesehen davon, dass wieder nur durch einen Verweis – dieses Mal auf Artikel 16 der gräflichen Defensionalschrift – klargestellt wird, welche Dienste sie hätten leisten müssen und für deren Nichtleistung sie nun Schadensersatz zahlen sollen, sagt das Urteil insbesondere nichts Konkretes darüber, welchen Geldwert diese Dienste haben. Somit bleibt unklar, wie viel die Grafen also von dem von ihnen zu leistenden Wertersatz abziehen durften.

8.

Ein Endurteil – und doch kein Ende 8.1.

(Er-)Läuterungen des Urteils

Wenn die Freienseener gedacht hatten, dass sie nun endlich nach dem Endurteil den Lohn für ihre Mühen und Aufwendungen erhalten würden, weil die Grafen ihnen den Wert ihres abgepfändeten Viehes erstatten müssten, so hatten sie sich gründlich getäuscht. Anders als heute gab es keine Institution, der man ein Urteil des Reichskammergerichts übergeben konnte, damit es gegebenenfalls auch gewaltsam vollstreckt würde. Auch dieser Teil der Auseinandersetzung spielte sich vielmehr nur am Gericht ab. Da das Reichskammergericht keine Machtmittel in der Hand hatte, um seine Urteile durchsetzen zu können, war es auf die Mitwirkung der Parteien angewiesen. Es forderte die unterlegene Partei auf, dem Urteil bei Vermeidung einer hohen Geldbusse zu parieren. Der Adressat eines solchen Exekutorialmandats meldete dann mit einer Paritionsanzeige, wie er dem Urteil entsprochen zu haben glaubte. Ob damit der Fall wirklich erledigt war, stellte sich allerdings erst heraus, wenn auch die Gegenpartei dies anerkannte. Hatte sie Einwände, so schloss sich ein kontradiktorisches Nachverfahren an, das sich wieder über viele Jahre hinziehen konnte. Hatte das Hauptverfahren primi mandati 20 Jahre (1554–1574) gedauert, so lässt sich die zweite Phase der Vollziehung des Endurteils über weitere 60 Jahre verfolgen (1574–1634). Dies verdankte sich zumindest anfangs auch der Unklarheit darüber, was im Endurteil wirklich alles entschieden sei und was nicht, was sich sehr schnell am Problem der Erbhuldigung zeigte. Graf Hans Georg hatte die Freienseener schon im Dezember 1574 (Donnerstag nach dem Heiligen Christtag) zur neuen Erbhuldigung als Vorbedingung für die Restitution laden lassen wollen. Das hatten diese verweigert1. Damit stand fest, dass die Vorstellungen der gräflichen Seite von der Tragweite des Endurteils von denen der Dörfler weit abwichen. Die Kläger glaubten, dass das Endurteil ihre Position, nicht der solms-laubachischen Landeshoheit unterworfen zu sein, bestätigt habe2, während die beiden Grafen meinten, dass ihre Obrigkeit nie Gegenstand der Klage gewesen sei, so dass darüber im Urteil auch nichts gesagt worden sein könne3 – eine Meinung, die sie nach der späteren Bestätigung ihrer Position naturgemäß schnell aufgaben.

1

2 3

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 77, Paritionsschrift der gräflichen Seite. Anm. 1, Qu. 79. Anm. 1, Qu. 80.

(Er-)Läuterungen des Urteils

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Folgerichtig nahmen die Freienseener umgehend wieder Zuflucht beim Reichskammergericht und erwirkten am 16. Januar 1575 ein Exekutorialmandat, durch das dem Grafen bei Poen von 20 Mark Goldes die Erfüllung des Endurteils geboten wurde4. Da auch der Text dieses Mandats nichts über die Erbhuldigung sagte, konnte auch dieser Bescheid die Situation nicht klären. Nachdem die gräfliche Seite dem Gericht unterbreitet hatte, dass sie vorab auf einer neuen Erbhuldigung bestehe5, mussten auch die Kläger dem Gericht ihre davon abweichenden Schlüsse aus dem Urteil vortragen. Um diesen Widerspruch zu beseitigen, erbaten sie eine declaratio sententiae oder Erläuterung des Urteils6. Offenbar kam es häufiger vor, dass ein Urteil für Parteien keine Klarheit schaffte, so dass man das Gericht um (Er-)Läuterung des Spruchs bat7. Im 16. Jahrhundert war im Gemeinen Sächsischen Prozessrecht aus dieser bloßen Erläuterung eines unklaren Textes ein Rechtsmittel Läuterung oder leuteratio entstanden, das dem Gericht sogar die Möglichkeit gab, das Urteil ohne neue Verhandlung oder gar Beweiserhebung noch einmal rechtlich zu überprüfen und zweckmäßig abzuändern oder zu ergänzen8. Am 20. September 1575 entschied das Gericht, dass die Beklagten noch nicht in die Poen des Exekutorialmandats wegen Ungehorsams zu verurteilen seien, sondern die Kläger „vermög des am 10. November jüngst (also 1574) in causa primi mandati de restituendo et relaxando“ ergangenen Urteils den Beklagten als ihrer ordentlichen Obrigkeit vorab die Erbhuldigung zu leisten hätten und erst darauf die Beklagten ihnen das am 23. jüngst hernach abgepfändete Vieh oder dessen billigen Wert zu restituieren schuldig seien9. Dieser Spruch ergänzte das Endurteil von 1574 um die Entscheidung in der Grundsatzproblematik, die den Auseinandersetzungen zugrunde lag, nämlich ob das Dorf Freienseen ein freies Reichsdorf oder ein solms-laubachischer Landesherrschaft unterworfener Ort sei. Davon stand im Endurteil von l574 kein Wort. 4

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Anm. 1, Qu. 76. Fehlt im Druck: Abdruck kayserlicher privilegiorum, auch deshalb bey des Kayserl. und des H. Röm. Reichs Cammer-Gericht/à multis seculis, ergangenen resp. Mandatorum & judicatorum, in causa der/unter Hoch-Fürstl. HessenDarmstädtischen Erb-Schutz stehenden/in territorio Solmejo-Laubacensi, gelegenen Gemeinde/des Flecken Freyenseen/contra die Herren Grafen von Solms-Laubach. 1725. Anm. 1, Qu. 77 (Paritionsschrift der Bekl., 16. Mai 1575). Anm. 1, Qu. 79 (1575 Juni 8). G. Buchda, Stichwort „ Läuterung“, in: HRG, II, 1977, Sp. 1648ff. Buchda (wie Anm. 7), Sp. 1649ff., 1651f. Druck (Anm. 4), S. 21. Dieses Urteil fehlt im Prozessprotokoll (Anm. 1), ist aber in dem gedruckten Urteilsbuch schon enthalten: Seyler-Barth, Urtheil und Beschaidt, V. Teil, 1605, S. 97, D. (Der Druck endet mit dem Jahre 1587).

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

Trotz dieser Klärung setzten sich die Parteien auch nach diesem Datum weiter darüber auseinander, ob und vor allem unter welchen Bedingungen die Freienseener die Erbhuldigung zu leisten hätten10. Aus welchen juristischen Gründen das Gericht zu der Entscheidung bezüglich der Erbhuldigung gekommen war, insbesondere aus welchen Gründen es die Urkunden Kaiser Karls V. in diesem Zusammenhang für irrelevant hielt, ist nicht ersichtlich. Nach dem Austausch weiterer Schriftsätze, in denen die Parteien in sehr konkreten Einzelheiten darüber stritten, wie die Schlüssel und Register zur Kirche herauszugeben und vor allem auch der Wert des zu restituierenden Viehs anzusetzen sowie umgekehrt die anzurechnende Nutzung der abgeätzten Äcker und die vorenthaltenen Zinsen, Renten und Gülten oder Dienste zu bewerten seien11, entschied das Gericht am 9. Mai 1577 von Amts wegen12, dass der Prokurator der Kläger wegen des noch ausstehenden Viehs, desgleichen der solmsische Prokurator wegen der abgeätzten Äcker und verweigerten Dienste sowie wegen der im Urteil genannten Zinsen und Renten binnen sechs Wochen Aufstellungen einreichen sollten. In der Tat waren im Urteil keine konkreten Summen genannt worden, so dass ein Vollzug nur dann möglich wurde, wenn die Parteien diese Werte spezifizierten und konkretisierten. Auch dies war eine typische (Er-)Läuterung des älteren Urteils, indem der Wortlaut des Endurteils zweckmäßig ergänzt wurde. Der Streit endete allerdings auch nach Ablauf dieser sechs Wochen mit dem Überreichen der angeforderten Liquidationen nicht, sondern zog sich weiter hin, weil die Parteien die verschiedenen Posten weiter im Einzelnen höchst unterschiedlich bewerteten13, worauf noch näher einzugehen sein wird. Auch die Modalitäten der Erbhuldigung blieben umstritten. Nachdem deutlich geworden war, dass sich die Parteien wegen der Differenzen über die Einzelheiten des Urteilsvollzugs nicht würden einigen können, baten die Kläger am 6. Juni 1576 um eine weitere declaratio und Erläuterung des Urteils14.

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Anm. 1, Qu. 79 (1575 Juni 8); Qu. 10 (1575 Oktober 10); Qu. 87 (1577 Juni 19); Qu. 92 (1577 September 13); Qu. 94 (1577 November 13). Nach dem Erläuterungsurteil vom 17. Oktober 1578 fehlt dieser Punkt in den Schriftsätzen der Parteien. Anm. 1 Prozessprotokoll: Sitzungen 1575 Juni 8, November 10, Dezember 15. 1576 Mai 23, Juni 6. 1577 Januar 15, Februar 6, März 4, April 26, Qu. 80–84. Anm. 1, Prozessprotokoll sub dato. Druck (Anm. 4), S. 22. Seyler-Barth (Anm. 9), S. 255, A. Anm. 1, Prozessprotokoll, Einträge sub 1577 Juni 19 und 20, Juli 3, September 19, November 13, Dezember 3; 1578 Mai 30, September 11, November 13 und 17; 1579 Februar 11, März 20, Mai 18, Juli 6, September 18, Dezember 1 und 3; 1580 April 29, Juni 17 und 23; 1581 Januar 17, September 12, Dezember 22. Anm. 1, Qu. 82.

(Er-)Läuterungen des Urteils

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Noch einmal brachten die Beklagten die Grundsatzfragen des Prozesses in ihrer Widerlegungsschrift vom 19. Juni 1577 zur Sprache, als ob man sich darüber nicht im kontradiktorischen Verfahren hinreichend ausgetauscht hätte.15. Das Dorf Freienseen sei keine Stadt und dürfe deshalb keinen Bürgermeister wählen. Der Glockenschlag sei nicht verboten. Nur dürfe er nicht zum Zusammenrufen der Gemeinde benutzt werden. Die Gemeinde habe seit alters her wie alle anderen solmsischen Städte und Flecken ihre Güter in Gegenwart des solmsischen Schultheissen zugewiesen. Aber die Freienseener wollten ja frei von jeglicher Obrigkeit sein. Dies komme von der Wiedertäuferei, mit der sie früher befleckt gewesen seien. Dass die Beklagten diese Probleme noch einmal mit voller Erbitterung im Vollstreckungsverfahren vorbrachten, liegt daran, dass der Text des Endurteils sie nicht beantwortet hatte. Am 17. Oktober 1578 erließ das Gericht schließlich einen Bescheid in dieser Exekutorialsache primi mandati, in dem es dem solmsischen Prokurator Dr. Kuehorn erneut auferlegte, Parition bezüglich der wirklichen Rückgabe der Schlüssel und Register der Kirche anzuzeigen16. In einem zweiten Teil, der im Druck fehlt, ordnete es an, dass die Kläger den geschätzten Schaden für das abgepfändete Vieh von 2.350 fl. rheinisch und die Beklagten die geschätzte Höhe ihres Schadens wegen entgangener Dienste und vorenthaltener Gülten in Höhe von 2.013 fl. rheinisch beschwören sollten. Wegen der Erbhuldigung und der Holzfahrten, fuhr das neue Urteil fort, solle es bei dem Endurteil bleiben. Allerdings sollten die Beklagten bei der Erbhuldigung keine Neuerungen einführen und die Kläger im Besitz der Einfahrt, sowie der Wahl von Bürgermeistern, Heimbürgern und Hirten bleiben lassen. Auch wenn es ausdrücklich heisst, dass es wegen der Erbhuldigung und der Holzfahrten bei dem Urteil bleiben solle, handelt es sich dabei doch um Neuerungen, die weder der Text des Endurteils vom 10. November 1574 noch der des Läuterungsurteils von 1575 enthalten hatte. Die Zusicherung der freien Wahl von Bürgermeistern, Heimbürgern und Hirten durch die Gemeinde ist ebenfalls eine solche Neuerung des Urteilstextes. Sie wirkt wie ein Trostpflaster auf die für die Freienseener gewiss schmerzhafte Wunde, die Erbhuldigung leisten zu müssen. Interessanterweise fehlen im Druck die Passagen über die Parition bezüglich wirklicher Rückgabe der Schlüssel und Bauregister sowie wegen der verbotenen Neuerungen bei der Erbhuldigung und der Holzfahrten und darüber, dass die Kläger ungestörte Einfahrt sowie Wahl von Bürgermeistern,

15 16

Anm. 1, Qu. 87. Anm. 1, Prozessprotokoll sub dato. Druck (Anm. 4), S. 22f. Im Gegensatz zum Protokoll fehlt im Druck der Befehl an Dr. Kuehorn. Vollständig dagegen: SeylerBarth (Anm. 9), S. 406, B.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

Heimbürgern und Hirten haben sollten17. Wahrscheinlich störten diese Anordnungen die Auftraggeber des Druckwerkes, so dass man sie nicht in den gedruckten Text aufnahm. Diese Ergänzungen von 1578 sowie schon das Urteil vom 20. September 1575 legen die Vermutung nahe, dass sich das Rechtsinstitut der leuteratio als Rechtsmittel im Sinne einer Abänderung oder Ergänzung des Urteils bis zum letzten Viertel des 16. Jahrhunderts auch im Kameralprozess durchgesetzt hatte18.

8.2.

Revision versus Deklaration

Allerdings scheint die Erfahrung mir diesem Rechtsinstitut noch nicht so groß gewesen zu sein, dass die Parteien voll darauf vertrauten. Dies scheint auch zwischen den Freienseenern und ihren juristischen Beratern erörtert worden zu sein, als die Kläger wegen der langen Verfahrensdauer verzweifelt waren und nicht wussten, ob und wie sie ihre Prozesse fortsetzen sollten. Obwohl ihre Advokaten ihnen geraten hatten, die Exekution und Prozesse am Reichskammergericht fortzuführen, entschieden sich die ungeduldig gewordenen Freienseener für einen anderen Weg und beantragten am 7. Mai 1580 bei der Visitationskommission die Revision ihrer Verfahren19. Sie trugen als Begründung ihres Begehrens vor, dass sie durch die den Beklagten in den Urteilen zuerkannten Zinsen, Gülten und Renten beschwert seien. Aber auch die von den Beklagten spezifizierten Dienste meinten sie, in dieser Form nicht zu schulden. Schließlich fühlten sie sich beschwert in den Punkten der Herausgabe der Kirchenschlüssel und Kirchenbaurechnungen und der Einfahrt, für die sie gepfändet worden seien, obwohl ihnen dies im Urteil zugesprochen worden sei. So laufe das, klagten sie, für sie arme Bauern nun schon im 26. Jahr, ohne dass ein Ende abzusehen sei. Diese Liste der Beschwerungen liest sich wie die Begründung einer Oberappellation. Die Revision sollte aber nicht wie bei einer Berufung alle Klagepunkte neu verhandeln und entscheiden, sondern diente allein der Überprüfung des Verfahrens am Reichskam17 18

19

Seyler-Barth (Anm. 9) gibt dagegen den Inhalt des Urteils korrekt wieder. Nach Bettina Dick (Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555. Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 10, 1981) war das Rechtsmittel der Läuterung bis 1555 am Reichskammergericht noch nicht bekannt. Ob es sich nach dem Vorbild des Gelehrten Sächsischen Prozesses nach 1555 auch in Speyer durchsetzte, könnte nur eine Analyse auf breiterer Grundlage ergeben. Supplikation von Bürgermeister und Gemeinde zu Freienseen an die Visitationskommission vom 7. Mai 1580: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 84, Qu. 14.

Revision versus Deklaration

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mergericht auf Verfahrensverstöße20. Dabei ging es darum, ob die Richter fleißig ihres Amtes gewaltet und unbestechlich geurteilt hatten. Da die Freienseener solche Vorwürfe nicht erhoben hatten, veranlasste die Visitationskommission am 20. Mai 1580 die Revisionskläger dazu, von ihrem Revisionsbegehren abzustehen21. Doch damit war dieses gegen fachmännischen Rat begonnene Abenteuer nicht einfach beendet. Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 sah für leichtfertige Revisionen Strafen vor, weil durch sie indirekt der Vorwurf erhoben wurde, das Gericht habe nicht ordnungsgemäß gehandelt, selbst wenn dieser Vorwurf ohne Arglist oder Betrug erhoben worden war22. Die Visitationskommission verurteilte die Freienseener daher zum abschreckenden Exempel zur Zahlung von vier Mark lötigen Goldes an den Reichsfiskal wegen verursachter Kosten und wegen verwirkter Strafe23. An sich hätten die Freienseener davon nicht überrascht sein dürfen, hatten sie doch 1550 schon dieselbe Erfahrung gemacht. Doch dies hatten sie offenbar vergessen, war doch eine ganze Generation darüber hingegangen. Kleinlaut baten sie wenigstens um Ermäßigung der Summe, weil sie unverständige Leute und Laien seien. Die Kommission sah keinen Anlaß zu solcher Milde und verwies sie an den Kaiser persönlich. Darauf trugen die Vogelsberger Bauern Kaiser Rudolf II. in Prag vor, dass sie arme Leute aus lauter Irrtum und Unverstand Revision begehrt hätten24. Doch war diese Ausrede zu fadenscheinig, weil man auch am Kaiserhof wusste, dass man für die Prozessführung in Speyer juristisch beraten werden musste. Deshalb beließ es auch der Kaiser bei der ausgesprochenen Strafsumme. Deren Aufbringung brachte die armen Bauern in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Da sie nicht zahlen konnten, brachte der Reichsfiskal sie sogar vorübergehend in die Reichsacht. Unter diesem Druck brachten sie schließlich 130 fl. auf, die sie dem Reichsfiskal zahlten mit der Bitte, sich wegen des Restes bis zum Vollzug des Mandats über die Restitutionen zu gedulden25. Durch die Entschädigungszahlungen hofften sie offenbar, wieder liquide zu werden. Ob dies den Reichsfiskal überzeugte oder ob er durch weitere Zahlungen zufriedengestellt wurde, ist nicht ersichtlich. Die Freienseener müssen auf jeden Fall aus der Reichsacht 20 21 22 23 24

25

Artikel LIII § 4 RKGO 1555 (Edition Laufs, QFHG. Bd. 3, 1976, S. 276f.). Extrakt der Relation über die Kammergerichtsvisitation von 1580: Wie Anm. 19. Artikel LIII § 5, § 6 RKGO 1555 (wie Anm. 20). Bescheid vom 18. Mai 1580 (wie Anm. 19), Qu. 15. Undatiertes Schreiben an den Kaiser (wie Anm. 19, Qu. 17) und ebenfalls undatierte Bitte um Unterstützung beim Kaiser an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt (wie Anm. 19, Qu. 16), beide beim Gericht am 19. Mai 1580 produziert. Schreiben der beiden Freienseener Bevollmächtigten bei der Visitationskommission vom 6. Mai 15783 an die Kommission wegen Fristverlängerung: HHStA Wien E(erzkanzler-)A(rchiv)M(ainz) Nr. 14b, Bl. 474f.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

gelöst worden sein. Von weiteren Maßnahmen gegen sie wegen Nichtzahlung des Restes hört man jedenfalls nichts mehr. So blieb dieser unbedachte Ausflug in die Sphäre der Visitation nicht nur sachlich erfolglos, sondern er endete sogar mit einer spürbaren finanziellen Einbuße. Nachdem weder der Revisionsversuch etwas genutzt hatte noch auch die bisherigen Erklärungen und Ergänzungen des Endurteils von 1574 die Auseinandersetzungen über Folgen und Reichweite des Spruches hatten beenden können, sah sich das Reichskammergericht am 22. Juni 1582 noch einmal genötigt, aufgetretene Unklarheiten mit einem weiteren Erläuterungs-Urteil zu beseitigen26. Dieses Urteil betraf, obwohl es im Tenor noch beide Brüder aufführte, in der Sache nunmehr nur noch Graf Johann (Hans) Georg allein, weil er 1581 bei der Erbteilung mit seinem Bruder die Grafschaft Laubach bekommen hatte. Unter ausdrücklicher Berufung auf die Sprüche vom 10. November 1574 und 17. Oktober 1578 ordnete das Gericht noch einmal an, dass die Beklagten die Kläger nicht in deren Kirchenverwaltung und die Einsammlung der Kirchengefälle und Zinse durch sie sowie bei der Wahl von Bürgermeistern, Baumeistern und Hirten behindern dürften. Zusätzlich zu dieser Einschärfung schon getroffener Entscheidungen traf das Gericht weitere Neuerungen, mit denen die Speyerer Richter auf strukturelle Änderungen des Gemeindelebens in Freienseen reagierten. Sie untersagten nämlich der gräflichen Herrschaft, ihre Parteigänger in Freienseen darin zu bestärken, nach vorherigem Glockenläuten die gemeinen Wiesen der Gemeinde anderen zu verleihen oder Bauzinse einzufordern und sich die Verwaltung über Wege, Stege, Brunnen und Gehölz anzumaßen. Sie sollten ihnen auch nicht erlauben, Bürgermeister, Baumeister und Hirten zu wählen und durch diese die Kläger mit Einfahrtsgeboten und Verboten zu beschweren und, wenn diese die Bauzinse ihnen nicht zahlen wollten, sie deswegen zu rügen, zu strafen und zu pfänden. Schließlich sollten die Grafen nicht durch ihre Beamten die Wahl von Bürgermeistern und Baumeistern inspizieren und diese dann bestätigen lassen. Auch stehe ihnen nicht zu, an der Abhörung der Rechnungen mitzuwirken und darüber Abschied zu geben. Vielmehr seien sie verpflichtet, die Kläger im ruhigen Besitz der Einfahrt bleiben zu lassen. Andernfalls würden sie in die Poen der genannten Urteile fallen. Wenn der Prozess weiter fortgeführt werden müsse, müssten sie auch den Klägern die deswegen entstehenden Gerichtskosten ersetzen. Diese Drohung dürfte die Beklagten jedoch wenig beeindruckt haben, schloss sich dem doch die fast übliche Entscheidung an, dass dem Freienseener Anwalt zur Zeit noch abgeschlagen werde, die Beklagten wegen Verstoßes gegen die Urteile schon jetzt in die darin an26

Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Druck (Anm. 4), S. 26f.; Seyler-Barth (Anm. 9), S. 779f., C.

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gedrohte Poen zu verurteilen. Dabei wären solche Verstöße durchaus festzustellen gewesen. In einem Mandat vom Vortag27 hatte das Gericht nämlich schon befohlen, dass das wegen der Einfahrt und verweigerter Baudienste Abgenommene unverzüglich und ohne Möglichkeit, dagegen Einwände vorzubringen (sine clausula), zu restituieren sei. Die Anordnung wurde ergänzt um die Wiederholung der Entscheidung, dass die Einwohner von Freienseen nach den Urteilen keine Baudienste leisten müssten. Auch seien die Ackerleute (also nur die Bauern, die über Zugvieh zum Ackern verfügten) jährlich lediglich zu einer Holzfahrt ins Schloss nach Laubach verpflichtet. Während der Befehl zur Restitution desjenigen Gepfändeten, das wegen verweigerter Dienste und wegen der Einfahrt durch die dem Grafen gehorsamen Nachbarn konfisziert worden war, vorbehaltlos (sine clausula) erging, wurde bei den Pfändern wegen der Ausstellung von Urkunden unter dem Gemeindesiegel sowie bei der Rückzahlung der von gefangenen Freienseenern gezahlten Gelder zur Freilassung aus dem Gefängnis den Beklagten die Möglichkeit der Rechtfertigung eingeräumt (cum clausula justificatoria). Die erste Kategorie hielten die Assessoren also für erwiesene Verstöße, während sie bei der zweiten meinten, dass die Beklagten sich rechtfertigen können müssten. Sodann schob das Gericht dem Versuch des klägerischen Anwalts, immer neue Positionen durch eine leuteratio im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens in das ergangene Urteil einbeziehen zu lassen, einen Riegel vor, indem es befand, dass die Rückgabe der Wüstungen und die Probleme des verbotenen Fischens nicht in dieses Exekutionsverfahren gehörten. Das inhaltsschwere Urteil endete mit einem Bescheid von Amts wegen zu zwei Punkten: – Zunächst dass dem Prokurator der Kläger der Kirchenschlüssel und die Register – am 1. Dezember 1579 eingekommen – auf seinen Antrag aus dem Gewölbe der Reichskammergerichtskanzlei ausgehändigt werden sollten gegen Anfertigung einer Kopie durch die Kanzlei. – Sodann wurde dem Anwalt des Beklagten aufgegeben, binnen drei Monaten die Höhe von 21 fl. rheinisch als Schaden der abgeätzten Äcker zu beschwören. Diesen Betrag müssten die Kläger ihm sodann entrichten, womit auch diese letzte Position, die der Beklagte der Forderung der Kläger für das abgepfändete Vieh entgegensetzen durfte, der Höhe nach bestimmt wurde. Doch selbst nach diesen Klarstellungen gab Graf Johann Georg keine Ruhe, weil die Freienseener einige Punkte des Urteils vom 22. Juni 1582, besonders

27

Druck (Anm. 4), S. 23–26. Der Text führt genau auf, bei wem welche Gegenstände wegen welcher Vorwürfe gepfändet worden waren. Fehlt im Prozessprotokoll.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

bezüglich der Burgbaudienste28, in einer, wie er am 6. Juli 1583 klagte, ihn sehr beschwerenden Weise auslegten29. Die deswegen beim Gericht erbetene weitere Erläuterung sei aber nicht erfolgt. Stattdessen sei ihm ein Mandat vom 21. Juni 158230 und ein Urteil vom 10. Januar 158331zugestellt worden. Sodann sei die Zeit der Visitation gekommen. Da zu befürchten gewesen sei, dass die Revisionsfrist verstreiche und auch die Erläuterung des Urteils ihnen zu entgehen drohe, habe er sich entschlossen, zur Fristwahrung anlässlich der Visitation beim Erzbischof und Kurfürsten von Mainz als Reichserzkanzler eine Revision zu beantragen. Die gewundenen Formulierungen dieser Erklärung zeigen, wie sehr der Beklagte bemüht war, die Stimmung beim Reichskammergericht nicht zu verderben. Immerhin lag im Revisionsantrag der Vorwurf, dass das Gericht falsch geurteilt habe. Zur Begründung überreichte der solmsische Prokurator neben den Revisionsgravamina32, in denen er noch einmal die tiefen Gegensätze zwischen den beiden Parteien aufzeigte33, umfangreiches Material wie Kopien der Urteile34, Berechnungen zur Revision35, Rezesse zu Baurechnungen36, Vertragskopien37, sowie insbesondere umfangreiche Extrakte von Zeugenaussagen38. Diese kostspielige Dokumentensammlung beweist, wie wichtig dem Beklagten die28 29 30 31

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35 36

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Das ergibt sich aus der Revisionsschrift vom 13. Januar 1583: Anm. 1, Qu. 146. Anm. 1, Qu. 144, 1583 Juli 6. Druck (Anm. 4), S. 23–26. Druck (Anm. 4), S. 28–30. Fehlt sowohl im Prozessprotokoll (Anm. 1) als auch bei Seyler-Barth (Anm. 9). Anm. 1, Qu. 148 (Gravamina zur Revision). Anm. 1, Qu. 146 (Schreiben wegen der Revision an Mainz vom 17. Januar 1583), Qu. 147 (Schreiben wegen der Revision vom 24. Januar 1583), Qu. 163 (Anzeige, Exception und Einrede mit Bitte um Erklärung des Urteils vom 22. Juni 1582), Qu. 164 (Erbhuldigungseidformular), Qu. 166 (Ablehnung des angeblichen Bescheids vom 10. Januar 1583), Anm. 1, Qu. 150 (Urteil von 1574), Qu. 151 (Urteil vom 20. September 1575), Qu. 152 (Urteil vom 17. Oktober 1575), Qu. 153 (Bescheid vom 22. Juni 1582), Qu. 158 (Urteil auf die Klage der Freienseener gegen die Lartenbacher von 1486). Anm. 1, Qu. 149 (Berechnungen zur Revision), Amn. 1, Qu. 154 (Rezess der Freienseener Baurechnungen vom 12. März 1549), Qu. 155 (Rezess der Freienseener Baurechnungen vom 12. September 1550). Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 156 (Vertrag Graf Johanns mit dem Pastor zu Laubach von 1435), Qu. 157 (Vertrag zwischen dem Laubacher und Freienseen Pfarrer von 1457), Qu. 162 (Extrakt aus Freienseener Schriften, dass sie den Vertrag vernichtet haben). Anm. 1, Qu. 159 (Extrakt von Zeugenaussagen zum 19. solmsischen Defensionalartikel), Qu. 160 (Extrakt wegen der Freienseener Baudienste), Qu. 161 (Extrakt von Zeugenaussagen solmischer Zeugen), Qu. 165 (Extrakt Zeugenaussagen zum 16. Defensionalartikel).

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ser Schritt war. Unter anderem bestritt er, dass man bei der Untertaneneigenschaft zwischen Leibsangehörigen verschiedener Herren in Freienseen unterscheiden könne. Unterschiedslos alle Freienseener müssten, weil sie alle ins Gericht nach Laubach gehörten, wegen der Gerichtsbarkeit auch Gerichtsbrote und Gerichtshühner abgeben. Der Prokurator des Beklagten betonte noch einmal, dass durch die Revision das Reichskammergericht nicht verkleinert werden solle. Doch seine entschuldigende Erklärung, vielleicht sei das Gericht beim Verfassen des letzten Beschlusses, dessen Revision begehrt werde, oder beim Abstimmen nicht einig gewesen oder es sei irrtümlich bei der Entscheidung zufällig von einigen übersehen worden, dass doch genügend Beweis geführt worden sei, zeigt, wie schwer es dem Juristen fiel, sich gegen das Gericht zu stellen, von dessen Entscheidungen es letztlich weiter abhängig war. Durch das letzte, angeblich erläuternde Urteil vom 22. Juni 1582 fühlte sich der Beklagte vornehmlich wegen der Bestellung der Ämter, der Inspektion bei der Rechnungslegung und der Burgbaudienste beschwert. Alle Punkte betrafen die obrigkeitliche Stellung als Landesherr. Die Kläger hätten den Beklagten nicht als Erbherren gehuldigt, obwohl dies im Urteil stillschweigend so anerkannt worden sei. Am 20. September 1575 sei dann geurteilt worden, dass die Freienseener dazu verpflichtet seien. Schließlich hätten sie allerdings den Eid geleistet. Trotzdem seien sie im einen oder anderen Fall ungehorsam geblieben. So hätten sie die Restitution des Viehs und die Zustellung des Schlüssels und der Register der Kirche, ebenso die Holzfahrt und andere Dienste zum Burgbau in die Erbhuldigungsleistung einschließen wollen und hätten sich auch wahrheitswidrig beklagt, dass sie an der Wahl von Bürgermeistern und Heimbürgern und Bestellung anderer Gemeindeämter gehindert würden. Darauf sei am 17. Oktober 1578 ein neuer Bescheid ergangen, wobei letztlich bezüglich der Restitution des Viehs und dessen taxierten Wert wenig herausgekommen sei. In anderen Punkten hätten die Freienseener am 17. November 1578 um weitere Deklaration des Urteils gebeten. Da im Urteil vom 10. November 1574 der Fischerei in den Seen und auch der Holzfahrten nicht gedacht sei, hätten sie um Erklärung gebeten, dass ihnen die Fischerei in den Gewässern zustehe und stillschweigend zuerkannt sei. An Holzfahrten wollten sie nach dem solmsischen Rotel nur zu einer jährlich in das Schloss zu Laubach und sonst zu keinen Burgbaudiensten verpflichtet sein. Der Beklagte bestand dagegen darauf, dass ihm allein die Fischerei zustehe, wie es zum 20. Defensionalartikel durch 15 Zeugen bewiesen worden sei. Desgleichen seien die Kläger zu ungemessenen Holzfahrten und wie alle anderen Untertanen zu weiteren Diensten in der Burg zu Laubach verpflichtet, was durch 26 Zeugen bewiesen worden sei. Die für die Kläger sprechende Urkunde sei von ihnen vernichtet

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

und ungültig gemacht sowie gebrochen worden. Die Kellereirechnungen bewiesen, dass sie jederzeit alles geleistet hätten. Die Wahlbehinderungen bestritt der Beklagte. Als ordentlicher Magistrat und Erbherr der Freienseener hielt er sich für befugt, ja verpflichtet, die Wahl auf ihre Ordnungs- und Rechtmäßigkeit zu kontrollieren. Das gelte auch für die Verwaltung der Kirchengefälle. Ebenso könnten die Kläger nicht bestreiten, dass sie seit beinahe 30 Jahren die schuldigen Kirchengefälle und Bauzinse nicht gezahlt hätten. Ein Graf von Solms dürfe in diesen Sachen jederzeit entweder gütlich entscheiden oder sie durch Gerichtsspruch klären lassen. Dies gelte insbesondere, weil die Kirche zu Freienseen eine Filialkirche der Laubacher Kirche sei, über die den Grafen seit jeher das Aufsichtsrecht zustehe. Vor allem fühlte der Beklagte sich aber durch das Urteil von 1582 beschwert, weil man daraus entnehmen könnte – und die Freienseener täten dies – dass die Einwohner von Freienseen keine Baudienste und nur eine Holzfahrt jährlich schuldeten. Da Urteile nur entsprechend den Akten und den darin befindlichen Beweisen ergehen dürften, hoffe er, dass die Freienseener wie alle anderen solmsischen Untertanen zum Burgbau sowie zum Fahren von Holz, Steinen, Lehm und anderem verpflichtet würden ebenso zu fronen und zu dienen. In allen Herrschaften zu Oberhessen müssten die Untertanen dergleichen Baudienste zu den herrschaftlichen Burgen, Schlössern und Häusern leisten. Würde man dies dem Beklagten bestreiten, so sei es ihm unmöglich, seine gräfliche Hofhaltung und Residenz zu erhalten, wenn er die Dienste der Freienseener nicht den anderen Untertanen auferlege, was zu höchster Beschwerung führen und wohl einen Aufstand oder Aufruhr verursachen würde. Am 31. Mai 1583 sei jedoch der Bescheid der Revisoren publiziert worden, dass die Revision noch nicht anzunehmen sei und der Revisionskläger die Kosten von 400 fl. tragen müsse39. Offenbar wollten die Revisoren der möglichen Erläuterung durch das Gericht selbst nicht vorgreifen. Damit war der Beklagte wieder an das Reichskammergericht verwiesen. Deshalb beantragte er am 6. Juli 1583 eine neue Deklaration des Urteils in seinem Sinne. Am 17. Dezember 1584 wiesen die Kläger das Vorbringen des Beklagten zurück40. Die urteilenden Richter könnten nicht eines Irrtums oder Übersehens beschuldigt werden. Diese unfruchtbaren Auseinandersetzungen zogen sich über mehrere Jahre hin bis das Gericht am 3. Juli 1600 entschied, dass das Begehren der Beklagten auf declaratio sententiae wegen der Burgbaudienste und Bestellung der Ämter abgelehnt werde41. Wegen der Verwaltung der Kirchengüter wurde das 39 40 41

Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 145+171. Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 172. Druck: Kap. 8.1, Anm. 4, S. 48f.

Revision versus Deklaration

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Urteil vom 22. Juni 1582 in der Weise erklärt, dass die Beklagten, wenn sie glaubwürdige Nachrichten erhielten, dass mit den Gütern nicht recht umgegangen werde, durch ihre Beamten Bericht einholen dürften. Damit bestätigte das Gericht grundsätzlich den Anspruch des Grafen als ordentlicher Magistrat und Erbherr des Ortes Freienseen, die Selbstverwaltung der Kirchengüter beaufsichtigen zu dürfen, aber mit der Einschränkung, dass er dieses Aufsichtsrecht nur aus konkretem Anlass ausüben dürfe. Nicht aber solle er, wie es seinem Verständnis von Obrigkeit entsprach, die Rechnungslegung generell durch seine Beamten beaufsichtigen und kontrollieren lassen dürfen. In dem Endurteil von 1574 hatte das Gericht über fünf Positionen ausdrücklich entschieden42. Durch die Erläuterungsurteile von 1575, 1577, 1582 und 1600 waren weitere Punkte hinzugekommen: 1575 und 1577: 6. die Erbhuldigung und deren Modalitäten, 7. Holzfahrten, 8. das Einfahrtsrecht der Gemeinde mit Gebot und Verbot, 9. die freie Wahl von Bürgermeister, Baumeister und Hirten. 1582: 10. Verbot der Unterstützung der von der Gemeinde Abgefallenen bei der Verfügung über – Glockenschlag, – Gemeindeeigentum und – die Anmaßung der Gemeindesorge für Wege, Stege und Brunnen, – keine eigenständige Wahl von Bürgermeister, Baumeister und Hirten durch die von der rechten Gemeinde Abgefallenen, – sowie deren Bestätigung durch gräfliche Beamte und – die Einforderung der Bauzinse durch die Gewählten – und schließlich die Pfändung derjenigen Freienseener, die ihnen die geforderten Bauzinse nicht überantworten wollten. 1600: 11. Aufsicht der Grafen über die ordnungsgemäße Verwaltung der Kirchengüter. Auch wenn das Gericht somit das Endurteil von 1574 mehrfach in wünschenswerter Weise erläutert und ergänzt hatte, hatte es damit doch den Vollzug keineswegs erleichtert. Über jeden einzelnen der durch die Erläuterungen präzisierten oder ergänzten Punkte stritten die Parteien jahrzehntelang. Da-

42

Kap. 7.

84

Ein Endurteil – und doch kein Ende

mit hatten die Klarstellungen die Sache nicht vereinfacht, sondern nur den konkreten Streitstoff vergrößert. In diese Auseinandersetzungen musste das Gericht immer wieder mit weiteren konkretisierenden Spezifikationen eingreifen, was zu zeigen sein wird.

8.3.

Herausgabe der Schlüssel sowie der Baurechnungen und Bauregister zur Kirche in Freienseen

Von den in diesem Zusammenhang zu erörternden Punkten erscheint die Herausgabe der Schlüssel und Bauunterlagen für die Freienseener Kirche am unproblematischsten, weil nichts einfacher zu sein scheint als die Herausgabe konkret benannter weniger Gegenstände. Gerade deshalb lässt sich an dieser scheinbar einfachen Position besonders eindrucksvoll zeigen, wie das Endurteil den Streit nicht beendete, sondern wie die Parteien die im Prozess geführte Auseinandersetzung in der Phase der Urteilsvollstreckung auf andere Weise fortführten. Mit ihrer Schrift vom 16. Mai 1575 erklärten die Beklagten Gehorsam gegenüber dem Urteil43. Dazu überreichten sie einen Bericht des Pfarrers und eines Baumeisters von Freienseen vom 30. Mai 157544, dass ihnen Graf Hans Georg an diesem Tag ein altes Papierregister mit dem Titel „Registrum, Fabrica in Freyenseen anno 52“ sowie ein anderes Register, das als Bauregister der Kirche zu Freienseen durch Schultheiß Ludolf von Laubach 1541 angelegt worden war, übergeben habe. Dazu gab er ihnen auch zwei Rezesse von 1549 und 1550, wonach die Baumeister zu Freienseen vor dem Schultheißen zu Laubach anstatt des Grafen und Herrn Sintram Lutz, derzeit Pfarrer, Baurechnung abgelegt hätten. Diese Unterlagen hätten sie in ihren gemeinen Kirchenbaukasten gelegt. Was die Kirchenschlüssel und den Vorwurf angehe, dass den Klägern die Kirche verschlossen geblieben sei, so hätten die Kläger (in der Terminologie des herrschaftstreuen Pfarrers die Ungehorsamen) die Schlüssel einmal an sich genommen und den Abendmahlskelch etliche Jahre in Verwahrung gehabt. Den Schlüssel habe heute ein Glöckner in Verwahrung. Der Pfarrer habe niemals Ursache gehabt, ihnen die heiligen Sakramente zu verweigern oder sie des Gottesdienstes zu berauben. Wahr sei vielmehr, dass etliche sich selbst der Kirche und der Sakramente ganz und gar entäußert hätten, worin der alte Vorwurf aus der Wiedertäuferzeit anklingt, von der Kirche abgefallen zu sein. Auch verweigerten sie seit der Klage die schuldigen Kirchenabgaben, obwohl diese zur Erhaltung des Baus sehr nötig seien. Da43 44

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 50, Qu. 77. Kap. 8.1, Anm. 27, Qu. 78.

Herausgabe der Schlüssel

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mit hätten die Beklagten – meinten sie – alles zur Urteilserfüllung in diesem Punkt Notwendige getan. Gegen diese Paritionsanzeige wandten die Kläger am 8. Juni 1575 mit Recht ein, dass der Pastor und der angebliche Baumeister nicht Partei des Prozesses gewesen seien45. Deshalb müssten sie die Schlüssel und Register ihnen herausgeben. Die Beklagten ließen sich dadurch jedoch nicht beirren, sondern beharrten am 10. Oktober 1575 darauf, dass sie mit ihrer Paritionsschrift dem Urteil Genüge getan hätten46. Die Grafen hätten die Schlüssel niemals entwendet und die Kirche den Klägern auch nie vorenthalten. Schlüssel und Bauregister seien in der Hand von Pfarrer, Baumeister und Glöckner geblieben, was dem klaren Wortlaut des Urteils widerspricht. Die Bauregister lägen im Gemeinen Baukasten, wo sie auch hingehörten. Mit diesem Nachsatz und der weiteren Bemerkung, den Grafen sei nicht daran gelegen, dass solche Bauregister gerade in die Hände der Ungehorsamen gelangten, offenbarten die Beklagten indirekt, worum es ihnen ging. Es sei völlig ausreichend, dass die Kläger mit den im Gemeinen Baukasten liegenden Registern umgehen könnten. Auch wenn dies objektiv richtig sein mochte, widersprach es doch der eindeutigen Anordnung des Urteils, dass Schlüssel und Register den Klägern herauszugeben seien. Als die Beklagten am 15. Dezember 1575 diese Position erneut vertraten47, legten die Kläger am 6. Juni 157648 dar, wie scheinheilig die Argumentation der Grafen sei. Entgegen der Anordnung im Urteil, dass die Sachen der klagenden Gemeinde herauszugeben seien, hätten die Grafen sie ausgerechnet denen gegeben, die sie deshalb die Gehorsamen nennen, weil sie sich nicht am Prozess beteiligt hätten. Die Beklagten nutzten also die Spaltung der Gemeinde, um scheinbaren Urteilsgehorsam zu zeigen, indem sie die Schlüssel und Register ihren Anhängern in Freienseen überließen. Sie nutzten den Zwist unter den Bewohnern für ihre Zwecke aus49. Wie skrupellos die Grafen die Kirche bei ihrer Auseinandersetzung mit den ungehorsamen Untertanen einsetzten, beweist die Klage des Freienseener Prokurators vom 4. März 157750, dass der Pfarrer angewiesen worden sei, ungehorsame Freienseener nur dann zu trauen, wenn sie auf die Teilnahme am Prozess verzichtet hätten. Um zu beweisen, dass die Schlüssel und Register nicht in die Hände der Kläger gehörten, weil sie schlechte Christen seien, die Mutwillen mit dem Heiligen Sakrament trieben, überreichten die Beklagten 45 46 47 48 49 50

Anm. 1, Qu. 79. Anm. 1, Qu. 80. Anm. 1, Qu. 81. Anm. 1, Qu. 82. Anm. 1, Qu. 84, 1577 Februar 6. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

am 19. Juni 1577 eine Beschwerde des Freienseener Pfarrers vom 14. Januar 1577 über entsprechendes Verhalten der Kläger51. Die Kläger zogen am 13. September 1577 den folgerichtigen Schluss, dass die Beklagten wegen Nichterfüllung des Urteils in diesem Punkt in die im Urteil für Ungehorsam angedrohte Poen zu verurteilen seien52. Am 17. Oktober 1578 beendete das Gericht diesen unfruchtbaren Streit mit der Anordnung, der gräfliche Prokurator solle anzeigen, dass die Schlüssel und Register wirklich restituiert seien53. Dabei macht das Wörtchen wirklich deutlich, dass das Gericht das Spiel der Grafen durchschaut hatte, durch Übergabe der Sachen an ihnen genehme Personen das Urteil scheinbar zu erfüllen. Dementsprechend sollten der gräfliche Sekretär Terhell und der Laubacher Schultheiß am 3. November 1578 im Auftrag der Beklagten den Klägern die Schlüssel und Register übergeben54. Zu diesem Zweck riefen sie die ganze Gemeinde – Gehorsame und Ungehorsame – in Freienseen zusammen. Die Schlüssel und Register sollten durch den Pfarrer und den gehorsamen Baumeister den Klägern überlassen werden. Das schrieb der Gerichtsschreiber auf und siegelte es, was die Parteigänger der Grafen für ausreichend erklärten. Der Vertreter der Kläger widersprach jedoch und erklärte, dass die klagende Gemeinde über die Rückgabe der Schlüssel und Register, sofern sie unbeschädigt seien, unter ihrem Gemeindesiegel eine Quittung ausstellen wolle. Dies wiesen Sekretär und Schultheiss empört zurück, weil sie das Gemeindesiegel nicht anerkennen wollten. Immerhin war der Streit wegen der Kassation des kaiserlichen Wappenbriefs, der dieses Siegel legitimierte, noch nicht entschieden worden. Die Haltung der Kläger, sich nicht mit der Beurkundung durch den Laubacher Gerichtsschreiber zufrieden zu geben, wirkt wie eine Provokation der gräflichen Seite. Diese reagierte erwartungsgemäß, indem sie ein so besiegeltes Schriftstück zurückwies. Da dies wiederum die Kläger nicht akzeptieren konnten, baten sie darum, die Schlüssel und Register dem Kammerrichter und den Beisitzern des Kammergerichts zukommen zu lassen. Die Beklagten erklärten am 18. Mai 1579 noch einmal in einem Nachtrag, dass sie die Kirchenbauregister deshalb an sich genommen gehabt hätten, weil die Kläger die geschuldeten Abgaben nicht entrichtet hätten. Nach dem Urteil besäßen die Gehorsamen die Register55. Graf Friedrich Magnus I. habe den Klägern die Schlüssel zum Kirchhof und zur Kirche abgenommen, weil sie sich mehrfach in der Kirche und auf dem Kirchhof versammelt gehabt und da51 52 53

54 55

Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 87+89. Kap. 8.1, Anm.1, Qu. 92. Prozessprotokoll (Kap. 8.1, Anm. 1), sub dato; Druck (Kap. 8.1, Anm. 4), S. 22f.; Seyler-Barth (Kap. 8.1, Anm. 9), S. 406 B. Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 97. Kap. 8.1, Anm. 1, Qu. 105.

Herausgabe der Schlüssel

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bei Sturm geläutet hätten. Darauf hätten die Kläger die Schlösser unbrauchbar gemacht, so dass man die Schlösser habe auswechseln müssen. Die neuen Schlüssel verwahrten seitdem die Gehorsamen, von denen die Kläger sie daher auch abfordern müssten. Das Hin und Her wegen der Kirchenschlüssel ist deutlich in den Ausgabenregistern der Kirche wiederzuerkennen56. Anno 1563 hatte ein Schlosser aus Grünberg wegen der Tür Lohn empfangen, was sich 1564 wiederholte. 1566/1567 fielen Kosten fürs Baumfällen zur Tür an, die also vollständig ausgewechselt worden sein musste. Für die neue Tür mussten wieder neue Schlösser gemacht werden. 1571 wurde aus Eisen ein großer Riegel mit Krampen zur Tür und einem Schloss angebracht. 1574 wurde erneut ein Schmied entlohnt für ein Eisen an der Kirchentür, was 1576 schon wieder nötig war. Am 21. Oktober 1579 forderte das Gericht den Prokurator der Beklagten erneut auf, binnen sechs Wochen anzuzeigen, dass dem Urteil von 1574 durch wirkliche Restitution der Schlüssel und Bauregister Genüge getan sei57. Als der Prokurator der Beklagten schon am 26. Oktober 1579 um Fristverlängerung auf vier Monate bat, konzedierte der klägerische Anwalt nur drei Monate58 mit dem verständlichen Zusatz, dass die Gegenpartei in den vergangenen fünf Jahren wohl schon genügend Zeit zum Handeln gehabt habe. Der am 1. Dezember 1579 erneut vom Anwalt der Beklagten eingereichten Gehorsamsanzeige widersprach der Freienseener Prokurator am 3. Dezember 1579 vehement. Die Beklagten gestatteten seinen Mandanten nicht die Administration der Kirche und deren Bau sowie die dafür notwendige Einforderung der Gefälle. Zudem würden sie sogar bestraft, wenn sie damit den von den Grafen dafür Abgeordneten nicht gehorchten59. Das bestritt der Solmser Prozessvertreter. Die Kläger brächten immer wieder Neues ins Gespräch. Das sollten sie genauer darlegen, damit seine Mandanten sich dagegen wehren könnten. Auch das Eingreifen des Fiskals, der die ihm zustehende Hälfte der Poen am 23. Juni 1580 einforderte60, brachte das Gericht nicht dazu, den Beklagten die angedrohte Poen wegen Nichterfüllung des Urteils aufzuerlegen. In der Exekutionssache erließ es – ohne Verurteilung der Beklagten in die Poen – am 22. Juni 1582 ein umfangreiches Urteil61, in dem es

56 57

58 59 60 61

Anm. 1, Qu. 112. Kopie der Kirchenbauregister. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Seyler-Barth (Anm. 9) S. 515 G. Fehlt im Druck (Anm. 4). Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato. Druck (Anm. 4), S. 26f.; Seyler-Barth (Anm. 9) S. 779f. C (ausführlicher als der Druck).

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

zum Punkt der Kirchenschlüssel und Kirchenbauregister den Beklagten untersagte, die Kläger weiter in deren Kirchenverwaltung und Einsammlung der dazugehörigen Gefälle und Bauzinse zu beeinträchtigen. Auch dürften sie den von ihnen unterstützten Bürgermeistern und Baumeistern nicht gestatten, die Kläger wegen Nichtablieferung der Bauzinse zu rügen, zu strafen und zu pfänden. Damit versperrte das Gericht den Grafen den Umweg, die von der klagenden Gemeinde Abtrünnigen für sich gegen die Kläger handeln zu lassen. Da die Kirchenschlüssel und Bauregister, wie die Kläger es gewollt hatten, am 1. Dezember 1579 beim Reichskammergericht abgeliefert worden waren, sicherte der Bescheid den Klägern zu, dass ihnen Schlüssel und Register aus dem Gewölbe der Kanzlei des Reichskammergerichts übergeben würden, wenn die Kanzlei vorher von den Registern eine Kopie gefertigt habe. Das muss kurz darauf geschehen sein. Doch ließ dies die Beklagten und ihre Anhänger nicht ruhen. Mit einem Mandat vom 10. Januar 1583 erinnerte das Gericht die Beklagten und ihre Anhänger daran, dass die Kläger die Verwaltung der Kirche mit Recht und verschiedenen Urteilen, zuletzt am 22. Juni 1582, erlangt hätten62. Trotzdem hätten sich die Grafen und die ihnen Gehorsamen am 11. Dezember 1582 etwa eine Stunde vor Tagesanbruch zur Kirche begeben und seien über die Fenster in diese eingestiegen. Dann hätten sie das Schloss, zu dem den Klägern vom Reichskammergericht der Schlüssel ausgehändigt worden war, abgebrochen63, so dass die Kirche offengestanden habe. Folgerichtig schärfte das Mandat noch einmal ein, die Kläger bei der Administration der Kirche und der Gefälle ruhig bleiben zu lassen. Alle bisherigen Ermahnungen hatten die gräflichen Parteigänger jedoch nicht daran gehindert, wenigstens einen eigenen Glöckner neben dem der Kläger zu beanspruchen. Diesem sollte nach Meinung der Beklagten auch ein Teil der dem Glöckner zustehenden Abgaben zukommen64. Die Kläger beharrten dagegen darauf, dass das Geld und die Brotgaben allein dem von den Klägern bestellten Glöckner zustehe. Sodann schilderte das Mandat, dass ein gräfliches Gebot in bemerkenswerten Einzelheiten angeordnet habe, wie jemand von den von der Gemeinde abtrünnigen 62

63

64

Druck (Anm. 4), S. 28–30, 28. Fehlt im Prozessprotokoll ebenso wie in SeylerBarth. Anm. 46: Unter den namentlich aufgeführten Anhängern als Adressaten des Mandats steht „Endres Werner, so das Schloss abgeschmissen“. Anm. 46: Der Glöckner erhielt jährlich von jedem Einwohner Freienseens 17 Pfennige, desgleichen von jedem Nachbarn aus den Dörfern Lartenbach, Ilstorff solmsischen Anteils, zwei Bewohnern des Hofes Flensingen, zwei Bewohnern und vier Hofleuten in Stockhausen, weil sie zur Kirche und Pfarrei Freienseen gehören, jährlich drei Laib Brot wegen Beläutung bei der Beerdigung eines verstorbenen alten und zwei Laib bei der Beisetzung eines jungen Menschen.

Herausgabe der Schlüssel

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Freienseenern, den Lartenbachern, den Ilstorffern oder den Bewohnern zweier genannter Höfe, die in die Freienseener Pfarrei gehörten, auf dem Freienseener Friedhof zu begraben und zu beläuten sei. Dies solle nicht der Glöckner der Kläger sondern der der Abtrünnigen verrichten, wofür er anteilig etwas von den schuldigen Abgaben erhalten solle. Damit hätten die Grafen die Kläger in ihrer Kirchenverwaltung behindert und beeinträchtigt sowie auch sich den Urteilen des Reichskammergerichts widersetzt. Die von der Gemeinde Abgefallenen hätten sich auch deren zum Kirchenbauamt gehörenden Güter, Gefälle und Register bis heute gewaltsam angemaßt und nach ihrem Gefallen verwaltet, verkauft und verändert, zum Teil auch unnütz verbaut und verzehrt. Hier scheint deutlich die Vergeudung des Gemeindegutes auf, die die Freienseener später noch intensiver beschäftigen sollte. Wenn jemand von den Klägern dagegen protestiert habe, hätten die Abtrünnigen allerlei Gewalt gegen diese verübt. So hätten sie sich nicht gescheut, dem Johannes Hess, der damals von den Klägern als Baumeister eingesetzt gewesen sei, einen Zugstier aus dem Stall zu holen und zu verkaufen. Ein anderes Mal hätten sie den Hess in ein beschwerliches Turm-Gefängnis gebracht und ihm 18 fl. Außenstände, die er in Ruppertsburg für verkaufte Ochsen offenstehen hatte, sowie eingesammelte Kirchengefälle und den Abendmahlskelch gewaltsam abgenommen, den die Abtrünnigen und ihre von ihnen angemaßten aber durch Urteil und Recht verworfenen Baumeister vor den Urteilen in Verwahrung gehabt hatten. Zudem habe der Pfarrer, der mit den Grafen und den Abtrünnigen einig sei, den von den Klägern jüngst bestellten neuen Kirchner mit unnützen Worten abgewiesen, als dieser ihn gefragt habe, wann er von den Predigten auf den Dörfern heimkehre, so dass er für ihn rechtzeitig die Kirche öffnen und die Glocken läuten solle. So sei es vorgekommen, dass der Glöckner die Kirche erst habe aufschließen können, als der Pfarrer erschienen sei. Die Gemeinde habe den Glöckner der Abtrünnigen nicht passieren lassen wollen. Wegen dieser Vorfälle seien die Kläger zu Laubach am Gericht gerügt worden. Das Laubacher Gericht habe die Gemeinde für das Verhalten des Glöckners, obwohl dieser völlig schuldlos sei, aus nichtigen Gründen in der beklagten Grafen Gnade und Ungnade gewiesen. Deswegen schärfte das Speyerer Gericht noch einmal ein, dass dies gegen seine Urteile verstoße. Es verbot den Beklagten erneut bei Androhung einer Poen, die Kläger in der Kirchenverwaltung zu beeinträchtigen und sie deswegen mit Rügen oder Strafen zu beschweren. Ebenso sollten sie den von den Abtrünnigen angestellten Glöckner abschaffen und diejenigen Bauregister, die sie noch in Besitz hätten, den Klägern zusammen mit dem, was sie von Kirchenbaugütern und Zinsen erhoben hätten, nach gebührender Berechnung restituieren. Auch sei das dem rechten Glöckner entzogene Geld und Brot sowie der dem Johann Hess abgenommene Ochse und sein Geld unverzüglich und ohne Ein-

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

rede zurückzugeben. Dieses Mandat bezeugt, wie hartnäckig die Grafen den Urteilen und Mandaten widerstanden und dabei auch nicht davor zurückscheuten, Gewalt gegen ihre ungehorsamen Untertanen ausüben zu lassen. Es ist fraglich, ob nicht alle Register bei der Reichskammergerichtskanzlei abgeliefert worden waren oder ob die gräflichen Parteigänger in Freienseen Kopien dazu nutzten, weiter die ihnen nicht zustehenden Gefälle zu erheben. Obwohl den Klägern ausdrücklich die Ausübung der Kirchenverwaltung zugesprochen worden war, ließ die gräfliche Verwaltung gewaltsam durchsetzen, dass die abgespaltene Nebengemeinde sich der Kirchengüter und ihrer Verwaltung bemächtigte. Dadurch wurde die schlichte Herausgabe der Kirchenschlüssel und Kirchenbauregister und der Kirchenverwaltung untrennbar mit den weiteren Problemen der Duldung und Unterstützung einer Nebengemeinde und deren angemaßter Kirchenverwaltung sowie der obrigkeitlichen Beaufsichtigung der Wahl der Gemeindeamtsträger und deren Rechnungslegung verwoben. Noch 1596 war dieser Punkt Gegenstand eines kammergerichtlichen Mandats65, was sich 1605 wiederholte66. Auch im letzten Urteil von 1634 gab es immer noch Anlass, die von der Gemeinde Abgefallenen zu ermahnen, die Kläger nicht in der Kirchenverwaltung und Einsammlung der Gefälle und Bauzinse zu behindern67. Bis zum Schluss war es also nicht gelungen, den simplen Spruch, den Klägern die Kirchenschlüssel sowie die Bauregister und Baurechnungen herauszugeben und sie in der Kirchenverwaltung nicht zu hindern, schlicht zu vollziehen. Sie entwuchs damit dem bloßen Vollzug der Urteile der Sache primi mandati. Es kann daher nicht verwundern, dass schließlich daraus eigene Verfahren entstanden. Dieses Beispiel der eigentlich einfachen Urteilserfüllung durch Restitution der Schlüssel und Bauregister der Freienseener Kirche zeigt die Hartnäckigkeit und Raffinesse, mit denen die Beklagten allen Verboten und Geboten des Gerichtes zu trotzen vermochten.

8.4. Wertersatz für das gepfändete Vieh und Aufrechnung mit dem Ersatz für die abgeätzten Äcker, verweigerten Zinse, Gülten und Renten sowie für nicht geleistete Dienste Ähnliches ist auch beim Vollzug der Verurteilung wegen des gepfändeten Viehs zu beobachten. Das ursprüngliche Begehren der Kläger, das gepfändete Vieh zurückzuerhalten, war durch die lange Prozessdauer aus natürlichen Gründen 65 66 67

Druck: Anm. 4, S. 37ff., 1596 Juli 12. Druck: Anm. 4, S. 50ff., 1605 Juni 18. Druck: Anm. 4, S. 67ff., 1634 August 20.

Wertersatz für das gepfändete Vieh

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obsolet geworden. Es ging beim Vollzug dieses Punktes nur noch darum, für die gepfändeten Tiere einen angemessenen Wertersatz zu bekommen. In ihrer Paritionsschrift vom 16. Mai 1575 hatten die Beklagten die Kläger aufgefordert, darzulegen, um welche Stücke es sich handele, weil einesteils die Gehorsamen ihr Vieh damals schon wiederbekommen hätten, während es andernteils die Ungehorsamen durch allerlei heimliche Praktiken geschafft hätten, ihr Vieh wieder zurückzugewinnen68. Dieses Begehren erscheint nicht unbillig, da selbstverständlich nur für das wirklich und dauerhaft entzogene Vieh Wertersatz gefordert werden durfte. Am 8. Juni 1575 spezifizierte Dr. Fickler als klägerischer Anwalt den Wert des abgepfändeten Viehs69. Zusätzlich schätzte er den Verlust wegen der nicht möglichen Nutzung des Rindviehs auf jährlich 80 Reichstaler, der Schafe auf zehn Reichstaler, der Pferde pro Woche ein Reichstaler. Diesen besonders hohen Wert begründete er damit, dass sie mit den Pferden Nutzen hätten schaffen, also Ackern und Fuhren machen, können. Insgesamt betrage der entgangene Nutzen der gepfändeten Tiere 500 Reichstaler. Am 10. Oktober 1575 hielt der Anwalt der Beklagten der Zahlungsaufforderung entgegen, dass die Freienseener zunächst die Erbhuldigung leisten müssten, was diese verweigerten70. Dem fügte er hinzu, dass die Beklagten nicht als erste zahlen wollten. Dann hätten sie hinterher wegen ihrer Ansprüche das Nachsehen. Die beiderseitigen Leistungen seien „zugleich Zug um Zug, wie man sagt“ zu erbringen. Dementsprechend machten sie eine stattliche Gegenrechnung auf, bei der sie allein den Wert der nicht geleisteten Dienste und nicht gezahlten Zinse, Gülten und Renten vorläufig auf jährlich 100 fl. veranschlagten. Wegen des gepfändeten Viehs gebe es die Besonderheit, dass die Ungehorsamen den Gehorsamen, denen auch ein Anteil an den Gütern zustehe, Vieh abgepfändet hätten. Dazu müsse eine neue Spezifikation aufgestellt werden. Am 8. Juni 1575 kam der klägerische Anwalt dem Begehren nach, den Wert des abgepfändeten Viehs zu spezifizieren71. Doch der Prokurator der Beklagten war auch damit nicht zufrieden72. Nicht zuletzt verlangte er andere Wertansätze. Selbst wenn die von den Klägern angegebenen Zahlen des gepfändeten Viehs richtig wären, was er bestritt, hätten doch die Kläger übermäßige Werte angesetzt. Die neun Pferde seien nicht 30 Taler wert, weil es nur schlechte, einäugige, blinde und elende Bauernpferde gewesen seien. Sach68 69 70 71 72

Anm. 1, Qu. 77. Anm. 1, Qu. 79. Anm. 1, Qu. 80. Anm. 1, Qu. 79. Anm. 1, Qu. 80.

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dienlicher als diese unverkennbar diskriminierende Bewertung sind die Hinweise zu den anderen Tieren. Schafe habe man im vorigen Jahr erheblich billiger kaufen können. Die Schweine seien nicht so viel wie angegeben wert. Der Wert für das Rindvieh sei ebenfalls zu hoch angesetzt, weil nicht zwischen Kühen und Kälbern unterschieden werde. Zudem habe das Vieh jetzt einen höheren Wert als damals vor 20 Jahren. Höhnisch resumierte er, die frommen Freienseener hätten sich bei ihrer Schätzung somit um mehr als die Hälfte verrechnet. Diesem Bestreiten ihrer Wertansätze hielten die Kläger entgegen, dass ihre Schätzungen ausreichend seien, weil schließlich die Beklagten das Urteil erfüllen müssten und nicht die Kläger73. Das war allerdings eine kurzschlüssige Argumentation, weil die Beklagten dem Urteil nicht entsprechen konnten, wenn die Werte nicht feststanden. Deshalb forderten die Beklagten am 15. Juli 1577, dass jeder Betroffene bei seinem Eid bekennen müsse, wie viele Stücke seines Viehs noch ausstünden74. Das unfruchtbare Geplänkel beendete das Gericht, indem es am 9. Mai 1577 dem Prokurator der Kläger auferlegte, binnen sechs Wochen wegen des noch ausstehenden Viehs endgültige Zahlen und Schätzung des Wertes einzureichen75. Der Anwalt der Beklagten solle ebenfalls wegen der abgeätzten Äcker eine Schätzung und wegen der verweigerten Dienste und Zins- und Rentenzahlungen glaubhafte Anzeige und Schätzung abgeben. Der Prokurator der Beklagten erfüllte diese Auflage am 19. Juni 1577 mit einer Anzeige und Liquidation für die abgeätzten Äcker in Höhe von mindestens 100 Talern jährlich, also insgesamt 2.300 Taler.76. Der Freienseener Prokurator reichte am 3. Juli 1577 eine spezifizierte Liste der Betroffenen ein mit Angabe der Zahl des bei jedem einzelnen gepfändeten Viehs nebst Schätzung von dessen Wert77. Am 13. September 1577 erbat er weitere Erläuterung des Urteils von 157478. Er bezweifelte die Höhe der Schätzung für die Nutzung der abgeätzten Äcker. Der Beklagtenanwalt revanchierte sich am 13. November 1577 mit einer Exceptionsschrift gegen die Angaben der Kläger79. Darin bestritt er erneut die Schätzungen indem er darauf hinwies, dass man selbst heute, da doch alles teurer als damals geworden sei, nicht so viel erlösen kön-

73 74 75

76 77 78 79

Anm. 1, Qu. 82. Anm. 1, Qu. 83. Prozessprotokoll (Anm. 1), sub dato; Druck: Anm. 1, S. 22. Seyler-Barth (Anm. 9), S. 255, A. Anm. 1, Qu. 86. Anm. 1, ohne Qu. Anm. 1, Qu. 92, 93. Anm. 1, Qu. 94.

Wertersatz für das gepfändete Vieh

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ne, wie die Freienseener angesetzt hätten. Vor allem hätten diese überhaupt nicht genügend Viehfutter gehabt für so viel Rindvieh, wie sie als gepfändet angegeben haben. Zudem stünden in der Liste der Gepfändeten eine Reihe von Personen, die mit der Klage nichts zu tun gehabt hätten und zufrieden und gehorsam seien. Sie seien ohne ihr Wissen in die Liste aufgenommen worden. Unter den Schafhaltern stünden drei, die zu der Zeit gar keine Schafe gehabt hätten. Addiere man die Zahl der angeblich gepfändeten Schafe, so komme man auf 762 und nicht nur auf die geforderten 733 Stück. Damals hätten die Freienseener jedoch nur 400 Schafe im Pferch halten dürfen, von denen einige den Gehorsamen gehört hätten, also kaum zu den gepfändeten zu zählen seien. Wie könnten dann, stellte der Prokurator die rhetorische Frage, mehr als 400 Schafe abgepfändet worden sein? Weiter hätten die Freienseener behauptet, dass ihnen 400 weitere Schafe abgepfändet worden seien. Dabei ergebe die Addition der Einzelpositionen nur die Zahl von 301 Stück. Da im Urteil nichts über die entgangene Nutzung des Viehs stehe und dort gesagt sei, dass die Beklagten in den übrigen Punkten freigesprochen würden, könnten die Kläger die entgangene Nutzung nicht geltend machen. Dies waren gewichtige Einwände gegen die Forderungen der Freienseener. Am 17. Oktober 1578 ging das Gericht auf die Probleme in einem weiteren Läuterungsurteil ein80. Wegen der Liquidationsansätze wurde eine Kommission angeordnet. Dort sollten die Kläger darlegen, dass das noch ausstehende Vieh 2.359 fl. rheinisch wert sei, während die Beklagten die Summe von 2.013 fl. rheinisch und 30 Kreuzer als Wert der entgangenen Dienste und der ihnen nicht gezahlten Gülten, Renten und Zinse begründen sollten. Ebenso sollten die Beklagten den Schaden für die abgeätzten Äcker näher darlegen. Sodann könnten beide Parteien schwören, dass ihnen dieser Schaden jeweils entstanden sei. Dies war die Lösung des Gemeinen Rechts für die Beweisprobleme bei solchen Wertansätzen. Die begünstigte Partei musste glaubhaft spezifizieren, dass sie einen Schaden in der genannten Höhe erlitten habe. Dann wurde sie zum Eid darüber zugelassen, dass ihr dieser Schaden wirklich entstanden sei und zwar in der gewundenen Form, dass sie lieber diese Summe einbüßen wolle als den Schaden in dieser Höhe zu erleiden (actio iniuriarum aestimatoria). In Erfüllung dieses Urteils überreichte der Prokurator der Kläger am 13. November 1578 eine Anzeige wegen der Nutzungsausfälle der ihnen entzogenen Ausfelder und Wüstungen81. Er bezifferte sie auf 150 fl. jährlich, wovon er jedoch nur zwei Drittel geltend mache, weil nur zwei Drittel der Gemeinde 80

81

Anm. 1, Prozessprotokoll, sub dato. Druck (Anm. 4), S. 22f. (es fehlen die betreffenden Stellen über die Wertansätze) Seyler-Barth (Anm. 9), S. 406, B. (inclusive der Stellen über die Wertansätze). Anm. 1, Qu. 95.

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die Nutzungen hätten entbehren müssen. Da ihnen die Wüstungen 26 Jahre vorenthalten worden seien, belaufe sich der Schaden auf 2.600 fl. Auch der Prokurator der Beklagten überreichte zur Erfüllung des Urteils vom 17. Oktober 1578 am 17. November 1578 eine Aufstellung nebst drei Registern82. Am 20. März 1579 äußerte er sich im Sinne des Urteils vom 17. Oktober 1578 zu den Äckern83. Diejenigen, die darüber am besten Bescheid gewusst hätten, seien alle bis auf einen gestorben. Doch sei in den Defensionalartikeln 54–59 genug darüber berichtet. Es seien dazu auch Zeugen vernommen worden, deren Aussagen sich in den Akten befänden. Daraus ergebe sich, dass die Freienseener sich selbst erboten hätten, die gepfändeten acht Schweine für den Abtrag zu geben. Sie hätten jedes auf 8 fl. geschätzt, also insgesamt auf 64 fl. Doch hätten die Beklagten die Schweine nicht behalten wollen, sondern den Schaden und die Verwüstungen auf mehr als 100 fl. geschätzt. Der Vertrag über die Wüstungen sei nichtig. In jedem Fall müssten die Kläger die Dienste den Beklagten als ihrer Obrigkeit erbringen. Am 18. Mai 1579 betonte der solmsische Anwalt noch einmal. der Vater der Beklagten habe die Pfändungen wegen des ständigen Ungehorsams der Kläger vornehmen lassen84. Dabei war über die Unrechtmäßigkeit dieser Pfändungen schon geurteilt worden. Aber dieser Punkt war den Grafen so wichtig, dass sie das Problem trotzdem noch einmal in ihrem Sinne glaubten, zur Sprache bringen zu sollen. Am 17. Juni 1580 überreichte Dr. Fickler eine weitere Liste mit Aufstellung von 200 Schafen, die die Grafen am 7. Oktober 1572 gepfändet gehabt hätten85. Dazu übergab er eine Aufstellung der Gefangenen, die sich aus dem Gefängnis hätten auslösen müssen86. Diese Lösesummen kämen zu den Werten der alten Pfändungen und Gefangenschaftslösegelder neu hinzu. Noch am 17. Dezember 1584 war die Sache offenbar noch nicht erledigt, wie ein Hinweis in einem Schriftsatz der Kläger beweist, dass nach dem Bescheid vom 17. Oktober 1578 der Wert des Viehs auf 2.359 fl. taxiert worden sei87. Schließlich verliert sich die Spur dieses ursprünglich zentralen Anliegens der Freienseener in den Akten. Es taucht in keinem Schriftsatz und keinem Bescheid des Gerichts mehr auf. Die Parteien hatten ihn offenbar über ihren hitzigen Auseinandersetzungen um obrigkeitliche Befugnisse der Grafen in Freienseen und die Ausübung der Kirchenverwaltung aus den Augen verlo82 83 84 85 86 87

Anm. 1, Qu. 102. 103–105. Anm. 1, Qu. 104. Anm. 1, Qu. 105. Anm. 1, Qu. 116. Anm. 1, Qu. 117. Anm. 1, Qu. 172.

Zoll und Erbhuldigung

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ren. Ob und gegebenenfalls wann die zur Abwicklung der beiderseitigen Wertersatzforderungen notwendigen Eide überhaupt geleistet wurden, ist den Akten nicht zu entnehmen. Das Nachlassen des Interesses an dieser Frage könnte dadurch bewirkt worden sein, dass schon ein schneller Überschlag ergibt, wie wenig – wenn überhaupt – nach Aufrechnung der beiderseitigen Forderungen als Saldo für eine der beiden Parteien herauskommen würde. Die ständig neuen Pfändungen der Grafen und ihrer Beamten sowie der verfeindeten Nachbarn im Dorf gehörten nicht in das Vollstreckungsverfahren primi mandati, sondern wurden von den Parteien gesondert beim Gericht in Speyer vorgebracht, so dass dieser Punkt als unerledigt betrachtet werden muss.

8.5.

Zoll und Erbhuldigung

Neben diesen endlosen Streitereien um die Erfüllung des Endurteils primi mandati von 1574 in den Positionen der Rückgabe des Kirchenschlüssels und der Kirchenbauregister, des Wertersatzes für das gepfändete Vieh und Erstattung der vorenthaltenen Renten, Gülten, Zinse und Ersatz für die nicht geleisteten Dienste erscheint die Position des Zollverbots in Freienseen so gut wie unproblematisch. Schon bei den prozessualen Auseinandersetzungen hatte dieser Punkt keine nennenswerte Rolle gespielt. Das wiederholte sich auch in der Vollzugsphase. Kein einziges Mal beschwerten sich die Freienseener darüber, dass die Grafen nach 1574 weiter Zoll erhoben hätten. Die Landesherrschaft scheint umstandslos auf diesen Anspruch verzichtet zu haben. Hatte sich die Zollerhebung in Freienseen nicht gelohnt, so dass der Verzicht leicht fiel? Immerhin war Freienseen, worauf zurückzukommen sein wird, keineswegs ein reines Bauerndorf, sondern besaß eine durchaus nennenswerte Zahl von Leinewebern. Für deren Produkte Zoll zu erheben, mochte der gräflichen Verwaltung lohnend erschienen sein. Aus anderen Gründen war die Erfüllung des ersten Läuterungsurteils von 1575 unproblematisch, obwohl es dabei um die Kernfrage der Streitereien ging, nämlich ob Freienseen ein von solmsischer Landesherrschaft freies Reichsdorf war. Die Grafen hatten verlangt, dass die rebellischen Bauern zunächst die Erbhuldigung leisten müssten, bevor man über den Wertersatz für das gepfändete Vieh verhandeln werde88. Die Freienseener hatten sich geweigert und um Erläuterung des Urteils gebeten89. Das daraufhin am 20. Sep-

88 89

Anm. 1, Qu. 77, 1575 Mai 16. Anm. 1, Qu. 79, 1575 Juni 8.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

tember 1575 ergehende Urteil90 gab allerdings den Beklagten auf ganzer Linie Recht. Es verurteilte die Kläger, den Beklagten „als ihrer ordentlichen Obrigkeit die Erbhuldigung zu leisten“. Erst dann müssten die Beklagten den Wertersatz für das gepfändete Vieh leisten. Nach dieser Verknüpfung der Erbhuldigung mit den ihnen zustehenden Wertersatzansprüchen wäre es für die Kläger unpraktikabel gewesen, die geforderte Erbhuldigung weiter zu verweigern. Konsequenterweise ist davon weiter auch keine Rede mehr. Das Erläuterungsurteil vom 17. Oktober 157891 erwähnte nur en passant noch einmal, dass es wegen der Erbhuldigung beim Urteil bleiben solle, die Beklagten allerdings keine Neuerungen vornehmen sollten. Offenbar hatten die Grafen versucht, in die Erbhuldigungsformel neue Kautelen einzubauen, gegen die die Kläger sich damit erfolgreich gewehrt haben. Mehr konnten die Freienseener in diesem Punkt nicht erreichen.

8.6.

Holzfahrten, Fischerei und Baudienste

So schnell und reibungslos konnten andere Positionen, die für die Beklagten von größter Bedeutung waren, nicht erledigt werden. Im Endurteil von 1574 waren den Beklagten nur von ihren eigenen Leibsangehörigen die viertägigen Jagddienste zum hohen Wildbret und die Dienste zur Hasenjagd zugesprochen worden. Dagegen blieben die Kläger zu den üblichen Ackerdiensten inklusive einer Holzfahrt nach dem 16. Defensionalartikel der Beklagten verpflichtet. Das Erläuterungsurteil vom 17. Oktober 157892 schärfte nur noch einmal ein, dass es bezüglich der Holzfahrten und der Fischerei bei dem Urteil bleiben solle, als ob das Urteil in dieser Hinsicht eindeutig gewesen wäre. So setzte sich die Kontroverse der Parteien über diese Punkte weiter fort. In beiden Punkten wollte das Urteil vom 22. Juni 1582 dem Streit ein Ende setzen93. Die Auseinandersetzung über die Fischerei nahm das Gericht als nicht zur Vollstreckung des Urteils primi mandati gehörig aus diesem Verfahren heraus. Für die Holzfahrten legte das Gericht dagegen nunmehr eindeutig fest, dass nur die Ackersleute von Freienseen, also diejenigen Bauern, die Zugvieh zum Ackern hatten, zur Holzfahrt verpflichtet seien, aber nur einmal jährlich ins Schloss nach Laubach. Das waren Brennholzfuhren, nicht 90 91 92

93

Nicht im Prozessprotokoll. Druck: Anm. 1, S. 21f.; Seyler-Barth, Anm. 9, S. 97, D. Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato; Seyler-Barth, Anm. 9, S. 496, B. Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato. Druck: Anm. 4, S. 22. Seyler-Barth, Anm. 9. S. 255, A. Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato. Druck: Anm. 4, S. 26f. Seyler-Barth, Anm. 9, S. 779f., C.

Holzfahrten, Fischerei und Baudienste

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aber die Holztransporte zum Ausbau des Schlosses, die schon Graf Friedrich Magnus I. von den Freienseenern ebenso wie Fahrten zum Transport von Lehm, Steinen und Ziegeln hatte erzwingen wollen. Diese wurden nunmehr eindeutig verboten. Das Gericht hatte diese Entscheidung schon durch ein Mandat vom Vortag vorbereitet94, mit dem es den beiden Grafen befohlen hatte, den Betroffenen dasjenige, was sie wegen verweigerter Holzfahrten am Christabend und Montag nach dem Christtag 1578 sowie am Neujahrsabend 1579 hatten pfänden lassen, zu restituieren. Auch, was der Laubacher Stadtknecht einigen Freienseenern gepfändet hatte, weil sie am 10. Mai 1580 zum Mühlenbau nicht Steine, Speis, Lehm und anderes hatten tragen wollen, sollte zurückgegeben werden. Für wie eindeutig das Gericht diese Positionen hielt, erweist sich daran, dass es dieses Mandat sine clausula erließ, also die Beklagten keine Möglichkeit bekamen, gegen diese Entscheidung etwas vorzubringen. Trotz dieser klaren Worte und Eindeutigkeit meinten die Grafen, auf diese Fronen und Dienste nicht verzichten zu können. In ihren Revisionsgravamina vom 6. Juli 158395 klagten sie beredt, dass es ihnen sonst unmöglich gemacht werde, ihre Hofhaltung und Residenz auszubauen und zu erhalten. Nach der Zurückweisung ihrer Revision verwandelten sie ihren Revisionsantrag in einen solchen auf weitere Erläuterung des Endurteils in ihrem Sinne. In den Akten befänden sich genügend Beweise, dass die Freienseener zu allen Fronen und Diensten verpflichtet seien. Das könne nur versehentlich bei der Abstimmung über die Urteilsfindung übersehen worden sein. Doch das Gericht wollte diesen ihm angebotenen Ausweg nicht betreten. Am 5. März 1597 wiederholte es in einem Mandat, dass 1582 die Kläger von der Verpflichtung zu Baudiensten freigesprochen seien und nur den Ackerleuten lediglich eine Holzfahrt im Jahr auferlegt worden sei96. Den Grafen sei es daher nicht erlaubt, die Kläger mit Androhung von Gefängnis und Pfändungen entgegen den richterlichen Erkenntnissen zu solchen Baudiensten zu zwingen. Trotz dieser Anordnung muss die gräfliche Verwaltung auch von den Freienseenern Baudienste gefordert haben. Die wegen verweigerter Baudienste gepfändeten Gegenstände seien zu restituieren. Zu einer (Er-)Läuterung des Endurteils im Sinne der Beklagten kam es dementsprechend nicht. Ob die gräfliche Seite die Wiederholung der Anordnungen im Jahre 1597 besser befolgt hat als die des Läuterungsurteils von 1582 mag bezweifelt werden.

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Druck: Anm. 1, S. 23ff. Anm. 1, Qu. 148. Druck: Anm. 4, S. 40f.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

8.7. Verbot der Unterstützung der von der Gemeinde abgefallenen Nachbarn und Duldung der Wahl von Bürgermeistern, Heimbürger, Baumeister und Hirten Probleme der gemeindlichen Selbstverwaltung wurden nur schrittweise in den Prozess eingeführt, obwohl der Widerstand gegen die gräflichen Ansprüche die Gemeinde von Anfang an gespalten hatte, wie der gräfliche Prokurator am 17. Mai 1563 in seiner Probationsschrift knapp konstatierte97. Der Streit begann damit, dass die dem Grafen gehorsamen Freienseener ihr Vieh von dem der Kläger trennten und durch einen eigenen Hirten auf die Weide treiben ließen, weshalb sie sich weigerten, ihren Anteil an der Entlohnung des Gemeindehirten zu entrichten98. Wegen dieses Ausbrechens aus der Einheit der gemeindlichen Lebensform pfändeten ihnen die Kläger 12 Kühe, die sie allerdings auf Intervention der vormundschaftlichen Regentschaft hin zurückgeben mussten. Diese sah in der Pfändung eine obrigkeitliche Handlung, die sie den Klägern nicht zugestehen wollte. Auch die Weigerung der Gemeinde, den Gehorsamen aus den Gemeindewäldern Brennholz für den Winter zu geben, um sie damit an die Seite der Kläger zu nötigen, nutzte Graf Friedrich Magnus I., um aus Fürsorge für seine bedrängten Untertanen einzugreifen. So wurde aus Streitigkeiten innerhalb der dörflichen Gemeinde eine Auseinandersetzungen mit der gräflichen Landesherrschaft, die offenbar gern zugunsten der ihnen gehorsamen Einwohner von Freienseen Partei ergriff. Wenig später sahen die Kläger sich veranlasst zu betonen, dass die Freienseener immer ihren Bürgermeister, Baumeister, Heimbürger und Hirten gehabt hätten, ohne dass der Graf sie daran gehindert habe und ins Dorf eingedrungen sei, um sie zu pfänden99. In demselben Schriftsatz betonten sie, dass sie die Freienseener Kirche mit ihren eigenen schwachen Kräften erbaut, die Rechnungen selbst abgehört und alle Einfahrt und Gemeindesachen selbst geordnet und verwaltet hätten, womit das Problem der Kirche mit dem der gemeindlichen Selbstverwaltung verknüpft wurde. Das Thema der Kirche spielte ebenfalls eine Rolle in der Beschwerde der Kläger, dass der Graf vor einigen Jahren etliche Gewänder, die sie gekauft gehabt hätten, aus der Kirche habe entfernen, auch ihnen die Schlüssel zur Kirche habe abnehmen und den Bau verschließen lassen. Dadurch habe sie der Graf allen Gottesdienstes und der Heiligen Sakramente beraubt. Diese Begründung klingt wenig überzeugend, weil die Kläger ja auch dann den Gottesdienst hätten besuchen können, 97 98 99

Anm. 1, Qu. 56. Anm. 1, Qu. 7, Artikel 84, 85. 1555 Februar 15. An den Kammerrichter, 1555 Dezember 16.

Verbot und Duldung

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wenn andere die Kirche aufschlossen. Dahinter steckte jedoch auch wieder ein Problem der gemeindlichen Selbstverwaltung. Ohne eigenen Kirchenschlüssel war den Klägern nämlich der jederzeitige Zugang zum Glockenturm verwehrt. Mit Glockenschlag wurde aber die Gemeinde zusammengerufen, wenn sie ihre Angelegenheiten besprechen oder beschließen wollte. Der Kampf um die Kirchenschlüssel war also auch ein Kampf um die unbeeinträchtigte Ausübung der Gemeindeselbstverwaltung. Deshalb erschien es den Freienseenern auch als ein Eingriff in ihre Selbstverwaltungsrechte, als Graf Friedrich Magnus I. durch seinen Amtmann Kraft Specht von Bubenheim die Gemeinde mit öffentlichem Glockenschlag zusammenrufen ließ100. Wie heftig der Streit in der Gemeinde ausgefochten wurde, zeigt der Vorwurf, die ungehorsamen Kläger hätten die Anhänger des Grafen, als diese mit Hilfe des Laubacher Schultheißen ihren Holzanteil aus den Wäldern holen wollten, mit dem Geschrei „schlag tot, schlag tot!“ angefallen und geschlagen, so dass sie zusammen mit dem Schultheißen aus Angst fliehen mussten101. Im Februar 1560 bestraften zwei der ungehorsamen Freienseener Heintz Oswalt, einen gräflichen Parteigänger, mit der Beschlagnahme seiner Axt, als er für seinen Bedarf ohne Erlaubnis der Gemeinde etliches Holz gehauen hatte102. Die Kläger meinten, damit lediglich ein Recht aus der Verwaltung ihrer Gemeindegüter ausgeübt zu haben. Die gräfliche Seite dagegen sah darin erneut eine Usurpation von Obrigkeit, die der Gemeinde nicht zustehe. Gelegentlich eskalierte der Streit in der dörflichen Nachbarschaft, wie der Vorwurf beweist, dass am Sonntag Oculi 1560 am helllichten Tag von Rebellen drei große Steine ins Haus und zwei weitere vor die Tür von Jungchen, einem Anhänger des Grafen, geworfen worden seien103. Die Freienseener bestritten dies als offensichtlich erfunden104. Solche Klagen gebe es täglich. Daher hätten die Betroffenen den Grafen gebeten, sie vor solcher Gewalt zu schützen, weil sie sonst mit Weib und Kindern das Dorf verlassen müssten. Diese Aufforderung veranlasste den Grafen, seine bedrohten Untertanen wegen des ihm von Gott übertragenen Amtes vor solcher Gewalt zu schützen105. Der von Graf Friedrich Magnus I. betriebene Umbau seiner gräflichen Landesherrschaft zu einem Obrigkeitsstaat duldete keine so weitgehenden

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101

102 103 104 105

Anm. 1, Qu. 13, 1555 Dezember 6, unquadrangulierte Beilage (Schreiben der Kläger an den Kammergerichtsamtsverweser Artikel 35. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX. 13 Freyenseensia Nr. 13, fol. 6v.–30r. Defensionalartikel, Artikel 90. Anm. 1, Qu. 48, 1560 September 2. 1. Artikel. Anm. 97, 3. Artikel. Anm. 1, Qu. 50, 1560 Juli 6. Anm. 97, 4. Artikel.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

Selbstverwaltungsrechte, wie sie die Freienseener traditionell für sich beanspruchten Die Kläger antworteten ebenso grundsätzlich, indem sie sich auf den Kaiser beriefen, auch wenn der gräfliche Schultheiß seinen mangelnden Respekt vor dem Kaiser deutlich ausgesprochen habe106, was der gräfliche Prokurator selbstverständlich vehement bestritt107. So solle der Graf bedenken, dass er auch einen Oberen habe, der verhindern könne, wenn er wegen eventueller Handlungen einzelner eine Person nach der anderen aus einer ganzen universitas an Leib und Gut strafe108. In Konsequenz dieser Haltung bestätigten die Beklagten zwar, dass die Zeugen bekundet hätten, den Klägern stehe die Wahl von Bürgermeister. Baumeister, Heimbürger und Hirten wie anderen solmsischen Dorfschaften zu. Sie fügten aber ergänzend hinzu, dass diese gemeindlichen Amtsträger keine Obrigkeit besäßen109. Angesichts so massiver Auseinandersetzungen über die gemeindliche Selbstverwaltung verwundert es, dass das Endurteil vom 10. November 1574 von diesen Problemen nur die Entwendung und Vorenthaltung der Kirchenschlüssel sowie der Kirchenbaurechnungen und Zinsregister erwähnt hatte110. Bei dem Bemühen der gräflichen Seite, dem Urteil nachzukommen, spielte daher zunächst die Freienseener Kirche neben der Konkretisierung der beiderseitigen Ersatzforderungen eine hervorgehobene Rolle111. Dabei wird immer deutlicher, wie geschickt die Grafen es verstanden, die beiden Parteien in der Gemeinde Freienseen zugunsten ihrer eigenen Interessen gegeneinander auszuspielen. Im Erläuterungsurteil vom 17. Oktober 1578112 wurde den Klägern die freie Wahl von Bürgermeistern, Heimbürgern und Hirten zugesichert. Am 18. Mai 1579 bestritt die gräfliche Seite, die Wahl der Bürgermeister und Baumeister behindert zu haben113. Doch war dies dieselbe listige Argumentation wie bei der Übergabe der Schlüssel und Register, wie der Zusatz beweist. Die Beklagten hätten den Klägern freigestellt, eine freie Wahl in der ganzen Gemeinde durchzuführen. Damit seien die Kläger jedoch nicht zufrieden gewesen, sondern hätten eine abgesonderte Gemeinde haben wollen, was nicht im Sinne des Urteils sei. Diese Argumentation kehrte geschickt die reale Entwicklung um. Nicht die Mehrheit, die als ganze Gemeinde geklagt 106 107 108 109 110 111

112 113

Anm. 1, Qu. 50, zu 4. Anm. 1, Qu. 51, zu 4. Anm. 101. Anm. 1, Qu. 57. Kap. 4.2, Anm. 9. Anm. 1, Qu. 77, 1575 Mai 16; Qu. 78, 1575 Mai 30; Qu. 79, 1575 Juni 8; Qu. 82, 1576 Juni 6; Qu. 84, 1577 Februar 6; Qu. 87, 1577 Juni 19; Qu. 92, 1577 September 13. Dieser Passus fehlt im Druck. Anm. 1, Qu. 105, 1579 Mai 18.

Verbot und Duldung

101

hatte, wollte eine abgesonderte Gemeinde bilden, sondern die Minderheit der wohl solmsischen Leibsangehörigen war, wie die Kläger es ausdrückten, von der Gemeinde abgetreten und beanspruchte mit Unterstützung der gräflichen Landesherrschaft, eine Nebengemeinde bilden zu dürfen. Die gemeindliche Selbstverwaltung wurde damit nicht mehr wie bisher – nur eingekleidet in andere Problemstellungen – sondern mit der Wahl der Amtsträger der Gemeinde unverhüllt und direkt thematisiert. Die Vorstellung der solmsischen Regierung von einer freien Wahl wich dabei grundlegend von der der Kläger ab, wie aus dem Schriftsatz vom 16. Mai 1579 hervorgeht114. Am 20. Februar 1577 hatte der Laubacher Schultheiß die Kläger geladen und ihnen freigestellt, sich dieses Mal, an der Wahl der Bürgermeister und Baumeister zu beteiligen. Nachdem sie dies abgelehnt hatten, wurde gewählt. Der Schultheiß bestätigte die Gewählten und verpflichtete sie, ihr Amt fleißig auszuüben. Damit war die freie Wahl von Selbstverwaltungsorganen zu einem von der Herrschaft kontrollierten Akt mutiert. Zusätzlich beanspruchte der gräfliche Amtsträger aber nicht nur die Beaufsichtigung der Wahl und die Bestätigung der Gewählten, sondern auch die Aufsicht über die Amtsführung der Gemeindebeamten115. Die Herrschaft nahm also die vollständige Aufsicht mit daraus resultierenden Eingriffsmöglichkeiten in die Selbstverwaltung in Anspruch. Die gräfliche Verwaltung und die den Grafen gehorsamen Freienseenern machten von diesen Möglichkeiten rigoros Gebrauch, indem die Gemeindevertreter der Nebengemeinde die Kläger straften und pfändeten, weil sie Forderungen von deren gewählten Amtsträgern nicht erfüllt hätten. Diese Pfändungen nahmen den widerstrebenden Klägern erhebliche Vermögenswerte aus der Hand, wie das Mandat vom 21. Juni 1582 beweist. Darin befahl das Gericht, die einzeln aufgeführten gepfändeten Gegenstände zu restituieren116. Das Urteil vom 22. Juni 1582 machte dann endgültig Schluss mit der Unsicherheit in diesem Punkt und den Machenschaften der gräflichen Verwaltung, die Herrschaftstreuen vorzuschicken117. Es ordnete an, weder die Wahl der Bürgermeister, Baumeister und Hirten zu verhindern noch die ihnen anhängigen Freienseener darin zu stärken und ihnen zu gestatten, auf vorhergehenden Glockenschlag der Gemeinde zu Freienseen gemeine Wiesen anderen zu verleihen, Bauzins einzufordern, über Wege, Stege, Brunnen und Gehölz sich der Verwaltung und Administration zu unternehmen; item auch Bürgermeister, Baumeister und Hirten zu erwählen zu erlauben, durch dieselbige die Kläger

114 115 116 117

Anm. 1, Qu. 106. Anm. 1, Qu. 107, 1579 Mai 18. Qu. 97, 1578 November 28; Qu. 105, 1579 Mai 18. Druck: Anm. 4, S. 23f. Druck: Anm. 4, S. 26f.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

mit Einfahrts- Geboten und Verboten zu beschweren, und wenn sie ihnen die Bauzinse nicht reichen noch gehorchen wollen, sie darüber zu rügen, zu strafen und zu pfänden, sich durch ihre Beamten einer Inspektion der Wahl und Bestätigung der gewählten Bürgermeister und Baumeister anzumaaßen und zur Abhörung der Rechnungen sich mit einzubringen, wie es mit den Bußen der Einfahrt und Verkauf deren Pfänder zu halten sei, Abschied zu geben, zu verbieten nicht geziemt, sondern dessen allen sich hinfort zu enthalten. Auch diese klaren Anordnungen veranlassten die Beklagten nicht zur Änderung ihrer Haltung. Am 8. Oktober 1582 ließen sie versichern, dass sie die Wahl der Bürgermeister nicht zu behindern gedächten118. Aber als Herren der Freienseener, die als solche im Urteil vom 20. September 1575 anerkannt worden seien, hielten sie sich sowohl für berechtigt als auch für verpflichtet, alles zu beaufsichtigen. Als Obrigkeit müssten sie verhindern, dass die Kläger sich untereinander durch die Finger sähen. Sonst würde die Kirche bald ihres Einkommens entblößt. Dadurch würden die Kläger auch nicht in ihren Rechten beeinträchtigt. So werde es überall in deutschen und anderen Landen gehalten Es ging jedoch über diesen hehren Anspruch der Grafen, nur Unrecht verhüten zu wollen, weit hinaus, wenn sie den Zugang zur Kirche verhinderten, als Bürgermeister Beer die Gemeinde zum Zweck der Kirchenverwaltung zusammenrufen wollte119. Dies hatten die Kläger auch nicht dadurch verhindern können, dass sie sich auf das Urteil beriefen. Weil Bürgermeister Beer die Gemeinde trotz Verbots zusammenrief, hätten die Grafen ihn für einen Tag gefangen gesetzt. Schließlich habe das Schöffengericht Laubach am 25. Oktober 1581 jeden Freienseener zu einer Buße von 30 fl. verurteilt. weil sie ihres Herrn Gebot missachtet hätten. Dabei hätten die Kläger lediglich in Ausführung des Urteils Holz ausgeben und dazu die Gemeinde durch Glockenschlag zusammenrufen wollen. Bei der Holzverteilung sei es zu einem Streit mit den gehorsamen Nachbarn gekommen. Diese seien nicht zur Gemeindeversammlung erschienen. Beim zweiten Mal habe der Bürgermeister sie aufgefordert, wie die anderen Nachbarn hinauszugehen und auf ihr Los zu warten. Das Misstrauen zwischen den verfeindeten Nachbarn war jedoch zu groß, um noch gemeinsam handeln zu können. Die grafentreuen Nachbarn hätten mit höhnischen Worten geantwortet, die Kläger wollten lediglich mit ihnen nicht gemeinsam Einfahrt halten. Am 1. November seien die von der Gemeinde Abtrünnigen in den Freienseener Wald eingefallen und hätten nach Gutdünken Holz gefällt – und zwar nicht geringe und schadhafte Stücke sondern beste Buchen. Der Konflikt in der Gemeinde war also durch die bisherigen Urteile nicht gemindert sondern war immer weiter eskaliert. Die Folgerung 118 119

Anm. 1,Qu. 135. Anm. 1, Qu. 136., 1582 Oktober 8.

Gefangene

103

der Kläger, dass die Beklagten sich dem Urteil mutwillig und halsstarrig widersetzten, ist nachvollziehbar. Sie baten daher darum, gegen die Beklagten mit schärferem Prozess vorzugehen, damit die armen Kläger acht Jahre nach der Definitivsentenz Exekution und Vollstreckung bekämen und endlich das ihnen Zuerkannte genießen könnten. Die Kläger hatten jedoch weiter in allen Punkten immer wieder Anlass zu neuen Beschwerden. Dass diese Probleme bis zuletzt nicht im Sinne der kammergerichtlichen Bescheide erledigt waren, beweist das Mandat vom 20. August 1634120, das noch einmal unter Anführung aller früheren Urteile in größter Ausführlichkeit die Kirchenverwaltung, die von gräflicher Inspektion und Bestätigung freie Wahl der Gemeindebeamten, das Verbot einer Nebengemeinde und deren Verfügung über Gemeindegut thematisierte. Also auch und gerade dieser Problembereich, der für beide Parteien von zentraler Bedeutung war, konnte durch die Mandate und Urteile des Reichskammergerichts nicht befriedet werden.

8.8.

Gefangene

Das schärfste und die Kläger am meisten drückende Repressionsmittel war die Gefangennahme meist der Wort- oder Rädelsführer der klagenden Gemeinde und ihre Gefangenhaltung unter schwersten Bedingungen, um sie zur Unterwerfung unter den Grafen und seine Obrigkeit zu zwingen. Dementsprechend hatte das Gericht in dem ersten Mandat vom 8. Oktober 1554 Graf Friedrich Magnus I. befohlen, alle Gefangenen auf eine gewöhnliche Urfehde aus der Haft und dem Gefängnis zu entlassen121. Doch im Mandat vom 6. November 1571 mussten die Vormünder der Erben des Grafen sich ebenfalls den Vorwurf gefallen lassen, vier hessische Leibeigene, die nicht straffällig gewesen seien und sich zu Recht erboten hätten, am 8. August 1571 gewaltsam gefangen genommen und 12 Wochen der Freiheit beraubt zu haben122. Wieder wurde den Beklagten befohlen, sie gegen schlichte Urfehde frei zu lassen. Die Hervorhebung als einfache Urfehde richtete sich dagegen, dass die gräfliche Verwaltung Freilassungen immer wieder von der Zahlung von Geld und der Zusicherung abhängig gemacht hatte, vom Prozess gegen die Grafen abzustehen. Trotz dieser Vorgänge erwähnten weder das Endurteil von 1574123

120 121 122 123

Druck: Anm. 4, S. 67ff. Druck: Anm. 4, S. 15ff. Druck: Anm. 4, S. 19ff. Druck, Anm. 4., Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato.

104

Ein Endurteil – und doch kein Ende

noch das Läuterungsurteil vom 20. September 1575124 oder das ergänzende Mandat vom 9. Mai 1577125 oder auch das Erläuterungsurteil vom 17. Oktober 1578126 das Problem der Gefangenen, die allerdings nach solmsischer Darstellung sowieso nicht wegen ihres Ungehorsams sondern wegen krimineller Vergehen inhaftiert worden seien127. Über die Rückzahlung der den ursprünglich Gefangenen für ihre Freilassung abgepressten Gelder wird in der langen Phase des Urteilsvollzugs kein Wort verloren. Die kammergerichtlichen Ermahnungen hielten die gräfliche Verwaltung nicht davon ab, auch nach dem Endurteil von 1574 ständig weiter Freienseener zu inhaftieren. Am 4. März 1577 klagte der Freienseener Anwalt vor den Deputierten, dass die Grafen etliche Untertanen aus dem Flecken ausgewiesen sowie Johann Hess und einige andere vor einigen Tagen mit Gefangennahme gezwungen habe, eidlich auf das Prozessieren zu verzichten128. Auch das umfangreiche Mandat vom 21. Juni 1582 griff diese Problematik erneut auf und zählte 14 Freienseener auf, denen für die Freilassung aus dem Gefängnis Geld abgenommen worden war, was, wie das Gericht betonte, dem Urteil vom 10. November 1574 widerspreche, weshalb diese Summen zu restituieren seien129. Diese Anordnung erging allerdings nicht sine clausula justificatoria, sondern mit dem Vorbehalt, Einwände vorbringen zu können, so dass die Beklagten den üblichen Einwand vorbringen konnten, die Verhafteten seien nicht wegen ihrer Teilnahme an dem Prozess gefangengesetzt worden sondern wegen normaler Vergehen. Diese Vorgänge nach 1574 waren jedoch nicht mehr Gegenstand der Vollstreckung des Endurteils im Verfahren primi mandati. Aus ihnen entstanden vielmehr eigene Verfahren, über die an anderer Stelle zu handeln sein wird. So ist festzuhalten, dass über den Urteilsvollzug in diesem Punkt so gut wie nichts bekannt ist. Die Rückgabe des den vor 1574 gefangenen Freienseenern abgepressten Geldes wird weder im Endurteil oder einem der Läuterungsurteile thematisiert noch auch überhaupt in den Akten erwähnt.

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127 128 129

Druck, Anm. 4, S. 21ff.; Seyler-Barth, Anm. 9, S. 97, D. Druck, Anm. 4, S. 22; Seyler-Barth, Anm. 9, S. 255, A.; Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato. Druck, Anm. 4, S. 22f., Seyler-Barth, Anm. 9, S. 406, B.; Prozessprotokoll, Anm. 1, sub dato. Z. B. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 124. Prozessprotokoll, sub dato, Anm. 1. Druck, Anm. 4, S.23ff., 25.

Enttäuschung

8.9.

105

Enttäuschung

Auch das letzte (Er-)Läuterungsurteil des Endurteils von 1574 und der ergänzenden Urteile hatte nicht den Ärger mit deren Vollzug beenden können. Noch bis weit in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts hinein stritten sich die Parteien über die Ausführung der einzelnen Urteilspositionen130. Nachdem sich laut Prozessprotokoll in den Jahren 1625 bis 1627 niemand mehr aktiv um die Fortsetzung des Prozesses bemüht hatte, schrieben die Freienseener am 11. März 1628 an ihren Prokurator und dankten für die Zusendung von Schriftstücken, die sie am 9. Februar 1628 empfangen hätten, aus denen sie jedoch hätten entnehmen müssen, dass die Sache geraume Zeit still gelegen habe131. Sie beklagten sich bitter darüber, dass ihnen die Urteile vom 22. Juni 1582, 31. Juli 1600 und 18. August 1601 nichts genutzt hätten. Als Grund für ihr langes Schweigen führten sie an, sie seien so hart mit Kriegsvolk beschwert worden, dass sie sich nicht getraut hätten, ihre Häuser auch nur eine Stunde, geschweige denn Tage allein liegen zu lassen. In der Tat hatte der große Krieg den Vogelsberg erreicht132. Als die Kläger trotz dieser Bedrängnisse ihre Prozesstätigkeit in Speyer wieder aufnehmen wollten, vergaßen sie nicht, dass ein Prokurator in Speyer ohne Lohn nicht aktiv werden würde. Deshalb hatten sie dem Johann Lieschen, einem Händler aus Frankenthal, zur (Frankfurter) Ostermesse 1627 ein

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Folgende Entscheidungen des Gerichts sind zur Exekution des Endurteils von 1574 mit den Ergänzungen von 1578 und 1582 im Druck überliefert: 1579 Oktober 21, Paritionsurteil an die Beklagten (Protokoll, Anm. 1, sub dato. Fehlt im Druck); 1582 Juni 21 Mandat an die Beklagten (Protokoll. Anm. 1), sub dato Druck (Anm. 4), S. 23–26; Seyler-Barth (Anm. 9), S. 23–26; 1582 Juni 22, Urteil (Druck (Anm. 4), S. 26f., Seyler- Barth, (Anm. 9), S. 26f.); 1583 Januar 10, Mandat an die Beklagten und Consortes, Druck (Anm. 4), S. 28–30. fehlt im Protokoll und Seyler-Barth. (Anm. 9). 1596 Juli 12, Mandat an Beklagte, Druck, (Anm. 4), S. 37–40, Fehlt im Protokoll; 1597 März 5, Mandat an Beklagte (Druck, Anm. 4), S. 40–45, Fehlt im Protokoll; 1598 Juni 23, Mandat an Beklagte (Druck, Anm. 4), S. 45–48. Fehlt im Protokoll; 1600 Juli 3, Urteil (Druck, Anm. 4), S. 48f.; Protokoll (Anm. 1), sub dato; 1605 Juni 18, Mandat an Beklagte, Druck (Anm. 4), S. 50–54. Fehlt im Protokoll; 1607 Februar 6, Mandat an Beklagte, Druck, (Anm. 4), S. 54–56. Fehlt im Protokoll; 1607 Mai 9, Mandat an Beklagte, Druck, Anm. 4), S. 56–58, Fehlt im Protokoll; 1607 Oktober 15, Bescheid Protokoll (Anm. 1), sub dato. Fehlt im Druck; 1611 Oktober 10, Mandat an Beklagte, Druck (Anm. 4), S. 59–63, Fehlt im Protokoll. Gräfl. Archiv Laubach, A. E. Nr. 101. bei Qu. 101. Nach dem Manuskript Uhlhorn, Über die Geschichte der Grafen zu Solms, 3. Teil S. 24, 50, 51, 55, 56, 95, 98. im gräfl. Archiv Laubach.

106

Ein Endurteil – und doch kein Ende

Fass mit acht Maß Butter und zwei Reichstalern übergeben mit der Bitte, sie ihrem Prokurator auszuhändigen. Wenn Lieschen dies nicht getan habe, so solle der Herr Doktor sich bei ihm danach erkundigen. Diese Lieferung konnte allerdings nur als freundliche Gabe neben dem geschuldeten Honorar gelten. Solche Gaben waren üblich und sollten die hohen Herrn zusätzlich zum Arbeitsentgelt günstig stimmen. Damit der Adressat nicht meinte, die Kläger wüssten dies nicht, ergänzten sie ihre Bitte, er möge ihre Angelegenheit fertig betreiben, um den Zusatz, es solle auch alles bezahlt werden. Diese Zusicherung dürfte ihnen nicht leicht gefallen sein, hatten doch die Belastungen mit den Kosten der langen Prozessdauer und die Zerrüttung der Gemeindewirtschaft durch den internen Streit sowie die Kriegskosten die Wirtschaftskraft der klägerischen Gemeinde stark geschwächt. Aber die Bauern wussten genau, dass sie ihre juristischen Helfer nur durch Zusicherung einer angemessenen Entlohnung zur Wiederaufnahme der Arbeit würden bewegen können. In diesem Sinne wiederholten die Kläger ihre Zusicherung in einem Postskriptum zum Schreiben vom 6. Mai 1629 an ihren Speyerer Advokaten und Prokurator, dass sie sich den Adressaten wegen der Belohnung noch dankbar erzeigen würden133. Hauptinhalt des Briefes war aber die Wiederholung der Bitte, das Verfahren nun wirklich aktiv zu betreiben. Auch der Fiskal solle – offenbar wegen des Ungehorsams von Solms-Laubach gegen die Urteile134 – den Klägern helfen, den Prozess entsprechend der Ordnung fortzuführen. Zur Unterstützung der Dringlichkeit dieser Bitten meldeten die Freienseener neue Drangsale, mit denen die Beklagten und ihre Anhänger, wie zum Beispiel der Pfarrer, sie entgegen den Urteilen überzögen. Wenn nicht bald ein ihnen günstiges Urteil ergehe, würden sie arme Leute durch das Kriegsvolk verdorben und an den Bettelstab gebracht. Selbst diese dringlichen Bitten brachten den Freienseener Prokurator jedoch noch nicht dazu, den Prozess sofort aktiv aufzunehmen. Erst nachdem zwei Bauern – vielleicht mit der versprochenen Entlohnung – nach Speyer gekommen waren, trug er am 15. Oktober 1629 deren bittere Klagen vor, wie sehr sie und ihre Mitbürger durch Urteile und Strafen, Turmgefängnis und Pfändungen geängstigt würden135. Dies verstoße gegen die vom Gericht erlassenen Urteile und diene offensichtlich nur dazu, sie durch Häufung neuer Prozesse und unbilliger Drangsale zu ermatten oder gar zu verderben Damit wiederholten sie noch 133 134

135

Kap. 8.1, Anm. 1, ohne Qu. Der advocatus fisci hatte sich schon einmal am 11. Februar 1579 einem Rezeß der Kläger wegen mangelnden Urteilsgehorsams der Beklagten angeschlossen (Prozessprotokoll, Kap. 8.1, Anm. 1, sub dato), ohne dass dies Konsequenzen gehabt hätte. Kap. 8.1, Anm. 1, Prozessprotokoll, sub dato.

Enttäuschung

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einmal den Vorwurf von 1597, die gräfliche Seite wolle sie an den Bettelstab bringen136. Damit endet die amtliche Dokumentation dieses Verfahrens. Der Druck verzeichnet dagegen noch eine Fortsetzung, indem er ein Poenalmandat vom 12. April 1633 wegen Vollstreckung voriger Mandate wiedergibt137. Darin schlug das Gericht dem Freienseener Prokurator noch zurzeit den Antrag auf declaratio poenae ab. Stattdessen gab es dem solmsischen Anwalt auf, glaubhaft anzuzeigen, dass dem bisherigen Urteil gehorsam gelebt sei. Schließlich erging am 20. August 1634 ein wieder nur im Druck bekanntes Urteil138, das sich nicht nur an die bisher schon bekannten Beklagten, Graf Albrecht und Otto II., die von der rechten Gemeinde Freienseen Abgewichenen und ferner Schöffen und Gericht zu Laubach richtete, sondern auch Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt als Schutzherrn Freienseens mit einbezog. Unter Anführung sämtlicher bisher in dieser Sache ergangener Urteile und Mandate139 rekapitulierte das Gericht noch einmal das langwierige Verfahren und gebot, die Kläger nicht an der Fortsetzung des Verfahrens zu hindern, sie ihre Güter ruhig bewirtschaften und die aus Furcht vor Repressalien Ausgewanderten wieder ins Dorf zu lassen. Die Beklagten sollten gegen die Ungehorsamen nicht mehr mit Gefangennahme und Pfändungen vorgehen. Landgraf Georg II. wurde als anerkannter Schutzherr Freienseens ausdrücklich aufgefordert, die Kläger in ihren Rechten zu verteidigen. Mit dieser Einbeziehung Landgraf Georgs zeichnete sich der Weg ab, der schließlich zur Beendigung dieser Phase der Auseinandersetzungen führen sollte. Die Kläger waren reif dafür, den Prozessweg zu verlassen und ihren Streit mit den Grafen auf andere Weise auszutragen140. Ihre Ermüdung wird vollends verständlich, wenn man bedenkt, wie quälend und ergebnislos der Kampf um den Vollzug des Endurteils vom 10. November 1574 verlaufen war. Mittlerweile mussten die bedauernswerten Kläger nicht nur die durch die Prozessführung verursachten ruinösen Kosten beklagen, sondern waren auch bitterem Hohn und Spott ausgesetzt. Nachdem sie sich nach 1624 wieder einmal beim Kammerrichter darüber beschwert hatten, wie wenig die bisherigen Entscheidungen des Reichskammergerichts sie vor weiteren Drangsalen geschützt hätten, fügten sie erbittert an, sie würden nicht nur weiter bestraft 136 137 138 139

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Anm. 1, Prozessprotokoll, 1597 Dezember 1. Anm. 4, S. 67. Anm. 4, S. 67ff. 1574 November 14; 1582 Juni 22; 1582 Oktober 17; 1598; 1601 April 12 und 18; 1633 April 12; 1633 Oktober 18; 1634 März 18. Nach einer Akte (Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 79) soll es im 17. Jahrhundert noch einmal zu einer Reaktivierung der Exekutorialsache gekommen sein. Einzelheiten sind jedoch nicht bekannt, weil die Akte weder ein Prozessprotokoll noch weitere Schriftstücke enthält.

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Ein Endurteil – und doch kein Ende

sondern auch verlacht und verspottet141. So sei ihnen nach einem neuen Vorfall höhnisch gesagt worden, nun würden sie wohl neue Prozesse ausbringen müssen. Nachdem sie in langen Jahren mit vielen Mandaten und Unkosten nichts hätten erhalten können, würden sie jetzt langsam vielleicht etwas bekommen, wenn sie sich nicht scheuten 50 Reichstaler anzubieten, damit sie einen Bescheid ausbringen könnten. Die Urheber solcher Spottreden waren die von der Gemeinde abtrünnigen Nachbarn in Freienseen, die sich allmählich in der Überzahl befanden und deshalb in einer überlegenen Position glaubten. Ein weiterer Schriftsatz zu einem Vorfall vom 24. Juni 1622142 zitierte den damaligen gräflichen Sekretär Thomas Maull, der den von der Gemeinde Abgefallenenen gesagt habe, wenn die Kläger ihnen kein Holz gäben, so sollten sie es sich selbst nehmen, auch wenn sie diese damit wieder zu Klägern am Kammergericht machten.Woran hatte es gelegen, dass die armen Bauern in Freienseen, die so frohgemut immer wieder in Speyer ihr Recht suchten, immer wieder enttäuscht wurden? Es fällt auf, dass das Gericht von dem einzigen Mittel, das es zur Durchsetzung seiner Entscheidungen in der Hand hatte, keinen Gebrauch machte, nämlich die beim Urteilsvollzug säumige Partei in die immer wieder angedrohten hohen Poensummen zu verurteilen. Zögerte das Gericht, die Säumigen zur Zeit noch nicht in die Poen zu verurteilen, weil es befürchtete, dass auch die Eintreibung dieser Strafsummen misslingen könnte? Auf diese Weise waren die Richter machtlos, wenn die Parteien nicht gutwillig waren. weil sie sich ihres einzigen Druckmittels nicht bedienten. Dabei fehlte es keineswegs an Respekt vor der Autorität des Gerichtes, wie die vorsichtigen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Revisionsbegehren der solmsischen Seite beweisen. Doch war die Versuchung groß, rigoros die eigenen Interessen wahrzunehmen, wenn dies ohne Furcht vor einer wirkungsvollen Sanktion des Gerichtes möglich war. Da für beide Parteien nicht nur die konkreten Streitpunkte auf dem Spiel standen, sondern das grundlegende Über- und Unterordnungsverhältnis als solches, mussten die Gegner so lange wie möglich versuchen, den eigenen Standpunkt durchzuhalten. Diese Konstellation sollte auch der Versuchung entgegenstehen, diese Verfahren als symptomatisch und verallgemeinernd für das Vollstreckungsverfahren am Reichskammergericht zu werten.

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Anm. 1, undatiertes Schreiben an den Kammerrichter, nach den im Text zitierten Schriften auf nach 1624 zu datieren. Liegt in der Akte zwischen 1623 Oktober 23 und 1627 Februar 27. Anm. 1, undatierte und unquadrangulierte Eingabe der Kläger an den Kammerrichter, die auf den in Anm.14 zitierten Schriftsatz folgt, Ziffer 8.

9. Der Kampf vor Ort geht weiter 9.1. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Agnes für ihre Söhne, die Grafen Johannes (Hans) Georg I. und Otto (1561–1581) Nach dem Tode des Grafen Friedrich Magnus I. am 13. Januar 1561 regierte zunächst die Gräfinwitwe Agnes, geborene Gräfin zu Wied, vormundschaftlich für ihre minderjährigen Kinder, vor allem für die beiden Söhne Johann (Hans) Georg I. (geb. 1547) und Otto (geb.1550), mit Hilfe ihrer männlichen Vormünder Johann Graf zu Wied-Runkel und Philipp Graf zu Solms-Braunfels. Diese vormundschaftliche Regentschaft bevollmächtigte am 16. Mai 1561 den bisherigen solmsischen Prokurator in Speyer, der diese Vollmacht am 20. Oktober 1561 dem Gericht vorlegte1 und danach vor allem in Sachen primi mandati sofort intensiv tätig wurde. Im Gegensatz zu dem juristischen Getöse in Speyer um das Endurteil in Sachen primi mandati und dann dessen Vollzug blieb es in Freienseen selbst zunächst erstaunlich ruhig. Kein solmsischer Amtsträger beging in den ersten Jahren der vormundschaftlichen Regentschaft gegen die Bauern einen der unter dem verstorbenen Grafen so häufigen Gewaltakte. Die Herrschaft begnügte sich vielmehr zunächst damit, dass ihre Gegner sich durch ihren Zwist mehr untereinander als mit ihrer Obrigkeit beschäftigten. Das ergibt sich nicht zuletzt aus den Kirchenbaurechnungen, die von 1563 bis 1567 ständig Ausgaben für die Reparatur der Tür oder des Schlosses zum Kirchhof oder zur Kirche verzeichnen2. Dieser Verzicht auf die Anwendung direkter Gewalt gegen die Untertanen verdankte sich allerdings wohl weniger der Einsicht, dass man damit nicht weiterkommen könne, als mehr dem Bewusstsein eigener vorübergehenden Schwäche. Diese Ruhephase nahm daher auch bald ein Ende. Am 23. Mai 1564 wurde die vormundschaftliche Regentschaft trotz des bei Strafe von zehn Pfund lötigen Goldes erlassenen Verbots wieder gegen die Gemeinde aktiv, indem sie aus Freienseener Gemarkung mehr als 100 Schafe wegtreiben ließ, von denen sie die besten acht Hammel und Schafe an sich nahm3. Auf Befehl der Herrschaft seien zudem am 1. Juli ein solmsischer Förster, der Laubacher Stadtknecht und einige Laubacher Bürger mit Spießen und Büchsen bewaffnet ausgezogen und hätten auf der alten Straße nach Giessen den Freienseenern aufgelauert, die ins Holz hätten fahren wollen. 1 2 3

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII. Nr. 50, Qu. 54. Wie Anm. 1, Qu. 112. Mandat vom 8. Januar 1565: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 54, Qu. 2 und Petitio summaria: Qu. 4.

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Der Kampf vor Ort geht weiter

Dabei hätten sie Conrad Hess dem Jungen 80 Taler oder mehr weggenommen, um ihn der Gemeinde abspenstig und der Herrschaft untertänig zu machen. Auch hätten sie auf freier Straße zwei Pferde entwendet und dem Betz Hansen zu Altenhain ein Pferd beschlagnahmt. Dies sei Raub, weil die Freienseener den Grafen zu Solms nicht untertan seien. Die Herrschaft akzeptierte diese Darstellung nicht, sondern erklärte, es handele sich um Pfändungen ungehorsamer Untertanen. So standen sich die Rechtsansichten der Parteien unversöhnlich gegenüber. Von 1566 bis 1578 ruhte diese Sache4. Die 1579 erfolgte Wiederaufnahme der Aktivität in Speyer änderte nichts daran, obwohl das Gericht von Amts wegen am 21. Oktober 1580 verkündete, dass die Parteien gehört werden sollten, wenn sie in der Hauptsache förmlich handelten. Darauf solle ergehen, was Recht sei5. Damit lag es in der Hand der Parteien, ob ihr Prozess fortgeführt werden würde oder nicht. Diese machten jedoch davon zunächst keinen Gebrauch, so dass das Prozesspotokoll am 12. Oktober 1597 mit dem Vermerk schloss, die Akte sei noch einmal angesehen worden6. Dabei blieb es selbst dann, als die Kläger schließlich doch am 8. Februar 1598 eine vorschriftsmäßig artikulierte Klageschrift vorgelegt hatten. Graf Hans Georg I. ließ darauf lediglich am 20. September 1598 seinen Prokurator unter Berufung auf den Bescheid vom 21. Oktober 1580 umfänglich antworten, dass die Klage unzulässig sei und auf falschen Tatsachen beruhe7. Ganz im Sinne dieser solmsischen Grundhaltung führte der Schriftsatz der Beklagten alles darauf zurück, dass die Freienseener der solmsisch-laubachischen Obrigkeit nicht untertan sein wollten. Trotzdem erteilte das Gericht nicht den 1580 versprochenen Bescheid. So endete auch dieses Verfahren ohne ein Eingreifen des Gerichts, mit dem es seinem Mandat zur Durchsetzung verholfen hätte. Einer der Anführer der ungehorsamen Freienseener, Hans Hess, wurde am 24. Juni 1567 in Laubach vom Solmser Oberamtmann Christoph von Urff verhaftet, als er seinen Nachbarn Jürgen Erkel vor dem Laubacher Gericht vertreten wollte8. Hess der sich keiner Schuld bewusst war, konnte sich dies nur damit erklären, dass er als Protagonist der Freienseener Ungehorsamen unter Druck gesetzt werden sollte. Im Gefängnis wurde er zusammen mit Dieben und Mördern verwahrt, in Ketten gelegt und auch sonst so sehr 4 5 6

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 55. Prozessprotokoll. Bescheid Prozessprotokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 54. Letzter Eintrag im Prozessprotokoll sub dato: visum: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 54. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 54, jeweils sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 59, ohne Qu., Klageschrift vom 5. September 1567.

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drangsaliert, dass er erkrankte. Schließlich ließ ihn Amtmann von Urff aus dem Gefängnis holen und eröffnete ihm, dass gegen ihn ein peinlicher Prozess laufe. Unter dem Eindruck der Bedrohung mit peinlicher Befragung erklärte Hess sich einverstanden damit, Bürgen für seine Freilassung zu stellen, weil er bei Fortdauer der Haft um Gesundheit und Leben gefürchtet habe. Das Zugeständnis habe er somit nur aus menschlicher Furcht und Sorge vor der angedrohten peinlichen Befragung getan. Hans Hess wurden gotteslästerliche Reden und Dispute vorgeworfen9. Gegenüber dem Pfarrer habe er gesagt, dass die Pfaffen die seligsten Menschen seien, weil die Bauern das, was sie ihnen in der Kirche predigten, für wahr hielten. Schon diese Äußerung wäre sehr unvorsichtig gewesen. Leider verließ Hans Hess auf die Gegenfrage, ob er denn nicht glaube, was die Diener des Göttlichen Wortes sagten, vollends die Deckung, indem er sich auf einen sehr problematischen theologischen Disput mit dem Pfarrer einließ. Er habe mit dem Argument geantwortet, dass es zum Beispiel falsch sei, was diese predigten, dass nämlich niemand selig werden könne, der nicht getauft sei, denn Adam und Abraham seien selig, ohne getauft zu sein. Hier dürfte die Erinnerung an wiedertäuferische Predigten durchschimmern. Einem Vogelsberger Bauern wäre kaum aus sich heraus so viel theologische Spitzfindigkeit eingefallen. Die Erwiderung des Pfarrers, diese seien selig wegen ihres Glaubens an den, der kommen werde, beeindruckten Hans Hess wenig. Der Pfarrer und die Obrigkeit hielten solche Reden für strafbare Gottlosigkeit. Außerdem solle Hans Hess in aller Öffentlichkeit geäußert haben, die Jungfrau Maria habe außer Jesus noch Jacobus und Johannes geboren, was der kirchlichen Lehre widersprach. Schließlich habe er einen Friedberger Bürger gefragt, ob dieser wirklich glaube, dass Christus mit so wenigen Broten und Fischen eine so große Menge Volkes habe speisen können. Als dieser geantwortet habe, dass er dies als Christ glaube, habe Hans Hess provokativ erwidert, dann sei er genauso ein Narr wie alle anderen auch. Diese Anklagen konnten für Hans Hess gravierende Folgen haben. Frühneuzeitliche Obrigkeiten hielten sich für verpflichtet, was auch Amtmann von Urff vortragen ließ10, dafür zu sorgen, dass alle ihnen anvertrauten Untertanen ein gottgefälliges Leben führten und keine gottlosen Gedanken verbreiteten. Die von Hans Hess geäußerten Ansichten verstießen gegen die kirchlichen Anschauung von der Jungfrau Maria und gegen die Heilige Schrift. Deshalb sei, trug der solmsische Prokurator vor, gegen Hans Hess ein Jahr vor seiner Verhaftung ein peinlicher Prozess angestrengt worden. Hess habe damals zwar zugesagt gehabt, sich dem Verfahren zu stellen, 9

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 59, ohne Qu., Zeugnis von Schultheiß und Schöffen des peinlichen Gerichts. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 59, ohne Qu., Replik von Urff.

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sein Versprechen aber nicht eingehalten und damit das Gericht und seine Obrigkeit grob missachtet. Deshalb habe der Amtmann von Urff ihn am 24. Juni 1567 verhaften lassen, als er zu der Gerichtsverhandlung nach Laubach gekommen sei. Allerdings klingt es wenig glaubwürdig, dass Hans Hess so unvorsichtig gewesen sein soll, sich angesichts eines laufenden Kriminalpozesses, dem er sich bisher entzogen gehabt hätte, in die Reichweite der Obrigkeit nach Laubach ins Gericht zu begeben. Dieses Verhalten spricht eher für das von ihm behauptete gute Gewissen. Unbestritten befahl der eine Vormund, Graf Philipp zu Solms-Braunfels, auf Grund dieser Vorwürfe am 9. August 1567 dem Amtmann und Rentmeister zu Laubach, gegen Hans Hess ein Kriminalverfahren wegen Gotteslästerung und Blasphemie zu eröffnen11. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen, wenn es deswegen ein schon laufendes Verfahren gegeben hätte. Der gräfliche Sekretär Gerhard Terhell suchte den Verhafteten im Gefängnis auf und verlas ihm die Anklageschrift. Danach habe er ihm dringend geraten, sich mit seinem Vater und seinen Freunden zu beraten. Sein Vater habe vergeblich Landgraf Ludwig um Hilfe angerufen, der jedoch wegen des noch ausstehenden Schiedsspruchs über den Umfang seiner Schutzgerechtigkeit in Freienseen damals zur Vorsicht neigte. Er ließ sich daher am 22. Januar 1568 nur zur Ausstellung eines Schutz- und Geleitsbriefes für Hans Hess gegen den Amtmann zu Laubach12 und am 6. September 1567 allgemein zu einer Erneuerung der alten hessischen Schutzprivilegien für die Freienseener bewegen13. Angesichts der schwachen Unterstützung durch Hessen habe Hans Hess sich zur Stellung von Bürgen entschlossen. Bevor er deswegen habe freigelassen werden können, habe er jedoch aus dem Gefängnis flüchten und über die Laubacher Stadtmauer entweichen können. Damit habe er sich dem weiteren Verfahren entzogen. Gleichwohl setzte der Amtmann den Prozess gegen den Geflüchteten fort und lud ihn auf den 15. August 1567 vor Gericht. Da Hess nicht erschien, setzte von Urff einen weiteren Termin auf den 3. Oktober an. Doch der Angeklagte hatte aus seinen Erfahrungen gelernt. Anstatt sich diesem Prozess zu stellen, rief er das Reichskammergericht um Schutz an. In seiner Supplikationsschrift vom 29. August 1567 bat er um ein Mandat gegen die solmsischen Vormünder und den Amtmann Christoph von Urff, mit dem diesen befohlen werden solle, die für seine Freilassung erpressten Bürgen freizugeben, weil von Urff bei der Verhaftung gegen den reichsrechtlich verbürgten Schutz vor willkürlicher Gefangennahme gehandelt habe. Am 17. September 1567 erließ das Gericht das erbetene Man-

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 59, ohne Qu., Replik von Urff. HStA. Marburg A. Giessen, Abt. II. 1. Konvolut, 3.4. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 67.

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dat14. Die Beklagten wehrten sich gegen den im Mandat erhobenen Vorwurf, indem sie dem Reichskammergericht ausführlich das Verfahren gegen Hans Hess schilderten. Demgegenüber beharrte der Kläger auf seiner Darstellung. Das Verfahren schleppte sich ohne spürbares Interesse der Parteien an einer zügigen Durchführung bis zum 17. Mai 1568 hin. Dass die Beklagten die Bürgen aus ihrer Verpflichtung entlassen gehabt hätten, ist nicht aktenkundig. Für die Jahre 1569 bis 1571 fehlt jegliche prozessuale Aktivität einer der beiden Parteien. Die Beklagten ließen offenbar das Kriminalverfahren gegen Hans Hess ruhen und nahmen auch dessen Bürgen nicht in Anspruch, so dass dieser keinen Anlass gesehen haben mochte, den Prozess fortzuführen, der nach Meinung der Freienseener sowieso nur erfunden worden war, um die den Grafen zu Solms in Freienseen nicht zustehende Jurisdiktion demonstrieren zu können. Allerdings bedeutet dieses Desinteresse nicht, dass die Herrschaft Hans Hess aus den Augen verloren hätte. Sie wartete nur auf neue Gelegenheiten, sich seiner zu bemächtigen, wie sich noch zeigen wird. Bald nach der Verhaftungsaktion gegen Hans Hess folgten weitere Tätlichkeiten. Am 6. Februar 1568 fielen die Solmser in großer Zahl beritten und zu Fuß in das Dorf ein und nahmen acht Pferde mit, von denen sieben verkauft wurden15. Um diesen Vorfall könnte es in der Beratung der landgräflichen Räte am 16. Februar 1568 gegangen sein16. Die Räte leiteten ihr Votum für Landgraf Ludwig mit der Bemerkung ein, dass es über den Umfang des hesssischen Erbschutzrechtes in Freienseen in der Rechtfertigung vor dem Herzog zu Sachsen-Weimar unterschiedliche Meinungen gebe. Damit hoben sie die zentrale Bedeutung des Schiedsspruchs für alle weiteren Fragen hervor. Hessen habe in Weimar die alten Schutzbriefe vorgelegt und sich auf das alte Herkommen berufen. Solms dagegen habe darauf verwiesen, dass es alle hohe und niedere Obrigkeit sowie Gebot und Verbot in Freienseen besitze, dass dieses Dorf also solmsisch sei. Daher könne der hessische Schutz nicht gegen Solms als Oberherrn geltend gemacht werden. Da in dieser Sache noch kein Urteil ergangen sei, solle Landgraf Ludwig veranlassen, dass die Akte reassumiert werde. Die solmsischen Vormünder hätten gleichfalls schon bei Sachsen sollizitiert. Wie das Urteil ausgehen werde, könne allerdings niemand sagen. Da14 15

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 59, ohne Qu., sub dato. Mandat vom 11. März 1568: Prozessprotokoll: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 26 octavi mandati = Freyenseensia K 56 Nr. 24 (1) = Druck: Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 17f.; Leonhard von Canngiesser, Ausführliche Erörterung des ... Hessen-Darmstadt über den Flecken Freyenseen ... zustehenden Erbschutzes ..., 1750, S. 150ff. Nr. XLVIII. HStA Marburg Bestand 4f. Solms-Lich Nr. 14.

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her könnten die Räte in diesem Punkt zurzeit noch nichts Sicheres sagen. Allerdings sei es ziemlich gewiss, dass alle hohe und niedere Obrigkeit im Dorf Solms zustehe, während die Landgrafen dort weder ein Schutzgeld noch andere Nutzungen besäßen mit Ausnahme von ungefähr 12 Fällen von Erbzinsen aus zwei Hufen. Wenn der Landgraf auf die neulich vorgenommene Pfändung reagieren wolle, so solle er darauf achten, weshalb gepfändet worden sei. Hätten die Gepfändeten durch Ungehorsam oder Ungebührlichkeiten der solmsischen Obrigkeit Ursache dafür gegeben, so dürfe man sich ihrer nicht annehmen. Wäre den armen Leuten aber Unrecht geschehen, so solle er sich zur Sicherung seiner rechtlich noch nicht geklärten Schutzgerechtigkeit ihrer nicht unzeitig mit Schriften annehmen, jedoch den Solmsischen ihren Unfug vor Augen stellen und um Restitution der Pfänder nachsuchen. Wenn bei ihnen mit solchen Schreiben nichts zu bewirken sei, so könne der Landgraf durch seine Beamten zu Grünberg bei den Solmsischen Gegenpfändungen vornehmen lassen und dann die Sache zur Sprache bringen. Dieser Ratschlag für Landgraf Ludwig ist bewusst unpräzise, was auf der Ungeklärtheit der Rechtslage zwischen Solms und Hessen beruht. Es erschien den landgräflichen Juristen daher nicht ratsam, ihren Herrn zu forscherem Auftreten zu animieren. Am 21. Februar 1568 setzten gräfliche Amtsträger ihre Tätlichkeiten fort und nahmen dem Freienseener Bauern Balthasar Henrich Bauholz ab, das dieser frisch im Gemeindewald geschlagen hatte, und brachten es nach Laubach. Die vormundschaftliche Regentschaft glaubte sich zu solchen Zwangsmaßnahmen berechtigt, weil die ungehorsamen Bauern sich geweigert hätten, ihren Anteil an der Umlage für die auf dem Augsburger Reichstag von 1566 bewilligte Türkensteuer zu entrichten, wie es in dem Mandat vom 11. März 1568 heißt17. Dabei sei, wie die Bauern dagegenhielten, dieser Punkt schon wegen der Türkenhilfe von 1557 geltend gemacht worden und noch am 14. Juni 1560 streitig gewesen und weiter unentschieden18. Die Gewalthandlungen basierten auf der festen Überzeugung der Herrschaft, als Obrigkeit zu solchen Gewaltmaßnahmen gegen ungehorsame Untertanen berechtigt zu sein. Diese Rechtsauffassung kommt deutlich zum Ausdruck in kommentierenden Randnotizen, die ein Mitglied der gräflichen Verwaltung wohl zur Information für die Herrschaft oder den gräflichen Anwalt auf eine Kopie des Mandats geschrieben hatte19. Neben die Wendung im Mandat, dass nach dem Augsburger Reichsabschied von 1566 säumige Steuerzahler nur vor dem Kaiser oder dem Kammergericht verklagt, nicht aber 17 18 19

Druck: Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 17ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 52. Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 56 Nr. 24 (12), Qu. 8.

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tätlich gepfändet werden dürften, schrieb der Kommentator ungerührt: Den Reichsabschied verstehen meine gnädigen Herren dergestalt, dass sie nicht schuldig sind, die ungehorsamen Bauern mit dem Kammergericht vorzunehmen, weil sie sie wegen der Steuer pfänden können und weiter Es steht meines Erachtens in der Herren Willen, ob sie Pfänder ... nehmen wollen. Zu der Bezugnahme auf das Verfahren quarti mandati und insbesondere der im Mandat wiedergegebenen Meinung der Freienseener, dass der verstorbene Graf bei ihnen keine Jurisdiktion habe und keine Steuern erheben dürfe, berief sich der Kommentator darauf: Kaiser Karl V. hat ihnen bei Strafe befohlen, sich als Untertanen zu halten bis zum Ausgang des Rechtes. Die Wegnahme des Bauholzes kommentierte der Beamte: Der Amtmann hat das Holz gepfändet, weil sie ihren gehorsamen Mitbürgern ihr Feuerholz nicht haben geben wollen. Durch das Pfand sollen die Ungehorsamen dazu gebracht werden, das den Gehorsamen Abgepfändete zurückzugeben, womit erneut der gemeindeinterne Zwist thematisiert wurde. Diese nur für den verwaltungsinternen Gebrauch bestimmten Äußerungen geben unverfälscht die herrschaftlichen Positionen gegenüber Freienseen wieder. Sie erweisen, dass die Jahre ohne tätliche Eingriffe seitens der Herrschaft keine Änderung der Politik gegenüber den Ungehorsamen bedeuteten. Diesen Prozess betrieb keine der beiden Parteien seit dem Jahr 1572 noch aktiv20. Zum 20. Januar 1518 notierte das Prozessprotokoll als letzte Eintragung noch einmal visum, also dass die Akte noch einmal angesehen worden war. Unprotokolliert blieb der spätere Schriftsatz des Freienseener Prokurators vom 23. Februar 1618, die Kanzlei solle ihm wegen der langen Verfahrensunterbrechung Abschriften des erkannten und reproduzierten Mandats anfertigen21. Ob dies geschah, ist nicht ersichtlich. Doch erließ das Gericht am 24. Januar 1623 ein Mandat an Landgraf Georg II. sowie die bisherigen Prozessparteien, aus dem eine gewisse Ratlosigkeit ob der Unübersichtlichkeit der Lage spricht22. Darin zählte das Gericht die zahllosen Mandate auf, die zwischen den Parteien ergangen waren. Nach dem Tod von Dr. Conrad Fabri, des solmsischen Prokurators, müsse ein Nachfolger bestellt werden, der die Sachen wiederaufnehmen könne. Ob dies an dem auf den 7. Februar 1623 anberaumten Termin geschah, lässt die Akte nicht mehr erkennen, so dass auch dieser Fall in der quellenlosen Leere versickert. Nicht immer griff die Herrschaft zur Durchsetzung ihrer Obrigkeit in die Rechte der gesamten rechten Gemeinde ein. Manchmal begnügte sie sich auch damit, die Partei der Ungehorsamen durch Aktionen gegen einzelne Mit20 21 22

Prozessprotokoll: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 26. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 26, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 26, ohne Qu.

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glieder zu schwächen. So sah sich Anna, die Ehefrau des Christian Hess, genötigt, am 22. Dezember 1568 ein Mandat zu erwirken, weil sie sich entgegen dem Gemeinen Recht und des Reiches Ordnung durch die vormundschaftliche Regentschaft ihres Eigentums entsetzt sah23. Nach dem Tode ihres Vaters, von dem sie und ihre Schwester dessen Haus mit Hofreite und Garten zu Freienseen geerbt hätten, hätten ihre Vormünder die Liegenschaft dem damaligen Pfarrer Lutz Sintram für drei Jahre gegen einen jährlichen Zins von 3 fl. verliehen. Der Zins sei etliche Jahre ordnungsgemäß entrichtet worden. Nach ihrer Verehelichung mit Christian Hess habe sie sich mit ihrer Schwester darauf geeinigt, dass ihr das ganze Haus allein gehören solle. Weil sie mit ihrem Ehemann das Haus selbst habe bewohnen wollen, habe sie es dem Pfarrer gekündigt und die Einweisung durch die Herrschaft begehrt, was diese jedoch abgelehnt habe. Nach dem Tod des Pfarrers Sintram habe die Herrschaft das Haus dem neuen Pfarrer zugewiesen. Seitdem werde ihr das Haus über sieben Jahre hin vorenthalten. Sie beantragte, die vormundschaftlichen Regenten dazu zu verurteilen, ihr und ihrem Ehemann das Haus nicht in dieser Weise vorzuenthalten, sondern es ihnen einzuräumen. Die vormundschaftliche Regentschaft sah den Fall in entscheidenden Punkten anders24. Als im Jahr 1553 der damalige Amtmann zu Laubach ein Erbregister angelegt habe, habe jeder Untertan, auch in Freienseen, angegeben, was ihm gehöre. Damals habe die Bewohnerin des Hauses eidlich bekannt, dass sie ein Haus und Scheuer in des Pfarrhauses und des Pfarrers Eigentum besitze. Auch Nachbarn hätten damals bekundet, dass das Pfarrhaus zu Freienseen, das vor Zeiten ein Pfarrer gebraucht gehabt habe, als Wohnhaus gegen Zins ausgegeben worden sei, aber nicht erblich. Daher sei die Obrigkeit frei, dieses Haus wieder zum Pfarrhaus zu machen. Es sei nur deshalb längere Zeit nicht als solches benötigt worden, weil die Pfarrstelle in diesen Jahren von einem Altaristen aus Laubach versehen worden sei. Bei den Vormündern der Klägerin und ihrer Schwester habe man beantragt, das Haus schätzen zu lassen, damit sie bei der Räumung die Besserung erhalten könnten. Als die Hess’schen Vormünder auf diesen Vorschlag lange Zeit nicht geantwortet hätten, habe die Herrschaft einige Laubacher Ratsherren mit der Schätzung beauftragt. Diese hätten den Bau und die Besserung auf 80 fl. geschätzt. Da die Vormünder dieses Geld nicht hätten annehmen wollen, sei es beim Rat zu Laubach deponiert und das Haus dem Pfarrer als Wohnung zugewiesen worden. Bis zu diesem Punkt scheint es sich um eine rein zivilrechtliche Streitigkeit zu handeln, die nicht in den Zusammenhang der Auseinandersetzung von Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach gehört. Doch in den Defensionalarti23 24

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 2, Ladung, Qu. 3, artikulierte Klage. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 8.

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keln 14–19 ließen die Beklagten die Katze aus dem Sack. Während das Geld in Laubach deponiert gewesen sei, sei Christian Hess inhaftiert worden. Annas Ehemann war nämlich nicht irgendein beliebiger Bewohner Freienseens, dessen Ehefrau um eine Behausung stritt, sondern er war einer der führenden Köpfe der dortigen ungehorsamen Untertanen. Hess habe bald schriftlich um Entlassung aus der Haft gebeten. Diese sei ihm gewährt worden gegen Verzicht auf seine Ansprüche auf das Pfarrhaus. Christian Hess habe gutwillig seinen Anspruch fallen lassen und zugestimmt, dass fortan das Haus dem Pfarrer zustehen solle. Dieser Teil der Darstellung offenbart deutlich, dass in Freienseen selbst normale zivilrechtliche Auseinandersetzungen durch den Streit zwischen den Ungehorsamen und der Herrschaft beeinflusst wurden. Die Offenheit der Beklagten in dieser Hinsicht, ermöglichte nun auch der Klägerin, ihre Darstellung des Falles angemessen zu ergänzen. Sie bestätigte am 24. März 1572, dass Christian Hess, als er von dem Haus habe Besitz ergreifen wollen, verhaftet worden sei mit der Begründung, er habe zwei auf Lartenbacher Gemarkung stehende Eichenbäume rechtswidrig beansprucht. Am 9. September 1571 hätten sie ihn mit zehn oder elf schwer bewaffneten Männern in Freienseener Gemarkung angefallen und wie einen Übeltäter gefesselt nach Laubach geschafft. Zunächst habe er im Diebsturm gelegen. Nachdem er dort erkrankt sei, hätten die Beklagten ihn am fünften Tag in ein Gewölbe gelegt mit beiden Füßen im Block. Dort habe man ihn weitere sechs Tage unschuldig behalten, um ihn von den Rechtfertigungen abzubringen, nicht allein wegen des Hauses, sondern auch wegen der anderen zwischen der Gemeinde und den Beklagten in Speyer rechtshängigen Sachen. Er habe um Leben und Gesundheit gefürchtet und deshalb dem gräflichen Amtmann und dem Sekretär gegenüber den Verzicht erklärt und mit Eiden bekräftigt, zudem drei Bürgen stellen müssen. Am 5. Mai 1577 bestätigte Christian Hess diese Darstellung, indem er beim Reichskammergericht Befreiung von diesem erzwungenen Verzicht beantragte25. Im solmsischen Schriftsatz vom 20. Februar 1569 kam die tiefe Verbitterung der Herrschaft über das Verhalten der ungehorsamen Untertanen zum Ausdruck in Wendungen wie die, dass es Freienseener Brauch sei, alles zu leugnen, oder dass man genau wisse, wie sie keine Versprechungen hielten sondern bald anderer Meinung würden26. Nach dieser solmsischen Darstellung war Christian Hess nicht verhaftet worden, sondern sei gütlich mitgegangen. Er habe Graf Hans Georg I., als dieser zufällig in Laubach gewesen sei, versichert, er sei aus Unverstand zu den Ungehorsamen gestoßen und verstehe jetzt, dass diese im Unrecht seien, wenn sie ihre Obrigkeit verachteten. Wenn der Graf ihn wieder annehme, wolle er 25 26

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 10. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 14.

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nicht mehr bei den Ungehorsamen bleiben. Nach einigem Zögern habe der Graf ihn wieder angenommen und aus dem Gefängnis entlassen. Die Beklagten trugen vor, sie hätten nur gewollt, dass die Freienseener ihren Pfarrer wieder bei sich haben sollten. Ihnen sei glaubwürdig berichtet worden, dass die Ungehorsamen sich seit Jahren der Kirche und der Sakramente enthalten hätten. Damit mussten als Begründung für die Notwendigkeit, in Freienseen eine Wohnung für den Pfarrer beschaffen zu müssen, die seit der Wiedertäuferzeit immer wieder erhobenen Vorwürfe mangelnder Kirchentreue auch in diesem Zivilverfahren herhalten. Gegen die Glaubwürdigkeit der solmsischen Darstellung machten die Kläger am 24. März 1572 überzeugend geltend, dass eine Schätzung nicht nötig gewesen wäre, wenn das Haus dem Pfarrer sowieso gehöre und nicht erblich verliehen gewesen sei27. Zum Schluss wurde gefragt, weshalb das Verhalten des Christian Hess so intensiv behandelt werde, obwohl doch Klägerin seine Ehefrau Anna sei28. Mit Bescheid vom 6. Juli 1574 wurde den benannten Kommissaren der Beginn der Zeugenverhöre anempfohlen29. Am 3. und 4. November 1574 wurden 11 Zeugen vernommen, worüber der Kommissar Dr. Pintzer am 13. Januar 1575 einen Rotel verfertigte und besiegelte30. Über die Auswertung der Zeugenaussagen in Form eines Urteils steht in der Akte nichts mehr31. Am 13. Februar 1570 erging schließlich das Weimarer Laudum, also der Schiedsspruch32, den Landgraf Philipp zu Hessen und Graf Friedrich Magnus I. zu Solms-Laubach am 22. April 1554 vom Herzog zu Sachsen-Weimar erbeten hatten33. Obwohl Landgraf Philipp in dem Schiedsvertrag von 1554 zugesichert hatte, dass es bei dem schließlich einzuholenden Fakultätsurteil bleiben solle, appellierte der Vertreter seines Nachfolgers 1570 unmittelbar nach Verkündung des Urteils in Weimar gegen den Spruch ans Reichskammergericht34, weil der Schiedsspruch Hessen in Freienseen nur einen Neben27 28 29 30 31

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 21. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71, Qu. 22, 1572 September 12. Prozessprotokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71 Letzte Eintragung vom 2. November 1574 im Prozessprotokoll: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 71. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 98, Qu. 54 = LXXIII Nr. 50, Qu. 66. Druck: Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), Canngiesser (Anm. 15), S. 141ff. Nr. XLV. Druck der Compromißurkunde: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 140f. Nr. XLIV. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 70. Druck: Canngiesser (Anm. 15) S. 144 Nr. XLVI. Die Überlieferung der eigentlichen Prozessakte dieser Appellation ist nur sehr fragmentarisch und lückenhaft: Gräfl. Archiv Laubach, A. Freyenseensia K 59 Nr. 12c.

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schutz, den Grafen zu Solms-Laubach dagegen dort die Obrigkeit zugesprochen hatte. Der Landgraf hatte dagegen von dem Schiedsverfahren offenbar eine Stärkung seiner Position in Freienseen erwartet. Wegen der Enttäuschung dieser hohen Erwartung appellierte Hessen gegen das Weimarer Laudum. Am landgräflichen Hof legte man den hessischen Rechten in Freienseen offenbar eine große Bedeutung bei. Dabei hätte der Spruch den Landgrafen nicht überraschen dürfen, weil die landgräflichen Räte schon 1568 in ihrem Votum dieses für Hessen negative Ergebnis angedeutet hatten. Auch dieser Appellationsprozess verlief im Sande, ohne dass Hessen in Laubach wegen Freienseen weniger interveniert hätte, wie sich immer wieder zeigen wird. Diese Auseinandersetzung betraf die Freienseener jedoch deshalb nur indirekt, weil der Weimarer Spruch nur die Rechte der beiden konkurrierenden Herrschaftsträger regelte. Über die Rechte der Freienseener selbst entschied das Weimarer Laudum dagegen expressis verbis nicht. Die vormundschaftliche Regentschaft setzte den direkten Einsatz von Zwang und Gewalt gegen die Rebellen schon am Ende des Jahres 1570 fort35. Am Christabend 1570 ließ sie in Freienseen 13 Schafe, am darauf folgenden Montag 24 weitere Hammel und Schafe und am Neujahrsabend weitere Schafe pfänden. Am 12. Januar 1571 seien wieder gräfliche Bewaffnete in das Dorf eingefallen und hätten 100 Stück Vieh weggetrieben36. Außerdem, hätten die Solmsischen Hans Pfaffen, die beiden Hessen und Conrad Bender gefesselt, Rupp Thielen geschlagen und gebunden nach Laubach geführt. Er sei nur gegen das Versprechen wieder freigelassen worden, dass er innerhalb eines halben Jahres ausreisen wolle. Am 1. Juni 1571 erwirkte die Gemeinde Freienseen ein Mandat, dass die vormundschaftliche Regentschaft das weggenommene Vieh restituieren und die drei Gemeindemänner von den ihnen abgezwungenen abwegigen Gelübden befreien solle37. Im Kirchenbauregister zum Jahre 1571 erschienen wieder mehrere Posten wegen des Transports einer Kirchentür sowie zu Entlohnung eines Schmieds, der einen Schlüssel und große eiserne Riegel und Krampen zur Tür hatte schmieden müssen38. Die Nachbarn waren also erneut gegeneinander so handgreiflich geworden, dass dabei die Kirchentür beschädigt worden und ein neuer Schlüssel anzufertigen war.

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 118. Druck des Mandats vom 1. Juni 1571: Canngiesser (Anm. 15), S. 160ff. Nr. LIV. Brief der Freienseener an ihren Advokaten in Speyer vom 13. Dezember 1571: HStA Marburg Bestand 4.f. Solms-Lich zu Laubach Nr. 82. Acten des Kammergerichtsprokurators J. F. Meurer zu Speyer. Wie Anm. 36. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 50, Qu. 112.

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Ebenso setzte die vormundschaftliche Regentschaft nun wieder Gewalt gegen die Protagonisten der Rebellion ein. Am 8. August 1571 ließen die Vormünder durch den Amtmann Christoph von Urff und den gräflichen Sekretär Gerhard Terhell die Freienseener Einwohner Rupp Thiel und Hans Hess, Leibeigene des Landgrafen Ludwig, durch bewaffnete Diener gefangen nehmen39. Da von dem Kriminalverfahren wegen Blasphemie gegen Hans Hess, das durch dessen Flucht nicht hatte durchgeführt werden können, in diesem Zusammenhang keine Rede ist, könnte der jetzt verhaftete Hans Hess ein anderer Träger dieses Namens gewesen sein (ein Sohn des ersten Hans Hess oder ein gleichnamiger Bruder von Hans und Christian Hess, wie er 1597 auftaucht, oder gar Mitglied eines anderen Zweiges der Familie Hess?). Sicher ist jedoch, dass die landgräfliche Leibeigenenfamilie Hess wieder einmal wegen aktiver Unterstützung des Freienseener Widerstandes ins Visier der Herrschaft geraten war. Trotz Intervention Landgraf Ludwigs seien die beiden Verhafteten mehr als 12 Wochen in schwerem Gefängnis geblieben, weil beide im Auftrag der Gemeinde wegen der Fortführung der Prozesse nach Speyer hätten gehen sollen. Sie sollten nur dann entlassen werden, wenn sie in einer Urfehde schwören würden, Haus und Hof sowie das Land zu verlassen, als ob sie Übeltäter wären. Damit hätte sich die Herrschaft wichtiger Anführer der Unbotmäßigen in Freienseen entledigt gehabt. Da sie sich unschuldig fühlten, verweigerten sie diesen Eid. Johann Balthasar Pfaff, die Brüder Hans und Christian Hess sowie Dorothea, die Ehefrau des inhaftierten Hans Hess, suchten daher wieder Zuflucht in Speyer40 Nach einigen Jahren Pause wiederholte die Herrschaft 1575 die Versuche, die unbequemen Rebellen in Freienseen an der Durchführung ihrer Prozesse zu hindern. Sie ließ Seipp Rupp gefangennehmen, weil er Schriftstücke für die Prozessführung nach Speyer getragen habe41. Für die erneute Verhaftung des Christian Hess sollte ausreichend gewesen sein, dass er schreiben und lesen konnte und deshalb von den Klägern als Schreiber für ihre Prozesse gebraucht worden sei42. Christian Hess war Bruder des Hans Hess, womit erneut die führende Stellung dieser Familie im Widerstand gegen die solmsische Herrschaft in Freienseen hervortritt.

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Mandat vom 6. November 1571: HStA Marburg Bestand 4.f. Solms-Lich zu Laubach Nr. 82. Druck, Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 19–21. Vgl. auch Anm. 36. Nach diesem Bericht soll Rupp Thiel am 25. Oktober 1571 eines natürlichen Todes gestorben sein. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 163ff. Nr. LV. Druck des Mandats vom 11. Dezember 1575: Canngiesser (Anm. 15), S. 177ff., 178, Nr. LXI. Wie Anm. 16.

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Das Endurteil in Sachen primi mandati vom 10. November 1574 beruhigte die Szene nicht. Schon im Jahr 1577 versuchte die vormundschaftliche Regentschaft wieder dadurch Druck auf die Ungehorsamen auszuüben, dass sie den Freienseener Pfarrer anwies, Verlobte, die zu den Ungehorsamen gehörten, kirchlich nur dann zu verehelichen, wenn sie auf ihre Teilnahme an den Prozessen der Gemeinde verzichtet hätten43. 1578 versuchte die Regentschaft, Probleme der Leibeigenschaft in Freienseen gewaltsam zu lösen. Da von dieser personenrechtlichen Zuordnung verschiedene, immer wieder strittige Abgaben und Dienste abhingen und die hessische Leibsangehörigkeit den Landgrafen ständig Gelegenheit zu Eingriffen in Freienseener Angelegenheiten bot, war Solms-Laubach daran interessiert, die Zahl der solmsischen Leibsangehörigen in Freienseen zu vergrößern und die der hessischen zu verringern44. Deshalb entließ die Regentschaft 1578 den gefangen genommenen Martin Johannssen nur gegen das eidliche Versprechen aus dem Gefängnis, auf die Teilnahme an der Rechtfertigung in Speyer und den hessischen Schutz zu verzichten45. Damit war Landgraf Ludwig jedoch nicht einverstanden, weil Johannssens Mutter, Großmutter und deren Schwester hessische Leibeigene gewesen seien und den Landgrafen deshalb die Leibsbede gegeben hätten, so dass auch Martin hessischer Leibsangehöriger sei. Dieser sei daher von seinem Eid zu entbinden. Am 8. Oktober 1578 erließ die Herrschaft im Namen der beiden Brüder Hans Georg I. und Otto eine Leibeigenschaftsordnung, in der geregelt wurde, wie in streitigen Fällen zu entscheiden sei46. Nachdem die Herrschaft schon 157147 und 157548 versucht hatte, die Kläger an Aktivitäten in Speyer durch Verhaftung ihrer Wortführer zu hindern, fiel ein neuer Versuch dieser Art in die für die Freienseener kritische Phase nach der missglückten Revision bei der Visitationskommission49. Der Laubacher Schultheiß verhaftete am 14. Juni 1580 – gewiss nicht ohne Kenntnis der Herrschaft – auf freier Landstraße den Magister Leonhardt Regimetz, der für die Freienseener wegen der Minderung der jüngst bei der Visitation des Kam43

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Schreiben Landgraf Ludwigs an die Grafen zu Laubach vom 28. Juli 1577, Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 179f. Nr. LXII. Außer hessischen und solms-laubachischen Leibeigenen gab es in Freienseen auch solche der Schenken zu Schweinsberg, wie ein 1667 durchgeführtes Zeugenverhör ergibt. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 169ff. Nr. LIX. Schreiben Landgraf Ludwigs vom 11. August 1578 nach Laubach. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 180f. Nr. LXIII. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXV Steuer-Stock-Acta, Nr. 14, Leibeigene. Anm. 14: Rupp Thiel und Hans Hess. Anm. 16: Seipp Rupp und Christian Hess. Vgl. Kap. 8.2

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mergerichts auferlegten Strafe in Speyer habe intervenieren wollen50. Der Freienseener Bote habe außer einer Supplikationsschrift zwei Originalbriefe, Dokumente, Instrumente und Kopien gerichtlicher Protokolle aller beim Reichskammergericht rechtshängigen Sachen bei sich gehabt, als er zusammen mit Weigandt auf hessischer Straße unterwegs gewesen sei. Die Freienseener beschwerten sich bei Landgraf Ludwig, aber ohne nachdrücklichen Erfolg, über diesen Gewaltakt51. Die Dokumente seien auf das Laubacher Rathaus getragen worden. Die Bitte um Rückgabe habe man ihnen verweigert. Als die Freienseener am 22. Oktober noch einmal in Gegenwart eines Notars und von Zeugen flehentlich und untertänig um Restitution der Papiere gebeten hätten, hätten sie von der solms-laubachischen Regentin den Bescheid erhalten, dass solche Briefe besser bei den Bauregistern als bei ungehorsamen Bauern verwahrt werden sollten. Ohne diese Urkunden könnten sie jedoch weder ihre rechtshängigen Sachen weiter betreiben noch dem Kammergericht über sie berichten, und dadurch vielleicht für die erkannte Strafe eine Milderung erlangen oder auch ihre Advokaten und Prokuratoren informieren. Zudem hätten sie in den Briefen Heimlichkeiten mitgeteilt. Am 4. August 1580 erhielten die gehorsamen Freienseener auf ihren Antrag, ihnen aus dem Depot die Briefe zu übergeben, den Bescheid, dass sie sie lesen dürften. Es sei eine Aufstellung von sechs Briefen angefertigt worden, die für sie von besonderem Interesse seien52. Ihre Bitte um Aushändigung der Urkunden begründeten die Gehorsamen damit, dass sie in der Rechtfertigung, als solche Briefe eine zeitlang hin und zurück spazieren geführt worden seien, nicht angeführt würden. Daher hätten sie sie damals nicht bekommen können53. Die Ungehorsamen hätten ihnen nicht einmal gesagt, ob sie überhaupt vorhanden seien oder nicht. Die Gehorsamen bekundeten schließlich, dass sie diese Briefe in einen Kasten neben den Bauregistern gelegt hätten. Die rebellierenden Gemeindemitglieder hatten also verhindert, dass ihre am Prozess nicht beteiligten Nachbarn die wichtigen Unterlagen des Prozesses einsehen konnten. Die Beklagten bestritten mit gespielter Unschuld alle Anschuldigungen54. Seit den langjährigen französischen und niederländischen Kriegen gebe es in der Wetterau im Lande zu Hessen viel landschädliches Gesindel. 50 51

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Gräfl. Archiv Laubach, S. LXXIII Nr. 60, Qu. 2, Mandat vom 14. März 1581. Schreiben der Freienseener an den Landgrafen vom 26. Juli 1580. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 74f. Nr. VI. Dieser intervenierte deswegen am 30. Juli 1580 bei den Grafen Hans Georg und Otto in Laubach. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 75f. Nr. VII. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 56, Qu. 4. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 56, Qu. 7. Darstellung der Gehorsamen vom 30. Mai 1581. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 56., Qu. 5. Exceptiones vom 14. März 1581.

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Deshalb hätten die Reichsstände befohlen, solche verdächtigen Personen zu beobachten. Das hätten auch die Beklagten in der Grafschaft Solms-Laubach angeordnet. In diesem Zusammenhang seien auch einige Verdächtige ergriffen worden. Als deshalb in vergangener Zeit ein unbekannter Mann, der sich damals Magister Leonhardt Regimetz von Stralsund genannt habe, etliche Tage im Dorf Freienseen verweilt und niemand gewusst habe, was er dort zu tun habe, sei der Schultheiß von Laubach nach Freienseen gekommen und habe versucht, ihn zu sprechen. Dabei habe er ihn vor dem Dorf angetroffen. Da er in seinen Reden wankelmütig gewesen sei, habe er ihn an die Hand genommen und nach Laubach gebracht, damit er sich dort vor dem Grafen für sein Tun rechtfertigen könne. Die abgenommenen Briefe seien dem Rat zur Verwahrung übergeben und Regimetz freigelassen worden. Weder ihm noch seinem Begleiter sei Gewalt angetan worden. Weigandt habe sich allerdings schimpflicher Worte bedient. Dafür sei er bestraft worden. Die Gehorsamen hätten, als sie die Briefe hätten lesen können, manches ihnen Günstige entdeckt. Da diese Sachen die ganze Gemeinde angingen, baten sie darum, sie ihnen zur Verwahrung zu geben, was im Oktober geschehen sei. Als den Ungehorsamen die übrigen Dokumente hätten übergeben werden sollen, hätten sie es abgelehnten, nur den Restbestand zu akzeptieren. Sie bestanden darauf, alle Briefe zu bekommen. Deshalb hätten sie das Mandat ausgebracht. Mit dem Mandat sei den Grafen Unrecht getan worden, da den Gehorsamen die diese interessierenden Briefe schon gegeben worden seien. Das Gericht solle erkennen, dass die Ungehorsamen die unstreitigen Briefe annehmen, die anderen aber im Depositum lassen sollten, bis sich die Gehorsamen mit den Ungehorsamen darüber gütlich geeinigt hätten und rechtlich darüber entschieden werde. Die Berufung darauf, dass alles nur zur Wahrung des Landfriedens und gewaltlos geschehen sei, entspricht der Prozesstaktik, die schon Graf Friedrich Magnus I. in einem ähnlichen Fall verfolgt hatte, nämlich rechtswidrige Gewaltanwendung zu bestreiten. Neu ist das Ausspielen der beiden untereinander verfeindeten Freienseener Gemeindefraktionen gegeneinander. Der Antrag, die nicht den Gehorsamen ausgehändigten Urkunden dort zu belassen, wo sie sich befänden, bis die Freienseener Parteien sich gütlich geeinigt hätten, wahrt bei scheinbarer Objektivität raffiniert die gräflichen Interessen. Da eine solche Einigung nicht zu erwarten war, hätten den Klägern die Urkunden, die sie dringend für ihre Aktivitäten in Speyer benötigten, bis auf Weiteres vorenthalten bleiben können. Mit dem Überreichen der Darstellung der gehorsamen Freienseener vom 30. Mai 1581 endete die letzte Prozessaktivität der Regierungszeit Graf Hans Georgs I. Erst am 17. Dezember 1611 wurde das Verfahren neu aufgenommen55, was sich aber in 55

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 56, Qu. 7+8.

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der Einreichung neuer Vollmachten beider Parteien am 24. September 1612 erschöpfte56. 1581 endete die vormundschaftliche Regentschaft, unter der sieben neue Verfahren am Reichskammergericht mit der Gemeinde Freienseeen begonnen hatten. In den letzten Jahren der vormundschaftlichen Regentschaft seit dem Jahre 1579 ist in vier Verfahren am Reichskammergericht bis zum Jahr 1584 eine auffällige Intensivierung prozessualer Aktivitäten zu verzeichnen57. Graf Hans Georg I. trat nach der Erbteilung mit seinem Bruder Otto in der Grafschaft Solms-Laubach die alleinige Regierung an.

9.2.

Graf Johann (Hans) Georg I. (1581–1600).

Der älteste Sohn von Graf Friedrich Magnus I., Johannes (Hans) Georg I., hatte eine vorzügliche Erziehung genossen58. Bis zum Jahr 1560 erhielt er zusammen mit seinem Bruder Otto Privatunterricht. Anschließend besuchten beide Junggrafen bis 1564 die Universitäten Straßburg, Tübingen und Wittenberg. Diese intellektuelle Bildung wurde ergänzt um die standesgemäße und für einen zukünftigen Landesherrn mindestens ebenso wichtige höfische Bildung auf einer Kavalierstour, die den Erbgrafen 1566 nach Kassel zu Landgraf Philipp, 1568 zu Herzog Christoph von Württemberg und 1571 an den Hof des Kurfürsten August von Sachsen führte. Dort heiratete er am 4. Dezember 1572 Margarethe von Schönburg-Glauchau, die Witwe Graf Wilhelms zu Honstein. Graf Hans Georg I. war also auf seine Aufgabe als Regent der Grafschaft Solms-Laubach wohl vorbereitet, als er am 4. September 1581 die Regierung antrat. Da sein Bruder Otto mit Sonnewalde den weniger wertvollen Teil der Erbschaft erhalten hatte, musste Graf Hans Georg diesen Nachteil mit der Zahlung von 12.000 fl. ausgleichen. Bei der Teilung der Erbschaft ihrer Mutter im Jahr 1589 erhöhte sich die Ausgleichszahlung auf 22.000 fl. Graf Hans Georg I. hatte also von Anbeginn seiner Regierung an große finanzielle Probleme zu bewältigen59. Sicherlich war die Finanznot ein starker Antrieb, sich am 26. Februar 1583 mit Hessen vertraglich über den Status von fünf männlichen und 11 weib-

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 56, Qu. 9+10. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 51, 98, 26, 84. Angaben nach Rudolph Graf zu Solms-Laubach (Kap. 1, Anm. 5), S. 246f. 1629 betrug das gesamte zu versteuernde Vermögen des Amtes Laubach nur 116.954 fl.: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 133 Freyenseensia (Collectanea Solmensi inepta 1729 16. Februar) = dazu Cramer, Wetzlarische Nebenstunden, Teil 20, Nr. 2, S. 8–32.

Graf Johann (Hans) Georg I. (1581–1600)

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lichen Leibsangehörigen in Freienseen zu einigen60, hingen doch von dem personalen Status Abgaben und Dienste ab. Dieser Konfliktbereich bot trotzdem später immer wieder neuen Stoff für Zwistigkeiten, die auch zu harten Maßnahmen gegen die betroffenen Bauern in Freienseen führen konnten. Die bis dahin üblichen Inhaftierungen oder die Pfändung von Eigentum der ungehorsamen Freienseener spielten während der ersten Regierungsjahre des Grafen Hans Georg I. keine Rolle mehr. Auch verstärkte sich zunächst der Trend, die Prozesse in Speyer mit geringerer Intensität voranzutreiben. In den Jahren 1585 bis 1594 ist dieses Phänomen in sechs bis sieben Verfahren zu beobachten61. Auch wenn die Motive dafür in jedem Verfahren unterschiedlich gewesen sein mögen, ist die Häufung solchen Desinteresses, in Speyer aktiv zu werden, wohl zumindest auch darin zu suchen, dass die Freienseener nur dann daran interessiert waren, Verfahren am Gericht zu beginnen oder weiter zu fördern, wenn sie sich durch Handlungen der Obrigkeit dazu genötigt fühlten. Der neue Herr setzte jedoch zunächst subtilere Mittel gegen die widerborstigen Freienseener ein, ohne das alte Ziel aus den Augen zu verlieren. Das beweisen die in dem Mandat vom 10. Januar 1583 aufgeführten häufigen Verstöße gegen kammergerichtliche Urteile und Mandate62. Hinhaltender Widerstand gegen das von den Freienseenern am Reichskammergericht Erreichte schien ihm zunächst auszureichen, um seine Position zu wahren. Am 6. Dezember 1583 beklagten die Ungehorsamen, dass ihre gehorsamen Nachbarn gegen das Mandat verstoßen hätten, indem sie durch das Fenster in die Kirche eingestiegen seien und Andres Werner das Schloß an der Kirchentür, zu dem die Kläger den Schlüssel besaßen, abgeschmissen habe63. Nachdem die Ungehorsamen am 8. Dezember 1582 nicht zu einem durch Glockenschlag angekündigten Herrengebot erschienen seien, habe sie der Schultheiß dreimal um die höchste Buße von 10 fl. gerügt. Für diese Strafe von insgesamt 800 fl. seien ihnen 22 Schafe abgepfändet worden. Als sie entsprechend dem Urteil Einfahrt hätten halten und Holz ausgeben wollen, hätten sie dies auch den Gehorsamen angeboten. Diese hätten das jedoch abgelehnt, weil sie Holz nach eigenem Belieben hätten ausgeben wollen. In dieser Haltung hätten die Grafen sie gestärkt. Die Beklagten beantragten nicht nur die Kassation des Mandates, weil es betrügerisch erwirkt worden sei, sondern erbaten ihrerseits gegen die früheren Kläger ein Mandat64 unter Berufung auf ein notarielles 60 61 62 63 64

Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 167ff. Nr. LVIII. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 50, 51, 98, 26, 84, 57, 58. Druck: Canngiesser (Anm. 15) S. 187f. Nr. LXVII. HStA Darmstadt E 12, 319–2, fol. 523v–537v, Qu. 21. HStA Darmstadt E 12, 319–2, fol. 438r–430v, Qu. 42.

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Protestinstrument vom 7. April 1584, in dem die Anhänger der Grafen den Vorgang gänzlich anders darstellten65. Die rebellischen Kläger hätten ein von den Gehorsamen an der Kirche angebrachtes Schloss nächtlicherweise abgebrochen und zerschlagen. Sie selbst hätten dagegen zwar auch einmal das von diesen Nachbarn angebrachte Schloss entfernt, es dabei jedoch nicht beschädigt. Christian Hess habe ihnen trotzig verkündet, ein neues Schloss werde nicht lange dranhängen. Nun konnte ein noch so sorgsames Umgehen mit dem Schloss bei dessen Abnahme nichts daran ändern, dass es nach dem Urteil den Gehorsamen nicht zustand, selbst ein Schloss anzubringen, für das sie den Schlüssel besaßen. Das sich daran anschließende Verfahren belegt exemplarisch die von Graf Hans Georg I. bevorzugte neue Vorgehensweise. Er hatte den Gehorsamen geraten, die ungehorsamen Nachbarn bei ihm zu verklagen. Dann werde er sie billig bescheiden. Anstatt – wie es seine Vorgänger in solchen Fällen getan hatten – direkt mit Gewaltausübung in den Nachbarstreit einzugreifen, veranlasste er seine Parteigänger dazu, das gräfliche Gericht anzurufen. Dort erhielten sie dann Urteile, mit denen sie gegen die Ungehorsamen vorgehen konnten. Damit verstießen die Grafen nicht gegen Kammergerichtsbescheide, mit denen ihnen die Ausübung direkter Gewalt untersagt worden war, ohne darauf verzichten zu müssen, gegen die Rebellen vorgehen zu können. Derselbe Mechanismus ist beim nächsten Fall zu beobachten. Am Aschermittwoch 1583 verhaftete der Laubacher Schultheiß die beiden Freienseener Johannes und Merten Beer, weil sie den von den Gehorsamen gewählten Bürgermeister öffentlich einen Lügner und Schelm gescholten hätten66. Obwohl beide versprochen gehabt hätten, die ihnen dafür auferlegte Strafe gütlich zu entrichten, habe der Anwalt des Grafen bisher erst 5 fl. erhalten. Auch gegen den verhaßten Christian Hess schritt der Schultheiß am 25. Oktober 1583 mit Verhaftung und einer Geldstrafe von 25 fl. ein, weil dieser entgegen einem Verbot des Schultheißen die Gehorsamen arg gescholten und dadurch einen solchen Tumult in Freienseen angerichtet habe, dass die Ruhe nur mühsam habe wiederherstellt werden können. Großmütig wurde hinzugefügt, dass man gegen ihn wegen Verletzung seiner Urfehde erheblich schärfer hätte vorgehen können. Im Übrigen seien alle Maßnahmen der Beklagten, die sie gegen die Ungehorsamen ergriffen hätten, gerechtfertigt, weil sie der Durchsetzung obrigkeitlicher Rechte gedient hätten. Am 29. Mai 1583 zitierte der Graf die Kläger nach Laubach mit der Begründung, er wolle zum letzten Mandat eine Paritionserklärung abgeben67. 65 66 67

Wie Anm. 63, fol. 414r–421v, Lit. A, Qu. 24. HStA Darmstadt, E 12, 319–2, fol. 436ff. Qu. 36. HStA Darmstadt, E 12, 319–2, fol. 536r–536v, Lit. B., Qu. 20.

Graf Johann (Hans) Georg I. (1581–1600)

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Die Geladenen nahmen einen Notar und Zeugen mit zu diesen Verhandlungen, da diejenigen Freienseener, die in dieser Sache Bescheid wüssten, in Speyer weilten, und die Unerfahrenen Übles befürchteten. Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich bald als berechtigt. Der solmsische Verhandlungsführer erklärte nicht, wie angekündigt, dem Urteil gehorcht zu haben, sondern eröffnete ein Verfahren zur Sache, indem er die erschienen Vertreter der Kläger befragte, ob sie meinten, Graf Hans Georg I. sei bei der Eröffnung der Kirchenrechnungen oder dem Abschlagen des Kirchenschlosses sowie dem anschließenden Einsteigen in die Kirche persönlich anwesend gewesen. Hätten die Anwesenden diese Frage verneint, so hätten die Solmser erklären können, dass der Graf also mit der Kirchenöffnung nichts zu tun gehabt habe, wie er es später durch seinen Anwalt am 15. Juni 1584 in Speyer auch hatte vortragen lassen68. Dann hätten die Kläger zu diesem Punkt keine Paritionserklärung mehr verlangen können. Hätten sie die Frage dagegen bejaht, so hätte man dies als Widerspruch zum Mandat auffassen können, so dass die Solmser deswegen keine Parition hätten erklären müssen. Doch die Freienseener erkannten die Falle und erklärten nach einer kurzen Beratung, dass über diese Punkte bereits am Reichskammergericht verhandelt und von diesem entschieden worden sei. Sie seien geladen worden, um die Parition des Grafen und seiner Mitbeklagten entgegenzunehmen. Wenn diese erfolge, so sei es gut. Auf Disputationen würden sie sich dagegen nicht einlassen. Der solmsische Verhandlungsführer ließ jedoch nicht locker, sondern zitierte weitere Punkte des Mandats, um schließlich zu fragen, wozu sie denn Parition begehrten, da die Gehorsamen sie niemals in der Administration der Kirchengefälle, der Einfahrtsgerechtigkeit und der Bestallung der Ämter gehindert hätten69. In welchen Punkten also den Urteilen zuwider gehandelt worden sei? Die Herrschaft versuchte also auch hier, den Streit innerhalb der Gemeinde für sich zu nutzen. Die Befragten beriefen sich jedoch konsequent darauf, dass dies alles in Speyer schon verhandelt worden sei. Es gebe genügend Urteile, Erklärungen, Executoriales und Mandate, in denen ausführlich dargelegt sei, in welchen Punkten sie beschwert seien, und was ihnen zu restituieren sei. Damit war dieser Versuch, Verwirrung unter den Klägern zu stiften, gescheitert. Einen von der Beklagtenseite überreichten Paritionszettel erklärten die Klägervertreter für unzureichend. Immer wieder versuchte es Graf Hans Georg I. mit der indirekten Methode. So wies er im Jahr 1586 erneut den Freienseener Pfarrer an, zwei hessischen Leibsangehörigen (Conradt Thiel und Hans Rupp) in Freienseen die 68 69

HStA Darmstadt, E 12, 319–2, fol. 436r ff., Qu. 36. Ebenso wie im Schriftsatz vom 15. Juni 1584: HStA Darmstadt, E 12, 319–2, fol. 436r ff., Qu. 36.

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kirchliche Segnung ihrer Eheschließung zu verweigern70. Dem von Landgraf Ludwig als Freienseens Schutzherrn dagegen erwirkten Mandat des Reichskammergerichts setzte Graf Hans Georg I. hinhaltenden Widerstand entgegen. Am 26. Juni 1588 gewährte das Gericht dem solmsischen Prokurator Dr. Kuehorn eine Frist von drei Monaten für die Anzeige, dass der Graf dem Mandat gehorcht habe71. Doch auch nach dem Ablauf der Frist nutzten die Kläger die Chance nicht, die in diesem Bescheid angedrohte Poen verhängen zu lassen. Vielmehr ruhte das Verfahren, bis das Gericht am 13. Dezember 1592 Dr. Kuehorn eine weitere Frist von 2 Monaten für die Beibringung der Gehorsamsanzeige gewährte72. Weiteres über die Beendigung des Verfahrens ist nicht zu erfahren. Wahrscheinlich hatten die Betroffenen sich anderswo den kirchlichen Segen ihres Ehebundes geholt, so dass die Fortsetzung des Prozesses für sie uninteressant geworden war. Die Vorgänger des Grafen Hans Georg II. hatten die Bauern dadurch in wirtschaftliche Bedrängnis zu bringen versucht, dass sie deren Vieh konfiszierten, um sie zum Einlenken zu nötigen. Graf Hans Georg I. setzte dagegen für die Ausübung solchen Drucks bei der agrartechnischen Infrastruktur des Dorfes an, indem er die Arbeit der lebensnotwendigen Mühle beeinträchtigen ließ. Zugleich stärkte er damit die herrschaftliche Wirtschaftskraft, indem er zwei neue gräfliche Mühlen in Betrieb nehmen ließ. Die Brüder Hans Henrich und Conrad Mullen sowie ihre Schwester bewirtschafteten die Friesener Mühle, oben ahn dem Flecken liegend, nebst Haus, Hof, Stall und Garten, die schon ihre Vorfahren auf Grund der Mühlengerechtigkeit seit Menschengedenken betrieben hatten73. Trotzdem hatte der Graf zwei Lohmühlen, also Mühlen zur Zubereitung der Eichenlohe für die Gerberei, dicht bei dieser Mühle errichten lassen, für die er das Wasser ohne Zustimmung der Friesener Müller aus deren Mühlengraben entnahm. Am 8. März 1596 hatte er angeordnet, etwa eine Viertelmeile oberhalb der klägerischen Mühle durch Tagelöhner den Mühlbach abzugraben und das Wasser durch seine Güter nach Laubach auf diese Mühlen umzulenken. Dies war für die gräfliche Wirtschaft deshalb besonders vorteilhaft, weil Lohmühlen dem Gerbergewerbe dienten. Sie versprachen höhere Einkünfte als Getreidemühlen. Die geschädigten Müller wehrten sich am Reichskammergericht dagegen. Wenig später klagten die Freienseener dagegen, dass Graf Hans Georg I. die Freienseener Feldmark schwer verwüstet habe, indem er durch den Wolfsgarten und vor dem Steinbühl, auch hinter dem Galgenberg und an dem Haff70 71 72 73

Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 190ff. Nr. LXX. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 193 Nr. LXXI. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 293 Nr. LXXII. Mandat vom 26. April 1586. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 193ff. Nr. LXXIII.

Graf Johann (Hans) Georg I. (1581–1600)

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berg nach Engelhausen zu einen großen Graben habe aufwerfen lassen, um das vorhandene Gewässer namens Raubach oder Rebach aus seinem Bett abzulenken74. Wenn man den Verlauf dieses im Volksmund Raubbach genannten neuen Grabens verfolgt, dessen Verlauf der kundige Heimatforscher Karl Krautwurst verdienstvollerweise im Gelände rekonstruiert hat, kann man nur den hohen hydrologischen und geodätischen Sachverstand bewundern, der für das Gelingen dieses schwierigen Unternehmens eingesetzt worden sein muss. Dieses Gewässer, klagten die Freienseener, hätten sie seit unvordenklichen Zeiten auch zum Betreiben einer Mühle genutzt. Auch habe der Graf rücksichtslos in ihrer Gemarkung gegraben und zudem dabei die Freienseener Wiesen und Äcker durch überfließendes Wasser verdorben. Die Geschädigten forderten, diese Maßnahmen rückgängig zu machen. Am 12. Juli 1596 erwirkten Bürgermeister und Rat sowie die ganze Gemeinde zu Freienseen gegen Graf Hans Georg I. und diejenigen Bürgermeister, Baumeister und Einwohner zu Freienseen, die nach Prozessbeginn von der rechten Gemeinde abgefallen waren, sowie die Gemeinden zu Lartenbach, Ilstorff solmsischen Anteils sowie zwei Bewohner des Flensinger Hofes und zwei Hofleute zu Stockhausen ein Mandat wegen Nichtbefolgung erwirkter Urteile und Mandate des Reichskammergerichts75. Wieder war die Administration der Freienseener Kirche zum Ansatzpunkt neuer Auseinandersetzungen geworden. Zur Kirchenverwaltung gehörte auch die Bestellung und Haltung des Glöckners und Opfermanns. Der Glöckner erhielt von jedem Einwohner von Freienseen und jedem Nachbarn der genannten Dörfer und Höfe, die zur Freienseener Pfarrei gehörten, jährlich 17 Pfennige sowie drei Laib Brot. Für das Läuten beim Begräbnis eines alten Menschen gebührten ihm zwei Laib, für das eines jungen Menschen ein Laib Brot. Die beklagten Abtrünnigen hätten mit Billigung und Beistand des Grafen einen eigenen Glöckner und Opfermann bestellt, dem sie ihren Anteil an der Glöcknerbesoldung zukommen lassen wollten. Der Graf habe ein Herrengebot erlassen, wonach beim Begräbnis eines von der Freienseener Gemeinde Abgefallenen nur dieser Glöckner und Opfermann tätig werden dürfe. Doch nicht nur damit beeinträchtigten der Beklagte und seine Beamten die der rechten Gemeinde zugesprochene Kirchenverwaltung. Vielmehr beanspruchten die Abgefallenen, Kirchenbaugüter und dazugehörige Gefälle nach eigenem Ermessen verwalten, verkaufen und kaufen, verändern und zum Teil auch unnütz verbauen und verzechen zu dürfen. Als die Kläger dies nicht hätten dulden wollen, hätten die Abgefallenen dem von der Gemeinde eingesetzten Baumeister Johann (Hans) Hess einen Zugstier aus dem Stall geholt und ihn ver74 75

Mandat vom 9. Juni 1596. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 195ff. Nr. LXXIV. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 197ff. Nr. LXXV.

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kauft. Außerdem habe Hans, um aus dem Gefängnis entlassen zu werden, 18 fl. zahlen müssen, die ihm jemand in Ruppertsburg für verkaufte Ochsen geschuldet habe. Zudem habe man ihn gezwungen, etliche von ihm eingesammelte Kirchengefälle sowie den Abendmahlskelch, die er in Verwahrung hatte, dem von den Beklagten unrechtmäßig eingesetzten Baumeister herauszugeben. Auch sei es mit dem Pfarrer, der auf der Seite der Beklagten stehe, zu einem Zerwürfnis gekommen über die Ausübung der Pflichten des von den Klägern neu bestellten Kirchners. Dieser habe den Pfarrer bei Dienstantritt gefragt, wann er die Kirche öffnen und läuten solle, wenn dieser von der Predigt in anderen Dörfern heimkehre. Als Antwort habe er nur unnütze Worte erhalten. So sei der Pfarrer einmal unversehens vom Gottesdienst in einem Dorf nach Freienseen gekommen und habe die Kirche verschlossen vorgefunden. Deshalb sei sie unnötigerweise vom gegnerischen Opfermann geöffnet worden. Die Gemeinde habe den Glöckner nicht passieren lassen wollen. Für diesen Vorfall sei die ganze Gemeinde in Laubach am Gericht gerügt worden, obwohl der Glöckner völlig unschuldig sei. Selbst wenn dieser etwas verwirkt haben sollte, dürfe doch nicht die ganze Gemeinde wegen dessen Tat gerügt und gestraft werden. Gleichwohl seien die armen Kläger in des Grafen Gnade und Ungnade gewiesen worden, so dass sie darauf warten müssten, was der Graf oder seine Beamten auf solche nichtige, eigennützige und ungereimte Rüge gegen sie an Leib und Gut nach eigenem Gutdünken vorzunehmen gedächten. An diesem Beispiel wird wieder die subtile Vorgehensweise Graf Hans Georgs I. deutlich. Er veranlasste die ihm Gehorsamen zu Maßnahmen gegen die Unbotmäßigen. Wenn diese sich dagegen wehrten, ließ er sie am Laubacher Gericht rügen, so dass das Gericht gegen sie vorgehen konnte. Damit mussten der Landesherr und seine Beamten nur noch das ausführen, was das Gericht der Herrschaft zugesprochen hatte. Die Ausübung direkter Gewalt konnte der Graf dabei den Nachbarn überlassen. Dass er dafür das Konfliktfeld Kirche ausnutzte, kam ihm doppelt zugute. Zum einen konnte er dabei sein landesherrliches Kirchenregiment festigen. Zum anderen hatten die Freienseener wegen der Wiedertäuferei sowieso einen schlechten Ruf in kirchlichen Angelegenheiten, was dem Vorgehen des Grafen gegen sie eine erhöhte Glaubwürdigkeit verlieh. Schließlich wandte jedoch auch Graf Hans Georg I. im folgenden Jahr wieder direkte Gewalt gegen Freienseener an, indem er dem Laubacher Schultheiß Hans Preuß befahl, die Brüder Hans und Christian Hess zu verhaften, die sich auf dem Weg nach Speyer befanden, um dort in den Angelegenheiten der rechten und ungezweifelten Gemeinde zu Freyenseen ihrem Advokaten und Prokurator Bericht zu erstatten und zu sollizitieren76. Die 76

Mandat vom 29. Juli 1597. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 205ff. Nr. LXXVII.

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beiden Brüder seien von der Gemeinde zu diesem Zweck schon vielfach gebraucht worden. Wegen solcher Aktivitäten in Speyer sei der Graf vor 13 Jahren über die beiden Brüder sowie drei andere Sollizitatoren sehr ergrimmt gewesen. Er habe mehrfach versucht, wenigstens einen von ihnen in Gewahrsam nehmen zu können. Auf welchen Vorfall aus dem Jahr 1583 hier angespielt wird, ist nicht ersichtlich. Da der Graf dafür keinen Grund habe finden können, habe er fälschlich behauptet, sie hätten geschworen, von der rechten Gemeinde abzustehen und zu ihm überzugehen. Diesen Eid hätten sie gebrochen. Deshalb habe er sie peinlich laden und anklagen lassen. Um dem entgegenzutreten, hätten diese am 29. Juli 1583 in Speyer geklagt und um Abstellung solchen Unwesens gebeten. In einem Mandat vom 11. September 1583 hätten sie erwirkt, dass Graf Hans Georg I. sie bei ihren erhaltenen Urteilen und Pönalmandaten ruhig bleiben lassen solle77. Nach diesem Mandat habe sich der Graf zunächst auch gerichtet. Als jedoch der dritte Bruder, der ebenfalls Hans Hess heiße, vor wenigen Jahren nach dem Tod seiner Ehefrau sich mit einer ausländischen Frau verheiratet habe, habe der Graf eine neue Gelegenheit zum Eingreifen gesehen. Er habe Hans Hess so lange bedrängt, sich von ihr wieder zu trennen, wenn er im Flecken Freienseen bleiben wolle, dass dieser schließlich die ihm Angetraute verlassen habe. Ein solches, heute unverständliches Ansinnen erklärt sich daraus, dass die Landesherrschaft sich bemühte, die sowieso verworrenen Leibeigenschaftsverhältnisse im Ort nicht noch weiter zu komplizieren. Da sich in dieser Gegend die Leibeigenschaft der Nachkommen nach dem Rechtsstatus der Mutter richtete, war die Einheirat einer ausländischen – also fremder Leibsherrschaft zugehörigen – Frau nach Freienseen für Solms-Laubach unerwünscht. Danach habe Hans Hess ohne Eheweib gelebt. Nachdem er im Frühjahr in Speyer gewesen sei und geholfen habe, ein weiteres Mandat gegen den Grafen zu erwirken, habe dieser ihn nach der Heimkehr verhaften und nach Laubach bringen lassen. Dort sei er in ein tiefes Gefängnis geworfen worden, wo man sonst Diebe und Mörder zu verwahren pflege. In diesem Gefängnis habe er bitteren Hunger leiden müssen, worüber er sich bei den beiden Freienseener Bürgermeistern und zwei Mitbürgern beschwert und um schnelle Hilfe gebeten habe. Daraufhin habe die Gemeinde ihm eine Hilfe für zusätzliche Nahrung bewilligt und gebracht. Doch die Türwächter und letztlich auch der Graf selbst hätten es abgelehnt, ihm dieses Essen zu reichen. Nun trat wieder ein, was dem Namensvetter Hans Hess schon 1567 passiert war, nämlich dass der Gefangene im Gefängnis starb. Danach habe der Schultheiß eine öffentliche Leichenschau durchgeführt, zu der der Tote auf den Schlosshof getragen worden sei. Er habe ein kleines Hosen77

Unterlagen eines solchen Verfahrens waren nicht zu ermitteln.

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bendel um den Hals gehabt, als ob er sich selbst erhängt habe. Im Gesicht und auf der Brust sei er blutig und voller blauer Male gewesen. Diese Fakten wollten die Kläger ausdrücklich nicht disputieren oder gar damit den Grafen bezichtigen. Das überließ die Gemeinde Freienseen klugerweise der Verwandtschaft des Verstorbenen. Zum Erhängen sei das dünne Hosenbendel allerdings nicht tauglich gewesen. Im Turm gebe es überhaupt keine Möglichkeit, sich aufzuhängen. Um dem Vorwurf, Hess sei verhungert, entgegenzutreten, hatte der Schultheiß vorsorglich vorgetragen, man habe neben dem Toten noch ein halbes Brot gefunden. Nun war also eingetreten, wovor die Betroffenen nach jeder Inhaftierung gewarnt hatten, dass nämlich die Umstände der Gefangenhaltung Gesundheit und Leben der Gefangenen gefährdeten. Solche Einwände waren von solmsischer Seite stets mit großer Geste zurückgewiesen worden. Hatten die Freienseener geklagt, die Gefangenen seien angekettet, also bewegungsunfähig, so erwiderten die Beklagten, die Ketten seien lang genug, um sich bewegen zu können. Wurden die äußeren Lebensumstände der Inhaftierten als gesundheitsgefährdend kalt und feucht geschildert, so wurde dies bestritten mit dem Hinweis darauf, dass der Raum über der Erde liege und deshalb nicht nass sein könne. Die Klage wegen unzureichender Ernährung provozierte die Entgegnung, Angeklagte, die so schwere Verbrechen begangen hätten, hätten nun einmal keinen Anspruch auf Wein statt Bier. Bier, Wasser und Brot sowie warme Speise gebe es genügend. Auch in diesem Fall begann ein Streit darüber, ob die Umstände der Gefangenhaltung gesundheitsgefährdend gewesen seien, und ob der Gefangene verhungert sei oder ob er sich selbst umgebracht habe, wie die solmsische Seite behauptete. Grund für die neue Klage war jedoch nicht die Klärung der Todesumstände des Hans Hess. Geklagt wurde vielmehr deswegen, weil dieser nicht in ein bürgerliches Gefängnis gelegt und wie ein Bürger behandelt, sondern mehr wie ein Übeltäter traktiert worden sei. Er sei nicht auf seinen Antrag freigelassen worden, wie es bei bürgerlichem Gefängnis hätte geschehen müssen. Die Kläger fürchteten, dass sie genau wie Hans Hess behandelt werden würden, wenn sie sich nach Speyer begäben, um ihr Recht zu verfolgen. Die Söhne des verstorbenen Hans Hess, Wilhelm und Hans Hess, hätten sich deswegen seit sieben Wochen nicht mehr nach Hause getraut, und auch Christian Hess, der Bruder des Verstorbenen, irre in der Fremde umher aus Furcht vor der Turmstrafe und der Unbarmherzigkeit, die der Graf ihrem Vater und Bruder habe angedeihen lassen. Die Kläger beantragten daher, das Reichskammergericht solle befehlen, dass der Graf die armen ausgesogenen Freyensehner nicht weiter von ihrem Prozess abhalte. Sodann schloss sich ein Antrag an, der erneut zeigt, wie Graf Hans Georg I. versuchte, die Kläger wirtschaftlich in die Kniee zu zwingen. Diese

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beklagten sich darüber, dass er dem Schultheißen befohlen habe, allen Hintersassen im Amt Laubach zu gebieten, den Handwerkern der klagenden Gemeinde, es seien Bäcker, Schmiede, Leineweber oder dergleichen, keine Arbeit zu geben oder bei ihnen arbeiten zu lassen. Auch solle man ihnen kein Geld oder Gut leihen. Dies geht weit hinaus über das Bemühen, innerhalb der Grafschaft gleichförmige Bedingungen für die gewerbliche Wirtschaft zu schaffen, wie sie dem Erlass von Handwerkerordnungen zugrundeliegt78. Vielmehr ist der Wille erkennbar, den unbotmäßigen Freienseenern wirtschaftlich die Luft zu nehmen. Der relative Wohlstand Freienseens beruhte nicht primär auf einer besonders florierenden Landwirtschaft, sondern basierte auf Hausgewerbe wie der Leineweberei. Solches Gewerbe konnte nur dann florieren, wenn nicht nur Dorfnachbarn Aufträge erteilten. Blieben Aufträge von auswärts aus und wurde sogar der Geld- und Sachkredit (etwa durch Überlassung des Flachses zum Weben) verboten, so verdarb das Gewerbe. Dass Graf Hans Georg I. mittlerweile seine Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz des Mittels der Gefangensetzung von Untertanen aufgegeben hatte, beweisen auch Vorgänge, die Anlass zum Mandat vom 17. Februar 1598 gewesen waren79. Die klagende Gemeinde verklagte wegen dieser Gewalttaten außer dem Grafen auch die von ihr abgefallenen Bürgermeister und Vorsteher nebst der mittlerweile aus 62 Personen bestehenden Nebengemeinde, sowie Pfarrer Heinrich Jungen und Jakob Thiel und auch Schultheiß und Schöffen des Gerichts zu Laubach. Obwohl die Kläger in ihrer Sache primi mandati Endurteile erhalten hätten, in denen ihnen die Administration der Kirche sowie für nicht solmsische Leibeigene die Freiheit von der Fron zur Hasenjagd zugesprochen bekommen hätten, seien sie deswegen weiter von den Beklagten in Anspruch genommen worden. So habe der Graf sieben namentlich genannten Freienseenern mit Gewalt und Pfändung jeweils ein Leibhuhn jährlich abnehmen lassen. Als Heinrich Schmidts Frau Gela sich geweigert habe, das Leibhuhn freiwillig abzugeben, sei ihr Mann Heinrich zehn Tage lang inhaftiert und erst freigelassen worden, nachdem er die Reichung des Huhns versprochen gehabt und eine Strafe von viereinhalb Gulden gezahlt habe. Der Graf habe diese Leute durch Abnehmen der Leibhühner leibeigen machen wollen, so dass sie wie die anderen gräflichen Leibsangehö78

79

Nach einer „Sammlung herrschaftlicher Verordnungen, Edicte und Befehle“ (Gräfl. Archiv Laubach, A. XLIII Nr. 81. Buch mit Lederrücken) gab es seit 1563 eine Benderordnung, 1582 eine Leineweberordnung, 1590 eine Holzordnung, 1596 für die Bäckerzunft eine Müller- und Bäckerordnung, für die Gerber- und Schuhmacher eine Laubacher und Utpher Schuhmacherzunft sowie (sine dato) eine Hutmacher- und Drechslerordnung. Mandat s. cl. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 209ff. Nr. LXXVIII.

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rigen auch Dienste zur Hasenjagd leisten müssten. Die Abgaben und Dienste der Leibeigenen waren für die gräfliche Wirtschaft von so großer Bedeutung, dass die Herrschaft versuchte, in Freienseen den Kreis der Abgabe- und Dienstpflichtigen zu vergrößern. Zudem habe sich der Pfarrer mit dem Glöckner der unrechten Nebengemeinde darüber verständigt, dass dieser jeden Sonn- und Feiertag auf diejenigen achten solle, die nicht zur Predigt kämen. Darüber sollte er dem Pfarrer eine Liste geben. Mit solchen Listen sei der Pfarrer mit einigen der Nebengemeinde am 29. September 1597 im Wirtshaus zusammengekommen. Sie hätten die Kläger dazu geladen, weil sie über die wegen des Ausbleibens beim Gottesdienst fälligen Kirchenbußen befinden wollten. Die Kläger hätten sich jedoch der Urteile erinnert, die ihnen zugesprochen hätten, dass nur sie und nicht die Beklagten in der Gemeinde Satzung und Ordnung machen, strafen und auch die Einfahrt einnehmen dürften. Deshalb hätten sie dem Pfarrer ausrichten lassen, dass er den Klägern Fehler und Mängel bei Ausübung des Pfarramtes anzeigen solle, damit diese als die rechte Gemeinde dagegen nach Recht vorgehen und alles, was zu Erbauung guter Policey dienlich wäre, vornehmen könnten. Daran hätten sich aber weder der Pfarrer noch seine Parteigänger gekehrt, sondern am nächsten Gebotstag in Laubach eine Liste mit den Namen von 18 Freienseenern übergeben lassen, damit diese im Gericht gerügt würden. Wegen dieser Rüge hätten die Schöffen von jedem Gerügten drei Tournosen gefordert. Da die Gerügten nicht hätten zahlen wollen, sei ihnen Hausrat im Wert von 18 Groschen, vier Batzen und acht Pfennig gepfändet worden. Ebenso sei Hans Hess, Christian Hessens Sohn, in die höchste Buße von 10 fl. gewiesen worden, weil er zwei Jahre lang nicht zum Abendmahl gekommen sei. Christian Hess war einer der Wortführer der Kläger und Bruder des im Gefängnis gestorbenen Hans Hess. Deren Vater sei von den Schöffen wegen des Gebüßten je ein mäßiger Tiegel und Topf im Wert von zwei Talern abgenommen worden. Dabei habe dieser Hans Hess die zwei Jahre auswärts in fremdem Dienst geweilt, habe also in Freienseen gar nicht zum Tisch des Herrn kommen können. Wieder wird der Herrschaftsstil des Grafen Hans Georg I. deutlich. Auf der einen Seite bemühte er sich um die Sicherung seiner wirtschaftlichen Basis durch gewaltsame Mehrung der Leibeigenen in Freienseen. Zum anderen trieb er den Pfarrer und die ihm gehorsamen Bauern an, die Kläger im Laubacher Gericht rügen und büßen zu lassen, um Gerichtsgewalt gegen sie ausüben zu können. Am 9. März 1598 lud Graf Hans Georg I. den Christian Hess, am folgenden Sonnabend wegen einer Supplikation auf dem Rathaus zu Laubach zur Audienz zu erscheinen80. Dieser hatte sich darüber beschwert. dass er 80

HStA Darmstadt, E.12, 319–2, fol. 346r.

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dreimal vergeblich beim Amtmann suppliziert habe, Rupert Waldschmidt, genannt der Welsche, solle sich mit ihm wegen gemeinsamer Rechnung verrechnen, damit er wisse, ob er etwas schulde, und dann diese Schuldigkeit bezahlen könne81. Eine schriftliche Rechnungslegung sei nötig, weil er mehrfach vergeblich versucht habe, sich mündlich vor dem Schultheiß mit dem Weib des Welschen zu verrechnen. Obwohl die Rechnungslegung misslungen sei, habe der Schultheiß ihn schmachvoll mit Androhung einer Inhaftierung dazu angehalten, die Forderung ohne gründliche Rechnungslegung zu bezahlen. Umweglos äußerte Christian Hess den Verdacht, dass es gar nicht um Ansprüche des Welschen oder anderer Gläubiger gehe, sondern dass er vom Schultheiß wegen der Rechtfertigung so behandelt werde. Inständig bat er den Grafen, er solle den Welschen ernsthaft zur Rechnungslegung anhalten. Vor allem aber solle der Graf dem Schultheiß verbieten, ihn durch Schelte und Schmähworte in seiner Ehre zu kränken. Wenn dieser allerdings meine, er könne seine Schelte aufrechterhalten, so solle er dies schriftlich tun, damit Christian Hess sich davon an gebührendem Ort reinigen könne. Außerdem solle der Graf dafür sorgen, dass er bis zur Exekution eines eventuellen Urteils in seinem Haus leben und arbeiten könne und gegen diejenigen geschützt werde, die etwas gegen ihn zu klagen hätten. Dieser Beschwerdekatalog offenbart, wie intensiv die solmsische Herrschaft durch den gräflichen Schultheiß gegen Christian Hess als Anführer der Ungehorsamen vorging. Zivilrechtliche Probleme wurden zum Anlass genommen, schärfste Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen. Aus Furcht davor, dass es ihm wie seinem im Gefängnis gestorbener Bruder Hans ergehen könne, mied Christian Hess sein Heim und musste damit seine Wirtschaft vernachlässigen. In einem Schutzbrief für Christian Hess ermahnte Landgraf Ludwig am 8. April 1598 Graf Hans Georg I., diesen als hessischen Leibsangehörigen und Schutzverwandten nicht weiter so unbillig und rechtswidrig behandeln zu lassen82. Am 21. April 1598 beschied der Laubacher Schultheiß Preuß den Christian Hess auf den 23. April um 1 Uhr nach Laubach, wenn er beweisen wolle, dass er von Conradts Kathi mehr fordern könne als in der Rechnung stehe83. Unter demselben Datum rechtfertigte sich Christian Hess schriftlich bei Graf Hans Georg I.84. Er sei zum 23. April vom Schultheißen nach Laubach geladen worden, weil dieser in dem Streit mit dem Welschen dessen Knecht vernehmen und ihn dann umgehend pfänden wolle. Da jedoch nicht nur dieser Zeuge vernommen, 81 82

83 84

Wie Anm. 80, fol. 471r ff., Lit. D. Wie Anm. 80, fol. 342r+v. Er hatte sich am 20. März 1598 beim Rentmeister zu Grünberg über den Fall kundig gemacht: fol. 359r. Wie Anm. 80, fol. 353r. Wie Anm. 80, fol. 498r.

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sondern auch andere Posten bewiesen werden müssten, habe er sich geweigert, allein diesen einen Zeugen vernehmen zu lassen. Er bat den Grafen erneut, den Welschen zu einer spezifizierten Rechnungslegung anzuhalten. Obwohl er hätte gewarnt sein müssen, folgte Christian Hess der Ladung des Schultheißen nach Laubach. Dort muss er sofort verhaftet worden sein. Schon am 24. April, also nur einen Tag nach diesem Termin, bat seine Ehefrau Anna den Grafen darum, ihr die Ursache der Verhaftung anzugeben85. Wenn Christian etwas schulde, wolle sie für ihn bürgen, damit er aus dem unerträglichen Gefängnis entlassen werde. Die rechte Gemeinde, für die Christian Hess so intensiv tätig gewesen war, hatte Landgraf Ludwig um Intervention gebeten, der darauf ebenfalls in Laubach intervenierte86. Der Graf habe ihm auch geantwortet, dies aber den Freienseener nicht mitgeteilt. Vielmehr habe er Christians Ehefrau für diesen bürgen lassen und sie trotzdem beschieden, ihr Ehemann solle sich aus dem Turm heraus mit seinen Gläubigern verrechnen. Annas Hoffnung, ihrem Mann mit ihrer Bürgschaft den Turm ersparen zu können, hatte sie also getrogen. Dabei sei, wie die Gemeinde versicherte, Christian Hess wohlhabend genug, um alle Rechnungen bezahlen zu können. Außerdem verbürge sich auch die ganze rechte Gemeinde für ihn, so dass, wie sie schrieben, kein Anlass bestehe, Christian Hess weiter im Gefängnis zu behalten. Es dürfe nämlich niemand beschwert werden, der sich zu Recht erbiete. Am 28. April antwortete die gräfliche Kanzlei der Ehefrau auf Befehl des Grafen. Christian sei häufig zum Verhör geladen worden und habe dazu auch Geleit bekommen, sei aber niemals erschienen87. Wegen dieser Verachtung von Geboten sei er in Verwahrung genommen worden, so dass er sich jetzt nur aus dem Turm heraus mit seinen Gläubigern verrechnen und diese befriedigen könne. Über diese Antwort war Anna mit Recht sehr erstaunt, weil ihr zunächst mitgeteilt worden sei, dass ihr Ehemann wegen Schulden im Gefängnis sitze88. Diese Änderung des Haftgrundes war wohl notwendig geworden, weil die Beklagten die Verletzung des Mandats, das gerade dies verboten hatte, zugestanden hätten, wenn sie weiter vorgetragen hätten, Hess sei wegen des unerledigten Handels mit dem Welschen verhaftet worden. Wenn sie jetzt erfahre, fuhr Anna Hess fort, dass er auch gräfliche Gebote missachtet habe, so bitte sie trotzdem, ihn gegen Kaution freizulassen. Er werde für die Missachtung der Gebote Abbitte leisten und – so Gott wolle – es nicht wieder tun. Für alles, was er schulde, könne der Graf auf ihre Güter zugrei85 86

87 88

Wie Anm. 80, fol. 354r. Undatiertes Schreiben der Gemeinde Freienseen an den Landgrafen: Wie Anm. 80, fol. 355r+v; dito fol.3 57r–358v. Wie Anm. 80, fol. 352r. Wie Anm. 80, sine dato fol. 475r.

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fen. Sie bat daher um Zulassung zur Audienz und zum Verhör. Damit war der zivilrechtliche Anlass für Solms ausgereizt, so dass Christian Hess aus dem Gefängnis entlassen worden sein dürfte. Abgeschlossen war der Fall dagegen keineswegs, wie die Einforderung von vier Bürgschaften für Christian Hess, die wohl für seine Urfehde gefordert worden waren durch die gräfliche Kanzlei am 10. August 1598 beweist89. Am 23. Juni 1598 hatte sich das Gericht mit weiteren Klagen der rechten Gemeinde gegen den Grafen und seine Parteigänger in Freienseen und das Laubacher Gericht zu beschäftigen90. Wiederum beriefen sich die Kläger auf die Urteile in der Sache primi mandati, die ihnen die Kirchenverwaltung und vor allem die Einsammlung der Kirchengefälle und Bauzinse, sowie das Verleihen der Gemeindewiesen und die Ordnung von Weg und Steg, Brunnen und Gehölz zugesprochen hatten. Ebenso sei ihnen zugesprochen worden, die Bürgermeister und Hirten zu wählen, die Gewählten zu bestätigen und deren jährliche Rechnungen abzuhören. Dagegen hätten der Graf sowie die von ihm besonders gemachte und gestattete Nebengemeinde mit Schultheiß und Schöffen des Gerichts zu Laubach verstoßen, indem sie unter Anleitung des Schultheißen in einem Wirtshaus zusammengekommen seien und einen eigenen Bau- und Bürgermeister sowie Heimbürger gewählt hätten. Der Schultheiß habe sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten ermahnt und ihnen darauf ein Handgelöbnis abgenommen. Die Nebengemeinde habe sodann Zinse und Kirchengefälle erhoben und an sich genommen. Auch habe sie die Gemeindewiesen unter sich verteilt und verliehen. In den Gemeindewäldern hätten sie willkürlich Holz gefällt und ausgegeben. Auch hätten die von der rechten Gemeinde Abgefallenen eigene Kuh-, Schweine- und Schafhirten bestellt, die ihre Schweine und Schafe in den bisher von den Klägern gehegten Wäldern und Kuhweiden hätten weiden lassen. Darüberhinaus hätten sie die von den Klägern verschlossene Kirche gewaltsam aufgebrochen. Schließlich habe der Laubacher Schultheiß am 24. April 1598 den Klägern ebenso wie der Nebengemeinde geboten, die Gemeindewege auszubessern, obwohl dies noch keineswegs nötig gewesen sei. Dies sei eine unzulässige Neuerung, da sie solche Arbeiten bisher, wenn es nötig gewesen sei, unter eigener Regie selbst verrichtet hätten. Daher hätten die Kläger die geforderte Arbeit unter Berufung auf die Urteile verweigert. Deswegen habe der Schultheiß sie am 15. Mai gerügt und Reiche wie Arme gleichermaßen in die höchste Buße von 10 fl., zusammen 340 fl., verurteilt. Außerdem hätten die abtrünnigen Gemeindemitglieder neulich Christian Hess wegen der wahrheitswidrig nur aus Hass erhobenen Anschuldigung, er habe etwas vom Gemeindeweg abgezwackt, 89 90

Wie Anm. 80, fol. 337r. Poenalmandat s. cl. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 212ff. Nr. LXXIX.

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ebenfalls in die Buße gewiesen, obwohl dafür nach den Urteilen und Mandaten nicht sie, sondern die Kläger zuständig seien. Dies hätten sie lediglich getan, um den Klägern ihre wohlhergebrachten Gerechtsame zu schmälern. Am 1. September 1598 schrieb die rechte Gemeinde an ihren Prokurator Dr. Lasser, dass Graf Hans Georg I. dem Mandat vom 29. Juli 159791 nicht gehorche, mit dem ihm befohlen worden sei, die Freienseener nicht wegen geringer, schlichter und bürgerlicher Händel ins Gefängnis zu bringen. Er habe Christian Hess wegen eines bürgerlichen Streits inhaftiert und wie einen Übeltäter bei Wasser und Brot gehalten. Dieser habe in seiner Urfehde schwören müssen, deswegen nicht zu klagen. Sonst werde er wieder in den Turm kommen und müsse 50 fl. Strafe zahlen. Christian wolle diese Urfehde einhalten. Die anderen aber wollten klagen, weil aus dem Vorfall zu ersehen sei, dass der Graf dem Mandat nicht zu gehorchen gedenke. Wenn auch sie jetzt schwiegen, sei zu befürchten, dass es dem einen oder anderen von ihnen ähnlich ergehe. Deshalb solle der Prokurator die dafür im Mandat angedrohte Poen beantragen. Einen weiteren Streitpunkt ließ Graf Hans Georg I. schaffen, als er den hessischen Schutzverwandten zu Freienseen verbieten ließ, sich nach altem Herkommen in Grünberg ein neues Salzmaß zu holen92. Acht Zeugen bekundeten, dass sie ihre Korn-, Hafer- und Salzmaße immer aus Grünberg geholt hätten. Daher seien den alten hölzernen Maßen an drei unterschiedlichen Stellen ein Zeichen der Stadt Grünberg eingebrannt gewesen. Die halben Kornmesten hätten zudem den hessischen Löwen aufgewiesen. Dieses Phänomen beruht offenbar auf alten wirtschaftlichen Beziehungen zur hessischen Stadt Grünberg als regionalem Unterzentrum, übrigens, wie ein Zeuge ausdrücklich erwähnte, nicht nur für Freienseen, sondern auch für Lartenbach, Wetterfeld und Ruppertsburg, die ebenfalls zur Grafschaft Solms gehörten. Diese traditionellen Beziehungen zu Hessen störten offenbar bei der Verfestigung der Herrschaft in der Grafschaft Solms-Laubach. Um sie zu beseitigen, habe ein solmsischer Leibsangehöriger – wohl auf herrschaftliche Veranlassung – plötzlich einen neuen Salzvierling in Laubach anfertigen lassen, der größer als der alte sei. Im darauffolgenden Herbst des Jahres 1598 habe der Laubacher Schultheiß den hessischen Schutzverwandten zu Freienseen geboten, einen neuen Salzvierling vorzuzeigen. Das aus Grünberg geholte Maß hätten sie nach Laubach aufs Ratshaus bringen müssen, wo es umgehend beschlagnahmt worden sei. Zudem seien alle 36 hessischen Schutzverwandten in die Herrenbuße von 10 fl. sowie in die Schöffenbuße von 1/2 fl. verurteilt worden, um sie von ihrem alten Herkommen abzubringen. Am 23. Januar 91 92

Druck: Canngießer (Anm. 15), S. 205ff. Nr. LXXVII. HStA Darmstadt, E 12, 319–2, fol. 298r ff.

Ergebnisse: Altes Ziel, aber neuer Stil

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1599 habe ihnen der Gerichtsknecht wegen dieser Bußen, die sie nicht gezahlt hätten, 20 beste Schafe aus dem Pferch geholt. Für die hätten sie um Walpurgis (1. Mai) mit einem Lamm gewiss 2 fl. erzielen können. Da ihnen am 25. Januar vier Stück zurückgeschickt worden seien, würden jetzt nur noch 16 Schafe zurückbehalten. Mit diesem neuen und größeren Salzvierling hätten die solmsischen Schutzverwandten in Freienseen den hessischen Leibsangehörigen eine nachteilige Neuerung aufzwingen wollen. Der größere Laubacher Vierling sei teurer als der alte Grünberger. Als kürzlich ein Salzhändler in Freienseen Salz habe verkaufen wollen, habe er es für mindestens sechs Albus pro Vierling angeboten. Nachdem ihm ein Freienseener nur 5,1/2 Albus habe zahlen wollen, sei er ins Amt Ulrichstein ausgewichen, ohne in Freienseen etwas verkauft zu haben. Die Neuerung blieb also nicht ohne Folgen für Freienseen. Doch auch Landgraf Ludwig, bei dem sie sich am 11. Januar 1599 beschwert hatten, konnte ihnen dagegen nicht helfen. Obwohl es seit mehr als Menschengedenken eine Lands-Ordnung gewesen und von selbst vernünftig und natürlich sei, dass jeder sein Haus nebst Hof und Gütern seinem Nächsten und die übrigen Güter, wohin er wolle, habe verkaufen können, verlange jetzt der Graf, dass niemand bei Strafe von 6 fl. seine Liegenschaften oder Lebensmittel einem Ausländischen verkaufen dürfe, wenn er dies nicht dem Grafen vorher angezeigt habe. Solche Maßnahmen trafen viele Landesherren, um ihr Land wirtschaftlich abzuschirmen und damit zu konsolidieren. Gewissermaßen als Höhepunkt ihrer Beschwerungen habe der Graf den Klägern den durch ihr Eigentum fließenden – schon in einer Mandatssache behandelten – Wassergraben abgegraben und auf die eigene Mühle geleitet. Den auswärtigen Müllern wolle er kein Mahlwerk zu Freienseen mehr gestatten, wenn sie nicht vorher zugestimmt hätten, eine Anzahl Säcke mit Getreide bei der Herrschaft abzuholen. Überdies habe er auch die Kläger einen Tag zum Kornschneiden auf seinen neu erbauten Hof, der OberSee genannt, gezwungen, obwohl in früheren Urteilen ausreichend klar angegeben worden sei, zu welchen Fronen sie jährlich nur gezwungen seien. Diejenigen, die sich geweigert hätten, habe er alsbald ins Gefängnis gesteckt wie zum Beispiel Hans Rupp, Ludwig Möller und Hans Hess, die jeder drei Tage und Nächte im Turm hätten verbringen müssen. Dies verstoße gegen die mehrfach genannten Urteile und zeige damit Verachtung und Verkleinerung der höchsten Justiz. Die Kläger hätten dadurch schweren Schaden erlitten vor allem, weil die Müller dasjenige, was sie auf Anordnung des Grafen leisten müssten, auf die Malter schlügen. Das Gericht befahl, alle zum Nachteil der Kläger eingeführten Neuerungen wieder abzuschaffen. Insbesondere untersagte es ausdrücklich die Zusammenkünfte der Nebengemeinde und, dass diese Bau- und Bürgermeister, Heimbürger und Hirten wähle, die Zinse und Kirchengefälle einsammele, die Gemeindewiesen verleihe, die Gemeindewäl-

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der bewirtschafte, Holz fälle und ausgebe oder die von den Klägern gehegten Waldungen als Weide nutze. Vor allem sollten sie sich der Kirchenverwaltung enthalten. Die Christian Hess ungebührlich auferlegte Strafe dürfe nicht eingefordert werden. Letztlich solle der Graf auch seine neuen Anordnungen wegen Verkaufs der Liegenschaften und Lebensmittel und wegen der ausländischen Müller kassieren. Schultheiß und Schöffen des Gerichts zu Laubach sollten die Verbote, Strafen, Bußen und Verbote wegen Besserung der Gemeinen Wege und Stege vernichten und abtun. Vor allem dürften sie die Schöffenbuße in Höhe von 340 fl. nicht eintreiben.

9.3.

Ergebnisse: Altes Ziel, aber neuer Stil

Als Graf Hans Georg I. am 19. August 1600 starb, hatte er den vom Vater ererbten Zwist mit der Gemeinde Freienseen rechtlich intensiviert. Das Hauptverfahren primi mandati war schon im Jahr 1574 unter der vormundschaftlichen Regentschaft seiner Mutter mit einem Endurteil abgeschlossen worden. Ihm und seinen Juristen gelang es jedoch, den Vollzug des Urteils immer wieder zu verzögern und zu verhindern. Noch am 3. Juli 1600 – also wenige Tage vor des Grafen Tod – sah das Reichskammergericht sich veranlasst, in der Exekutionssache die gräflichen Beklagten (noch immer wurden die beiden Brüder im Tenor gemeinsam als Beklagte geführt) zur Ordnung zu rufen. Ihr Begehren, das Urteil bezüglich der Burgbaudienste und der Ämterbestellung zu ihren Gunsten zu erläutern, wurde schlicht unter Hinweis auf das Urteil vom 22. Juni 1582 abgeschlagen93. Bezüglich der Verwaltung der Kirchengüter lehnte das Gericht den landesherrlichen Anspruch auf regelmäßige Überprüfung der Rechnungslegung ab. Nur wenn die Grafen glaubhafte Berichte bekämen, dass mit den Gütern nicht ordnungsgemäß umgegangen werde, sollten ihre Beamten Bericht einfordern dürfen. Das war weit weniger als Graf Hans Georg I. zur Ausweitung seiner landesherrlichen Befugnis beansprucht hatte. Desgleichen forderte das Gericht erneut, der solmsische Prokurator solle glaubwürdig anzeigen, dass die Beklagten allen Urteilen und Mandaten gehorsam lebten einschließlich der Abschaffung eines am 16. Oktober 1598 an die Kirchentür angeschlagenen Amtsbescheids. Die hartnäckige Verweigerung, klaren gerichtlichen Entscheidungen nachzukommen, war – wie die Freienseener häufig genug erklärten – eine Missachtung der höchsten Reichsjustiz. Dies können Graf Hans Georg I. und seine juristischen Ratgeber nicht verkannt haben. Wenn sie trotzdem nicht nachgaben, so zeugt dies

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Urteil vom 3. Juli 1600. Druck: Canngiesser (Anm. 15), S. 215f. Nr. LXXX.

Ergebnisse: Altes Ziel, aber neuer Stil

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von einem geradezu verzweifelten Bemühen, die landesherrliche Position nicht schwächen zu lassen, sondern sie möglichst weiter auszubauen. Den von seinem Vater angestrengten Prozess wegen Kassation des Wappenbriefs94, der mehr als zwei Jahrzehnte geruht hatte95, ließ Graf Hans Georg I. am 29. Mai 1598 durch Überreichung einer Vollmacht wieder aufnehmen96. In derselben Audienz überreichte der solmsische Anwalt endlich die Aufstellung der Kosten, die die Freienseener nach dem Bescheid vom 17. August 1565 tragen mussten, weil sie die Litiskontestation zu Unrecht verweigert hatten97. Am 25. September 1598 schrieben die Bauern ihrem Speyerer Anwalt, sie wüssten von einem solchen Prozess nichts98. Da kürzlich ihr Advokat verstorben und der neu bestellte Dr. Adelmann ebenfalls nicht informiert sei, baten sie Dr. Lasser, sich vorsorglich für sie zur Vermeidung der sonst üblichen Strafe zu den Akten zu legitimieren. Dann solle er Kopien aller Handlungen und Protokolle aus der Kanzlei anfordern und diese einem Gelehrten zur Anfertigung eines Schriftsatzes übergeben, wofür er acht Monate Frist erbitten solle. Dr. Lasser erbat in der Audienz vom 15. Juni 1599 von der Gegenpartei mit dieser Begründung Herausgabe der Akten99. Am 12. März 1600 reagierte der solmsische Anwalt verständnislos100. Er könne nicht verstehen, dass die Beklagten gerade diesen Prozess vergessen haben sollten, da sie doch in den zahlreichen anderen Verfahren ständig sollizitierten und bestens informiert seien. Die letzte Prozesshandlung sei in diesem Prozess doch erst am 18. Juni 1571 gepflogen worden. Von denen, die das erlebt hätten, müssten doch bestimmt noch einige am Leben sein und davon berichten können. Deshalb und weil der Kläger nicht verpflichtet sei, auf seine Kosten für die Beklagten Kopien auszuliefern, solle der Antrag als nur zur Verlängerung der Sache dienend abgewiesen und die Beklagten nach der Reichskammergerichtsordnung in die Poen wegen Prozessverzögerung verurteilt werden. Auf diesen Antrag reagierte das Gericht ebensowenig wie auf die Erklärung beider Parteien vom 25. Juni 1602, dass sie in dieser Sache submittierten und um Urteil bäten101. Deshalb ruhte die Sache, bis Graf Christian August 138 Jahre 94 95

96 97 98 99 100 101

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98. Eine letzte Prozesshandlung gab es nach dem amtlichen Prozessprotokoll am 18. Juni 1571. Es ist die Überreichung der acceptationes et exceptiones... der Herren solmsischen Vormünder: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, Qu. 13. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98, ohne Qu. Prozessprotokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98.

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Der Kampf vor Ort geht weiter

später kurz nach seinem Regierungsantritt die Wiederaufnahme des Verfahrens befahl, was am 12. Dezember 1740 geschah102. Graf Friedrich Magnus I. hatte diesen Prozess angestrengt, weil er sich durch die Wappenführung der Freienseener in seiner obrigkeitlichen Stellung beeinträchtigt fühlte. So passt es gut in die politische Konzeption seines Sohnes, der seine landesherrliche Stellung stärken und ausbauen wollte, wenn er gerade diesen, so lange ruhenden Prozess wieder zu beleben versuchte. Diese Bemühungen scheiterten aber wohl daran, dass es seit dem Erstarken des Reichshofrats von der Mitte des 16. Jahrhunderts an nunmehr Streit darüber gab, welches der beiden höchsten Reichsgerichte für die Kassation kaiserlicher Privilegien zuständig sei. Deshalb dürfte das Gericht dankbar dafür gewesen sein, dass keiner der Grafen zu Solms wegen Urteilsfällung in dieser Sache sollizitieren ließ. Als Graf Christian August im Dezember 1740 dem ein Ende setzte, brach der Kompetenzkonflikt sofort offen aus. Selbstverständlich verfolgte auch Graf Hans Georg I. weiter das Ziel, das Dorf Freienseen vollständig seiner Landesherrschaft zu unterwerfen, auch wenn seine Methoden weniger brachial wirken als die seines Vaters und der vormundschaftlichen Regentschaft. Das beweisen die acht Mandatsverfahren, die in seiner Regierungszeit neu anhängig wurden. Anstatt selbst oder durch seine Beamten direkt in Freienseen einzugreifen, schürte er den Zwist zwischen der klägerischen rechten Gemeinde und der ihm gehorsamen Nebengemeinde auf allen denkbaren Gebieten. So gewann die Landesherrschaft etwa durch die Förderung der Wahl eigener Selbstverwaltungsorgane durch die Nebengemeinde Möglichkeiten, auf die inneren Angelegenheiten der Gemeinde Freienseen einzuwirken. Die Nebengemeinde nahm den in der gräflichen Unterstützung liegenden Eingriff in die Rechte der Gemeinde in Kauf, weil sie sich nur damit gegen die rechte Gemeinde durchzusetzen hoffen konnte. Kam es zum Streit zwischen den beiden Gemeinden über die Ausübung der Selbstverwaltungsrechte, so ließ der Graf die den Anordnungen der Nebengemeinde nicht gehorchenden Kläger beim Laubacher Gericht rügen. Dort wurden sie dann in hohe Bußen verurteilt, nach deren Nichtzahlung sie dann gepfändet werden konnten. Solche Pfändungen erschienen nicht mehr als Gewaltakte der Herrschaft sondern als gerichtliche Maßnahmen. Diese Änderung war notwendig geworden, weil die Grafen zu Solms-Laubach sich schon mehrere Mandate wegen Verstoßes gegen die Pfändungskonstitution eingehandelt hatten. Schon in der Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Teil 2, Titel XXII) stand das Verbot, in solchen Fällen direkte Ge-

102

Prozessprotokoll sub 1740 Dezember 12: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 98.

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walt in Form einer eigenmächtigen Pfändung anzuwenden103. Dass erst Graf Hans Georg I. darauf positiv reagierte, während sowohl sein Vater als auch seine Vormünder diese Bestimmung missachteten, mag den Erfahrungen und Kenntnissen geschuldet sein, die er auf seiner Kavalierstour hatte sammeln können. Mit der neuen Taktik vermied er zudem den Vorwurf, Urteile oder Mandate des Reichskammergerichts zu missachten. Gleichwohl führte er den Kampf gegen die ungehorsamen Kläger weiter, was deutlich daran zu erkennen ist, dass kaum zufällig immer wieder deren Wortführer wie Christian und Hans Hess oder Hans Rupp Ziel solcher Maßnahmen waren. Wie wenig Graf Hans Georg I. das Ziel aufgegeben hatte, das Dorf Freienseen seiner Obrigkeit zu unterwerfen, zeigen seine Anfragen an einige Rechtsfakultäten, von deren Gutachten er sich offenbar eine Stärkung seiner Position erhoffte. Am 26. Januar 1588 erstattete die Tübinger Rechtsfakultät das von ihr erbetene Rechtsgutachten104. Weshalb der Graf sich gerade zu diesem Zeitpunkt seiner Rechte vergewissern wollte, ist nicht ersichtlich. Vielleicht war er durch die verschiedenen Mandate und Urteile verunsichert. Die Formulierung der Fragen ging von der solms-laubachischen Rechtsauffassung aus, dass den Grafen in Freienseen wegen ihrer uneingeschränkten Obrigkeit eine Reihe von Rechten zustünden, obwohl das Reichskammergericht im Endurteil primi mandati von 1574 sowie in den Erläuterungsurteilen vom 22. Juni 1582 und 6. Juli 1583 zumindest teilweise anders entschieden hatte. Unbeeindruckt von diesen Bescheiden beanspruchte Graf Hans Georg I., im Dorf Freienseen alle Gewählten auf ihre Eignung überprüfen und sie danach ablehnen oder bestätigen zu dürfen. Ebenso müsse er die Bestellung von Kirchendienern und deren Rechnungslegung kontrollieren können. Als Obrigkeit stehe es ihm auch zu, die Gemeinde durch Glockenläuten zusammenrufen zu lassen. Schließlich beanspruchte er von den Freienseenern ungemessene Fronen und Dienste, vor allem zum Burgbau in Laubach. Das Tübinger Gutachten fiel allerdings in allen Punkten ablehnend oder zumindest differenzierter aus, als die Selbstsicherheit der Frageformulierungen vermuten lässt. Den Rechtsgelehrten schien es etwas bedenklich, dass Solms-Laubach aus allgemeinen Rechtsgründen das Recht zur Prüfung und Bestätigung der zu Gemeindeämtern Gewählten beanspruche, weil es in Freienseen ein anderes Herkommen gebe, zumal die Erwählten nur die eigenen Angelegenheiten der Gemeinde verwalten sollten. Deshalb dürften die Freienseener ihre Amtsträger ohne vorherige Befragung des Grafen wählen. Dieser dürfe die Gewählten 103

104

Miriam Katharina Dahm, Die Pfändungskonstitution gemäß RKGO 1555, Teil 2 Tit. XXII und ihr Verhältnis zum Landfrieden. Bochumer Forschungen zur Rechtsgeschichte. Bd. 4, 2008. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX, 2 Freyenseensia Nr. 2.

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Der Kampf vor Ort geht weiter

auch als ordentliche Obrigkeit nur aus besonderen Gründen entfernen. Die Bestellung des Pfarrers und anderer Kirchendiener stehe dem Grafen als Obrigkeit zu. Jedoch dürfe er allgemein Rechenschaft über die Kirchengefälle nur dann fordern, wenn dies bisher so üblich gewesen sei. Für die eigenen Gefälle der Gemeinde Freienseen sei dies jedoch bisher nicht so gewesen. Deshalb sei er dazu dort nicht befugt, obwohl er Erbherr des Dorfes sei. Aus seiner umfassenden Jurisdiktion im Dorf folge das Recht, die Gemeinde mit Glockenschlag zusammenrufen zu dürfen. Dagegen sei jure communi nicht zu rechtfertigen, dass die Freienseener zu ungemessener Fron und Dienst beim Burgbau in Laubach verpflichtet seien. Auch als Untertanen des Grafen seien sie Freie. Sogar wenn sie, wie einige Zeugen bekundet hätten, früher unbegrenzt zum Fahren von Steinen, Holz und Erde zum Burgbau herangezogen worden seien, gelte dies nach dem Recht jedoch nur so weit, dass sie dadurch nicht daran gehindert würden, ihre tägliche Nahrung für sich und die Familie zu erarbeiten. Die Tübinger Professoren zeigten also Solms-Laubach enge rechtliche Grenzen ihrer Herrschaftsausübung auf. Zudem ermahnten sie den Grafen, er solle den Freienseenern in all diesen Sachen ein dienstlicher Graf sein und sich als Obrigkeit gnädig wie ein Vater zu seinen Söhnen erweisen. Das Gutachten entsprach damit keineswegs den Intentionen des Grafen Hans Georg I. Dies behagte ihm offenbar ebensowenig wie die früher ergangenen Kammergerichtsurteile. Ungeachtet der klaren Worte aus Tübingen holte er Anfang 1592 zu denselben Fragen weitere Rechtsgutachten ein105 Die Leipziger Fakultät antwortete in einem undatierten Gutachten, dass für die gräflichen Positionen drei fundamenta sprächen. Zum einen stehe den Grafen als Inhabern der ganzen Obrigkeit alles zu, was der Obrigkeit pleno jure anhänge. Zum anderen: Wenn Urkunden und Verträge vorlägen und mit Zeugen zu beweisen sei, dass des Grafen Vorfahren vor 150 Jahren die Kirche zu Freienseen aus der zu Laubach als Mutterkirche ausgegliedert hätten, dann stehe ihm auch die geistliche Jurisdiktion und deren Ausübung wie in allen seinen Herrschaften zu. Die Grafen zu Solms-Laubach hätten damit dort das jus episcopale oder diocesania ständig erworben und hergebracht. Schließlich sei mit alten Registern und Zeugen zu beweisen, dass die Freienseener von den Grafen zu Solms-Laubach seit 100 Jahren genau wie alle anderen solmsischen Untertanen zum Bau der alten und neuen Burggebäude zu Laubach herangezogen worden seien und dafür Dienste und Fronen erbracht hätten. Aus diesen drei Gründen hielt die Leipziger Fakultät die in der gräflichen Anfrage gestellten Ansprüche für rechtlich fundiert. Dieses Responsum legte Graf Hans Georg I. den Tübinger und Helmstedter Rechtsfakultäten zur Appro105

Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 3.

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bation vor. Die Tübinger Professoren antworteten mit einem typisch juristischen „Ja – aber“. Sie bestätigten, dass die Entscheidungen der unterschiedlichen decisiones im Recht begründet sind. Daher stimmten sie den Leipziger Kollegen zu unter dem Vorbehalt, dass die unterstellten Fakten bewiesen werden könnten und die Freienseener kein entgegenstehendes Herkommen besässen. Sie kleideten also die Bedenken, die sie schon in ihrem Gutachten von 1588 ausgesprochen hatten, in den beweistechnischen Vorbehalt und hoben damit faktisch die Zustimmung auf, ohne ihren Leipziger Kollegen expressis verbis widersprechen zu müssen. Die Helmstedter begnügten sich in ihrem Gutachten vom 10. Juli 1592 damit, zu betonen, dass die Überlegungen der ihnen vorgelegten Leipziger und Tübinger Gutachten im Recht fundiert seien. Da es allgemeiner menschlicher Erfahrung entspricht, dass man lieber die positiven Hauptaussagen zur Kenntnis nimmt als die sie relativierenden Vorbehalte, dürfte der Graf das Tübinger Gutachten von 1588 für widerlegt gehalten und sich in seiner Rechtsmeinung bestärkt gefühlt haben. Die größere Subtilität des herrschaftlichen Vorgehens gegenüber den beiden vorangehenden Phasen wurde ergänzt dadurch, dass viele Maßnahmen nicht nur der tatsächlichen und wirtschaftlichen Unterwerfung der widersetzlichen Freienseener dienten, sondern zugleich mit neuen Zugriffen die Stellung der Landesherrschaft verstärken sollten. Wenn die Nebengemeinde eigene Bürger- und Baumeister sowie Heimbürger und Hirten auf Veranlassung des Laubacher Schultheißen und unter dessen Aufsicht wählte, so weitete die Herrschaft damit ihre Rechte erheblich aus. Der nächste, noch weiter gehende Schritt war, dass die Gemeindeorgane über ihre Amtsführung unter Aufsicht gräflicher Beamter Rechenschaft ablegen, ja dass diesen die Rechnungen zur Billigung vorgelegt werden sollten. Dem gebot das Gericht im Jahr 1600 Einhalt. Ebenso war es ein Übergriff der Herrschaft in die gemeindliche Selbstverwaltung. wenn der Schultheiß beanspruchte, die Gemeinde zu Ausbesserungsarbeiten an Wegen und Stegen der Gemeinde anhalten zu dürfen. Damit wäre der landesherrliche Tätigkeitsbereich gegenüber früheren Zuständen erheblich ausgeweitet worden, wenn sich das Reichskammergericht nicht im Jahr 1600 auch in diesem Punkt deutlich dagegen ausgesprochen hätte.

10. 10.1.

Der Weg zum Marburger Vergleich vom 20. Mai 1639 Graf Albert Otto I. (1600/1607–1610)

Der am 9. Dezember 1576 geborene Graf Albert Otto I. war beim Tod seines Vaters am 19. August 1600 volljährig1, so dass einem Regierungsantritt keine rechtlichen Gründe im Wege gestanden hätten. Aber sein Soldatenberuf hinderte ihn faktisch daran, das Heft in seiner Grafschaft selbst sofort fest in die Hand zu nehmen. Schon von Jugend an hatte ihn die Teilnahme an verschiedenen Feldzügen in den Niederlanden über lange Zeit von der Heimat ferngehalten. Wohl deswegen kam es erst im Jahr 1607 zu der Erbauseinandersetzung mit seinen Brüdern, bei der ihm dann Laubach, Rödelheim und Utphe zufielen. Graf Albert Otto I. heiratete am 23. Oktober 1601 die Landgräfin Anna, eine Tochter Landgraf Georgs I. von Hessen.-Darmstadt. Die Braut erhielt die beträchtliche Mitgift von 24.000 fl.2. Sein Schwager Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, Ehemann seiner Schwester Agnes, verlieh ihm im Jahr 1600 wegen seiner besonderen Tapferkeit in der blutigen Schlacht bei Nieuwpoort ein Rentenkammerlehn von 5.000 fl., das jährlich in zwei Raten auf den beiden Frankfurter Messen zu zahlen war. Diese Belehnung stärkte die schon durch die Ehe des Landgrafen Moritz geknüpften engen Beziehungen der Häuser Solms-Laubach und Hessen-Kassel. Nicht zuletzt aber machte dieses Rentenlehn Graf Albert Otto I. finanziell unabhängig von den Einkünften und dem nicht gerade üppigen Steueraufkommen aus der von seinem Vater ererbten kleinen Grafschaft3. Die Ernennung zum Obristen eines hessen-kasselschen Regiments brachte ihm weitere Einkünfte von jährlich 12.000 fl. ein4.

1

2 3

4

Alle Angaben zu seiner Biographie aus: Rudolph Graf zu Solms-Laubach (Kap. 1, Anm. 6), S. 247f., 250ff. Intensiver: Holger Th. Gräf, Gab es um 1600 in den Wetterauer Grafschaften einen protestantischen Fundamentalismus? Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte Bd. 57, 2007, S. 65ff., 76ff. Gräf (wie Anm. 1), S. 79. Das gesamte zu versteuernde Vermögen der Ämter Laubach und Utphe war im Jahr 1629 nur auf 195.847 fl. veranschlagt: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 133 (Freyenseensia). Dementsprechend gering war auch nur die Widerlegung, die ein Solmser Graf bei einer Verehelichung zusichern konnte: Heiratsvertrag Graf Albert Ottos I. bei seiner Verehelichung mit Landgräfin Anna: Kein Graf zu Solms pflege seiner Gemahlin mehr als 12.000 fl. Heiratsgut zu widerlegen. Rudolf Graf zu Solms-Laubach, wie Kap. 1, Anm. 6, S. 252. Gräf, (wie Anm. 1), S. 79.

Graf Albert Otto I. (1600/1607–1610)

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Noch kurz vor seinem Tod wurde Graf Albert Otto I. am 8. August 1609 zum pfalz-neuburgischen Rat und Obristen eines Reiter- und Fußregiments mit einem Jahrssold von 1.000 fl. ernannt5. Die durch seine kriegerischen Verpflichtungen notwendigen häufigen Abwesenheiten dürften der Grund dafür gewesen sein, dass die Freienseener bis zu seinem Tod wenig Anlass bekamen, sich über ihre Herrschaft in Speyer zu beschweren. Auch sonst ließen die Aktivitäten in Speyer nach. Nach seinem Herrschaftsantritt in Laubach als allein regierender Graf im Jahr 1607 waren ihm nur noch wenige Lebensjahre beschieden. Am 2. März 1610 fiel er vor Breitenbend bei Linnich im Kampf. Er wurde erst am 1. September 1610 nach der Eroberung Jülichs in der dortigen Stadtkirche unter besonderen Ehrenbezeugungen beigesetzt6. Zu seiner Leichenfeier sollen zahlreiche Fürsten gekommen sein, um diesen tapferen Krieger zu ehren. Kurz vor dem Tod des Grafen Johann Georg II. hatten am 28. Juli 1600 der solmsische Landknecht und der in Freienseen wohnende Förster die beiden Freienseener Christian Hess und Hans Müller auf Befehl der Herrschaft in ihren Häusern gefangen nehmen und nach Laubach bringen sollen7. Obwohl beide versprochen gehabt hätten, sich freiwillig nach dort zu begeben, hätten sie sich doch aus Furcht vor dem drohenden Gefängnis absentiert, weil sie vor einiger Zeit schon etliche Male unschuldig dort gelegen hätten. Vor allem Christian Hess habe dies vor zwei Jahren in hohem Alter von über 60 Jahren zweimal unter Leibesgefahr unschuldig erdulden müssen. Zudem wüssten sie auch, wie abscheulich man dort mit ihren Nachbarn umgegangen sei, die ohne Verbrechen oder genügende Indizien für begangene Untaten hart gefoltert sowie mit Hunger geplagt worden seien. Einer sei schließlich im Kerker gestorben. Da Christian Hess wie auch Hans Müller, die zur rechten Gemeinde gehörten, sich jederzeit eines ehrbaren Lebenswandels gegen jedermann befleißigt und bei niemandem Schulden hätten oder deswegen verklagt worden seien, bleibe nur die Vermutung, dass sie bestraft werden sollten, weil sie für die Gemeinde mehrfach nach Speyer gereist seien und dort auch einige für die Freienseener günstige Urteile erstritten hätten. Beide hätten sich deswegen seitdem an fremden Orten aufhalten und ihre Familie und Wirtschaft vernachlässigen müssen. Mit diesem Klagevortrag hatte die rechte Gemeinde unter Berufung auf höchstrichterliche Urteile am 18. August 1601 am Reichskammergericht gegen die solmsischen Erben und deren Beamte ein Mandat erwirkt mit dem Befehl, Christian Hess und Hans Müller wegen ihres Versprechens nicht weiter zu bedrängen und sie weder an Leib noch an Gut zu 5 6 7

Gräf, (wie Anm. 1), S. 80. Gräf, (wie Anm. 1), S. 80. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 2. Mandat vom 28. August 1601.

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schädigen oder sie wegen der am Reichskammergericht schwebenden Rechtfertigungen anzufeinden oder ins Gefängnis zu werfen8. Das solmsische Vorgehen verspotte die höchste Reichsjustiz. In dem ersten Verfahren, in das der junge Graf zusammen mit seinen Miterben in Speyer verwickelt wurde, musste er sich also nicht für eigene Handlungen, sondern wegen des Vorgehens seines Vaters verantworten. In ihrer Klageerwiderung vom 2. Oktober 1601 bestritten die Beklagten, gegen kammergerichtliche Entscheidungen gehandelt zu haben9. Nach ihrer Darstellung sei das Gefängnis als Strafe für Unbotmäßigkeit gegen obrigkeitliche Befehle angedroht worden, weil die Kläger sich der solmsischen Herrschaft entziehen wollten. 1574 sei jedoch ein Urteil in Sachen primi mandati ergangen, in dem entschieden worden sei, dass nur die hessischen Leibsangehörigen zu Freienseen von Frondiensten und Fronabgaben frei seien. Weil die Kläger trotzdem mit falschen Berichten die hessischen Beamten zu Grünberg wegen der Leibhühner und Leibbrote für sich eingenommen hätten, hätten sie Irrungen zwischen den Häusern Solms und Hessen verursacht. Im Jahr 1583 habe man einen Vertrag geschlossen gehabt, der festlegte, wer solmsischer und wer hessischer Leibsangehöriger in Freienseen sei10. Danach sei man bis zur Gegenwart verfahren. Jede Partei habe von ihren Leuten die jährliche Bede und die Leibhühner erhalten. Doch im Frühjahr des Jahres 1601 hätten sich Christian Hess und Hans Müller geweigert, den solmsischen Bedehafer zu entrichten, weil ihre Weiber geborene hessische Leibeigene seien. Sie seien deswegen am 18. Juli nach Laubach geladen worden, wo sich herausgestellt habe, dass diese Meinung eine Neuerung sei. Beide hätten nämlich seit 1583 ihre Leibbrote an Solms entrichtet. Wegen der jetzigen Weigerung seien sie in die für Verletzung herrschaftlicher Rechte fällige Strafe verurteilt und danach geladen worden, sich zur Gefängnisstrafe einzustellen. Obwohl sie dies mit Handgelübde versprochen gehabt hätten, hätten sie dieses Gelübde nicht eingehalten und seien geflüchtet. Daraus folge, dass sie nicht unschuldig inhaftiert werden sollten, sondern weil sie den Beklagten als ihrer ordentlichen Obrigkeit das diesen Gebührende verweigert hätten. Deshalb sei das Mandat insofern zu kassieren. In welchen Punkten die Beklagten den ergangenen Urteilen und Mandaten nicht entsprochen haben sollten, wüssten sie nicht, da sie erst vor kurzem nach ihres Vaters Tod die Herrschaft angetreten hätten. Deshalb sei ihnen von diesen weitläufigen und vor vielen Jahren begonnenen Sachen wenig bekannt. Dies dürfte nicht reine Prozesstaktik gewesen sein, sondern zeigt, dass die kleine Grafschaft Solms-Laubach noch nicht über eine genügend ausgebaute 8 9 10

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 216ff. Nr. LXXXI. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 4. Kap. 9.2

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Behördenstruktur verfügte, mit deren Hilfe Prozesse auch nach dem Tod oder in Abwesenheit des regierenden Grafen ungestört hätten fortgesetzt werden können. Diese Vermutung wird bestätigt durch ein Schreiben der gräflichen Kanzlei an den solmsischen Prokurator vom 28. August 160311. Darin baten die Laubacher um Fristverlängerung, weil der Graf für mindestens ein Vierteljahr nach Wolfenbüttel und ins Land zu Meissen verreist sei und dabei neben anderen Dienern auch seinen Advokaten mitgenommen habe. Es gab in Laubach also offenbar nur einen Fachmann, der sich in den solmsischen Prozessen in Speyer juristisch auskannte. In einem Schreiben an den neuen solmsischen Prokurator vom 23. Oktober 1601 erklärte der Laubacher Sekretär Thomas Maull wortreich, dass er schon am 18. September bei dem mittlerweile verstorbenen Prokurator Dr. Kuehorn um Fristverlängerung gebeten gehabt habe, weil der Graf und er mehr als vier Wochen nicht in Laubach gewesen seien, als die Gelübde geleistet worden seien12. Sie hätten auch nicht nach Laubach kommen können, um die Wahrheit zu erforschen, weil sie zunächst wegen der Heiratsverhandlung zwischen Graf Albert Otto I. und der Landgräfin zu Hessen und dann wegen seiner Eheschließung und des Beilagers in Kassel verhindert gewesen seien. Daher bat er den Adressaten um neue Fristverlängerung. Bei der Zustellung des Mandats am 11. September 1601 hatte sich gezeigt, wie schwierig die Prozessführung bei einer solchen Vielzahl von Mitbeklagten werden konnte13. Am 15. Oktober und 24. November 1601 konnten die Kläger gegen die Beklagten ein Säumnisverfahren einleiten, weil zur selben Zeit der Graf verhindert und der solmsische Prokurator Dr. Kuehorn gestorben war, so dass die Beklagten im Verfahren zeitweise nicht handlungsfähig waren. Dem begegnete der neue gräfliche Prokurator am 12. Dezember 1601 nach Überreichung seiner Vollmacht und der Klageerwiderung mit einer Entschuldigung für die Säumnis. Das Gericht akzeptierte die Entschuldigung und wies am 6. Juli 1602 den Antrag der Kläger zurück, die Beklagten in die Poen zu verurteilen14. Vielmehr sollten die Kläger binnen zwei Monaten auf die Argumente der Klageerwiderung eingehen. In ihrem Schriftsatz vom 20. September 1602 11 12 13

14

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 12. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 2. Der Kammergerichtsbote traf weder die Grafen Friedrich, Albert Otto I. oder Otto d.Ä. noch die Gräfinwitwe Margarethe an. Nur der Schreiber Caspar Schneidewin nahm für alle Genannten Kopien des Mandats entgegen. Der Sekretär war mit dem Grafen Albert Otto I. verreist. Von den gräflichen Officianten war der Amtmann nicht zu Hause, so dass allein der Schultheiß Hans Beiß das Mandat für die anderen Beamten entgegennehmen konnte. Protokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61.

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bestritten die Kläger, dass sie wegen der Leibhühner verhaftet werden sollten15. In Freienseen kenne man zwischen den Klägern und den Beklagten keine Bede, auch wenn missbräuchlich die Leibhühner so bezeichnet worden seien. Wegen eines Streites über die Leibhühner hätte ein Mandat gegen sie ausgebracht werden müssen. Die beiden seien deswegen jedoch weder verklagt worden noch habe man die Leibhühner als Grund für ihre Zitierung nach Laubach genannt. Wenn sie wirklich wegen der Leibhühner nach Laubach geladen worden wären, so hätte der Landknecht dies sicherlich gesagt. Mangels anderer Gründe könne man sich nur denken, dass Christian Hess und Hans Müller ins Gefängnis hätten gebracht werden sollen, weil sie als besonders eifrige Sollizitanten für die Gemeinde bekannt seien. Warum auch habe man gerade nur von ihnen und nicht auch von den vielen anderen das Gelübde zur Gestellung ins Gefängnis abgenommen? Von dem Vertrag von 1583 wüssten die Kläger nichts. Im Übrigen sei die Ehefrau des Hans Müller schon seit 12 oder 13 Jahren tot, was hinreichend bekannt sei. Ihretwegen könne man also von ihm sicherlich kein Leibhuhn mehr fordern. Vor vielen Jahren seien den Klägern und auch gerade Christian Hess mit Drangsalen, Stöcken und Pflöcken rechtswidrig Bede und Leibhühner de facto abgezwungen worden. Die Beklagten blieben demgegenüber bei ihrer Darstellung und erboten sich am 4. März 1603 zum Beweis für die Behauptung, dass Anna, Christian Hessens Ehefrau, ebenso wie Margarethe, Hans Möllers verstorbenes Eheweib, solmsische Leibeigene gewesen seien16. Beide Ehemänner hätten für ihre Frauen immer die jährliche Leibbede an Solms entrichtet. Erst im Jahr 1601 hätten beide im Widerspruch dazu ihre Weiber bei der Einforderung des Bedehafers als landgräfliche Leibeigene angegeben. Sie seien deswegen am 18. Juli 1601 nach Laubach in die ordentliche Audienz geladen worden, wo sie wieder behauptet hätten, ihre Ehefrauen seien landgräflich. Als sie dafür mit Gefängnis hätten bestraft werden sollen, hätten sie gelobt, sich zu stellen, was sie jedoch nicht eingehalten hätten. Die Kläger behaupteten am 27. Mai 1603 dagegen, dass sie über 20 Jahre hin für ihre Weiber den Hessischen die Leibbede gegeben hätten17. Später habe Solms es aber mit schweren Pfändungen und mit Turmstrafen verstanden, dass die beiden Ehefrauen den Hessischen entzogen und Solms zugewandt worden seien. Erst 1601 hätten sie auf Ansuchen ihrer Nachbarn die Wahrheit gesagt und ihre Weiber als hessische Leibeigene angegeben und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch im Namen des Landgrafen. In dieser Darstellung spiegelt sich die verwirrende Gemengelage der Leibeigenschaftsverhältnisse in Freienseen, die 15 16 17

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 7. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 9. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 10.

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durch den Vertrag von 1583 auch keineswegs endgültig hatte geklärt werden können, weil Solms weiter starkes politisches, wirtschaftliches und rechtliches Interesse daran hatte, die Zahl der solmsischen Leibeigenen in Freienseen zu erhöhen. Diese ausführliche Antwort auf den artikulierten Schriftsatz vom 4. März 1603 erklärte der solmsische Prokurator am 13. Dezember 1603 für unzulässig, weil man nach der Reichskammergerichtsordnung auf eine artikulierte Darstellung nur durch die Worte glaub oder glaub nicht antworten dürfe18. Der Klägeranwalt müsse also die Artikel noch einmal ordnungsgemäß beantworten19. In der Tat war zur Prozessbeschleunigung eingeführt worden, dass die Gegenpartei präzise formulierte Artikel nur bestätigen oder leugnen dürfe20. Da der Freienseener Anwalt darauf nicht reagierte, musste er durch Bescheid vom 26. April 1605 angehalten werden, auf die Artikel der Beklagten vom 4. März 1603 vermög der Ordnung binnen vier Monaten zu antworten. Die Antwort der Freienseener vom 6. Juni 1605 fiel ordnungsgemäß aus21. Nur bei Artikel 4, dass Hess wie auch Müller für ihre Weiber an Solms die Leibsbede gegeben hätten, begnügte sich der klägerische Prokurator auch dieses Mal nicht mit dem bloßen wahr oder nicht wahr, sondern wiederholte die Darstellung, dass sie dazu durch Gewaltmaßnahmen gezwungen worden seien. Auch bei Artikel 11 ergänzte er das Zugeständnis als wahr durch die Bemerkung, dass sie aus Furcht vor dem gefährlichen und erbärmlichen Gefängnis das Gelübde nicht eingehalten hätten, sondern entwichen seien. Dieses Beispiel zeigt, dass die strikte Handhabung des artikulieren Prozesses der richtigen Aufklärung des Sachverhaltes nicht immer dienlich war. Obwohl damit das Verfahren reif für ein Beweisurteil gewesen wäre, blieb es bis zum Tode Graf Albert Ottos I. ohne weitere Aktivitäten der Parteien liegen. Auch die Wiederaufnahme des Verfahrens durch neue Ladung seiner Erben am 12. Dezember 1611 veranlasste die Parteien nicht dazu, Sachanträge zu stellen, durch die das Verfahren hätte gefördert werden können. Nachdem die Beklagten am 24. April 1612 neue Vollmacht eingereicht hatten22, lief das Verfahren ohne Verhandlungen zur Sache aus, bis die Akte am 14. April 1619 mit dem Vermerk visum geschlossen wurde. Aus diesem Prozess erwuchsen Hans Müller und Christian Hess ärgerliche Injurienanklagen, weil sie den gegen ein Jahrgeld für Freienseen tätigen Kammergerichtsadvokaten Dr. Stemler in einer Supplikation an den Kam18 19 20 21 22

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 13. Protokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61 Bettina Dick, (Kap. 8.1, Anm. 18). S. 163ff. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61, Qu. 14. Protokoll sub dato, Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 61.

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merrichter vom 10. Mai 1603 beschuldigt hätten, sich auch der Gegenpartei als Advokat angeboten zu haben23. Dieser verlangte, dass Christian Hess und Hans Müller die für einen Anwalt im Vorwurf des Parteiverrats liegende schwere Beleidigung widerrufen und dem Advokaten mit 200 fl. Reichswährung vergelten sollten. Hans Müller hatte diesen Vorwurf auch namens des Christian Hess in einer Supplik an den Kammerrichter erhoben. Sie hätten Dr. Stemler das Mandat entzogen und Herausgabe der Akten verlangt, weil sie aus einem Brief des Advokaten an Hans Immelt Merten und Hans Berner, die beide zur Gruppe der von der rechten Gemeinde Abgefallenen gehörten, erfahren hätten, dass er sich diesen auch als Advokat angedient habe. Da Dr. Stemler den Vorwurf eines Fehlverhaltens nicht akzeptierte und die Aktenherausgabe verweigerte, hatten die beiden Freienseener die Hilfe des Kammerrichters erbeten, der auch entscheiden sollte, wieviel Geld sie diesem noch schuldeten. Der Advokat verklagte sie daraufhin am 17. Dezember 1603 wegen der Injurien bei den solmsischen Räten und Befehlshabern in Laubach24. Dabei beschwerte er sich bitter darüber, dass Müller und Hess die Anschuldigung gegen ihn, der als Jurist und Kammergerichtsadvokat Unparteilichkeit geschworen habe, sowohl schriftlich als auch vor allem gegenüber dem summo tribunali vorgebracht hätten. Er verlangte Widerruf und die Zahlung von 200 fl. Reichswährung zur Wiedergutmachung. Nach seiner Darstellung seien Müller und Hess von der rechten Gemeinde nach Speyer geschickt worden mit dem Auftrag, ihm das schuldige Jahrgeld auszuzahlen und dann die Akten herauszufordern. Christian Hess sei jedoch in seine Wohnung gekommen und habe ihm angeboten, sie würden ihn nicht beim Kammerrichter wegen Parteiverrats verklagen, wenn er die Akten herausgebe und auf seine Forderung verzichte. Nach dieser Darstellung wollten die beiden Freienseener Delegierten mit dem Vorwurf des Parteiverrats also bauernschlau das schuldige Jahrgeld einsparen. Da der Advokat jedoch reinen Gewissens gewesen sei und sich auf diesen Handel nicht habe einlassen wollen, hätten Müller und Hess beim Kammerrichter suppliziert und ihn des Parteiverrats geziehen. Bis zum 23. Februar 1605 war die Sache vor den gräflichen Räten und Befehlshabern in Laubach zu dem Bescheid gediehen, dass Dr. Stemler beeiden dürfe, lieber 200 fl. Reichswährung einbüßen zu wollen, als die beklagte Injurie zu erdulden. Das Laubacher Gericht ging also davon aus, dass die beiden Freienseener aus dem vorgelegten Schreiben Dr. Stemlers zu Unrecht einen Parteiverrat herausgelesen hätten. Ihre Entschuldigung, dass sie die Verdächtigungen ohne 23

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Qu. 6+7. acta priora der Laubacher Kanzlei für Hans Müller und Christian Hess. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Qu. 6. Kopie des Protokolls erster Instanz. Daraus auch die weiteren Angaben über den Verfahrensablauf in Laubach.

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Beleidigungsvorsatz geäußert hätten, berücksichtigten die solmsischen Richter ebenfalls nicht, weil sie offenbar die Meinung des Klägers teilten, dass die Berufung auf den fehlenden Beleidigungsvorsatz angesichts der eindeutig beleidigenden Worte nicht akzeptabel sei. Den Solmser Richtern wird diese Gelegenheit, die beiden missliebigen Freienseener vor ihrer Richterbank wiederzufinden, nicht unwillkommen gewesen sein. Am 9. März 1605 urteilten sie, nachdem der Kläger den geforderten Eid geleistet hatte, dass die beiden Beklagten dem Kläger nicht seine Ehre verletzen dürften. Soweit sie ihm Unrecht getan hätten, müssten sie öffentlichen Widerruf leisten, allerdings ohne Beeinträchtigung ihrer eigenen Rechte. Auch müßten sie ihm die durch die Eidesleistung erlangten 200 fl. Reichswährung erlegen. Gegen dieses Laubacher Urteil appellierten die beiden Freienseener ans Reichskammergericht. Am 23. August 1605 reproduzierte ihr Prokurator in Speyer die Ladung und seine Vollmacht25. Für Solms erschien Prokurator Wolf und beantragte, seine Mandanten wegen Formfehler der Ladung von dieser zu absolvieren. Dieser Einwand wurde jedoch nicht anerkannt, so dass Prokurator Wolf am 25. September 1605 seine Einwendungen gegen die Appellationen ausführlich darlegen musste26. Es habe in Laubach zwei Injurienklagen jeweils separat gegen Müller und Hess gegeben. In beiden seien Zwischenurteile und Definitivsentenzen ergangen. Gegen sie hätte separatim appelliert werden müssen, was nicht geschehen sei. Jeder der beiden Beklagten sei zu 200 fl. zuzüglich der auf 23 oder 24 fl. taxierten Gerichtskosten verurteilt worden. Im Deputationsabschied des Jahres 1600 sei angeordnet worden, dass keine Appellation am Reichskammergericht angenommen werden solle, deren Hauptsumme nicht 300 fl. Reichsmünze erreiche. Daher seien beide Appellationen schon allein deswegen abzuweisen, weil nur die Addition ihrer beider Summen die Appellationssumme erreiche, was jedoch unzulässig sei. Zudem hätten die Appellanten verschwiegen, dass sie schon vergeblich gegen das Zwischenurteil vom 23. Februar 1603 appelliert gehabt hätten. Auch gebe es nur ein Appellationsinstrument. Mit diesen und anderen formalen Einwendungen versuchte der solmsische Prokurator, die Unzulässigkeit der Appellation nachzuweisen. Ebenfalls auf der formalen Ebene bewegte sich daraufhin der Freienseener Anwalt, als er am 17. Februar 1606 gravierende Mängel der Akten der Vorinstanz rügte27. Dieser Streit über Formalien setzte sich über mehrere Termine hin fruchtlos fort28. Am 5. Februar 1607 wandten die Freienseener gegen die 25 26 27 28

Protokoll sub dato, Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Qu. 7. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Qu. 14. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Protokoll: 28. Februar, 31. März, 4. April, 21. Mai, 28. Mai, 14. Juni, 30. Juni, 7. Oktober 1606.

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Argumention mit dem nicht Erreichen der Appellationssumme ein, dass sie zu 400 fl. Strafe verurteilt worden seien29. Trotz der Appellation hätten die Solmsischen die Exekution zugelassen, was die Betroffenen durch ein kammergerichtliches Verbot hätten verhindern wollen. Für Christian Hessens Anteil hätten sie diesem 300 fl. abgedrungen. Am 26. Januar 1607 habe der solmsische Landknecht Hans Müller einen Auszug über seine Liegenschaften überbracht, die man beim Stadtschreiber zu Laubach erwerben könne, um die Wiedergutmachung an Dr. Stemler zahlen zu können. Ihr Wert sei auf 500 fl. veranschlagt worden. Obwohl die Urteile nur über 400 fl. lauteten, seien ihnen also dafür 700 oder 800 Gulden abgepresst worden. Es liege folglich eine übermäßige Exekution vor. Sie beweise zudem, dass Solms die Summe insgesamt exekutiert habe. Die Appellationssumme sei somit doch erreicht. Durch diese unmäßige Exekution würden die Leute ihrer Nahrung beraubt und sie dem Verderben preisgegeben. Dieser Vorwurf beleuchtet das Eigeninteresse der solmsischen Seite an diesem Verfahren, weil dadurch die Wirtschaftskraft zweier Protagonisten des Freienseener Widerstands ruiniert werden konnte, ohne dass die Landesherrschaft unmittelbar aktiv werden musste. Kurz vor dem Tod des Grafen Albert Otto I. fand dieses Intermezzo ein Ende. Das Gericht entschied am 15. Januar 1610, dass es diese Appellation am Reichskammergericht nicht annehme und die Appellanten die deswegen entstandenen Gerichtskosten entrichten müssten30. Die Gründe für diese prozessuale Niederlage der beiden Freienseener bleiben unbekannt. Fest steht aber, dass Hans Müller und Christian Hess durch ihr unglückliches Vorgehen in Speyer erheblichen wirtschaftlichen Schaden erlitten. Die Injurienklagen des Dr. Stemler hatte Solms-Laubach eine gute Gelegenheit geboten, gegen Christian Hess und Hans Müller eine ruinöse Wiedergutmachung zu verhängen. Zugleich hatte dieser Injurienprozess bei der Laubacher Obrigkeit wohl auch die Erinnerung daran geweckt, dass da noch die Streitsachen mit Freienseen offen waren. Fast fünf Jahre lang hatten die Freienseener nach dem Tod des Grafen Hans Georg I. keinen Anlass gesehen, sich über ihre Obrigkeit in Speyer zu beklagen. In den Jahren 1603 bis 1609 verzichteten die Parteien auch auf prozessuale Aktivitäten in Speyer in den noch in sieben bis zehn Prozessen laufenden Verfahren31. Doch dann endete diese Phase scheinbarer Beruhigung, als die Freienseener am 18. Juni 1605 ein neues mandatum sine clausula erwirkten, mit dem den Erben des Grafen Hans Georg I. sowie dem Oberamtmann Dr. Bernhard Lucan, dem Amtsverwalter Eberhard Mauren, dem Se29 30 31

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85, Qu. 22. Protokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 85. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 26, 58, 37, 65, 20, 64, 62, 19, 77, 98.

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kretär Thomas Maull, dem Laubacher Schultheiß Johann Weiß sowie 68 namentlich aufgeführten Freienseenern befohlen wurde, die Kläger nicht mehr bei der Verfolgung ihrer Rechte zu hindern, indem sie sie gefangen nähmen, bestraften oder sonst drangsalierten, um sie von der Durchsetzung ihrer beim Kammergericht erstrittenen Rechte abzubringen32. Der Konflikt hatte also weiter geschwelt. und war nun wieder aktiviert worden. Diejenigen, die gegen ihre Obrigkeit in Speyer prozessierten, besonders aber die Sollizitatoren, die sich zum Zweck der Förderung der Prozesse eine zeitlang in Speyer aufgehalten hätten wie Christian Hess, Hans Krämer, Hans Müller und andere hätten wegen der ihnen drohenden Gefahren Haus und Hof sowie Weib und Kinder verlassen müssen. Teilweise trauten sie sich noch jetzt nicht, wieder heimzukommen. Teilweise verharrten sie daheim furchtsam in Stille, weil sie nicht sicher seien, ob sie bleiben könnten. Am 9. März 1605 seien beispielsweise die beiden Bürgermeister Heinz Becker und Conrad Rupp, der Glöckner Hans Rupp sowie später auch Conrad Hofbender nach Laubach geladen und grundlos ins Gefängnis geworfen worden. Die ersten drei seien erst nach fünf Wochen und drei Tagen gegen das Versprechen, 100 Taler zu zahlen, Hofbender nach fünf Tagen und Nächten gegen die Zusicherung der Zahlung von 50 Talern entlassen worden. Vor allem aber hätten sie versprechen müssen, sich von der rechten Gemeinde ab- und dem Grafen sowie seinen Anhängern zuzuwenden und die unlängst aberkannten Dienste zu leisten. Dabei sei es nicht geblieben. Sondern am 17. April seien sämtliche Kläger aus Freienseen nach Laubach geladen worden, weil man mit ihnen wohl ebenso verfahren wollte wie mit den Bürgermeistern, dem Glöckner und Hofbender. Dem hätten sich die meisten aus Furcht vor dem Gefängnis durch die Flucht entzogen. Andere seien zur Förderung der Prozesse in Speyer gewesen und hätten deswegen nicht kommen können. Die wenigen Erschienenen seien mit der Botschaft entlassen worden, das Spiel sei noch nicht beendet. Die Flüchtigen trauten sich deshalb nicht ohne sicheres Geleit wieder heim. Das Kammergericht setzte eine Poen von zehn Mark lötigen Goldes fest für den Fall, dass die Beklagten sich weiter in die schwebenden Rechtsverfahren einmischten. Ebenso erteilte es den Klägern das erbetene sichere Geleit und löste die beiden Bürgermeister, den Glöckner und den Hofbender von den abgepreßten Zahlungsversprechen.

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19, Qu. 1. Im Zustellungsvermerk wird ausdrücklich erwähnt, dass von den beklagten Grafen zu Solms einige in den Niederlanden, etliche aber in Ungarn dem Krieg nachgingen. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 218ff. Nr. LXXXII (ohne Zustellungsvermerk) = Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 50–54.

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Der solmsische Anwalt protestierte gegen die Ladung und überreichte in derselben Sitzung die Gegendarstellung der Beklagten33. Sie bestritten, dass Hans Becker, Conrad Rupp und Hans Rupp grundlos vorgeladen worden seien. Sie hätten sich vielmehr verschiedene Male tätlich dagegen gewehrt, die Glocke schlagen zu lassen. Mehrfach seien sie gütlich ermahnt worden, von diesem Unfug abzulassen, ohne dass dies genutzt habe. Dabei habe das Reichskammergericht den Grafen zu Solms die volle Obrigkeit im Dorf zuerkannt. Daher seien sie auch befugt, ihre Untertanen mit Glockenschlag zusammenzurufen. Um dieses Recht durchzusetzen, hätten sie die Widerstrebenden ins Gefängnis werfen dürfen. Diese seien auch nicht genötigt worden, von den schwebenden Rechtfertigungen abzustehen. Vielmehr hätten sie selbst mehrfach den Grafen versichert, auf die Rechtfertigung verzichten zu wollen, wenn ihnen wie anderen gräflichen Untertanen aus den gräflichen Wäldern Brennholz gegeben und ihnen auch sonstige Nutzungen dort gewährt würden. Das habe man zweimal abgelehnt, weil es sonst den Anschein habe, als ob sie von der Rechtfertigung hätten abgedrungen werden sollen. Vielmehr habe man sie aufgefordert, nur bald mit ihrer Rechtfertigung fortzufahren. Auch andere von den Klägern hätten sich diesen Ansuchen heimlich angeschlossen. Conrad Hofbender sei nicht wegen der Rechtfertigung bestraft noch sei ihm im Gefängnis zugemutet worden, sich von den Klägern abzusondern und auf die Rechtfertigung zu verzichten, sondern er sei allein deswegen gepfändet worden, weil er am 5. März aus dem Tiergarten Holz entwendet gehabt habe. Die Freienseener seien auch nicht wegen der Rechtfertigung am 17. April nach Laubach geladen worden. Vielmehr hätten die Grafen täglich erfahren, dass viele ihrer Untertanen niemals Gottes Wort besuchten und die hochwürdigen Sakramente wenig achteten. Deshalb hätten sie am 30. Oktober 1603 eine Kirchenordnung publiziert34, der die anderen Untertanen auch willig nachkämen. Die Kläger dagegen seien, als sie gehört hätten, dass man nach der Predigt diejenigen aufschreiben wolle, die ohne Not die Predigt versäumt hätten, alle aus der Kirche hinausgelaufen. Deswegen und nicht wegen der Rechtfertigung seien sie am 17. April geladen worden. Wenn dies alles wahr sei und Christian Hess, Hans Krämer und Hans Müller nicht beweisen könnten, dass sie wegen der Rechtfertigung und ihres Sollizitierens belästigt worden seien, sei das Mandat mit falschen Unterstellungen erwirkt worden und daher zu kassieren. Nach dieser präzisen Darlegung der Prozesslage, hätte es nur entsprechender Beweisanträge bedurft, um das Verfahren entscheidungsreif zu machen. Doch stattdessen rügte der Frei33 34

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19, Qu. 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 81 „Herrschaftliche Verordnungen, Edikte und Befehle.“ Gräf (wie Kap. 10.1, Anm. 1), S. 78.

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enseener Anwalt in der Sitzung vom 13. Oktober 1605 nur wieder, dass die Beklagten dem Mandat diametral entgegen gehandelt hätten35. Er beantragte daher Verurteilung in die angedrohte Poen und ein schärferes Mandat. Diesem Antrag versuchte er Nachdruck zu verleihen mit dem Hinweis, dass höchste Gefahr im Verzug sei. Am 13. Januar 1606 wiederholte er den Hinweis auf die Dringlichkeit und trug vor, dass die Beklagten am 31. Dezember 1605 vergeblich versucht hätten, Hans Hess d. J. zu verhaften. Als der solmsische Prokurator vier Monate Frist zur Stellungnahme erbat, lehnte der Freienseener Anwalt dies ab, weil die Beklagten in dieser Zeit einen nach dem anderen aus Furcht vor dem Gefängnis von der Rechtfertigung abzutreiben versuchten. Es sei schon so weit gekommen, dass deswegen momentan niemand mehr das Bürgermeisteramt annehmen wolle. Diese Amtsträger hatten nämlich bisher immer als erste die harte Hand der Obrigkeit zu spüren bekommen. Dem Antrag auf Verurteilung der Beklagten in die Poen trat pro jure et interesse fisci der Reichsfiskal an die Seite mit dem Zusatz, dass über dergleichen Attentate nunmehr immer häufiger geklagt und damit die ergangenen Urteile lächerlich gemacht würden. Am 18. Januar 1606 erklärte das Gericht durch den Protokollvermerk completum, dass es die Unterlagen für ausreichend hielt für den Erlass eines Bescheids36. Dafür wären allerdings entsprechende Anträge der Parteien notwendig gewesen, die jedoch ausblieben. Stattdessen überreichten die Beklagten am 20. Mai 1606 Einwendungen gegen den Rezess vom 13. Januar 1606, in denen sie die Behauptungen der Kläger für Lügen erklärten, speziell was Hans Hess d. J. betreffe37. Die Grafen seien erstaunt, dass die Kläger immer noch leugneten, solmsische Untertanen zu sein, obwohl sie wie auch ihre Voreltern den Grafen die Erbhuldigung geleistet hätten. Die am 13. November als Beweis eingereichten Instrumente seien unbeglaubigt und daher als Beweis unzulässig. Der Freienseener Prokurator, der dem Gegenanwalt schon am 13. Januar 1606 keine Beantwortungsfrist hatte bewilligen wollen, weil für seine Partei Gefahr im Verzuge sei, erbat nun selbst fünf Monate Bearbeitungszeit38. Nachdem er am 21. Oktober 1606 den Einwendungen der Beklagten widersprochen hatte39, bot er am 5. November 1606 an, Bürgermeister, Glöckner und Hofbender beeiden zu lassen, dass ihnen die Verzichtseide abgezwungen worden seien40. Zugleich beantragte er erneut die Verurteilung in die Poen und schärfere Mandate, weil täglich neue 35 36 37 38 39 40

Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 10. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19, Qu. 12. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19.

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Beeinträchtigungen geschähen, durch die seine Mandanten ausgemergelt würden. In dieser Weise ging es weiter bis zum Tode des Grafen Albert Otto I., den der solmsische Anwalt am 18. April 1610 meldete41. Das Verfahren kam auch nach der Wiederaufnahme durch die Vormünder der Erben des Verstorbenen über dieses Stadium nicht hinaus42. Nach den letzten formalen Handlungen am 24. April 1612 schließt die Akte ohne Bescheid am 2. Januar 1619 mit dem Vermerk completum. Am 25. Juli 1606 ließ die vormundschaftliche Regentschaft erneut den gräflichen Landknecht in eine innere Angelegenheit der Gemeinde Freienseen eingreifen, indem sie diesem befahlen, den ordentlichen und abgesteinten Burgfrieden und Graben, mit dem der Flecken Freienseen befriedet gewesen sei, auf Begehren Johann Gebhardts hinter dessen Hofreite und Scheune zuzuwerfen, so dass man mit einem Wagen darüber einfahren könne, obwohl die Bürgermeister dies nicht hätten gestatten wollen43. Wegen dieser Weigerung habe der Landknecht der Gemeinde mit bewaffneter Hand 18 Stück besten Rindviehs abgepfändet und nach Laubach getrieben, wo sie teils verkauft worden seien. Die Laubacher Obrigkeit sei der Meinung, sie besitze eine Gerechtigkeit auch über Wege, Stege und den der Gemeinde gehörenden Burgfrieden und könne über deren Güter gebieten und nach ihrem Gefallen damit verfahren. Dies widerspreche aber nicht nur geschriebenen Rechten, sondern vor allem dem Urteil des Reichskammergerichts vom 22. Juni 1582. Darin werde ausdrücklich anerkannt, dass es den Grafen und ihren Anhängern nicht zustehe, über Wege und Stege die Administration zu übernehmen oder gar die rechte Gemeinde mit Einfahrtsverboten und Geboten zu beschweren und sie deswegen zu strafen und zu pfänden. Dieses Mandat war mit Androhung einer Poen von zehn Mark lötigen Goldes ergangen. In derselben Audienz bestritten die Beklagten die Wahrheit des Vorgetragenen. Sie beharrten darauf, dem Mandat nicht gehorchen zu müssen, weil es wahrheitswidrig erschlichen worden sei44. Zum Fall des Johann Gebhardt trugen sie vor, dass die Bürgermeister vor dessen Scheune einen neuen Graben hätten aufwerfen lassen, wodurch diesem die bislang mögliche Fahrt in seine Scheu41 42 43

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Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19. Protokoll. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 19. Nach dem Mandat vom 6. Februar 1607, das sich allerdings nur noch an Graf Albert Otto I. und seine Beamten zu Laubach richtete, also erst nach der Erbteilung ergangen sein kann: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 77, Qu. 1; Druck, Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 221ff. Nr. LXXXIII. = Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 54–56. Protokoll sub dato 1607 April 9 als Qu. 4: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 77. In der Akte befindet sich dieser Schriftsatz ohne Präsentationsvermerk und daher auch ohne Qu. nach Qu. 9.

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ne verstopft worden sei. Solchen Stopfen habe Gebhardt nicht hinnehmen wollen. Deswegen seien er und die Bürgermeister am 24. Mai 1606 in der gewöhnlichen öffentlichen Audienz zu Laubach erschienen. Dort habe Gebhardt die Turbation und Neuerung beklagt mit der Bitte, die Bürgermeister von ihrem Vorhaben abzuhalten und ihn bei seinem Herkommen nicht zu stören und seine Zufahrt zur Scheune nicht zu verstopfen. Die beiden Bürgermeister namens Seyp Rupp und Balthasar Christ beriefen sich demgegenüber auf einen vor zwei Jahren durch den Amtsverweser dazu erteilten Bescheid45. Demselben Amtsverwalter trug das Laubacher Gericht nunmehr auf, die Situation in Augenschein zu nehmen. Er berichtete nach dem Augenschein, dass die Bürgermeister einen Graben neu aufgeworfen hätten, wo niemals ein Graben gewesen sei. Wenn dieser neue Graben bleiben solle, so dürfe dadurch keinesfalls dem Gebhardt die gewohnte Zufahrt zu seiner Scheune genommen werden. Darauf hätten die gräflichen Räte und Befehlshaber den Bescheid erlassen, dass die Bürgermeister den Johann Gebhardt an seiner hergebrachten Gerechtigkeit nicht stören dürften und deshalb den neuen Graben zuwerfen sollten. Von diesem Bescheid hätten die Kläger weder appelliert noch Revision begehrt. Da sie ihn trotzdem nicht befolgt hätten, sei ihnen ein neuer Termin unter Androhung einer Strafe von 50 Talern angesetzt worden, den sie wieder hätten verstreichen lassen. Zum drittenmal seien sie unter Androhung von 500 Talern Strafe zum Gehorsam aufgefordert worden. Als auch dies nicht gefruchtet habe, seien sie auf Antrag des Klägers in eine Poen von 100 Talern verurteilt worden, die der Landknecht habe exekutieren sollen. Die Beklagten hätten den Bescheid als rechtmäßige Obrigkeit erlassen und durchgeführt, weshalb das kammergerichtliche Mandat wahrheitswidrig erschlichen und deshalb zu kassieren sei. Dieser Darstellung widersprachen die Kläger wortreich46. Die Gemeinde habe keinen neuen Graben aufgeworfen und damit dem Gebhardt die Zufahrt zu seiner Scheune verstopft. Seine Scheune habe vielmehr wie seit jeher alle anderen dort gelegenen Scheuern ihre Ein- und Ausfahrt zur Straße gehabt. Gebhardt habe jedoch ein Stück seiner Scheune verkauft und bei diesem Verkauf den Teil mit der Einfahrt für sich behalten. Der Käufer habe dagegen für seinen Teil der Scheune ein neues Tor gemacht und dafür über den Haingraben eine neue Aus- und Einfahrt suchen wollen. Das habe ihm die Gemeinde, welcher die Einfahrtsgerechtigkeit und die Administration über Wege und Stege mit Urteil zugesprochen worden sei, nicht gestattet. Die solmsischen Beamten hätten sich zu Unrecht eingemischt und bei namhafter Strafe befohlen, den Haingraben zu schleifen. Wegen der Nichtbefolgung dieses Befehls 45 46

Nicht auffindbar. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 77, ohne Qu.

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seien ihnen 18 Rinder gepfändet und der Haingraben geschleift worden. Die Gemeinde habe sich jedoch angesichts der sie klar begünstigenden Kammergerichtsurteile nicht auf neue Diskussionen mit den Beamten einlassen müssen. Der diesen Urteilen zuwiderlaufende Bescheid sei null und nichtig, zumal die ihm zugrundeliegende Feststellung falsch sei. Der Graben sei nicht neu aufgeworfen worden. Dem Ansinnen des Käufers, eine neue Ein- und Ausfahrt zu erhalten, habe sich die Gemeinde zu Recht widersetzt, ohne gegen den Laubacher Bescheid appellieren zu müssen. Am 6. Februar 1607 erließ das Reichskammergericht ein Mandat, mit dem es den Beklagten befahl, den Haingraben und den gemeinen Burgfrieden zu Freienseen wiederherzustellen sowie das in diesem Zusammenhang gepfändete Vieh zu restituieren oder den Wert zu ersetzen47. In diesem Zustand verharrte das Verfahren bis zum Tode des Grafen Albert Otto I. Es waren nur Vollmachten reproduziert worden. Das Protokoll der Akte schließt mit dem 12. April 161148. Die Akte enthält allerdings noch einige nicht protokollierte Aktivitäten, die jedoch nichts zu Erhellung der Probleme und des Sachstandes beitragen. Am 2. Dezember 1615 befahl zum Beispiel das Gericht Landgräfin Anna und den Kindern des verstorbenen Grafen Albert Ottos I. sowie den anderen Mitbeklagten, das Verfahren wieder aufzunehmen49. In einem undatierbaren, weil ohne Präsentationsvermerk versehenen Rezeß beharrte der klägerische Anwalt darauf, dass die gegnerische Sachdarstellung falsch sei50. Das Mandat sei daher zu Recht ergangen. So blieben die beiden sich widersprechenden Darstellungen ohne eine Beweisaufnahme, die zur Klärung hätte beitragen können, und ohne Entscheidung des Reichskammergerichts nebeneinander stehen. Dessen ungeachtet lässt auch dieser Fall das Vorgehen der Laubacher Obrigkeit deutlich erkennen. Sie nutzte einen Streit innerhalb der Gemeinde, um gerichtlich in Freienseener Verhältnisse eingreifen zu können. Die Vielzahl der im Tenor nach der Herrschaft genannten Beklagten zeigt an, dass in diesem Fall offenbar vor allem ihre Beamten in Laubach aktiv gewesen waren. Nach einem am 9. Mai 1607 ergangenen Mandat klagten die Freienseener darüber, dass sie in ihrem freien Handel und Wandel rechtswidrig durch Neuerungen beeinträchtigt würden51. Sie beriefen sich darauf, dass nach beiden

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 77, Qu. 1. Druck: Abdruck (Kap. 4.2 Anm. 9), S. 54ff. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 77. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 77, Qu. 7. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 77, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93, Qu. 2. Drucke: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 223ff. Nr. LXXXIV = Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 56–58. Als Beklagte wurde noch die ungeteilte Erbengemeinschaft aufgeführt.

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Rechten sowie auch den Reichskonstitutionen und Reichsabschieden der gemeine Handel und Wandel ebenso frei seien wie der Gebrauch aller Commercien vornehmlich mit Nahrungsmitteln und den Gegenständen des täglichen Gebrauchs, ohne die das gemeinschaftliche und friedliche Wohnen von Nachbarn nicht möglich sei. Dem entgegen habe die Laubacher Obrigkeit seit einiger Zeit viele Neuerungen eingeführt und für alles, was einer der Kläger an Rindern, Schafen, Hammeln, Schweinen oder Eßwaren inner- oder außerhalb des Fleckens verkaufe, das Vorkaufsrecht beansprucht. Dabei wolle die Herrschaft jedoch nicht den Marktpreis, sondern nur einen geringeren, von ihr selbst festgesetzten Preis zahlen. Jede Übertretung solle mit 5 fl. Strafe geahndet werden. Dieselbe Strafe sei angedroht worden für diejenigen, die nicht das, was sie zu verkaufen gedächten, nach Laubach brächten. Mit 1 fl. solle sogar gebüßt werden, wenn nicht jeden Freitag aus jedem Haushalt eine Person nach Laubach komme und den dortigen Wochenmarkt besuche, unabhängig davon, ob diese Person etwas zu verkaufen habe oder nicht. Dieser Versuch, einen Marktzwang einzuführen, ergänzte andere obrigkeitliche Maßnahmen, mit denen die Grafen zu Solms-Laubach wirtschaftliche Vorgänge in ihrer Grafschaft reguliert hatten52. Dazu hatte 1598 auch die Einführung eines Vorkaufsrechts der Obrigkeit für Lebensmittel und beim Liegenschaftsverkauf gehört53. Konsequent waren die neuen Anordnungen auch sofort umgesetzt worden. Hans Kurz hatte für den verbotswidrigen Verkauf eines Hammels 5 fl. büßen müssen. Ebenso Christian Hess, der etliche Schafe einem Gläubiger an zahlungsstatt gegeben hatte, weil er eine in 14 Tagen fällige Schuld nicht hatte bezahlen können und eine Klage hatte vermeiden wollen. Als er darum gebeten habe, ihm die Strafe zu erlassen, weil er dieses Mal nicht zahlen könne, wenn er zukünftig dem Gebot nachzukommen verspreche, wurde dem hartnäckigen Gegner der Grafen kein Nachlass gewährt, sondern es wurden ihm weitere 10 fl. auferlegt. Da er auch diese Summe nicht zahlen konnte oder wollte, wurde ihm eine Kuh für 14 fl. abgepfändet, die sein Schwager für 10 fl. und 20 Albus wieder eingelöst habe. Auch anderen, die verschiedene Schafe oder anderes verkauft gehabt hätten, seien an die 100 fl. abgepfändet worden. Gegen solche rechtswidrigen Maßnahmen, die dem gemeinen Mann seinen Lebensunterhalt entzögen, sollten, wie die Kläger vortrugen, nach der RKGO (Pars II. Titel 23) mandata sine clausula erlas52

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Zusammengefasst in der Sammlung der „Herrschaftlichen Verordnungen, Edikte und Befehle“ (Kap. 9.2, Anm. 78) Graf Hans Georg I. hatte schon versucht, die Freienseener wirtschaftlich dadurch in die Knie zu zwingen, dass er seinen Untertanen verbot, ihren Bäckern, Schmieden und Leinewebern Arbeit und Kredit zu geben (Kap. 9.2). Kap. 9.3

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sen werden, mit denen solche Neuerungen abgeschafft würden. Bei Poen von acht Mark lötigen Goldes wurde den Beklagten verboten, die Kläger weiter mit dem inkriminierten Vorkauf und Marktzwang zu behelligen. Es wurde auch bestimmt, das den Freienseenern dafür Abgenommene oder Gepfändete zu restituieren. Als das Mandat in Laubach dem Grafen Albert Otto I. zugestellt wurde, ließ dieser ausrichten, dass er von diesen Sachen gar nichts wisse. Er wolle aber dem Kammergericht berichten, wenn er sich erkundigt habe54. Auch der Sekretär Maull und der Schultheiß Weiß versicherten bei der Zustellung, nicht zu wissen, ob die Vorgänge sich, wie geschildert, abgespielt hätten. Wenn der klägerische Vortrag nicht vollständig erfunden war, erscheint diese Unkenntnis wenig glaubwürdig, da die Maßnahmen viel zu gravierend waren, als dass man davon an einem so kleinen Hof wie dem gräflich solms-laubachischen davon nichts erfahren haben sollte. Bis zur Reproduzierung des Mandats am 8. März 1608 hatten sich die Beklagten so weit kundig gemacht, dass ihr Prokurator nicht nur protestierte, sondern ausführliche Einwendungen überreichen konnte, in denen alle für das Mandat verwendeten Tatsachen als Lügen bezeichnet wurden, mit denen die Freienseener ihre Obrigkeit bei den Richtern in Misskredit bringen wollten55. Da man sich jedoch nicht genau zu erinnern wisse, sollten die Kläger die Zeit angeben, zu der alles geschehen sein solle, damit die Beklagten sich konkret dagegen wehren könnten. Wenn jemand gestraft worden sein sollte, so müsse dies vor etlichen Jahren geschehen sein und zwar, weil es in der Grafschaft Solms seit unvordenklichen Zeiten hergebracht und von Kaisern bestätigt sei, dass die Obrigkeit, wenn sie Lebensmittel brauche, die die Untertanen sowieso verkaufen wollten, diese vor allen Fremden für einen billigen Preis erwerben könne. Dies entspreche dem Brauch im ganzen Reich teutscher Nation und in allen anderen Ländern. Die Beklagten wollten damit offenbar daran erinnern, dass dies vor Jahren schon einmal unter Graf Hans Georg I. Gegenstand einer Auseinandersetzung gewesen war56. Vor etlichen Jahren hätten jedoch die Freienseener, wenn ihnen mitgeteilt worden sei, dass die Grafen etwas von ihnen Feilgebotenes erwerben wollten, die Ware heimlich an Landfremde verkauft. Am 16./17. August 1609 entschied das Gericht, dass der Antrag der Kläger vom 8. März 1608, den Beklagten in die Poen zu erklären, noch zur Zeit abgeschlagen werde. Die Kläger sollten vielmehr intensiver auf die Einwendungen der Beklagten antworten. Obwohl die Kläger die ihnen gewährte Frist von drei Monaten verstreichen ließen, ließ ihnen das

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Zustellungsvermerk: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93, Qu. 2. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93, Qu. 5. Kap. 9.3

Graf Albert Otto I. (1600/1607–1610)

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Gericht doch bis zum 6. März 1610 Zeit, um dieser Auflage nachzukommen57. In der Sitzung vom 6. März 1610 widersprachen die Kläger den Einwendungen der Beklagten58. Sie überreichten Instrumente, aus denen zu ersehen sei, dass solche Gebote zwar schon früher angesetzt worden, aber erst kürzlich erneuert worden und welche Strafen ihnen letzthin abgedrungen worden seien. Nur weil dies zu fast unerschwinglichen Lasten geführt habe, seien sie zu dieser Klage genötigt worden, auf die sie sonst gern verzichtet hätten. Nicht sie wollten die Beklagten in Misskredit bringen, sondern dies täten die Beklagten mit ihnen durch ihre Einwendungen. Die Beklagten hätten sich vor Fremden, Inländern und Nachbarn den Vorkauf angemaßt und dabei nicht den billigen Wert erstatten wollen. Dazu hätten sie noch die zusätzliche Beschwernis auferlegt, dass jeder dasjenige, was er verkaufen wolle, zuerst übers Feld tragen, treiben oder führen müsse, um es in Laubach feilzubieten. Dadurch würden sie unnütz von Haus und Arbeit ferngehalten, um dann nur den geringeren Wert erzielen zu können. Am 18. August 1610 meldete der solmsische Prokurator, dass Graf Albert Otto I. am 2. März dieses Jahres verstorben sei59. Die Kläger ließen die Erben und die Witwe des Grafen Albert Ottos I. zur Wiederaufnahme des Verfahrens laden60. Nachdem am 24. April 1612 die Vollmachten aller Beklagten vorlagen61, hätte der Prozess tatsächlich fortgesetzt werden können. Doch ruhte er in den Jahren 1613 bis 1615. Erst am 11. Dezember 1616 ergriff der Freienseener Prokurator in einer Audienz die Gelegenheit, mündlich darüber zu klagen, dass die Herrschaft am 29. September die Freienseener unter dem Gebot von 13 Reichstalern sogar gezwungen habe, alles Vieh über 14 Tage hin etlichen neuen Metzgern anzubieten. Daraufhin beantragte er erneut die Verurteilung in die Poen und den Erlass strengerer Mandate62. Die Beklagten gestanden zu, ein weiteres Mal angeordnet zu haben, dass alles Vieh, das im Amt zu verkaufen sei, erst der Herrschaft angeboten werden müsse. Was diese nicht benötige, solle sodann zunächst den heimischen Metzgern zur Verfügung stehen, bevor man es an Ausländer verkaufen dürfe. Dieses Gebot entspreche sowohl altem Herkommen als auch den Rechten. Es diene dem Vorteil der benachbarten Gemeinden und Untertanen und entspringe wie die 57

58 59

60

61 62

Protokoll sub 1609 November 14, Dezember 4: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 83, Qu. 7. Protokoll sub dato: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93. Dazu überreichte er das Schreiben des gräflichen Sekretärs Maull vom 26. März 1610 (Qu. 9). Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93, Qu. 10. Protokoll sub 1611 April 17, September 17, Dezember 12. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93. Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93.

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Der Weg zum Marburger Vergleich vom 20. Mai 1639

Liebe zu den Eltern der Liebe zur Obrigkeit und den Nachbarn63. Damit hatte sich das Instrumentarium obrigkeitlicher Wirtschaftspolitik vom schlichten Vorkaufsrecht der Herrschaft für Lebensmittel über den Marktzwang in Laubach hin bis zur Nötigung ausgeweitet, das Vieh auch zwei Wochen lang nur heimischen Metzgern anzubieten. Diese Maßnahmen galten zwar für die ganze Grafschaft, waren also keineswegs spezielle Schikanen gegen Freienseen. Die Kläger wurden aber deshalb besonders davon getroffen, weil in ihrem Dorf nicht nur Landwirtschaft getrieben wurde, sondern es auch ein namhaftes Dorfhandwerk wie die Leineweberei gab. Wirtschaftlich tendierten sie zudem eher zum hessischen Grünberg als nach Laubach, wie auch die Benutzung Grünberger Maße beweist. Es kann daher nicht verwundern, dass gerade nur sie sich gegen diese Neuerung wehrten. Den solmsischen Argumenten hielten die Kläger am 20. Dezember 1617 entgegen, dass ihnen wohl bewusst sei, welche Liebe sie den Eltern und damit auch der Obrigkeit schuldeten64. Sie wüssten sich aber auch zu erinnern, was den Eltern und der Obrigkeit gegenüber ihren Kindern und Untertanen obliege, nämlich deren Vorteil zu suchen und sie nicht dermaßen zu beschweren, wie es von den Klägern hinreichend ausgeführt worden sei. Der Freiensener Prokurator wiederholte daher den Antrag, die Beklagten in die Poen zu verurteilen. Da der klägerische Anwalt starb, musste am 22. Juni 1922 ein neuer Prokurator bevollmächtigt und am 24. Januar 1623 die Ladung vom 17. September 1622 zur Wiederaufnahme des Verfahrens reproduziert werden65. Doch auch danach kam es zu keinen Schlussanträgen der Parteien, so dass auch dieses Verfahren mit einem Schlussvermerk im Protokoll am 23. März 1624 ohne Endurteil endet66. Man kann also nicht sehen, welche Position das Reichskammergericht in diesem Widerstreit zwischen obrigkeitlichem Anspruch auf Regulierung der Wirtschaft innerhalb einer Herrschaft und dem freien Betätigungsrecht der Untertanen eingenommen hat.

10.2.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna für ihren Sohn Graf Albert Otto II. (1610–1631)

Der Nachfolger des am 2. März 1610 in den Niederlanden gefallenen Grafen Albert Otto I., Graf Albert Otto II., wurde erst nach dem Tod des Vaters am 20. Juni 1610 geboren, so dass wieder eine längere Zeit vormundschaftlicher 63 64 65 66

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 93, Qu. 13. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 93, Qu. 15. Gräfl. Archiv Laubach, S. LXXIII Nr. 93, Qu. 17, 18. Protokoll sub dato, Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 93.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna

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Regentschaft anstand67. Seine Mutter, Landgräfin Anna, wurde als Regentin unterstützt von den männlichen Tutoren Friedrich Graf zu Solms-Rödelheim, Heinrich Wilhelm Graf zu Solms-Sonnewalde und Johann Georg II. Graf zu Solms-Baruth. In der Laubacher Verwaltung kam es zu Spannungen zwischen dem lutheranischen alten Sekretär Gerhard Terhell, der 1615 verstarb, und dem seit 1604 neben ihm amtierenden reformierten Sekretär Thomas Maull, der erst 1625 entmachtet wurde68. 1618 belehnte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel den Grafen Albert Otto II. mit dem väterlichen Rentenlehn von jährlich 5.000 fl. aus der fürstlichen Kammer, so dass der junge Graf über eigene Mittel unabhängig von den Einkünften seiner Grafschaft verfügte. Im Jahr 1626 machte er auf Kosten des Landgrafen Moritz eine Bildungsreise nach Paris, der Hauptstadt des sich modernisierenden Köngreichs Frankreich. Am 11. September 1631 heiratete er Katharina Juliane Gräfin von Hanau-Münzenberg und trat die Regierung in der Grafschaft Solms-Laubach an. Mittlerweile hatte der große Krieg den Vogelsberg erreicht69. Im Frühjahr 1622 hatte Christian von Braunschweig noch vom Laubacher Land ferngehalten werden können. Doch im Frühjahr des Jahres 1626 lagen Reiter des Obristen Planckherd sechs Wochen in Freienseen. 1627/1628 fielen Reiter des Lindeloschen Regiments in die Grafschaft Laubach ein. Am 27. Februar 1627 beschwerten sich die Kläger, dass sie durch Kriegskontributionen und Einquartierungen ruiniert würden, obwohl sie den kaiserlichen Schutzbrief gezeigt hätten70. Die einquartierten Soldaten hätten sich demgegenüber darauf berufen, dass ihnen die Obrigkeit in Laubach dieses Quartier zugewiesen habe. So wiederholte sich, wogegen die Freienseener schon im Jahr 1546 vergeblich protestiert hatten, dass ihnen nämlich von Laubach aus unerwünscht Soldaten ins Dorf geschickt wurden. Im November/Dezember 1630 zogen nassauische Truppen durch Laubach. 1634 plünderten Isolanis Soldaten zweimal Laubach, 1634/35 tat dies das Reiterregiment Grisort. Die Kriegslasten schädigten die Bevölkerung mehrfach. Zum einen plünderten die Soldaten rücksichtslos die Vorräte. Zum anderen erpressten sie hohe Kontributionen – selbst oder gerade dann, wenn sie die Grafschaft oder den Ort verschonten. Schließlich brachten sie Mord, Totschlag und Seuchen in die Region und dezimierten dadurch die Bevölkerung. Im Frühjahr 1636 soll es wegen 67

68 69

70

Rudolph Graf zu Solms (wie Kap. 2, Anm. 6), S. 264; Gräf (wie Kap. 10.1, Anm. 1), S. 81. Gräf (wie Kap. 10.1, Anm. 1), S. 81. Nach dem Manuskript Uhlhorn, Über die Geschichte der Grafen zu Solms, 3. Teil S. 24, 50, 51, 55, 56, 95, 98. im gräfl. Archiv Laubach. Kap. 8.1, Anm. 1, unquadranguliert, sub dato.

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Der Weg zum Marburger Vergleich vom 20. Mai 1639

des Fehlens arbeitsfähiger Menschen kaum noch möglich gewesen sein, die Felder zu bestellen. Diese Einquartierungen nahmen die physischen ebenso wie die ökonomischen Kräfte der Freienseener so sehr in Anspruch, dass ihnen weder Geld noch Zeit oder Kraft blieb für eine Fortführung ihrer Prozesse in Speyer. Am 6. September 1639 fiel Graf Albert Otto II. einem Jagdunfall zum Opfer. Zu Beginn der vormundschaftlichen Regentschaft war sowohl die Geduld als vor allem auch die finanzielle Kraft der Kläger erschöpft. Deshalb wandten sie sich wieder einmal an den Kaiser und baten um eine Intervention zu ihren Gunsten in Speyer71. Am 21. Juli 1610 erließ Kaiser Matthias wunschgemäß ein Promotoriale an das Reichskammergericht mit der Mahnung, dem langwierigen Streit zwischen Freienseen und den Grafen zu Solms-Laubach wegen der ihrem freien Flecken zustehenden Freiheiten, Gewohnheiten, Rechten und Gerechtigkeiten, in dem in den letzten 60 Jahren 17 unterschiedliche Verfahren entstanden seien, endlich durch ein Urteil ein Ende zu bereiten. Der darauf vom Gericht erstattete Bericht bewies, dass die Richter keineswegs untätig gewesen waren und mehrfach Urteile gesprochen hatten. Auch ein im Promotoriale gefordertes neues Urteil hätte den Streit also nicht beenden können. Wie eine Bestätigung dieser Einschätzung wirkt das kurz nach Übernahme der vormundschaftlichen Regentschaft am 10. Oktober 1611 gegen Graf Albrecht Ottos I. Witwe, die Landgräfin Anna, für sich und ihre Kinder als Brüder und Erben ihres Vaters, auch Schultheiß, Schöffen und Gericht zu Laubach sowie 60 namentlich aufgeführte Angehörige der von der rechten Gemeinde abgefallenen Nebengemeinde zu Freienseen erlassene mandatum sine clausula72. Bürgermeister, Heimbürger und Baumeister sowie die ganze rechte Gemeinde zu Freienseen hätten über die ständig zunehmenden Unkosten geklagt, die sie durch die seit über 50 Jahren dauernden verschiedenen Rechtfertigungen und die dafür notwendigen kostbaren Kommissionen, Kommissare sowie wegen des Solds der Advokaten und Prokuratoren gehabt hätten. Zur Erleichterung dieser sonst unerträglichen finanziellen Bürden und geringen Verbesserung ihres Einkommens hätten der Magistrat und die Gemeinde nach vorheriger Beratung und mit Willen der gesamten Gemeinde auf den der Gemeinde gehörenden Haingraben einen dreizehn bis vierzehn Fuß breiten Weg mit Pfählen abgeschlagen und dasjenige, was zu beiden Seiten übrig geblieben sei, unter sämtlichen Bewohnern Freienseens zum Kauf 71 72

HHStA. Wien, RHR, Alte Prager Akten, Nr. 54 42. Abschrift: HHStA Wien, RHR, Alte Prager Akten, Nr. 54 42. Druck: Abdruck (wie Kap. 4.2, Anm. 52), S. 59ff. Bemerkenswert ist, wie sehr die Zahl der von der rechten Gemeinde Abgefallenen zugenommen hat.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna

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oder aber zur Pacht für drei Tournosen jährlich je Rute angeboten. Teilweise hätten sie es auch der Gemeindeweide zugeschlagen, um dadurch das Gemeindeeinkommen etwas zu verbessern, damit sie die Ausgaben der Gemeinde besser bezahlen könnten. Obwohl die von der rechten Gemeinde Abgefallenen sich freiwillig abgesondert gehabt und die Gebote, Verbote, Ordnung der rechten Gemeinde missachtet sowie bisher zum Gemeinen Wohl nichts beigesteuert hätten, wollten sie doch dies alles mitnutzen, also die Vorteile ohne Beteiligung an den Lasten genießen. Das widerspreche der Billigkeit. Die von der Gemeinde Abgefallenen forderten jedoch von den Klägern Rechnungslegung über der Gemeinde Einnahmen und Ausgaben und wollten auch der Wahl von Bürgermeistern und anderen Beamten beiwohnen. Als die Kläger dies verweigert hätten, seien die gehorsamen Nachbarn stracks zu den Grafen und deren Regierung in Laubach gelaufen und hätten dort beantragt, ihnen gegen die Kläger im ersten Punkt beizustehen bei 20 Reichstalern Strafe. Nachdem die Gehorsamen der Herrschaft ihre Sicht der Dinge vorgetragen gehabt hätten, habe die Regierung die Sache auf Ansuchen der Ungehorsamen an das gräfliche Untergericht, also Schultheiß und Schöffen zu Laubach, verwiesen. Dort habe man allen Einwendungen zum Trotz in der Sache geurteilt. Die Richter zu Laubach hätten aber zusammen mit den Grafen und deren Anhängern bisher am Reichskammergericht seit vielen Jahren gegen die Kläger in Rechtfertigung gestanden. Die Kläger hätten auch bisher schon mehrfach Urteile gegen sie erhalten. Das Gericht urteile also gewissermaßen in eigener Sache, weil der Zwist auf Anstiften und Gutheißen der gräflichen Anhänger und den von der rechten Gemeinde abgetretenen Konsorten herrühre, also pro judicibus praesertim in tam gravi negotio. Dies könnten sie nicht hinnehmen und noch weniger sich einem solchen Urteil unterwerfen, weil die Sache mit der Freiheit zusammenhänge, die vor vielen Jahren am Reichskammergericht geltend gemacht worden und meistens immer noch streitig geblieben sei. Sie bezogen sich dabei auf die Endurteile vom 17. Oktober 1578, 22. Juni 1582 und 3. Juni 1600 in causa Freienseen contra Solms primi mandati de restituendo et relaxando, sowie ein weiteres Urteil vom 18. August 1601, schließlich auf Mandate betreffend das Gericht und etliche gräfliche Anhänger. Durch die sei alles längst klar entschieden, und dazu seien auch Inhibitorimandate vornehmlich vom 5. Mai 1597 ergangen. Darin sei zu Recht erkannt, dass die Grafen die jetzigen Supplikanten und damaligen Kläger bei ihrem Besitz der Einfahrt, Wahl von Bürgermeister, Heimbürger und Hirten bleiben lassen sollten. Am 22. Juni 1582 sei ergänzend entschieden worden, dass die Grafen sie bei solcher Wahl nicht behindern und ihre Anhänger nicht darin bestärken dürften, sich der Administration über Wege, Stege, Brunnen und Gehölz anzunehmen, ihnen auch nicht erlauben sollten, selbst Bürgermeister, Baumeister und Hirten zu wählen und gar die Wahl

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Der Weg zum Marburger Vergleich vom 20. Mai 1639

durch gräfliche Beamte zu inspizieren und die Gewählten zu bestätigen. Auch stehe es der Obrigkeit nicht zu, zur Abhörung der Rechnung zu kommen. Die Beklagten seien verpflichtet, die Kläger im Besitz der Einfahrt ruhig bleiben zu lassen. Zugleich werde völliger Gehorsam verlangt für ein besonderes Mandat de amplius non gravando contra sententiam als auch de restituendo am 3. Juli 1600. Gleichfalls sei am 18. August 1601 in causa mandati betreffend das Gericht und etliche den Grafen Anhängige erkannt worden, dass es den gräflichen Parteigängern nicht gebühre, eine abgesonderte Nebengemeinde zu Freienseen zu bilden, die den Klägern gebiete, den beklagten Grafen die Rechnungen der Einnahmen und Ausgaben vorzulegen. Dies alles sei in dem am 5. März 1597 ergangenen Inhibitorimandat überflüssigerweise noch einmal erläutert worden. Auch sei erneut bei Poen von zehn Mark lötigen Goldes verboten worden, von den üblichen Gemeindeversammlungen, den gemeinen Gebräuchen und der Verwaltung der Gemeindegüter, Hafergefälle und Einkommen abzuweichen. Was davon in Privatgebrauch der Abgefallenen aufgeteilt, entfremdet und verkauft worden sei, sei wieder herbeizuschaffen. Sie sollten darauf gleichmäßig verzichten und alle anderen noch eingenommenen Güter und Einkommen samt allen davon erhobenen Abnutzungen wiedergeben wie auch alles Holz, das sie in dem Gemeinen Wald der Kläger gehauen hätten, vollkommen bezahlen und sich solcher Gebräuche künftig enthalten. Das Gericht wiederholte die Gebote erneut bei Poen von zehn Mark lötigen Goldes und mahnte, die res judicatae nicht zu missachten. Dazu befahl es, von dem in Laubach anhängigen Prozess abzulassen, weil dieser das Reichskammergericht praejudiziere. Dieses Mandat offenbart, wie wenig sich die Parteien von Entscheidungen des Reichskammergerichts eine endgültige Streitbeilegung erhoffen konnten. Die Freienseener hatten ihren hochgespannten Anspruch, ein freier Flecken des Reiches zu sein, in Speyer nicht durchsetzen können, ohne aber von der Position abgebracht worden zu sein, dass sie besondere Freiheiten genössen. Die Herrschaft ihrerseits hatte durch ihren hinhaltenden Widerstand gegen den Vollzug von Urteilen und Mandaten die Freienseener daran hindern können, die solmsische Obrigkeit auszuhöhlen. Andererseits hatte das Reichskammergericht den Neuerungen, mit denen die Grafen ihre herrschaftlichen Ansprüche verstärken und vertiefen wollten, durch seine Entscheidungen die Legitimation verweigert. Das Verfahren zog sich ohne erkennbaren Nachdruck über einige Audienzen der Jahre 1612, 1613 und 1614 hin, um von 1615 bis 1622 vollständig zu ruhen73. Auch nach der am 27. Juni 1622 erfolgten Wiederaufnahme des Ver73

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 45, Protokoll: 1611: Dezember 12, 13; 1612: April 24; 1613: Mai 4, 8, November 13; 1614: Mai 17, November 22.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna

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fahrens kamen die Parteien nicht über die Behandlung von Formalien hinaus, so dass die Akte unter dem 22. November 1623 mit dem Protokollvermerk completum schließt. Noch in anderer Hinsicht ist das Mandat vom 10. Oktober 1611 aufschlussreich, nämlich bezüglich der Erschöpfung der finanziellen Ressourcen der Kläger. Die Prozesse hatten sie so ausgelaugt, dass sie Gemeindeeigentum liquidieren mussten. Die Umwandlung des Haingrabens in einen Weg mag, wie der Prozess um Johann Gebhardts Scheunenzufahrt gezeigt hat, noch anders motiviert gewesen sein. Aber die Verteilung der Randflächen diente zugestandenermaßen der Befriedigung des aus den langjährigen Prozessen erwachsenen Finanzbedarfs der klagenden Gemeinde. Es versteht sich, dass sie daran diejenigen Nachbarn nicht beteiligen wollten, die wegen der Prozesse von ihnen abgefallen waren. Diese wiederum machten geltend, dass sie auch Mitglieder der Gemeinde seien. Deshalb wollten sie sich von dem offenbar gewinnträchtigen Vorhaben nicht ausschließen. Die Herrschaft griff in diesen Streit im Sinne der schon von den Vorgängern eingeschlagenen neuen Taktik nicht direkt ein. Sondern die gräfliche Regierung verwies die Beschwerdeführer an das Laubacher Gericht, das prompt gegen die rechte Gemeinde urteilte, womit die Regentschaft als Trägerin der Obrigkeit den Vorwurf vermied, gegen das Verbot der Gewaltanwendung gegen die Kläger verstoßen zu haben. Während der vormundschaftlichen Regentschaft der Landgräfin Anna wurden weitere neue Verfahren nicht rechtshängig. Ob diese Zurückhaltung der Laubacher Herrschaft damit zusammenhängt, dass ein Rechtsgutachten von 1612 zur Vorsicht gemahnt hatte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, weil dieses Gutachten in Laubach nicht auffindbar ist, so dass auch sein Inhalt unbekannt ist74. Mit dem Jahr 1613 beginnt auffälligerweise auch in den schon laufenden Prozessen wieder eine Phase prozessualer Inaktivität, in der bei fast allen noch anhängigen Sachen über Jahre hin vermerkt werden musste, dass

74

Gräfl. Archiv Laubach A., Freyenseensia XXX K 55 Nr. 4. Vermerk im Findbuch: Sind zu denen originalia in einen Kasten besonders gelegt worden. Unter der Signatur: A LXIV Varia Nr.a. 107 ist eine Sammlung von Rechtsgutachten (1597–1610) verzeichnet, die jedoch ebenfalls unauffindbar ist. Unsicher ist auch, ob Graf Albert Otto II. sich am 4. März 1634 auf dieses Gutachten bezog oder noch ein weiteres eingeholt hatte (Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129 sub dato), das folgenden Inhalt hatte: Die Fakultät habe für Recht erkannt, dass die gehorsamen und die ungehorsamen Untertanen in Freienseen nur eine Gemeinde haben sollten. Ihre Rechnungen sollten sie neben anderem vorlegen und nur wenn darüber Streit entstehe, dürfe der Graf als ihre ordentliche Obrigkeit darüber entscheiden. Wenn die Ungehorsamen sich dem halsstarrig widersetzen würden, dürfe der Graf sie mit gebührender Strafe zum Gehorsam bringen.

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nichts geschehen sei75. Vielleicht hängt diese Zurückhaltung mit dem Regierungstil der Regentin zusammen, der die Freienseener der Notwendigkeit enthob, sich an das Reichskammergericht in Speyer zu wenden; eine Pause, die den Bauern angesichts ihrer Finanznot nicht unwillkommen gewesen sein dürfte. Gleichwohl wahrte auch die vormundschaftliche Regentschaft weiter die herrschaftlichen Positionen, wenn sie dies für notwendig hielt, wie etwa bei folgendem Vorgang: Die rechte Gemeinde, deren Bürgermeister damals Röll Cuntzen gewesen sei, habe im 16. Jahrhundert Steuerzahlungen verweigert, weil sie wegen des jus collectandi mit den Grafen seit vielen Jahren im Streit gelegen habe. Am 11. März 1568 habe sie ein mandatum de restituendo wegen des ihnen abgepfändeten Viehs erhalten gehabt76. In der Gemeinde habe man sich nach der Pfändung darauf geeinigt, dass ein jeder seinen Schaden tragen solle. Doch jetzt habe Hermann Schreiner, Mitglied der Erbengemeinschaft nach Röll Cuntzen, von der Gemeinde den Wert eines Pferdes in Höhe von 40 fl. erstattet bekommen wollen, wohl eine Folge der fortschreitenden Verarmung der Bauern. Nachdem sie ihm das verweigert hätten, sei er zu den gräflichen Räten und Amtleuten gegangen, die ihm sofort die Summe zugesprochen hätten. Das hätten sie nicht tun dürfen, da auch dieses Pferd sowie ein ebenfalls in Rede stehendes Schwein in Rahmen des rechtshängigen Verfahrens gepfändet worden seien. Darauf hätten sie die gräflichen Räte und Amtleute auch hingewiesen, die gleichwohl am 6. Februar 1618 verschiedene Bescheide erlassen hätten, dass die Gemeinde verpflichtet sei, Röll Cuntzens Erben den Wert eines Pferdes und eines Schweins zu erstatten77. Dieses Urteil sei in einer rechtshängigen Sache gefällt worden und daher widerrechtlich und nichtig. Deshalb hätten die Kläger am 18. Mai 1618 gegen dieses Urteil vor einem Notar und Zeugen appelliert. Für die Zulässigkeit dieser Appellation komme es nicht auf die im Urteil spezifizierte Summe an, sondern darauf, dass die Grafen mit dieser Handlung das solmsische Steuererhebungsrecht hätten erzwingen wollen. Die Appellanten müssten zudem wegen der damals vielfältig vorgenommenen Pfändungen und der damit geschaffenen Präjudizien befürchten, dass von ihnen für weitere noch im Streit befindliche gepfändete Pferde und Schweine Wertersatz gefordert werde. Sie 75

76 77

Protokolle der Akten: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 26, 58, 37, 65, 20, 64, 62, 19, 93 (9 Verfahren in den Jahren 1613, 1614, 1615), Nr. 26, 58, 65, 64, 62, 12. (6 Verfahren in den Jahren. 1616, 1617, 1618), Nr. 50, 26, 65, 20, 64, 62, 19, 93. (8 Verfahren 1619), Nr. 50, 236, 20, 64, 62, 93 (6 Verfahren 1620), Nr. 50, 26, 20, 64, 93 (5 Verfahren 1621). Danach hört die auffällige Ballung von Inaktivität auf. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 39, Qu. 1, 6. Wie Anm. 75, Qu. 7.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna

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wollten lieber 1000 Taler und mehr entbehren, als von dieser Appellation abzustehen. Dies war die Formel für den Schaden in der actio iniuriarum aestimatoria. Die enorme Höhe der angesetzten Summe macht deutlich, wie umfangreich die Pfändungen gewesen sein müssen. Für den Unmut in dieser Angelegenheit gab es verschiedene Gründe. Zum einen entzogen sich die klagenden Mitnachbarn ihrer Solidarität, in die sie durch die gemeinschaftliche Klage eingebunden gewesen waren, wenn sie die verbliebenen Mitglieder der rechten Gemeinde zwingen wollten, ihnen Wertersatz für die gepfändeten Tiere zu geben. Angesichts ihrer Finanznot brachte dies zudem für die Gemeinde unerwartete neue Belastungen. Zum anderen bedeutete diese Forderung einen Seitenwechsel von den Rebellen zu den Anhängern der Grafen. Für die rechte Gemeinde war dies mittlerweile zu einer ernsten Bedrohung geworden, hatte doch schon die im Mandat vom 10. Oktober 1611 angegebene Zahl von 60 namentlich aufgeführten Parteigängern der Grafen offenbart, dass die Gehorsamen die anfangs größere Partei der Ungehorsamen weit überflügelt hatten. Auf die Appellation hin zitierte das Reichskammergericht am 24. September 1618 die Erbengemeinschaft78. Am 11. Januar 1619 legte der Prokurator der Appellanten die Ladung in der Audienz vor79 verbunden mit einem Verbot vom selben Tag an die gräflichen Räte und Amtleute, weiter mit Exekutionsmaßnahmen fortzufahren80. Auch befahl das Gericht, die genannten Miterben nicht dadurch zu begünstigen, dass sie sie wegen ihres Pferdes und Schweins nicht an den Exekutionen wegen des Steuererhebungsrechts weiter beteiligen würden81. Ebenfalls überreichte er namens der Appellanten die am 13. Oktober 1618 der Laubacher Kanzlei vom Kammergerichtsboten übermittelte Aufforderung, die Akten mit den Bescheiden vom 6. Februar 1618 herauszugeben82. Nachdem die Kanzlei der Aufforderung nachgekommen war, konnte der Anwalt der Appellanten dem Gericht drei Aktenbände übergeben83. Damit war die Appellation so hinreichend eingebracht, dass das Gericht schon am 25. Februar 1619 den Anwalt der Appellanten aufforderte, ein ordnungsgemäßes Appellationslibell einzureichen84. Dem kam dieser am 15. September 1619 nach85. Die Appellaten reagierten darauf mit trotzigen außergerichtlichen Handlungen86. Hermann Schreiner, einer der Miterben, 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Anm. 75. Wie Anm. 75, Prozessprotokoll sub dato. Wie Anm. 75, Qu. 2. Wie Anm. 75, Qu. 3. Wie Anm. 75, Qu. 7. Wie Anm. 75, Prozessprotokoll sub dato 1619 Januar 11. Wie Anm. 75, Prozessprotokoll sub dato. Wie Anm. 75, Qu. 14. Wie Anm. 75, Qu. 15.

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habe Gras einer Gemeindewiese geschnitten, um sich den Ersatz für das Pferd selbst zu holen. Die Appellanten wussten nicht, ob er dies aus eigenem Antrieb oder auf Anstachelung durch andere getan habe. Seine Antwort, wenn sie etwas von ihm fordern wollten, so sollten sie ihn bei seiner Obrigkeit in Laubach verklagen, spricht jedoch dafür, dass er sich des obrigkeitlichen Wohlwollens sicher fühlte. In der Exceptionsschrift vom 24. März 1620 bestritt der Prokurator der Appellaten, dass Schreiner gegen ein kammergerichtliches Verbot gehandelt habe, als er die Wiese abgemäht habe, weil das Reichskammergericht die Appellation zu Unrecht angenommen und Inhibition erlassen habe87. Da die Appellanten ihre notarielle Appellation dem Unterrichter nicht zugestellt hätten, habe dieser das Verfahren fortgesetzt und Schreiner die Exekution in die Gemeindewiese gestattet. Wegen des Zustellungsfehlers habe der Laubacher Richter also nicht gegen das Verbot verstoßen können. Wegen der fehlenden Zustellung der Appellation an den Unterrichter sei der Fall überhaupt nicht ans Reichskammergericht gelangt. Schließlich wäre auch eine zugestellte Appellation als unzulässig abzuweisen gewesen, weil die notwendige Appellationssumme von 300 fl. Hauptgeld nicht erreicht sei. Der Streitgegenstand betrage nur 84 fl. ohne Zinsen. Diese Ausführungen vertieften die Appellaten in einem weiteren Schriftsatz am selben Tag, in dem sie sich auf das Problem des Übergangs des Verfahrens an das Appellationsgericht konzentrierten88. Noch einmal argumentierte der gräfliche Prokurator, dass die Appellationssumme nicht erreicht sei, indem er Vorentscheidungen für diese Ansicht anführte. Die Hauptsumme dürfe nicht dadurch künstlich erhöht werden, dass die Appellanten die Klage des Schreiners mit denen der anderen Miterben verbänden. Auch dazu führte er Vorentscheidungen an. Schließlich trug er vor, dass die Appellation wegen Fristüberschreitung auch desert sei. Nach der Reichskammergerichtsordnung müsse die Appellation innerhalb des nächsten Monats am Reichskammergericht durch Einbringung der ergangenen Urkundenladung anhängig gemacht werden. Die notarielle Appellation vom 18. Mai 1618 sei jedoch erst am 11. Januar 1619 in Speyer eingebracht worden, so dass unbestreitbar acht Monate vergangen seien. Am 27. September 1620 widersprach der appellantische Prokurator in einer Replik dieser Argumentation89. Zum Problem der Appellationssumme wies er noch einmal darauf hin, dass es darauf nicht ankomme, weil es um den Streit mit den Grafen zu Solms-Laubach wegen ihres Steuererhebungsrechts und erst dann um die Wegnahme von Pferden und Vieh gehe, darunter das Pferd des Appellaten Schreiner. Die Grafen hätten ihr bean87 88 89

Wie Anm. 75, Qu. 17. Wie Anm. 75, Qu. 18. Wie Anm. 75, Qu. 19.

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spruchtes Recht durch die Pfändungen gegen die ganze Gemeinde Freienseen gewaltsam durchsetzen wollen. Wenn die Appellanten den Appellaten diejenigen Pferde und dasjenige Vieh bezahlen müssten, das die Grafen gepfändet hätten, würden die Appellaten von der Gemeinde separiert. Die Fälle der Miterben könne man sehr wohl miteinander verbinden, weil dies nicht wegen der Appellationssumme geschehe, sondern weil die Fälle ihren Ursprung in derselben Aktion hätten. Wenn sie diesen das abgepfändete Vieh und anderes erstatten müssten, müssten sie dies mit den anderen auch tun. Die Grafen seien sowohl Partei als auch Richter, die die Pfändungen vorgenommen und das Vieh zu ihrer Haushaltung verwendet hätten. Bei ihnen fürchten die Appellanten, ihr Recht nicht erlangen zu können. Deshalb sei die am Kammergericht rechtshängige Sache nicht bei einem niedrigeren Richter anhängig zu machen sondern müsse am Reichskammergericht beendet werden, wo sie schon anhängig sei. Bezüglich der Appellationsfrist habe das Gericht damals Verlängerung bewilligt, was es ohne triftige Gründe nicht getan hätte. Diese Gründe müsse man den Appellaten jedoch nicht offenbaren, da sie von den Richtern damals für billig gehalten worden seien. Es sei unwahr, dass die Appellation dem Untergericht nicht rechtzeitig zugestellt worden sei. Am 6. April 1618 sei das Instrument ausgefertigt und von einem Gemeindemann aus Freienseen nach Laubach gebracht worden. Dort sei die Urkunde dem Sekretär, der zugleich die Richterstelle innnehabe, verkündet worden. Dieser habe es jedoch nur teilweise gelesen und dann dem Zusteller zurückgeworfen. Damit nichts versäumt werde, hätten sie zwei unparteiische Bürger aus Grünberg gebeten, das Instrument abermals nach Laubach zu tragen und es den solmsischen Beamten und Richtern zu übergeben. Das sei am 23. Mai 1618 geschehen. Sie hätten das Instrument dem Sekretär auszuhändigen versucht, der es jedoch nicht habe annehmen wollen. Er habe es auf die Straße geworfen mit den Worten, es komme von den Freienseenern, und er habe es schon gesehen. Als ein Laubacher Bürger es dort aufgehoben habe, habe er es genommen und alsbald zerrissen. Die beiden Zusteller habe er mit Gefängnis bedroht. Aus diesen Gründen seien sowohl der Appellat Schreiner, der nach der Zustellung der Inhibition sich mit dem Gras der Wiese bezahlt gemacht habe, als auch die Richter voriger Instanz der Strafe der Inhibition verfallen. Die Sache könne nunmehr auch in der Hauptsache zum Definitivurteil kommen. Am 17. Mai 1621 setzte sich der Anwalt der Appellaten noch einmal kritisch mit diesen Argumenten auseinander, wobei er insbesondere nachzuweisen versuchte, dass die Frage der Steuererhebung nicht mehr streitig sein könne, seitdem das Gericht am 10. Februar 1574 und 17. Oktober 1575 sowie am 18. August 1575 entschieden habe, dass die Grafen zu Solms-

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Laubach die ordentliche Obrigkeit der Freienseener seien90. Die Freienseener hätten auch die Steuern der Reichsabschiede von 1495, 1500, 1512, 1518, 1522, 1524, 1544 und dann wieder 1577 anstandslos gezahlt gehabt. Auch müßten sie zugestehen, dass diese Appellationssache nicht die Grafen, sondern nur die Parteien angehe. Am 21. November 1621 vermerkte das Prozessprotokoll completum91. Obwohl damit angedeutet wird, dass ein Bescheid ergehen könnte, blieb eine entsprechende Parteiaktivität im Jahre 1622 aus. Am 18. September 1623 wurde nur noch einmal vermerkt, dass die Akte angesehen worden sei. Damit schließt der Fall, ohne dass eine Sachentscheidung ersichtlich ist. Der Fall gibt Aufschluss darüber, wie sehr es der Laubacher Obrigkeit gelungen war, die Partei der Rebellen zu zermürben. Da sie in finanziellen Nöten steckten, versuchten die Erben eines der Protagonisten des 16. Jahrhunderts aus der dörflichen Solidarität auszubrechen und forderten von ihren Leidensgenossen Ersatz für ein ihrem Erblasser abgepfändetes Pferd. Sie scheuten auch nicht davor zurück, ihre ehemaligen Mitstreiter deswegen vor den gräflichen Räten und Amtleuten zu verklagen. Die Herrschaft war bei diesem Streit nicht direkt an dem Streit beteiligt. Vielmehr waren die Ungehorsamen genötigt, gegen das Urteil zu appellieren. Appellaten waren also nicht die Grafen, sondern Hermann Schreiber als Kläger der ersten Instanz. Dieser musste auf die umstrittene Frage der Steuererhebung und der deswegen vorgenommenen Pfändung nicht eingehen. Die Appellaten brauchten also nicht auf die Sache einzugehen, sondern konnten sich damit begnügen, Argumente gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels vorzubringen. Uneingedenk ihrer eigenen Inaktivität wandten sich die Freienseener im Frühjahr 1618 wieder an den Kaiser mit der Bitte, ihnen mit einem Unterstützungsschreiben in Speyer zu helfen92. Mit bewegten Worten klagten sie ihr Leid, dass ihr freier Flecken seit der Zeit des Grafen Friedrich Magnus I. in seinen Freiheiten, Gewohnheiten, Rechten und Gerechtigkeiten beeinträchtigt werde. Innerhalb dieser 60 Jahre hätten sie in 17 unterschiedlichen rechtshängigen Sachen, die sie in einer beigefügten Liste aufführten, um mancherlei Förderungsschreiben gebeten, weil die Sachen zu Recht beschlossen und submittiert seien, und es doch nicht zu Urteilen gekommen sei. Am 4. April 1618 ermahnte Kaiser Matthias sein Gericht in Speyer, die beschlossenen und submittierten Sachen zu entscheiden. Nur wenig später wiederholte er am 21. Juli 1618 seine Anordnung, die langwierigen Sachen mit Urteil zu beenden. Der Kammerrichter berichtete daraufhin an den Kaiserhof, dass er schon in den 90 91 92

Wie Anm. 75, Qu. 21. Wie Anm. 75, sub dato. Ebenso die beiden folgenden Angaben. HHStA Wien, RHR, Alte Prager Akten 54 42.

Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Anna

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Jahren 1590, 1591 und 1594 in verschiedenen Sachen Entsprechendes veranlasst gehabt habe. Auch wies er darauf hin, dass in einigen Verfahren wie zum Beispiel in der Exekutionssache Bescheide ergangen seien. Auch das letzte Mandat an Landgräfin Anna von 1611 erwähnte er. Damit blieb die Intervention am Kaiserhof in Prag faktisch ergebnislos, weil trotz der Bitte des Kaisers um schnelle Förderung der Prozesse kaum Bewegung in die mittlerweile unübersichtliche Kette von Verfahren kam. Am 16. Februar 1625 informierte ein ungenannter gräflicher Bediensteter seinen Herrn über den Stand der Dinge93. Nach einer Aufzählung der verschiedenen Streitpunkte stellte er nüchtern fest, dass es wegen der Schutzund Schirmgerechtigkeit zu sehr vielen Pfändungen gekommen sei. Hessen habe in Freienseen nur einen Nebenschutz, der die solmsische Obrigkeit nicht beeinträchtige. Das Gericht habe den Grafen die Obrigkeit zuerkannt. Darüber gebe es auch keinen Streit mehr. Als Dienste hätten die Kläger nur eine Holzfuhre jährlich ins Schloss zu leisten. Zu den Hasenjagden müssten nur die solmsischen Leibeigenen kommen. Dagegen seien den Klägern der Weidgang und die Beholzung in den gräflichen Wäldern, die sie von Graf Philipp gehabt hätten, aberkannt worden. Bei den Wahlen zu den Gemeindeämtern stehe der Herrschaft weder vorherige Genehmigung noch nachträgliche Bestätigung zu. Auch sei der Graf nicht befugt, die Dorfrechnungen abzuhören. Die Kläger dürften ohne Zutun der Herrschaft ihre Kirchenbaumeister wählen und die Gefälle zum Kirchenbau erheben, ohne darüber der Herrschaft Rechnung ablegen zu müssen. Nur wenn begründeter Verdacht bestehe, dass mit den Gefällen nicht ordnungsgemäß umgegangen werde, sei eine Inspektion zulässig. Weinschank und Fischerei im Bach seien der Herrschaft zuerkannt worden. So seien eigentlich, resumierte der Berichterstatter, die Hauptpunkte erörtert. Aber weil während dieser Prozesse viele Pfändungen vorgenommen worden seien, hätten die Kläger geraume Zeit stark auf Restitution gedrängt, seien aber bisher aufgehalten worden. Als Graf Hans Georg I. begonnen habe, sie zu Diensten zu zwingen, hätten sie sich stark beklagt, wie sehr sie entgegen Urteilen beschwert würden, und hätten deshalb um Verurteilung in die Poen angehalten. Doch sei in anderthalb Jahren nichts in diesen Sachen am Reichskammergericht verhandelt worden. Auch das Zugeständnis Graf Hans Georgs I., dass die Gehorsamen eine eigene Kuhherde in gräflichen Gehölzen weiden lassen dürften, hätten die ungehorsamen Freienseener beanstandet, weil doch die Urteile angeordnet hätten, dass es nur eine und nicht zwei Gemeinden geben solle. Nachdem die Urteile entschieden hätten, dass man keinen Freienseener zu Diensten zwingen solle, die Herrschaft aber auch nicht genötigt sei, ihnen Weidgang und Brennholz zu 93

Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 129.

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geben, habe Graf Albert Otto I. bezüglich der Gehorsamen gemeint, dass es für die Herrschaft das Beste sei, es bei den Urteilen zu belassen, wonach die Freienseener ihre Freiheiten gebrauchen könnten, aber ihr Vieh aus solmsischem Gehölz und Wäldern ausgeschlossen bleibe. Wenn sie Brenn- und Bauholz benötigten, so solle ihnen dies gegen Barzahlung überlassen werden. Damit bleibe man bei den Urteilen, so dass die Ungehorsamen sich nicht beschweren könnten, und der Herrschaft werde das Holz bezahlt, das früher umsonst hätte gegeben werden müssen. Dieses Facit zählt die Ergebnisse der bisherigen Bemühungen auf und wägt nüchtern die Vor- und Nachteile ab, wobei nach der Anerkennung der Obrigkeit im Dorf viele Nebenhandlungen nur noch weniger wichtig erschienen und etwa der finanzielle Vorteil bei der Einhaltung der Urteile eine größere Rolle spielte. Dieses Votum hätte die Herrschaft von weiteren Aktivitäten in Freienseen abhalten sollen. Trotzdem musste das Reichskammergericht am 5. November 1629 ein Mandat an Landgräfin Anna, ihren minderjährigen Sohn sowie die Brüder und Miterben Graf Albert Ottos I. sowie den Sekretär, Schultheiß, Schöffen, Gerichts- und Landknechte zu Laubach und fünf namentlich genannte gräfliche Parteigänger und auch den Pfarrer zu Laubach erlassen, weil die Laubacher Obrigkeit doch wieder einmal aktiv geworden war94. Noch einmal erinnerte das Gericht daran, dass der rechten Gemeinde zu Freienseen nach verschiedenenen Urteilen und Mandaten die Verwaltung der Kirche zu Freienseen sowie der Gebrauch der Glocken zustehe. Dem regierenden Grafen und seinen Beamten zu Laubach und ihren Parteigängern sei es nicht gestattet, eine Nebengemeinde zu bilden sowie sich die Administration über Weg, Steg, Brunnen und Gehölz anzumaßen. Nicht zuletzt sei es verboten, die Vollstreckung der in Rechtskraft erwachsenen Urteile dadurch zu erreichen, dass man die Kläger pfändet oder beschwert, um sie an der Durchsetzung zu hindern. Dem hätten die Beklagten zuwidergehandelt. Als in Freienseen eine Glocke zerbrochen gewesen sei, hätten die Kläger eine neue Glocke giessen lassen. Nach deren Ablieferung hätten die Glockengiesser eine mit dem Gemeindesiegel beglaubigte Bescheinigung verlangt, dass die Glocke mangelfrei sei, die sie auch bekommen hätten. Die Laubacher Beamten hätten den Glockengießern jedoch am 30. Juni 1629 in Laubach diese Urkunde abgenommen. Am folgenden Tag hätten sie durch den Landknecht Bürgermeister, Kastenvorsteher und etliche Bürger der rechten Gemeinde auf die Kanzlei bestellt und befragt, wer diese Bescheinigung geschrieben habe. Nachdem sich Conrad Beer und Johannes Hess dazu bekannt und gestanden hätten, dem Bürgermeister Curt Heilmann bei der Be94

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 78, Qu. 1. Druck: Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 63–66 = Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 231ff. Nr. LXXXVII.

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siegelung geholfen zu haben, habe der Sekretär den Klägern und der ganzen Gemeinde 200 fl. Strafe zahlbar in drei Tagen auferlegt. Obwohl sich Conrad Beer und etliche andere Gemeindemitglieder darüber beschwert gehabt hätten, sei am 4. August um 4 Uhr morgens der Schultheiß mit dem Landknecht und einigen gräflichen Parteigängern gekommen und hätten Johann Hess zwei Kühe im Wert von 40 Reichstalern, Henrich Schmitt eine Kuh im Wert von 20 Reichstalern, Conrad Beer einen Schorg-Ochsen und eine Kuh, die zusammen 45 Reichstaler wert seien, Johann Seipp eine Kuh von 16 Reichstalern Wert, Conrad Heilmann zwei Schorg-Ochsen zu 50 Reichstalern, Johann Rupp auch zwei Schorg-Ochsen zu 50 Reichstalern gepfändet und abgenommen. Am 24. November 1628 hätten sie wider Urteil und Recht den beiden Söhnen des Johannes Hess und ebenso Heintz Hessens zwei Söhnen 20 Reichstaler wegen einer unverschuldeten Strafe abgedrungen. Der Rentmeister in Laubach habe die vier jungen Leute sogar so lange in den Block spannen lassen, bis für sie die 20 Reichstaler gezahlt worden seien. Am 27. September 1628 habe der Pfarrer auf Befehl der Obrigkeit und zusammen mit den Anhängern der Grafen in der Kirche eine Umfrage durchgeführt, wer nicht zum Gottesdienst gekommen sei. Als die Kläger darauf nicht hätten antworten wollen, weil sie nach den Urteilen dazu nicht verpflichtet seien, habe er gegen sie eine starke Geldstrafe verhängt. Die von der rechten Gemeinde Abgefallenen würden die Gemeindewälder verwüsten und zerstören, weil sie dort täglich nach Belieben Holz schlügen. Mit anderen Worten: Die Kläger würden auf allerlei Art gepfändet, bestraft, inhaftiert oder in den Block gesteckt, so dass die armen Leute, wenn nicht schnelle Hilfe komme, ganz zermürbt würden. Dann würden sie auf ihre so mühsam errungenen Freiheiten und Rechte verzichten müssen und könnten deshalb auch ihre Prozesse nicht fortsetzen. Wenn man in Laubach erfahre, dass jemand von der rechten Gemeinde nach Speyer abgeordnet werde, erfinde man listigerweise nichtige Ursachen (damit niemand sich beklagen könne, dass sie an der Fortsetzung der Verfahren gehindert würden), um ihn geraume Zeit in den Block oder den Turm zu stecken, zu strafen oder zu pfänden. Daher getraue sich schon niemand mehr, einen Gang nach Speyer zu übernehmen. Die Bürgermeister der rechten Gemeinde seien ebenfalls so ungnädig behandelt worden, dass niemand mehr dieses Amt übernehmen wolle. Dieses alles sei auch eine Beschimpfung des Höchsten Gerichts. Deshalb ordnete das Mandat an, dass die Beklagten alle abgedrungenen Kühe und Ochsen zurückgeben oder ersetzen müssten. Für das Holz müsse Ersatz geleistet werden. Vor allem aber müssten die Beklagten von den gegen Urteil und Recht verstoßenden obrigkeitlichen Anmaßungen ablassen. In diesem Mandat wird deutlich, wie wirkungsvoll die von der Laubacher Herrschaft geübte indirekte Methode war. Die Rebellen waren durch ein

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Bündel von Maßnahmen mürbe gemacht worden. Symptomatisch ist die Beanstandung des Testats über die Mangelfreiheit der neu gegossenen Glocke. Stein des Anstoßes war der Gebrauch des Gemeindesiegels. Doch anstatt die eigene Klage wegen Kassation des Wappenbriefes, auf Grund dessen die Gemeinde das Siegel benutzte, weiter zu treiben, wandte man Zwangsmaßnahmen gegen diejenigen an, die bei der Verwendung des inkriminierten Siegels aktiv beteiligt waren, obwohl ein kaiserliches Privileg die Gemeinde zur Führung dieses Wappens berechtigte. Gegen das Mandat wandten sich Landgräfin Anna und die anderen Mitbeklagten am 7. Juli 1630 mit einer Exceptionsschrift sub- et obreptionis95. Sie protestierten gegen die in der Supplikation gegen sie ausgesprochenen Injurien. Das Mandat sei zu kassieren, weil es rechtswidrig erschlichen worden sei. Die Wahrheit sehe anders aus. Zuerst zu der Bestrafung mit 20 Reichstalern. Vor zwei Jahren hätten die beiden Söhne des Johannes Hess zusammen mit anderen Junggesellen zu Freienseen mutwillig und leichtfertig die große Glocke so stark geschlagen, dass sie zerschellt sei. Nachdem dies der Gräfinwitwe vorgetragen worden sei, habe diese die Täter zu 20 Reichstalern Strafe verurteilt. Auch sollten die Missetäter innerhalb eines Vierteljahres auf eigene Kosten und ohne Beihilfe der Nachbarn, da diese unschuldig seien, eine neue Glocke beschaffen. Dem hätten die Beschuldigten nicht widersprochen. Doch hätten die ungehorsamen Kläger eine neue Glocke durch zwei Glockengießer aus Lothringen auf Kosten der ganzen Gemeinde neu gießen lassen. Zusätzlich hätten die Glockengießer auf Betreiben des Dorfes Freienseen ohne Erlaubnis der Obrigkeit neun weitere Glocken für ausländische Dorfschaften gegossen. Nachdem alle neun Glocken fertig gewesen seien, hätten Bürgermeister und Kastenvorsteher den Glockengießern ein seltsames, ungewöhnliches testimonium und Urkunde unter ihrem Dorfsiegel in Form und Gestalt, wie vornehme libere respublicae es pflegen, ausgestellt. Damit hätten sie drei strafbare Injurien begangen. Zum einen hätten sie gesiegelt und geurkundet, was allein ihrer Laubacher Obrigkeit zustehe. Normalerweise müssten sie ihre Briefe und Urkunden vom Gericht und Schultheißen zu Laubach verlangen zumal sie keinen eigenen Schöffenstuhl und Untergericht besäßen. Zum zweiten hätten sie in dem Testimonium gezeigt, dass sie ihre ihnen von Gott vorgesetzte Obrigkeit nicht duldeten. Zunächst hätten sie nämlich den Pfarrer gebeten, für sie das Testimonium für die Glockengießer aufzusetzen. In dessen Bescheinigung sei erwähnt worden, dass Freienseen zur Grafschaft Solms-Laubach gehöre. Doch dann habe sie ein großer Hochmut gegen ihre Obrigkeit gepackt und Hess habe veranlasst, dass zwei aus ihrer Mitte, nämlich Conradt Bohns 95

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 78, Qu. 2.

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und Johannes Hess, ein neues Testimonium schrieben, in dem der Name ihrer Herrschaft ausgemustert worden sei. Dies geschah, obwohl einer der Ihren, Johann Jung alias Pfaffenbecker, dagegen sogar öffentlich protestiert habe. Zum dritten hätten sie als Aussteller des Testimoniums Bürgermeister und Baumeister genannt. Dabei hätten einer der Bürgermeister und einer der Baumeister in einem Entschuldigungsschreiben gesagt, dass sie davon nichts gewusst und nicht darin eingewilligt hätten. Damit hätten die Urkundenaussteller eine offenkundige Fälschung begangen. Diesen extremen Ungehorsam und Verachtung habe die Gräfinwitwe strafen müssen. Sie habe daher von den Delinquenten 200 Reichstaler Strafe gefordert. Da sie diese Strafe nicht bezahlt hätten, sei ihnen das Vieh gepfändet worden, das nach realistischer Schätzung 200 Reichstaler wert sei, auch wenn die Kläger wider besseres Wissen, wie immer, höhere Werte ansetzten. Da die Sache aus einer Missetat erwachsen sei und die Herrschaft Solms-Laubach als Obrigkeit im Dorf Freienseen die Strafgewalt besitze, sei die Strafe zulässig. Was nun die Umfrage in der Kirche betreffe, so verletze dies nicht die der Gemeinde zugesprochene Kirchenverwaltung. Diese beziehe sich nur auf die Einsammlung und Verwaltung der Kirchengefälle. Solche Umfrage, wer den Kirchgang versäumt habe, betreffe aber das sacrum ministerium. Dieses stehe, wie in langen Ausführungen dargelegt wurde, in der reichsunmittelbaren Grafschaft Solms-Laubach den Grafen zu. Deshalb dürfe die Herrschaft auch in Freienseen eine Kirchenordnung aufrichten und Verstöße dagegen strafen. Gegen die angebliche Verwüstung und das tägliche Holzschlagen im Gemeindewald sei nicht am Reichskammergericht zu klagen sondern am Stadtgericht zu Laubach. Schließlich sei den Klägern die Behauptung, die Herrschaft peinige, pfände und strafe die Bürgermeister, um sie von der Fortsetzung der Prozesse abzuhalten, als eine ehrenrührige Behauptung zu untersagen. Das Mandat sei insgesamt also durch falsche Tatsachen erwirkt und daher zu kassieren. Nachdem der klägerische Anwalt am 18. März 1631 mehrere weitere Verstöße gegen Mandate gerügt hatte, zu denen die Beklagten keine Parition erklärt hätten, trat der Reichsfiskal am 23. Juni 1631 dem Verfahren bei96. Der Prokurator der Freienseener meinte am 27. Januar 1632, dass die von den Beklagten bestrittenen Verstöße gegen die Mandate durch sein Vorbringen erwiesen seien. Da zudem wegen neuer Verderbnis Gefahr im Verzug drohe, bat er um ein schnelles Urteil97. Trotzdem ist auch in diesem Fall keinerlei

96 97

Prozessprotokoll sub datis, Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 78. Wie Anm. 75, sub dato.

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Aktivität zu beobachten. Schließlich endete das Protokoll mit der Bemerkung revisio zum 23. Juni 166598. Welcher der beiden Darstellungen das Gericht den Vorzug gegeben hätte, ist also nicht bekannt. Ohne diese zeitgenössische Beurteilung ersetzen zu wollen, kann doch gesagt werden, dass die Darstellung der Beklagten in sich schlüssiger klingt als die der Kläger, bei denen der Vorfall wie grundloses, willkürliches Handeln der Obrigkeit ohne erkennbare Rationalität wirkt. Immerhin zeigt dieses Verfahren, dass auch die Landgräfin Anna als Regentin für ihren Sohn Graf Albert Otto II. durchaus tatkräftig durchgreifen ließ, wenn sie eine herrschaftliche Position gefährdet glaubte.

10.3.

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Nachdem der Erbgraf 1631 die Regierung in der Grafschaft Solms-Laubach übernommen hatte, begann eine neue Phase intensiveren obrigkeitlichen Handelns in Freienseen, mit dem der neue Landesherr die der Herrschaft 1625 aufgezeigten Spielräume für obrigkeitliches Handeln gegen Freienseen testete. Am 21. Februar 1631 befahl der gräfliche Sekretär Albrecht Otto Billgen den Freienseenern Johannes Schreiner und Johannes Jung, bis Freitag im Rat zu erscheinen99. Zusammen mit diesen zwei Geladenen erschienen vier Supplikanten mit den Vormündern der Kinder von Elisabeth Jakob Reppens seliger Tochter und behaupteten, es sei in der Gemeinde Freienseen üblich, dass Unmündige von der Kriegskontribution befreit seien. Auf Befehl der Obrigkeit hätten die Vormünder die Güter ihrer Mündel verkaufen müssen. Bei diesem Kauf sei, als sich Käufer eingestellt hätten, das Kaufgeld als gewöhnliche Pension stehen geblieben. Die Erwerber hätten von dem gekauften Gut Kontributionen zahlen sollen, was sie zusätzlich zu den Pensionen nicht hätten leisten können. Obwohl die Käufer nur entweder die Kontributionen oder die Renten hätten zahlen können, die Kontributionen aber jeweils Vorrang hätten, würden somit die Kinder indirekt mit Kontributionen belastet, weil sie ihre Pensionen dann nicht bekämen. Die armen Käufer ersuchten daher den Grafen, ihnen wenigstens teilweise die Kontributionen zu erlassen, weil sie sich sonst des gekauften Gutes kaum erfreuen könnten. Damit tat sich ein neues Problemfeld auf, das die Untertanen der Grafen zu Solms-Laubach

98

99

Wie Anm. 75: 1649 November 27 completum; 1658 Juni 23 visum; 1662 Mai 28 completum. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129.

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noch lange beschäftigen sollte, nämlich die Aufbringung der Kriegskontributionen. Wie dieser etwas komplexe Fall ausging, ist nicht ersichtlich. Alte Streitpunkte griff die Laubacher Kanzlei mit ihrem Befehl vom 22. Februar 1631 auf, mit dem sie den Untertanen zu Freienseen 20 fl. Strafe wegen Holzdiebstahls aus den Wäldern der Herrschaft und auch dem zu Zeiten verschlossenen Tiergarten auferlegte100. Zusätzlich ordnete sie an, dass niemandem aus Freienseen zukünftig Holz gegen Bezahlung gegeben werden solle, bevor er nicht seinen Anteil aus der Gemeinde Gehölz verbraucht habe und damit zu seiner Notdurft nicht auskomme. Durch den Holzverkauf werde nämlich sowohl die herrschaftliche Jagdgerechtigkeit gestört als auch durch die Holzfuhren die Äcker und Wiesen der Lartenbacher beschädigt. Die Bürgermeister und ihre Anhänger müssten dafür sorgen, dass dies nicht mehr geschehe. Sonst würden sie bestraft und zum Schadensersatz angehalten. Als dieser Befehl am 25. Februar 1631 nach Läuten der Glocke hätte verlesen werden sollen, hätten sich Bürgermeister und Ungehorsame geweigert, die Glocke zu ziehen oder sie durch den Landknecht oder Förster ziehen zu lassen101, womit der alte Konflikt um das Glockenläuten erneuert wurde. Da sie vorgaben, nicht zu wissen, wo sich der Kirchenschlüssel befinde, sei die Kirche durch einen Schlosser geöffnet worden, damit die Glocke gezogen und danach der Befehl den Untertanen habe verkündet werden können. Nach der Umfrage der Anwesenheit sei jedoch nur festzustellen gewesen, dass die Ungehorsamen nicht erschienen seien. Dies war ein neuer Versuch, das seit jeher umstrittene Glockenläuten für herrschaftliche Zwecke durchzusetzen. Im darauf folgenden Jahr versuchte die gräfliche Verwaltung, die im Ratschlag von 1625 aufgezeigte Ausnahme vorzubereiten, um die Rechnungen der Gemeindeamtsträger trotz gerichtlichen Verbots doch kontrollieren zu dürfen. Am 13. Februar 1632 schrieb die Laubacher Kanzlei dem Schultheiß zu Oberseen, die Bürgermeister zu Freienseen hätten über drei Jahre hin keine Gemeinderechnung abgelegt, obwohl sie aus des Dorfes Gemeindewäldern Bau- und Brennholz verkauft hätten und dort zum Schaden ihrer Nachkommen sinnlos wüteten102. Graf Albert Otto II. wolle daher eine obrigkeitliche Inspektion vornehmen. Dazu solle der Schultheiß seine Amtsangehörigen vor sich laden und sie bei einem Eid examinieren, wer in diesen Jahren wie viel Bau- und Brennholz und wer wie viele Eichen- und Buchenstämme aus den Freienseener Wäldern von wem bekommen habe. Wie hoch diese veranschlagt worden und wann und an wen sie bezahlt worden seien. Auch sei festzustellen, was den Bürgermeistern als Weinkauf, also als Abgabe 100 101 102

Wie Anm. 94. Rückseite des Zettels wie Anm. 94. Wie Anm. 94.

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zur Bekräftigung des Kaufes, gezahlt worden sei. Am 19. März 1632 berichtete der Schultheiß über das Ergebnis seiner Bemühungen, Licht in die Geschäfte der Gemeindebeamten zu bringen103, ohne dass erkennbar wird, welche Konsequenzen die Verwaltung daraus gezogen hat. Ein Jahr später versuchte die Herrschaft, auf andere Weise ihren Anspruch auf Kontrolle der Wege, Stege und Brücken und der durch gräfliche Gewaltmaßnahmen verunsicherten Gemeindeverwaltung des Dorfes Freienseen durchzusetzen. Am 2. Januar 1633 teilte die Laubacher Kanzlei mit, dass etliche Freienseener sich über die rebellischen und flüchtigen Bürgermeister und Baumeister zu Freienseen beklagt hätten, weil diese der Gemeinde Wege, Stege und Brücken wegen ihrer Abwesenheit hätten verfallen lassen104. Auch lüden sie nicht zur rechten Zeit zur Gemeindeversammlung und ließen nicht erheben, wie viel das Dorf gemeinsam an Hafer eingekauft und wie viel Zinsen es eingenommen habe. Die Wälder und die Waldschützen ließen sie nicht annehmen. Deswegen seien sowohl Früchte verfallen als auch die jungen Buchen durch allerhand Gestrüpp geschädigt, ohne dass die frevelnden Gemeindemitglieder bestraft worden seien. Überdies habe auch der Baumeister nicht die Kirchengefälle eingezogen und die Kirche nicht reparieren lassen. Nicht einmal die Hostien und der Wein zur Kommunion seien zur gehörigen Zeit bereit gewesen. In Summa: Alle gemeinen Sachen seien zugrundegerichtet worden. Sie unterliefen mutwillig ihre Pflicht zur Erhebung der Kontribution und anderer Gemeindeaufkommen. Auch sei die Zuwahl neuer Amtsträger unterblieben. Deshalb befahl die Herrschaft den Bürgermeistern und Baumeistern, ihr Amt nach Gebühr und Herkommen wahrzunehmen, damit keine weiteren Klagen kämen. Ihre Bestrafung nebst Berechnung des durch Vernachlässigung ihrer Pflichten entstandenen Schadens an der Kirche, im Dorf, den Feldern und Wäldern behielt sich die Obrigkeit ausdrücklich vor. Zuletzt befahl die Herrschaft denen, die grundlos und meineidig ausgerissen seien und strafbare Lügen zu verbreiteten, als ob die Herrschaft sie zu Diensten verurteilen und dem Herkommen zuwider zu den unwürdigsten Aufträgen zwingen wolle, sich binnen 14 Tagen nach öffentlicher Publikation dieses Dekrets in ihre Wohnung zu begeben und das zu tun, was getreuen und gehorsamen Untertanen gebühre. Dem Förster zu Freienseen wurde befohlen, demnächst der Kanzlei ein Verzeichnis abzuliefern mit Angaben, in welcher Zeit die Bürgermeister und andere beim Ausschuss nicht erschienen seien und gleich den anderen ihre Schuld offen gelassen hätten, so dass sie bestraft werden könnten. Wenn flüchtige Personen nicht erschienen und durch sie dem Dorf weiterer Schaden und Nachteil entstehe, so solle streng mit ihnen ver103 104

Wie Anm. 94. Wie Anm. 94.

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fahren werden, um ein Exempel zu statuieren, indem man ihnen ihre Weiber und Kinder nachschicke. Dieses Dekret zeigt an, wie ernst die Lage durch die Angst vor neuer Gewalt geworden war. Das Gemeindeleben war grundlegend gestört, weil die Amtsträger flüchtig waren und deshalb ihre Pflichten nicht erfüllen konnten. Auch die Abwesenheit anderer Gemeindemitglieder hatte die wirtschaftliche Grundlage des Dorfes so sehr beeinträchtigt, dass die Herrschaft es zu spüren bekam, weil Abgaben und Zinse nicht ordnungsgemäß gezahlt werden konnten. So litten beide Parteien unter der gewalttätigen Ausweitung des Streites. Graf Albert Otto II. versuchte, durch dieses Dekret wieder Ordnung in das Dorf zu bringen, was wohl kaum gelingen konnte, solange den Bauern nicht ihre Angst vor weiteren Gewaltakten der Herrschaft genommen wurde. Zusätzlich zu dieser heillosen Situation im Dorf Freienseen braute sich in Speyer juristisches Ungemach zusammen. Das Mandat vom 12. April 1633 schlug zwar dem Prokurator der Freienseener die Strafe und ein schärferes Mandat noch zur Zeit ab, forderte aber den solmsischen Prokurator auf, endlich anzuzeigen, dass dem verkündeten Urteil gehorcht worden sei105. Auch sollten die Beklagten bezüglich anderer Klagen auf den Rezess nebst Beilagen vom 26. Januar 1632 binnen drei Monaten antworten. Dieses Mandat löste lebhafte Beratungen zwischen der Laubacher Kanzlei und Dr. Andreas Causedemius in Friedberg aus, der Solms-Laubach als juristischer Ratgeber diente. Dieser schrieb am 1. Mai an den gräflich solmsischen Rat und Amtsverweser, dass er wegen des jüngst zu Speyer ergangenen Paritonsurteils höchst erschrocken sei106. Die Urteile, zu denen man Gehorsam anzeigen solle, seien teilweise vor 60 und mehr Jahren ergangen und rechtskräftig geworden. Wenn dazu nicht in dem genannten Termin Parition doziert werde, so erwarte die Herrschaft Solms-Laubach nicht allein großer Schimpf, sondern sie werde auch in die Strafe der Mandate verurteilt werden und schärfere Mandate erhalten. Wenn das Gericht mandata sine clausula vel cum clausula erlasse, so könne man dem unterschiedlich begegnen und sogar Kassierung erwirken. Seien dazu jedoch schon Paritionsurteile ergangen und dieselben in rem judicatam erwachsen, so müsse notwendig paritio dociert werden bei Vermeidung der angedrohten Poen. So sei es jetzt. Da er krank sei, könne er nicht nach Laubach kommen, sondern bitte den Amtsverwalter, sich unverzüglich zu ihm zu verfügen, da er wegen der ganzen Sachen allerhand mit ihm zu besprechen habe. Dass dieses Treffen schon stattgefunden hatte,

105

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Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 234f. Nr. LXXVIII; Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 10) S. 67. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 129, sub dato.

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als Dr. Causedemius am 5. Mai 1633 erneut nach Laubach schrieb107, ist zu bezweifeln. In diesem Brief erinnerte er daran, dass die Freienseener in der Zeit, in der er solmsischer Diener gewesen sei, zwei Mandate ausgebracht gehabt hätten. Er sei diesen so begegnet, dass die Herrschaft deswegen nichts zu befürchten gehabt habe. Doch habe er dem Sekretär Billgen immer gesagt, dass es mit den alten Mandaten anders sei, die vor 60 und mehr Jahren ausgebracht worden und zu denen dann Endurteile ergangen seien. Vom Reichskammergericht in Speyer sei keine Appellation zulässig. Da auch die Revision versäumt worden sei, seien diese Urteile rechtskräftig geworden, so dass nun wegen des ergangenen Bescheids Parition erklärt werden müsse. Da er von dem im Bescheid erwähnten Rezess vom 26. Januar 1632 nebst Beilagen keine Kopie besitze, bitte er um Zusendung einer Abschrift, damit er das Nötige veranlassen könne. Mit der Mahnung, dass Prozesse am Reichskammergericht zwar langsam gingen, aber sehr scharf schnitten, wollte dieser offenbar erfahrene Jurist die Laubacher Regierung zu größerer Sorgsamkeit ermahnen. Da es jetzt nur um die Parition voriger Urteile gehe, die er schon besitze, brauche der Amtsverwalter die sehr weitläufigen Akten der Freienseener Sachen zu ihrem Treffen nicht mitzubringen. Am 17. Mai 1633 sandte Dr. Causedemius den Entwurf einer Exceptionsschrift zu dem Rezeß vom 26. Januar 1632 mit zwei Extrakten vom 2. und 3. Dezember, die der Adressat nebst dem Paritionsinstrument signieren und dem Prokurator nach Speyer schicken solle108. Er entsinne sich, dass der Sekretär Billgen ihm mehrfach gesagt habe, man könne die Parition der ergangenen Bescheide zur Genüge bescheinigen. Deshalb solle man alle Protokolle sorgfältig durchsehen, ob darin Quittungskopien wegen des abgepfändeten Viehs erwähnt würden und wann sie dem Gericht übergeben worden seien. Da die Protokolle nicht umfangreich seien, sollte ihre Durchsicht leicht möglich sein. Der Sekretär Billgen habe ihm Kopien von sieben Bescheiden übermittelt. Im Termin müsse zu allen Parition erklärt werden. Am 23. Mai 1632 übersandte Dr. Causedemius dem Laubacher Amtsverwalter Caspar Grill das gewünschte Konzept eines Paritionsinstruments109. Er werde das Instrument, wenn sie es für gut befänden, zur Mundierung zurückerwarten und es dann abfertigungsreif machen. Dies war am 24. Juni 1633 noch nicht geschehen, wie sich aus einer Mahnung aus Friedberg ergibt110. Zugleich erinnerte er noch einmal daran, auf keinen Fall den Termin der Parition zu versäumen. Auch solle der Adressat unbedingt die Protokolle wegen über107 108 109 110

Wie Anm. 101, sub dato. Wie Anm. 101, sub dato. Wie Anm. 101, sub dato. Wie Anm. 101, sub dato.

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reichter Quittungen gepfändeten Viehs durchsehen, die zusammen mit dem Paritionsinstrument rechtzeitig nach Speyer geschickt werden müssten. Doch die Laubacher Regierungsräte mussten auch über andere Vorschläge nachdenken. Am 28. Juni 1633 hatte Thomas Müll aus Giessen dem solmsischen Sekretär Billgen zu Laubach brieflich Rat erteilt, wie man die Freienseener in Verlegenheit bringen könne111. Er erinnerte daran, dass jetzt die Zeit komme, zu der die Freienseener ihre Bürgermeister, Baumeister und Heimburger zu wählen pflegten. Man solle veranlassen, dass sich die gesamte Gemeinde am rechten Ort versammele und dort wähle. Wer dabei die meisten Stimmen bekomme, müsse dieses Jahr dienen. Diese Überlegung spielt mit dem Gedanken, dass sich niemand mehr für diese Ämter zur Verfügung stellen wolle, so dass der Graf beim Scheitern der Wahl einen Grund zum Eingreifen habe. Bei den Rechnungen dürfe der Graf nur dann aktiv werden, wenn er Beschwerden über die Rechnungsführung bekomme. Deshalb solle man dafür sorgen, dass die Amtsträger unter Zeugen gezwungen würden, einen Beschluss der ganzen Gemeinde herbeizuführen. Dann könne die ganze Gemeinde entscheiden, ob es dabei sein Bewenden haben solle. Legten sie die Sache nicht der ganzen Gemeinde vor, so könne man der ganzen Gemeinde anheimstellen, sich darüber bei der Kanzlei zu beklagen. Wenn die Citation ergangen und zugestellt sei, könne man, falls die Geladenen ungehorsam ausblieben, wegen trotzigen Ungehorsams gegen sie vorgehen und deswegen Zwangseinweisung in ihre Güter fordern. Wenn sie auch nach der dritten Ladung ausblieben, müsse man sie nur noch einmal zum Anhören des Urteils zitieren, damit der Einweisungserlass ergehen könne. Auf diese Weise werde nach dem Recht vorgegangen, und die Rebellen könnten sich nicht über ein unrechtmäßiges Vorgehen beschweren. Damit könne man also allenthalben bestehen. Dieser Ratschlag aus Giessen beschreibt in allen Einzelheiten präzise das, was die Laubacher Herrschaft schon seit Jahren praktizierte. Doch es gab auch andere Tendenzen. So schrieb Johann Reinhard Ruppell aus Giessen112 an Caspar Heil seinen lieben Schwager und Gevatter, damals gräflicher Amtsverwalter113, dass er von dem Brief des Grafen Albert Otto II. an den hessischen Kanzler Dr. Wolffen erfahren habe. Allseits sähe man es gern, wenn der Sache irgendwie abgeholfen würde. Die armen Leute wanderten nun schon so lange Zeit trotz des hessischen Schutzes im Elend herum. Er bat seinen Schwager, beim Grafen zu erreichen, dass man zu Giessen durch 111 112

113

Wie Anm. 101, sub dato. Ruppell stand offenbar in landgräflichen Diensten. Er war einer der Delegierten, der den Marburger Vergleich für Landgraf Georg II. aushandeln und unterschreiben sollte. Wie Anm. 101, sub dato.

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beider Herrschaften Räte und Diener zusammenkomme und über die Streitpunkte eine gütliche Konferenz halte. Dabei könne man sich auch besser verstehen lernen und sich ohne weitere Weitläufigkeit erbaulich vergleichen. Dieser erste Versuch, die heillos verfahrene Situation durch gütliche Verhandlungen aufzulockern und vielleicht zu einem guten Ergebnis zu kommen, löste beim Adressaten jedoch nur ein kühles und distanziertes Echo aus. Im Februar 1634 antwortete er, dass in dieser Sache der Graf selbst entscheiden wolle und müsse114. Der Schreiber halte es nicht für richtig, dem Grafen zu einer solchen Zusammenkunft zu raten. Diesem seien durch kammergerichtliche Urteile alle hoheitlichen Rechte über das Dorf Freienseen zugesprochen worden, so dass alle Einwohner aktiv und passiv in Erster Instanz vor dem Grafen ihr Recht nehmen müssten. Weshalb also solle der Graf auf ein solches Urteil verzichten und sich auf Vergleichsverhandlungen einlassen? Unternehme allerdings der Fürst von Hessen etwas, was er nicht hoffe, so könne der Graf sich in seinem und des Kammergerichts Recht leicht schützen lassen. Wenn die Freienseener Rebellen sich seiner Gerichtsbarkeit entzögen und im Lande herumliefen, so sei dies ihr freier Wille. Diese Stellungnahme verließ nicht den Rahmen überkommener juristischer Überlegungen und beharrte starr auf dem, was Solms-Laubach im Laufe der Jahre errungen zu haben glaubte. Dass auch die Rebellen sich in Speyer Positionen hatten sichern können, die der Herrschaft zuwider waren, wurde nicht einmal erwähnt. Die Flucht so vieler Einwohner des Dorfes als freiwillig zu bezeichnen, zeugt zudem von einer Verkennung der Realitäten. Wenn diese Umstände bei der Beratung des Grafen nicht berücksichtigt wurden, gab es wenig Hoffnung, dass dieser durch den Rat solcher Ratgeber zum Nachgeben bewogen werden könnte. Diesen Stand der Dinge spiegelt ein am 4. März 1634 verfasster Extrakt von 27 Gegeneinwänden Graf Albert Ottos II. zu den von Freienseen erwarteten Vorträgen auf einer Konferenz in Frankfurt, über deren Verlauf oder gar Ergebnis nichts bekannt ist115. Vorab wurde festgehalten, dass dem Haus Solms-Laubach nach dem kammergerichtlichen Urteil vom 20. September 1575 die hohe und niedere Obrigkeit im Dorf Freienseen zustehe. Das Weimarer Laudum von 1569 habe auch festgestellt, dass Hessen im Dorf nur einen Schutz ohne Gerichtsbarkeit besitze. Das habe Landgraf Georg II. mit Schreiben vom 3. Juli 1633 auch zugestanden. Es folgt eine ausführliche, teilweise sogar weitschweifige Darstellung des Konfliktverlaufs, die ungebrochen und unreflektiert die solmsische Sicht der Dinge wiedergibt. Die von 114

115

Undatiertes Konzept eines Antwortschreibens, das sich auf eine Mahnung vom 11. Februar bezieht: Wie Anm. 98, sub datis. Wie Anm. 101, sub dato.

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Johann Reinhard Ruppell in seinem Brief vom 11. Januar 1634 an seinen Schwager geäußerte Hoffnung, man werde sich bei einer solchen Zusammenkunft etwas besser verstehen lernen können, konnte mit diesen Weisungen zu der Frankfurter Konferenz kaum in Erfüllung gehen. Allerdings gibt dieser Text interessante Einblicke in die Motivation der Herrschaft, die glaubwürdiger sind als Erklärungen gegenüber dem Gegner oder dem Gericht, weil sie nur für den internen Gebrauch bestimmt waren. So erscheint die gelegentlich nur allgemein geäußerte Befürchtung, andere Untertanen könnten zu ähnlichem Ungehorsam animiert werden, als sehr konkrete Bedrohung, wenn der Graf berichtet, am 9. Februar 1622 hätten schließlich 103 Untertanen, weil sie der Herrschaft Weide und Beholzung nicht hätten missen wollen, gleich anderen Dorfschaften auf diese Verbote und Rechtfertigung verzichtet. Ebenso wird deutlich, dass die bislang nur indirekt erschlossene neue Taktik, als Obrigkeit möglichst nur indirekt in Erscheinung zu treten, sondern die Situation so zu lenken, dass die Sache ans Gericht kam, bewusste Politik war. Deutlich spricht der Graf aus, dass die Herrschaft habe vermeiden wollen, direkte Angriffsflächen zu bieten. Wenn er als Grund dafür anführt, aus Güte und Milde gegenüber den irregeleiteten Untertanen gehandelt zu haben, so mag er damit seine eigene Überzeugung ehrlich wiedergeben. Zugleich aber verschweigt er, dass damit vor allem Konflikte wegen Missachtung kammergerichtlicher Mandate und Urteile vermieden werden mussten. Gegenüber einer zu positiven Einschätzung dieser Angaben ist ebenso Vorsicht geboten wie gegenüber prononciert diskreditierend gemeinten Berichten über sittenlose Verhaltensweisen der ungehorsamen Freienseener. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, die Rebellen vernachlässigten ihre Pflichten, erwähnte Graf Albert Otto II. auch, sie hätten keine Vorsorge für das Abendmahl getroffen, so dass bei einem Gottesdienst Hostien von benachbarten Orten hätten geholt werden müssen. Dieser Punkt veranlasste Graf Albert Otto II. auch noch zu weiteren Assoziationen über die strafbare Unchristlichkeit der Freienseener, auch wenn sie mit der Vernachlässigung von finanziellen Pflichten keineswegs zusammenhingen. Ihr Glöckner habe einige Zeit nach dem Abendmahl noch während des Gottesdienstes den gesegneten Kelch ausgetrunken, was als Blasphemie galt. Die Weiber seien in Abwesenheit der Männer auf den Altar gekrochen. Weitere Angaben zur Vernachlässigung der Pflichten durch die Ungehorsamen und deren Folgen passen wieder gut zu Hinweisen aus anderen Quellen, wenn es um Taten gegen gräfliche Amtsträger im Dorf ging. Die Rebellen hätten, berichtete der Graf, dem Pfarrer und dem Förster zu Freienseen das diesen Zustehende auf dem Feld teils nicht geerntet, teils verderben lassen und andererseits die gemeinen Erhebungen der Herrschaft überzogen, so dass sie eine Zeit lang 20 Maß Hafer hätten wieder herausgeben müssen. Das Mast-

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geld, das in kleinen Gulden geschuldet werde, hätten sie in großen erhoben, so dass sie an die 30 fl. bei der Gemeinde übermäßig eingenommen gehabt hätten. Glaubhaft ist wieder Graf Albert Ottos II. Empörung darüber, dass die ungehorsamen Untertanen ihn bei in- und ausländischen Stellen mit ehrverletzenden Anzeigen diffamiert hätten, als ob er den hessischen Nebenschutz gänzlich aufheben wolle und die Freienseener auch deswegen zum Abschwören nötige. Sie verbreiteten auch die Lüge, dass die zwischen Solms-Laubach und Hessen gesetzten Marksteine verdeckt würden. Ihre hergebrachten Freiheiten, behaupteten die Freienseener, wolle der Graf aufheben. Diejenigen, die dem hessischen Nebenschutz nicht abschwören wollten, lasse er als Rebellen und Aufrührer behandeln und belege sie ohne Prozess mit hohen Strafen. Man schlage sie wie das Vieh und beschwere sie mit zwei weiteren wöchentlichen Diensten. Wegen dieser Vorwürfe hole er sie aus ihren Häusern, lasse die Betten durchstechen, so dass sie in ihren vier Wänden nicht ohne Gefahr für Leib und Leben bleiben könnten. Diejenigen, die die Gräflichen anträfen, würden in gefährlichste Gefängnisse gebracht bis sie sich aller Rechtsmittel und Prozesse, sowie ihrer Freiheit und des Hessischen Schutzes begäben. Diese Vorwürfe gegen seine Unschuld habe er zu gräflichem Gemüt gezogen und sei bedacht gewesen, sie ernst zu nehmen. Um nicht aus privaten Affekten oder Einbildung seiner Diener verleitet zu werden, habe er die ganze Beschaffenheit der Sache der Kölner Juristenfakultät vorgelegt. Ob sich Graf Albert Otto II. damit auf das 1612 eingeholte Gutachten bezog116 oder ob er die Kölner neu bemüht hatte, ist nicht zu ermitteln. Das von ihm referierte Ergebnis der Kölner Rechtsgelehrten, dass die Gehorsamen und Ungehorsamen eine einzige Gemeinde bilden müssten und die Herrschaft bei Streit über die Rechnungslegung nur auf Anfordern einer Partei eingreifen dürfe, sprach nur dem Wortlaut nach gegen den Grafen. Inhaltlich konnte er sich darauf verlassen, dass seine in die Gemeinde zu integrierenden Parteigänger den Mechanismus in seinem Sinne nutzen und gegebenenfalls sein Eingreifen erbitten würden. Ihre Freiheiten habe er ihnen bei seinem Regierungsantritt bestätigt und sie seitdem gehalten, was nur die Rebellen bestritten. Über den hessischen Nebenschutz habe es seit dem Weimarer Laudum und dem dazugehörenden Tübinger Rechtsgutachten kaum Differenzen gegeben bis jetzt die meineidigen Untertanen zu allerhand gefährlichen Praktiken gegriffen hätten. Er aber habe die Schutzgerechtigkeit niemals angegriffen, sondern sogar den Gehorsamen befohlen, das Schutzgeld zu zahlen. Als dies geschehen sei, sei es jedoch wieder zurückgeschickt worden. Wenn Hessen das Eigentum der ungehorsamen solmsischen Untertanen schützen wolle, 116

Kap. Anm. 74.

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so könne es das nur gegen gerichtliche Erkenntnisse zugunsten des Inhabers der Obrigkeit tun. Die Ungehorsamen hätten ihn bei hohen und niederen Standespersonen mit Injurien diffamiert, die keine Obrigkeit dulden müsse. Kein Unparteiischer könne ihm verdenken, dass er dagegen die äußersten Mittel zur Hand genommen habe. Dieses und was die Beschaffenheit der ganzen Sache erfordere, würden die gräflichen Diener gebührend vorzubringen wissen und dabei darauf bedacht sein, dass ihm nichts zum Präjudiz oder Nachteil geschehe. Mit welchem Erfolg die gräflichen Delegierten auf der Frankfurter Konferenz diese Positionen hätten durchfechten können, ist unbekannt. Doch gibt es Zeugnisse dafür, dass sich Hessen eingeschaltet hat. Am 30. Dezember 1633 versuchte Graf Albert Otto II., den einflussreichen hessischen Kanzler durch Bestechung für die eigene Sache zu gewinnen. Er versicherte Dr. Wolf, dass er zu seinen Gunsten ein Kapital von 200 fl. anlegen wolle, dessen Zinsen ihm Jahr für Jahr zukommen solle117. Wenn es dem Herrn besser gefalle, könne er aber auch die Summe sofort bekommen, weil dem Grafen daran liege, alles aus dem Weg zu räumen, was Differenzen verursachen könnte. Das Schreiben kam erst am 11. Januar in Giessen an, von wo Dr. Wolf am folgenden Tag freundlich aber ablehnend antwortete118. Ohne auch nur eine Andeutung zu dem Geldangebot zu machen, schilderte Dr. Wolf, dass des Landgrafen Vorfahren sich sehr um die Schutzgerechtigkeit in Freienseen bemüht hätten. Landgraf Georg II. habe sich die etliche Bände umfassenden Freienseener Akten in sein Gemach bringen lassen und darüber mit seinen Räten und Advokaten, die damit schon etliche Monate lang beschäftigt gewesen, zwei Sitzungen von dreieinhalb Stunden abgehalten. Da könne er als sein ihm verpflichteter Diener es nicht verantworten, um seines eigenen privaten Nutzens willen seinem Herrn zu raten, sich so klarer und heller Rechte zu begeben, zumal dies ohnehin frucht- und wirkungslos sein würde. Er riet Graf Albert Otto II. daher, es bei den bislang üblichen Wegen nämlich einer gütlichen Konferenz, die jetzt wieder vorgeschlagen worden sei, zu belassen. Was er zu solchen friedlichen Vertragsverhandlungen als treuer Diener beitragen könne, wolle er gern leisten. Der Versuch Graf Albert Ottos II., Hessen-Darmstadt durch Zuwendungen an den hessischen Kanzler Dr. Wolf zu seinen Gunsten zu beeinflussen, war damit gescheitert. Er war vielmehr vollends auf die Frankfurter Konferenz verwiesen. Wenig später wurde das Reichskammergericht wieder aktiv. Am 28. März 1634 urteilte es wegen Vollstreckung früherer Mandate und Urteile, dass das Begehren der Kläger, die Beklagten in die Poen zu erklären, noch zurzeit ab117 118

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 240 Nr. XCI. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 240f. Nr. XCII.

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geschlagen werde119. Entgegen den Befürchtungen von Dr. Causedemius konnte sich das Gericht also auch in diesem Fall wieder nicht zur Verurteilung der Beklagten in die Poen durchringen. Es gab ihnen vielmehr nochmals eine Gelegenheit anzuzeigen, dass sie den Mandaten und Urteilen wirklich nachgelebt hätten. Vor allem sollten alle den Erkenntnissen entgegenstehenden und dem Herkommen der alten und wahren rechten Gemeinde nachteiligen Kontraventionen und neuerlich verübten Tathandlungen abgeschafft werden. Die unerwartete Milde könnte durch die Mitteilung über die Frankfurter Verhandlungen veranlasst worden sein. Andererseits dürfte dieses neue Mandat die Bereitschaft des Grafen endgültig befördert haben, sich überhaupt auf Verhandlungen einzulassen Unabhängig von dem außergerichtlichen Geschehen griff das Gericht am 20. August 1634 noch einmal mit einem Mandat an Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt und Graf Albert Otto II. von Solms-Laubach in den Ablauf ein120. Der kammergerichtliche Bescheid führte wieder alle in Rechtskraft erwachsenen Urteile und Mandate auf und schilderte eindringlich, wie oft und intensiv die Beklagten dagegen verstoßen hätten. Dieses Mandat brachte weder darin Neues noch in der Ermahnung an den Grafen, den Klägern freies Geleit zu gewähren und sie wieder ruhig im Dorf bei Weib und Kindern leben zu lassen oder sie nicht durch Gefangennehmung an der Fortführung ihrer Prozesse zu hindern,. Die entscheidende Neuerung liegt vielmehr darin, dass das Gericht Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt beauftragte, wegen seiner Schutzgerechtigkeit die Einhaltung der Speyerer Entscheidungen zu überwachen, womit die Stellung Hessen-.Darmstadts unübersehbar gestärkt wurde. Eine Verurteilung in eine hohe Poen hätte die Beklagten zwar hart getroffen. Aber diese Maßnahme brachte Graf Albert Otto II. politisch in Bedrängnis. Gegen einen solchen Auftrag des Gerichts konnte er den üblichen Einwand, Hessen dürfe im jeweiligen Fall nicht eingreifen. weil es in Freienseen keine obrigkeitlichen Befugnisse habe, nicht mehr geltend machen. Die vielfältigen und listigen Laubacher Ausweichmanöver, mit denen Solms-Laubach bisher vermieden hatte, Urteilen gehorchen zu müssen, konnten nunmehr von Hessen-Darmstadt zu Eingriffen in das Freienseener Geschehen genutzt werden. Die Befürchtung von Dr. Causedemius, dass Solms-Laubach nicht wieder ohne wirklichen Urteilsgehorsam auskommen werde, hatte sich also auf andere Weise als von ihm vorhergesehen verwirklicht. 119

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Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 235 Nr. LXXXIX = Abdruck (S. 4.2, Anm. 9) S. 67. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15) S. 235ff. Nr. XC. = Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9), S. 67ff.

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Diese Maßnahme brachte den Freienseenern über längere Zeit vorübergehend Ruhe. Als Graf Albert Otto II. dann doch wieder zu den alten Methoden greifen wollte, rief dies umgehend die landgräfliche Regierung in Marburg auf den Plan. Sie mahnte am 13. Februar 1638 den Grafen, man habe gehört, Heinrich Rupp, der Bäcker, habe aus seiner Haft nur wieder freigelassen werden sollen, wenn er auf die Teilnahme an der Rechtfertigung in Speyer verzichte121. Dies sei jedoch durch das Mandat vom 20. August 1634 verboten worden. Die Giessener Herren forderten deshalb namens Landgraf Georgs II. als Schutzfürsten Freienseens den Grafen auf, die Freienseener bei ihren Rechten zu bewahren. Hessen nahm also die übertragene Aufgabe durchaus aktiv wahr. Wenig später beschwerten sich die Freienseener erneut bei der landgräflichen Regierung in Marburg, die darauf am 12. April 1638 an die gräflich solmsischen verordneten Hofmeister und Räte zu Laubach schrieben122. Sie beanstandeten, dass die Adressaten bei Strafe von 50 fl. befohlen hätten, einen aus der rechten Gemeinde neben einem von den Abgetretenen zum Bürgermeister zu bestellen. Dieses Gebot widerspreche den Entscheidungen des Kammergerichts, dass man die rechte Gemeinde bei der Bürgermeisterwahl nicht hindern solle. Auch diese Intervention rechtfertigten die Marburger mit dem Mandat vom 2. August 1634. Nach diesen beiden Vorfällen mochten Graf Albert Otto II. und seine Räte endgültig eingesehen haben, dass sie das Spiel mit den alten Methoden nicht fortsetzen konnten, so dass die Zeit für eine gütliche Regelung reif war.

121 122

Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 158. Wie Anm. 120.

11.

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Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt berief zur Besprechung aller anstehenden Probleme eine Konferenz in Marburg ein. Am 29. Mai 1639 konnten die landgräflichen Delegierten – Dietrich Berthold von Plesse, Johann Reinhard Ruppell und Hartmann Reinigkh – zusammen mit denen Graf Albert Ottos II. – Georg Dietrich Volmer von Bernshofen, Dr. Johann Conrad Causedemius und Gotthart Sopher – und dem dafür von der gesamten Gemeinde Freienseen beauftragten Dr. Georg Daniel Schautantz das auf dieser Konferenz in Marburg ausgehandelte Ergebnis der Verhandlungen unterschreiben und besiegeln1. Die Parteien versicherten, dass sie die wegen ihrer Streitigkeiten ergangenen und konfirmierten Mandate des Kaiserlichen Kammergerichts in allen Punkten und Artikeln befolgen wollten. Dieser allgemeinen Ergebenheitserklärung gegenüber dem höchsten Reichsgericht folgte eine genaue Aufzählung der konkreten Punkte, denen man nachkommen wolle. Am Anfang stand der für Solms-Laubach zentrale Punkt, dass die ganze Gemeinde Freienseen Graf Albert Otto II. und seine Nachfolger als ihre alleinige, von Gott gesetzte Obrigkeit anerkenne, ihm Erbhuldigung und andere Schuldigkeit leisten sowie sich wie getreue Untertanen verhalten werde. Damit war der Traum vom freien Reichsflecken Freienseen endgültig ausgeträumt. Die Herrschaft Solms-Laubach versprach dagegen, die ganze Gemeinde Freienseen als ihre Untertanen bei all ihren Rechten, Gerechtigkeiten, Freiheiten und Herkommen zu halten, nämlich Anstellung der Gemeindediener wie Bürgermeister, Heimburger, Baumeister, Glöckner, Schützen und Hirten. Die gewählten Administratoren der Kirchen- und Gemeindegüter solle die Obrigkeit nicht an der Verwaltung dieser Güter und an der Einsammlung der Zinsen und Gefällen hindern. Der Graf dürfe die Gewählten nicht absetzen noch von ihnen Rechenschaft über ihre Administration fordern oder sich eine Abhörung ihrer Rechnungslegung anmaßen, wenn die Untertanen nicht selbst über die Amtsführung klagen würden oder die Herrschaft glaubhafte Kunde davon bekommen hätte. Wichtig für die Freienseener war die ausdrückliche Zusicherung des Grafen, dass sie alle frei von ungemessenen Fronen und Diensten seien und nur eine jährliche Holzfahrt ins Schloss schuldeten. Nur die solmsischen Leibeigenen müssten zur Hasenjagd kommen. Andererseits wurde verbindlich festgehalten, dass die Freienseener den Weid-

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Abschriften: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Nr. 202 = LXIII Nr. 98. Drucke: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15) S. 241ff. Nr. XCIII. = Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 10) S. 9 ff.

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gang und das Holzungsrecht im Creutzseener, Baumkirchener, Fahrtmannshäuser Forst und anderen herrschaftlichen Wäldern, Wüstungen und Feldmarken eingebüßt hätten. Auch müssten sie sich der Fischerei, des Weinschanks und des Weidgangs sowie der Beholzung ohne Erlaubnis der Herrschaft enthalten. Die neu geschaffene Nebengemeinde solle abgeschafft und alle Bewohner sollten wieder nur Mitglieder der ein und derselben Gemeinde sein und deshalb zu allen Gemeindeämtern sowie zur Nutzung der Gemeindegüter zugelassen werden. Dies solle unter ihnen in voller Gleichheit gehalten werden. Damit wurde die Spaltung der Bewohnerschaft Freienseens überwunden, die schon so verderbliche Folgen gezeitigt hatte. Wegen der noch offenen Klagen gegen etliche Bürgermeister, Heimburger und Baumeister der alten Gemeinde über ihre Amtsführung und Rechnungslegung erbot sich die ehemalige Nebengemeinde, alle von der Gemeinde noch nicht bezahlten Schulden wegen Expensen und Unkosten, die die alte Gemeinde wegen der gemeinen Rechtfertigung in Speyer und aus anderen gemeinen Nöten habe aufwenden müssen mittzutragen, soweit sie dies mit Quittungen beweisen könne. Für die Tilgung der seit 1632 entstandenen Unkosten (ausständige Besoldung von Advokaten und Prokuratoren ausgenommen) solle man aus gutem Willen von den Gemeindegütern 300 fl. Nehmen. Weshalb die seit 1632 entstandenen Unkosten aus der allgemeinen Regelung ausgenommen wurden und für diesen Posten eine Pauschalsumme angesetzt wurde, ist ebenso wenig ersichtlich wie die Herausnahme der Anwaltskosten aus der Sonderregelung. Insgesamt jedoch wurden damit die kompliziert gewordenen finanziellen Verhältnisse der Gemeinde schiedlich reguliert. Die Gehorsamen der Nebengemeinde hatten sich nicht an den Prozessen in Speyer beteiligt und deshalb konsequenterweise auch die daraus erwachsenen Kosten nicht mittragen wollen. Da sie jetzt in den Mitgenuss der prozessual erstrittenen Vorrechte kommen sollten, war es nur billig, sie jetzt auch an den dabei entstandenen Unkosten zu beteiligen. Hinzu kam, dass die Kläger Gemeindegüter hatten in Anspruch nehmen müssen, weil ihnen die Kosten des Prozessierens über den Kopf gewachsen waren, so dass sie sie nicht mehr im Umlageverfahren hatten aufbringen können. Auch dafür hatte jetzt eine einvernehmliche Lösung gefunden werden müssen. Ohne eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung dieser Probleme hätte man die nachbarschaftlichen Verhältnisse im Dorf nicht beruhigen können. Die Pfändungssachen sollten aufgehoben sein und deswegen von der Herrschaft nichts mehr gefordert werden dürfen. Dies bedeutete für die Freienseener eine schmerzliche wirtschaftliche Einbuße. Lange Zeit hatten sie gehofft, dass sie sich nach der Zahlung des Wertersatzes wenigstens von ihren drückendsten Schulden befreien könnten. Dieser Verzicht war aber wohl ein

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unumgängliches Zugeständnis. Es bedeutete allerdings für die Freienseener deshalb keinen spürbaren faktischen Verlust, weil die Beweisführung für die Restitution bzw. den Wertersatz immer schwieriger geworden war, so dass eine Realisierung dieser Forderungen kaum zu erhoffen war. Dieser Verzicht war für die Kläger psychologisch umso besser zu verkraften, als auch die Herrschaft auf den Ersatz ihrer durch die Rechtfertigungen erwachsenen Unkosten verzichten musste. Für die umstrittenen Kirchenbußen fand sich eine Lösung, die beide Seiten zufriedenstellen konnte: Die Gemeinde durfte durch ein oder zwei zu wählende Männer lässige Kirchenbesucher mit einer Buße bis zu einem Schreckenberger belegen. Solche Bußgelder sollten sie für milde Zwecke ausgeben. Damit war die gemeindliche Administration der Kirche gewahrt. Wenn allerdings das Ausbleiben häufiger und heftiger wäre, so dass eine höhere Buße als ein Schreckenberger fällig werde, so solle diese Bestrafung der Obrigkeit zustehen, so dass die Bauern auch das obrigkeitliche Kirchenregiment anerkennen mussten. Dass die protestantische Landesherrschaft ein solches Kirchenregiment ausübte, konnten auch die rebellischen Freienseener nicht mit Grund bestreiten. Ein ähnlich pragmatischer Interessenausgleich lag auch dem immer wieder umstrittenen Recht zum Glockenschlag zugrunde. Für das Zusammenrufen durch Glockenschlag solle es bei dem nachweisbaren Herkommen bleiben. Unberührt davon blieben Superiorität, Regalien, Folge, Steuern, geist- und weltlichen Jurisdiktion und alle damit zusammenhängende Rechte und Gerechtigkeiten, Kirchen- und Schulbestellung, die dem Grafen und der Herrschaft Solms-Laubach über ihren Flecken und die Gemeinde zu Freienseen allein zustehen. Die Gemeinde, der das Recht zum Glockenschlag zustand, musste also die Glocke schlagen lassen, wenn die sie zur Verkündung herrschaftlicher Gebote und Verbote zusammenzurufen würde. Weder durfte die Gemeinde sich weigern, dies zu tun, wie sie sich immer wieder herausgenommen hatte, noch hatte Solms-Laubach das Recht, eigenmächtig läuten zu lassen, wenn die Gemeinde den Glockenschlag verweigert hatte, wie es ebenfalls mehrfach geschehen war. Für das von der Gemeinde beanspruchte und immer wieder Anstoß erregende Siegelrecht verlangte der Vergleich von den Freienseenern, dass sie das Privileg, dessen sie sich rühmten, vorlegen könnten. Sonst müssten sie auf den Gebrauch des Siegels verzichten. Mit diesem Marburger Vergleich sollten alle Streitigkeiten, Prozesse und Widerwillen zwischen den Parteien aufgehoben sein. Er sollte also einen Schlussstrich unter die über Jahrzehnte hinziehenden Streitigkeiten ziehen. Mittlerweile waren beide Parteien reif für eine solche schiedliche Regelung.

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Graf Albert Otto II. verzichtete ausdrücklich auf alle Ungnade wegen ihm zugefügter Beleidigungen, weil alle Freienseener sich zu untertänigem Gehorsam erklärt und zugesagt hätten, alle Regelungen dieses Vergleichs für ihren Teil fest und unverbrüchlich zu halten. Abgesehen von einigen Nebenpunkten wie etwa der Lösung der innergemeindlichen Finanzprobleme, enthält dieser Marburger Vertrag nichts, was nicht das Reichskammergericht schon früher so entschieden gehabt hätte. Warum waren also Verhandlungen in Marburg unter Vermittlung des Landgrafen nötig, um dieses Ergebnis zu erzielen, das sich so ähnlich schon 1625 in der Stellungnahme eines gräflichen Bediensteten abgezeichnet hatte? Zum einen ist zu bedenken, dass die Zwistigkeiten sich in ihren Verästelungen in mehreren Jahrzehnten entwickelt hatten. Das Reichskammergericht hatte viele Mandate erlassen und auch im Hauptverfahren ein Endurteil mit verschiedenen ergänzenden Erläuterungsurteilen gefällt, so dass die Beteiligten die Übersicht verloren haben mochten, was nun der einen und was der anderen Partei zu- oder abgesprochen worden war. Schon allein die Möglichkeit, dies in Ruhe erörtern und das Ergebnis übereinstimmend in einem einzigen Text festhalten zu können, musste den Betroffenen vorteilhaft erscheinen. Schließlich ist daran zu erinnern, dass die Parteien immer wieder Entscheidungen widersprechend interpretiert hatten, ja dass insbesondere die Grafen ständig die Durchsetzung von Urteilen oder Mandaten zu verhindern verstanden hatten. Demgegenüber war es ein spürbarer Fortschritt, dass beide Parteien die inhaltlichen Vorgaben der kammergerichtlichen Entscheidungen selbst anerkannten und ihre Einhaltung gelobten. Die Prozesse in Speyer kann man also keineswegs als überflüssig oder ergebnislos bezeichnen, weil sie die unentbehrliche Vorbereitung der Vergleichsverhandlungen waren. Ohne sie hätte der Marburger Vergleich so nicht geschlossen werden können. Doch nicht nur im Verhältnis der Gemeinde zur Herrschaft Solms-Laubach war es sinnvoll und nützlich, alte, durch das Gericht festgestellte Rechtspositionen vertraglich neu zu fixieren. Auch die Schutzherrschaft Hessens im solmsischen Dorf Freienseen musste neu bestimmt werden, nachdem das Reichskammergericht im Mandat vom 26. August 1634 Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt beauftragt hatte, die Einhaltung der Mandate und Urteile durch Graf Albert Otto II. zu überwachen. Dies geschah in einem weiteren Vertrag am 30. Mai 16392. Nachdem in gräflichen Schreiben der hessische Schutz in Zweifel gezogen, stark limitiert und also streitig gemacht worden sei, wurde auf der Marburger Konferenz an das Weimarer Laudum von 1570 erinnert. Der darin den Fürsten zu Hessen zugesprochene Schutz 2

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15) S. 244f. Nr. XCIV. Fehlt im Abdruck (Kap. 4.2, Anm. 9).

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über den Flecken Freienseen solle fernerhin weder bestritten noch gekränkt, sondern undisputiert gelassen werden nach Maßgabe des kaiserlichen Mandats vom 26. August 1634, die Durchführung von Prozessen nicht zu behindern. Dafür müssen sämtliche Einwohner Freienseens einen Anteil am jährlichen Schutzgeld erlegen, wodurch die der Herrschaft Solms-Laubach zustehende Jurisdiktion nicht beeinträchtigt werden solle. Da dem Haus Hessen-Darmstadt im Flecken Freienseen einige Leibeigene gehörten sowie jährliche Renten und Zinse zustünden, würden die Beamten der hessischen Rentamts Grünberg angewiesen, den Bußen der hessischen Leibeigenen nachzuforschen und auch darauf zu achten, dass bei den Zinsen und Renten alles ordnungsgemäß gehandhabt werde. Die Solmsischen dürften davon nichts verkürzen. Landgraf Georg II. nutzte also die Gelegenheit, sich gegen beanspruchte Ausweitungen der solms-laubachischen Rechte in Freienseen abzusichern, musste aber seinerseits dem Haus Solms-Laubach seine Rechte in Freienseen erneut ausdrücklich zugestehen.

12. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Katharina Juliana für Graf Carl Otto (1639 bis zur Grünberger Konferenz am 20./21. Oktober 1653) Als wenige Monate nach dem Marburger Vergleich Graf Albert Otto II. am 6. September 1639 einem Jagdunfall zum Opfer fiel, hinterließ er einen sechsjährigen Sohn, den am 27. August 1633 geborenen Grafen Carl Otto1. Seine Mutter, die im Gegensatz zur Familie Solms-Laubach der reformierten Konfession angehörte, brachte den jungen Grafen zu ihrer Schwester, der Gemahlin Landgraf Wilhelms IV. von Hessen-Kassel, damit er dort in dieser Konfession erzogen würde. Zudem erreichte sie, dass unter Umgehung der nächsten Agnaten aus der Linie Solms-Lich die ebenfalls reformierten Grafen Wilhelm und Ludwig zu Solms-Greifenstein als Vormünder eingesetzt wurden. Nachdem die Gräfin sich am 31. März 1642 mit Moritz Christian Graf zu Wied wiederverheiratet hatte, klagten die Untertanen gegen die Vormundschaftsbestellung in Speyer. Sie erwirkten dort 1644 ein Mandat, das sowohl Gräfin Katharina Juliana als auch die beiden Greifensteiner Grafen als Vormünder absetzte und die Vormundschaft den Licher Grafen übertrug2. Die Greifensteiner widersetzten sich dem und drangen mit zahlreicher Mannschaft in Laubach ein, wo sie sich huldigen ließen. Das Kammergericht erklärte diesen Akt für nichtig und bestätigte die Grafen Philipp Reinhard zu Solms-Hohensolms und Ludwig Christoph zu Solms-Lich als Vormünder3, ohne dass diese sich jedoch offenbar vor Ort durchsetzen konnten. Dieser Machtkampf im Hause Solms endete erst mit der Volljährigkeit des Erbgrafen Carl Otto, der im Februar 1654 die jüngste Tochter des Grafen Wilhelm Heinrich zu Bentheim heiratete. Die Unsicherheit über die Herrschaftsausübung in Laubach hatte für die Untertanen fatale Folgen, weil niemand sie wirkungsvoll vor den Übergriffen der Soldateska in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges bewahrte, was anderen Potentaten der Region teilweise durchaus gelungen war. Anfang des Jahres 1640 lagen Truppen in Laubach, die hohe Kontributionen erpressten4. Aus Laubach wurden 600 Stück Rindvieh weggetrieben. Am 20. Dezember 1641 kam das Hunolsteiner Regiment in die Grafschaft. Am 24. Dezember 1647 quartierte sich Oberst Specht mit 200 Reitern in Laubach ein. Noch über 1

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Zu diesem und den folgenden Angaben: R. Graf zu Solms (wie Kap.1, Anm. 6), S. 265f. Eine Reichskammergerichtsakte zu diesen Angaben konnte ich nicht ermitteln. Auch dazu fehlt eine entsprechende Akte. Uhlhorn (wie Kap. 10.2, Anm. 69), S. 121, 130, 138, 155.

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den Westfälischen Frieden hinaus dauerte diese Plage an. Bis zum März 1650 lag ein Holsteinischer Kapitänleutnant in Laubach, der hohe Kontributionen eintrieb. Wie diese Kriegslasten zu verteilen seien, wurde zu einem immerwährenden Streitpunkt mit der Herrschaft und zwischen den Untertanen. Am 16. März 1650 wandten sich die Bewohner von Utphe, Ruppertsburg, Gunterskirchen, Laubach, Einwartshausen, Freienseen und Ulsdorf wegen der Kriegslasten an die Gräfin Katharina Juliana5. Ihre Häuser und Scheunen seien eingeäschert worden, weshalb sie mit ihrem Vieh in das Städtchen Laubach hätten fliehen müssen. Die Stadt Laubach habe nach der jüngst zu Wetzlar und Friedberg vorgenommenen Aufteilung der schwedischen Satisfaktion wie auch die Verpflegung der Völker betreffend beim schwedischen Residenten zu Frankfurt erreicht, dass sie ihrer alten Quote entledigt worden sei. Diese Last sei daraufhin ihnen aufgebürdet worden. Sie bitten darum, sie bei ihren alten Kontingenten zu belassen und nicht zu gestatten, dass sie von der Stadt Laubach bedrängt würden. Solche misslichen Umstände mögen zunächst die Intensität der herrschaftlichen Bemühungen, die rebellischen Freienseener weiter in die Knie zu zwingen, gemindert haben, zumal der Marburger Vergleich die schmerzhaftesten Punkte geregelt hatte. Die Freienseener Bauern hatten wohl auch nicht mehr genügend Geld und Kraft für Klagen in Speyer. Jedenfalls fehlen in den Jahren nach dem Marburger Vergleich bis zur Mitte der fünfziger Jahre hin kammergerichtliche Prozesse. Das besagt freilich nicht, dass es in diesen Jahren zwischen der Herrschaft und den Freienseener Untertanen keine Zwistigkeiten gegeben hätte. Nur wandten sich die Bauern deswegen nicht mehr sofort n das Kammergericht. Stattdessen vertrauten sie darauf, dass Landgraf Georg II. von Hessen.-Darmstadt ihnen in gütlichen Verhandlungen wie in Marburg 1639 Rechtssicherheit verschaffen würde. Er war nicht nur herkömmlich ihr Erbschutzherr, sondern ihm hatte das Kammergericht 1634 noch durch ein Mandat ausdrücklich aufgetragen, die Freienseener gegen Rechtsverletzungen durch Solms-Laubach zu schützen. In einer Denkschrift vom 5. Februar 1651 klagte der solms-laubachische Sekretär darüber, dass die Freienseener Untertanen sich erneut widersetzlich gezeigt hätten, weil Landgraf Georg II. sich ihrer kräftig annehme6. Mit der Widersetzlichkeit war, wie er später erwähnte, insbesondere ein Streit um den Bierausschank in Freienseen gemeint, den die Gemeinde ebenso für sich beanspruchte wie die Herrschaft. Auch habe Landgraf Georg II. wegen der gewaltsamen Einlogierung von Hilfssoldaten in Freienseen nach wenigen Tagen 5

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StA Marburg, Bestand 4.f. Solms-Lich zu Laubach Nr. 48 (Kasseler Akten Landgraf Wilhelms IV.), sub dato. Wie Anm. 5, sub dato.

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einen landgräflichen Schultheißen ins Dorf geschickt, der mit Hilfe von landgräflichen Soldaten Vieh des gräflichen Försters und des Unterschultheißen gewaltsam habe wegtreiben lassen unter dem Vorwand, beide hätten geholfen, die Einwohner rechtswidrig zu pfänden. Der Sekretär regte bei der Gräfin an, ihren Schwager, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, um die Entsendung von etwa 30 Soldaten aus Ziegenhain zu bitten. Damit solle keinem Untertan Gewalt angetan werden. Dies zu betonen, war wichtig, weil das Mandat von 1634 Landgraf Georg II. ermächtigte, gegen solms-laubachische Gewalt einschreiten zu dürfen. Vielmehr solle allein bewirkt werden, dass die Herrschaft Laubach bis zur weiteren Erörterung bei ihrem hergebrachten Besitz des Bierschanks in Freienseen bleiben möge. Noch einmal bestritt der Sekretär, dass den Freienseenern Gewalt angetan werde. Vor und auch noch kurz nach dem Ableben des Grafen Albert Ottos II. habe die Herrschaft alle ihre Rechte uneingeschränkt genossen, so dass es unbillig sei, wenn die Freienseener sich jetzt darüber beschwerten, solange nichts in einem Prozess entschieden worden sei und durch ein Urteil die Herrschaft ihres Besitzes entsetzt worden sein solle. Die Gemeinde Freienseen müsse selbst zugestehen, dass die Herrschaft immer nur das gefordert habe, was sie habe beweisen können. Die Freienseener seien dagegen niemals im Besitz des Bierbrauens und Schankes gewesen.Auch sei ihnen solches in kammergerichtlichen Urteilen oder Mandaten niemals zuerkannt worden. Landgraf Georg II., sein Kanzler Dr. Schütz und seine sämtlichen Räte zu Giessen hätten deswegen mehrfach geschrieben und sich auf den 1639 zu Marburg errichteten Vergleich berufen, obwohl darin kein Wort über den Bierausschank stehe. Die Herrschaft Laubach befinde sich dagegen in unstreitigem Besitz des Bierausschankes. Darauf habe man der landgräflichen Regierung in Giessen nur generell geantwortet. In der Entscheidung von 1574 sei der Bierausschank, den die Freienseener ausdrücklich von der Herrschaft beansprucht hätten, zwar erwähnt, die beklagte Herrschaft aber von diesem Anspruch absolviert. Johannes Schmitt sei der Rädelsführer bei dieser Auseinandersetzung gewesen und habe sich der Pfändung wegen verdienter Strafe durch den herrschaftlichen Rentmeister und andere Diener widersetzt. Da er zudem trotzige und schimpfliche Reden gebraucht habe, sei er zur Strafe in den Turm geworfen worden. Zum zweiten solle die Gräfin in der laubachischen Sache – die Unstimmigkeit über die Aufteilung der Kontributionen für die schwedischen Truppen – tätig werden, die in der Supplikation vom 5. Februar 1651 angesprochen worden sei. Sie solle sehen, was der Sekretär jüngst in Wetzlar erreicht habe und was auch sämtliche solmsischen Räte für gut befunden hätten. Graf Wilhelm zu SolmsGreifenstein, also einer der vom Kammergericht 1644 abgesetzten Vormünder, habe sich zu jeglicher denkbaren Hilfe erboten. Wenn die Gräfin sich nicht stark genug fühle und von den Laubachern nicht respektiert werde, so

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könnten ihr die aus Kassel angeforderten 30 Mann helfen. Wenn Graf Wilhelm mit diesen Soldaten komme und die Mauern der Stadt Laubach repariert würden, könne dem Laubacher Rädelsführer Conrad Pauli durch kurzen Prozess Recht widerfahren. Dann könne der Rat in der Stadt Laubach nach erneuter Huldigung wieder in Gnaden angenommen werden. Damit würden Herrschaft und Untertanen der Stadt zu Laubach wieder beruhigt. Diese Denkschrift zeigt, dass die Regentin fürchtete, sich ohne Hilfe ihres Schwagers in Kassel auch in der Residenzstadt Laubach nicht durchsetzen zu können. Auf diese Denkschrift, die die Gräfin nach Kassel weitergeleitet hatte, erging am 20. Februar 1651 eine Resolution der landgräflichen Räte, in der der Gräfin Katharina Juliana versichert wurde, dass Landgraf Wilhelm IV. sie und ihren Sohn Graf Carl Otto tunlichst unterstützen wolle7. Der Fürst meine aber, dass die Entsendung von 30 Soldaten aus Ziegenhain zum Schutz des laubachischen Besitzes der Bierschankgerechtigkeit in Freienseen der Sache nicht dienen werde, sondern sie nur beschwerlicher mache. Da Landgraf Georg II. sich auf das Mandat von 1634 berufen könne, spreche der äußere Schein gegen die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme. Ein beim Kammergericht in Speyer deswegen anhängig gemachtes Verfahren würde das gute Einvernehmen zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt stören, womit auch dem gräflichen Haus Solms-Laubach nicht gedient sei. Wegen einer gütlichen Konferenz erinnerten die landgräflichen Räte an ein durch laubachisches Missgeschick verursachtes Scheitern. Die Freienseener seien am Vortag der letzten Konferenz, von der sonst nichts bekannt ist, gepfändet worden, wodurch die damals erhoffte gütliche Regelung verhindert worden sei. Diese kritische Bemerkung zeigt ebenso wie der Hinweis auf die Turmstrafe des Johann Schmitt in der solms-laubachischen Denkschrift, dass die vormundschaftliche Regentschaft keineswegs davor zurückgeschreckt hatte, wieder direkte Gewalt gegen die widersetzlichen Freienseener Untertanen einzusetzen, obwohl diese bereit gewesen waren, die Streitpunkte gütlich beilegen zu lassen. Sie unmittelbar vor einer dem Kompromiss dienenden Konferenz gewaltsam pfänden zu lassen, zeugt jedenfalls nicht von diplomatischer Zurückhaltung der Gräfin Katharina Juliana und ihrer Räte im Umgang mit den Untertanen. Andererseits sei aber auch berichtet worden, fügten die landgräflichen Räte begütigend an, dass die Gräfin während der Rechtshängigkeit des Kameralprozesses – offenbar ist die Auseinandersetzung um die Vormundschaft gemeint – keine Tätlichkeiten habe dulden wollen, damit diese streitigen Sachen zur gütlichen Verhandlung gezogen werden möchten. In diesem Sinne habe Landgraf Georg II. der Gräfin am 27. Januar geschrieben, 7

Wie Anm. 5, sub dato.

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dass entweder der Kameralprozess seinen stracken Lauf nehmen solle oder aber alles zur gütlichen Unterredung gestellt werde. Zu einem solchen gütlichen Tag werde Landgraf Wilhelm IV. einen Rat zur Verfügung stellen. Mit Bedauern stellte der Kasseler Landgraf fest, dass die rebellischen Laubacher die gräflichen Gesandten in ihrer Sache nicht mit Respekt behandelt hätten. Gleichwohl stellte er der Gräfin zur Überlegung, ob es wirklich glücklich sei, dem mit bewaffneter Hand zu begegnen, zumal die Sache beim Kammergericht anhängig sei und dieses ein Mandat unter Poen erlassen sowie auch dem Kurfürsten von Mainz und Landgraf Georg II. eine Kommission übertragen habe. Dies war eine durch Diplomatie und Courtoisie kaum verhüllte Absage an die ungeschickt handelnde Laubacher Regentin. Sie konnte also für ihre auch konfessionspolitisch motivierte Haltung gegenüber ihren Untertanen nicht mit militärischer Unterstützung durch Hessen-Kassel rechnen. Auf dieses Spiel ließ der Kasseler Landgraf sich nicht ein, weil er nicht sein gutes Verhältnis zum Darmstädter Vetter wegen des Solms-Laubacher Bierschanks in Freienseen gefährden wollte. Landgraf Georg II. hätte gegen ein solches Eingreifen gute rechtliche Gründe gehabt, die er auf das Mandat von 1634 hätte stützen können. Nicht zuletzt aber spielte das kammergerichtliche Verfahren wegen der Vormundschaft in Laubach eine wichtige Rolle, durch das die rechtliche Position der Gräfin delegitimiert worden war. Selbst wenn sich in Laubach die vom Kammergericht eingesetzten Vormündern gegenüber den gewaltbereiten Greifensteiner Vettern faktisch nicht hatten durchsetzen können, zeigt diese Reaktion Landgraf Wilhelms IV. doch, dass das Verfahren in Speyer nicht vergessen war. Der Fürst scheute davor zurück, seiner Laubacher Schwägerin militärisch zu Hilfe zu kommen, weil er damit auch gegen die durch das Kammergericht angeordnete Vormundschaftsregelung verstoßen hätte. Gräfin Katharina Juliana zog daraus Konsequenzen, indem sie am 17. Juni 1651 zu Frankfurt mit der Gemeinde Freienseen eine vorläufige gütliche Einigung über den Bierausschank im Dorf schloss8. Danach versprach die Gemeinde, der Gräfin bis zum rechtlichen Austrag der Sache ab 1. Januar 1651 jedes Jahr in Rekognition solchen Brau-, und Bier- wie auch Kornbranntweinschenkens und respective Brennens an ihre Rentkammer 26 fl. zu zahlen. Damit hatte die Gemeinde sowohl anerkannt, dass Bier in Freienseen nur mit Erlaubnis der Herrschaft gebraut und ausgeschenkt werden durfte, als auch, dass dasselbe für das Brennen und Ausschenken von Kornbranntwein gelten solle. Dies war für die Herrschaft der eigentliche Gewinn, weil die Bauern sich mittlerweile daran gewöhnt hatten, statt des einzuführenden, teuren 8

Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 126. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15) S. 249f. Nr. XCVI.

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Weins und zum Bier den im Ort produzierten, billigen Kornbranntwein zu trinken9. Durch diese gütliche Einigung erkannten die Freienseener also zumindest provisorisch an, dass auch das neue Phänomen der heimischen Herstellung von Kornbranntwein und des Branntweinverzehrs dem Genehmigungsvorbehalt unterworfen wurde. Diese gütliche Einigung über den Bier- und Branntweinausschank war das erste Ergebnis einer von beiden Landgrafen angeregten Konferenz in Frankfurt am Main. Am 17. Juli 1651 traten die Deputierten beider Parteien unter Leitung des darmstädtischen Rates Dr. Conrad Fabritius zusammen10. Schon der Auftakt dieses Treffens war wenig verheißungsvoll, weil die gräfliche Seite einen scheinbar beigelegten Streit neu entfachte. Die Deputierten der Gräfin beanstandeten nämlich vorab, dass die Gemeinde die Vollmacht ihrer Deputierten mit dem Siegel gesiegelt habe, das schon 1639 in Zweifel gezogen worden sei. Die Freienseener beriefen sich demgegenüber gerade auf den Marburger Vertrag, da sie das dort geforderte kaiserliche Siegelprivileg produziert gehabt hätten, so dass sie nach dem Vertrag zur Siegelführung berechtigt seien. Erneut baten die solmsischen Delegierten, die Gemeinde solle das Privileg überreichen, damit die Gräfin es einsehen könne. Dann werde man nichts verlangen, was dem Vergleich zuwider sei. Nach diesem unerfreulichen und angesichts des 1622 durch ein Vidimus bestätigten Wappenbriefs Kaiser Karls V. von 1555 überflüssigen Formalstreit konnten die Freienseener ihre Gravamina vortragen. Der erste Klagepunkt richtete sich dagegen, dass die Herrschaft trotz des Verbots im Urteil vom 20. November 1574 weiter Zoll und Wegegeld in Freienseen erhebe. Die gräfliche Seite gestand nur zu, dass ein geringes Wegegeld von ein oder zwei Reichstalern jährlich verlangt werde. Das widerspreche auch nicht dem Urteil, weil dieses nur den Zoll abgeschafft habe. Nach weiterem Disput mussten sie jedoch einräumen, dass das Wegegeld eine Art von Zoll und deshalb durch das Urteil auch abgeschafft worden sei. Die solmsischen Delegierten fühlten sich jedoch trotz dieser schließlich zugestandenen Rechtslage nicht für befugt, diese ausdrücklich anzuerkennen, sondern wollten lediglich das Ergebnis der Gräfin wohlwollend vortragen, ihr also eine Entscheidung vorbehalten. Die Freienseener beharrten jedoch darauf, dass die Sachlage kundbar für sie spreche, so dass Landgraf Georg II, falls das

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Uhlhorn (wie Kap. 10.2, Anm. 69), S. 248: Im Laufe des Krieges war der teure Wein durch den billigeren Kornbranntwein ersetzt worden. Conferenz-Protocoll de dato Franckfurth den 17ten Julii anno 1651, Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 246–248 Nr. XCV. Datum Franckfurth den 27ten Julii 1651. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 248f.

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Wegegeld nicht abgeschafft werde, sie kraft seines Erbschutzes und des Mandats von 1634 gegen die weitere Erhebung schützen müsse. Der zweite Beschwerdepunkt betraf die den Freienseenern durch Mandat vom 12. September 1598 zugestandene Nutzung ihrer Bäche und die herrschaftliche Forderung, alles Vieh, das sie verkaufen wollten, vorher der Herrschaft zu Laubach anbieten zu müssen. Demgegenüber berief sich die solmsische Seite auf den Vertrag von 1639, der der Herrschaft die Fischerei in den Bächen zugesprochen hatte, so dass sie das Flachseinlegen in die Bäche nicht gestatten könne. Die Freienseener hatten mit dem Anbau und der Verarbeitung von Flachs ihr karges Brot aufbessern können. Zur Verarbeitung der Flachsstengel mussten diese eingeweicht werden, wodurch die Bachfischerei der Grafen beeinträchtigt wurde. Die solms-laubachischen Delegierten begnügten sich nicht mit dem Aufzeigen dieses wirtschaftlichen Interessengegensatzes, sondern setzten hinzu, dass das Mandat von 1598 nicht konfirmiert worden sei. Nach dem Marburger Vergleich aber müssten nur die konfirmierten Mandate gehalten werden. Dieser Punkt konnte deshalb nicht ausdiskutiert werden, weil der Freienseener Deputierte wegen Abwesenheit des ordentlichen Advokaten die ergangenen Mandate und anderen Akten nicht zur Hand hatte und ohnedies das Mandat eines poenale sine clausula sei, und den Beklagten im Urteil von 1633 Parition auferlegt worden sein sollte. Auch dieses Urteil sei allerdings ebenfalls nicht zur Hand. Deshalb musste dieser Punkt unter Vorbehalt der Rechte beider Parteien zurückgestellt werden, so dass die Konferenz auch insofern ergebnislos blieb. Das nächste Gravamen nahm einen alten Streitpunkt wieder auf. Von Leuten, die aus fremden Orten nach Freienseen zögen, würden entgegen dem Urteil von 1574 Leibhühner gefordert, und sie damit zu solmsischen Leibeigenen gemacht. Gegen diesen Vorwurf wehrten sich die gräflichen Deputierten mit Nachdruck. Gott solle sie davor bewahren, so etwas zu tun. Sie könnten sich auch nicht erinnern, dass seit 16 Jahren oder so lange sie in Laubach seien, ein Neuankömmling in die Leibeigenschaft geschrieben worden sei. So etwas werde auch künftig nicht geschehen. Dies akzeptierte die Gemeinde und suchte zusätzlich darum nach, dasjenige in den dem Urteil entsprechenden Stand zu setzen, was zuvor schon erledigt worden sei. Da die Gräflichen vorgaben, davon nichts zu wissen, konnten sie nur zusichern, es der Gräfin zu referieren. Im vierten Beschwerdepunkt rügte die Gemeinde, dass ihre Mitnachbarn, sofern sie Handwerker seien, sich entgegen ihren Privilegien in eine herrschaftliche Zunft begeben müssten. Darüber hinaus würden sie alle unter Strafandrohung gezwungen, ihre Schneiderarbeiten nur in Laubach machen zu lassen. Dem hielten die Gräflichen entgegen, dass der Zunftzwang schon seit vielen Jahren quasi in possessione sei. Die Gemeinde behielt sich demge-

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genüber allerdings in derselben Weise ihr Recht vor, wie sie es schon in den gerichtlichen Auseinandersetzungen wegen der Versuche, in der Grafschaft den Zunftzwang durchzusetzen, getan hatte. Noch schwächer als in diesem Punkt war die rechtliche Argumentation der gräflichen Deputierten zum Zwang, dass die Freienseener ihre Kleider nur von Schneidern in Laubach anfertigen lassen dürften. Dies sei nach Meinung der Laubacher Regierung entweder Herkommen oder zumindest hielten die Herren es für billig, dass man die Menschen mit Strafandrohung zwinge, ihre Kleidung an einem bestimmten Ort machen zu lassen. Darin drückt sich die Grundüberzeugung eines paternalistischen Staatsverständnisses aus, dass die Obrigkeit nicht nur berechtigt sondern sogar verpflichtet sei, zum Wohle des Ganzen solche wirtschaftspolitischen Regelungen treffen zu dürfen. Da keine Einigung zu erzielen war, behielten sich die solmsischen Deputierten vor, auch diesen Punkt der Gräfin zur Entscheidung vorzulegen, wogegen die Freienseener inständigst darum baten, Landgraf Georg II. solle sie in ihren Rechten schützen. Auch für diesen Zwist konnte in Frankfurt also keine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Ein weiteres Gravamen bestand darin, dass die Herrschaft entgegen den Freienseener Privilegien von jeder Handmühle jährlich 1 fl. abgefordert habe und zur Befriedigung dieser Forderung Vieh habe abpfänden wollen. Die solmsische Seite berief sich wieder auf quasi possessionem. Die Gemeinde widersprach und protestierte dagegen. Ihr blieb auch in diesem Punkt nur übrig, den landgräflichen Schutz anzurufen. Ein ärgerlicher Streit war entbrannt über die Grenzziehung, die von gräflichen Bediensteten, offenbar insbesondere von dem in Freienseen wohnenden Förster, zu Lasten der Gemeinde bestritten worden sei. Die Bauern hätten vielfach um Unterrichtung aus den alten Grenzbüchern gebeten. Der Herr Sekretär habe ihnen daraus auch einmal vorgelesen, wie weit sie sich für berechtigt halten könnten. Doch seitdem könnten sie weiter keine Nachricht darüber mehr erhalten, weil der Herr Sekretär sich dessen nicht mehr entsinne noch das Grenzbuch finden könne. Auch die Gemeinde selbst könne den Wortlaut des damals Gehörten nicht mehr auf ihren Eid nehmen. Man habe auch für dieses Mal wieder zu keiner anderen Information gelangen können. Daraufhin habe der Oberamtmann Causedemius erklärt, dass er bei nächster Gelegenheit selbst die Grenzziehung des Ortes feststellen wolle. Dazu werde er alle Grenz-, Land- und Malsteine besichtigen und damit diesen Grenzstreit beenden, so dass die Gemeinde keinen Anlass zu Beschwerden mehr haben werde. Bis dahin solle niemand in seinem Recht beeinträchtigt werden, womit dieser Punkt vorläufig erledigt war. Sodann brachte die Gemeinde vor, dass sie bei Ansetzung der Kontributionen gegenüber anderen Orten oftmals über Gebühr beschwert werde. Da

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die Freienseener keine Einzelheiten vorgetragen hatten, konnten sich auch die gräflichen Deputierten mit einer allgemeinen Replik begnügen. Sie entgegneten, dass sich andere Orte über Freienseen in derselben Weise beklagten. Doch fügten sie schließlich hinzu, dass, falls es noch einmal zu Kontributionen kommen werde, Freienseen nicht über Gebühr veranlagt werden solle. Mehr konnten die Freienseener in diesem Moment nicht erreichen. Erstaunlicherweise musste sich die Gemeinde auch wieder darüber beschweren, dass von ihr Weidegeld und Hafer von einigen Wüstungen gefordert würden und sie dafür gepfändet worden sei, obwohl die Herrschaft diese Wüstungen, wie sich aus dem Marburger Vertrag von 1639 ergebe, wieder an sich genommen habe. Die Gräflichen bestritten, dass die geforderte Abgabe Weidegeld von den Wüstungen sei. Es sei vielmehr eine Bede, in deren Besitz die Herrschaft schon seit Jahren sei. Demgegenüber beharrte die Gemeinde darauf, beweisen zu können, dass das Weidegeld und der Hafer für die im Marburger Vergleich erwähnten Wüstungen gegeben worden seien. Sie erbaten landgräflichen Schutz bis zum Austrag der Sache. Der Punkt wurde zurückgestellt, weil dem Landgrafen darüber weiterer Bericht erstattet werden müsse. Abschließend beschwerte sich Freienseen darüber, dass der gräfliche Förster Zank und Unwillen stifte sowie die Gemeinde und ihre Bürgermeister schwer beleidige, ohne dass dafür seine Bestrafung zu erlangen gewesen sei. Daher hielten sie sich für befugt, ihn ebenso wie jeden anderen Untertan aus der Gemeinde zu entfernen. Da der Förster jedoch Vertreter der obrigkeitlichen Exekutive im Ort war, war die angedrohte Maßnahme alles andere als normal. Dem hielten die Solmsischen entgegen, dass die Gemeinde gebührende Hilfe erlangen werde, wenn sie bei der Herrschaft und vor allem beim Oberamtmann angemessen klagen werde. Damit war dieser Streitpunkt zumindest formal geklärt. Nach einer Urkunde vom 27. Juli 1651 soll zwischen den gräflichen Räten und den Deputierten der Gemeinde Freienseen an diesem Tag ein Rezess über das Ergebnis der Frankfurter Konferenz abgeschlossen worden sein, dessen Text jedoch nicht überliefert ist11. Im Original-Concept dieser Urkunde, trugen die solmsischen Deputierten nachträglich vor, seien die Worte enthalten gewesen auch die ihnen deswegen hierbevor abgenommene Pfand wiederumb restituiren lassen. Sie würden diese Worte aus gewissen (nicht näher dargelegten) Überlegungen ungern im Rezess selbst sehen. Doch versprachen sie dem abgeordneten hessen-darmstädtischen Rat, dass das, was in dem nun11

Druck: Canngießer (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 248f. Nr. XCV. Es bestehen Zweifel, dass die Gräfin den Vergleich ratifiziert habe. Die Parteien beriefen sich folgerichtig später niemals auf den Vertrag sondern immer nur auf das Protokoll der Konferenz.

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mehr im Original ausgelassenen Passus enthalten sei, genauso verlangt und geleistet werden solle, als ob er in dem Original-Rezess geblieben wäre. Weil so viele Punkte in Frankfurt unerörtert oder unklar geblieben seien, wurde zur weiteren Erläuterung auf den 20./21. Oktober 1653 nach Grünberg eine weitere Konferenz einberufen12. Leider, klagten die Freienseener, habe man von der gräflichen Herrschaft für einige rechtmäßige Begehren keine Abhilfe erlangen können. Deshalb müsse man wieder den Landgrafen als Schutzherrn anrufen. Die im Frankfurter Vergleich ausgesetzten Probleme seien immer noch unerörtert. Auch habe sich inzwischen einiges mit dem Förster ereignet, wozu die Gemeinde nicht schweigen könne. Bei dieser Konferenz trat Dr. Schütz, der hessen-darmstädtische Kanzler der Regierung zu Giessen, für die Gemeinde Freienseen auf. Im ersten Gravamen ging es um die Restituierung der abgenommenen Pfänder, die in der Zusatzurkunde vom 27. Juli 1651 schon eine wichtige Rolle gespielt hatte, nämlich von Brauzeug, also von Gegenständen zum Bierbrauen, die im Zuge des Streites um das Brau- und Schankrecht den Freienseenern abgepfändet worden waren. Die solmsischen Deputierten erwiderten, zu Frankfurt sei nur zugesagt worden, dass die Geräte, soweit sie noch vorhanden seien, restituiert werden sollten. Doch hätten die Freienseener sie nicht abgeholt, obwohl sie ihnen mehrfach angeboten gewesen seien. Darauf monierte der Deputierte der Gemeinde, dass im Vergleich nicht stehe, die Herrschaft müsse nur dasjenige herausgeben, was zur Zeit des Vergleichsschlusses noch in ihren Händen gewesen sei. Die Obrigkeit habe beim Angebot, die Pfänder abzuholen, immer zugesetzt, dass davon nur noch einiges vorhanden sei. Die Gemeinde bat daher um strikte Erfüllung des Frankfurter Vergleichs. Die gräflichen Delegierten beharrten jedoch darauf, dass man in Frankfurt gemeint habe, es brauche nur restituiert zu werden, was noch vorhanden sei, wovon sie auch trotz Bezugnahme auf den Vertragstext, der solchen Vorbehalt nicht kennt, nicht abzubringen waren. Wenn ihre Ansicht richtig wäre, trug Dr. Schütz vor, hätte Landgraf Georg II. nicht mehrfach in diesem Punkt zugunsten der Gemeinde schriftlich intervenieren müssen. Er bestritt angesichts des klaren Wortlauts des Vergleichs die Notwendigkeit und Berechtigung der Forderung, den Darmstädter Rat Dr. Fabritius, der die Frankfurter Konferenz geleitet hatte, dazu zu vernehmen. Er wie auch Freienseen selbst insistierten, dass es keiner Interpretation oder Deklaration bedürfe, zumal der Darmstädter Landgraf allein kraft seines Erbschutzrechtes und des Mandats von 1634 sie gegen solche unrechtmäßigen Pfändungen hätte schützen müssen. Sie hofften, dass ihnen nicht dasjenige, was ihnen zugesprochen worden sei, aus den Händen gespielt werde. Diese neue Konferenz 12

Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 250–263 Nr. XCVII.

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habe allein den Zweck, aller Weitläufigkeit endlich abzuhelfen. Darin kommt die tiefe Enttäuschung zum Ausdruck, von der Herrschaft immer wieder hingehalten zu werden. Überzeugend ist schließlich der Hinweis der Freienseener, dass die solmsischen Deputierten in Frankfurt gerade der Formulierung über die Restituierung der Pfänder so große Aufmerksamkeit geschenkt hätten, dass sie den ursprünglichen Passus über die abgenommenen Pfänder nicht im Text hätten stehen lassen wollen. Warum hätten sie dann nicht auch, fragten die Freienseener rhetorisch, die wenigen Worte eingefügt soweit noch vorhanden? Die Gräflichen boten daraufhin die Formulierung an, dass sie mehr als das Vorhandene leisten wollten, wenn dies damals versprochen worden sein sollte. Dieses Erbieten lehnten die Freienseener deshalb ab, weil es nicht dem Wortlaut des Vergleichs entspreche und dadurch der Vergleich selbst in Disputation gezogen und durchlöchert werde. Da beide Parteien auf ihren Standpunkten beharrten, musste man ergebnislos zum nächsten Streitpunkt übergehen. Diese fruchtlose Debatte zeigt, wie wenig man sich von solchen Konferenzen zur gütlichen Beilegung der Streitigkeiten erhoffen konnte, wenn der Stoff nicht – wie in Marburg 1639 – vorher in Prozessen am Reichskammergericht durchgearbeitet und Lösungen durch Mandate und Urteile vorbereitet waren. Ebenso ergebnislos verlief der Disput über Neuerungen bei der Leibeigenschaft in Freienseen. Solms bestritt, dass solche Neuerungen eingeführt worden seien und berief sich auf die Aussage des anwesenden Rentmeisters Wagner, der seit 19 Jahren in Laubach lebe. Die Gemeinde erbot sich dagegen, eine Liste von Personen zu übergeben, die jetzt zu Freienseen bekanntermaßen keine Leibeigenen seien, aber mit der Leibeigenschaft und folglich auch mit der Hasenjagd belegt würden. Bei dieser Gegenüberstellung der beiderseitigen Positionen mit entsprechenden Beweisangeboten blieb es, so dass auch für diesen Streitfall die Zusammenkunft in Grünberg nicht zu einer gütlichen Einigung führte. Für den Problembereich der Grenzziehung waren zwei Unterpunkte zu regeln. Bei der Grenzbesichtigung setzten die Freienseener darauf, dass der Oberamtmann Dr. Causedemius das im Frankfurter Vergleich Vorgesehene ausführen werde, nämlich das Grenzbuch herauszugeben. Darüber Zeugen zu vernehmen, sei dann weder tunlich noch verträglich. Dass die Grenzbesichtigung vorgenommen werde, gestanden die gräflichen Delegierten zu. Bezüglich der Grenzbücher habe der Oberamtmann den Sekretär Vigelius befragt, der jedoch geleugnet habe, ihnen eines vorgelesen zu haben, das die Grenzen in ihrem Sinne beschreibe. Das habe er auf der Frankfurter Konferenz in Gegenwart von Dr. Conrad Fabritius auch beschworen. Wegen der Probleme mit dem Förster wies die Gemeinde darauf hin, dass der Einwand, sie könne diesen nicht heranziehen, weil er namens der Herr-

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schaft handele, deshalb nicht durchgreife, weil nach dem klaren Wortlaut des Mandats vom 10. Oktober 1611 und ausdrücklich im Mandat von 1634 vorgesehen sei, dass dem Landgrafen zu Hessen-Darmstadt die Exekution zustehe. Deshalb baten sie noch einmal, den Förster deswegen gebührend anzugehen. Sie beanstandeten, dass er ihnen gedroht habe. Dieser Fall hing deshalb mit der Grenzfrage zusammen, weil der Förster den Freienseener nur für den Fall gedroht haben wollte, wenn er sie in der Herrschaft Wäldern antreffe, nicht aber in ihren eigenen. Die Gemeinde bestritt ihm jedoch, ihnen überhaupt drohen zu dürfen, weil er ein Glied der Gemeinde sein wolle und es ihm deshalb nach dem Mandat nicht zustehe, sich in solche streitigen Sachen einzumischen oder seine Nachbarn zu bedrohen. Solches solle er die Herrschaft ausmachen lassen. Die gräflichen Deputierten bestritten, dass Landgraf Georg II. auch über den Fall der Bedrohung durch den Förster urteilen dürfe. Sie müssten es lediglich geschehen lassen, wenn die Freienseener die Herrschaft und den Förster zugleich am Kammergericht verklagten. Verzweifelt verlangte der Freienseener Delegierte, dass das Mandat von 1634 produziert werden solle und nach dessen Inhalt der Punkt abschließend erörtert werde. Auch bei dieser Frage gingen die Parteien ohne eine Annäherung der Standpunkte auseinander. Ähnliches ergab sich für den wirtschaftlich gravierenden Punkt, ob das Hafer- und Weidegeld von den Wüstungen oder allgemein geschuldet werde. Die solmsische Seite berief sich auf ihre Register, nach denen die Freienseener diese Abgaben ununterbrochen gegeben hätten. Die Herrschaft sei also seit unvordenklichen Zeiten in deren Besitz, da auch die Gemeinde nicht bestreiten könne, dass die Herrschaft diese Abgaben immer erhoben habe. Diese Argumentation war für die Freienseener Position deshalb gefährlich, weil die Ersitzung seit unvordenklichen Zeiten ein originärer Erwerbsgrund war, so dass es gegenüber ersessenem Besitz nicht mehr darauf ankam, ob die Abgaben ursprünglich einmal von den Wüstungen geschuldet waren oder nicht. Dr. Schütz musste daher erheblichen argumentativen Aufwand betreiben, um diesem Fallstrick zu entgehen. Zunächst wies er noch einmal darauf hin, dass Graf Philipp den Freienseenern die Wüstungen und andere Rechte wie den Weinschank vollständig überlassen gehabt habe gegen Lieferung von 12 Maltern Hafer, während sie vorher nur drei Malter Hafer hätten geben müssen. Als der Graf ihnen die Wüstungen entzogen habe und dennoch den Hafer eingefordert habe, sei es darüber zu einem Prozess gekommen, der noch nicht entschieden sei. Während des Prozesses habe sich die Gemeinde auf Veranlassung der Herrschaft gespalten. Die wahre Gemeinde sei größtenteils von Haus und Hof vertrieben worden. Danach frage es sich 1.) ob es möglich sei, einen Besitz anzuführen, wenn alles noch in Rechtshängigkeit und, wie die Urteile ausweisen, gewaltsam vorgenommen worden sei? 2.) Ob solcher Be-

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sitz den Freienseenern schädlich sein könne, da doch die wahre Gemeinde im Exil habe leben müssen? 3.) Ob die Herrschaft wirklich von der Beweislast befreit sei. Ein von der Herrschaft angeblich durch Gewalt erworbener und nun gegenüber den Untertanen beanspruchter Besitz, müsse auf jeden Fall bewiesen werden, wenn die Untertanen behaupteten, etwas entweder nur aus Leihe oder Vertrag zu schulden. Das werde in die Entscheidung des Landgrafen gestellt. Den Besitz könne die Gemeinde nicht zugestehen, wenn er nicht bewiesen werde. Bis dahin aber sei die Gemeinde so zu stellen wie vor den Wirrungen. Dem hielten die gräflichen Deputierten entgegen, dass die Freienseener nach den Kameralakten die über die drei Malter Hafer hinausgehende Haferabgabe für die Wüstungen geleistet hätten. Diese Leistungen habe die Herrschaft Laubach auch während der Rechtshängigkeit gefordert, was von Rechts wegen zulässig sei. Nach dem Marburger Vertrag von 1639 hätten die Freienseener den Hafer und das Geld die ganze Zeit über bis vor etwa zwei Jahren widerspruchslos gegeben. Es wäre unverständlich, wenn dies nicht Besitz genannt werden dürfe. Die Herrschaft habe zwar, erwiderte Dr. Schütz, die Gülte nach 1639 eingefordert, ohne dass sich aber daraus ein kontinuierlicher Besitz ergebe. Die Freienseener hätten nach dem Westfälischen Friedensschluss versucht, ihre Rechte zu wahren, seien aber durch die schwierigen Kriegszeiten aus Furcht daran gehindert worden. Das beneficium pacis stehe nicht allein den Staaten zu, sondern auch den Untertanen, wofür sich die Gemeinde auf Artikel 3 Instrumenti Pacis berief. Als der Freienseener Deputierte forderte, den Besitz des Empfangs der Abgabe besser zu erläutern, verwies Solms darauf, dass dies vor dem Kammergericht geschehen müsse. Dagegen protestierte Freienseen, weil mit diesem Verweis auf die langwierige Herausgabeklage die Wirkung des landgräflichen Erbschutzes und des Mandats von 1634 beeinträchtigt würde. Dr. Schütz klagte, dass die Herrschaft alle Angriffe auf Freienseener Rechte mit einem Besitzanspruch zu rechtfertigen versucht habe, so dass die Gemeinde mit diesem Einwand schnell auch um das Übrige gebracht und in äußerste Dienstbarkeit geworfen werden könne. Diese komplexen rechtlichen Probleme blieben unerörtert und vollends unentschieden. Dazu war das gütliche Verfahren auch wenig geeignet, das nur der Feststellung dienen sollte, wie weit die Parteien in diesen Punkten zusammenkommen könnten13. Beim Streit über die Quantität der Abgabe verlangten die Freienseener die Herausgabe der Register und Bücher, was Solms auch zugestand. Offen blieb, wann dies geschehen solle und was sich aus der Einsichtnahme der Bücher ergeben könne. Das Problem der Bestrafung des in Freienseen wohnenden gräflichen Försters wurde durch eine Klärung der Beweislage erledigt. Solms gestand zu, dass 13

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), Nr. XCVII S. 250.

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der Förster von den Lasten nicht verschont werden solle, wenn er nicht beweisen könne, dass er von ihnen befreit sei. Dazu verlangte Dr. Schütz, dass der Förster sich dann auch nicht mehr der Gemeinde widersetzen und sie nicht bei der Herrschaft anschwärzen dürfe. Noch schneller ging es mit dem Wegegeld, das zwar nach dem Frankfurter Vergleich nicht mehr erhoben worden sei, für das es aber immer noch keine beständige Abrede gebe. Die gräflichen Deputierten sagten nur zu, dass es auch fortan nicht erhoben werden solle, ohne jedoch auf das Begehren einzugehen, diese Zusicherung in eine Vertragsklausel zu fassen. Bezüglich der Bachnutzung zum Flachseinlegen kam es zu einer Diskussion, bei der die Parteien aneinander vorbei redeten. Die Freienseener beriefen sich zur Verstärkung ihrer Position darauf, dass durch das Mandat von 1598 die Herrschaft angewiesen worden sei, die Ableitung des Baches einzustellen, was bisher nicht geschehen sei. Die Gräflichen trugen vor, dass sie wegen des Bachs nichts wüssten und insbesondere von einer Ableitung noch nie etwas gehört hätten, was wenig überzeugend klingt, weil dafür diese Maßnahme zu spektakulär gewesen war. So blieb auch dieser Punkt unentschieden. Zuletzt kam auch die Forderung zur Sprache, dass die Freienseener ihre Kleider nur zu Laubach machen lassen dürften. Hatten die gräflichen Deputierten in Frankfurt noch argumentiert, dass dies nur recht und billig sei, so zogen sie ihre Herrschaft nunmehr formal aus dem Streit heraus. Sie trugen vor, dass die Freienseener planten, fremde Schneider in ihren Ort zu setzen. Das wollten jedoch die zünftigen Schneider zu Laubach nicht zugestehen. In dieser Frage habe die Herrschaft kein eigenes Interesse, so dass die Zunft allein ihr Recht vortragen solle. Damit gab sich die Gemeinde jedoch nicht zufrieden, sondern berief sich darauf, dass das Ansinnen der Laubacher Schneider contra aequitatem naturalem verstoße und daher das Statut irrationabile sei. Die Schneider zu Laubach seien mit diesem beanspruchten Recht, das contra naturalem libertatem verstoße, nicht zu hören. Bestenfalls müssten sie es an den Orten ausführen, die dafür zuständig seien. Der Freienseener Deputierte Dr. Schütz bediente sich hier einer Argumentation mit Freiheits- und Naturrechtstopoi, die bisher am Reichskammergericht erst für die Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beobachtet worden ist14. Unklar bleibt, ob oder wie weit er damit durchdrang. Nachdem auf diese Weise alle Streitpunkte vorgebracht worden waren, zogen die gräflichen Deputierten nach Laubach mit dem Versprechen, über alles

14

Jürgen Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. In: Die politische Funktion des Reichskammergerichts, Qu. F. H.G. A. R. Bd. 24, 1993, S. 157ff.

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der Gräfin zu berichten und am nächsten Tag bis 9 Uhr vormittags zurückzukehren. Die Regentin war jedoch kaum in einem Punkt nachzugeben bereit. Als vormundschaftliche Regentin für ihren Sohn glaubte sie sich dazu nicht berechtigt. Deshalb konnte es nicht zu einer Übereinkunft kommen15. Wegen des Besitzes der Hafergülte bestritten die solmsischen Delegierten am nächsten Tag namens der Gräfin weiter, den Beweis erbringen zu müssen, weil ihr Besitz notorisch sei. Trotzdem durften sie vier Register aus den Jahren 1575, 1588, 1640 und ein nicht datiertes, vom ehemaligen Sekretär und Rat Terhell geschriebenes Buch, überreichen. In diesen waren 12 Achtel Hafer als von Freienseen zu entrichtende Abgaben enthalten. Drei weitere Rechnungen von 1554, 1561 und 1562 verzeichneten 12 fl. Bede aus Freienseen. Die Gemeinde bestritt mit vier Rechtsgründen die Beweiskraft der überreichten Register und Rechnungen. Nicht zuletzt wies sie darauf hin, dass gegen die Vermutung der Freiheit keine Beweise zulässig seien, was die Gräflichen allerdings nicht akzeptierten. Sie verwiesen die Freienseener darauf, dass sie solch weitläufiges Vorbringen an den dafür zuständigen Orten vorbringen müssten. Dr. Schütz betonte noch einmal, dass die Freienseener den Besitz nicht anerkennen müssten, weil sie in den letzten Jahren zu solchen Leistungen durch Furcht und Gewalt genötigt worden seien. Sie ersuchten Landgraf Georg II., sich nicht durch den Hinweis auf den Besitz aus seiner Schutzgerechtigkeit drängen zu lassen. Sie selbst wollten sich wegen der Herausgabeklage nicht an ein anderes Gericht verweisen lassen, womit deutlich wird, wie sehr die Freienseener darauf gehofft hatten, durch die Anrufung ihres Schutzherrn langwierige Prozesse am Kammergericht vermeiden zu können, was umgekehrt die gräflichen Deputierten gerade deswegen zu verhindern versuchten. Ein langwieriger Kameralprozess kam den herrschaftlichen Interessen eher entgegen, weil die Freienserner nicht genügend Geld zur Prozessführung hatten. Solms-Laubach war jedoch nur insofern erfolgreich, als schließlich der Punkt zur landgräflichen Entscheidung ausgesetzt wurde. Wegen der Leibeigenschaft brachten die gräflichen Deputierten aus Laubach die Nachricht mit, dass sich die Gräfin deswegen Rechtsbelehrung von den unparteiischen Rechtsfakultäten zu Marburg und Heidelberg einholen wolle16. Diese Absicht der Gräfin tat Dr. Schütz als nur der Verzögerung die15

16

Continuation-Protocolli, in Grünberg, Freytags den 21. Octobris 1653. Druck: Canngiesser (wie Kap.9.1, Anm. 15), Nr. XCVII S. 258–263. Ein auf das Jahr 1652 datiertes Gutachten der Kölner Rechtsfakultät, das im Laubacher Archiv einmal vorhanden gewesen war, ist heute leider nicht greifbar (Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia, K 55 Nr. 4), so dass nicht zu sagen ist, ob es auch in diesem Zusammenhang eingeholt worden ist.

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nend ab und wies darauf hin, dass Landgraf Georg II. genügend vortreffliche Räte habe, um die Sache selbst entscheiden zu können. Die solmsischen Deputierten weigerten sich, sich zu der Liste der Freiensener zu erklären, weil sie darüber nichts wüssten und die Sache einen anderen Bereich betreffe. Man verblieb so, dass ihnen die Namen mitgeteilt und sie darauf ihren Bericht übersenden würden. Dr. Schütz überreichte die angekündigte Liste von Personen, die rechtswidrig mit der Leibeigenschaft beschwert worden seien unter dem Vorbehalt weiterer Ergänzungen. Sodann forderten die Freienseener, die Grenzbesichtigung umgehend vorzunehmen und die Bemerkungen über die Person des Försters besser zu limitieren. Sie wurden aufgefordert mitzuteilen, was dabei zu beachten sei. Dass auch die Probleme der Hafergülte und des Weidegeldes der landgräflichen Entscheidung überlassen würden und damit die Gräfin gleichsam des Besitzes entsetzt werde, wollten die gräflichen Deputierten keinesfalls hinnehmen. Man wolle jedenfalls eine Klausel einrücken lassen, dass dieses Vorgehen die Gräfin nicht an ihren Rechten und ihrer Jurisdiktion präjudiziere. Die Regentin wolle darüber Rechtsbelehrung einholen. Auf ihrer Reise nach Heidelberg wolle sie auch in Darmstadt beim Landgrafen persönlich vorsprechen. Die Lösung in Grünberg lautete, dass die solmsische Seite eine Formulierung vorschlagen solle, wie dieser Punkt zu fassen sei, ohne dass dadurch der darmstädtische Erbschutz beeinträchtigt werde. Wie eine Bestätigung der Unvereinbarkeit der beiderseitigen Standpunkte wirken die beiden Schlusserklärungen. Unversöhnlich beharrten die gräflichen Deputierten darauf, dass die Gräfin in diesem Punkt nicht nachgeben werde, worauf der landgräfliche Verhandlungsführer hervorhob, dass sein Herr eine Beeinträchtigung seines Erbschutzes nicht dulden könne. Nach der Erörterung aller Streitpunkte schlug der landgräfliche Verhandlungsführer vor, dass er nach der Mahlzeit einen Rezess über das, was verglichen sei, aufsetzen wolle17. Dem widersprachen die gräflichen Deputierten, die offenbar die Weisung hatten, sich auf keine Bindungen einzulassen. Es bedürfe keines Rezesses. Im Übrigen hätten sie keine Zeit, so lange zu warten. Dr. Causedemius müsse zum Grafentag nach Friedberg. Der landgräfliche Verhandlungsführer beharrte jedoch darauf, dass es einen Rezess geben müsse. Er wolle sich auch beeilen. Als er nach der Mahlzeit den Text fertiggestellt hatte, wurde dieser verlesen. Die Solmsischen hatten sich jedoch umgehend schon nach Laubach begeben, um der Gräfin gebührend zu berichten. Am nächsten Tag hatten sie früh beizeiten mit den Entscheidungen der Gräfin zurückkehren wollen. Eine Abschrift des Rezesses wurde ihnen deshalb noch am selben Abend durch einen 17

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 262.

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besonderen Boten nachgeschickt. Doch kam am Samstagvormittag niemand aus Laubach nach Grünberg, so dass schließlich der landgräfliche Verhandlungsführer zusammen mit Dr. Schütz nach 12 Uhr Grünberg ohne eine Antwort der Gräfin verlassen musste. Die auf den 21. Oktober 1653 datierte Kopie eines Vergleichs zwischen Solms-Laubach und der Gemeinde Freienseen18 kann somit nur der nach Laubach geschickte Entwurf sein, den die Regentin nicht ratifiziert hat. Obwohl dieser Text daher nicht rechtsverbindlich war, ist er doch deshalb von Interesse, weil er noch einmal die Probleme dieser gütlichen Verhandlungen thematisierte und präzisierte. Vorab erinnerte das Konzept daran, dass bei der Frankfurter Konferenz einige Punkte bis zu einer neuen gütlichen Konferenz ausgesetzt worden seien. Deshalb habe Landgraf Georg II. nach Grünberg geladen. Dort seien die zu Frankfurt teils unerörterten, teils unvollzogen gebliebenen Punkte vorgenommen und mittels gütlicher Unterredung folgendermaßen verglichen worden: Bei der Siegelproblematik habe keine der beiden Parteien nachgeben wollen. So sei dieser Punkt über alle gütlichen Vermittlungsversuche hinaus unverändert streitig geblieben. Er wurde dementsprechend von solmsischer Seite bis zuletzt immer wieder reaktiviert. Zum Disput darüber, ob alle oder nur die noch vorhandenen Pfänder restituiert werden müssten, nahm der landgräfliche Verhandlungsführer Bezug auf den klaren Wortlaut des Frankfurter Rezesses, in dem keine Einschränkung zu finden sei. Da die gräflichen Deputierten sich darauf berufen hätten, dass der landgräfliche Verhandlungsführer in Frankfurt, Dr. Conrad Fabritius, ihre Ansicht bestätigen könne, wurde die Entscheidung dieses Punktes davon abhängig gemacht, was der eingeholte Bericht von Dr. Fabritius enthalten werde. Wegen der Leibeigenschaft hätten die solmsischen Deputierten zur überreichten Liste der betreffenden Personen angezeigt, dass sie dazu Rechnungen und Register durchsuchen müssten. Danach sollten sie binnen vier Wochen schriftlich Bericht erstatten nebst Beifügung eines Extrakts aus den Registern, aus denen zu ersehen sei, welche Bewandtnis es mit jeder Person habe. Bis dahin sollten keine Leibhühner oder andere Leibeigenschaftsleistungen erzwungen werden. Zur Grenzbesichtigung hätten die Gräflichen Deputierten vorgetragen, dass die Gräfin und ihr Sohn sie selbst vorgenommen und weitere Besichtigungen ausgesetzt hätten. Im Übrigen wurde dem Förster befohlen, sich weiterer unziemlicher Bedrohungen zu enthalten. Andernfalls werde Landgraf 18

Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 263–265 Nr. XCVIII.

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Georg II. gegen ihn entsprechend dem Mandat von 1634 andere Mittel anwenden. Der Besitz an der Hafergülte und dem Weidegeld sei weiter umstritten und daher dem Herrn Landgrafen zur Entscheidung überlassen worden. Dieser habe die Gräflichen ermahnt, mit der Exekution einzuhalten. Der gräfliche Förster zu Freienseen habe zu beweisen, dass die von ihm beanspruchte Befreiung von den allgemeinen Lasten persönlicher und sächlicher Art altem Herkommen entspreche. Diesen Beweis müsse er dem Landgrafen übersenden. Zu den Nachbarn habe er sich freundlich zu verhalten und dürfe deshalb zwischen Herrschaft und Gemeinde nicht grundlos Weiterungen und Streitigkeiten anstiften, wenn er eine Strafe vermeiden wolle. Beim Wegegeld hielten die Gräflichen zwar daran fest, dass es nicht mehr gefordert worden sei und auch nicht mehr gefordert werden solle, waren aber nicht bereit, dies in einer rechtsverbindlichen Vertragsklausel festzuschreiben. Dies zeigt deutlich, dass Solms den Freienseenern nur faktisch so weit entgegenkam, wie es unvermeidlich war, aber eine rechtlich nachweisbare Bindung tunlichst vermied. Unentschieden blieben auch die Nutzungsrechte am Bach. Die Gräfin ließ über die der Herrschaft zustehende Fischerei nicht mit sich reden. Die Gräflichen Deputierten blieben bei ihrer Behauptung, von einer Ableitung des Baches nichts zu wissen. Umgekehrt wollten sie der Gemeinde das Flachseinlegen nicht gestatten, so dass dieser nur übrig blieb, sich ihre Rechte vorzubehalten. Eine klare Stellung bezog der Text allein gegenüber dem Anspruch der Laubacher Schneider, dass die Freienseener ihre Kleider nur bei ihnen machen lassen dürften. Dies sei unzulässig, weil es gegen die natürliche Freiheit verstoße. Diese klare Abweisung der Forderung war unproblematisch möglich geworden, nachdem Solms sich aus dem Streit herausgezogen und ihn allein für ein Problem der Laubacher Schneider erklärt hatte. Über die Abgabe von 1 fl. für jede Handmühle solle nähere Erkundigung eingezogen werden durch Herausgabe der entsprechenden Rechnungen. So lange solle der Streit ausgesetzt werden. Die Gemeinde berief sich erneut auf Mandate zu ihren Gunsten und behielt sich die daraus fließenden Rechte vor. Dieser Text ist ein schlagender Beweis dafür, dass die gütliche Verhandlung die Streitsituation nicht entschärft hatte. In den wichtigsten Punkten hatten sich die Positionen der beiden Parteien nicht einmal angenähert – von einer Lösung der Streitfragen ganz zu schweigen. Selbst wo die Herrschaft in der Sache nachgab, wie beim Wegegeld, war sie nicht bereit, dies vertraglich abzusichern. Beim Bierschank hatte die Regentin, nachdem ihr Hilfegesuch von Kassel abgeschlagen worden war, zwar insofern nachgegeben, als sie sich zu einer provisorischen Vertragslösung bereitfand. Dieses Zugeständnis dürfte

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ihr aber deshalb nicht schwergefallen sein, weil das Ergebnis wirtschaftlich für Solms keineswegs ungünstig war. Die Herrschaft bekam für die Schanklizenz eine namhafte jährliche Geldsumme. Vor allem aber war der durch die Konsumänderung weitgehend entwertete herrschaftliche Weinschank ersetzt worden dadurch, dass das neue Phänomen des Brennens und Ausschenkens von Kornbranntwein durch diesen Vertrag auch dem Lizenzzwang unterworfen wurde. Die Ablehnung der gräflichen Deputierten, einen Rezess über die Vergleichspunkte aufsetzen zu lassen, und die fadenscheinige Berufung auf andere, dringende Geschäfte im Zusammenhang mit dem Ausbleiben der Rückkehr nach Grünberg mit den Antworten der Gräfin zeugen davon, dass Solms-Laubach nicht wirklich daran interessiert war, diesen gütlichen Verhandlungen zum Erfolg zu verhelfen.

13.

Graf Carl Otto (1654–1676)

Auch wenn während der vormundschaftlichen Regentschaft vergebliche Versuche gemacht worden waren, die Verhältnisse zwischen der Herrschaft Solms-Laubach und dem Dorf Freienseen schiedlich zu regeln, hatte die Herrschaft doch niemals darauf verzichtet, gleichzeitig gräfliche Ansprüche auch gewaltsam durchzusetzen. So war sie weiter bestrebt, die solmsische Leibeigenschaft in Freienseen auszuweiten und von allen Bewohnern Leibhühner sowie die Beteiligung an der Hasenjagd zu fordern, was eindeutig gegen Entscheidungen des Reichskammergerichts verstieß1. Auch hatte sie durch den Rentmeister den Freienseenern 100 Schafe abpfänden lassen, weil deren Hirte angeblich die Schafe der Gemeinde in gräflichen Wäldern geweidet habe. Trotz ihres Protestes, dass die Schafe auf ihrem eigenen Gebiet geweidet hätten, waren die Freienseener zu 100 Reichstalern Strafe verurteilt worden, wofür sie schließlich gepfändet wurden. 80 Stück verkaufte der Rentmeister an Frankfurter Metzger, von denen die Bauern sie wieder einlösen mussten, weil sie sie nicht entbehren konnten. Diesen Verkauf hatte auch das Patent der landgräflich hessischen Regierungskanzlei zu Giessen vom 9. Juli 1656 nicht verhindern können, in dem verboten wurde, mit dem Vieh zu handeln2. Die Hessen drohten an, man werde gegen diejenigen, die den Befehl missachteten, vorzugehen wissen, so ihnen nicht lieb sei. Da diese Drohung nichts genutzt hatte, mahnten die landgräflichen Kanzler und Räte zu Giessen die Gräfin, die in Abwesenheit ihres mittlerweile regierenden Sohnes in Laubach zeitweilig für diesen wieder die Herrschaft ausübte, am 22. September 1655, den Freienseenern die abgepfändeten Schafe zu restituieren oder deren Wert zu ersetzen3. Ebenso solle sie die in Freienseener Wäldern abgehauenen und verkauften Bäume restituieren und weiter keine Gewalttaten verüben. Sie erinnerten die Regentin daran, dass dem Landgrafen durch das Mandat von 1634 befohlen worden sei, die Freienseener zu schirmen und zu schützen. Wenn die Adressatin den Aufforderungen nicht nachkomme, müsse der Landgraf entsprechend seiner Schutzgerechtigkeit eingreifen. Zwischenzeitlich erwirkten die Freienseener am 19. August 1656 gegen Graf Carl Otto und seine Mutter Gräfin Katharina Juliana eine Ladung zur Wiederaufnahme des Verfahrens4. Da weder Gräfin Katharina Juliana diesen Bitten nachkam noch der Landgraf aktiv wurde, bekamen die Freienseener am 7. Februar 1656 in

1 2 3 4

Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 102, Qu. 1. 1656 Juni 2. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 79, Lit. T. Wie Anm. 1, Qu. 4. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXIII Nr. 79, sub dato.

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Speyer gegen beide ein Mandat5. Der Gräfin wurde die Restituierung befohlen, dem Landgrafen erneut der Schutz der Freienseener gegen widerrechtliche Handlungen aufgegeben. Die Gräfinmutter beharrte jedoch darauf, dass die 100 Schafe rechtmäßig gepfändet worden seien6. Im Marburger Vergleich von 1639 sei den Freienseenern Weidgang und Beholzung in den Wäldern, Wüstungen und Feldmarken der Herrschaft Laubach abgesprochen worden. Vor zwei Jahren hätten sie jedoch wieder begonnen, ihr Vieh in die herrschaftliche Wälder treiben zu lassen. Das sei ihnen zunächst bei 20 Reichstalern Strafe verboten worden. Nach der Wiederholung habe man die Strafe auf 100 Reichstaler erhöht. Die Entschuldigung, dies sei aus Unachtsamkeit des Hirten geschehen, stimme nicht, weil dieser ausgesagt habe, dass die Gemeinde es ihm ausdrücklich befohlen habe, ihr Vieh in die herrschaftlichen Wälder zu treiben. Dessen Angaben hätten die nach Laubach zitierten Freienseener Bürgermeister auf der Kanzlei bestätigt. Mit der Bestrafung habe die Gräfin also nicht gegen Mandate oder Urteile verstoßen. Auch greife der hessische Schutz gegen eine solche rechtmäßige Maßnahme der Obrigkeit nicht. Aus diesen Gründen sei das Mandat rechtswidrig erschlichen worden und müsse folglich kassiert werden. Dies wiederum konnten die Kläger nicht akzeptieren7. Sie bestritten grundsätzlich, sich strafbar gemacht zu haben, weil im Marburger Vergleich von 1639 keineswegs alle streitigen Wälder und Wüstungen der Herrschaft zugesprochen worden seien. Einige seien streitig geblieben wie etwa die Wüstung Creutzseen, die nicht in den Rezeß einbezogen worden sei. Ein Stück am Creutzseener Berg, genannt die Weidenau und das Peterswäldchen, in das sie ihr Vieh hätten treiben lassen, gehörten nicht der Herrschaft sondern ihnen. Was auch immer der Hirte gesagt haben mag, in Wahrheit habe die Gemeinde ihm nur befohlen, ihr Vieh in diese Stücke zu treiben. Weil die Gemeinde somit keines Verbrechens überführt und deshalb keine Strafe zu zahlen schuldig sei, habe sie sich bei ihrem fürstlichen Schutzherrn beklagt, der sie beschieden habe, dass es eine gütliche Konferenz geben solle. Darauf seien sie zwei Jahre lang von weiteren Forderungen verschont geblieben. Schließlich, da die Grenzbesichtigung in der verabredeten Form nicht vorgenommen worden und genügend klar gewesen sei, dass die Kläger sich keiner Strafe schuldig bekennten, habe man de facto angefangen, ihnen 100 Schafe wegzutreiben. Da ihr Schutzherr abwesend gewesen sei, hätten sie sich nicht anders helfen können, als durch ihren Advokaten bei der landgräflichen Regierung in Giessen zu remonstrieren. Das alles habe jedoch keine Wirkung 5

6 7

Wie Anm. 1. Druck: Abdruck (wie Kap. 4.2, Anm. 9), S. 72ff. zu 1655 August 20 = Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 266ff. Nr. XCIX zu 1655 August 28. Wie Anm. 1, Qu. 6. Wie Anm. 1, Qu. 11.

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erzielt. Zuletzt sei vielmehr die Antwort gekommen, es würde gegen die Reputation der Herrschaft verstoßen, wenn diese – wie die Frau Gräfin selbst ausgesagt habe – ihren Untertanen und Bauern petito gewähren sollte. So wichtig gerade in der durch den Krieg geschwächten wirtschaftlichen Lage beider Parteien der materielle Wert der strafweise weggenommenen Schafe sein mochte, so wenig erschöpfte sich darin die Motivation, sich wieder so heftig auseinanderzusetzen. Die Gräfin Katharina Juliana hatte vielmehr das Gefühl, ihre hoheitliche Stellung zu beeinträchtigen, wenn sie den Untertanen zu sehr entgegenkäme. In der Sache blieb die Beklagte dabei, dass die Kläger ihr Vieh in herrschaftliche Wälder hätten treiben lassen8. Sie verstärkte mit Zeugeninstrumenten ihre anfängliche Behauptung, dass der Hirte und die Bürgermeister dies auch zugegeben hätten9. Dies führte zu einer unfruchtbaren Auseinandersetzung über die Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen und sogar auch über die Redlichkeit der Notare, die solche Aussagen beurkundet hatten10. In den Jahren 1674 bis 1676 blieb der Prozess ohne Prozesshandlungen liegen. Am 6 August 1676 starb Graf Carl Otto. Da er keinen Sohn hinterließ, gingen die solms-laubachischen Lande nach anfänglichen Wirren auf die Linie Solms-Rödelheim über. Für diese meldete sich am 10. Mai 1677 als Prokurator Dr. Zeller zu den Akten11. Doch blieb dies seine letzte Prozesshandlung in dieser Sache, so dass der Fall ohne Entscheidung des Reichskammergerichts auslief12. Hatte Graf Carl Otto diesen Fall von seiner Mutter übernommen, so schuf er selbst sehr bald nach seinem Regierungsantritt neuen Zwist mit den rebellischen Untertanen in Freienseen, indem er versuchte, ihnen das Recht des Bierbrauens und Bierschanks gänzlich zu entziehen13. Die Freienseener beriefen sich auf den in Frankfurt mit Gräfin Katharina Juliana am 17. Juli 1651 geschlossenen Vertrag14, der auch die Herrschaft zwinge, das ihnen zustehende Recht anzuerkennen. Der Beklagte berief sich demgegenüber jedoch darauf, dass das Recht des Brauens und Ausschenkens von Bier seit mehr als 100 Jahren immer der Herrschaft zugestanden habe15. Die Freienseener hätten zwar den Bierschank in ihrer Klage primi mandati eingeklagt gehabt. Er sei 8 9 10

11 12

13 14 15

Wie Anm. 1, Qu. 13, 1656 Juni 17. Wie Anm. 1, Qu. 14–16. Wie Anm. 1, Qu. 17, 18, 20, 1657 Juni 8, Qu. 21, 1657 Juni 17, Qu. 22–26, 1657 September 10. Wie Anm. 1, Protokoll sub dato. Wie Anm. 1, Protokoll: 1678 nihil, 1679 August 10 completum, 1680 Dezember 2 visum. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 91, Qu. 1, 1656 Juni 2. Wie Anm. 13, Qu. 3, 1656 September 3. Wie Anm. 13, Qu. 4, 1656 September 3.

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ihnen aber im Urteil vom 10. November 1574 nicht zugesprochen worden. Ob sich daraus ergebe, dass deshalb dieses Recht den Grafen zu Solms-Laubach zustehe, blieb bis zuletzt umstritten. In den Marburger Verhandlungen hätten die Freienseener den Bierschank nicht einmal beansprucht, ihn also im Marburger Vergleich von 1639 auch nicht bekommen16. Nach 1639 sei die Herrschaft über zehn Jahre lang ruhig im Besitz dieses Rechtes gewesen. Daher stehe dem Begehren der Kläger die Einrede des rechtskräftigen Urteils entgegen. Über diese Einwendung hinaus sprächen auch noch andere Gründe gegen den Anspruch der Kläger. Nach altem Brauch und alter Gewohnheit stehe fast allerorten der hohen Obrigkeit das Recht des Bierbrauens und Ausschenkens zu, was mit Zitaten gelehrter Literatur belegt wird. Insbesondere Dörfer könnten es nur mit Bewilligung der Landesobrigkeit ausüben. So sei es auch in diesen Landen und benachbarten Gebieten, was mit Zeugenaussagen belegt wird17. Sogar die Stadt Laubach habe dieses Recht nur widerruflich erhalten18. Die Herrschaft habe auch in Freienseen, das nicht einmal ein eigenes Brauhaus besitze, das ihr zustehende Recht des Bierschanks immer an dortige Einwohner verliehen, was mit zwölf Zeugenaussagen belegt wird19. Es sei also auch falsch, dass die Herrschaft sich dieses Recht erst in den letzten Kriegsjahren angemaßt und damit den Besitz der Freienseener gestört habe. Fast ein Jahr brauchten die Kläger, um auf diese Schrift zu replizieren20. Sie behaupteten, dass noch in den Jahren nach 1602 zu Freienseen Bier gebraut worden sei. Erst dann habe die gräfliche Seite die Kläger in gewohnter Weise in ihrer Gerechtsame gestört und ihnen das Brauzeug als Pfänder weggenommen, das sie vor einigen Jahren habe zurückgeben müssen. In der Tat hatte es sogar einen Streit darüber gegeben, ob nur die zur Zeit der Rückgabe noch vorhandenen Gegenstände oder alle gepfändeten restituiert werden müssten. In dem Urteil von 1574 sei den Grafen auch nicht das Geringste zuerkannt worden. Der mit Gräfin Katharina Juliana 1651 geschlossene Vertrag spreche ebenfalls für die Kläger, weil ihnen darin anbefohlen worden sei, binnen einer genannten Frist ihre Rechte nachzuweisen, womit die Gräfin indirekt anerkannt habe, dass es solche Rechte geben könne. Dass die Freienseener nicht wie die anderen Untertanen zu behandeln seien, beweise ihr von späteren Kaisern bestätigtes Privileg von 1555, nach dem sie frei handeln und wandeln dürften. Wie wichtig Graf Carl Otto diese Auseinandersetzung war, zeigt sich 16 17

18 19 20

Wie Anm. 13, Qu. 7, 8. Wie Anm. 13, Qu. 9 (Stadt und Amt Hungen); Qu. 10 (Ämter Ortenberg und Gedern). Wie Anm. 13, Qu. 11. Wie Anm. 13, Qu. 12. Wie Anm. 13, Qu. 16, 1657 Juni 8.

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nicht zuletzt auch an der Intensität und Sorgfalt, mit der sein Anwalt seine Position mit Zitaten aus der juristischen Praktikerliteratur, also insbesondere von Responsen und Consilien, zu untermauern versuchte21. Aber auch der Umstand, dass der solmsische Anwalt am 28. September 1657 die Grundproblematik noch einmal thematisierte, zeigt, dass es Graf Carl Otto nicht nur um den wirtschaftlichen Wert des Bierbrau- und Schankrechts ging22. Das Mandat sei fälschlich im Namen der ganzen Gemeinde erwirkt worden, obwohl zwanzig Freienseener sich zu dieser Sache nicht hätten bekennen wollen. Damit versuchte Solms-Laubach erneut, einen Zwiespalt in der Gemeinde, die 1639 gerade erst wieder vereinigt worden war, zu instrumentalisieren. Noch schwerer wiegt der Hinweis, dass die Gemeinde Freienseen zwar die Reichsunmittelbarkeit gesucht habe, dass aber die Herrschaft ihre Obrigkeit im Dorf nebst der daraus folgenden Erbhuldigung bewiesen und durchgesetzt habe. Die Freienseener hätten auch niemals eine eigene Jurisdiktion gehabt, sondern gehörten ins Laubacher Gericht. Entgegen der Ansicht des klägerischen Anwalts betreffe das Urteil von 1574 auch nicht nur die laubachischen Leibeigenen in Freienseen. Demgegenüber bezogen sich die Kläger am 29. Oktober 1658 auf eine Reihe kammergerichtlicher Mandate und Paritori-Urteile und erklärten die Submission23. Am 16. Mai 1659 erklärte das Gericht zur Akte: completum24. Am 20. Februar 1660 protestierte der solmsische Anwalt noch einmal, dass auf die Submissionsschrift mit einer Gegensubmissionsschrift geantwortet worden sei. Dies widerspreche einem Gemeinen Bescheid und sei daher unzulässig25. In den Jahren 1661 bis 1672 geschah in dieser Sache nichts26. Erst am 4. April 1673 wurde ein neuer klägerischer Prokurator aktiv und beantragte unter Bezugnahme auf die Duplik vom 29. November 1658, die Sache für geschlossen zu erklären27. Er wies dabei darauf hin, dass seinen Mandanten am Ausgang sehr gelegen sei, weshalb er um Urteil bat. Nach dem Tod Graf Carl Ottos trug der klägerische Anwalt am 13. März 1678 vor, dass der Verstorbene keine männlichen Leibeserben hinterlassen habe28. Deshalb beantragte er gegen den (noch unbestimmten) Nachfolger Ladung zur Wiederaufnahme des Verfahrens, was das Gericht auch beschloss. Erst am 17. Ja21

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Wie Anm. 14, Qu. 23: Carpzov, Schrader, Hail, Wesenbeck, Besold, Bercholt, Berlich, Cothmann, Klock, Schrader, Bocholt, Husanus, Mevius, Speidel. Wie Anm. 14, Qu. 23. Wie Anm. 14, Qu. 25, mit Beilagen Qu. 27–35. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Protokoll sub datis. Am 2. September 1662 wurde die Akte angesehen (visum) und am 23. Juni 1665 revidiert (revisum), ohne dass etwas geschah. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato.

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nuar 1679 stimmte der Freienseener Anwalt zu, den Licenciaten Steinhausen als Anwalt des Grafen Johann Friedrich zu akzeptieren, wenn dieser seine Vollmacht überreiche29. Widrigenfalls solle ihm dies durch Urteil auferlegt werden. Da zudem der junge Graf während der Rechtshängigkeit ein neues Dekret erlassen und damit die klagende Gemeinde widerrechtlich beschwert habe, beantragte er, dieses Dekret zu kassieren und ein Inhibitionsurteil zu erlassen. Doch dann ruhte das Verfahren wieder 16 Jahre lang (1680–1696). Am 11. Januar 1696 jedoch verbot die Herrschaft wegen der vielfältigen Exzesse beim Branntweinausschank, um deren Abstellung sie schon vor zwei Jahren gebeten gehabt habe, allen Einwohnern von Freienseen das Brennen oder Ausschenken von Branntwein ohne Erlaubnis der Rentkammer. Diese Erlaubnis solle nur gegen eine angemessene Verleihungsgebühr erteilt werden30. Am 10. März 1696 nahm der Freienseener Anwalt unter Protest die Generalvollmacht für den gräflichen Nachfolger an31. Gleichzeitig wies er ein zusammen damit überreichtes Schreiben zurück und bat insbesondere gegen die während der Rechtshängigkeit begangenen Attentate ein Urteil zugunsten seiner Mandanten. Auch darauf reagierte das Gericht jedoch wieder nicht. Am 25. Mai 1698 musste der klägerische Prokurator wiederum ein Urteil anmahnen, weil seine Mandanten erneut in ihren Rechten beschwert und mit unbefugter Strafe bedroht würden. Interessant ist es, dass es nunmehr nicht mehr um das Bierbrauen und Ausschenken ging, sondern um das Branntweinbrennen und Ausschenken, das mittlerweile wirtschaftlich in den Vordergrund getreten war. Nunmehr konnte der Anwalt des Beklagten am 20. September 1698 nicht nur darauf hinweisen, dass die Kläger für die Verleihung des Bier- und Branntweinschanks ein Entgelt zahlten32, sondern die Bauern hätten damit auch anerkannt, diese Gewerbe nur kraft herrschaftlicher Verleihung nutzen zu dürfen. Dann stehe der Herrschaft auch zu, heilsame obrigkeitliche Verordnungen auf diesem Gebiet zu erlassen. Solms-Laubach meinte ebenso wie zahlreiche andere Obrigkeiten dieser Zeit, dass das übermäßige Branntweinbrennen eine Ursache für die zu bekämpfende Teuerung sei. Das wird gerade auch für Freienseen mit zahlreichen Zeugenaussagen belegt33. Damit hatte sich die Diskussion von der Ebene der Notwendigkeit oder Zulässigkeit einer obrigkeitlichen Konzession des Schankgewerbes

29 30 31 32 33

Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 100, Qu. 2. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Qu. 36. Wie Anm. 14, Qu. 37: Notariatsinstrument vom 28. Juli 1698 über 89 Zeugenaussagen.

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auf die der polizeilichen Bekämpfung der Teuerung verlagert34. Trotz dieses interessanten Neuansatzes blieb die Sache wieder über Jahre hin unbearbeitet liegen, ohne dass sich die Parteien um eine Beendigung bemühten. Erst am 12. Dezember 1740 erschien namens des gerade zur Regierung gekommenen Grafen Christian August dessen Prokurator Dr. Scheurer und mahnte, dass die Kläger das schon 1673 zur Submission gediehene Verfahren endlich beschleunigen sollten35. Seinem Mandaten sei an einem schnellen Ausgang sehr gelegen. Der neue Freienseener Prokurator Dr. Goy bat am 6. Februar 1741 um eine Frist von zwei bis drei Monaten, um sich gehörig informieren zu können36. Der Streit über eine zu gewährende oder abzulehnende Frist zog sich über ein Jahr lang hin37. Die Freienseener mussten schließlich einen neuen Advokaten nehmen (20. November 1741), der seinen Schriftsatz jedoch auch wieder nicht schickte, weil ihn andere dringende Geschäfte an der Ausarbeitung hinderten. Dr. Schott in Giessen habe ursprünglich die Sache übernehmen wollen, sei aber durch eine Reise nach Schweden daran gehindert worden (1742 Januar 8), womit die schwedischen Thronfolge der Kasseler Landgrafen bis in diesen einfachen Kammergerichtsprozess durchschlug. Selbst der Hinweis von Dr. Scheurer, dass in dieser uralten Sache schon vor vielen Jahren von beiden Parteien submittiert worden sei und deshalb die Dilationsgesuche der Reichskammergerichtsordnung und Gemeinen Bescheiden widersprächen (1742 Januar 12), konnten das Gericht nicht dazu veranlassen, eine Entscheidung zu fällen. Am 23. Februar 1742 lehnte es sogar den Antrag des solmsischen Prokurators auf ein Endurteil zur Zeit noch ab und gewährte stattdessen Dr. Goy zu allem Überfluss eine Frist von sechs Wochen zur Einbringung seiner Handlung, die ihm vorbehalten sei38. Fünf Tage später konstatierte der Freienseener Anwalt in der Audienz, die Befugnis der Kläger Bier zu brauen und Branntwein zu brennen sowie beides zu verkaufen, sei im Gegensatz zum beanspruchten Besitz des Beklagten hinreichend dargetan, so

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Die Bekämpfung übermäßigen Branntweinbrennens und Trinkens findet sich zur selben Zeit auch in anderen Territorien. Als Beispiele: Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit Bd. 1 (= Ius Commune Sonderhefte 84), 1996, Köln Nr. 64 (1656 V. 26), Nr. 67 (1659 V. 4); Mainz Nr. 275 (1672 I. 26). Bd. 2/2 (= Ius Commune Sonderhefte 111/2), 1998, Kleve und Mark Nr. 210 (1651 X. 20) Nr. 262 (1661 XI. 10); Magdeburg Nr. 210/4.6 (1656 II. 14); Bd. 7/1 (= Ius Commune Bd. 204), 2006, Bern Nr. 1261 (1641 VIII. 12), Nr. 1295 (1642 VIII. 31). Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Wie Anm. 14, Protokoll: 1741 Februar 8, 10, 20, Mai 5, Juni 16, 19, 21, 23, 26, Juli 12, August 28, 30, November 8, 20, 22, 24, Dezember 7, 11, 18. 1742 Januar 8, 12. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato.

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dass er um Erlass eines Urteils bat39. Nach einem sich bis in den September 1743 hinziehenden Geplänkel über die Zulässigkeit weiterer Handlungen40, schliesst die Akte ohne Sachentscheidung am 21. Januar 1745 mit dem Vermerk completum41. Zusätzlich zu diesen beiden eben geschilderten Verfahren, die die Freienseener durch Mandate vom 2. Juni 1656 begonnen hatten, erwirkten sie am selben Tag ein weiteres Mandat gegen Graf Carl Otto und Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, weil die Vorfahren des Grafen in den schweren Kriegszeiten unter Verletzung ihrer Privilegien und Freiheiten sowie entgegen Mandaten und Urteilen neue Beschwerungen bei der Leibeigenschaft eingeführt hätten42. Auf der Frankfurter Konferenz hätten die gräflichen Deputierten am 17. Juni 1651 noch weit von sich gewiesen, widerrechtlich Menschen zu solmsischen Leibeigenen machen zu wollen. Auf einer anderen gütlichen Konferenz (in Grünberg) hätten sie am 20. Oktober 1653 zugesagt, der landgräflichen Kanzlei eine Aufstellung der solmsischen Leibeigenen in Freienseen zuzuschicken. Obwohl sie dies nicht getan hätten, habe sich doch die Lage deshalb beruhigt, weil niemand innerhalb der nächsten vier Jahren Leibhühner gefordert oder Hasenjagden befohlen habe. Doch jetzt sei der Graf durch unruhige und der Gemeinde mißgünstige Leute verleitet worden, bei einer Strafe von 10 fl. wieder die aus der Leibeigenschaft herrührenden Leibhühner zu fordern. Drei von solmsischer Leibeigenschaft freie Mitnachbarn habe er bei Strafe von 10 fl. gezwungen, das Leibhuhn zu geben und sich ihm damit leibeigen zu machen. Als er ihnen die 10 fl. Strafe schließlich erlassen habe, habe er gedroht, mit den anderen ebenso zu verfahren. Seitdem lebten die Kläger in großer Furcht vor Gefängnis und anderen Verstrickungen. Während das Kammergericht den Grafen aufforderte, dies rückgängig zu machen, gab es dem Landgrafen auf, sein Schutzrecht aktiver auszuüben. Am 8. August 1656 revanchierte sich der Graf Carl Otto, indem er ein strafbewehrtes Mandat wegen Beschwerung und Belästigung sowie eine Ladung zur Prüfung, ob die Freienseener und Landgraf Georg II. wegen Gewaltanwendung schon in die Poen verfallen seien, beantragte43. Darin beschwerte er sich, dass der Landgraf in das zur Herrschaft Laubach gehörige Dorf Freienseen Soldaten aus Giessen geschickt habe. Dabei sei doch unter Beihilfe seiner de39 40

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Wie Anm. 14, Protokoll 1742 Februar 28. Wie Anm. 11, Protokoll: 1742 April 2. 9, 11, November 19, 1743 Januar 9, 11, 30, September 4. Wie Anm. 14, Protokoll sub dato. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXVIII Nr. 44, ohne Qu. Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 269ff. Nr. C. Wie Anm. 41, ohne Qu. Nach Qu. 3.

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putierten Räte ein Vertrag mit den Bestimmungen geschlossen worden, dass die Freienseener sich des Weidegangs und der Beholzung in genannten Wäldern der Herrschaft enthalten sollten. Die Herrschaft Laubach befinde sich jedoch im Besitz der Leibhühner und Dienste zu Hasenjagden wie auch des Wein- und Bierschanks zu Freienseen. Die Freienseener hätten die Sache wegen der Leibeigenen und Leibhühner 1598 am Reichskammergericht anhängig gemacht und 1656 um Ladung zur Wiederaufnahme des Verfahrens gebeten sowie im selben Jahr fälschlich ein neues Mandat erwirkt, wogegen Solms-Laubach eingewandt gehabt habe, dass die Sache noch rechtshängig sei und man die Herrschaft deshalb nicht in ihrem Besitz stören dürfe. Landgraf Georg II. und dessen Kanzler und Räte zu Giessen hätten jedoch viele Soldaten aus Giessen ins Laubacher Territorium geschickt, die in laubachischen Dörfern Vieh gewaltsam genommen hätten, als die Freienseener sich zum ersten Mal 1651 den Wein- und Bierschank angemaßt hätten. Als der Graf die Freienseener im Jahre 1655 gepfändet habe, weil sie verbotswidrig ihr Vieh in herrschaftliche Wälder getrieben hätten, habe der Landgraf drei Soldaten ins Dorf geschickt, um die Pfändung zu verhindern. Ebenso habe Landgraf Georg II. mehr als 50 Soldaten von Giessen ins Laubacher Territorium abkommandiert, die das gepfändete Vieh weggetrieben hätten, als Graf Carl Otto am 17. Juni 1656 den Freienseenern Vieh habe pfänden lassen, weil sie ihre schuldigen Leibhühner nicht weiter hätten geben wollen. Teils lägen die Soldaten noch in Freienseen und hielten die Bauern in ihrer Halsstarrigkeit vom schuldigen Gehorsam ab. Die am 25. Juli 1656 geschickten weiteren 13 Soldaten hätten vom gräflichen Hof Obernseen zwei Kühe des Grafen und eine der Gräfinmutter mit Gewalt weggenommen. Danach hätten sie sich in des gräflichen Försters Haus zu Freienseen einlogiert. Sie hätten ihm die Hühner totgeschlagen und aufgefressen, den in des Försters Haus lagernden herrschaftlichen Wein ausgesoffen sowie einen schönen Birnbaum zerhauen und mit den Birnen die Fenster zerworfen. Dies alles sei im Schein der Schutzgerechtigkeit geschehen, die jedoch nicht gegen die ordentliche Obrigkeit ausgeübt werden dürfe. Da weitere Gewalttaten zu befürchten seien, sei Gefahr im Verzuge. In solchen Fällen müsse der anrufenden Partei schleunigst geholfen werden. Deshalb müsse das Kammergericht den Landgrafen und seine Räte in eine namhafte Poen verurteilen und ihnen befehlen, die Freienseener nicht in ihren streitigen Sachen mit dem Grafen zu schützen, die einlogierten Soldaten zurückzuholen und dem Grafen das mit Gewalt abgenommene Vieh alsbald zu restituierten. Dieses Dokument ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Es zeigt zum einen auf, wie systematisch Graf Carl Otto die drei Streitpunkte (Weidegang, Bier- und Weinschank, Leibeigenschaft) bei seinem Regierungsantritt neu aktivierte. Die schlechten Zeiten der Kriegs- und Nachkriegsjahre nötigten den Landesherrn offensichtlich, mögliche Ressourcen zu nutzen und

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zu aktivieren, was zudem dem Streben entsprach, die herrschaftlichen Positionen gegenüber den Untertanen kräftig wahrzunehmen. Dies wiederum veranlasste die betroffenen Freienseener, wieder intensiver die Möglichkeiten der hessischen Schutzgerechtigkeit auszunutzen. In dieser Darstellung wird aber auch deutlich, wie gefährlich dies für Solms-Laubach werden konnte, weil der Landgraf im Gegensatz zum Grafen über Soldaten verfügte, die er den Freienseenern zu Hilfe schicken konnte. Mit deren Einsatz konnten die gräflichen Maßnahmen zur Durchsetzung der laubachischen Obrigkeit wirkungsvoll verhindert werden. Die rebellischen Untertanen bekamen damit eine Rückenstärkung, die ihren Widerstand gegen die Landesherrschaft besser unterstützte als alle Mandate und Urteile des Reichskammergerichts. Schon vor der Frankfurter Konferenz von 1651 seien hessische Soldaten in Freienseen eingerückt, die der Landgraf abzuziehen versprach, wenn die Gräfin versichere, dass in Freienseen alles beim Alten bleibe44. Am 20. März 1656 erließ die landgräfliche Regierungskanzlei zu Giessen einen Befehl, dass auf Anfordern der Freienseener der Offizier Hans Kaiser und einige Musketiere zum Schutz gegen unbefugte und widerrechtliche Gewalt der gräflich solms-laubachischen Witwe nach dort abkommandiert worden seien45. Ungeachtet dieser Wirren vor Ort ging das Speyerer Verfahren weiter. Am 19. August 1656 bestritt Graf Carl Ottos Prokurator, dass das Mandat gegen diesen zu Recht ergangen sei46. Auch in diesem Verfahren machte er geltend, dass 20 Bewohner des Dorfes mit der Klage nichts zu tun haben wollten, weshalb es falsch sei, dass das Mandat im Namen der ganzen Gemeinde erwirkt wurde. Ebenso sei falsch, dass Laubach unverantwortlich in die Freienseener Privilegien eingegriffen habe. Auch hätten die Kläger wegen der Leibeigenschaft und deren Belastungen keine sie begünstigenden Urteile erhalten, gegen die der Graf verstoßen habe, als er drei von ihnen habe gefangen nehmen lassen. Da die Freienseener treulos und rebellisch seien, habe die Herrschaft Laubach sie billig wie Rebellen behandeln dürfen. Vor allem wegen der Leibeigenschaft und der daraus fließenden Belastungen wie die Leibhühner und wegen der Frondienste zur Hasenjagd gebe es kein Urteil, das sie davon befreie. Das Urteil vom 10. November 1574 verbiete nur, von denjenigen, die nicht solmsische Leibsangehörige seien, die Fron zur Hasenjagd oder Gerichtshühner und Gerichtsbrote zu fordern. Das habe die Herrschaft Laubach auch niemals getan. Unstreitig besitze Laubach aber in Freienseen zahl-

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Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 79, zu 1651 April 9, in Speyer produziert am 14. Oktober 1656. Wie Anm. 43. Wie Anm. 41, Qu. 7.

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reiche Leibeigene47. Gegen das Mandat von 1598 habe die Herrschaft erhebliche Einwendungen vorgebracht. Da in diesem Prozess noch kein Urteil ergangen sei, könne der hessische Nebenschutz in diesem Fall nicht durchgreifen. Am 4. Juni 1657 erklärten die Kläger, dass die 20 Gemeindemitglieder sich deshalb der Klage nicht hätten anschließen wollen, weil sie als solmsische Leibeigene von dem Mandat nicht betroffen gewesen seien, das zugunsten von Menschen erwirkt worden sei, die unrechtmäßig in die gräfliche Leibeigenschaft gezwungen worden seien48. Daraus sei also keine Absonderung von der Gemeinde abzuleiten. Es würde gegen die Gewohnheiten, Privilegien und die von Kaisern verliehene Freiheiten verstoßen, wenn jeder Auswärtige den bäuerlichen Lasten unterworfen würde. Das hätte schlechte Konsequenzen für die Gemeinde, weil sich deswegen niemand oder nur wenige ins Dorf verheiraten oder begeben würden, was angesichts der großen Bevölkerungsverluste durch den Krieg jedoch unbedingt notwendig sei. Dies ist weniger eine rechtliche Argumentation als eine Zweckmäßigkeitsüberlegung. Anders dagegen wieder der Hinweis, dass die Herrschaft Laubach keineswegs in mehreren Klagepunkten obsiegt habe. Insbesondere bestritt der Freienseener Anwalt, was der Beklagte über seinen Besitz an der Leibeigenschaft vorgetragen hatte. Im Dorf Freienseen gebe es Leibeigene mehrerer Herren. Auch sei die Sache durch ein Urteil abgeschlossen, dem ein scharfes Poenalmandat gefolgt sei, weil die Parition ausgeblieben sei. Die Kläger gestünden daher nicht zu, dass sie sich der Leibeigenschaft entziehen und die Freiheit vindizieren wollten, weil sie niemandes Leibeigene gewesen seien. Über alle Punkte wurde weiter intensiv gestritten49. Am 20. Oktober 1658 verkündete das Gericht den Bescheid, dass die vom Anwalt der Kläger vorgenommenen Prozesshandlungen unter Vorbehalt einer Strafe verworfen würden, weil er nicht hinreichend bevollmächtigt gewesen sei50. Dieser beantragte am 26. Oktober 1658, die Rubrizierung des Falles im Protokoll und Mandat angemessen zu ändern, was die Gegenanwälte sofort akzeptierten51. In dieser Sache sei der Landgraf als Mitbeklagter in den Prozess einbegriffen und habe sich der klägerische Anwalt am 4. Juni 1657 bereits legitimiert, und es sei unter dieser Rubrik auch über verschiedene seiner Rechte gehandelt worden, wobei es bleiben solle.

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Wie Anm. 41, Qu. 9. Wie Anm. 41, Qu. 16. Wie Anm. 41, Qu. 17 (1657 September 26), Qu. 18 (1657 September 26), Qu. 25 (1658 November 29). Wie Anm. 41, Protokoll sub dato. Wie Anm. 41, Protokoll sub dato.

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Damit war der im Bescheid vom 20. Oktober geklagte Mangel beseitigt, so dass unberührt davon bis zum 13. Dezember 1659 weiter verhandelt werden konnte52. Es folgt eine vierzehnjährige Phase prozessualer Inaktivität der Parteien, die lediglich einmal durch einen folgenlos gebliebenen Rezeß des laubachischen Prokurators am 20. Februar 1660 unterbrochen wurde53. Am 10. April 1673 legitimierte sich ein neuer Prokurator der Kläger und bat um ein förderliches Urteil54. Obwohl der laubachische Anwalt dies am 30. Mai akzeptierte, die schon geschehene Submission wiederholte und für seinen Mandanten um ein förderliches Urteil bat55, reagierte das Gericht nicht durch den Erlass eines Bescheids. Nach einem letzten Versuch der Kläger vom 10. Mai 1677, das Verfahren noch einmal in Gang zu setzen, endet die Akte am 10. August 1679 mit dem Vermerk completum56.

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Wie Anm. 41, Protokoll: 1658 Oktober 27, 29, Dezember 4, 13. Wie Anm. 41, Protokoll sub datis. 1659 Mai 16 completum, 1659 November 16 visum, 1665 Juni 22 visum, 1670 Juni 7 visum Wie Anm. 41, Protokoll sub dato. Wie Anm. 41, Protokoll sub dato. Wie Anm. 41, Protokoll sub datis.

14. Graf Johann Friedrich (1676–1696) Da Graf Carl Otto keinen männlichen Leibeserben hinterließ, versuchte er, die Grafschaft Solms-Laubach unter Umgehung der nächsten Agnaten testamentarisch seinem Schwiegersohn Graf Heinrich Trajectinus zu SolmsBraunfels zu übertragen1. Dies misslang. Nach einigen Wirrungen übernahm eine Miterbengemeinschaft die Grafschaft Laubach, für die zunächst Graf Johann August zu Solms-Rödelheim das Wort führte. Schließlich erhielt Graf Johann Friedrich zu Solms-Wildenfels die Herrschaft zu zwei Dritteln. Nach dem erbenlosen Tod der anderen Erben wuchs ihm auch das letzte Drittel zu, so dass in seiner Nachfolge die ganze Grafschaft Solms-Laubach in der sogenannten Jüngeren Linie vererbt wurde. Die Freienseener hatten bis weit über den Westfälischen Frieden hinaus wie die anderen Solms-Laubacher Untertanen unter den Belastungen gelitten, die ihnen die sich aus dem Lande finanzierenden Söldnerscharen aufbürdeten. Streit mit der Landesherrschaft entstand über die richtige Aufteilung dieser Lasten auf die verschiedenen Landesteile. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts änderte sich dies insofern, als der Übergang zu stehenden Heeren die dauerhafte und regelmäßige Finanzierung der Streitmacht durch Steuern notwendig machte. Da sich die Solms-Laubacher Grafen kein eigenes Heer leisten konnten, beteiligten sie sich an der Streitmacht, die eine Union westerwäldischer und wetterauischer Fürsten und Grafen aufstellte. Man erklärte den Untertanen die neuen Steuern so, dass diese besser seien als schutzlos den Räubereien der Soldateska ausgeliefert zu sein. Das erste Zeugnis für daraus resultierende Steuerstreitigkeiten ist ein Mandat vom 27. September 1680, mit dem das Kammergericht von den gräflichen Miterben nur Graf Johann August zu Solms-Rödelheim und dem von der Erbengemeinschaft angestellten gemeinschaftlichen Kanzleidirektor Licenciat Heintzenberger befahl, die Freienseener nicht wider ihre Privilegien und Kammergerichtsurteile und gegen den klaren Inhalt des Steuerstocks von 1629, der 1677 erneuert worden sei2, mit 20 statt zehn Reichstalern zu belasten3. Heintzenberger hatte auf herrschaftlichen Befehl die Zehrungskosten, die auf einem Grafentag zu Frankfurt entstanden waren, auf die steuerpflichtigen Untertanen umgelegt, und dabei nach Ansicht der Kläger ihre Freiheiten

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Rudolph Graf zu Solms-Laubach (wie Kap. 1, Anm. 6.), S. 265f. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Lit. C+D, Qu. 5+6, fol. 18–23, 24. HStA Darmstadt, G 23 C Nr. 2572, Qu. 2, fol. 2–11. Druck: Canngießer (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 279ff. Nr. CV = Abdruck (S. Kap. 4.2, Anm. 10), S. 81–84.

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und Rechte beeinträchtigt. Obwohl sie dagegen protestiert hätten4, habe Heintzenberger diese Umlage exekutiert und zwei Kühe im Wert von 20 Reichstalern sowie zwei Stiere im Wert von 29 Reichstalern gewaltsam wegnehmen lassen. Damit habe er sowohl eine höhere als die nach dem Steuerstock zulässige Quote von ihnen gefordert als sogar auch noch weit mehr gepfändet, als selbst dieser überhöhten Quote entsprochen hätte. Die Beschwerden gegen den solms-laubachischen Kanzleidirektor gingen noch darüber hinaus. Er habe sie in den letzten Jahren auch bei den Kosten der Einquartierung kaiserlicher, lüneburgischer und münsterischer Truppen über das von ihnen nach dem Steuerstock schuldige Kontingent hinaus herangezogen5. Dabei habe er sogar Posten erhoben, über die er der Gemeinde weder quittiert noch sich mit ihr verrechnet habe, so dass sich die Freienseener das zu viel Gezahlte nicht vom übrigen Land hätten erstatten lassen können. Diese Klagepunkte blieben im Rahmen des bisher Üblichen. Das nächste Gravamen war dagegen aus neuen Erscheinungen entstanden. Graf Johann August habe mit einigen Nachbarn nach dem Westfälischen Frieden eine Particular-Union geschlossen, die einige Mannschaft angeworben habe. Deswegen seien den Klägern die Werbegeldauslagen und eine monatliche Kontribution auferlegt worden und das auch noch wieder über das dem Steuerstock entsprechende Kontingent hinaus. Die mit dieser Besteuerung finanzierten Maßnahmen, meinten die Freienseener, seien nach dem Friedensschluss nicht mehr nötig und würden in Kriegszeiten zum Schutz nicht ausreichend. Die Kläger seien zu einer solchen im Hause Solms unerhörten Neuerung nicht verpflichtet, weil sie nur zu allgemeinen Reichs- und Türkensteuer ihr Kontingent erbringen müssten. In zwölf mit Daten aufgezählten Mandaten und Paritoribescheiden6 sei ihnen diese Freiheit bestätigt worden. Doch selbst vier Ermahnungsschreiben ihres Erbschutzherrn, des Landgrafen zu Hessen-Darmstadt7, hätten den Grafen und den Kanzleidirektor nicht dazu bewegen können, das gepfändete Vieh zu restituieren und sich bei der Steuerberechnung an den Steuerstock zu halten. Das Mandat befahl dieses den beiden Adressaten.

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Schon am 14. Januar 1680 hatten die Freienseener an die hessische Regierung in Giessen geschrieben, dass sie am 29. Dezember 1679 vergeblich bei Heintzenberger gegen die Pfändung protestiert hätten: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia, Nr. 129 sub dato. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Lit. B, Qu. 4 fol. 14–17: 1678 Januar 5–Oktober 28. Aufzählung der Mandate und Urteile von 1554-1656: HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 23 fol. 77. Wie Anm. 2, Qu. 9–12.

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Als der Kammerbote das Mandat am 10. Dezember 1680 in Laubach dem Kanzleidirektor zustellte, bekundete dieser, dass Graf Johann August am 29. November entschlafen sei, so dass er nichts weiter tun könne als das Mandat seinem neuen Herrn vorzubringen8. Am folgenden Tag versuchte der Kammerbote, das Mandat dem Grafen Johann Friedrich zuzustellen. Dabei meinte dieser, dass es genug sei, wenn der Kanzleidirektor es erhalten habe. Er könne in dieser Sache sowieso nichts tun. Wenn die Untertanen zu Freienseen an ihn eine Supplikation richten würden, so würde er sie dem Kanzleidirektor überweisen. Die Untertanen würden dann eine gnädige Herrschaft haben, womit gesagt sein sollte, dass die Klage in Speyer überflüssig und daher unzulässig sei. Vor allem solle die Gemeinde eine vidimierte Kopie ihrer Privilegien beibringen, weil sich in seiner Kanzlei davon nichts finde. Damit warf er erneut das Problem der Privilegien auf, das eigentlich schon in Marburg 1639, Frankfurt 1651 und Grünberg 1653 hätte erledigt sein sollen. Nach einer Stunde schickte Graf Johann Friedrich seinen Sekretär, der dem Kammerboten die zugestellte Mandatskopie zurückbrachte mit dem Hinweis, dass der Graf in dem Mandat nicht genannt werde und deshalb das Mandat nicht annehmen könne. Man solle es im Haus Rödelheim insinuieren. Das gelang am 15. Dezember zu Rödelheim durch Übergabe an die Ehefrau des solms-rödelheimischen Amtmanns. Offenbar zur Heilung des Formfehlers, von der Erbengemeinschaft nur den Rödelheimer Wortführer verklagt zu haben, erwirkten die Freienseener am 5. Januar 1681 ein neues Mandat, nunmehr korrekt an die Grafen Johann Friedrich, Johann Sigmund und Johann Georg sowie die Kinder des verstorbenen Grafen Johann August gerichtet9. Mitbeklagter war neben dem Kanzleidirektor Heintzenberger nunmehr auch ein Leutnant Bernhold. Das war deswegen notwendig geworden, weil dieser sich entgegen dem Mandat und einem Befehl des Grafen vom 22. November 1680 mit 35 Mann zu Fuß und zehn zu Pferde gewaltsam in Freienseen einquartiert gehabt habe. Er habe alles, was er zum Unterhalt seiner Truppe zu benötigen glaubte, aus Kellern und Lauben weggenommen, geschlachtet und verbraucht10. Die Kläger seien in früheren acht Winterquartieren nicht so streng bedrückt worden wie dieses eine Mal. Diese Beschwerung der Bevölkerung war jedoch der Zweck einer solchen gewaltsamen Einquartierung, die eine militärische Exekution genannt 8 9

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Zustellungsvermerk am Ende des Mandats in der Akte (wie Anm. 2). Akte (wie Anm. 2), Qu. 14, fol. 48–54 = Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 40. Druck: Canngießer (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 282ff. Nr. CVI = Abdruck (wie Kap. 4.2, Anm. 10), S. 85–87. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 40, 1681 April 14 Schilderung der Maßnahmen. Ebenso: 1681 April 6/26. 1681 April 13. 1681 März 16.

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wurde. Den zahlungsunwilligen Untertanen wurde bei solchen Exekutionseinquartierungen gewaltsam das weggenommen, was sie nicht freiwillig hatten geben wollen. Zugleich sollte die Gewalt sie dazu veranlassen, ihren Widerstand gegen die Zahlungen aufzugeben. Dabei sei es jedoch nicht geblieben. Vielmehr hätten die dem Leutnant untergebenen Soldaten von den Klägern an die 600 Reichstaler Werbegelder abgepresst und zusätzlich eine große Zahl Ochsen, Rinder, Stiere, Schafe und Hammel sowie Schweine von den Herden oder aus den gewaltsam geöffneten Ställen weggenommen und sie geschlachtet und verzehrt. Ebenso hätten sie Korn, Mehl und Brot sowie Malz und Gebrautes aus den Lauben und Kellern genommen. Was sie selbst nicht gebacken, gebraut und konsumiert hätten, hätten sie nach Lich geführt. Obwohl das Mandat alle Gewalt verboten habe, hätten sie dem Bürgermeister und allen, die beim Kammergericht um Hilfe gebeten hätten, so hart zugesetzt, dass diese wegen der Drohungen das Dorf hätten verlassen müssen. Schließlich hätten sie sogar Bürgermeister Johann Rupp gefänglich eingesperrt. Die militärische Exekution habe der klagenden Gemeinde so hart auf dem Hals gelegen, dass allein dasjenige, was sich die eingewiesenen Soldaten zwischen dem 22. November und 27. Dezember 1680 gewaltsam genommen hätten, auf mehr als 792 Reichstaler zu schätzen sei, abgesehen von dem, was sonst noch aus den Häusern einschließlich des Pfarrhauses gewaltsam genommen und geplündert worden sei. Zu allem Überfluss hätten die Soldaten die Freienseener geschlagen und auf sie in der Nacht geschossen, also weitere Gewalttaten begangen. Das neue Mandat befahl deshalb zusätzlich zum ersten, dass Leutnant Bernhold das Genommene restituieren oder ersetzen solle. Vor allem sei das Militär abzuziehen. Bei der Zustellung an den beklagten Leutnant am 25. Januar 1681 wandte dieser ein, dass er nur auf Befehl gehandelt habe. Er wolle daher die Sache dem Herrn General melden. Auch dieses Mandat veränderte die bedrückende Lage der Freienseener nicht wesentlich. Am 25. Februar 1681 schrieben sie an ihren Prokurator, dass ihnen immer noch ein Fähnrich mit zwei Korporalen und 30 Musquetieren auf dem Hals lägen11. Auch auf das der Regentin zu Darmstadt überreichte Mandat sei weder eine Resolution erfolgt noch wirklich Schutz geleistet worden12. Vielmehr habe Graf Johann Friedrich gerade kürzlich wieder einen Korporal mit sechs lichischen Musquetieren ins Dorf zur Ablösung geschickt. Die Freienseener stützten ihre Klage in erster Linie darauf, dass sie durch ihre Privilegien und alten Rechte von Steuern befreit seien. Bei der Huldigung 11 12

Akte wie Anm. 2, Qu. 13 fol. 47. Wie Anm. 2, Qu. 15: Protokoll einer Zeugenvernehmung auf Bitten der Freienseener durch die Räte der Landgräfin Elisabeth Dorothea am 10.–13. Dezember 1680 über Gewaltmaßnahmen von Soldaten in Freienseen.

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sei ihnen auch zugesagt worden, dass die neue Herrschaft sie bei ihren alten Freiheiten und Privilegien halten wolle13. Sie seien nur zur Zahlung von ordentlichen Reichs- und Türkensteuern verpflichtet. Die Juristen der Beklagten verwandten große Mühe darauf, diesen Punkt zu widerlegen, da das Besteuerungsrecht das Charakteristikum moderner Staatlichkeit war. Es ging dabei also um mehr als nur um Geld. Obwohl die Grafen immer wieder behauptet hatten, die kaiserlichen Privilegien für Freienseen nicht zu kennen, gab man sich jetzt sicher, dass darin nichts von Steuerbefreiung stehen könne, sondern die Kläger nur allgemein in kaiserlichen Schutz und Schirm aufgenommen worden seien14. Zudem hätten die Kläger im Marburger Vergleich von 1639 selbst zugestanden, als solms-laubachische Untertanen dieser Obrigkeit steuerpflichtig zu sein15. Da sie zudem selbst eingeräumt hätten, zur Reichs- und Türkensteuer beitragen zu müssen, müssten sie auch diese Steuern entrichten, weil sie so gut wie Reichssteuern seien. Kaiser und Reichssstände hätten gefordert, dass die mindermächtigen Reichsstände zur Bekämpfung des Unglücks, dass sogar jeder Befehlshaber einer Kompagnie in der Lage sei, Grafen und ihre Untertanen auszubeuten und auszurauben, Truppen aufzustellen. Dies geschehe also im Auftrag und im Interesse des Reiches, so dass die Steuern zur Finanzierung dieser Aufgabe wie Reichsssteuern zu behandeln seien, gegen die auch kaiserliche Privilegien nicht schützten. Für diesen Fall hatten die Freienseener jedoch gefordert, dass sie dann nur nach dem Steuerstock von 1629 heranzuziehen seien. Die gräfliche Verwaltung habe von ihnen aber immer das Doppelte dieser Quote gefordert und dann auch noch mehr als diese Summe durch Pfändung exekutiert. Dem hielten die Beklagten entgegen, dass sich die Grafschaft seit 1629 grundlegend verändert habe. Daher sei es notwendig, einen neuen Steuerstock aufzustellen. Die Freienseener hätten sich jedoch geweigert, der Herrschaft neue Angaben zu ihren Grundbesitz- und Vermögensverhältnissen zu machen. Daher dürften sie sich nicht darüber beschweren, dass sie stattdessen mit dem doppelten Satz des Steuerstocks von 1629 veranschlagt würden. Dieses Problem war von so grundlegender Bedeutung, dass es der Reichskammergerichtssassessor von Cramer unter dem Titel Ob ein Steuer-Stock zu einem beständigen Steuer-Fuß beybehalten werden könne? in seinem Werk erörterte16. Aller13

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Lit. A Qu. 3 fol. 12–13, 1676 August 29–November 20. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 22, fol. 69ff. Diese Unterstellung entspricht der Wahrheit, weil in der Tat das Privileg von 1555 Steuerfreiheit nicht erwähnt. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 22. fol. 60ff. Johann Ulrich Freiherr von Cramer, Wetzlarische Nebenstunden, Teil 20 Nr. 2, Ulm 1760, S.8–32.

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dings deutet schon das Fragezeichen an, dass von Cramer die Richtigkeit der Freienseener Position bezweifelte. Recht spät machte Graf Johann Friedrich gegenüber dem Anspruch, den Soldaten den Rückzug aus Freienseen zu befehlen, geltend, dass er dafür der falsche Adressat sei17. Das Detachement unterstehe nicht seiner Befehlsgewalt, weil es vom Direktorium der Union nach Freienseen gelegt worden sei. Daher könne auch nur dieses den Befehl zum Rückzug geben. Darauf trat das Unionsdirektorium als Intervenient in den Prozess ein18 und machte geltend, dass die Union Steuern zum Unterhalt ihrer erlaubten Truppen erheben dürfe, gegen die die Freienseener keine Immunität geltend machen könnten. Daher sei die wegen ihrer Weigerung angeordnete Militärexekution rechtmäßig. Dazu hätten die Soldaten strikte Befehle entsprechend dem normalen Kriegsbrauch und den Regeln des Rechts bekommen, nach denen sie die Exekution hätten durchführen sollen19. Wenn sie diese Befehle nicht beachtet hätten, könnten nicht die Befehlsgeber für diese Exzesse haftbar gemacht werden. Nach dieser Einlassung konnte Leutnant Bernhold sich nicht mehr nur auf seine Befehle berufen, sondern musste auf die Vorwürfe eingehend antworten20. Vorab betonte er, dass er zunächst die Freienseener aufgefordert habe, die Leistungen freiwillig zu geben. Erst als diese sich geweigert hätten, habe er sich selbst bedienen müssen, niemals jedoch über die erhaltene Ordre hinaus. Auch habe er nie Hausrat plündern oder 600 Reichstaler von seinen Soldaten erpressen lassen. Ebensowenig habe er das Pfarrhaus plündern lassen. Vielmehr hätten einige Bauern Vieh in der Pfarrscheune untergestellt, um es vor ihm zu verbergen. Er habe deshalb den Pfarrer gebeten, ihm die Scheune öffnen zu lassen. Doch habe er des Pfarrers und seiner Freunde Vieh nicht angerührt. Insgesamt sei durch seine Maßnahmen im Dorf eine große Unruhe entstanden, so dass einige Betroffene den Ort mit ihrem Vieh hätten verlassen wollen. Das habe er gewaltsam verhindert und Vieh zum Unterhalt seiner Soldaten beschlagnahmt und geschlachtet. Um die Bauern daran zu hindern, nachts aus dem Dorf zu fliehen, habe er eine Schildwache aufgestellt. Diese sei eines Nachts von einigen betrunkenen Bauernburschen überwältigt und entwaffnet worden, wobei die Burschen den Degen des Kommandierenden zer-

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 22 fol. 69–76, Exceptionsschrift des Grafen Johann Friedrich vom 19. April 1681. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 28 fol. 90–93. Notariatsinstrument vom 11. März 1681 über den Beschluss, das Direktorium zur Führung von Prozessen der Union mit den Freienseenern wegen der Finanzierung der Truppen zu bevollmächtigen. Am 22. April 1681 folgte die Interventionsschrift: Qu. 29. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 38 fol. 123; Qu. 39 fol. 24–25. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 40 fol. 126f.

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brochen hätten. Dieses Ereignis lebt noch heute in der Erinnerung älterer Freienseener fort, allerdings in einer etwas heldenhafteren Version. Danach hätten die Freienseener eine ins Dorf gekommene Partrouille entwaffnet und die Soldaten nebst ihrem Offzier mit zerbrochenem Degen aus dem Dorf gejagt. Über die unausweichliche Frage, was auf diese Demütigung erfolgte, weiß die Fama nichts mehr zu berichten, was die Darstellung etwas unglaubwürdig macht. Der Bericht des Leutnants Bernhold verschweigt allerdings auch, ob die Soldaten danach schärfer gegen die Menschen vorgegangen sind, die ihnen diese Schmach angetan hatten, was der normalen Lebenserfahrung entsprochen hätte. Aber solche Vergeltungsmaßnahmen zuzugestehen, hätte einen weiteren Vorwurf der Anwendung unerlaubter Gewalt zur Folge gehabt, so dass es besser war, darüber zu schweigen. Stattdessen schildert Leutnant Bernhold, dass er als Reaktion auf den Vorfall befohlen habe, nachts auf verdächtige Personen, die die Parole nicht kennten, zu schießen. Doch sei danach nur ein Schuss abgegeben worden, und zwar nicht auf Freienseener, sondern auf eine Reiterpatrouille, die nicht rechtzeitig das Feldgeschrei gegeben habe. Am 5. Oktober 1683 verwies das Reichskammergericht mit einem Extrajudicialdekret auf das Mandat vom 22. Juli 1682, mit dem es dem Beklagten verboten hatte, die Kläger mit ungewohnten Steuern, die kaiserlichen Privilegien und rechtskräftigen Kammergerichtsurteilen widersprächen, zu belästigen. Dieses Mandat war sine clausula ergangen, also ohne Möglichkeit für den Grafen, Einwände geltend machen zu können. Das war anders beim Befehl, das Gepfändete zu restituieren. gegen den der Beklagte seine Vorstellungen vorbringen durfte, weil er cum clausula ergangen war. Damit schärfte das Gericht noch einmal seine Entscheidung ein wegen Rückgabe der abgepfändeten Kühe und Stiere und der Bestätigung der Freiheit, nur zu allgemeinen Reichsund Türkensteuern beitragen zu müssen, und zwar nach dem 1677 erneuerten Steuerstock21. Die Kläger scheinen sich somit mit ihren Argumenten voll durchgesetzt zu haben. Diesen klaren Anordnungen zum Trotze mussten sie jedoch am 8. März 1684 ihrem Prokurator wieder schreiben, dass sie erneut mit einer doppelten Kontributionslast beschwert worden seien22. Allein im letzten Jahr seien von ihnen 720 Reichstaler gefordert worden. Damit seien sie so überlastet, dass einige der Bewohner das Dorf hätten verlassen und sich als Viehhirten verdingen müssen. Wenn es nicht anders werde, würden auch alle anderen an den Bettelstab gebracht werden. Doch Kanzleidirektor Heintzenberger machte noch am 28. und 30 Juni 1684 darauf aufmerksam, dass die Freienseener noch 21 22

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 42 fol. 130–140. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 45 fol. 144.

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immer nicht ihre Habe und Nahrung für den neuen Steuerstock angegeben hätten23. Auf das Reskriptmandat vom 5. Oktober 1683 erklärten die Beklagten am 10. Oktober 1684 Parition, indem sie sich auf notariell beurkundete Zeugenaussagen von zehn Freienseenern beriefen, dass Graf Johann Friedrich alles getan habe, um das Unheil abzuwenden, dass aber die Exekution nicht von ihm, sondern vom Unionsdirektorium ausgegangen sei24. Aufgabe des Grafen sei es nur gewesen, das laubachische Quantum gleich auf die Untertanen zu verteilen. Nach der erbetenen Vermögensspezifikation werde sich herausstellen, dass die Freienseener gegen die übrigen Untertanen nicht zu hoch, sondern zu gering veranschlagt worden seien. Da die Kläger dies wüssten, hintertrieben sie die Untersuchung ihrer Vermögensverhältnisse. Davon unbeirrt legten die Kläger am 25. Januar 1686 eine Aufstellung vor, weshalb und wie viel sie zu viel gezahlt hätten25. Nachdem die Beklagten auf Anraten des gräflich solms-laubachischen Rates Dr. Ebert26 am 10. Oktober 1684 in Speyer einen vorläufigen Paritori-Rezess produziert hatten, überreichten sie dem Gericht am 3. März 1686 eine Wahrhaftige kurze Nachricht über die unrechtmäßige Freyenseener Klage in puncto collectarum27, in der sie noch einmal darauf hinwiesen, dass die erhobene Steuer eine rechtmäßige Reichssteuer sei, deren zwangsweise Beitreibung nicht in der Hand der Grafen liege, sondern dem Unionsdirektorium zustehe. Am 20. Oktober 1686 erliess das Gericht einen Zwischen-Bescheid28, dass der Antrag der Kläger auf Erklärung der Beklagten in die Poen wie auch der Kassierung der gräflichen Steuerbescheide vorläufig abgeschlagen werde. Stattdessen wurde den Klägern aufgegeben, speziell nachzuweisen, wodurch sie gegenüber dem alten Steuerstock beschwert worden seien. Auch sollten sie sich äußern zum Marburger Vergleich von 1639 und den darin den Beklagten reservierten Steuern sowie zu der in der Paritionsschrift der Beklagten angemahnten Aufrichtung eines neuen Steuerstocks. Sie taten dies am 21. Januar 1687, indem sie wiederholten, dass sie entgegen dem alten Steuerstock von 1629 mit disproportionierter Ungleichheit und 23 24

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 46 fol. 145, Qu. 47 fol. 146. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 49 fol. 148–151. Qu. 50 fol. 152–157 das Notariatsinstrument vom 26.Februar/8. März 1681. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 51 fol. 158–159. sowie Qu. 52–54 fol. 160– 167. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 48 fol. 147: Schreiben des Dr. Ebert an den solmsischen Prokurator Dr. Mügen, dass dieser zur Fristwahrung die vorliegenden Zeugenaussagen loco paritione ad interim verwenden solle, wenn Ebert nicht rechtzeitig dazu komme, auf das Reskriptmandat eine Paritorischrift zu verfassen. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 55 fol. 168f. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 4 fol. 13f.

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Repartition des Beitrags zu den Lasten der Grafschaft beschwert worden seien und beschwert würden29. Die Beklagten sollten die Unterlagen darüber herausgeben, was die Grafschaft Solms-Laubach seit ihrer Sukzession jährlich an Türken- und Reichssteuer bezahlt habe und wie hoch ihr Kontingent gewesen sei. Der Kammerrichter solle die Herausgabe dieser Unterlagen durch Urteil anordnen. Allenfalls würden sie sie anderweitig beibringen oder Maßnahmen zur Erzwingung der Herausgabe beantragen. Dann werde es sich nach dem Fuß des Steuerstocks ergeben, wie viel man Freienseen zu viel abgefordert habe. Zum zweiten werde man demnächst mit kaiserlichen Privilegien und Urteilen sowie aus dem Marburger Vergleich klar beweisen, dass Freienseen nur zu Beiträgen zur Reichs- und Türkensteuer verpflichtet sei. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass ihr Vermögen nicht nur 1629 sondern auch jetzt wieder untersucht worden sei. Die Aufstellung befinde sich in der Kanzlei zu Laubach. Die armen Kläger würden jedoch weder nach dem einen noch nach dem anderen Fuß, sondern nach Belieben herangezogen und exekutiert. Das geschehe sogar wegen einiger Güter, die die Herrschaft eximiert und ihnen dennoch für sie den Beitrag nicht gemindert habe. Im Übrigen wiesen die Kläger darauf hin, dass sie nach dem jüngsten Urteil während der Rechtshängigkeit nicht über den Steuerstock des Jahres 1629 hinaus, also nicht mit mehr als 1/9 des solms-laubachischen Reichs- und Türkensteuerkontingents belastet werden dürften. Diese Stellungnahme wiesen die Beklagten am 8. Juni 1687 als unzulänglich zurück30. Da die Kläger damit dem Urteil nicht gehorcht hätten, seien sie wie Säumige zu behandeln. Der geforderte Einzelnachweis, wieweit sie ungleich behandelt worden seien, sei nicht vorgelegt worden. Er könne auch nicht durch die Forderung ersetzt werden, die Unterlagen über die Reichsund Türkensteuer herauszugeben, zumal dies nach den Ausschreiben offenkundig sei. Wegen des Steuerstocks sei es offenkundig, dass sich die Vermögens- und Besitzverhältnisse ständig änderten, so dass ein neuer Steuerstock nach den jetzigen Verhältnissen errichtet werden müsse. Dazu hätten jedoch die Kläger die Angaben nicht geliefert. Zudem sei den Klägern noch kürzlich bedeutet worden, dass sie die anderen Untertanen wegen einer Ungleichheit bei der Kanzlei verklagen müssten. Von deren Entscheidung könnten sie dann an die Herrschaft appellieren und von da an andere Gerichte. Die übrigen Dorfschaften seien mit der Portionierung zufrieden und wollten davon ohne richterliche Untersuchung nicht abweichen. Doch zu diesem Königsweg seien die unruhigen Freienseener nicht zu bringen gewesen. Schließlich weise die regula juris universitatis aus, dass Untertanen gehalten seien, zu den Steu29 30

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572, Qu. 56 fol. 170f. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2572. Qu. 57 fol. 172–174.

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ern beizutragen. Die Beklagten seien unmittelbarer Reichsstand und Landesherr über das Dorf Freienseen. Zudem besage der Marburger Vergleich von 1639 ausdrücklich, dass die Freienseener zur Erlegung von Steuern verpflichtet seien. Das könne auch nicht durch eine falsche Auslegung der Kläger eingeengt werden. Davon entbinde sie weder ihr angebliches Privileg noch ein Urteil, weil in ihnen von solchen Befreiungen nichts stehe. In diesem Zustand befand sich das Verfahren, als die Franzosen Speyer besetzten und im Oktober 1688 das Gericht schlossen sowie im November/ Dezember 1688 die Akten abtransportierten31. Am 20. Februar 1690 nahm das Gericht seine Tätigkeit in Wetzlar mit solchen Arbeiten wieder auf, die außerhalb einer Audienz erledigt werden konnten. Dazu gehörte auch ein weiteres Mandat, das die Kläger am 19. November 1691 erhielten, mit dem den Beklagten befohlen wurde, sich an das Mandat von 1680 zu halten, das 1682 rescribiert worden sei32. Auch durch Urteil vom 20. Oktober 1686 sei ihnen ernstlich befohlen worden, die klagende Gemeinde während der Rechtshängigkeit nicht über den Steuerstock von 1629 hinaus zu belasten. Gleichwohl seien die Kläger mit disproportionierten Anschlägen exekutiert worden, so dass allein die Summe der Überzahlung seit dem letzten Urteil mehr als 1.142 Reichstaler und monatlich über 82 fl. betrage. Dass die Kläger die Anordnungen des Zwischenbescheids vom 20. Oktober 1680 nur mangelhaft erfüllt hatten, wurde allerdings nicht erwähnt, was dem Fehlen der Akte zuzuschreiben sein mag. Dasselbe gilt für die kurz nach der Interimswiedereröffnung des Gerichts am 25. Mai 1693 in Wetzlar am 2. Juni 1693 erfolgte Reskription auch dieses Mandats33. Darin wurde der Antrag der Kläger vorläufig noch abgelehnt, den Beklagten in die angedrohte Poen zu verurteilen, und ebenso umgekehrt der Beklagtenantrag auf Kassierung des Mandats. Stattdessen, befahl das Gericht, solle der Freienseener Prokurator die disproportionalen Ungleichheiten und Repartitionen seiner Mandanten gegenüber dem alten Steuerstock genau aufzeigen. Ebenso solle er die vom Beklagtenanwalt am 28. April 1681 eingebrachte Beilage anerkennen oder ablehnen. Auch müsse er Stellung nehmen zu dem, was sich daraus, sowie aus der Bestimmung im Marburger Vergleich von 1639 ergebe, dass den Beklagten die Steuern reserviert seien. Schließlich müsse er sagen, was in älteren Rezessen bezüglich der Aufrichtung eines neuen Steuerstocks vorgetragen worden sei. 31

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Rudolf Smend, Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung. Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reichs in Mittelalter und Neuzeit, Weimar 1911, Neudruck 1965, S. 217. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 1 fol. 1–8. Das Mandat wurde am 2. Juni 1693 beim Gericht produziert. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 4 fol. 13f.

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Wie alle anderen bisherigen Bescheide des Reichskammergerichts in dieser Sache lief auch dieses Urteil des Gerichts ins Leere, ohne dass die Parteien sonderlichen Eifer zeigten, das Verfahren zu beenden. Am 27. Januar 1698 beschwerte sich Kammergerichtspräsident Graf Friedrich Ernst zu Solms-Laubach beim Kammerrichter, dass das Gericht ihn am 25. September 1697 zur Wiederherstellung der Akten zitiert und um Bericht in dieser Sache gebeten habe, obwohl in dieser Zeit ihn selbst und seine Bediensteten die vielfältigen Probleme wegen der militärischen Aufmärsche in der Wetterau vollauf beschäftigt hätten34. Die Rekonstruktion der Akten mit Hilfe der Parteien war eine Konsequenz des Umstandes, dass das Gericht zunächst noch nicht wieder über seinen Aktenbestand verfügen konnte. Graf Friedrich Ernsts Begründung für die Verspätung seiner Reaktion gibt Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen das Gericht und auch die Parteien in den ersten Jahren nach der Wiedereröffnung des Gerichts in Wetzlar bei der Durchführung von Prozessen zu kämpfen hatten. Der Graf teilte mit, dass die zur Rekonstruktion der Akte notwendige Suche in seinem Archiv noch nicht beendet sei. Doch da im Frieden von Rijswijk (1697) die Rückführung der Akten vereinbart worden sei, sei es wohl besser, diese Mühen und Kosten zu sparen, weil es für das Gericht sicherlich nützlicher sei, sich auf die Originalakten als nur auf die von den Parteien zu beschaffenden Kopien stützen zu können. Allein zur Ehre des Gerichts habe er seine Beamten gleichwohl angewiesen, drei Berichte über den Stand verschiedener Kameralprozesse zu erstatten, die er dem Gericht übergab35. Gestützt auf diese Berichte vertrat der Beklagte vehement seine obrigkeitliche Position. Soweit er betroffen sei, seien die Klagen völlig unbegründet, wie sich aus den Berichten ergebe. Die Mandate beruhten auf offensichtlichen Unwahrheiten. Der Kammerrichter solle daher die Kläger und ihre juristischen Berater wegen ihres bösen, auf Zerstörung aller guten Ordnung abzielenden Vorhabens und wegen Übergehens der vorhergehenden Instanz gebührend strafen. Wenn sie etwas zu klagen hätten, müssten sie sich nämlich zunächst an ihn wenden. Der laubachische Regierungsrat Plönnies versicherte eindringlich, dass er den Klägern immer wieder zugesagt habe, ihnen werde Gerechtigkeit widerfahren, wenn sie etwas zu klagen hätten36. Aber es gebe in der Gemeinde einige, denen die Wetzlarer Gänge viel eintrügen. Zum Beispiel hätten Conrad Beer und Volp binnen zweier Jahre 250 Reichstaler daran verdient. Dieser Vorwurf persönlicher Be34 35

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Gräfl Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 40, ohne Qu. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 40, ohne Qu. Beilage. 1, sine dato, Bericht eines Johann Peter Schäfer; Beilage 2, 1698 Januar 12 Bericht des gräflichen Rates Plönnies; Beilage 3, sine dato Bericht des Sekretärs Breithaupt. Wie Anm. 35.

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reicherung auf Kosten der Gemeinde war umso gravierender, als es den Klägern zunehmend schwerer fiel, die Prozesskosten aufzubringen. Noch stärker auf die Spaltung der Gemeinde und Diskriminierung ihrer Wortführer zielte die Behauptung von Plönnies, dass sich einige Freienseener bei ihm beschwert hätten, weil ihre Bürgermeister die angesetzten und in der Gemeinde bereits erhobenen Kreis-Gelder nicht herausgeben wollten. Der deswegen zur Rede gestellte Bürgermeister habe dies nicht geleugnet und sich nur damit entschuldigt, dass ihnen ihr Advokat dies verboten habe. Um eine kostspielige Exekution des Kreises zu verhindern, sei man daraufhin gegen den Bürgermeister exekutive verfahren, um unmittelbar die schuldigen Beiträge einzutreiben. Die Behauptung der Kläger, sie seien bei Durchzügen und Lagern vor der Stadt Laubach ungerecht behandelt worden, erklärte Plönnies für eine bodenlose und unbeweisbare Beleidigung. Im Gegenteil sei nachweisbar, dass man immer wieder danach getrachtet habe, Freienseen möglichst zu schonen. Zu solchen Beschwerden seien die Kläger durch Bedienstete eines benachbarten Fürsten öfter und noch kürzlich veranlasst worden. Diese fürstlichen Bediensteten gäben zudem Freienseen als ein ihrem Fürsten gehörendes Dorf aus. Mit der Schilderung zweier Vorgänge aus dem vergangenen Jahr wollte Plönnies belegen, wie wenig ihm die Gemeinde seine Fürsorge gedankt habe und wie hinterlistig sie vorgehe. Als er sich dafür verwendet habe, dass damals die im Dorf liegenden Völker schleunigst abzögen, habe der kommandierende Offizier geantwortet, er wundere sich darüber, wie sehr er sich der Freienseener Gemeinde annehme, die solches um ihre Herrschaft nicht verdient habe. So sei ihm wohl bekannt, wie viel Geld sie jährlich für Prozesse gegen ihre Herrschaft ausgäben. Da könnten sie wohl auch ein kleines Nachtlager ertragen. Ebenfalls im Jahr 1697 habe er wegen des Verbrauchs durch das im Lande liegende Botmersche Dragonerregiment alle Dorfschaften um Aufstellung ihrer Aufwendungen gebeten. Alle anderen Dörfer seien dem Befehl nachgekommen. Nur Freienseen habe sich unter dem Vorwand geweigert, sie hätten niemals etwas wiederbekommen und würden also auch dieses Mal nichts kriegen. Dies hätten sie geantwortet, obwohl sie gewusst hätten, dass sie das, was sie verschenkt hätten, sowieso mit Recht nicht hätten zurückfordern könnten. Erst nach einer Strafandrohung, hätten sie ihre Spezifikation eingereicht. Als er nunmehr von Oberst Botmer die Bezahlung des Verbrauchs auch in Freienseen gefordert habe, habe dieser ihm ein Schriftstück übergeben, in dem Bürgermeister und Gemeinde Freienseen bekundeten, mit dem Oberst verglichen zu sein und keine Forderungen gegen ihn zu besitzen. Daraus ergebe sich, dass die Bürgermeister dem Oberst Botmer den Verbrauch geschenkt hätten. Als die Gemeinde erfahren habe, dass der Bürgermeister ohne ihr Wissen und Willen das Ihrige verschenkt habe, hätten sie

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schriftlich in Laubach geklagt. Die Klage sei den Beklagten kommuniziert worden. Doch hätten sie nicht geantwortet, sondern schließlich nur gesagt, ihr Advokat zu Giessen, der die Klage hätte beantworten sollen, sei nicht anwesend gewesen. Schließlich hätten sie angegeben, es sei ihnen als armen Leuten zu teuer, schriftlich zu antworten. Doch wäre das auch gar nicht nötig gewesen, wenn sie sofort um mündliches Gehör gebeten hätten. Aus alledem sei leicht zu ersehen, wie die armen Leute in Freienseen geführt würden. Mit diesem Resumee nannte Plönnies den eigentlichen Zweck seiner Darstellung, nämlich die Diskreditierung der Freienseener Bürgermeister als Wortführer der Kläger. Schließlich setzte das Wetzlarer Gericht eine Kommission ein, die die streitigen Fragen untersuchen sollte und am 29. November 1699 ihren Bericht erstattete37. Die Kommissare – der ursprünglich hessen-darmstädtische Regierungsrat, jetzt kurfürstlich braunschweigisch-lüneburgische Rat Krebsen sowie der solms-braunfelsische Rat Sames und nach dessen Tod der gräflich leiningensche Rat Münden – hatten größte Mühe, die Parteien überhaupt zu einer Verhandlung vom 14. bis 24. September 1699 nach Frankfurt zu bekommen. Der Versuch, vor Eintritt in die offizielle Verhandlung einen gütlichen Vergleich zustandezubringen, sei daran gescheitert, dass die Parteien alles durcheinander gemengt vorgetragen hätten. Auch im daraufhin offiziell eröffneten Verfahren hätten die solmsischen Räte – sicherlich mit Wissen ihres Herrn – eine offenkundige Obstruktionspolitik betrieben. Zunächst hätten sie nur schriftliche Erklärungen abgeben und sich nicht auf eine mündliche Verhandlung einlassen wollen. Das versetzte die Kommissare in erhebliche Verlegenheit, weil sie angesichts dieses Verhaltens der solms-laubachischen Deputierten nicht wussten, wie sie mit dem mit dem hohen Amt des Kammergerichtspräsidenten bekleideten Beklagten und Landesherrn ohne Glimpf weiter umgehen sollten. Der wortführende gräfliche Rat Scheffer habe sogar verlangt, ihm die Antworten der Gegenseite nach Wiesbaden zu übermitteln. Man habe ihm jedoch nicht nachgehen müssen, auch wenn er sich dort zur eigenen Genesung aufgehalten habe und nicht, wie man höre, um seine Liebste abzuholen. Wenn er sich aus gesundheitlichen Gründen hätte entfernen müssen, so hätte er einen Substituten bestellen müssen. Die Missachtung der Kommission durch die gräflichen Räte sei so weit gegangen, dass sie nicht einmal die Entscheidung der Kommission über ihren Antrag auf Suspension oder Prorogation abgewartet hätten. Sie hätten vielmehr schon vor der Entscheidungsverkündung den Tagungsort verlassen gehabt. Da die solmsischen Räte zudem gegenüber der Kommission despektierlich geredet und sie bedroht hätten, und auch keine er37

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2582, Qu. 82 fol. 486–519.

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heblichen Gründe für die Verzögerung vorgebracht hätten, habe die Kommission nicht anders gekonnt, als die Sache für beschlossen anzunehmen und die Prorogation abzuschlagen. Dem erneuten Versuch der Kommissare, einen gütlichen Vergleich zu erzielen, hätten die Freienseener auch schon ihre Zustimmung gegeben gehabt. Es habe jedoch das Einverständnis des Grafen gefehlt. Wenn er oder ein Bevollmächtigter erschienen wäre, hätte man also eine Lösung erzielen können, die dem Grafen weit dienlicher gewesen wäre als das, was man ihm durch rechtlichen Spruch zuerkennen könnte, wie sie nach Durchsicht der Akten meinten. Doch ein reichsunmittelbarer Graf und Präsident des Reichskammergerichts ließ sich von einer solchen Kommission nicht so schnell beeindrucken oder gar einschüchtern. Als die Kommission versucht habe, ihm anlässlich eines Besuchs in Frankfurt ihren Beschluss zuzustellen, habe er sich drei Mal geweigert, ihn entgegenzunehmen oder sich gar auf abermalige Vorschläge für einen gütlichen Vergleich einzulassen. Offenbar war dem Landesherrn die Steuerfrage zu wichtig, um seine Position durch Vergleichsvorschläge einer Kommission mindern zu lassen. Graf Friedrich Ernst erwirkte vielmehr beim Reichshofrat ein Extrajudicialdekret. Mit diesem Bescheid bewilligte das Wiener Konkurrenzgericht die beantragte, von der Kommission jedoch abgelehnte Prorogation. Davon wiederum zeigte sich die Kommission nicht beeindruckt. Das Prorogationsdekret sei mit falschen Angaben erschlichen worden. Daher fühlte die Kommission sich weiter an ihren Auftrag gebunden und überreichte dem Kammergericht eine umfangreiche Relation, in der die Kommissare nicht nur über die solmsische Obstruktionspolitik ausführlich berichteten, sondern auch die Ergebnisse ihres Aktenstudiums darlegten. Sie kamen zu einem differenzierten Ergebnis. Nach ihrer Meinung dürfe der Steuerstock nur aus billigen Gründen geändert werden. Für die vorgenommenen Änderungen seien jedoch gutenteils garkeine justifizierliche zum Teil aber streitige Ursachen gegeben worden. Das war ein vernichtendes Urteil über die Arbeit der gräflichen Verwaltung. Bezüglich der Unterlagen über die Kreisrezesse und die sich daraus ergebenden Veranschlagungen könne sich Solms-Laubach nicht auf den Grundsatz berufen, dass ein Beklagter dem Kläger nicht die Dokumente für die Begründung seiner Klage herausgeben müsse. Da die Kläger der Herrschaft nur die Beteiligung an Reichs- und Türkensteuern zugestünden, müssten sie jedes Mal vom eigentlichen Quantum der Anlagen informiert werden und deshalb die dafür notwendigen Dokumente bekommen. Es sei auch nicht unbillig, dass sie, wenn sie einige Quittungen verloren hätten, über die Einnahmen etwas aus den Manualien und Registern der Herrschaft erführen. Allerdings könnten die von den Klägern für die Jahre 1673 bis 1688 geltend gemachten Summen nicht als ausreichend nachgewiesen gelten, weil der dafür eingereichte Beleg keine Steuergelder, sondern

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vorwiegend Quartiergelder betreffe. Für die Zeit von November 1688 bis 1699 kamen die Kommissare jedoch sogar bei der Berechnung nach dem alten Steuerstock zu einem anderen Ergebnis als die Kläger. Einige zusätzliche Zweifel wurden am Rande vermerkt, damit man überlegen könne, was davon durchgehen könne und was nicht. Waren dies Beanstandungen am Vorbringen der Kläger, so hatten die Kommissare auch an den Positionen von SolmsLaubach mehr als nur die Erhöhung des Steuerstocks auszusetzen. Nach einem Vergleich des alten mit dem neuen Steuerstock wiesen sie noch ganz andere Benachteiligungen der Freienseener durch die neuen Festlegungen nach. Im Jahr 1629 seien lediglich die Häusler nach dem Wert jeden Hauses und Hofes herangezogen worden, im neuen würden dagegen alle Einwohner gleich veranschlagt. Dadurch werde Freienseen beschwert, weil dort viele unbegüterte Leineweber wohnten, die vorher frei gewesen seien, jetzt aber herangezogen würden. Im neuen Steuerstock seien die Handwerker in der Grafschaft mit ihrem Handwerk veranschlagt worden, obwohl sie im alten Steuerstock frei davon gewesen seien. Das führe deshalb zu Ungleichheit, weil es nur in der Stadt Laubach und in Freienseen eine nennenswerte Zahl von Handwerkern gebe, während es in der übrigen Grafschaft an Handwerkern fehle. Dasselbe gelte dafür, dass im neuen Steuerstock bei Freienseen auch die hergebrachten Fron- und anderen Freiheiten angesetzt worden seien. Ebenso sei es ungleich, dass man in Freienseen einem Handwerker sein Handwerk und auch das Zugvieh höher als anderswo veranschlagt habe. Im neuen Steuerstock habe man gegenüber 1629 auch die Gemeindewaldungen zum Steuerkapital gerechnet. Das sei zwar grundsätzlich zulässig. Da dies aber in der übrigen Grafschaft bei keinem anderen Ort geschehen sei, dürfe es auch bei Freienseen nicht getan werden. Nach diesen Bedenken der Kommission kann man besser verstehen, weshalb die Kläger nach dem alten Steuerstock veranlagt werden wollten. Der Einwand des Beklagten, es gehe nur darum, den Steuerstock dem Wandel der Vermögensverhältnisse anzupassen, erweist sich danach als Vorwand, um die Freienseener ungleich und stärker als die anderen Untertanen heranziehen zu können. Wie das Gericht die differenzierten Informationen dieser Relation verwertet hat, ist den Akten mangels Unterlagen nicht zu entnehmen. So geriet das Verfahren in die große Unterbrechung der Gerichtsarbeit durch die Ingelheimsche Affäre (1704–1711). Auch nach deren Beendigung konnte das Gericht die Arbeit nur zögerlich wieder aufnehmen, weil es unterbesetzt war38, so dass man von Seiten des Gerichts nicht mit schnellen Entscheidungen rechnen konnte. Dementsprechend blieben auch die Parteien inaktiv. Erst der tatkräftige Graf Christian August nahm den Prozess wieder intensiver auf unter 38

Smend (wie Anm. 31), S. 218ff.

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anderem mit der Einreichung der Druckschrift von 1725 Abdruck Kayserl. Privilegiorum, auch deshalb bei des Kayserl. und des H. Römischen Reichs Cammer-Gericht a multis seculis ergangenen resp. mandatorum et judicatorum in causa der unter hess.-darmstädtischem Erbschutz stehenden, in territorio Solmejo-Laubacensi gelegenen Gemeinde des Fleckens Freyenseen contra die Herren Grafen von Solms-Laubach39, gefolgt von der Einreichung eines Abdrucks des Reichshofratsconclusums vom 1. Dezember 1745 über die erneute Bestätigung der Freienseener Privilegien. Dieser Bescheid aus Wien enthalte den ausdrücklichen Vorbehalt, dass diese Privilegienbestätigung dem Landesherrn an seiner Obrigkeit, Recht und Gerechtigkeit keinen Nachteil oder Abbruch tun solle40. Daraus folgerte der Beklagte, dass die Freienseener durch die kaiserlichen Privilegien nicht um ein Haar mehr befreit seien als die übrigen solms-laubachischen Untertanen. Daher seien die Mandate von 1682 respective 1691 zu Unrecht ergangen. Nach diesen intensiven Auseinandersetzungen erging am 14. Februar 1748 das Urteil, dass das Mandat zu kassieren und aufzuheben sei41. Dem Beklagten wurde eingeräumt, einen neuen, nach dem gegenwärtigen Vermögen der Untertanen eingerichteten SteuerStock verfassen zu lassen, wozu die Kläger die entsprechenden Angaben machen müssten. Wenn die Kläger in anderen Punkten darüber hinaus beschwert zu sein glaubten, so könnten sie separat klagen, womit wohl die sich aus den ungleichen Veranlagungen ergebenden Steuerzahlungen gemeint waren. Für Solms-Laubach hatte es sich also ausgezahlt, nicht auf den Vergleichsvorschlag der Kommission eingegangen zu sein. Während die Kommissare gemeint hatten, dass dem Grafen durch den Vergleich mehr zugesprochen werde, als er durch einen rechtlichen Spruch erhalten könnte, urteilte das Gericht in der Grundsatzfrage nun ganz zu Gunsten der Laubacher Obrigkeit, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass die Freienseener gegen andere Erhöhungen als die durch die Veränderung der Vermögensverhältnisse verursachten weiter klagen könnten. Insbesondere brauchten sie sich Ungleichbehandlungen nicht gefallen zu lassen. Was diesen Umschwung verursacht hat, bleibt das Beratungsgeheimnis des Reichskammergerichts.

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 66 fol. 258–309. Wie Kap. 4.2 Anm. 53. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 84 fol. 373f. Von Cramer (wie Anm. 16), S. 31f.

15.

Graf Friedrich Ernst (1696-1723)

Dem am 10. Dezember 1696 gestorbenen Grafen Johann Friederich folgte dessen Sohn Friedrich Ernst. Er beschränkte seine Aktivitäten nicht auf seine kleine Grafschaft Solms-Laubach, sondern strebte nach höheren Würden im Dienste von Kaiser und Reich. Im Jahr 1696 wurde er zum Kaiserlichen Geheimen Rat ernannt, 1698 zum evangelischen Präsidenten am Reichskammergericht in Wetzlar. Obwohl er damit beste Voraussetzungen zu besitzen schien, die Prozesse seines Hauses in Wetzlar zu fördern, kamen diese Verfahren in seiner Regierungszeit doch keineswegs besser und schneller zum Erfolg als vorher. Das lag daran, dass das Gericht in dieser Zeit unter äußeren und inneren Wirren litt. Seit Oktober 1688 hatte es vor den Franzosen aus Speyer fliehen und seine Arbeit vorübergehend einstellen müssen1. Zwar nahm das Gericht schon am 20. Februar 1690 seine extrajudizielle Arbeit in Wetzlar wieder auf und wurde am 25. Mai 1693 mit einer ersten Audienz interimistisch offiziell wiedereröffnet. Zunächst aber konnte sich das Gericht mit seinem neuen Sitz nicht anfreunden, sondern träumte von der Verlegung in eine andere Stadt. Das dürfte die Tatkraft der Richter ebenso eingeschränkt haben wie das Fehlen der Akten, die von den Franzosen aus Speyer abtransportiert worden waren und erst nach dem Frieden von Rijswijk (1697) allmählich zurückgebracht wurden. Ein Gericht kann ohne seine Prozessakten nicht arbeiten. Die Versuche, die Akten nach Unterlagen der Parteien zu rekonstruieren, bot nur einen kümmerlichen Ersatz für die Originalakten. Graf Friedrich Ernst begann seine Amtszeit in Wetzlar also in einer für das Gericht schwierigen Situation. Zudem war es zur selben Zeit auch notorisch unterbesetzt, so dass es selbst bei bestem Willen die anstehenden Arbeiten nicht hätte bewältigen können. Gerade als man begann, diese von außen verursachten Probleme zu überwinden, setzten interne Spannungen ein, die vom ebenfalls 1698 ernannten katholischen Kammergerichtspräsidenten von Ingelheim ausgingen und dazu führten, dass sich das Gericht selbst am 16. Januar 1703 suspendierte. Im April 1703 schloss auch die Kammergerichtskanzlei auf Anweisung des Reichserzkanzlers, des Kurfürsten von Mainz, so dass das Gericht seine Arbeit aus diesem Grund bis zum Januar 1711 einstellen musste2. Auch nach der Wiederaufnahme der Arbeit blieb das Gericht personell unterbesetzt. Die notwendige Vergrößerung der Zahl der Beisitzer und die angemessene Erhöhung ihrer Besoldung beschloss der Reichstag in Regensburg sogar erst 1719/1720. Graf Friedrich Ernst hatte also wenig Spielraum, um die 1 2

Smend, (wie Kap. 14, Anm. 31), S. 215 ff.. Smend, (wie Kap. 14, Anm. 31), S.217ff..

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solms-laubachischen Prozesse am Reichskammergericht wirkungsvoll fördern zu können, weil das Gericht in dieser Zeit teilweise gar nicht, teilweise nicht normal arbeitete. Auch seine Freienseener Kontrahenten fanden unter diesen Umständen in diesen Jahren in Wetzlar nicht den gewohnten Rückhalt, so dass sie dem allgemeinen Trend folgend3 ihre Aktivität nach Wien zum Reichshofrat verlegen mussten, wenn sie nicht sofort Schutz beim Landgrafen zu Hessen-Darmstadt als ihrem Erbschutzherrn und seiner Regierungskanzlei in Giessen suchten und fanden. Am 9. Juni 1700 hatte die solms-laubachische Regierungskanzlei allen Leinewebern in Freienseen befohlen, sich dem Zunftzwang unterzuordnen4. Obwohl sich die Freienseener auf die kaiserliche Zusicherung freien Handels und Wandels in ihrem Privileg vom 9. Januar 1555 beriefen, beharrte Laubach auf dem Befehl und drohte bei Nichtbefolgung Strafen an. Dagegen erwirkten die Freienseener beim Reichskammergericht ein Mandat. Da dieser Prozess in Wetzlar jedoch in die Zeit der Funktionsunfähigkeit des Gerichts im Zusammenhang mit den Ingelheimschen Wirren geriet, verlegten die Betroffenen ihre Abwehr gegen diese sie belastende Maßnahme nach Wien, indem sie am 25. Februar 1707 beim Reichshofrat ihrem Antrag auf Privilegienbestätigung den Zusatz beifügten, in ihrem Schutzprivileg sei ihnen freier Handel und Wandel zugesichert worden, weshalb sie seit unvordenklichen Zeiten Freiheit von allen Innungen und Zünften besessen hätten5. Da die Gemeinde ihre meiste Nahrung aus der Anfertigung von Leinen und dessen Verkauf gewinne, beantragten sie außerdem, ihnen dies zu bestätigen und ihnen dazu jährlich mindestens zwei Jahrmärkte für den Leinenhandel zu bewilligen und dies in ihre Privilegienbestätigung zu inserieren6. Damit wollten sie also bei dieser Gelegenheit auch den Versuchen der Laubacher Obrigkeit, dem daniederliegenden Laubacher Markt durch Einführung eines Marktzwangs aufzuhelfen, zumindest für den für sie existentiell wichtigen Leinenhandel entgegenwirken. Am 13. Dezember 1708 bestätigte der Reichshofrat jedoch das Privileg ohne den Zusatz einer Zunftfreiheit und ohne die Jahrmarktverleihung nur in der bisherigen Form durch Inserierung des Privilegientextes von 1555, der solche Klauseln nicht enthielt7. Da sie damit nicht zufrieden waren,

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Smend (wie Kap. 14, Anm. 31), S.222f. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr.6. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19. Dazu: Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap.1, Anm.5), S. 27ff. 30. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19 = HHStA Wien, RHR, Confirm. Priv. 54 Konv.1. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19 = HHStA Wien, RHR, Confirm. Priv. 54 Konv.1.

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Graf Friedrich Ernst (1696–1723)

lösten die Freienseener die Bestätigungsurkunde bis zum Tode Kaiser Leopolds I. nicht ein, wie der nach Wien gereiste solmsische Regierungsrat Eberhard am 7. März 1710 dem Grafen mitteilte8. Dieser beauftragte ihn daraufhin, in der Reichskanzlei die Reskripte ausfindig zu machen, mit denen 1555 die Wirkung der Freienseener Privilegien eingeschränkt worden seien. Durch deren Vorlage könne man die Expedition des bewilligten Privilegs am besten sistieren9. Nach dem Tod Kaiser Josephs I. (17. April 1711) versuchten die Freienseener noch einmal, ihrem nunmehr erneut zu bestätigenden Schutzprivileg die Bewilligung zweier Jahrmärkte beifügen zu lassen10, allerdings auch wieder vergeblich11. Es gelang den Vogelsberger Bauern also nicht, die Absicht der Laubacher Obrigkeit, ihre wirtschaftliche Betätigung mittels einer herrschaftlichen Wirtschaftsordnung einzuschränken, mit Hilfe eines kaiserlichen Jahrmarktprivilegs zu durchkreuzen. Solms-Laubach machte seinerseits anlässlich des Begehrens der Freienseener, ihren Wappenbrief bestätigt zu bekommen, die leidige Siegelproblematik beim Reichshofrat geltend12. Allerdings war dies eine zweischneidige Sache. Der Graf konnte zwar hoffen, mit dem Hinweis darauf, dass die Kassation des Wappenbriefes beim Reichskammergericht rechtshängig sei, die Expedition der Bestätigung dieser Urkunde aufhalten zu können, musste aber die Gegenfrage gewärtigen, weshalb dieser Prozess bisher nicht intensiver betrieben worden sei. Vorsorglich mahnte daher der Wiener Agent am 10. Mai 1710 an, man solle in der Kammergerichtsakte nachforschen, wann und warum der Prozess so lange hängen geblieben sei. Auf jeden Fall müsse man vom Kammergericht eine Bescheinigung beschaffen, dass der Fall noch rechtshängig sei. Den Vorschlag des Laubacher Kanzleidirektors Heintzenberger, den Freienseenern den Siegelgebrauch in dem einen oder anderen Fall zu gestatten, lehnte der Wiener Agent aus grundsätzlichen Erwägungen ab, weil das Siegel gerade in dieser Form streitig sei und deshalb eine solche Erlaubnis die Herrschaft präjudizieren würde. Dieser Bestärkung des Grafen in seiner harten Haltung in der Siegelfrage folgte jedoch am 27. April 1712 ein

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Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19. Noch einmal ebenda 1710 April 5. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19. (1712 Februar 25): HHStA Wien, RHR, Confirm. Priv. 54, Konv.1. Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap.1, Anm. 5), S. 31ff. 1713 Juni 21 : HHStA Wien, RHR, Confirm. Priv. 54, Konv. 1 = Archiv Gemeinde Freienseen/Laubach, Abt. II, Abschn. 1, Konv. 2, Fasc. 2. = Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19. 1710 Mai 3 Schreiben des Wiener Agenten an Graf Friedrich Ernst: Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX, Freyenseensia, Nr. 19.

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gegenläufiges, beruhigendes Schreiben13. Der Reichshofratsagent berichtete darin zunächst, dass die Bestätigungsurkunde schon expediert sei, so dass man in dieser Hinsicht nichts mehr ausrichten könne. Sodann aber wies er darauf hin, dass Herr von Manshaug sein Unverständnis darüber geäußert habe, weshalb man diese schlechten Privilegien, die zum Teil in gar schlechten Freiheiten bestünden, so ernst nehme. Sie könnten dem Grafen keinerlei Nachteile bringen. Zu einer solchen, aus der Distanz des Wiener Hofes gewonnenen Haltung konnte sich Graf Friedrich Ernst jedoch nicht verstehen. Im Mai 1712 schickte er ein persönliches Memorandum an den Kaiser14. Darin zieh er die Freienseener der Beteiligung an dem leidigen Bauernkrieg und den Thomas Müntzerschen Irrungen, um sie am Kaiserhof zu diskreditieren. Gleichwohl bestätigte Kaiser Karl VI. am 21. Juni 1713 den Freienseener Wappenbrief15. Daraufhin verstärkten die gräflichen Beamten den Druck auf die Freienseener, indem sie systematisch Fälle sammelten und sanktionierten, in denen Bürgermeister und Gemeinde Gesundheitspässe16 oder andere Bescheinigungen17 unter dem beanstandeten Siegel ausgestellt hatten. Die laubachischen Beamten beließen es auch nicht beim Sammeln solcher Fälle, sondern bestraften die Bürgermeister und diejenigen Gemeindemitglieder, die solche Pässe geschrieben und besiegelt hatten. So belegten sie den Bürgermeister Heinrich Immelt mit 10 Reichstalern Strafe, weil er einigen Kesslern, die sich zeitweilig in Freienseen aufgehalten hätten, einen Gesundheitspass unter dem kaiserlich verliehenen Siegel ausgestellt habe. Daraufhin beschwerte sich Immelt beim Grafen und, als dieser ihm nicht half, beklagte er sich darüber am 25. August 1719 bei der landgräflichen Regierung in Giessen18. Damit wird die Freienseener Doppelstrategie deutlich. Initiativen in Wien wurden begleitet von Aktivitäten in Giessen/Darmstadt. Da in diesem Fall die landgräfliche Schutzmacht jedoch nicht so schnell reagierte, wie die Freienseener es sich erhofft hatten, schalteten sie am 11. März 1720 den Reichshofrat ein, weil mittlerweile die Laubacher Obrigkeit die gegen Immelt verhängte Geldstrafe vollstreckt habe. Ein anderer Freienseener Bürgermeister, namens Johann Konrad Rühl, 13 14 15

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Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX. Freyenseensia Nr. 19. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 1: 1712 April 9 + 1712 Mai 6. Archiv der Gemeinde Freienseen/Laubach, Abt.II. Abschn. 1, Konv. 2, Fasc. 1 = Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr.19 : Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freysenseensia Nr.19 : 1719 August 12; 1720 Februar 22; 1722 März 6; 1722 Mai 6. Gemeindearchiv Freienseen/Laubach Abt. II. Abschn. 1, Konv. 2 Fasc. 1.2 = HHStA Wien RGHR, Confirm. Priv. 54 Konv. 2; Druck: Abdruck (wie Kap. 4.2, Anm. 9), S. 1-7. Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap.1, Anm. 5), S. 31.

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sei auf Befehl der gräflichen Kanzlei sogar zeitweilig ins Gefängnis geworfen worden, weil er einem Mitnachbarn unter dem Gemeindesiegel einen Reisepass nach Frankfurt ausgestellt gehabt habe. Am Reichskammergericht sei sogar ein Prozess allein deswegen ins Stocken geraten, weil der solmsische Prokurator die von der Gemeinde eingereichte und mit ihrem Siegel beglaubigte Vollmacht nicht anerkannt habe. Die Freienseener baten daher den Kaiser darum, ihre Privilegien so zu erläutern, dass niemand sie unter irgendeinem Vorwand daran hindern könne, unter ihrem Siegel Gesundheitszeugnisse zu erteilen oder es beim Reichskammergericht zu gebrauchen. Am 10. Dezember 1722 baten sie erneut um eine entsprechende Erläuterung der kaiserlichen Privilegien19. Graf Friedrich Ernst war klug beraten, sich nicht direkt gegen den Siegelgebrauch zu wenden. Vielmehr bestritt er der Gemeinde Freienseen das Recht, Gesundheits- und Reisepässe auszustellen, weil dies Polizeisachen seien, in denen nur er als Landesherrn handeln dürfe. Die Prozessvollmachten waren allerdings nicht unter diese Kategorie einzureihen, so dass er weiter vortragen ließ, dass die Gemeinde Freienseen immer ihre Urkunden vom Laubacher Stadtgericht habe siegeln lassen. Damit hatte er sich zum einen nicht gegen den kaiserlichen Wappenbrief gewandt. Zum anderen sprach er damit den Klagen der Freienseener die Zulässigkeit ab, weil Polizeisachen nicht gerichtlich anfechtbar waren. Die Zulässigkeit des Freienseener Klagebegehrens in Wien stand auch wegen der Jurisdiktionskonkurrenz zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat zur Diskussion20. Einerseits galt das Prinzip der Prävention, so dass die Rechtshängigkeit der Kassation des Wappenbriefes beim Reichskammergericht seit 1555 einem neuen Verfahren in Wien im Wege stand. Andererseits beanspruchte jedoch der Reichshofrat die ausschließliche Zuständigkeit für die Kassation kaiserlicher Privilegien. Darüber gab es sowohl eine briefliche Diskussion des Grafen mit seinem Reichshofratsagenten Binder in Wien als auch mit seinem Prokurator am Reichskammergericht in Wetzlar nach der Wiederaufnahme des dortigen Verfahrens21. Am 22. Februar 1720 entschied der Reichshofrat, dass er das Freienseener Begehren abschlage22. Dabei sah er ausdrücklich davon ab, ob den Bauern wirklich unbestreitbar ein Siegelrecht zustehe. Wien wich damit dem Problem der Justizkonkurrenz mit Wetzlar aus. Stattdessen nahm der Reichshofrat die solmsische Argumentation auf, dass selbst wenn den Freienseenern das Siegelrecht verliehen worden sei, sie damit doch nicht die Befugnis erhalten hätten, gerichtliche Urkunden wie 19 20 21 22

HHStA Wien, RHR, Confirm. Priv. 54 Konv. 2. Diestelkamp, Zuständigkeit (wie Kap. 4.4, Anm. 25, S.163ff.. Diestelkamp, Zuständigkeit (wie Kap. 4.4, Anm. 25), S.171ff.. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 19.

Graf Friedrich Ernst (1696–1723)

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Pässe auszustellen, weil dies ein Eingriff in die landesherrliche Hoheit bedeute. Wie stark Graf Friedrich Ernst seinen Einfluss hatte geltend machen können, zeigt sich besonders deutlich an der zusätzlichen Bemerkung des Conclusums, es gehe allzu weit, dass die Gemeinde Freienseen sich in ihrer Supplik als Freyflecken bezeichnet habe Damit schloss sich der Reichshofrat den Bedenken des Grafen an und äußerte zumindest indirekt erste Zweifel an der von Freienseen beanspruchten Stellung als freies Reichsdorf. Abschließend warnten die Reichshofräte die Vogelsberger Bauern noch einmal eindringlich, weiter solche Pässe auszugeben oder in anderer Weise in die herrschaftliche Hoheit einzugreifen. Damit hatte Freienseen das Gegenteil von dem erreicht, was es mit seiner Initiative beim Reichshofrat hatte bewirken wollen. Insgesamt gab es also während der Regierungszeit des Grafen Friedrich Ernst im so umstrittenen Verhältnis der unruhigen Freienseener Untertanen zu ihrem Landesherrn, auch bei Einbeziehung der Aktivitäten in Wien, weit weniger Konflikte als im 17. oder gar 16. Jahrhundert unter seinen Vorgängern23. Auch in der lange umstrittenen Siegelfrage hatte sich der Graf beim Reichshofrat wenigstens indirekt durchsetzen können und damit die Freienseener in die Schranken seiner landesherrlichen Position verwiesen.

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Kap. 3- 14.

16.

Graf Friedrich Magnus II. (1723-1738)

Als Graf Friedrich Ernst am 16. Januar 1723 starb, konnte ihm sein ältester, am 21. November 1711 geborener Sohn, Graf Friederich Magnus II., nicht unmittelbar in der Regierung nachfolgen, weil er noch minderjährig war. Für ihn musste, wie schon häufiger in Laubach, eine vormundschaftliche Regentschaft unter Führung seiner Mutter, der Gräfin Friederike Charlotte (gestorben am 10. Januar 1729), die Herrschaft ausüben. Weder für diese Zeit noch in der kurzen Phase seiner eigenen Herrschaft in Laubach bis zu seinem Tod am 17. August 1738 sind in Wetzlar oder in Wien bemerkenswerte Aktivitäten zu verzeichnen. Die Laubacher Obrigkeit sicherte weniger gegenüber Freienseen als im Verhältnis zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt einige wichtige Positionen. Die Probleme vor Ort schwelten also weiter, auch wenn sich dies nicht in Klagen bei einem der beiden Reichsgerichte manifestierte, sondern SolmsLaubach und Hessen-Darmstadt die Probleme unter sich ausmachten. So stellte die Laubacher Regierung am 31. Mai 1725 gegenüber ihrem Dienstherrn klar, dass der Freienseener Anwalt und dessen Anhänger sich in Giessen zu allgemein über die Dinge der Gemeinde und Verletzung ihrer Privilegien beschwert hätten1. Dabei hätten sie wichtige Spezialfragen verschwiegen. Insbesondere müsse man in dem Antwortschreiben, riet der Schreiber, die Entsendung des Landkommissars Lotzen nach Freienseen, die von den Freienseenern mit Stillschweigen übergangen worden sei, berühren. Auch sei ständig zu wiederholen, dass nur wenige Freienseener den Prozess liebten und davon Vorteile zögen. Vor allem solle man betonen, dass zukünftig die hiesige hohe Herrschaft mit solchen Eingriffen verschont werden sollte. Der benannte Landkommissar Lotz von Grünberg hatte, wie aus einem Laubacher Protokoll hervorgeht, die Freienseener Mann für Mann vorgenommen und Beschwerden gegen das Rechnungswesen der Gemeinde entgegengenommen. In der Laubacher Zeugenvernehmung wurden die Bürgermeister Hans Schmidt und Anton Immelt jun. befragt, wer den Landkommissar angefordert und wer ihn geschickt habe. Die in diesen Fragen für sie liegende Sprengkraft minderten sie, indem sie sagten, Lotz sei ohne Anforderung aus Freienseen auf Befehl der Regierung in Giessen und nur als Notar gekommen. Er habe alle Einwohner Mann für Mann befragt, ob sie mit den Dingen der Gemeinde, in denen diese prozessiere, zufrieden seien. Auch habe er sich dafür interessiert, was sie so machten und ob sie bei ihren Privilegien bleiben wollten. Sonst habe er nichts weiter gefragt. Diese scheinbar harmlose Aktion Lotzens diente offenbar der Information der land1

Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia, Nr. 129.

Graf Friedrich Magnus II. (1723–1738)

251

gräflichen Regierung in Giessen für die Ausübung des hessischen Schutzrechtes in Freienseen. Da man in Giessen dieses Recht extensiv auszulegen pflegte, sahen die Laubacher Regierungsräte in dieser Initiative eine mögliche Bedrohung, gegen die man sich rechtzeitig wappnen müsse. Die Laubacher Regierung wollte sich offenbar selbst wieder in das Freienseener Gemeinde-Rechnungswesen einschalten und hatte dafür sogar zwei Bürgermeisterrechnungen beschlagnahmt. Ebenso mischte sie sich erneut auch in die Bestellung der Gemeindediener ein2. Beide Punkte waren jedoch nach langem Streit schon zugunsten der gemeindlichen Selbstverwaltung entschieden worden, so dass die Freienseener gute Gründe hatten, in Giessen um Schutz ihrer Rechte nachzusuchen. Mit Notariatsinstrumenten vom 10./11. Juni 1736 beklagte Solms-Laubach einen militärischen Übergriff Hessen-Darmstadts in Freienseen. Die Schutzherrschaft habe durch Bewaffnete frühmorgens die Ställe zweier Freienseener aufbrechen und drei Kühe wegnehmen lassen. Dies sei auf Befehl des Landgrafen und seiner Regierung zu Giessen durch den Grünberger – also hessendarmstädtischen – Landmilizausschuss geschehen. Weshalb er dies befohlen habe, konnten die von dem Notar vernommenen Zeugen nicht sagen. Am 10. Oktober 1737 wandte sich die hessen-darmstädtische Regierung zu Giessen gegen die Einführung der gräflichen Schornsteinfegerordnung in Freienseen, weil die dortigen Bewohner ihrer Pflicht zur ordentlichen Instandhaltung der Feuerstellen und Schornsteine immer von selbst nachgekommen seien3. Die Schutzmacht war aktiv geworden, weil die Freienseener in dieser Ordnung einen Eingriff in ihre Freiheiten und Privilegien sahen. Am 25. Oktober wies die solmische Seite einen weiteren militärischen Gewaltakt Hessen-Darmstadts durch Zeugen nach4. Dabei traten die Hintergründe deutlicher als in dem früheren Protokoll zutage. Die widerspenstigen Freienseener hatten, als sie dem jungen Landesherrn vor einem Jahr hatten huldigen sollen, Vorbehalte angemeldet und deshalb die Huldigung verweigert. Als sie für diese Huldigungsverweigerung bestraft werden sollten und die Laubacher Obrigkeit die Strafen haben exekutieren wollen, seien einige Männer der fürstlich hessen-darmstädtischen Landmiliz nach Freienseen gekommen und hätten die wenigen solms-laubachischen Soldaten von dort vertrieben. Der gräfliche Leutnant Schäfer habe darauf mit einem Kommando vom solms-laubachischen Kontingent die nach Freienseen eingefallenen Männer der hessen-darmstädtischen Landmiliz in Arrest genommen. Diese 2

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So auch noch am 3. Juli 1736: Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm.15), S. 294f. Nr. CXII. 21. März 1740, Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 290, Nr. CXIV. HStA Darmstadt, G 23 C, Nr. 2579, Qu. 18.

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Graf Friedrich Magnus II. (1723–1738)

hätten sich dagegen nicht gewehrt und seien am nächsten Morgen wieder entlassen worden. Doch schickte nach diesem Vorfall Hessen-Darmstadt eine ganze Kompanie nach Freienseen. Dem konnte Laubach nicht mit noch stärkerer Mannschaft begegnen. Stattdessen schickte sie den Geheimen Laubacher Regierungsrat Schütz ins Dorf, um den Offizier zu befragen, wer ihm den Einmarsch in Freienseen befohlen habe, zu welchem Zweck er nach dort beordert worden sei und was er eigentlich dort verrichten solle. Dabei stellte sich heraus, dass die Freienseener den Landgrafen um Hilfe gegen Exekution der Strafen wegen Huldigung ersucht hatten und die hessischen Soldaten die Vollstreckung der Strafen verhindern sollten. Weisungsgemäß protestierte Schütz dagegen und verwies darauf, dass der Graf beim Kaiser gegen ein solches friedbrüchiges Vorgehen klagen werde. Der befragte Fähnrich versicherte, dass er alles seinem Oberstleutnant von Moritz nach Grünberg berichtet habe. Bis er von diesem Befehl zum Abzug bekomme, werde er mit seiner Mannschaft ganz still in drei Häusern liegen und keinem Menschen einen Schaden zufügen. Den Protest von Regierungsrat Schütz wolle er dort vorbringen, wo er hingehöre. Der Versuch des Laubacher Regierungsrates, die Namen derjenigen zu erfahren, die sich in Giessen beschwert hätten, scheiterte an der mangelnden Auskunftsfreudigkeit der befragten Freienseener. Als er dann meinte, den Sergeanten durch Vorzeigen eines Mandats gegen den Landgrafen und dessen Regierung zu Giessen zum sofortigen Abzug bewegen zu können, wollte dieser nichts ohne Befehl seines Vorgesetzten tun. Zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Solms-Laubach und HessenDarmstadt kam es nur deshalb nicht, weil der Graf und seine Regierung einsahen, wie hoffnungslos unterlegen sie militärisch waren. Gleichwohl war die Situation für Solms-Laubach zu bedrohlich, um die hessischen Aktivitäten widerspruchslos hinzunehmen. Immerhin hatte der übermächtige Nachbar den Landesherrn daran gehindert, in seinem Dorf seine Rechte durchzusetzen. Damit, dass die Freienseener Schutzmacht den jungen Grafen daran hindern wollte, die nach Eintritt seiner Volljährigkeit notwendige Huldigung seiner Untertanen in Freienseen mit Strafen durchzusetzen, war das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht worden. Bezeichnenderweise hatte sich die Solms-Laubacher Seite zunächst mit einer Beweissicherung begnügt. Erst nach Beginn seiner eigenen Regierungszeit zog Graf Friedrich Magnus II. daraus Konsequenzen und wandte sich nach Wetzlar. Am 8. Januar 1738 beantragte er beim Reichskammergericht ein Mandat gegen seine ungehorsamen Untertanen zu Freienseen, wobei er zur Begründung alle durch Zeugenaussagen belegten Vorgänge der letzten Jahre vorlegte5. Am 30. April 1738 musste der der Freienseener Prokurator Ein5

HStA Darmstadt G 23 C, Nr. 2579, Qu. 7, 18, 34, 40.

Graf Friedrich Magnus II. (1723–1738)

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wendungen der gräflichen Seite gegen die Prozessvollmacht der Gemeinde abwehren6. Nach dem Tod des Grafen Friedrich Magnus II. am 17. August 1738 und bevor sein jüngerer Bruder Graf Christian August die Herrschaft hatte antreten können, hatte der solmsische Prokurator am 5. September 1738 also wieder die Siegelfrage in das Verfahren eingeführt7. Fortan wurde der Prozess von dem tatkräftigen Grafen Christian August fortgeführt.

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HStA Darmstadt G 23 C, Nr. 2579, Qu. 34. HStA Darmstadt G 23 C, Nr. 2579, Qu. 43.

17. Graf Christian August (1738–1784) Da Graf Friedrich Magnus II. am 17. August 1738 starb, ohne einen Sohn als Nachfolger zu hinterlassen, trat sein jüngerer Bruder Christian August die Nachfolge an. Dazu wurde dieser auf Wunsch seiner Mutter am 28. November 1738 zehn Monate vor Erreichung der Volljährigkeit vom Kaiser vorzeitig für volljährig erklärt, nachdem seine Mutter und die anderen Vormünder ihm die angemessene Reife attestiert hatten1. Er gilt als tatkräftig, musste aber von seinen Vorgängern eine hohe Schuldenlast übernehmen. Seine Ernennung zum Geheimen Rat des Kaisers im Jahr 1640 konnte zur Bewältigung dieses Problems ebensowenig beitragen wie seine Annäherung an die aufsteigende Großmacht Brandenburg-Preußen. Es blieb nur die bessere Nutzung der ererbten Grundlagen durch Straffung der Laubacher Verwaltung und intensivere Heranziehung der Untertanen. Seinem Repräsentationsbedürfnis entsprechend und auch wegen des Ausbaus der landesherrlichen Verwaltung ließ er trotz der überkommenen Schuldenlast das Laubacher Schlosses weiter ausbauen. Auch richtete er eine eigene Landmiliz ein, wodurch sich die Schuldenlast unverhältnismäßig vergrößerte. Der junge Herr erwies sich bald als weniger langmütig als sein verstorbener Bruder. Er wurde sofort in Wien aktiv gegen die Bestätigung der Freienseener Privilegien. Tatkräftig ließ er auch den solmsischen Prokurator in Wetzlar den so lange vernachlässigten Prozess wegen Kassation des kaiserlichen Wappenbriefs für Freienseen wieder aufnehmen. Ebenso betrieb er umgehend den von seinem Bruder begonnenen Prozess gegen Hessen-Darmstadt wegen der Übergriffe in sein Territorium als Schutzherrschaft in Freienseen2. Am 16. Februar 1739 wehrte er sich mit einem umfangreichen Schriftsatz gegen die seiner Meinung nach unbegründete Replik der Gegenseite3. Er wies die Mandate und Judikate, auf die sich die Freienseener berufen hatten, als nicht einschlägig zurück. Ob Hessen-Darmstadt die Schranken seines Nebenschutzes überschritten oder diesen gar wegen Missbrauchs verloren habe, sei allein mit dem Fürsten und nicht mit den gräflichen Untertanen zu erörtern. Doch stehe fest, dass Hessen diesen Schutz nur im Rahmen des Weimarer Laudums und des in diesem Zusammenhang eingeholten Tübinger Rechtsgutachtens ausüben dürfe. Das von den Freienseenern immer wieder angeführte angebliche kaiserliche Schutzprivileg enthalte mit keiner Silbe ei-

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2579, Qu. 52. Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 69. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2579, Qu. 55.

Graf Christian August (1738–1784)

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nen der von den Freienseenern beanspruchten Punkte. Insbesondere stehe darin nichts davon, dass sie in ihrem Dorf allein die freie Administration besäßen, während die Herrschaft dort keinerlei Verwaltungsrechte ausüben dürfe. Die Gegenseite missbrauche die ihr durch den Marburger Rezess von 1639 eingeräumten Freiheiten. Kein Landesherr, der einen mächtigeren Nachbarn habe, könne es dulden, dass seine Untertanen oder der zu ihrer Hilfe angerufene mächtige Nachbar entschieden, ob und wie die Untertanen die Durchsetzung seiner Obrigkeit hinnehmen wollten. Obwohl sie durch den Marburger Vergleich viele Vorteile gegenüber den übrigen gräflichen Untertanen genössen, könne dies doch nicht dazu führen, dass die Territorialhoheit noch darüber hinaus eingeschränkt werde, was der Graf mit zahlreichen Zitaten aus der Literatur belegen ließ, zusammengefasst in dem Brocardicon, dass die Ausnahme die Regel in den nicht ausgenommenen Fällen bestätige. Um darzulegen, wie lächerlich es sei, wenn die Freienseener ihre Freiheit aus dem Namen ableiteten, wies der Anwalt sarkastisch darauf hin, dass dann auch Bürger oder Bauern namens Kaiser, König, Herzog, Graf oder Edelmann entsprechende standesgemäße Prärogativen beanspruchen könnten. Sodann setzte sich der gräfliche Anwalt mit den verschiedenen Vorgängen im Einzelnen auseinander. Leutnant Schäfer habe keine Tathandlung begangen. Wenn er etwas Klagenswertes getan hätte, so hätten die Betroffenen solches beim Grafen als seinem Dienstherrn einklagen müssen. Das sei aber nicht geschehen. Ein herrschaftlicher Bediensteter sei einem Gemeindemitglied nur deshalb unfreundlich begegnet, weil dieser die herrschaftlichen Befehle gering geachtet habe. Es war darum gegangen, dass die Bürgermeister die Gemeinde nicht separat durch Glockenschlag hätten zusammenrufen lassen wollen, um herrschaftliche Befehle entgegenzunehmen, sondern dies nur geschehen lassen wollten, wenn die Gemeinde sowieso zusammentrete. Voller Empörung konstatierte der Anwalt, dass damit die herrschaftlichen Befehle geringer geachtet würden als die Anliegen des Bauermeisters. Die Schornsteinfegerordnung als solche sei niemals beim Reichskammergericht angefochten worden, weil in §106 des Jüngsten Reichsabschieds bestätigt worden sei, dass solche Polizeiordnungen nicht mit einer Appellation angefochten werden dürften. Die Wirksamkeit dieser Ordnung habe sich daher niemals im Streit befunden, sondern bestenfalls die wegen ihrer Nichtbeachtung ausgesprochenen Strafen. Die Freienseener Behauptung, ihre Vorfahren hätten 1726 in der gräflichen Kanzlei über die Siegelführung eine andere als die jetzige Belehrung bekommen, wehrte der Prokurator mit dem Argument ab, dass – selbst wenn damals so etwas geschehen sein sollte – Diener und Beamte nicht über die Rechte ihres Herrn, vor allem während dessen Minderjährigkeit, verfügen dürften.

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Falls im Marburger Vergleich irrtümlich etwas Falsches zugestanden worden sein sollte, so könne dies zurückgenommen werden. Schließlich wandte sich der gräfliche Anwalt dem leidigen Wappenbrief der Freienseener zu. Die Bauern hätten niemals, wie sie fälschlicherweise in ihrem Antrag an den Kaiser 1555 angegeben hätten, seit unvordenklichen Zeiten einen kaiserlichen Wappenbrief oder einen kaiserlichen Schutzbrief besessen gehabt. Den Schutzbrief habe man übrigens erst nachträglich als Privileg bezeichnet. Und selbst wenn es so gewesen sein sollte, stünde ihnen die Austeilung ordentlicher Pässe nicht zu. Schilter spreche das Wappen- und Siegelrecht nur denjenigen zu, die seit altersher zum Ritterschild gehört hätten, was man von den Freienseener Bauern gewiss nur dann sagen könne, wenn man den Bauernstand der Deutschen nicht kenne. Damit wird geschickt die mittelalterliche Heerschildordnung mit der frühneuzeitlichen Ständeordnung kombiniert, um die rechtliche Unmöglichkeit der Begründung für die Bestätigung des den Freienseenern 1555 angeblich nur erneuerten Wappenbriefs evident zu machen. Auch die von den Freienseenern herangezogene Wormser Stadtrechtsreformation unterscheide bei der Siegelfähigkeit die Gemeinen Leute und Bürger von den Geschlechts- und Wappengenossen. Erneut bestritt Solms-Laubach überhaupt das Vorhandensein authentischer Urkunden Kaiser Karls V. Bei dem weltbekannten Gerechtigkeitssinn dieses Kaisers könne man nicht glauben, dass dieser einem unter der Herrschaft eines Reichsgrafen stehenden Dorf so ungewöhnliche Dinge habe konzedieren wollen, wie sie nicht einmal Munizipalstädte genössen, wenn der Kaiser nicht durch falsche Angaben dazu gebracht worden wäre. Dies sei in dem durch eine kaiserliche Kommission gefertigten Zeugenrotel in Sachen primi mandati bestätigt worden. Ebenso stehe es in der durch den alten Laubacher Prediger M. Lucas Geyersberg 1574 niedergeschriebenen und 1735 zum Druck gebrachten Biographie des Grafen Friedrich Magnus I. in § XXI pag.19. Der Zeugenrotel offenbare auch, welche schändlichen Unwahrheiten die gottlose Lehre der Wiedertäuferei hervorgebracht habe, die damals fast ganz Freienseen infiziert gehabt habe. Die gräfliche Seite versuchte also durch Rückgriff auf den alten Vorwurf der Wiedertäuferei, die Glaubwürdigkeit der Freienseener beim Kammergericht zu erschüttern. Die Ursache für die Erteilung des Schutzbriefs sei allein in der von Freienseen fingierten Reichsunmittelbarkeit zu suchen, die beim damals regierenden Kaiser Zweifel an der Obrigkeit des Grafen Friedrich Magnus I. über das Dorf geweckt habe. Dass es auch vor dieser Zeit, also vor 1525 und 1555, schon Originale des Wappen- und des Schutzbriefs gegeben habe, werde durch den Zeugenrotel von 1558 widerlegt. Dort hätten zudem die Freienseener selbst die Reichsunmittelbarkeit für jünger als den hessischen Schutz erklärt, der diesem Status widerspreche. Noch niemals sei eine Person benannt worden, die die Originale dieser angeblichen Urkunden gesehen

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habe. Somit könnten die jetzigen Bestätigungen auch keine neuen Privilegierungen sein, da nur wirklich bestehendes Recht bestätigt werden könne. Die Freienseener hätten dies wohl selbst auch bemerkt. Sonst hätten sie die Urkunden schon längst beim Reichskammergericht zur Konfirmation vorgelegt4. Stattdessen beriefen sie sich lediglich auf die Akten der Frankfurter Konferenz, auf der Solms-Laubach die Privilegien angeblich anerkannt habe. Jedoch habe dort der solms-laubachische Rat und Oberamtmann Dr. Causedemius nur verlangt, die Urkunde der Gräfin vorlegen zu dürfen. Damit habe er auf nichts verzichten wollen oder gar verzichtet. Zu einem solchen Verzicht hätte ihn seine Vollmacht auch nicht legitimiert. Ähnliches gelte auch für die damals regierende Gräfin als Vormünderin selbst. Die Hoheitsrechte hafteten den zu einem ewigen Fideikommiss und Familienvertrag gehörigen Immobilien an, von denen sie nichts zu Lasten der Nachfolger hätte vergeben können. Diese Bemerkung bezieht sich auf das Recht der Fideikommisse und Familiengüter, über deren Substanz der zeitliche Rechtsinhaber zu Lasten seiner Rechtsnachfolger nicht rechtswirksam verfügen konnte. Selbst wenn es die Privilegien gäbe, hätten die Freienseener als bloße Bauern durch sie doch nicht die Befugnis erlangt, Pässe mit öffentlichem Glauben auszustellen. Deshalb würden diese Pässe in der Nachbarschaft und von anderen herrschaftlichen Beamten auch nicht als gültig akzeptiert, sondern für verdächtig gehalten. Im Statutum Solmense von 1688 sei für das ganze Land bestimmt worden, dass nur Urkunden mit gerichtlicher Bestätigung garantierte Kraft besäßen. Dieses Statut habe die Landesherrschaft kraft ihrer Gesetzgebungsgewalt erlassen dürfen. Es sei eine Polizeisache, für die die Landesherrschaft sich nicht rechtfertigen müsse. Mit diesem umfangreichen Schriftsatz hatte der gräfliche Anwalt noch einmal alle für seine Partei sprechenden Argumente präzisiert und die gegnerischen Positionen wortgewaltig widerlegt. Er zeigt damit an, wie viel dem neuen Landesherrn daran lag, die in Wetzlar schwebenden Prozesse intensiv zu fördern und zu einem guten Ende zu bringen. Doch über den weiteren Verlauf des Verfahrens schweigen die Akten. Am 16. Oktober 1738 hatte ein hessischer Amtsdiener aus Grünberg ein Schreiben der landgräflichen Regierung wegen der Gemeinde Freienseen nach Laubach gebracht5. Es ging um das Verbot der gräflichen Regierung, im September zugunsten der Schonung des Wildes in den Waldungen der Gemeinde holzen zu dürfen. In dieser forstpolizeilichen Anordnung trafen die beiden für den jungen Grafen wichtigen Momente zusammen: Zum einen die 4

5

Am 13. November 1743 insinuierten die Freienseener beim Reichskammergericht die Bestätigungen des Schutz- und Freiheitsbriefs und des Wappenbriefs durch Kaiser Karl VII. vom 5. Mai 1742: Gräfl. Archiv Laubach, A. LXXIII Nr. 6. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyenseensia Nr. 129, sub dato.

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Durchsetzung seiner landesherrlichen Gewalt, zum anderen die Verschärfung der Aufsicht über das wirtschaftliche Gebaren der Untertanen, was diese als Eingriff in ihre überkommenen und bestätigten Selbstverwaltungsrechte bekämpften. Der laubachische Regierungsrat, dem das Schreiben übergeben worden war, weigerte sich, dem Boten eine Empfangsbestätigung auszuhändigen, weil er sich nicht traue, solches zu verantworten. Offenbar hatte Graf Christian August die Zügel seiner Verwaltung so fest in die Hand genommen, dass sich einer seiner führenden Beamten nicht einmal getraute, selbständig den Eingang eines Briefes schriftlich zu bestätigen, der für seinen Herrn problematisch werden könnte. Umso deutlicher fiel die mündliche Antwort des Herrn Regierungsrates aus. Die Freienseener seien der Herrschaft untertan und müssten daher der herrschaftlichen Ordnung gemäß leben. Dazu lasse man sich von niemandem etwas vorschreiben. Dies entsprach der entschiedenen Haltung, die Solms-Laubach auch sonst eingenommen hatte, so dass der Herr Regierungsrat nicht fürchten musste, damit etwas falsch zu machen. Auch in den folgenden Jahren trübten Probleme der Forstordnung in unterschiedlichen Varianten immer wieder das Verhältnis der Landesherrschaft zur Gemeinde Freienseen. Nachdem die Freienseener besonders starke Wildschäden erlitten hatten, ließen sie darüber am 13. Dezember 1743 in Grünberg durch einen Notar einige Zeugenaussagen hessen-darmstädtischer Einwohner des Dorfes aufnehmen6, die bezeugten, dass die übergroße Menge an Wild die Feldfrüchte abäse und ihre Wiesen durchlöchere. Auf ihre Klagen hätten sie in Laubach keine Abhilfe bekommen. Vielmehr hätten die herrschaftlichen Jäger den sechs Wildhütern der Gemeinde schon vier Hunde erschossen. Drei Zeugen nahmen die geschädigten Felder in Augenschein und berichteten von starken Wildspuren und abgeästen Feldern. Sogar das in den Gärten um das Dorf zum Einmachen gepflanzte Weißkraut habe das Wild in einigen Nächten völlig abgefressen. 1742 seien zwei Hirsche ins Dorf gelaufen und hätten erst dann die Flucht ergriffen, als die Leute aus den Häusern gekommen seien. Am 18. Dezember 1743 wurden in Ulrichstein zum selben Thema der Gerichtsschöffe Johann Rahn und der Bürgermeister Wilhelm Joeckel von Altenhain vernommen7. Beide bezeugten dass die Gemeinde Freienseen früher mit Trommeln und Hunden das Wild von den Feldern ferngehalten habe. Seit einem Jahr sei ihnen dies jedoch, wie sie gehört hätten, verboten worden. Es sei daher leicht anzunehmen, dass ihre Felder, die an der Waldseite lägen, große Wildschäden erlitten hätten. Das sei den Zeugen wie auch allen Gemeindemitgliedern von Altenhain genügend bekannt, weil ihre Felder neben denen der Freienseener lägen. Das Wild könne durch Gräben nicht abgehal6 7

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 79. Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 297f. Nr. CXV.

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ten werden, sondern nur durch Hunde, wenn dies der Gemeinde Freienseen erlaubt würde. Diese Stellungnahme der Nachbarn zielte darauf, dass die gräfliche Rentkammer neuerdings zugunsten des herrschaftlichen Jagdregals den Bauern verboten hatte, das Wild durch Hunde von ihren Feldern fernzuhalten. Den dadurch verursachten Wildschaden begründeten diese Zeugen allerdings nicht mit Eindrücken eines Augenscheins, sondern nur durch Hinweise auf Wahrscheinlichkeiten. Die hessische Regierung zu Giessen nahm diesen Konflikt am 2. Oktober 1743 zum Anlass, der gräflichen Kanzlei zu Laubach ein geharnischtes Schreiben zu schicken8. Die Giessener Herren zeigten sich vor allem befremdet über die Schreibart des in ziemlich ungewöhnlichen auch von denenselben unerwarteten Terminis gehaltenen letzten Briefes aus Laubach, mit dem die solmslaubachische Regierung auf die hessische Intervention zugunsten der Freienseener wegen des unmäßig anwachsenden Wildbrets reagiert hatte. Der Unwille der Hessen über den befremdlichen Ton des laubachischen Schreibens war umso größer, als sie meinten, der landesherrlichen Obrigkeit SolmsLaubachs nichts vorgeschrieben zu haben. Die Freienseener wollten doch nur das überhandnehmende Wild, das ihren unentbehrlichen Lebensunterhalt schmälere, wenigstens abhalten und abwehren dürfen. Dies schade den für die allein zur Plaisir der hochgräflichen Herrschaft angelegten Wildbahnen nicht. Sich dafür einzusetzen, gründe sowohl im natürlichen Recht als auch in der hergebrachten Schutzgerechtigkeit. Die Herren könnten selbst beurteilen, ob darin ein Verstoß gegen das sowieso keineswegs einschlägige Mandat von 1737 liege und ob dagegen der Marburger Vergleich von 1639 und das Weimarer Laudum angeführt werden dürften. Dazu müssten sie nur leidenschaftslos überlegen, wie wenig es mit der selbstverständlichen Billigkeit übereinstimme, dass eine Landesherrschaft ihren Untertanen die Abwehr unvernünftigen Viehs verbieten wolle. Daher sei es notwendig, sich solcher Beschwerden wenigstens durch eine Intervention kraft Schutzherrschaft anzunehmen. Den Hinweis der Laubacher Kanzlei, dass die Freienseener genauso wie die Untertanen des Landgrafen behandelt würden, wies die landgräfliche Regierung empört als unwahr zurück und rügte erneut die in diesem Zusammenhang gebrauchten unschicklichen Ausdrücke gegen seine Hochfürstliche Durchlaucht. Es sei in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt den Untertanen durchaus erlaubt, sich des vermehrenden Wildbrets durch Hüter und Hunde zu erwehren. Die landgräflichen Oberforstämter seien sogar angewiesen worden, dies selbst zu organisieren. Wenn der Herr Graf dasselbe täte, wäre zukünftig keine Beschwerde mehr aus Freienseen und keine hessische Intervention deswegen zu gewärtigen. Der erregte Tonfall der Laubacher Schreiben an 8

Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 298f. Nr. CXVI.

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die hessen-darmstädtische Regierung zu Giessen offenbart die große Bedeutung, die man in Laubach diesem Punkt beimaß. Im Bewusstsein dieser Bedeutsamkeit hatte man sich aber wohl so sehr im Ton gegenüber HessenDarmstadt vergriffen, dass die Giessener Regierung ihr Schreiben mit der Floskel schloss, man erwarte künftig eine moderatere Zuschrift. Eine weitere Einschränkung der Waldnutzung zugunsten der Wildhege verfügte die gräfliche Rentkammer am 11. Mai 1758 mit dem Gebot, dass die Freienseener ihre Wälder während der Setzzeit des Wildes bei Strafe von fünf Reichstalern nicht betreten dürften9. Auch sollten ihre Wildhüter bei Strafe von zehn Reichsthalern nicht mehr wie bisher ihre Jagdhunde mit in die Wälder nehmen dürfen. Der Konflikt entzündete sich zunächst allerdings nicht am Inhalt dieses Herrengebots, sondern nur an der Form seiner Bekanntmachung, womit ein alter Streitpunkt wiederbelebt wurde. Der Befehl wurde nämlich am selben Tag dem Oberbürgermeister Johannes Schmidt und dem Unterbürgermeister Johann Conrad Hoffmann mündlich bekanntgegeben mit der Aufforderung, ihn der ganzen, durch Glockenschlag zusammengerufenen Gemeinde zu publizieren. Falls sie dies nicht täten, würde man sich an sie als die Schuldigen halten, wenn der eine oder andere wegen Verstoßes gegen das Gebot bestraft würde. Die beiden erklärten darauf, dass sie keine Forstbedienten, sondern Gemeinde-Diener seien. So etwas solle die Herrschaft durch die herrschaftlichen Forstbedienten publizieren lassen. Auf Rückfrage versicherten sie, dass sie den Befehl durchaus verstanden hätten. Eine Abschrift des Befehls nähmen sie jedoch nicht entgegen, weil sie hofften, bei ihren alten Gerechtigkeiten zu verbleiben. Der nunmehr mit der Publikation beauftragte Oberförster berichtete am 11. Mai 1758 nach Laubach, dass er den Bürgermeister dreimal aufgefordert habe, die Glocke läuten zu lassen, damit er den Freienseenern den Befehl verkünden könne. Der Bürgermeister habe dies jedoch abgelehnt, weil um diese Tageszeit sowieso niemand zu Hause sei. Wenn die Leute wieder da sein, wolle er läuten lassen. Der Förster habe darauf gesagt, er müsse jetzt in den Wald, weshalb es sofort geschehen müsse. Daraufhin sei der Bürgermeister schweigend zur Tür herausgegangen. Empört über diese Missachtung des Vorranges seiner Herrschaft beendete der Förster seinen Bericht mit der Bemerkung, so wenig respektierten die Freienseener einen herrschaftlichen Befehl. Die gräfliche Rentkammer stellte jedoch am 19. Mai 1758 fest, dass der Hinweis des Bürgermeisters, er lasse nicht läuten, weil niemand zu Hause sei, durchaus einige Wahrscheinlichkeit für sich 9

Gräfl. Archiv Laubach, C. 118 Nr. 2. Diese Akte wurde ebenso wie die C 177 Nr. 1 erst bei der Neuordnung des Laubacher Archivs durch Herrn Gerhard Steinl als Reichskammergerichtsfall identifiziert. Ich danke ihm herzlich dafür, dass er mich sofort darauf hingewiesen hat.

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habe10. Daher sei die Verweigerung des Läutens nicht ohne weiteres als bösartig anzusehen. und deshalb die Exekution der verhängten Strafe, die nur bei bösem Vorsatz verhängt werden durfte, zurzeit noch nicht angemessen. Damit dieser verdrießlichen Sache aber ein Ende bereitet würde und man die gedachte Strafandrohung in Übereinstimmung mit dem Recht im Falle fortgesetzter Renitenz zur Wirkung bringen könne, sollten zwei Befehle durch den Regierungs- und Rentkammerboten nach Freienseen gebracht werden. Zum einen solle dem Oberförster Pfeffer befohlen werden, den Bürgermeister zu sich kommen zu lassen und ihm zu sagen, dass er die Gemeinde vor Sonnenuntergang zusammenrufen solle, damit der Oberförster den Befehl publizieren könne. Der zweite Befehl solle dem Bürgermeister selbst erteilt werden, noch an diesem Abend vor Sonnenuntergang die Gemeinde zusammenzurufen, damit ihr der herrschaftliche Befehl verkündet werden könne. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, betonte der Rentkammerbefehl, dass man mit unfehlbarem Gehorsam rechne bei Vermeidung der Exekution der ihm bereits am 13. Mai angedrohten Strafe von 50 Reichstalern. Damit sollte gesichert werden, dass dieses Mal keine rechtlichen Einwendungen gegen die Bestrafung wegen einer Gehorsamsverweigerung erhoben werden könnten. Als auf Anweisung des Grafen dem Oberförster Pfeffer der Befehl der Rentkammer bekanntgemacht wurde, wandte dieser ein, dass die Gemeinde bei einer solchen Zusammenkunft zunächst die Gemeindesachen zu behandeln pflege und erst ganz am Schluss die Herrengebote verkünden lasse. Weil die Herrschaft immer vorgehen müsse, könne er das nicht dulden, meinte der gräfliche Förster. Doch die Herren Rentkammerräte wollten es nicht auch noch auf diesen Punkt ankommen lassen und wiesen den Oberförster an, es dieses Mal nicht so genau zu nehmen. Er solle einfach nicht sogleich beim Glockenschlag erscheinen, so dass die Gemeindesachen schon verhandelt wären, wenn er komme. In der Tat war es klug, nicht auch noch diese Vorrangfrage zum Problem zu machen, denn der Bürgermeister handelte (erwartungsgemäß?) so, dass keinerlei Zweifel mehr an einer Gehorsamsverweigerung möglich waren. Am 19. Mai 1758 berichtete der Oberförster Pfeffer an die Laubacher Regierungskanzlei, Bürgermeister Schmitt habe auf seine Aufforderung, die Gemeinde vor Sonnenuntergang mit Glockenschlag zur Verkündung des Befehls zusammenzurufen, geantwortet, der Befehl hätte verkündet werden können, als er am Morgen schon habe läuten lassen11. Jetzt lasse er deswegen nicht extra läuten, sondern es solle damit beim Alten bleiben. Die Obrigkeit warf daraufhin Bürgermeister Schmitt ins Stockhaus und ließ ihn sodann auf die Wache 10 11

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in Gefängnishaft bringen. Dort habe er sich noch am 31. Mai 1758 befunden, als die Freienseener sich in Giessen darüber beklagt hätten12. Im Marburger Vergleich sei ihnen jedoch die ungestörte Administration und Nutzung ihrer Wälder zuerkannt und ihnen zugesichert worden, dass sie darin nicht beeinträchtigt werden sollten. Damit wandten sich die Freienseener zum ersten Mal in dieser Angelegenheit unmittelbar gegen einen forstpolizeilichen Befehl. Vielleicht hatten sie vorher gemeint, dass ihre Position nach modernen Auffassungen nur schwach zu begründen sei, weil der Landesherr mit Verbindlichkeit für alle Untertanen polizeiliche Anordnungen zugunsten des Gemeinwohls erlassen durfte, auch wenn er damit in das Privateigentum eingriff. Deshalb verstärkten sie jetzt zusätzlich auch ihren ursprünglichen Einwand gegen die geforderte Publikation. Das Mandat vom 5. November 1629 habe den Freienseenern ausdrücklich den unmittelbaren Gebrauch ihrer Glocken zugesprochen. Dementsprechend habe der Marburger Vergleich festgelegt, dass es wegen des Zusammenrufens der Gemeinde durch Glockenschlag beim Herkommen verbleiben solle. Dieses habe immer darin bestanden, dass Herrschaftsbediente, die einen landesherrlichen Befehl hätten verkünden sollen, in die zusammengerufene Gemeindeversammlung gekommen seien und dort ihres Amtes gewaltet hätten. Die Gemeinde habe niemals gestattet, die Glocken zu einer besonderen Einberufung der Gemeinde läuten zu lassen. Die Zumutung, den neuen forstpolizeilichen Befehl separat zu verkünden, verstoße folglich gegen dieses Herkommen, so dass der Bürgermeister nur seine Pflicht getan habe, als er dies verweigert habe. Die Giessener Regierung forderte die Laubacher auf, den inhaftierten Bürgermeister zu entlassen und die Gemeinde Freienseen zukünftig mit solchen Zumutungen zu verschonen. Am 11.Oktober 1758 berichtete der gräfliche Hofmeister von Glotz, dass der Bürgermeister wegen Nichtbefolgung des Befehls zu 75 Reichstalern Strafe verurteilt worden sei, womit sich die Strafhöhe unverhältnismäßig erhöht hatte. Der Kammerbote Meyer habe die Zahlung mehrfach angemahnt13. Schmitt habe jedoch nicht gezahlt, sondern sich auf das alte Herkommen berufen. Daraufhin habe die solms-laubachische Verwaltung den Musquetier Bletz mit einer schriftlichen Exekutionsanordnung nach Freienseen geschickt, wofür dieser eine Gebühr von sechs Albus erhalten sollte. Wieder erwies sich der Bürgermeister als Meister im Erfinden hinhaltender Ausreden. Er habe Bletz das Schriftstück abgenommen und sich unter dem Vorwand entfernt, er müsse sich den Befehl vorlesen lassen, da er nicht lesen könne. Als er nicht wiedergekommen sei, habe Bletz bei ihm für seine Gebühr eine eiserne Pfan12 13

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ne als Pfand an sich genommen. Allerdings habe er Schwierigkeiten bekommen, sie vorübergehend irgendwo unterzubringen. Der Freienseener Bauer Georg Sauer habe sie ihm nicht abnehmen wollen. Deshalb habe er die Pfanne der Frau des Oberförsters Pfeffer, des einzigen gräflichen Bediensteten im Ort, zur Aufbewahrung gegeben. In Sauers Haus seien Leute gewesen, die dem Bletz Branntwein angeboten hätten, um ihn aufzuhalten. Als schließlich der Bürgermeister zurückgekommen sei, habe dieser ihm die Anordnung zurückgeben wollen, was er jedoch abgelehnt habe. Stattdessen sei er nach Laubach zurückgegangen und habe dort alles berichtet. Der auf diese Weise dupierte und darüber sichtlich verärgerte Musquetier Bletz fasste seine Eindrücke so zusammen, dass der Bürgermeister wahrheitswidrig und bösartig den Vorwand benutzt habe, er könne nicht lesen, um ihm die Exekutionsanordnung abzunehmen und ihn hinzuhalten. Deshalb solle man den Bürgermeister nach Laubach zitieren und ihn wegen seines Vergehens mit einer Gefängnisstrafe belegen. Mit der gräflichen Regierung sei jedoch zuvor wegen dieses Vorgangs freundschaftlich zu kommunizieren, ob man die Exekution nach der Anordnung fortsetzen solle. Ein Rentkammerrat schrieb auf diesen Bericht des Hofmeisters von Glotz, dass wegen der Strafe allerdings die Kommunikation mit der Regierung nötig sei, weil diese die Strafe ausgesetzt gehabt habe. Da spürt man schon die Vorsicht, die dann insbesondere die Beratungen im Laubacher Regierungskollegium am 12. Oktober 1758 prägte14. Kanzleidirektor Eberth stellte dabei zunächst fest, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn diese Exekutionssache passiert wäre, als Hofrat Schöpf, der solms-laubachische Advokat, noch anwesend gewesen sei und man dessen Überlegungen hätte vernehmen können. Auf Verlangen des Hofrats Besserer, des gräflichen Prokurators in Wetzlar, habe er gerade zu dessen Information einen Extrakt aus den Mandatsakten gegen HessenDarmstadt und die widerspenstigen Freienseener angefertigt und diesen Extrakt auch Hofrat Schöpf kommuniziert. Er wisse allerdings nicht, ob dieses Schriftstück schon nach Wetzlar abgeschickt oder noch zurückbehalten worden sei. Bei der Abfassung dieses Extraktes habe er aus dem Studium eines Parallelfalls gelernt, dass alles beim Kammergericht schon einmal vorgetragen worden sei. Auch bei dem damaligen Fall habe man wegen der Einhaltung der gebotenen Hege-, Setz- und Brunftzeit und des Verbots, den Wald in diesen Wochen zu betreten, darum gestritten, wie obrigkeitliche Verfügungen zu publizieren seien. Daher gestand der Herr Kanzleidirektor, nunmehr verstehe er den Bürgermeister besser als vorher, wenn dieser sich darauf berufe, es solle alles beim Alten bleiben. So viel sei sicher, dass Solms-Laubach, wenn man die Exekution fortsetze, sehr bald nicht allein aus Giessen verdrießliche Mah14

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nungen zu gewärtigen habe, sondern dass auch beim Kammergericht entweder großer Lärm wegen gewaltsamer Verstöße gegen Kameralentscheidungen erhoben würde oder Freienseen vielleicht sogar ein Mandat wegen Rücknahme dieser Verstöße beantrage und auch wohl erlangen werde. Oder man habe sogar gewaltsamen Schutz der Freienseener durch Hessen-Darmstadt zu befürchten, wie es schon 1736 geschehen sei. Er getraue sich daher nicht, zurzeit so einfach zu weiterer Auspfändung und Personalarrestierung des Bürgermeisters zu raten. Pragmatisch fuhr er mit dem Sprichwort fort: Länger geborgt sei allerdings noch nicht geschenkt. Man solle lieber warten, ob man nicht bald ein Kameralurteil erhalten könne. Es würde auch günstiger sein, wenn sich die deutschen Sachen in etwas günstigerem Zustand befänden als jetzt. Nach Erhalt eines Kameralurteils sei die Exekution mit desto größerer Kraft und ohne Befürchtung gefährlicher Folgen zu vollziehen. Bei günstigeren allgemeinen Umständen würde sie zumindest weniger bedenklich erscheinen als gegenwärtig. Kanzleidirektor Eberth meinte also, dass es jetzt nicht an der rechten Zeit sei, einen mächtigeren Nachbarn zu beunruhigen. Es sei somit nötig, dem Grafen die Sache zur Verfügung und Entscheidung vorzulegen. Dabei sei daran zu erinnern, dass bei mehreren in den Prozessen einschlägigen Punkten, besonders wegen der Huldigungsverweigerung, die damals ausgesprochenen Strafen nunmehr über 20 Jahre nicht hätten eingetrieben werden können. Auch sie könnten nicht vor dem erhofften neuen Urteil exekutiert werden, ohne dass Solms-Laubach sich allergrößter Gefahr aussetze. Dieses Votum des Kanzleidirektors beweist erneut, wie sorgsam man in Laubach beim Vorgehen gegen die Freienseener das Kammergericht im Auge hatte. Mangelnde Vorsicht hätte dem mächtigen Nachbarn den Vorwand gegeben, sich der Freienseener Rechte annehmen zu können. Dem ausführlichen Votum des Kanzleidirektors, das der Information seiner Kollegen und schließlich des Grafen für dessen Entscheidungsfindung dienen sollte, folgte die kürzere Stellungnahme eines anderen (nicht genannten) Laubacher Regierungsmitglieds. Dieser votierte, dass man zwar den Exekutionsbefehl wegschaffen, aber dennoch den Bürgermeister vorladen und zu Protokoll vernehmen könne. Wenn dabei eine wirklich böse Absicht zum Vorschein komme, könne man ihn zur Zügelung seiner Bosheit für etwa 24 Stunden inhaftieren und sich bezüglich einer Strafe von 50 Reichstalern die künftige Exekution vorbehalten. Bevor am 13. Oktober als letzter Votant Hofmarschall von Lehennen seine Stellungnahme abgeben konnte, traf schon die von Eberth befürchtete Reaktion aus Giessen ein15 wo die Freienseener sich wieder über das Vorgehen gegen sie beschwert hatten. Die Hessen erinnerten die Laubacher an ihr Schrei15

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ben vom 31. Mai. Sie hätten gehofft, dass man daraufhin von der Geldstrafe abgesehen hätte. Mit Befremden hätten sie vernehmen müssen, dass gegen den Bürgermeister gleichwohl die Exekution durchgeführt werde. Sie ersuchten die solms-laubachische Regierung erneut ernsthaft, von diesem unjustifizierlichen Verfahren abzustehen. Sonst werde man der schutzangehörigen Gemeinde mit werktätiger Hilfe Beistand geben müssen, um sie bei ihren wohlhergebrachten Gerechtsamen zu schützen. Was unter einer werktätigen Hilfe für Freienseen zu verstehen sein würde, war allen Beteiligten klar, die noch das Eingreifen hessischer Soldaten im Gedächtnis hatten. In Kenntnis dieses Schreibens riet Hofmarschall von Lehennen am 13. Oktober 1758 ebenfalls dazu, den gelinderen Weg zu wählen, auch wenn er anschließend glaubte feststellen zu können, dass die Freienseener von solchen Schreiben aus Giessen bisher wenig Effekt verspürt hätten. Aber wenn solche Sachen am Kammergericht anhängig seien, könne es passieren, dass Hessen diese Gelegenheit nutze, um den ganzen Hass auslassen zu können, so wie es schon 1736 geschehen sei. Daher solle man sich vor allem wegen Erlass eines Urteils an das Kammergericht wenden. Am selben Tag gab Kanzleidirektor Eberth nach der Lektüre des Giessener Schreibens ein ergänzendes Votum ab. Er resumierte, dass alle anderen zugestimmt hätten, bei der Exekution vorsichtig vorzugehen. In einem Zusatz wies er zwei Alternativen auf: Entweder man warte die angekündigten Schutzmaßnahmen Hessen-Darmstadts ab und sehe, ob daraus triste oder auch angenehme Folgen entstehen könnten. Dazu traue er sich jedoch nicht zu raten. Oder aber, was das Ratsamste sei, man bündele diesen Brief und die anderen Schreiben der Giessener Regierung zu einer Anzeige beim Reichskammergericht, um damit wegen drohender enormer Gefahr und zu befürchtender Wirren um Beschleunigung der Relation in causas mandatorum und sententiam paritoriam zu bitten. Eine solche Anzeige würde er schon am nächsten Tag abfassen können. Dazu schrieb eine andere Hand (wohl die des Grafen) an den Rand: fiat, also: so geschehe es. An den Reichshofrat könne man allerdings nicht gehen, fuhr Kanzleidirektor Eberth fort, weil diese Sachen alle beim Reichskammergericht anhängig seien, und dieses daher wegen des Präventionsprinzips allein zuständig sei. Allerdings hielt er es für wünschenswert, dass die Sache erst expediert werde, wenn Hofrat Schöpfs Stellungnahme dazu vorliege. Entgegen diesen zur Vorsicht ratenden Überlegungen des Laubacher Regierungskollegiums setzte die gräfliche Rentkammer die Exekution der Strafe von 75 Reichstalern fort, weil der Bürgermeister diese nicht berichtigt habe, wie die Rentkammerräte am 17. Oktober 1758 an die Regierung berichteten16. 16

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Endlich erstattete Hofrat Schöpf am 4. November 1758 das in dieser Sache erbetene ausführliche Gutachten17. Die unumstößlich klingende Feststellung am Anfang, dass es unbestreitbar der Landesherrschaft zustehe, allen ihrer Herrschaft unterworfenen Untertanen forstliche Verordnungen vorzuschreiben, denen diese einfach zu gehorchen hätten, andernfalls sie exekutive dazu angehalten werden könnten, ist allerdings nur der Auftakt eines schließlich sehr viel differenzierteren Votums. Die gräfliche Forstordnung sei trotz dieser klaren Rechtslage von den Freienseener in Zweifel gezogen worden, worin sie durch die Giessener Regierung bestärkt worden seien. Daher habe man von Seiten des Hauses Solms-Laubach diesen Punkt schon längst in die Haupt-Mandats-Sachen-Klage eingeführt. Da man während des Prozesses nichts erneuern dürfe, stimme er mit den Gedanken des Herrn Kanzleidirektors Eberth durchgehend überein. Allerdings erklärte er sich außerstande, die ganzen, voluminösen Akten dieser keinen Verzug duldenden Sache selbst durchzugehen. Doch habe Kanzleidirektor Eberth für Hofrat Besserer mit viel Mühe und Einsicht aus den Akten herausgearbeitet, worin hauptsächlich die Streitpunkte mit der Gemeinde Freienseen bestünden und wonach sie zu beurteilen seien. Während des Prozesses mandati sine clausula wegen der ergangenen Forstordnung seien besonders den Freienseener wegen der Hegeund Setzzeit Waldsperrungen auferlegt worden. Die Giessener Regierung habe in verschiedenen Schreiben ausdrücklich die landesherrliche Macht bezweifelt, solche Ge- und Verbote statuieren zu dürfen. Aus diesem Grund und weil man sich weiteren Eingriffen aus Giessen ausgesetzt sehe, habe man beim Kammergericht eine supplicatio pro citatione ad videndum se incidisse ac declarari in poenam mandati de non amplius territorium sine clausula insertam nec non privari se protectione subsidiana Freyenseensi ac vindicari injurias illatas produziert. Darin sei vorläufig gezeigt worden, dass die in der Exceptionsschrift fälschlich in diesem Prozess für diese Eingriffe vorgebrachte Begründung mit der Schutzherrschaft nicht stichhaltig sei. Dem sei noch eine weitere Anzeige nachgeschickt worden, dass die Freienseener auch die herrschaftlichen Befehle, zur Hege-, Setz- und Brunftzeit ihre Wälder nicht betreten zu dürfen, missachteten und sich deswegen in Giessen beschwert hätten. Unter diesen Umständen bleibe nichts anderes übrig, als die von Kanzleidirektor Eberth wohl verfasste Anzeige wegen der drohenden Gefahr dem Reichskammergericht einzureichen und sie bereits morgen zur Unterrichtung an Hofrat Besserer zu schicken. Dies sei ja auch bereits vom Grafen genehmigt worden. Hofrat Besserer solle ein Exemplar auch dem Herrn Referenten zustellen. Hofrat Schöpf notierte zum selben Datum, er habe auch dem Grafen entsprechend berichtet, und dieser habe beschlossen, dass diese 17

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Anzeige am nächsten Posttag an Hofrat Besserer abgesendet werden solle. Einerseits geht daraus klar hervor, dass selbstverständlich dem Grafen die Entscheidung so wichtiger Sachen vorbehalten blieb. Andererseits wird aber auch in einer Zusatzbemerkung dessen Abhängigkeit von der klugen Beratung durch seine Ratgeber deutlich. In dieser eigenhändigen Notiz des Grafen heißt es nämlich, dass er diese weitläufigen Stücke nicht selbst durchlesen könne, sondern es darauf ankommen lasse, worauf sich das Direktorium und seine Räte geeinigt hätten. Dieser gräflichen Resolution gemäß ging am 5. November 1758 eine Anzeige wegen mandatswidriger Kontravention und gefährlicher Attentate an den gräflichen Prokurator in Wetzlar ab mit dem Hinweis, daraus ergäben sich Bedrohungen, wenn nicht bald eine sententia paritoria in Sachen SolmsLaubach gegen Hessen-Darmstadt und dessen nachgeordnete Regierung in Giessen ergehe18. Es sei beklagenswert, wie sehr sich diese Mandatssache verzögert habe. Wenn der Herr Referent nicht bald die Beförderung der Relation beginne, drohe Solms-Laubach die Landesobrigkeit in Freienseen vollständig zu entgleiten. Die Freienseener liefen wegen jeder landesherrlichen Verordnung nach Giessen und würden dort in ihrer Bosheit bestärkt. Der Anzeige an das Gericht könne der Adressat ein Beispiel dieser Art entnehmen. Die Sache hänge unstreitig von der Landesobrigkeit und speziell vom Forstrecht ab, begann der Schriftsatz in Übereinstimmung mit dem Votum des Hofrates Schöpf. In solchen Sachen gebe es weder durch Privileg noch durch Urteil eine Ausnahme zugunsten der Freienseener. Trotzdem widersetze sich Freienseen und werde darin von der landgräflichen Regierung in Giessen in fremdem Territorium unterstützt. Durch die Einhaltung der Hege- und Setzzeit werde die freie Administration der Waldungen keineswegs gehindert. Die Landesherrschaft übe vielmehr damit allein eine aus dem Jagdregal fließende, allen Landesobrigkeiten zustehende Gerechtsame aus, an der die Freienseener weder teilnehmen noch ihr widersprechen könnten. Am merkwürdigsten sei, dass die solmsische Obrigkeit nicht einmal mehr berechtigt sein solle, dem Bürgermeister zu befehlen, die erbgehuldigte und untertänige Gemeinde zusammenzurufen. Sobald der Bürgermeister wegen einer solchen Widersetzlichkeit bestraft werde, wende er sich unter Umgehung seines Landesherrn an die fürstliche Regierung zu Giessen, die in Freienseen jedoch keine Jurisdiktion besitze. Gleichwohl unterstütze diese mit Drohungen und Gewalttaten diese eid- und huldigungsbrüchigen Leute. Der Adressat möge umgehend diese Anzeige in den Gerichtsstil bringen und fleißig sollizitieren, damit endlich die skandalöse und alle Ordnung umstürzende Hessische Regierung an weiteren Attentaten gehindert werde. 18

Gräfl. Archiv Laubach, C 188 Nr. 2.

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Der Wetzlarer Prokurator fertigte am 8. November den Schriftsatz ans Gericht ab mit der dringenden Bitte, nunmehr endlich ein Urteil zu erteilen, worüber er am 20. November 1758 nach Laubach berichtete19. Doch die Hoffnung, daraufhin nun bald ein günstiges Urteil zu erhalten, erfüllten sich nicht. Schon am 7. Juni 1555 hatte Graf Christian August persönlich versucht, am Reichskammergericht eine Beschleunigung der Bearbeitung dieses Falles herbeizuführen20. Er hatte den Kammergerichtspräsidenten, den Grafen zu Wied, der wegen Abwesenheit des Kammerrichters dessen Amtsgeschäfte wahrnahm, um hülfliche Hand in seiner Sache gegen den Landgrafen zu Hessen-Darmstadt wegen Verletzung seines Territoriums gebeten, die schon vor vielen Jahren als beschlossen dem Herrn Assessor von Tönnemann21 als Referent übergeben worden sei. Er selbst wie auch seine Räte hätten immer wieder um die Relation sollizitiert. Der Herr Referent habe zwar viel versprochen, aber nichts gehalten, sondern von Jahr zu Jahr mehr Entschuldigungen vorgebracht. Daher bat der Graf, die Akte einem anderen Assessor zuzuschreiben, etwa Herrn von Harpprecht22, dessen Fleiß er vertraue. Diese Bitte sei umso berechtigter, als Herr von Tönnemann dem solms-laubachischen Prokurator jüngst erklärt habe, dass ihm der Herr Kammerrichter vor seiner Abreise acht neue Sachen auf den Hals gehoben habe, die er zu seinen Lebzeiten kaum werde bewältigen können. Es wäre ihm also durchaus lieb, wenn ihm die Freienseener Sache abgenommen würde. Zu dieser Entlastung scheint es jedoch nicht gekommen zu sein. Erst nach dem Tod des Assessors von Tönneman im Jahr 1759 musste ein neuer Referent bestimmt werden. Im Dezember 1760 intervenierte Graf Christian August schließlich unmittelbar beim Kammerrichter, dem Fürsten zu Hohenlohe-Bartenstein, und dem neuen Referenten, dem Assessor von Cramer23, nun endlich in dieser Sache, in der er unstreitig Landesherr sei und auf allen Seiten das Recht auf seiner Seite habe, Recht zu sprechen24. Graf Christian August wusste also, dass die Assessoren 19 20 21

22 23

24

Gräfl. Archiv Laubach, C 188 Nr. 2. Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freysenseensia Nr. 129, Fasc. 124 sub dato. Zu Johann Christoph Veit von Tönnemann: Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter, Teil II. Bd. 1, Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit, Bd. 26 II/1, 2003, S. 485ff. Zu Johann Heinrich von Harpprecht: Jahns (wie Anm. 21) Bd. II/2, 2003, S. 989ff. Zu Johann Ulrich von Cramer: Sigrid Jahns (wie Anm. 21) Bd. II/1, S. 655ff. Graf Christian August mochte sich von Assessor von Cramer auch deshalb Hilfe erhofft haben, weil dieser in der Hanauischen Erbfolgefrage (1736ff.) als Marburger Professor in einem spektakulären Streitschriftenkrieg Hessen-Kassel gegen HessenDarmstadt erfolgreich vertreten hatte (S. 661). Gräfl. Archiv Laubach, A. XXX Freyensensia Nr. 129 Fasc. 12214 sub 28. und 29. Dezember 1760.

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von Tönnemann und von Cramer als Referenten seine Sachen bearbeiteten, obwohl eigentlich geheim bleiben sollte, welcher Assessor welche Sache zur Bearbeitung bekam, um solche direkten Kontakte von Parteien zu ihren Richtern zu verhindern. Auch sonst bemühte sich der neue Landesherr, seine Obrigkeit tatkräftig zur Geltung zu bringen. So versuchte Laubach im Jahr 1740 erneut, die Schornsteinfegerordnung, gegen die sich die Freienseener schon 1737 mit Hilfe Hessen-Darmstadts gewehrt hatten, durchzusetzen, indem sie einen Schornsteinfeger in Begleitung eines gräflichen Soldaten nach Freienseen schickte. Dieser forderte von jedem Gemeindemitglied die Zahlung seines Lohnes unabhängig davon, ob er einen Schornstein geputzt habe oder nicht. Er soll seine Forderung so nachdrücklich vorgetragen haben, dass er Heinrich Löber dabei blutrünstig geschlagen und einem anderen die Haustür eingetreten habe. Sowohl den Bürgermeistern als auch denjenigen, die ihren Schornstein von ihm nicht hätten fegen lassen wollen, habe er 20 Reichstaler Strafe angedroht. Dies verstoße gegen Herkommen und Freiheit der Freienseener und gehöre im Übrigen in den am Reichskammergericht anhängigen Prozess. Da keine Veranlassung bestehe, zwangsweise eine so kostspielige und beschwerliche Vorkehrung wie eine Schornsteinfegerordnung einzuführen, forderte die landgräfliche Regierung zu Giessen die gräfliche Regierung zu Laubach am 21. März 1740 auf, davon abzustehen. Im Jahr 1743 ereignete sich eine militärische Gehorsamsverweigerung, die man in Laubach für ebenso gravierend ansah wie die Huldigungsverweigerung vom 10. Dezember 173625. Graf Christian August hatte für seine Grafschaft eine Landmiliz eingerichtet, die im Jahr 1743 in die Festung Mainz verlegt werden sollte26. Wie aus einem Memoriale und einem Schreiben der Gemeinde Freienseen an die fürstliche Regierung in Giessen27 hervorgeht, hatte die solms-laubachische Regierung junge Bauernburschen, die für die Aufrechterhaltung der elterlichen Wirtschaft unentbehrlich waren, zur gräflichen Landmiliz rekrutiert. Die Beschwerdeführer bestritten dem Grafen keineswegs grundsätzlich das Recht zur Aushebung von Soldaten. Aber sie wehrten sich dagegen, dass dies unter unangemessenen Umständen geschehen sei, nämlich in der Himmelfahrtsnacht unter Einsatz eines Kommandos von 50 Mann, die die Leute teilweise in Hemden aus ihren Betten geholt hätten, 25 26

27

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 84. Die Darstellung folgt weitgehend den Angaben im undatierten Rechtsgutachten der Juristenfakultät Halle, dessen Kopie für die Einreichung in Wetzlar am 21. März 1746 beglaubigt wurde: HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2575, Qu. 91. Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 299f. Nr. CXVII, S. 300 Nr. CXVIII, beide undatiert.

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obwohl Laubach die Intervention der Giessener Regierung in dieser Sache noch nicht beantwortet gehabt habe. Doch dies allein hätte die Freienseener noch nicht zur Gehorsamsverweigerung veranlasst. Es war die grundlegende Veränderung des Dienstes, der sie zur Rebellion trieb. Wache am Schloss hatten die Bauernsoldaten unbeanstandet geleistet. Als die Miliz jedoch als Garnison in die Festung Mainz verlegt werden sollte, so dass Acker und Pflug stehen bleiben mussten, war ihre Geduld erschöpft. Es seien noch genügend andere Leute vorhanden, denen dies nicht schaden würde. Diese Bemerkung zielte darauf, dass in Freienseen offenbar der bewährte Grundsatz nicht eingehalten worden war, nur diejenigen Söhne einzuziehen, die für die väterliche Wirtschaft entbehrlich waren. In Freienseen hatte man dagegen einige Familien des einzigen arbeitsfähigen Sohnes beraubt. Die Beschwerdeführer (Lutz, Immelt, und Schreiner sowie die Witwen Schmidt und Christ) gehörten kaum zufällig zum Kreis derjenigen Familien, die immer wieder Widerstand gegen die Landesherrschaft geleistet hatten. Nachdem die Gemeinde beschlossen hatte, dass die Freiensener Bauernburschen nicht verpflichtet seien, nach Mainz zu gehen, verweigerten diese den Gehorsam und verließen die Truppe. Der Darmstädter Hof habe sie in der Meinung bestärkt, dass während des schwebenden Prozesses die laubachischen landesherrlichen Rechte noch nicht ausgemacht seien, so dass sich die Untertanen gegen dergleichen Neuerungen schützen dürften. Laubach war dagegen der Meinung, dass Freienseen die Landesobrigkeit des Grafen anerkannt habe, woraus folge, dass die Freienseener allen darauf gegründeten Anordnungen gehorchen müssten. Zur Landesherrlichkeit gehöre unstreitig das Recht, unter den Untertanen Soldaten auszuwählen für Kriegsdienste sowohl inner- als auch außerhalb des Landes. Trotzdem habe die Gemeinde, als der Graf die Truppe zur Besatzung der Grenzfeste Mainz bestimmt habe, sich diesem Befehl widersetzt und ihre Mannschaft dazu überredet, auszutreten. Dadurch hätten sie die landesherrlichen Rechte wie auch ihren Huldigungseid gebrochen. Gegen diesen Befehl hätten sie sich vor allem deswegen nicht wehren dürfen, weil die Abordnung in die Grenzfestung Mainz dem ganzen Lande diene. Dagegen hätte auch der hessische Schutz nicht angerufen werden dürfen, auch weil dieser die Landesobrigkeit nicht breche. Deshalb sei das Freienseener Verhalten als Meineid und Huldigungsbruch anzusehen. Mit dieser Begründung leitete Laubach gegen die Gemeinde Freienseen ein Strafverfahren ein, zu dessen Abschluss ein Urteil der Rechtsfakultät Halle eingeholt wurde. Die Hallenser Juristen bestätigten die Laubacher Rechtsansicht, dass das Verhalten der Freienseener als Meineid und Huldigungsbruch zu werten sei. Allerdings sei fraglich, gab die Fakultät zu bedenken, ob dies als ein Delikt der Gemeinde als universitas anzusehen sei. Die bis heute streitige Frage, ob eine Juristische Person für Delikte bestraft werden könne, ver-

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neinten die Professoren. Die universitas sei zwar pro una persona zu halten. Deshalb beschwere das, was die Mehrheit beschließe, die ganze universitas. Ebenso sei der Gesamtheit anzurechnen, was ihre Repräsentanten unternähmen. Daher gelte der unter der Linde gefasste Beschluss des Ausschusses, die aus Freienseen gestellte Mannschaft müsse dem Kommando nicht nach Mainz außer Landes folgen, als ein Beschluss der ganzen Gemeinde. Aber Delikte seien boshafte Verstöße gegen die Gesetze. Deshalb könnten sie nur personalissime begangen werden. Die Gemeinde als solche könne jedoch nicht für diese Vergehen bestraft werden, sondern nur jede einzelne an dem Vorgang beteiligte Person. Also nur auf sie bezog sich die Antwort auf die Frage, welche Strafe verwirkt sei. Obwohl das Gesetz für Meineid das Abhauen der Finger vorsehe, konnten sich die Hallenser Rechtsgelehrten zu einem solchen Urteil nicht verstehen, auch wenn sie dies zu bedauern schienen, weil die Freienseener auf pflichtvergessene Art zugleich den Respekt gegenüber ihrem Oberherrn beleidigt hätten. Das Abhauen der Finger sei jedoch heute nicht mehr die übliche Praxis, sondern es würden stattdessen gelindere Strafen ausgesprochen. Daher sei der ältere Bürgermeister Werner Immelt mit sechs Wochen, der jüngere Balthasar Volp nebst dem engeren Ausschuss mit je vier Wochen Gefängnis zu bestrafen. Wer von der Gemeinde vor Gericht das Verbrechen gutgeheißen habe, solle mit 14 Tagen Gefängnis davonkommen. Dieser Strafvorschlag wirkt nur im Verhältnis zum Abhauen der Finger milde. In der Realität trafen die Gefängniswochen die Bauern sehr hart sowohl wegen der Lebensumstände im Laubacher Gefängnis als vor allem auch wegen der erzwungenen Abwesenheit von ihren Höfen. Wie die Laubacher Regierung den Fall weiter behandelt hat und wie das Reichskammergericht eingeschaltet wurde, ist nur indirekt zu erschließen. Aus einem Schreiben der fürstlichen Regierung zu Giessen an die gräfliche Kanzlei zu Laubach vom 20. März 1747 ergibt sich, dass das Reichskammergericht ein Mandat zugunsten des Grafen erlassen haben muss. Dieses Mandat könnten die Freienseener nach Meinung der hessen-darmstädtischen Regierung in Giessen als mit falschen Tatsachenangaben erschlichen kassieren lassen28. Der für das Urteil präjudizierliche Punkt, auf den das Hallenser Gutachten gründe, hätte wegen der vorher begründeten Zuständigkeit des Reichskammergerichts nicht einmal an den Reichshofrat und deshalb erst recht nicht an die Rechtsfakultät in Halle gebracht werden können, meinte man in Giessen. Das der Rechtshängigkeit widersprechende Urteil aus Halle hätte also keinesfalls so gefällt und schon gar nicht exekutiert werden dürfen. Die hessen-darmstädtische Regierung forderte daher von der Laubacher Regierungskanzlei, die inhaftierten Freienseener Gemeindeangehörigen umgehend zu entlassen. Die Laubacher Regie28

Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 302 Nr. CXX.

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rung hatte demnach das Hallenser Urteil, obwohl die Sache noch in Wetzlar rechtshängig war, umgehend exekutiert. Am 19. Mai 1773 beantragte die Gemeinde Freienseen beim Kammergericht, Graf Christian August und dessen nachgeordnete Regierungskanzlei zu laden. Zugleich bat sie, ein Mandat gegen die Genannten zu erlassen mit der Anordnung, dass sie Verstöße gegen frühere Mandate zurücknehmen sowie das dabei Erlangte restituieren müssten29. Es ging um das Verbot der Landesherrschaft, ausländische Waren zu kaufen oder zu verkaufen und um die darauf geschlagene Akzise. Der Graf und seine Regierungskanzlei hätten am 31. März eine sogenannte Krämer- und Akziseordnung errichtet und am 30. April publiziert. Da die Freienseener dadurch erheblich beschwert worden seien, hätten sie sofort innerhalb der Frist dagegen appelliert und die Appellation schriftlich angezeigt. Ebenso hätten sie die Akten binnen der dreißigtägigen Frist angefordert und sich zur Leistung der anderen Solemnitäten erboten. Da es für eine Appellation einer zu benennenden Beschwer bedurfte, die zudem eine Mindestsumme erreicht haben musste, mussten sich die Appellanten auch zu dieser Problematik äußern. Sowohl nach der Qualität der Beschwer als auch nach deren Umfang sei die Sache am Reichskammergericht anhängig geworden, weil der Streitgegenstand die Kränkung unschätzbarer Rechte, Freiheiten und Privilegien betreffe. Diese vorsichtige Bemerkung wendet sich vorab gegen den Einwand, dass der Streitgegenstand nach Art und Umfang für eine Appellation an das höchste Gericht nicht ausreiche. Am 6. November 1773 erneuerten die Supplikanten den Antrag, in dieser Sache den Appellationsprozess anzunehmen und überreichten dazu ein libellum gravaminum30. Darin legten sie noch einmal dar, dass die neue Krämerund Akziseordnung Vorschriften enthalte, die den freien Handel und Wandel störten und diesen auch mit einer dem Herkommen widerstreitenden Abgabe und Auflage verknüpften. Eine solche Neuerung verstoße gegen die natürlichen und Gemeinen Rechte sowie die bekannten Reichskonstitutionen31. Dies sei auch für den freien, sicheren und unbeschwerten Handel und Wandel nachteilig und beschwerlich, der zudem durch kaiserliche Privilegien, wie das vom 9. Januar 155532, und durch Mandate, wie das vom 9. Mai 160933, bestätigt worden sei. Nachdem ihre beiden Bürgermeister mit ihren Beschwerden bei der gräflichen Behörde kein Gehör gefunden hätten, seien sie gezwungen

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2585, Qu. 15. Wie Anm. 29, Qu. 16. Wie Anm. 30. Reichsabschiede von 1576 § 119; 1594 § 42; 1603 § 39). Wie Anm. 29, Qu. 17. in der Bestätigung durch Kaiser Karl VI. vom 21. Juni 1713. Wie Anm. 31: Verbot der Einschränkung des Handels mit Viktualien und Vieh.

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gewesen, innerhalb der Frist gegen die Krämer- und Akziseordnung an einen höheren Richter zu appellieren. Zur Ausführung dieser Appellation trugen sie nunmehr folgendes vor. Trotz der Appellation habe die Regierungskanzlei am 9. Mai eine Resolution erlassen, die gegen das Verbot weiterer Eingriffe verstoße. Die vom Klägeranwalt daher beim Reichskammergericht wegen höchsten Verzugs und dadurch verursachter Gefahr am 19. und 31. Mai erbetene weitere Inhibition sei am 1. Juni erlassen worden. Zugleich seien die Appellaten zur Berichterstattung aufgefordert worden. Gleichwohl habe die Regierungskanzlei die Exekutionen fortgesetzt. Die Kläger hätten sich deswegen die Attentatenklage vorbehalten gehabt, die sie nunmehr bei Fortsetzung der Hauptsache einführen wollten. Nach den angeführten Reichsabschieden habe das Reichsgericht den beschwerten Parteien nicht nur im Wege der Appellation geholfen, sondern sogar auch Kassationsmandate und Befehle zur Restitution und weitere Verbote erlassen. Das geschehe im Interesse des freien Handels und Wandels umso leichter, wenn dabei nur das fiskalische Interesse des Landesherrn betroffen sei, wie von Cramer in seinen Observationes oder seinen Nebenstunden und den Wetzlarer Beiträgen und auch von Ludolff ausgeführt hätten. Die Krämer- und Akziseordnung sei aber allein im privaten Interesse der Landesherrschaft erlassen worden. Am 13. Mai 1774 überreichten die Appellanten Zeugenaussagen über Merkwürdigkeiten, die bei der am 7. Mai vorgenommenen Insinuation der Appellationsanzeige zu Laubach vorgekommen waren34. Als man am 7. Mai zu Laubach die Appellationsanzeige wegen der auf die Ware zu legenden Akzise habe insinuieren wollen, sei einiges vorgefallen. Vorher seien die zwei Bürgermeister und die Vorsteher der Gemeinde nach Laubach auf die Kanzlei zitiert und zu Protokoll vernommen worden. In den letzten Zeilen des Protokolls stehe, dass sie sich an nichts erinnerten und zu ihrer Verantwortung allein vortragen könnten, dass ihr Anwalt in Giessen ihnen geraten habe, den Appellationszettel dem Amtsschultheißen zu Grünberg einzuhändigen, damit dieser ihn durch einen geschworenen Mann nach Laubach schicke. Damit seien ihre Erklärungen jedoch nicht gehörig niedergeschrieben, sondern zum Nachteil der Gemeinde ganze Passagen ausgelassen worden. Daher vernahm ein Notar den Grünberger Amtsdiener, der die Insinuation vorgenommen gehabt hatte, die beiden Bürgermeister und die drei Vorsteher zu den Vorgängen. Der Amtsdiener bekundete, dass er wunschgemäß dem Laubacher Regierungsrat Wegelin eine Appellationsanzeige wegen der auf die Ware zu schlagenden Akzise insinuiert habe. Als er darüber eine Empfangsbestätigung erbeten habe, habe Wegelin die Anzeige entzweigerissen und sie ihm mit den 34

Wie Anm. 29, Lit. E. fol. 29–34.

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Worten zurückgegeben, da habe er seine Empfangsbestätigung. Wenn die Gemeinde appellieren wolle, so sollten ihre Leute selbst kommen. Offenbar wollte das Mitglied der gräflichen Regierung von Anfang an verhindern, dass die hessische Schutzmacht sich in das Verfahren einschaltete. Zu allem Überfluss sei er, als er schon aufgebrochen gewesen sei, von einem Offizier noch einmal zurückgerufen worden. Dieser habe ihn gefragt, wer ihn geschickt habe. Auf seine Antwort, dass dies die Freienseener Deputierten gewesen seien, habe der Offizier gedroht, er werde ihn zwei Tage in die Wache sperren und danach in den Karren spannen lassen. Er wolle ihm nicht geraten haben, jemals wieder in diesen Ort zu kommen, wo der Herr Landgraf nichts zu befehlen habe. Man lasse sich hier auch durch noch so viele Schreiben nichts befehlen. Der Offizier habe noch viele andere Anzüglichkeiten gebraucht, die der Zeuge jedoch vergessen habe, weil er zu verängstigt gewesen sei. Bürgermeister Johann Henrich Jung erklärte, dass der Sekretär Otto, als sie in die Laubacher Kanzlei gekommen seien, ihnen ein schon bis zur letzten Zeile vorgefertigtes Protokoll über die doch erst bevorstehende Verhandlung vorgelesen habe. Regierungsrat Wegelin habe ihn gefragt, an wen denn die Gemeinde wegen der Akzise appellieren wolle. Auf seine Antwort, sie wollten an das Kaiserliche Kammergericht appellieren, habe Wegelin ihm vorgehalten, in seinem Haus habe er dagegen gesagt, an die Fürstliche Regierung nach Giessen. Dem habe er sofort widersprochen und korrigiert, dass er damals nur gesagt habe, sie wollten sich an ihren Schutz wenden, womit er das Kammergericht gemeint habe. Dies alles sei jedoch nicht protokolliert worden. Es ist verständlich, dass Bürgermeister Jung unbedingt die Korrektur des Missverständnisses seiner Äußerung protokolliert haben wollte. Die solms-laubachische Interpretation einer in der Tat zweideutigen Äußerung setzte ihn nämlich dem Verdacht aus, die Obrigkeit seines Landesherrn zu leugnen. Der zweite Bürgermeister sowie die drei Gemeindevorsteher bestätigten den Vorgang im Sinne von Jungs Darstellung. Am 10. Oktober 1774 entschied das Gericht, dass die Bitte um Ladung und Erlass eines Mandats wegen Rücknahme von Attentaten und Rückerstattung des dabei Weggenommenen zurzeit noch abgeschlagen werde. Der Herr Graf solle vielmehr binnen sechs Wochen dem Gericht einen Bericht über alles Vorgefallene einreichen. Am 30. August 1775 erließ das Kammergericht die erbetene Ladung verbunden mit dem Verbot weiterer Übergriff und einer Zwangsandrohung wegen Herausgabe der Vorakten. Zusätzlich befahl es mit Mandat, die begangenen Attentate zu widerrufen und das dabei Erlangte zu restituieren35. Da der gräfliche Bericht ausgeblieben war, beschloss das Gericht am 28. August 1775 die Ladung wegen trotziger Verweigerung des zur 35

Wie Anm. 29, Qu. 2.

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Information Verpflichteten nach den bisher in den Akten befindlichen Unterlagen. Nach diesem Bescheid sollten der Graf und seine zur gräflichen Justizkanzlei verordneten Direktoren und Räte sowie Dr. Sonntag als ihr Advokat die nach Einlegung der Appellation und gegen das erlassene Verbot begangenen Attentate widerrufen und aufheben. Insbesondere sollten sie dem Bürgermeister Jung den weggenommenen und danach versteigerten Ochsen oder vielmehr dessen Erlös restituieren. Auch dürften sie in dieser Sache wegen ihrer Rechtshängigkeit am Kammergericht nichts zum Nachteil der Appellanten unternehmen und müssten ihnen binnen 14 Tagen alle Vorakten herausgeben. Gemäß dem Jüngsten Reichsabschied hätten sie auch die Entscheidungsgründe mitzuteilen. Auch die neue Fristsetzung blieb jedoch ohne Erfolg. Graf Christian August und seine Räte blieben weiter inaktiv, ohne dass dies die Appellanten oder auch das Gericht zu weiteren Reaktionen veranlasst hätte. Am 2. Dezember 1778 überreichten die Appellanten die von Leopold von Canngießer verfasste Ausführliche Erörterung des dem hochfürstlichen Hauß HessenDarmstadt über den Flecken Freyensehen ....zustehenden Erb-Schutzrechts. Dies ist die letzte in der Akte nachweisbare Handlung in dieser Sache. Deren Fortgang oder gar Ende ist somit ungewiss. Während der Regierungszeit des Grafen Christian August hatten sich einige neue Konfliktfelder für die Auseinandersetzung zwischen dem Landesherrn und seinen widerspenstigen Untertanen in Freienseen ergeben. Gegen forstpolizeiliche Anordnungen wehrten sich diese ebenso wie gegen die Pflichten aus der neuen Schornsteinfegerordnung. Doch zeigt sich insbesondere bei der Befehlsverweigerung wegen Verlegung solms-laubachischer Soldaten nach Mainz, dass dieser Widerstand nicht mehr wie früher grundsätzlicher Natur war. Die Rebellen hatten offenbar anerkannt, dass der Laubacher Graf als ihr Landesherr die polizeiliche und militärische Befehlsgewalt besaß. Ihre Gegenwehr richtete sich somit nur noch gegen Einzelheiten der Ausführung. So setzten sie bei den forstpolizeilichen Verboten primär bei deren Verkündung an und führten erst danach als inhaltliches Argument die ihnen zustehende freie Administration ihrer Wälder ins Feld. Auch bei der Schornsteinfegerordnung richtete sich ihr Zorn gegen deren Ausführung. Vollends deutlich ist dies bei der militärischen Befehlsverweigerung. Dass der Landesherr Soldaten unter seinen Untertanen ausheben dürfe, bestritten die Freienseener keineswegs. Nur die gewaltsame Art, mit der dies nächtlicherweise geschehen war, hatte Anstoß erregt. Vor allem hatte aber die geplante Verlegung der Truppe nach Mainz deutlich gemacht, wie voreingenommen die gräfliche Regierung bei der Rekrutierung vorgegangen war. In Freienseen waren Burschen aus Familien eingezogen worden, die die einzige Hilfe ihrer Väter in der Bauernwirtschaft waren, während andere Familien, bei denen

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dies nicht der Fall sei, verschont geblieben seien. Die Betroffenen gehörten kaum zufällig zum widerständigen Teil der Dorfbewohnerschaft. Dies hatte so lange nicht gestört, wie die Soldaten nur im Schloss Dienst tun mussten, weil sie daneben offenbar ihren Familien immer noch hatten helfen können. Die Verlegung nach Mainz machte jedoch diese Hilfe nach Dienstschluss unmöglich. Erst dies führte zur Befehlsverweigerung der betroffenen Bauernburschen, die sich dafür jedoch der Zustimmung der ganzen Gemeinde versichert hatten. Auch in Wien wurde Graf Christian August sehr bald nach seinem Regierungsantritt aktiv36. Am 17. März 1739 hatten die Freienseener beim Reichshofrat beantragt, eine Kommission einzusetzen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechte aus den Privilegien gegen unrechte Gewalt schützen solle. Dagegen ließ der Graf durch seinen Reichshofratsagenten von Harpprecht am 3. April 1740 eine Bescheinigung darüber einreichen, dass die Kassation des Wappenbriefs beim Reichskammergericht seit fast 200 Jahren rechtshängig sei. Damit wurde dieser noch aus der Speyerer Zeit stammende Wetzlarer Prozess zum ersten Mal dem Reichshofrat zur Kenntnis gebracht, so dass dieser sich nun mit der von Graf Friedrich Ernst vorsichtigerweise vermiedenen Jurisdiktionskonkurrenz zwischen Wien und Wetzlar beschäftigen musste. Am 13. April und 8. Mai 1740 wiederholten die Freienseener beim Reichshofrat ihren Antrag, ihre Privilegien zu bestätigen. Doch bevor darüber befunden worden war, starb Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740. Graf Christian August nutzte die dadurch am Kaiserhof eintretende Vakanz, um am 13. Dezember 1740 in Wetzlar den Prozess wegen Kassation des Wappenbriefes, den er zunächst nur argumentativ in Wien hatte einsetzen lassen, aus seinem mehr als hundertjährigen Dornröschenschlaf zu erwecken. Am 7. November 1740 hatte er auch beim Bayerisch-Pfälzischen Reichsvikariatshofgericht, das die kaiserlichen Rechte während des Interregnums wahrnahm, die Initiative gegen eine Bestätigung der Freienseener Privilegien ergriffen. Zum einen seien die Privilegien am Reichskammergericht rechtshängig. Zum anderen sei dort nachgewiesen worden, dass die Urkunden 1555 durch Unwahrheiten erschlichen worden seien. Wenn Kaiser Leopold I. diese Wahrheit gekannt hätte, hätte er die Urkunden 1659 sicherlich nicht bestätigt. Das war deshalb bedeutungsvoll, weil die Freienseener ihre Privilegien immer nur in dieser bestätigten Form vorgewiesen hatten. Zwar hätten seine Vorgänger als Herren der Grafschaft Solms-Laubach den Reichskammergerichtsprozess nicht effektiv betrieben. Er sei aber gleichwohl immer noch anhängig. In absehbarer Zeit sei sogar eine Entscheidung zu erwarten.

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Dazu: Diestelkamp, Bestätigung (Kap. 1, Anm. 5), S. 27ff., S. 33ff.

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Nach der Wahl des Wittelsbachers Karls VII. am 25. Januar 1742 wurden die Freienseener ungesäumt bei diesem in seiner Residenz in Frankfurt aktiv. Obwohl Graf Christian August dem sofort widersprochen hatte, bestätigte der neue Kaiser am 5. Mai 1742 die alten Privilegien. Der Einspruch des Grafen hatte den Reichshofrat jedoch dazu veranlasst, der üblichen Bestätigungsverfügung fiat in priori forma einen Zusatz anzuhängen jedoch geschiehet solches ohnbeschadet der für dem Kaiserlichen Reichs Cammer Gericht rechtshängigen cassationem privilegii Caesarei aber/dergleichen ohnehin ad Cameram Imperialem nicht gehörig/nicht betreffenden Hauptsache. Damit hatte der Reichshofrat die Jurisdiktionskonkurrenz mit Wetzlar pragmatisch gelöst. Auch wenn er der Meinung war, dass die Kassation von Privilegien eigentlich nicht mehr ans Reichskammergericht gehörte, musste die Kassation des Freienseener Wappenbriefes doch in Wetzlar entschieden werden, weil der Streit darüber dort schon anhängig war. Die Privilegienbestätigung sollte jedoch dadurch nicht beeinträchtigt werden. Diese Entscheidung des Reichshofrats löste sowohl in Wien als auch in Wetzlar eine intensive juristische Auseinandersetzung über die Probleme der Jurisdiktionskonkurrenz aus37. So versuchte der solms-laubachische Reichshofratsagent von Harpprecht am 7. Juni 1742 noch einmal, das Conclusum abändern zu lassen, indem er beim Reichshofrat vortrug, die am 6. April übergebene Anzeige der Rechtshängigkeit am Kammergericht sei noch nicht genügend reflektiert worden. Deshalb erbat er eine Erläuterung des Beschlusses. Doch der Reichshofrat lehnte am 19. Juni 1742 dieses Begehren endgültig ab und entschied, dass es beim Conclusum vom 5. Mai 1741 bleiben solle. Graf Christian August wollte sich jedoch mit dieser Entscheidung nicht abfinden, sondern legte beim Reichstag Rekurs ein mit der Bitte um Intervention beim Kaiser mit dem Ziel, diesen zu einem Schreiben ans Kammergericht wegen Fortsetzung der am Reichskammergericht seit 200 Jahren rechtshängigen anmaßlichen Freiheitssache zu veranlassen. Wenn er schon die Privilegienbestätigung nicht hatte verhindern können, so wollte der Graf wenigstens in Wetzlar den Wappenbrief möglichst bald kassiert sehen, was allerdings genausowenig fruchtete, wie Harpprechts Intervention beim Reichshofrat genutzt hatte. Beim nächsten Herrscherwechsel, als am 23. September 1745 nach dem wittelsbachischen Intermezzo mit Kaiser Franz I wieder ein Habsburger auf den Kaiserthron kam, präsentierte der Reichshofratsagent der Freienseener schon am 12. Oktober 1745 ihren Antrag, ihnen ihre Privilegien erneut zu bestätigen38. Wieder verwahrte sich Graf Christian August dagegen, indem 37 38

Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap. 1, Anm. 5), S. 63ff. Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap. 1, Anm. 5), S. 34f.

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sein Agent am 26 November 1745 beantragte, dass die Confirmation nur sub expressa clausula superioritatis ac iurisdictionis territorialis Laubacensis reservatoria allermildest erkannt werde. Den Grafen irritierte besonders, dass die Petenten in ihrer schon länger vorhandenen Absicht bestärkt werden könnten, sich nicht nur die Reichsfreiheit, sondern auch die Stadtgerechtigkeit und ein eigenes Gericht anzumaßen, weil der Reichshofrat in Wien das Dorf Freienseen versehentlich ein oppidum genannt habe. Solchen Bedenken trug der Reichshofrat in seinem Conclusum vom 7. Dezember 1745 dadurch Rechnung, dass die Freienseener Privilegien in priori forma zu bestätigen seien unter dem Vorbehalt: Jedoch ohne Nachteil oder Abbruch der gräflich solmslaubachischen Landesherren Obrigkeit, Recht und Gerechtigkeit noch sonst eines anderen Rechtens. In seiner Begründung betonte der Reichshofrat, dass er die Konfirmation habe vornehmen müssen, weil der Kaiser in seiner Wahlkapitulation versprochen habe, allen Reichsständen ihre Gnaden und Freiheiten zu bekräftigen, was auch für die Freienseener gelten müsse, die ihr Schutzprivileg und den Wappenbrief in vidimierten Kanzleiurkunden vorgelegt hätten. Diese wie eine Entschuldigung wirkende Rechtfertigung zusammen mit dem Zusatz zur Bestätigungsverfügung zeigen an, dass die Zeiten vorüber waren, in denen Freienseen umstandslos allein auf seinen Antrag hin die Bestätigung seiner Urkunden erhalten konnte. Die Reichshofräte zeigten sich jetzt gegenüber den solms-laubachischen Einwänden aufgeschlossener als früher. Das zeigt sich auch daran, dass nun auch Wien die von SolmsLaubach gegenüber dem Reichskammergericht regelmäßig verwendete, vom Reichshofrat bislang aber nicht gebrauchte Bezeichnung der Freienseener als dero widerspenstige Untertanen aufgriff. Diese neue Haltung blieb nicht folgenlos39. Am 7. Januar 1747 erließ der Reichshofrat auf Antrag des gräflichen Reichshofratsagenten von Harpprecht vom 12. September 1746 ein umfangreiches Conclusum zu dem diffizilen Verhältnis der Freienseener Bauern zu ihrem Landesherrn in Laubach und dem Landgrafen zu Hessen-Darmstadt als ihrem Schutzherrn und vor allem dessen Regierung in Giessen40. Als erstes verboten die Wiener Richter den Freienseenern, weiter ihrem angeborenen Eigenherrn in irgendeiner Weise zu widerstehen, auch nicht durch Anrufung eines Mächtigeren. Sie geboten ihnen, diesem ohne irgendwelche Bedingungen zu huldigen. Zum zweiten drohte ihnen der Reichshofrat an, dass auf Anrufen des Grafen die Kassation der Urkunden mit einem weiteren Bescheid erfolgen werde, falls sie wider Erwarten dieser kaiserlichen Anordnung nicht gehorchen würden und sich weiterhin den Missbrauch der kaiserlichen Privilegien zu Schulden kommen 39 40

Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap. 1, Anm. 5), S. 36f. Druck: Canngiesser (Kap. 9.1, Anm. 15), S. 333f. Nr. CXXIV.

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ließen. Dieser Bescheid kollidierte deshalb nicht mit dem Kassationsverfahren für den Wappenbrief beim Reichskammergericht, weil das Begehren dort darauf gestützt wurde, dass Freienseen 1555 die Privilegien wahrheitswidrig erschlichen habe, während in Wien ihre missbräuchliche Verwendung der Grund für die Kassation sein sollte. Wie sorgsam der Reichshofrat darauf achtete, nicht in die Kompetenz des Reichskammergerichts einzugreifen, beweist der dritte Teil des Conclusums. Aus der eigenen Anzeige sei zu ersehen, dass die Unterstützung der Freienseener Untertanen durch Hessen-Darmstadt bereits beim Reichskammergericht vorgebracht worden sei. Deshalb werde diese Sache nach dort verwiesen. Dieser Reichshofratsbeschluss veränderte die Sachlage für Freienseen grundlegend. Hatten die Bauern früher am Kaiserhof die Bestätigung ihrer Privilegien betreiben können, ohne dass sich ihre Landesherren darum gekümmert hatten, hatte Graf Christian August durch seinen nicht nachlassenden Widerstand sogar erreicht, dass nunmehr in Wien ihr Ungehorsam zum möglichen Grund für eine Aufhebung ihrer Urkunden erklärt worden war. Damit war eine Bestätigung ihrer Privilegien oder auch nur die Aufrechterhaltung ihrer urkundlichen Stellung von ihrem Wohlverhalten abhängig. Graf Christian August wartete nicht lange, um sich die neue Situation zu Nutze zu machen41. Allerdings hatten seine juristischen Ratgeber die Entwicklung nicht richtig verstanden, so dass er den falschen Ansatz verfolgte, indem er auch in Wien geltend machte, die Urkunden seien 1555 wahrheitswidrig erschlichen worden. Diesen Einwand verwarf der Reichshofrat am 27. November 1748 als unstatthaft, wohl weil er Gegenstand des Verfahrens am Reichskammergericht war. Zusätzlich forderte Wien, dass binnen zwei Monaten voller Gehorsam gegenüber dem Verbot und Gebot des Conclusums vom 7. Januar 1747 erklärt werden müsse. Dem Landgrafen wurde in diplomatischen Wendungen klargemacht, dass seine Regierung in Giessen die landgräfliche Schutzherrschaft nicht so ungebührlich ausüben dürfe, dass dadurch die Landesobrigkeit des Grafen zu Solms-Laubach beeinträchtigt werde. Graf Christian August wurde noch einmal versichert, dass er einen Bescheid erhalten werde, wenn er demnächst separat auf Kassation der kaiserlichen Privilegien anrufen werde. Bezieht man diese Entwicklung in Wien auf den Verlauf des Kassationsprozesses in Wetzlar, so nimmt es nicht Wunder, dass dort die Aktivitäten im Januar 1744 endeten. Dieses Ende korrespondiert mit dem Beginn des Interesses der Laubacher Kanzlei an einer Intensivierung der Beziehungen zum Reichshofrat in Wien. Zunächst hatte man dort die Hoffnung auf eine Verdeutlichung des Conclusums vom 4. Dezember 1749 im Sinne des Grafen 41

Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap.1, Anm. 5), S. 37f.

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gesetzt. Doch schließlich ging man dazu über, die in den Conclusa vom 7. Januar 1747 und 28. November 1748 offerierte Möglichkeit zu nutzen, SolmsLaubach könne beim Reichshofrat die Kassation der Freienseener Privilegien erlangen, wenn die Begünstigten sie missbrauchten. Erstaunlicherweise griff Graf Christian August diese Möglichkeit jedoch keineswegs so schnell auf, wie man es hätte erwarten können. Erst nach dem Herrschaftsantritt Kaiser Josephs II. am 18. August 1765 begann das Spiel von neuem42. Dem Freienseener Antrag, vom neuen Herrscher wieder ihre Privilegien bestätigt zu bekommen, begegnete die Laubacher Kanzlei mit einem massiven Gegenangriff. Am 10. Februar 1766 beauftragte sie den neuen gräflichen Agenten von Stieve, der Regierung des Kaisers die rhetorische Frage zu stellen, ob ein Graf nicht mit der Landes- und Gerichtsherrschaft sowohl in kirchlichen als auch politischen Sachen ausgestattet sei. Ob dann wirklich die Bewohner des zu seiner Grafschaft gehörigen Dorfes Freienseen um Bestätigung ihrer Privilegien nachsuchen und diese durch Bezahlung zu erhalten intendieren dürften. Obwohl von Stieve die Handakten des verstorbenen solms-laubachischen Agenten von Harpprecht erhalten hatte, aus denen er sich hätte informieren können, übersandte ihm Kanzleidirektor Eberth zur Sicherheit Abschriften des am 7. Januar 1747 ergangenen conclusi et mandati sowie der Conclusa vom 1. Dezember und 4. September 1745. Der Reichshofrat ließ dieses Mal die Freienseener lange warten. Diese ergänzten deshalb am 7. Juli 1767 ihren Antrag durch Einreichung von sechs Extrakten aus Reichshofratsprotokollen zum Nachweis, dass ihre Vorfahren von den Vorgängern des Kaisers die Bestätigungen trotz des solms-laubachischen Widerspruchs erhalten hätten. Nunmehr solle endlich der kaiserliche Beschluss zu ihrem Antrag vom 5. Juli 1766 vollendet und danach in Übereinstimmung mit den früheren Beschlüssen die Bestätigung in forma priori bewilligt werden. Weshalb der Reichshofrat bis zum 7. Juli 1775 brauchte, um über den Antrag der Freienseener zu entscheiden, ist nicht ersichtlich. Dann jedoch erließ er den Bescheid, dass der Ausgang des anhängigen Prozesses wegen der Aufhebung der Freienseener Privilegien abgewartet werden solle. Beide Parteien gaben sich mit diesem Bescheid nicht zufrieden. Deshalb erließ der Reichshofrat am 1. September 1775 zwei weitere Conclusa. Im ersten bekräftigte er sein Dekret vom 7. Januar 1747 mit dem Verbot weiteren Widerstands und dem Gebot bedingungsloser Huldigung sowie dem Hinweis, dass der Graf bei Missbrauch der Privilegien deren Widerruf beantragen könne. Im zweiten Bescheid befahl er den beiden in Wien anwesenden Freienseener Delegierten (Johannes Riddere und Conrad Lutz), sich binnen 14 42

Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap. 1, Anm. 5), S. 38f.

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Tagen bei Vermeidung schärferer kaiserlicher Anordnungen von hier weg nach Hause zu begeben. Unklar bleibt, womit sich die beiden Bauern den Unwillen der hohen Herren zugezogen hatten. Die Vermutung, dass sie nicht mehr die am Reichshofrat üblichen Trinkgelder aufbringen konnten und deshalb Wien verlassen mussten, wird bestärkt durch die spätere Klage, der Vermögenszustand der Gemeinde sei so zerrüttet, dass sie nicht mehr wie bisher die zur Erhaltung ihrer Freiheiten notwendigen Summen aufbringen könne. Die Betroffenen waren bestürzt über diese unerwartete Wendung ihrer Angelegenheit. Sie sahen, wie sie in einem Schreiben an die hessische Regierung in Giessen klagten, nicht ein, dass ihr Anliegen nicht mehr wie gewohnt gehandhabt werde, obwohl es auf einem Vorgang aus unvordenklichen Zeiten und dem seitdem behaupteten Besitzstand beruhe. Mit ausdrucksstarken Worten klagten sie, dass sie ihr Ehren-Kleinod geschützt sehen wollten, für das sie unsägliche Drangsalen erlitten und den größten Teil ihres Vermögens geopfert hätten. Die beiden letzten Conclusa und vor allem das letzte habe die Gemeinde an den Rand der Verzweiflung gebracht. Nachdem ihre eigene Initiative in Wien so kläglich gescheitert war, erbaten die Freienseener noch einmal Hilfe bei ihrer Schutzmacht HessenDarmstadt43. Darmstadt beauftragte daher den landgräflichen Agenten in Wien zu prüfen, ob nicht wenigstens eine vorläufige Bestätigung zu erwirken sei, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass Solms-Laubach seinen Widerspruch und seine Klage separat weiter verfolgen solle. Damit wollten die Hessen den Freienseenern die frühere Stellung zurückgewinnen, bei der sie ihre Privilegien bestätigt erhalten hatten, während Solms-Laubach mit seinen Einwendungen auf den Wetzlarer Reichskammergerichtsprozess verwiesen worden war. Am 11. April 1781 erhielt jedoch die hessen-darmstädtische Schutzgemeinde Freienseen auf ihre entsprechende Supplik, über die Bestätigung der Urkunden erneut nachzudenken, den abschlägigen Bescheid, dass es bei der kaiserlichen Verordnung vom 7. Juli 1747 sein Bewenden haben solle. Wenn die Antragsteller wegen der Kassation der Privilegien neu wegen Kassation anrufen würden, werde eine weitere kaiserliche Verordnung erfolgen. Die Freienseener waren zutiefst irritiert darüber, dass der Reichshofrat in neuerer Zeit, wie sie meinten, andere, dem Besitzstand und dem wohlerworbenen Recht widersprechende Geheimsätze anwende. In der Tat musste ihnen diese, nur der Aktivität Graf Christian Augusts zu verdankende, unerwartete Wendung ihrer Dinge in Wien unverständlich bleiben. Durch die Entscheidung, sie sollten den Ausgang des Kassationsprozesses abwarten, sei das gräfliche Haus ermuntert worden, die Freienseener Gerechtsame völlig zu unterdrücken. 43

Diestelkamp, Bestätigung (wie Kap.1, Anm. 5), S. 39f.

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Wenn der Kaiser sie nicht durch Bestätigung ihrer Privilegien schütze und das gräfliche Begehren wegen Kassation separat abhandeln lasse, würden sie durch die Prozesse an den Bettelstab gebracht werden. Diese Befürchtung war nicht inhaltsleere Ausschmückung, sondern entsprach durchaus der harten Realität. Doch am 8. Oktober 1781 musste die hessen-darmstädtische Regierung den hessischen Schützlingen berichten, dass man ungeachtet flehentlicher Vorstellungen nur ein abschlägiges Conclusum erhalten habe. Auch nach dem Tod Kaiser Josephs II. am 20. Februar 1790 lehnte der Reichshofrat am 8. Januar 1791 es unter Hinweis auf die letzten kaiserlichen Verordnungen ab, die Freienseener Privilegien zu bestätigen. Der Tenor, dass Freienseen mit einer Entscheidung erst nach dem Urteil im Reichskammergerichtsprozess über die Kassation des Wappenbriefes rechnen könne, hatte Freienseen abhängig gemacht davon, ob oder wie eifrig Solms-Laubach diesen Prozess in Wetzlar betrieb. Diese Entscheidung war sachgerechter, als es den so lange in Wien durch umstandslose Bestätigung verwöhnten Freienseenern erscheinen mochte, denn es wäre nicht sachdienlich gewesen, in Wien Urkunden erneut zu bestätigen, deren Erteilung schließlich in Wetzlar als wahrheitswidrig erschlichen verworfen würde. Angesichts dieser Beschlusslage kann es nicht verwundern, dass Solms-Laubach kein großes Interesse zeigte, den Wetzlarer Prozess intensiver voranzubringen, so dass dieser im quellenlosen Zustand versickerte. Die Handhabung dieser Konflikte zeigt an, dass mittlerweile auch die rebellischen Freienseener die gräfliche Obrigkeit in ihrem Ort im Prinzip anerkannten. Zudem entzog Graf Christian August den Freienseenern eine bislang unangefochten gebliebene Legitimationsgrundlage, indem er sich als erster Solms-Laubacher Graf den Bestätigungen der Freienseener Privilegien am Kaiserhof entgegenstellte. Schrittweise gelang es ihm, dort sein Ziel über eine Entschärfung der Privilegierung bis hin zur Bestätigungsverweigerung zu erreichen. Insgesamt hatte sich also in dieser Zeit das Verhältnis der Freienseener zu ihrer Landesherrschaft grundlegend gegenüber früher zu ihrem Nachteil gewandelt.

18. Vormundschaftliche Regentschaft der Gräfin Elisabeth Charlotte für Graf Friedrich Ludwig Christian (1784–1797) Als Graf Christian August am 20. Februar 1784 in seinem 64. Lebensjahr starb, hatte er seine beiden Söhne überlebt, so dass die Grafschaft auf seinen am 29. August 1769 geborenen, also damals noch unmündigen Enkel Friedrich Ludwig Christian überging. Für diesen übernahm als Vormünderin seine Mutter Elisabeth Charlotte, eine Prinzessin zu Isenburg-Büdingen-Birstein, die Regentschaft1. Dieser tatkräftigen Regentin gelang es, die enorme Schuldenlast, die ihr Schwiegervater nicht zuletzt wegen der Unkosten für das von ihm eingerichtete solms-laubachische Militär angehäuft hatte, zu tilgen. Zu diesem Zweck kümmerte sich die sparsame Haushälterin darum, die landesherrlichen Einnahmen zu erhöhen und ihre Minderung zu verhindern, was auch zu neuen Auseinandersetzungen mit der Gemeinde Freienseen führte. Die Regentin wahrte aber auch unabhängig von wirtschaftlichen Aspekten die obrigkeitlichen Rechte in Freienseen nicht minder intensiv als die Vorgänger. Ihre Konflikte mit Freienseen begannen mit einem Aufforstungsprojekt der Freienseener. Der gräfliche Forstjäger zu Freienseen und der Oberförster zu Lartenbach hatten der Laubacher Rentkammer gemeldet, dass die Gemeinde Freienseen einige bisher zum Weidgang benutzte Brachfelder mit Eicheln besamt habe2. Das aus Hofmarschall von Lehennen, Regierungsrat von Franc und Regierungsrat von Seyd bestehende Gremium lud zum 6. Dezember 1783 die beiden Forstbedienten sowie die Bürgermeister und Vorsteher der Gemeinde Freienseen zur Klärung der Sachlage vor. Die Förster bekundeten, dass auf den bislang als Weide genutzten Grundstücken Wacholderstauden gestanden hätten. Es seien öde Flächen, auch Brachfelder genannt, am Hazenberg (in anderen Versionen Atzelberg) und am Hessenhain. Sie hätten die Veränderung nicht angezeigt, weil die Unternehmung ein so seltener Fall sei, dass darüber ihre Instruktionen nichts sagten. Die beiden Bürgermeister Johann Caspar Volp und Johannes Immelt jun. sowie die Vorsteher Johann Konrad Hofmann, der Müller, und Johann Konrad Hofmann ergänzten diese Informationen. Bisher hätten sie nur die Wacholderstauden weggeputzt aber noch nichts besamt. Sie hätten dies nicht für anzeigepflichtig gehalten. Es sei ihnen auch nicht erinnerlich, dass der herrschaftliche Schäfer in ihrer Gemarkung hüten dürfe und jemals gehütet habe. Allerdings wüssten sie, dass der 1 2

R. Graf zu Solms-Laubach (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 375. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2586.

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Herrschaft auch in ihrer Dorfgemarkung die Jagd zustehe. Auf die Frage, ob ihnen denn nicht bekannt sei, dass sie für alles, was der Hut oder der Jagdberechtigung nachteilig sei, eine Erlaubnis einholen müssten, antworteten sie ausweichend, dass sie der Meinung gewesen seien, dass die Wacholderstauden zu nichts nütze seien. Sie hofften daher, sich nicht strafbar gemacht zu haben, weil sie ihr Unternehmen nicht für sträflich, sondern für löblich gehalten hätten. Darauf beschloss das Gremium einstweilen, die Beteiligten sollten in Zukunft nichts ohne vorherige Anzeige und darauf erhaltene Erlaubnis unternehmen. Die Betroffenen hatten diese Entscheidung zunächst widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Doch dann überreichten sie am 15. Dezember 1783 eine Remonstration gegen diesen Beschluss3. Der Rentkammerentscheid vom 6. Dezember bedeute eine zu starke Beschränkung ihres Grundeigentums und dessen Nutzung. Damit verstoße er gegen Reichskammergerichtsmandate und Urteile, besonders gegen das Mandat vom 5. März 1597, das ihnen bisher die freie Verwaltung und Benutzung ihres Gemeindeeigentums gesichert habe. Sie hofften, dass dies auch weiter so bleibe und sie weder durch eine völlig unbekannte herrschaftliche Schäferei noch unter dem Deckmantel der herrschaftlichen Jagd darin beeinträchtigt würden. Das Jagdrecht bestritten sie nicht. Doch werde es durch das in mehreren Jahren durchgeführte Wegputzen der Wacholderstauden und die Wiederherstellung des verderbten Eichenwaldes in seinen vorherigen Stand nicht gehemmt oder gestört. Daher baten sie unter Rechtsverwahrung um eine gnädige Resolution. Mit dem Bescheid auf diesen Einpruch tat sich die gräfliche Rentkammer offenbar schwer. Erst zwei Monate später erging am 16. Februar 1784 eine Resolution sämtlicher Regierungs- und Rentkammermitglieder4. Diese fasste zunächst korrekt die Darstellung der Freienseener Position zusammen in dem Satz, dass es danach den Anschein habe, als ob der Gemeinde durch die Weisung vom 6. Dezember 1783 zu viel geschehen sei. Aber weder eine Privatperson noch eine Kommune dürfe sich ihres Privateigentums bedienen, wenn sich daraus irgendein Nachteil für das Land ergebe. Ob dies der Fall sei, dürften allein der Landesherrn und dessen die Regierungs- und Landespolizeigeschäfte zu behandelnden Kollegien prüfen, was einen wesentlichen Teil der Ausübung der Landeshoheit ausmache (Moser). Es ging für Laubach also nur in zweiter Linie um die Aufforstung wüster Grundstücke, sondern primär um die Durchsetzung der gräflichen Landeshoheit. Ebensowenig, fuhren die Herren fort, dürften durch die Eigentumsnutzung hergebrachte Gerechtsame leiden oder 3 4

Wie Anm. 2, sub dato Wie Anm. 2, 1784 Februar 16.

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gar zerstört werden. Das sei aber mit der eigenmächtigen Ausrottung der Wacholderstauden am Hazenberg und Hessenhain und die Besamung mit Eicheln sowie der damit verbundenen Einhegung geschehen. Ebenso seien auch die im Erbbuch fol. 34a enthaltene Koppelhuth oder die Jagd, worunter auch der Vogelfang zu verstehen sei (Wachholderheiden sind beliebte Standorte von Rebhühnern und Fasanen) schützenswerte Rechte, die genau wie auch Rechte solmsischer Vasallen und Mituntertanen beeinträchtigt würden. Ein gefährdetes gräfliches Recht sei etwa der Blut- und Geldzehnt, der wegen Beschränkung der Hut für das eigene Vieh der Freienseener und den dadurch entstehenden Mangel an Dünger für das Feld und damit auch durch eine geringere Kornernte geschmälert werde. Schließlich werde auch die Wegegerechtigkeit, die die Untertanen für ihre pflichtgemässen Fahrten nach Laubach am Hazenberg hergebracht hätten, durch die Einhegung versperrt. Dies sei ebenfalls zu berücksichtigen, weil der Landesherr auch den Nutzen seiner Untertanen verteidigen müsse. Dagegen könne Freienseen sich nicht auf die aus dem Mandat vom 5. März 1597 abgeleitete freie Verwaltung berufen. Das Mandat sei nicht durch Gehorsamserklärung konfirmiert worden und könne daher schon nach den von der Gegenseite selbst aufgeführten Behauptungen einiger Kameralschriftsteller und besonders nach der bekannten ludolffschen Autorität nichts anordnen. Freienseener Vorrechte seien lediglich im Marburger Vergleich von 1639 enthalten. Dort werde ausdrücklich nur der konfirmierten Mandate gedacht. Nichtkonfirmierte Mandate seien daher zu vernachlässigen. Im Marburger Vergleich sei der Umfang der zugestandenen Verwaltung der Gemeindegüter so deutlich beschrieben, dass an der Oberaufsicht und Inspektion durch die Territorialgewalt nicht zu zweifeln sei. Im Sinne dieser fürsorglichen Oberaufsicht sei der Landesherrschaft daran gelegen, dass die Gemeinde Freienseen ihre Gemeindegüter zu ihrem und ihrer Nachkommen wahren Vorteil nutze und ordnungsgemäß verwalte, aber dabei auch weder die landesherrliche Oberaufsicht und Polizei noch die herrschaftlichen Gerechtsame wie Jagd, Viehhut oder den Blutzehnt an der den Freienseenern gehörigen Schäferei und den Weidgang und folglich der Schäferei selbst beeinträchtige. Aus diesen Gründen bestätigte das Kollegium den Beschluss vom 6. Dezember 1783. Graf Christian August und seine Regierungsräte beharrten damit auf ihrer obrigkeitlichen Position, uneingeschränkt land- und forstpolizeiliche Anordnungen treffen zu dürfen, auch wenn diese in das Privateigentum eingriffen. Die Aufforstung zweier Stücke von Wacholderheide berührte im Gegensatz zu anderen Maßnahmen, die bald eine Rolle spielen sollten, die wirtschaftlichen Interessen der Landesherrschaft bestenfalls marginal. Die dafür angeführten Gründe wirken jedenfalls sehr weit hergeholt. Die Motivation für diese Maßnahme dürfte vielmehr in der Durchsetzung des polizeirechtlichen Durchgriffsanspruchs gelegen haben.

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Zwei Tage nach dem Tod des Grafen Christian August, am 26. Februar 1784, brachten zwei Vorsteher der Gemeinde Freienseen namens der Gemeinde einen Zettel mit der Appellation gegen die Rentkammerresolution vom 18. Februar nach Laubach5. Allerdings stiess die Durchführung dieser Appellation auf unvorhersehbare Schwierigkeiten. Am selben Tag bemühten daher drei Deputierte der Freienseener Gemeinde einen Giessener Notar, der ihnen attestieren musste, dass das in dieser Gegend eingetretene Hochwasser sie daran hindere, noch heute nach Wetzlar aufzubrechen, um dort beim Kammergericht rechtzeitig die Appellation gegen die gräfliche Kammerresolution vom 18. Februar 1784 einzuführen. Sie benötigten dieses Attest, weil die Frist am 27. Februar ablief. Da sie durch höhere Gewalt an der Einhaltung der Frist gehindert worden waren, schadete ihnen die Säumnis nichts. Am 23. April 1787 erließ das Gericht die beantragte Ladung der Regentin als Vormünderin und die zur Rentkammer verordneten Direktoren und Räte sowie Dr. Johann Jacob Wickh als Advokat der Appellanten. Doch das Verfahren geriet sofort wieder ins Stocken. 1796 wurde lediglich konstatiert, dass der Prozess ruhe, bis der eine oder andere Teil sich melde. Das geschah bis zum Ende des Alten Reiches nicht mehr, so dass der Fall unentschieden blieb, bis die Grafschaft Solms-Laubach als Prozessgegnerin wegfiel, weil sie in das Großherzogtum Hessen-Darmstadt integriert wurde. Hatte die Herrschaft in diesem Fall ein wirtschaftliches Eigeninteresse mit der Jagd nur mittelbar begründen können, so war sie bei den folgenden Konstellationen wirtschaftlich intensiv involviert. Als die Rentkammer im Jahr 1786 die Einfuhr ausländischen Biers und Branntweins verbot und deren Verbrauch mit einer Akzise, also einer Verbrauchssteuer, belegte, ging es um die Steigerung unmittelbarer Einkünfte des Grafen6. Am 21. Juni 1786 stellte die Laubacher Rentkammer fest, dass Freienseener Untertanen seit einiger Zeit von auswärts Bier und Branntwein ohne Zahlung der Akzise eingeführt hätten7. Dies verstoße gegen den zwischen der Landesherrschaft und ihren Freienseener Untertanen 1651 geschlossenen Interimsvergleich und der darauf sich gründenden, beim Kammergericht ausgebrachten citatio ad videndum deduci jus suum vom 27. Juni 1656. Durch den Interimsvergleich sei der Gemeinde Freienseen nur einstweilen aus besonderer Gnade gegen eine jährliche Gebühr von 25 fl. erlaubt worden, Bier zu brauen und Branntwein zu brennen sowie beides auszuschenken. Deshalb wurden die Freienseener ermahnt, sich der Einfuhr solcher Getränke von auswärts ohne Entrichtung der Akzise zu enthalten. Dies war eine Massnahme merkantilistischer Wirtschaftspolitik, 5 6 7

Wie Anm. 2, sub datis. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2585. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2585.

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die die heimische Produktion durch Abgaben auf auswärtige Waren zu schützen suchte. Förster Voß musste den Befehl den Freienseenern am selben Tag zustellen. Diese sagten ihm, dass sie binnen drei Wochen gegen diese Beschwer eine Gegendarstellung einreichen wollten. Am 19. Juli 1786 wandte sich die Gemeinde wegen dieser Verordnung der Rentkammer an die Regentin8. Die Freienseener trugen vor, dass ihre Gemeinde seit Jahrhunderten uneingeschränkten Handel und Wandel ausübe, besonders auch mit Lebensmitteln und dem, was man sonst zum täglichen Gebrauch benötige. Dazu gehöre auch kraft kaiserlichen Privilegs die freie Einfuhr ausländischer Getränke ohne Akzisezahlung. Bis auf den heutigen Tag sei in dieser Hinsicht kein einziges Verbot ergangen. In dieser Übung seien sie durch kammergerichtliche Mandate insbesondere das Mandat ohne Klausel vom 8. Mai 1607 geschützt worden. Der Rezess vom 17. Juli 1651, mit dem die Gemeinde sich wegen des uneingeschränkten Bierbrauens und Branntweinbrennens ehemals mit den Vorfahren des gräflichen Hauses gegen eine Abgabe von 25 fl. verglichen habe, bedeute nur, dass sie nicht weiter wegen Beschränkung des freien Handels Bier zu brauen und Branntwein zu brennen und beides außer- wie innerhalb des Landes zu verkaufen hätten belästigt werden wollen. Deswegen hätten sie notgedrungen beim Kammergericht ihre Beschwerden und Klagen einbringen müssen, woraufhin die Beklagten per citationem cameralem ad videndum deduci jus suum am 3. September 1656 peremtorisch geladen worden seien. Daraus erhelle, dass die Gemeinde Freienseen einen seit Jahrhunderten hergebrachten freien Handel und Wandel besonders auch zum Ankauf der zum täglichen Unterhalt nötigen ausländischen Lebensmittel hergebracht habe, worin sie durch kammergerichtliche Mandate bestätigt worden sei. Sie sei also im Besitz dieses Rechtes und dürfe darin durch die intendierte Neuerung während der Rechtshängigkeit am Kammergericht und kaiserliche Mandate dieses Besitzstandes und wohlerworbenen Rechtes nicht entsetzt werden. Der Rentkammerbefehl sei daher als rechtswidrig aufzuheben. Am 22. Juli ordnete die Regentin an, dass die Rentkammer in vier Wochen Bericht zu erstatten habe. Diese kam dem Befehl am 15. August nach. Die zur gräflichen Rentkammer verordneten Direktor und Räte trugen der Regentin vor, dass sie sich zur Form der Freienseener Beschwerde als Appellation nicht äußern wollten. Dem Haus Solms-Laubach stehe die alleinige Bierbrauerei und Branntweinbrennerei als ein Landeshoheitsrecht im ganzen Land zu. Ebenso sei es das Recht der Landesherrschaft, von Wein und rheinischem Branntwein sowie Obstwein Akzise zu erheben und mit den Getränken Wirtschaft treiben zu lassen, die jeder nur auf Grund einer Konzession und 8

Wie Anm. 2, sine dato.

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Privilegierung betreiben dürfe. Nachdem die Freienseener den Wappenbrief und den sogenannten Schutz- und Schirmbrief erschlichen gehabt hätten, hätten sie sich auch das Recht zum Bier- und Branntweinschank angemaßt, was die Herrschaft jedoch zu verhindern gesucht habe. Darauf hätten die Freienseener dies mit anderen Sachen vermischt und deshalb beim Reichskammergericht geklagt. Das Urteil vom 10. November 1574 habe die Herrschaft jedoch in ihrer Befugnis des Bier- und Branntweinschanks bestätigt. Dabei sei es bis zum Dreißigjährigen Krieg geblieben. Dann sei es den Freienseenern wieder eingefallen, dass sie einen freien Weinschank besäßen. Dem sei man durch den Marburger Vergleich von 1639 begegnet, wo es ausdrücklich heiße, dass die Freienseener sich des Weinschanks enthalten sollten, wenn sie ihn nicht von ihrer Herrschaft erhalten hätten. Seitdem hätten sie auch wieder vom Wein Akzise entrichtet. Allerdings hätten die rebellischen Freienseener einige Jahre später nicht nur das Bierbrauen für sich beansprucht, sondern sich auch das Branntweinbrennen aneignen wollen, das durch einen Wandel der Verzehrgewohnheiten bedeutsamer und wirtschaftlich interessanter geworden war als der Weinverzehr. Dabei hätten sie den Umstand nutzen wollen, dass es zu dieser Zeit nur eine Vormundschaftsregierung gab. Die Vormünderin, Gräfin Katharina Juliane von Wied, sei dann am 17. Juli 1651 mit ihnen gütlich übereingekommen, dass der Gemeinde gegen eine jährliche Zahlung von 25 fl. an die Rentkammer für zehn Jahre die Erlaubnis zum Bierbrauen und Branntweinbrennen verliehen werde. Binnen dieser zehn Jahre sollten sie ihre angemaßten Rechte am Reichskammergericht ausführen. In diesem Zusammenhang hätten sie die am 27. Juni 1656 insinuierte citatio ad videndum deduci jus suum erwirkt. Vor allem aber hätten sie ihre Bitte auf die Freiheit ausgeweitet, das gebraute Bier und den gebrannten Branntwein in – und außerhalb des Landes frei verkaufen zu dürfen. Der Handel mit dem Ausland richte sich nach den dort geltenden Vorschriften. Für das Inland sei das Verlangen aber unzulässig. In dem Citationsprozess sei bis zum Beschluss verhandelt worden, also bis zu der Phase, in der durch den Vermerk completum von allen Beteiligten die Entscheidungsreife anerkannt wurde. Bisher aber sei wiederholt vergeblich um Urteil sollizitiert worden. Nachdem die 10 Jahre verflossen seien, hätte die Herrschaft endlich das von ihr verliehene Recht zurücknehmen können, was jedoch nicht geschehen sei. Zum Dank sei vielmehr die Anzeige gekommen, dass die Freienseener seit einiger Zeit Bier und Branntwein von außerhalb einführten, ohne Akzise zu zahlen. Anstatt sie dafür sofort zu bestrafen, was durchaus möglich gewesen wäre, habe man nur die warnende Verordnung erlassen, gegen die sie sich jetzt beschwerten. Sie beruhe auf der Landeshoheit der Grafen zu Solms-Laubach über das Dorf Freienseen. Dagegen sei auch nicht der erschlichene sogenannte Freiheitsbrief anzuführen, weil Kaiser Karl V. am 7. Mai 1555, also

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sehr bald nach der Erteilung der Urkunde für Freienseen, erklärt habe, dass durch diesen Schutzbrief Graf Friedrich Magnus an seiner Obrigkeit, Recht und Gerechtigkeit keinen Abbruch erleiden solle. Ebenso spreche der Marburger Vergleich von 1639 davon, dass allein der Herrschaft die Superiorität, Regalien, Folge, Steuern sowie geistliche- und weltliche Jurisdiktion über den Flecken Freienseen zustehe. Schließlich habe auch das Reichshofratsconclusum vom 1. Dezember 1745 die Privilegienbestätigung nur vorgenommen ohne Minderung der landesherrlichen Rechte. Die sowieso nichtssagenden kaiserlichen Privilegien stünden nach dem eingeleiteten Kassationsprozess beim Reichshofrat überhaupt ihrer völligen Aufhebung nahe, so dass der jetzt regierende Kaiser bis jetzt von ihrer Bestätigung Abstand genommen habe. Die Freienseener könnten also nur dasjenige verlangen, was in ihrer zehnjährigen Konzession enthalten sei. Wenn sie für die auswärts gekauften Getränke Akzise entrichteten, so könnten sie damit wie mit dem versteuerten Wein handeln. Ähnlich sei es auch 1766 gewesen, als die prozesssüchtigen Freienseener sich geweigert hätten, ihr Salz in der gräflichen Saline zu erwerben. In dieser Sache hätten sie sich schließlich mit einem frevelhaften Appellationsund Mandatsgesuch an das Kammergericht gewandt, seien dort aber ungehört geblieben. Offenbar war ihr Antrag wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen worden, so dass es darüber keine Prozessakte gibt. Die Regentin solle daher die Appellation als unstatthaft verwerfen. Der Bericht wurde am 17. August an die Gemeinde Freienseen weitergeleitet mit der Auflage, binnen vier Wochen zu antworten. Am 18. Dezember kam die Replik Freienseens ein, die sich erneut auf das Kaiserliche Schutzprivileg von 1555 berief. Dieses sei keineswegs erschlichen worden. Es sei zu einer Zeit erteilt worden, als ihr Ort schon vorher im Besitz dieser Freiheiten gewesen sei und auch vor der Urkundenerteilung keine solmsische Landesherrschaft anerkannt habe. Wenn das Dorf nicht solms-laubachischer Landeshoheit unterworfen sei, habe das Privileg den Grafen zu Solms-Laubach auch keinen Schaden an der ihnen nicht zustehenden Landesherrschaft bereiten können. Im Übrigen sei das Privileg durch spätere Kammergerichtsmandate, besonders wegen des freien Handels und Wandels mit Lebensmitteln, bestätigt worden, wie etwa durch das Mandat ohne Klausel von 1607 (Beylage der Erörterung Nr. 84). Im Marburger Vergleich von 1639 habe Graf Albrecht Otto versprochen, sie bei allen Rechten, Freiheiten und Herkommen ruhig zu belassen und zu schützen. Ebenso habe Graf Moritz am 11. September 1676 in einem Revers zugesagt, dass er ihre Gemeinde gegen die damals geleistete Erbhuldigung bei allen Freiheiten ruhig belassen wolle (Beylagen der Erörterung Nr. 113). Auch als man von Seiten der Grafen eine Kammerordnung und eine neue Akzise auf Waren und Verbrauchsgüter in ihrem Ort habe einführen wollen, habe das Kammergericht sie noch kürzlich im Jahr

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1775 mit einer inhibitio et mandatum attentatorum revocatorium et restitutorium geschützt. Die Versteuerung ausländischen Biers und Branntweins sei demnach eine rechtswidrige Neuerung. Der Schutz- und Freiheitsbrief von 1555 garantiere ihnen, nach ihrer Notdurft und Gelegenheit frei, sicher und unbeschwert handeln und wandeln zu dürfen. Nach den Mandaten von 1607 und 1775 sei ihr Handel mit ausländischem Bier und Branntwein weder verboten noch mit einer Akzise belegt gewesen. Die Erhebung einer Akzise auf Verbrauchsgüter des täglichen Unterhalts sei eine willkürliche Einschränkung des ländlichen Gewerbes und der Nahrung. Dies sei nach den natürlichen Völker- und Reichsgesetzen ohnehin verboten. Auch widerspreche der Rentkammerbefehl dem Vergleich von 1651, wo es heißt, dass bis zum Austrag der am Reichskammergericht anhängigen Sache kein Teil einen Nachteil erleiden solle. Da die Gemeinde schon am 27. Januar 1656 in dieser Sache eine Ladung erwirkt gehabt und die Rechtfertigungen fortgesetzt habe, sei ihr kein Verzug vorzuwerfen. Momentan sei auch noch fraglich, ob beide Parteien dieser Ladung pariert hätten. Es könne der Gegenpartei daher nicht gestattet werden, sich während des anhängigen Verfahrens eine Neuerung und Selbstrechtsprechung anzumassen. Die Landeshoheit könne auf keinen Fall die Privilegien, Freiheiten und Rechte eines Ortes eigenmächtig einschränken. Die Rentkammer erhielt die Möglichkeit zu einer Duplik, die am 4. Oktober einging. Sie wiederholte und bestärkte das bisher schon Vorgebrachte und ergänzte es lediglich insofern, als selbst bei Fortdauer der Konzession von 1651 das eingeführte Bier und der auswärtige Branntwein der Akzise unterworfen seien. Die anhängige Sache wegen der Krämer- und Akziseverordnung könne nicht herangezogen werden, weil sie noch nicht entschieden sei. Nachdem Freienseen am 11. Oktober 1786 einen Schlussrezess eingereicht hatte, stimmten die Beschwerdeführer zu, dass die Akten einer unparteiischen Juristenfakultät übersandt würden. Allerdings verwahrten sie sich gegen Göttingen, Halle und Jena, wobei unausgesprochen bleibt, weshalb sie gerade diese drei Fakultäten ablehnten. Zumindest in Halle9 und Göttingen10 wurden die in dieser Zeit modernen staatsrechtlichen Lehren vertreten. Fürchteten die juristischen Berater der Freienseener davon Nachteiliges für die Freienseener Position? Am 22. November 1786 erstattete die Juristenfakultät Tübingen das erbetene Gutachten in dieser Sache11. Zuerst machten die Rechtsgelehrten die Regentin darauf aufmerksam, dass sie von amtswegen berücksichtigen müsse, ob 9

10 11

Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, S. 298ff. Stolleis, (wie Anm. 9), S. 309ff. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2585. sub dato.

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die für die Gemeinde Handelnden ordnungsgemäß legitimiert seien. Dabei dachten sie nicht an die von Solms-Laubach immer wieder beanstandete Besiegelung der Vollmachtsurkunde mit dem Gemeindesiegel. Vielmehr erörterten sie die für die Legitimation von Bürgermeister, Baumeister und Heimburger entscheidende verfassungsgemäße Stellung gegenüber der Gemeinde. Nur wenn die Gemeindevertreter ein collegium formatum seien, dürften sie für die Gemeinde ohne ausdrückliche Vollmacht handeln, zumal wenn ihr Auftreten durch die Gemeinde stillschweigend genehmigt worden sei. Sehe man sie jedoch als Syndici an, so seien für ihre Bestellung zwingende Vorschriften zu beachten. Auch eine Juristische Person dürfe ohne ein solches förmliches Syndikat nicht handeln, wenn die Handlungen vor Gericht nicht nichtig sein sollten. Die Fakultät kenne die Gemeindeverfassung Freienseens nicht. Daher rieten die Professoren, die Sachwalter der klagenden Gemeinde sich zuerst mittels eines förmlichen Syndikats legitimieren zu lassen. Im zweiten Schritt beschäftigten sich die Tübinger mit dem Rechtscharakter der Beschwerde. Die Klageschrift sei in die Form einer Berufung gegen den Rentkammerbefehl gekleidet und von der Rentkammer auch so behandelt worden. Der Rentkammerbefehl sei jedoch keine richterliche Sentenz, und die Rentkammer könne sich hier auch keine Gerichtsbarkeit zuschreiben, weil sie selbst Partei sei. Das Rechtsmittel der Provokation oder Appellation – auch selbst eine Extrajudicialappellation – sei jedoch nur gegen richterliche Erkenntnisse oder Verfügungen im Rechtwege zulässig. Im vorliegenden Fall komme es darauf an, ob die von der Rentkammer der Gemeinde Freienseen auferlegte Akzise auf auswärtiges Bier oder Branntwein für rechtmäßig zu halten sei. Dem widerspreche die Gemeinde und wolle daher gegen die Rentkammer vor der Landesherrschaft als deren erster Instanz im Wege Rechtens vorgehen. Als Konsequenz dieser Erkenntnis forderten sie, dass sich danach auch die Form des Entscheids zu richten habe. Zur Hauptsache bemerkten die Professoren lapidar, dass heute entgegen Artikel VIII § 11 der Wahlkapitulation beide Reichsgerichte über Akzisefragen urteilten. Wenn Landesherren eine solche gegen den Willen ihrer Untertanen einführen wollten, so würden sie an den Reichsgerichten vor den dagegen geführten Klagen geschützt. Im vorliegenden Fall sei die verlangte Akzise umso rechtmäßiger, als sie nur von eingeführten Getränken erhoben werde. Da dem Haus Solms-Laubach im ganzen Land das alleinige Recht zur Bierbrauerei und zum Branntweinbrennen als ein Hoheitsrecht zustehe, sei die Akzise von eingeführtem Bier und Branntwein nicht als neue und außerordentliche Steuer anzusehen, sondern mehr als eine bloße Entschädigung für die Minderung der Akzise für die im Lande produzierten Getränke, die unbestritten akzisepflichtig seien. Die Befreiung im Privileg von 1555, auf die die Gemeinde sich berufe, sei gegenüber dieser Akzise viel zu allgemein, beson-

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ders in Rücksicht auf das hergebrachte landesherrliche Regal. Auch der Vergleich von 1651 könne das klägerische Begehren nicht stützen. Er sei provisorisch und nur auf zehn Jahre geschlossen worden. Auch regele er nur das Brauen von eigenem Bier und Brennen von eigenem Branntwein sowie deren Ausschank. Von akzisefreier Einfuhr von fremdem Bier und Branntwein sei nicht die Rede. Auch enthalte der Vergleich die Klausel, dass er keiner Partei zum Nachteil gereichen solle. Deshalb sei Solms-Laubach nicht daran gehindert, eine Akzise auf eingeführte Getränke zu erheben. Da somit alle von den Freienseenern zur Begründung ihrer Steuerbefreiung angeführten Beweise unerheblich, dagegen die für das landesherrliche Akziserecht sprechenden Gründe so gewichtig seien, könne man die klagende Gemeinde mit ihrer völlig unbegründeten Klage sofort abweisen. Die Professoren rieten jedoch davon ab, weil die Gemeinde behauptet habe, schon vor dem Freiheitsbrief von 1555 im Besitz der Akzisefreiheit gewesen zu sein. Zudem habe der Flecken Freienseen nicht unter die Herrschaft der Grafen zu Solms gehört. Das würde der klagenden Gemeinde allerdings, wenn es denn bewiesen würde, zustatten kommen. Außerdem habe sich die Gemeinde auch auf ein Reichskammergerichtsmandat von 1607 berufen, worin ihr der freie Handel und Wandel der Lebensmittel bestätigt worden sei. Die Umstände dieses Mandates, also von wem es gegen wen und in welcher Sache erwirkt worden sei, seien bisher noch nicht dargelegt. Die Kläger hätten für sich schließlich auch den Marburger Vergleich von 1639 herangezogen. Dessen Text sei aber nicht vollständig in beglaubigter Form beigebracht worden. Die Einsicht in den vollständigen Text sei jedoch umso notwendiger, als ihn auch die Rentkammer für sich angeführt habe. Schließlich habe die Gemeinde sich auf ein neues Mandat von 1775 berufen, das gegen die angemaßte Einführung von Akzise von Waren und Verbrauchsgüter ergangen sein solle, das jedoch ebenfalls nicht in beglaubigter Form beigebracht worden sei. Daher sei nicht zu entscheiden, ob es für den vorliegenden Fall einschlägig sei. Deshalb äußerte die Fakultät Bedenken, sogleich definitiv zu urteilen. Stattdessen sei der klagenden Gemeinde ein besserer Beweis dafür aufzuerlegen, dass die einzuführende Akzise dem uralten Herkommen und Besitzstand, dem Marburger Vergleich von 1639 und den kammergerichtlichen Erkenntnissen von 1707 und 1775 offenbar widerspreche. Die für den 23. Dezember 1786 geplante Verkündung der eingegangenen Fakultäts-Entscheidung wurde auf den 27. Dezember vertagt, weil die Deputierten der Gemeinde ohne Vollmacht gekommen waren. Am 27. Dezember beanstandeten die Rentkammerräte dann die vorgelegte Vollmachtsurkunde, weil sie mit dem ehemals erschlichenen sogenannten Gemeindesiegel versehen sei, um das vor dem Reichskammergericht noch gestritten werde. Die Räte gaben den Freienseener Deputierten deshalb die Urkunde unter scharfem

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Verweis zurück. Sie erklärten sich aber zur Verkündung bereit, falls die Bauern erklärten, dass sie bevollmächtigt seien und dafür mit dem eigenen Vermögen haften wollten. Diese gaben die geforderte Erklärung ab, so dass entsprechend dem Rat der Tübinger Rechtsgelehrten folgender Bescheid erlassen wurde: Der klagenden Gemeinde wird nachgelassen, binnen vier Wochen den Grund ihrer Klage und beanspruchten Steuerbefreiung von der seitens der Rentkammer beanspruchten Akzise auf von auswärts eingebrachtes Bier und Branntwein besser als bisher zu beweisen. Vorbehaltlich des Gegenbeweises und anderer rechtlicher Argumente der Rentkammer solle dann ergehen, was rechtens sei. Statt der angeforderten erweiterten Begründung überreichten die Bürgermeister am 5. Januar 1787 eine interpositio appellationis seitens der Gemeinde gegen das von der Rentkammer zu Laubach aus Tübingen eingeholte Urteil. Darin zeigten sie vorläufig die Appellation an, forderten die Akten heraus und boten alle für die Durchführung der Appellation notwendigen Förmlichkeiten an. Die Regierungskanzlei erklärte umgehend, dass sie die Berufung an das Kammergericht annehmen werde. Die Gemeinde solle die Akten binnen 30 Tagen in Abschrift einlösen und die Fristen des Jüngsten Reichsabschieds beachten. Am 24. Januar 1787 erhielten die Bürgermeister die Aktenabschrift gegen Entrichtung der Kopialgebühr von 4 fl. und 25 Albus. Am 20. April 1787 erliess das Reichskammergericht eine Ladung nebst inhibitio und compulsoriales an die gräflich solms-laubachische Regierungskanzlei und die zur Rentkammer verordneten Direktoren und Räte sowie den Advokaten Krug in Giessen, die der Kammergerichtsbote am 8. Mai 1787 der Rentkammer und der Regierungskanzlei in Laubach insinuierte. Am 9. Mai folgte die Zustellung an Syndicus Krug in Giessen als advocatus causae. Damit endet die Reichskammergerichtsakte über diesen finanziell für die Landesherrschaft so wichtigen Prozess um die Akzise für eingeführtes Bier und Branntwein, so dass man nicht sehen kann, ob Solms-Laubach beim höchsten Reichsgericht seine Steuer oder Freienseen seine Befreiung hatte durchsetzen können. Nach der Inkorporierung der Grafschaft Solms-Laubach in das Großherzogtum Hessen-Darmstadt nahm die Gemeinde Freienseen für diesen Prozess die Möglichkeit wahr, ihn am Oberappellationsgericht Darmstadt fortsetzen zu können12. Doch auch, wie dieses Gericht den Fall beurteilt hat, ist den Akten leider nicht zu entnehmen. Nicht minder bedeutsam als dieser Akzisestreit war für die Grafen der Wandel der traditionellen Agrarordnung. Schon während der Regierungszeit des Grafen Christian August ist zu beobachten, wie sich die überlieferte 12

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2581.

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Agrarordnung an verschiedenen Punkten zu ändern begann. Insbesondere genügte die herkömmliche Dreifelderwirtschaft, bei der je ein Drittel der Gemarkung eines Dorfes als Acker für Sommer- und für Wintergetreide oder als Brache bewirtschaftet wurde, modernen Anforderungen nicht mehr. Daher begannen die Bauern seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Brache zu nutzen, indem sie Flachs oder Kartoffeln darauf anbauten. Dazu mussten die Brachfelder schon im März umgepflügt werden statt wie üblich erst im Juni13. Dadurch wurde jedoch den Schafen vorzeitig die Weidemöglichkeit auf der Brache genommen, was wiederum verhinderte, dass genügend Schafdung auf die Brache kam. Die Zusatznutzung weckte somit vor allem die Befürchtung, dass die Brache im kommenden Jahr nicht so viel Korn wie üblich erbringen werde. Damit war auch die Herrschaft von dieser Änderung betroffen, weil dann der ihr zustehende Kornzehnt gemindert werden konnte. Sie scheint sich damit abgefunden zu haben, so lange der Zehnt vom Flachs14 und den Kartoffeln15 die Ausfälle ausglich. Als die Bauern jedoch begannen, auch andere Sommerfrüchte wie Klee oder Wicken und vermischtes Korn auf der Brache auszusäen, die sie im Sommer abmähten und verfütterten, fehlte dieser Ausgleich, was die landesherrliche Verwaltung auf den Plan rief. Zum ersten Mal war dies am 10. März 1739 bei der Stadt Laubach beanstandet worden16. Kurz nach dem Beginn des Akzisestreits flammten die Auseinandersetzungen um die Konsequenzen des Wandels der Dreifelderwirtschaft auf. Der Hofverwalter in Laubach hatte am 31. Mai 1787 der Rentkammer gemeldet, dass seit einigen Jahren der Wickenanbau übermäßig zunehme17. Einige Untertanen bebauten schon mehr als drei Viertel ihrer Brachfelder damit, wodurch den Schäfern der Zugang zu den verbliebenen Brachfeldern erschwert werde, weil die von ihnen zu meidenden bebauten Felder sehr eng zu den Brachfeldern lägen. Deshalb suchten die Schäfer schon nach neuen, aber 13

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Pro memoria vom 10. März 1739: Gräfl. Archiv Laubach, C 177.1 Extrajudicialakten Ziff. 3. Wie bedeutsam der Flachsanbau für Freienseens Wirtschaft geworden war, beweisen die Zeugenaussagen vom 15. April 1747, bei der 15 von 17 Freienseenern angaben, sie seien Leinenweber. Druck: Canngiesser (wie Kap. 9.1, Anm. 15), S. 304–396 Nr. CXXI. Um den Kartoffelzehnt gab es allerdings häufig Streit: Bernhard Diestelkamp, Feudalwillkür oder Bauernschläue? Der Zehntstreit um die Zehntpflichtigkeit von Kartoffeln in der Grafschaft Solms-Hohensolms. In: Rechtsfälle aus dem Alten Reich, 1995, S. 117ff. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1 Extrajudicialakten. Wie Anm. 2, Ziff. 1 und 2.

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schädlichen Auswegen. Zudem werde das Pferchlager unmöglich gemacht, also das umzäunte Lager, in das der Schäfer die Schafherde für die Nacht trieb. Auch wenn der Hofverwalter es dem Landmann gönne, sein Vieh besser füttern zu können, seien doch die Pferchlager für die Düngung der Brache unentbehrlich, weil dabei auf begrenztem Raum der Schafdung konzentriert anfiel. Man befürchtete also, dass durch scheinbar geringfügige Änderungen der Bewirtschaftungsweise das gesamte System der dörflichen Wirtschaft an verschiedenen Stellen durcheinander geraten könnte. Der Hofverwalter musste zugestehen, dass nach neueren ökonomischen Vorstellungen die Brache völlig abzuschaffen sei. Die ursprünglich eigenwüchsig begonnene Entwicklung hatte in der Tat eine grundsätzliche, wissenschaftlich fundierte Diskussion über die völlige Auflösung der Dreifelderwirtschaft ausgelöst. Der gräfliche Beamte hielt von dieser Tendenz wenig, weil der Verzicht auf die Wechselwirtschaft nach seiner Meinung nur bei sandigen Böden klappen könne. Die örtliche kalte und missliche Witterung mache dagegen die Böden so schwer, dass sie der Ruhe und Düngung durch das Pferchlager bedürften. Nachdem er so allgemein die Schädlichkeit dieser Neuerung skizziert hatte, konnte er sich auf das Problem konkretisieren, das die Rentkammer als seine vorgesetzte Behörde vor allem interessierte. Für den Zehnten sei der Wickenanbau deshalb schädlich, weil bekanntlich ein so genutztes Brachfeld im folgenden Jahr weniger Winterkorn bringe als ein ruhig gelassenes. Dieser Anhänger der überlieferten Landwirtschaftsform wusste also noch nichts von Gründüngung und dem Nutzen gerade von Klee und Wicken für den Boden. Oder er verschwieg seine Kenntnisse in diesem Zusammenhang. Wegen der befürchteten Minderernten müsse geprüft werden, meinte er, wie viel Wickenfutter ein Ackermann (also ein Vollbauer) und wie viel ein Einläufiger (also ein Landwirt mit nur einem Zugpferd) ohne großen Nachteil für die Schäferei anbauen dürften. Da der Wickenanbau dem Winterkorn und damit dem Kornzehnten des kommenden Jahres schade, sei zu entscheiden, ob die Futterkräuter nach der Zehntordnung nicht ebenso zu verzehnten seien wie der in denselben Brachfeldern angebaute Flachs oder die Winter- und Sommersaat und vor allem die Kartoffeln, die seit ungefähr 40 Jahren angebaut würden und seitdem zehntbar seien. Der Geistliche in Ruppertsburg, der vom herrschaftlichen Zehnten einen Teil als Bestandteil seiner Besoldung besitze, lasse anstandslos jährlich den Klee auszehnten. Noch am selben Tag reagierten die Rentkammerräte von Lehennen, von Franc und Richard Wildt mit dem Beschluss, das 1739 erlassene Verbot des Wickenanbaus und zu frühen Pflügens der Brachfelder zu erneuern18. Dem solle hinzugefügt werden, man werde nicht weiter dulden, dass etwas in den 18

Wie Anm. 16.

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Brachfeldern ohne Spezialerlaubnis angebaut werde. Diese Erlaubnis solle erst dann erteilt werden, wenn in der Stadt Laubach der Hofverwalter und auf den Dörfern die Schultheißen vorher nach den Umständen befragt worden seien. Der Erlaubnis sei auch ausdrücklich zuzusetzen, dass die jedesmaligen Brachfrüchte wegen des zu befürchtenden Zehntausfalls beim Korn im folgenden Jahr ebenfalls gezehntet werden müßten. Am 2. Juni nahm auch der Rentkammerrat von Seyd, der an der ersten Beratung nicht hatte teilnehmen können, nachträglich in einer ausführlichen Relation mit anschließendem Votum zu den Problemen Stellung19, in der er zunächst grundsätzliche Fragen erörterte. Eine Regulierung der Bebauung und Besamung der Brachfelder mit Wicken, Klee und anderen Futterkräutern durch die Rentkammer ziehe eine Beschränkung des Eigentums nach sich oder begrenze wenigstens die natürliche Freiheit des Eigentümers, mit seinem Eigentum nach Gefallen schalten und walten zu können. Der Untertan, der seine Brachäcker bebaue, tue dies in der Absicht, einen in der Natur des Eigentums gegründeten Nutzen zu ziehen. Wenn man ihn beeinträchtige, so könne er sich darüber umso mehr beschweren, als das Recht den Ackerbau begünstige. Die Gemeine Wohlfahrt sei nämlich daran interessiert, dass das Land so viel Ertrag wie möglich erbringe. Daher wäre es sehr bedenklich, wenn die Rentkammer der Bebauung der Brachfelder mit Vorschriften und Verboten begegnen würde. Mit diesen Überlegungen erweist sich der Rentkammerrat von Seyd als Kenner der damals modernen Diskussion über die Freiheit des Eigentums. Diesen grundsätzlichen Überlegungen fügte er jedoch einige Zusätze an, weshalb gleichwohl das soeben von ihm deduzierte allgemeine Eingriffsverbot gelockert werden sollte. Die Bewirtschaftung der Ländereien beruhe auf uralten Regeln, nach denen das Land in Winter-, Sommer- und Brachfelder eingeteilt werde. Die beständige Ergiebigkeit des Landes sei in der heimischen Region weder ohne die Ruhe des Ackers noch ohne Viehzucht mit Treiben und Hüten des Viehs in der Gemarkung denkbar. Es ging eben nicht nur um eine rein partielle Änderung der Dreifelderwirtschaft, sondern diese war der Rahmen für die gesamte bäuerliche Wirtschaftsweise. Die Stallfütterung, fuhr von Seyd fort, sei eine landwirtschaftliche Neuerung, die ihren Nutzen noch nicht erwiesen habe. Im Gegensatz zu den allgemeinen Überlegungen zur Freiheit des Privateigentums, bei denen Herr von Seyd sich ganz auf der Höhe der Zeit zeigte, bewies er den agrarökonomischen Neuerungen gegenüber äußerste Skepsis und vertraute nur dem Altbewährten. Sodann wies er auf mögliche Schäden für herrschaftliche Gerechtsame hin. Nach dem Erbbuch von 1553 und der Schäferei-Instruktion ruhten nämlich auf den Brach19

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587, Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten.

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feldern teilweise noch herrschaftliche Behutungsgerechtsame. Deshalb habe man, sobald man Mängel verspürt habe, Verordnungen wie die von 1739 wegen zu frühen Pflügens der Brachäcker in der Laubacher Stadtgemarkung und deren Besamung mit Wicken erlassen. Die Reichsgesetze erlaubten, ja forderten es, solche Anordnungen zu treffen, mit denen gute Policey und Ordnung in den Ländern der Reichsstände etabliert und der Wohlstand befördert würden. Damit gab es für Herrn von Seyd keinerlei Zweifel, dass die Rentkammer, der die Landesoekonomieaufsicht anvertraut sei, solche Vorkehrungen treffen dürfe. Sie könne die Neuerung bei der Bestellung der Brachäcker zwar unter billiger Berücksichtigung bestehender Trift- und Hutungsgerechtsame sowohl der Gemeinde selbst als auch der Herrschaft nach Beschaffenheit der Lokalumstände zulassen, müsse aber zur Vermeidung eines Übermaßes und der Beeinträchtigung jener Gerechtsame das Notwendige anordnen. Nach der Klärung dieser Grundsatzfrage konnte er sich dem für die Rentkammer zentralen Problem der Verzehntung zuwenden. Dies könne deshalb schwierig werden, meinte er, weil aus der Anzeige des Hofverwalters hervorgehe, dass man bisher davon keinen Zehnt erhoben habe. Man müsse also damit rechnen, dass Eigentümer sich auf die Zehntfreiheit berufen würden. Die Zehntordnung unterscheide jedoch nicht zwischen den verschiedenen Früchten und Feldern Deshalb sei von allen Feldern und allen darauf gezogenen Früchten der Zehnt zu geben. Die bisher schon auf der Brache angebauten Früchte wie Flachs und Kartoffeln würden auch schon verzehntet. Mit den Futterkräutern habe es dieselbe Bewandnis, auch wenn davon bisher nichts erhoben worden sei. Wenn die bestellten Zehnterheber oder der Hofverwalter bisher etwas für die Herrschaft Nachteiliges zugelassen haben sollten, so sei dies als pflichtwidrig anzusehen und deshalb für die Herrschaft nicht verbindlich. Deshalb habe er keine Bedenken, so zu votieren, dass die Rentkammer der Zehntordnung eine Ergänzung anfüge, dass nunmehr auch die Wicken, der Klee und andere Futterkräuter aus dem Brachfeld auszuzehnten seien. Am 6. Juni 1787 erließ die Rentkammer unter Berufung auf ältere Anordnungen und vor allem die Verordnung von 1739 einen entsprechenden Befehl, dass kein Gutsbesitzer bei Strafe weder in Laubach noch auf dem Lande ohne vorherige Anzeige und Erlaubnis der Rentkammer ein Brachfeld vor der bisher üblichen Zeit umpflügen oder solches gar mit Wicken, Klee oder anderweitig zum Nachteil des herrschaftlichen Zehnten besamen dürfe20. Von den im laufenden Jahr schon besäten und den zukünftig mit Erlaubnis besamten Brachfeldern dieses Jahres sei der Zehnte schon jetzt zu entrichten. 20

Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten, Anlage 1.

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Doch mit der Anordnung der Verzehntung der Brachfrüchte allein war es nicht getan, wie sich aus einer Stellungnahme des Ruppertsburger Schultheißen Fritzingen und des Laubacher Hofverwalters vom 24. Juni 1787 ergibt21. Der Hofverwalter fragte an, ob der Futterzehnt in Natur eingesammelt oder aber verkauft werden solle. Der erste Fall sei für die Herrschaft nicht vorteilhaft, wobei er nicht sagte, was daran unvorteilhaft sein sollte. Im zweiten Fall sei zu befürchten, dass sich kein Untertan als Käufer finden werde. Als Ausweg aus diesem Dilemma schlug er vor, den in der Laubacher Stadtgemarkung anfallenden Zehnt in die gräfliche Schweizerei zu bringen, wo er an das herrschaftliche Vieh verfüttert werden könne. Diese Möglichkeit entfiel für das in den Dörfern anfallende Material wohl wegen der Transportprobleme. In den Dörfern könne man deshalb den Brachfrüchtezehnten, falls sich für ihn kein Käufer unter den Untertanen finde, gegen ein billiges Stückgeld den dort wohnenden Jägern und Förstern überlassen. Die Freienseener waren jedoch nicht willens, der gräflichen Rentkammer den Zehnten von den Früchten ihrer Modernisierung widerspruchslos zu überlassen. Am 21. Juli 1787 supplizierten sie mit einem umfangreichen Schriftsatz an die Regentin gegen die Rentkammerverordnung vom 6. Juni 178722. Diese Verordnung sei ihnen zunächst nur mündlich vorgelesen und bekannt gemacht worden. Erst jetzt hätten sie endlich eine Abschrift davon erhalten. Daraus hätten sie mit Befremden vernommen, dass kein Gutsbesitzer künftig bei Strafe von 5 fl. ohne vorherige Anzeige bei der Rentkammer und deren besondere Erlaubnis sein Brachfeld vor der üblichen Zeit umpflügen oder es gar mit Wicken, Klee oder sonst zum Nachteil des herrschaftlichen Zehnten besäen dürfe. Dieses Jahr solle der Zehnte von den bereits besäten Brachfeldern wie auch von den noch zukünftig mit Erlaubnis besamten Feldern wie von anderen Feldern erhoben werden. Durch diese Anordnung werde ein jeder Gutsbesitzer der Gemeinde, also auch alle insgesamt von der jedem Privateigentümer nach allen offenkundigen Rechten unstreitig zustehenden und anerkannten freien Verwaltung und bestmöglichen Nutzung seiner eigentümlichen privaten Güter auf einmal verdrängt. Also auch der juristische Berater der Freienseener berief sich auf die zeitgenössische Diskussion über die Freiheit des Privateigentums, wenn auch nicht mit derselben analytischen Schärfe und argumentativen Intensität wie in Laubach Herr von Seyd. Zusätzlich führte er das bekannte älteste kammergerichtliche Mandat von 1597 an, das durch die gerade im laufenden Jahr beim Reichskammergericht gegen die Rentkammer ausgebrachten Appellationsprozesse erneut bestätigt worden sei. In diesem Prozess sei bekräftigt worden, dass sie 21 22

Wie Anm. 16. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten.

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durch den Rentkammerbefehl der Verwaltung und Benutzung der zwischen dem Hessenhain und Atzelberg gelegenen Gemeindegüter und ihres zu jeder Zeit bis heute ohne jemandes Ein- oder Widerspruch ruhig ausgeübten rechtmäßigen Besitzstandes entsetzt werden würden. Zur Wahrung ihres Privateigentums und dessen bestmögliche Nutzung nicht weniger auch ihres notorischen Besitzstandes seien sie daher gezwungen, Beschwerde gegen die Rentkammerverordnung einzulegen und die Regentin um Hilfe zu bitten. Zwar beziehe sich die Verordnung auf ältere Verordnungen wegen verbotener Besamung der Brachfelder zum Nachteil der herrschaflichen und anderer Gemeindeschäfereien, besonders aber auf den am 10. März 1739 publizierten Befehl, mit dem das Besamen der Brachfelder mit Wicken und dergleichen Früchten bei 5 fl. Strafe untersagt worden sei. Das erwecke den Anschein, als ob die jetzige Verordnung nichts Neues bringe, sondern nur eine Wiederholung des Befehls von 1739 sei. Allein da nicht einmal dem ältesten Einwohner solche, das Privateigentum einschränkenden Verordnungen und gar die von 1739 bekannt seien, ergebe sich, dass solche Verordnungen in ihrer Gemeinde niemals publiziert worden seien. Das werde untrüglich de facto auch dadurch bewiesen, dass von jeher ein jeder Gutsbesitzer ihrer Gemeinde sich der einem jeden Privateigentümer unstreitig zustehenden freien Verwaltung und Benutzung seiner eigentümlichen Güter bedient habe. Als guter Haushalter habe er das erforderliche Pflügen der Brachfelder und deren beliebige Besamung mit Wicken, Klee und anderen Früchten dieser Art zu seinem notwendigen Gebrauch ohne Widerspruch oder Erlaubnis durchgeführt. Die Berufung auf ältere Befehle könne also ihre Rechte nicht beeinträchtigen, weil sie – selbst wenn sie publiziert worden wären – niemals zur Ausführung gebracht und zur Observanz gekommen seien. Zudem sei der Befehl von 1739 an die Stadt Laubach ergangen und nur dort publiziert worden. Die neue Nutzung der Brachfelder, die aus dem einem jeden zustehenden Privateigentum und der daraus fließenden bestmöglichen Nutzung resultiere, schade keinem Dritten und erst recht nicht der Herrschaft. Einesteils wisse man nichts von einer Schäferei auf Freienseener Gemarkung, die der Herrschaft oder einer dritten Dorfgemeinde zustünde. Zum anderen werde auch der herrschaftliche Zehnt durch die Besamung der Brachfelder nicht gemindert, da diese danach wieder tüchtig gedüngt würden. Daran habe der Privateigentümer selbst das größte Interesse, weil er als erster vom folgenden Fruchtanbau, von dem der Zehnte zu entrichten sei, den größten Nutzen ziehen wolle. Die von den Beschwerdeführern geäußerte Zuversicht, dass die Regentin keinen neuen Zehnten von Wicken oder ähnlichen Futterkräutern einfordern lassen werde, wodurch ihnen die nötige Nahrung eingeschränkt werde, übersah allerdings zwei Punkte. Zum einen verkannten sie, dass in der kleinen Grafschaft Solms-Laubach nichts geschah ohne Wissen und Willen des je-

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weils Regierenden. Es war also unwahrscheinlich, dass die Regentin eine andere Entscheidung als ihre Rentkammerräte treffen würde, etwa weil sie die Verordnung nicht gekannt hätte. Zum anderen übersahen sie die dringende Notwendigkeit für die Herrschaft, jede Möglichkeit zur Vermehrung der Einkünfte zu nutzen. Noch am selben Tag erörterte die Gräfinwitwe die Freienseener Supplik in ihrem Regierungskollegium23. Da die Besamung der Brache, auch Sömmerung genannt, eine bekannte landwirtschaftliche Neuerung, seit einigen Jahren übertrieben worden sei und sich auf alle Dorfschaften ausgebreitet habe, so dass immer mehr sowohl herrschaftliche als auch andere damit zusammenhängende Gerechtsame wie Zehnte, Hut und dergleichen gefährdet würden, sei am 6. Juni dazu eine Rentkammerverordnung ergangen, ohne damit eine Beeinträchtigung des Privateigentums und dessen zweckmäßige Nutzung im mindesten beabsichtigt zu haben. Die Supplikanten sollten sich gegen diese Verfügung umso weniger wehren, als diese dem Marburger Vergleich von 1639 keineswegs widerspreche. Zu dessen Zeit sei die Leinsaat als Sömmerung üblich gewesen, wovon der Zehnte bis heute entrichtet werde, so dass auch die neue Besömmerung aller rechtlichen Analogie gemäß zehntpflichtig sei. Ebensowenig könnten gegen die Verordnung die noch unentschieden am Kammergericht schwebenden Verfahren geltend gemacht werden. Diese seien allesamt von dem äußerst verderblichen, seit einigen Jahren andauernden und jetzt wieder überhandnehmenden Empörungs- und Prozessgeist der Supplikanten geprägt worden. Auch wurden die Freienseener getadelt, sich in ihrer Eingabe einiger Ausdrücke bedient zu haben, die der schuldigen Achtung ihrer Landesobrigkeit widersprächen. Die Regentin war also keineswegs gewillt, ihren Untertanen entgegen zu kommen, indem sie auf die Verzehntung der neuen Brachfrüchte verzichtete. Vielmehr brachte sie unverhohlen zum Ausdruck, wie wenig sie von den Umtrieben ihrer Freienseener Untertanen in Wetzlar hielt. In dieser Haltung wurde sie bestärkt durch Berichte ihrer Räte, dass die Rentkammer auch andere landwirtschaftspolizeiliche Maßnahmen getroffen habe, die die Freienseener akzeptiert hätten. Schon Anfang der siebziger Jahre hatte sich die gräfliche Rentkammer mit Randproblemen des Wandels der bäuerlichen Wirtschaft beschäftigen müssen. Innerhalb der Gemeinde Freienseen hatte es zum Beispiel Streit gegeben, wie viele Geissen auf die Gemeindeweide getrieben werden durften24. Einige der ärmeren Bewohner des Dorfes Freienseen, für die die Geissen die Kühe ersetzen mussten, wollten mehr Zie23 24

Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten. Wie Anm. 16, Beilage Ziff. 6. = Gräfl. Archiv Laubach, C 177/1, Extrajudicialakten, Beilage Ziff. 6.

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gen halten und auf die Gemeindeweide treiben dürfen als bisher üblich. Sie verklagten deshalb Bürgermeister und Vorsteher des Dorfes bei der Regierung in Laubach, weil diese als Bauern und Kuhhalter ihnen das verwehrt hätten. Auf Bericht des im Dorf ansässigen gräflichen Försters Pfeffer wurden die Bürgermeister am 24. März 1775 angewiesen, genau benannte Teile der Gemeindeweide sowie die abgeernteten Kornfelder, auf die auch der Schäfer die Schafe treibe, für die Ziegen zur Verfügung zu stellen. Das sei für so wenige Ziegen vollkommen ausreichend. Der Kern der Auseinandersetzung leuchtet erst auf in der Zusatzbemerkung, dass diejenigen, die mehr Weide verlangten, dies aus Caprice täten, nur um denen, die Kühe halten könnten, die Weide dadurch zu verderben. Die ärmeren Dorfbewohner neideten also den wohlhabenderen Kuhbauern die Weiden. Dies wollten sie mit Hilfe der landesherrlichen Regierung in Laubach ändern, die die Gelegenheit nur zu gern ergriff, in Freienseen mitreden zu können. Ebenfalls dem Beweis, dass die Landesherrschaft und ihre Beamten landwirtschaftspolizeiliche Maßnahmen auch in Freienseen zu treffen berufen seien, diente die Aufzählung von Fällen, in denen Freienseener Bauern bei der gräflichen Verwaltung in Laubach um die Genehmigung nachgesucht hätten, den Wirtschaftszweck von Grundstücken ändern zu dürfen25. Wiesen sollten zu Äckern26, aber noch mehr Äcker zu Wiesen27 umgewandelt werden, was die gräfliche Rentkammer immer nur unter dem Vorbehalt der Wahrung des herrschaftlichen Zehntanspruchs genehmigt habe. Schon bald nach der Resolution der Regentin kam am 24. Juli 1787 ein erster Erfahrungsbericht des Laubacher Hofverwalters über die Zehnteinsammlung der Brachfrüchte bei der Rentkammer ein28. Er habe in der vergangenen Woche bei der Stadt Laubach angefangen, den Brachfeldzehnten einzuholen. Dort hätten die meisten Zehntpflichtigen es vorgezogen, den Zehnten in Geld zu entrichten. Bis zur höheren Genehmigung habe er vorläufig 12 Albus Zehntgeld für ein Viertel Morgen Futterzeug angesetzt. Er erachte dies für die Herrschaft für nützlicher als den mit Umständen des Transports und der Verwertung verknüpften Naturalzehnten. Wenn die Rentkammer dies genehmige, werde er weiter entsprechend verfahren. Die Ruppertsburger und die Freienseener, bei denen er gestern und vorgestern gewesen sei, hätten sich al25

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587, Beilage Ziff. 5. = Gräfl. Archiv Laubach, C 177/1, Extrajudicialakten Ziff. 5. Wie Anm. 23: 1785 Juli 30, 1786 Februar 22, 1783 Oktober 14. Wie Anm. 23: 1780 August 21, 1786 Juni 21, 1783 Oktober 14, 1787 August 15, 1788 April 2 und 4. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587 Beilage Ziff. 7 = Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Extrajudicialakten, Ziff. 7.

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lerdings zu Geldleistung nicht verstehen wollen. Noch weniger hätten die beiden Forstbedienten den Naturalzehnten um einen billigen Preis übernehmen wollen. Deshalb sei in Ruppertsburg begonnen worden, das Futterzeug auszuzehnten und in natura an die Frohnde, also den gräflichen Herrenhof, zu liefern. Der Fall des Freienseener Wickenzehnten sei deshalb schwieriger, weil die Untertanen ihn als schwere Fracht nur beschwerlich an die dortige Frohnde liefern könnten. Er wisse daher keinen anderen Vorschlag zu machen, als die Naturalien öffentlich dem Förster Bär für einen billigen Preis zu überlassen. Den Betrag könne die Landesherrin ihm dann gegebenenfalls auf seinen Antrag insgeheim erlassen. Dadurch wahre die Herrschaft ihre Gerechtsame, und den Freienseenern werde gezeigt, dass es der Obrigkeit ernst sei. Er glaube, dass diese danach das Aussäen nach den alten Verordnungen unterließen oder sich zur Bezahlung des Zehnten verstünden. Wegen der übrigen Dorfschaften, welche sich auf eine herrschaftliche Resolution beziehen wollten, erwarte er weitere Vorhaltungen. Am 28. Juli 1787 beschlossen die Rentkammerräte von Lehennen, von Franc und Richard Wildt, dass der Hofverwalter gemäß seinem Vorschlag den Zehnten in Ruppertsburg in natura einfahren lassen, den der Freienseener aber dem Förster nach vorangegangener Schätzung zuschlagen solle. Das weitere würden die Umstände ergeben29. Doch so umstandslos waren die Dinge nicht zu regeln. Am 4. August 1787 musste sich Hofmarschall von Lehennen mit einer Anzeige des Hofverwalters beschäftigen, dass es in Freienseen Komplikationen gegeben habe30. Seinem Vorschlag entsprechend habe er den dortigen Zehnten dem Förster Bär für einen gewissen Preis überlassen. Dieser und der andere Zehnter Johann Heinrich Sauer hätten ihm dann hinterbracht, dass alle Freienseener Gemeindeleute, die dergleichen Sömmerung vorgenommen gehabt hätten, vorgeschlagen hätten, den davon schuldigen Zehnten in anderen Früchten entrichten zu dürfen. Die Zusatzfütterung für ihr Vieh war ihnen offenbar so viel wert, dass sie lieber auf andere Ernteerträge verzichten wollten als das Wickenfutter zu mindern. Andere wiederum, die den Futterschnitt trocknen wollten, wollten davon den Zehnten doch in natura geben. Auf Antrag des Hofverwalters dekretierte daher die Rentkammer: Man solle es dabei belassen, dass die einen als Zehnt statt des grünen Futters andere Früchte, andere jedoch von dem getrockneten Futter den Anteil in natura liefern sollten. Die Zehnter wurden zugleich angewiesen, genau Obacht zu geben, dass kein Unterschleif zu Lasten der Herrschaft vorkomme,

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten. Wie Anm. 28.

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und deshalb wurden sie ganz besonders an die ihnen bekannt gemachte Zehntordnung und ihre Pflichten erinnert. Doch mittlerweile hatte die Gemeinde Freienseen sich schon gegen die Rentkammerverordnung zur Wehr gesetzt, indem sie am 1. August 1787 in Laubach einen Appellationszettel überreichte, auf dem am 10. August die gräfliche Kanzlei ordnungsgemäß ad acta notierte31. Doch diese scheinbar routinemäßige Behandlung des Vorganges erwies sich als Illusion. Als drei Gemeindeabgeordnete am 11. August in Laubach beantragten, ihnen eine Bescheinigung darüber auszuhändigen, dass sie am 1. August den Appellationszettel überreicht gehabt hätten, wurde ihnen dies mehrfach verweigert. Schließlich mussten sie am 13. November 1787 beim Reichskammergericht um Verlängerung der Frist für die Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen bitten, weil ihr Advokat zur Zeit mit vordringlichen Geschäften belastet sei, so dass er das libellum gravaminum nicht rechtzeitig habe anfertigen können32. Die Nachfrist von einem Monat wurde ihnen gewährt und am 12. Dezember sogar um drei Monate verlängert, weil weitere Beschwerungen eingetreten seien, die in das Libell eingearbeitet werden müssten. Am 13. Dezember beantragte der gräfliche Prokurator die vollständige Zurückweisung der Appellation und die Ablehnung weiterer Verbote und Zwangsanordnungen. Die Bitte vom 3. März 1788 um weitere Fristverlängerung um zwei bis drei Monate schlug das Gericht am 11. März 1788 zurzeit noch ab. Die Vormünderin solle vielmehr binnen sechs Wochen Bericht erstatten. Erst ab dann laufe eine neue Frist von drei Monaten. Folgerichtig lehnte das Gericht am 13. März 1788 das Gesuch des Freienseener Prokurators um Entscheidung zurzeit noch ab und verwies auf das Schreiben um Bericht. Am 9. Mai 1788 beruhigte der solms-laubachische Prokurator die Laubacher Regierungskanzlei, dass man mit dem Bericht noch abwarten könne, bis die Gemeinde sich deswegen gehörig gemeldet habe33. Nach neuester Praxis pflege die unentgeltliche Verabfolgung des Berichts verordnet zu werden, wenn eine Klagesache die Herrschaft selbst betreffe. Melde sich dagegen Freienseen selbst wegen des Berichts, so könne die Gebühr angesetzt und von ihnen abgefordert werden. Der Prokurator riet also, die Freienseener bis zu der für sie kostenträchtigeren Lösung warten zu lassen. Am 21. Mai 1788 meldete die Laubacher Regierungskanzlei nach Wetzlar, dass die Freienseener den Bericht angemahnt hätten. Deshalb schickte sie den Bericht mit gleicher Post an den Prokurator, der ihn am 22. Mai 1788 an das 31 32 33

Wie Anm. 27. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Extrajudicialakten.

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Gericht weiterleitete34. Wie der gräfliche Prokurator prognostiziert hatte, kostete dieser Bericht die Freienseener insgesamt 13 Reichstaler und 20 Albus35. Der Unmut der Landesherrin kam in dem Schriftstück schon durch die Qualifizierung der Kläger als die bekannt unruhige Gemeinde Freienseen zum Ausdruck. Der Bericht begann mit einer Darstellung der Umstände, die zur Rentkammmerverordnung über die Brachfelder geführt hätten. 1.) Am 13. Juli 1739 sei eine Zehntordnung erlassen worden. 2.) Am 30. Mai 1787 habe der Laubacher Hofverwalter die missbräuchliche Nutzung der Brachfelder angezeigt. Die darauf erlassene besagte Verfügung könne als einerseits rein landwirtschaftpolizeilicher Gegenstand und andererseits unstreitige Zehntbefugnis keinem gerichtlichen Verfahren unterzogen werden. 3.) Schließlich sei man vom Verbot der Nutzung der Brachfelder abgegangen und habe so weit eingelenkt, dass diejenigen, die ihre Brachfelder vor der Zeit umpflügen und mit Futterkräutern besäen wollten, dies vorher anmelden müssten, um eine Erlaubnis zu bekommen. Diese Erlaubnis sei abhängig von der genauen Ortskenntnis im Verhältnis zum Ganzen. Werde es dem Antragsteller erlaubt, so müsse er den Ertrag verzehnten. Unzulässigerweise versuchten die Freienseener, dies zu einer Sache der Gemeinde zu machen und darauf die Grundsätze der freien Verwaltung der Gemeindegüter anzuwenden. 4.) Die Freiheiten der Gemeinde seien klar und eindeutig im Marburger Vergleich von 1639 enthalten. 5.) Worauf beruhe denn die Erlaubnis, Grundstücke verwandeln zu dürfen? 6.) Und woher komme die Erlaubnis wegen Austreibens der Geissen? Damit nutzte die Regentin die Berichte ihrer Behörde, um gegenüber dem Kammergericht die absolute Ungehörigkeit der Freienseener Position darzulegen. Würde man die Appellation gegen solche obrigkeitlichen Verfügungen und Regulative zulassen, so würde die Impertinenz und Ungebundenheit der Untertanen ins Unermessliche steigen. Gegen Eingriffe in den ihnen vorbehaltenen gerichtsfesten politischen Bereich wehrten sich die Obrigkeiten der Zeit hartnäckig. Angesichts des eben Ausgeführten könne es keine Befreiung vom Wicken-, Klee- und anderen Futterkräuterzehnten geben. Die Kläger leugneten den Fruchtzehnten keineswegs grundsätzlich. Sie hätten ihn bei Flachs, Kartoffeln und Hülsenfrüchten im Brachfeld stillschweigend schon seit langem anerkannt. Bei ihrer Behauptung, nur vom Wicken-, Klee- und Futterkräuterzehnten befreit zu sein, komme es auf die Argumente an, die auf Latein zusammengefasst lauteten: libertas naturalis, immunitas und possessio immemorialis, also natürliche Freiheit, Befreiung und Besitz seit unvordenklichen Zeiten. Auf die natürliche 34 35

Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Extrajudicialakten. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten, Koncept einer Quittung von 1788 Mai 19.

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Freiheit, die sowohl Hofrat von Seyd als auch die Freienseener zentral beschäftigt hatte, wollte der solms-laubachische Jurist überhaupt nicht eingehen, sondern sie solle in sich ruhen bleiben. Auch das zweite Argument der Befreiung falle in sich zusammen. Wegen des Besitzes seit unvordenklichen Zeiten sei angefragt worden, ob es dabei bleiben solle, dass die im Brachland seit mehreren Jahren gezogenen, ungezehnteten Wicken weiterhin nicht ausgezehntet würden. Bis zur Verordnung vom 6. Juni 1787 habe es jedoch für die Auszehntung verschiedene Möglichkeiten gegeben, denen niemand widersprochen habe. Bei solchen Sachen gebe es keine Ersitzung seit unvordenklichen Zeiten. Vielmehr habe ein ausreichender Widerspruch, bei dem man sich beruhigt habe, einen eigenen rechtlichen Besitzstand geschaffen. Die Gutsbesitzer, die 1787 die Brache mit Wicken besät hätten, hätten sich widerspruchslos der neuen Verordnung unterworfen und den Zehnt entrichtet. Am 26. Mai 1788 bewilligte das Gericht eine Frist von sechs Wochen für die Reaktion auf diesen Bericht36. Mehrfach mussten die Appellanten um Fristverlängerungen bitten, weil ihr Advokat den Gegenbericht noch nicht habe fertigstellen können, was das Gericht auch jedesmal akzeptierte37. Schließlich nahm am 13. September 1788 ihr Anwalt dann zu den Argumenten der Regentin Stellung38. Er begann den umfangreichen Schriftsatz mit der Bemerkung, dass sich die Regentin als Richterin eingeschaltet und auch den erbetenen Bericht als solchen erstattet habe, obgleich die eigentliche Beklagte die Rentkammer sei. Gleichwohl werde sich der Freienseener Anwalt nur mit der Rentkammer auseinandersetzen, was auch psychologisch geschickt war, weil damit die Person der Landesherrin aus dem Streit herausgehalten wurde. Eigentlich sei die Sache ganz einfach, meinte der Prokurator der Kläger. Es komme nämlich nur darauf an, ob und inwieweit die Rentkammer ihre am 6. Juni erlassene Resolution und die am 27. Juli bestätigte Verfügung gerechtfertigt und die im Freienseener Beschwerdelibell vorgebrachten Beschwerden ausgeräumt habe. Trotzdem wolle er kurz auf die im Bericht erwähnten Umstände eingehen. Die am Anfang angeführte Anzeige des Laubacher Hofverwalters vom 30. Mai 1737 beziehe sich nur auf die Laubacher Gemarkung und sei daher auf die Freienseener weder bezüglich der Schafweide noch wegen 36 37

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Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten, 1788 September 1: Der Advokat habe notwendige Erläuterungen von seinen Mandanten noch nicht bekommen und auch sonst dringende andere Geschäfte gehabt. (vor 1788 September 13): Der Advokat habe aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, sondern habe seine Ferien in Schwalbach und Wiesbaden verbringen und nach der Heimkehr zunächst andere dringende Geschäfte besorgen müssen. Jetzt aber habe er den Gegenbericht unter die Feder genommen. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten.

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der herrschaftlichen Zehnten anwendbar. Die Herrschaft besitze in der ganzen Freienseener Gemarkung weder eine Schäferei noch ein Pferchlager und auch nicht das Recht, deswegen Ge- und Verbote zu erlassen. Auch wenn die Herrschaft in den anderen Laubacher Orten Schafe treiben dürfe, so sei Freienseen davon doch seit Jahrhunderten frei gewesen und geblieben und besitze bis heute eine eigene freie, uneingeschränkte Schäferei. Auch auswärtige Dritte oder benachbarte Dorfschaften besässen in Freienseen keinen Schafweidegang. Schließlich erleide der eigene Schafweidegang der Freienseener Schäferei durch die seit jeher ungehindert ausgeübte Besamung des Brachfeldes mit Wicken und Klee keinerlei Abbruch, weil das Schafvieh auf den Freienseener Wüstungen und Brachfeldern durchgängig genügend Nahrung und Weide besitze. Der Anbau der Futterfrüchte mindere auch den Zehnt der Winterfrüchte nicht, weil die Brachäcker einmal im Frühjahr für die Wicken und dann erneut nach dem Ernten der Futterfrüchte zur Winterfrucht wieder zubereitet würden. Damit würden sie also letztlich doppelt und damit stärker gedüngt als ohne den Anbau der Futterkräuter. Damit gebe es keinen stichhaltigen rechtlichen Grund für die getroffene Verfügung und die darin liegenden enormen Einschränkungen des Privateigentums und dessen freier Verwaltung und Nutzung. Diese dürften nicht eingeschränkt werden, solange sie niemandem schade. Deshalb sei es unstatthaft, unter dem Vorwand eines landwirtschaftlichen Polizeigegenstandes die landesherrliche Oberaufsicht willkürlich einsetzen und wirken zu lassen, und dabei unter grober Vernachlässigung aller echten Grundsätze und insbesondere diejenigen der unverletzbaren Privateigentumsrechte eines jeden Privateigentümers gravierend beschränken zu wollen. Der Bericht führe eine ältere Verfügung von 1739 an, um zu unterstellen, dass diese ein gänzliches Verbot enthalte, ins Brachfeld Wicken zu säen, so dass die jüngere Verfügung, Wicken nach erteilter Erlaubnis einzusäen zu dürfen, für weit billiger als jene ältere Anordnung zu halten sei. Doch die ältere Verfügung betreffe nur die Bürgerschaft zu Laubach. Sie sei den Freienseenern unbekannt geblieben und könne daher auf sie nicht angewendet werden. Deshalb könne die in der jüngeren Verfügung enthaltene Moderation gegenüber den älteren Anordnungen die neuen Befehle nicht rechtfertigen. Die Verordnung bleibe eine unbefugte und übermäßige Beschränkung des Privateigentums. Durch die im Bericht angeführten Gründe, dass die Dreifelderwirtschaft uralt und die Abschaffung der Brache nebst Einführung der Stallfütterung nach Lage der Landschaft untunlich sei, könnten die gravierende Verfügung mit der darin enthaltenen enormen Beschränkung des Privateigentums ebenfalls nicht begründen. Diese außerordentlich gründliche Auseinandersetzung mit den Problemen polizeilicher Eingriffe in das Privateigentum kann sich mit den theoretischen Überlegungen des Rates von Seyd durchaus messen.

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Gegen die Verfügung, dass jeder Gutsbesitzer bei Strafe von 5 fl. Wicken nur mit landesherrlicher Erlaubnis anbauen dürfe, seien in der Beschwerdeschrift viele Argumente angeführt worden, die im Bericht nicht widerlegt würden. Stattdessen würden Dinge vorgebracht, die das Wesentliche der Beschwerde nicht träfen. Was tue es zur Sache, dass die Verfügung die Gemeinde nicht als Gemeinde, sondern nur deren begüterte Mitglieder angehe? Verliere dadurch die Beschwerde inhaltlich an Stärke? Habe man nicht seitens der Appellanten im Namen sämtlicher begüterter Gemeindemitglieder als in einer Sache, die den einen wie den anderen angehe, namens der Gemeinde bei der Regentin gegen die Rentkammer Beschwerde geführt und nach Ausbleiben der Remedur ans Kammergericht appelliert? Ein schwacher Punkt der appellantischen Position war es, dass nicht die betroffenen Privateigentümer geklagt hatten, sondern die ganze Gemeinde. Dem versuchte ihr Anwalt mit einer rhetorischen Frage zu begegnen: Betreffe die Beschwerde nicht sowohl eine Beschränkung des Eigentums der Gemeindegüter als solche als auch des Eigentums eines jeglichen begüterten Mitgliedes insbesondere? Auch wenn im Marburger Vergleich nur von der freien Verwaltung der Gemeindegüter und anderen Gerechtsamen der Gemeinde gesprochen werde, so mindere dies die Argumentation gegen die unerlaubten und gesetzlosen Beschränkungen des Privateigentums eines jeglichen begüterten Mitglieds in keiner Weise. Aus den im Bericht angeführten Beispielen, etwa der Genehmigung für die Umwandlung von Privatgrundstücken, könne nur gefolgert werden, dass einzelne darum nachgesucht hätten. Freienseen habe niemals eine willkürliche, absolute, freie und unabhängige Verwaltung und Nutzung der Privatgüter zum Schaden und Nachteil der herrschaftlichen Gerechtsame behauptet und darauf die Beschwerde gegründet. Diese Beispiele bewiesen im Gegenteil, dass Freienseen die freie Verwaltung und Nutzung nicht missbrauche oder gar ihre Verwaltung einer auf echten Grundsätzen gebauten landesherrlichen Oberaufsicht und Polizei gänzlich zu entziehen trachte. Auch das Regierungsprotokoll über die Klage einiger Freienseener gegen das Gemeindeverbot des Geissenaustreibens beweise lediglich, dass der Herrschaft unstreitig die höhere Gerichtsbarkeit zustehe, sie also auch bei Zwistigkeiten in der Gemeinde über deren Ge- und Verbote zu befinden habe. Das zweite Hauptgravamen betreffe die völlig neue Forderung des Zehnten von den mit Wicken und anderen grünen Futterkräutern besamten Brachfeldern. Diese Forderung wolle Laubach ohne rechtliches Gehör bloß de facto durchsetzen. Ob die Herrschaft nach der Zehntordnung von allen Gattungen von Früchten ohne Ausnahme den Zehnten fordern dürfe, sei gegenwärtig unerheblich, weil das Herkommen und der Besitzstand die Sache ausmachten. Aus einem solchen Besitzstand dürfe niemand ohne rechtliches Gehör und richterlichen Entscheid rein faktisch verdrängt werden. Im Bericht werde selbst zugegeben,

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dass die seit einigen Jahren in den Brachfeldern gezogenen Wicken und anderen Futterkräuter bislang nicht gezehntet worden seien. Ebenso gestehe der Bericht zu, dass ein Herkommen, Vergleich oder Verjährung eine Befreiung vom Zehnten von dieser oder jener Art von Früchten bewirkten oder nach sich ziehen könnten. Darauf bezögen sich die Appellanten und hofften, dass dies bei der Rechtsverfolgung am zuständigen Gericht ausreiche. Warum solle ihnen das rechtliche Gehör versagt und ihre hergebrachte Zehntfreiheit von den Wicken und anderen Futterkräutern verweigert werden, da sie den Fruchtzenten und außerdem den hergebrachten Zehnten von Flachs, Kartoffeln und anderen Hülsenfrüchten willig entrichteten? Weil die Futterkräuter ohnehin nicht auf einmal, sondern nur nach und nach stückweise gebraucht und geschnitten würden, ließen sie sich sowieso nur schlecht auf einmal ausmessen und schätzen. Dass einige Güterbesitzer sich der neuen Verfügung unterworfen und den Zehnten entrichtet hätten, besage ebensowenig wie die an die Zehnterheber ergangene Erklärung, weil es sich von selbst verstehe, dass dies unter dem Vorbehalt des Kameralprozesses stehe und die Erklärung nicht von allen Gemeindemitgliedern abgegeben worden sei. Die Appellanten baten daher darum, den Appellationsprozess anzunehmen. und die Frist zur Erfüllung der Formalien auf zwei bis drei Monate festzusetzen. Am 12. Januar dekretierte das Gericht, dass auf Bericht und Gegenbericht der Appellationsprozess angenommen werde, jedoch bezüglich der Zehntschuldigkeit der in der Brache angebauten Kräuter ohne Verbot weiterer Tathandlungen39. Der Rentkammer wäre es demnach trotz des Appellationsprozesses nicht verboten, die Futterkräuter zu verzehnten. Die erbetene Frist wurde auf zwei Monate festgesetzt40. Jedoch schon zwei Tage später korrigierte das Gericht am 14. Januar diesen Beschluss und hob gewissermaßen die Einschränkung für die Zehntschuldigkeit insofern auf, als es dieses Mal auf Bericht und Gegenbericht Ladung, Verbot weiterer Tathandlungen und Zwangsandrohung zur Aktenherausgabe also alle bei der Eröffnung eines Appellationsprozesses üblichen Anordnungen erließ41. Dieses am 29. Januar 1789 der Regentin wie der Rentkammer zugestellte Dekret des Kammergerichts löste in Laubach eine gewisse Hektik aus. Die Aufforderung, die Vorakten einzusenden, schuf der solms-laubachischen Regierung deshalb Verdruss, weil Entscheidungsgründe nicht aufgestellt worden seien, wie Regierungsrat von Seyd in einer Aktennotiz bekannte. Die Verfügung vom 6. Juni 1787 sei ihm bekanntlich vor der Verkündung 39 40 41

Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten.HSt HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2587. Gräfl Archiv Laubach C 177 Nr. 1, Judicialakten.

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nicht zur Abgabe eines Votums zugestellt worden. Seine Bereitschaft, gleichwohl einen Bericht zu entwerfen, den die anderen Regierungsräte gegenzeichnen sollten, entfiel, nachdem am 13. Februar 1789 ein Schreiben des solms-laubachischen Prokurators Hofmann aus Wetzlar eingegangen war. Die Räte von Lehennern, von Franc und Richard Wildt hatten am 4. Februar 1789 an Dr. Hofmann in Wetzlar geschrieben, dass sie die Übersendung der Aktenabschriften nebst den Entscheidungsgründen für überflüssig hielten, weil die Aktenstücke bereits in den Extrajudicialverhandlungen und die Gründe im Bericht vorkämen. Zudem hatten sie den Prokurator aufgefordert, bei der Vollmacht der Appellanten festzustellen, ob die Appellanten sich unerlaubterweise des vermeintlichen Gemeindesiegels bedient hätten. Dann könne man dies vielleicht dazu benutzen, um wegen eines offenbaren und vorsätzlichen Attentats Zurückweisung oder Kassation zu erwirken. Die gräflichen Regierungsräte wollten also versuchen, die Schwächen der solms-laubachischen Position durch einen Angriff auf einen eventuellen Formfehler der Appellanten bei der Vollmachtsurkunde zu überspielen. Ähnliches habe man schon bei der Laubacher Regierung versucht, was jedoch leider dadurch verhindert worden sei, dass der Kanzleidiener die Urkunde kassiert gehabt habe. Am 10. Februar 1789 erörterte Dr. Hofmann die Laubacher Argumente. Wenn alle verhandelten Akten bereits in den Extrajudicialakten des Kammergerichts und die Entscheidungsgründe im Bericht enthalten seien, sei wahrscheinlich eine neuere Edition nicht nötig. Es könnte dann genügen, solche Umstände in einem mündlichen Rezess zu Protokoll zu geben. Sollte allerdings die Sache vorher in Laubach in ordentlicher Prozessform verhandelt worden sein, so sei es schicklicher, wie der Herr Prokurator seine Mandanten diplomatisch belehrte, die Vorakten in chronologischer Form zusammengeschrieben zu edieren. Wenn man auch keine anderen als die im Bericht erwähnten Entscheidungsgründe edieren könne, auf die hin der Appellationsprozess angenommen worden sei, so ergebe sich die Vermutung, dass in diesem Punkt einmal eine Verbesserung erfolgen werde. Sodann wies der erfahrene Wetzlarer Anwalt seine Mandanten wieder auf ein ganz pragmatisches Argument für die Aktenedierung hin. Man solle es den prozesslustigen Freienseenern nicht ersparen, die Akten und Entscheidungsgründe auslösen zu müssen. Die Besiegelung der Vollmacht werde er im Auge behalten. Sei die Sache in Laubach jedoch gar nicht im ordentlichen Prozesswege verhandelt noch förmlich durch ein Urteil entschieden worden, so sei der Freienseener Rekurs bloß eine Extrajudicialappellation, für die nach der Kammergerichtsordnung Teil 3, Titel 37 § 2 keine Inhibition ergehe, so dass die Rentkammer während des Prozesses weiter so verfahren dürfe wie vor Beginn desselben. Die Extrajudicialappellation konnte ausnahmsweise gegen außergerichtliche

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Handlungen der Öffentlichen Hand eingelegt werden42. Diese für SolmsLaubach günstigste Version trug der Prokurator dem Gericht in der Sitzung vom 21. Februar 1789 vor. Seine Mandanten seien nicht im Stande, Vorakten und Entscheidungsgründe zu edieren, weil kein Prozess geführt und mit Urteil beendet worden sei. Daher stellte er den Antrag, diese unstatthafte Extrajudicialappellation zurückzuweisen. Nachdem am 23. Februar 1789 der Freienseener Bürgermeister Johannes Jung in der Laubacher Kanzlei Abschriften der Vorakten erbeten und offenbar erhalten hatte, nahm der Wetzlarer Appellationsprozess seinen Fortgang, indem der Prokurator der Appellanten am 30. März 1789 einen schriftlichen Reproduktionsrezess nebst Zustellung des erkannten Appellationsprozesses einreichte. Das bedeutete, dass Dr. Hofmanns Einwendung gegen die Annahme als normale Appellation nicht akzeptiert worden war. Der gräfliche Prokurator reagierte nach dem Scheitern dieses ersten Entlastungsvorstoßes damit, in der Audienz des Gerichtes am 3. April 1789, dem Wunsch der Laubacher Regierung entsprechend, die Gültigkeit der appellantischen Vollmacht anzuzweifeln, weil diese mit dem nach dem Rezess vom 29. März 1639 nicht erlaubten Gemeindesiegel gesiegelt sei. Wegen des auf eine unstatthafte Vollmacht abgelegten Eides sei die Appellation für desert zu erklären. Wenigstens sei den Appellanten die Einbringung einer verbesserten Vollmacht aufzuerlegen und dieser Unfug zu ahnden. Der Gefahr, dass die Appellation doch noch wegen dieses Fehlers abgewiesen werde, begegnete der Freienseener Prokurator auf der Sitzung vom 20. April 1789 mit dem Hinweis darauf, dass die Gemeinde zum Gebrauch des Siegels durch noch nicht aufgehobene kaiserliche Privilegien bestens befugt sei. Dr. Hofmann bezog sich dagegen nur wieder auf seine Vorträge vom 1. und 3. April des Jahres. Nachdem der Freienseener Anwalt am 6. Mai sich zusätzlich noch darauf berufen hatte, dass der Gemeinde im Frankfurter Konferenzprotokoll vom 17. Juli 1651 der Gebrauch des Siegels erlaubt worden sei, begann eine Auseinandersetzung um die Rechtswirksamkeit des Protokolls der Frankfurter Konferenz, das von Solms-Laubach nie unterzeichnet worden war. Ohne eine Entscheidung des Gerichts in dieser Frage abzuwarten, setzte Solms-Laubach das Verfahren fort, indem es am 1. Juli 1789 eine Exceptionsschrift einreichte, in der die Appellaten noch einmal ausführlich alle Gründe dafür anführten, dass dies eine nichtappellable Polizeisache sei. Einen wohlerworbenen Besitzstand könnten die Appellanten nicht geltend machen. Die Herrschaft habe auch in der Freienseener Gemarkung nach dem überreichten Auszug aus dem Erbbuch von 1553 sowie den neusten Schäferinstruktionen 42

Tilman Seeger, Die Extrajudicialappellation. Q.F.H.G. Bd. 25, 1992.

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von 1741, 1757, 1758 unter Ziffer 9 sehr wohl ein Mithütungsrecht. Freienseens Prokurator bat am 6. Juli 1789 für seine Replik um Bewilligung der gesetzlichen Frist. Dies schlug das Gericht am 17. Juli 1790 ab und erklärte die Sache von Amts wegen für angenommen. Am 24. September 1790 trug Dr. Wickh jedoch für seine Bitte um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist gute Argumente dafür vor, dass kein vorsätzlicher Verzug und Hinhaltung der Sache eingetreten und daher die Wiedereinsetzung gerechtfertigt sei, zumal das Gesuch nach dem Gemeinen Bescheid43 vom 10. März 1786 noch binnen der darin vorgeschriebenen Zeit eingereicht worden sei und die Appellanten die dadurch entstandenen Kosten erstatten wollten. Zusammen mit diesem Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand überreichte Dr. Wickh seine Replik zusammen mit zwei Zeugenaussagen, dass herrschaftliche Schäfer in Freienseener Gemarkung niemals Schafe der Grafen geweidet hätten. Sie sollten der Widerlegung des eingereichten Erbbuchs von 1553 und der Schäferinstruktionen dienen. Die Schriftstücke seien zudem nicht beweiskräftig, weil sie nur in abschriftlichen Auszügen vorgelegt worden seien. Dieser appellantischen Replik auf die Exceptionen der Beklagten wollten diese am 8. April 1791 eine Duplik folgen lassen44, in der zur Information des zukünftigen Referenten aufgeführt wurde, in welchen deutschen Ländern man vor kurzem solchen entstandenen Neuerungen der Landeskultur mit Regulationen begegnet sei. In den kursächsischen Landen habe man die Untertanen zunächst sogar durch Prämien zum Anbau von Futterkräutern ermuntert. Einige Untertanen hätten daraufhin gemeint, damit ihre Ländereien uneingeschränkt gebrauchen zu können, wobei hergebrachte Gerechtsame gelitten hätten. Hin und wieder hätten Gemeinden unter sich sowie Untertanen gegen ihre Grundherren kostspielige Streitigkeiten angefangen. Deshalb sei am 4. Juli 1785 an die Kreis- und Amtshauptleute ein kurfürstliches Reskript zur näheren Erkundung und Abhilfe ergangen, um das Verhältnis und die Maßstäbe zu bestimmen im Hinblick auf die Sömmerung bei Sömmerungsstreitigkeiten, wenn das Herrschaftsrecht nicht genau genug durch unstreitiges Herkommen oder andere Gründe bestimmt sei. Der Prokurator berief sich dafür auf eine Spezialabhandlung zu dieser Problematik: Karl Gottlieb Rössigs ökonomisch-physikalisch-chemische Abhandlung über den spanischen Klee, Leipzig 1788. Es handelt sich also um eine allgemeine Er43

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Gemeine Bescheide waren Beschlüsse des gesamten Gerichts zu Verfahrensfragen, die nicht nur für die gerade betroffenen Verfahrensbeteiligten verbindlich waren, sondern für alle galten. Der zitierte Bescheid verbot nach einem Präklusionsurteil weitere Handlungen oder gar Fristverlängerungen. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten.

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scheinung dieser Zeit, die deshalb einer monographischen Behandlung gewürdigt wurde. In den sachsen-coburgischen Landen sei am 23. Juni 1788 eine Verordnung ergangen wegen der Schafhut und des Klee- und Futterkräuteranbaus nach ähnlichen Ereignissen. Wahr sei, dass etliche Millionen in Deutschland jetzt mehr als in den Vorzeiten die nahrhafte Kartoffelfrucht größtenteils in den Brachfeldern ziehe, deren Bezehntung bis zum Kammergericht gebracht worden sei, wo man sie ebenso wie die anderen Feldfrüchte behandelt habe. Die gegen die gräfliche Mithütung in Freienseener Gemarkung angeführten Zeugenaussagen bewiesen nur, dass die Zeugen dort keine solms-laubachischen Schäfer gesehen hätten. Daraus folge nicht, dass sie nicht wirklich dort gehütet hätten oder gar, dass ein solches instruktionswidriges Verhalten der Herrschaft schaden könne. Das Verfahren war noch nicht abgeschlossen, als das Reichskammergericht nach dem Ende des Alten Reichs seine Tätigkeit beenden musste. Die Grafschaft Solms-Laubach verlor ihre Selbständigkeit und wurde 1806 Bestandteil des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Der neue Landesherr verfügte, dass Parteien von Reichskammergerichtsprozessen, die noch nicht abgeschlossen waren, die Akten an das Oberappellationsgericht Darmstadt überstellen lassen könnten, wenn sie den Prozess beenden lassen wollten. So geschah es auch am 8./16. Dezember 1807 mit diesem Prozess45. Bevor das Verfahren weitergeführt werden konnte, klärte das Gericht die Vertretungsbefugnis. Am 30. März 1808 verlangte es von der Gemeinde Freienseen, sie müsse in einer notariellen Urkunde nachweisen, dass zwei Drittel ihrer Mitglieder der Vollmachterteilung zugestimmt hätten. Am 7. Dezember 1808 beurkundete der Giessener Notar Lampus, dass von den geladenen 221 Mitgliedern der Gemeinde nur fünf wegen auswärtiger Geschäfte oder wegen Unpässlichkeit nicht hätten erscheinen können. Ihre Unterschriften unter der Vollmacht wurden jedoch von anderen anerkannt. Damit hätten mehr als zwei Drittel der Gemeindemitglieder die Vollmacht unterzeichnet. Diese notarielle Vollmacht reichte der Anwalt der Gemeinde am 12. Dezember 1808 bei der Schreibstube des Oberappellationsgerichts zu den Akten. Weitere Prozesshandlungen weist die Akte nicht auf. Da der Fall 1806 noch nicht entschieden war, wissen wir nicht, welche Position das Reichskammergericht in dem Widerstreit zwischen dem Privateigentum und polizeirechtlichen Eingriffen bezogen hätte. Aber auch das Urteil des Hessen-Darmstädtischen Oberappellationsgerichts ist nicht bekannt, weil sowohl die zur Urteilsfindung führenden Relationen der Senatsmitglieder als auch das Urteil selbst fehlen.

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Im Jahr 1789 kam ein anderer Streit innerhalb der Gemeinde wieder hoch, der sich im Jahr 1772 abgespielt hatte46. Damals hatte sich die Gemeinde dagegen ausgesprochen, am Kirchhof das Totentor dort zu errichten, wo der damalige Baumeister Johann Henrich Jost es hatte bauen wollen. Die Bürgermeister und Gemeindevorsteher hatten ihn daraufhin bei der Regierungskanzlei verklagt. Die Räte von Franc und Wegelin hatten in Freienseen einen Augenschein durchgeführt, bei dem man festgestellt habe, dass der Platz, den Baumeister Jost für das Totentor vorgesehen gehabt hatte, ein sumpfiges Wasserloch gewesen sei. Die anwesende Gemeinde habe sich daher gegen diese Stelle ausgesprochen. Baumeister Jost war über diese Entscheidung offenbar so verärgert, dass er von seinem Amt zurückgetreten war und sich halsstarrig geweigert hatte, das Baumeisteramt weiter wahrzunehmen. Das war allerdings unzulässig, weshalb er von den Bürgermeistern mehrfach aufgefordert worden sei, seine Pflichten zu erfüllen. Wegen seiner wiederholten Weigerung hätten die Bürgermeister ihn zu neun Kreuzern Strafe verurteilt, für die ihm acht Stück Garn abgepfändet worden seien. Lange sei die Sache ruhig geblieben, bis 1789 Jost in Laubach auf Restitution des im Jahr 1772 gepfändeten Garns geklagt habe. Die Laubacher Regierungskanzlei habe die Gemeinde am 11. Juni 1789 zur Rückerstattung verurteilt. Gegen dieses Urteil habe die Gemeinde stehenden Fusses an das Reichskammergericht appelliert. Um die Appellation durchführen zu können, hätten sie am 15. Juni 1789 bei der Laubacher Kanzlei schriftlich um Herausgabe der Akten insbesondere des Augenscheinsprotokolls von 1772 ersucht. Regierungsrat von Franc habe diese Eingabe auch abgenommen und versichert, sie zu den Akten zu legen. Wegen der Aktenabschriften hätten sie sich acht Tage später wieder melden sollen. Über die Annnahme der schriftlichen Appellationsinterposition hätten sie jedoch trotz mehrfachen Ersuchens keinen Protokollextrakt bekommen können. Am 18. Juni seien die vier Gemeindemänner nach Laubach auf die Regierung zitiert worden. Als sie die Rückgabe des Garns, zu der sie am 11. Juni verurteilt worden waren, wegen der Rechtshängigkeit beim Kammergericht abgelehnt hätten, seien sie sofort inhaftiert worden. Noch am Vortag der Abreise von Deputierten der Gemeinde nach Wetzlar seien sie in Haft gewesen. Dies ergab die notarielle Beurkundung der Vernehmung der beiden Deputierten, die am 19. Juni 1789 dem Kammergericht überreicht wurde47. Am folgenden Tag erließ das Gericht eine Ladung nebst Verbot weiterer Eingriffe und Zwangsandrohung wegen Herausgabe der Vorakten wegen des Straf- und Pfändungsrechts der Ge-

46 47

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 18. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 7.

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meinde Freienseen48. Am 23. August 1791 stellte der Kammerbote diese Ladung dem Freienseener Syndicus Krug in Giessen und am selben Tag dem Regierungskanzleidirektor und Rat von Franc in Laubach sowie am 24. August 1791 dem Johann Henrich Jost in Freienseen zu. Zur Fortsetzung des Verfahrens reichte die Gemeinde dem Gericht am 21. Oktober 1791 nicht nur die zugestellte Ladung ein, sondern auch die notarielle Beurkundung von Aussagen über das vergeblichen Ersuchen um Erteilung eines Protokollextrakts über den Augenschein vom 12. August 178949. Die Gemeinde hatte den Notar gebeten, in Laubach die Herausgabe zu erwirken. Regierungsrat von Franc habe jedoch die Annahme des Requisitonsersuchens verweigert. Er bemerkte dabei, dass man einem Kammerboten alles abnehmen müsse, einem Notar dagegen ebensowenig wie der hessen-darmstädtischen Regierung. Nur mündlich durfte der Notar sein Anliegen vortragen. Rat von Franc gestand lediglich zu, dass damals ein Augenschein genommen worden sei. Weitere Angaben verweigerte er mit der Bemerkung, wenn er früher den Notaren aus Gutmütigkeit etwas gesagt oder ihnen geantwortet habe, so hätten diese sofort schädlichen Gebrauch davon gemacht. Das wolle er deshalb jetzt nicht mehr tun. Trotz des Hinweises, dass das Reichskammergericht die fürstlichen Stände ermahnt habe, die Notare nicht in ihrem Amt zu hindern, beharrte Regierungsrat von Franc auf seiner Weigerung. Am selben Tag verfertigte ein Notar ein Instrument mit den Aussagen von fünf Zeugen über die Vorgänge von 177250. Dieses Material wurde ergänzt um Notariatsinstrumente vom 12. August 178951 und 17. August 178952 mit Aussagen darüber, dass die Freienseener Bürgermeister auch schon vorher andere ungehorsame Gemeindemitglieder bestraft hätten. Hinzu kam eine Aussage vom 5. Februar 1790, dass die beiden Bürgermeister und der Gemeindeschreiber wegen der ihnen auferlegten Strafe von 20 Reichstalern am 16. Januar 1790 ausgepfändet worden seien, obwohl sie gegen das Strafurteil bereits appelliert gehabt hätten53. Am 12. Juli 1791 entschied das Kammergericht, dass man es auf Bericht und Gegenbericht bei dem Bescheid, von dem appelliert wurde, bewenden lasse, mit dem wegen des eigenmächtigen Verfahrens den Bürgermeistern eine Strafe auferlegt worden war54. Damit bestätigte Wetzlar den Beschluss der 48 49 50 51 52 53 54

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 3. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 18. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 19. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 18, 19, 21. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 22. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578, Qu. 31. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2578. Qu. 40.

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Rentkammer wegen Herausgabe der acht Stück Garn. Bezüglich der auch im Streit befindlichen Strafbefugnis der Gemeinde Freienseen verwies das Kammergericht auf das am selben Tag in Sachen der ersten Appellation ergangene Dekret. Dieses ist jedoch bedauerlicherweise in den Akten nicht erhalten. Daher wissen wir nicht, ob für das Reichskammergericht zur Selbstverwaltung Freienseens auch das Recht gehörte, Gemeindemitglieder mit Strafen zum Gehorsam zu zwingen. Die Anerkennung der Verurteilung zur Rückgabe des strafweise gepfändeten Garns lässt allerdings vermuten, dass man in Wetzlar die Selbstverwaltung nicht so weit legitimieren wollte. Der ältere Prozess wegen der Zulässigkeit forst- und jagdpolizeilicher Beschränkungen der Waldnutzung war noch nicht abgeschlossen, als die Rentkammer am 5. Juni 1790 Johannes Immelt IV. wegen stetigen Holzfahrens während des Waldverbots in der Setzzeit, das bereits am 22. Mai im Amt Laubach, also auch in Freienseen angeordnet worden sei, zu einer ermäßigten Strafe von 15 Reichstalern verurteilte55. Immelt hatte sich in erster Linie damit entschuldigt, dass er von dem Waldverbot nichts gewusst habe. Vor allem aber sei ihm von seinen Vorfahren her bekannt, dass man in Freienseen nach eigenem Gutdünken in den Gemeindewald fahren dürfe. Dem hielten die Rentkammerräte entgegen, dass jeder Untertan wegen Übertretung herrschaftlicher Verbote bestraft werden könne, unabhängig davon, ob er an der Publikation der Verbote teilnehme oder nicht. Seine Meinung, ein Freienseener Gemeindemitglied dürfe jederzeit in die Gemeindewaldungen fahren, sei absolut irrig und laufe dem Ansehen und den Gerechtsamen der Herrschaft zuwider. Diese unstatthaften Entschuldigungen, wurde drohend angefügt, hätten nur noch dieses Mal zu einer Reduzierung der eigentlich verdienten härteren Strafe geführt. Gegen dieses Strafurteil wollten zwei Deputierte der Gemeinde am 12. Juni eine Anzeige und eine Appellationsinterposition in der Rentkammer überreichen, die ihnen die Rentkammerräte jedoch zurückgaben56. Die Eingabe sei zuerst dem Rat von Franc übergeben worden, der sie dem Hofmarschall von Lehennen weitergereicht habe. Der ebenfalls anwesende Regierungsrat von Seyd habe die Schrift kurz angesehen und dann bemerkt, dass dies nur den Immelt IV., nicht aber die Gemeinde angehe. Wenn Immelt etwas dagegen habe, so solle er sich melden. Durch dieses Vorgehen solle ihnen die für das Kammergericht notwendige Bescheinigung über die Appellationseinlegung vorenthalten werden. Als Ersatz ließ die Gemeinde die Aussage der beiden Deputierten über den Vorgang notariell beurkunden. 55

56

HStA Darmstadt G 23 Nr. 2580 Lit. C = Gräfl. Archiv Laubach, C 188 Nr. 2, Lit. C. HStA Darmstadt G 23 Nr. 2580 Lit. C.

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Am 24. September 1790 kamen die Freienseener beim Reichskammergericht um Verlängerung der Frist zur Erfüllung der formellen Voraussetzungen ein, weil sie von der Rentkammer daran gehindert worden seien, ordnungsgemäß vorzugehen57. Mit Spruch vom 5. Juni sei zwar nur Johannes Immelt IV. zu einer Strafe verurteilt worden. Der Beschluss betreffe aber die ganze Gemeinde. Deshalb hätten sie am 12. desselben Monats eine von Bürgermeistern und Vorstehern unterschriebene Anzeige und eine Appellationsinterposition einzureichen versucht und darüber ein Dokument erbeten. Diese Anzeige hätten die Herren Räte nicht angenommen. Ihr Anwalt habe daher über diesen Vorgang eine Aussage der beiden Deputierten vor einem Notar und Zeugen protokollieren lassen müssen. Aus diesem Grund habe ihr Advokat auch das Beschwerdelibell nicht rechtzeitig fertigen können, zumal es über denselben Gegenstand schon einen älteren Prozess geben solle, dessen Akten jedoch zurzeit unauffindbar seien. Am selben Tag gewährte das Gericht die erbetene Frist von zwei Monaten. Aber noch am 22. November 1790 musste der Anwalt der Freienseener beklagen, dass die Suche nach der Akte bisher vergeblich gewesen sei. Doch wolle er nun, auch ohne dass er diese Akte habe einsehen können, das Beschwerdelibell anfertigen, wofür er jedoch weitere zwei Monate benötige, was das Gericht am 20. November zugestand58. Am 18. Februar 1791 hatte sich die Situation insofern geändert, als der Freienseener Advokat die Akte von 1738 nun endlich habe einsehen können. Allerdings habe er sich von seinen Mandaten einige Umstände näher erläutern lassen müssen. Schließlich habe er ein erst vorgestern beim hessischen Amt Grünberg abgehaltenes Zeugenverhör bekommen. Deshalb brauche er eine weitere Nachfrist von 14 Tagen. Am 12. März 1791 ging schließlich das Beschwerdelibell ein59. Wegen der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zwischen der Gemeinde Freienseen und ihrer Landesherrschaft Solms-Laubach vor dem Reichskammergericht in großer Menge verhandelten Akten und darin vorkommender Mandate und rechtskräftiger Judikate verwies der Anwalt auf die Druckschrift von 1725 mit dem Titel Abdruck kayserlicher privilegiorum ...., insbesondere auf das Haupturteil primi mandati de restituendo vom 22. Juni 158260. Diese Gerichtsentscheide bestätigten, dass die Gemeinde Freienseen neben anderen Rechten seit Jahrhunderten den unvordenklichen Besitz einer freien Administration und Nutzung ihrer ansehnlichen Gemarkung und der dort gelegenen Gemeindeplätze, Gemeindegüter und Gemeindewaldungen hergebracht hätten. 57 58 59 60

Wie Anm. 55, Lit. A. Gräfl. Archiv Laubach, C 188 Nr. 2. Wie Anm. 56. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Nr. 1, 2.

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In allen genannten Waldungen hätten sie von jeher ohne herrschaftliche Beeinträchtigung frei schalten und walten dürfen, wozu auch der unbegrenzte Gebrauch zum Holzmachen und Weiden gehöre. Dazu hätten sie immer freien Zugang zu diesen Wäldern gehabt. In neuerer Zeit allerdings, besonders in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts, habe die Landesherrschaft versucht, die Freienseener in ihrem Besitzstand der unbeschränkten Administration zu beschränken und das für die herrschaftlichen Wälder wegen der Hege- und Setzzeit eingeführte, herkömmliche Waldverbot auch auf die Gemeindewaldungen auszudehnen. Dessen ungeachtet hätten die Freienseener ihren Besitzstand weiter ungehindert fortgesetzt. Wegen der zahlreichen Kränkungen ihrer Rechte hätten sie immer wieder bei der hessen-darmstädtischen Regierung zu Giessen wegen des Hessen-Darmstadt zustehenden Erbschutzes um Hilfe nachgesucht und sie erhalten. Darüber sei es zu prozessualen Weitläufigkeiten gekommen, weil die solms-laubachische Herrschaft über diese schutzherrlichen Eingriffe äußerst aufgebracht gewesen sei. Am Ende des Jahres 1737 habe das Kammergericht gegen die Regierung in Giessen ein mandatum de non amplius violando territorium neque ullo modo immiscendo se jurisdictionibus juribusque territorialibus vel causis politiae s. cl. und gegen die Gemeinde Freienseen ein mandatum de in posterum abstinendo ab omne recursu ad alienum dominum precipuae in causis mere jurisdictionibus ac a superioritate territoriali iureque episcopali et forestali dependentibus s.cl. erlassen. In der gegen Freienseen gerichteten Supplik pro mandato de abstinendo ab omne recursu ad alienum dominum sei unter V. schon angeführt worden, dass die Freienseener dem landesherrlichen Forstrecht und Jagdregal zu widerstreben trachteten und keine Heg- und Setzzeiten beachten wollten. Damit habe die Landesherrschaft das Waldverbot schon 1737 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Die Freienseener hätten sich darauf berufen, dass sie nur das getan hätten, wozu sie befugt seien und was ihnen niemals verboten worden sei, so dass sie deshalb einen unvordenklichen Besitzstand der unbeschränkten Administration ihrer Waldungen besäßen. Trotzdem habe die Landesherrschaft bald nach dem ausgebrachten Mandat noch 1738 erneut versucht, die begonnene Neuerung mit dem Waldverbot sogar mit Gefangennahme des Johann Henrich Dickel während der Rechtshängigkeit durchzusetzen. Dagegen habe sich Freienseen wieder nach Giessen gewandt und zwei Ermahnungsschreiben erwirkt. Auch diese Vorgänge habe die Landesherrschaft vor das Reichskammergericht gebracht und deshalb – nachdem sie schon am 5. September 1738 wegen anderer Punkte eine Supplik pro citatione ad videndum se incidisse in poenam judicialiter hatte einbringen lassen – unter dem 5. November eine Anzeige und Bitte pro extensione citatione übergeben. Damit habe Solms-Laubach die selbst erwählte kammergerichtliche Rechtshängigkeit in diesem Punkt sogar noch fester etabliert. Daraus

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folge, dass die Gemeinde im Besitzstand ihrer unbeschränkten Verwaltung der Gemeindewaldungen geblieben sei. Dem entspreche auch die vom hessen-darmstädtischen Amt Grünberg durchgeführte Zeugenvernehmung. Daher befremde es Bürgermeister und Gemeinde sehr, dass am 5. Juni vorigen Jahres Johannes Immelt IV. wegen Verstoßes gegen das Waldverbot bestraft worden sei, und man damit neuerdings wieder versuche, das schon früher angestrebte Waldverbot während der Rechtshängigkeit eigenmächtig durchzusetzen. Gegen den Beschluss vom 5. Juni habe die Gemeinde zu appellieren versucht. Ihre Hauptbeschwerde richte sich dagegen, dass sie in ihrem in einer uralten res judicata sich gründenden unvordenklichen Besitzstand durch ein neues Waldverbot und Strafansatz beeinträchtigt würden. Da die Sache noch rechtshängig sei, dürfe der Landesherr nichts Neues einführen. Vor einigen Jahren habe das Reichskammergericht den Freienseenern die ihnen zustehende freie Administration aus Anlass der Rodung von Wacholdersträuchern und der Aufforstung mit Eichen mittels anerkannten Appellationsprozesses gerecht geschützt. Daher sei der Strafansatz wieder aufzuheben. Am 12. Juli 1791 verband das Kammergericht die Sache mit dem Prozess Solms-Laubach contra Freyenseen mandati de inposterum abstinendo ab omni recursu ad alienum dominum. Am 29. August 1791 überreichte der solms-laubachische Anwalt zu diesem Verfahren die Entscheide des Kammergerichts vom 22. Juni 158261. 1597 August 2962 und 1738 Januar 863 sowie eine Aussage des Jägers Pfeifer von Freienseen vom 25.Oktober 173764, der bekundete, dass die Freienseener schon seit einigen Jahren in ihren Waldungen die Setz- und Hegezeit nicht geachtet hätten, weil sie es niemals getan hätten. Auch das Waldverbot während der Hirschbrunft hielten sie nicht ein, weil es nach ihrer Meinung gegen ihre Berechtigung verstoße. Nachdem somit der Freienseener Anwalt alle notwendigen Vorlagen reproduziert hatte, fragte Prokurator Dr. Hofmann die Laubacher Regierungskanzlei am 2. September 1791, ob er darauf binnen der gesetzlichen Frist von drei Monaten speziell eingehen oder allem nur generell widersprechen und sich auf das in der Hauptsache schon Vorgetragene beziehen solle. Die Laubacher Regierungsräte von Lehennen und von Seyd hielten es am 16. September für ausreichend, generell zu widersprechen und sich auf die Vorakte zu beziehen.

61 62 63 64

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Nr. 1 (fol. 599–602). HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Nr. 2 (fol. 603–616). HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Nr. 3 (fol. 617–618). HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Nr. 13 (fol. 617–618).

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Die mit Forststrafen belegten Johannes Immelt und Johann Conrad Krausch schilderten in einer notariellen Zeugenaussage vom 4. April 1792, wie es dazu gekommen sei, dass sie bestraft wurden65. Johannes Immelt war schon 71 Jahre alt. Er hatte 1791 im Mai während der Setzzeit aus den Freienseener Waldungen Holz geholt, das er daheim habe abladen wollen, als Regierungsrat von Seyd gekommen sei und ihn gefragt habe, woher er das Holz geholt habe. Nach seiner Antwort, es stamme aus dem Gemeindewald, sei Herr von Seyd zum Förster Pfeffer geritten. Vor etwa vier Wochen sei er zum Bussansatz nach Laubach zitiert worden. Da damals schlimmes Wetter geherrscht habe und er alt sei, sei er nicht gekommen. Er habe sich auch nicht vorstellen können, dass er wegen des Holzfahrens aus dem Gemeindewald vor acht Tagen geladen worden sei. Dann habe jedoch der laubachische Förster Bär von ihm das Strafgeld eingefordert. Als er deswegen nach Laubach gegangen sei, habe er dort vom Rentmeister erfahren, dass er beim Waldschluss im Wald gewesen und dafür mit 30 Reichstalern ins Bussregister eingetragen worden sei. Er habe dem Rentmeister vorgetragen, ihm sei unbekannt gewesen, dass auch der Gemeindewald geschlossen werde. Seit seiner Kindheit wisse er nichts davon, dass die Herrschaft dies tun dürfe. Er sei früher immer mit anderen Kindern aus Freienseen zur Setzzeit unter lautem Geschrei im Wald gewesen, ohne dass man ihnen Ein- und Ausgang verwehrt habe. Die Gemeinde habe seit 60 und mehr Jahren keine Setzund Brunftzeit beachtet. Solche Zeiten habe es in der Gemeinde niemals gegeben. Wenn er gehört habe, dass der Wald geschlossen sei, so habe dies nur für die herrschaftlichen Wälder gegolten. Johann Conrad Krausch war 52 Jahre alt. Er war vom gräflichen Büchsenspanner Seid beim Lastholzmachen angetroffen worden. Auf dessen Frage, ob er nicht wisse, dass Waldschluss sei, habe er ihm geantwortet, dass dies nur in herrschaftlichen und Stadt laubachischen nicht aber den Freienseener Wäldern so sei. Nur weil er Seid gute Worte gegeben habe, habe dieser ihm die schon gepfändete Axt wieder zurückgegeben und sei gegangen. Vor etwa drei Wochen sei er wegen dieses Lastholzmachens im September mit dem Busssatz von zwei Reichstalern bestraft worden. Er habe diese Summe nicht gezahlt und gedenke auch nicht, dies zu tun. Dadurch wolle die Herrschaft nur den Waldschluss leicht durchsetzen, was jedoch niemand von der ganzen Gemeinde als üblich anzuerkennen pflege oder sich zu erinnern wisse. Wenn es je geschehen sein sollte, sei solches von der Gemeinde niemals zugegeben noch je gehalten worden. Die Gemeinde habe solche Waldschlusszeiten niemals gehabt und sei jederzeit in ihre Wälder ein- und ausgegangen. Am 24.

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HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Qu. 137. (fol. 657–668).

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September 1792 produzierte der Freienseener Prokurator dieses Notariatsinstrument in Wetzlar. Nachdem Regierungsrat von Seyd diese Unterlagen von Dr. Hofmann aus Wetzlar erhalten hatte, änderte er am 26. September 1792 seine Meinung66. Nunmehr votierte er, dass man Freienseen nicht nur generell widersprechen, sondern auch das Verhalten als ein wiederholtes Attentat gegen das 1738 erkannte Mandat rügen und weiter um ein Urteil bitten solle, dass die Freienseener diesem Mandat gehorchen müssten. Diesem Votum schloss sich auch Herr von Lehennen an. Dr. Hofmann entsprach dieser Bitte am 5. Oktober 1792 und widersprach in der Audienz nicht nur generell dem abermaligen Unfug der Gegenseite, wie er es formulierte, in einer beschlossenen Judicialsache außergerichtlich zu supplizieren, und bat um beschleunigte Erteilung eines schärferen Mandats. Bis zum 29. September 1792 stritten die beiden Prokuratoren in Wetzlar darum, ob der generelle Widerspruch ausreiche oder nicht. Dann ruhte das Verfahren einige Jahre. Auch nach dem Regierungsantritt des jungen Grafen Friedrich Ludwig Christian im Jahre 1797 blieben die Parteien zunächst inaktiv. Erst am 10. März 1800 legitimierte sich Dr. Gombel anstatt des verstorbenen Prokurators der Freienseener als neuer Anwalt und rügte in einem mündlichen Rezess, dass Conrad Krausch 1791 eine Forststrafe auferlegt worden sei, dessen Pfand nach seinem Tod seine Erben am 21. Februar 1800 hätte auslösen müssen67. Am selben Tag berichtete Dr. Hofmann nach Laubach, dass der neue Anwalt der Freienseener eine Menge Prozesse reaktiviert habe darunter auch das Verfahren Freienseen gegen SolmsLaubach mandati de non contraveniendo rei in camerae imperialis judicatae de 1693, an deren Ausarbeitung der Referent gerade im Begriffe sei. Am 27. Mai 1800 überreichten die Freienseener eine gemäßigte Anzeige und Protestation nebst Appellationsinterposition gegen die Rentkammer zu Laubach68. Der Förster habe am 20. Mai der versammelten Gemeinde einen Befehl der Rentkammer bekannt gemacht, dass die Gemeindemitglieder auch ihre eigenen Gemeindewaldungen während der Setz- und Hegezeit bis auf Weiteres bei Strafe weder befahren noch sonst betreten dürften. Dadurch sehe sich die Gemeinde äußerst beschwert, weil einesteils ihr Besitzstand in der freien Administration ihrer Gemeindewaldungen nicht beschränkt oder verpoent werden dürfe, und andernteils schon 1738 und neuerlich 1793 wegen solcher Eingriffe die Sache ans Reichskammergericht gediehen und dort noch anhängig sei. Mithin dürften dagegen keine Attentate unternommen werden. Deswegen protestiere die Gemeinde förmlich gegen dieses verbotene Atten66 67 68

Gräfl. Archiv Laubach C 188 Nr. 2 sub dato. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Qu. 138, 139. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Qu. 140 = Gräfl. Archiv Laubach, C 118 Nr. 2.

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tat. Auch zeigte sie die Appellation gegen den Befehl ans Reichskammergericht an. Dort sei die Sache wegen Identität der Causa noch rechtshängig. Die Gemeindevertreter baten, die Appellation zu Protokoll zu nehmen und ihnen darüber eine Bescheinigung zu erteilen. Im Regierungskollegium votierte Rat von Franc, dem Gemeindevorstand von Freienseen einen Protokollauszug auszuhändigen. Justizrat Meister ergänzte dieses Votum um den Zusatz, dass der Extrakt auf Stempelpapier Nr. 3 auszufertigen oder noch besser nur gegen Barzahlung zu lösen und zu kassieren sei, weil dieses schon bei der Eingabe hätte beachtet werden sollen. Als Graf Friedrich Ludwig Christian am nächsten Tag diese zu normaler bürokratischer Behandlung ratenden Voten las, erregten sie seinen Unwillen, dessen Heftigkeit nur mühsam durch die nüchternen Wendungen der Protokollform verborgen wird. Ihm sei nur zu bekannt, und es werde in der Eingabe zu allem Überfluss auch noch deutlich gesagt, dass der Streit über die Beachtung der Hegezeit bereits seit längerer Zeit am Reichskammergericht rechtshängig sei. Ebenso wisse er, dass die Gemeinde Freienseen, nachdem sich die Herrschaft aus dem Besitz habe drängen lassen, schon öfter mit einer solchen Appellation eine ähnliche Verfügung, die während der Rechtshängigkeit erlassen gewesen sei, zu spät komme. Er sehe deshalb nicht ein, weshalb man der Gemeinde in einer so kleinen Sache einen Protokollextrakt geben solle. Vielmehr halte er es für ratsam, falls die Freienseener wieder kämen, die Eingabe mit einer passenden Bemerkung zurückzugeben. Wie eine solche Bemerkung lauten solle, wage er ohne Voten nicht festzusetzen. Bis hierhin bedeutete die Stellungnahme des Grafen nur, dass er anders als seine Räte die Sache weniger formell behandelt sehen wollte. Doch dann brach sein Unwille unverhüllt durch. Überhaupt wundere er sich über die Votanten, wie sie in einer verwickelten und mit älteren Vorgängen zusammenhängenden Sache glaubten votieren zu können, ohne die Vorakten eingesehen zu haben. Er liebe es nicht, wenn man sich allein auf das Gedächtnis verlasse. So werde eine Regierung des Schlendrians begründet, was zur Vernachlässigung aller Gerechtsame führe. Der Graf wies daher den Regierungsrat von Franc an, alle die Hege- und Setzzeit betreffenden Akten zusammen mit der Eingabe zirkulieren zu lassen und die Frage, was zu beschließen sei, besser begründet vorzubringen. Vielleicht ergebe sich aus den Akten, wie man sich in ähnlichen Fällen verhalten habe. Auch wenn man dies nicht finde, werde man doch beim fleißigen Lesen der Akten wenigstens Anregungen zur Formulierung der Bemerkung finden, mit der die Eingabe zurückzugeben sei. Dies sei, schloss er die Zurechtweisung, nicht nur für den konkreten Fall gedacht, sondern solle in Zukunft der Regierung als Regel dienen. Es würde ihn sehr schmerzen, wenn er aus mehreren ähnlichen Fällen auf eine Gleichgültigkeit seiner Räte für die Wahrung seiner Gerechtsame schließen müsse. Der so hart gerügte Regierungsrat von Franc gab noch am selben Tag zu Proto-

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koll, dass er zur Annahme der Eingabe und wie in zahllosen anderen Fällen zur Übergabe eines Protokollextraktes rate, weil die Freienseener, wenn man ihnen die Eingabe zurückgebe, auf dem bekannten Wege ihre vermeintliche Appellation vor Notar und Zeugen einlegen würden. Dies war, wie der Rat von Franc wissen musste, ein gewagter Widerspruch gegen die Ansicht des Grafen. Da die Annahme der Eingabe jedoch nach der Weisung des Herrn unterbleiben solle, erbat er befohlenermaßen um Übermittlung der einschlägigen Akten. Dem scharfen Tadel des Landesherrn folgte eine nicht minder spürbare Rüge durch den Kollegen, Regierungsrat von Seyd, am 29. Mai 1800. Es verwundere ihn sehr, dass eine Eingabe, die sich gegen die Rentkammerr richte, die doch der Regierung nicht untergeordnet worden sei, von der Regierung angenommen worden sei, zumal Solms-Laubach in dieser Sache ein Kameralmandat für sich habe und der Prozess schon lange in Submission stehe. Auch habe man sich seither von Seiten der Rentkammer fest in seinem Besitzstand zu erhalten gesucht und erst beim letzten Forsttag die Gemeindevorsteher mit fünf Reichstalern Strafe bestraft. Die betreffende Akte folge. Diese von kollegialer Eifersucht wohl nicht freie Auseinandersetzung innerhalb des gräflichen Ratskollegiums wirft kein gutes Licht auf die Regierung der Grafschaft. Trotz der Kleinräumigkeit des Territoriums und der geringen Zahl der Räte mangelte es wohl an der richtigen Kommunikation im Kollegium. Oder die Eifersucht aufeinander behinderte die konstruktive Zusammenarbeit. Angesichts der Ungnade des Landesherrn schaffte es Regierungsrat von Franc noch am selben Tag, die ihm überlassene Akte durchzuarbeiten. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass zwischen 1738 und 1790 wegen des Waldschlusses nichts geschehen sei. Eine solche Verordnung beruhe auf der der Landesherrschaft zustehenden Ober-Forst- und Jagdherrlichkeit, die im Streit mit Freienseen keineswegs am Reichskammergericht anhängig sei. Daher werde es wegen der wegen der Strafe eingegangenen Freienseener Eingabe auf den gnädigsten Befehl des Regenten ankommen, ob sie der Gemeinde schlicht wieder zurückgegeben oder den Petenten bedeutet werden solle, dass die Eingabe eines Beschlusses weder fähig noch würdig sei. Dem stimmte Justizrat Meister zu. Doch damit war der Graf wieder nicht zufrieden. Am 30. Mai 1800 äußerte er, dass es der Regierung nicht zur Ehre gereiche, wenn wirklich in ähnlichen Fällen ein Protokollextrakt bewilligt worden sei und damit seine Gerechtsame beträchtlichen Schaden erlitten hätten. Sarkastisch äußerte er, es sei zu hoffen, dass Herr von Franc dies wieder nur aus dem Gedächtnis geholt habe. Diesem sei es wohl hauptsächlich darum zu tun gewesen, den geäußerten Ausstellungen ein hiesiges Herkommen entgegenzusetzen, um sich damit entschuldigen zu können. Diese Entschuldigung mache jedoch der Klugheit des Rats von

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Franc keine Ehre, womit der Herr seinen Regierungsrat, der schon seiner Mutter treu gedient hatte, persönlich scharf angriff. Der Graf fuhr fort, dass er am 28. Mai habe bewirken wollen, dass der Herr Rat durch einen Blick in die Akten die stille Überzeugung gewinnen werde, im Unrecht zu sein, um dann die Chance wahrzunehmen, in einem wohlabgewogenen Vorschlag den begangenen Fehler verbessern zu können. Das Votum vom 29. Mai, dem Justizrat Meister beigetreten sei, habe diese Erwartungen jedoch nicht erfüllt, sondern solle offenbar nur den ersten Schritt noch einmal rechtfertigen. Auch überlasse der Rat von Franc ihm die Mühe, zu bestimmen, mit welchen Worten die Rückgabe des lächerlichen Appellationszettels vorgenommen werden solle. Dieses eigensinnige Beharren hebe alle Schonung auf, die er ursprünglich habe walten lassen wollen. Nun müsse er sich selbst der ärgerlichen Mühe unterziehen, seinen Räten ihre Fehler auseinanderzusetzen. Der erste und schwerste Fehler sei unstreitig die Annahme der Appellation gegen einen von der Rentkammer erlassenen Befehl gewesen. Rat von Franc arbeite in beiden Kollegien und wisse damit, dass keines dem anderen untergeordnet sei. Er wisse auch, wie viele Prozesse mit Freienseen und anderen Gemeinden gegen die Rentkammer beim Reichskammergericht anhängig seien, die das Jagd- und Forstwesen beträfen. Daher hätte er ohne Weiteres Nachdenken die Schrift zurückgeben und den Ortsvorstand an die Rentkammer verweisen müssen. Dieses Versehen sei so groß, dass man es nur damit entschuldigen könne, man habe die Eingabe nicht gelesen, als man sie den Petenten abgenommen habe. Was von einer solchen Entschuldigung zu halten sei, wenn man von amtswegen zum Lesen verpflichtet gewesen wäre, könne jedermann selbst beurteilen. Der Eingriff in die Kompetenz der Rentkammer verdiene eine nachdrückliche Zurechtweisung und werde zukünftig streng geahndet werden. Neben diesem Kompetenzfehler würden aber auch die Annahme der sogenannten Appellation und die Erteilung eines Protokollextrakts für die Hauptsache selbst Folgen gehabt haben. Unstreitig würde der Sachwalter der Gemeinde die Regierungsresolution als Apostelbrief ansehen, daraus einen Verzicht auf den Besitzstand folgern und damit einem dem Jagdregal sowieso abholden Senat leicht die Möglichkeit geben, beim nächsten Waldschutz ein mandatum attentatorum revocatorium gegen den Grafen zu erkennen. Dass das angeschlagene Mandat dazu zu gebrauchen sei, gebe der neue Freienseener Sachwalter in der zurückzugebenden Eingabe deutlich genug zu erkennen. Schon jetzt nenne er den Waldschlussbefehl ein verbotenes Attentat, weil die Gemeinde sich noch immer im Besitzstand der Administration ihrer Waldungen befinde. Das sei Fingerzeig genug, worauf man hinaus wolle. Es folge ein nicht gehörig durchdachter Beschlussvorschlag, dass die Rückgabe mit folgenden Worten geschehen solle: Sie richte sich gegen eine ganz widersinnige Appellationsinterposition, die die Freienseener gegen einen Rentkammerbefehl ordnungs-

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widrig bei der Regierung eingereicht hätten. Der Rentkammerbefehl habe angeordnet, entprechend dem bisherigen langwährenden Besitzstand der Landesherrschaft auch in den Gemeindewaldungen von Freienseen die Setzund Brunftzeit zu beachten. Daher sei die Eingabe dem Ortsvorsteher zurückzugeben. Unter dieses Zeichen größter Ungnade notierte Rat von Franc noch am selben Tag, dass er sehr niedergeschlagen sei, sich den Unwillen des Grafen zugezogen zu haben. Er hoffe auf Wiederkehr der gnädigsten Gesinnung, da er sich jedenfalls nicht den Vorwurf machen müsse, willentlich gehandelt zu haben. Nunmehr werde er nach gnädigster Vorschrift handeln. Diesem reumütigen Schuldgeständnis des Gemaßregelten fügte sein Konkurrent, der Rat von Seyd, die Bemerkung an, dass es nützlich sei, eine Abschrift der Eingabe zu behalten und zu den Akten zu nehmen. Justizrat Meister bekannte nur lakonisch, diese Vorgänge gesehen zu haben. Noch einmal kam es zu einem kurzen internen Disput zwischen den Räten von Franc und von Seyd69. Auf die Frage des Sekretärs Otto, ob die Bedeutung des Beschlusses dem Freienseener Vorstand in der Regierung oder durch das Sekretariat erklärt werden solle, sprach sich von Franc dafür aus, dass dies die Regierung übernehmen solle. Dabei ließ er offen, ob man warten solle, bis die Betroffenen sich meldeten, oder ob eine Ladung von Amts wegen ergehen solle. Zusätzlich votierte von Seyd, dass es nach seinem Verständnis nicht eine Resolution des Regenten sondern der Regierung sein solle, die folglich nur auf der Rückseite der Eingabe auszufertigen und wie gewöhnlich zu unterschreiben sei. Danach sei die Eingabe zurückzugeben. Sodann erinnerte er daran, dass eine Abschrift zu den Akten zu nehmen sei. Am 6. Juni 1800 erhielten die beiden Gemeindebürgermeister von Freienseen, Johann Conrad Immelt und Johannes Knoß, ihre Eingabe zurück. Am 27. Juni 1800 beantragte der Freienseener Prokurator beim Reichskammergericht, den mit Genehmigung der Regierung ergangenen Befehl der Rentkammer vom 20. März zusammen mit dem am 10. März erbetenen mandatum poenale in Sachen Graf Friedrich Magnus II. in causa principali und in specie die diesseitige ad hanc causam verwiesene Appellation zu behandeln. Am 8. Mai 1801 überreichte der Freienseener Prokurator Quittungen darüber, was die Gemeinde Freienseen durch Auspfändung für Forststrafen habe bezahlen müssen70 und ein am 13. April 1801 auf Betreiben eines Freienseener Gemeindedeputierten in Schotten aufgenommenes Notariatsinstrument mit den Aussagen von Johann Volp und Johann Henrich Volp71, in denen beide bekundeten, dass sie die Forststrafen nicht bezahlt hätten, weil 69 70 71

Gräfl. Archiv Laubach, C 188 Nr. 2, sub dato 1800 Juni 4. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Qu. 141 (1801 Februar 13+23, 1801 März 31). HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2580, Qu. 143.

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noch niemals ein Gemeindemitglied eine solche Strafe an die Herrschaft entrichtet habe. Deswegen seien sie 20 Stunden lang in Arrest genommen worden. Dr. Gombel bat um beschleunigte Urteilsfindung mit dem Hinweis auf Gefahr im Verzuge. Graf Friedrich Ludwig Christian und seine Räte setzten also wieder alle ihnen zur Verfügung stehenden Zwangsmittel ein, um die Gemeinde Freienseen in Sachen Forstpolizei zur Raison zu bringen. Wie sich das Reichskammergericht zu dieser Auseinandersetzung über die Durchsetzung der Forstpolizei in der ganzen Grafschaft gestellt hätte, ist leider nicht bekannt, weil ein Urteil fehlt. Das ist deshalb bedauerlich, weil die Polizei das Zentrum der landesherrlichen Obrigkeit darstellte. Sie war dem Grafen so wichtig, dass er über die richtige juristische Behandlung des Falles die wiedergegebene heftige Auseinandersetzung mit seinen Räten führte. Noch kurz vor dem Herrschaftsantritt des Grafen Friedrich Ludwig Christian hatte die Regentschaft einen Streit über die Vorlage einer Bürgermeistereirechnung vom Zaun gebrochen, der den unbeirrbaren Willen der Landesherrschaft zeigt, ihre Rechte in Freienseen extensiv wahrzunehmen, was ebenso heftigen Widerstand in Freienseen hervorrief72. Bürgermeister Daniel Schreiner hatte über seine Amtsführung des Jahres 1791 Rechnung gelegt. Die beträchtliche Summe von 394 fl., die nach dieser Rechnung in bar hätte vorhanden sein müssen, fehlte in der Kasse. Die Gemeinde begnügte sich mit dem Versprechen Schreiners, diese Summe später zahlen zu wollen, wozu es jedoch nicht mehr kam, weil er in Konkurs fiel. Die Gemeinde verzichtete darauf, ihre Forderung im Konkursverfahren anzumelden, weil sie sich – wie sie angab – nicht in ärgerliche Rangstreitigkeiten verwickeln lassen wollte. Dies rief jedoch die Laubacher Regierungskanzlei auf den Plan, die am 8. Juli 1794 binnen 24 Stunden die Auslieferung von Schreiners Bürgermeistereirechnung bei Vermeidung einer Strafe von 20 Reichstalern verlangte73. Als der jüngere Bürgermeister Caspari dies verweigerte, nahm die Kanzlei ihn in Arrest. Die Gemeinde ließ deshalb durch zwei Deputierte am 10. Juli 1794 in Laubach eine Appellationsinterposition einreichen mit der Bitte um Herausgabe der Akten. In Gegenwart des Hofmarschalls von Lehennen und des Regierungsrats von Seyd soll Regierungsrat von Franc die Eingabe angenommen haben. Kurz darauf habe Regierungsrat von Seyd sie jedoch den beiden Freienseenern zurückgegeben mit der Bemerkung, Laubach nehme solche Appellationen nicht mehr an. Da sie von der Regierungskanzlei konsequenterweise auch keine Bestätigung über die rechtzeitige Appellationseinlegung erhalten konnten, ließen sie am 11. Juli 1794 über den Vorgang ein Notariatsinstrument aufnehmen. Das 72 73

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2591. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2591, Qu. 11. Notariatsinstrument vom 11. Juli 1794.

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Kammergericht forderte am 15. Juli, die Gegenseite zur Stellungnahme binnen sechs Wochen auf74. Die Zustellung dieses Beschlusses habe, wie der Freienseener Prokurator befriedigt feststellte, zumindest die erwünschte Folge gehabt, dass der verhaftete jüngere Bürgermeister Caspari alsbald entlassen worden sei. Am 4. September 1794 supplizierten die Appellanten an das Kammergericht und baten nicht zuletzt um Entlassung des Gefangenen. Nach Eingang von Bericht und Gegenbericht lud das Kammergericht am 20. April 1795 Direktor und Räte der Laubacher Regierungskanzlei als Richter voriger Instanz und jetztige Appellaten nach Wetzlar, womit der Appellationsprozess angenommen worden war75. Die Regentin selbst war nicht Partei. Wie komplex dieser Fall war, beweist die Beschränkung des Aktenherausgabebefehls auf die über die Gemeindeforderung verhandelten Aktenstücke, jedoch unter Ausschließung derjenigen, die allgemein den Schreinerschen Konkurs betrafen76. Der Sachverhalt war in der Tat verwickelt. Nach der Eröffnung des kammergerichtlichen Verfahrens habe die Kanzlei den arrestierten Bürgermeister frei gelassen und darauf verzichtet, die Bürgermeisterrechnung gewaltsam aus seinem Haus heraus holen zu lassen. Insofern habe sich die Klage vom 14. Juli verändert, weil kein mandatum de relaxando mehr nötig sei. Deshalb könne man sich auf die Hauptbeschwer konzentrieren, wie der Anwalt der Appellanten betonte. Die Regierungskanzlei habe in der bei ihr anhängigen Schreinerschen Konkurssache als Richterin voriger Instanz die Vorlegung der Schreinerschen Rechnung in Original verlangt, als die Appellanten den Passivsaldo von 394 fl. eingeklagt hätten. Darauf hätten die Appellanten jedoch die Klage zurückgenommen und auf die Forderung verzichtet. Sie seien daher als aus dem Konkurs herausgetretene Gläubiger anzusehen. Das habe die Kanzlei nicht akzeptieren, sondern sie zur weiteren Fortsetzung des Prozesses gegen ihren Willen nötigen und sie zur Herausgabe der Schreinerschen Rechnung zwingen wollen. Wo gebe es aber Gesetze, die einen Richter ermächtigten, jemanden zum Klagen zu zwingen, fragte der Prokurator rhetorisch? Ebenso dürfe der Richter in einer Konkurssache niemanden zwingen, seine Schuld einzuklagen. Kein Richter dürfe sich in Zivilsachen von Amts wegen zur Justizadministration aufdrängen. Das Kanzleidekret, das nach Verzicht auf die Klage auf Vorlage der Schreinerschen Rechnung beharre, sei daher eine unzulässige Beschwer. Die Laubacher Kanzlei wolle dies nicht anerkennen, weil die Appellanten nur Verwalter der Gemeinde seien, über deren Verhalten der Kanzlei eine obervormundschaftliche Fürsorge zustehe zur Prüfung, ob die Rechte der Gemeinde bestens ge74 75 76

HStA Darmstadt G 233 C Nr. 2591, Qu. 13. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2591, Qu. 2. Zustellung am 1. Mai 1795: Qu. 13. HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2591, Qu. 2+13.

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wahrt würden. Damit hatte die Regierungskanzlei das Zivilprozessverfahren verlassen und die Funktion einer Oberaufsichtsbehörde über die Gemeinde wahrgenommen. Fraglich erscheint jedoch, ob sie diesen Einwand während eines laufenden Zivilverfahrens erheben durfte. Mit ihrem zweiten Einwand kehrte sie auch flugs wieder zum Konkursverfahren zurück. Die Begründung der Gemeinde für den Verzicht auf die weitere Teilnahme am Konkursverfahren, dass sie nicht in ein weitläufiges Prioritätsverfahren verwickelt werden wollten, sei nicht schlüssig. Die Haftung des Verwalters und die dafür auf seinem Vermögen liegende stillschweigende Hypothek seien völlig eindeutig, so dass deswegen keine Prioritätsstreitigkeiten zu befürchten seien. Wegen der fehlenden organisatorischen Trennung der Justiz von der Verwaltung konnten die Betroffenen nicht erkennen, in welcher Funktion dieselben Personen jeweils handelten. Schließlich zog die Kanzlei sogar das Strafrecht heran, indem sie nicht nur den Rechnungsführer Schreiner der falschen Rechnungsführung beschuldigte, sondern auch alle, die davon wussten, in diese Beschuldigung einbezog. Dafür bezog sie sich auf den Marburger Vergleich von 1639 und einen ähnlichen Fall aus dem Jahr 1732. Beide Argumente versuchte der Freienseener Anwalt zu widerlegen. Mit ihrem Verhalten sei die Regierungskanzlei in das so teuer erfochtene, in mehreren Urteilen ratifizierte und im Marburger Vergleich von 1639 bestätigte Recht eingedrungen, dass die Appellanten der Landesherrschaft keine Rechenschaft über Einnahmen und Ausgaben ablegen müssten und die Kanzlei die Rechnungen auch nicht abhören dürfe. Das bedürfe nicht des Beweises, weil es notorisch und auch dem Gericht aus vielen Verhandlungen bekannt sei. Die ganze Gemeinde sei, wie aus einem beigefügten Vernehmungsprotokoll hervorgehe77, mit der Rücknahme der Klage einverstanden gewesen. Der angebliche Präzedenzfall von 1732 sei deshalb nicht einschlägig, weil es dort nicht um die Vorlage der Bürgermeistereirechnung gegangen sei und damals ein Gemeindemitglied die Gemeinde verklagt habe, während jetzt die ganze Gemeinde einmütig zu der Lösung stehe. Der Hauptgrund der Kanzlei für das so auffallende Verfahren sei der strafrechtliche Vorwurf der falschen Rechnungsführung, der jedoch verfehlt sei. Auch wenn bei der Rechnungslegung für das Jahr 1791 ein Barbetrag hätte vorhanden sein müssen, was nicht der Fall gewesen sei, seien die Rechnungen doch korrekt gewesen. Schreiner habe keinen Posten vorsätzlich ausgelassen oder unterschlagen. Daher habe der Ortsvorstand sich damit beruhigen können, dass der abgehende Bürgermeister den schuldigen Betrag alsbald begleichen werde. Darüber sei die Gemeinde niemandem Rechenschaft schuldig. Nach allem stelle sich der Richter voriger Instanz, wenn er die Rechnung gegen den Willen der Gemeinde he77

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2591, Qu. 12. Instrument vom 9. Oktober 1794.

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rausverlange, zugleich als ihr Gegner in der Sache dar. Es sei auch nicht zweifelhaft, dass die Sache als Appellation am Kammergericht erwachsen sei. Sowohl wegen der Art der Sache als auch wegen ihrer Quantität sei dies unbestreitbar, weil es auf die Appellationssumme nicht ankomme wegen der Bewahrung unschätzbarer rechtskräftig festgestellter Gerechtsame. Der Anwalt der Appellanten beantragte daher, zu urteilen, dass die Laubacher Kanzlei nichtig und übel dekretiert habe. Mithin sei das Dekret zu kassieren oder wenigstens dahingehend zu reformieren, dass man es bei dem Klageverzicht belassen solle. Es ist leider nicht feststellbar, ob das Reichskammergericht der zivilrechtlichen Sicht der Appellanten zuneigte, nach der kein Richter eine Partei zwingen könne, einen Anspruch einzuklagen, oder ob es den eher öffentlichrechtlichen Aspekt der Regierungskanzlei akzeptierte, dass die Regierungskanzlei gewissermaßen als Kommunalaufsichtsbehörde die Gemeinde daran hindern müsse, auf Forderungen leichtfertig zu verzichten, und deshalb zur Beurteilung der Sachlage die Bürgermeistereirechnung ausnahmsweise herausverlangen dürfe. Die Annahme als Appellationsprozess spricht für die Freienseener Alternative. Auch die Beschränkung des Zwangs zur Herausgabe der Vorakten auf die Teile, die Auskunft über die Forderung der Gemeinde geben, rückt den zivilrechtlichen Aspekt in den Vordergrund. Auf die Herausgabe aller den Schreinerschen Konkurs betreffenden Akten, die die Geltendmachung der Forderung enthielten, hatte das Gericht dagegen ausdrücklich verzichtet. Da das Verfahren am Reichskammergericht 1806 noch nicht beendet war, stellte die Gemeinde Freienseen am 22. Januar 1808 beim hessen-darmstädtischen Oberappellationsgericht den Antrag, den Prozess abzuschließen78. Dieses Gericht reagierte schnell, indem es am 27. Januar 1808 die von dem Beklagten erhobenen Einreden gegen die Vollmacht der Appellanten und den deswegen gestellten Antrag, die Appellation für desert zu erklären, verwarf. Der am vormaligen Reichskammergericht erstattete Bericht solle statt einer Exceptionsschrift, der Gegenbericht statt der Replikhandlung angenommen werden. Dem Herrn Grafen bleibe es vorbehalten, binnen vier Wochen eine Duplikhandlung einreichen zu lassen. Nach einer Fristverlängerung überreichte der solms-laubachische Anwalt Sell am 16. Mai 1808 die Duplikschrift, in der zunächst dargelegt wurde, welche organisatorischen Probleme für die Erstellung der Duplik zu überwinden waren. Veranlassung dieses Rechtsstreits sei ein von Amts wegen erlassenes Urteil der vormaligen Regierungskanzlei Laubach gewesen. Die damaligen Mitglieder des Kollegiums Herr von Lehennen und Regierungsdirektor von Seyd seien verstorben, Regierungsrat von Franc schon vor fünf Jahren außer 78

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2589.

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Dienst getreten. Da zudem an die Stelle der Laubacher Regierungskanzlei die Gesamtjustizkanzlei Hungen getreten sei, habe der Graf geglaubt, der Verpflichtung zur Duplik enthoben zu sein. Er würde deshalb jede Einlassung abgelehnt haben. Doch die Gemeinde wolle es offenbar dahin bringen, dass der Herrschaft jegliche Befugnis abgesprochen werde, sich selbst bei gröbster und offenbarster Unordnung um den Gemeindehaushalt zu kümmern. Auf dieses Recht könne und wolle der Graf jedoch umso weniger verzichten, als es zu den unstreitigen Ausflüssen der niederen Polizei gehöre und der Marburger Vergleich dieses Recht gerade für diesen Fall der Herrschaft ausdrücklich vorbehalten habe. Zu dessen Verteidigung und zur Handhabung des durch Kammergerichtsurteile anerkannten Beistands werde der Graf insoweit anstelle seiner damaligen Regierungskanzlei treten und diese faktisch vertreten, soweit es für seinen Zweck und sein im Streit befindliches Interesse erforderlich sei. Trotz der Umorganisation der solmsischen Regierungssphäre mit Übertragung der Justizfunktionen an eine von mehreren Solmser Linien gemeinsam betriebene Gesamtjustizkanzlei hielt der vom Reichsgrafen zum hessen-darmstädtischen Standesherrn mutierte Graf Friedrich Ludwig Christian diese Auseinandersetzung also für wichtig genug, in das Verfahren auch persönlich einzugreifen. In der Sache lehnte er es ab, dass die Gemeinde die ihr 1639 eingeräumten Vorzüge ungebührlich ausdehnen und Rechte usurpieren wolle, die ihrer hohen Herrschaft zustünden. Den in dem Streit enthaltenen Widerspruch zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Aspekten spitzte er zugunsten des Polizeirechts zu. Nach seiner Meinung habe das polizeirechtlich begründete Gemeindeoberaufsichtsrecht in jedem Fall Vorrang, so dass eine Partei polizeirechtlich durchaus zur Fortsetzung eines Zivilprozesses gezwungen werden könne. Allerdings war der Anspruch auf Oberaufsicht über die Gemeinde polizeirechtlich wohl noch keineswegs unumstritten. Sonst wäre es nicht nötig gewesen, ihn argumentativ durch den Vergleich mit der Obervormundschaft über Minderjährige abzusichern. Wenn die Gemeinde dem Verwalter ihrer Einkünfte beinahe 400 fl. schenken wolle, so sei dies nur mit obervormundschaftlicher Genehmigung möglich. Es gehe also nicht um die freie Administration der Gemeindegüter, sondern um Verzicht oder Schenkung aus dem Gemeindesäckel zum Nachteil der Gemeinde. Eine so ansehnliche Schenkung ohne Grund wecke einen Verdacht gegen die Qualität der Administration, der nach dem Marburger Vergleich ein Eingreifen der Obrigkeit rechtfertige. Selbst wenn alle Gemeindemitglieder und der ganze Gemeindevorstand einverstanden gewesen seien, unterliege die Schenkung doch der Genehmigungspflicht der Aufsichtsbehörde. Es sei nicht zu erkennen, dass die Gemeinde Schreiner etwa wegen dessen besonderer Verdienste etwas habe schenken wollen. Die Zeit seiner Amtsführung sei in die glück-

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lichen Tage der Ruhe nach dem Hubertusburger Frieden (1763) gefallen, als so manche Wunden des Krieges hätten geheilt werden können. Doch die von den Ureltern ererbte Prozesssucht habe die Gemeindegelder in die Hände von Prokuratoren und Advokaten gebracht. Sarkastisch schilderte der Graf, wie er sich den Verlauf der Gemeindeversammlung vorstellte, auf der sich alle mit dem Verzicht auf die Forderung einverstanden erklärt hätten. Zunächst rühme der Vorstand in der den Gemeindemitgliedern vorgelegten Frage sein eigenes Werk. Dann würden die Gemeindemitglieder gefragt, ob sie mit diesem mit reiflicher Überlegung und zum Besten der ganzen Gemeinde auch zur Ersparung weiterer Kosten von Bürgermeister und Vorstand getanen Verzicht zufrieden und einverstanden seien. Obwohl der Ortsvorstand selbst durch die gestellte Frage bekannt habe, dass er, ohne die Gemeinde zu fragen, ihr Eigentum verschenkt und sich damit unter Verletzung seiner Pflicht als Eigentümer geriert habe, und obwohl kein Grund genannt worden sei, warum der Fehlbetrag nicht beizutreiben sei und die darauf verwendeten Kosten vergeblich sein würden, fiel die Abstimmung zugunsten des Vorstandes aus. Kein Gemeindemitglied gebe einen besonderen Grund für diese ungewöhnliche Freigebigkeit an. Sie hätten so gestimmt, weil sie gewohnt seien, denjenigen zu folgen, die ihren Privatvorteil in der Fortdauer der Prozesse und Zwistigkeiten fänden. Gebe es ein blinderes Vertrauen? Die Gemeinde heiße alles gut, was der Vorstand getan habe, ohne zu wissen, was eigentlich geschehen sei. Sie erlasse eine bedeutende Summe, ohne zu untersuchen, ob diese Summe für verloren zu halten sei und ohne zu prüfen, ob ihnen die Umstände einen so bedeutenden Erlass überhaupt erlaubten. Da der Verzicht der Gemeindevorsteher auf die Forderung im Konkurs nicht angenommen worden sei, sei der solmsische Anwalt zweifelllos berechtigt, die Beibringung der Bürgermeistereirechnung von 1791 zu fordern. Danach komme es nicht darauf an, ob sie aus dem Prioritätsverfahren etwas errungen haben würden. Dasselbe gelte von der Furcht vor einem weitläufigen und kostspieligen Prioritätsverfahren. Nach allgemeinem Gerichtsgebrauch gehöre diese Forderung unstreitig in die zweite Klasse der Konkursforderungen, weil für Ansprüche gegen Gemeindeadministratoren ein generelles, gesetzliches und privilegiertes Pfandrecht an ihrem Vermögen gegeben werde. Die Gemeinde leugne zu Unrecht das Verbrechen, das Schreiner begangen habe, als er Gelder der Gemeinde für sich verbraucht habe, so dass er sie am Schluss nicht habe herausgeben können. Die Gemeinde habe von Anfang an versucht, durch Vertuschung des wahren Gesichtspunktes dem obrigkeitlichen Einschreiten und der richterlichen Ahndung zu entschlüpfen. Anfangs habe sich der Vorstand wegen des Rezesses gemeldet, um mit seiner Forderung im Konkurs berücksichtigt zu werden. Da dafür der Richter die Bürgermeistereirechnung verlangt habe und sich mit einem Auszug nicht zufrieden geben wollte, habe die Gemeinde

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plötzlich ihre Meinung geändert und erklärt, dass sie in Anbetracht der geringen Masse und um ein weitläufiges Prioritätsverfahren zu vermeiden, einstimmig beschlossen habe, die 400 fl. dem Gemeinschuldner zu schenken. Dies habe nur dazu dienen sollen, die Vorlegung der Rechnung zu umgehen. Diese umständliche Duplik des Grafen beweist, wie sehr ihm immer noch daran gelegen war, das Verhältnis zur Gemeinde Freienseen gerichtlich in seinem Sinne klären zu lassen, obwohl er sich eigentlich nicht mehr für zuständig hielt. Die von der Gemeinde vorgetragenen Gründe für ihren plötzlichen Sinneswandel sind in der Tat wenig überzeugend. Erklärbar wird die Verweigerung der Herausgabe jedoch dann, wenn man bedenkt, dass die Gemeinde ihrem Prozessgegner grundsätzlich keinen Einblick in die Finanzierung ihrer Prozesse gewähren wollte. Am 19. Juli 1808 erschienen die Anwälte beider Seiten, erkannten ihre Vollmachten an und befanden nach genauer Durchsicht sämtliche Aktenstücke für richtig. Doch das Gericht selbst hielt die Akten nicht für vollständig. Am 18. Dezember 1808 forderte es die Gesamtjustizkanzlei Hungen zur Vervollständigung auf. Das Reichskammergericht habe am 20. April 1795 den Appellationsprozess erkannt und dabei von der Laubacher Kanzlei die Herausgabe der Aktenstücke über die Gemeindeforderung mit Ausschluss der übrigen, den Schreinerschen Konkurs betreffenden Akten verlangt. Bei den vom Kammergericht erhaltenen Akten hätten jedoch gerade die damals angeforderten Akten gefehlt. Die Justizkanzlei solle daher binnen vier Wochen diese Akten einsenden. Diese konnte der Aufforderung nicht nachkommen, wie sie am 23. Januar 1809 mitteilte. Sie befänden sich noch in Laubach. Weil – wie der Graf ihnen eröffnet habe – die Sache ihn persönlich angehe, habe er sie als sein Eigentum in besondere Verwahrung genommen, als die Akten im Original vom vormaligen Reichskammergericht an das Oberappellationsgericht eingeschickt worden seien. Am 8. Februar 1810 forderte daraufhin das Gericht den Grafen Friedrich Ludwig Christian auf, die in seinem Besitz befindlichen Aktenstücke binnen drei Wochen nach Darmstadt zu senden, was am 14. März 1808 geschah. Am 9. April 1810 verkündete das Gericht ein differenziertes Urteil. Die Gesamtjustizkanzlei dürfe in ihrer Eigenschaft als Konkursrichterin die Vorlegung der integralen Bürgermeistereirechnung von 1791 von Amts wegen nicht verlangen. Sie sei auch nicht berechtigt, über die Annahme oder Nichtannahme des vom Ortsvorstand ausgesprochenen Verzichts zu urteilen. Dieser Punkt wäre von der damaligen Regierung zu erörtern und zu entscheiden gewesen. Damit wurde die Doppelfunktion des solms-laubachischen Regierungskollegiums als Gericht und als Regierung auseinander gehalten, was ursprünglich nicht genügend geschehen war. Nunmehr nach der eingetretenen Staatsveränderung habe die nach Maßgabe von § 30 der Großherzoglichen Deklaration vom 1. August

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1807 zuständige Behörde über den vom Ortsvorstand erklärten Verzicht das Angemessene zu verfügen. Ihr bleibe es auch vorbehalten, wenn dies nötig sei, sich vom Ortsvorstand die Bürgermeistereirechnung von 1791 vorlegen zu lassen. Die Trennung von Justiz und Verwaltung im Großherzogtum HessenDarmstadt machte es möglich, die polizeiliche Gemeindeaufsicht durch eine Behörde vornehmen zu lassen, die nicht mehr zugleich richterliche Funktionen wahrnahm. Damit bestätigte das Oberappellationsgericht Darmstadt die Auffassung Laubachs, dass die Gemeindeaufsichtsbehörde die Rechtmäßigkeit des Verzichtes überprüfen können müsse. Freienseens Anwalt legte am 19. Mai 1810 gegen dieses Urteil Restitution ein und bat um Verlängerung der Frist zur Einreichung des Restitutionslibells. Die am 23. Mai 1810 gewährte Frist bis zum 12. Juli ist der letzte Akt dieses Verfahrens. Haben die Freienseener doch eingesehen, dass sie mehr nicht erreichen könnten? Wir wissen es ebensowenig wie wir die Entscheidung der zuständigen Gemeindeaufsichtsbehörde über die Wirksamkeit des Forderungsverzichts kennen. Die Quellen versagen uns also wieder die Einsicht in die Hintergründe der juristischen Lösung der aufgeworfenen Probleme.

19.

Graf Friedrich Ludwig Christian (1797–1806/1822)

Der junge Graf machte, während seine Mutter mit fester Hand für ihn seine Grafschaft regierte, die für einen zukünftigen Regenten notwendige Kavalierstour1. Schon mit 17 Jahren begann er in Giessen das Studium der Rechtswissenschaft. So vorbereitet konnte er als Praktikant in Wetzlar die Arbeit des Reichskammergerichts und in Regensburg die des Reichstages näher kennenlernen. Schließlich führte ihn der Weg nach Wien, wo er 1791 im Alter von nur 22 Jahren zum Reichshofrat ernannt wurde, wie schon vor ihm sein Urgroßvater und Grossvater. Diese Würde hatte er, verbunden mit der eines kaiserlichen Kämmerers, bis zum Jahr 1797 inne. Obwohl Dr. Hofmann aus Wetzlar schon im April 1791 an die Laubacher Regierungskanzlei schrieb, wie wünschenswert es sei, wenn der Graf bald nach Hause komme und wie sehr er ihn den Wienern missgönne2, blieb dieser doch bis zum Jahr 1797 am Kaiserhof in Wien. Erst in diesem Jahr kehrte er nach Laubach heim und vermählte sich im November 1797 mit Henriette, Gräfin von Degenfeld-Schomburg, mit der er in Laubach residierte, wenn er nicht in politischen Geschäften auswärts agieren musste. Graf Friedrich Ludwig Christian war der letzte Reichsgraf zu Solms-Laubach und nach der Mediatisierung der Grafschaft im Jahre 1806 der erste Vertreter seines Hauses als Standesherr des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Durch seine philantrophischen Neigungen sowie eine zu große Nachsicht in der Administration seiner Besitzungen häufte er eine große Schuldenlast an3. An der ihm nachgesagten geringen Neigung, sich intensiver den eigenen Verhältnissen zu widmen, kann es jedoch nicht gelegen haben, dass es unter diesem Grafen nicht zu neuen Prozessen in Wetzlar kam. Er war nicht weniger daran interessiert, die widerstrebenden Freienseener Untertanen seiner Obrigkeit zu unterwerfen als seine Vorgänger und auch die vormundschaftliche Regentschaft seiner Mutter. In diesem Sinne hat er sich durchaus einigen schon laufenden Prozessen gewidmet. Sein heftiger Disput mit Regierungsrat von Franc über das richtige und angemessene Vorgehen in der Vorphase eines Prozesses beweist sowohl sein intensives Interesse an den Problemen als auch beachtliche Sachkenntnis und Erfahrung, die er während seiner Zeit am Reichshofrat erworben haben könnte. Auch nach dem Ende des Alten Reiches und damit des Reichskammergerichts nahm Graf Friedrich Ludwig Christian weiter lebhaft Anteil am Fortgang der nun beim hessen-darmstädtischen Oberappellationsgericht fortge1

2 3

Zu Graf Friedrich Ludwig Christian: R. zu Solms-Laubach, Geschichte (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 376f. Gräfl. Archiv Laubach, C 177 Nr. 1, Judicialakten, sub dato. Wie Anm. 1, S. 378.

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Graf Friedrich Ludwig Christian

führten Verfahren. So hatte er die Akte wegen des Verzichts der Gemeinde Freienseen auf eine Forderung im Konkursverfahren Schreiner persönlich in Verwahrung genommen und sie nicht an die jetzt für die Behandlung von Justizsachen zuständige solmsische Gesamtjustizkanzlei Hungen abgegeben. Nachdem ruchbar geworden war, dass die Gemeinde Freienseen mehrere am Reichskammergericht anhängige und unentschieden gebliebenen Prozesse fortzuführen gedachte, wurde auch der Graf am 14. Januar 1808 aktiv4. Sein Darmstädter Anwalt Dr. Sell machte darauf aufmerksam, dass zwischen dem gräflichen Haus Solms-Laubach und der Gemeinde Freienseen wie auch dem damaligen fürstlichen Haus Hessen-Darmstadt am Reichshofrat mehrere Prozesse anhängig gewesen seien. Diese beträfen teils die Kassation der von Freienseen erschlichenen Privilegien, teils die von Hessen-Darmstadt behauptete Schutzgerechtigkeit über den Ort und andere damit zusammenhängende Gegenstände. Die seien bis jetzt noch nicht erledigt. Von den Prozessen, die Freienseen nunmehr fortführen wolle, würden viele alsdann wegfallen, wenn man die Kassation der Privilegien erlangen würde. Der Graf hatte daher seinen ehemaligen Reichshofratsagenten beauftragt, in Wien sämtliche Akten auszulösen. Das Oberappellationsgericht solle die Akten ebenfalls von dem Agenten requirieren. Dies geschah am 27. Januar 1808. Der angeschriebene Agent antwortete am 18. Februar dem Gericht, dass er auf der nächsten Sitzung der Hofkommission am 27. Februar die Herausgabe der nötigen Akten beantragen werde. Zusätzlich teilte er jedoch mit, dass keine weiteren Prozesse zwischen Solms-Laubach und der Gemeinde Freienseen und vice versa schwebten als der unter der Rubrik: Zu Freienseen, Gemeinde, puncto confirmationis privilegios, modo zu Solms-Laubach Graf Christian August, nunc Graf Friedrich Ludwig Christian contra seine Untertanen zu Freienseen, wie auch Hessen-Darmstadt und seine Regierung zu Giessen mandati et paritor. puncto attentatorum tumultus et denegata subjectionis. Obwohl er sicherheitshalber in der Judicialregistratur und Repertorien habe nachschlagen lassen, habe sich auch dort keine weitere Rubrik finden lassen. Am 29. Februar 1808 beschloss die Wiener Hofkommission, die von dem Agenten schon genannte Akte an das Oberappellationsgericht Darmstadt abzugeben. Am 13. März 1808 gingen 5 versiegelte Faszikel mit der Post nach Darmstadt ab. Der gräfliche Anwalt erhielt am 30. März die Nachricht vom Eintreffen der Sendung aus Wien. Die Akten wurden in der Registratur aufbewahrt. Dass sie die vom Grafen erhoffte positive Wirkung für seine rechtliche Position entfaltet hätten, ist jedoch nicht feststellbar. Das großherzogliche Oberappellationsgericht in Darmstadt war kaum befugt, Privilegien von Kaisern des Alten Reiches zu kassieren. Ob die Meinung dieses Gerichts über 4

HStA Darmstadt G 23 C Nr. 2590.

Graf Friedrich Ludwig Christian

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die Privilegien in die Entscheidung der anderen Prozesse eingeflossen ist, wäre nur zu erkennen, wenn wir die Entscheidungsgründe der Urteile oder die Relationen zu ihrer Entscheidungsfindung kennen würden, was nicht der Fall ist. Nach der Meditiasierung der Grafschaft Solms-Laubach hatten sich die Positionen der beiden Prozessgegner insofern verändert, als der früher nur als Erbschutzfürst der Freienseener fungierende Darmstädter Landgraf nunmehr als Großherzog selbst die Obrigkeit über das Dorf ausübte. Die Grafen zu Solms-Laubach besaßen als Standesherren dort nur noch eine geminderte obrigkeitliche Stellung. Ob die Bewohner Freienseens sich auch gegen diese geringeren Befugnisse Laubachs weiter zur Wehr setzten und insbesondere ob sie auch gegenüber der neuen Obrigkeit, die sie so lange als Schutzmacht gegenüber dem alten Landesherrn in Anspruch genommen hatten, auch unter den veränderten Bedingungen des 19. Jahrhunderts eine Sonderstellung durchzusetzen versuchten, ist ein neues Thema. Sicher ist allein, dass der jahrhundertelange Antagonismus mental noch heute das Verhältnis der alten Prozessparteien zueinander prägt, auch wenn dies heute nicht mehr zu prozessualen Auseinandersetzungen führt. Diese Spannung spürt jeder schon nach kurzer Zeit, der beginnt, sich mit der Geschichte Freienseens zu beschäftigen.

20.

Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten rechtlichem Kampf 20.1

Quellenkritik

Aus den Quellen konnte ein buntes und vielgestaltiges Bild von den hartnäckigen Auseinandersetzungen zwischen Freienseen und Solms-Laubach gewonnen werden. Doch wie zuverlässig treten uns die Vorgänge in den Schilderungen der Prozessschriften entgegen? Diese dienten ja nicht dem Festhalten historischer Fakten, sondern sollten eine von den Klägern beanspruchte Rechtsposition untermauern. Dabei biegen Anwälte damals wie heute gern die Wahrheit etwas in ihre Richtung um. Zumindest beschränken sie ihren Tatsachenvortrag auf das, was ihnen für ihre Partei notwendig und nützlich erscheint. So wird denn die Darstellung mancher Einzelheit dem Bestreben zu verdanken sein, das Geschehen für den eigenen Zweck günstig darzustellen. Umso interessanter ist es, dass die Parteien kaum um Tatsachen stritten, sondern in der Regel nur uneins waren über die rechtliche Einordnung des Geschehenen. Die Vorgänge wurden nicht grundsätzlich bestritten, sondern nur anders bewertet. Was den Freienseenern schreiendes Unrecht, Gewalt und Tyrannei war, sahen die Grafen zu Solms-Laubach lediglich als legitime Durchsetzung ihrer landesherrlichen Obrigkeit an. So bestritten die Beklagten zum Beispiel nicht die häufige Gefangennahme von Freienseener Notablen. Anfangs rechtfertigten sie dies als legitime Maßnahmen, um die rebellischen Freienseener ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Nachdem das Kammergericht ihnen dies als Gewaltausübung mehrfach untersagt hatte, erklärten sie die Arrestierung als Folge von Strafverfahren. Ob die Gefangenen wirklich unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen gehalten wurden, war dagegen immer wieder umstritten, weil Menschen, die nicht aus strafrechtlichen Gründen gefangen genommen waren, besser oder wenigstens milder behandelt werden sollten als Strafgefangene. Der Streit darum, ob Wasser und Brot mit einer Suppe am Tag eine angemessene Ernährung seien und ob die Kerkerräume wegen Feuchtigkeit gesundheitsgefährdend waren, ging also weniger um die Tatsachen als solche als um die rechtliche Qualifizierung der Inhaftierungen. Das wird besonders deutlich, wenn ein solms-laubachischer Prokurator sarkastisch darauf hinweist, dass die karge Ernährung und die harten Haftbedingungen nun einmal Begleiterscheinungen einer Gefängnisstrafe seien. Dass mehrere Freienseener im Laubacher Gefängnis den Tod fanden, spricht für den Wahrheitsgehalt der Klagen über die lebens- und mindestens gesundheitsgefährdenden Haftbedingungen. An anderen Stellen ist unverkennbar, dass die gräfliche Seite durch ihre Darstellung den Vorwurf

Quellenkritik

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vermeiden wollte, gegen kammergerichtliche Verbote verstoßen zu haben. So klingt es angesichts sonst durchaus zugestandener rauerer Verhaltensweisen wenig glaubwürdig, dass der Laubacher Schultheiß den in Freienseener Diensten stehenden Magister Regimentz nur bei der Hand genommen, friedlich nach Laubach geführt und ihn dort freundlich befragt haben wollte. Man muss also die Schilderungen der Prozessschriften quellenkritisch bewerten. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass sie die Vorgänge insgesamt richtig wiedergeben. Über den Verlauf der Prozesse informiert das Prozessprotokoll, das jeder Prozessakte beigefügt werden sollte, was allerdings nicht immer geschehen ist – und zwar im 18. Jahrhundert zunehmend weniger. Unabhängig von den aktenmäßig überlieferten Prozessprotokollen gibt es auch die bis 1587 reichenden, von Seyler und Barth im Druck überlieferten Tagesprotokolle, in denen alle Handlungen verzeichnet sind, die zu allen in derselben Audienz verhandelten Verfahren von den Parteien und dem Gericht vorgenommen wurden1. Diese Quellen konnten sowohl ergänzende Angaben zu den Schriftsätzen als auch nicht zuletzt Entscheidungen des Gerichts enthalten. Sie ergänzen also die Informationen der Prozessakten in notwendiger Weise über die klagebegründenden Tatsachen wie auch über den Ablauf des Verfahrens sowie insbesondere über gefällte Bescheide. Obwohl die Protokolle von der Gerichtskanzlei geführt wurden, also nicht dem Verdacht der Parteilichkeit ausgesetzt sind, muss doch auch ihr Inhalt quellenkritisch überprüft werden. So gibt es Angaben, die im Protokoll fehlen, aber bei Seyler-Barth oder anderweitig überliefert sind2. Für die Fehler der Protokollführung mag Unachtsamkeit des protokollierenden Kanzlisten verantwortlich sein. Seyler-Barth und die anderen Drucke schöpften wohl aus davon unabhängigen Quellen, die vollständig enthielten, was der Protokollant vielleicht aus Bequemlichkeit oder versehentlich nicht oder nur in verknappter Form3 notiert hat. So bieten die im Druck überlieferten Protokolle eine nützliche Gegenprobe zu den handschriftlichen Prozessprotokollen. Überhaupt ergänzen die in Druckwerken überlieferten Texte das Archivmaterial in wünschenswerter Weise4. Auch sie bieten keine Quellen unverfälschter

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2 3

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Wolfgang Prange, Die Urteile des Reichskammergerichts 1495–1587. Über Wert und Nutzung von Christian Barths Edition. In: Vom Reichskammergericht in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Q.F.H.G. Bd. 42, 2002, S. 9ff. Kap. 8.1, Anm. 9 (1575 September 20), S. 125 Anm. 62. Kap. 8.3, Anm. 61 (Seyler-Barth ausführlicher); Kap.8.1, Anm. 16; Kap. 8.4, Anm. 80; Kap. 8.7, Anm. 112 (Protokoll korrekt, Abdruck fehlerhaft). In dieser Arbeit verwertet außer Seyler-Barth: Canngiesser, ausführliche Erörterung und Abdruck kayserlicher privilegiorum.

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Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten Rechtlichem Kampf

Wahrheit, weil sie Zweckschriften waren, die das Gericht und die Öffentlichkeit von der Richtigkeit der Positionen des Auftraggebers überzeugen sollten. Dementsprechend wählten sie Texte aus und gaben sie auch nicht immer wortgetreu wieder. Aber auch diese Drucke mussten – wollten sie nicht das angestrebte Ziel verfehlen – grob unwahre und damit schnell widerlegbare Informationen vermeiden, so dass den durch sie überlieferten Quellen trotz dieser Bedenken nicht etwa generell die Glaubwürdigkeit abzusprechen ist. Somit können wir also dem durch die verschiedenen Quellengattungen überlieferten Bild vom Verlauf der Streitigkeiten zwischen den Grafen zu Solms-Laubach und der Gemeinde Freienseen insgesamt durchaus vertrauen.

20.2

Gewinne und Opfer der Freienseener

Haben die Freienseener ihr unter vielen Opfern verfolgtes Ziel wirklich erreicht? Nimmt man als Maßstab ihre Maximalposition, ein freies Reichsdorf zu sein, das nur Kaiser und Reich untertan sei, so muss man feststellen, dass sie dieses Ziel verfehlt haben. Ihre Idee, sich diesen Status durch die Kaiserurkunden vom 9. Januar 1555 zu verschaffen, war schon unmittelbar danach gescheitert, weil es Graf Friedrich Magnus I. gelang, vom Reichshofrat Dekrete zu erwirken, dass diese Urkunden seiner Obrigkeit nicht schaden dürften und die Probleme rechtlich, also prozessual am Reichskammergericht, ausgetragen werden sollten. Wohl dieser Einsicht folgend verzichteten die Freienseener zunächst bei mehreren Herrscherwechseln (1556, 1564, 1576, 1612) darauf, Geld für die an sich bei solchen Anlässen üblichen Urkundenerneuerungen auszugeben. Erst von Kaiser Ferdinand II. ließen sie sich am 5. August 1622 den Schutzbrief bestätigen. Doch im Marburger Vergleich von 1639 mussten sie ihren Traum von der Reichsfreiheit endgültig begraben, weil sie die solms-laubachische Obrigkeit im Dorf anerkennen und den Grafen huldigen mussten. Folgerichtig verzichteten sie 1636 und 1653 erneut darauf, sich von den neuen Kaisern ihre Privilegien bestätigen zu lassen. Erst nachdem sie hatten erkennen müssen, dass der Weg gütlicher Vereinbarungen ihnen doch nicht so viel wie erhofft nutzen würde, ließen sie seit 1658 keinen Thronwechsel mehr aus, ohne sich ihrer Privilegien am Kaiserhof zu vergewissern. Wie wenig ihnen diese Maßnahme allerdings faktisch gegenüber ihrem Landesherrn nutzte, beweisen dessen erfolgreiche Einsprüche gegen die Benutzung des ihnen im Wappenbrief verliehenen Gemeindesiegels mit dem Adleremblem. Zwar vermieden es die Grafen und ihre Juristen geschickterweise, unmittelbar gegen den urkundlich legitimierten Siegelgebrauch vorzugehen, indem sie den Vogelsberger Bauern nur bestritten, Urkunden der besiegelten Art wie Gesundheits- oder Reisepässe ausstellen zu dürfen. Dass

Gewinne und Opfer der Freienseener

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aber in Wahrheit das Siegel der Stein des Anstoßes war, beweist die Zurückweisung auch von Vollmachtsurkunden der Gemeinde, die diese unbestreitbar selbst ausstellen durfte. So wies die Laubacher Regierung 1789 ihren Wetzlarer Prokurator ausdrücklich an, darauf zu achten, ob die Kläger für ihre Vollmachtsurkunde das beanstandete Siegel gebraucht hätten, und es gegebenenfalls zurückzuweisen. Solange sich die Grafen in Wien nicht gegen die Urkundenbestätigungen wehrten, erhielten die Freienseener problemlos ihre begehrten Urkundenerneuerungen, mit denen sie dann bei Gelegenheit aufwarten konnten. Erst nachdem Graf Christian August sich ab 1740 am Kaiserhof eingeschaltet hatte, sank dort allmählich der Stern der Freienseener, bis schließlich der Reichshofrat 1775 die Freienseener als Voraussetzung für eine weitere Urkundenbestätigung auf den Reichskammergerichtsprozess wegen Kassation des Wappenbriefes verwies. Als Zeichen höchster Ungnade verbannte er zugleich die beiden Freienseener Delegierten aus der Stadt Wien, womit das Spiel mit den Privilegienbestätigungen ein für die Bauern höchst unerfreuliches Ende nahm. Aber der Status als freies Reichsdorf war eigentlich gar nicht das Ziel der Freienseener gewesen, sondern nur ein Mittel, um das Ziel einer freieren Stellung gegenüber Solms-Laubach zu erreichen. Deshalb sollte die Frage heißen, ob und wie weit die Freienseener es geschafft haben, gräfliche Ansprüche abzuwehren. Die Antwort auf diese Frage fällt nun durchaus positiv aus. 1739 musste der Prokurator des tatkräftigen jungen Grafen Christian August fast widerwillig zugestehen, dass die Freienseener durch den Marburger Vergleich von 1639 viele Vorzüge gegenüber anderen solms-laubachischen Untertanen genössen. Allein dieses Eingeständnis des Widersachers lässt den unermüdlichen Kampf der Freienseener in hellerem Licht erscheinen. Der Hinweis auf den Marburger Vergleich von 1639 als Rechtsgrundlage ihrer Sonderstellung wirft allerdings die Frage auf, weshalb man dafür nicht auf die gewonnenen Reichskammergerichtsprozesse verwies. Warum hatten die Parteien überhaupt nach so zahlreichen kammergerichtlichen Entscheidungen zusätzlich noch einen Vergleich geschlossen, der inhaltlich nicht wesentlich mehr erbrachte als die Bescheide? Wie ist also das Verhältnis von frühmoderner Gerichtsbarkeit und ihrer Urteile zu konsensualen Streitbeilegungsmechanismen zu beurteilen? Als einen Vorteil des Vergleichs gegenüber den Urteilen hätten die Parteien es schon sehen können, dass sie die Ergebnisse der unübersichtlich gewordenen großen Zahl der Verfahren und der in ihnen gefällten Bescheide in einem konsentierten Vergleich präzise zusammengefasst an die Hand bekamen. Oder besaß ein Ergebnis, dem beide Parteien zugestimmt hatten, eine größere Bindungswirkung als der Spruch eines Gerichts, das für die Durchsetzung seiner Entscheidungen letztlich auch auf den guten Willen der Gegenpartei angewiesen war? Die vom Reichskammer-

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Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten Rechtlichem Kampf

gericht verurteilte Partei musste nämlich dem Gericht erklären, der Sachentscheidung parieren zu wollen. Sie musste also versichern, dass und wie sie das Urteil befolgt habe oder es befolgen werde. War die Gegenpartei mit dem gemeldeten Urteilsgehorsam nicht zufrieden, konnte dies zu unabsehbaren neuen Auseinandersetzungen führen. Die jahrzehntelangen Streitigkeiten um den Urteilsgehorsam gegenüber dem Endurteil in Sachen primi mandati von 1574 offenbaren deutlich die damit verbundenen Schwierigkeiten. Schon die schlichte Rückgabe der Kirchenschlüssel und der Bauregister für die Freienseener Kirche gestaltete die gräfliche Seite so fintenreich, dass die siegreichen Kläger über Jahre hin nicht erreichen konnten, dass ihnen die Schlüssel und Register in Ausführung des Urteils übergeben wurden. Da mochte es praktikabler sein, in einem gütlichen Verfahren zu besprechen, wie es mit den einzelnen Punkten stehe, um dann noch einmal zu versichern, dass man die dann neu ausformulierten Entscheidungen befolgen wolle. Somit erscheint der Marburger Vergleich von 1639 als eine komplementäre Fortsetzung der Verfahren am Reichskammergericht. Die vorherige gerichtliche Klärung der Streitfragen war eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen der gütlichen Verhandlungen in Marburg gewesen. Das zeigen die Misserfolge der nachfolgenden Konferenzen in Frankfurt (Juni 1651) und Grünberg (20./21. Oktober 1653), bei denen dieses konstitutive Moment fehlte. In Frankfurt zeigten die solms-laubachischen Delegierten von Anfang an Widerwillen, sich überhaupt auf Diskussionen einzulassen. Das entsprach der Haltung ihrer Herrschaft, von den für sicher gehaltenen solms-laubachischen Positionen nichts aufgeben zu wollen. Im Zusammenhang mit den Grünberger Verhandlungen wurde zudem nachträglich der vormundschaftlichen Regentin sogar die rechtliche Fähigkeit abgesprochen, mit Verbindlichkeit für ihren Sohn Verzichte aussprechen zu können, weil der zeitliche Inhaber eines Familienfideikommisses oder eines familienvertraglich gebundenen Gutes nicht mit Verbindlichkeit für den Nachfolger über Rechte verfügen könne. Unabhängig von dieser rechtlichen Begründung fehlte in beiden Fällen offenkundig von Anfang an der Wille des mächtigeren Diskurspartners, durch Nachgeben in einzelnen Punkten eine Befriedung der Gesamtsituation zu erreichen. Dabei waren die äußeren Rahmenbedingungen für Frankfurt und Grünberg denen der Marburger Verhandlungen durchaus vergleichbar, weil auch bei ihnen der Landgraf von Hessen-Darmstadt als Schutzherr der Freienseener mit Billigung des Reichskammergerichts, wenn nicht gar auf dessen Geheiß, die gütlichen Verhandlungen leitete. Das reichte jedoch keineswegs aus, um beide Parteien gleichermaßen vergleichsbereit zu machen. Allerdings wäre es verfehlt, von der Notwendigkeit ergänzender Vergleichsverhandlungen und auch dem gelegentlich hartnäckigen Widerstand

Gewinne und Opfer der Freienseener

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gegen den Vollzug kammergerichtlicher Urteile abzuleiten, dass das Gericht und seine Arbeit wirkungslos gewesen und von den Parteien nicht anerkannt worden wären. Immer wieder wird deutlich, dass die Parteien tunlichst vermeiden wollten, offen gegen Ge- oder Verbote des Gerichts zu verstoßen. Oft genug bemühten sich die gräflichen Juristen darum, dem Gericht klarzumachen, dass bestimmte Handlungen der Laubacher Obrigkeit nicht gegen das Verbot von Gewaltanwendung verstießen, offenbar weil sie unliebsame Reaktionen des Gerichts vermeiden wollten. Auch die Darstellungen, dass Inhaftierungen auf Straftatbeständen beruhten und keine bürgerliche Haft seien, beweisen das Bemühen, als rechtsgehorsam zu erscheinen. Klar drückte dies der ehemals solms-laubachische Oberamtmann Dr. Causedemius aus, als er nach seinem Ausscheiden aus dem gräflichen Dienst von Friedberg aus seinem alten Dienstherrn weiter beratend zur Seite stand. Deutlich unterschied er zwischen einerseits noch nicht rechtskräftigen Mandaten und Bescheiden, gegen die man bis zuletzt mit juristischen Mitteln und Tricks angehen könne und solle, und andererseits den alten Mandaten und Urteilen, die rechtskräftig geworden seien. Denen gegenüber müsse man Parition erklären. Er warnte seinen Auftraggeber eindringlich, das Reichskammergericht nicht zu unterschätzen. Die Prozesse am Reichskammergericht gingen zwar langsam, sie schnitten aber scharf. Aus dieser Bemerkung des erfahrenen Juristen spricht eine hohe Einschätzung der Wirkung kammergerichtlicher Arbeit. Immer wieder mahnte er in Laubach an, sich nur ja auf den Paritionstermin gut vorzubereiten und ihn auf keinen Fall ohne fundierte Stellungnahme verstreichen zu lassen. Diese Warnungen sind umso erstaunlicher, als das Gericht von der Möglichkeit, durch Verurteilung einer ungehorsamen Partei in die im Mandat angedrohte Poen seinem Befehl Gehorsam zu verschaffen, niemals Gebrauch gemacht hat. Klagen über zögerliche oder ineffektive Arbeit des Gerichts sollten also keinesfalls in dem Sinne missverstanden werden, dass die Zeitgenossen das höchste Reichsgericht und seine Arbeit als wirkungslos beurteilt hätten. Insgesamt hatten die klagenden Freienseener in ihren Verfahren des 16. Jahrhunderts und schließlich mit dem Marburger Vergleich von 1639 erreicht, dass sie keine ungemessenen Hand- und Spanndienste für den Schlossbau in Laubach und keine Jagddienste leisten mussten. Zudem hatten sie sich die Selbstverwaltung ihrer Kirche sowie die unbeaufsichtigte Wahl ihrer Gemeindebeamten und deren freie Amtsführung gesichert. Damit hatten sie sich in wesentlichen Punkten dem zunehmenden Druck entzogen, sich im selben Umfang wie die anderen solms-laubachischen Untertanen den obrigkeitlichen Anforderungen unterzuordnen. Unausgeglichen erscheint das Problem, ob die Freienseener dem gräflichen Besteuerungsrecht unterworfen waren. Sie gestanden selbst zu, ihren Anteil an den Reichssteuern der Graf-

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Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten Rechtlichem Kampf

schaft zahlen zu müssen, bestritten dem Landesherrn aber weitere Besteuerungsrechte. Ob das Gericht die Beschränkung auf die Reichssteuern anerkannte oder Freienseen als dem vollen solms-laubachischen Besteuerungsrecht unterworfen ansah, ist leider nicht ersichtlich, weil wir keine Entscheidungen zu diesen Fragen kennen. Ein anderes Merkmal frühmoderner Staatlichkeit, nämlich das Recht, in seiner Grafschaft Soldaten ausheben zu dürfen, beanspruchte Graf Christian August dagegen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unangefochten. Die Freienseener waren lediglich nicht einverstanden mit der Art und Weise, mit der dabei vorgegangen worden war. Den Gewinnen standen aber auch klare Verluste gegenüber. Dazu gehört nicht das Zugeständnis im Marburger Vergleich von 1639, dass die Freienseener fortan die gräfliche Obrigkeit im Dorf anerkennen und den Grafen zu Solms-Laubach huldigen mussten. Dies wäre nur dann auf der Verlustseite zu verbuchen, wenn die Freienseener vorher nicht hätten huldigen müssen und erst durch den Marburger Vergleich dazu gezwungen worden wären. Sie hatten aber schon früher immer wieder gehuldigt. Dagegen war es ein erheblicher Nutzungsverlust für die Gemeinde, dass sie die Wüstungen und Ausfelder nicht mehr nutzen durften, weil Graf Friedrich Magnus I. sie ihnen aus Ärger über ihren Widerstand aufgekündigt hatte. Noch gravierender war die Einbuße an Schafen und anderem Vieh, die ihnen die Grafen in großen Mengen wegen ihres Ungehorsams hatten wegpfänden lassen. Auch Hausrat und handwerkliche Gerätschaften hatten die gräflichen Beamten konfisziert. Sowohl die große Zahl der gepfändeten Tiere als auch der Wert der anderen weggenommenen Gegenstände, wie kupferne Schüsseln oder Büchsen, beweisen einen soliden Wohlstand des Dorfes. Grund für diese Maßnahmen war die Weigerung der Gemeinde Freienseen gewesen, sich an den Fuhren zum Schlossausbau in Laubach zu beteiligen sowie die Weigerung, anteilig zur Reichssteuer der Grafschaft Solms-Laubach beizutragen. Der finanzielle Druck verschärfte sich, als im Zuge des Dreißigjährigen Krieges Kriegskontributionen auf alle Untertanen der Grafschaft umgelegt werden und schließlich im 18. Jahrhundert die Kosten für das eigene Militär des Grafen aufgebracht werden mussten. Unabhängig davon, ob das Dorf steuerpflichtig sei, ging es dabei auch um die Steuergerechtigkeit, weil die Freienseener meinten, gegenüber dem ursprünglichen Steuerstock unmäßig und ungleich herangezogen zu werden. Ein Vergleich des alten Steuerstocks mit der neuen Besteuerungsgrundlage durch eine Kommission des Reichskammergerichts bestätigte, dass die Kläger in der Tat unverhältnismäßig stärker belastet wurden als die anderen Untertanen der Grafschaft. Als Graf Christian August schließlich eine eigene Truppe aufstellte, wurde die Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Aushebung der Bauernburschen zum Problem, als diese wegen der Verlegung der Truppe in die Festung Mainz der väterlichen Wirtschaft entzogen werden sollten.

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Allen Beschwerden der Freienseener war gemeinsam, dass sie sich gegen neue Anforderungen an die Untertanen im Zusammenhang mit der sich über Jahrhunderte erstreckenden allmählichen Verfestigung der Staatlichkeit wandten. Ging es ursprünglich im 16. Jahrhundert nur darum, traditionelle Leistungen einzufordern und ihre Erbringung durchzusetzen, so wurden die Anforderungen der Obrigkeit schon im 17. Jahrhundert immer subtiler und intensiver. Wirtschaftspolizeiliche Anordnungen wie die Anordnung des Markt- und Zunftzwanges oder der Befehl, bei Verkauf von Liegenschaften diese zunächst der Herrschaft anbieten zu müssen oder Kleider nur bei Laubacher Schneidern machen lassen zu dürfen, zielten auf die Errichtung eines merkantilistischen Wirtschaftssystems für die kleine Reichsgrafschaft SolmsLaubach. Die zwangsweise Umstellung des Maaßsystems von hessisch-grünbergischen auf Laubacher Maaße sollte dasselbe bewirken. Zu einem großen Problem entwickelte sich die im 18. Jahrhundert beginnende Auflösung der tradierten Dreifelderwirtschaft. Es begann mit der Zwischennutzung der Brache durch Anbau von Flachs und Kartoffeln. Da diese Feldfrüchte unbestritten auch in Freienseen verzehntet wurden, hatte die Herrschaft keine Bedenken gegen diesen Wandel gehabt. Ab 1739 bemerkte die gräfliche Verwaltung jedoch, dass einzelne Untertanen ihre Brachfelder dazu benutzten, um Grünfutter anzubauen. Dies ist ein Indiz für grundlegende Veränderungen der bäuerlichen Wirtschaft. Normalerweise weidete das Vieh im Freiland, so dass Stallhaltung und die dabei notwendige Stallfütterung nur kurzzeitig möglich und nötig war. Der Anbau von Grünfutter erlaubte jedoch eine bessere Stallfütterung und damit auch eine Intensivierung der Viehhaltung. Der größere Anfall von Mist im Stall ermöglichte zudem eine Intensivierung der Felddüngung. Diesen neuen und ungewohnten Vorzügen standen Befürchtungen gegenüber, dass die Veränderungen unabsehbare Nachteile mit sich brächten. So könnten die Schafe nicht mehr frei und ungehindert auf der Brache geweidet werden. Damit würde der Brache die Düngung durch den anfallenden Schafmist vorenthalten, insbesondere auf den Feldern, die dem Pferchlager dienten. Daraus folgerten die Rentkammerräte, dass der Herrschaft im darauf folgenden Jahr Mindereinnahmen beim Kornzehnt drohten. Mit dieser Begründung wurde auch das Grünfutter in die Verzehntung einbezogen. Nicht zuletzt aber sollte aus diesem Anlass der landwirtschaftspolizeiliche Anspruch durchgesetzt werden, dass jede Änderung der Nutzungsart bei landwirtschaftlichen Grundstücken der herrschaftlichen Genehmigung bedürfe. Eine Maßnahme allgemeiner Polizeigewalt ohne solche ökonomischen Motive war die Schornsteinfegerordnung, die Solms-Laubach in der Grafschaft einführte. Als gravierende Schäden müssen auch die regelmäßigen Arrestierungen der Rädelsführer des Widerstandes und damit der gemeindlichen Amtsträger genannt werden. Dies empfand man in Freenseen schließlich als so bedroh-

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Ergebnisse von zweieinhalb Jahrhunderten Rechtlichem Kampf

lich, dass sich niemand mehr zur Wahl stellen wollte. Die gefährdeten Gemeindebeamten mieden aus Angst vor Verhaftung das Dorf, so dass sie sowohl ihre eigene Wirtschaft als auch die Führung ihres Gemeindeamtes vernachlässigen mussten. Ein nicht geringer Verlustposten waren die erheblichen Kosten der Prozessführung. Anfangs hatte die Gemeinde diese Unkosten durch Umlagen aufgebracht, deren Anteil jedes am Prozess beteiligte Gemeindemitglied in einen Kasten einzahlte. Aber sowohl die große Zahl der Prozesse als auch die Minderung des Vermögens der Gemeindemitglieder durch den großen Krieg und die Zwangsmaßnahmen der Herrschaft überforderten schließlich diese Finanzierungsform. Deshalb griffen die Bauern in ihrer Not auf das Gemeindevermögen zurück und verkauften oder verpachteten gemeindeeigene Grundstücke, um Bargeld für die Prozessführung zu bekommen. Das erregte verständlicherweise den Unmut und Widerstand derjenigen Gemeindemitglieder, die nicht zur prozessführenden Partei gehörten, weil die Ungehorsamen sie von dieser Aufteilung des Gemeindegutes mit der Begründung ausgeschlossen hatten, dass sie ja auch die Lasten nicht getragen hätten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war der Mangel an Barmitteln auch der Grund dafür, dass die beiden Bauerndelegierten vom Reichshofrat aus Wien verwiesen wurden. Damit gilt es, noch einen Blick auf den letzten Punkt zu werfen, der für die Gemeinde Freienseen auf der Verlustseite zu verbuchen ist, nämlich die Aufspaltung der Einwohnerschaft in Rebellen und Gehorsame. Der Widerstand gegen die gräfliche Obrigkeit wurde von Anfang an zwar im Namen der ganzen Gemeinde geltend gemacht, die aber nur von einem Teil der Einwohnerschaft gebildet wurde. Also keineswegs alle Gemeindemitglieder trugen die Prozesse mit. Anfangs stand eindeutig eine Mehrheit zur Prozessführung, während die Parteigänger der Grafen in der Minderzahl waren. Im Laufe der Entwicklung kehrte sich diese Relation allerdings um. Ursprünglich mag es so gewesen sein, dass hessische Leibsangehörige sich gegen die solms-laubachische Landesherrschaft auflehnten, während die gräflichen Leibsangehörigen ihrem Leibsherrn auch als Landesherrn treu blieben. Doch allmählich gelang es den Grafen durch seine verschiedenen Zwangsmaßnahmen, immer mehr Bewohner Freienseens auf ihre Seite zu zwingen. Dabei waren sie in der Wahl der Mittel nicht zurückhaltend. Dass Gefangene in der Urfehde schwören mussten, nach der Freilassung die Partei der Ungehorsamen zu verlassen und sich der solms-laubachischen Obrigkeit zu unterwerfen, ist ein ständig wiederkehrender Vorwurf. Auch klagten ehewillige Freienseener zweimal, dass der Graf dem Pfarrer verboten habe, ihre Ehe kirchlich zu segnen, wenn die Partner nicht vorher versichert hätten, dem Grafen gehorsam zu werden und zu bleiben. Etwas weniger brachial waren andere Maßnahmen, um die

Die Ergebnisse für die Solms-Laubacher Herrschaft

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Zahl solms-laubachischer Leibsangehöriger in Freienseen zu vergrößern. Das konnte durch Gestattung der Ansiedlung neuer Menschen geschehen, die dann als solms-laubachische Leibsangehörige galten, wurde aber auch dadurch versucht, dass das Leibeigenschaftsrecht extensiv zu Gunsten von Solms-Laubach ausgelegt wurde. Hatten Betroffene über längere Zeit hin Leibeigenschaftsabgaben widerspruchslos an Laubach geleistet, so wurde es schwer für sie, nachzuweisen, dass dies zu Unrecht geschehen sei. Gleichwohl versuchten einige Freienseener dies. Selbst Vergleiche über die beiderseitigen Leibeigenen in Freienseen konnten nur vorübergehend Klarheit schaffen. Es gab also Wege, das Verhältnis der Zahl der Gehorsamen zu Lasten der prozessführenden Rebellen zu vergrößern. Dabei ging es jedoch nicht nur um die aus der Leibeigenschaft rührenden Abgaben oder auch nur um die Schwächung der Gruppe der gegen die Landesherrschaft Rebellierenden und Prozessierenden in Freienseen. Vielmehr ist aus südwestdeutschen Beispielen bekannt, dass über die Leibeigenschaft ein einheitlicher Untertanenverband geformt werden sollte.

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Die Ergebnisse für die Solms-Laubacher Herrschaft

Nicht nur an den immer subtileren Zielen, die die Grafen zu erreichen suchten, ist die zunehmende Verdichtung der frühmodernen Staatlichkeit in ihrer Grafschaft abzulesen, sondern auch an den dabei angewendeten Mitteln. Im 16. Jahrhundert war trotz reichsrechtlicher Verbote noch die Anwendung direkter Gewalt der Normalfall. Bewaffnete des Grafen holten sich – teilweise von Graf Friedrich Magnus I. persönlich angeführt – in Freienseen das, was sie zur Verfolgung des Ziels der Unterwerfung der Bauern für notwendig und sinnvoll hielten. Den Quellen ist nicht zu entnehmen, weshalb die Grafen später zunehmend darauf verzichteten, mit solchen Mitteln direkt in das Geschehen vor Ort einzugreifen. Hatten ihre Juristen sie auf die reichsrechtlichen Verbote unmittelbarer Gewaltanwendung aufmerksam gemacht? Oder wurden sie durch kammergerichtliche Mandate und Urteile darauf hingewiesen? Dass man sich in Laubach von solchen rechtlichen Grenzziehungen allerdings nur wenig beeindruckt zeigte, soweit es um zentrale Punkte der gräflichen Obrigkeit ging, beweisen Randglossen, die ein gräflicher Bediensteter an ein kammergerichtliches Mandat schrieb, und in denen er unbeirrt alte Herrschaftsauffassungen vertrat. Symptomatisch erscheint dagegen, dass die Grafen seit dem 17. Jahrhundert zunehmend die ihnen zur Verfügung stehenden herrschaftlichen Mittel einsetzten. Anstatt sich wie im 16. Jahrhundert direkt Pfänder zu nehmen, gingen die Grafen im 17. und 18. Jahrhundert den indirekten Weg über das Gericht. Sie ließen die von ihnen ins Auge gefassten

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Freienseener im Laubacher Gericht rügen, woraufhin diese dort in die entsprechenden Bussen verurteilt wurden. Zahlten die Verurteilten die Bussen nicht, so war die Pfandnahme keine eigenmächtige Gewaltmaßnahme mehr, sondern Vollstreckung eines Urteils. Ebenso wurde die Gefangennahme widersetzlicher Freienseener Rädelsführer nicht mehr mit ihrem Ungehorsam, sondern in der Regel mit Straftaten gerechtfertigt, die sie begangen haben sollten. Wie differenziert der solms-laubachische Apparat diese Klaviatur bespielen konnte, zeigt der Fall des Christian Hess, einem damaligen Wortführer der Rebellen, und seiner Ehefrau Anna. Anna Hess hatte man nach ihrer Verehelichung mit Christian Hess das von ihren Eltern ererbte Haus in Freienseen genommen und es zum Wohnhaus des Freienseener Pfarrers bestimmt. Sodann benachteiligte der Laubacher Schultheiß ihren Ehemann in einem Zivilprozess. Als schließlich Christian verhaftet wurde, weil er angeblich Schulden nicht bezahlt hatte, versicherte Anna, dass ihr Ehemann begütert genug sei, um die ausstehenden Schulden bezahlen zu können, nachdem er in einem ordentlichen Gerichtsverfahren dazu verurteilt worden sei. Somit gebe es keinen Grund, ihn im Gefängnis zu behalten. Nachdem sie zusätzlich noch ihre eigenen Güter als Kaution für seine Freilassung angeboten hatte, gab es im Zivilverfahren eigentlich keinen Grund mehr, Christian Hess im Gefängnis zu behalten. In diesem Moment ging jedoch die gräfliche Administration über zum Strafrecht und konstatierte, Christian sei straffällig geworden. Er solle seine Schulden ruhig als Strafgefangener vom Gefängnis aus begleichen, wo er wegen seiner Verbrechen zu Recht einsitze. Man wechselte also je nach Bedarf ungeniert die rechtlichen Ebenen, um das erwünschte Ergebnis rechtfertigen zu können. Dasselbe Vorgehen ist beim Schreinerschen Konkurs zu beobachten. Die Gemeinde hatte zunächst eine Forderung an die Konkursmasse angemeldet, weil Schreiner aus seiner Amtsführung als Bürgermeister eine Summe schuldig geblieben sei. Als das Gericht daraufhin Einsicht in die Bürgermeistereirechnung verlangte, verzichtete die Gemeinde auf ihre Forderung. Offenbar wollte sie verhindern, dass die Gräflichen auf dem Umweg über das Schreinersche Konkursverfahren Einsicht in die Bürgermeistereirechnung erhielten, die ihnen sonst grundsätzlich vorenthalten wurde. Zivilrechtlich beriefen sie sich überzeugend darauf, dass niemand eine Partei zwingen könne, eine Forderung geltend zu machen und sie einzuklagen. Dem hielt die solms-laubachische Regierung entgegen, dass die Gemeinde damit ihrem in Konkurs geratenen Altbürgermeister die verzichtete Summe schenke, ohne dass ein Grund dafür erkennbar sei. Damit verließ sie argumentativ ihre Funktion als Gericht und wechselte über zu ihrer Funktion als Gemeindeaufsichtsbehörde. Das war für die Untertanen deswegen schwer zu erkennen, weil beide Funktionen organisatorisch nicht getrennt waren, sondern von denselben Personen wahrgenommen wurden. Wie das Reichskammergericht

Die Ergebnisse für die Solms-Laubacher Herrschaft

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über den Fall dachte, lässt sich nur an einem Nebenurteil erkennen, bei dem der zivilrechtliche Aspekt im Vordergrund zu stehen scheint. Da der Prozess 1806 noch nicht bis zum Endurteil gediehen war, konnte er von den Freienseenern beim Oberappellationsgericht Darmstadt weitergeführt werden. Dieses entschied schließlich zivilrechtlich konsequent, dass die Gemeinde durch ihren Forderungsverzicht rechtmäßig aus dem Konkursverfahren ausgeschieden sei. Die Bürgermeistereirechnung musste im Zivilverfahren also nicht vorgelegt werden. Allerdings behielt das Gericht dem Grafen ausdrücklich vor, dieses Verlangen bei der dafür zuständigen Behörde geltend machen zu können. Das reichsgräfliche Territorium war so klein, dass der regierende Graf alle maßgebenden Entscheidungen selbst treffen konnte und traf. War er abwesend, so mussten die Entscheidungen aufgeschoben werden. Es gab keinen Regierungsapparat, der in dieser Zeit für ihn handeln konnte und durfte. Anfangs genügte ein Sekretär, um den Grafen bei seinen Regierungsgeschäften zu unterstützen. Amtmänner oder später sogar ein Oberamtmann verwalteten die Grafschaft. Anfänglich nahmen diese Position üblicherweise Adlige ein. Erst im 18. Jahrhundert finden sich auch bürgerliche Juristen wie Dr. Causedemius in solchen Ämtern. Im 18. Jahrhundert differenzierte sich die Zentrale weiter aus. Ein aus mehreren Räten und einem Kanzleidirektor bestehendes Regierungskollegium nahm die zentralen administrativen und justiziellen Aufgaben wahr. Der Kanzleidirektor war juristisch immerhin so qualifiziert, dass er sachkundig mit dem gräflichen Reichshofratsagenten über anstehende Rechtsprobleme am Reichshofrat korrespondieren konnte. Für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen des Grafen war die Rentkammer zuständig, wobei personelle Identität herrschte, weil in der Rentkammer auch die Räte des Regierungskollegiums als Rentkammerräte arbeiteten. Beide Kollegien standen gleichberechtigt nebeneinander und befanden sich nicht im Verhältnis von Über- und Unterordnung, wie Graf Friedrich Ludwig Christian seinem unglückseligen Rat von Franc und dessen Kollegen nachdrücklich einschärfte. Bei dieser Gelegenheit formulierte er auch deutlich, wie er sich die Aufgabenteilung zwischen ihm als dem regierenden Landesherrn und seinen Räten vorstellte. Er wollte zwar entscheiden, sich aber das lästige Studium der dicken Akten ersparen. Diese Arbeit sollten ihm seine Räte abnehmen und aus ihrem Aktenstudium einen sachgerechten Entscheidungsvorschlag ableiten. Das solms-laubachische Territorium besaß also in der Zentrale noch eine vormoderne Organisationsstruktur. Auf ein vormodernes Herrschaftsverständnis verweist auch die Begründung eines gräflichen Juristen dafür, dass die vormundschaftliche Regentin Gräfin Charlotte für einen Vergleich nicht auf Rechte hätte verzichten dürfen. Er führte nicht staatsrechtliche Argumente an, sondern bezog sich auf das Fideikommissrecht oder

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das Recht der Familienhausverträge, durch die ihr die Hände bei der Verfügung über Güter gebunden gewesen seien. Das Recht der Fideikommisse und Familienhausgüter war jedoch Teil des Privat(Fürsten-)rechtes und nicht des Staatsrechtes. So kann man an den über zweieinhalb Jahrhunderten der Prozessführung deutlich erkennen, wie sich allmählich Verstaatlichungstendenzen verdichteten, ohne dass dabei jedoch das Stadium eines Staates schon erreicht worden wäre. Die Freienseener hatten darunter zu leiden, dass sie sich diesem Verdichtungsprozess entgegenstellten. Sie beharrten auf ihren alten Rechten, mussten aber mehr und mehr einsehen, dass sie gegenüber den modernen Anforderungen nicht alles uneingeschränkt bewahren konnten. Die Auseinandersetzungen um ihre Position gegenüber den Grafen zu SolmsLaubach war ein Kampf gegen den Trend der Geschichte, den sie bestenfalls partiell gewinnen konnten.

Orts- und Personennamenregister

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Orts= und Personennamenregister. (Die Zahlen bezeichnen die Seiten der Fundstellen. Eine weitere Zahl nach / die Fußnote auf der Seite.) A Agnes, Gräfin zu Solms-Laubach, geb. Gräfin zu Wied, Witwe von Graf Friedrich Magnus I. : 59, 64, 109, 111, 113, 115, 117, 119, 121, 123. Albert Otto I., Graf zu Solms-Laubach : 146, 146/3, 147, 149, 149/13, 151, 153, 154, 155, 157, 158, 158/43, 159, 160, 162, 163, 164, 166, 176, 289. Albert Otto II., Graf zu Solms-Laubach: 197, 200, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228. Altenhain: 110, 258. Anna, Gräfin zu Solms, geb. Herzogin von Mecklenburg, Gemahlin Graf Ottos : 5. Anna, Gräfin zu Solms-Laubach geb. Landgräfin von Hessen-Darmstadt, Witwe des Grafen Albert Ottos I. : 146, 146/3, 160, 164, 165, 166, 167, 169, 171, 173, 175, 176, 177, 178, 180. Atzelberg (= Hazenberg), Flurname Freienseen : 283, 299. Augsburg, Reichstag 1566 : 114. August Christian, Graf zu Wied-Runkel: 197. B Bär, solms-laubachischer Förster: 302, 319. Baldus, Rechtsgelehrter : 54. Balthasar, Henrich, Freienseener : 114. Baumkirchen, Wüstung in der Freienseener Gemarkung : 193. Bayern-Pfalz, Kurfürst von : 31. Becker, Freienseener : – Hans : 156. – Heinz, Bürgermeister : 155 Beer, Conrad, Freienseener : 102(Bürgermeister), 176, 177, 238.

– Johann : 126, 152. – Merten : 126, 152. Beiss, Hans, Schultheiß zu Laubach : 149/13. Bender, Conrad : 119. Bentheim, Wilhelm Heinrich Graf zu : 197. Bercholt : 220/21. Berlich, Rechtsgelehrter : 220/21. Bernhold, Leutnant : 230, 231, 233, 234. Besold, Rechtsgelehrter : 220/21. Besserer, Hofrat , solms-laubachischer Prokurator : 263, 266, 267. Betz, Hans : 110 Billgen, Albrecht Otto, solms-laubachischer Sekretär : 180, 184, 185. Binder, Hofrat : solms-laubachischer Reichshofratsagent: 29. 29/50, 30, 248. Bletz, solms-laubachischer Musquetier : 262, 263. Bocholt , Rechtsgelehrter : 220/21. Bötz, Freienseener : – Johannes : 47. – Henne : 49, 53, 54. Bohns, Conrad, Freienseener :178. Botmer, Oberst : 239. Bott, Ortenberger Stadtschreiber : 13. Boxberg : 11/28. Bräunlin, Licenciat Mauritius, solmslaubachischer Prokurator : 45, 62, 64, 65, 65/13, 67. Brannen, Tobias Sebastian , Reichshofratsagent : 26. Braunschweig, Christian Herzog von : 165. Breitenband bei Linnich : 147. Breithaupt, solms-laubachischer Sekretär : 238/35 Brüssel : 17, 19, 20, 43/9, 46, 48, 49.

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Orts- und Personennamenregister

C Carl Otto, Graf zu Solms-Laubach : 8, 197, 200, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228. Carpzov, Rechtsgelehrter : 220/21. Caspari, Freienseener Bürgemeister : 325, 326. Causedemius, Oberamtmann : 141, 204, 207, 212, 257, 347. – Dr. Andreas :183, 184, 190. – Dr. Johann Conrad : 192. Christ, Balthasar, Freienseener : 159, 270. Christian August, Graf zu Solms-Laubach : 8, 10/27, 17/13, 30, 31, 32, 33,36, 39, 40, 141, 142, 222, 242, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 268/23, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 285, 286, 293, 334, 339, 342. Conradt, Kathi, Freienseenerin : 135. Cothmann, Rechtsgelehrter : 220/21. von Cramer, Dr. Johann Ulrich von, Reichskammergerichtsassessor : 40, 52/34, 232, 233, 268, 268/23, 269, 273. Creutzseen, Forst, Wüstung, Berg in der Freienseener Gemarkung : 193, 217. D Darmstadt, Oberappellationsgericht : 312, 328, 333. Dick, Dr., Freienseener Prokurator : 43, 58, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68. Dickel, Johann Henrich, Freienseener :317. Dienstorff, Johann Just, Geometer : 60/59. Dill, Johannes, Freienseener : 47. E Eberhard, solms-laubachischer Rat : 246. Ebert(h), Dr. solms-laubachischer Rat : 235, 235/26, 263, 264, 265, 266, 280.

Einwartshausen : 198. Elisabeth Charlotte, Gräfin zu SolmsLaubach, geb. Prinzessin zu Isenburg-Büdingen-Birstein, Schwiegertochter des Grafen Christian August : 283. Engelhausen : 128. Esslingen : 50. F Fabri, Dr. Conrad, solms-laubachischer Prokurator : 115. Fabritius, Dr. Conrad, hessen-darmstädtischer Rat : 202, 206, 207, 213. Falkenstein, Herren von : 3, 3/4. Fickler, Dr., Freienseener Prokurator : 91, 94. Flensinger Hof : 88/64. Fichard, Dr., solms-laubachischer Anwalt : 9, 62, 66, 66/16, 67, 67/22. – Caspar : 62, 66, 66/16, 67, 67/22. von Franc, solms-laubachischer Regierung= und Rentkammerrat : 283, 295, 302, 309, 313, 314,315, 321, 322, 323, 324, 325, 328, 333, 347. Frankfurt : 26, 206, 207, 210, 213, 218, 228, 230, 240, 241, 248, 277, 340. – Metzger zu : 216 – Konferenz zu : 186, 187, 189, 198, 201, 202, 204, 205, 206, 207, 213, 223, 225, 257, 310, 340. – Protokoll über die Konferenz : 22, 22/30, 26, 29, 32, 32/58, 43, 47, 106, 146, 190. – Vergleich von : 206, 207, 210, 213. Frankreich : 165. französischer Krieg : 122. Freienseen : – Ort, Dorf : 1, 2, 2/5, 3, 4, 4/6, 4/7, 6, 7, 8, 9, 10, 10/27, 11, 11/29, 12, 12/33, 13, 15, 16, 18, 18/15, 18/16, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26/39, 27, 28, 29, 30, 31, 34, 35,35/67, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 42/4, 43. 43/9, 46, 47, 51, 52/34, 53, 55, 56,57, 58, 59, 60, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 73, 75,

Orts- und Personennamenregister

– – –



– – – –

76/19, 78, 81,83, 85, 86, 90, 94, 95, 96, 98, 108, 109, 112, 113, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 121/44, 123, 125, 126, 127, 129, 130, 131, 134, 137, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 147, 148, 150, 151, 154, 155, 160, 164, 165, 166, 167, 169/74, 173, 175, 176, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 188, 189, 190, 191, 195, 196, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 211, 214, 216, 218, 219, 221, 223, 224, 225, 226, 230, 231/12, 232, 233, 236, 237, 239, 240, 242, 243, 245, 247, 248, 250, 251, 252, 254, 255, 256, 259, 261, 262, 264, 265, 267, 269, 270, 271, 275, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 288, 289, 290, 291, 293, 294/14, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 317, 318, 319, 320, 322, 323, 324. 325, 328, 334, 335, 336, 337, 342, 343, 344, 345, 346. Flecken : 48, 131, 158, 196, 289, 292. freier Flecken, Reichsdorf : 18, 19, 25, 56, 63, 68, 192. Gemeinde : 32, 36/12, 44, 45, 46, 48, 53, 57, 64,70, 100, 101, 107, 119, 132, 136/56, 158, 166, 168, 176, 180, 192, 194, 199, 201, 205, 206, 213, 220, 239, 248, 249, 257, 258, 259, 262, 266, 269, 270, 272, 283, 285, 286, 287, 289, 291, 293, 303, 304, 312, 314, 315, 316, 317, 321, 324, 325, 328, 331, 334, 338, 342, 344 . Anwalt, Advokat. Prokurator von Freienseen : 47, 151, 153, 157, 163, 179, 183, 221, 222, 226, 237, 250, 252, 303, 305, 310, 311, 314, 316, 318, 320, 323, 324, 326, 327, 332. Baumeister : 84. Bürgermeister und Baumeister: 129, 182 Bürgermeister: 181, 217, 240, 247, 310, 314, 324. Bürgermeister und Gemeinde : 4/6, 4/7, 20/52, 239

351

– Einwohner : 1, 2, 3, 4, 6, 6/6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 14/38, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 23, 24, 24/36, 25, 26, 26/39, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 32/58, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 42, 43, 44, 45, 45/16, 46, 47, 48, 49, 50, 79, 82, 88/64, 129, 138, 139, 140,141, 142, 143, 144, 145, 147, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 160, 161/52, 162, 163, 165, 166, 165, 170, 173, 174, 175, 176, 179, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 198, 199, 201, 202, 203, 204, 295, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 228, 229, 229/4, 230, 231, 231/12, 232, 233, 233/18, 234, 235, 236, 237, 239, 241, 242, 243, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 254, 255, 256, 257, 257/4, 258, 259, 260, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 292, 294/14, 298, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 309, 315, 316, 317, 318, 320, 321, 322, 323, 325, 332, 333, 335. 336, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348. – Gemeindebezirk: 46. – Gemeindevorstand : 321, 324. – Heimbürger und Gemeinde : 4, 6. – hessische Schutzgemeinde: 38, 73/4, 281, 318. – Pfarrer : 66, 84, 346. – Pfarrhaus : 116, 118. – Pfarrkirche : 50, 82, 84, 88/64, 176. Friedberg : 111, 183, 184, 198, 212, 341. Friedrich, Graf zu Solms-Rödelheim : 165, 218. Friedrich Ernst, Graf zu Solms-Laubach : 28, 29, 30, 31, 238, 241, 244, 245, 246, 246/12, 247, 248, 249, 250, 276. Friedrich Ludwig Christian, Graf zu Solms-Laubach : 2/6, 293, 320, 321,

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Orts- und Personennamenregister

325, 329, 331, 333, 333/1, 334, 335, 347. Friedrich Magnus I., Graf zu SolmsLaubach: 4, 5, 5/4, 7, 10, 13, 15, 15/1, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 23, 32/57, 41, 42, 42/4, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 57,58, 59, 61,, 62, 63, 64, 66, 67, 68, 69, 69/2, 86, 97, 98, 99, 103, 109, 118, 123, 124, 142, 274, 256, 289, 338, 342, 345. Friedrich Magnus II., Graf zu SolmsLaubach :250, 251, 252, 253, 254, 324. Friesener Mühle : 128. Friesener Müller, Hans, in Freienseen : 147, 148, 150, 151, 152, 152/22, 154, 155, 156. Fritzingen, Schultheiß zu Ruppertsburg : 298. G Galgenberg, Flurname Freienseen. : 128. Gebhardt, Johann, Freienseener : 158, 159, 169. Gedern : 219/17. Georg II., Landgraf von Hessen-Darmstadt : 25, 107, 115, 185/112, 186, 190, 191, 192, 195, 196. 198. 199, 200, 201, 202, 204, 206, 208, 211, 212, 213, 223, 224. Geyersberg, M. Lucas, Laubacher Prediger : 256. Giessen : – Stadt : 31, 109, 185, 189, 222,223, 224, 240, 247, 250, 251, 252, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 271, 273, 286, 293, 312, 314, 317. 333. – hessen-darmstädtische Regierung zu : 8, 28, 31, 34, 35, 185, 189, 191, 199, 205, 206, 216, 217, 222, 223, 224, 225, 229, 229/4, 240, 245, 247, 250, 251, 252, 259, 260, 262, 263, 264, 265, 266, 267. 269, 270, 271, 273, 274, 278, 279, 281, 282, 293, 314, 317, 333, 334. – Straße nach : 109. – Universität : 333.

– Regierungsrat : 205, 240. Glotz, solms-laubachischer Hofmeister : 262, 263. Göttingen, Rechtsfakultät : 290. Gombel, Dr., Freienseener Prokurator : 320, 325. Goy, Dr., Freienseener Prokurator : 222. Grisort, Reiterregiment : 165. Grünberg : – Stadt : 1, 10, 11, 12, 17, 42, 51, 56, 87, 114, 138, 139, 148, 164, 173, 207, 212, 213, 215, 250, 251, 252, 258, 273, 316, 318, 343. – Amt : 318. – Amtmann zu : 13. – Bürgermeister und Rat : 12, 17. – Konferenz zu (1652, 1653) : 197, 206, 211/15, 223, 230, 340. – Rentmeister zu : 12, 135/52, 196. – Schultheiß zu : 7, 43, 273. – Stadtschreiber zu : 12, 51/52, 65 Gründau : 11/28. Gunterskirchen : 198. H Haffberg, Freienseener Flurname : 128. Haffner von, hessen-darmstädtischer Reichshofratsagent : 38. Hail, Rechtsgelehrter : 220/21. Haingraben, Freienseener Flurname : 159, 160, 166, 169. Halle, Rechtsfakultät : 269/26, 270, 271, 272, 290. Hanau, Herren von : 3, 50, 165, 268/23 Hans, der lange, Freienseener : 55, 56. Harpprecht von, solms-laubachischer Reichshofratsagent : 32/58, 33, 36, 36/69, 36/70, 276, 277, 278, 280. Harpprecht von, Johann Henrich, Reichskammergerichtsassessor : 268, 268/22. Harrach, Graf von : 36. Haseln, Christoffer, Maler (=Heyl?) : 65. Hazenberg (= Atzelberg), Freienseener Flurname : 283, 285. Heilmann, Freiensener :

Orts- und Personennamenregister

– Carl, Bürgermeister : 176. – Conrad : 177. Heintz, Freienseener : – Balthasar : 68 – Hans : 54, 55. Heintzenberger, Licenciat, solms-laubachischer Kanzleidirektor : 228, 229, 229/4, 230, 234, 246. Helmstedt : 144, 145. Heinrich Trajectinus, Graf zu SolmsBraunfels : 228. Heinrich Wilhelm, Graf zu Solms-Sonnewalde : 165. Henchin, Ebin, Freienseener : 49, 53. Hess, Freienseener : – Anna, Ehefrau von Christian : 136, 150, 346. – Balthasar : 47, 199. – Christian : 116, 117, 118, 120, 121/48, 126, 130, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 147, 148, 150, 151, 152, 152/23, 153, 154, 155, 156, 161, 346. – Conrad : 110. – Dorothea, Ehefrau von Hans : 120. – Hans, Sohn von Christian : 134. – Heintz : 177. – Johann (Hans) : 55, 68, 89, 104, 110, 111, 112, 113, 119, 120, 121/47, 129(Bürgermeister), 130, 131, 132, 134, 139, 140, 157, 176, 177, 178, 179. – Wilhelm : 177. Hessen : – Landgrafschaft : 250, 258, 259. – Landgrafen von : 2/6, 4, 6, 7, 8, 13, 14, 18, 25, 34, 38, 42, 60, 112, 113, 114, 118, 119, 122, 124, 138, 148, 149, 175, 186, 188, 189, 190, 191, 195, 196, 216, 229, 250, 251, 254, 259, 264, 265, 281. Hessen-Darmstadt, Landgrafen von : 8, 25/57, 34, 35, 38, 39, 77/24, 189, 190, 200, 208, 245, 252, 254, 260, 263, 264, 265, 267, 268, 268/23, 269, 275, 278, 279, 281, 286, 293,312, 317, 318, 328, 329, 332, 333, 334, 340. – Kanzler : 206.

353

– Rat :205, 240 – Regierung : 8, 251, 260, 271, 282, 314, 317. Hessen-Kassel, Landgrafen von :146, 200, 201, 268/23. Hessenhain, Flurname Freienseen : 283, 285, 299. Heyl, Christoffer, Maler aus Speyer : 61. Hofbender, Conrad, Freienseener : 155, 156, 157. Hoff, Hans, Freienseener : 56. Hoffmann, Johann Conrad, Unterbürgermeister Freienseen : 260. Hofmann, Dr. solms-laubachischer Prokurator : 309, 310, 318 320, 333. Hofmann, Johann Konrad, der Müller : 283. Hohenlohe-Bartenstein, Fürst von, Kammerrichter : 48, 268. Hubertusburger Frieden : 10/25, 330. Hungen : 219/17 – solmsische Gesamtjustizkanzlei : 329, 331, 334. Hunolstein : – Kapitänleutnant : 198. – Regiment : 197. Husanus, Rechtgelehrter : 220/21. Ilstorff : 88/64, 89, 129. Immelt, Freienseener : 270. – Anton : 250 – Conrad : 324. – Hans : 152, 247, 283, 315, 316, 318, 319. – Heinrich, Bürgermeister : 28, 247. – Johannes : 283. – Johannes IV. : 315, 316, 318, 319. – Johannes Conrad : 324. – Werner : 271, 324. I Imola, Alexander, Rechtsgelehrter : 54. Ingelheim, von, Reichskammergerichtspräsident : 244. ingelheimische Affäre : 242, 245.

354

Orts- und Personennamenregister

Irrenger, Schreiber des Marburger Hauptgerichts : 7. Isolani, Obrist : 165

– Chrispin : 58. – Heinrich, Pfarrer zu Freienseen : 133. – Theyss :54.

J Jacobus : 111. Jena . Rechtsfakultät : 290. Jesus : 111. Joeckel, Wilhelm, Bürgermeister von Ulrichstein : 258. Johann, Graf zu Solms : 5. Johann II., Graf zu Wied-Runkel : 64, 109 Johann August, Graf zu Solms-Laubach : 230. Johann August, Graf zu Solms-Rödelheim : 228, 229, 230. Johann Friedrich, Graf zu Solms-Laubach : 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243. Johann Friedrich, Graf zu Solms-Wildenfels : 228. Johann (Hans) Georg, Graf zu SolmsLaubach : 12, 18, 79, 80/37, 84, 110, 117, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 140, 141, 142, 143, 144, 161/52, 162/75, 230. Johann Georg II., Graf zu Solms-Baruth : 165. Johann Sigmund , Graf zu Solms-Laubach: 230. Johannes : 111. Johannssen, Martin, Freienseener : 121. Jost, Johann Heinrich, Bürgermeister : 313, 314. Jost, Johann Henrich, Freienseener Baumeister : 313, 314 Jülich : 147. Jung, Freienseener: – Johann gen. Pfaffenbecker : 179, 180. – Johann Heinrich, Bürgermeister : 274. Jungchen, Freienseener : 99. Jungen, Freienseener :

K Kaichen, Freigericht : 11/28. Kaiser, Hans, hess. Offizier : 225. Kaiser : – Franz I. : 33. – Ferdinand I. :24. – Ferdinand II. : 24, 338. – Ferdinand III. : 25. – Ferdinand IV. : 25. – Joseph I. : 27. – Joseph II. : 38. – Karl V. :4, 5, 7, 30, 32, 48, 115, 288. – Leopold I. : 26, 27, 32, 276. – Matthias : 24, 166, 174. – Maximilian II. : 24. – Rudolf II. : 24, 77. Karbener Mark : 11/28. Kassel : 42/4, 124, 149, 200, 214, 222. Katharina Juliana, Gräfin zu SolmsLaubach, geb. Gräfin zu Wied, Witwe Graf Albert Ottos II. : 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209,210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 218, 219, 268. Krämer, Hans, Freienseener : 155, 156. Kremer, Wigl, Freienseener : 50, 51 Lucan, Dr. Bernhard, Laubacher Oberamtmann : 154 Klock, Rechtsgelehrter : 220/21. Knoss, Johannes, Freienseener Bürgermeister : 324. Köln, Rechtsfakultät : 188, 211/16. Krausch, Johann Conrad, Freienseener : 319, 320. Krebsen, braunschweig-lüneburgischer Rat : 240. Krug, Giessen, Freienseener Advokat : 293, 314. Dr. Kuehorn, solms-laubachischer Prokurator : 75, 75/16, 128, 149.

Orts- und Personennamenregister

L Lampus, Notar in Giessen : 312. Lartenbach : 13, 80/34, 88/64, 89, 117, 129, 138, 181, 288. Lasser, Dr., Freienseener Prokurator : 138, 141. Latzen Simon, gräflicher Faktor zu Laubach : 50, 51. Laubach : – Stadt : 1, 2, 7, 13, 30, 36, 40, 43, 45, 47, 48, 52, 52/34, 54, 55, 56, 57, 58, 110, 112, 114, 117, 119, 123, 126, 128, 131, 134, 135, 136, 138, 139, 144, 147, 148, 149, 150, 152, 155, 156, 158, 159, 160, 161, 163, 164, 165, 167, 168, 169, 173, 176, 177, 183, 184, 185, 190, 196, 197, 198, 199, 200, 203, 204, 210, 211, 212, 213, 216, 217, 219, 230, 239, 240, 242, 245, 250, 257, 258, 259, 260, 263, 269, 278, 285, 286, 299, 294, 296, 297, 298, 299, 301, 303, 304, 305, 306, 313, 314, 319, 320, 325,331, 333, 337, 341, 343. – Amt, Bezirk : 3, 4, 5, 15, 124/59, 133, 146/3, 315. – Anwalt, Prokurator : 227, 303. – Archiv : 30, 211/16, 260/9. – Bürger : 23, 46, 109, 173, 199, 200, 211. – Bürgermeister : 13. – Burg : 3, 82. – Gericht : 4, 22, 81, 89, 102, 107, 110, 112, 130, 133, 134, 136, 137, 140, 142, 152, 153, 159, 166, 167, 169, 178, 179, 220, 248, 313, 319, 346. – Gefängnis : 13/38, 47, 49, 55, 56, 58, 271, 336. – Gerichtsschreiber : 86 – Grafschaft, Herrschaft, Obrigkeit : 3, 4, 5, 8, 15, 16, 19, 78, 146, 147, 149, 154, 158, 160, 161, 165, 169, 172, 174, 176, 177, 178, 185, 199, 201, 203, 204, 217, 223, 224, 225, 226, 228, 235, 243, 245, 246, 247, 250, 251, 252, 259, 262, 264, 269, 270, 275, 284, 307, 308, 309, 313, 325, 332, 341, 345.

355

– Hofmeister und Räte : 18, 19. – Jagdhaus : 15. – Kanzlei : 27, 28, 36, 171, 181, 182, 183, 236, 259, 261, 271, 274, 279, 280, 293, 303, 310, 313, 318, 325, 326, 328, 329, 331, 333. – Kanzleischreiber : 36/69, 36/70, 246. – Kirche : 82, 144. – Pfarrer : 53, 80/37, 116, 176, 254. – Rathaus : 122, 134, 138. – Ratsherr : 116. – Regierung, Regierungsräte : 184, 185, 294, 238, 250, 251, 252, 254, 258, 263, 264, 265, 268, 269, 271, 273, 301, 309, 310, 318, 339. – Rentkammer : 283, 286, 293, 320. – Rentmeister : 112, 177. – Schloß : 3, 5, 19, 19/15, 19/27, 19/38, 30, 40, 41, 50, 52, 55, 79, 81, 97, 143, 144, 214, 341, 342. – Schultheiß : 23, 47, 51, 56, 84, 99, 101, 121, 123, 126, 130, 135, 137, 138, 145, 155, 167, 178, 337, 346. – gräflicher Sekretär : 61, 86, 112, 120, 149, 154, 165, 211. – Stadtknecht : 97, 109. – Tiergarten : 156, 181. – Untertanen : 8, 13, 52/34, 56. – Zunft : 133/78, 204, 210, 214, 343. von Lehennen, Hofmarschall, Regierungs= und Rentkammerrat zu Laubach : 264, 265, 283, 295, 302, 315, 318, 320, 325, 328. Leipzig : 144, 145. Leutner, Amtmann zu Grünberg : 13. Lieschen, Johann, Händler aus Frankental : 106. Lindeloh, Regiment : 165. Löber, Heinrich : 269. Lothringen : 178. Lotz, hessischer Landkommissar : 250. Ludolf, Schultheiß zu Laubach : 84, 86. von Ludolff, Rechtsgelehrter : 273, 285. Ludwig IV., Landgraf von HessenDarmstadt : 8.

356

Orts- und Personennamenregister

Ludwig, Graf zu Solms-Greifenstein : 197. Ludwig Christoph, Graf zu SolmsLich : 197 Lüneburg-Braunschweig : 240. Lutz, Freienseener : 270 – Conrad: 37, 280. M Magersuppe, Konrad, Grünberger Stadtschreiber : 12, 51/32, 65, 72. Mainz : – Stadt, Festung : 269, 270, 271, 275, 276, 342. – Kurfürst von : 24, 88, 86/33, 201, 222/34. – Maler von : 60. Maria : 111. Marburg : 191, 192, 195, 196, 198. – Rechtsfakultät : 211, 268/23. – Vergleich : 146, 148, 150, 152, 154, 156, 158, 160, 162, 164, 166, 168, 170, 172, 174, 176, 178, 180, 182, 184, 188/112, 186, 188, 190, 192, 193, 194, 195, 197, 198, 199, 202, 203, 205, 207, 209, 217, 219, 230, 232, 235, 236, 237, 255, 256, 259, 262, 285, 288, 289, 292, 300, 304, 307,327, 329, 338, 339, 340, 341, 344. Margarethe, Gräfin zu Solms-Laubach, geb. Gräfin von SchönburgGlauchau, Witwe Graf Johann Georgs I. : 124. Maull, Thomas, solms-laubachischer Sekretär : 108, 149, 155, 162, 163/50, 165. Mauren, Eberhard, solms-laubachischer Amtsverwalter : 154. von Maushaug, Wien : 247. Meissen : 149. Meister, solms-laubachischer Justizrat : 321, 322, 323, 324. Merseburg, Michael, Bischof von, Kammerrichter : 64/1. Mevius, Rechtsgelehrter : 220/21.

Meyer, solms-laubachischer Kammerbote : 262. Mockstadt 13/36. Möller, Freienseener : – Hans : 150 – Heintz : 55. – Ludwig : 139 Moritz, Landgraf von Hessen-Kassel : 146, 165. von Moritz, Obristleutnant zu Grünberg : 252. Moritz Christian, Graf zu Wied : 197. Moser, Rechtsgelehrter : 384. Mügen, Dr. solms-laubachischer Prokurator : 235/26. Mühlberg : 7. Müller, Freienseener : – Hans : 147, 148, 150, 151, 152, 152/23, 153, 154, 155, 156. – Hans, solms-laubachischer Landknecht : 154. Münden, leiningischer Rat : 246. Münster : 229. Münzenberg : 3/4. Mull, Thomas, Giessen : 185. Mullen, Freienseener : – Hans Henrich :128. – Conrad : 128. N Nassau : 165. Niederlande : 146, 155/32, 164. niederländischer Krieg : 122. Nieuwpoort : 146. O Oberhessen : 2, 9, 82. Oberseen, Hof : 224. Oberseen, Schultheiß zu : 181. Oldenburg, Christian Graf zu : 13. Ortenberg – Amt : 219/17. – Stadtschreiber : 13 Oswalt, Freiensener : – Franz : 56, 57, 65, 99. – Heintz : 56, 64, 99.

Orts- und Personennamenregister

Otto, Landgraf von Hessen : 12. Otto I. Graf zu Solms : 5, 25, 59, 109, 121, 122/51, 124. Otto II., Graf zu Solms-Laubach : 69, 167 Otto, Graf zu Solms-Sonnewalde : 59. Otto, solms-laubachischer Sekretär : 274, 324. P Paris : 165. Pauli, Conrad, Rädelsführer zu Laubach : 200. Peterswäldchen, Freienseener Flurname : 217. Pfaffen, Hans, Freienseener : 119 – Johann Balthasar : 120. Pfalz-Neuburg, Rat : 147. Pfeffer, solmsisch-laubachischer Oberförster : 261, 263, 301, 319. Pfeifer, solms-laubachischer Jäger : 318. Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen : 5, 6, 7, 9/18. 18, 42,42/4, 118, 124. Philipp, Graf zu Solms : 4/6, 5, 6, 6/2, 9, 10, 112, 175, 208. Philipp, Graf zu Solms-Braunfels, : 64, 109, 112, 240. Philipp Reinhard, Graf zu Solms-Hohensolms : 197. Pintzer, Dr., Kommissar des Reichskammergerichts : 118. Planckherd, Obrist : 165. Plönnies, solms-laubachischer Rat : 238, 238/35, 239, 240. Prag : 24, 77, 175. R Rab, Caspar, Bürgermeister und Ratsherr zu Grünberg : 12 Rahn, Johann, Gerichtsschöffe zu Ulrichstein : 258. Raubbach = Rebach = Raubach, Bach in Freienseen : 129. Regimetz, Leonhard, Magister, von Stralsund : 121, 123.

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Reichelheim : 20, 45, 47, 146, 230. Reichenbach : 13/35. Reinhard, Graf zu Solms : 5, 13, 20, 40. Reinhard, Graf zu Solms-Lich : 5/13, 20, 48. Reppen, Freienseener : – Jakob : 180 – Elisabeth, Mutter von Jakob : 180. Rhein : 13. Rheinigkh, Hartmann : 192. Riddere, Johannes, Freienseener : 37, 280. Rijswijk, Frieden zu 1697 : 238, 244. Rödelheim : 20, 45, 47, 99, 146, 230. Röll, Freienseener : – Cuntzen, Bürgermeister : 170. Rueln, Cuntz, Freiensener : 50. Rühl, Freienseener : – Johann Konrad : 29. 247 (Bürgermeister) – Kuntz : 57. Rupp, Freienseener : – Conrad, : 155, 156. – Hans, Bürgermeister : 127, 139, 143, 155, 156, 177, 231. – Heinrich : 191. – Seipp : 120, 121, 121/43, 159. – Thielen : 119, 120, 120/39, 121/47. Ruppell, Giessen : – Johann Heinrich : 185, 185/12 – Johann Reinhard : 185, 187, 192. Ruppertsburg : – Ort : 89, 130, 138, 198, 228, 295, 298, 301, 302. – Schultheiß von : 298. S Sachsen : 5, 13, 60, 113. – August, Kurfürst von : 124. – Sachsen-Coburg : 312. – Sachsen-Weimar, Wilhelm Herzog von : 7, 18, 42, 113, 118. Sames, solms-braunfelsischer Rat : 240. Saue, Freienseener : – Georg : 263. – Johann Heinrich : 302.

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Orts- und Personennamenregister

Schäfer, gräflich solms-laubachischer Leutnant : 251, 255. Schäfer, Johann Peter, Freienseener : 238/35. Schautantz, Dr. Georg Daniel : 192. Schenk zu Schweinsberg : 121/44. Scheurer, Dr., solms-laubachischer Prokurator : 222. Schining, Maler aus Mainz: 61. schmalkaldisch : 5, 7, 13, 16. Schmidt, Freienseener Bürgermeister : 261, 262. – Gela, Ehefrau von Henrich : 133. – Hans(Bürgermeister) : 250, 260, 270.

– Henrich : 133, 171, 177. – Johannes : 199, 200. – Ruprecht : 55. Schneidewin, Caspar, solms-laubachischer Sekretär : 149/13. Schönborn, Graf von : 28. Schöpf, Hofrat, solms-laubachischer Advokat : 263, 265, 266,. 267. Schott, Dr. Giessen, Freienseener Advokat : 222. Schotten : 324. Schrader, Rechtsgelehrter : 220/21. Schreckenberger : 194. Schreiner, Freienseener : – Daniel, Bürgermeister : 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 334, 346. – Hermann : 170, 171, 172, 173, 270. – Johannes : 180. Schütz, Dr., hessen-darmstädtischer Kanzler zu Giessen : 109, 206, 208, 209, 210, 211, 212, 213. Schütz, Geheimer Regierungsrat zu Laubach : 199, 206, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 252. Schwalbach : 305/37. Schweden : 222. Seid, solms-laubachischer Büchsenspanner : 319. Seideln, hessen-darmstädtischer Regierungssekretär : 25/35. Seipp, Freienseener

– Johann : 177. – Rupp : 128, 121/48. Sell, solms-laubachischer Anwalt am Oberappellationsgericht Darmstadt : 328, 334. Senckenberg, Baron von, Reichshofrat : 36. von Seyd, solms-laubachischer Regierungs= und Rentkammerrat : 283, 296, 297, 298, 305, 306, 308, 315, 318, 319, 320, 322, 324, 325, 328. Sintram, Lutz, Pfarrer zu Freienseen : 66, 84, 116. Solms-Hohensolms, Grafen zu : 294/15. Solms-Laubach : – Grafen zu : 1, 2, 5, 8, 23, 25, 26, 28, 30, 34, 35, 36, 41, 42, 43, 48, 60, 70, 106, 119, 121, 121/42, 122, 123, 131, 142, 143, 144, 146, 154, 161, 162, 166, 172, 180, 183, 186, 188, 190, 192, 194, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 203, 211, 213, 215, 219, 220, 221, 224, 225, 228, 232, 236, 240, 241, 242, 243, 245, 246, 250, 251, 252, 256, 257, 258, 259, 262, 263, 264, 266, 267, 275, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 287, 288, 289, 291, 292, 293, 309, 310, 312, 317, 318, 320, 322, 333, 334, 335, 336, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 345, 346, 348. – Grafschaft, Herrschaft, Obrigkeit : 2, 3, 5, 7, 8, 15, 19, 23, 25, 27,30, 41, 48, 59, 63, 70, 72, 73, 123, 124, 138, 148, 165, 178, 179, 180, 183, 192, 194, 195, 196, 216, 218, 228, 236, 244, 276, 286, 293, 312, 316, 317, 335, 338, 342, 343, 344, 345, 347. – Kanzleidirektor : 229. – Prokurator, Advokat : 263, 268, 303, 309, 318, 328, 336. – Rat : 235, 257, 293, 305, 341. – Regierung : 265, 269, 308, 331, 346. – Regierungskanzlei : 245, 293. – Reichshofratsagent : 277, 280. – Rentmeister : 293. – Sekretär : 108, 149, 155, 162, 163/59, 165., 198.

Orts- und Personennamenregister

Solms-Lich, Grafen zu : 5, 9, 48, 197, 231. Sonnewalde : 5, 6, 16, 124. Sonntag, Dr. solms-laubachischer Advokat : 275. Sopher, Gotthart : 102. Specht, Oberst : 197. Specht von Bubenheim, Kraft, solmsischer Amtmann zu Speidel, Rechtsgelehrter : 220/21. Speyer : 15, 16, 17, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 31, 41, 43, 44, 45, 47, 50, 51/32, 53, 54, 56, 58, 59, 61, 63, 67, 76, 77, 78, 89, 95, 105, 106, 108, 109, 110, 117, 119, 119/26, 120, 121, 122, 123, 125, 127, 130, 131, 132, 141, 147, 148, 149, 152, 153, 154, 155, 166, 170, 172, 174, 177, 183, 184, 185, 186, 190, 191, 193, 195, 197, 198, 200, 201, 217, 225, 225/44, 230, 235, 237, 244, 276. Steinbühl, Freienseener Flurname : 128 Steinhausen, Licenciat, Freienseener Prokurator : 221. Stemler, Dr. Freienseener Reichskammergerichtsadvokat : 151, 152, 154. Stieve von, solms-laubachischer Reichshofratsagent : 34/65, 36, 36/68, 280. Stockhausen : 88/64, 129. Straßburg : 124 Sylvius, Licenciat, solms-laubachischer Prokurator : 66, 66/16. T Terhell, Gerhard, solms-laubachischer Sekretär : 61, 86, 112, 120, 165, 211. Thomas Müntzersche Irrungen : 247. von Tönnemann, Johann Christoph Veit, Reichskammergerichtsassessor : 39, 40, 268, 268/21, 269. Trohe, Konradt von : 53. Tübingen : 124, 144, 290, 293. U Ulrichstein : 139, 258. Ulstorf, Freienseen : 198.

359

Urff, Christoph von, Amtmann in Laubach : 110, 111, 111/10, 112, 112/11, 120. Utphe : 153/78, 146, 146/3, 198. V Vogelsberg : 1, 1/2, 8, 9, 13, 25, 26, 28, 29, 34, 37, 338. Volp(en), Freienseener : – Balthasar : 271. – Hans : 150. – Heinrich : 55. – Johann : 324. – Johann Caspar, Bürgermeister : 283. – Johann gen. der Pfeifer : 56, 238. – Ludwig : 139. Voss, solms-laubachischer Förster : 287. W Wagner, Rentmeister zu Laubach : 207. Waldschmidt, Rupert, gen. der Welsche,Freienseener : 135. Welsche, der : 135, 136. Werner, Andres, Freienseener: 88/63, 123, 125. Weckersheim : 57. Wegelin, solms-laubachiscer Regierungsrat : 273, 274 313. Weidenau, Freiensener Flurname : 217. Weigandt : 122, 123. Weimarer Laudum : 7, 8, 12, 66, 118, 119, 186, 188, 195, 254, 259. Weiss, Johann, Schultheiß zu Laubach : 155, 162. Westerwälder Union : 228. westfälisch : 10/25 Westfälischer Frieden : 198, 209, 228, 229. Wetterau : 1/2, 8, 13, 122, 146/1, 228, 238. Wetterfeld : 138 Wetzlar : 2/4, 27, 28, 30, 31, 32, 32/57, 33/61, 35, 37, 39, 52, 124/59, 198, 199, 232, 237, 238, 240, 244, 245, 248, 250, 252, 254, 257, 263, 267, 268, 269/26, 272, 273, 276, 277, 279, 281,

360

Orts- und Personennamenregister

282, 286, 300, 303, 309, 310, 313, 314, 315, 320, 326, 333, 339. Wickh, Dr. Johann Jakob, Freienseener Advokat : 286, 311. Wied, Graf zu, Reichskammergerichtspräsident : 39, 268. Wilhelm, Graf zu Solms-Greifenstein : 197, 199. Wien : 24, 27, 28, 29, 30, 33, 33/61, 34, 35, 35/67, 36, 36/68, 36/69, 36/70, 37, 39, 241, 243, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 254, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 333, 334, 339, 344. Wiesbaden : 240, 305/37, Wildt, Richard : solms-laubachischer Rentkammerrat : 295, 302, 303. Wilczek, Graf von , Reichshofrat : 36. Wilhelm IV., Landgraf von HessenKassel : 197, 199.

Windischgrätz, Graf von : 30. Wittelsbach : 33, 277. Wittenberg ; 124 Wolf, Dr., hessen-darmstädtischer Kanzler : 185, 189. Wolf, Dr. Johann, Prokurator : 153. Wolfenbüttel : 149. Wolfsgarten, Freienseener Flurname : 128 Württemberg, Christoph Herzog von : 124. Z Dr. Zeller, solms-laubachischer Prokurator : 218. Ziegenhain : 199, 200.

KLAUS HERBERS HELMUT NEUHAUS

DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH SCHAUPLÄTZE EINER TAUSENDJÄHRIGEN GESCHICHTE (843–1806)

Vor den Augen des Lesers läßt diese reich bebilderte und anschaulich erzählte Darstellung ein herrschaftliches Gebilde aufleben, das etwa ein Jahrtausend lang die kulturelle, soziale und politische Geschichte weiter Teile Europas maßgeblich bestimmt hat. Ausgehend von seinen Schauplätzen spüren die Autoren der Entstehung und Entwicklung, aber auch dem Ende des Heiligen Römischen Reiches nach. 2. AUFL. 2006. VIII, 343 S. MIT 307 S/W-ABB. 38 FARB. ABB. AUF 24 TAF. 27,5 X 21 CM. GB. MIT SU | ISBN 978-3-412-23405-8

„[Das Buch] besticht durch seine vielen, höchst anschaulichen Abbildungen einschließlich der sog. Historienbilder aus dem 19. Jahrhundert, und seine präzisen Informationen. Die „Schauplätze“ einer fast tausendjährigen Geschichte des Heiligen Römischen Reiches werden in Text und Bild auf faszinierende Weise innerhalb dieser Großzählung präsentiert.“ Historische Zeitschrift

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PETER CLAUS HARTMANN

KULTURGESCHICHTE DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES 1648 BIS 1806 VERFASSUNG, RELIGION UND KULTUR 2., VERBESSERTE UND ERGÄNZTE AUFLAGE STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG BAND 72

Das Heilige Römische Reich, das für 1648 bis 1806 als eine Art Mitteleuropa der Regionen angesehen werden kann, bot aufgrund seiner föderalen Struktur mit all den zahlreichen, verschiedenartigen weltlichen und geistlichen Territorien sowie den Reichsstädten einen idealen Rahmen für eine ganz außerordentliche und in ihrer Vielfalt einzigartige kulturelle Blüte. Ursachen dafür waren die große Zahl verschiedenster miteinander konkurrierender Territorien und Residenzen sowie die für die damalige Zeit in Europa exzeptionelle Gleichberechtigung der drei großen Konfessionen des Abendlandes auf Reichsebene durch den Frieden von 1648. Die unterschiedlichen religionsbestimmten Kulturen, d. h. die protestantische Lese- und Wortkultur und die stark sinnliche katholische Kultur konnten sich nebeneinander, in Konkurrenz miteinander und sich gegenseitig befruchtend ausgezeichnet entwickeln. Dies galt zumindest in bestimmten „Nischen“ auch für Minderheitskulturen wie die der Juden oder Hugenotten. 2011. 510 S. ZAHLR. S/W- U. FARBABB. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78684-9

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KLAUS HERBERS HELMUT NEUHAUS

DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH EIN ÜBERBLICK (UTB FÜR WISSENSCHAFT 3298 S)

Etwa ein Jahrtausend lang hat das Heilige Römische Reich die kulturelle, soziale und politische Geschichte Europas maßgeblich beeinflusst. Das Studienbuch bietet die einzige sowohl Mittelalter als auch Neuzeit umfassende Darstellung dieses Herrschaftsgebildes. Die Entstehung und Entwicklung, aber auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches werden darin anschaulich nachgezeichnet. Ergänzt wird der informative Überblick durch neues Kartenmaterial und Tabellen. 2010. 371 S. MIT ZAHLREICHEN KARTEN UND TABELLEN. 120 X 185 MM. ISBN 978-3-8252-3298-6

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