Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts [1 ed.] 9783428508501, 9783428108503

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Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783428508501, 9783428108503

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CHRISTOPH ULMSCHNEIDER

Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 100

Eigentum und Naturrecht Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts Von

Christoph Ulmschneider

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2001/2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-10850-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Gewidmet meinen Eltern und Frau Rechtsreferendarin Andrea Walter. Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, dass diese Arbeit in ihrer jetzigen Form entstehen konnte.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/02 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen als Dissertation angenommen und für die Druckfassung geringfügig überarbeitet. Zu tiefem Dank bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Gottfried Schiemann, verpflichtet, der mir bei der Abfassung der Arbeit alle nur denkbaren Freiheiten und jede nur mögliche Unterstützung zuteil werden ließ. Zu danken habe ich außerdem Herrn Prof. Dr. Jan Schröder für die Übernahme der Zweitkorrektur. Mein weiterer Dank gilt schließlich meinem Bruder, Herrn Rechtsanwalt KlausPeter Ulmschneider, für seine tatkräftige Unterstützung bei der Durchsicht der Druckfahnen. Herrn Prof. Dr. h.c. Norbert Simon verdanke ich die Aufnahme des Werks in die Reihe „Schriften zur Rechtsgeschichte", schließlich der Reinhold-und-MariaTeufel-Stiftung die Verleihung des gleichnamigen Preises. Weinstadt, im Dezember 2002

Christoph Ulmschneider

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

1. „Altes" und „neues" deutsches Naturrecht

15

2. Gang der Untersuchung

17

1. Teil Eigentumsbegründung

19

1. Kapitel Eigentumsbegründung im „älteren" Naturrecht I. Recht zur Nutzung der Güter

19 19

1. Güternutzungsrecht als Gabe Gottes

19

2. Pflichtenlehre

20

3. Inhalt des Güternutzungsrechts

21

4. „Communio positiva" und „negativa"

21

II. Einführung des Privateigentums

22

1. Aufhebung der „communio primaeva"

22

2. Lehre vom Teilungsvertrag

23

III. „Titel" und „Modus"

24

2. Kapitel Eigentumsbegründung im „neueren" Naturrecht I. Einführung

25 25

1. Kritik an der Vertragstheorie

25

2. Eigentum und Naturzustand

28

10

Inhaltsverzeichnis II. Eigentum als Recht der Persönlichkeit 1. Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Kräfte

31 31

a) „Personnatur" des Menschen

31

b) Eigentum als „hypothetisches" Recht

33

2. „Selbstzweckhaftigkeit" des Menschen

34

III. Recht des Menschen „ a u f Eigentum

36

IV. Eigentümer und Eigentumsobjekt

38

1. Herrenlose Sachen

38

2. Verknüpfung zwischen Eigentümer und Sache

39

V. Bedeutung menschlicher Arbeit

40

1. Lockes „Arbeitstheorie"

40

2. Rezeption

41

a) Herrschende Meinung innerhalb des neueren Naturrechts

42

b) Anhänger der Arbeitstheorie

45

c) Eigentum und Sachherrschaft aa) Ergänzung der Okkupations- durch die Arbeitstheorie bb) Alternative Lösungsansätze (1) Dauerhaftes Eigentum durch Besitzergreifung

46 47 49 49

(2) Kants „intelligibler Besitz"

50

d) Am römischen Recht orientierte Rechtslehre

52

e) Ergebnis

53

VI. „Titel" und „Modus" VII. Das Privateigentum ablehnende Strömungen VIII. Rezeption Kants 1. Begründung des Eigentums bei Kant

55 57 60 60

a) Recht „ a u f Eigentum

60

b) „Intelligibler Besitz"

61

c) Erwerbshandlung

63

2. Rezeption

63

a) Zum Begriff des „Kantianers"

63

b) Zeitliche Grenzen der Kant-Rezeption

65

c) Forschungsstand

66

d) Eigene Ergebnisse

67

Inhaltsverzeichnis IX. Rezeption Fichtes

69

1. Fichtes Eigentumslehre

69

a) Rechtsgrund des Eigentums

69

b) Aufgabe des Sach-zugunsten des „Handlungseigentums"

71

c) Eigentum und Vertrag

73

d) Eigentum und gesellschaftliche Handlungszusammenhänge

73

2. Rezeption

75

X. Rezeption Schellings

76

2. Teil Weitere Folgerungen I. Eigentumsdefinitionen

78 78

1. Eigentum als alle denkbaren Verwendungsbefugnisse enthaltendes Recht

79

2. Eigentum als Sachherrschaftsrecht

80

3. Recht auf „Mißbrauch" des Eigentums

81

4. „Selbstzweckhaftigkeit" des Menschen

83

5. Ergebnis

83

II. Erweiterung des Eigentumsbegriffes 1. „Geistiges Eigentum"

84 85

a) Ältere Naturrechtslehre

85

b) Neuere Naturrechtslehre

86

c) Am römischen Recht orientierte Rechtslehre

91

2. Sklaverei und Leibeigenschaft

92

a) Älteres Naturrecht

92

b) Neueres Naturrecht

92

III. Eigentum von Gemeinschaften

96

IV. Geteiltes Eigentum

98

1. Entstehungsgeschichte des geteilten Eigentums

98

2. Geteiltes Eigentum in der neueren Naturrechtslehre

100

3. Am römischen Recht orientierte Rechtslehre

102

12

Inhaltsverzeichnis V. Privateigentum und Staatsgewalt

104

1. Zugriffsmöglichkeiten des Staates auf das Privateigentum a) Entwicklung staatsgerichteter Freiheitsrechte

104 105

aa) Altere Naturrechtslehre

105

bb) Neuere Naturrechtslehre

106

b) juseminens

112

2. Abgrenzung des Privateigentums von öffentlichen Rechten

115

VI. Eigentum und politische Freiheit

118

1. Tatsächliche Verhältnisse

118

2. Stellungnahmen der neueren Naturrechtslehre

118

a) Der Staat als Vereinigung von Grundeigentümern

119

b) Kants „bürgerliche Selbständigkeit"

120

c) Politische Freiheit und Gleichheit

121

VII. Eigentum und Erbrecht

123

1. Testierfreiheit

123

a) Herrschende Meinung innerhalb des neueren Naturrechts

123

b) Begründungsversuche

124

c) „Privatisierung des Erbrechts"?

126

2. Familienerbrecht

127

a) Herrschende Meinung innerhalb des neueren Naturrechts

127

b) Begründungsversuche

128

c) Gleichstellung aller in Betracht kommenden Erben?

129

3. Teil Naturrecht und Gesetzgebung

131

1. Kapitel Einleitung I. Bedeutungsverlust des Naturrechts um das Jahr 1800?

131 131

II. Rechtsdogmatik und Gesetzgebung

137

1. Konkurrenz von Dogmatiken

137

2. Selbstbeschränkung des Gesetzgebers

140

Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Einfaches Recht I. ALR von 1794

141 141

1. Regelung des Eigentumsrechts

141

2. Carl Gottlieb Svarez' Auffassungen von Naturrecht

144

a) Parallelen zur älteren Naturrechtslehre

145

b) Parallelen zur neueren Naturrechtslehre

147

c) Auswirkungen der Suspension des AGB

150

II. ABGB von 1811

153

1. Franz v. Zeiller als Vertreter des neueren Naturrechts

153

2. Regelung des Eigentumsrechts

155

III. Reform des Grundeigentums in Preußen

159

1. Gesetzgeberische Maßnahmen

161

2. Geistige Einflüsse

162

3. Kapitel Verfassungsrecht I. Forderungen nach Verfassunggebung II. Die frühen süddeutschen Verfassungen seit 1818

168 168 169

1. Regelung des Eigentumsrechts

170

2. Naturrechtliche Einflüsse?

172

Zusammenfassung

176

Quellen-und Literaturverzeichnis

185

Sachverzeichnis

201

Einleitung Der zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert eingetretene Wandel des Eigentumsverständnisses geht im wesentlichen auf die damalige Rechts- bzw. Gesellschaftsphilosophie, also auf die Naturrechtslehre zurück. Die Naturrechtslehre war es, die den allenthalben geforderten Änderungen der Eigentumsverfassung ein wissenschaftliches Fundament verschaffte. Entscheidend war dabei die Verbindung der Idee von der individuellen Freiheit mit der des Eigentums:1 Privates Eigentum ist „die Materie [ . . . ] worinn der Mensch seine persönlichen Rechte ausübt, die den Wirkungskreis der menschlichen Freyheit bestimmt",2 heißt es bei Witte. Eigentum wurde so zur notwendigen Bedingung persönlicher und bürgerlicher Freiheit. Ohne alles „Eigenthumsrecht würde es kein armseligeres Recht geben, als jene Freiheit", 3 meinte etwa Henrici. Freilich stand weniger das Eigentum als solches, sondern der einzelne Eigentümer im Mittelpunkt, d. h. der Eigentumsbegriff war vom Individuum und dessen Freiheit her gedacht.4

1. „Altes" und „neues" deutsches Naturrecht Klippel hat gezeigt, daß sich das deutsche neuzeitliche Naturrecht - bedingt durch den grundlegenden Unterschied in der politischen Stoßrichtung - in zwei Hauptströmungen einteilen läßt: in „altes" und „neues" Naturrecht. 5 Das „alte" Naturrecht mit seinen wichtigsten Vertretern Pufendorf, Thomasius, Achenwall und Wolff war das theoretische Fundament der politischen Theorie von Absolutismus und aufgeklärtem Absolutismus.6 Naturrecht diente in erster Linie zur Begründung und Rechtfertigung bereits bestehender Herrschaftsverhältnisse. Wesentliche Bedeutung kam dabei der „Theorie des Sozialvertrages" zu: Der jeweils bestehende gesellschaftliche Zustand erschien durch die Einwilligung der Vertragsparteien gerechtfertigt; dies gilt in besonderem Maße dann, wenn - wie vielfach vertreten von der Möglichkeit eines nur stillschweigenden Vertragsschlusses ausgegangen wird. Zugleich konnte mit Hilfe der Vertragstheorie die Zulässigkeit von Einschränkungen der sog. iura connata begründet werden - diese angeborenen, nur im ι 2 3 4 5 6

Schwab 1975, S. 74. Witte 1782, S. 46 f. Henrici 1822, S. 365. Vgl. Schwab 1975, S. 74; Willoweit 1983, S. 11; Schwartländer Klippel 1976. Vgl. auch Bödeker 1987, S. 395 f. Vgl. Breuer 1983, S. 188 ff.

1983, S. 83.

16

Einleitung

Naturzustand uneingeschränkt geltenden Rechte der Menschen sollten nach der Konzeption des älteren deutschen Naturrechts frei veräußerlich sein, etwa durch Abschluß des Gesellschaftsvertrages. Charakteristisch für das ältere deutsche Naturrecht ist außerdem, daß eine Bindung des Herrschers an das positive Recht ganz überwiegend verneint wurde. Nach Christian Wolff war der Regent „an die Gesetze nicht gebunden, nach welchen er die Herrschaft zu verwalten sich erkläret". 7 Und bei Joachim Georg Darjes heißt es: „Was haben Principes als Principes für Gesetze, nach welchen ihre Unternehmungen zu entscheiden? Sie leben in Liberiate naturali, und sind also dem legi civili nicht unterworfen. Ja wenn ein Fürst einen gewissen Legem in seinen Landen gegeben, ist er für seine Person diesem Gesetze nicht unterworfen. Wir können demnach ihre Streitigkeiten nicht anders entscheiden, als durch die leges, die per ipsam rei notionem et naturam vestgesetzt werden".8 Pflichten des Herrschers und „Rechte" der Untertanen konnten demnach nicht erzwungen werden; es handelte sich vielmehr um moralische, nicht einklagbare Postulate.9 Der Schutz des Einzelnen vor staatlichem Zugriff beschränkte sich so in einer inneren Bindung des Herrschers an den Staatszweck, der Herstellung von Glückseligkeit.10 Effektiver Schutz von Individualrechten war damit nicht möglich, was sich nicht zuletzt aus der Unbestimmtheit des postulierten Staatszwecks ergibt, über dessen Verwirklichung im übrigen ausschließlich der Herrscher zu bestimmen hatte;11 dies nach Christian Wolff auch deswegen, weil „der gemeine Mann weder Verstand genug hat zu urtheilen, was dienlich oder schädlich ist, weil er nicht weit genug hinaus siehet, noch auch in der Tugend und Liebe gegen andere so fest gesetzet ist, daß er seinen vermeinten besonderen Nutzen in sich ereignenden Fällen dem gemeinen Besten nachsetzet".12 Anders im „neuen" Naturrecht: Seit etwa 1780 wurden von Seiten der Naturrechtslehre erstmals ernstzunehmende politische Forderungen gestellt. So verlangte man vielfach eine Bindung des Herrschers an die positiven Gesetze.13 Fredersdorff etwa meinte, der Fürst sei verpflichtet, „die dem Volke gegebenen Gesetze selbst zu befolgen". 14 Unzählige Autoren entwarfen Kataloge von staatsgerichteten Menschenrechten, um staatliche Eingriffe auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Im einzelnen kam es zu Forderungen nach Abschaffung der Sklaverei und Leibeigenschaft, nach Religions- und Gewissensfreiheit, nach Pressefreiheit und nicht zuletzt nach Eigentums-, Berufs-, Handels-, und Gewerbefreiheit. 15 Staatszweck 7 Wolff 1754, § 984, S. 705. s Darjes 1762, S. 66. 9 Klippel 1976, S. 53. 10 Vgl. Link 1987b, S. 228 ff.; Klippel 1998, S. 82 ff.; Klippel 1997b, S. 229. h Vgl. Klippel 1998, S. 81. 12 Wolff \136y § 253. 13 Einzelheiten bei Klippel 1976, S. 148 ff. 14 Fredersdorf \Ί90, S. 521. 15 Vgl. Klippel 1995, S. 286.

Einleitung

war von nun an nicht mehr die Herstellung bzw. Erhaltung von „Glückseligkeit", sondern die optimale Verwirklichung der Rechte des Einzelnen. Das Naturrecht wurde so zum theoretischen Fundament einer liberalen 16 politischen Theorie. 17 Bei Warnkönig heißt es dazu: „Der deutsche L i b e r a l i s m u s stützte sich einerseits auf Frankreich, andererseits auf die Prinzipien des ewigen Vernunftrechts". 18

2. Gang der Untersuchung Der 1. Teil dieser Arbeit beginnt mit einer Gegenüberstellung der Eigentumsbegründungen des älteren und neueren deutschen Naturrechts. Dabei wird unter anderem der Frage nachgegangen, inwieweit die für die ältere Naturrechtslehre charakteristischen Elemente der Eigentumsbegründung wie Teilungsvertrag, Pflichtenlehre und strenge Trennung von „Titel" und „Modus" auch für das neuere deutsche Naturrecht von Bedeutung waren. Außerdem soll untersucht werden, ob die Arbeitstheorie des Eigentums in der deutschen Naturrechtslehre um 1800 tatsächlich so einhellige Zustimmung fand, wie dies neuerdings vor allem von Brocker behauptet wird. 19 Schließlich wird nach geistigen Einflüssen für den neuartigen Begründungsansatz des neueren deutschen Naturrechts gefragt. Untersucht werden etwaige Auswirkungen der Philosophie Kants, Fichtes und Schellings. Der 2. Teil beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit der neuartige Grundansatz der deutschen Naturrechtslehre um 1800 auch Art und Inhalt des so begründeten Eigentumsrechts beeinflußt hat. Zunächst werden die einschlägigen Eigentumsdefinitionen der älteren und neueren Naturrechtslehre auf etwaige Unterschiede untersucht. Außerdem soll ermittelt werden, ob und ggf. in welcher Weise der weite personale Eigentumsbegriff des neueren Naturrechts auf den Kreis möglicher Eigentumsobjekte und -Subjekte einwirkte; im Mittelpunkt steht die Darstellung zeitgenössischer Stellungnahmen zur naturrechtlichen Anerkennung „geistigen" Eigentums, zur Möglichkeit des Eigentums von Gemeinschaften und zur Zulässigkeit geteilten Eigentums. Es folgt eine Schilderung der damaligen Anschauungen über das Verhältnis zwischen Privateigentum und Staatsgewalt; hier ist auf die einzelnen Momente der Entwicklung staatsgerichteter, unveräußerlicher Menschenrechte einzugehen. Das Kapitel schließt mit einer Untersuchung, inwieweit die Personalisierung des Eigentumsbegriffes das Erbrecht beeinflußte; hierbei interessieren Äußerungen zur naturrechtlichen Gültigkeit von Testamenten und zur Frage eines natürlichen Familienerbrechts. 16

Vgl. Schwab 1971, S. 19 zur Offenheit des Liberalismusbegriffes. Unter „Liberalismus" sei hier jegliche Freiheitsbestrebung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert schlechthin verstanden. 17 Grundlegend Klippel 1976; vgl. auch Kriele 1993, S. 18. is Warnkönig 1839, S. 148. 19 Brocker 1992. 2 Ulmschneider

18

Einleitung

Gegenstand des 3. Teils ist die Frage etwaiger Auswirkungen naturrechtlicher Postulate auf die damalige Gesetzgebung. Dabei ist auf das Verhältnis zwischen Naturrecht, Gesetzgebung und Politik einzugehen, und zwar unter Berücksichtigung eines möglichen - in der Vergangenheit immer wieder behaupteten - Bedeutungsverlusts des deutschen Naturrechts bereits um das Jahr 1800. Dabei ist die Ausgestaltung des Eigentumsrechts im Preußischen Allgemeinen Landrecht und im Osterreichischen Allgemeinen Gesetzbuch von besonderem Interesse. Es folgt eine kurzgefaßte Ubersicht über die einzelnen Etappen der Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen. Den Abschluß bildet eine vergleichende Darstellung der verfassungsmäßigen Garantien des Eigentums in den frühen süddeutschen Konstitutionen seit 1818.

1. Teil

Eigentumsbegründung 1. Kapitel

Eigentumsbegründung im „älteren 44 Naturrecht I. Recht zur Nutzung der Güter 1. Güternutzungsrecht als Gabe Gottes Die ältere Naturrechtslehre betonte ein Recht des in der ursprünglichen Gemeinschaft (communio primaeva) befindlichen Menschen, die Natur zu seinem Unterhalt zu nutzen. Dieses Güternutzungsrecht wurde zunächst als Gabe Gottes verstanden; Gott habe den Menschen das Recht gegeben, „der Creaturen zu seiner Erhaltung sich gebrauchen zu können".1 Ausgangspunkt war der von Gott geschaffene, menschliche Selbsterhaltungstrieb. Dem entspreche eine Pflicht zur Selbsterhaltung. Der Mensch sei nicht berechtigt, sich selbst zu töten. Vielmehr müsse er sich der Gegenstände der Natur bedienen, um für seinen nötigen Lebensunterhalt zu sorgen: „Da aber GOtt unsere gegenwärtige Natur denen Menschen aus freyen Belieben gegeben, hiernächst auch, daß das Jus Naturae unveränderlich ist [ . . . ] So mag GOtt, stante humana natura, den Gebrauch der Dinge überhaupt nicht aufheben und untersagen. Solchergestalt hat nun der Mensch solches einmahl gegebenen Rechts auch gegen GOtt sich zu erfreuen, nicht als wenn GOtt einigem Gesetze unterworffen, und dem Menschen solches Recht zu lassen obligat wäre, sondern weil es der Göttlichen Natur zu wider, oder deutlicher zu reden, per naturam Dei unmöglich ist, das GOtt denen Menschen stante humana natura solchen Gebrauch untersagen könne".2 Vor allem Pufendorf betonte die Bedürfnisnatur („imbecillitas") des Menschen: Jedes Individuum habe ein natürliches Recht zur Nutzung und zum Verbrauch von Naturgütern, weil dies eine Lebensnotwendigkeit sei.3

ι Glafey 1746, § 278. 2 Glafey 1746, § 16. 3 Vgl. Medick 1973, S. 52 ff.; Behme 1995, S. 100 f.; Oestreich 1978, S. 48. 2*

20

1. Teil: Eigentumsbegründung

2. Pflichtenlehre Im Laufe des 18. Jahrhunderts trat der Gedanke göttlicher Gewährung allmählich zurück und es wurde mehr und mehr davon ausgegangen, daß dem Menschen von Natur aus ein entsprechendes Güternutzungsrecht zustehe. Höpfner konnte deswegen feststellen: „Daß wir ein Recht haben, diese Dinge zu gebrauchen, ist unläugbar, da wir uns ohne diesen Gebrauch nicht erhalten können, und er keine Beleidigung für andere ist". 4 Lag der Zweck des Güternutzungsrechts ursprünglich im Gebrauch zur menschlichen Selbsterhaltung, so mehrten sich im übrigen Stimmen, die zugleich ein Recht des Menschen auf Vergnügen und Bequemlichkeit betonten:5 „So haben überhaupt alle Menschen ein Recht zum n o t wendigen Gebrauch aller Sachen, es mögen seyn, was vor welche es wollen, nämlich sowohl zu der notwendigen, als auch der nützlichen und vergnügenden".6 Dahinter steht das allgemeine Streben nach „Glückseligkeit", eine der „fixen Ideen des 18. Jahrhunderts". 7 Um die angestrebte Glückseligkeit zu erlangen, wurde vielfach nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine Berechtigung des Menschen angenommen, sich selbst zu vervollkommnen. 8 Da es die Obliegenheit des Menschen sei, sich zu vervollkommnen, müsse er sich der Gegenstände der Natur bedienen, um seine Pflichten zu erfüllen; wo eine Pflicht bestehe, dort gebe es auch ein Recht zur Erfüllung der Pflicht. Das Recht wird also aus der Pflicht abgeleitet, wenn etwa Christian Wolff schreibt: „Die Menschen sollen sich bemühen, daß es nicht an einer hinlänglichen Menge von notwendigen, nützlichen und vergnügenden Sachen, die sowohl durch Fleiß als durch Kunst hervorgebracht werden fehle [ . . . ] , und soll, zu dem Ende, ein jeder die Arbeit erwählen, wozu er sich geschickt findet [ . . . ] ; von Natur aber sind alle verbunden, sich und ihren eigenen Zustand vollkommener zu machen".9 Auch Achenwall/Pütter legten besonderes Gewicht auf den Gedanken der Vervollkommnung. Das erste natürliche Gesetz aller freien Handlungen sei: „Vervollkommne dich". 10 Deswegen habe der Mensch das Recht, „all das nach seinem Belieben

4 Höpfner 1795, § 43; vgl. auch Wolff 5 Vgl. Hecker 1990, S. 150 ff. 6 Wolff 1754, § 183. 7

1154, §§ 46, 183.

Walch, Philosophisches Lexicon, Leipzig 1740, Sp. 684, zitiert nach Hecker 1990, S. 152. 8 Zum Verhältnis von „Vollkommenheit" und „Glückseligkeit" bei Christian Wolff vgl. Bachmann 1977, S. 89 ff.; Bachmann versteht das Vollkommenheitsprinzip als Grundnorm des Wolffschen Naturrechts und hält Glückseligkeit nicht für das eigentliche Ziel, sondern nur für eine „Begleiterscheinung" Wolffscher Ethik. Dies erscheint zumindest zweifelhaft, gerade bei Berücksichtigung der von Bachmann a. a. O. erwähnten Wolff- Zitate, kann aber im Rahmen dieser Arbeit offen bleiben. Bachmann räumt selbst ein, daß beide Begriffe in Wolffs Werken „oft austauschbar" scheinen, vgl. Bachmann 1977, S. 90. 9 Wolff 1154, § 188, S. 119. 10 Achenwall/Pütter 1750, § 110.

1. Kap.: Eigentumsbegrndung im „älteren" Naturrecht

21

zu tun, wodurch er meint, vollkommener zu werden, jedoch so, daß er keinen anderen verletzt" 11 - und damit ein „Recht auf beliebige Sachen".12

3. Inhalt des Güternutzungsrechts Die gemeinsame Innehabung des Güternutzungsrechtes wurde einhellig als das Gegenteil von Privateigentum verstanden. Insbesondere sollte die Befugnis zur Ausschließung anderer mit beendeter Nutzung der Sache entfallen: „In dieser ursprünglichen Gemeinschaft konnte jeder jede beliebige Sache in seinen Gebrauch nehmen, oder sie im weiteren Sinne nutzen, und nach beendigter Nutzung konnte sie auch ein anderer nutzen, so daß der vorige Nutzer kein Recht hatte, das zu verhindern. Mit einem Wort: Die Nutzung der Sachen stand jedermann offen, das Recht, andere auszuschließen, niemandem, der sie nicht nutzte". 13 Kennzeichnend ist der noch ganz unbestimmte Charakter dieses Rechts.14 Pufendorf etwa spricht von einem unbestimmten Recht, die Dinge zum vernünftigen und notwendigen Gebrauch zu nutzen.15

4. „Communio positiva" und „negativa46 Innerhalb der älteren Naturrechtslehre war umstritten, ob es sich bei der „ursprünglichen Gemeinschaft" der Güter (communio primaeva) um eine communio positiva im Sinne eines ursprünglichen Gemeineigentums an den Gütern der Natur oder aber um eine communio negativa handele.16 Während Grotius der Annahme war, die Gegenstände der Natur ständen allen zu gleichen Teilen zu, 17 gingen etwa Pufendorf und Achenwall / Pütter von einer communio negativa aus und meinten, h Achenwall/Pütter 12 Achenwall/Pütter

1750, § 266. 1750, § 268.

13 Achenwall/Pütter 1750, § 271. 14 Einzelheiten bei Hecker 1990, S. 123 ff. 15 Pufendorf, De jure naturae et gentium, 4. Buch, 4. Kapitel, § 10, zitiert nach Hecker, S. 124, Fn. 45: „Neque concessio illa divina, sacris literis expressa, definitum aliquem modum dominii désignât, sed indefinitum jus res adhibendi ad usus rationi et necessitati congruentes; quod jus aeque in communione negativa, quam in proprietate exerceri potest. Male autem infertur; mortales acceperunt jus in res ex concessione divina; ergo proprietas non fuit nata ab occupatione et divisione. Nam concessio divina securum tantum reddebat hominem, volente Numine fieri, ut is rebus ab ipso creatis ad suas necessitates abuteretur. Dominium autem proprie dictum debebat effectum producere in ordine ad alios homines, ut aliis constaret, quid alterius foret, quo abstinere eodem possent". Weitere Nachweise bei Hecker 1990, S. 124 f. 16 Vgl. die Darstellung des Streites bei Schmalz 1807, § 125, S. 101 f. und bei Meister 1809, §216, S. 182 ff. 17 Einzelheiten bei Medick 1973, S. 78, Fn. 51.

22

1. Teil: Eigentumsbegrndung

alle gemeinsamen Sachen seien herrenlos. 18 In der Sache sind die Unterschiede gering. Denn es war jedenfalls anerkannt, daß vor Aufhebung der communio primaeva kein Privateigentum an Sachen denkbar sei. 19 So betonte beispielsweise Christian Wolff, daß selbst die Verrichtung von Arbeit in diesem Stadium kein Eigentum zu begründen vermöge. Vielmehr sollten auch die in der communio primaeva durch „Reiß", „Kunst" und „Arbeit" hervorgebrachten Dinge allen gemeinschaftlich zustehen: „In der Gemeinschaft der ersten Zeit kann man also bey Vervielfältigung der Sachen, die durch Fleiß und Kunst hervorgebracht werden, keine andere Absicht haben, als den gemeinschaftlichen Gebrauch von allen zu befördern; und folglich müssen die durch Reiß und Kunst hervorgebrachten Sachen nicht weniger als die natürlichen, gemeinschaftlich sein". 20

II. Einführung des Privateigentums 1. Aufhebung der „communio primaeva" Privateigentum wurde für die ältere Naturrechtslehre erst mit Aufhebung der Urgesellschaft (communio primaeva) notwendig. Fortschreitende gesellschaftliche Entwicklung - Christian Wolff hat insofern vom „status adventitius"21 gesprochen - führe zu einer wachsenden Nachfrage nach Gegenständen, „die man nicht anders, als durch Reiß und Kunst haben kann". 22 Weil von den Menschen auf Dauer nicht zu erwarten sei, daß sie ihren Fleiß und ihre Kunstfertigkeit in uneigennütziger Weise der Gemeinschaft zur Verfügung stellen, sei die Einführung des Privateigentums - und damit der mögliche Ausschluß Nichtberechtigter - erforderlich: „Nachdem sich das menschliche Geschlechte vermehrt, und die einfältige Lebensart geändert worden, bey welcher man nur für die äuserste Nothdurft sorgte, und fast gar nicht an Bequemlichkeit und Vergnügen gedachte; so hat man Sachen nöthig, die man nicht anders, als durch Fleiß und Kunst haben kann [...]. Weil nun hierzu Arbeit erfordert wird [...], und gleichwohl in der Gemeinschaft der ersten Zeit die Sachen allen zugehören sollen [...]; so siehet man leicht, daß die Gemeinschaft nicht bestehen kann, wenn die Menschen nicht die Pflichten gegen sich selbst und andere auf das genaueste erfüllen; vermöge dessen was von ihnen erwiesen worden. Weil wohl aber niemand in Abrede seyn wird, daß dieses von allen 18 Achenwall/Pütter 1750, § 275: „Eine Gemeinschaft, in der die gemeinsamen Sachen herrenlos sind, wird negative genannt. Deshalb war die ursprüngliche Gemeinschaft eine negative". Einzelheiten zu Pufendorfs „communio negativa" finden sich bei Behme 1995, S. 101 ff. und bei Medick 1973, S. 78, Fn. 51. 19 Vgl. Gundling 1734, S. 231 f.; Wolff \154, §§ 186, 191; Glafey 1746, § 77; Achenwall/ Pütter 1750, § 275. 20 Wolff Π54, § 188.

21 Einzelheiten bei Kleensang, 1998 S. 89. 22 Wolff 1154, § 194, S. 123.

1. Kap.: Eigentumsbegriindung im „älteren" Naturrecht

23

Menschen insgesamt nicht zu hoffen sey; hingegen, wenn man von der Gemeinschaft abgehet, das, was keinem zugehöret, einzelen eigen werden muß [...]; und das Recht der Natur uns verbindet, dasjenige, was besser ist, dem andern vorzuziehen [...]; so ist, ohne dem Rechte der Natur zu nahe zu treten, die Gemeinschaft aufgehoben, und das, was gemein war, einzelen eigen, oder einem eigenen Rechte unterworfen". 23

2. Lehre vom Teilungsvertrag Das ältere deutsche Naturrecht verlangte zur Einführung des Privateigentums die Einwilligung sämtlicher Rechtspersonen. Hintergrund ist die einhellig betonte natürliche Gleichheit aller Menschen im Stadium der communio primaeva. Zur Begründung von Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnissen sei deswegen die Zustimmung der jeweils Betroffenen erforderlich. 24 Diese Vorstellung setzt sich beim Erwerb privaten Eigentums fort; angesichts natürlicher Gleichheit der Menschen im Naturzustand könne die mit dem Privateigentum verbundene Befugnis, andere vom Gebrauch auszuschließen, niemandem von Natur aus zukommen, sondern setze die vorherige Zustimmung aller übrigen Rechtspersonen voraus: „Wenn ich sage: homines a natura sunt liberi, so wird verstanden, [...] keiner hat über den andern ein imperium oder dominium. Denn dominium und imperium kommen ex pacto". 25 Zugleich wird die für das ältere deutsche Naturrecht charakteristische Wechselbeziehung zwischen Recht und Pflicht deutlich: Das Recht der Eigentumsgarantie ist gebunden an die vertragliche Verpflichtung, fremdes Eigentum zu achten.26 An das Zustandekommen des „Eigentumsvertrages" stellte man unterschiedliche Anforderungen. Während Grotius von einem einmaligen Teilungsakt ausging, erfolgte die Einführung des Privateigentums nach Pufendorf in einem allmählichen Prozeß, der über eine Vielzahl von Verträgen bzw. über verschiedene Stufen gesellschaftlicher Entwicklung führte. 27 Christian Wolff nahm ein bloß stillschweigendes Einverständnis der Menschen (consensus tacitus)28 an und für Achenwall / Pütter sollte die bloße „Übung" zur Einführung des Privateigentums genügen;29 die Einführung des Privateigentums durch „Übung" sei schon deswegen zulässig, weil dies im Einklang mit den „vollkommenen Gesetzen" stehe.30 23 Wolff 1754, § 194, S. 123; ähnlich Achenwall/Pütter 24 Vgl. Denzer 1979, S. 64. 25 Gundling 1734, S. 63. 26 Vgl. Denzer 1979, S. 64 zu Pufendorf. 27 Vgl. Behme 1995, S. 103. 28 Wolff \154, § 194. 29 Achenwall/Pütter 1750, § 282. 30 Achenwall /Pütter 1750, § 277.

1750, § 276.

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

I I I . „Titel" und „Modus" Die ältere deutsche Naturrechtslehre unterschied zwischen „Titel" und „Modus", zwischen „Grund" und „Art und Weise" des Eigentumserwerbs. Achenwall / Pütter konnten festhalten: „Damit etwas tatsächlich erworben wird, ist erforderlich 1. eine Handlung, durch die jemand erwerben will, was Erwerbungsart genannt wird, 2. daß diese Handlung den Gesetzen entsprechend oder rechtmäßig ist. Die Rechtmäßigkeit der Erwerbungsart heißt Titel"? 1 Und Gundling schrieb: „Der modus acquirendi ist die causa proxima [...] Die causa remota aber ist der titulus, e.g. ich frage: Warum hast du es können occupieren?". 32 Als „Grund" wurde - wie eben dargestellt - ein zumindest konkludenter Vertragsschluß angenommen, wobei gleichzeitig auf die Verpflichtung des Menschen zur Selbsterhaltung bzw. zur Vervollkommnung abgehoben wurde. Nach Christian Wolff hat der Mensch „also ein Recht zu denjenigen Dingen, die zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit, und zur Wiederherstellung der Gesundheit dienen". 33 Und für Feder steht fest, „daß die Menschen von Natur berechtigt seyn, die Dinge außer ihnen zu ihrer Erhaltung und Vervollkommnung, überhaupt zu ihrer und anderer Menschen Glückseligkeit zu gebrauchen". 34 Als „Modus" griff man überwiegend auf die Okkupationstheorie zurück; innerhalb des älteren Naturrechts bestand weithin Einigkeit darüber, daß sich originärer Eigentumserwerb in erster Linie durch Besitzergreifung der zu erwerbenden Sache und nicht etwa durch deren Bearbeitung vollziehe: „Es ergreifet eine Sache, wer sie seiner Gebrauchsmacht unterwirft, oder sie in den Zustand bringt, wo er ihren Gebrauch in seiner Macht hat mit Ausschließung anderer [...] Die Ergreifung einer herrenlosen Sache mit dem Willen, sie zur seinen zu machen, oder sie als eigene zu haben, heißt Aneignung [...] durch die Aneignung wird eine herrenlose Sache zum Eigen des Aneignenden".35 Auch Christian Wolff beschrieb die zum Eigentumserwerb erforderliche Erwerbshandlung wie folgt: „Das Zueignen (occupatio) ist die Handlung, durch welche einer erklärt, daß eine Sache, die keinem zugehört, seine seyn soll, und sie dann in den Zustand bringt, daß sie seine seyn kann". 36 In ähnlicher Weise äußerte sich Johann Friedrich Rübel: „Es ist demnach die occupation eine Art, die Herrschaft zu erlangen, da man eine Sache, die keinem ist, ergreifet, mit dem Vorsatze, daß man sie als eigenthümlich haben will". 3 7 Die Okkupation kam dabei lediglich als „Modus", nicht aber als „Grund" des Eigentumserwerbs in Betracht; zur Erwerbshandlung mußte ein Erwerbstitel kommen, um den Rechtserwerb wirksam zu machen. 31 Achenwall/Pütter 1750, § 299. 32 Gundling 1734, S. 233. 33 Wolff 1154, § 114. 34 Feder 1792, S. 297. 35 Achenwall/Pütter 1750, § 280-282. 36 Wolff 1154, § 210. 37 Rübel 1735, § 442.

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

25

Gleichwohl wurde auch der Sachbearbeitung Bedeutung zugemessen. So stand die Aufhebung der communio primaeva und die damit einhergehende Einführung des Privateigentums beispielsweise für Christian Wolff in engem Zusammenhang mit fortschreitender gesellschaftlicher Entwicklung und der damit verbundenen verstärkten Nachfrage nach Gegenständen, „die man nicht anders, als durch Fleiß und Kunst haben kann [.. .]". 3 8 Dieser Prozeß zwinge letztlich zur Aufhebung der Gemeinschaft der ersten Zeit und zur Einführung privaten Eigentums.39 Eine darüber hinausgehende Bedeutung erlangte die Verrichtung von Arbeit bei Achenwall / Pütter, wenn die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers zusätzlich mit der auf den Eigentumsgegenstand verrichteten Arbeit gerechtfertigt wird: „Was der Mensch durch seine rechtmäßigen Handlungen hervorbringt oder zur besseren Nutzung bearbeitet, das darf er mit Recht zu seinem Eigen rechnen. Wenn er das also tut, darf ihm niemand diese industriellen oder künstlichen Dinge entreißen. Daher hat er das Recht, andere von dem Gebrauch seiner Sache auszuschließen, oder die Sache, die er durch seine Tat hervorgebracht oder zwecks besserer Nutzung verändert hat, zu seiner eigenen zu machen".40 Achenwall / Pütter betonten an gleicher Stelle aber ausdrücklich, daß die Okkupation als solche zum Eigentumserwerb hinreichend sei: „Nachdem [...] das Recht, andere auszuschließen, durch Übung eingefühlt ist, ist zur Aneignung einer herrenlosen Sache keine andere Erklärung als die Ergreifung selbst erforderlich". 41

2. Kapitel

Eigentumsbegründung im „neueren" Naturrecht I. Einführung 1. Kritik an der Vertragstheorie Gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die ein irgendwie geartetes menschliches Zusammenwirken für den Eigentumserwerb nicht mehr für erforderlich hielten. Der entscheidende Widerspruch der Vertragstheorie war nun erkannt worden: Ein Vertrag kann nur über solche Gegenstände geschlossen werden, die sich bereits in der rechtlichen Verfügungsgewalt des Vertragsschließenden befinden; 42 die Vertragstheorie setzt also ein Eigentumsrecht bereits voraus, anstatt es zu begründen 4 3 Dieser Widerspruch wird besonders dann deutlich, wenn man 38 Wolff 1154, § 194, S. 123; ähnlich Achenwall/Pütter 39 Vgl. oben: II., 1. 40 Achenwall/Pütter 1750, § 277. 41 Achenwall/Pütter 1750, § 282. 42 Vgl. v. Droste-Hülshoff 1823, § 105, Anm. 2, S. 128. 43 Vgl. Brocker 1992, S. 294.

1750, § 276.

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1. Teil: Eigentumsbegriindung

etwa mit Pufendorf oder Achenwall / Pütter - den Urzustand nicht als den eines ursprünglich gemeinschaftlichen Eigentums an den Gegenständen der Natur, sondern als anfängliche Eigentumslosigkeit der Menschen verstand. Wieso sollte jemand einer Erwerbung zustimmen müssen, wenn ihm der Gegenstand nicht gehörte? Wie hatte das Eigentum jemals entstehen können, wenn es immer schon jemanden gab, der einer Aneignung zustimmen mußte und dem damit selbst schon Eigentumsrechte am zu okkupierenden - an sich j a herrenlosen - Gegenstand zukam e n ? 4 4 Hoffbauer konnte festhalten: „Alles Eigenthum ist zuletzt nur durch die Okkupation möglich. Denn sowohl die Erwerbung des Eigenthums durch Verträge, als durch eine nachfolgende Erwerbart, setzt schon vorher vorhandenes Eigenthum voraus, die Okkupation hingegen n i c h t " . 4 5 Vor aller Okkupation sei mithin gar kein Eigentum vorhanden gewesen, „und niemand hatte ein ausschließendes Recht auf irgendeine Sache". 4 6 Der „Urvertrag" wurde deswegen von Anton Thomas - stellvertretend für viele seiner Zeitgenossen - als „Ungereimtheit" 4 7 abqualifiziert; er sei eine „Erdichtung, höchstens eine Vermuthung, hiermit unfähig, ein so folgenreiches Recht, wie das Eigenthum ist, zu stützen", 4 8 heißt es bei Egger. Andere wiesen darauf hin, daß es schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sei, die

44 Brocker 1992, S. 294 f. 45 Hoffbauer 1804, § 277, S. 150 f.; vgl. auch Krug 1817, § 37, Anm., S. 126: „Wenn eine Sache noch herrenlos ist, so läßt sich wenigstens als möglich denken, dass ein Recht darauf auch ohne Mitwirkung eines Andern, also durch die e i n s e i t i g e Handlung des Erwerbenden erlangt werde. Wenn aber die Sache schon einen Herrn hat, so würde diese Handlung zur Erwerbung nicht als hinreichend gedacht werden können. Denn man würde dadurch einem Andern etwas entziehn, was in seiner Freiheitssphäre eingeschlossen ist, mithin sein Recht verletzen. Es müsste also der ganze Akt, durch welchen erworben wird, als eine z w e i s e i t i g e Handlung gedacht werden, indem der Eine übernähme, was ihm der Andre übertrüge, mithin beide Theile sich über ihr in dieser Beziehung stattfindendes Rechtsverhältnis vertrügen. Darum heißt ein solcher Akt Vertrag. Da indessen Niemand übertragen könnte, was er nicht schon hätte, so ist offenbar, dass die zweite Erwerbungsart die erste als negative Bedingung (conditio sine qua non) voraussetzt". 46 Hoffbauer 1804, § 278. 47 Thomas 1803, § 81, Anm. b), S. 54; vgl. auch v. Rotteck 1829, § 13, S. 155 f.: „Derjenigen Theorie, welche das Eigenthum aus dem Vertragsrecht ableitet, gedenken wir hier nicht. Denn dieselbe ist gleich unhaltbar als ungenügend, das letzte zumal darum, weil, sofern man auch einen (stillschweigend geschlossenen) Theilungs= oder Anerkennungsvertrag annehmen wollte, gleichwohl noch die Frage zu beantworten bliebe: „welche Umstände oder Erfordernisse dazu gehören, um solchen Vertrag auf irgend ein in concreto behauptetes Eigenthum anzuwenden?" eine Frage, welche mit der von uns aufgestellten Hauptfrage fast i d e n t i s c h ist. Aber auch völlig unhaltbar ist jene Hypothese, weil der fragliche Vertrag als jedenfalls ein bloß g e d i c h t e t e r im Vernunftrecht keine Stelle finden kann; sodann weil, wenn er auch irgendwo oder irgend wann geschlossen oder nach vernünftiger V e r m u t h u n g als geschlossen angenommen würde, dennoch seine Wirkung nie über die Paciscirenden hinaus sich erstrecken, demnach weder die dem Kreis der Vertragschließenden Fremden, noch auch die nachfolgenden Geschlechter binden könnte". 48 Egger 1815, § 73, S. 106; ähnlich v. Zeiller 1819, § 73, S. 109: „Allein wer sieht nicht ein, daß man bey dieser Vorstellungsalt von einer Hypothese ausgehe, und mit einer Erd i c h t u n g beschließe?". Vgl. auch Hoffbauer 1804, § 278, Anm., S. 152: „Beyde [d. h.

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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gleichzeitige Zustimmung aller Rechtspersonen einzuholen; insbesondere sei die Annahme eines stillschweigenden Konsenses als bloße Fiktion zu verwerfen. Da niemand „die Form einer Substanz verändern darf, wenn er kein Recht auf die Substanz selbst hat; so würde überall Niemand irgend eine Sache ausschließend gebrauchen dürfen, ohne die Einwilligung aller; und da diese unmöglich zu erlangen ist, wenn man nicht etwa wieder zu einem rechtlichen Undinge (dem präsumierten Consens) seine Zuflucht nehmen will; so würde überall gar kein Eigenthum weder durch noch ohne Verträge möglich seyn". 49 Die prinzipiell eigentumsbeschränkende Funktion der Theorie des stillschweigenden Vertrages war inzwischen als solche erkannt worden. Die „sogenannten stillschweigenden Verabredungen (Kontrakte)" waren für Pörschke „eine Versuchung zu willkührlichem Gelüsten nach fremdem Eigenthume".50 Bergk sprach in diesem Zusammenhang von „Erkünstelungen der Bosheit", die den Menschen „nicht als ein freyes und selbständiges Wesen achten".51 Als Beispiel für viele konnte Feder festhalten, der einzelne sei dazu befugt, „ohne alle Zuziehung und Versagung andrer Menschen, ja auch gegen ihren ausdrücklichen Willen, ein Eigenthum äußerlicher Güter sich zu gründen". 52 Auch beim Römischrechtler Gesterding 53 finden sich kritische Ausführungen zur Lehre vom Teilungsvertrag; allein dadurch, daß sich jemand im Naturzustand eine bestimmte Sache zu seinem ausschließlichen Gebrauch nehme, gestehe er „nach dem Gesetz der Gleichheit" jedem anderen das gleiche Recht zu - ein auch Grotius und Pufendorf| behaupteten, das Eigenthum besonderer Dinge könne nur durch ausdrückliche oder stillschweigende Verträge eingeführt werden, weil sich niemand durch seinen Willen allein eine Sache zu eigen machen könne - Allein das heißt das Eigenthum auf eine Erdichtung gründen. Denn ein solcher Vertrag ist niemals wirklich gewesen, und gesetzt, er wäre einmal unter allen zugleich lebenden Menschen geschlossen, wie könnte er ihre Nachkommen verpflichten?". 49 Jakob 1802, § 265, Anm. 2; ähnlich Egger 1815, § 73 und Krug 1817, § 39 Anm. 2, S. 132. so Pörschke 1795, S. 26 f. si Bergk 1796, S. 81. 52 Feder 1792, S. 296. Vgl. auch Hufeland 1795, § 224, 2; Hoffbauer 1804, § 278, Anm. und Gros 1815, § 144, Anm., S. 103 f. 53 Gesterding 1817, § 10, S. 54 ff. Bemerkenswert ist, daß Gesterding die wichtigsten Arten des Eigentumserwerbs aus dem Naturrecht begründete. Für ihn waren die einzelnen Arten, wodurch Eigentum erworben wird, „entweder 1) solche, die schon im Naturrecht gegründet sind - nach dem Ausdruck des römischen Rechts, M o d i a c q u i r e n d i d o m i n i u m juris gentium - oder 2) solche, die erst durch das positive, nämlich Römische Recht, eingeführt sind, - M o d i a c q u i r e n d i d o m i n i u m j u r i s c i v i l i s . Zu den e r s t e m rechnet das Römische Recht die O c c u p a t i o n , die T r a d i t i o n , die Perception der Früchte und die Accession" (Gesterding 1817, § 12, S. 67). Dabei hätten die naturrechtlich begründeten Erwerbsarten den Vorzug des höheren Alters. „Denn das natürliche Recht ist so alt, als das Geschlecht der Menschen. Erst als die Menschen in bürgerliche Gesellschaften sich vereinigten, Obrigkeiten gegründet und Gesetze gegeben wurden, kam zu jenem das Satzungsrecht hinzu" (Gesterding 1817, a. a. O.).

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

nur stillschweigender Vertragsschluß sei hierfür nicht erforderlich. 54 Die insbesondere von Grotius angenommene communio positiva lehnte Gesterding als „widersprüchlich" ab. In dem Begriff des Eigentums liege die Idee der Ausschließung anderer; solange aber alle Dinge allen gemeinschaftlich zustehen, bleibe niemand übrig, der ausgeschlossen werden könne.55

2. Eigentum und Naturzustand In engem Zusammenhang mit der Ablehnung der Vertragstheorie steht, daß die neuere Naturrechtslehre mehrheitlich zu der Annahme gelangte, bereits im Naturzustand bestehe die uneingeschränkte Möglichkeit des Eigentumserwerbs. Auch die von den Vertretern des älteren Naturrechts insofern vorgenommene Differenzierung zwischen „communio primaeva" und „status adventitius"56 wurde überwiegend nicht übernommen. 57 Es sei eine „irrige Meinung, daß kein Eigenthum der äusserlichen Güter Statt finden könnte; wenn nicht alle Menschen es so haben wollten, und durch einen stillschweigenden Vertrag es ausgemacht hätten". 58 Und noch irriger sei die Auffassung, „daß erst die Verbindungen und Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft dieses Recht gründeten". 59 Dahinter steht ersichtlich das Bestreben nach verbessertem Schutz des Eigentums - vorgesellschaftliches Eigentum ist gegenüber staatlichem Zugriff weniger anfällig als das gesellschaftlich erst 54

Gesterding 1817, § 10, S. 57. Gesterding steht allerdings insoweit der älteren Naturrechtslehre nahe, als er das Recht zur Besitznahme mit der Bedürfnisnatur des Menschen begründete und nicht etwa ein aus der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen folgendes Recht zur Äußerung der Kräfte für ausreichend hielt: „Dem Menschen ist durch seine Natur eine Anweisung auf die Erde und ihre Producte gegeben. Sein Bedürfnis begründet sein Recht. Denn jedes Bedürfnis, was die Natur im Menschen legte, begründet die Forderung der Befriedigung", Gesterding 1817, § 10, S. 55. 55 Gesterding 1817, § 10, S. 54 f. 56 V g l . oben: 1. K a p . , I I . , 1.

57 Vgl. etwa Jakob 1802, § 96, Anm., S. 48. Anders allerdings Klein, der in ähnlicher Weise wie Wolff von einer Zweiteilung des Naturzustandes ausging; nur im „bedingten Naturstande" bestehe die Möglichkeit des Eigentumserwerbs (Klein 1797, § 468, S. 242 f.): „Naturstand ist der Zustand des Menschen außer der bürgerlichen Gesellschaft. Der unbedingte Naturstand ist der, in welchem sich diejenigen befinden würden, welche keine andern, als die ursprünglichen Menschenrechte haben. Dieser Zustand ist eine Hypothese. Dies kann aber vom bedingten Naturstande nicht gesagt werden, d.i. von dem, in welchem sich der Mensch befindet, der nicht als Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden kann, ob er gleich sonst schon besondre Rechte erworben hat". 58 Feder 1785, III. Recht der Natur, § 10, S. 16. 59 Feder 1785, a. a. O.; vgl. auch Gesterding 1817, § 10, S. 57: „Es giebt also schon vor der bürgerlichen Vereinigung ein Eigenthum oder eine Herrschaft über Sachen, die vom Besitz unabhängig sind, nur wird durch jene Verbindung das Eigenthum gegen widerrechtliche Anmaßungen anderer sicher gestellt, auf der anderen Seite aber auch über die Schranken ausgedehnt, die das Naturrecht ihm setzen würde".

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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eingeführte. 60 Menschenrechte waren von nun an prinzipiell unabhängig von der Stellung des Menschen im Naturzustand oder im Staat konzipiert. Was der „Menschheit Noth thut zu wissen, ist dieses: was für sie zu allen Zeiten, an allen Orten und unter allen vorkommenden Modifikationen ihres Zustandes auf dieser Erde recht sey", 61 heißt es dazu bei Stephani. Anderer Ansicht war freilich v. Dresch, der den „status naturalis" als rechtlosen Zustand begriff; ein Eigentumserwerb sei deswegen in vorstaatlichen Zeiten ausgeschlossen.62 In eine ähnliche Richtung gehen Stellungnahmen Kants und Fichtes. Kant betonte in seiner Lehre über die ursprüngliche Erwerbung, daß im Naturzustand kein peremptorisches, sondern nur provisorisches Eigentum existiere; erst in der bürgerlichen Gesellschaft sei dauerhaft gesichertes Eigentum möglich. 63 Daß es außerhalb der Vereinigung im Staate kein sicheres und beständiges Eigentum gebe, war auch die Auffassung Fichtes.64 Der Unterschied zur überwiegenden Meinung innerhalb des neueren Naturrechts, wonach das im status naturalis erlangte Eigentum dem erst im Zustande der bürgerlichen Gesellschaft erworbenen Recht an Sachen prinzipiell in nichts nachstehe,65 liegt allerdings „weniger in der Sache, als im Ausdruck". 66 Franz v. Zeiller nahm eine vermittelnde Position ein und machte zu Recht darauf aufmerksam, daß die inhaltlichen Unterschiede geringer sind, als dies zunächst den Anschein hat - daß eine existierende Staatsgewalt zu einer grundsätzlichen Verbesserung des Eigentumsschutzes gegen Eingriffe Dritter führt, konnte kaum geleugnet werden. Andererseits mußte auch der bürgerliche Zustand für sich noch keinen vollkommenen Schutz des Eigentums bedeuten;67 60 Vgl. Hecker 1990, S. 140. 61 Stephani 1797, S. 10. 62 v. Dresch 1822, § 31: „Will der Mensch seine Urrechte geltend machen (als Mensch seiner Natur gemäß existieren), wozu er berechtigt ist, und ist dieß im Naturzustand unmöglich; so muß er aus dem Naturzustand treten und zwar in einen solchen Zustand, welcher die Mängel des Naturzustandes, die die Geltendmachung der Urrechte unmöglich macht, aufhebt". 63 Vgl. Kant 1797, § 9, S. 256 f. 64 Vgl. Fichte 1796, S. 149 ff.; Fichte 1812, S. 232 ff. 65 Vgl. etwa Krug 1817, § 43, Anm., S. 139: „Dass es im Naturstande gar kein Eigenthum gebe, ist offenbar eine übertriebne Behauptung. Denn es gibt in demselben sowohl ein angebornes als ein erworbnes inneres Eigenthum [...] Aber es muß auch ein erworbnes äußeres geben können, da die Besitznahme einer herrenlose Sache rechtlich möglich ist [...] und ein sinnlich - vernünftiges Wesen wie der Mensch gar nicht leben könnte, ohne sich gewisser Dinge in der Außenwelt zu bemächtigen"; vgl. auch Jakob 1802, §§ 195 ff. 66 Egger 1815, § 76, S. 111; vgl. auch Krug 1817, § 43, Anm., S. 141: „Insofern hat also auch KANT vollkommen Recht, wenn er in der eben angeführten Schrift [...] behauptet, dass äußere Dinge nur in einer bürgerlichen Verfassung peremtorisch, im Naturstand hingegen zwar auch, aber bloß p r o v i s o r i s c h erworben werden können. Ob übrigens diese Ausdrükke ganz passend seien und in die juristische Kunstsprache aufgenommen zu werden verdienen, ist eine Frage, über die wir mit niemandem streiten mögen". 67 v. Zeiller 1819, § 76, S. 113 f.: „Denkt man sich unter dem Naturzustand den Zustand roher Halbmenschen, bey denen Stärke für Recht gilt, so kann freylich von einer Anerken-

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

auf Ablehnung stieß letztlich nur der von Kant verwendete Begriff des „provisorischen" Eigentums. In den meisten Systemen des neueren deutschen Naturrechts wird dementsprechend an der Idee des „status naturalis" festgehalten, 68 allerdings mit der eben erwähnten Modifikation, daß ein Eigentumserwerb ohne das vorherige Einverständnis anderer Menschen möglich sei und auch nicht mehr zwischen „communio primaeva" und „status adventitius" unterschieden wurde. Nur wenige Autoren hielten den „status naturalis" in naturrechtlicher Hinsicht für verzichtbar, etwa Schaumann, der vorschlug, „diesen Begriff ganz aus unserer Wissenschaft zu verbann e n " . 6 9 Stellvertretend für die überwiegende Meinung innerhalb des neueren Naturrechts betonte dagegen Franz v. Zeiller die Bedeutsamkeit des status naturalis für die wissenschaftliche Bearbeitung des Naturrechts. Zumindest als gedankliches Konstrukt ermögliche es der Naturzustand, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Menschen jeweils unter Berücksichtigung verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungsstufen herzuleiten. 7 0 Die Meinung, daß der Mensch ursprünglich und un-

nung oder Schonung des Eigenthums keine Rede seyn; sieht man aber bei der Untersuchung der Rechte im Naturzustände bloß, wie man soll, von einer obersten Macht weg [...]; so würde auch ohne dieselbe doch immer von v i e l e n theils aus echten, theils aus eigennützigen Triebfedern, (Sympathie, Klugheit, Furcht vor Uebermacht), fremdes Eigenthum geschonet werden. Vollständige Sicherheit des Eigenthumes gewähret auch der bürgerliche Zustand nicht. Es kann durch Unverständigkeit oder Parteylichkeit der Richter, es kann durch List und Gewalt der Mitunterthanen verletzet werden [...] wenn Kant sagt, daß durch bürgerliche Verfassungen das Seinige des Menschen nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmet werde, indem die Garantie das Seinige von jemand, dem es gesichert wird, schon voraussetzt; wenn F i c h t e zur Begründung des von ihm angenommenen Eigentums Vertrages und über die Gränzen der Zueignung solche Regeln aufstellet, die auch ohne alle bürgerliche Verfassung nach dem Rechtsgesetze als gültig zugegeben werden müssen; wenn endlich schon vor aller Verbindung ein Recht eingestanden wird, kraft dessen man von andern zu fordern, und sie zu zwingen berechtigt wäre, daß ein Übereinkommen zur Anerkennung des Eigenthums errichtet werde: so dürfte wohl auch hier eine Ausgleichung der Rechts=Philosophen zu erwarten seyn". 68 Vgl. etwa Jakob 1802, §§ 186 ff.; Thomas 1803, § 42; Hoffbauer 1804, § 195; Bauer 1808, § 17, S. 16 f.; Meister 1809, § 189; vgl. auch Gesterding 1817, § 10. 69 Schaumann 1792, S. 148. In ähnlicher Weise äußerte sich Abicht: Das Naturrecht aus dem Naturzustände herzuleiten, sei ein „zwekloses und gefährliches Unternehmen", Abicht 1795, S. 52; ablehnend auch Zachariä 1804, § 21, S. 54 ff. 70 v. Zeiller 1819, § 195, S. 269: „Die Hypothese eines rechtlichen Naturstandes, worin das natürliche Privat=Recht als Rechts=Norm besteht, ist also weder ungereimt, noch grundlos, und sie hat einen manigfaltigen wissenschaftlichen Gebrauch. Sie leitet uns, das natürliche Recht der unabhängigen Staaten zu gründen, und nach seinen manigfaltigen Beziehungen zu entwickeln. Sie setzt uns in den Stand, in der Rechtslehre von einfachen Begriffen zu den zusammengesetzten fort zu schreiten, die Menschen erst in der allgemeinsten rechtlichen Beziehung des Menschen zu dem Menschen, dann in hinzukommenden, durch Erwerbshandlungen gegründeten, Rechtsverhältnissen, hierauf im Familienzustande, endlich als Bürger im Staate und zuletzt die gegenseitigen Rechte der Staaten zu betrachten". Ähnlich Jakob 1802, § 187; Schmalz 1807, § 104, S. 77 und Gros 1815, § 46, Anm. 1, S. 28 f.; vgl. auch v. DrosteHülshoff\%2?>A 12, S. 16.

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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abhängig vom Staat kein Recht habe, sondern der Staat alles Recht erst mache, sei ein Widerspruch in sich: „wenn es kein unabhängig vom Staate gültiges Recht giebt, so läßt sich nicht begreifen, woher denn dem Staate das Recht kommen sollte, ein Recht zu machen",71 schrieb Gros. Allerdings betrachtete man den Naturzustand mehrheitlich - wenn auch mit unterschiedlicher Deutlichkeit - als zu überwindendes Stadium gesellschaftlicher Entwicklung, vor allem deswegen, weil es erst im Zustande der bürgerlichen Gesellschaft möglich sei, die Rechte des Einzelnen effektiv zu sichern; 72 es lasse sich „nemlich nicht erwarten, daß in einem Zustand, worin Jeder sein eigner Richter ist, die Urtheile der in Concurrenz kommenden Menschen über die Gränzen ihres Rechts übereinstimmend ausfallen werden". 73 Außerdem werde „aber auch der Berechtigte nicht immer die, zur Ausübung seines Zwangsrechts gegen den Beleidiger erforderliche, physische Übermacht haben". 74 In etwas überspitzter Weise schrieb Bauer, der Naturzustand gewähre „also in beiden Hinsichten keine Rechtssicherheit", sondern sei „ein endloser Kriegszustand". 75 Deswegen müsse „ n o t wendig ein Stand gebildet werden, worin die Realisierung des Rechtsgesetzes möglich ist". 7 6

II. Eigentum als Recht der Persönlichkeit 1. Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Kräfte a) „Personnatur" des Menschen Die Persönlichkeit des Individuums war für die neuere deutsche Naturrechtslehre Grundlage jeglichen Rechts.77 Denn der Mensch, so schrieb etwa Schmalz, „wird nackt in die Welt geboren. Das Recht auf seine Person ist das Einzige, welches er hat, die einzige Aussteuer, welche die Natur ihm mitgegeben hat in diese Welt". 78 Und Meister konnte feststellen: „Was in der Ichheit, in der Persönlichkeit, 71 Gros 1815, § 45, Anm., S. 28; ähnlich Jakob 1802, § 188; vgl. auch Schmalz 1807, § 130, S. 109: „Freylich die, welche es für bloßes Institut des Staates hielten, verwechselten auf eine grobe Art das Recht des Eigenthums mit der Sicherheit des Eigenthums". 72 Besonders deutlich wird dies bei Bendavid 1802, § 115, S. 49 f.; vgl. auch Thomas 1803, § 42; Gros 1815, § 149, Anm.; v. Zeiller 1819, § 71, S. 107 und § 196. 73 Bauer 1808, § 209, S. 236 f. 74 Bauer 1808, S. 237. 75 Bauer 1808, S. 237. 76 Bauer 1808, § 210, S. 237. 77 Vgl. Schwab 1995, S. 68 ff.; anders allerdings v. Dresch 1822, § 24, S. 40: „Gleichheit" und „Freiheit". 78 Schmalz 1807, § 92, S. 67; ähnlich Gros 1815, § 112. Vgl. auch Egger 1815, § 40, S. 57; Marezoll 1819, § 109, S. 103; v. Zeiller 1819, § 40, S. 65 f.; v. Droste-Hülshoff 1823, § 27, S. 39 f.

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

in dem Umriß der Individualität eines Jeden enthalten ist, das ist auch Gegenstand der ausschließlichen Verfügung durch sein W o l l e n - das Seinige, das Ur=Seinige eines Jeden".79 Aus dieser „Personnatur" des Menschen leitete man dann - als „blosse Folgen der Persönlichkeit" 80 - alle weiteren Rechte ab. 81 In Richtung Eigentumserwerb zielende Rechte bezeichnete man dabei als „Güternutzungsrecht", als „Recht, seine Kräfte zu entfalten" oder als „Recht auf die äußern Mittel der persönlichen Existenz". 82 So folgerte etwa Heydenreich aus dem Persönlichkeitsrecht das „Recht des Menschen auf die Erhaltung des Daseyns, seines Wesens und seiner Vermögen im naturgemäßen Zustande, das Recht des Menschen auf die Vervollkommnungsfähigkeit seiner Natur [und das] Recht des Menschen auf die Freyheit in den Aeußerungen seiner Kräfte, sowohl der geistigen als der körperlichen". 83 Dieses Recht auf Äußerung der Kräfte wurde nunmehr nicht als Gabe Gottes, sondern als angeborenes, ureigenes Recht des Menschen verstanden („Urrecht"). 84 „Äußerung der Kräfte" meinte dabei - anders als noch bei dem aus der älteren Naturrechtslehre bekannten Recht an den „actiones propriae" - nicht nur die Handlungsfreiheit gegenüber Dritten, sondern auch ein Recht gegenüber den Dingen. 85 Denn „Eigenthum des Menschen ist [...] alles, was er in sein Vermögen aufnimmt, durch seine Kräfte bearbeitet, und ihm die Form seines Wirkens aufdrückt". 86 Bau79 Meister 1809, § 191, S. 154. Vgl. auch Bauer 1808, § 91, S. 99 f.: „Es gibt ein allgemeines, jedem Menschen, als solchem, zukommendes Urrecht, auf welches sich alle angebohrnen Rechte desselben zurückführen lassen [...]. Dies ist das Recht der Menschheit, oder Persönlichkeit d. h. das Recht als freies, vernünftiges Wesen in der Sinnenwelt zu existieren " und v. Droste-Hülshoff 1823, § 27, S. 39: „Die rechtsprechende Vernunft verleiht dem Menschen durch ihren allgemeinen Ausspruch einschließlich ein Recht zu seyn. Sie verleiht ihm dasselbe einzig auf den Grund der privativen Menschennatur; daher ist das Recht dieser privativen Menschennatur, oder das Recht, als vernünftiger und freier Mensch zu seyn, das ursprüngliche Recht oder Urrecht des Menschen; d. h. was dem Menschen außerdem noch als Recht verliehen wird, [...] wird ihm nur als Folge des Rechts, ein sittliches Wesen zu seyn, verliehen [...] Sie erkennt folglich unter den Erdenwesen nur den Menschen als Rechtssubjekt an, weil sie nur in ihm eine P e r s ö n l i c h k e i t erkennt". 80 Hufeland 1803, § 394: „Die vornehmsten Rechte, die als blosse Folgen der Persönlichkeit gemerkt werden müssen, sind: Recht auf das Leben und die Gesundheit, Recht auf Willensbestimmungen, also auch willkürliche äussere Handlungen (persönliche Freyheit), demnach Recht Äusserungen innerer Handlungen vorzunehmen [...] Recht sich Rechte zu erwerben, Recht auf guten Namen (Ehre) [...]"; ähnlich Schmalz 1807, § 93 f.; Meister 1809, §§ 192-204; Zachariä 1804, § 36, S. 74; Gerlach 1824, §§ 101 ff.

si Vgl. etwa Bauer 1808, § 93, S. 101 f. 82 Vgl. Meister 1809, § 194, S. 157 f.; Egger 1815, § 46, S. 68; Gros 1815, § 116; Gerlach 1824, § 107, S. 136. Weitere Bezeichnungen bei Klippel 1976, 122 f. 83 Heydenreich 1793, 132; ähnlich Hoffbauer 1804, § 204. 84 Vgl. Zachariä 1804, § 24, S. 61. 85 Vgl. Hecker 1990, S. 223. 86 Bergk 1796, S. 224 f.: „Der Mensch besitzt von Natur gewisse Anlagen, die ohne den Stoff, den sie durch Eindruck empfangen, den sie sich zu eigen machen, und den sie formen, leer und todt sind. Jede Aeußerung derselben an Etwas, das ihnen gegeben ist und das noch

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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er spricht insofern von einem Urrecht jedes Menschen, „sich solche Sachen zuzueignen, welche weder zu den ursprünglichen, noch zu den erworbenen Gütern Anderer gehören". 87 Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht nun der Mensch als schöpferisches Wesen, das sein Dasein und alles Recht auf herrenlose Naturgegenstände nur sich selbst verdankt. 88 Bergk etwa hat die Bestimmung des Menschen als einem „durch seine Freyheit und durch seine Moralität mit der Gottheit" 89 verwandten Wesen betont, „durch seine Arbeit und Kunst den vernunftlosen Stoff zu veredeln!". 90

b) Eigentum als „ hypothetisches " Recht Das Urrecht auf „Äußerung der Kräfte" war nicht als Recht „auf bestimmte Sachen, sondern nur auf Sachen überhaupt, oder mit andern Worten, auf die M ö g l i c h k e i t der E r w e r b u n g " 9 1 konzipiert. Eine aufgrund dieses „Urrechts" an einer ganz bestimmten Sache erlangte Befugnis bezeichnete man dann als „hypothetisches" Recht. 92 Unter hypothetischen Rechten verstand man also „diejenigen, welche einer Person zukommen in Folge eines von ihr vollbrachten Aktes, oder deren Objecte das Subject erst mit sich durch eine Handlung in das Rechtsverhältniß gebracht wird". 9 3 Die Unterscheidung zwischen angeborenen und erst zu erwerbenden Rechten erleichterte zugleich die Legitimation ungleicher Güterverteilung. Das Recht der Gleichheit war zwar in ähnlicher Weise wie das Eigentum aus der Personnatur des Individuums abgeleitet;94 beschränkte man Gleichheit aber auf die „ursprünglichen Rechte" des Menschen,95 wurden erst zu erwerbende Rechte und damit auch das Eigentum von entsprechenden Forderungen nach ursprünglicher Gleichheit nicht

niemand gehört, giebt dem Menschen ein Eigenthumsrecht auf den geformten Gegenstand. Jede Form an einem Objekte ist heilig, weil dieses dadurch ein Theil einer moralischen Person worden ist. Eigenthum des Menschen ist daher alles, was er in sein Vermögen aufnimmt, durch seine Kräfte bearbeitet, und ihm die Form seines Wirkens aufdrückt". 87 Bauer 1808, § 108, S. 121. 88 Vgl. Hecker 1990, S. 224. 89 Bergk 1796, S. 8. 90 Bergk 1796, S. 8. 91 Gerlach 1824, § 107, S. 137; ähnlich Thomas 1803, § 80 und Gros 1815, § 132, S. 97 f. 92 Vgl. Klein 1797, § 123: „Die hypothetischen Rechte [...] entstehen entweder allein aus der Zueignung, oder sie bedürfen zu ihrer vollkommenen Erwerbung [...] der Einwilligung eines andern"; vgl. auch Zachariä 1804, § 47; Bauer 1808, § 60, S. 64 f.; Gros 1815, §§ 133 ff.; Egger 1815, § 14, S. 23; v. Droste-Hülshoff 1823, § 4. 93 94 95 hoff

Gerlach 1824, § 112, S. 143. Vgl. oben: 2. Kapitel, II., 1., a). Vgl. etwa Bauer 1808, § 101, S. 112, Anm. b); Egger 1815, § 50, S. 78; v. Droste-Hüls1823, §26, S. 38 f.

3 Ulmschneider

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

berührt. 96 Deshalb konnte Ernst Ferdinand Klein in seinem Werk „Freyheit und Eigenthum" 97 hinter der Maske des Kleon festhalten: „Der Arme kann vom Staate nicht mehr verlangen, als den freien Gebrauch seiner Kräfte. Bleibt er alsdann noch arm, so ist es seine eigene Schuld, vorausgesetzt, daß der Staat alle Hindernisse seines bessern Fortkommens aus dem Weg geräumt habe. Es ist immer eine des Pöbels würdige Idee gewesen, die Armen den Reichen gleich zu setzen. Der Pöbel würde auf diese Weise die andern arm, sich aber nicht reich stehlen".98 Unter den erworbenen Rechten herrsche „keine materiale Gleichheit, sondern Verschiedenheit, sowohl in Hinsicht der Qualität, als der Quantität". 99 Materiale Gleichheit sei - so meinte beispielsweise v. Droste-Hülshoff - eine „Chimäre, und würde, wenn man sie bewirken könnte, gewiß keine Stunde lang bestehen".100 Dadurch, daß man etwa in „der Französischen Revolution [...] aus Leidenschaft und Mißverstand die objektive und materiale Gleichheit und Freiheit einführen" 101 wollte, habe man die „Lehre von der Freiheit und Gleichheit nicht bloß fürchterlich, sondern auch lächerlich" 102 gemacht.

2. „Selbstzweckhaftigkeit" des Menschen Von entscheidender Bedeutung für die Begründung des Eigentums aus der „Personnatur" des Menschen ist die von Kant bereits in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" entwickelte Vorstellung von der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen als vernünftiges Wesen.103 Danach existiert der Mensch als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen. 1 0 4 Dieser Gedanke wurde von den deutschen Naturrechtslehrern des ausgehenden 18. Jahrhunderts voller Begeisterung aufgegriffen. In fast allen Systemen des neueren Naturrechts findet sich die Vorstellung vom Menschen als Person, als ein mit moralischer Würde begabtes und deshalb unverletzliches Wesen, das, als 96 Vgl. Klippel 1976, S. 163. 97 Einzelheiten zu dieser Schrift bei Kleensang 1998, S. 32 ff., 113 ff. 98 Klein 1790, S. 53; vgl. auch v. Droste-Hülshoff 1823, § 34, S. 47: „Die Armuth ist bloß eine nothwendige Folge des Unfleißes oder der Unfälle des Schicksals, nicht aber der Gesetzgebung, welche dem Armen untersagt, eigenmächtig des Reichen Vorrath sich anzueignen". 99 Bauer 1808, § 102, S. 113; ähnlich v. Dresch 1822, § 24, Anm. 1, S. 41; v. Droste-Hülshoff 1831, § 31, S. 73. Vgl. auch Schmalz 1807, § 113, S. 90 f.: „Absolute Gleichheit aller angebohrnen Rechte ist das Gesetz der Gerechtigkeit, und eben damit diese erhalten werde, ist Ungleichheit unter den erworbenen Rechten". 100 v. Droste-Hülshoff im, S. 31, Anm., S. 74. ιοί v. Droste-Hülshoff 1831, S. 31, Anm., S. 74. 102 v. Droste-Hülshoff 1831, S. 31, Anm., S. 74. 103 Einzelheiten bei Hinske 1987, S. 376 f. 104 Kant 1786, S. 61: „Handle so, daß Du die Menschheit, sowohl in Deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest".

2. Kap.: Eigentumsbegründung im „neueren" Naturrecht

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Selbstzweck, von seinesgleichen niemals als bloßes Mittel behandelt werden kann. 105 „Du hast kein Recht zu solchen Handlungen, welche das sinnlich=vernünftige Wesen zu einem Mittel herabwürdigen", heißt es bei Schaumann;106 Schmalz forderte: „Behandle die Menschheit nicht wie ein bloßes Mittel". 1 0 7 Und los Vgl. Warnkönig

1839, S. 145 ff.

106

Schaumann 1792, § 186; vgl. auch § 187: „Du hast ein Recht zu den Handlungen, mit welchen die Würde des sinnlich=vernünftigen Wesens, als Zweck an sich selbst, bestehen kann". 107 v. Schmalz 1795, § 39. Vgl. auch Hufeland 1795, § 95: „Der Grundsatz aller Rechte ist demnach: Jeder Mensch hat ein Recht, alles zu wollen, was nicht als verboten nach allgemeingültigen Gesetzen gedacht werden muß. Man kann es auch so ausdrücken: Jeder Mensch hat ein Recht, alles zu wollen, womit die Würde der menschlichen Natur, die Persönlichkeit des Menschen bestehen kann; wobey der Mensch nicht als Mittel zu etwas andern behandelt wird"; Feuerbach 1796, S. 294: „Ich habe zu alle dem ein Recht, wodurch ich ein anderes vernünftiges Wesen, nicht als willkürliches Mittel zu beliebigen Zwecken behandele. Negativ: Ich habe zu alle dem kein Recht, wodurch ich ein anderes vernünftiges Wesen als beliebiges Mittel zu beliebigen Zwecken behandele"; Jakob 1802, § 94, S. 46 f.: „Das allgemeine formale Recht auf Persönlichkeit, als das erste absolute Urrecht, kann durch folgende Formeln ausgedrückt werden: 1) positiv: Jeder hat ein Recht, ein für sich selbst bestehendes Wesen oder eine Person zu seyn. 2) negativ: Niemand kann ein Recht haben, irgend eine andre Person als bloße Sache, oder als willkührliches Mittel äusserlich und mit der That (nicht etwa bloß der Denkungsart nach) zu behandeln"; Hoffbauer 1804, § 34, S. 34 f.: „Person heißt (im praktischen Sinne) ein Wesen, welches sich selbst Zwecke vorsetzen, und nach der Vorstellung derselben sich zu Handlungen bestimmen kann. Eine Person muß sich daher, als um ihrer selbst willen vorhanden, betrachten; und nur ein vernünftiges Wesen kann Person seyn"; Bauer 1808, § 44: „Diejenige Handlung ist rechtmäßig, mit deren Maxime die allgemeine Freiheit vereinbar ist. - Allen Menschen kommen in ihrem Socialverhältnisse gleiche Gränzbestimmungen für ihre freie Wirksamkeit zu, oder die gesetzgebende Vernunft weist jedem Menschen ein gleich großes Gebiet für seine freie Thätigkeit an"; Gros 1815, § 114: „Vermöge des Urrechts kann jeder vom Andern fordern, daß er ihn als Person anerkenne; ein Wesen aber, das Person ist (Zwek an sich, kein bloßes Mittel fremder Zweke) hat ebendeshalb einen absoluten Werth, eine Würde"; Krug 1817, § 15: „Du darfst jeden beliebigen Zweck dir setzen und durch deine Kräfte zu erreichen streben, wenn und inwiefern damit die persönliche Freiheit aller Anderen bestehen kann; Marezoll 1819, § 175, S. 173: „Die allgemeine Befugnis sich der Sachen, als Mittel zu seinen Zwecken, zu bedienen, ist eben ein Theil seiner Persönlichkeit"; v. Dresch 1822, § 61, S. 161: „Das Recht Eigenthum zu erwerben liegt [...] darin, daß jeder Mensch ein Recht auf den ungestörten und freien Gebrauch seiner körperlichen und geistigen Kräfte (also auch zur Erwerbung von Eigenem) hat, überhaupt die Sinnenwelt zu seinen Zwecken gebrauchen darf, unter der einzigen Einschränkung, daß er das Recht keines Dritten verleze"; v. Droste-Hülshoff 1823, § 10, S. 9: „Das Gebühren der Befugniß, selbstthätig zu thun und zu lassen, begreifen wir [...] aus dem Grunde der Menschennatur vollkommen. Denn wir begreifen daraus den Menschen als Zweck, d. h. als etwas, dessen Seyn und Thätigkeit nicht nur um seiner selbst willen gewollt werden kann, sondern auch gewollt werden soll, als ein Wesen welches eine solche Kraft, nämlich als Intelligenz und Freyheit seyn soll, also insbesondere sich selbst Zwecke setzen soll"; weitere Nachweise bei Roßbach 1842, §§ 172, 173. 3*

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

v. Droste-Hülshoff umschrieb das Recht der Persönlichkeit als Recht, „als Selbstzweck zu seyn". 108 Zur Begründung des Eigentumsrechts setzte man die Idee von der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen in der Weise ein, daß der Mensch befugt sein sollte, alles was nicht selbst Mensch ist, als Mittel zu seinen Zwecken zu gebrauchen. Da wir die „vernunftlose Natur nicht als Selbstzweck erkennen, so können wir ihr auch kein Recht zusprechen", 109 schrieb v. Droste-Hülshoff. Folglich dürfe „die ganze vernunftlose Natur als Mittel" 1 1 0 behandelt werden, m.a.W.: Der Mensch habe vermöge seiner Natur „eine vollkommene Herrschaft über alles auf Erden, was nicht Mensch ist". 1 1 1 Bauer hat vom angeborenen Recht des Individuums gesprochen, „alle seine individuellen Kräfte zur Realisirung erlaubter Zwecke zu gebrauchen". 112

I I I . Recht des Menschen „auf 4 Eigentum Wurde Privateigentum innerhalb der älteren Naturrechtslehre als ein durch das Naturrecht zwar erlaubtes, nicht aber verbindlich vorgeschriebenes Rechtsinstitut verstanden, 113 so geht es der Naturrechtslehre um 1800 nicht mehr nur um die Begründung des Eigentums im Sinne seiner vorstaatlichen Einführung, sondern um das Recht des Menschen „auf 4 Eigentum und Unterwerfung der Dinge. Jenes Recht „auf Eigenthum überhaupt" beruhte etwa für Heydenreich „auf dem Rechte des Menschen auf Freyheit in der Äußerung seiner Vermögen und dem Rechte des Menschen auf die Sachen der wirklichen Welt, zweyen ursprünglichen, unmittelbar aus dem Charakter der Persönlichkeit folgenden Rechten". 114 In diesem Zusammenhang wird vielfach auf Kants Vorstellung von der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen als Person zurückgegriffen. Bei Jakob heißt es dazu: wenn jeder ein Recht auf Persönlichkeit hat, „so hat er auch ein Recht, das, was keine Person, d. h. Sache [...] ist, nach Belieben zu gebrauchen. Denn Sache heißt alles, was nicht um sein selbst, sondern blos um eines andern Dinges willen da ist, was sich also zuletzt auf absolute Wesen d. h. auf Personen bezieht. 115 In ähnlicher Weise äu108 V. Droste-Hülshoff 1823, § 27, S. 39 f. 109 v. Droste-Hülshoff 1823, § 45. no v. Droste-Hülshoff

1823, § 45.

m v. Droste-Hülshoff 1823, § 45. 112 Bauer 1808, § 94, S. 102; vgl. auch Jakob 1802, § 242, S. 116 f.: „Es ist möglich, daß jeder diejenigen Sachen als Mittel zu seinen Zwecken gebrauche, die mit seiner Person verknüpft sind, und in wieferne dieses als allgemeines Gesetz gedacht werden kann, darf es auch ein jeder thun, oder: Jeder hat ein Recht, diejenigen Sachen als Mittel zu seinen Zwecken zu gebrauchen, welche mit seiner Person, folglich auch mit seinem freyen Willen verknüpft sind". 113 Vgl. Brocker 1992, S. 295. 114 Heydenreich 1794, S. 262 f.; ähnlich v. Zeiller 1819, § 46, S. 74 f. us Jakob 1802, § 96; ähnlich Egger 1815, § 46, Anm., S. 69.

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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ßerte sich Franz v. Zeiller. Er war der Überzeugung, daß die „Vernunft, oder vielmehr der weise Urheber der Natur durch die Vernunft, welche die Sachen für bloße Mittel zu Zwecken vernünftiger Wesen erkläret", 116 jedermann gestatte, „von äußeren Sachen, die noch niemanden insbesondere angehören, beliebigen Gebrauch zu machen". 117 Diese Befugnis sei ein „allen gleich zukommendes, angebornes Recht [ , . . ] " . 1 1 8 Das Recht „auf' Eigentum ist dem Eigentumserwerb nicht nur zeitlich, sondern auch auf der Begründungsebene vorgelagert; die Güter nützen der Freiheit „nur als Gegenstände, an denen sie ihre Kraft äußert, und sie eben dadurch entwickelt". 119 Zuerst kommt mithin das Recht auf die Sache, dann erst folgt daraus als zweites die „Heiligkeit" des durch Besitzergreifung oder ggf. auch durch Arbeitsleistung erlangten Eigentums. 120 War dem Menschen damit ein prinzipieller Anspruch auf völlige Naturherrschaft zugebilligt worden, 121 so wurde der Rückgriff auf eine Bewilligung Gottes oder auf die Bedürfnisnatur des Menschen entbehrlich. Bauer stellte dazu klar, daß die rechtliche Möglichkeit des Eigentumserwerbs „weder durch das Bedürfnis des Menschen, noch durch dessen physische Kraft, das erworbene zu vertheidigen, beschränkt" 122 sei. Das Erwerbsrecht des Individuums wurde von dessen „ethischer Verpflichtung, nahmentlich von der, sich selbst zu erhalten, unabhängig".123

116 v. Zeiller 1819, § 57, S. 91. 117 v. Zeiller 1819, § 57, S. 91; vgl. auch Bauer 1808, § 97, S. 106 f.: „Ausser den innern Gütern, auf welche dem Menschen, als Bedingungen seines Daseyns, ursprüngliche Rechte zukommen [...], hat er auch Rechte auf äussere Güter, oder ein Urrecht auf Sachen d. h. das Recht durch seine freie Thätigkeit auf Sachen wirken zu dürfen. Dies Recht ist theils n o t wendig, weil er seine Thätigkeit ohne Objecte nicht äussern kann, theils ist es rechtlich möglich, weil die Sachen nur Mittel für Zwecke sind, und die Gemeinschaft der Menschen durch dasselbe nicht gestört wird [...]". us v. Zeiller 1819, § 57, S. 91. 119 Klein 1790, S. 92 f. 120 Hecker 1990, S. 226. 121 Vgl. etwa Meister 1809, § 214, S. 181: „Wie also auch der Mensch auf Sachen ausser sich e i n w i r k e : so kann er zwar in der Art der Einwirkung v e r n u n f t w i d r i g handeln, und gegen eine Selbst=Pflicht; aber in Beziehung auf die Thiere, und auf leblose Sachen, kann keine Art der Einwirkung etwas W i d e r = N a t u r = R e c h t l i c h e s seyn. Gegen Sachen, als solche, - eben weil sie Sachen, und nicht Person - nicht Subject des Rechtes sind, - ist ihm innerhalb der Sphaere des Zwangsrechtes alles erlaubt". 122 Bauer 1808, § 108, S. 121, Anm. b); anders noch Höpfner 1795, § 43 und Abicht 1792, § 86. 123 Egger 1815, § 68, S. 101. Anderer Ansicht war allerdings v. Droste-Hülshojf, der noch im Jahre 1823 zusätzlich auf das Recht des Menschen zur Selbsterhaltung abhob: „Aus dem Rechte auf das Leben, folgt ferner mit Nothwendigkeit das Recht zur Erhaltung der Gesundheit und auf Alles was zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit unentbehrlich ist [...]", v. Droste-Hülshojf 1823, § 28.

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

IV. Eigentümer und Eigentumsobjekt 1. Herrenlose Sachen Charakteristisch für die Eigentumslehre des neueren deutschen Naturrechts ist ein neuartiges Verständnis von der zu erwerbenden Sache; sie wird - geraume Zeit vor der dialektischen Philosophie Hegels 124 - zum Gegenstück der in Anspruch genommenen Freiheit. 125 Nach Witte ist die Sache der „rohe Stoff 4 und das „Eigenthum die Materie [...], worinn der Mensch seine persönlichen Rechte ausübt, die den Wirkungskreis der menschlichen Freyheit bestimmt". 126 Und für Bergk hat jeder Mensch, „dessentwegen alles, was bloße Sache ist, existiert", 127 das Recht, sich beliebige Gegenstände der Natur „zu eigen zu machen". 128 Sachen waren danach von vornherein dazu bestimmt, als Eigentum erworben zu werden; sie erscheinen uns - so heißt es bei Egger - „mit der Bestimmung, daß sie von vernünftigen Wesen zu ihren künftigen sowohl als gegenwärtigen, also überhaupt zu beliebigen, und nicht nur zu gemeinschaftlichen, sondern auch zu Privat=Zwecken, folglich ausschließend, gebraucht werden können". 129 Einige Naturrechtslehrer bezeichneten diese Zweckbestimmung ausdrücklich als zusätzlichen Rechtsgrund des Eigentumserwerbs - neben einem entsprechenden „Urrecht" des Menschen auf Äußerung seiner Kräfte. Franz v. Zeiller etwa meinte, der Rechtsgrund originären Eigentumserwerbs stelle „sich einerseits aus der durch die Vernunft erkennbaren Bestimmung der Sachen, andererseits aus dem Urrechte des Menschen dar"; 1 3 0 der Titel ursprünglicher Erwerbung liege „also zuletzt theils (subjectiv) in dem Urrech-

124

Im Mittelpunkt der Hegeischen Eigentumsbegründung steht das Verhältnis von Willen und Natur. Der Kernsatz seiner Eigentumslehre lautet: „Die Person muß sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein" (Hegel 1821, § 41). Dieses Sich-GestaltGeben der Person besitzt als eine ihrer Dimensionen das Verhältnis zur äußeren Natur. Die Freiheit finde ihre unmittelbare Gestalt im Eigentum, wo sie die Freiheit „einer einzelnen, sich nur zu sich verhaltenden Person ist" (Hegel 1821, § 40). Hegel fährt fort: „Wenn ich und die Sache zusammenkommen, so muß, damit wir identisch werden, einer seine Qualität verlieren" (Hegel 1821, § 59). Sich etwas Zueignen heiße „im Grunde somit nur die Hoheit meines Willens gegen die Sache manifestieren und aufweisen, daß diese nicht an und für sich, nicht Selbstzweck ist. Diese Manifestation geschieht dadurch, daß ich in die Sache einen anderen Zweck lege, als sie unmittelbar hatte: ich gebe dem Lebendigen als meinem Eigentum eine andere Seele, als es hatte; ich gebe ihm meine Seele" (Hegel 1821, § 44, Zusatz). 125 Hecker 1990, S. 228. 126 Witte 1782, S. 46 f.; vgl. auch Klein 1797, § 242, S. 131: „Bloße Sachen, denen kein Recht der Persönlichkeit zukommt, dürfen von den Menschen, vermöge des Gebrauchs ihrer natürlichen Freyheit, durch die ursprüngliche Erwerbung als Eigenthum in Besitz genommen werden". 127 Bergk 1796, S. 226. 128 Bergk 1796, S. 226; ähnlich Egger 1815, § 46, S. 69. 129 Egger 1815, § 59, S. 90. 130 v. Zeiller 1819, S. 92.

. Kap.: Eigentumsbegrndung im „ e e n " Naturrecht

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te [...], theils (objectiv) in der Herrenlosigkeit des Gegenstandes".131 Auch für Meister bestand der „Rechts-Titul in der Qualität der Niemand gehörigen Sache als solcher". 132 Und Ernst Ferdinand Klein konnte festhalten: „Wenn niemand meiner Person Gewalt anthun darf, so darf mich auch niemand hindern, Dinge, die noch niemand gehören, in meinen Besitz zu nehmen". 133

2. Verknüpfung zwischen Eigentümer und Sache In Zusammenhang mit der eben angesprochenen Zweckbestimmung herrenloser Sachen stehen Vorstellungen von einer engen Verbindung des Eigentümers mit seinem Eigentumsgegenstand, einer bleibenden „Verknüpfung zwischen mir, dem wirkenden Subjekt, und der Sache, worauf ich einwirke". 134 So gab es für Theodor v. Schmalz kein Eigentum „als durch eine solche Anknüpfiing des Gegenstandes an unser Urrecht"} 35 Dadurch, daß der Erwerber eine herrenlose Sache ergreift, gehe „gleichsam ein Theil seines Wesens in sie über". 136 Eigentum sei das Recht, „eine Sache mit sich selbst zu verknüpfen", 137 meinte Henrici. Und für Johann Adam Bergk war jede Form an einem „Objekte [...] heilig, weil dieses dadurch ein Theil einer moralischen Person worden ist". 1 3 8 Eigenthum eines Menschen sei „daher alles, was er in sein Vermögen aufnimmt, durch seine Kräfte bearbeitet, und ihm die Form seines Wirkens aufdrückt". 139 Wichtig ist dabei, daß Eigentum von nun an überwiegend nicht mehr als zwischenmenschliches Verhältnis in Bezug auf Sachen verstanden, sondern vielmehr auf die Beziehung des Eigentümers zu seinem Eigentumsgegenstand reduziert wird. 1 4 0 Eigentum wird damit zum Sachherrschaftsrecht oder - um mit Bauer zu sprechen - zu einem solchen „Verhältniß zwischen der Person (dominus, Eigenthümer) und der Sache, vermöge dessen Andere diese nicht gebrauchen können, ohne jene zu verletzen". 141

131 v. Zeiller 1819, S. 93; ähnlich Egger 1815, § 59, S. 90: „Der Rechtstitel der unmittelbaren Erwerbung des Eigenthums liegt objectiv in der ursprünglichen Bestimmung der Sachen, subjectiv (entfernt) in dem Urrechte des Menschen, zunächst aber in dem angebornen Rechte, Sachen zu gebrauchen". 132 Meister 1809, § 233. 133 Klein 1790, S. 115 f. 134 Meister 1809, § 230. 135 Schmalz 1795, § 73, Nachsatz. 136 Schmalz 1795, § 73, Nachsatz. 137 Henrici 1822, S. 362. 138 Bergk 1796, S. 224. 139 Bergk 1796, S. 225. 140 Einzelheiten unten: 2. Teil, I., 2. 141 Bauer 1808, § 105, S. 116 f. Anderer Ansicht war freilich Franz v. Zeiller, der das Eigentum - ähnlich wie Kant - als zwischenmenschliches Rechtsverhältnis begriff: „Wir haben auch im buchstäblichen Sinne nie ein Recht in einer Sache, sondern nur ein Recht, alle ande-

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

V. Bedeutung menschlicher Arbeit 1. Lockes „Arbeitstheorie" John Locke begründete das Eigentum an äußeren Gütern als Erstreckung des „Eigentums" an der Person auf die Gegenstände der Natur. 142 Dadurch, daß der Mensch - als Eigentümer seiner selbst - einen Naturgegenstand mit dem, was ihm ohnehin eigen ist, verbindet, sollte dieser Gegenstand sein Eigentum werden: „ . . . it is evident, that though the things of Nature are given in common, man (by being master of himself, and proprietor of his own person, and the actions or labour of it) had still in himself the great foundation of property". 143 Dabei wird Locke in der Regel so interpretiert, daß er das Eigentum über das Recht auf die Frucht der Arbeit begründet. 144 Neuerdings hat Hecker mit beachtlichen Argumenten behauptet, Locke habe zur Eigentumsbegründung in erster Linie auf die Besitzergreifung abgestellt, sei also letztlich ein Vertreter der Okkupationstheorie. 145 Dem braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn Gegenstand dieser Untersuchung ist nur eine mögliche Rezeption von Lockes Eigentumstheorie in der deutschen Naturrechtslehre um 1800; Locke wurde aber von den deutschen Naturrechtlern der damaligen Zeit einhellig dahin verstanden, daß er das Eigentum erst als Folge der Verrichtung von Arbeit begründen wollte. 1 4 6 Jedenfalls ist festzuhalten, daß die Okkupationstheorie in keinem echten Widerspruch zur „Arbeitstheorie" Lockes steht. Denn Locke verstand unter „labour" jede menschliche Tätigkeit und damit auch den Vorgang der Okkupation. 147

ren Personen von der Sache, insofern sie uns gehört, auszuschließen", v. Zeiller 1819, § 77, Anm. 2. Ahnlich auch Gesterding 1817, § 1, S. 5: „Wenn eine Sache die unsrige ist, so ist diese Eigenthümlichkeit nichts, was der Sache an und für sich zukäme, sondern, es wird dadurch [...] nur ausgesagt, daß im Verhältniß zu andern Menschen wir berechtigt sind, sie mit Ausschluß ihrer zu gebrauchen oder zu benutzen, so als wäre sie nur für uns vorhanden". 142 Einzelheiten bei Schwab 1975, S. 79 f. 143 Locke 1963, II, 5, § 44. Eine übersichtliche Darstellung der Eigentumslehre Lockes findet sich bei Schild 1983, S. 33 ff.; vgl. auch Riedel 1983, S. 136 ff. 144 Nachweise bei Hecker 1990, S. 166, Fn. 117; vgl. auch Leipold 1983, S. 10. 145 Hecker 1990, S. 165 ff.: Lockes Eigentumstheorie untergliedere sich in zwei Elemente, zum einen in die „Aneignungstheorie" und zum anderen in die „Arbeitstheorie". Die eigentliche Eigentumsbegründung erfolge mittels der Aneignungstheorie: Der Mensch habe im Naturzustand ein Güternutzungsrecht, das aus seiner menschlichen Selbsterhaltungspflicht folge. Jede Besitzergreifung in diesem Zustand führe unmittelbar zu Privateigentum; die Zwischenstufe einfachen Gebrauchs werde von Locke übersprungen. Auch die Verrichtung von Arbeit werde von Locke in diesem Zusammenhang als bloße Modalität der Besitzergreifung verstanden. Demgegenüber beschäftige sich Lockes „Arbeitstheorie" in erster Linie mit dem Rang und der Bedeutung menschlicher Arbeit, um dadurch eine ungleiche Verteilung privaten Eigentums zu rechtfertigen. Ahnlich wohl auch Behme 1995, S. 102, Fn. 20. 146 Vgl. etwa die Ausführungen bei Hugo 1819, S. 388 und Höpfner 1795, § 47. 147 Schwab 1975, S. 81, Anm. 86.

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Brocker hat neuerdings die These vertreten, Lockes Arbeitstheorie habe in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Okkupationstheorie verdrängt und sei fortan als die naturrechtliche Erklärung der Entstehung, Verteilung und Legitimation des Eigentums übernommen worden. 148 Im folgenden soll gezeigt werden, daß diese Behauptung einer näheren Uberprüfung der einschlägigen Quellen nicht standhält.

2. Rezeption Von England ausgehend, fand Lockes „Arbeitstheorie" bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst in Schottland und kurze Zeit später auch in Frankreich zahlreiche Anhänger. David Hume, 149 Francis Hutcheson 150 und Adam Smith 151 waren übereinstimmend der Auffassung, daß allein die körperliche Arbeit als Grundlage des Eigentums anzusehen sei. Ihnen folgten die französischen Physiokraten Mercier de la Riviere 152 und Turgot. 153 Demgegenüber war den älteren deutschen Naturrechtslehrern Lockes Theorie des Eigentums weitgehend unbekannt. Dafür mag es im wesentlichen zwei Gründe geben: Einmal hinderte die damals noch weit verbreitete Zensur eine Rezeption der politischen Schriften englischer „Whig"-Autoren. 154 Außerdem waren die „Two Treatises" nur in englischer Sprache erhältlich, die damals von kaum jemandem beherrscht wurde. 155 Dementes Brocker 1992, S. 299 f.: „[Gegen Ende des 18. Jahrhunderts] wurde die Arbeitstheorie auch in Deutschland bekannt. Sehr bald tauchte sie in den Lehrbüchern des Naturrechts auf, verdrängte die Lehren Grotius' und Pufendorfs (und die ihrer okkupationsrechtlichen Adepten) und galt fortan als die naturrechtliche Erklärung der Entstehung, Verteilung und Legitimation des Eigentums. Soweit im 19. Jahrhundert überhaupt noch Naturrechtssysteme entstanden, bezogen sie (wie fortan alle Rechtstheorien und -philosophien) in der Eigentumsfrage Lockes Standpunkt". 149 Hume, Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, 1751, übersetzt v. C. Winckler, Hamburg 1972, S. 163, Anm. 1, zitiert nach Brocker 1992, S. 541: „Wo jemand Arbeit und Mühe auf einen Gegenstand verwendet, der vorher niemand gehört hat, z. B. wenn er einen Baum fällt und behaut, ein Feld bestellt u. dgl. m., so schaffen die durch ihn zustandegekommenen Veränderungen eine Beziehung zwischen ihm und dem Gegenstand und veranlassen uns ganz von selbst dazu, diesen Gegenstand durch die neue Relation des Eigentums mit ihm zu verknüpfen". 150 Vgl. Brocker 1992, S. 299.

151 Smith, Wealth of Nations, 1776, bk. 1, chap. 10, part 2, zitiert nach Brocker 1992, S. 541: „The property which every man has in his own labour, as it is the original foundation of all other property, so it is the most sacred and inviolable". 152 De la Rivière, L'ordre naturel et essentiel des Sociétés Politiques, 1767, S. 18, zitiert nach Brocker 1992, S. 541: „C'est donc de la nature même que chaque homme tient la propriété exclusive de sa personne et celle des choses acquises par ses recherches et ses travaux". 153 Vgl. Brocker 1992, S. 299. 154 Sojedenfalls Brocker 1992, S. 292. 155 Vgl. Brocker 1992, S. 292.

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1. Teil: Eigentumsbegrndung

sprechend konnte in der älteren deutschen Naturrechtslehre eine Auseinandersetzung mit der „Arbeitstheorie" nicht stattfinden. Vielmehr war anerkannt, daß die Verrichtung von Arbeit als solche nicht zum Eigentumserwerb führen konnte. 156

a) Herrschende Meinung innerhalb des neueren Naturrechts Obwohl die „Arbeitstheorie" gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland bekannt wurde, 157 griff die deutliche Mehrheit innerhalb des neueren Naturrechts auf die römische Okkupationstheorie zurück. 158 Jede Erwerbung müsse 156 Vgl. oben: 1. Kapitel, III. 157 Zur Rezeption der Staatslehre Lockes durch Andreas Ludolph Jacobi und Leopold Friedrich Fredersdorf vgl. Klippel 1976, S. 129 f. 158 Feder 1785, III. Recht der Natur, § 11, S. 18: „Wenn man allen diesen Bemerkungen gemäß den Begriff von der Besitznehmung erkläret: so kann gesagt werden, daß das ursprüngliche Mittel, ein Eigenthum der äusserlichen Güter zu erlangen, die Besitznehmung sey";

Martini 1799, § 421: „Die Ergreifung einer herrenlosen Sache in der Absicht, sie sich eigen zu machen, heißt Zueignung [= „occupatio"]. Hierzu gehört ltens, daß die Sache wirklich noch herrenlos sey. 2tens, daß eine Handlung hinzukomme; denn von Natur ist keine äussere Sache jemandem eigen. 3tens, daß die Handlung hinreichend sey, die Sache in seine physische Gewalt zu bringen: das heißt, es muß eine wirkliche Ergreifung, Aufbewahrung, ein körperlicher Besitz vorhanden seyn. 4tens, daß die Aufbewahrung in der Absicht geschehe, die ergriffene Sache eigenthümlich zu haben. Unter diesen Bedingungen erwirbt man den rechtlichen Besitz". Martini führt weiter aus: „Allein aus der Handlung, wodurch man sich eine Sache zueignet, entsteht sowohl die verneinende Verpflichtung Anderer, sich dieser Sache zu enthalten, als das sittliche Vermögen, oder das Recht des Besitzers, mit der Substanz und mit den Nutzungen der Sache nach Willkür zu schalten, oder zu erklären, was er wolle, daß mit derselben geschehen oder nicht geschehen solle. [...] Dieses Recht heißt Eigenthum"; Jakob 1802, § 154: „Die erste Besitznehmung ist aber auch der einzige Grund, oder die einzige Art und Weise, wie sich jemand ein Recht auf Sachen, die Niemanden gehören, erwerben kann"; vgl. auch § 248: „Wer eine herrenlose Sache zuerst, also mit seinem Willen in Verbindung setzt, daß er sie zu seinen Zwecken möglicher Weise gebrauchen kann, hat ein Eigenthumsrecht auf diese bestimmte Sache erworben, und die freye Handlung, wodurch dieses geschiehet, ist die erste oder ursprüngliche Besitznehmung [...], die also der ursprüngliche Grund des Eigenthumsrechts herrenloser Sachen ist"; Bendavid 1802, § 125: „Bemächtigung (occupatio) heißt die rechtliche Erwerbung eines äussern Gegenstandes durch einseitiges Wollen"; Thomas 1803, § 90: „Zufolge dessen ist jede Erwerbung eine Art der Occupation, wie dann auch bei der bedingten (abgeleiteten) alle Erfordernisse der Bemächtigung überhaupt vorhanden sind. 1) Der Willen, ein bestimmtes Objekt als das seine zu haben. 2) Das factum, wodurch derselbe erklärt wird. 3) Die Herrnlosigkeit"; Hoffbauer 1804, § 119: „Wenn ich eine Sache okkupiere; so erwerbe ich das Eigenthum derselben durch Zueignung. Denn, indem ich Besitz von einer Sache ergreife, und die Absicht habe, sie zu der meinigen zu machen, mithin wenn ich sie okkupiere, mache ich von ihr einen Alleingebrauch, und einen Alleingebrauch von einer herrenlosen Sache"; Zachariä 1804, § 66, S. 132 f.: Die ursprüngliche Erwerbungsart ist die Occupation, d. h. die Willenserklärung, daß eine herrenlose Sache mein Eigenthum seyn soll. Denn da herren-

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„eine Besitzergreifung (Okkupation) enthalten, weil ohne Besitzergreifung kein erstes Entstehen des Eigenthums [ . . . ] gedenkbar" 1 5 9 sei. Das Eigentumsrecht aus der Bearbeitung der Sache zu begründen, wurde vielfach als zirkelschlüssig abgetan; denn „eben, weil ich ein Recht an der Sache habe, darf ich sie auch gestalten d. h. ihr jede beliebige Form des Daseins geben [ . . . ] Dieses Recht aus der Gestaltung der Sache (formatio rei) ableiten wollen [ . . . ] heißt ein Hysteronproteron mäc h e n " . 1 6 0 Einen Vorrang der Okkupation vor der Bearbeitung betonten in ähnlicher Weise H u g o 1 6 1 und Gesterding. 1 6 2 Marezoll gab darüber hinaus zu bedenken, daß eine Formation „nicht ein M a l bei allen Sachen m ö g l i c h " 1 6 3 sei. Allein aus der Formgebung, „ohne Berücksichtigung eines schon vorhergegangenen W i l l e n s " 1 6 4 lose Sachen vermöge eines intelligibeln Besitzes erworben werden können, [...] so wird auch der erklärte Wille, daß eine Sache mein seyn soll, für andere verpflichtend seyn"; Bauer 1808, § 104: „Die Erwerbung herrnloser Sachen geschieht durch einseitige Willkür und Thätigkeit des Erwerbenden. Diese Erwerbung ist also ursprünglich und unmittelbar. Sie heißt Occupation, und das dadurch erworbne Recht ist Eigenthumsrecht Egger 1815, § 63: „Die Okkupation erscheinet nun nach der Vernunft als die ursprüngliche Erwerbart von Eigenthum, weil sie allen vernünftigen Forderungen [...] genüget"; Gros 1815, § 146: „Die erste Erwerbungsart alles Eigenthums ist demnach die Besitzergreifung einer herrenlosen Sache (occupatio)"; Krug 1817, § 37, S. 125: „Denkt man das Äußere, worauf ein Recht erworben werden soll, als eine herrenlose Sache (res nullius), so heißt die Erwerbung Besitznahme (