Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten: Eine empirische Analyse unternehmensspezifischer Einflussfaktoren vor einer Insolvenz [1. Aufl.] 9783658312930, 9783658312947

Familienunternehmen stellen insbesondere aufgrund von stabilen Entscheidungs- und Managementstrukturen, strategischer Un

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German Pages XXIII, 317 [332] Year 2020

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Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten: Eine empirische Analyse unternehmensspezifischer Einflussfaktoren vor einer Insolvenz [1. Aufl.]
 9783658312930, 9783658312947

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
Einleitung und Aufbau der Untersuchung (Thomas Dücker)....Pages 1-10
Familienunternehmen (Thomas Dücker)....Pages 11-24
Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen (Thomas Dücker)....Pages 25-39
Charakteristiken von Unternehmenssanierung und Unternehmensinsolvenz (Thomas Dücker)....Pages 41-64
Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze (Thomas Dücker)....Pages 65-109
Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign (Thomas Dücker)....Pages 111-165
Quantitative Untersuchung (Thomas Dücker)....Pages 167-260
Zusammenfassung und Forschungsausblick (Thomas Dücker)....Pages 261-267
Back Matter ....Pages 269-317

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Thomas Dücker

Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten Eine empirische Analyse unternehmensspezifischer Einflussfaktoren vor einer Insolvenz

Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten

Thomas Dücker

Eigentümerstruktur und ­Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten Eine empirische Analyse unternehmensspezifischer Einflussfaktoren vor einer Insolvenz

Thomas Dücker Düsseldorf, Deutschland Zugl.: Siegen, Univ., Diss., 2020

ISBN 978-3-658-31293-0 ISBN 978-3-658-31294-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort

Unternehmensinsolvenzen sind in Deutschland regelmäßig auf den Insolvenztatbestand der akuten Zahlungsunfähigkeit zurückzuführen. Dies wirft unweigerlich Fragen nach der Existenz und des Umfangs eines Liquiditätsmanagements in der Unternehmenspraxis auf. Auch aus Gerichtsverfahren über etwaige Insolvenzverschleppungen lassen sich Hinweise auf unzureichende Steuerungsinstrumente oder auch auf Fehleinschätzungen der Geschäftsführungen entnehmen. Dies gilt nach diesen Befunden offenbar vor allem bei nicht börsennotierten Unternehmen bzw. KMUs. Wird berücksichtigt, dass der (eigentümergeführte) Mittelstand bzw. Familienunternehmen in Deutschland zahlenmäßig die wenigen Publikumsgesellschaften dominieren, ist eine tiefergehende Betrachtung des Themenkomplexes zweifellos geboten. Vor diesem Hintergrund überrascht, dass wissenschaftliche Untersuchungen über den etwaigen Zusammenhang zwischen der Eigentümerstruktur und der Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten für den deutschen Markt bislang nur sehr begrenzt vorliegen. Auch Erkenntnisse aus dem internationalen Umfeld sind nur teilweise vorhanden und konzentrieren sich auf große oder börsennotierte (Familien-)Unternehmen. Herr Dr. Thomas Dücker setzt mit seiner Untersuchung an dieser Stelle an und analysiert, ob und wie die Leistungsfähigkeit von Unternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten und damit auch die Unternehmenssteuerung von der jeweiligen Eigentümerstruktur beeinflusst wird. Seiner Untersuchung liegt ein sog. Mixed-Methods-Ansatz zugrunde, der qualitative und quantitative Methoden miteinander kombiniert, um robuste wie auch umfassende Aussagen zu den aufgeworfenen Fragen zu ermöglichen. Diese Vorgehensweise ist angesichts des begrenzten Aussagegehalts einer rein quantitativen Analyse vorteilhaft. Der Leser erhält daher nicht nur eine umfassende systematische Auswertung des bislang vorliegenden Forschungsstands, sondern aus 20 Experteninterviews

V

VI

Geleitwort

auch vielfältige Hinweise auf die konkreten Ursachen des Einflusspotenzials wie auch auf Fehlgestaltungen. Abgerundet wird die Untersuchung mit einer quantitativen Studie, welche über einen Zeitraum von 2014–2018 reicht und ca. 3.500 Beobachtungspunkte umfasst. Dabei wird der Einfluss der Eigentümerstruktur auf die Leistungsfähigkeit bzw. Krisenresistenz von Unternehmen unter verschiedenen Rahmenbedingungen betrachtet. Die vorliegende Untersuchung zeigt sehr deutlich auf, dass die Frage nach der Art der Unternehmenssteuerung in mittelständischen Unternehmen nicht als ein rein ökonomisches Optimierungskalkül aufgefasst werden kann. Die Ergebnisse von Herrn Dr. Dücker weisen insbesondere auf die spezifische Unternehmenskultur in Familienunternehmen bzw. eigentümergeführten KMU hin, die eine höhere Leistungsfähigkeit auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten gegenüber anderen Eigentumsstrukturen ermöglicht. Die Lektüre der vorliegenden Untersuchung ist damit vor allem Personen, die Besonderheiten von mittelständischen Unternehmen erforschen und/oder jene Unternehmen beraten, zu empfehlen. Die sehr anschauliche Ableitung der einzelnen Teilergebnisse dürfte auch die kritische Reflexion der oftmals voreilig beobachtbaren Ablehnung von externen Beratern auf Seiten der betroffenen Unternehmen anregen. Die Analysen wurden über einen Zeitraum verfasst als die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen stetig abgenommen hatte. Aufgrund der aktuellen, weltweiten Entwicklungen dürfte die Relevanz der vorgelegten Untersuchung weiter zunehmen. Siegen im Juni 2020

Prof. Dr. Andreas Dutzi

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 2020 von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht der Universität Siegen als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungslegung und Corporate Governance von Herrn Univ.-Prof. Dr. Andreas Dutzi. Ohne die Unterstützung zahlreicher Personen hätte die Dissertation in dieser Form nicht realisiert werden können. Für die vielfältig erfahrene Hilfe möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. Dr. Andreas Dutzi, dessen Betreuung die Realisierung meines Forschungsvorhabens erst möglich gemacht hat. Ebenso danke ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Rainer Heurung für die Übernahme des Zweitgutachtens und Herrn Univ.-Prof. Dr. Arnd Wiedemann für den Vorsitz der Promotionskommission. Meinen Kollegen und sämtlichen Doktoranden am Lehrstuhl danke ich für die konstruktive Zusammenarbeit und die zahlreichen fachlichen Diskussionen während der Entstehungsphase der Dissertationsschrift. Widmen möchte ich die Dissertation meiner Mutter, welche mich in jeder bisherigen Lebenslage uneingeschränkt, liebevoll und vielseitig unterstützt hat. Ebenfalls möchte ich meinem Vater für seine tatkräftige Unterstützung besonders danken. Des Weiteren danke ich meiner Lebensgefährtin für das Verständnis und den Rückhalt während des Promotionsverfahrens. Auch bei meinen Freunden und Verwandten, welche mir während des Projektes zur Seite standen, bedanke ich mich herzlich. Siegen Februar 2020

Thomas Dücker

VII

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Aufbau der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Problemstellung und Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2 Familienunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Charakteristiken und Besonderheiten von Familienunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2 Abgrenzung der Bereiche Familienunternehmen, Mittelstand sowie kleine und mittlere Unternehmen. . . . . . . . . . . . . 19 3 Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen. . . . . . 25 3.1 Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.1.1 Krisenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.1.2 Krisenstadien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.3 Krisenursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2 Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.2.1 Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.2.2 Charakteristiken von Frühwarnsystemen. . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.2.3 Klassifizierung von Frühwarnsystemen. . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2.3.1 Operative Frühwarnsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2.3.2 Strategische Frühwarnsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . 38 4 Charakteristiken von Unternehmenssanierung und Unternehmensinsolvenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1 Unternehmenssanierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1.1 Begriffsbestimmung und Abgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1.2 Träger der Unternehmenssanierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.1.2.1 Interne Sanierungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IX

X

Inhaltsverzeichnis

4.1.2.2 Externe Sanierungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.1.3 Entwicklung und Umsetzung von Sanierungskonzepten im Rahmen des Stufenkonzepts des IDW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4.1.4 Erfolgsfaktoren der Unternehmenssanierung. . . . . . . . . . . . . 54 4.2 Unternehmensinsolvenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2.1 Ziele und Funktionen der Insolvenzordnung. . . . . . . . . . . . . 59 4.2.2 Insolvenztatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5 Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . 65 5.1 Einführung in den Sachverhalt der Eigentümerstruktur bei bestandsgefährdeten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.2 Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer systematischen Literaturübersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.2.1 Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl. . . . . . . . . . 67 5.2.1.1 Metaanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.2.1.2 Stilisierte Fakten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.2.1.3 Systematische Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . 73 5.2.2 Durchführung des Auswahlprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.2.3 Charakteristiken der relevanten Studien . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5.2.4 Themengebiete und Haupterkenntnisse der relevanten Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.2.4.1 Leistungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.2.4.2 Finanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.2.4.3 Anlageverhalten und Dividendenpolitik. . . . . . . . . 86 5.2.4.4 Corporate Governance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.2.4.5 Rechnungslegung und Bilanzpolitik. . . . . . . . . . . . 90 5.3 Theoretische Fundierung unternehmens- und entscheidungsträgercharakteristischer Einflussnahmen in Krisenzeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.3.1 Ableitung der Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.3.2 Prinzipal-Agenten-Theorie als zentraler Erklärungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3.3 Weitere relevante Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.4 Ableitung des Modellrahmens und Generierung der Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.5 Fazit des Forschungsstands und der theoretischen Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

XI

6 Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign. . . . . . . . . . 111 6.1 Einführung in den Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.2 Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl. . . . . . . . . . . . . . . . 112 6.2.1 Fallstudie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6.2.2 Vignettenstudie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6.2.3 Schriftliche Befragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.2.4 Mündliche Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2.5 Methodenwahl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.3 Untersuchungsdesign. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.4 Interviewleitfaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.5 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.6 Auswertungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6.7 Auswertung der Experteninterviews. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.7.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.7.2 Charakteristiken des Expertentums und Grundverständnis von Familienunternehmen sowie Unternehmenskrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.7.3 Krisenbewältigung, Unternehmensstrategie und Corporate Governance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6.7.4 Finanzwirtschaft und externe Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.7.5 Unternehmensleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.8 Fazit der qualitativen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7 Quantitative Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.1 Einführung in die Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.2 Selektion der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.3 Vorstellung der Untersuchungsstichprobe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 7.3.1 Krisenunternehmen mit dem Status Zahlungsverzug oder Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 182 7.3.2 Krisenunternehmen mit definierten Indikatoren . . . . . . . . . . 188 7.3.3 Vergleichsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7.3.4 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungsstichprobe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 7.4 Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse. . . . . . . . . . . . . . 203 7.4.1 Erläuterung des Analysevorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 7.4.2 Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 205 7.4.3 Auswertung der statistischen Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

XII

Inhaltsverzeichnis

7.5 Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse. . . . . . . . . . . 217 7.5.1 Erläuterung des Analysevorgehens und der verwendeten Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7.5.2 Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 223 7.5.3 Untersuchung des Einflusses der Parameter auf die Leistungsfähigkeit im Untersuchungszeitraum. . . . . . . . 230 7.5.4 Untersuchung des Einflusses der Parameter auf die Krisenintensität im Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . 238 7.5.5 Untersuchung des Einflusses der Parameter auf die Krisenintensität zum Zeitpunkt der Unternehmenskrise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 7.6 Diskussion und Zusammenführung der Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . 244 7.7 Limitationen der quantitativen Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 8 Zusammenfassung und Forschungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Gesetzes- und Regelwerksverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Verzeichnis amtlicher Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

< kleiner als > größer als ∑ Summe ≤ kleiner oder gleich als ≥ größer oder gleich als Abb. Abbildung ABl. Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AG Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz AReG Abschlussprüfungsreformgesetz Art. Artikel AT Österreich Aufl. Auflage AVER/BS Anlagevermögen/Bilanzsumme b0 konstantes Glied der Diskriminanzfunktion BAM Behavioral Agency Model Bd., Bde. Band, Bände BE Belgien BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BIG Big Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BIL Bilanzsumme BilRUG Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz bj Diskriminanzkoeffizient für Merkmalsvariable j BMW Bayerische Motoren Werke

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Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BRA Branche BT Bundestag bzw. beziehungsweise CASH/BS Cashflow und Äquivalente/Bilanzsumme CASH/KVERB Cashflow/kurzfristige Verbindlichkeiten (Cashverhältnis 2) CASH/KVG Cashflow/kurzfristige Vermögensgegenstände (Cashverhältnis 1) CD-ROM Compact Disc Read-Only Memory CEO Chief Executive Officer CZ Tschechien DaysA/R Accounts Receivables Days DE Deutschland df degrees of freedom Diss. Dissertation DL Dienstleistung Drucks. Drucksache e. V. eingetragener Verein EB Einzelbetrachtung EDV Elektronische Datenverarbeitung EG Europäische Gemeinschaft EIG Eigentümergeführtes Unternehmen EK Eigenkapital ES Spanien ESUG Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von ­Unternehmen et al. et alii EU Europäische Union EUR Euro F F- bzw. Fisher-Verteilung (stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung) F & E Forschung und Entwicklung FAS Fachausschuss Sanierung und Insolvenz FI Finnland FK Fremdkapital FKU Familienkontrolliertes Unternehmen F-PEC Family Influence on Power, Experience, and Culture FR Frankreich

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

XV

FU Familienunternehmen GB Gesamtbetrachtung gem. gemäß GES Gesellschafter GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GR Griechenland HGB Handelsgesetzbuch http Hypertext Transfer Protocol i Laufindex i. d. R. in der Regel i. V. m. in Verbindung mit i. S. d. im Sinne des ID Identifikationsnummer idF in der Fassung IDW Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. IfM Institut für Mittelstandsforschung InsO Insolvenzordnung INV Langfristige Investitionen IT Italien JEL Journal of Economic Literature Jg. Jahrgang JSTOR Journal STORage KAGB Kapitalanlagegesetzbuch KAP Kapitalstrukturindikator KFOR/BS Kurzfristige Forderungen/Bilanzsumme KLA Krisenklassifizierung KMU kleine oder mittlere Unternehmen KON Eigentumskonzentration KonTraG Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KS Krisenstärke KU Krisenunternehmen KVG/KVERB Kurzfristige Vermögensgegenstände/kurzfristige Verbindlichkeiten LEV Leverage LIQ Liquiditätsquote m. W. v. mit Wirkung vom max. maximal

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Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

MCS Management Control System min. minimal Mio. Million MIT Mitarbeiter N*T Anzahl der Individuen multipliert mit der Anzahl der Zeitperioden NACE Nomenclature statistique des activités économiques dans la Communauté européenne NEG Nicht-eigentümergeführt NET Nettoumlaufvermögen NFK Namensgleich familienkontrolliertes Unternehmen NFU Nicht-Familienunternehmen ni Stichprobengröße von Studie i NJW Neue Juristische Wochenschrift NO Norwegen Nr. Nummer OLS ordinary least squares p lateinisch: probabilitas (Überschreitungswahrscheinlichkeit oder Signifikanzwert) Plc. Public limited company PT Portugal R Bestimmtheitsmaß R 2 adjustiertes Bestimmtheitsmaß Rev. Revision RGBl. Reichsgesetzblatt RL Richtlinie RO Rumänien ROA Return on Assets ROE Return on Equity S. Seite (bei Literaturverweisen)/Satz (bei Gesetzesverweisen) SE Schweden SEW Socioemotional Wealth SF Standardfehler SFI Substantial Family Influence SME small and medium-sized enterprises sog. sogenannte Sp. Spalte SSRN Social Science Research Network

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

Std.-Abw. Standardabweichung SU solvente Unternehmen T t-verteilte Testprüfgröße Tab. Tabelle TEUR eintausend Euro u. a. unter anderem U/EK Umsatzerlöse/Eigenkapital UBGG Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften UK United Kingdom UMS Umsatzerlöse USA United States of America VERB/U Verbindlichkeiten/Umsatzerlöse VG Verschuldungsgrad Vgl. Vergleiche VIF Varianzinflationsfaktor VO Verordnung VOR/U Vorräte/Umsatzerlöse WPg Die Wirtschaftsprüfung Xj Merkmal von Variablen j Z Diskriminanzvariable z. B. zum Beispiel ZfB Zeitschrift für Betriebswirtschaft ZfbF Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht βi unternehmensspezifischer Regressionskoeffizient

XVII

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Abb. 2.1 Abb. 3.1 Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5 Abb. 4.6 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 5.4 Abb. 5.5 Abb. 6.1 Abb. 6.2 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 7.4 Abb. 7.5

Aufbau und Struktur der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Prozentualer Anteil der Familienunternehmen nach Umsatzklassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Verlauf der Krisenstadien eines Unternehmens. . . . . . . . . . . . . 26 Begriffsabgrenzung Sanierung, Turnaround und Restrukturierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Kernanforderungen gem. IDW S 6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Stufenkonzept des IDW S 6 im zeitlichen Verlauf. . . . . . . . . . . 52 Komplexität der Sanierungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kommunikationsrichtungen in der Sanierung. . . . . . . . . . . . . . 58 Insolvenzgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Vorgehensweise im Rahmen der Ableitung von stilisierten Fakten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Auswahlprozess der eingeschlossenen Studien. . . . . . . . . . . . . 78 Zeitlicher Rahmen der eingeschlossenen Studien. . . . . . . . . . . 80 Relevante JEL-Klassifizierungscodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Modellrahmen der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Bestandteile der qualitativen Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . 123 Expertenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Konzeptualisierung und Messmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Unternehmenssitz der Krisenunternehmen nach Status. . . . . . . 187 Umsatzerlöse der Krisenunternehmen nach Status . . . . . . . . . . 187 Unternehmenssitz der Krisenunternehmen nach Indikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Umsatzerlöse der Krisenunternehmen nach Indikatoren. . . . . . 192

XIX

XX

Abb. 7.6 Abb. 7.7 Abb. 7.8 Abb. 7.9 Abb. 7.10

Abbildungsverzeichnis

Unternehmenssitz der Vergleichsunternehmen . . . . . . . . . . . . . 196 Umsatzerlöse der Vergleichsunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Unternehmenssitz der Untersuchungsstichprobe. . . . . . . . . . . . 202 Umsatzerlöse der Untersuchungsstichprobe . . . . . . . . . . . . . . . 202 Streudiagramm zur Prüfung der Linearität . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Tabellenverzeichnis

Tab. 2.1 Tab. 2.2 Tab. 2.3 Tab. 2.4 Tab. 2.5 Tab. 2.6 Tab. 3.1 Tab. 3.2 Tab. 3.3 Tab. 4.1 Tab. 4.2 Tab. 5.1 Tab. 5.2 Tab. 5.3 Tab. 5.4 Tab. 6.1 Tab. 6.2 Tab. 6.3 Tab. 6.4 Tab. 6.5 Tab. 6.6

Relevanz deutscher Familienunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Die F-PEC-Skala. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Qualitative Merkmale mittelständischer Unternehmen. . . . . . . . 21 Unternehmensklassifikation anhand der Beschäftigtenzahl. . . . 22 KMU-Abgrenzung des Handelsgesetzbuches gem. § 267 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 KMU-Schwellenwerte der Europäischen Union. . . . . . . . . . . . . 23 Krisenstadien und -anzeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Krisenbereiche und -ursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Verständnis der Begriffe Frühwarnung, Früherkennung und Frühaufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Funktion, Interessen und Aufgaben der Sanierungsträger . . . . . 50 Abgrenzung Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Übersicht Datenbank und Referenz Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . 77 Theorien der eingeschlossenen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Gegenüberstellung der Prinzipal-Agenten- und ­Stewardship-Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Hypothesenübersicht auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Übersicht Interviewleitfaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Beruflicher Hintergrund des Expertentums. . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Verständnis von Familienunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Verständnis von Unternehmenskrisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung. . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Zielvorstellung und Risikoeinstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

XXI

XXII

Tab. 6.7 Tab. 6.8 Tab. 6.9 Tab. 6.10 Tab. 6.11 Tab. 6.12 Tab. 6.13 Tab. 7.1 Tab. 7.2 Tab. 7.3 Tab. 7.4 Tab. 7.5 Tab. 7.6 Tab. 7.7 Tab. 7.8 Tab. 7.9 Tab. 7.10 Tab. 7.11 Tab. 7.12 Tab. 7.13 Tab. 7.14 Tab. 7.15 Tab. 7.16 Tab. 7.17 Tab. 7.18 Tab. 7.19 Tab. 7.20 Tab. 7.21 Tab. 7.22 Tab. 7.23

Tabellenverzeichnis

Unterschiede und Auswirkungen der Corporate Governance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Umgang mit Beschäftigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Unterschiede im Investitions- und Finanzierungsverhalten . . . . 152 Relevanz und Unterschiede im Liquiditätsmanagement. . . . . . . 154 Aufgaben und Einfluss des externen Beraters. . . . . . . . . . . . . . . 157 Besetzung der Unternehmensleitung mit einem Familienmitglied. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Granulierung und Bewertung der Hypothesen durch die Experteninterviews. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Hypothesenübersicht für die quantitative Analyse. . . . . . . . . . . 172 Kontrollierende Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Nichtfinanzielle Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Finanz-Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Deskriptive Statistiken der Krisenunternehmen nach Status. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Branche/Land Segmentierung der Krisenunternehmen nach Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Deskriptive Statistiken der Krisenunternehmen nach Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Branche/Land Segmentierung der Krisenunternehmen nach Indikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Deskriptive Statistiken der Vergleichsunternehmen. . . . . . . . . . 193 Branche/Land Segmentierung der Vergleichsunternehmen . . . . 195 Deskriptive Statistiken der Untersuchungsstichprobe. . . . . . . . . 199 Branche/Land Segmentierung der Untersuchungsstichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Eigenwerte Modell 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Wilks-Lambda Modell 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Gruppen-Zentroide der Diskriminanzfunktion Modell 1. . . . . . 211 Klassifizierungsergebnisse Modell 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Eigenwerte Modell 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Wilks-Lambda Modell 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Aufgenommene Variablen Modell 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Gruppen-Zentroide der Diskriminanzfunktion Modell 2. . . . . . 214 Klassifizierungsergebnisse Modell 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Übersicht und Erklärung der Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Fallweise Diagnose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Tabellenverzeichnis

Tab. 7.24 Tab. 7.25 Tab. 7.26 Tab. 7.27 Tab. 7.28 Tab. 7.29 Tab. 7.30

Tab. 7.31 Tab. 7.32 Tab. 7.33 Tab. 7.34 Tab. 7.35

XXIII

Korrelation nach Pearson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Kollinearitätsstatistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Tests auf Normalverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 t-Test für Krisenunternehmen und solvente Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 t-Test für Nicht-Familienunternehmen und Familienunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Regressionsergebnisse der Untersuchung der Leistungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Regressionsergebnisse der Untersuchung der Leistungsfähigkeit differenziert nach Krisenunternehmen und solventen Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Regressionsergebnisse der Untersuchung der Parameter im Krisenverlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Regressionsergebnisse der Untersuchung der Parameter im Krisenzeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Hypothesenübersicht für die quantitative Analyse. . . . . . . . . . . 245 Ergebnisübersicht der multiplen linearen Regressionsanalysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Überprüfung der Hypothesen anhand der quantitativen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

1

Einleitung und Aufbau der Untersuchung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung Globale Finanzmärkte, stetig fortschreitende Technologien und eine zunehmende Dynamik der wirtschaftlichen Veränderungen bedingen eine erhöhte Komplexität von Managemententscheidungen.1 Insbesondere fehlerhafte Entscheidungen der Unternehmensleitung, Marktkrisen und Finanzierungslücken können bei Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen und Branchenzugehörigkeiten eine Bestandsgefährdung nach sich ziehen.2 Gelingt es nicht, das Unternehmen in einer Notsituation weiterzuführen und ist einer der Tatbestände Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfüllt, folgt zwangsläufig das Insolvenzverfahren.3 Die global angelegte Insolvenzstudie von Dun & Bradstreet (2019) zeigt, dass die Insolvenzschäden4 sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern in den letzten Jahren zurückgegangen sind.5 Ein ähnliches Bild ergibt sich für den 1Vgl. Kreikebaum et al. (2018), S. 293–309; Shapiro und Hanouna (2019), S. 3–37; Tidd und Bessant (2018), S. 31–45; Crane et al. (2019), S. 256–271. 2Vgl. Popkova (2017), S. 130–131; Niermann und Schmutte (2017), S. 40–44; Blum (2018), S. 165–197. 3Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt gem. § 16 InsO einen Eröffnungsgrund voraus. Die möglichen Eröffnungsgründe sind in §§ 17–19 InsO festgelegt. 4Unter Insolvenzschäden sind die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens angezeigten Forderungen der privaten Gläubiger und der öffentlichen Hand zu verstehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Summe der Insolvenzschäden geschätzt wird. Die tatsächliche Schadenssumme im Sinne von Forderungsverlusten fällt aufgrund von verspäteten oder nicht erfolgten Forderungsanzeigen voraussichtlich höher aus. Vgl. § 177 InsO; Creditreform Wirtschaftsforschung (2019), S. 4–5. 5Vgl. Dun & Bradstreet (2019).

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_1

1

2

1  Einleitung und Aufbau der Untersuchung

Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit 19.400 Unternehmensinsolvenzen weist das Jahr 2019 den niedrigsten Wert seit fast 25 Jahren auf.6 Entsprechend lässt sich eine Halbierung der Insolvenztatbestände im Vergleich zu den Höchstständen in den Jahren 2003 und 2004 mit jeweils 39.470 bzw. 39.270 verzeichnen. Die Insolvenzschäden beziffern sich für das Jahr 2019 auf 23,5 Mrd. EUR und die durchschnittliche Schadenssumme je Insolvenzfall für private Insolvenzgläubiger auf 856.000 EUR. Gegenüber dem Vorjahr, in dem die durchschnittliche Schadenssumme der privaten Insolvenzgläubiger 721.000 EUR beträgt, ergibt sich somit ein Anstieg der Forderungsabschreibungen privater Insolvenzgläubiger von 19 %.7 Die Ausführungen zeigen, dass das Thema Insolvenz allgegenwärtig ist.8 Dies wird durch aktuelle Insolvenzverfahren wie beispielsweise des Touristikkonzerns Thomas Cook, der Großbäckerei Kronenbrot, des Fernsehherstellers Loewe oder der Fluggesellschaft Germania unterstrichen.9 Neben der hohen volkswirtschaftlichen Beeinträchtigung sind auch der enorme finanzielle und reputationsmäßige Schaden auf Eigentümerebene sowie ein drohender Arbeitsplatzverlust für die Mitarbeiter von elementarer Bedeutung.10 Unternehmenskrisen können sowohl intern als auch extern verursacht sein. Externe Einflussfaktoren, zu denen beispielsweise politische sowie währungspolitische Aspekte zählen, können u. a. Konsequenzen auf Preisgestaltung und Absatzsektor hervorrufen, denen nur schwer zu begegnen ist. In Abhängigkeit von der vorhandenen Unternehmenssubstanz kann diese Situation zu einer Schieflage führen, die im Extremfall in einem Unternehmenszusammenbruch bzw. in einer Insolvenz mündet. Die bereits angeführten Beispiele jüngster Insolvenzverfahren zeigen, dass die Krisenursachen vielschichtig sind. Neben den mit dem am 31. Januar 2020 vollzogenen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs im Vorfeld verbundenen sowie weiterhin anhaltenden Unsicherheiten hat der britische Reisekonzern Thomas Cook es versäumt, das zugrunde liegende Geschäftsmodell klar zu definieren.11 Ebenfalls lässt sich die Vielseitigkeit von Krisenursachen anhand aktueller Beispiele nationaler Insolvenzverfahren belegen. Die Großbäckerei

6Vgl.

Creditreform Wirtschaftsforschung (2019), S. 1. Creditreform Wirtschaftsforschung (2019), S. 3. 8Vgl. Rödl und Mohr (2018), S. 143–157. 9Vgl. Department for Business, Energy & Industrial Strategy (2019); Buchenau (2018), S. 100; Loewe Technologies (2019); Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019). 10Vgl. Lüderssen et al. (2010), S. 111–114; Rödl und Mohr (2018), S. 144–152; Bhandari und Weiss (1996), S. 467–469. 11Vgl. Department for Business, Energy & Industrial Strategy (2019). 7Vgl.

1.1  Problemstellung und Zielsetzung

3

Kronenbrot mit ca. 1.000 Arbeitnehmern im Jahr 2018 sieht sich stark gestiegenen Preisen für benötigte Rohstoffe sowie Zutaten ausgesetzt.12 Der Fernsehhersteller Loewe führt die eingeleitete Insolvenz auf die anhaltende Marktschwäche bei Fernsehgeräten zurück und musste Mitte 2019 sämtlichen knapp 460 Mitarbeitern kündigen.13 Dementgegen sieht die Fluggesellschaft Germania die aufgekommenen Zahlungsschwierigkeiten im Wesentlichen durch strategische Fehlentscheidungen begründet.14 Das inzwischen beendete Insolvenzverfahren des Modeunternehmens Gerry Weber wurde insbesondere auf die nicht rechtzeitige Identifizierung der sich wandelnden Branchenkultur im Zusammenhang mit der Digitalisierung und dem Online-Handel zurückgeführt.15 Im Allgemeinen ist es Aufgabe des Managements, Unternehmenskrisen durch adäquate Gegenmaßnahmen zu begegnen.16 In Deutschland sind neun von zehn der privaten Unternehmen Familienunternehmen, in denen ca. 60 % der privatwirtschaftlichen Beschäftigten tätig sind. Familienunternehmen sind demzufolge ein zentrales Thema politischer sowie wissenschaftlicher Debatten.17 Entsprechend stellt sich die Frage, ob die Eigentümerstruktur in Form von Familienund Nicht-Familienunternehmen einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Insolvenz besitzt. Es ist von Interesse zu untersuchen, ob und möglicherweise welche Merkmale der Eigentümerstrukturen eine Unternehmenskrise tendenziell eher hervorrufen. Des Weiteren zielt die Untersuchung darauf ab, spezifische Merkmale von Familienunternehmen herauszuarbeiten, die möglicherweise zu einer anderen Leistungsfähigkeit während Krisensituationen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen führen. Abschließend sollen die Erfolgsaussichten einer Sanierung beurteilt werden. Dabei gilt es festzustellen, ob die Einheit von Eigentum und Leitung einen positiven Beitrag für die Sanierungswahrscheinlichkeit eines Unternehmens stiftet. Somit sollen Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten einer Sanierung im Zusammenhang mit der Struktur des Managements ermöglicht werden. Die Unternehmenssteuerung umfasst das Aufgabenspektrum der Beratung des Managements, der Erkennung von Fehlentwicklungen eines Unternehmens

12Vgl.

Buchenau (2018), S. 100. Holst (2019), S. 141–143; Loewe Technologies (2019). 14Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019). 15Vgl. Gerry Weber International AG (2019); Breyer-Mayländer und Zerres (2019), S. 191– 192. 16Vgl. Töpfer (2014), S. 239–242. 17Vgl. ZEW (2019), S. 1; Wimmer et al. (2018), S. 4–6. 13Vgl.

4

1  Einleitung und Aufbau der Untersuchung

sowie der Darlegung von Lösungsansätzen.18 Folglich trägt die Unternehmenssteuerung zur Unternehmenszielerreichung und Sicherung des nachhaltigen Unternehmensbestandes bei.19 Einem klassischen Steuerungssystem liegen stabile Strukturen zugrunde, während sich die Steuerung eines bestandsgefährdeten Unternehmens mit der oftmals simultanen Umsetzung operativer Sofortmaßnahmen auseinandersetzen muss.20 Aufgrund dessen ist es ein weiteres Ziel der vorliegenden Untersuchung darzustellen, inwieweit die Einrichtung eines effektiven Steuerungssystems ein entscheidender Erfolgsfaktor für die erfolgreiche Sanierung eines Unternehmens ist. Das gesellschaftliche Ziel eines jeden Sanierungsprozesses ist es, den mit einer Liquidation einhergehenden Schaden für die Volkswirtschaft zu begrenzen.21 Eine den Umständen entsprechend ausgestaltete Managementstruktur sowie eine funktionsfähige Unternehmenssteuerung dienen der Verhinderung existenzbedrohender Situationen. Diese Ausgestaltungsweise wird im Zuge der vorliegenden Arbeit dargestellt. Dabei wird der Beitrag der Komponenten Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung unter Berücksichtigung von Prävention, Identifikation sowie Bewältigung von Unternehmenskrisen im Rahmen eines Sanierungskonzepts beleuchtet. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Familienunternehmen in Verbindung mit der Ausgestaltung von Eigentum, Management und Unternehmenssteuerung existieren uneinheitliche Forschungsergebnisse.22 Einige widersprüchliche Ergebnisse sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die Familienunternehmensforschung in dem angesprochenen Themenfeld hauptsächlich auf börsennotierte Unternehmen beschränkt.23 Mit dem Ziel, Erkenntnisse für die betreffende Forschungslücke zu liefern, bezieht sich die quantitative Überprüfung auf nichtbörsennotierte Unternehmen. Die vorliegende Arbeit untersucht die vorzufindende Eigentümerstruktur von bestandsgefährdeten Unternehmen. Neben den Entscheidungsträgern werden wesentliche Parameter der Unternehmenssteuerung aufgezeigt, die für eine

18Vgl.

Kraus und Becker-Kolle (2013), S. 16–25. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 42–43; Weber und Schäffer (2016), S. 38–39. 20Vgl. Blöse (2006), S. 8–11; Behringer (2016), S. 58–59; Blyth (2009), S. 77–85. 21Vgl. Bamberger (2019), S. 14. 22Vgl. Minichilli et al. (2010); Schulze et al. (2003); Sánchez-Ballesta und García (2007); Jaskiewicz et al. (2005); González-Cruz und Cruz-Ros (2016); Wennberg et al. (2011); Zellweger et al. (2019). 23Vgl. Zellweger et al. (2019); vgl. González-Cruz und Cruz-Ros (2016). 19Vgl.

1.2  Gang der Untersuchung

5

Unternehmensfortführung (Fortführung impliziert die Abwendung der Insolvenz des Krisenunternehmens) von Relevanz sind. Die Ergebnisse dieser Arbeit basieren auf dem Rechtsstand 2018. Die Forschungsfragen des Dissertationsprojekts lauten: 1. Welche Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken beeinflussen das Auftreten einer Unternehmenskrise? 2. Was sind die entscheidenden Determinanten der Eigentümerstruktur? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Eigentümerstruktur (Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen) und der Bewältigung einer Krisensituation? Die Relevanz des Themas ist zum einen in den dargelegten, aus Unternehmensinsolvenzen resultierenden hohen volkswirtschaftlichen Schadenssummen gegeben. Zum anderen liegt die Bedeutung im weitgehenden Fehlen von einheitlichen Untersuchungen zum Thema Eigentümerstruktur und Ausgestaltung der Unternehmenssteuerung im Rahmen einer Existenzbedrohung begründet.

1.2 Gang der Untersuchung Die vorliegende Dissertationsschrift umfasst acht Inhaltskapitel. Die Untersuchung stellt zunächst Charakteristiken von Familienunternehmen aus dem In- und Ausland dar und grenzt diese von weiteren Unternehmenstypen ab. Neben den Konzeptionen von Familienunternehmen werden aktuelle Rahmenbedingungen zu Unternehmenskrisen, Frühwarnsystemen, Unternehmenssanierungen und -insolvenzen erläutert. Mithilfe dieser Erkenntnisse folgt die Darstellung des Forschungsstands in Form einer systematischen Literaturübersicht zum Themenkomplex Eigentümerstruktur bei bestandsgefährdeten Unternehmen. Die systematische Literaturübersicht umfasst weltweit verfügbare Forschungsarbeiten und zeigt somit global vorliegende Erkenntnisse zu den Forschungsgebieten auf. Darüber hinaus können anhand von internationaler Literatur strukturelle Forschungslücken dargestellt werden. Die gewonnenen Ergebnisse aus der durchgeführten Literatursynthese werden mithilfe einer qualitativen Studie in Form von Experteninterviews validiert und vertieft. Im Rahmen der qualitativen Erhebungen werden Experten aus Deutschland befragt. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist von Familienunternehmen geprägt. Im privaten Wirtschaftssektor werden über 90 % der Unternehmen von Familien kontrolliert und 86 % der privatwirtschaftlichen Unternehmen sind

6

1  Einleitung und Aufbau der Untersuchung

eigentümergeführte Familienunternehmen.24 Ein Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf den besonderen Merkmalen von Familienunternehmen im Vergleich zu N ­ icht-Familienunternehmen. Darüber hinaus ist es aufgrund von länderspezifischen Anforderungen beispielsweise hinsichtlich insolvenzrechtlicher Rahmenbedingungen, Merkmalen der Corporate Governance oder Finanzierungsstrukturen zunächst sinnvoll, eine entsprechende Fokussierung vorzunehmen. Dadurch wird eine Granulierung der durch die systematische Literaturübersicht aufgestellten Hypothesen gewährleistet.25 Neben der qualitativen Studie wird zur Kriterienüberprüfung hinsichtlich der Untersuchungsgegenstände Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung eine quantitative Analyse durchgeführt. Für diese wird auf die Datenbank Amadeus von Bureau van Dijk zurückgegriffen, die umfassende Informationen zu über 20 Mio. Unternehmen aus Europa enthält.26 Verbunden mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit zur Erzielung aussagekräftiger Ergebnisse zu erhöhen, wird die Stichprobe für die quantitative Untersuchung auf Unternehmen aus Westeuropa ausgeweitet. Mögliche länderspezifische Unterschiede bzw. Einflüsse werden innerhalb der quantitativen Analyse überprüft. Somit liegt der Dissertationsschrift ein mehrstufiger M ­ ixed-Methods-Ansatz27 als Forschungsmethode zugrunde. Das zu behandelnde Themengebiet ist als weitläufig und komplex anzusehen.28 Die hierzu aufgezeigten Forschungsfragen erfordern die Anwendung verschiedener Methoden, da sich nicht alle Forschungsziele mithilfe einer einzelnen methodologischen Tradition erreichen lassen. Der Mixed-Methods-Ansatz zielt darauf ab, die weitreichenden Anforderungen im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Unternehmensdaten und der Validität von Erkenntnissen zu erfüllen.29 Sowohl qualitative als auch quantitative Untersuchungsmethoden weisen spezifische Stärken und Schwächen im Umgang mit eigensinnigen Akteuren und kontingenten Strukturen auf. Durch die Triangulation

24Vgl.

ZEW (2019), S. 3–6. Brunner-Kirchmair (2019), S. 109–114. 26Vgl. Bureau van Dijk (2019). 27Unter einem Mixed-Methods-Ansatz (Ansatz gemischer Methodenanwendung) wird eine Forschungsstrategie verstanden, die quantitative und qualitative Forschungsmethoden wissenschaftstheoretisch reflektiert miteinander verbindet. Für weiterführende Informationen vgl. Greene et al. (1989); Creswell und Creswell (2017); Johnson et al. (2007); Creswell et al. (2003); Kuckartz (2014). 28Vgl. Chrisman et al. (2004); D'Aurizio et al. (2015); Handler und Kram (1988). 29Vgl. Creswell und Clark (2017), S. 249–309; Feilzer (2010), S. 11–14. 25Vgl.

1.2  Gang der Untersuchung

7

der Methoden sollen Stärken vereint und Grenzen qualitativer sowie quantitativer Methoden ausgeglichen werden.30 Abbildung 1.1 stellt den gewählten Untersuchungsaufbau zusammenfassend dar. Die Struktur der Untersuchung wird für die einzelnen Kapitel detailliert im Folgenden erläutert. Nach der Einführung in die Untersuchung adressieren die Grundlagenkapitel 2–4 die Themen Familienunternehmen, Unternehmenskrisen und Frühwarnsysteme sowie Sanierung und Insolvenz. In Kapitel 2 werden Charakteristiken von Familienunternehmen herausgestellt und Abgrenzungen zu verwandten Begriffen vorgenommen. Letztlich gilt es, eine arbeitsspezifische Definition für Familienunternehmen, die dieser Untersuchung zugrunde gelegt wird, festzulegen. In Kapitel 3 werden Unternehmenskrisen charakterisiert und Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung erörtert. Hierzu wird zunächst der Krisenbegriff definiert. Um ein Verständnis der differenzierten Ausprägung von Krisen und der verschiedenen Formen der Eindämmung einer Bestandsgefährdung zu entwickeln, werden Krisenstadien sowie -ursachen und -merkmale erläutert. Anschließend erfolgt eine Darstellung verschiedener Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung. Diesbezüglich werden Merkmale und Aufgaben zur bestmöglichen Ausgestaltung sowie Implementierung in einem Unternehmen erklärt. Kapitel 4 untersucht die Begriffe der Unternehmenssanierung sowie -insolvenz und hebt wesentliche Aspekte hervor. Das Konstrukt der Unternehmenssanierung wird aus Sicht interner und externer Sanierungsträger erläutert. In diesem Zusammenhang haben Stakeholder31 eines Unternehmens immensen Einfluss auf den Sanierungserfolg. Spezifische Interessen einzelner Gruppen werden an dieser Stelle im Grundlagenteil dargestellt, um eine bestmögliche Ausgestaltung des späteren Modells gewährleisten zu können. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Erläuterung der Erstellung eines Sanierungskonzepts im Rahmen des Stufenmodells gem. des vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen Standards 6.32 Darüber hinaus wird im letzten Grundlagenkapitel die aus einer Unternehmenskrise möglicherweise resultierende Folge der Unternehmensinsolvenz dargestellt. Diesbezüglich gilt es zunächst, die grund30Unter

Triangulation wird eine Forschungsstrategie in der empirischen Sozialforschung verstanden, die eine Anwendung verschiedener Methoden oder Sichtweisen auf das gleiche Phänomen vorsieht. Vgl. hierzu weiterführend Flick (2011). 31Stakeholder umfassen sämtliche internen sowie externen Personengruppen, die von den unternehmerischen Tätigkeiten gegenwärtig oder zukünftig direkt und/oder indirekt betroffen sind. Für weiterführende Informationen vgl. Freeman (2010). 32Siehe hierzu Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2018).

8

1  Einleitung und Aufbau der Untersuchung 1. Einführung • • • •

Ausgangssituation und Problemstellung Zielsetzung und Forschungsmethodik der Arbeit Behandlung der Thematik in der Literatur Aufbau und Vorgehensweise der Untersuchung

2. Familienunternehmen • Charakteristiken und Alleinstellungsmerkmale von Familienunternehmen • Abgrenzungen zu verwandten Begrifflichkeiten • Arbeitsspezifische Definition 3. Unternehmenskrise und Frühwarnsysteme • Charakterisierung und Kennzeichnung von Unternehmenskrisen • Darstellung von Krisenstadien und -ursachen • Erläuterung von Frühwarnsystemen zur Krisenvermeidung 4. Unternehmenssanierung und Unternehmensinsolvenz • • • •

Begriffserklärung und Träger einer Unternehmenssanierung IDW Sanierungskonzept Erfolgsfaktoren der Sanierung Ziele und Folgen der Insolvenz sowie Darlegung der geltenden Insolvenztatbestände

5. Erklärungsansätze und Forschungsstand • Systematische Literaturübersicht zur Darstellung des aktuellen Forschungsstands • Theoretische Fundierung unternehmens- und entscheidungsträgercharakteristischer Einflussnahme in Krisenzeiten 6. Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

7. Quantitative Studie

• Expertentum aus Wissenschaft, Restrukturierungsberatung, Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Insolvenzverwaltung • Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring • Granulierung der Hypothesen

• Aufbau und Vorstellung der Untersuchungsstrichprobe • Datenbank: Amadeus (Bureau van Dijk) • Analytische Messung und quantitative Analyse von Eigentümerstruktur und Abschlussprüfern in wirtschaftlichen Krisenzeiten

Validierung durch Experteninterviews 8. Zusammenfassende Darstellung und Ausblick

Abb. 1.1   Aufbau und Struktur der Untersuchung

Praktische Fundierung

1.2  Gang der Untersuchung

9

legenden Ziele und Funktionen der geltenden Insolvenzordnung herauszustellen. Anschließend werden die in Frage kommenden Insolvenztatbestände näher erläutert. Kapitel 5 dient der systematischen Aufbereitung des Forschungsstands zum Thema Eigentümerstruktur bei bestandsgefährdeten Unternehmen. Im Rahmen dieses Kapitels sind, die zur Verfügung stehenden Methoden der Literatursynthese voneinander abzugrenzen und die Motivation der gewählten Methode in Form der systematischen Literaturübersicht zu begründen. Im Anschluss folgt eine Darstellung des Auswahlprozesses und der Charakterisierung der als relevant erachteten Studien. Das Hauptaugenmerkt dieses Kapitels liegt in der systematischen und nach Themengebieten sortierten Erläuterung der gewonnenen Erkenntnisse des derzeitigen Forschungsstands. Darüber hinaus erfolgt eine theoretische Fundierung der unternehmens- und entscheidungsträgercharakteristischen Einflussnahme in wirtschaftlichen Krisenzeiten anhand relevanter Erklärungsansätze. Auf Grundlage dieses Wissens werden ein Modellrahmen aufgezeigt und Hypothesen generiert, die durch die Anwendung der anschließenden qualitativen sowie quantitativen Methode granuliert sowie überprüft werden. Kapitel 6 und 7 umfassen die Durchführung einer qualitativen und einer quantitativen Studie. Mithilfe des qualitativen Teils gilt es, die generierten Variablen und Konstrukte zu validieren bzw. präzisieren. Zur Validierung und Granulierung der Erkenntnisse wird eine qualitative Studie in Form von Experteninterviews durchgeführt. Als Expertentum für das vorliegende Untersuchungsgebiet liegt der Fokus auf Wissenschaftler, Restrukturierungsberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie Insolvenzverwalter. Insgesamt werden 20 Interviews mit führenden Experten auf den Gebieten Familienunternehmen, Sanierung und Insolvenz geführt. Die Auswertung erfolgt unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) mithilfe der Software MAXQDA.33 Kapitel 6 schließt mit einer Granulierung der durch die systematische Literaturübersicht generierten Hypothesen. Kleine Fallzahlen mit einer kaum zu erreichenden Repräsentativität, aufwändige Datenerhebungen, unklare Qualitätskriterien sowie differenzierte Interpretationsmöglichkeiten der Daten stellen Schwächen der qualitativen Forschung dar. Um diese auszugleichen, wird das Forschungsdesign durch die Durchführung

33Siehe

zur qualitativen Inhaltsanalyse Mayring (2002, 2008) und zur Software MAXQDA VERBI GmbH (2019).

10

1  Einleitung und Aufbau der Untersuchung

einer quantitativen Studie in Kapitel 7 erweitert. Eine wesentliche Voraussetzung quantitativer Methoden besteht in dem Vorliegen exakter Definitionen der gemessenen Variablen vor der Datenerhebung. Diese kann durch die Durchführung der systematischen Literaturübersicht und der Experteninterviews als gegeben angesehen werden. Unter Verwendung der Unternehmens- und Finanzdatenbank Amadeus von Bureau van Dijk werden Unternehmensdaten für die Untersuchungsstichprobe gewonnen. Die quantitative Untersuchung zielt darauf ab, insbesondere den Einfluss der Eigentümerstruktur auf die finanzielle Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit differenzierten Unternehmenssituationen zu überprüfen. Diesbezüglich werden mindestens mittelgroße europäische Kapitalgesellschaften betrachtet, die sich mit Beginn des Jahres 2018 im Insolvenzverfahren, im Zahlungsverzug oder einer allgemeinen Unternehmenskrise befinden. Die Unternehmensdaten aus der Datenbank Amadeus werden zum Teil durch publizierte Abschlüsse vervollständigt. Zudem wird eine entsprechende Vergleichsgruppe solventer europäischer Unternehmen anhand des Branchenschlüssels der europäischen Branchenklassifizierung NACE Rev. 234 sowie der jeweiligen Unternehmensgröße (Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiteranzahl) gebildet. Die Zielsetzung der Untersuchung ist herauszufinden, welche Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken das Auftreten und die Intensität einer Unternehmenskrise beeinflussen. Eine ProbitUntersuchung mittels Durchführung einer Diskriminanzanalyse dient der Unterscheidung binärer Zielgrößen (Krisenunternehmen im Vergleich zu solventen Unternehmen). Darüber hinaus folgen lineare multiple Regressionsmodelle mit Variation der abhängigen Variablen für die Abbildung der gewonnenen Hypothesen des fokussierten Forschungsfeldes. Im letzten Kapitel dieser Untersuchung werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung in einem Fazit gewürdigt. Darüber hinaus wird ein Ausblick zur weiteren Entwicklung der Ausgestaltung der Eigentümerstruktur und der Unternehmenssteuerung im Krisenfall gegeben sowie Implikationen für die Forschung und Praxis aufgezeigt.

34Das

französische Akronym NACE steht für die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft und umfasst die Darstellung statistischer, nach Wirtschaftszeigen untergliederter Daten aus dem Bereich Wirtschaft. Die NACE Rev. 2 stellt eine überarbeitete Fassung. Ab der Einführung im Jahr 2007 wird die NACE Rev. 2 für nahezu sämtliche einschlägige statistischen Bereiche angewendet. Für weiterführende Informationen vgl. Europäische Kommission (2008).

2

Familienunternehmen

2.1 Charakteristiken und Besonderheiten von Familienunternehmen Der Untersuchungsgegenstand Familienunternehmen kann als komplexes Forschungsfeld bezeichnet werden.1 Dies ist u. a. in der Vielfalt von Definitionen, die in der wissenschaftlichen Literatur Anwendung finden, begründet.2 Grundsätzlich gilt, dass Familienunternehmen die älteste und am stärksten verbreitete Organisationsform unternehmerischen Handelns darstellen.3 Im Jahr 2017 zählten über 90 % aller deutschen Unternehmen zu der Gruppe der Familienunternehmen. Neben der Dominanz bezogen auf die Anzahl der Familienunternehmen in Deutschland wird die hohe Relevanz der Organisationseinheit für den Wirtschaftsstandort Deutschland durch die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und den Beitrag zur Wertschöpfungskette untermauert.4 Dies manifestiert sich in den Daten zu Unternehmensumsätzen sowie –beschäftigten. 55 % aller Unternehmensumsätze in Deutschland werden von Familienunternehmen erzielt. Zudem stellen Familienunternehmen mit einem Anteil von 57 % aller Beschäftigten die größte Arbeitgebergruppe dar.5 Ebenfalls beachtlich ist die 1Vgl.

Poutziouris et al. (2008), S. 1–3; Carter und Jones-Evans (2006), S. 211–212; Habbershon und Williams (1999), S. 1–3; Sirmon und Hitt (2003), S. 341–345. 2Vgl. Chua et al. (1999), S. 20–24; Massis et al. (2012), S. 10–15; Litz (1995), S. 73–80. 3Vgl. Villalonga und Amit (2006), S. 1–3; Burkart et al. (2003), S. 3–7; Klein (2008b), S. 1–2. 4Vgl. Fahrenschon et al. (2016), S. 47–50; Block und Spiegel (2011), S. 29–33; Church (1993); Handler (1989), S. 258–263. 5Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2017). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_2

11

12

2 Familienunternehmen

Tatsache, dass von den 500 größten Familienunternehmen Deutschlands nahezu die gleiche Höhe an Ertragssteuer entrichtet wird wie von 27 Dax-Unternehmen, die nicht unter Familienkontrolle stehen.6 Die Gruppe der Familienunternehmen besteht sowohl aus vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen als auch aus fast 200 Unternehmen mit einem Umsatz in Milliardenhöhe.7 Entsprechend zeichnet sich die deutsche Wirtschaft durch kleine und große, regional verwurzelte sowie international aufgestellte Familienunternehmen aus. Tabelle 2.1 verdeutlicht die Relevanz von Familienunternehmen für den Wirtschaftsstandort Deutschland nochmals anhand der Untersuchungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (2010) und der Stiftung.für Familienunternehmen (2017) Tab. 2.1   Relevanz deutscher Familienunternehmen IfM Bonn

Stiftung Familienunternehmen

Jahr

1998

2000

2006

2008

2017

Definition

Zwei natürliche Personen halten mindestens 50 % der stimmberechtigten Anteile und diese Personen gehören der Geschäftsführung an.

Familienkontrollierte Unternehmen: Unternehmen, das von einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Einzelpersonen kontrolliert wird. Eigentum und Leitung müssen dabei nicht notwendigerweise übereinstimmen.

Anteil Unternehmen

94,8 %

95,1 %

95,3 %

90,6 %

91,0 %

Anteil Umsatz

-

41,5 %

41,1 %

46,0 %

55,0 %

Anteil Beschäftigte

-

57,3 %

61,2 %

50,0 %

57,0 %

Datenbasis

Umsatzsteuerstatistik und Daten des Verbands der Vereine Creditreform

Daten des Verbands der Vereine Creditreform

Vgl. Haunschild und Wolter (2010), S. 17–28; Stiftung Familienunternehmen (2017).

Die Tabelle zeigt, dass sich der Anteil der Familienunternehmen an der Gesamtzahl aller deutschen Unternehmen in Abhängigkeit der gewählten Definition und Methodik zwischen ca. 91 % und 95 % bewegt. Auch die Verhältnisse der in Familienunternehmen erzielten Umsätze und beschäftigten Personen

6Vgl. 7Vgl.

Stiftung Familienunternehmen (2018). Dahm und Thode (2018), S. 136–137; Märk und Situm (2017), S. 401–402.

2.1  Charakteristiken und Besonderheiten von Familienunternehmen

13

Anteil Familienunternehmen

zeigen, dass Familienunternehmen sowohl in wirtschaftlicher als auch sozialer Hinsicht eine wesentliche Rolle in der deutschen Gesellschaft zuzuschreiben ist. Dies unterstreicht erneut die hohe Relevanz der weitergehenden wissenschaftlichen Untersuchung dieser Organisationseinheit. Abbildung 2.1 veranschaulicht, dass Familienunternehmen insbesondere bei kleineren Umsatzgrößenklassen eine sehr dominierende Rolle einnehmen. Die Abbildung zeigt, dass der Anteil deutscher Familienunternehmen stark abhängig von den Umsatzerlösen ist und in den höheren Umsatzklassen deutlich zurückgeht. In der Umsatzklasse bis 1 Mio. EUR beträgt der Anteil von Familienunternehmen 95 %. Hingegen sind weniger als die Hälfte der Gesellschaften mit Umsatzerlösen von größer als 50 Mio. EUR Familienunternehmen. 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0%

95 %

89 %

82 % 65 % 45 %

< 0,99 Mio. EUR

1 - 1,99 Mio. EUR

2 - 9,99 Mio. EUR Umsatzklassen

10 - 49,99 Mio. EUR

> 50 Mio. EUR

Abb. 2.1    Prozentualer Anteil der Familienunternehmen nach Umsatzklassen (Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 17)

Definitorisch ist es komplex, den Begriff des Familienunternehmens zu fassen und abzugrenzen.8 Es liegt keine allgemeingültige, wissenschaftliche Definition hinsichtlich des Verständnisses vor. Die trennscharfe Abgrenzung stellt entsprechend eines der größten Hindernisse bei der Weiterentwicklung dieses wichtigen Forschungsfelds dar.9 Bereits im Jahr 1988 haben Hollander und Elmann (1988) die Frage im erstmals erschienenen Family Business 8Vgl. Handler (1989), S. 258–263; Chua et al. (1999), S. 19–26; Bird et al. (2002), S. 337– 340; Siebels und Knyphausen (2012), S. 282–285. 9Vgl. Freund (2000), S. 11; Habig und Berninghaus (1998), S. 7; Hennerkes (1998), S. 24; Mittelsten Scheid (2005), S. 9.

14

2 Familienunternehmen

Review aufgeworfen.10 Eine eindeutige und umfassende Antwort haben sowohl Forschung als auch Praxis 30 Jahre später nach wie vor nicht gefunden. Es ist dennoch festzuhalten, dass sämtliche wissenschaftlich fundierte Definitionsvorhaben auf der Interaktion zwischen einem Familien- und einem Unternehmenssystem mit wechselseitigen Abhängigkeiten beruhen.11 An dieser Stelle ist zunächst zu klären, was genau unter dem Terminus Familie in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Viele Definitionen sehen für die Klassifikation als Familienunternehmen nicht den Verwandtschaftsgrad, sondern den Zusammenhalt der beteiligten Personen sowie gleichgesinnte Interessen und eine einheitliche Geisteshaltung in Bezug auf das Unternehmen als maßgeblich an.12 Grundsätzlich gelten diese Kriterien umso eher als erfüllt, je geringer der Personenkreis der Beteiligten ist.13 Im Rahmen der praktischen Umsetzung wird daher oftmals die Anforderung gestellt, dass die Anzahl der beteiligten Personen überschaubar ist, während verwandtschaftliche Beziehungen nicht notwendigerweise Teil der Bedingung sind.14 Flören (2002) stellte in einer umfassenden Literaturanalyse bereits fest, dass über 50 sich unterscheidende Begriffsverständnisse von Familienunternehmen in der Wissenschaft Anwendung finden.15 Dies zeigt, dass der Einfluss der Familienmitglieder auf unterschiedliche Arten im Unternehmen erfolgen kann und somit die Komplexität einer Abgrenzung zu N ­ icht-Familienunternehmen gegeben ist. Anfang der 2000er haben u. a. Chrisman et al. (2005) zwei wesentliche Strömungsrichtungen bisheriger Definitionsvorhaben synthetisiert.16 Dabei handelt es sich um den sogenannten Komponenten-17 und den Essenz-Ansatz18. Der Komponenten-Ansatz zielt darauf ab, Familienunternehmen von Nicht-Familienunternehmen auf Grundlage der Beteiligung der Familie zu

10Vgl.

Hollander und Elman (1988). Handler (1989), S. 258–260; Chrisman et al. (2003a), S. 2. 12Vgl. Salvato und Melin (2008), S. 259–262; Uhlaner et al. (2012), S. 2–7; Arregle et al. (2007), S. 75–82; Carney (2005), S. 250–261. 13Vgl. Litz (1995), S. 73–76; Chua et al. (1999), S. 25; Chrisman et al. (2004), S. 336–344. 14Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2007); Broer et al. (2008). 15Vgl. Flören (2002). 16Vgl. Chrisman et al. (2005b). 17Dieser Ansatz wird in der Literatur unter dem Begriff components of involvement subsummiert, vgl. Chua et al. (1999), S. 19; Zellweger et al. (2010), S. 55–56. 18Für weiterführende Informationen zum Essence-Ansatz vgl. Chua et al. (1999), S. 19; Bocatto et al. (2010), S. 500–501. 11Vgl.

2.1  Charakteristiken und Besonderheiten von Familienunternehmen

15

differenzieren. Der Fokus der Studien zu diesem Ansatz liegt auf den drei Komponenten Eigentumsverhältnisse19, Grad des Einflusses der Familie auf die Unternehmensführung20 und Unternehmensfortführung durch nachfolgende Generationen21. Für die Klassifizierung als Familienunternehmen müssen abhängig von der jeweiligen Definition eine oder mehrere der vorangestellten, objektiv messbaren Faktoren in einem Unternehmen vorhanden sein. Anzumerken ist, dass sich in der Wissenschaft keine einheitlich festgelegten Schwellenwerte für die Ausprägungen der Komponenten Eigentumsverhältnisse, Management und Nachfolge durchgesetzt haben.22 Studien, die dem sogenannten Essenz-Ansatz folgen, versuchen das zentrale Merkmal und die damit verbundene Einzigartigkeit von Familienunternehmen hervorzuheben.23 Die Einzigartigkeit manifestiert sich beispielsweise durch die Einflussnahme der Familie auf die strategische Denkweise und das Verhalten des Unternehmens sowie auf dessen Unternehmenskultur.24 Entsprechend steht nicht der Anteilsbesitz der Familie am Unternehmen, sondern die Einflussnahme der Familie auf die Verhaltensweisen des Unternehmens im Vordergrund.25 Die Anwendbarkeit der Forschungsrichtung des Essenz-Ansatzes ist im Praxiseinsatz aufgrund der geringen Operationalisierbarkeit als eher begrenzt anzusehen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der KomponentenAnsatz auf die Höhe der Beteiligung einer Familie an einem Unternehmen zu einem festgelegten Zeitpunkt abstellt. Der Essenz-Ansatz adressiert hingegen den Einfluss einer Unternehmerfamilie auf die strategische Ausrichtung sowie Steuerung des Unternehmens. Chrisman et al. (2005) versuchen, beide Richtungen als sich ergänzende und nicht konkurrierende Definitionsvorhaben aufzufassen.26 Grundsätzlich stehen sämtliche definitorischen Überlegungen der Problematik gegenüber, dass die Organisationsformen Familienunternehmen und

19Vgl.

Hollander und Elman (1988), S. 1–2; Donckels und Fröhlich (1991), S. 149; Anderson und Reeb (2003), S. 1308. 20Vgl. Johnson (1973), 27–33; Barnes und Hershon (1976), 106–113; Daily und Dollinger (1993), S. 83. 21Vgl. Ward (1984), S. 10–15; Churchill und Hatten (1997), S. 53–59. 22Vgl. Chrisman et al. (2005a), S. 556–557. 23Vgl. Chua et al. (1999), 19–24; Chrisman et al. (2003b), S. 8. 24Vgl. Habbershon und Williams (1999), S.  11–13; Chua et al. (1999), S.  20–39; Stietencron (2013), S. 21. 25Vgl. Chrisman et al. (2012), S. 7–8; Mustakallio et al. (2002), S. 205–211. 26Vgl. Chrisman et al. (2005a).

16

2 Familienunternehmen

­ icht-Familienunternehmen als dichotom anzusehen sind. Entsprechend wird N ein Unternehmen entweder als Familien- oder als N ­ icht-Familienunternehmen klassifiziert, ohne die Heterogenität innerhalb der jeweiligen Gruppe zu berücksichtigen.27 Shanker und Astrachan (1996) verfassten eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten, mit der eine Differenzierung der Organisationsform anhand der Intensität der Familienbeteiligung vorgenommen wurde.28 Der von ihnen entwickelte „bulls-eye“-Ansatz unterscheidet zwischen einer weit, mittel und eng gefassten Familienunternehmensdefinition auf der Grundlage der drei Komponenten Eigentumsverhältnisse, Einfluss der Familie auf die Unternehmensführung und Anzahl der Familiengenerationen.29 Dieser Ansatz wurde u. a. von Westhead und Cowling (1998) sowie von Sharma (2002) weiterentwickelt.30 Westhead und Cowling (1998)Westhead und Cowling (1998) greifen auf ein siebenstufiges Kontinuum zurück, während Sharma (2002) mithilfe der Komponenten Eigentumsverhältnisse und Management insgesamt 72 eindeutig abgrenzbare Kategorien von Familienunternehmen anführt.31 Es lässt sich festhalten, dass diese drei Arbeiten zur Grundlagenforschung hinsichtlich einer nicht-dichotomen Abgrenzung zwischen Familienunternehmen und ­Nicht-Familienunternehmen zählen. Ebenfalls hervorzuheben ist die von Astrachan et al. (2005) entwickelte „(F) amily influence on (P)ower, (E)xperience, and (C)ulture“, kurz F-PEC-Skala.32 Die Zielsetzung dieses Ansatzes liegt in der Erweiterung bzw. Schärfung des Verständnisses von Familienunternehmen.33 Diesbezüglich beruht das Konzept auf drei identifizierten Einflussfaktoren: Macht/Einfluss, Erfahrung und Kultur.34 Die Macht-Dimension beinhaltet den prozentualen Anteil der Unternehmerfamilie am Eigentum sowie an der Corporate Governance, dem Aufsichts- und Managementorgan.35 Der Einfluss der Dimension Macht kann anhand der von Klein (2000)

27Vgl. Stietencron (2013), S. 22; Melin und Nordqvist (2007), S. 330; Anderson et al. (2016), S. 4–8. 28Vgl. Shanker und Astrachan (1996). 29Vgl. Shanker und Astrachan (1996), S. 109–113. 30Vgl. Westhead und Cowling (1998); Sharma (2002). 31Vgl. Westhead und Cowling (1998); Sharma (2002). 32Vgl. Astrachan et al. (2005). 33Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 321–324. 34Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 323–326. 35Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 324–325.

2.1  Charakteristiken und Besonderheiten von Familienunternehmen

17

entwickelten ­SFI-Skala (Substantial Family Influence) bestimmt werden.36 Diese misst die Einflussnahme einer Unternehmerfamilie auf die Gesellschaft über deren Beteiligung in den Bereichen Eigentum, Governance und/oder Management.37 Die Komponente Erfahrung baut auf den Säulen Generation des Eigentümers, Generation der Familie im B ­ ei-/Aufsichtsrat, Generation der Familie im Management sowie Anzahl aktiver Familienmitglieder im Unternehmen auf. Entsprechend beruht die Dimension Erfahrung auf der Annahme, dass jeder erfolgreiche Generationswechsel mit einem positiven Beitrag auf den Besitz und die Führung einhergeht.38 Der letzte Faktor Kultur bezieht sich zum einen auf die Übereinstimmung von Familien- und Unternehmenswerten und zum anderen auf das Engagement der Unternehmerfamilie.39 Bei genauer Betrachtung der F ­ -PEC-Skala ist der Versuch, die angesprochenen Aspekte des Komponentenund des Essenz-Ansatzes zu vereinen, ersichtlich. Die Dimensionen Macht und Erfahrung bilden verschiedene Variablen des Komponenten-Ansatzes ab, während sich die Säule Kultur auf die Essenz des Unternehmens bezieht. Die F-PEC-Skala wurde u. a. durch die Studien von Cliff und Jennings (2005), Rutherford et al. (2008) und Holt et al. (2010) getestet.40 Die Studien bestätigen die Validität des Messinstruments.41 (Tab. 2.2) Letztendlich sind anhand des Vergleichs der existierenden Definitionen und Operationalisierungen des Terminus Familienunternehmen die vier Kriterien Mehrheit an den Stimmrechten, Unternehmensführung, Unternehmenskultur und Fortführungswille festzuhalten. Insbesondere hinsichtlich der Komplexität der Operationalisierung der beiden letztgenannten Kriterien fokussiert sich die Mehrheit der empirischen Forschung zu Familienunternehmen auf deren Klassifizierung anhand der beiden erstgenannten Kriterien Stimmrechte und Unternehmensführung.42 Ohne Berücksichtigung von Aktiengesellschaften kann

36Vgl.

Klein (2000). Klein (2000), S. 158–159. 38Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 325. 39Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 325–326; Aronoff und Ward (2001), S. 12–17. 40Vgl. Cliff und Jennings (2005); Rutherford et al. (2008); Holt et al. (2010). 41Vgl. Cliff und Jennings (2005), S. 341–342; Rutherford et al. (2008), S. 1100–1101; Holt et al. (2010), S. 77–80. 42Vgl. Miller et al. (2007); Shanker und Astrachan (1996); Lansberg (1999); Heylin (1995); Barth et al. (2005); Cronqvist und Nilsson (2003); Faccio und Lang (2002); McConaughy et al. (1998). 37Vgl.

18

2 Familienunternehmen

Tab. 2.2   Die F-PEC-Skala Macht („Power“)

Erfahrung („Experience“)

Kultur („Culture“)

• Eigentum (Anteil ­Unternehmerfamilie) • Aufsichtsrat (Anteil ­Familienmitglieder) • Management (Anteil Familienmitglieder)

• Generation des Eigentümers • Generation der Familie im Bei-/Aufsichtsrat • Generation der Familie im Management • Anzahl aktiver Familienmitglieder im Unternehmen

• Übereinstimmung von • Familien- und ­Unternehmenswerten • Commitment der ­Unternehmerfamilie

Vgl. Astrachan et al. (2005), S. 323–326.

festgehalten werden, dass die Mehrheit an den Stimmrechten im Allgemeinen mit der Kapitalmehrheit gleichzusetzen ist. Für die Einordnung als Familienunternehmen gilt i. d. R., dass die der Familie zuzurechnenden Personen mindestens 50 % des Unternehmenskapitals besitzen.43 Die Notwendigkeit des Vorliegens der darüber hinausgehenden Beteiligung der Familienmitglieder an der Unternehmensleitung zur Erfüllung des Kriteriums des maßgeblichen Einflusses der Familie an dem Unternehmen wird heterogen diskutiert.44 In Anbetracht der beiden Kriterien ergeben sich die folgenden Definitionen für die weitere Untersuchung der vorliegenden Arbeit: Familienkontrollierte Unternehmen: Ein familienkontrolliertes Unternehmen liegt vor, wenn es sich mehrheitlich im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen befindet und somit von dieser begrenzten Personenanzahl kontrolliert wird. In Abhängigkeit der jeweiligen Rechtsform liegen Unterschiede hinsichtlich der Operationalisierungskriterien vor.45 Eigentümergeführte Unternehmen: Eigentümergeführte Unternehmen müssen die Definitionskriterien der familienkontrollierten Unternehmen (Mehrheit an Stimmrechten/Kontrollkriterium) erfüllen und zudem muss mindestens einer der Eigentümer das Unternehmen leiten. Die Operationalisierungskriterien variieren auch in diesem Fall im Zusammenhang mit der Rechtsform.46 43Vgl. Ang

et al. (2000); Barontini und Caprio (2006); Holderness und Sheehan (1988). König (1986), S. 33; Quermann (2004), S. 8–11; Schachner et al. (2006), S. 597; Vallejo-Martos (2007), S. 483–484. 45Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 74–75. 46Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 75. 44Vgl.

2.2  Abgrenzung der Bereiche Familienunternehmen, Mittelstand ...

19

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Familienunternehmen mit einem Anteil von ca. 91 % in 2017 gemessen an allen deutschen Unternehmen die dominante Eigentümerstruktur der deutschen Volkswirtschaft darstellen. Die Ausführungen zeigen aufgrund von wirtschaftlichen und sozialen Aspekten die hohe Relevanz und gesellschaftliche Verantwortung von Familienunternehmen für den Standort Deutschland. Eine allgemeingültige, wissenschaftliche Definition des Begriffsverständnisses liegt jedoch nicht vor. Die vorliegende Arbeit differenziert zwischen familienkontrollierten Unternehmen, die lediglich auf die Eigentumsverhältnisse abstellen, und eigentümergeführten Unternehmen, die die Einheit von Eigentum und Leitung fordern. Für die anschließenden Untersuchungen wird die Definition eines familienkontrollierten Unternehmens als Basis für Familienunternehmen verwendet. Dennoch ist hervorzuheben, dass die Einheit von Eigentum und Leitung ebenfalls Berücksichtigung in den Untersuchungen findet.

2.2 Abgrenzung der Bereiche Familienunternehmen, Mittelstand sowie kleine und mittlere Unternehmen Die Begriffe Mittelstand, mittelständisches Unternehmen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Familienunternehmen werden im deutschsprachigen Schrifttum oft synonym verwendet. Dies lässt sich durch zahlreiche Untersuchungen belegen.47 Sowohl im europäischen Ausland als auch in den USA ist eine simultane Handhabung allerdings nicht festzustellen. Hier wird i. d. R. strikt zwischen den Termini Small and Medium Sized Enterprises (SME) und Family Firms unterschieden.48 In den meisten Ländern ist die Sichtweise von SME enger ausgelegt als in Deutschland.49 Wie bereits für den Bereich der Familienunternehmen erläutert, gibt es ebenfalls eine Vielzahl von Definitionen für die Begriffe Mittelstand und KMU. Tendenziell unterliegen mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen im Gegensatz zu den KMU eher qualitativ geprägten Kriterien und im allgemeinen Verständnis keinen Größengrenzen. Sie sind viel-

47Vgl.

Damken (2007), S. 57–60; Khadjavi (2005), S. 52; Becker und Ulrich (2009), S. 2–3; Bornheim (2000), S. 13; Neubauer und Lank (1998), S. 3–4; Pfohl (1997), S. 3. 48Vgl. Khadjavi (2005), S. 52–56; Kontinen und Ojala (2010), S. 7–14. 49Vgl. Becker et al. (2008), S. 2; Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (2015), S. 4–13.

20

2 Familienunternehmen

mehr durch die Einheit von Eigentum und Leitung geprägt. Somit führt der Eigentümer oder ein Mitglied der Eigentümerfamilie das Unternehmen.50 Im Vergleich zur internationalen Abgrenzung der Unternehmenseinheit Mittelstand anhand der Betriebsgröße51 ist der Mittelstandsbegriff in Deutschland durch historisch-soziologische Gegebenheiten maßgeblich beeinflusst worden.52 Der historisch gewachsene Terminus Mittelstand unterliegt weder einer gesetzlich fixierten noch einer allgemeingültigen Definition. Mit dem Begriff des Mittelstands sind sowohl ökonomische, gesellschaftliche als auch psychologische Strukturen eines Unternehmens verbunden.53 Entsprechend ist der Mittelstand als ein heterogenes Gebilde aufzufassen, das je nach Definition Einzelpersonen oder Unternehmen verschiedener Größe und differierender Eigenarten darstellt.54 Der aktuelle Forschungsstand zu mittelständischen Unternehmen zeigt, dass trotz historisch geprägter Bedeutung aus pragmatischen Gründen häufig von der rein qualitativen Mittelstandsdefinition abgewichen wird und zunehmend quantitative Aspekte mit aufgenommen werden.55 Folglich variieren in Deutschland die den Mittelstand betreffenden Statistiken in Abhängigkeit des zugrunde gelegten Kriterienkatalogs. Dieser Aspekt hat zur Begriffsbestimmung der Organisationseinheit der KMU geführt, die rein über die Unternehmensgrößen definiert werden. Somit wird der Begriff des Mittelstands nach qualitativer, quantitativer oder kombinierter Definition in der Literatur aufgefasst. Die in der Literatur wesentlichen Merkmale zur Charakterisierung des Mittelstands nach qualitativen Kriterien sind: Selbstständigkeit des Unternehmens, Unternehmen im Eigentum des Unternehmers, der selbst Haftung und Risiko trägt, Unternehmensführung durch den Eigner, Personenbezogenheit der Unternehmensführung und überschaubare Größe der Organisation.56 Kramer (2000) fasst diese Charakteristiken zusammen und stellt die relevanten qualitativen Merkmale der Mittelstandsdefinition anschaulich dar (Tab. 2.3):

50Vgl. Ampenberger (2010), S. 16–20; Becker und Ulrich (2009), S. 4–6; KfW Bankengruppe (2017), S. 20–22; BMWi (2017), S. 10. 51Vgl. hierzu Wossidlo (1993), Sp. 2894–2895. 52Vgl. Gantzel (1962), S. 13; Marbach (1942), S. 11; Hamer (1990), S. 19–20; Krisam (1965), S. 25–29. 53Vgl. Bickel (1981), S. 181; Hudson et al. (2001), S. 1096–1101; van de Vrande et al. (2009), S. 423–427. 54Vgl. Hausch (2004), S. 12–25; Durst und Edvardsson (2012), S. 880–884. 55Vgl. Bickel (1981), S. 181; Wossidlo (1993), Sp. 2891–2892. 56Vgl. Hausch (2004), S. 17.

2.2  Abgrenzung der Bereiche Familienunternehmen, Mittelstand ...

21

Tab. 2.3   Qualitative Merkmale mittelständischer Unternehmen Rechtliche Selbstständigkeit

Wirtschaftliche Selbstständigkeit

Personenbezogenheit

• Ausschluss von Filialen und Betriebsstätten größerer Unternehmen

• Ausschluss von Unternehmen, deren Eigenkapital sich zu einem maßgeblichen Teil in Händen von Drittunternehmen befindet •G  renze für Kapitalbesitz eines oder mehrerer Unternehmen bei 25 %

• Unternehmensleitung muss nicht zwingend beim Eigentümer liegen • Faktischer Einfluss der Anteilseigner auf die Entscheidungsprozesse ist ausreichend

Vgl. Kramer (2000), S. 18; Wossidlo (1993), Sp. 2890.

Der Begriff der KMU wird über das rein quantitativ messbare Merkmal der Betriebsgröße von Großunternehmen abgegrenzt.57 Zwecks Quantifizierung der konkreten Betriebs-größe einer Organisationseinheit können insbesondere Input- oder Outputfaktoren herangezogen werden, die die tatsächliche oder potenzielle Leistungsfähigkeit des vorliegenden Unternehmens in quantifizierbaren Größen darstellen.58 Auf Seiten der Inputfaktoren stellen die Einsatzmengen (z. B. Anzahl Beschäftigte oder eingesetzte Rohstoffmenge) und die Einsatzwerte (z. B. Kapitaleinsatz) mögliche Messgrößen zur Festlegung der Betriebsgröße dar. Outputfaktoren umfassen Leistungsmengen (z. B. produzierte oder abgesetzte Stückzahlen) und Leistungswerte, wie z. B. Umsatzerlöse.59 Aus Vereinfachungsgründen der Datenbeschaffung haben sich zur Abgrenzung von KMU zu Großunternehmen bei zahlreichen Definitionen die Inputgröße Mitarbeiterzahl und/oder die Outputgröße Umsatz durchgesetzt.60 Zur letztendlichen Bestimmung der Betriebsgröße wird abhängig von der jeweiligen Definition auf einen eindimensionalen (ein einzelnes Kriterium) oder mehrdimensionalen Ansatz (mehrere quantitative Kriterien) zurückgegriffen. Kussmaul (1990) und Pfohl (1997) verwenden eine eindimensionale quantitative Abgrenzung auf der

57Vgl.

Pfohl (1997), S. 3. Busse von Colbe (1964), S. 35–38; Lücke (1982), S. 177–185; Busse von Colbe (1974), Sp. 567–570; Wossidlo (1993), Sp. 2892; Pfohl (1997), S. 3; Günzel (1975), S. 7–9. 59Vgl. Sombart (1955), S. 539–540; Busse von Colbe (1964), S. 35–38. 60Vgl. Naujoks (1975), S. 32; Wossidlo (1993), Sp. 2893; Vogler (1990), S. 35; Wollenberg, S. 17. 58Vgl.

22

2 Familienunternehmen

Grundlage der Beschäftigtenzahl.61 Die Kenngröße Beschäftigtenzahl hat sich bei den eindimensionalen Skalen aufgrund der einfachen Datenerhebung und der ausbleibenden Anpassungspflicht aufgrund von Inflation in der Literatur durchgesetzt.62 (Tab. 2.4) Tab. 2.4   Unternehmensklassifikation anhand der Beschäftigtenzahl

Unternehmensklassifikation

Beschäftigtenzahl

Kleinunternehmen

 ≤ 49

Mittelunternehmen

 > 49 bis ≤ 500

Großunternehmen

 > 500

Vgl. Kußmaul (1990), S. 12; Pfohl (1997), S. 11.

§ 267 HGB, als Beispiel eines mehrdimensionalen Ansatzes, sieht als Kriterium vor, dass mindestens zwei der drei nachfolgenden Kriterien in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren erfüllt sein müssen, um der jeweiligen Größenklasse anzugehören (Tab. 2.5). Tab. 2.5   KMU-Abgrenzung des Handelsgesetzbuches gem. § 267 HGB Unternehmensklassifikation

Beschäftigtenzahl

Umsatzerlöse/Jahr (in Mio. EUR)

Bilanzsumme (in Mio. EUR)

Kleinstunternehmen

 ≤ 10

 ≤ 0,7

 ≤ 0,35

Kleinunternehmen

 > 10 bis ≤ 50

 > 0,7 bis ≤ 12

 > 0,35 bis ≤ 6

Mittelunternehmen

 > 50 bis ≤ 250

 > 12 bis ≤ 40

 > 6 bis ≤ 20

Großunternehmen

 > 250

 > 40

 > 20

Als Einschränkung wurde im Rahmen des BilRUG hinsichtlich der Kleinstunternehmen mit § 267a HGB eingeführt, dass folgende Gesellschaften, unabhängig davon, ob diese die Größenkriterien erfüllen, nicht als Kleinstkapitalgesellschaften gelten: • Investmentgesellschaften i. S. d. § 1 Absatz 11 des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB), • Unternehmensbeteiligungsgesellschaften i. S. d. § 1a Abs. 1 des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG) oder

61Vgl.

Kußmaul (1990); Pfohl (1997). Naujoks (1975), S. 32–33; Betge (1974), S. 471; Wossidlo (1993), Sp. 2893; Löwe (1979), S. 29.

62Vgl.

2.2  Abgrenzung der Bereiche Familienunternehmen, Mittelstand ...

23

• sog. Finanzholdinggesellschaften, die auf den Erwerb der Beteiligungen, ohne in die Verwaltung der erworbenen Unternehmen einzugreifen, abzielen. Das IfM Bonn definiert KMU als sämtliche unabhängige Unternehmen, die weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigen und die einen geringeren Jahresumsatz als 50 Mio. EUR aufweisen. Innerhalb dieser quantitativen Definition des IfM Bonn wird zudem zwischen kleinen Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und bis unter 1 Mio. EUR Jahresumsatz sowie mittleren Unternehmen mit Beschäftigten zwischen 10 bis 499 und einem Jahresumsatz von 1 bis unter 50 Mio. EUR unterschieden.63 Die Definition von KMU durch die EU weichen von den Größenkriterien des IfM Bonn ab. Die EU sieht folgende Größenstaffelung vor (Tab. 2.6): Tab. 2.6   KMU-Schwellenwerte der Europäischen Union Jahresbilanz (in Mio. EUR)

Unternehmensgröße

Beschäftigte

Umsatz (in Mio. EUR)

Kleinstunternehmen

 ≤ 9

Kleinunternehmen

 > 9 bis ≤ 49

 ≤ 10

 ≤ 10

Mittleres Unternehmen

 > 49 bis 249

 ≤ 50

 ≤ 43

KMU

unter 250

 ≤ 50

 ≤ 43

UND

 ≤ 2

ODER

 ≤ 2

Vgl. BMWi (2017).

Darüber hinaus hat die EU-Kommission als zusätzliches Kriterium festgelegt, dass Unternehmen nicht zu 25 % oder mehr im Besitz eines oder mehrerer Unternehmen stehen, die nicht die oben genannten Größenkriterien erfüllen.64 Das IfM Bonn hat versucht, die erläuterten quantitativen und qualitativen Mittelstandskriterien miteinander zu verbinden, und drei Typen von Unternehmen klassifiziert, die sich, je nach Art der Eigentumsverhältnisse, unterscheiden. Typ 1 stellt das klassische mittelständische Unternehmen dar, in dem einer der Geschäftsführer zeitgleich Inhaber oder zumindest ein Mitglied der Eigentümerfamilie ist. Entsprechend sind die Interessen von Entscheidungsträger und Inhaber zumindest teilweise kongruent. Im Rahmen von Typ 2 der kleinen und

63Vgl. 64Vgl.

IfM Bonn (2016). Gottschalk et al. (2017); Fischer (2012).

24

2 Familienunternehmen

mittleren Unternehmen erfolgt die Geschäftsführung durch externe Manager. Hierbei kann es zu Zielkonflikten zwischen Eigentümern und Unternehmensleitung kommen. Gem. IfM Bonn verbleiben schließlich noch die konzerngebundenen KMU (Typ 3). Im Regelfall unterscheiden sich diese deutlich von den beiden anderen Typen. Die strategische Entscheidungsfindung gebührt einer möglicherweise räumlich getrennt sitzenden Konzernleitung, die im Interesse der Unternehmensgruppe und nicht unbedingt im Interesse des betreffenden KMU entscheidet.65 Die Ausführungen des gesamten Kapitels zeigen, dass eine große Schnittmenge zwischen den Definitionen der Gruppen Familienunternehmen, mittelständische Unternehmen und KMU besteht. Dies liegt u. a. darin begründet, dass sich viele kleine oder mittelgroße Unternehmen im Familieneigentum befinden und darüber hinaus die aufgezeigten qualitativen Kriterien des Mittelstandsbegriffs i. d. R. erfüllen.66 Mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen lassen sich tendenziell im Gegensatz zu KMU eher über qualitative Kriterien definieren.67 Grundsätzlich gilt, dass der Anteil von Familienunternehmen an der Grundgesamtheit mit sinkender Umsatzgröße deutlich ansteigt.68 Festzuhalten ist allerdings, dass es durchaus einige Organisationseinheiten gibt, die als Familienunternehmen klassifiziert werden, aber aufgrund ihrer Größe nicht zu den KMU hinzugezählt werden können (z. B. BMW, Aldi Nord/Süd, Fresenius und Henkel).69

65Vgl.

Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (2015). Donckels und Fröhlich (1991), S. 149; Löhr (2001), S. 21; Wossidlo (1993), Sp. 2892; Mugler (1995), S. 19; Daily und Thompson (1994), S. 237. 67Vgl. Filippis (2011), S. 12–15. 68Vgl. Freund et al. (1995); Stiftung Familienunternehmen (2019). 69Die Unternehmen Aldi Nord und Süd weisen keine konsolidierten Unternehmenszahlen aus. Die weiteren Unternehmenszahlen der beispielhaft angeführten Familienunternehmen stellen sich für das Geschäftsjahr 2018 (Umsatz und Bilanzsumme in Mio. EUR) wie folgt dar: BMW AG: Beschäftigte: 89.842, Umsatz: 78.355, Bilanzsumme: 45.535; Fresenius SE & Co. KGaA: Beschäftigte: 276.750, Umsatz: 33.530, Bilanzsumme: 56.703; Henkel AG & Co. KGaA: Beschäftigte: 53.000, Umsatz: 19.899, Bilanzsumme: 29.623. Vgl. BMW AG (2018); Fresenius SE & Co. KGaA (2018); Henkel AG & Co. KGaA (2018). 66Vgl.

3

Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

3.1 Unternehmenskrise 3.1.1 Krisenbegriff In der internationalen Literatur sind zwar zahlreiche Begriffserklärungen für den Themenkomplex der Unternehmenskrise vorzufinden, jedoch existiert keine verbindliche Definition.1 Betriebswirtschaftlich haben sich in Deutschland Begriffserläuterungen nach Müller (1986), Krystek (1987) sowie Gless und Schwalbach (1993) etabliert.2 Unternehmenskrisen stellen demnach ungeplante und ungewollte Prozesse von vergleichsweise kurzen Zeitabschnitten und begrenzter Beeinflussbarkeit dar. Dabei können diese den Fortbestand des gesamten Unternehmens oder wesentlicher, selbstständig operierender Teile durch die Nichterreichung vorgesehener, dominanter Ziele nachhaltig gefährden.3 Hinsichtlich der Abgrenzung von Unternehmenskrise und Insolvenz ist anzuführen, dass eine Unternehmenskrise dann vorliegt, wenn die Ergebnisse der Finanz- und Erfolgsrechnung die Insolvenz bei gleichbleibender Geschäftstätigkeit erkennen lassen.4 Folglich ist eine Unternehmenskrise einerseits durch die existenzbedrohende Lage der Gesellschaft sowie andererseits durch die Möglichkeit einer positiven Wendung charakterisiert.

1Vgl.

Müller (1986); Krystek (1987); Gless und Schwalbach (1993); Hess (2013); Seefelder (2007); Shaluf et al. (2003); Conway (1988). 2Vgl. Müller (1986); Krystek (1987); Gless und Schwalbach (1993). 3Vgl. Kall (1999). 4Vgl. Hauschildt (2005a). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_3

25

26

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

3.1.2 Krisenstadien In diesem Abschnitt erfolgt die Klassifizierung der Unternehmenskrise in unterschiedliche Krisenstadien. Die Untergliederung basiert maßgeblich auf dem IDW S 6 „Anforderungen an Sanierungskonzepte“. Generell gilt, dass Bedrohungsund Handlungsdruck sowie Aufgabenkomplexität im Krisenverlauf drastisch zu nehmen. Analog dazu gestaltet sich die Bewältigung der Unternehmenskrise tendenziell schwieriger. Abbildung 3.1 stellt den Verlauf der Krisenstadien auf der x-Achse und den dazugehörigen Bedrohungsdruck, Handlungsdruck sowie die Aufgabenkomplexität auf der y-Achse grafisch dar. Bedrohungsdruck, Handlungsdruck, Aufgabenkomplexität

Zeithorizont bis zur Liquidation

Stakeholderkrise

Strategiekrise

Produkt- & Absatzkrise

Erfolgskrise

Liquiditätskrise

Insolvenzreife

Komplexität der Krisenidentifikation

Abb. 3.1   Verlauf der Krisenstadien eines Unternehmens (Vgl. Hermanns (2014), S. 130– 133; Bibeault (1998), S. 25–57; Beaver (1966), S. 80–102)

Die dargestellten Krisenstadien sind nicht unabhängig voneinander zu verstehen, sondern bauen i. d. R. aufeinander auf. Entsprechend gilt es im Rahmen der Feststellung einer vorliegenden Unternehmenskrise, ebenfalls eine Analyse der bereits zuvor durchlaufenen Krisenstadien vorzunehmen.5 Die Abbildung verdeutlicht, dass lediglich bei rechtzeitiger Identifizierung einer Krisensituation 5Vgl.

Häger und Hiltner (2018), S. 315.

27

3.1 Unternehmenskrise

ausreichend Zeit und Ressourcen für eine erfolgreiche Bewältigung der Unternehmenskrise zur Verfügung stehen.6 In Tabelle 3.1 sind den dargestellten Krisenstadien exemplarisch Krisenanzeichen gem. IDW S 6 zugeordnet.7 Die dargestellte Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dient dazu, einen exemplarischen Überblick über die Vielzahl und die Schwierigkeiten der Identifikation von Krisenwarnsignalen zu vermitteln. Tab. 3.1   Krisenstadien und -anzeichen Krisenstadien

Krisenanzeichen

Stakeholderkrise

• Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Führungs- und Leitungsebene • Abkehr von dem bisherigen Unternehmensleitbild • Deformierte Unternehmenskultur • Differenzen zwischen den Stakeholdergruppen

Strategiekrise

• Fehlinvestitionen • Unzureichende Innovationen • Fehler bei der Standortwahl • Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit • Fehlerhafte Marktbeobachtung • Strukturelle Defizite

Produkt- und Absatzkrise

• Dauerhafte Nachfragerückgänge • Zunahme der Mittelbindung • Unterauslastung der Produktionskapazitäten

Erfolgskrise

• Renditeverfall • Beschaffungsprobleme zur Sanierung erforderlicher Mittel • Keine Deckung der Eigenkapitalkosten

Liquiditätskrise

• Zahlungsschwierigkeiten • Unzureichende Kreditfähigkeit • Zunehmendes Liquiditätsmanagement • Veräußerung nicht betriebsnotwendigen Vermögens

Insolvenzreife

• Zahlungsunfähigkeit • Überschuldung • Drohende Zahlungsunfähigkeit

Vgl. Anders (2014), S. 44; Staw et al. (1981), S. 501–520; D'Aveni (1989), S. 577–603; Cameron et al. (1987), S. 126–137; D'Aveni (1990), S. 121–140.

6Vgl. 7Vgl.

Häger und Hiltner (2018), S. 315–316. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2018).

28

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

Eine der Kernaufgaben des Controllings ist es, den Prozess der Wahrnehmung von Krisenwarnsignalen unterstützend zu begleiten.8 Weiterhin ist das Controlling nach Feststellung einer Krisensituation damit beauftragt, dem Management im Rahmen einer Sanierungsplanung unterstützend zur Seite zu stehen. Es ist zwingend erforderlich, dass das Management unverzüglich einen umfassenden Überblick über die Lage des Unternehmens gewinnt.9 Entsprechend muss die Unternehmensführung möglichst schnell über aussagefähige Informationen zur Einschätzung der finanziellen Unternehmenssituation verfügen, um ein abgestimmtes Vorgehen anzustoßen.10 Somit sind von der ­Controlling-Abteilung Informationen bereitzustellen, die dem Zweck dienen, den vorliegenden Krisenstatus abzuschätzen und die Wirkungsintensität operativer Maßnahmenvorschläge zu beurteilen.11 Der Krisenfortschritt wirkt hierbei als Reduktion der zur Verfügung stehenden zeitlichen und monetären Ressourcen des Controllings.12

3.1.3 Krisenursachen Die Ermittlung von Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen, die die Entstehung von Unternehmenskrisen und deren Folgen darstellen, ist für die Erkennung, Vermeidung sowie Bewältigung von Krisensituationen entscheidend.13 Die internationale Krisenursachenforschung folgt einer langen Tradition, in der deutliche Fortschritte zu verzeichnen sind.14 Die bisher bekannten Ansätze zur Ermittlung und Darstellung von Krisenursachen folgen der Annahme multikausaler Faktoren der Kriseninduzierung sowie der Differenzierung unterschiedlicher Bereiche, in die diese Faktoren einzugruppieren sind.15 Krisenursachenforschung im betriebswirtschaftlichen Kontext ist in der bestehenden Literatur weitestgehend in Form

8Vgl.

Schulte (2019), S. 473–474. (2019), S. 15–17. 10Vgl. Crone et al. (2017), S. 17. 11Vgl. Schulte (2019), S. 473. 12Vgl. Klein (2009), S. 30–31. 13Vgl. Krystek (1987); Pearson und Mitroff (1993). 14Vgl. Hauschildt (2005b), S. 1–4; Allen und Carletti (2010), S. 3–5. 15Vgl. Krystek (1987), S. 34–40. 9Vgl. Alter

3.1 Unternehmenskrise

29

einer Insolvenzursachenforschung durchgeführt worden.16 Diese schließt positiv verlaufende Unternehmenskrisen, die die Stadien der Insolvenz nicht durchlaufen, aber dennoch Resultate für die Krisenursachenforschung liefern würden, aus. Die betriebswirtschaftlich orientierte Krisenursachenforschung lässt sich in die zwei groben Forschungsrichtungen der quantitativen und der qualitativen Krisenursachenforschung unterteilen.17 Die quantitative Krisenursachenforschung zielt darauf ab, anhand statistisch leicht erfassbarer Daten, Hinweise auf die Ursachen von Krisen bzw. Insolvenzen zu geben. Diesbezüglich dienen Größen wie Unternehmensalter, Rechtsform, Umsatzerlöse und Anzahl der Mitarbeiter dazu, Merkmale zu identifizieren, die einen ausgeprägten Risikogehalt bezüglich Unternehmenskrisen bzw. -insolvenzen haben. Entsprechend wird die Annahme eines Zusammenhangs zwischen diesen Daten und dem endgültigen Scheitern des Unternehmens im Sinne eines U ­ rsachen-Wirkungs-Zusammenhangs getroffen.18 Empirische Untersuchungen der quantitativen Ursachenforschung zeigen, dass die Krisenanfälligkeit: • • • •

mit zunehmender rechtsformbedingter Haftungsbeschränkung wächst, branchenspezifisch differiert, in Abhängigkeit von der Existenzdauer des Unternehmens abnimmt und mit ansteigender Unternehmensgröße rückläufig ist.19

Als Defizit des quantitativen Forschungsansatzes ist anzumerken, dass vom Management gestaltbare Parameter keine Berücksichtigung finden.20 Dem entgegengesetzt versucht die qualitative Forschungsrichtung, anhand von Auswertungen von Umfragen und Interpretation unternehmensindividueller Krisenverläufe generell gültige Erkenntnisse über Krisenursachen abzuleiten. Somit gelangt diese Forschungsrichtung weitestgehend über die Auswertung von Expertenmeinungen zu ihren Erkenntnissen. Diesbezüglich beschränken einige Untersuchungen die Stichprobe auf Insolvenzfälle, während andere Analysen ebenfalls Krisenfälle, die den Status des Vorliegens einer Insolvenz noch nicht

16Vgl.

David (2001), S. 59; Gless (1996), S. 21. Reimer und Fiege (2009), S. 337. 18Vgl. Welsch und Krystek (2010), S. 23. 19Vgl. Krystek (1987), S. 41; Fechner und Kober (2004), S. 71–76. 20Vgl. Buschmann (2006), S. 15; Hopfmüller (2010), S. 32–33. 17Vgl.

30

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

erreicht haben, miteinbeziehen.21 Resultate der Studien von Krystek ergaben folgende wesentliche Ursachen, welche Unternehmenskrisen bedingen können: • mangelnde Qualifikation der Unternehmensführung, • zu geringe Eigenkapiteldecke der Unternehmen, • ungenügende Berücksichtigung von Marktentwicklungen.22 Anzumerken ist, dass die Aussagekraft der qualitativen Krisenursachenforschung ebenfalls begrenzt ist. Die eingeschränkte Aussagekraft lässt sich durch die i. d. R. kleine, zufällig ausgewählte Anzahl von Krisenfällen und Expertenmeinungen als Grundgesamtheit und die daraus resultierend begrenzte Vergleichbarkeit durch unterschiedliche Beurteilungskriterien in Krisensituationen gewinnen.23 Bisher gelang es keinem Forschungsansatz, eine allgemeingültige Theorie im Hinblick auf die Ursachen von Unternehmenskrisen zu entwickeln. Dennoch wird, trotz dieser identifizierten Schwächen, i. d. R. der qualitativen Krisenursachenforschung gegenüber der quantitativen Forschungsrichtung der Vorzug gewährt. Dies liegt darin begründet, dass die qualitative Forschung es im Idealfall ermöglicht, die komplexen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge von Krisensituationen an der Ursprungsquelle und im Wirkungsverlauf darzustellen.24 Erkennbar sind grundsätzlich übereinstimmende Ergebnisse bzw. Erkenntnisse in betriebswirtschaftlichen Forschungsprojekten, welche ihrerseits Krisen nach dem Ort ihrer Entwicklung in endogen (unternehmensintern) oder exogen (unternehmensextern) verursacht klassifizieren.25 Extern induzierte Unternehmenskrisen (exogene Krisenursachen) umfassen strukturelle und konjunkturelle Veränderungen im Unternehmensumfeld sowie zu allgemeinen Trendbrüchen neigende Entwicklungen außerhalb des Einflussbereichs der jeweiligen Organisation.26 In diesem Kontext sind ebenfalls die Globalisierung und die internationale Vernetzung von Unternehmen als Erklärungsansatz für

21Vgl.

Grünert (2007), S. 18. Krystek (1987), S. 45–48. 23Vgl. Schmuck (2013), S. 20; Pretorius (2010), S. 219–220. 24Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 42; Reimer und Fiege (2009), S. 338. 25Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 42–43; Hopfmüller (2010), S. 33. 26Vgl. Balgobin und Pandit (2001), S. 303–310; Brühl (2004), S. 5–7; Schendel et al. (1976), S. 6; Grinyer et al. (1988), S. 119. 22Vgl.

3.1 Unternehmenskrise

31

exogen verursachte Krisen angeführt.27 Exogene Krisenursachen lassen sich nach Böckenförde (1996) in überbetriebliche (beispielsweise durch Änderungen der Wirtschafts–, Sozialpolitik oder des Kartellrechts) und zwischenbetriebliche Ursachen (etwa neue Konkurrenzsituationen und technischer Fortschritt) gliedern.28 Konjunkturelle, wirtschafts- und sozialpolitische, wettbewerbsbedingte und kontrahentenbedingte Faktoren zählen zu den wichtigsten exogenen Krisenursachen.29 Bereits Fleege-Althoff (1930) stellte heraus, dass endogene Krisenursachen dominieren und unter diesen die mangelnde Qualifikation von Führungskräften hauptsächlich für hohe Insolvenzraten verantwortlich ist.30 Dies wurde durch Untersuchungen von u. a. Hahn (1958), Rinklin (1960) und Hauschildt (1983, 2005) in ähnlicher Weise untermauert.31 Die folgende Tabelle zeigt spezifische Krisenursachen sowie Krisensegmente, die auf typische Führungsfehler zurückzuführen sind. Die auf Grundlage der Untersuchungen in Tabelle 3.2 aufgelisteten Krisenursachen stehen weitestgehend im Zusammenhang mit Managementaufgaben und zeigen, dass grundlegende Fehler in der Planung, Steuerung und Kontrolle sowohl auf operativer als auch strategischer Ebene als dominante Krisenursachen gelten.32 Endogene Krisenursachen bestehen neben Managementfehlern und unzureichender Eigenkapitalausstattung auch in verfehlter Markenpolitik, mangelhaften Controllingsystemen, unzureichenden Controllinginstrumenten, falschen Qualitätsmaßstäben der Produkte sowie fehlenden Wettbewerbs- bzw. Marktbeobachtungen.33 Generell gilt, dass ein frühzeitiges Erkennen von Krisensymptomen dem Unternehmen bessere Möglichkeiten bietet, geeignete Sanierungsmaßnahmen zu wählen, um eine Insolvenz abzuwenden.34 Dieser Aspekt wird in Abschnitt 3.2 näher beleuchtet. Abschließend lässt sich festhalten, dass Unternehmenskrisen ungeplante Prozesse von vergleichsweise kurzen Zeitabschnitten und begrenzter Beein-

27Vgl.

Hauschildt et al. (2006), S. 9. Böckenförde (1996), S. 16–33. 29Vgl. Böckenförde (1996), S. 27–31. 30Vgl. Fleege-Althoff (1930), S. 171. 31Vgl. Hahn (1958), S. 7–8; Hauschildt (1983), S. 142–145; Rinklin (1960), S. 13–17; Hauschildt (2005b), S. 1–3. 32Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 45; Slatter und Lovett (1999), S. 49. 33Vgl. Harz et al. (2006), S. 45–47; Crone et al. (2017), S. 11. 34Vgl. Faulhaber und Grabow (2009), S. 116–117; Thierhoff und Müller (2016), S. 30–32. 28Vgl.

32

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

Tab. 3.2   Krisenbereiche und -ursachen Krisenbereich

Krisenursachen

Unternehmensführung

• Unerfahrenheit • Fehlplanung • Verschwendung • Spekulation • Führungsmängel

Institution

• Strategie • Rechtsform • Verbund • Organisation • Information • Beziehung zu den Arbeitnehmern

Finanzwirtschaft

• Unerwarteter Einnahmenausfall • Mangelhafte Koordination von Einnahmen und Ausgaben • Unerwarteter Ausgabenanfall

Operativ

• Absatz • Produktion • Preis • Vermarktung • Investition • Forschung und Entwicklung • Logistik • Beschaffung

Vgl. Hauschildt (2005b), S. 4; Krystek und Moldenhauer (2007), S. 44–45.

flussung darstellen, die den Fortbestand mindestens wesentlich selbstständig operierender Teile eines Unternehmens nachhaltig gefährden.35 Somit wird eine Unternehmenskrise durch das Vorliegen einer existenzbedrohenden Lage und durch die Möglichkeit der Einleitung einer positiven Wendung charakterisiert. Hinsichtlich der Krisenursachen lässt sich zwar kein allgemeingültiger Forschungsansatz, wohl aber die Bewährung einer Unterteilung in endogen und exogen verursachte Krisen feststellen. Des Weiteren kann die grobe Forschungsrichtung der Krisenursachenforschung in die quantitative sowie qualitative Richtung unterteilt werden, wobei dem qualitativen Ansatz mehr Beachtung gilt.

35Vgl.

S. 3–8.

Müller (1986), S. 431–439; Krystek (1987), S. 77; Gless und Schwalbach (1993),

3.2  Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung

33

Als wesentliche Ursachen identifiziert dieser die mangelnde Qualifikation der Unternehmensführung, eine zu geringe Eigenkapitaldecke der Unternehmen und eine ungenügende Berücksichtigung von Marktentwicklungen.36

3.2 Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung 3.2.1 Begriffsbestimmung Bereits aus der Rechtspflicht zur Insolvenzantragstellung geht ein Bedarf zur rechtzeitigen Erkennung einer schweren Unternehmenskrise hervor.37 Ein grundlegendes Problem bei der rechtzeitigen Krisenidentifizierung besteht oftmals in der hohen Komplexität der Krisenursachen, die insbesondere eine ausreichend frühzeitige Erkennung erschweren. In den wenigsten Fällen ist eine Unternehmenskrise nur in einer Ursache begründet, sodass sich diese folglich auf mehrere Bereiche bezieht.38 Strategische Unternehmenskrisen sind in ihrer Frühphase meist nur anhand von schwachen Kennzeichen wahrzunehmen.39 Der Terminus Frühwarnung stellt ein Element einer Begriffsreihe dar, die Informationsverarbeitungsvorgänge zur frühzeitigen Wahrnehmung latenter Ereignisse beschreibt.40 Tab. 3.3   Verständnis der Begriffe Frühwarnung, Früherkennung und Frühaufklärung Frühwarnung

Früherkennung

Frühaufklärung

Frühzeitige Identifikation von Frühzeitige Identifikation von Frühzeitige IdentiBedrohungen Bedrohungen und Chancen fikation von Bedrohungen und Chancen sowie Gewährleistung von Gegenmaßnahmen Vgl. Krystek und Müller-Stewens (1993), S. 21.

Tabelle 3.3 zeigt, dass der Zweck von Frühwarnsystemen im rechtzeitigen Aufzeigen von lediglich latenten Bedrohungen bzw. Risiken liegt. Die Systeme

36Vgl.

Krystek (1987), S. 40–46; Schmuck (2013), S. 19–22. Behringer (2016), S. 19. 38Vgl. Behringer (2016), S. 20. 39Vgl. Müller (2010), S. 11. 40Vgl. Krystek (2006a), S. 224. 37Vgl.

34

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

müssen sicherstellen, dass noch hinreichend Zeit für die Planung, Realisation und Kontrolle geeigneter Gegenmaßnahmen zur Vermeidung oder Abschwächung der signalisierten Bedrohungen besteht.41 Entsprechend lässt sich eine Abgrenzung anhand des grundsätzlichen Verständnisses der aufgezeigten Begrifflichkeiten vornehmen. Der Terminus Warnung impliziert lediglich die Signalisierung einer Gefahrensituation. Erkennung geht einen Schritt weiter und umfasst die allgemeine Wahrnehmung von sämtlichen Ereignissen. Aufklärung umfasst, neben der reinen Aufgabe der Wahrnehmung, das Wissen über den Umgang einer gegebenen Situation.42 Somit kann als Frühwarnsystem ein System der Informationsaufdeckung bezeichnet werden, das frühzeitig die Gefahren des Unternehmensumfelds erkennt und das Ziel beinhaltet, adäquate Gegenmaßnahmen einleiten zu können.43 Werden additiv Chancenpotenziale ins Auge gefasst, handelt es sich um ein Früherkennungssystem. In Anlehnung an Hammer (1992) und Steinle (1998) kann ein Frühaufklärungssystem als ein strukturiertes sowie integriertes, aber auch flexibles Informations–, Beobachtungs- und Kommunikationssystem definiert werden, das es der Organisation ermöglicht, relevanten Veränderungen im Kontext der Frühaufklärung zu begegnen.44

3.2.2 Charakteristiken von Frühwarnsystemen Die Kernaufgabe eines Risikofrühwarnsystems liegt in der Wahrnehmung und Operationalisierung von Risiken durch Zuordnung zu Beobachtungsbereichen und die damit verbundene Bewältigung unter Bestimmung klarer Verantwortlichkeiten.45 Grundsätzlich ist das Geschäftsumfeld eines spezifischen Unternehmens einer Vielzahl von Einflussfaktoren ausgesetzt. Dazu zählen u. a. Aspekte wie Branche, Rechtsform, Stakeholdergruppen, Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebsstrukturen, Unternehmenskultur und operative sowie strategische Unternehmensziele. Die Ausgestaltung eines Frühwarnsystems ist unmittel-

41Vgl.

Hahn und Krystek (1979), S. 76. Loew (1999), S. 23. 43Vgl. Staehle und Albach (2013), S. 26–27. 44Vgl. Hammer (1992), S. 175–178; Steinle (1998), S. 347. 45Vgl. Bitz (2000), S. 18. 42Vgl.

3.2  Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung

35

bar von den skizzierten Rahmenbedingungen betroffen und kann entsprechend nur von individueller Natur sein.46 Dennoch sind allgemeingültige Parameter zur Gestaltung von Frühaufklärungssystemen in der Literatur vorzufinden, die im weiteren Verlauf aufgezeigt werden. In Bezug auf mögliche Anwender von Frühwarnsystemen lassen sich zwei Gruppen differenzieren. Frühwarnsysteme können von dem Unternehmen selbst oder von externen Interessengruppen verwendet werden. Aus unternehmensinterner Sicht erfolgt die Gestaltung seitens des Managements. Unternehmensextern werden Frühwarnsysteme von externen Stakeholdern mit dem Ziel, Informationen über die zukünftige Unternehmensentwicklung zu erhalten, verwendet.47 Das Merkmal der Trägerschaft zielt auf die Zuständigkeit für die Wahrnehmung der Frühwarnsystemaufgaben ab. Hier ist eine Differenzierung in inner-, zwischen- und überbetriebliche Frühwarnung zu treffen. Von innerbetrieblicher Wahrnehmung wird gesprochen, wenn sämtliche Aufgaben von dem Unternehmen vollkommen selbstständig und ohne externe Unterstützung wahrgenommen werden. Bei zwischenbetrieblichen Frühwarnsystemen herrscht eine Kooperation zwischen verschiedenen Unternehmen. Bei der überbetrieblichen Frühwarnung tragen externe Institutionen, z. B. Forschungsinstitute, die Verantwortung für die Gestaltung.48 Ein weiteres Merkmal zur Gestaltung von Frühwarnsystemen stellt die Informationsherkunft dar. Frühwarninformationen können aus internen und externen Quellen gewonnen werden.49 Hinsichtlich des Nutzungsbereichs ist eine Differenzierung in gesamtunternehmens- und bereichsbezogene Frühwarnung vorzunehmen. Gesamtunternehmensbezogene Frühwarnung bezieht sich hierbei auf Risiken, die das Unternehmen als Institution gänzlich betreffen. Bereichsbezogene Systeme behandeln hingegen einzelne Kernfunktionen wie beispielsweise den Absatz-, Beschaffungs-, Produktions-, Forschungs- oder Entwicklungsbereich.50 In Anbetracht des Merkmals der konzeptionellen und methodischen Ausrichtung verfügbarer Methoden zur Frühwarnung wird in der Literatur nach indikator-, modell-, analyse–, informationsquellen- und netzwerkorientierten Ansätzen differenziert.51 Die zeitliche Bandbreite der Frühwarnsysteme stellt ein weiteres Merkmal dar. Diesbezüglich

46Vgl.

Loew (1999), S. 32. Knappe (1991), S. 9; Dolata (1987), S. 40–41; Hahn und Krystek (1979), S. 28–29. 48Vgl. Loew (1999), S. 32. 49Vgl. Staehle und Albach (2013), S. 39–40. 50Vgl. Bertram (1993), S. 161–162; Hammer (1992), S. 179–182; Loew (1999), S. 33. 51Vgl. Bertram (1993), S. 162. 47Vgl.

36

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

wird eine Trennung zwischen operativen und strategischen Frühwarnsystemen vorgenommen. Operative Frühwarnsysteme verwenden weitestgehend liquiditätsund ergebnisorientierte Steuerungselemente. Strategische Ansätze zielen auf strategische Risiken, die beispielsweise die Unternehmensidee, Geschäftsfelder oder Technologien betreffen, ab. Beide Ansätze können allerdings als gleichwertige und sich ergänzende Konzepte angesehen werden.52 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Zweck der Anwendung von Frühwarnsystemen im rechtzeitigen Aufzeigen latenter Bedrohungen bzw. Risiken besteht. Neben der Frühwarnung kann zwischen Früherkennung sowie –aufklärung differenziert werden. Die Methoden der Frühwarnsysteme können entsprechend ihres zeitlichen Ablaufs in operative Frühwarnsysteme, bestehend aus den Methoden Hochrechnungen und Indikatoren, sowie strategische Frühwarnsysteme unterteilt werden.53 Diese beiden Konzeptrichtungen der Frühwarnsysteme werden im nachfolgenden Abschnitt näher erläutert.

3.2.3 Klassifizierung von Frühwarnsystemen 3.2.3.1 Operative Frühwarnsysteme In der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis haben sich verschiedene Frühwarnsysteme herauskristallisiert, die entsprechend dem zeitlichen Ablauf ihrer ersten Anwendung dargestellt werden können. Die erste Generation der Frühwarnsysteme basiert i. d. R. auf Hochrechnungen und ist entsprechend kennzahlenorientiert.54 Die Erkenntnis des Vorliegens einer Krisensituation wird hierbei durch hohe Abweichungen von vergangenen Werten oder von vorgegebenen Sollwerten erlangt. Indikatoren bilden die Grundlage für die zweite Generation von Krisenfrühwarnsystemen.55 Eine Kennzahl wird ausgewiesen, die einen Hinweis auf die für die Krise verantwortliche Variable gibt. Kennzeichen der dritten Generation von Frühwarnsystemen ist ein wesentlich längerer zugrunde liegender Zeithorizont. Strategische Frühwarnsysteme werden im nächsten Kapitel erläutert. Die operativen Frühwarnsysteme, unterteilt in kennzahlen- sowie hochrechnungsorientierte Systeme, als sogenannte erste Generation, und indikator-

52Vgl.

Krystek und Müller-Stewens (1997), S. 914–917; Krystek (1990), S. 75. Krystek (1987), S. 147; Staehle und Albach (2013), S. 11–12. 54Vgl. Krystek (1987), S. 147–148. 55Vgl. Bühner (2018), S. 283. 53Vgl.

3.2  Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung

37

orientierte Frühwarnsysteme, als sogenannte zweite Generation, erfahren in der Literatur im Vergleich zu den strategischen Frühwarnsystemen weniger Beachtung.56 Für den Einsatz von Kennzahlen im Rahmen von Frühwarnsystemen ist ein Zeitvergleich der jeweiligen Zahlenwerte von grundlegender Bedeutung. Kennzahlen verfolgen den Zweck, relevante Zusammenhänge in komprimierter, quantitativ messbarer Form aufzuzeigen. Im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis gehören Kennzahlen zu den klassischen Instrumentarien des Controllings.57 Durch Aggregation von Kennzahlen zu Kennzahlensystemen besteht die Möglichkeit, deren Aussagekraft zu erhöhen und die Wahrscheinlichkeit von Fehlinterpretationen zu reduzieren.58 Als weitere Methode der Frühwarnung, die ebenfalls der sogenannten ersten Generation zuzuordnen ist, können Planhochrechnungen verwendet werden. Hochrechnungsorientierte Frühwarnsysteme greifen auf eine Erweiterung des Soll-Ist-Vergleichs durch einen Soll-Wird-Vergleich zurück. Im Gegensatz zu Soll-Ist-Vergleichen, die lediglich Erkenntnisse über bereits abgelaufene Ereignisse aufzeigen, ermöglichen Soll-Wird-Vergleiche durch Prognosen der Ist-Zahlen auf das Periodenende schon frühzeitigen Aufschluss über sich abzeichnende Abweichungen.59 Festzuhalten ist, dass Kennzahlen einen reaktiven Charakter aufweisen und somit nur über begrenzte Frühwarneigenschaften verfügen. Planungshochrechnungen zeichnen sich hingegen durch eine bessere Möglichkeit der kurzfristigen Frühwarnung aus. Der Zeithorizont für hochrechnungsorientierte Frühwarnsysteme wird in der einschlägigen Literatur mit unter zwölf Monaten beziffert.60 Der indikatororientierte Ansatz stellt das in der Fachliteratur am häufigsten beschriebene Konzept zur Gestaltung eines operativen Frühwarnsystems dar.61 Frühwarnindikatoren können sowohl in relativen und absoluten Zahlen ausgedrückt werden als auch, im Gegensatz zu Kennzahlen, qualitativer Natur sein. Frühindikatoren beabsichtigen, relevante Ereignisse bzw. Entwicklungen mit einem ausreichenden zeitlichen Vorlauf und mit hinreichender Regelmäßigkeit

56Vgl.

Krystek (2006a), S. 226. Horvath (2012), S. 568–569. 58Vgl. Müller-Merbach (1979), S. 155–160; Krystek (2006a), S. 227. 59Vgl. Femerling (2013), S. 45–46. 60Vgl. Neubürger und Sen (2001), S. 1058–1059; Weber (2002), S. 217–221; Krystek (2006a), S. 227. 61Vgl. Loew (1999), S. 37; Dolata (1987), S. 44–47; Knappe (1991), S. 15–19; Hahn (1979), S. 30–31; Krystek und Müller (1999), S. 179–180; Lehmann und Ruf (1990), S. 6–7. 57Vgl.

38

3  Grundzüge von Unternehmenskrisen und Frühwarnsystemen

zu signalisieren.62 Frühwarnindikatoren sollten spezifische Bedingungen erfüllen. Dazu zählen Eindeutigkeit, Vollständigkeit, Frühzeitigkeit, Verfügbarkeit und ökonomische Vertretbarkeit.63 Im Allgemeinen gliedert sich das indikatororientierte Frühwarnsystem in fünf Stufen: Ermittlung von Beobachtungsbereichen, Festlegung von Indikatoren je Beobachtungsbereich, Bestimmung von Soll-Werten und Toleranzgrenzen je Indikator, Festlegung von Aufgaben der Informationsverarbeitungsstellen sowie Ausgestaltung der Informationskanäle.64 Auf die Darstellung der einzelnen Stufen wird verzichtet.65 Es ist jedoch festzuhalten, dass für den erfolgreichen Einsatz indikatororientierter Frühwarnsysteme die regelmäßige Überprüfung sowie Aktualisierung der zugrunde liegenden Prämissen von zentraler Bedeutung sind.66

3.2.3.2 Strategische Frühwarnsysteme Die Grundlagen der Gestaltung strategischer Frühwarnsysteme beruhen auf dem Konzept der Schwachen Signale von Ansoff (1976) und der Diffusionstheorie. Kernelement des Ansoff’schen Ansatzes ist die Annahme, dass Trendwechsel im technologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Bereich nicht plötzlich auftreten, sondern sich diese durch sogenannte Schwache Signale ankündigen.67 Schwache Signale können als schlecht definierte und ungenau strukturierte Botschaften aufgefasst werden, die auf strategische Diskontinuitäten hindeuten, sich allerdings im Zeitablauf in ihrer Relevanz verstärken.68 Die Besonderheit der Schwachen Signale liegt in der hohen Vorlaufzeit, die i. d. R. signifikant höher als z. B. bei Frühindikatoren ist. Die Diffusionstheorie zielt auf die Erforschung von Ausbreitungswegen neuer Erkenntnisse, Meinungen und Verhaltensweisen ab.69 Der Diffusionstheorie liegt die Hypothese zugrunde, dass von dem Verbreiten neuer Erkenntnisse eine ausreichend hohe Ansteckungswirkung ausgeht, mit der sich diese Erkenntnisse auf eine stets größer werdende Zahl von Personen bzw.

62Vgl.

Brockhoff (2001), S. 733; Müller (2001), S. 214. Krystek und Müller (1999), S. 179. 64Vgl. Hahn und Krystek (1979), S. 80–86; Hahn (1979), S. 29. 65Für weiterführende Informationen zu den Aufbaustufen eines indikatororientierten Frühwarnsystems vgl. Hahn und Krystek (1979), S. 80–88; Staehle und Albach (2013), S. 13–16. 66Vgl. Loew (1999), S. 40. 67Vgl. Ansoff (1976), S. 129–134. 68Vgl. Krystek (2006a), S. 235–236. 69Vgl. Krampe und Müller (1981), S. 391–398. 63Vgl.

3.2  Frühwarnsysteme zur Krisenvermeidung

39

Institutionen überträgt.70 Die Kenntnis über die Ausbreitungswege neuer Ereignisse ist von grundlegender Bedeutung für eine strategische Frühwarnung. Die Diffusionstheorie steht in enger Beziehung zum Konzept der Schwachen Signale. Das Zusammenspiel aus beiden Ansätzen stellt die theoretische Grundlage der strategischen Frühwarnung dar.71 Im Allgemeinen verkörpert die strategische Frühwarnung im Vergleich zur vorgestellten operativen Frühwarnung einen deutlich geringeren Formalisierungsgrad.72 Dennoch sind in der Literatur zwei konzeptionelle Ansätze zur Strukturierung der strategischen Frühwarnsysteme bekannt. Das Strategische Frühwarnsystem nach dem sog. B ­ attelle-Konzept baut auf dem Konzept der Schwachen Signale und den Erkenntnissen der Diffusionstheorie auf.73 Das Konzept strategischer Frühwarnung nach Hammer (1998) beginnt die prozessuale Darstellung mit den Basisaktivitäten Scanning, Monitoring und Dokumentation als Formen der Erfassung von Signalen.74 Anschließend erfolgt deren Analyse und im nächsten Schritt eine Beurteilung der Relevanz analysierter Signale. Die Formulierung von Reaktionsstrategien stellt im Konzept von Hammer (1998) abschließend die Überleitung in die strategische Unternehmensplanung dar.75

70Vgl.

Fiege (2006), S. 134–135. Krystek (2006a), S. 236. 72Vgl. Muchna (2013), S. 514–515. 73Vgl. Battelle-Institut (1980). 74Vgl. Hammer (1998). 75Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 124. 71Vgl.

4

Charakteristiken von Unternehmenssanierung und Unternehmensinsolvenz

4.1 Unternehmenssanierung 4.1.1 Begriffsbestimmung und Abgrenzung Sowohl in der rechtlichen als auch in der betriebswirtschaftlichen Forschung gibt es zahlreiche verschiedene Begriffsbezeichnungen für die unterschiedlichen Szenarien und Handlungsalternativen der Krisenbewältigung. Im betriebswirtschaftlichen Sinne und im allgemeinen Sprachgebrauch werden im Wesentlichen neben dem Begriff der Sanierung auch die Bezeichnungen Restrukturierung und Turnaround verwendet.1 Von ihrer Grundbedeutung und Kernaussage unterscheiden sich die drei Begriffe lediglich geringfügig. Die in der Literatur fehlenden einheitlichen Begriffsdefinitionen sind auf das nicht eindeutig abzugrenzende Bezugsobjekt der Unternehmenskrise zurückzuführen.2 Der Begriff Sanierung stammt von dem lateinischen Wort sanare ab, welches so viel wie heilen bedeutet.3 Im Sanierungshandbuch von Hess (2013) findet sich eine literarisch anerkannte und oft verwendete Definition der Aufgaben der Sanierung, die wie folgt lautet: „Sanierung ist der Sammelbegriff für alle Maßnahmen unternehmenspolitischer, führungstechnischer, organisatorischer, finanz- und leistungswirtschaftlicher Art, die der Wiederherstellung existenzerhaltender und späteren

1Zur

ausführlichen Definition der genannten Begrifflichkeiten vgl. Zirener (2012), S. 30–31. 2Vgl. Thierhoff und Müller (2016), S. 90–92; Pandit (2000), S. 35–40. 3Vgl. Kudla (2005), S. 91; Gless (1996), S. 44. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_4

41

42

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Gewinn versprechender Grundlagen des Unternehmens dienen.“4 Demnach verfolgt eine Sanierung das Ziel, ein notleidendes Unternehmen durch gezielte Optimierungsmaßnahmen wieder vital, liquide und profitabel zu machen. Grundlage dieses Begriffsverständnisses ist somit das Vorliegen einer akuten Krisensituation. In der Forschung finden sich grundsätzlich zwei Sanierungsbegriffe, die sich nach Art und Umfang voneinander abgrenzen lassen: • Sanierung im engeren Sinne: Die enge Definition umfasst finanzwirtschaftliche Maßnahmen, die das Ziel einer unmittelbaren Krisenbewältigung verfolgen. • Sanierung im weiteren Sinne: Das weite Definitionsverständnis basiert auf finanzwirtschaftlichen, strategischen und leistungswirtschaftlichen Maßnahmen.5 Das Anwendungsfeld der Maßnahmen resultiert insbesondere aus dem Grad der Bedrohung des Unternehmens und den zugrunde liegenden Ursachen im Einzelfall. Grundsätzlich reichen lediglich finanzwirtschaftliche Maßnahmen im Sinne des engeren Definitionsverständnisses zur nachhaltigen Gesundung der Gesellschaft nicht aus, da diese oftmals nur die Symptome der Krise bekämpfen. Zur Wiedererlangung der mittel- bis langfristigen Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft ist dementsprechend ein Zusammenwirken sämtlicher Maßnahmengebiete unerlässlich.6 Folglich hat sich in der Literatur das Begriffsverständnis der Sanierung im weiteren Sinne durchgesetzt.7 Der angelsächsische Begriff Turnaround bedeutet Kehrtwende, Richtungsänderung, Umschwung und Wende. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist unter dem Begriff eine drastische und positive Richtungsänderung durch eine rechtzeitige Ursachenidentifikation zu verstehen.8 Dementsprechend findet der Begriff Turnaround nicht nur im Rahmen einer existenzbedrohenden Krise Anwendung, sondern auch bei einer Situationsänderung von bestehenden zu besseren Rahmenbedingungen.9 Demzufolge liegt eine ­ Turnaround-Situation vor, sobald keine Erreichung akzeptierter Mindestniveaus erfolgt.10 Folglich besteht zwar Hand-

4Hess

(2013), S. 66. Böckenförde (1996), S. 7; Buschmann (2006), S. 28. 6Vgl. Gless (1996), S. 44. 7Vgl. Gless (1996), S. 44–45; Vogt (1999), S. 47; Kraft (2001), S. 63; Bergauer (2001), S. 7. 8Vgl. Scherrer (2003), S. 58. 9Vgl. Federowski (2009), S. 63–65; Bruton (1989), S. 12. 10Vgl. Coenenberg (1993), S. 2; Kall (1999), S. 7. 5Vgl.

4.1 Unternehmenssanierung

43

lungsbedarf, jedoch ist der Zeitdruck nicht entsprechend hoch und der Handlungsspielraum im Vergleich zur Sanierung weniger eingeschränkt.11 Ein Restrukturierungsprozess kennzeichnet alle Arten des tiefgreifenden Wandels eines Unternehmens.12 Hierbesi wird eine Anpassung der Strukturen und Abläufe eines Unternehmens beschrieben, die durch ein rechtzeitiges Erkennen sowie Analysieren der ungünstigen Unternehmenssituation vorgenommen wird. Auslöser hierfür sind Veränderungen in der Unternehmensumwelt, die regelmäßig auftreten und einen organisatorischen Wandel zur wirksamen Änderung an die neu vorliegenden Gegebenheiten nach sich ziehen.13 Dementsprechend umfasst der Begriff Restrukturierung keine einmalig zu bearbeitende Angelegenheit, sondern einen kontinuierlichen, als Daueraufgabe des Managements zu verstehenden Prozess. Eine Unternehmenskrise Sanierung

Turnaround

Summe sämtlicher Maßnahmen/ Strategien zur Bewältigung einer akuten Krisensituation.

Drastische sowie positive Richtungsänderung durch rechtzeitige Ursachenidentifikation. Anwendung nicht nur im Rahmen einer akuten Krise.

Unternehmenskrise

Restrukturierung Kontinuierlicher Anpassungsprozess der Unternehmensstruktur an veränderte Marktgegebenheiten, auch in Krisenphasen.

Abb. 4.1   Begriffsabgrenzung Sanierung, Turnaround und Restrukturierung (Vgl. Evertz und Krystek (2010), S. 21–29; Buschmann (2006), S. 8–14; Kraus (2014), S. 67–91; Kraus und Haghani (2004), S. 13–36.)

11Vgl.

Gless (1996), S. 45–46; Sloma (2000), S. 11–12. Finsterer (1999), S. 10–11; Bowman und Singh (1993), S. 5–8. 13Vgl. Hess (2013), S. 319. 12Vgl.

44

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

muss nicht zwingend vorliegen.14 Abbildung 4.1 fasst die Erkenntnisse der Begriffserklärungen zusammen und zeigt eine zum Teil fließende und nicht eindeutig festzulegende Abgrenzung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Abschließend ist festzustellen, dass sich die Sanierung im weiteren Sinne als Begriffsdefinition der Unternehmenssanierung durchgesetzt hat, die sowohl finanzwirtschaftliche als auch strategische sowie leistungswirtschaftliche Maßnahmen umfasst.15

4.1.2 Träger der Unternehmenssanierung 4.1.2.1 Interne Sanierungsträger Um einen Sanierungsprozess erfolgreich zu gestalten, ist das Vorhandensein von geeignetem Führungspersonal von zentraler Bedeutung.16 Dieses muss unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck in der Lage sein, Krisenursachen zu identifizieren und zu bekämpfen. Des Weiteren gilt es, Markt- sowie Finanzpartner zu finden und Unterstützung zu ersuchen. Schließlich müssen bei den Mitarbeitern Motivation entfacht und Abwanderungstendenzen aufgehoben werden. Studien zeigen, dass Sanierungsvorhaben ohne geeignete bzw. ambitionierte Führungspersönlichkeiten oftmals scheitern, da notwendige Kenntnisse und die erforderliche Konsequenz im Handeln nicht vorhanden sind.17 Neben der Erstellung eines schlüssigen Sanierungskonzepts kommt den personellen Ressourcen eine signifikante Bedeutung zu. Als geeignetes Personal kommen diejenigen Personen oder Organisationen in Frage, die für die Planung, Durchsetzung und Kontrolle der Ziele, Strategien und Maßnahmen im Rahmen des Krisenbewältigungsprozesses verantwortlich sind.18 Entsprechend stellt die Auswahl geeigneter Sanierungsträger einen der zentralen Erfolgsfaktoren für den Verlauf einer Unternehmenssanierung dar.19 Grundsätzlich erfolgt eine Unterteilung in interne und externe Sanierungsträger.20 Zu den internen Sanierungsträgern, die im Folgenden näher betrachtet werden, zählen sowohl das Top- als auch das mittlere Management, die Eigen14Vgl.

Spielberger (1996), S. 14. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 140; Hauschildt und Grape (2007), S. 14; Zirener (2012), S. 30–31. 16Vgl. Crone et al. (2017), S. 246. 17Vgl. Biethahn (2012), S. 31–32. 18Vgl. Krystek (1987), S. 97; Gless (1996), S. 162. 19Vgl. Portisch (2014), S. 179–180. 20Vgl. Krystek (2006b), S. 95–96; Klein (2008a), S. 58. 15Vgl.

4.1 Unternehmenssanierung

45

kapitalgeber sowie die Aufsichts- und Kontrollorgane.21 Innerhalb der internen Sanierungsträger wird der Fokus insbesondere auf das bisherige Top- und mittlere Management des Krisenunternehmens gelegt. Dieser Personenkreis zeichnet sich durch besondere Kenntnisse hinsichtlich Unternehmensentwicklung und aktueller Situation sowie langjähriger Kontakte im Unternehmen wie auch zu dessen Partnern aus.22 Zu beachten sind die meist weitreichenden Konsequenzen der Sanierung für das bestehende Management, da dieses häufig eine Mitverantwortung für die Bestandsgefährdung der Gesellschaft trägt.23 Dieser Aspekt gilt insbesondere für die Rechtsform der Kapitalgesellschaft, da es bei dieser eine Trennung zwischen Eigentum und Führung gibt und folglich das ­Top-Management die operative Verantwortung trägt.24 Die Aufgaben, die der Aufsichtsrat im Rahmen des Sanierungsprozesses einer Aktiengesellschaft innehat, sind gem. § 111 AktG die Überwachung der Geschäftsführung, die Erteilung des Prüfauftrags und die Einberufung der Hauptversammlung. Dabei handelt es sich in erster Linie um Aufgaben rechtlicher Natur. Die Verantwortung der Insolvenz sowie der Sanierungsbestrebungen trägt auch bei nicht börsennotierten Gesellschaften das Management.25 Wiedemann und Menk (2013) weisen dennoch darauf hin, dass dem Aufsichtsrat neben dem rechtlichen Kontrollrahmen zunehmend eine beratende und unterstützende Rolle zukommt.26 Entsprechend ist ein umfassender Informationsaustausch zwischen Vorstand und Aufsichtsrat empfehlenswert.27 Hinsichtlich des Managements als internem Sanierungsträger ist zu beachten, dass diesem neben den skizzierten gesetzlich vorgeschriebenen Aufträgen im Sanierungsfall noch zahlreiche weitere Aufgaben zuteilwerden. Beispielsweise ist eine aktualisierte Jahresplanung zu erstellen und ein monatlich anzufertigender Bericht mit den Stakeholdern zu diskutieren. Ebenfalls müssen Planungen von Investitionen und Ausgaben Bestandteil des Liquiditätsplans werden.28 Ob das bestehende Management als interner Sanierungsträger auch für die Gestaltung und

21Vgl.

Krystek und Klein (2008), S. 59–60. Crone et al. (2017), S. 233. 23Vgl. Zirener (2012), S. 86. 24Vgl. Haeseler und Gampe (2002), S. 103–104. 25Vgl. Finsterer (1999), S. 215–216; Biethahn (2012), S. 34. 26Vgl. Wiedemann und Menk (2013), S. 85–86. 27Vgl. Wiedemann und Menk (2013), S. 95–105. 28Vgl. Finsterer (1999), S. 216. 22Vgl.

46

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Abwicklung des Sanierungsprozesses als zentrale Figur geeignet ist, hängt von mehreren Faktoren ab.29 Es sollte überprüft werden, ob das Management über die fachlichen und methodischen Kenntnisse verfügt sowie die notwendige Erfahrung besitzt. Zusätzlich sollte das Management sozial sowie fachlich geeignet sein und somit über eine vertrauensvolle und durch gegenseitigen Respekt geprägte Beziehung zu den eigenen Mitarbeitern sowie Stakeholdern verfügen. Des Weiteren gilt es, zeitlich notwendige Ressourcen sicherzustellen, um neben den sonstigen Aufgaben die Leitung und Verantwortung der Sanierung übernehmen zu können. Die Aufrechterhaltung etablierter Strukturen und die Einbeziehung des Managements als zentralem personellen Bestandteil des Sanierungsprozesses gelten als sinnvoll, da Kontinuität und Vertrauen vermittelt werden. Konträr hierzu ist anzumerken, dass in den meisten Fällen mangelndes spezifisches Sanierungswissen sowie unzureichende Sanierungserfahrung der Top-Manager als gegeben anzunehmen sind. Folglich sind die Besonderheiten, die sich aus einer Bestandsgefährdung ergeben, eine mögliche Bedrohung bzw. Gefährdung der Gesellschaft und des Managements (z. B. Haftungsgefahren in Insolvenznähe). Diese Sichtweisen zeigen, dass eine Entscheidung zugunsten bzw. zulasten des bisherigen Managements individuell und zukunftsorientiert zu treffen ist. Weitere interne Sanierungsträger sind Aufsichts- und Kontrollorgane sowie das mittlere Management. Böcking et al. (2004) weisen in diesem Zusammenhang auf die ökonomische Funktion des Prüfungsausschusses im deutschen Corporate Governance-System hin.30 Die Untersuchung zeigt, dass dem Prüfungsausschuss Funktionen in Form eines Überwachungs-, Beratungs- und Legitimitäts- sowie Rechenschaftsorgans teil werden können.31 Eine Unterstützung durch Aufsichts- und Kontrollorgane sowie mittleren Management ist im Sanierungsprozess für eine Abwendung der Bestandgefährdung zwingend erforderlich. Die Einbindung in den Prozess der Sanierung ist somit dringend zu empfehlen. Jedoch gilt zu beachten, dass diese Gruppen nicht als Treiber der Sanierung in Betracht kommen.32

4.1.2.2 Externe Sanierungsträger In Abhängigkeit der jeweiligen Unternehmenssituation besteht die Möglichkeit der Beteiligung einzelner externer Sanierungsträger. Der Umgang mit

29Vgl. Appelt

(2016), S. 26. Böcking et al. (2004), S. 417–436. 31Vgl. Böcking et al. (2004), S. 421–436. 32Vgl. Crone et al. (2017), S. 234. 30Vgl.

4.1 Unternehmenssanierung

47

einer bestandsgefährdeten Unternehmenssituation erfordert Konzeptions- und Umsetzungsqualitäten. Diesbezüglich sieht insbesondere die leistungswirtschaftliche Sanierung die Auswahl geeigneter externer Sanierungsberater vor.33 Eine Unternehmenskrise stellt für die bestehende Unternehmensführung i. d. R. eine Ausnahmesituation dar, die von dem operativen Geschäft abweicht. Oftmals ist die Bestandsgefährdung zumindest zum Teil auf Managementfehler zurückzuführen. Das bisherige Management besitzt im Umgang mit der Krisensituation meistens keine Erfahrung. Daher stellt explizit die Auswahl eines adäquaten externen Sanierungsträgers eine wichtige Entscheidung für den Sanierungserfolg dar.34 Dies lässt sich u. a. durch die Faktoren Expertenwissen, Verhandlungsgeschick, Objektivität, Ressourcen sowie Neutralität manifestieren.35 Bei Unternehmenskrisen handelt es sich um komplexe Probleme, die situationsbedingtes Expertenwissen und betriebswirtschaftliche Methoden erfordern. Darüber hinaus setzt eine Sanierung im Umgang und der Kommunikation mit beteiligten Stakeholdern Verhandlungsgeschick sowie eine gewisse Objektivität hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen voraus. Durch den Einsatz externer Sanierungsträger bleiben die bestehenden Ressourcen geschont und die Unternehmensleitung sowie Mitarbeiter können sich weiterhin dem operativen Tagesgeschäft widmen. Schlussendlich stellen externe Sanierungsträger weitestgehend unabhängige Experten dar, die gegenüber den Stakeholdern eine gewisse Neutralität ausstrahlen.36 Als externe Sanierungsträger werden Fremdkapitalgeber, externe Berater und Wirtschaftsprüfer im weiteren Verlauf dargestellt. Fremdkapitalgeber können der Rubrik der Sanierungsträger nur indirekt zugeordnet werden, obwohl ihre Verhaltensweisen die Sanierung i.  d.  R. wesentlich prägen.37 Merkmal der Fremdkapitalgeber ist, dass diese durch ihre Gläubigerstellung nicht für auftretende Verluste haften, jedoch einen vollständigen Forderungsausfall im Falle der Insolvenzantragstellung riskieren. Dementsprechend liegt die Motivation von Fremdkapitalgebern darin, ihr investiertes und noch vorhandenes Kapital nachhaltig zu sichern und nicht einzukalkulierende 33Unter

dem Begriff der leistungswirtschaftlichen Sanierung sind sämtliche Maßnahmen zu verstehen, die im Rahmen der Analyse und Reorganisation der Geschäftsstrukturen sowie –prozesse mit der Zielsetzung, die Gesellschaft wieder erfolgreich am Markt zu etablieren, anzupassen sind. Vgl. hierzu weiterführend Portisch (2014), S. 180; Zirener (2012), S. 51–57; Schellberg (2008), S. 187–188. 34Vgl. Lützenrath et al. (2006), S. 34–36; David (2001), S. 241–244. 35Vgl. Portisch (2014), S. 180. 36Vgl. Portisch (2014), S. 180–181. 37Vgl. Kudla (2005), S. 213–214.

48

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Investitionsrisiken zu vermeiden, da diese in Bezug auf den fest vereinbarten Zinssatz nicht eingepreist sind.38 Im Falle einer drohenden Insolvenz liegt oftmals ein zunehmendes Zögern hinsichtlich der Planung langfristiger Investitionen der Fremdkapitalgeber im Vergleich zu Eigenkapitalgebern vor.39 Eine Fortführung der Gesellschaft ist für Fremdkapitalgeber unter Risikogesichtspunkten nur bis zur vollständigen Rückzahlung des festverzinslichen Darlehens von Interesse. Fremdkapitalgeber gehen lediglich ein weiteres Engagement ein, wenn die Erträge durch eine erhöhte Rückzahlungswahrscheinlichkeit höher sind als die Kosten des zusätzlich eingegangenen Risikos.40 Das Engagement von externen Sanierungsberatern stellt eine Möglichkeit dar, die Überbelastung bzw. Überforderung von internen Sanierungsträgern zu reduzieren. Diesbezüglich ist unter Sanierungsberatung eine vertraglich vereinbarte externe Hilfestellung unabhängiger Experten zur Überwindung betriebswirtschaftlicher Probleme zu verstehen.41 Unternehmensberater können als strategische Partner im Zusammenhang mit dem Erhalt und der Wiedererlangung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als externe Sanierungsträger von Nutzen sein. In deren Aufgabenbereich fällt die Unterstützung oder teilweise Umsetzung der Planung und der Steuerung des Sanierungsprozesses.42 Entsprechend wird mit dem Engagement externer Sanierungsberater Fach- und Methodenkompetenz, Erfahrung sowie Zeit erworben. Oftmals erfolgt der Einsatz spezialisierter Berater durch die Empfehlung der Fremdkapitalgeber, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.43 Die Aufgabe der Wirtschaftsprüfer besteht darin, das Sanierungsmanagement und die Eigentümer durch ihr fachliches Know-how in Bezug auf Unternehmenskrisen sowie durch zusätzliche Leistungsressourcen zu unterstützen.44 Wirtschaftsprüfer erhalten den Beratungsauftrag i. d. R. vom Management oder von den Eigentümern der Gesellschaft und vertreten somit deren Interessen. Des Weiteren sind sie gem. der Grundsätze des IDW, auf die im folgenden Kapitel

38Vgl.

Skrzipek (2005), S. 63. Groh (2004), S. 210. 40Vgl. Lange (2005), S. 27–28. 41Vgl. Rüschen (1990), 3. 42Vgl. Krystek (2006b), S. 96; Eisenberg (2018), S. 750–752. 43Vgl. Wöber und Siebenlist (2009), S. 50–53. 44Vgl. Görres (2003), S. 145. 39Vgl.

4.1 Unternehmenssanierung

49

eingegangen wird, zur Objektivität verpflichtet.45 Ein hohes Maß an Objektivität und damit verbundener Prüfungsqualität soll u. a. durch die Berufsaufsicht46 der Wirtschaftsprüfer gewährleistet werden.47 Aufgrund ihres vertrauenswürdigen Standes sind Wirtschaftsprüfer in der Lage, in dem Sanierungsprozess eine Vermittlerrolle zwischen Unternehmen und Gläubigern einzunehmen. Unabhängig von der wirtschaftlichen Unternehmenslage, kann der Abschlussprüfer im Rahmen eines gesetzlichen Prüfungsauftrags das angenommene Mandat gem. § 318 Abs. 6 HGB nur aus wichtigem Grund niederlegen. Die Kündigungsvoraussetzungen eines Prüfungsmandats gelten aufgrund des öffentlichen Interesses an Abschlussprüfungen als restriktiv.48 Der Aspekt der Neutralität und die Akzeptanz der verschiedenen Interessengruppen unterstreichen die entscheidende Mitgestaltung des Sanierungsprozesses durch die Wirtschaftsprüfer.49 Allerdings ist die oftmals vorliegende Fokussierung von Wirtschaftsprüfern auf die externe Rechnungslegung sowie retrospektive Tätigkeiten zu beachten. Diese beinhalten lediglich bedingt strategische und unternehmenskulturelle Aspekte.50 Die Zielsetzungen externer Sanierungsträger sind nicht zwangsläufig deckungsgleich mit denen der Krisenunternehmen. Dies ist u. a. durch die Ausgestaltung ihres Auftragshonorars begründet.51 Dementsprechend kann das Ziel extern engagierter Berater sein, ihr individuelles Zeit-/Einkommens-Verhältnis zu optimieren und somit die Sanierungssituation zu verlängern.52 Um einem solchen Vorgehen seitens des Managements entgegenzuwirken, bedarf es effektiver Überwachungsmechanismen. Die Überwachungsmechanismen werden durch das einzusetzende Sanierungscontrolling entwickelt, implementiert und kontinuierlich an die aktuelle Sanierungssituation angepasst.53 Die nachfolgend dargestellte

45Vgl.

Sowa (2011), S. 99. dem Terminus Berufsaufsicht sind sämtliche Vorschriften zu verbinden, die dazu beitragen, dass Handlungen von Berufsangehörigen einer vorgegebenen Norm entsprechen, Abweichungen von dieser Norm unterlassen und Zuwiderhandlungen sanktioniert werden. Vgl. Böcking und Dutzi (2006), S. 2. 47Vgl. Böcking und Dutzi (2006), S. 1–3. 48Vgl. Heurung und Antonakopoulos (2007), S. 929. 49Vgl. Wöber und Siebenlist (2009), S. 211–212. 50Vgl. Portisch (2014), S. 186–187. 51Vgl. Kranzusch und ­May-Strobl (2002), S. 73. 52Vgl. Hohberger und Damlachi (2019), S. 411–413. 53Vgl. Schmidt-Gothan und Rasche (2008), S. 80. 46Mit

50

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über die vorgestellten Parteien der internen sowie externen Sanierungsträger und fasst deren Funktionen, Interessen und Aufgaben im Sanierungsprozess zusammen: Tab. 4.1   Funktion, Interessen und Aufgaben der Sanierungsträger Interne Sanierungsträger

Externe Sanierungsträger

Fremdmanagement

Eigenkapitalgeber

Beratungsgesellschaften

Fremdkapitalgeber

Funktion

Operativ

Kontrollrecht

Beratend

Kompromissfindung

Interessen

Absicherung der eigenen Position durch zielbewusstes Informations-verhalten

Wert der eigenen Absicherung Anteile erhöhen des eigenen Auftrags durch erfolgreiche Sanierung

Sanierungsbegleitung nur bei Steigerung der Rückzahlungswahrscheinlichkeit

Aufgaben

Planung und Durchführung

Kontrolle und Genehmigung

Unterstützung in Form der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kreditlinien

Unterstützung der Planung und Kontrolle

Vgl. Biethahn (2012), S. 31–41.

4.1.3 Entwicklung und Umsetzung von Sanierungskonzepten im Rahmen des Stufenkonzepts des IDW Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat mit dessen Stellungnahme IDW S 6 Anforderungen an Sanierungskonzepte formuliert, die sich am Markt bewährt haben.54 Mittlerweile gilt der IDW S 6 als allgemein anerkannter Standard für die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit von sich in einer Krise befindenden Unternehmen.55 Die Kernanforderungen, die Unternehmen nach dem IDW S 6 zu erfüllen haben, sind in Abbildung 4.2 zusammengefasst:

54Der

IDW Standard Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) wurde im August 2018 in dem Heft 8/2018 der IDW Life veröffentlicht. 55Vgl. Simon und Brünkmans (2018), S. 348–351; Baur et al. (2015), S. 78–80.

4.1 Unternehmenssanierung

51

Eignung von Informationen

Wirtschaftliche Ausgangslage Krisenstadium und Krisenursachen Auftragsumfang und Gegenstand Maßnahmenprogramm Integrierter Sanierungsplan Leitbild und Unternehmensgrundsätze der sanierten Unternehmung

Abb. 4.2   Kernanforderungen gem. IDW S 6

Umfang und Detaillierungsgrad eines Sanierungskonzepts sind stets von den jeweils zugrunde liegenden Krisenstadien abhängig. IDW S 6 verlangt eine phasenweise Bewältigung der Unternehmenskrise, wobei das jeweilige Krisenstadium den entsprechenden Inhalt des Sanierungskonzepts vorgibt.56 Das Sanierungskonzept gilt nur dann als vollständig, wenn die Problembereiche aller bereits eingetretenen Krisenstadien aufgearbeitet und die entsprechenden Maßnahmen zu deren Behebung identifiziert und dargestellt werden. Sanierung beschreibt in diesem Kontext somit nicht nur die Beseitigung des Insolvenzstatus, sondern zusätzlich den schrittweisen Aufbau der ursprünglich vorliegenden Wettbewerbs- und Renditefähigkeit.57 Der Aufbau des Sanierungskonzepts nach IDW S 6 mit den in der obigen Abbildung dargestellten Inhalten gliedert sich in zwei Stufen.58 Im Hinblick auf die Themenschwerpunktlegung der Dissertationsschrift sind insbesondere die Inhalte der ersten Stufe, die den Ausschluss akuter und drohender Insolvenzgefahren durch Sofortmaßnahmen beinhaltet, für das weitere Vorgehen relevant. In der folgenden Abbildung wird das Stufenkonzept des IDW S 6 im zeitlichen Verlauf der Unternehmenskrise grafisch dargestellt (Abbildung 4.3).

56Vgl.

Baron und Presber (2014), S. 3. Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (2010), S. 1414. 58Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2018), S. 3–19. 57Vgl.

52

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung... Leitbild des sanierten Unternehmens

Vitales Unternehmen

2. Stufe: Erstellung und Umsetzung des Sanierungskonzeptes

Krisenursachen

1. Stufe: Operative Maßnahmen zur Existenzsicherung

Bestandsgefährdetes Unternehmen

Rückschau

Gegenwart

Planung

Zeithorizont

Abb. 4.3   Stufenkonzept des IDW S 6 im zeitlichen Verlauf (Vgl. Anders (2014), S. 64.)

Die erste Stufe des Stufenkonzepts zur Erarbeitung eines Sanierungskonzepts nach IDW S 6 sieht Maßnahmen zur Sicherung der Fortführungsfähigkeit im Sinne einer positiven Fortführungsprognose vor.59 Hierzu sollen insbesondere notwendige operative Sofortmaßnahmen getroffen werden, die eine Bestandsgefährdung des Unternehmens abwenden.60 Dies beinhaltet eine Prüfung der drei vorgestellten Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit, der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung.61 Hinsichtlich der Beurteilung und Sicherstellung der Fortführungsfähigkeit gilt ein Mindestzeitraum, der das laufende und das folgende Jahr umfasst, als angemessen. Bei der Umsetzung operativer Sofortmaßnahmen ist darauf zu achten, dass die getroffenen Maßnahmen zur Abwendung der Bestandsgefährdung der Gesellschaft nicht konträr zu einer späteren strategischen Neuausrichtung stehen.62 Wie bereits erläutert, ist die Abwendung der Insolvenztatbestände Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zwingende Voraussetzung zum Fortbestehen der Gesellschaft. Das Fortbestehen kann gem. Stufe eins des Sanierungskonzepts

59Vgl.

Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2018), S. 4. (2014), S. 65–69. 61Vgl. KPMG (2011), S. 20–21. 62Vgl. Thierhoff und Müller (2016), S. 100–102. 60Vgl. Anders

4.1 Unternehmenssanierung

53

nach IDW S 6 mit operativen Sofortmaßnahmen gewährleistet werden, die sich in leistungs– und finanzwirtschaftliche Maßnahmen gliedern.63 Die leistungswirtschaftlichen Maßnahmen umfassen alle betrieblichen Bereiche und vereinen Aktionen, die die Verbesserung des Erfolgs durch Maßnahmen der Umsatzsteigerung oder Kostensenkung zum Ziel haben.64 Diese Maßnahmen tragen zur Abwendung der Insolvenzantragsgründe bei. Durch die zu treffenden leistungswirtschaftlichen Maßnahmen wird der Zweck verfolgt, eine akzeptable Unternehmensprofitabilität wiederherzustellen.65 Operative Sofortmaßnahmen beziehen sich vor allem auf die Bereiche Beschaffung, Personalwesen, Produktion und Logistik sowie Distribution. Unter finanzwirtschaftlichen Beiträgen werden alle getroffenen Aktivitäten subsummiert, welche die Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung zum Ziel haben.66 Die Praxis der Unternehmenssanierung zeigt i. d. R. eine leichtere Beseitigung des Tatbestandes der Überschuldung im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit. Die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt auf der Basis eines Finanzstatus, der aus dem Rechnungswesen abzuleiten ist und das verfügbare Finanzmittelpotenzial der Gesellschaft sowie die angefallenen Verbindlichkeiten inventarmäßig berücksichtigt.67 Zum Zweck der Abwendung der Überschuldung können Kapitalgeber überzeugt werden, dass ein teilweiser Verzicht, gegebenenfalls mit Besserungsschein68, oder Rangrücktritt keinen wirtschaftlichen Nachteil bedeutet, da die Forderung keine Werthaltigkeit mehr in voller Höhe repräsentiert. Um die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern, ist hingegen zusätzliches Kapital erforderlich. Diesbezüglich ist die Frage zu stellen, ob es lohnenswert ist, neben dem bereits investiertem Geld noch weiteres Kapital aufzubringen.69

63Vgl. Anders

(2014), S. 65. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 154. 65Vgl. Thierhoff und Müller (2016), S. 106; Anders (2014), S. 158. 66Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 158. 67Vgl. BGH, Urteil vom 12.10.2006, IX ZR 228/03, ZIP 2006, S. 2222. 68Ein Besserungsschein zielt darauf ab, die Schulden gegenüber einem bestimmten Gläubiger mit der Bedingung zu erlassen, dass diese bei einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage wieder aufleben. Vgl. hierzu weiterführend: Wolf (2010), S. 23; MüllerWiedenhorn (2006), S. 120–124. 64Vgl.

69Vgl.

Steffan (2009), S. 280.

54

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Zusätzlich zur Sicherung der Fortführungsfähigkeit (Stufe eins) sollte im Sinne der Stufe zwei des Sanierungskonzepts gem. IDW S 6 die nachhaltige Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit und der Renditefähigkeit sichergestellt werden. Häufig gilt ein Planungshorizont von vier bis fünf Jahre als angemessen.70 Die konkreten Inhalte der zweiten Stufe werden an dieser Stelle nicht weiter vertieft, da der Fokus dieser Arbeit auf die operative Existenzsicherung des bestandsgefährdeten Unternehmens gerichtet ist.71 Zusammenfassend ist für einen Sanierungsprozess die strukturierte und zielorientierte Zusammenarbeit der Sanierungsträger von wesentlicher Bedeutung. Die Neufassung des Stufenkonzepts gem. IDW S 6 hat sich als Standard im Hinblick auf Sanierungskonzepte durchgesetzt.72

4.1.4 Erfolgsfaktoren der Unternehmenssanierung Das zentrale Ziel einer Unternehmenssanierung besteht, unabhängig ob es sich um eine Sanierung innerhalb oder außerhalb der Insolvenz handelt, darin, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Organisationseinheit am Markt langfristig wiedererlangt wird. Die Sanierung kann als Konstrukt aller finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen sowie rechtlich-organisatorischen Maßnahmen aufgefasst werden, die das Leistungspotenzial des Unternehmens wieder aufbaut und eine existenzerhaltende Rentabilität herstellt.73 Entsprechend bedarf es eines ganzheitlichen Sanierungsansatzes, der sämtliche in Abbildung 4.4 adressierten Prozesse berücksichtigt und den Handlungsrahmen für die operativen Sanierungsmaßnahmen vorgibt. Konkret umfasst die Sanierung operative Sofortmaßnahmen zur Ergebnis- und Liquiditätsverbesserung, die grundlegende strategische Neuausrichtung des Unternehmens, die grundlegende strukturelle Veränderung und einen umfangreichen Wandel der Unternehmenskultur.74 Die folgende Abbildung zeigt die Komplexität und Vielfältigkeit der Sanierungsaufgaben. 70Vgl.

Hohberger und Damlachi (2019), S. 916–918. weiterführende Informationen zur zweiten Stufe des IDW S 6 vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2018), S. 3–17; Böttcher und Wiebusch (2016), S. 165–180; Portisch (2014), S. 211–225. 72Vgl. Hohberger und Damlachi (2019), S. 907–908; Häger und Hiltner (2018), S. 297– 305. 73Vgl. Tobies (2019), S. 390–391. 74Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 209–210. 71Für

4.1 Unternehmenssanierung

55

Liquidität

Prozess

• Krisenerkennung • Ursachendiagnose • Konzepterstellung

Kulturmanagement Kommunikationskanäle

Finanzwirtschaft

Ertragswirtschaft

Sanierungs -ansatz

Werte, Normen und Einstellungen

Unternehmensstrategie

Systeme

Prozesse Strukturen

• Umsetzungsmanagement • Projektcontrolling • Shareholder und Stakeholder Management

Vision und Leitbild Führung

Abb. 4.4   Komplexität der Sanierungsaufgaben (In Anlehnung an vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 210.)

Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, stellt die Bewältigung von Unternehmenskrisen aufgrund der Heterogenität und Komplexität der individuellen Krisensituationen eine der komplexesten Managementaufgaben dar. Als Erfolgsfaktor für die Bewältigung einer Krise gilt grundlegend die Kenntnis über die strategischen und operativen Krisenursachen sowie eine realitätsgetreue Einschätzung des verbleibenden Handlungsspielraums.75 In diesem Rahmen spielen die im Abschnitt 3.2 dargelegten Mechanismen der Risikofrüherkennung eine entscheidende Rolle. Das frühzeitige Feststellen einer Krisensituation sowie die unverzügliche Einleitung von Sofortmaßnahmen stellen eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren eines nachhaltigen Turnarounds des Unternehmens dar.76 Im Rahmen der Feststellung auffälliger Risiken sollten diese sowohl qualitativ als auch quantitativ abgebildet werden, um weitere Schritte einleiten zu können. Die Insolvenzantragspflicht kann durch die frühzeitige Identifizierung der vorliegenden Krisensituation und die in diesem Zusammenhang zu veranlassenden finanziellen Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit sowie

75Vgl. 76Vgl.

Müller (2010), S. 29–31. Hohberger und Damlachi (2019), S. 128–133.

56

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Abwendung der Überschuldung vermieden werden.77 Des Weiteren kann es von Vorteil sein, einen geeigneten externen Sanierungsberater hinzuzuziehen, der bei der Erstellung eines aussagekräftigen Sanierungskonzepts unterstützend tätig ist und die Sicherstellung der Umsetzung der zu ergreifenden Sofortmaßnahmen mit begleitet. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Vorteile der außergerichtlichen Sanierung im Vergleich zu denen der gerichtlichen Sanierung überwiegen.78 Die Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens wird auch als außergerichtliche oder freie Sanierung bezeichnet, da für eine Sanierung innerhalb eines Verfahrens zwingend die gerichtliche Beteiligung vorgesehen ist.79 Die außergerichtliche Sanierung kommt meistens durch privatautonom geschlossene Vereinbarungen zwischen Gläubigern und/oder Gesellschaftern zustande. Zur Schuldenbeseitigung kommen diesbezüglich beispielsweise Beteiligungen, Rangrücktrittserklärungen, Sanierungsvergleiche, (weitere) Kredite und Umschuldungen in Betracht.80 Ein Erfolgsfaktor der außergerichtlichen Sanierung wird hierbei in dem hohen Maß der Flexibilität bereits deutlich. Die Auswahl der genannten Sanierungsinstrumente sowie die Gestaltung des Sanierungsprozesses können von den Beteiligten i. d. R. frei gewählt werden. Dies führt oftmals dazu, dass ein außergerichtlicher Sanierungsprozess im Vergleich zu einem förmlichen Insolvenzverfahren schneller abgeschlossen werden kann.81 Weiterhin ist anzuführen, dass die Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens frühestens bei Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO eingeleitet werden kann. Für die Durchführung einer außergerichtlichen Sanierung ist das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrunds nicht erforderlich. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass in der Praxis gilt, je früher ein Insolvenzverfahren angestoßen wird, desto größer sind die Chancen einer Sanierung.82 Des Weiteren muss eine außergerichtliche Sanierung mangels Einleitung eines Insolvenzverfahrens nicht öffentlich bekannt gemacht werden. Entsprechend liegen die Vorteile in der frühzeitigen Möglichkeit der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen und der schnellen sowie diskreten

77Vgl.

Weimar und Grote (2013), S. 88–96. Mayr (2017), S. 185–255; vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 265–267. 79Vgl. Vallender und Undritz (2017), Rn. 2; Uhlenbruck (2005), S. 71–76. 80Vgl. Eilers und Aleth (2014), Rn. 50–52; Medla (2008), S. 310–315. 81Vgl. Nerlich und Kreplin (2018), § 9; Maus (2002), S. 1059–1062; Medla (2008), S. 306. 82Vgl. Jaffé (2011), S. 38–45; Buchalik (2000), S. 294–295. 78Vgl.

4.1 Unternehmenssanierung

57

Prozessabwicklung.83 Letztendlich ergeben sich bei der Durchführung einer außergerichtlichen Sanierung Kostenvorteile durch Einsparung von Verfahrenskosten und möglicherweise die Verhinderung der Abwanderung von Fachpersonal, Kundenverlusten oder erschwerten Einkaufsbedingungen.84 Diese Faktoren zeigen durchaus, dass in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Wahl der außergerichtlichen Sanierung angestrebt werden sollte. Der wesentlichste Nachteil der außergerichtlichen Sanierung beruht auf der sog. Akkordstörer-Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1991.85 Diese besagt, dass ein außergerichtlich geschlossener Sanierungsvergleich nur diejenigen Gläubiger bindet, die für diesen gestimmt haben.86 Des Weiteren stellt eine offene Kommunikation einen wichtigen Erfolgsfaktor für die Sanierung dar.87 Durch eine transparente Kommunikation gegenüber den Beschäftigten wird Vertrauen über die aktuelle Situation und zukünftige Strukturen sowie Strategien geschaffen. Dies reduziert einerseits Unsicherheiten und andererseits schränkt es die Abwanderung von Schlüsselpersonen ein und steigert die Motivation des Mitwirkens im Sanierungsprozess.88 Wichtig ist, dass die Kommunikation auf die unterschiedlichen Interessengruppen abgestimmt wird. Eine gruppenspezifische Kommunikation trägt dazu bei, sowohl die internen als auch externen Stakeholder zu überzeugen und eine hohe Glaubwürdigkeit zu erreichen.89 Intern gilt es zwischen den drei Kommunikationsrichtungen der Top-down-, horizontalen- und B ­ ottom-up-Kommunikation zu unterscheiden.90 Mithilfe der ­Top-down-Kommunikation wird das Ziel verfolgt, Widerstände abzubauen und eine Erhöhung der Loyalität zu erreichen. Eine horizontale Kommunikation dient dem Abbau von Bereichsegoismen, individuellen Interessen sowie Informationsbarrieren. Grundlegendes Ziel muss es sein, ein gemeinsames Führungsverständnis zu entwickeln. Die Bottom-up-Kommunikation dient der

83Vgl.

Eidenmüller (1999), S. 331–339; Derksen (2017), S. 43–45. Eidenmüller (2010), S. 649–651. 85Vgl. Ebenroth und Grashoff (1992), S. 865–868; Bitter (2010), S. 147–167. 86Vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1991, IX ZR 178/91, NJW 1992, S. 967. 87Vgl. Achilles (2013), S. 295–300. 88Vgl. Crone et al. (2017), S. 267. 89Vgl. Richter (2007), S. 172–180. 90Vgl. Abbildung 4.5. 84Vgl.

58

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Feedback-Kontrolle der Top-down-Kommunikation.91 Abbildung 4.5 veranschaulicht die Kommunikationsrichtungen in der Sanierung. Top-downKommunikation

Feedback-Kontrolle Ideensammlung

EDV / IT Personalwesen Buchhaltung Materialwirtschaft Beseitigung von Informationsbarrieren

Produktion

F&E

Marketing

Vertrieb

Horizontale Kommunikation

Abbau von Widerständen Schaffung von Vertrauen

Beseitigung von Bereichsegoismen

Bottom-upKommunikation

Abb. 4.5   Kommunikationsrichtungen in der Sanierung (Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 223.)

Die Erfolgsaussichten einer Sanierung hängen maßgeblich von der Umsetzung des finanz- und leistungswirtschaftlichen Maßnahmenkatalogs mit konkreter Festlegung der Verantwortlichkeiten für die zu realisierenden Meilensteine und der Überwachung des Turnaround-Konzepts ab.92 Somit lassen sich die Erfolgsfaktoren der Sanierung wie folgt zusammenfassen: • • • • •

schnelle und kompetente Erstellung des Sanierungskonzepts, Anstreben einer außergerichtlichen Sanierung, teilweiser Wechsel des für die Krise verantwortlichen Top-Managements, Integration von erfahrenen Beratern, Ausschöpfung von Potenzialen und Umsetzungskraft durch Projektgruppenbildung, • Erzeugung von Handlungsdruck und Veränderungswillen, • Anpassung der Unternehmenskultur,

91Vgl. 92Vgl.

Krystek und Moldenhauer (2007), S. 222–223. Portisch (2014), S. 553–556.

4.1 Unternehmenssanierung

59

• motivierende und vertrauensfördernde Kommunikation mit sämtlichen Interessengruppen.93

4.2 Unternehmensinsolvenz 4.2.1 Ziele und Funktionen der Insolvenzordnung Unter den Terminus Insolvenzordnung bzw. -recht fallen sämtliche Rechtsbestimmungen, die in amtlichen, staatlich geordneten Verfahren mit dem Zweck der Abwicklung der Vermögens- und Haftungsverhältnisse beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Schuldners gelten.94 Das materielle Insolvenzrecht ist untrennbar mit dem Insolvenzstrafrecht verknüpft. Das Strafrecht als dienende Funktion fungiert als Mittel, um insolvenzrechtliche Ziele zu unterstützen.95 In § 1 InsO sind die Ziele des Insolvenzverfahrens wie folgt festgelegt: „Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien“96 Entsprechend sind als Hauptziele des Insolvenzverfahrens nach § 1 InsO zum einen die Gewährleistung der gemeinschaftlichen Befriedigung sämtlicher Gläubiger und zum anderen die Ermöglichung der Restschuldbefreiung redlicher Schuldner festzuhalten. Anzumerken ist, dass das letztgenannte Ziel durch die Insolvenzordnung mit Inkrafttreten zum Beginn des Jahres 1999 neu hinzugefügt wurde und in der vorher geltenden Konkursordnung nicht enthalten ist.97 Grundsätzlich umfasst das Insolvenzrecht Vorschriften, die festlegen, bis zu welchem Grad die Teilnahme von Unternehmen und Einzelpersonen am Marktgeschehen seitens des Gesetzgebers und der Wirtschaft akzeptiert werden. Aufgrund dessen stellt das Insolvenzrecht die wichtigsten Bestimmungen jeder

93Vgl. Krystek und Moldenhauer (2007), S. 209–211; Hohberger und Damlachi (2019), S. 1170–1182. 94Vgl. Häsemeyer (2007), S. 5. 95Vgl. Brettner (2013), S. 8. 96§ 1 InsO. 97Vgl. ­BT-Drucks. 12/2443, S. 1

60

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

marktwirtschaftlichen Ordnung dar.98 Zusammenfassend verfolgt die Insolvenzordnung somit auf der einen Seite den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und auf der anderen Seite die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs des Schuldners unter bestimmten Voraussetzungen. Die zum 01.01.1999 mit dem Zweck der Modernisierung des Konkursrechts in Kraft getretene Insolvenzordnung sollte einen rechtlich geregelten Rahmen schaffen, mit dem eine Insolvenz strukturiert zugunsten aller Gläubiger abzuwickeln ist.99 Mit dem seit dem 01.03.2012 geltenden Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – kurz ESUG – soll die Chance der Sanierung im Insolvenzverfahren deutlich verbessert und zudem sowohl Schuldnern als auch Gläubigern bessere Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzverfahrens ermöglicht werden.100 Abschließend können als Ziele der Insolvenzordnung die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger, die Sicherung des Vermögens für die Gläubiger, der Erhalt des Unternehmens, die Restschuldbefreiung und der bestmögliche Einsatz von Ressourcen für die Volkswirtschaft festgehalten werden. Aus diesen beiden Aspekten lassen sich über die Legaldefinition des § 1 InsO hinaus drei Funktionen des Insolvenzverfahrens bestimmen. Zunächst dient es der Befriedigungsfunktion, um beispielsweise eine möglichst vollständige Deckung der ausstehenden Forderungen aller Gläubiger zu gewährleisten. Darüber hinaus beinhaltet das Insolvenzverfahren die Gleichbehandlungsfunktion aller Gläubiger. Letztendlich wird dem Schuldner anhand der Entschuldungs- und der Sanierungsfunktion die Möglichkeit der Sanierung eingeräumt.101 Anzumerken ist jedoch, dass sich sämtliche theoretisch unterworfenen Funktionen des Insolvenzverfahrens in der Praxis lediglich unzulänglich verwirklichen lassen. Insbesondere die Erfüllung der Befriedigungsfunktion lässt sich kaum erreichen, da der Gläubiger im Falle der Zerschlagung des Unternehmens des Schuldners nur einen Bruchteil seiner ursprünglichen Forderungen erhält.102

4.2.2 Insolvenztatbestände Über eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet das jeweilige Insolvenzgericht durch Eröffnungsbeschluss nach § 27 Abs. 1 S. 1–2 InsO. Dabei 98Vgl.

Haarmeyer und Frind (2012), S. 1–2. Schulz et al. (2012), S. 179–190. 100Vgl. ESUG, BGBl. I, S. 2582; Haarmeyer und Frind (2012), S. 2. 101Vgl. Smid (2012), S. 8–10. 102Vgl. Kramer und Peter (2014), S. 16. 99Vgl.

4.2 Unternehmensinsolvenz

61

werden im Wesentlichen folgende Punkte überprüft: Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, Zulässigkeit der Verfahrensart, ordnungsgemäße Antragstellung, Antragsberechtigung/Insolvenzfähigkeit, Vorliegen eines Insolvenzgrundes, zusätzliche Voraussetzungen bei einem Fremdantrag und kostendeckende Masse.103 Im Hinblick auf das verfolgte Ziel dieser Untersuchung wird nachfolgend lediglich der Aspekt Vorliegen eines Insolvenzgrundes näher betrachtet. Bei der Insolvenzantragsstellung bedarf es neben den anderen oben aufgeführten Aspekten eines Insolvenzgrunds gem. § 16 InsO. Im Gesetz sind drei potenzielle Insolvenzgründe aufgeführt, die in der nachfolgenden Abbildung ersichtlich sind (Abbildung 4.6). Insolvenzgrund

Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO)

Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO)

Überschuldung (§ 19 InsO)

Abb. 4.6   Insolvenzgründe

Nach § 17 Abs. 1 InsO stellt die Zahlungsunfähigkeit einen allgemeinen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dar. Gem. § 17 Abs. 2 InsO ist eine Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Entgegen einer Zahlungsunfähigkeit liegt eine bloße Zahlungsstockung vor, wenn innerhalb von drei Wochen 90 % der Verbindlichkeiten eines Schuldners beglichen werden können.104 Das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit verpflichtet zur Stellung eines Insolvenzantrags. Dieser Antrag impliziert eine negative Fortbestehens- und Fortführungsprognose.105 Im Rahmen der Fortbestehensprognose ist ein Insolvenzantrag nach § 19 Abs. 2 InsO zu stellen, sobald das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, außer die Fortführung der Organisation ist überwiegend wahrscheinlich. Entsprechend stellt die Fortbestehensprognose eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose dar, die aufzeigen muss, dass das Unternehmen

103Vgl.

Uhlenbruck und Kuhn (2019); Kramer und Peter (2014), S. 19. BGH, Urteil vom 19.12.2017, II ZR 88/16, BGHZ 217, S. 130 105Vgl. Volkelt (2014), S. 180–181; Heesen und ­Wieser-Linhart (2018), S. 9–12; Arens und Tepper (2013), S. 462. 104Vgl.

62

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

im laufenden und folgenden Geschäftsjahr die fälligen Zahlungsverpflichtungen bedienen kann. Die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose fällt positiv aus, wenn mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit die geplanten Einzahlungen die kalkulierten Auszahlungen decken. Die Fortführungsprognose umfasst nicht allein eine liquiditätsorientierte Betrachtung, sondern auch eine Reinvermögensvorschau. Sie stellt fest, ob eine ausreichende Vermögensmasse zur Schuldendeckung für den Prognosezeitraum vorhanden ist.106 Ist dies der Fall, wird von der Regelvermutung der Unternehmensfortführung nach dem Going-ConcernPrinzip des § 252 Abs. 1 S. 2 HGB ausgegangen. Mit der Insolvenzrechtsreform im Jahr 1999 wurde die Möglichkeit der Beantragung der Insolvenz bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingeführt.107 Ziel dieser Reform ist, die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg einer Unternehmenssanierung durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Antragsstellung zu erhöhen. Somit gibt die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 1 InsO dem vertretungsberechtigten Geschäftsführer das Recht, das Unternehmen unter den Schutz eines Insolvenzverfahrens zu stellen.108 Bei Wahl dieser Variante sind der Ausschluss der Gläubiger und die Beschränkung des Antrags auf Innenlösung zu beachten. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht im Stande ist, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.109 Berücksichtigung finden hierbei die gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegen werden. Die Beweislast für den Insolvenzeröffnungsgrund liegt stets beim Schuldner.110 Die erläuterten Tatbestände Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsfähigkeit werden anhand der folgenden Tabelle nochmals zusammenfassend voneinander abgegrenzt, bevor im Anschluss die Erläuterung des dritten Insolvenzgrunds der Überschuldung erfolgt (Tab. 4.2). Ziel des Insolvenzgrunds der Überschuldung nach § 19 InsO ist die Vermeidung des Hinauszögerns der Insolvenz bis zur Zahlungsunfähigkeit eines nicht überlebensfähigen Unternehmens.111 Der Zustand der Überschuldung ist

106Vgl.

Blöse und Wieland-Blöse (2011), S. 117–122. Wagner und Rux (2013), S. 395–398. 108Vgl. Anders (2014), S. 47. 109Vgl. Döweling, S. 38. 110Vgl. Möser (2006), S. 10–22. 111Vgl. Kramer und Peter (2014), S. 34–38. 107Vgl.

4.2 Unternehmensinsolvenz

63

Tab. 4.2   Abgrenzung Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO)

Prognosezeitraum 3 Wochen

i. d. R. 12–24 Monate

Verbindlichkeiten nur begründete Verbindlichkeiten

sämtliche voraussichtlich zu begleichenden Verbindlichkeiten

Ungewisse ausnahmsweise, wenn ­Verbindlichkeiten Fälligkeitszeitpunkt =  Prognosezeitraum

grundsätzlich, wenn Fälligkeitszeitpunkt = Prognosezeitraum

Vgl. Kramer und Peter (2014), S. 34.

gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners die vorliegenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.112 Für die Vermögensbewertung ist der Fortführungsgedanke des Unternehmens gem. § 19 Abs. 2 InsO maßgeblich, solange die Fortführung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist. Der Unterschied zur bisherigen Variante besteht darin, dass allein das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose genügt, damit keine Überschuldung als Insolvenzgrund vorliegt.113 Dementsprechend können durch diese Regelung rechnerisch überschuldete Gesellschaften der Insolvenzantragspflicht entgehen, sofern eine positive Fortführungsprognose besteht. Hierbei handelt es sich um die Prüfung des zweistufigen Überschuldungsbegriffs: 1. Stufe: Negative Fortbestehensprognose, 2. Stufe: Vermögen des Schuldners deckt Verbindlichkeiten nicht mehr.114 Entsprechend verfolgt die zweistufige Prüfung das Ziel, lebensfähige Gesellschaften, die bilanzielle Verluste vorzuweisen haben, vor der Insolvenz zu bewahren. Bewertungstechnisch maßgeblich sind nicht die handelsbilanziellen Werte, sondern eine Sonderbilanz, die sog. Überschuldungsbilanz. Die Besonderheit der Überschuldungsbilanz ergibt sich aus der Formulierung der Aktiva mit ihren wahren Werten und der Passiva als real bestehende Verbindlichkeiten.115

112Vgl.

Eickes (2014), S. 109–112. Bitter (2008), S. 1097. 114Vgl. IDW S 11. 115Vgl. Kramer und Peter (2014), S. 35. 113Vgl.

64

4  Charakteristiken von Unternehmenssanierung...

Sollte die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlicher als dessen Stilllegung sein, kommt eine Insolvenz nicht in Betracht. Grundvoraussetzung hierfür sind die Komponenten Fortführungsfähigkeit des Unternehmens (objektive Komponente) und Fortführungswille (subjektive Komponente). Die subjektive Komponente kann i. d. R. als gegeben angesehen werden.116 Daher beschränkt sich die Prüfung der Fortführungsprognose zumeist auf die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens. Ist jedoch die erste Stufe der „zweistufigen Überschuldungsprüfung“ erfüllt, d. h. eine negative Fortbestehensprognose liegt vor, sind auf der zweiten Stufe Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen. Im Fall einer negativen Fortbestehensprognose liegt zumindest eine drohende Zahlungsunfähigkeit und somit ein Insolvenzantragsrecht vor. Liegt darüber hinaus ein negatives Reinvermögen vor, muss ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung verpflichtend gestellt werden.117 Zusammenfassend sind in Verbindung mit der rechtlichen Verpflichtung eines Unternehmens zur Insolvenzantragstellung die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu nennen. Eine Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, sobald ein Schuldner nicht mehr über die Möglichkeiten verfügt, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Daraus resultiert die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags, der sowohl eine negative Fortbestehens- als auch Fortführungsprognose enthalten muss. Eine Überschuldung ist anhand einer zweistufigen Prüfungshandlung zu bewerten.

116Vgl. 117Vgl.

Portisch (2014), S. 160–163. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2017), S. 15–21.

5

Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

5.1 Einführung in den Sachverhalt der Eigentümerstruktur bei bestandsgefährdeten Unternehmen Kapitel 2 verdeutlicht für den Wirtschaftsstandort Deutschland, dass sich Familienunternehmen in vielen wichtigen Merkmalen von ­ Nicht-Familienunternehmen unterscheiden. Diese Merkmale sind besonders relevant für den Leistungsvergleich zwischen beiden Gruppen. Im Allgemeinen haben die Familienmitglieder genügend Kontrolle und Macht, um die Geschäfte des Unternehmens in einer Weise zu führen, die ihren Zielen und Überzeugungen entspricht. Während heutzutage ähnliche Konstruktionen in einigen N ­ icht-Familienbetrieben vorhanden sind, gibt es zusätzliche nicht-wirtschaftliche Merkmale, die mit den Besonderheiten der Familie als steuerndem Teil eng verbunden sind. In vielen Fällen können Emotionen von Familienmitgliedern sowie die enge Beziehung zueinander einen Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen haben.1 Darüber hinaus verfolgen Familienunternehmen i. d. R. das Ziel, langfristige Beziehungen zu Lieferanten, Kreditgebern und anderen Geldgebern zu pflegen. Außerdem wollen sie sicherstellen, dass auch die kommenden Generationen den Geschäftsbetrieb übernehmen können.2

1Vgl.

Birley (1986); Kellermanns et al. (2014). Anderson und Reeb (2003); Arrondo-García et al. (2016); Chu (2011); Siakas et al. (2014). 2Vgl.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_5

65

66

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Frage, ob die Ausgestaltung der Eigentümerstruktur einen Einfluss auf die Bewältigung einer Unternehmenskrise hat. Hierdurch sollen Rückschlüsse auf die Erfolgschancen einer Sanierung im Zusammenhang mit der Struktur des Top-Managements gezogen werden. Die Unternehmensführung zeichnet sich durch das Aufgabenspektrum der persönlichen Beratung von Führungskräften sowie die Aufnahme von Lösungsvorschlägen und das Erkennen von Fehlentwicklungen eines Unternehmens aus. Damit trägt die Unternehmensführung zur Erreichung der Unternehmensziele und zur nachhaltigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens bei. Jeder Restrukturierungsprozess hat das Ziel, den mit einer Liquidation einhergehenden wirtschaftlichen Verlust zu begrenzen. Eine den Umständen angepasste Führungsstruktur sowie ein funktionierendes Unternehmenssteuerungssystem dienen der Vermeidung existenzbedrohender Situationen. Die Komponente Eigentümerstruktur wird im Rahmen eines Sanierungskonzepts unter Berücksichtigung von Prävention und Management von Unternehmenskrisen untersucht.3 Insgesamt zielt dieses Kapital darauf ab, zunächst anhand von gesammelten und überprüften Studien festzustellen, ob und inwieweit die Eigentümerstruktur einen entscheidenden Faktor für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg darstellt. Darüber hinaus werden mithilfe der relevanten Studien die wesentlichen theoretischen Konzepte identifiziert und anschließend eine theoretische Fundierung zum vorliegenden Themenkomplex vorgenommen. Um die Anzahl der Studien und die damit verbundene Aussagekraft zu erhöhen, wird keine geografische Eingrenzung der Untersuchungen vorgenommen. Entsprechend erweitert sich der Einbezug auf weltweite Unternehmen. Die zu Beginn dieser Arbeit aufgeworfenen Hauptfragen lassen sich aus den Erklärungen nochmals anführen: 1. Welche Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken beeinflussen das Auftreten einer Unternehmenskrise? 2. Was sind die entscheidenden Determinanten der Eigentümerstruktur? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Eigentümerstruktur (Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen) und der Bewältigung einer Krisensituation?

3Vgl. Anthony

(1981); Bergauer (2001); Biethahn (2012); Kall (1999); Sandfort (1997).

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

67

5.2 Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer systematischen Literaturübersicht 5.2.1 Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl 5.2.1.1 Metaanalyse Die Analyse des aktuellen Forschungsstands zum Thema Eigentümerstruktur in bestandsgefährdeten Unternehmen erfordert den Einsatz einer Methode, die dem Zweck dient, existierende Publikationen auf methodisch abgesicherte sowie systematische Weise zu erfassen. Es gilt, bestehende Erkenntnisse positiver Forschung zum Thema Eigentümerstrukturen bei bestandsgefährdeten Unternehmen durch eine Fokussierung auf die zentralen Merkmale zu präzisieren. Im Allgemeinen verfolgt eine positiv ausgerichtete Wissenschaft das Ziel, empirische Beobachtungen zu erklären.4 Anzumerken ist, dass mit zunehmender Komplexität des untersuchten Phänomens die Schwierigkeit zunimmt, dieses außerhalb der Realität mit wissenschaftlichen Methoden vollumfänglich zu erfassen.5 Als Methoden zur Darstellung des aktuellen Forschungsstands werden im Folgenden die Metaanalyse, das Konzept der stilisierten Fakten und die systematische Literaturübersicht vorgestellt sowie die Eignung der Anwendung des jeweiligen Vorgehens in Bezug auf die abzubildende Thematik diskutiert. Die Metaanalyse als quantitativ-statistische Form der Literaturanalyse hat die Synthese, Integration und Zusammenfassung bestehender Forschungsarbeiten zum Ziel.6 Grundsätzlich gilt, dass im Rahmen der Anwendung der Metaanalyse nur quantitative Studien Verwendung finden und somit theoretische sowie konzeptionelle Studien exkludiert werden.7 Des Weiteren sollte eine Anwendung nur dann vorgenommen werden, wenn die Daten homogen und konsistent sind. Bei heterogenen Ergebnissen bzw. Studien ist die Funktionsweise der Metaanalyse beeinträchtigt und es sollte auf eine qualitative Synthese der Ergebnisse zurückgegriffen werden.8 Daher gilt es, das Vorhandensein von Homogenität bei jeder Metaanalyse statistisch zu untersuchen. Zusätzlich ist anzuführen, dass für die Wahl der Metaanalyse als Form der Literatursynthese eine möglichst

4Vgl.

Blaug (1998). Heine et al. (2005a), S. 121. 6Vgl. Patall und Cooper (2008), S. 536. 7Vgl. Lipsey und Wilson (2001), S. 2. 8Vgl. Tranfield et al. (2003), S. 212. 5Vgl.

68

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

hohe Anzahl an Studien zur Verfügung stehen sollte.9 Als Ziel des Verfahrens der Metaanalyse lässt sich somit festhalten, Ergebnisse mehrerer Primärstudien, die auf die gleichen Fragen abzielen, quantitativ zu einem Gesamtergebnis zusammenzufassen und dadurch eine Erhöhung der Aussagekraft zu erzielen.10 Diese Eigenschaft verdeutlicht den zentralen Vorteil der Methode, der in der größeren Präzision und höheren statistischen Aussagekraft im Vergleich zu den Resultaten der einzelnen Komponentenstudien liegt. Möglicherweise können auf diese Weise Effekte dargestellt werden, die in Einzelstudien keine statistische Signifikanz vorweisen. Dem steht als wesentlicher Nachteil der Anwendung entgegen, dass bei hoher, nicht erklärter Heterogenität, stets von einer Metaanalyse Abstand zu nehmen ist. Statistische Analysen, die lediglich das arithmetische Mittel von Einzelresultaten berechnen oder Daten einzelner Studien betrachten, als stammten diese von einer zusammenhängenden Studie, stellen keine Metaanalysen dar und sind kritisch zu hinterfragen.11 Ebenfalls sollten Metaanalysen von Beobachtungsstudien aufgrund des hohen Potenzials von Verzerrungen vorsichtig interpretiert werden.

5.2.1.2 Stilisierte Fakten Das bislang vergleichsweise wenig genutzte Konzept der stilisierten Fakten (englisch: stylized facts) ist auf Kaldor (1961) zurückzuführen.12 Dieses wurde erstmalig von ihm im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer Forschungsagenda im Rahmen der makroökonomischen Wachstumstheorie vorgestellt.13 Das Konzept der stilisierten Fakten verfügt jedoch über eine methodologische Bedeutung, die über die spezielle Anwendung in der Makroökonomie hinausgeht.14 Laut Kaldor (1961) sollte für jede Erkenntnis wissenschaftlicher Phänomene eine empirische Fundierung mithilfe einer „summary of facts“ erfolgen.15 Auf Grundlage der „summary of facts“ werden gem. Kaldor (1961)

9Vgl.

Nadkarni (2017), S. 32. Gartlehner et al. (2008), S. 130; Egger et al. (1997), S. 1533–1537; Cohn und Becker (2003), S. 243–253. 11Vgl. Gartlehner et al. (2008), S. 130–132. 12Vgl. Kaldor (1961). Neben dem zitierten Werk sind grundlegende Informationen zu der Methode der Stylized Facts folgender Literatur zu entnehmen: Harvey und Jaeger (1993); Clark (1998); Heine et al. (2005a); Jones und Romer (2010). 13Für eine aktuellere, jedoch modifizierte Anwendung des Konzepts vgl. Schwerin (2001). 14Vgl. Heine et al. (2005a), S. 121. 15Vgl. Kaldor (1961), S. 178. 10Vgl.

69

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

Tendenzen ersichtlich, die die Basis für die Hypothesenkonstruktion weiterer Forschungsarbeiten bilden. Der Kern des Konzepts liegt in der Konzentration auf allgemeine Tendenzen unter Aussparung einzelner Details mit dem Ziel der Identifikation gemeinsamer Muster. Die zu vernachlässigenden Informationen können grundsätzlich zwei Kategorien zugeordnet werden. Der erste Bereich umfasst Informationen, die zur Darstellung der allgemeinen Muster unwesentlich sind. Die zweite Kategorie beinhaltet Erkenntnisse, die in einem sehr speziellen Kontext widersprüchlich zu den allgemeinen Mustern sind und daher vernachlässigt werden können. Stilisierte Fakten kennzeichnen die charakteristischen realtheoretischen Merkmale eines Betrachtungsobjekts, die sich aus einer Vielzahl individueller Beobachtungen ableiten lassen.16 Durch die Aggregation breit angesehener Muster unterschiedlicher Beobachtungen stellen Stilisierte Fakten im Idealfall den aktuellen Forschungsstand des zusammengefassten Expertenwissens dar.17 Somit ist der Wissenschaftler im Anschluss in der Lage, Hypothesen zu generieren, die die aufgeworfenen stilisierten Fakten erläutern, ohne von geringfügigen, widersprüchlichen Abweichungen in den empirischen Untersuchungen abgelenkt zu werden.18 Wie bereits erwähnt, zielt das Vorgehen bei der Bestimmung von stilisierten Fakten darauf ab, ausgehend von bestehenden empirischen Beobachtungen allgemeine Muster unter Vernachlässigung unwesentlicher Details zu identifizieren. Die Identifikation allgemeiner Muster in einer Vielzahl von Forschungsarbeiten und das anschließende Filtern von stilisierten Fakten entsprechen einer induktiven Vorgehensweise. Abbildung 5.1 stellt eine denkbare Vorgehensweise bei der Ableitung von stilisierten Fakten systematisch dar. Definition des untersuchten Phänomens

Literaturrecherche

Identifikation der Aussagen

Gruppierung der Aussagen

Ableitung der stilisierten Fakten

Abb. 5.1   Vorgehensweise im Rahmen der Ableitung von stilisierten Fakten

Die dargestellte Vorgehensweise sichert ein möglichst transparentes Vorgehen bei dem Prozess der Bestimmung von stilisierten Fakten, indem jeder

16Vgl.

Kaldor (1961), S. 177–178; Oppenländer (1991), S. 166; Schwerin (2001), S. 88; Heine et al. (2005b), S. 3. 17Vgl. Schwerin (2001), S. 103; Weißenberger und Löhr (2007), S. 339. 18Vgl. Lawson (1989), S. 65–76.

70

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

der Prozessschritte ein Zwischenergebnis liefert und eine konstruktive Diskussion auf den einzelnen Ebenen sicherstellt. Dadurch können die subjektiven Einschätzungen der Autoren reduziert werden.19 Die Methode der stilisierten Fakten sieht als Ausgangspunkt zunächst eine präzise Definition des untersuchten Phänomens vor. Erst im Anschluss beginnt die Suche nach geeigneten empirischen Quellen. Mit der exakten Problemformulierung findet bereits eine erste grobe Festlegung des Abstraktionsniveaus statt. Die Literaturrecherche verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Es gilt, möglichst umfassend existierende Arbeiten zu erfassen und die Literatur zu verwenden, die sich durch ein möglichst hohes Maß an Qualität auszeichnet. Dies liegt darin begründet, dass die Repräsentativität der herzuleitenden stilisierten Fakten mit der Anzahl der einbezogenen und gleichsam hochwertigen Erhebungen steigt. Nachdem die relevanten empirischen Forschungsarbeiten gefunden wurden, gilt es, Aussagen zum untersuchten Phänomen zu identifizieren. Dabei sollten zunächst alle von der jeweiligen Studie aufgestellten und empirisch belegten Erkenntnisse Berücksichtigung finden. Dem Ziel folgend, möglichst transparente und nachvollziehbare stilisierte Fakten zu generieren, werden im nächsten Schritt die einzelnen Aussagen anhand ihrer Inhalte verschiedenen Gruppierungen zugeordnet. Nach erfolgter Gruppierung wird zu jeder gewonnenen Erkenntnis eine entsprechende Folgerung formuliert, die den vom jeweiligen Autor als relevant erachteten Teil möglichst präzise wiedergeben soll. Dieser Vorgang wird als Stilisierung bezeichnet und ist insbesondere bei komplexen sowie unterschiedliche Kontexte ansprechenden Phänomenen notwendig, um ein einheitliches Gesamtbild des untersuchten Phänomens zu erhalten.20 Sobald zu sämtlichen Aussagen dazugehörige Folgerungen formuliert sind, können entsprechende stilisierte Fakten abgeleitet werden. Diese sind letztendlich als übergreifende Muster der gruppierten und verdichteten Implikationen zu verstehen.21 Die Anforderungen, die an die nach dem beschriebenen Vorgehen generierten stilisierten Fakten gestellt werden, sind vielfältig. Von zentraler Bedeutung ist, dass die stilisierten Fakten für die zu Beginn formulierte Forschungsfrage relevant sind (Erklärungsrelevanz). Des Weiteren müssen die stilisierten Fakten unabhängig von speziellen Theorien (Theorieneutralität) aufgestellt werden und mehrfach beobachtbare

19Vgl.

Heine et al. (2005a), S. 127. Weißenberger und Löhr (2007), S. 341. 21Vgl. Heine et al. (2007), S. 585–591. 20Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

71

Sachverhalte (Nichtstrittigkeit der Fakten) abbilden.22 Darüber hinaus sollten die Vollständigkeit der einbezogenen Aussagen sowie die Offenheit gegenüber dem wissenschaftlichen Fortschritt erfüllt sein.23 Oftmals findet eine Klassifizierung der stilisierten Fakten in Abhängigkeit der Häufigkeit der aufgetretenen und sich entsprechenden Implikationen in gut gestützte (A), durchschnittlich gestützte (B) und schwach gestützte (C) stilisierte Fakten statt.24 Ein stilisierter Fakt der Kategorie (A) gilt als relativ sicheres Merkmal des untersuchten Phänomens. Ein stilisierter Fakt der Kategorie (C) kennzeichnet vermutete Tendenzen, die im Rahmen zukünftiger empirischer Arbeiten fokussiert untersucht werden sollten. Sollten diese stilisierten Fakten im Zeitablauf durch weitere Studien gestützt werden, verbessert sich in der Folge ihre Repräsentativität und Qualität.25 Die Ausführungen zu Eigenschaften und Vorgehensweise verdeutlichen, dass sowohl einige Vor- als auch Nachteile in Bezug auf die Anwendung des beschriebenen Konzepts bestehen. Hervorzuheben ist, dass das Verfahren der stilisierten Fakten die Methodentriangulation erlaubt. Oftmals kann eine einzelne Forschungsmethode aufgrund ihres spezifischen ­Stärken-Schwächen-Profils nur eingeschränkt aussagekräftige Ergebnisse generieren. Durch eine Kombination unterschiedlicher Methoden gelingt es, diese zunehmend systematisch zu validieren.26 Stilisierte Fakten begegnen dem Problem ungenauer bzw. unsicherer Messergebnisse und schaffen Wissenschaftlern dadurch einen Rahmen, breite Tendenzen zu modellieren, ohne störende Einzelfälle berücksichtigen zu müssen.27 Das Konzept ergänzt sowohl den realistischen als auch den instrumentalistischen Standpunkt und zeigt Implikationen aus beiden methodologischen Perspektiven.28 Des Weiteren ist hervorzuheben, dass das Konzept der stilisierten Fakten auf die Darstellung ausgewählter Regelmäßigkeiten, die als besonders untersuchungswürdig eingestuft werden, eingeht und nicht lediglich Beschreibungen von Befunden liefert.29 Entsprechend können als Vorteil

22Vgl.

Oppenländer (1991), S. 166. Schwerin (2001), S. 98–113. 24Vgl. Heine et al. (2007), S. 591. 25Vgl. Heine et al. (2007), S. 591; Weißenberger und Löhr (2007), S. 342. 26Vgl. Denzin (1978), S. 291–302; Flick (1992), S. 178–179. 27Vgl. Hirschman (2016), S. 606. 28Vgl. Heine et al. (2005b), S. 3. 29Vgl. Hirschman (2016), S. 608–609. 23Vgl.

72

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

dieses Konzepts die Fähigkeit, über Grenzen akademischer Debatten hinauszugehen, die zielorientierte Lösung empirischer Probleme sowie die Stärkung des Verständnisses sozialer Prozesse festgehalten werden.30 Hirschman (2016) untermauert, dass stilisierte Fakten trotz ihrer Prekarität als fähig angesehen werden, traditionelle sozialwissenschaftliche Theorien zu untermauern.31 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Identifikation robuster Muster für verschiedene Beobachtungen unter Vernachlässigung irrelevanter Details stilisierte Fakten die Brücke zwischen komplexen theoretischen Modellen und empirischen Befunden schlagen.32 Entsprechend erlauben stilisierte Fakten eine Erweiterung des Spektrums theoretischer Optionen.33 Allerdings stehen den genannten Vorteilen des von Kaldor (1961) entwickelten Konzepts der stilisierten Fakten auch zahlreiche Nachteile bzw. Einschränkungen entgegen. Das Konzept ermöglicht dem Wissenschaftler, zwei bedeutsame Schritte des wissenschaftlichen Prozesses unmittelbar zu beeinflussen. Zum einen kann eine Anpassung der stilisierten Fakten an die Ergebnisse des Forschungsmodells vorgenommen werden. Zum anderen verfügt der Wissenschaftler über die Möglichkeit, empirische Widerlegungen seiner Hypothesen als bedeutungslos und somit als nicht relevant im Vergleich zu den von seinen stilisierten Fakten erfassten wesentlichen Erkenntnissen zu klassifizieren.34 Bereits Solow (1988) wies auf die Gefahr eines möglichen Missbrauchs hin.35 Als weiterer Kritikpunkt an dem vorgestellten Konzept gilt, dass Primärstudien stets zahlreichen Einschränkungen und Limitationen unterliegen, die durch deren Aggregation kombiniert auftreten.36 Statistische Überlegungen spielen bei Kaldors Sichtweise keine Rolle. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass das Konzept nicht präzise genug ausgestaltet ist, um zwischen verschiedenen parametrischen Modellen zu unterscheiden.37 Darüber hinaus zählt die Definition, was unter Tendenzen präzise zu verstehen ist, zu den schwierigsten Problemen der stilisierten Fakten. Diese wird allenfalls teilweise empirisch gestützt. Weiterhin

30Vgl.

Hirschman (2016), S. 607. Hirschman (2016), S. 621. 32Vgl. Heine et al. (2005b), S. 3; Loos et al. (2011), S. 108. 33Vgl. Arroyo Abad und Khalifa (2015), S. 149. 34Vgl. Heine et al. (2005a), S. 123. 35Vgl. Solow (1988). 36Vgl. Hirschman (2016), S. 606. 37Vgl. Cont (2001), S. 224. 31Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

73

ist als Kritikpunkt in der Literatur zu finden, dass die Ableitung der stilisierten Fakten zu einem großen Teil auf intuitiven Vorstellungen beruht und somit einer hohen Subjektivität unterliegt.38 Abschließend ist anzufügen, dass die Gefahr besteht, dass möglicherweise stilisierte Fakten als eine illusionäre, vereinfachte Alternative zu rigorosen empirischen Untersuchungen eingesetzt werden, mit der Folge der Behinderung der Integration vorhandenen theoretischen Wissens in die designorientierte Forschung.39

5.2.1.3 Systematische Literaturübersicht Die systematische Literaturübersicht40 (englisch: systematic literature review) identifiziert wichtige wissenschaftliche Beiträge und bietet ein methodisches Verfahren, um eine Gesamtzuverlässigkeit zu erhalten, die aus einer einzelnen Studie allein nicht verfügbar ist. Generell ist die Überprüfung und Beurteilung der Literatur ein wichtiger Bestandteil eines jeden Forschungsprojektes. Ziel der systematischen Literaturrecherche ist es, den Stand der Wissenschaft zu einem Themenkomplex zusammenzustellen und kritisch zu reflektieren. Es gibt die Möglichkeit, kleinere, spezialisierte und unter Umständen wenig betrachtete Studien auszuwählen.41 Von einer entscheidenden Bedeutung ist die genaue Dokumentation über das Vorgehen sowie die Darstellung der Suchstrategie, die zum Ein- oder Ausschluss von Studien führt.42 Es gilt, den aktuellen Forschungsstand systematisch, transparent und reproduzierbar zusammenzufassen.43 Entsprechend unterliegen systematische Übersichtsarbeiten weitestgehend einem standardisierten Vorgehen, das den Zweck verfolgt, die wissenschaftliche Arbeit nachvollziehbar darzulegen und Verzerrungen zu vermeiden. Im Kontrast zu traditionellen Übersichtsarbeiten liefert die systematische Literaturübersicht eine objektive und nachvollziehbare Zusammenfassung der weltweit vorhandenen wissenschaftlichen Literatur. Eine zentrale Rolle nimmt der verbesserte Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis ein.44 Darüber hinaus zeichnet sich die Methode der systematischen Literaturübersicht durch das Aufzeigen der

38Vgl.

Heine et al. (2005b), S. 2–3; Kaldor (1961), 177–181; Putnam (2004); Hirschman (2016), S. 612. 39Vgl. Mendritzki (2014), S. 107–109. 40Als Synonym wird in der Literatur ebenfalls systematische Übersichtsarbeit verwendet. 41Vgl. Drinkmann (1990), S. 20–37. 42Vgl. Saunders et al. (2016), S. 94–97. 43Vgl. Tranfield et al. (2003), S. 207–210. 44Vgl. Mulrow (1994), S. 128.

74

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Stärke der bestehenden wissenschaftlichen Wirksamkeitsbelege und die Identifikation von Forschungslücken aus.45 Neben der Identifizierung von Forschungsfeldern, -lücken und -methoden ermöglicht es die Methode, Anknüpfungspunkte zwischen verschiedenen Forschungsströmungen zu identifizieren. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die kritische Evaluierung einer systematischen Literaturübersicht weitestgehend identisch mit der einer Metaanalyse ist.46 Es gilt zu beachten, dass sich die methodische Qualität publizierter systematischer Übersichtsarbeiten i. d. R. unterscheiden. Der Publikationsbias stellt eine der wesentlichen Limitationen im Rahmen der Anwendung der Methode der systematischen Übersichtsarbeit dar. Des Weiteren kann ein sog. Reader Bias vorliegen. Dieser beschreibt einen Zustand, bei dem trotz der Intention des Beurteilers, objektiv zu bleiben, die Gefahr besteht, dass dieser subjektiv andere Schlüsse aus einer Untersuchung zieht, als dies ein anderer Leser getan hätte.47 Eine strikte Auswertung der Untersuchung nach definierten und einheitlichen Kriterien verringert das Auftreten und die Auswirkungen dieser Verzerrung. Neben den genannten methodischen Einschränkungen liegt eine weitere Erschwernis im Umfang und dem damit verbundenen immensen Leseaufwand für den Anwender.48 Als Methode zur Darstellung des aktuellen Forschungsstands zu dem Thema Einfluss der Eigentümerstruktur in der Unternehmenskrise wird auf die systematische Literaturübersicht zurückgegriffen. Die Methode der Metaanalyse wird aufgrund der Anwendungsvoraussetzung, nur quantitative Studien nutzen zu können, nicht gewählt. Entsprechend soll auf eine qualitative Synthese zurückgegriffen werden, die dennoch eine möglichst systematische, objektive und nachvollziehbare Zusammenfassung der bestehenden wissenschaftlichen Literatur garantiert. Bereits bei den Erläuterungen zu der Methode der stilisierten Fakten wird deutlich, dass diese möglicherweise Forschungsergebnisse auf nicht systematische Weise erzeugt. Empirische Verfälschungen der Untersuchungsergebnisse können als bedeutungslos angesehen werden, da sie gegenüber den breiten Tendenzen, die durch die stilisierten Fakten ausgedrückt werden, zu vernachlässigen sind. Darüber hinaus können stilisierte Fakten an die Ergebnisse des Modells stets angepasst werden. Solow (1988) ging umfangreich auf diese

45Vgl.

Gartlehner et al. (2008), S. 127–130. Scherer et al. (2007), S. 131. 47Vgl. Rothman et al. (2015), S. 238–239. 48Vgl. Torgerson (2003), S. 52–54. 46Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

75

potenziellen Missbrauchsgefahren ein.49 In der vorliegenden Untersuchung wird somit auf die systematische Literaturübersicht als Darlegung des derzeitigen Forschungsstands zurückgegriffen. Anhand dieser sollen Hypothesen generiert und ein theoretisches Modell entwickelt werden. Das im weiteren Verlauf der Untersuchung zu entwickelnde Modell baut auf den Variablen und Konstrukten, die sich aus der systematischen Literaturübersicht ergeben, auf. Im Folgenden werden abschließend die geltenden Voraussetzungen der Methode zusammengefasst: • Transparenz: Die Kriterien für die Aufnahme oder den Ausschluss von Studien müssen zusätzlich zu dem verwendeten Suchterm (Liste der Schlüsselwörter, die in die Suchwerkzeuge der bibliografischen Datenbanken eingegeben werden) und der Logik der Auswahl festgelegt werden. Dies ermöglicht es, die Abfrage zu überprüfen und Ergebnisse zu aktualisieren.50 • Klarheit: Eindeutige und umfangreiche Darstellung des Prozessablaufs.51 • Fokus: Es ist sicherzustellen, dass die Forschungsfrage konsistent mit den ausgewählten Nachweisen verknüpft ist.52 • Geltungsbereich: Die Verwendung der genannten Anwendungsgrundsätze und stets komplexer werdenden Technologien ermöglicht die Erfassung einer Vielzahl von Studien. • Synthese: Die systematische Literaturübersicht muss Erkenntnisse aus einem breiten Spektrum von Forschungsgebieten und genutzten Forschungsmethoden zusammenstellen, vergleichen und verknüpfen. • Überprüfungsprotokoll: Protokollierung zur Sicherstellung und Verbesserung der Qualität der systematischen Literaturübersicht im Zusammenhang mit der Reduzierung der Wahrscheinlichkeit subjektiver Einflüsse bei der Auswahl sowie Analyse von Daten durch den Wissenschaftler. Die genannten Aspekte unterstreichen die Gründe der Wahl der systematischen Literaturübersicht als Methode zur Literatursynthese.

49Vgl.

Solow (1988). Thorpe et al. (2005), S. 258; Denyer und Neely (2004), S. 133. 51Vgl. Tranfield et al. (2003), S. 214–215. 52Vgl. Pittaway et al. (2004), S. 137–139. 50Vgl.

76

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

5.2.2 Durchführung des Auswahlprozesses Für diese Untersuchung wird der von Tranfield et al. (2003) vorgelegte Leitfaden für systematische Literaturrecherchen im Bereich Wirtschaft und Management genutzt.53 Dieser steht im Einklang mit Forderungen nach einer methodisch strengeren Überprüfung der Managementliteratur.54 Insbesondere im Vergleich zu den traditionelleren narrativen Übersichtsarbeiten zielt das Konzept der systematischen Literaturübersicht darauf ab, Verzerrungen durch eine transparentere und reproduzierbarere Synthese der relevanten Forschung zu reduzieren.55 Laut Tranfield et al. (2003) besteht eine systematische Literaturübersicht aus drei wesentlichen Schritten: 1) Planung, 2) Durchführung und 3) Berichterstattung sowie Dissemination. Die erste Phase der systematischen Überprüfung kann ein iterativer Prozess der Definition, Klärung und Verfeinerung sein. Die Ergebnisse der Entscheidungen werden durch ein formales Dokument erfasst. Das Überprüfungsprotokoll kann als ein Plan betrachtet werden, der zur Objektivität beiträgt, indem er die zu ergreifenden Schritte explizit beschreibt.56 Das Protokoll enthält die Informationen über die spezifischen Fragen der Studie: der Gesamtbestand (oder die Stichprobe), die im Mittelpunkt der Studie stehen, die Suchstrategie zur Identifizierung relevanter Studien und die Kriterien für die Aufnahme und den Ausschluss von Studien in die systematische Literaturübersicht.57 Tabelle 5.1 stellt vorab die Ergebnisse des Auswahlprozesses der systematischen Literaturübersicht hinsichtlich der verwendeten Datenbanken, der Ausschlusskriterien sowie der Referenz Analyse dar. Anschließend wird die Erläuterung der Durchführung der systematischen Literaturübersicht schrittweise vorgenommen. 1. Zunächst wurde eine Stichwortsuche in den folgenden drei Datenbanken durchgeführt: EBSCO Business Source Complete, ScienceDirect und JSTOR. 2. Um eine Arbeit als potenziell relevant für den Untersuchungsgegenstand zu klassifizieren, muss sie eine Kombination aus zwei Wortgruppen in dem Titel,

53Vgl.

Tranfield et al. (2003). Thorpe et al. (2005), S. 268–272; Denyer und Tranfield (2009), S. 677–678. 55Vgl. Tranfield et al. (2003), S. 209–211. 56Vgl. Tranfield et al. (2003), S. 214–219. 57Vgl. Brereton et al. (2007), S. 576–577. 54Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

77

Tab. 5.1   Übersicht Datenbank und Referenz Analyse Entfernt aufgrund von Phase/ Unterphase

Stichwort Treffer

Sprache

Irrelevanz oder Qualität

Duplikate

Zugefügte Studien

Datenbank Analyse

281

−10

−218

−14

39

EBSCO

167

ScienceDirect

73

0

JSTOR

41

−3

Referenz Analyse ∑

−7

−133

−53

−32

0

27

−11

9

−3

3 11 50

der Inhaltszusammenfassung oder den Schlüsselwörtern enthalten. Die erste Gruppe von Schlüsselwörtern befasst sich mit der Eigentümerstruktur. Um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, alle relevanten Studien zu identifizieren, ergibt sich folgender englischsprachiger Suchterm: (“owner* structure” OR “family firm*” OR “family company*” OR “family business” OR “family enterprise” OR “family owned firm*” OR “family owned company*” OR “family owned business*” OR “family owned enterprise*” OR “family led firm*” OR “family led company*” OR “family led business*” OR “family led enterprise” OR “family controlled firm*” OR “family controlled company*” OR “family controlled business*” OR “family controlled enterprise*”). Die zweite Stichwortgruppe bezieht sich auf die finanzielle Notlage. Hierzu wird folgender Suchterm verwendet: (“financial distress” OR “financial crisis” OR “company crisis” OR “firm crisis” OR “business crisis” OR “enterprise crisis” OR “corporate crisis” OR “bankruptcy” OR “insolvency”). 3. Eine Begrenzung des Zeitraums erfolgt zunächst nicht, da davon ausgegangen wird, dass es wenige Studien gibt, die die beiden notwendigen Untersuchungsgegenstände behandeln. 4. Alle relevanten Arbeiten, die bis Februar 2018 veröffentlicht wurden, sind der Ausgangsstichprobe hinzugefügt. Dies führt zu 281 potenziell relevanten Studien. 5. Darüber hinaus gibt es keine Einschränkungen für die in der jeweiligen Studie zugrunde gelegten Forschungsmethoden.

78

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Identifizierte Studien anhand von Datenbanksuchabfragen (n = 281)

Duplikate (n = 14)

Potenziell relevante Studien (n = 267)

Ausschluss aufgrund der Sprache (n = 10)

Ausschluss aufgrund von Irrelevanz oder Qualitätsbedenken (n = 218)

Relevante Studien (n = 39)

Identifizierte Studien auf Grundlage der Analyse der Referenzen (n = 11)

Finale Stichprobe (n = 50)

Abb. 5.2   Auswahlprozess der eingeschlossenen Studien

6. In einem ersten Schritt werden alle Arbeiten, die in anderen Sprachen als Englisch veröffentlicht sind, ausgeschlossen (zehn Studien). Anschließend folgt die Überprüfung von Titel, Inhaltszusammenfassung und Volltext der

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

79

verbleibenden 271 Arbeiten auf ihre tatsächliche Relevanz für das Forschungsthema Eigentümerstruktur in Familienunternehmen. Dies führt zum Ausschluss der Mehrzahl der Studien (218) aus der Stichprobe, obwohl die Literaturrecherche sie zunächst als potenziell relevant erachtet. Von den 53 verbleibenden Beiträgen werden 14 entfernt, weil es sich um Duplikate von Untersuchungen handelt, die bereits durch die Suche in einer der anderen Datenbanken identifiziert sind. 7. Im letzten Schritt werden die Quellen der beinhalteten Studien geprüft, um mögliche weitere relevante Untersuchungen zu identifizieren und in die Stichprobe aufzunehmen. Diesbezüglich folgt die Aufnahme elf weiterer Untersuchungen, sodass eine Endstichprobe mit insgesamt 50 relevanten Beiträgen entsteht. Folglich werden die in der finalen Stichprobe enthaltenen Studien auf ihre Ergebnisse bezüglich der Eigentümerstruktur in notleidenden Unternehmen untersucht. Die Darstellung dieser Analyseergebnisse beginnt im folgenden Abschnitt. Eine zusammenfassende Darstellung der vollzogenen Schritte bis zu dem Erhalt der relevanten Forschungsbeiträge ist in Abbildung 5.2 ersichtlich.

5.2.3 Charakteristiken der relevanten Studien Die Charakteristiken der identifizierten Studien werden anhand der Veröffentlichungszeitpunkte, der verwendeten Forschungsansätze und der JELKlassifizierung58 dargestellt. Abbildung 5.3 illustriert den zeitlichen Rahmen der in der Literatursynthese enthaltenen Studien. Deutlich wird, dass lediglich neun Studien 2008 oder früher veröffentlicht wurden. Der Großteil der Studien stammt aus den zurückliegenden Jahren. Dies unterstreicht einmal mehr die Aktualität des untersuchten Forschungsfelds. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiten hat einen empirischen Hintergrund (46 Studien) und der dominierende Forschungsansatz liegt in der Auswertung von Archivdaten (43 Studien). Dies lässt die Vermutung des Ursprungs der Datenerhebung anhand weltweit relevanter Datenbanken oder Unternehmensabschlüssen zu. Weitere Methoden, die der Erhebung der notwendigen Daten zugrunde liegen, sind Umfragen (drei Studien) und Fallstudien (zwei Studien). 58Die

Journal of Economic Literature (JEL) Klassifizierung weist wirtschaftswissenschaftlichen Fachaufsätzen eine dreistellige, a­ lpha-numerische Kennung zu. Für weiterführende Informationen vgl. American Economic Association (2019); Cherrier (2017)

80

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze 12 10

Anzahl Studien

10

9

8 6 4

4 2

6

5 3 2 1

1

2

2

1

3

1

0

Jahre

Abb. 5.3   Zeitlicher Rahmen der eingeschlossenen Studien

Relativer Anteil am Forschungsstand

Abbildung 5.4 zeigt den bibliografischen Ursprung der für den aktuellen Forschungsstand relevanten Studien. Aus Gründen der Visualisierbar35% 30%

30%

25% 20%

17%

15%

10%

10%

6%

5% 0%

G 32: G 34: G 01: L 25: Financing Policy, Mergers, Financial Firm Financial Risk Acquisitions, Crises Performance and Risk Restructuring, Management, Corporate Capital and Governance Ownership Structure, Va lue of Firms, Goodwill JEL-Klassifizierungscodes

Abb. 5.4   Relevante JEL-Klassifizierungscodes

5%

G 33: Bankruptcy, Liquidation

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

81

keit beschränkt sich die Darstellung auf die am häufigsten vorkommenden ­JEL-Klassifizierungscodes. Anhand der Klassifizierungsgebiete wird ersichtlich, dass die Studien den in den Forschungsfragen gelegten Schwerpunkt treffen. Im Folgenden werden die Auswertung der einbezogenen Studien detailliert analysiert und Gruppierungen unter Verwendung einer Inhaltsanalyse gebildet. Die Inhaltsanalyse führte zur Identifikation von fünf Gruppen von Hauptthemen, auf die sich die Arbeiten konzentrieren. 15 Studien befassen sich mit dem als übergeordnet anzusehenden Thema des Vergleichs der Leistungsfähigkeit von Familien- und Nicht-Familienunternehmen in finanziellen Notlagen. Tiefergehend untersuchen 17 Studien Themen rund um die Unternehmensfinanzierung. Weitere neun Beiträge befassen sich mit dem Anlageverhalten und der Dividendenpolitik. Die Mehrheit (21 Studien) untersucht Fragen der Corporate Governance wie strategische Ausrichtung, Führungseigenschaften, Unternehmenskultur, Nachfolge, Sozialkapital und öffentliche Ausschreibungen. In drei weiteren Beiträgen wird untersucht, ob Unternehmen in finanzieller Not Ergebnismanagement betreiben. Aufgrund der Struktur der bereits vorgelegten Studien kann davon ausgegangen werden, dass konstruktive Aussagen über Unterschiede in der Leistungs-, Investitions-, Finanzierungs- und Corporate-Governance-Struktur zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen in finanzieller Notlage getroffen werden können. Die Summe der in den fünf Eingruppierungen enthaltenen Studien übersteigt die in der Stichprobe insgesamt enthaltenen Untersuchungen von 50. Dies liegt darin begründet, dass einige der Untersuchungen mehr als ein Hauptthema adressieren und somit einige Beiträge in mehr als eine Themenkategorie aufgenommen werden.

5.2.4 Themengebiete und Haupterkenntnisse der relevanten Studien 5.2.4.1 Leistungsfähigkeit Mit 15 relevanten Studien ist der allgemeine Vergleich der Leistungsfähigkeit zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen eines der am häufigsten identifizierten Themen der vorliegenden Literaturanalyse. Die Differenzierung der Leistungsfähigkeit der Eigentümerstrukturen stellt zudem die Grundlage für die anschließenden Gruppierungen dar, die die möglichen Gründe der Leistungsunterschiede untersuchen. Die Studien, die keine Leistungsunterschiede sehen, und die Ansätze, die Leistungsunterschiede berücksichtigen, werden in dieser Kategorie zusammengefasst. Dies erlaubt Rückschlüsse auf den Leistungs-

82

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

vergleich der verschiedenen Eigentumsverhältnisse auf Basis der relevanten Literatur. Die Mehrheit (13 Beiträge) der Studien kommt zu der Erkenntnis, dass Familienunternehmen in finanziellen Schwierigkeiten im Allgemeinen besser abschneiden als Nicht-Familienunternehmen. Saleh et al. (2017) und Minichilli et al. (2016) beobachten in der Finanz- und Wirtschaftskrise eine signifikant und nachhaltig bessere Leistung von familiengeführten Unternehmen auf Basis der Kennzahlen Return on Assets (Abk.: ROA, deutschsprachig: Gesamtkapitalrentabilität) und Return on Equity (Abk.: ROE, deutschsprachig: Eigenkapitalrentabilität).59 Grundsätzlich heben Saleh et al. (2017) hervor, dass sich die Eigentumskonzentration in einer Krisenzeit sowohl auf Familien- als auch auf Nicht-Familienunternehmen signifikant positiv auswirkt.60 Nach Saleh et al. (2017) und Essen et al. (2015) sind Familienunternehmen risikoaverse Organisationen.61 Diese These wird unterstützt von Bauweraerts und Colot (2013), Sraer und Thesmar (2007) sowie Wilson et al. (2013), die behaupten, dass Familienunternehmen auf nachhaltige und langfristige Geschäftsbeziehungen setzen.62 Die aus den relevanten Beiträgen gefilterten Erkenntnisse in Bezug auf die Corporate Governance werden in Gruppierung 4 dargelegt. Allerdings benennen einige relevante Studien präzise, dass Aspekte der Corporate Governance, die in der Eigentümerstruktur begründet liegen, unmittelbaren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens in Krisenzeiten besitzen. Auf diese wird sich im Folgenden konzentriert. Die Leistungsfähigkeit in Familienunternehmen, in denen mindestens ein Familienmitglied Mitglied der Geschäftsleitung ist, scheint im Vergleich zur Leitung ohne Familienmitglieder erhöht zu sein.63 Im Gegensatz dazu ist die Korrelation schwach, wenn die Familienmitglieder nicht an der Unternehmensführung oder -kontrolle beteiligt sind. Somit zeigen die Studien, dass die potenziellen Auswirkungen von Eigentum eher zu realisieren sind, wenn Familieneigentum mit aktiver Familienführung und -kontrolle kombiniert wird. Villalonga und Amit (2006) weisen explizit darauf hin, dass Familieneigentum nur dann von Relevanz ist, wenn der Gründer als CEO des

59Vgl.

Saleh et al. (2017); Minichilli et al. (2016). Saleh et al. (2017). 61Vgl. Saleh et al. (2017); Essen et al. (2015). 62Vgl. Bauweraerts und Colot (2013); Sraer und Thesmar (2007); Wilson et al. (2013). 63Vgl. Minichilli et al. (2016); Chu (2011); Villalonga und Amit (2006); Anderson und Reeb (2003); Lee (2006). 60Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

83

Familienunternehmens oder als Chairman mit einem angestellten CEO fungiert.64 Minichilli et al. (2016) stellen fest, dass gemischte Eigentums- und Leitungsverhältnisse (Familien-CEOs mit relativ geringer Eigentumskonzentration) zu einem besseren Umgang mit externen Risikofaktoren führen.65 Der Zusammenhang zwischen Eigentum und Unternehmensleistung ist in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stärker ausgeprägt als in Großunternehmen.66 Wilson et al (2013). betonen, dass die Eigenschaften des Managements wichtig sind, um die geringere Ausfallwahrscheinlichkeit von Familienunternehmen zu erklären.67 Die Managementeigenschaften sind definiert als Größe des Vorstands, Alter, Erfahrung, Geschlecht und Netzwerk der Vorstandsmitglieder. Beispielsweise bestehen Familienunternehmen aus mehr weiblichen Vorstandsmitgliedern als Nicht-Familienunternehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass Geschlechterdiversität eng mit der Reduzierung des Insolvenzrisikos verbunden ist.68 Unternehmen mit einem höheren Maß an Geschlechterdiversität haben eine höhere Stabilität im Vorstand und weniger Fehleranfälligkeit der handelnden Personen. Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen, dass Familienunternehmen eine größere Stabilität des Managements vorweisen und sich durch die Fähigkeit auszeichnen, in finanziellen Schwierigkeiten zusammenzuhalten. Die Familienmitglieder stehen im engen Austausch mit anderen Vorstandsmitgliedern. Diese Sichtweise wird untermauert durch Bauweraerts und Colot (2013), die informelle und formelle Corporate Governance als einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren von Familienunternehmen in der Unternehmenskrise sehen.69 Siakas et al. (2014) bewerten den Einfluss von Emotionen auf unternehmerische Fähigkeiten in der Unternehmensführung von Familienunternehmen als Alleinstellungsmerkmal.70 Darüber hinaus zeichnen sich Familienunternehmen durch eine gewisse Dynamik in Bezug auf unternehmerische Entscheidungen aus und besitzen den Vorteil, in Krisenzeiten von sämtlichen Familienmitgliedern unterstützt zu werden. Die Motivation der Familienmitglieder in Führungspositionen wird ebenfalls höher im Vergleich zu

64Vgl. Villalonga

und Amit (2006). Minichilli et al. (2016). 66Vgl. Chu (2011); Anderson und Reeb (2003). 67Vgl. Wilson et al. (2013). 68Vgl. Wilson et al. (2013). 69Vgl. Bauweraerts und Colot (2013). 70Vgl. Siakas et al. (2014). 65Vgl.

84

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

der von Fremdgeschäftsführern angesehen. Siakas et al. (2014) führen allerdings ebenfalls eine erhöhte Drucksituation für Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen an.71 Dies ist auf die Risikopositionen des Eigentums, die Reputationsgefahr des Familiennamens und das Gefühl einer möglichen Reduzierung des Familiennachlasses zurückzuführen. Führungskräfte von NichtFamilienunternehmen begegnen diesen Risikoaspekten tendenziell nicht. Das Sozialkapital von Familienunternehmen gilt ebenfalls als Merkmal, welches zu einer besseren Leistungsfähigkeit von Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen führen kann. Laut vorliegender Literatur sind Familienunternehmen sowohl in der Vorkrisen- als auch in der Krisenzeit weniger anfällig bezüglich eines Personalabbaus.72 Die bessere Leistung von Familienunternehmen beruht auf einem effizienteren Einsatz von Arbeitskräften. Familienunternehmen nutzen das Kapital in finanzieller Not sparsamer. Sie zahlen niedrigere Löhne, beschäftigen mehr ungelernte, günstige Arbeitskräfte, verwenden weniger Kapital, weisen geringere Fremdkapitalkosten auf und initiieren rentablere notwendige Akquisitionen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Familienunternehmen die Beschäftigungsstabilität bei vorübergehenden Marktschwankungen erhalten, was zu vertrauenswürdigen und motivierten Mitarbeitern führt.73 Den genannten Argumenten entgegenstehend, enthält die Stichprobe zwei Studien, die Nachteile für Familienunternehmen gegenüber Nicht-Familienunternehmen in Unternehmenskrisen sehen.74 Sie stellen fest, ­ dass Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen höhere Investitionskürzungen vornehmen, was mit einer Reduzierung der Leistungsfähigkeit bei finanziellen Schwierigkeiten verbunden ist. In einer Unternehmenskrise verschieben sich Nutzen und Kosten der Familienkontrolle. Der Schutz des Privatvermögens einer Familie wird zum vorrangigen Ziel. Darüber hinaus zielen überlebensorientierte Maßnahmen von Familienunternehmen darauf ab, Steuervorteile für die Familie zu erhalten, die möglicherweise nicht im Interesse von Minderheitsaktionären liegen. Das Vertrauen in Familienunternehmen sinkt und verschlechtert in der Krise tendenziell auch die Rentabilität. Das Hauptargument

71Vgl.

Siakas et al. (2014). Stavrou et al. (2007); Block (2009); Bassanini et al. (2011). 73Vgl. Sraer und Thesmar (2007); Essen et al. (2015); Bauweraerts und Colot (2013); Amann und Jaussaud (2012); Lee (2006); Wilson et al. (2013). 74Vgl. Lins et al. (2013); Epure und Amore (2017). 72Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

85

beider Studien für die schlechtere Leistung von Familienunternehmen in finanzieller Not ist somit die persönliche Abhängigkeit und die Veränderung des Bewusstseins der Familienkontrolle in Form der zunehmenden Aufrechterhaltung von Kontrollrechten für Familien.

5.2.4.2 Finanzierung Die folgende Gruppierung untersucht die Finanzierungsunterschiede in den Eigentumsverhältnissen. Diesem Bereich sind insgesamt 17 Untersuchungen zugeordnet. Der Anteil des Eigenkapitals im Vergleich zum Fremdkapital ist bei Familienunternehmen i. d. R. höher. Anzumerken ist, dass die Studien der Finanzierungsform der Gesellschafterdarlehen weitestgehend keine Beachtung schenken und entsprechend keine Aussage zu deren Klassifizierung getroffen werden kann. Trotzdem lässt sich festhalten, dass von einer geringeren Abhängigkeit von Fremdfinanzierungen bei Familienunternehmen auszugehen ist.75 Insgesamt ist die Kapitalstruktur von Familienunternehmen in Krisenzeiten näher an der Zielstruktur. Die Familienunternehmen verfügen über einen besseren Zugang zum Kreditmarkt und günstigeren Kreditkonditionen bei finanziellen Schwierigkeiten als Nicht-Familienunternehmen. Dies ist auf verschiedene Eigenschaften zurückzuführen. Banken schätzen die Vertrauenswürdigkeit bei der Kreditvergabe an Familienunternehmen. Im Zuge der Finanzmarktkrise wurden die Disagien für Kredite für Unternehmen mit Familiensteuerung tendenziell erhöht. Die Studie von Stacchini und Degasperi (2015) stellt außerdem fest, dass es keine Hinweise auf Kreditgeber-Korruptionseffekte gibt, da die E ­ x-post-Leistung der günstigen Kredite an Familienunternehmen besser ist als an N ­ icht-Familienunternehmen.76 Lagaras und Tsoutsoura (2015) fügen hinzu, dass die Gründerfamilien teilweise einen Mindestanteil an Eigentum oder Stimmrechten beibehalten müssen, um eine günstige Finanzierung sicherzustellen.77 Dies zeigt, dass die Gläubiger die Anwesenheit der Familie schätzen. Innerhalb von Familienunternehmen ist die Reduzierung der Finanzierungskosten am größten, wenn die Führung der Unternehmen in Händen mindestens eines Familienmitglieds liegt. Zahlreiche Untersuchungen haben ebenfalls ergeben, dass sich die Anwesenheit eines Familieneigentümers positiv auf die Reduzierung der Agency Konflikte zwischen

75Vgl.

Chu et al. (2016); Kristanti et al. (2016); Andres (2011). Stacchini und Degasperi (2015). 77Vgl. Lagaras und Tsoutsoura (2015). 76Vgl.

86

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Kreditnehmer und -geber auswirkt.78 Die geringeren Agency Kosten führen zu einer langfristigen Bindung an die Fremdfinanzierung. Entsprechend ziehen die positiven Auswirkungen auf die Führungseigenschaften ebenfalls niedrige Fremdkapitalkosten nach sich. In Krisenzeiten nehmen die Finanzierungsvorteile von Familien- im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen zu.79 Zudem geraten Unternehmen mit zunehmendem Alter sowie Größe seltener in eine bestandsgefährdete Situation.80 Die Studie von Boubakri et al. (2010) weist außerdem darauf hin, dass eine Finanzkrise Investoren auf eine mögliche Verschärfung der Familienkontrolle aufmerksam macht.81 Söding (2011) untersucht Private Equity-Gesellschaften, die auch in Krisenzeiten zur Kapitalbeschaffung genutzt werden können.82 Private Equity-Fonds erweitern das Anlagespektrum von Minderheitsbeteiligungen. Söding (2011) fordert, dass Familienunternehmen teilweise eher mit Private Equity-Fonds, die die Vorteile der Kapitalbeschaffung und der Bereitstellung von Fachwissen, Erfahrung sowie Geschäftskontakten haben, zusammenarbeiten sollten.83 Bei der Finanzierung über Private Equity-Fonds sind Stimmrechte erforderlich, um die zum Zeitpunkt der Investition gemeinsam definierten Wertschöpfungsstrategien umzusetzen. Grundsätzlich gibt es der vorliegenden Literatur entsprechend weniger finanzielle Zwänge und einen besseren Zugang zu den Finanzmärkten für Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen in Unternehmenskrisen.

5.2.4.3 Anlageverhalten und Dividendenpolitik Die dritte identifizierte Gruppierung befasst sich mit dem Investitionsverhalten und der Dividendenpolitik. Ziel ist es, Unterschiede in den untersuchten Eigentümerstrukturen zu finden. Diesem Bereich können insgesamt neun Arbeiten zugeordnet werden. Die identifizierten Studien belegen, dass Familienunternehmen ihre Investitionen in Krisenzeiten deutlich stärker reduzieren als

78Vgl. Santos et al. (2014); Serrasqueiro et al. (2016); D’Aurizio et al. (2015); Bopaiah (1998); Crespí Cladera und Martín Oliver (2015). 79Vgl. Yen et al. (2015). 80Vgl. Serrasqueiro et al. (2016). 81Vgl. Boubakri et al. (2010). 82Vgl. Söding (2011). 83Vgl. Söding (2011).

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

87

­ icht-Familienunternehmen.84 Familienunternehmen akzeptieren finanzielle N Restriktionen durch Investitionsstopps und wollen ihr Privatvermögen bestmöglich schützen. Chu et al. (2016) und Kristanti et al. (2016) erwähnen, dass die CEO-Dualität das Problem der finanziellen Zwänge nicht verschärft, jedoch bei Familienunternehmen zu einer Stagnation der Investitionen führt.85 Die finanziellen Zwänge in Familienunternehmen reduzieren die Investitionsmöglichkeiten und könnten langfristig den Wert des Unternehmens für die Aktionäre verringern. Allgemein lässt sich sagen, dass die Familienunternehmen durch die Vermeidung von Abhängigkeiten in Form von Fremdfinanzierung, wie sie in der vorangegangenen Gruppierung diskutiert werden, bewusst finanzielle Einschränkungen akzeptieren. Attig et al. (2016), Mulyani et al. (2016) und He et al. (2012) erklären, dass Familienunternehmen im Vergleich zu ­Nicht-Familienunternehmen tendenziell eine geringere Dividendenausschüttung verzeichnen.86 Familienunternehmen ändern die Strategie ihrer Dividendenausschüttung stärker als Nicht-Familienunternehmen.

5.2.4.4 Corporate Governance 21 von den 50 als relevant identifizierten Studien thematisieren Unterschiede in der Corporate Governance von Familienunternehmen und ­Nicht-Familienunternehmen. Als Merkmale der Corporate Governance werden die strategische Ausrichtung, die Unternehmenskultur, die Vergütungsformen, die Führungsstruktur, das Sozialkapital und die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens diskutiert. Grundsätzlich zeichnen sich Familienunternehmen durch eine längerfristige und nachhaltigere Unternehmensausrichtung, eine größere Ressourcenakkumulation, eine geringere strategische Risikotoleranz und eine stärkere institutionelle Disziplin aus.87 Das führt nach vorherrschender Literaturmeinung zu einer besseren operativen Leistung und einem damit einhergehenden geringeren Insolvenzrisiko im Vergleich zu N ­ icht-Familienunternehmen.

84Vgl.

Chu et al. (2016); Lins et al. (2013); Zhou et al. (2017); Andres (2011). Chu et al. (2016); Kristanti et al. (2016). 86Vgl. Attig et al. (2016); Mulyani et al. (2016); He et al. (2012). 87Vgl. Gentry et al. (2016); Lohe und Calabrò (2017); Fan et al. (2013); Siakas et al. (2014). 85Vgl.

88

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Unternehmen mit hohen Eigentumsquoten und hoher Offenlegungsqualität sind weniger anfällig für finanzielle Schwierigkeiten. Die Veränderung des Unternehmenswertes in Krisensituationen ist im Wesentlichen auf die Funktionen unterschiedlicher Corporate Governance-Maßnahmen zurückzuführen. Familienunternehmen mit ihren drei Merkmalen Familie, Unternehmen und Eigentum unterscheiden sich deutlich von anderen Unternehmen. Familienunternehmen verbinden Emotionen mit unternehmerischer Kompetenz und haben eine gewisse Dynamik bei den unternehmerischen Entscheidungen. Das obere Management zeichnet sich durch eine höhere Stabilität in Form eines stärkeren Zusammenhangs und geringerer Konfliktherde aus, wenn es zumindest teilweise von Familienmitgliedern besetzt ist. Enge Kommunikationskanäle und informellere Interaktionen mit anderen Vorstandsmitgliedern machen das Krisenmanagement für Familienunternehmen effizienter.88 Allgemein muss sich das Management durch Charakterzüge wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Fairness, Kreativität, Loyalität und Offenheit auszeichnen. Diese sind von entscheidender Bedeutung für eine solide Geschäftspolitik. Darüber hinaus sollten Führungskräfte ihren Maßnahmenkatalog ständig weiterentwickeln. Alter und Größe sind entscheidend für das Überleben von Unternehmen in Krisenzeiten. Insbesondere kleine und junge Familienunternehmen sind von Zinserhöhungen und der Zahl der Unternehmenskrisen betroffen.89 Darüber hinaus zeigen Familienunternehmen tendenziell eine erhöhte Abhängigkeit von Netzwerken und Familienkreisen. Familienunternehmen leiden unter dem Eigentumsrisiko, einem negativen Ruf des Familiennamens und fürchten eine Reduzierung des Familiennachlasses. Nicht familiengebundene Führungskräfte sind diesem Druck nicht ausgesetzt.90 Die Nutzung des einzigartigen Sozialkapitals von Familienunternehmen führt zu einer Stärkung der finanziellen Leistungsfähigkeit in Krisenzeiten. Die Unternehmenskultur von Familienunternehmen tendiert dazu, das Humankapital zu stärken und damit die Stabilität der Mitarbeiter zu erhöhen. Die Mitarbeiterzufriedenheit kann Aufschluss über die weitere Entwicklung des Unternehmens geben. Eine höhere Unternehmensleistung ist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Anreize für die Mitarbeiter und deren Loyalität zu den

88Vgl.

Fan et al. (2013); D’Aurizio et al. (2015); Siakas et al. (2014); Wilson et al. (2013). D’Aurizio et al. (2015). 90Vgl. Siakas et al. (2014). 89Vgl.

5.2  Darstellung des aktuellen Forschungsstands anhand einer …

89

Führungskräften von Familienunternehmen zurückzuführen.91 Auch Familienunternehmen, die ihren Mitarbeitern Beteiligungsmöglichkeiten bieten, haben eine deutlich höhere Eigenkapitalrentabilität. Jaafar und James (2014) stellen fest, dass Familienmitglieder in finanziellen Schwierigkeiten geringere Vergütungen akzeptieren, um den Cashflow des Unternehmens aufrechtzuerhalten.92 Führungskräfte in Nicht-Familienunternehmen sind weniger daran interessiert, eine niedrigere Entlohnung als Teil ihres Vertrages zu akzeptieren. Es lässt sich feststellen, dass die Vergütung von Familienunternehmen in Krisenzeiten stärker sinkt als die von Nicht-Familienunternehmen. Grundsätzlich sind Familienmitglieder wichtige Akteure im Management. Dies kann aufgrund der genannten Aspekte zu einer konservativeren und längerfristigen Unternehmensausrichtung führen. Die Vorteile von Familienunternehmen sind eng mit dem Eigentum verbunden. Wenn ein Familienmitglied als CEO fungiert, ist die Leistung besser als bei einem externen CEO. Die Verbindung zur Unternehmensleistung wird schwach, wenn kein Familienmitglied eine Führungsposition einnimmt. Das Verhältnis zwischen Familieneigentum und Management ist in KMU stärker ausgeprägt als in Großunternehmen. Dementsprechend wird festgestellt, dass die Nähe des CEO zum Unternehmen durch die Beschäftigung von Familienmitgliedern von besonderer Bedeutung ist und dass Familieneigentum somit eine effektive Organisationsstruktur darstellt.93 Die Studie von Wilson et al. (2013) zeigt auch, dass Familienunternehmen mehr weibliche Mitglieder im Top-Management haben.94 Die Vielfalt der Geschlechter geht einher mit einer Verringerung des Insolvenzrisikos. Somit lässt sich den Ergebnissen von Wilson et al. entnehmen, dass ein höheres Maß an Geschlechterdiversität zu einer höheren Stabilität und niedrigerer Fehleranfälligkeit des Vorstandes führt. Der Beitrag von Arrondo-García (2016) gibt Einblicke in die verschiedenen Generationen von Familienunternehmen.95 Familienunternehmen der ersten Generation entwickeln sich in finanzieller Not deutlich schlechter als Familienunternehmen späterer Generationen. Dies ist auf ein stärkeres emotionales Engagement des Managements von Familienunternehmen 91Vgl. Lohe und Calabrò (2017); Jaafar und James (2014); Huang et al. (2015); Fang et al. (2015); Wilson et al. (2013). 92Vgl. Jaafar und James (2014). 93Vgl. Gentry et al. (2016); Salloum et al. (2013); Daily und Near (2000); Minichilli et al. (2016); Anderson und Reeb (2003); Chu (2011); Villalonga und Amit (2006); Wilson et al. (2013). 94Vgl. Wilson et al. (2013). 95Vgl. Arrondo-García et al. (2016).

90

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

späterer Generationen zurückzuführen. Zudem binden Familienunternehmen der ersten Generation deutlich mehr Ressourcen und weisen eine im Vergleich zu Familienunternehmen mehrerer Generationen deutlich erhöhte Verschuldungsquote auf. Konstantaras und Siriopoulos (2011) betrachten das Phänomen, dass Unternehmen mit einer hohen Anfangsprofitabilität und einer geringen Verschuldung in den Anfangsjahren des Unternehmens einer erhöhten Wahrscheinlichkeit unterliegen, in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.96 Als Grund hierfür werden die Selbstüberschätzung des Managements und die drastisch steigenden Anforderungen der Stakeholder genannt. Dieses Phänomen tritt vor allem in Familienunternehmen auf.97

5.2.4.5 Rechnungslegung und Bilanzpolitik Das abschließende Themenfeld umfasst lediglich drei Beiträge, sollte aber wegen der zunehmenden Komplexität und Hebelwirkung der Rechnungslegung auf die Unternehmensleistung berücksichtigt werden. Oftmals beeinflussen Geschäftsführer die Unternehmensgewinne insbesondere in finanzieller Not, um die Erwartungen der Analysten zu erfüllen.98 Im Zusammenhang mit der Eigentümerstruktur zeigt sich, dass N ­ icht-Familienunternehmen deutlich öfter Bilanzpolitik99 betreiben als Familienunternehmen. Familienunternehmen zeichnen sich durch eine bessere und periodengerechtere Gewinnermittlung aus. Allerdings nutzen ebenfalls Familienunternehmen das Ertragsmanagement des Unternehmens in Krisenzeiten mit dem Ziel, ihren Ruf zu wahren und ihr sozio-emotionales Kapital zu erhalten. Aufgrund der oftmals fehlenden Kontrolle von Familienunternehmen durch Beiräte besteht für Minderheitsinvestoren von Familienunternehmen ein erhöhtes Risiko der Enteignung. Scobie (2017) weist zudem darauf hin, dass Buchhalter durch enge Verbindungen zu Unternehmen – dies ist insbesondere bei Familienunternehmen vermehrt der Fall – Gefahr laufen, Teil

96Vgl.

Konstantaras und Siriopoulos (2011). Konstantaras und Siriopoulos (2011). 98Vgl. Cruz et al. (2015); Lisboa (2016). 99Bilanzpolitik (englisch: Earnings Management) umfasst sämtliche Maßnahmen der Bilanzierung, die zur bewussten Gestaltung des Jahresabschlusses, mit dem Ziel die Bilanzadressaten im Sinne des bilanzierenden Unternehmens zu beeinflussen, getroffen wurden. Für weiterführende Informationen vgl. Baetge et al. (2004); Küting und Weber (2009); Jones (1991); Dechow et al. (1995); Healy und Wahlen (1999). 97Vgl.

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

91

von Streitigkeiten zwischen Familienangehörigen zu werden. Diese Gefahr ist besonders in Unternehmenskrisen gegeben.100

5.3 Theoretische Fundierung unternehmensund entscheidungsträgercharakteristischer Einflussnahmen in Krisenzeiten 5.3.1 Ableitung der Erklärungsansätze Auf der Grundlage der im vorherigen Abschnitt identifizierten Studien wird im Folgenden auf die relevanten theoretischen Erklärungsansätze eingegangen. Diesbezüglich gilt es zunächst darzustellen, welche Theorien in der Forschung zu dem vorliegenden Themenkomplex von Bedeutung sind. Anschließend werden die zentralen Theorien zunächst kurz erläutert und für die vorliegende Untersuchung angewendet. Tabelle 5.2 zeigt eine Übersicht über die in der systematischen Literaturübersicht verwendeten Theorien. Die Zielsetzung besteht darin, die bisher gewonnenen Erkenntnisse theoriegeleitet zu vertiefen, um eine möglichst umfangreiche Grundlage für die sich anschließende qualitative sowie quantitative Studie zu gewährleisten. Die Tabelle gibt an, wie oft die jeweilige Theorie in den im Rahmen der systematischen Literaturübersicht identifizierten Gruppierungen Anwendung findet. Ersichtlich ist, dass die Prinzipal-Agenten-Theorie den dominierenden theoretischen Rahmen für sämtliche Themenbereiche darstellt. Die Prinzipal-Agenten-Theorie wird von jeweils 13 Studien in den Bereichen ­ Finanzierung und Corporate Governance, zwölf Studien im Bereich Leistungsfähigkeit sowie sieben Studien im Bereich Investition verwendet. Des Weiteren sind die Stewardship-Theorie mit vier Untersuchungen in der Gruppierung Leistungsfähigkeit, der SEW-Ansatz mit vier Studien in der Gruppierung Corporate Governance, die Pecking-Order-Theorie mit sieben sowie die Tradeoff-Theorie mit vier Untersuchungen in der Gruppierung Finanzierung zu berücksichtigen. Aufgrund dessen wird im Folgenden zunächst die PrinzipalAgenten-Theorie als zentraler theoretischer Ansatz erläutert, bevor auf die weiteren Erklärungsansätze eingegangen wird.

100Vgl.

Scobie (2017).

92

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Tab. 5.2   Theorien der eingeschlossenen Studien Gruppierung Theorie

Leistungsfähigkeit

Finanzierung Investition Corporate Governance

Behavioral theory of the firm

1

Catering

1

Credit rationing

1

1

Fault line

1

Financial growth cycle Free cash flow

1 1

2

Institutional

2

Interest groups theory

1

Life-cycle

1

Managerial hegemony

1

Motivation theory

1

Organizational resilience 1 theory Pecking-order Prinzipal-Agenten

12

Property rights Prospect

7

2

1

13

7

13

1 1

2

Resource dependence

1

1

SEW

2

4

Signaling

1

Stakeholder Stewardship

4

Theory of institutional substitution

1

Trade-off Trait Transaction costs

1

2

4

1 1

1

1

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

93

5.3.2 Prinzipal-Agenten-Theorie als zentraler Erklärungsansatz Die Prinzipal-Agenten-Theorie101 als dominierendes theoretisches Konstrukt dieser Untersuchung ist bereits seit Mitte der Siebzigerjahre fester Bestandteil der Institutionenökonomie.102 Jensen (1983) differenziert zwischen einem normativen und einem positiven Forschungszweig der Prinzipal-Agenten-Theorie.103 Die Studien der normativen Prinzipal-Agenten-Theorie beschäftigen sich weitestgehend mit der Gestaltung von pareto-effizienten Vertragsstrukturen.104 Die Ansätze zur positiven ­Prinzipal-Agenten-Theorie liefern Erklärungsansätze über die Gründe der Existenz bestimmter Auftragsbeziehungen in der Praxis.105 Grundsätzlich gibt es ein breites Spektrum an wirtschaftswissenschaftlichen Definitionen für Prinzipal-Agenten-Beziehungen.106 Eine der am weitesten ausgelegten Definitionen stammt von Pratt und Zeckhauser (1985): „Whenever one individual depends on the action of another, an agency relationship arises.“107 Somit sieht die zugrunde liegende Situation der Prinzipal-Agenten-Theorie vor, dass ein Individuum (Prinzipal) ein anderes Individuum (Agent) ermächtigt, Aufträge für den Prinzipal durchzuführen. Von zentraler Bedeutung ist, dass beide Vertragspartner von den getroffenen Entscheidungen des Agenten abhängig sind.108 Die Theorie erklärt, wie ein Prinzipal seine Ziele erreichen kann, obwohl diesem das notwendige Wissen, Fähigkeiten oder sonstige Ressourcen hierzu fehlen. Zur Zielerreichung muss der Prinzipal einen Agenten engagieren, von

101Zur Prinzipal-Agenten-Theorie vgl. grundlegend die Arbeiten von Ross (1973, 1974), Eisenhardt (1989a); Hill und Jones (1992); Shapiro (2005). 102Vgl. Ross (1973), S. 134. 103Vgl. Jensen (1983), S. 334–336. 104Für Studien zur normativen Prinzipal-Agenten-Theorie vgl. Anderson (1985); Harris und Raviv (1979); Eisenhardt (1985); Eccles Jr (1991); Eisenhardt (1988); Conlon und Parks (1990); Stiglitz (1990); Dixit et al. (1997). 105Für Studien zur positiven P ­rinzipal-Agenten-Theorie vgl. Amihud und Lev (1981); Walkling und Long (1984); Wolfson (1985); Barney und Ouchi (1986); Agrawal und Mandelker (1987); Kosnik (1987); Singh und Harianto (1989). 106Vgl. Meinhövel (2004), S. 470. 107Pratt und Zeckhauser (1985), S. 2. 108Vgl. Petersen (1989), S. 26.

94

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

dem er ausgeht, dass dieser über die notwendigen Fähigkeiten verfügt.109 Entsprechend liegt eine vertragliche Beziehung zwischen zwei Individuen zugrunde, die einen Entlohnungsanspruch und die Verpflichtung zur Erfüllung eines Auftrags für den Beauftragten vorsieht. Die Annahme der Theorie ist, dass alle Akteure rationalem Handeln unterliegen und in erster Instanz ihre eigenen Präferenzen versuchen zu maximieren.110 Grundlegend wird von einem Misstrauen des Prinzipals gegenüber dem Agenten ausgegangen. Entsprechend besteht das grundlegende Ziel in der Untersuchung von Optimalitätsbedingungen für Entlohnungsverträge, mit denen Agenten mit eigener Zielvorstellung, Risikoaffinität und Informationsvorsprüngen zu einem Verhalten motiviert werden, das im Interesse des Prinzipals liegt.111 Dabei liegt jeder P ­rinzipal-Agenten-Zusammenkunft eine spezifische Art asymmetrischer Information zugrunde, die das Verhältnis klassifiziert. Dabei kann es sich um hidden characteristics (verborgene Eigenschaften), hidden information (verborgene Informationen), hidden action (unbeobachtbares Verhalten) und hidden intention (verborgene Absichten) handeln.112 Zusammenfassend stellt die P ­ rinzipal-Agenten-Theorie eine der bekanntesten ökonomischen Theorien dar, die sich insbesondere mit der Gestaltung optimaler Anreize in Vertragsbeziehungen auseinandersetzt.113 Im Folgenden wird die Prinzipal-Agenten-Theorie als theoretische Fundierung für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Management und Kapitalgeber verwendet.114 Wie bereits angemerkt, setzt sich die Theorie mit der vertraglichen Gestaltung und Beherrschung von Auftraggeber-(Prinzipal-) und Auftragnehmer-(Agent-)Beziehungen durch eine effiziente Einbindung von ­ Steuerungs-, Anreiz- und Kontrollmechanismen detailliert auseinander.115 Jensen und Meckling (2009) liefern eine vergleichsweise enge und prägnante Definition: „An agency relationship can be defined as a contract, under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent), to perform some service on their behalf which involves delegating some decision making authority

109Vgl.

Gilardi und Braun (2002), S. 147. Gilardi und Braun (2002), S. 149. 111Vgl. Breid (1995), S. 823. 112Vgl. Gruszka (2013), S. 14. 113Vgl. Laffont und Martimort (2009), S. 17–37; Ballwieser (2012), S. 5–7. 114Vgl. hierzu und im Folgenden Alparslan (2006). 115Vgl. Rüdiger (1998), S. 31. 110Vgl.

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

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to the agent.“116 In dieser Definition sind mehrere entscheidende Begrifflichkeiten zu finden, z. B. für die Termini Vertrag („contract“), Abhängigkeitsverhältnis („perform some service on their behalf“), Auftragshandeln („engage another person“) und Delegation von Entscheidungsrechten („delegating some decision making authority“), die im Folgenden näher erläutert werden.117 Der Prinzipal (hier z. B. der Eigenkapitalgeber) engagiert einen oder mehrere Agenten (z. B. Geschäftsführer als Vertreter für die Eigenkapitalgeber) und weist ihm/ihnen die Ausübung von Aufgaben und die Wahrnehmung von Interessen zu.118 Dieses Vorgehen impliziert die Überlassung von Entscheidungsautorität, da von dem Agenten Entscheidungen zu fällen sind, die auch den Prinzipal betreffen.119 Aus dem Vertrag, der das zentrale Merkmal der Theorie darstellt, ergeben sich für den Prinzipal und den Agenten die Pflicht zur Leistung und Gegenleistung.120 Die gerichtlich durchsetzbaren Sanktionen sind so hoch, dass keiner der beiden Akteure einen Vertragsbruch in Erwägung zieht.121 Zwischen zwei jeweils opportunistisch handelnden Parteien liegt aufgrund des diskretionären Handlungsspielraums der Agenten eine Beziehung mit der Grundlage der Erfüllung des Auftrags des Prinzipals vor. Der Prinzipal kann den beauftragten Agenten lediglich bedingt einschätzen und seine Leistung ebenfalls nur bedingt beobachten. Informationsasymmetrien und daraus resultierende Unsicherheiten sowie Risikoaversionen, Interessengegensätze und Zieldivergenzen prägen die Austauschbeziehungen.122 In diesem Zusammenhang haben Jensen und Meckling (1976) den Begriff agency costs (Agenturkosten) eingeführt.123 Agenturkosten sind auf das opportunistische Verhalten des Agenten zurückzuführen und bilden die Unternehmenswertminderung ab. Bei Übertragung des Modells auf die vorliegende Problemstellung ergeben sich hinsichtlich der internen Sanierungsträger die Vertreter des Managements als Agenten, die im täglichen Geschäftsablauf involviert und somit besser informiert

116Jensen

und Meckling (2009). (2006), S. 11. 118Vgl. Hartmann-Wendels (1992), S. 72. 119Vgl. Picot (1991), S. 150. 120Vgl. Alparslan (2006), S. 13. 121Vgl. Jost (2001), S. 41. 122Vgl. Eisenhardt (1989a), S. 58–59; Morris (1987), S. 48–52. 123Vgl. Jensen und Meckling (1976), S. 308–310. 117Vgl. Alparslan

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5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

sind als die Eigenkapitalgeber – die Prinzipale.124 Im Fokus sind hierbei insbesondere strategische Krisen. Ihre Auswirkungen sind möglicherweise noch nicht über die Auswertungen des externen und internen Rechnungswesens zur Kontrolle für den Prinzipal erkennbar. Aufgrund der schlechteren Kontrollierbarkeit strategischer Krisen aus Sicht der Kapitalgeber kann die vorhandene Informationsasymmetrie durch das Management zulasten der Kapitalgeber genutzt werden. Dies kann sich beispielsweise durch Signale zeigen, die für eine Bestandsgefährdung der Gesellschaft sprechen, vom Management jedoch vergleichsweise lange ignoriert bzw. verschwiegen werden. Dementsprechend kann es dazu kommen, dass die Eigentümer keine Kenntnis von einer strategischen Krise erlangen und diese erst wahrnehmen, wenn sich die Gesellschaft bereits in einer Erfolgs- oder Liquiditätskrise befindet.125 Darüber hinaus kann ebenfalls der Aufsichtsrat im Rahmen bestimmter Sachverhalte ein Governance-Instrument der P ­ rinzipal-Agenten-Theorie darstellen.126 Dutzi (2005) hebt den Mehrwert eines Aufsichtsratsgremiums im Kontext der Prinzipal-Agenten-Theorie insbesondere in Fällen einer erhöhten Gefahr von opportunistischen Verhalten des Managements, einer breit gestreuten Anteilseignerstruktur und/oder einer Beschränkung von alternativen ­Governance-Instrumenten hervor.127

5.3.3 Weitere relevante Erklärungsansätze Nachdem der für die vorliegende Untersuchung zentrale theoretische Erklärungsansatz dargelegt wurde, folgen kurze Erläuterungen zu weiteren für das Forschungsfeld relevanten Theorien. Die Auswahl der folgenden Theorien basiert auf dem in Tabelle 5.2 dargelegten Vorkommen in den Forschungsstudien. Entsprechend wird zunächst auf die Stewardship-Theorie eingegangen, bevor der SEW-Ansatz beschrieben wird. Anschließend erfolgt eine Darstellung der jeweils auf die Kapitalstruktur eines Unternehmens ausgerichteten Pecking-order- und Trade-off-Theorie.

124Vgl.

Klein (2008a), S. 28–29. Biethahn (2012), S. 33. 126Vgl. hierzu stellvertretend die Untersuchungen von Jaschke (1989); Münchow (1995); Auge-Dickhut (1999); Ruhwedel (2002); Dutzi (2005). 127Vgl. Dutzi (2005), S. 145. 125Vgl.

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

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Die Stewardship-Theorie128 wurde in den 1990er Jahren entwickelt und hat ihren Ursprung in den Sozialwissenschaften und der Psychologie.129 Donaldson und Davis (1991) gelten als Begründer der Theorie.130 Die Theorie fungiert als Gegenreaktion auf das in der P ­rinzipal-Agenten-Theorie negativ behaftete Bild des Managers (Agenten) und vernachlässigt das Konstrukt des homo oeconomicus.131 Die Stewardship-Theorie basiert auf der Annahme, dass sämtliche Organisationsteilnehmer intrinsisch motiviert sind, ihre Tätigkeit auch ohne externe Anreize in einer für die Organisation positiven Weise durchzuführen.132 Die Inhalte der zu erfüllenden Aufgaben stiften einen unmittelbaren Nutzen, sodass der Agent auch ohne weitere Anreize zufrieden ist, wenn die Ziele des Prinzipals erreicht werden. Im Gegensatz zur PrinzipalAgenten-Theorie geht somit die Stewardship-Theorie von der Annahme aus, dass die höhere Motivation eines Agenten durch die Erreichung der anvisierten Organisationsziele, Reputationsgesichtspunkten und der Anerkennung durch die Mitarbeiter anstatt durch die Verfolgung von persönlichen Bedürfnissen bzw. Eigeninteressen erlangt wird. Entsprechend stellt die Fokussierung auf berufsethische Verhaltensweisen ein zentrales Merkmal der Theorie dar. Das Handeln der Organisationsverwaltung ist durch eine langfristige Sichtweise geprägt.133 Im Einklang mit der Stewardship-Theorie resultiert aus einem offenen, auf Vertrauen bzw. Identifikation ausgelegtem Unternehmensumfeld eine höhere Unternehmensleistung, da die Motivation der Mitarbeiter angesprochen wird und diese tendenziell eher Verantwortung übernehmen dürfen.134 Entsprechend ist bei Gültigkeit der Stewardship-Theorie kein gesondertes internes Überwachsungsgremium erforderlich.135 Durch die Involvierung in Entscheidungsprozessen, arbeiten Individuen vorteilhafter für die gesamte Organisation. Ein internes Überwachungsgremium kann unter Umständen den Handlungsspielraum der Geschäftsleitung einschränken, zu Motivationseinbußen führen und mit einer 128Zur Stewardship-Theorie vgl. grundlegend die Arbeiten von Donaldson und Davis (1991), S. 49–62; Donaldson (1990), S. 369–379; Davis et al. (1997), S. 20–43; Muth und Donaldson (1998), S. 5–26. 129Vgl. Davis et al. (1997), S. 24. 130Vgl. Donaldson und Davis (1991). 131Vgl. Velte (2010), S. 285; Berle und Means (1932), S. 3; Grundei (2008), S. 141–166; Mikus (1998), S. 451–458; Nippa (2002), S. 15–16. 132Vgl. Dutzi (2005), S. 152. 133Vgl. Velte (2010), S. 286. 134Vgl. Davis et al. (1997), S. 20. 135Vgl. Dutzi (2005), S. 153.

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5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Ressourcenverschwendung einhergehen.136 Davis (1997) sieht Vorteile in der Besetzung des Managements eines Familienunternehmens mit einem Familienangehörigen, da diese motivierter sind, die Organisationsziele zu erreichen und den Unternehmenswert zu steigern.137 Folgende Tabelle stellt die Grundlagen der Prinzipal-Agenten-Theorie sowie der Stewardship-Theorie zusammenfassend dar (Tabelle 5.3). Tab. 5.3   Gegenüberstellung der Prinzipal-Agenten- und Stewardship-Theorie Prinzipal-Agenten-Theorie

Stewardship-Theorie

Grundlage

Volkswirtschaftslehre

Sozialwissenschaften, Psychologie

Leistungsabbildung

Shareholder Value

Stakeholder Value

Beziehung zwischen ­Eigentümer und Manager

Zielkonflikt

Zielkongruenz

Menschenbild

Individuelle ­Interessenverfolgung

Pro-organisatorisches ­Verhalten

Motivation

Extrinsisch

Intrinsisch

Einstellung zu dem ­Managementverhalten

Misstrauen, Skepsis

Vertrauen, Akzeptanz

Die Stewardship-Theorie wird aufgrund ihrer restriktiven Annahmen in Form des Ausschlusses des homo oeconomicus und der Vernachlässigung von Interessenkonflikten sowie Informationsasymmetrien kritisiert, die Realität nicht zielführend abbilden zu können.138 Erkenntnisse aus der betrieblichen Praxis zeigen, dass weder Stewardship- noch P ­ rinzipal-Agenten-Theorie in ihrer jeweiligen Reinform vorzufinden sind. Oftmals haben sich spezielle Mischformen bzw. Partialbetrachtungen dieser etabliert.139 Das Konzept des sozioemotionalen Wohlstands oder Socioemotional Wealth (SEW)140 stellt einen Ansatz zur Darstellung der Besonderheiten von Familien-

136Vgl. Böcking et al. (2004), S. 425–426; Muth und Donaldson (1998), S. 6; Nippa (2002), S. 16. 137Vgl. Davis et al. (1997), S. 20; Eddleston und Kellermanns (2007), S. 545–549. 138Vgl. Velte (2010), S. 291. 139Vgl. Velte (2010), S. 291–292. 140Zum Socioemotional Wealth-Ansatz vgl. grundlegend die Arbeiten von Gomez-Mejia et al. (2007); Berrone et al. (2012); Gomez-Mejia et al. (2011); Cennamo et al. (2012).

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

99

unternehmen und zur Abgrenzung gegenüber weiteren Unternehmensformen dar. Die Eigenheiten von Familienunternehmen werden im Vergleich zu der zuvor dargestellten Prinzipal-Agenten- und Stewardship-Theorie detaillierter betrachtet.141 Bei dem SEW-Ansatz handelt es sich um eine auf Familienunternehmen fokussierte Variante des Behavioral Agency Model (BAM).142 Das BAM ist neben der Prinzpal-Agenten-Theorie auf die von Kahneman und Tversky (1979) entwickelte Prospect Theory sowie die Behavioral Theory von Cyert und March (1963) zurückzuführen.143 Die Betrachtungsweise des SEW-Ansatzes ist im Vergleich zur Prinzipal-Agenten- sowie Stewardship-Theorie, die weitestgehend interne Aspekte betrachten, ebenfalls auf externe Elemente ausgerichtet.144 Die Zielsetzung des SEW besteht in der Darstellung von nicht-finanziellen Aspekten, die im Zusammenhang mit dem Aufbau und Erhalt von sozioemotionalen Werten stehen.145 Unter sozioemotionalen Werten sind nicht-finanzielle Aspekte zu verstehen, die die Identität von Familienunternehmen im Zusammenhang mit familiären Einflussmöglichkeiten sowie dem Streben nach einer Familiendynastie beschreiben.146 Entsprechend greift der Ansatz den emotionsbedingten Wert auf, der im Gegensatz zu dem ökonomischen Nutzen nicht direkt messbar ist und auf subjektiven Wahrnehmungen beruht.147 Somit ist der SEW ein umfassendes und mehrdimensionales Konzept mit der Fokussierung auf die affektiven Bedürfnisse einer Familie.148 Eine indirekte Messung der sozioemotionalen Werte kann anhand der Familieneinbindung, operationalisiert durch die Kriterien Eigentum und/oder Leitung, vorgenommen werden.149 Berrone et al. (2012) schlagen eine

141Vgl. Miller et al. (2013), S. 189–192; Berrone et al. (2012), S. 258–274; Miller und Le Breton-Miller (2014), S. 713; Chua et al. (2015), S. 174. 142Vgl. Kumeto (2015), S. 78–84. 143Vgl. Kahneman und Tversky (1979); Cyert und March (1963). Neben den zitierten Werken sind grundlegende Informationen zur Prospect Theory folgender Literatur zu entnehmen: Tversky und Kahneman (1992); Barberis et al. (2001); Wakker (2010); Kahneman und Tversky (2013) Zur Behavioral Theory vgl. weiterführend: Cohen und Cyert (1965); Carter (1971); Argote und Greve (2007); Gavetti et al. (2012). 144Vgl. Berrone et al. (2014). 145Vgl. Gomez-Mejia et al. (2011), S. 656. 146Vgl. Gomez-Mejia et al. (2007), S. 106; Deephouse und Jaskiewicz (2013), S. 340–345. 147Vgl. Berrone et al. (2012), S. 259; Hauck et al. (2016), S. 134. 148Vgl. Berrone et al. (2012), S. 262; Gomez-Mejia et al. (2007), S. 106. 149Vgl. Hauck et al. (2016), S. 135.

100

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

multidimensionale Messung anhand des sog. F ­ IBER-Konzepts150 vor.151 Dieses setzt sich aus den folgenden fünf Dimensionen zusammen: 1. Einfluss und Kontrolle der Familie: Die Gesellschafterstellung räumt der Familie umfassende Kontroll- und Einflussmöglichkeiten ein, deren Wahrung sowie Erhaltung für die Familie von höchstem Wert ist. 2. Identifikation der Familie mit dem Unternehmen: Familienunternehmen weisen eine einzigartige Identität durch Verflechtung von Familie und Unternehmen auf. Oftmals trägt das Unternehmen den Namen der Familie, sodass die Familie bei Entscheidungen im Unternehmen auf die Auswirkungen hinsichtlich der Reputation der Familie Acht gibt. 3. Soziale Beziehungen der Familie: Verwandtschaftsähnliche und gefestigte Beziehungen zu Stakeholdern fördern gegenseitiges Vertrauen und interpersonelle Solidarität. 4. Emotionale Bindung der Familie: Positive und negative Dynamik von familiär geprägten Emotionen führen zu einem reichhaltigen Erfahrungsschatz, auf dem in gegenwärtigen sowie zukünftigen Entscheidungsprozessen zurückgegriffen werden kann. 5. Familie und Nachfolgebestrebungen: Familien haben den inhärenten Wunsch des Erhalts und der Übergabe des Unternehmens an die nachfolgende Generation. Planungen sowie Entscheidungen sind entsprechend von einer langfristigen Ausrichtung geprägt.152 Einige dieser Dimensionen werden ebenfalls von Nicht-Familienunternehmen wahrgenommen, allerdings ist der Wert der SEW für die Familie intrinsischer und in den Familiengesellschaftern verankert, deren Identität untrennbar mit der Gesellschaft verbunden ist.153 Entsprechend unterstreicht die multidimensionale Messung, dass Berrone et al. (2012) SEW als das zentrale Unterscheidungs-

150FIBER ist ein Akronym und steht für die englischsprachigen Anfangsbuchstaben der fünf identifizierten Dimensionen: (1) family control and influence, (2) identification of family members with the firm, (3) binding social ties, (4) emotional attachment and (5) renewal of family bonds to the firm through dynastic succession. 151Vgl. Berrone et al. (2012), S. 262–274. 152Vgl. Berrone et al. (2012), S. 262–268; Hauck et al. (2016), S. 134–146; Renner (2016), S. 55–56; Debicki et al. (2016), S. 47–52. 153Vgl. Berrone et al. (2010), S. 87; Renner (2016), S. 56–57.

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

101

merkmal von Familienunternehmen ansehen.154 Zusammenfassend kann postuliert werden, dass der SEW-Ansatz einen globalen Blickwinkel, der die Unternehmensumwelt einbezieht, zur Differenzierung von Familienunternehmen zu anderen Unternehmensformen liefert. Sowohl die Pecking-Order als auch die im Anschluss diskutierte Trade-Off-Theorie zielen darauf ab, Kapitalstrukturen zu erklären. Ursprüng­ lich wurde die Pecking-Order-Theorie von Donaldson (1961) entwickelt und durch Myers sowie Majluf (1984) modifiziert.155 Die Theorie zeigt auf, dass die Finanzierungskosten mit zunehmenden asymmetrischen Informationsproblemen ansteigen. Unternehmen versuchen, ihre Investitionen mit der stets günstigsten Form von Kapital zu finanzieren. Entsprechend werden Investitionen zunächst mit internen Mitteln wie der Gewinnthesaurierung und erst im letzten Schritt mit Eigenkapital finanziert.156 Die ­Pecking-Order-Theorie sieht ein Vorliegen asymmetrischer Informationen zwischen Eigenkapitalgebern und Unternehmensmanagern.157 Zudem besagt die Theorie, dass Unternehmen keine optimale Kapitalstruktur aufweisen und Unternehmen mit stets guter Kapitalausstattung dieses zu horten versuchen.158 Darüber hinaus liegt laut der Pecking-OrderTheorie ein entgegengesetzter Zusammenhang zwischen Fremdkapital und Größe eines Unternehmens vor. Aus Theoriesicht emittieren wachsende Unternehmen mit erhöhtem Finanzierungsbedarf zunehmend Aktien.159 Zusammenfassend basiert die Pecking-Order-Theorie auf dem Vorhandensein von asymmetrischen Informationen. Diese liegen darin begründet, dass Manager eines Unternehmens mehr über dessen Risiken und Werte wissen als außenstehende Investoren. Laut Theorie geht mit der Aufnahme von Fremdkapital einher, dass der derzeitige Aktienpreis tendenziell unterbewertet ist. Die Aufnahme von neuem Eigenkapital steht für ein mangelndes Vertrauen der Gesellschafter und eine tendenzielle Überbewertung der Anteile. Daher stellt sich gem. der Pecking-Order-Theorie die priorisierte Reihenfolge der Finanzierungswahl wie folgt dar: 154Vgl.

Berrone et al. (2012), S. 274. Donaldson (1961); Myers und Majluf (1984). Neben den zitierten Werken sind grundlegende Informationen zur Pecking-Order Theorie folgender Literatur zu entnehmen: Frank und Goyal (2003); Baskin (1989); Leary und Roberts (2010); Tong und Green (2005). 156Vgl. Donaldson (1961), S. 39–50; Cheng und Weiss (2012), S. 2. 157Vgl. Leary und Roberts (2010), S. 348–351; Cheng und Weiss (2012), S. 9. 158Vgl. Cheng und Weiss (2012), S. 34. 159Vgl. Jarallah et al. (2019), S. 204–207. 155Vgl.

102

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

1. Interne Finanzierung, 2. Fremdkapital, 3. Hybride Wertpapiere, 4. Eigenkapital.160 Die Studien von Shyam-Sunder und Myers (1999) sowie Fama und French (2002) zeigen, dass mit der Pecking-Order-Theorie die Realität gut approximiert werden kann und schreiben dieser im Vergleich zur folgenden Trade-off-Theorie einen besseren Erklärungsgehalt zu.161 Die Trade-off-Theorie162 basiert auf der Annahme, dass Unternehmen ihre Kapitalstruktur so wählen, dass ein Gleichgewicht zwischen dem Risiko eines Wohlfahrtsverlusts durch eine Zahlungsunfähigkeit und den Steuervorteilen durch Fremdkapital besteht.163 Die Grundform der Theorie geht auf Kraus und Litzenberg (1973) zurück.164 Die Zusammenstellung der Finanzierung durch Eigen- und Fremdkapital wird in der Theorie so kalkuliert, dass der Barwert des Tax Shields möglichst groß und der Barwert der Kosten einer drohenden Insolvenz möglichst klein ist. Aus dieser Bestimmung kann theoriegemäß für jedes Unternehmen eine optimale, den Firmenwert maximierende LeverageRatio bestimmt werden. Die Theorie prognostiziert, dass der prozentuale Anteil von Fremdkapital in den Ländern höher ist, in denen die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit relativ gering ist.165 Des Weiteren herrscht die Annahme, dass die meisten profitabel arbeitenden Unternehmen über ausreichend hohe Kapazitäten verfügen, um mehr Fremdkapital aufnehmen zu können. Diese Verfahrensweise führt letztendlich dazu, weitere Steuereinsparungen generieren zu können.166 Die ­Trade-off-Theorie steht in Konkurrenz zu der im vorherigen Abschnitt erläuterten ­Pecking-Order-Theorie.

160Vgl.

Myers und Majluf (1984), S. 28–47. Shyam-Sunder und Myers (1999); Fama und French (2002). 162Zur Trade-off Theorie vgl. grundlegend die Arbeiten von Kraus und Litzenberger (1973); Campbell und Kelly (1994); Hackbarth et al. (2007); Serrasqueiro und Caetano (2014). 163Vgl. Harris und Raviv (1991), S. 297–301; Ju et al. (2005), S. 259–262. 164Vgl. Kraus und Litzenberger (1973). 165Vgl. Hackbarth et al. (2007), S. 1389–1426. 166Vgl. Serrasqueiro und Caetano (2014), S. 448. 161Vgl.

5.3  Theoretische Fundierung unternehmens- und …

103

5.4 Ableitung des Modellrahmens und Generierung der Hypothesen Aus den gewonnenen Erkenntnissen der systematischen Literaturübersicht und der theoretischen Fundierung resultiert das in Abbildung 5.5 dargestellte Modell zur Untersuchung des Sachverhaltes. Die einzelnen Determinanten wurden in den vorherigen Kapiteln ausführlich erläutert. Das dargestellte Modell dient dazu, die identifizierten Determinanten zusammenfassend miteinander in Verbindung zu bringen. Krisenunternehmen

Eigentümerstruktur

Management Control System (MCS)

Leistungsfähigkeit

Solventes Unternehmen

Familie

Berater

Abb. 5.5   Modellrahmen der Untersuchung

Ausgehend von der Eigentümerstruktur beeinflusst deren Management Control System (MCS) die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft. Als Eigentümerstrukturen werden Familienunternehmen von N ­ icht-Familienunternehmen abgegrenzt. Wie bereits im Rahmen des aktuellen Forschungsstands dargestellt, ist der Familie als Institution ein Einfluss auf die Verhaltenssteuerung des Unternehmens zuzuschreiben. Für Nicht-Familienunternehmen entfällt diese Komponente. Darüber hinaus veranschaulicht Abbildung 5.5, dass die Analyse der Einflussnahme der unternehmensexternen Berater von Interesse ist. Ausgehend von der Strategie und den Zielen der Eigentümerstrukturen Familien- und Nicht-Familienunternehmen sind die wesentlichen Komponenten des MCS zu beachten. Neben den Unternehmensdeterminanten der Zielvorstellung, Corporate Governance sowie Risikoeinstellung sollen im Rahmen des MCS insbesondere das Investitions- und Finanzierungsverhalten sowie das Liquiditätsmanagement im Krisenfall näher untersucht werden. Die Leistungsfähigkeit kann, im Rahmen der zugrunde liegenden Situation einer Unternehmenskrise, die Ausprägungen Krisenunternehmen oder solventes Unternehmen annehmen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Intensität der

104

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

vorliegenden Krisensituation zu untersuchen. Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der systematischen Literaturübersicht und des aufgezeigten Modells werden im Folgenden Hypothesen aufgelistet, die es mithilfe der Experteninterviews zu beurteilen bzw. zu vertiefen gilt (Tabelle 5.4). Tab. 5.4   Hypothesenübersicht auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands Nr.

Hypothesen

H (1a)

Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (1b)

Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (2a)

Steigende Eigentumskonzentration führt zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

H (2b)

Steigende Eigentumskonzentration führt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

H (3a)

Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (3b)

Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (4)

Familienunternehmen zeichnen sich durch eine langfristige und nachhaltige Unternehmensorientierung aus.

H (5)

Enge Kommunikationskanäle und informelle Interaktionen mit anderen Managementmitgliedern führen zu einem effizienteren Krisenmanagement bei Familienunternehmen.

H (6)

Familienunternehmen sind risikoaverser als Nicht-Familienunternehmen.

H (7)

Familienunternehmen verfügen i. d. R. über hohe Eigenkapitalquoten, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten Finanzierungsvorteile stiften.

H (8a)

Das Liquiditätsmanagement hat insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine hohe Relevanz.

H (8b)

Nicht-Familienunternehmen verfügen über professionellere Instrumente des Liquiditätsmanagements.

H (9a)

Nicht-Familienunternehmen engagieren externe Berater häufiger als Familienunternehmen.

H (9b)

Externe Berater haben in wirtschaftlichen Krisenzeiten einen höheren Einfluss auf Unternehmensentscheidungen.

H (10)

Der Umgang mit den Beschäftigten ist bei Familienunternehmen als positiv zu bewerten und stiftet einen Mehrwert für die Krisenbewältigung.

5.5  Fazit des Forschungsstands und der theoretischen Erklärungsansätze

105

5.5 Fazit des Forschungsstands und der theoretischen Erklärungsansätze Durch die Synthese und Verknüpfung relevanter Erkenntnisse wird ein umfassender Überblick über die bestehende Forschung zur Eigentümerstruktur in notleidenden Unternehmen gegeben. Die Analyse der als relevant für das untersuchte Thema identifizierten Studien führt zu dem Schluss, dass es einen Zusammenhang zwischen der Eigentümerstruktur eines Unternehmens und finanziellen Notlagen gibt. Obwohl die Stichprobe insgesamt 50 Studien umfasst, die sich mit vielen verschiedenen Themen der Eigentümerstruktur befassen, gibt es noch viele unbeantwortete Fragen und wenig untersuchte weiterführende Themenkomplexe. Dieses führt zu einer Vielzahl von Vorschlägen und Ideen für zukünftige Forschungsansätze zur Eigentümerstruktur in notleidenden Unternehmen. Grundsätzlich zeigt die systematische Literaturübersicht hinsichtlich der Eigentümerstruktur, dass die Leistungsfähigkeit von Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen während Krisenzeiten als besser anzusehen ist. Die Forschungsstudien weisen darauf hin, dass sich Familienbesitz positiv auf die finanzielle Leistung auswirkt.167 Familienunternehmen zeichnen sich durch eine effiziente Organisationsstruktur aus.168 Von besonderer Bedeutung ist, dass das Top-Management zumindest teilweise mit Familienmitgliedern besetzt ist. Die positive Verbindung von Familieneigentum und Unternehmensleistung wird schwach, wenn die Familienmitglieder nicht an der Unternehmensführung oder -kontrolle beteiligt sind.169 Neben der Managementstruktur spielt auch die hohe Stabilität des Sozialkapitals eine große Rolle bei den Leistungsunterschieden zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen in Notlagen. Das Ergebnis sind vertrauenswürdige und motivierte Mitarbeiter.170 Des Weiteren zeigt die Forschung, dass Familienunternehmen eine größere Vorstandsstabilität aufweisen und sich durch die Fähig-

167Vgl. hierzu beispielhaft Wilson et al. (2013); Anderson und Reeb (2003); Siakas et al. (2014); Sraer und Thesmar (2007). 168Vgl. Miller et al. (2007). 169Vgl. Chu (2011); Villalonga und Amit (2006); Anderson und Reeb (2003); Lee (2006). 170Vgl. Lohe und Calabrò (2017); Essen et al. (2015); López-Gracia und Sánchez-Andújar (2007); Fang et al. (2015).

106

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

keit auszeichnen, in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Familienmitglieder stehen in enger Kommunikation und haben mehr informelle Interaktionen mit weiteren Managementmitgliedern. Entsprechend werden die informelle und formelle Unternehmensführung als wesentliche Erfolgsmerkmale von Familienunternehmen während finanzieller Notlagen angesehen.171 Darüber hinaus zeigt sich, dass Familienmitglieder während Krisenzeiten niedrigere Vergütungen, mit dem Ziel den Cashflow der Organisation zu erhalten, akzeptieren. Führungskräfte von ­ Nicht-Familienunternehmen sind weniger daran interessiert, im Rahmen ihres Vertrages niedrigere Vergütungen hinzunehmen. Es lässt sich feststellen, dass die Vergütungen bei Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen in Krisenzeiten stärker rückläufig sind.172 Familienunternehmen besitzen niedrigere Finanzierungskosten und ihre Kapitalstruktur ist in Krisenzeiten näher an der anvisierten Zielstruktur als die von Nicht-Familienunternehmen. Die Verfügbarkeit von Krediten in finanzieller Not ist für Familienunternehmen höher. Banken schätzen die Vertrauenswürdigkeit bei der Kreditvergabe an Familienunternehmen. Familienunternehmen reduzieren ihre Investitionen in Unternehmenskrisen und haben weniger Anreize für Überinvestitionen zur Steigerung der kurzfristigen Rendite. Zudem verzichten Familienunternehmen in Krisenzeiten auf Gewinnausschüttungen. Familienunternehmen akzeptieren bewusst finanzielle Einschränkungen, indem sie Abhängigkeiten von externer Finanzierung mit dem Ziel, das Privateigentum zu schützen, vermeiden. Anzumerken ist, dass für die fünf identifizierten Themenschwerpunkte und Erkenntnisse aus den Untersuchungen in jeder Gruppierung weiterer Forschungsbedarf besteht. Während Differenzierungen der Leistungsfähigkeit zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen eine der Hauptanalysefelder in Bezug auf die Eigentümerstruktur in finanzieller Not darstellt, ist das Forschungsfeld hinsichtlich Größenunterschiede von Familienunternehmen weiterhin wenig ausgeprägt. Ferner ist ein Vergleich zwischen kleinen und großen Familienunternehmen nicht üblich. Die meisten Studien fokussieren sich lediglich auf Unterschiede zwischen Familienunternehmen sowie Nicht-Familienunternehmen und verfolgen keine detailliertere Differenzierung ­ zwischen einzelnen Klassen dieser beiden Unternehmensformen.

171Vgl. 172Vgl.

Fan et al. (2013); Arrondo-García et al. (2016). Jaafar und James (2014).

5.5  Fazit des Forschungsstands und der theoretischen Erklärungsansätze

107

Die Literatur impliziert, dass die Leistung von Familienunternehmen besser ist als die von Nicht-Familienunternehmen. Allerdings fehlen weitestgehend spezifische Studien für europäische Länder (z. B. Deutschland). Im zweiten Kapitel wird darauf hingewiesen, dass keine allgemeingültige Definition für Familienunternehmen in der Literatur vorliegt. Die detaillierte Auseinandersetzung mit Klassifizierungsunterschieden findet in den wenigsten Fällen Berücksichtigung. Des Weiteren bleibt die Frage, ob institutionelle Faktoren eines Landes eine Rolle spielen. Es scheint unklar, ob institutionelle Unterschiede zwischen Europa, Asien und Amerika zu Unterschieden in der Leistungsfähigkeit von Familienunternehmen führen. Ein weiteres interessantes Forschungsfeld ist der Einfluss externer Berater auf Familienunternehmen sowie Nicht-Familienunternehmen in finanzieller Not. Offen ist, ob es hinsichtlich der Nutzung von Beratungsangeboten in Krisensituationen Unterschiede zwischen den Eigentümerstrukturen gibt. Darüber hinaus ist es interessant zu betrachten, in welchen Strukturen sich Beratungsleistungen am effizientesten umsetzen lassen. Zudem stellt sich die Frage, ob Familienunternehmen Krisen nachhaltig besser meistern als ­Nicht-Familienunternehmen. Zu diesem Zweck wäre es wünschenswert, die Zeitspanne zu untersuchen, innerhalb der sich ein Unternehmen nach erfolgreicher Krisenbewältigung in der potenziell nächsten Krise befindet. Ungeachtet des Aspekts, dass Familienunternehmen fürchten, durch Kreditaufnahme die Kontrolle zu verlieren, stellt sich die Frage, ob die Leistung von Familienunternehmen besser wäre, wenn von einer erhöhten Fremdkapitalaufnahme ausgegangen wird. Darüber hinaus kann untersucht werden, ob das Feld der Digitalisierung173 einen besonderen Einfluss auf Familienunternehmen hat. In diesem Zusammenhang weisen Hille und Wiedemann (2019) darauf hin, dass der oftmals familiengeführte Mittelstand gegenüber Großunternehmen hinsichtlich der Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie Nachholbedarf hat.174 Die Untersuchung zeigt, dass mittelständische Familienunternehmen eine zu enge

173Eine allgemeingültige, wissenschaftliche Definition des Begriffsverständnisses Digitalisierung liegt nicht vor. Die Begriffe digitale Transformation, digitales Zeitalter und Industrie 4.0 werden oftmals synonym verwendet. Vgl hierzu Schröder (2016); Schallmo und Rusnjak (2017). 174Vgl. Hille und Wiedemann (2019), S. 145–146.

108

5  Forschungsstand und theoretische Erklärungsansätze

Auffassung175 von Digitalisierung besitzen und tendenziell die Bedeutung einer Digitalisierungsstrategie unterschätzen.176 Schließlich stellt die Rechnungslegung eine interessante Möglichkeit der weiteren Forschung in Bezug auf verschiedene Unternehmensstrukturen dar.177 Untersuchungen hinsichtlich der unterschiedlichen Auslegungsformen von Rechnungslegungsvorschriften in Krisenzeiten von Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen sind von Interesse. Ebenfalls könnte die Vorteilhaftigkeit einer marktwertgestützten Rechnungslegung, die auf die Bedürfnisse des Managements ausgerichtet ist und somit über die durch gesetzliche Vorschriften geprägte externe Rechnungslegung hinausgeht, unter Berücksichtigung differenzierter Eigentümerstrukturen, untersucht werden.178 Darüber hinaus ist es insbesondere im Rahmen von Unternehmenskrisen interessant festzustellen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Eigentümerstruktur und der Wahl des Abschlussprüfers gibt. Diese Aspekte können neben wissenschaftlichem Interesse ebenfalls von hoher Relevanz für die Gruppe der Wirtschaftsprüfer sein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Familienunternehmen durch eine längerfristige und nachhaltigere Unternehmensausrichtung, eine größere Ressourcenanhäufung, eine geringere strategische Risikotoleranz und eine stärkere institutionelle Disziplin auszeichnen.179 Unternehmen mit hoher Eigenkapitalquote und hoher Offenlegungsqualität sind weniger anfällig für finanzielle Schwierigkeiten.180 Die Nutzung des Sozialkapitals von Familienunternehmen führt zu einer Stärkung der finanziellen Leistungsfähigkeit in Krisenzeiten. Die Unternehmenskultur von Familienunternehmen tendiert dazu, das Humankapital

175Unter einem engen Digitalisierungsverständnis wird in diesem Zusammenhang die Begrenzung des Digitalisierungsbegriffs auf technische Elemente verstanden. Das technische Verständnis umfasst insbesondere die Transformation von analogen in digitale Daten und enthält kaum strategische Elemente. Vgl. Hille und Wiedemann (2019); Becker et al. (2017); Demary et al. (2016). 176Vgl. Hille und Wiedemann (2019), S. 147–151. 177Vgl. Cruz et al. (2015); Lisboa (2016). 178Vgl. Schierenbeck und Wiedemann (1996), S. 385–392. 179Vgl. Fan et al. (2013); Amann und Jaussaud (2012); Gentry et al. (2016); Kristanti et al. (2016). 180Vgl. Bauweraerts und Colot (2013); Bopaiah (1998); Chu et al. (2016).

5.5  Fazit des Forschungsstands und der theoretischen Erklärungsansätze

109

zu verbessern und damit die Stabilität der Mitarbeiter zu erhöhen. Eine höhere Unternehmensleistung ist dabei auf die unterschiedlichen Anreize für die Mitarbeiter und deren Loyalität zu den Führungskräften von Familienunternehmen zurückzuführen.181 Familienmitglieder akzeptieren eine geringere Vergütung bei finanziellen Schwierigkeiten, um den Cashflow des Unternehmens aufrechtzuerhalten. Führungskräfte in Nicht-Familienunternehmen sind weniger daran interessiert, eine niedrigere Entlohnung als Teil ihres Vertrages zu akzeptieren.182

181Vgl. 182Vgl.

Lohe und Calabrò (2017); Essen et al. (2015). Jaafar und James (2014).

6

Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

6.1 Einführung in den Sachverhalt Aufbauend auf der Durchführung der systematischen Literaturübersicht im vorherigen Kapitel 5 soll eine qualitative Studie zur Validierung und Vertiefung der gewonnenen Erkenntnisse durchgeführt werden. Hinsichtlich der Eigentümerstruktur gilt es erneut zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen zu differenzieren. Die Unterscheidung wird zunächst auf der Grundlage der Eigentumsverhältnisse vorgenommen. Der Grundlagenteil in den Kapiteln 2–4 und die Literaturübersicht in Kapitel 5 haben gezeigt, dass sich Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen bereits in grundlegenden Determinanten unterscheiden. Anzuführen sind insbesondere Zielvorstellung, Risikoeinstellung, Kapitalstruktur und Corporate Governance. Während einer Unternehmenskrise kann es zu Unterschieden in der Leistungsfähigkeit aufgrund der Ausgestaltung dieser Determinanten kommen. Des Weiteren sind die Auswirkungen auf die Unternehmenssteuerung zu berücksichtigen. Mithilfe der Experteninterviews sollen Informationen über das Investitions- und Finanzierungsverhalten sowie das Liquiditätsmanagement von Familien- und Nicht-Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten gewonnen werden. Ebenfalls gilt es, die Rolle des externen Beraters im Rahmen einer Bestandsgefährdung zu bewerten. Einer der Untersuchungsschwerpunkte ist es zu hinterfragen, ob Familienunternehmen in

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_6. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_6

111

112

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

einer Unternehmenskrise eine höhere Leistungsfähigkeit aufweisen und somit tendenziell öfter weitergeführt werden können als Nicht-Familienunternehmen. Das Ziel verfolgend, die bisher erlangten Erkenntnisse zu validieren und darüber hinaus zu verbundenen Themengebieten weiteres Wissen zu erlangen, stehen verschiedene qualitative Forschungsmethoden zur Verfügung. Zur näheren Auswahl gehören Fallstudie/Case Study, Vignettenstudie, schriftliche Befragung/ Fragebogen oder mündliche Befragung/Interview. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt, bevor anschließend die Entscheidung über die Methodenwahl begründet wird.

6.2 Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl 6.2.1 Fallstudie Eine Fallstudie (Case Study) stellt eine empirische Untersuchung eines zeitgenössischen Phänomens im realen Kontext anhand verschiedener Datenquellen dar. Durch den möglichen Einsatz einer Vielzahl von Datenquellen wird sichergestellt, dass mehrere Facetten des Phänomens verdeutlicht und verstanden werden. Das Grundverständnis der Fallstudie zielt auf kein spezielles Erhebungsoder Auswertungsverfahren, sondern auf ein umfassendes Forschungsdesign mit der Zielsetzung, ein Tiefenverständnis des Falls zu generieren. Im Gegensatz zu experimentellen Designs werden die umgebenden Rahmenbedingungen keinesfalls als Störvariablen behandelt. Diese rücken vielmehr in den Fokus und liegen im Erkenntnisinteresse des Untersuchungsvorhabens.1 Die Auswahl der Fälle erfolgt durch den Wissenschaftler bewusst im Hinblick auf das spezifische Forschungsziel und ist keinesfalls als zufällig anzusehen. Grundsätzlich ergibt sich die Methode der Fallstudie aus dem Wunsch, komplexe soziale Phänomene greifbar darzustellen. In diesem Zuge erlaubt es die Methode, die ganzheitlichen Merkmale realer Ereignisse zu bewahren.2 Dadurch sollen gezielt Muster des Forschungsfeldes aufgedeckt, Bedeutungen bestimmt, Schlussfolgerungen konstruiert und Theorien aufgebaut werden.3 Fallstudien können dabei auf verschiedenen Quellen wie beispielsweise Dokumente,

1Vgl.

Hering und Jungmann (2019), S. 619–620. (2003), S. 2. 3Vgl. Patton und Appelbaum (2003), S. 67. 2Vgl. Yin

6.2  Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl

113

Archivunterlagen, Interviews, direkte Beobachtungen oder physischen Artefakten aufbauen.4 Der zentrale Vorteil der Anwendung der Methode der Fallstudie ist die Möglichkeit, einen Fall in seiner Komplexität möglichst umfassend darzustellen, indem sämtliche hierfür nützliche Verfahrensstrategien vereint werden.5 Probleme können sich hingegen hinsichtlich der Abgrenzung des Falls ergeben. Diese ist für die Anwendung der Methode unabdingbar. Bei manchen Fällen ist die Abgrenzung selbst innerhalb des Feldes äußerst verschieden. Des Weiteren besteht die Gefahr, vom ursprünglichen Forschungsinteresse abzuschweifen und den Zeitpunkt, wann ein Fall ausreichend detailliert erfasst ist, zu verkennen.6

6.2.2 Vignettenstudie Die Vignettenstudie, oftmals auch faktorieller Survey genannt, stellt ein experimentelles Forschungsdesign dar. Mit dessen Hilfe werden variierende Situations- oder Personenbeschreibungen, die sogenannten Vignetten, zu einem Thema kreiert und unter einem bestimmten Aspekt analysiert. Es handelt sich somit um eine kurze verbale oder visuelle Darstellung von hypothetischen Personen oder Situationen.7 Die vom Wissenschaftler festgelegten Situationsoder Personenskizzen stellen die unabhängigen Variablen für das zu erklärende Urteilsverhalten dar.8 Vignetten stellen entsprechend eine Informationsbasis dar, mit deren Hilfe Personen anschließende Fragen oder Charakteristika beantworten bzw. skizzieren sollen. Dabei wird das Ziel verfolgt, ein möglichst facettenreiches Bild eines Phänomens oder einer Person aufzuzeigen, zu dem im Anschluss Personen befragt werden.9 Dabei unterscheiden sich Vignetten nach Merkmalen (Dimensionen), die differenzierte Ausprägungen (levels) annehmen. Die Festlegung der Merkmale, die einen bedeutsamen Einfluss auf das Urteilsverhalten ausüben, ist eine der Hauptaufgaben. Dadurch kann auf existierende Theorien, Forschungsergebnisse und konventionellem Alltagswissen aufgebaut

4Vgl. Yin

(2003), S. 83–96. Hering und Jungmann (2019), S. 619–625. 6Vgl. Akremi (2019), S. 325–329; Vaughan (1992), S. 179–181; Baur und Lamnek (2005), S. 249. 7Vgl. Dülmer (2019), S. 863–864. 8Vgl. Dülmer (2019), S. 864–870. 9Vgl. Reinders et al. (2015), S. 62. 5Vgl.

114

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

werden.10 Im Rahmen der Befragung gilt es, die Merkmalsausprägungen variiert einzusetzen, um zu testen, ob die erzeugte Variation der Objekt- und Situationsmerkmale eine Modifikation der Urteile der Befragten zur Folge hat.11 Bei einer angemessen hohen Anzahl von Vignettenbeurteilungen kann auch der Einfluss von bestimmten Merkmalen der Befragten als weitere unabhängige Variable auf das zu erklärende Urteilsverhalten bestimmt werden. Beispielsweise können hierdurch Fragen beantwortet werden, ob es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Befragten gibt. Die Bestimmung der Anzahl der Faktoren und deren Merkmalsausprägungen sind verantwortlich für die Größe des Vignettenuniversums, das die Anzahl aller möglichen Vignetten beinhaltet.12 Grundsätzlich können Vignettenstudien auf ganz unterschiedliche Fragestellungen angewendet werden. Vignetten können in tabellarischer Form oder als Kurzgeschichte dargestellt werden.13 Steiner und Atzmüller (2006) legen das Vorgehen für die Ausarbeitung des Vignettendesigns wie folgt fest: 1. Konstruktion der Vignettenpopulation, 2. Reduktion der Vignettenpopulation bzw. Vignettensetbildung, 3. Festlegung der Beurteilungsaufgabe, der Antwortskalen und Wahl der Präsentationsform, 4. Pretest des Vignettendesigns.14 Die Vignettenstudie stellt eine Forschungsmethode dar, der zunehmend mehr Beachtung geschenkt wird und die versucht, die Vorteile der Umfrageforschung mit denen experimenteller Designs zu verbinden. Durch die Möglichkeit der Variation einzelner Merkmalsausprägungen in den Vignetten kann der Einfluss auf die abgefragten Entscheidungen präzise bestimmt und somit das Gewicht von Faktoren isoliert werden.15 Ein weiterer Vorteil der Anwendung einer Vignettenstudie besteht in dem plausiblen, dem alltäglichen Leben nahekommenden

10Vgl.

Jasso (2006), S. 342. et al. (2009), S. 62. 12Vgl. Dülmer (2019), S. 864–867. 13Vgl. Jasso (2006), S. 412. 14Vgl. Steiner und Atzmüller (2006), S. 33. 15Vgl. Auspurg et al. (2009), S. 60. 11Vgl. Auspurg

6.2  Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl

115

Urteilsverhalten der Befragten.16 Es lassen sich durch die Kombination einer Vielzahl von Merkmalen komplexe Beurteilungs- und Entscheidungsprobleme alltagsnah simulieren. Darüber hinaus kann durch die Möglichkeit der mehrfachen Präsentation von Vignetten auch bei geringer Anzahl der Befragten eine noch ausreichende Urteilszahl zur Hypothesentestung erzielt werden.17 Es kann festgehalten werden, dass die Vignettenstudie eine Annäherung an die alltäglichen Handlungsvollzüge von Personen und eine Standardisierung des Handlungskontextes leistet.18 Die Präsentation und Bewertung von Vignetten ermöglicht somit die Beurteilung von konkreten und realitätsnahen Szenarien anstatt von einzelnen, abstrakten klassischen Fragen eines Fragebogens.19 Die Methode kann ebenfalls bei der Erforschung sensibler Themen angewendet werden, da es Personen leichter fällt, vorgelegte sensible Situationen einer dritten Person in der Vignette zu beurteilen.20 Hervorzuheben ist des Weiteren das hohe Gestaltungspotenzial in Form von Text-, Bild- oder Videopräsentationen, das die Vignettenstudie zu einer attraktiven Forschungsmethode macht.21 Den vielfältig aufgezeigten Vorteilen des Einsatzes von Vignettenstudien stehen allerdings auch einige Nachteile gegenüber. Der als hoch zu bewertende zeitliche Befragungsaufwand und die entsprechend resultierenden Opportunitätskosten der Erhebung alternativer Charakteristika sind in diesem Zusammenhang zunächst anzuführen.22 Problematisch ist, dass Vignettenstudien oftmals vergleichsweise starke Antworteffekte aufweisen, die sich aus der Auswahl der Beispiele, der Reihenfolge oder deren Komplexität ergeben. Dabei besteht bei zu hoher Komplexität die Gefahr, dass die Befragten einer zu starken oder sogar ausschließlichen Konzentration auf ein in sich stimmiges Antwortverhalten folgen.23 Darüber hinaus fehlen derzeit anwendungsbezogene Kriterien für die Zusammenstellung einer Vignettenstudie. Dadurch wird deren Durchführung erschwert, was zu Zweifeln an ihrer Validität führt. Invalide Urteile können aus einer kognitiven Überforderung oder der Anwendung vereinfachter

16Vgl.

Krebs und Menold (2019), S. 490–492. et al. (2009), S. 186–188. 18Vgl. Krüger et al. (2014), S. 49. 19Vgl. Alexander und Becker (1978), S. 96–99. 20Vgl. Hughes (1998), S. 393. 21Vgl. Steiner und Atzmüller (2006), S. 143–145. 22Vgl. Sniderman und Grob (1996), S. 392–394. 23Vgl. Faia (1980), S. 953–954; Seyde (2006), S. 6–8. 17Vgl. Auspurg

116

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Entscheidungsstrategien entstehen.24 Festzuhalten ist, dass Vignetten lediglich hypothetische Konstrukte darstellen und nur in begrenztem Maße Erkenntnisse über reale Verhaltensabsichten liefern. Dies unterstreicht die Problematik hinsichtlich der Validität und Reliabilität von Vignettenstudien.25

6.2.3 Schriftliche Befragung Die schriftliche Befragung stellt in der empirischen Forschung eine wichtige Methode der quantitativen Forschung dar und ist vermutlich die am häufigsten genutzte Form der Informationsgewinnung.26 Der Fragebogen als wissenschaftliches Instrument zielt darauf ab, Personen durch eine Sammlung von Fragen oder Stimuli zu Antworten anzuregen, um eine systematische sowie strukturierte Erfassung von Sachverhalten zu ermöglichen. Der Fokus liegt dabei in der gezielten und präzisen Gewinnung von in einem Konzept oder einer Theorie enthaltenen Merkmalen.27 Die Erhebung standardisierter Befragungsdaten findet i. d. R. anhand von Fragebögen in Papierform oder als Online- bzw. Computer-Versionen statt. Einzelne Fragen repräsentieren diejenigen Variablen, die sich aus der Operationalisierung der theoretischen Konstrukte ergeben. In der idealen Welt sind die möglichen Ausprägungen bekannt und werden dem Befragten in Form fester Antwortalternativen vorgelegt. Tendenziell wird in standardisierten Fragebögen versucht, eine Vielzahl von offenen Fragen zu vermeiden.28 Viele schriftliche Befragungen umfassen Skalen, die die Ausprägung der Zustimmung oder Ablehnung des Befragten verdeutlichen sollen. Grundsätzlich gilt die Konstruktion des Fragebogens als sehr mühsame Aufgabe. Bei dieser kann durchaus auf bereits vorhandene Fragen aus vorliegenden Fragebögen zurückgegriffen werden, um Fehler zu vermeiden, Zeit und Aufwand zu sparen sowie Vergleiche mit zurückliegenden Studien zu ermöglichen.29

24Vgl.

Beck und Opp (2001), S. 283–284. Eifler (2010), S. 139–142. 26Vgl. Reinders (2016), S. 54. 27Vgl. Raithel (2008), S. 65–67; Reinders (2016), S. 54. 28Vgl. Kelle et al. (2017), S. 44. 29Vgl. Kirchhoff et al. (2008), S. 15–44. 25Vgl.

6.2  Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl

117

Zwangsläufig muss der Aufbau eines Fragebogens eine gewisse Struktur in Form einer chronologischen Vorgehensweise vermitteln. Die bekannte Struktur dient u. a. dazu, dem Befragten ein vertrautes Umfeld zu schaffen und somit die Beantwortung der Fragen zu erleichtern.30 Des Weiteren ist es komplex, eine angemessene bzw. optimale Länge des Fragebogens zu bestimmen. Oftmals ist die Länge des Fragebogens und die damit verbundene Zeit, die der Befragte investieren muss, ein ausschlaggebendes Kriterium für die Teilnahme.31 Neben der Länge gilt es ebenfalls, ein Augenmerk auf die Gestaltung des Fragebogens zu werfen. Dessen ansprechende Optik erhöht die Motivation des Befragten.32 Die schriftliche Befragung zeichnet sich durch die breit gefächerte und ökonomische Einsetzbarkeit aus. Mithilfe von Fragebögen ist es möglich, sehr viele verschiedene Sachverhalte zu erfassen und in vergleichsweise kurzer Zeit eine hohe Anzahl von Personen zu befragen.33 Als vorteilhaft sind sowohl die unmittelbaren Vergleichsmöglichkeiten sämtlicher befragten Personen als auch die Vermeidung der Abhängigkeit von der Ausdrucksfähigkeit der Befragten anzusehen.34 Allerdings ist die Komplexität der Fragebogenerstellung nicht zu unterschätzen.35 Neben der Erstellung besteht ein hoher Aufwand ebenfalls in der standardisierten Befragung. Daher gilt es, sowohl vorhandene Ressourcen sehr überlegt sowie zielgenau einzusetzen als auch über ausreichend Vorwissen zu dem Forschungsgebiet zu verfügen.36 Ebenfalls kann es bei geschlossenen Fragen passieren, dass keine der gegebenen Antworten von dem Befragten als passend empfunden wird. Darüber hinaus stellt die Eingabe der Daten eine langwierige Tätigkeit dar, die mit großer Sorgfalt vollzogen werden muss. Im Rahmen der Auswertung zählt die Dateneingabe zu den häufigsten Fehlerquellen. Daher sollte diese im Anschluss nochmals geprüft werden.37

30Vgl.

Kelle et al. (2017), S. 45. Engel und Schmidt (2019), S. 390. 32Vgl. Kelle et al. (2017), S. 45–46. 33Vgl. Reinders (2016), S. 54. 34Vgl. Reinders (2016), S. 53. 35Vgl. Petersen (2014), S. 16–17. 36Vgl. Sökefeld (2008), S. 100. 37Vgl. Sökefeld (2008), S. 115. 31Vgl.

118

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

6.2.4 Mündliche Befragung Die mündliche Befragung bzw. das Interview zielt auf die Bestätigung vorhandener Erkenntnisse oder Erlangung neuen Wissens durch die Befragung anderer Personen ab. Dabei handelt es sich um eine systematische Methode der Informationsgewinnung, bei der Personen durch Fragen in einer asymmetrischen Kommunikationssituation zu Antworten motiviert werden. Ein zentrales Merkmal des wissenschaftlichen Interviews besteht darin, dass der gesamte Prozess beginnend mit der Auswahl der zu interviewenden Personen, der Fragensammlung, der Durchführung der Interviews bis zu deren Auswertung nachvollziehbar ist. Dadurch wird der durch die Interviews erlangte Erkenntnisgewinn transparent und Weiterentwicklungen werden ermöglicht.38 Das Interview zielt als offene Befragungsform darauf ab, subjektive Sichtweisen, Handlungsmotive und Bedeutungszuschreibungen zu generieren. Eine offene Interviewform eignet sich insbesondere dann, wenn zu einem bestimmten Forschungsschwerpunkt wenig oder kein Wissen existiert. Das offene Interview zeichnet sich durch einen hohen Anteil an offenen Fragen aus. Dadurch soll die Aktivität der Befragten erhöht werden.39 Das sogenannte strukturierte bzw. standardisierte Interview folgt einem Fragenkatalog und enthält abhängig vom Grad der Strukturierung (volloder teilstrukturiert) einen gewissen Anteil an geschlossenen Fragen mit Antwortvorgaben, die in einer festgelegten Reihenfolge gestellt werden.40 Hinsichtlich der Strukturierung lässt sich festhalten, dass bei stark strukturierten Interviews ein weitreichender Eingriff durch die Interviewenden stattfindet und hingegen bei einer geringen Strukturierung den Erzähl- und Darstellungsformen der Interviewten sehr viel Raum gegeben wird. Die Strukturierung und Standardisierung weist mehrere Mischformen, die als halb-, semi-, teil- oder partiellstrukturiert bezeichnet werden, auf.41 Die Art und Weise der Beteiligung der Interviewenden am Interviewprozess resultiert aus dem Grad der Strukturierung. Es ist stets zu berücksichtigen, dass die gewonnenen Erkenntnisse immer das Ergebnis der Interaktion von zwei oder mehr Akteuren in jeweils konkreten sozialen Situationen ist.

38Vgl.

Reinders (2016), S. 85–86. Heinze (2001), S. 153–154. 40Vgl. Diekmann (2009), S. 374. 41Vgl. Drever (1995), S. 10–15; Baur und Lamnek (2005), S. 242–247. 39Vgl.

6.2  Abgrenzung und Motivation der Methodenwahl

119

Mey und Mruck (2007) differenzieren zwischen den drei Formen narratives Interview, diskursiv-dialogisches bzw. problemzentriertes Interview und Experteninterview.42 Das narrative Interview, basierend auf Schütze (1983), wird i. d. R. ohne vorstrukturierten Interviewleitfaden verwendet und unterteilt sich in die drei Phasen Eröffnung, Nachfrageteil und Bilanzierung.43 Zentrale Bedeutung bei dem Einsatz des narrativen Interviews hat die erzählgenerierende Eröffnungsfrage. Der Nachfrageteil zielt ebenfalls darauf ab, durch immanente Nachfragen weitere Erzählungen zu generieren. Somit besteht die Rolle der Interviewenden weitestgehend darin, das Erzählverhalten durch eine wohlwollende Haltung und nonverbale Signale zu fördern.44 Das problemzentrierte Interview von Witzel (1985) versteht die Interviewsituation im Vergleich zum narrativen Interview deutlich stärker als kommunikatives Miteinander.45 Durch eine aktive, das Gespräch mitgestaltende Funktion kann der Interviewende früh strukturierend und nachfragend in das Gespräch eingreifen und um Kommentare sowie Bewertungen bitten. Ein strukturierter Leitfaden kann nach Witzel (1985) lediglich als Gedächtnisstütze für den Interviewenden nützlich sein.46 Darüber hinaus sieht das problemzentrierte Interview den Einsatz eines Kurzfragebogens, der wesentliche Rahmendaten und Faktenfragen abdeckt, vor. Dieser kann wahlweise vor oder nach dem Interview verwendet werden. Das Experteninterview, untersucht von Meuser und Nagel (1991), zielt auf die Rekonstruktion von Expertenwissen ab.47 Die Datengewinnung wird auf kommunikative Weise durch eine klar definierte inhaltliche Ausrichtung, die durch einen Leitfaden vorstrukturiert ist, erzeugt. Dem Interviewleitfaden wird die Funktion der Steuerung zugeschrieben, indem unwichtige Themen ausgeschlossen, einzelne Erhebungskomplexe geordnet und die Daten bereits für die Auswertung vorstrukturiert werden.48 Das Experteninterview verfolgt das Ziel, bestimmte exklusive Wissensbestände unter Vernachlässigung individueller Motivationen und Begründungen der Experten im biografischen Entstehungszusammenhang zu erforschen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten über den

42Vgl.

Mey und Mruck (2007). Schütze (1983). 44Vgl. Mey und Mruck (2007), S. 251. 45Vgl. Witzel (1985). 46Vgl. Witzel (1985), S. 236–237. 47Vgl. Meuser und Nagel (1991). 48Vgl. Flick (1999), S. 139–143; Kleres (2007), S. 284; Wolf (2011), S. 185. 43Vgl.

120

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

untersuchten Fall hinaus generalisierbar sein, damit die Analyseergebnisse auch auf weitere Fälle übertragbar sind. Es zeigt sich, dass sich das Experteninterview nicht durch die methodische Form der Durchführung, sondern vielmehr durch die Ausrichtung auf Experten als spezifische Zielgruppe auszeichnet. Diesbezüglich steht stets die Frage im Mittelpunkt, wer als Experte im methodologischen Sinne gilt.49 Dieser Punkt grenzt das Experteninterview vom allgemeinen Leitfadeninterview ab. Von besonderer Bedeutung ist, dass vor der eigentlichen Durchführung der Interviews konkrete Kriterien hinsichtlich der Festlegung der Stichprobenstruktur festgesetzt werden. Mithilfe der Darstellung der Stichprobenstruktur soll die Stichprobe absichtsvoll und begründet abgebildet werden.50 Als Experte gilt grundsätzlich derjenige, der zu einem begrenzten Sachverhalt über ein eindeutiges sowie abrufbares Wissen verfügt, seine Ansichten auf trennscharfe Behauptungen stützt und dessen Urteile keine unverbindlichen Annahmen darstellen.51 Die Überprüfung der Expertenfestlegung kann anhand von allgemeingültigen Zuordnungskriterien erfolgen. Die Durchführung eines Experteninterviews baut zum einen auf strukturierten, konzeptionellen Vorüberlegungen auf und zum anderen wird durch das Erzählprinzip die Bedeutungsstrukturierung anhand der Forschungssubjekte gewahrt. Somit kann die Ausrichtung des Experteninterviews auch als geschlossene Offenheit bezeichnet werden, die konzeptionelle Vorüberlegungen durch eine offene Gesprächstechnik kombiniert.52 Der Interviewer soll sich durch eine einerseits thematisch kompetente Gesprächsinitiierung und -leitung sowie andererseits durch eine zurückhaltend interessierte Haltung auszeichnen.53 Die wesentlichen allgemeinen Vorteile der mündlichen Befragung liegen darin, dass Probleme im Antwortverhalten der Befragten bereits während der Durchführung umgehend erkannt werden, die Herstellung einer Vertrauensbasis erfolgen kann, ein breiter und offener Zugang zu einem Forschungsgebiet mit begrenztem Vorwissen ermöglicht wird und eine thematische Schwerpunktsetzung stringent erfolgen kann.54 Demgegenüber gelten als Nachteile die erhöhte Gefahr der Verfälschung von Interviews in Form von beispielsweise nicht

49Vgl.

Wolf (2011), S. 178. Mayer (2009), S. 38. 51Vgl. Meuser und Nagel (1997), S. 484. 52Vgl. Liebold und Trinczek (2009), S. 36–37. 53Vgl. Trinczek (1995), S. 66. 54Vgl. Hopf (1978), S. 110; Berekoven et al. (2009), S. 95; Stocké (2019), S. 745–755; Liebold und Trinczek (2009), S. 53. 50Vgl.

6.3 Untersuchungsdesign

121

zielführenden Unterbrechungen des Redeflusses, Suggestivfragen, Belehrungen, unverständlichen Fragen oder Anonymitätsverletzungen, der oftmals schwierige Zugang zum Interviewpartner, das Problem der Aussagekraft bei einer kleinen Personenanzahl und die methodische Ungewissheit hinsichtlich der Definition des Expertentums.55

6.2.5 Methodenwahl Die Zielsetzung der qualitativen Studie besteht in der Validierung und Vertiefung der gewonnenen Erkenntnisse aus der systematischen Literaturübersicht. Es handelt sich um ein komplexes Feld, das allgemeine Themengebiete wie Familienunternehmen, Unternehmenssteuerung und Unternehmenskrisen umfasst. Aufgrund dessen können die durch die Literaturübersicht systematisch gewonnenen Erkenntnisse bestmöglich durch fundierte Experten bewertet werden. Wie bereits dargestellt, eignen sich Experteninterviews zur Exploration eines tendenziell wenig fundierten Forschungsbereichs zur Beantwortung der hiesigen Forschungsfragen.56 Die Befragung basiert auf renommierten Experten aus unterschiedlichen Berufsgruppen, die zahlreiche Facetten der Thematik beleuchten. Im Anschluss an die qualitative Methode der Experteninterviews besteht die Möglichkeit, die Zusammenhänge des gewonnenen Detailwissens durch einen quantitativen Ansatz zu beurteilen. Somit ist es zunächst zwingend notwendig, tieferes Wissen über die Sachverhalte zu erlangen. Das Fachwissen der Experten ist hierfür essentiell. Die Sichtweisen, die sich zum Teil erst im Gesprächsverlauf herauskristallisieren, geben wichtige Hinweise für die aktuellen Forschungsbedürfnisse. Daher wird auf das leitfadengestützte, semistrukturierte Experteninterview als Erhebungsmethode zurückgegriffen.

6.3 Untersuchungsdesign Aus den vorangegangenen Kapiteln wird deutlich, dass es zu den Merkmalen und Ausgestaltungsformen der Eigentümerstruktur in Form von Familien- und Nicht-Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten kaum bzw. keine

55Vgl.

Reinders et al. (2015), S. 85–96; Buber und Holzmüller (2009), S. 420; Reichertz (2019), S. 36–37. 56Vgl. Kvale (2007), S. 1–2.

122

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

eindeutigen Untersuchungen gibt. Angesichts des hohen Anteils von Familienunternehmen sowohl in Deutschland als auch Westeuropa überrascht dieser Umstand. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, sowohl die aus der vorherigen systematischen Literaturübersicht abgeleiteten Hypothesen als auch den gewonnenen Modellrahmen weiterzuentwickeln. Dies soll durch die Berücksichtigung aktueller und künftiger Herausforderungen sowie der genauen Eigenheiten der Eigentümerstrukturen gewährleistet werden. Das Expertentum ist in der Lage, diese Faktoren in das Zentrum des Modells zu stellen, indem die theoretischen Erkenntnisgewinne mit den praktischen Gegebenheiten des Untersuchungsgegenstands verknüpft werden. Aufgrund des nicht-numerischen Charakters der zu sammelnden Daten sind die Experteninterviews als qualitativ zu charakterisieren.57 Ziel der Erhebung ist es, den Einfluss der Eigentümerstruktur auf den Prozess der Bewältigung einer Unternehmenskrise auf einer qualitativen Ebene zu bewerten. Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass in Anbetracht des qualitativen Forschungsansatzes und der Stichprobengröße kein Anspruch auf statistische Relevanz erhoben werden kann.58 Allerdings ermöglichen die Experteninterviews den Zugang zu einem spezifischen Wissen, über das i. d. R. nur die Personen verfügen, die die relevanten Situationen unmittelbar erleben und gestalten. Entsprechend verfügt ein Experte über Spezialwissen zu dem zu erforschenden Kontext. Dies dient unmittelbar dem Zweck dieser Untersuchung in Form der Weiterentwicklung und Erschließung spezifischer Zusammenhänge, die in der Literatur lediglich bedingt betrachtet werden können.59 Das Expertentum ermöglicht den Zugang zu diesem spezifischen Wissen.60 Die vorherigen Erläuterungen legen dar, dass der qualitative Ansatz viele Bereiche im Zusammenhang mit der Eigentümerstruktur in Form von Familienunternehmen sowie Nicht-Familienunternehmen und der Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung beleuchtet. Um sicherzustellen, dass die einzelnen Bestandteile im Zuge des Interviewleitfadens erfasst werden, wird der in Abschnitt 5.4 aufgestellte Modellrahmen durch Abbildung 6.1 ergänzt. Die Abbildung greift das vorgestellte Modell auf, stellt einzelne Komponenten detailliert dar und stellt sicher, dass der Interviewleitfaden sämtliche in der Darstellung aufgeführte Faktoren mit mindestens einer Frage adressiert.

57Vgl.

Saunders et al. (2016), S. 145–152. Crouch und McKenzie (2006), S. 484. 59Vgl. Holzhauser (2015), S. 91. 60Vgl. Gläser und Laudel (2010), S. 12–13. 58Vgl.

Determinanten

Analysetypus

6.3 Untersuchungsdesign

123

Familienunternehmen / Nicht-Familienunternehmen

Zielvorstellungen

Corporate Governance

Performanc

MCS

Unternehmenskrise

Risikoeinstellung

Berater

Investition und Finanzierung

Liquiditätsmanagement

Solventes Unternehmen

Krisenunternehmen

Abb. 6.1   Bestandteile der qualitativen Untersuchung

Die Expertenbefragung erfolgt telefonisch unter Verwendung eines teilstrukturierten61 Interviewleitfadens. Dieser wird im Abschnitt 6.4 näher erläutert. Bei der Datenerhebung wird gem. den Grundsätzen einer telefonischen Befragung nach Frey und Oishi (1995) vorgegangen.62 In einem ersten Schritt erfolgt die Festlegung der relevanten Expertengruppen. Anschließend werden anhand bereichsindividueller Identifikationskriterien die kompetentesten Experten der jeweiligen Gruppe bestimmt. Nach der ersten Kontaktaufnahme, die entweder telefonisch oder per E-Mail erfolgt, erhalten die Experten eine Kurzbeschreibung des Forschungsvorhabens, den Interviewleitfaden und die Bitte, einen Terminvorschlag für die Durchführung des Interviews mitzuteilen.63 Um ein hohes Maß an Präzision der Daten zu gewährleisten, werden die Telefonate nach Einholung des Einverständnisses der Experten mithilfe eines Tongeräts aufgezeichnet. Im unmittelbaren Anschluss erfolgt die Transkription und Auswertung der Experteninterviews nach dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002).64 Aus Präzisions- und Effizienzgründen wird die Kodierung sowie Auswertung computergestützt mit dem Analyseprogramm MAXQDA65 vorgenommen. 61Die

Begriffe halb-, teil- und semistrukturiert sowie halb-, teil- und semistandardisiert gelten als Synonyme. 62Vgl. Frey und Oishi (1995). 63Vgl. Frey und Oishi (1995), S. 51. 64Vgl. Mayring (2002); Mayring (2008). 65Für weiterführende Informationen zur Software MAXQDA vgl. VERBI GmbH (2019).

124

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

6.4 Interviewleitfaden Wie bereits angeführt, wird im Rahmen der Durchführung der Experteninterviews ein semistrukturierter Interviewleitfaden verwendet.66 Es handelt sich ausschließlich um offene Fragen. Der Interviewleitfaden erlaubt die Behandlung mehrerer unterschiedlicher Themengebiete und zielt darauf ab, sowohl genau bestimmbare als auch komplizierter zu erfassende Informationen zu sammeln. Die Konstruktion des Leitfadens beruht auf dem theoretischen Vorverständnis über das Forschungsfeld und den Erkenntnissen der systematischen Literaturübersicht. Der vollständige Interviewleitfaden ist exemplarisch für die Gruppe der Wissenschaftler Anhang 1 zu entnehmen. Diese unterscheiden sich allerdings lediglich hinsichtlich der Formulierung der allgemeinen Fragen. Zur Veranschaulichung kann Tabelle 6.1 bereits eine Übersicht zu dem verwendeten Interviewleitfaden, der die jeweilige Kategorie, Frage sowie Zielsetzung beinhaltet, entnommen werden. Tab. 6.1   Übersicht Interviewleitfaden Kategorie

Frage

Zielsetzung

Allgemeine Fragen

1. Bitte beschreiben Sie kurz Ihren beruflichen Hintergrund. 2. Welchen Anteil nehmen Familienunternehmen bei Ihren/Ihrer Veröffentlichungen/ Mandantschaft ein?

Werdegang und Tätigkeit, ­Darstellung der Expertise.

Grundverständnis 3. Wie definieren Sie Familienunternehmen? 4. W  as sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen FamilienEigenschaften von Familienunternehmen? unternehmen

Definitionskriterien und Eigenschaften von Familienunternehmen.

Grundverständnis 5. Worin liegen Ihrer Erfahrung nach die wesentlichen Ursachen für Unternehmenskrisen? Unternehmens6. Wie schätzen Sie die Krisenreaktion bei krise deutschen Unternehmen ein?

Ermittlung wesentlicher Krisenursachen und Abschätzung der Krisenreaktionszeit.

Krisenbewältigung

Bewertung der Krisenbewältigung differenziert nach Eigentümerstrukturen.

7. Besteht Ihrer Auffassung nach ein Zusammenhang zwischen der Eigentümerstruktur in Form von Familienunternehmen sowie NichtFamilienunternehmen und der Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung? Falls ja, an welchen Aspekten lässt sich dies festmachen?

(Fortsetzung) 66Vgl.

Stier (1999), S. 184.

6.4 Interviewleitfaden

125

Tab. 6.1   (Fortsetzung) Kategorie

Frage

Zielsetzung

Zielvorstellung

  8. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Familienunternehmen und Nicht-­ Familienunternehmen im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Zielvorstellung?

Philosophien/ Werte der Gründer, Familienimmanente Faktoren.

Corporate Governance und Risikoeinstellung

  9. Welche Unterschiede bestehen im Bereich der Corporate Governance zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen und wirken sich diese auf die Krisenbewältigung aus? 10. Differenzieren sich Ihrer Ansicht nach Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen hinsichtlich ihrer Risikoeinstellung und hat diese Auswirkungen auf den Krisenverlauf?

Organisationsstruktur, Motivationsanreize, Akzeptanz, Risikoaffinität, Sicherung von Eigentum und Ansehen der Familie.

Investition, Finanzierung, Liquiditätsmanagement

11. Unterscheiden sich Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen während wirtschaftlichen Krisenzeiten in ihrem Investitions- und/oder Finanzierungsverhalten? 12. Welche Wichtigkeit schreiben Sie konkret dem Liquiditätsmanagement zu und wie beurteilen Sie die Ausgestaltung von diesem in Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen?

Investitionsreduktion, Fremdkapitalkonditionen, Relevanz des Liquiditätsmanagements.

Externe Berater

13. Welche Einflussmöglichkeiten besitzt ein externer Berater während wirtschaftlichen Krisenzeiten und an welchen Aspekten lassen sich diese konkret festmachen?

Einflussmöglichkeiten externer Berater in Krisenzeiten.

Humankapital

14. Bestehen Ihrer Erfahrung nach Unterschiede im Umgang mit Beschäftigten während Unternehmenskrisen zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen?

Bewertung des Humankapitals differenziert nach Eigentümerstrukturen.

Familienmitglied 15. Angenommen die Unternehmensleitung eines Familienunternehmens ist mit in der Untermindestens einem Familienmitglied besetzt. nehmensleitung Annahmegemäß ist die Qualifikation des Familienmitglieds identisch zu der eines Fremdgeschäftsführers. Wie wirkt sich dies auf die Leistungsfähigkeit des Familienunternehmens aus?

Bewertung der Einheit von Eigentum und Leitung in Familienunternehmen.

126

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Tabelle 6.1 zeigt, dass die einzelnen Fragen in Kategorien eingeteilt sind. Die allgemeinen Fragen erfassen die persönlichen Angaben des Experten, dessen Tätigkeit (Frage 1) und den Anteil der Familienunternehmen im Rahmen der Tätigkeit (Frage 2). Die zweite Frage dient der Sicherstellung, dass der Befragte über ausreichend Expertise in Bezug auf Familienunternehmen verfügt und diese einen bedeutenden Anteil an seiner Tätigkeit haben. Die Kategorien Grundverständnis Familienunternehmen und Unternehmenskrisen zielen darauf ab, ein allgemeines, durch die Experten bestätigtes Verständnis über die beiden zugrunde liegenden Themenkomplexe zu erlangen. Frage 7 bis 15 kennzeichnen die Schlüsselfragen des Interviewleitfadens. Frage 7 beruht auf der in der Literatur vorgefundenen Annahme, dass Familienunternehmen Krisen tendenziell effektiver bewältigen als Nicht-Familienunternehmen. Somit kann diese als Basis für die nachfolgenden ­ Fragen angesehen werden, die einzelne Aspekte der beiden Organisationsformen im Detail behandeln. Frage 8 adressiert Unterschiede in der jeweiligen Zielvorstellung von Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen, indem beispielsweise auf Differenzen in den zugrunde liegenden Philosophien oder Werten der Unternehmen eingegangen wird. Die Interviewleitfadenkategorie Corporate Governance und Risikoeinstellung zielt auf die unterschiedliche Organisationsstruktur und Risikoaffinität ab, die möglicherweise einen Einfluss auf den Prozess der Krisenbewältigung haben können (Frage 9 und 10). Anschließend folgt die finanzielle Betrachtungsweise. Es wird nach Experteneinschätzungen zur Höhe der Investitionsreduktion in der Krise, Unterschiede hinsichtlich der Fremdkapitalaufnahme und der Wichtigkeit sowie Ausgestaltung des Liquiditätsmanagements gefragt (Frage 11 und 12). Der Zweck der Interviewleitfadenkategorie Externe Berater ist herauszufinden, ob externe Berater speziell in Krisenzeiten über besonders hohe Einflussmöglichkeiten verfügen und welchen Aufgaben diese nachkommen müssen (Frage 13). Frage 14 beschäftigt sich mit den Unterschieden hinsichtlich des Umgangs mit Beschäftigten und versucht Gründe für die Annahme zu finden, dass das Humankapital während einer Unternehmenskrise besonders vorteilhaft für Familienunternehmen sein kann. Abschließend wird das Expertentum mit der Ausgangssituation konfrontiert, dass die Unternehmensleitung eines Familienunternehmens mit mindestens einem Familienmitglied besetzt ist, welches annahmegemäß im Vergleich zu einem Fremdgeschäftsführer über dieselbe Qualifikation verfügt. Ziel der letzten Schlüsselfrage ist es herauszufinden, ob alleine der familiäre Hintergrund Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens hat.

6.5 Stichprobe

127

6.5 Stichprobe Eine Stichprobe ist definiert als die Teilmenge einer Population, die im Mittelpunkt einer Untersuchung steht.67 Auf Grundlage der abgeleiteten Erkenntnisse aus der Stichprobe wird eine Aussage über die Grundgesamtheit getroffen.68 Im idealtypischen Fall liegt eine vorgefertigte Liste der Grundgesamtheit mit sämtlichen potenziellen Experten vor.69 Für die vorliegende Untersuchung ist eine solche Liste jedoch nicht vorhanden. Daher handelt es sich um ein sog. NonProbability Sampling.70 Deshalb gilt es, zunächst im Rahmen der Anwendung des Forschungsdesigns der Experteninterviews das zugrunde liegende Expertentum eigenständig zu identifizieren. Die Themenfelder Eigentümerstruktur, Unternehmenskrise, Sanierung, Insolvenz und Unternehmenssteuerung adressieren ein weitläufiges Expertenfeld. Von daher ist es von zentraler Relevanz, diejenigen Personen zu identifizieren, die eine hohe Expertise aufweisen bzw. führend in dem jeweiligen Feld sind. Deshalb wird eine Auflistung möglicher Bereiche, aus denen Experten stammen können, vorgenommen. Grundsätzlich zeigt die Analyse, dass Experten den Bereichen Beratertum, Gerichtsbarkeit, Wissenschaftler, Insolvenzverwalter und Unternehmensvertreter angehören. Neben den diversen Geheimhaltungspflichten, denen Vertreter der Gerichtsbarkeit unterliegen, spricht insbesondere die fehlende juristische Ausrichtung dieser Untersuchung für den Ausschluss dieses Expertentums. Der Fokus der Analyse liegt auf den Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken, die eine Krisensituation verschärfen, und vernachlässigt detaillierte rechtliche Rahmenbedingungen. Zudem erscheint es wenig sinnvoll, Angehörige von Krisen- bzw. insolventen Unternehmen zu befragen. Zum einen besteht oftmals nicht mehr die Möglichkeit der Befragung aufgrund einer bereits eingetretenen Insolvenz und zum anderen bestehen Zweifel hinsichtlich der ausreichenden Expertise dieser Vertreter für den aufgerufenen Sachverhalt. Somit lässt sich das Expertentum in die drei Bereiche Wissenschaftler, Berater und Insolvenzverwalter unterteilen. Ziel dieser breit angelegten Fächerung der Tätigkeitsfelder ist es, ein möglichst umfassendes, aber trotzdem qualitativ hochwertiges Bild der Thematik Eigentümerstruktur in einer Bestandsgefährdung zu generieren.

67Vgl.

Pokropp (2017), S. 12. Hammann und Erichson (2000), S. 125–126. 69Vgl. Frey und Oishi (1995), S. 14. 70Vgl. Thomas et al. (2007), S. 431; Holzhauser (2015), S. 95–96. 68Vgl.

128

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Die Auswahl der Experten erfolgt anhand gruppenspezifischer Identifizierungskriterien. Dies unterstreicht, dass bei diesem qualitativen Forschungsvorhaben nicht auf die quantitative Repräsentativität der Untersuchungsgegenstände Wert gelegt wird, sondern die qualitative Repräsentativität bezüglich der Identifizierung der Experten nach festgelegten Kriterien von Relevanz ist.71 Hinsichtlich der Gruppe der Berater kann weiterführend zwischen Restrukturierungsberater und Steuerberater sowie Wirtschaftsprüfer differenziert werden (vgl. Abbildung 6.2). Die Gruppe der Wissenschaftler wird mithilfe einer eigens angefertigten Literaturrecherche bestimmt. Der Suchterm mit dem in der Digitalen Bibliothek, einem öffentlichen Internet-Bibliothekskatalog für den Zugang wissenschaftlicher Informationen, gesucht wird, lautet: („Familienunternehmen“ ODER „Eigentümerstruktur“ ODER „Eigentümer“ ODER „Familienbetrieb“) UND („Krise“ ODER „Unternehmenskrise“ ODER „Insolvenz“ ODER „Bankrott“ ODER „Konkurs“ ODER „Bestandsgefährdung“). Die Suchabfrage ist entsprechend der Suchbegriffe auf die deutsche Sprache und einen achtjährigen Zeitraum von 2011–2018 begrenzt. Für den Suchterm und die Einschränkungen ergeben sich 112 Aufsätze. Zunächst werden die einzelnen Titel, gefolgt von den Inhaltszusammenfassungen bis zu den Volltexten, auf Relevanz für das vorliegende Untersuchungsphänomen geprüft. Letztendlich lassen sich 21 Veröffentlichungen von insgesamt 29 Wissenschaftlern identifizieren. Falls ein Autor mit mehr als einer Veröffentlichung in der Abfrage gelistet ist, wird dieser nur einmal aufgenommen. Zur Identifikation der Restrukturierungsberater als Untergruppe der Berater dient die Rangfolge der Zeitschrift Focus.72 Die Rangfolge bildet die hochkarätigsten Kanzleien in 2018 mit dem Arbeitsgebiet Insolvenz und Sanierung ab. Innerhalb der dargestellten 39 Kanzleien wurde ein weiteres Qualitätsmerkmal eingebaut und somit 24 Gesellschaften für das Expertentum bestimmt. Die zweite Untergruppe der Berater, die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, wird anhand des IDW Fachausschusses Sanierung und Insolvenz (FAS) bestimmt. Eine Aufnahme als Experte erfolgt nur von denjenigen Mitgliedern, die

71Vgl.

Diefenbach (2009), S. 879. Focus (2018). Zur Validierung der Rangliste der Zeitschrift Focus vgl. brand eins (2018), S. 104–112; brand eins (2019), S. 72–91. Die Zeitschrift brand eins untersucht jährlich die in Deutschland tätigen Beratungsunternehmen und vergleicht diese differenziert nach Arbeitsbereich sowie Branche. Die Ranglisten der Jahre 2018 und 2019 bestätigen die Ergebnisse der Zeitschrift Focus. 72Vgl.

6.5 Stichprobe

129

auch Berufsträger sind. Für die Gruppe der Insolvenzverwalter wird ebenfalls auf eine Rangfolge zurückgegriffen. Dies wurde von der Zeitschrift Wirtschaftswoche mit dem Titel „Die führenden Insolvenzkanzleien 2017“ erstellt.73 Der Auswahlprozess ist in der nachfolgenden Abbildung grafisch dargelegt.

I. Forscher

II. Berater

III. Insolvenzverwalter

Restrukturierungsberater

Steuerberater & Wirtschaftsprüfer

Review

Ranking Zeitschrift Focus

IDW Fachausschuss Sanierung und Insolvenz

Ranking Zeitschrift Wirtschaftswoche

21 Veröffentlichungen 29 Personen

24 Gesellschaften

10 Personen

10 Gesellschaften

Abb. 6.2   Expertenauswahl

Insgesamt wurden 20 Interviews im Zeitraum Dezember 2018 – März 2019 geführt. Für die Kontaktaufnahme wurde zum einen auf das sog. Schneeballprinzip74 zurückgegriffen und zum anderen der Aspekt der Wiederholung getroffener Aussagen berücksichtigt.75 Entsprechend konnte von einer Kontaktierung aller Experten abgesehen werden. Von den 20 geführten Interviews sind vier Gespräche als Pretests einzuordnen, die dem Zweck dienten, den Interviewleitfaden zu optimieren und die Gesprächssituation ausreichend zu testen. Die Pretests haben allesamt bestätigt, dass die Ausgestaltung des Interviewleitfadens zielführend ist und sämtliche Restriktionen eingehalten werden können. Die Ergebnisse der vier Pretests weichen im Allgemeinen nicht von den im Anschluss durchgeführten 16 Interviews mit dem identifizierten Expertentum ab. Aufgrund dessen werden die Ergebnisse der Pretests in die Auswertung mitaufgenommen. Entsprechend basieren die Untersuchungsergebnisse aus sämtlichen 20 geführten Experteninterviews. Von den im Anschluss an die Pretests

73Vgl.

Wirtschaftswoche (2018). Rahmen der Anwendung des Schneeballprinzips befragt der Interviewende eine Person aus der interessierenden Grundgesamtheit und bittet diese anschließend, eine oder weitere Personen zu nennen, die nach Einschätzung des Interviewten ebenfalls für die Studie relevant sein könnten. Vgl. hierzu Misoch (2019), S. 207–208. 75Für weiterführende Informationen zu den verschiedenen Verfahren der Stichprobenbildung in der qualitativen Forschung vgl. Misoch (2019), S. 203–211; Ullrich (2019), S. 66–76. 74Im

130

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

durchgeführten 16 Interviews entfallen jeweils vier Gespräche auf die Gruppe der Wissenschaftler, Restrukturierungsberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie Insolvenzverwalter. Lediglich die Gruppe der Wissenschaftler wurde in den Pretests nicht berücksichtigt, da deren Eignung für das vorliegende Forschungsfeld durch die durchgeführte systematische Literaturübersicht ausreichend beleuchtet wurde. 19 von 20 Interviews durften mithilfe eines Aufnahmegeräts aufgezeichnet werden. Bei einem Gespräch wurde dies nicht gestattet und lediglich schriftliche Aufzeichnungen erstellt. Die durchschnittliche Gesprächsdauer beträgt 29,05 Minuten bei einer Standardabweichung von 6,8 Minuten. Aufgrund der gezielten Ansprache renommierter Experten unter Berücksichtigung des Schneeballprinzips konnte eine Rücklaufquote von 47 % erreicht werden.

6.6 Auswertungsverfahren Die Auswertung der Experteninterviews basiert auf dem sozialwissenschaftlichen Ansatz der Grounded Theory. Diese wurde von Glaser und Strauss (1967) in den 1960er Jahren entwickelt.76 Die Grounded Theory beschreibt die systematische Sammlung und Auswertung von insbesondere qualitativen Daten mit der Zielsetzung der Theoriengenerierung.77 Es gilt, im Rahmen eines wiederholenden Prozesses der Datenerhebung und -analyse sukzessive Kategorien zu bilden, diese miteinander in Beziehung zu setzen und abschließend zu einer Theorie zu verdichten. Die Grounded Theory kann als Forschungsstil aufgefasst werden, der aus gesammelten Daten eine möglichst realitätsnahe und pragmatische Handlungstheorie entwickelt.78 Entsprechend handelt es sich nicht um eine einzelne Methode. Der Fokus der Grounded Theory liegt auf der Anwendbarkeit der Theorie in der Praxis und der damit verbundenen Aufdeckung zugrunde liegender Phänomene statt Rekonstruktion rein subjektiver Sichtweisen.79 Die Transkription und Auswertung der Experteninterviews erfolgt computergestützt unter Verwendung der Software MAXQDA. Als Auswertungsmethode

76Vgl.

Glaser und Strauss (1967). Strauss und Corbin (1994), S. 273–285. 78Vgl. Bryant und Charmaz (2010); Equit und Hohage (2016). 79Vgl. Breuer et al. (2018). 77Vgl.

6.6 Auswertungsverfahren

131

dient die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2002).80 Das Ziel der Methode der strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse liegt in der Identifizierung der Struktur des Interviewmaterials und der Überführung dieser in ein Kategoriensystem. Die Stärke besteht in der streng methodisch kontrollierten, schrittweise durchgeführten Analyse des Materials.81 Es gilt, die Textstellen, die einer Kategorie zugeordnet werden können, systematisch zu extrahieren.82 Im ersten Schritt, der Datenerkundung, gilt es, einen Überblick über das transkribierte Material zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurden die Interviewtexte gelesen und alles Relevante mit der Notizfunktion in MAXQDA festgehalten, mit Codes versehen und mit Überschriften zusammengefasst. Die Kodierung wurde sowohl auf Basis der durch die systematische Literaturübersicht generierten Hypothesen als auch anhand von Erkenntnissen, die im Laufe der Analyse erworben wurden, vorgenommen. Im nachfolgenden Schritt wurden die kodierten Textstellen analysiert und nach Möglichkeit zusammengefügt. Das entstandene Codesystem repräsentiert die Struktur der Interviewtexte und ermöglicht deren Vergleich miteinander. Dadurch gelang es, interviewübergreifende Hypothesen zu erkennen und die kategorienbasierte Auswertung zu schärfen. Kategorien stehen für einen bestimmten thematischen Aspekt, stammen aus dem Material oder werden von außen herangetragen.83 Mayring (2002) unterscheidet zwischen deduktiver und induktiver Kategorienbildung.84 Die folgende Auswertung greift auf die deduktive Kategorienbildung zurück, da bereits vor der Analyse des Datenmaterials Kategorien anhand der systematischen Literaturübersicht aufgestellt und definiert wurden. Das Ziel der Durchführung der Experteninterviews ist die Extrahierung festgelegter Elemente aus dem gewonnenen Interviewmaterial. Das deduktive Vorgehen bietet sich insbesondere an, wenn bereits umfassendes Vorwissen besteht, Hypothesen bezüglich des Forschungsgegenstandes aufgestellt wurden und/ oder ein standardisierter Interviewleitfaden vorliegt. Alle drei Faktoren können für diese Analyse als gegeben angesehen werden. Durch die Kodierung einzelner Textpassagen in festgelegte Codes (Hauptkategorien) und Subcodes (Unterkategorien) in MAXQDA wird ein hohes Maß an Übersichtlichkeit gewährleistet. Dabei können Zitate mehreren Kategorien zugeordnet werden. Gem. Kuckartz ist die Zitation ein unverzichtbarer Bestandteil der Darstellung einer qualitativen

80Vgl.

Mayring (2002). Mayring (2002), S. 114. 82Vgl. Mayring (2002), S. 118; Mayring (2008), S. 82–83. 83Vgl. Kuckartz (2008), S. 33–36. 84Vgl. Mayring (2008), S. 74–75. 81Vgl.

132

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Analyse.85 Aufgrund dessen werden in der folgenden Analyse prägnante Zitate zu den einzelnen Hauptkategorien mit der Zielsetzung, nicht lediglich auf einer reproduzierenden und beschreibenden Ebene zu verharren, niedergeschrieben.86 Die Zitate sind in kursiv gedruckt und dem jeweiligen Experten (ID 1–20) zugeordnet. Entsprechend steht ID 15 beispielsweise für Experte Nummer 15. Das Z in den Fußnoten ist die Abkürzung für die Zeilennummer in den jeweiligen in MAXQDA hinterlegten Transkripten. Als inhaltliche Gütekriterien für die Bewertung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse gilt es insbesondere, die semantische Gültigkeit (Validität im engeren Sinne) und Exaktheit (Reliabilität) zu betrachten.87 Gütekriterien sind von zentraler Bedeutung, da diese eine Inhaltsanalyse von einem unstrukturiert durchgeführten interpretativen Verfahren abgrenzen.88 Die semantische Gültigkeit beschreibt die Richtigkeit der Bedeutungsrekonstruktion und lässt somit Aussagen zu der Angemessenheit der Kategoriendefinitionen zu. Um der semantischen Gültigkeit Rechnung zu tragen, wurde das Codesystem im Sinne der Intercoder-Reliabilität89 in einem angemessenen Rahmen vor fachkundigem und kritischem Publikum präsentiert sowie diskutiert.90 Die Exaktheit bezieht sich auf die regelbasierte Analyse.91 Entsprechend muss die Analyse einem funktionellen Standard folgen. Durch die computergestützte Auswertung der Interviews wurde ein möglichst hoher Grad an Nachvollziehbarkeit, Stabilität und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse sichergestellt. Es wird ersichtlich, dass die Transparenz des Auswertungsprozesses ein Kernelement für die qualitative Inhaltsanalyse ist. Obwohl der Fokus im Rahmen der Auswertung stets auf einem transparenten Vorgehen liegt, besteht die Gefahr einer Verzerrung hinsichtlich der Interpretation der Ergebnisse.

85Vgl.

Kuckartz (2008), S. 45. Ließfeld (2012), S. 159–161. 87Für die weiteren Gütekriterien Stichprobengültigkeit, korrelative Gültigkeit, Vorhersagegültigkeit, Konstruktgültigkeit, Stabilität Reproduzierbarkeit vgl. Mayring (2002); Mayring und Fenzl (2019). 88Vgl. Mayring und Fenzl (2019), S. 635–637. 89Die ­ Intercoder-Reliabilität stellt ein spezifisches Instrument der qualitativen Inhaltsanalyse dar. Die Ermittlung erfolgt, indem mehrere Personen (Kodierer) das Datenmaterial auf Grundlage des Kategoriensystems und unter Verwendung des Kodierleitfadens unabhängig voneinander kodieren. Für weiterführende Informationen zur Intercoder-Reliabilität vgl. Mayring (2008). 90Vgl. Gläser und Laudel (2010), S. 210. 91Vgl. Mayring und Fenzl (2019), S. 633–635. 86Vgl.

6.7  Auswertung der Experteninterviews

133

6.7 Auswertung der Experteninterviews 6.7.1 Vorbemerkungen Der Interviewleitfaden enthält gem. Abschnitt 6.4 die drei Bereiche Allgemeine Fragen, Grundverständnis von Familienunternehmen und Unternehmenskrisen sowie Schlüsselfragen. Die Erkenntnisse werden anhand tabellarischer Übersichten und konkreter Textpassagen im Folgenden ausgewertet sowie analysiert. Zu beachten ist, dass ein Experte zu einer getroffenen Einschätzung ebenfalls keine oder mehrere Gründe liefern kann. Entsprechend stimmt die Summe der getroffenen Aussagen i. d. R. nicht mit der Anzahl der befragten Experten überein. Die Ergebnisdarstellung im Bereich „Schlüsselfragen“ wird durch den Ausweis von relativen Häufigkeiten untermauert. Die prozentualen Anteile werden ausgewiesen, sobald das Expertentum zu dem jeweiligen Thema eine Einschätzung in Form vorgegebener Ausprägungen abgeben musste. Entsprechend erfolgt die Darstellung relativer Häufigkeiten für die Bewertung der Eigentümerstruktur im Zusammenhang mit dem jeweiligen Themengebiet, die Relevanz des Liquiditätsmanagements und des externen Beraters sowie die Besetzung der Unternehmensleitung mit einem Familienmitglied. Darüber hinaus wird auf den Ausweis relativer Häufigkeiten verzichtet. Die Ergebnisse der Bereiche allgemeine Fragen sowie Grundverständnis von Familienunternehmen und Unternehmenskrisen werden zusammenhängend in Abschnitt 6.7.2 erläutert. Die Erkenntnisse zu dem Bereich Schlüsselfragen werden nach Themenfeldern unterteilt in den Abschnitt 6.7.3–6.7.5 dargestellt.

6.7.2 Charakteristiken des Expertentums und Grundverständnis von Familienunternehmen sowie Unternehmenskrisen Die beiden im Interviewleitfaden enthaltenen allgemeinen Fragen zielen auf den beruflichen Hintergrund des interviewten Experten sowie auf den Anteil von Familienunternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ab. Grundsätzlich wurden jeweils vier Experten mit dem Hintergrund Wissenschaftler, Restrukturierungsberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie Insolvenzverwalter befragt. Zusätzlich wurden die durchgeführten Pretests mit einem Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, zwei Restrukturierungsberatern und einem

134

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Insolvenzverwalter berücksichtigt. Anzumerken ist, dass die Unterteilung zum Teil fließend ist. Entsprechend kann eine Person auch über den Schwerpunktbereich hinaus weitere Ausprägungen vorweisen. Aufgrund dessen ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich des beruflichen Hintergrunds und der Auseinandersetzung mit Familienunternehmen des befragten Expertentums (Tabelle 6.2). Tab. 6.2   Beruflicher Hintergrund des Expertentums Beruflicher Hintergrund ID Gruppe 1

Wissenschaftler

2

Wissenschaftler

3

Weitere Tätigkeit

Titel

Funktion

Anteil FUa

Prof. Dr. Professor

70 %

Restrukturierungsberater

Prof. Dr. Professor, Partner

> 50 %

Wissenschaftler

Jurist, Restrukturierungsberater

Prof. Dr. Professor, Partner

100 %

4

Wissenschaftler

Restrukturierungsberater

Dr.

Partner

100 %

5

Restrukturierungsberater

Dr.

Direktor

> 50 %

6

Restrukturierungsberater

Projektmanager

70 %

7

Restrukturierungsberater Steuerberater

Partner

70 %

Dr.

8

Restrukturierungsberater

Partner

80 %

9

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Partner

75 %

10 Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Restrukturierungsberater

Dr.

Partner

70 %

11 Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Restrukturierungsberater

Dr.

Partner

 50 % Angestellter Dr. Dr.

Restrukturierungsberater

Partner

90 %

Partner

50 %

Partner

50 %

Leitender 100 % Angestellter

6.7  Auswertung der Experteninterviews

135

Tab. 6.2   (Fortsetzung) Beruflicher Hintergrund ID Gruppe

Weitere Tätigkeit

Titel

Funktion

Anteil FUa

Partner

 70 % Angestellter

18 Restrukturierungsberater Jurist 19 Restrukturierungsberater Jurist 20 Insolvenzverwalter aDie Abkürzung

Jurist

Partner

30 %

FU steht für Familienunternehmen.

Die Tabelle veranschaulicht, dass dem Expertentum insgesamt zwölf Restrukturierungsberater, elf Juristen, sieben Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer, sechs Insolvenzverwalter sowie vier Wissenschaftler angehören. Die Stichprobe zeichnet sich durch einen Anteil von 60 % mindestens promovierter Experten aus. Ebenfalls ist die Position der Befragten im Unternehmen hervorzuheben. 14 der 20 interviewten Personen sind Partner in einem der führenden auf die Restrukturierungs- und Sanierungsbranche ausgerichteten Unternehmen in Deutschland. Lediglich bei den Experten mit der ID 11, 18 und 20 stellen Familienunternehmen nicht den überwiegenden Teil der Mandantschaft dar. Insgesamt betrachtet ergibt sich ein Anteil von Familienunternehmen an der Mandantschaft bzw. in Bezug zu den Veröffentlichungen der identifizierten Experten von ca. 65 %. Dabei ist der Gruppe der Wissenschaftler mit einem auf Familienunternehmen ausgerichteten Forschungsanteil von 80 % die stärkste Fokussierung zuzuordnen. Darauf folgen die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mit 69 %, die Restrukturierungsberater mit 67 % sowie die Insolvenzverwalter mit einem Familienunternehmensanteil in ihrer jeweiligen Mandantschaft von 62 %. Die Datenlage unterstreicht, dass ein fachlich hoch qualifiziertes Expertentum vorliegt, welches thematisch in der Lage ist, die aufgeworfenen Forschungsfragen zielführend beantworten zu können. Die Fragen 3–6 beschäftigen sich mit dem Grundverständnis der Interviewpersonen hinsichtlich der Themenkomplexe Familienunternehmen und Unternehmenskrisen. In Bezug auf Familienunternehmen wurde nach der Definition und deren wesentlichen Eigenschaften gefragt. Die Fragen zu Unternehmenskrisen zielen auf die wesentlichen Ursachen und die Krisenreaktion deutscher Unternehmen ab. Insgesamt zeigt sich ein homogenes Bild, das durch die folgende Analyse näher beschrieben wird. Tabelle 6.3 verdeutlicht, dass über alle interviewten Personen hinweg das Kriterium des Eigentums für die Definition eines Familienunternehmens entscheidend ist. ID 9 fasst die Meinung hinsichtlich dieses Kriteriums für das Expertentum wie folgt zusammen:

136

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

„Das Familienunternehmen befindet sich in dem Besitz von natürlichen Personen, die das Unternehmen gegründet haben bzw. deren Nachfolger sind. Die Mehrheit der direkten und indirekten Entscheidungsrechte liegt bei diesen Personen.“92

Entsprechend ist das Kriterium des Eigentums erfüllt, wenn sich das Familienunternehmen mehrheitlich (> 50 %) im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen befindet. Diese sollten nach herrschender Expertenmeinung „idealerweise familiär miteinander verbunden“93 sein. Tab. 6.3   Verständnis von Familienunternehmen Verständnis von Familienunternehmen Kriterien

Anzahl Nennungen

Definition Eigentum

20

Leitung

15

Generationen/Dynastie

8

Unternehmensgröße

1

Subjektives Empfinden

1

Eigenschaften Langfristige Orientierung, Familie als Ressource

13

Kontroll- und Führungsstrukturen

6

Kurze und effiziente Entscheidungsfindung

6

Hohe Eigenkapitalquote

4

Emotionalität

4

Nachfolgeproblematik

3

Skepsis gegenüber externen Beratern

2

Regionale Verbundenheit

1

Enger Kontakt zu Stakeholdern

1

Starke Stellung in Nischenmärkten

1

Haftungsrisiken

1

Auswahl mittelständischer Beratungen

1

92ID 93ID

9, Z. 30–32. 16, Z. 42.

6.7  Auswertung der Experteninterviews

137

75 % des Expertentums definieren Familienunternehmen darüber hinaus über das Leitungskriterium und sehen vor, „dass die Leitungsmacht im Kreis der natürlichen Personen liegt.“94 Insbesondere sämtliche Vertreter aus der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung betonen, dass ein Familienunternehmen erst vorliegt, sobald sowohl das Kriterium des Eigentums als auch das der Leitung erfüllt ist.95 Ein Experte aus dem Wissenschaftsbereich kombiniert die Kriterien des Eigentums und der Leitung und gibt an, dass „auch geringere Anteile bis zu 25 % plus eine Stimme genügen, wenn Familienmitglieder in der Geschäftsleitung oder im Aufsichtsrat eine erhebliche Rolle spielen.“96 Alle weiteren Experten treffen hierzu keine Aussagen und stellen das Kriterium des mehrheitlichen Anteilsbesitzes als notwendige Bedingung für das Vorliegen eines Familienunternehmens heraus. Für 8 der 20 befragten Experten ist das generationsübergreifende bzw. dynastische Verständnis bei der Definition eines Familienunternehmens zentral. Interviewperson 15 führt an, dass erst ein Familienunternehmen vorliegt, wenn dieses mindestens in der zweiten Generation in Familienhand gehalten wird.97 ID 1 fasst die Sichtweise des Generationenbzw. Dynastiekriteriums treffend zusammen: „Drittens spielt das sogenannte transgenerationale Moment, also, dass die Gesellschafter sich mit dem Generationenübergang permanent auseinandersetzen müssen, eine essentielle Rolle.“98

Ein Experte ergänzt, dass ein typisches Familienunternehmen für ihn relativ klein sei.99 Zudem betont Interviewperson 3 den subjektiven Begriff im Rahmen des Definitionsverständnisses eines Familienunternehmens.100 Dieser zielt neben dem objektiven Verständnis darauf ab, sich selbst als Familienunternehmen zu sehen und entsprechende Werte zu verkörpern, um letztendlich auch ein Familienunternehmen zu sein. Ansonsten würde es für gängige Definitionen von Familienunternehmen beispielsweise ausreichen, schlichtweg die mehrheitlichen Anteile mit

94ID

14, Z. 42–44. ID 9, Z. 28–43; ID 10, Z. 29–37; ID 11, Z. 40–49; ID 12, Z. 18–21; ID 17, Z. 61–75. 96ID 3, Z. 36–39. 97Vgl. ID 15, Z. 58–59. 98ID 1, Z. 39–42. 99Vgl. ID 14, Z. 46. 100Vgl. ID 3, Z. 31–48. 95Vgl.

138

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

dem Ziel der Weiterveräußerung zu halten. Dies steht konträr zu dem Verständnis eines Familienunternehmens.101 Zusammenfassend liegt für nahezu die Gesamtheit des befragten Expertentums ein Familienunternehmen vor, wenn sich dieses mehrheitlich (> 50 %) im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen befindet und von diesen geführt wird. Hinsichtlich der Unterschiede zwischen den Expertengruppen ist insbesondere zu beachten, dass die Gruppe der Wissenschaftler weitreichende Aussagen zu der Definition von Familienunternehmen tätigen und neben Eigentum und Leitung auch mit einer dreiviertel Mehrheit ein Generationen- bzw. Dynastiedenken in Familienunternehmen fordern.102 Die vom Expertentum genannten Eigenschaften von Familienunternehmen sind vielfältig. Tabelle 6.3 ist zu entnehmen, dass das Merkmal der langfristigen Orientierung und das Verständnis der Familie als Ressource am häufigsten angeführt werden. 13 der befragten Experten stellen die langfristige Orientierung und Planung sowie die Zielsetzung, das Familienunternehmen über mehrere Generationen in der Familie zu erhalten, als eine der wichtigsten Eigenschaften dar. Das Merkmal wird von allen vier befragten Wissenschaftlern hervorgehoben und zudem die besondere Stellung der Familie betont, wie die nachfolgenden Aussagen belegen. „Ein Wesentliches immer wieder zitiertes Merkmal ist die langfristige Überlebensperspektive mitsamt des transgenerationalen Merkmals und einer langfristigen Ausrichtung. Dies trägt viele Entscheidungsprozesse im Unternehmen mit sich und somit ist eine andere Zielausrichtung damit verbunden. Kurzfristige Ertragsgesichtspunkte spielen keine Rolle, sondern die Überlebensperspektive des Familienunternehmens, die generationsübergreifend ausgerichtet ist, steht im Vordergrund.“103 „Der Übertragungswille und -wunsch ist ein wesentliches Kriterium des Familienunternehmens. Familienunternehmen werden durch den Nachhaltigkeitsgedanken, der sich im Prinzip durch den Übertragungswunsch verfestigt und zudem durch die Wertegetriebenheit, d. h. nicht unbedingt kurzfristig schnelle Gewinne erzielen zu müssen, charakterisiert.“104

101Vgl.

ID 3, Z. 39–48. ID 1, Z. 39–42; ID 2, Z. 49–51; ID 4, Z. 41–42. 103ID 2, Z. 76–85. 104ID 3, Z. 54–61. 102Vgl.

6.7  Auswertung der Experteninterviews

139

„Es ist die Familie, die zum einen eine Ressource sein kann, aber auch eine Quelle des Konfliktes und der Zerstörung. Ich denke, eine weitere Eigenschaft ist die langfristige Orientierung von Familienunternehmen. Also der Fokus vieler Entscheidungen hinsichtlich der Generationstauglichkeit.“105

Sechs der 20 befragten Experten halten die Kontroll- und Führungsstrukturen von Familienunternehmen für eine prägende Eigenschaft.106 Dies liegt in der Prägung der Governance-Strukturen von langlebigen Familienunternehmen durch die Familienhaftigkeit begründet. Die Interviewpersonen zeigen auf, dass, solange jemand aus der Familie in dem Top-Management des Unternehmens sitzt, vielfach patriarchale Führungsmuster vorliegen. Diese drücken sich durch das Halten überdurchschnittlich vieler Führungsfunktionen aus. Damit sind verschiedene spezifische Führungsprozesse und Entscheidungsmechanismen verbunden, die sich um wenige Personen herum entwickelt haben.107 Familienunternehmen schaffen bewusst entsprechende Führungs- und Kontrollstrukturen mit der Zielsetzung, den Zusammenhalt innerhalb der Familie zu gewährleisten und den familiären Bezug zum Unternehmen sicherzustellen. Entsprechend stehen keineswegs lediglich profitorientierte Elemente, sondern auch generationsübergreifend bestimmte Führungsprinzipien im Mittelpunkt. Weitere sechs Experten heben die schnelle sowie effiziente Entscheidungsfindung von Familienunternehmen hervor. Diese ist in den angesprochenen flachen Hierarchien, der Monopolisierung der wesentlichen Verantwortungsbereiche sowie der damit verbundenen Gradlinigkeit in den relevanten Prozessen begründet. Entscheidungsträger von Familienunternehmen zeichnen sich durch ein hohes Verantwortungsbewusstsein aus.108 Die Entscheidungsgeschwindigkeit wird insbesondere von der Gruppe der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer als wesentliche Eigenschaft von Familienunternehmen gesehen.109 Darüber hinaus sehen vier Befragte eine hohe Eigenkapitalquote als charakteristisch für Familienunternehmen an. Der Gesellschafter, also die Familie im weiteren Sinne, ist derjenige, der die Finanzierung in Form von Barmitteln,

105ID

4, Z. 65–69. ID 2, Z. 85–97; ID 4, Z. 76–84; ID 7, Z. 54–58; ID 10, Z. 46–49; ID 11, Z. 55–56; ID 15, Z. 63–72. 107Vgl. ID 2, Z. 87–92. 108Vgl. ID 2, Z. 128–129; ID 8, Z. 29–30; ID 9, Z. 46; ID 11, Z. 52–53; ID 12, Z. 24–27; ID 16, Z. 48–52. 109Vgl. ID 9, Z. 32–40; ID 11, Z. 52–56; ID 12, Z. 24–25. 106Vgl.

140

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

sonstigen Vermögensgegenständen oder Bürgschaften in großen Teilen zur Verfügung stellt.110 Interviewperson 4 hebt die weichen Faktoren als Eigenschaft von Familienunternehmen in Form einer hohen Emotionalität neben ökonomischen Gesichtspunkten hervor. „Erfolg in Familienunternehmen beinhaltet aus meinem Blinkwinkel vier Aspekte. Das ist zum einen natürlich der ökonomische Erfolg. Als weiteren Aspekt sehe ich den emotionalen Erfolg in Form von emotional ownership, also der Verbundenheit der Familie zum Unternehmen. Drittens spielt der Zusammenhalt bzw. emotional cohesion der Familie eine wichtige Rolle. Hinzu kommt aus meinem Blickwinkel noch die Zufriedenheit eines jeden einzelnen Familienmitglieds bzw. der Gesellschafter. Dieser Aspekt ist auch als happiness oder Glück zu bezeichnen. Übersetzt, bin ich mit meiner Rolle, die ich einnehme, sei es Gesellschafter, sei es Familienmitglied, sei es geschäftsführender Gesellschafter einverstanden und auch entsprechend involviert sowie abgeholt. Das sind, glaube ich, unterschiedliche Eigenschaften, die Familienunternehmen von anderen Publikumsgesellschaften unterscheiden.“111

Eine möglicherweise im Zusammenhang mit der patriarchalen Stellung stehende Nachfolgeproblematik wird von drei Experten adressiert. Die Nachfolgeproblematik kann darin begründet sein, dass der Patriarch trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht gewillt ist, die Führungsposition weiterzugeben, der Nachwuchs fachlich oder aus Sicht des Unternehmensgründers nicht geeignet ist.112 Diese Aspekte können eine mangelnde Rationalität sowie Professionalität nach sich ziehen.113 Auffällig ist, dass die negativ behafteten Eigenschaften der zunehmend aufkommenden Nachfolgeproblematik sowie einer stark ausgeprägten Emotionalität und damit möglicherweise einhergehenden fehlenden Rationalität bei Entscheidungsprozessen nur von der Gruppe der Restrukturierungsberater erwähnt werden. Dies kann dadurch erklärt werden, dass sich speziell Restrukturierungsberater mit negativen Eigenschaften von Familienunternehmen zu Beginn eines Beratungsprojektes auseinandersetzen müssen und an der Implementierung fundierter Entscheidungsprozesse arbeiten. Des Weiteren sehen zwei Interviewpersonen die Bereitschaft, externe strategische Partner in Familienunternehmen aufzunehmen, als nicht besonders

110Vgl.

ID 2, Z. 112–115; ID 6, Z. 60–61; ID 13, Z. 36–44; ID 14, Z. 60–68. 4, Z. 84–98. 112Vgl. ID 7, Z. 72–83; ID 8, Z. 30–37; ID 20, Z. 44–50. 113Vgl. ID 7, Z. 79–83; ID 8, Z. 34–37. 111ID

6.7  Auswertung der Experteninterviews

141

hoch an. Es herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber der Integration von erfahrenen Experten und Funktionsträgern von außen.114 Jeweils einzelne, befragte Experten führen als weitere Eigenschaften von Familienunternehmen die regionale Verbundenheit, den engen Kontakt zu Stakeholdern, eine starke Stellung in Nischenmärkten, das Eingehen von Haftungsrisiken und die Auswahl mittelständischer Unternehmensberatungen an.115 Anhand der Fragen 5 und 6 wird das herrschende Verständnis der Experten in Bezug zu Unternehmenskrisen, unterteilt in Krisenursachen und Krisenreaktion deutscher Unternehmen, erfragt. Tabelle 6.4 fasst die Ergebnisse zusammen. Tab. 6.4   Verständnis von Unternehmenskrisen Verständnis von Unternehmenskrisen Kriterien

Anzahl Nennungen

Krisenursachen Managementfehler

19

Exogene Faktoren

10

Nachfolgeproblematik

1

Überentnahmen

1

Krisenreaktion deutscher Unternehmen Bewertung Schlecht

13

Schlechter im Vergleich zum Ausland

8

Positive Entwicklung

1

Anmerkungen/Hinweise

114Vgl. 115Vgl.

Größenabhängig

3

Einbindung von einem Berater zielführend

3

Zu wenig Veränderungsbereitschaft

2

Keine professionelle Geschäftsführung

2

Verdrängung der Krise

1

Kündigungsschutz

1

Elaborierte Governance

1

ID 2, Z. 98–101; ID 8, Z. 37–41. ID 8, Z. 31–33; ID 9, Z. 47–49; ID 10, Z. 42–46; ID 12, Z. 25–27; ID 14, Z. 78–82.

142

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

19 von 20 befragten Experten sehen Managementfehler als die wesentliche Ursache für Unternehmenskrisen an. Das Hauptproblem wird in der zu späten Wahrnehmung der vorliegenden Krisensignale, ausgehend von einer Ertragskrise in eine Liquiditätskrise, gesehen. Oftmals unterbleibt eine Anpassung der Produktion an geänderte Nachfrageverhältnisse. Insbesondere die Gruppe der Restrukturierungsberater betont, dass Unternehmen oftmals nicht über die für die Bewältigung einer Krisensituation notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse verfügen.116 Von drei Interviewpersonen wird eine Quantifizierung vorgenommen und der Anteil von Managementfehlern als Krisenursache auf ca. 80 % beziffert.117 Als weitere Krisenursache sehen zehn Befragte exogene Faktoren als entscheidend an.118 Diesbezüglich werden Marktveränderungen, Branchenkrisen und allgemeine Makrokonstellationen angeführt. Als Beispiel dient die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Weitergehend werden als Krisenursachen Überentnahmen und die fehlende Auseinandersetzung mit der nachfolgenden Generation gesehen.119 Die Krisenreaktion deutscher Unternehmen wird von 13 Experten als schlecht empfunden.120 Lediglich eine Person stellt eine positive Entwicklung seit Einführung des ESUG fest.121 Die Krisenerkennung gilt in Deutschland aufgrund verschiedener Aspekte als zu langsam und zurückhaltend. Viele Unternehmen verfügen über kein adäquates Reporting. Dies hat mangelnde Transparenz und eine schlechte Datenqualität sowie -verfügbarkeit zur Folge.122 Neben dem Reporting stehen das Krisencontrolling und ein fehlender langfristiger Forecast im Mittelpunkt der Kritik der Experten.123 Acht Interviewpersonen vergleichen die Krisenreaktion deutscher Unternehmen mit Gesellschaften aus dem Ausland und bewerten diese im Vergleich als schlechter.124 In Deutschland wird ein

116Vgl.

ID 5, Z. 65–69; ID 6, Z. 70–71; ID 7, Z. 87–103; ID 8, Z. 44; ID 19, Z. 89–95. ID 7, Z. 103; ID 8, Z. 44; ID 12, Z. 30. 118Vgl. ID 1, Z. 60–65; ID 2, Z. 121–124; ID 3, Z. 65–70; ID 6, Z. 65–70; ID 7, Z. 103– 106; ID 10, Z. 56–60; ID 12, Z. 31–32; ID 13, Z. 58–59; ID 14, Z. 110–111; ID 15, Z. 77. 119Vgl. ID 11, Z. 59. 120Vgl. ID 1, Z. 69–77; ID 3, Z. 75; ID 6, Z. 75–84; ID 7, Z. 110–111; ID 8, Z. 47–58; ID 9, Z. 69–72; ID 11, Z. 67–70; ID 14, Z. 118–138; ID 15, Z. 113–118; ID 16, Z. 83–84; ID 18, Z. 80–82; ID 19, Z. 99–100; ID 20, Z. 64–65. 121Vgl. ID 5, Z. 4. 122Vgl. ID 14, Z. 124–138. 123Vgl. ID 6, Z. 75–84. 124Vgl. ID 1, Z. 69–77; ID 6, Z. 96–100; ID 10, Z. 103–107; ID 14, Z. 118–138; ID 15, Z. 110–118; ID 16, Z. 84–95; ID 19, Z. 99–115; ID 20, Z. 63–75. 117Vgl.

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

143

Insolvenzverfahren weiterhin nicht als Chance zur Sanierung, sondern als böser Makel gesehen. Dieses Bewusstsein sieht das Expertentum geschichtlich in den Anfängen der Insolvenzordnung begründet.125 Zudem ist die deutsche Wirtschaft stark mittelständisch geprägt und statischer als manch ausländischer Wirtschaftsstandort.126 Des Weiteren werden Arbeitnehmerrechte, beispielsweise in Form eines in Deutschland weitreichenden Kündigungsschutzes, im Zusammenhang mit der Krisenreaktion kritisiert und die Flexibilität anderer europäischer Länder hervorgehoben.127 Darüber hinaus wird die in Großbritannien sowie Frankreich stark ausgeprägte Sanierungskultur, die auch im vorinsolvenzlichen Bereich bewusst auf die Sanierung ausgerichtet ist und der offene, konstruktive sowie schnelle Umgang mit Krisenreaktionen in den USA als konkrete Beispiele angeführt.128 Drei Experten treffen die Aussage, dass die Bewertung der Krisenreaktion größenabhängig ist. Ab einer gewissen Größe liegen vermehrt Tools und Systeme vor, Krisen zu erkennen und diesen mit Planungsmodulen entgegenzusteuern. Je größer ein Unternehmen ist, desto mehr Professionalität liegt vor und desto eher wird eine Krise erkannt.129

6.7.3 Krisenbewältigung, Unternehmensstrategie und Corporate Governance Im Interviewbereich der „Schlüsselfragen“ wird zunächst nach dem Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen Eigentümerstruktur in Form von Familien- sowie Nicht-Familienunternehmen und der Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung gefragt. Tabelle 6.5 veranschaulicht, dass zehn Experten keinen Unterschied zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen hinsichtlich der Bewältigung von Unternehmenskrisen sehen.130 Falls Gründe seitens des Expertentums hierzu

125Vgl.

ID 16, Z. 89–95. ID 1, Z. 69–72. 127Vgl. ID 6, Z. 98–100. 128Vgl. ID 10, Z. 106–107; ID 14, Z. 118–120; ID 15, Z. 110–1130; ID 19, Z. 100–102; ID 20, Z. 63–64. 129Vgl. ID 1, Z. 73–77; ID 12, Z. 43–45; ID 15, Z. 98–99. 130Vgl. ID 1, Z. 89–91; ID 2, Z. 216–229; ID 3, Z. 100–101; ID 5, Z. 102–103; ID 7, Z. 139–140; ID 10, Z. 128–130; ID 11, Z. 82; ID 12, Z. 56–57; ID 16, Z. 106–107; ID 18, Z. 113–120. 126Vgl.

144

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

genannt werden konnten, wurde angeführt, dass die Krisenbewältigung von der Qualifikation der handelnden Personen und der Größe des Unternehmens abhängt und kein Bezug zur Eigentümerstruktur besteht.131 Acht Befragte wiederum treffen die Aussage, dass Familienunternehmen Bestandsgefährdungen tendenziell besser bewältigen.132 Dies wird insbesondere durch eine höhere Bereitschaft seitens Familiengesellschafter für die zusätzliche Einlage von Eigenkapital in Krisensituationen begründet. Im Krisenfall kann die Möglichkeit, die Eigenkapitalquote zu erhöhen, von zentraler Bedeutung sein.133 Darüber hinaus sehen drei Interviewpersonen Vorteile in den Entscheidungsprozessen von Familienunternehmen aufgrund einer stringenteren Debattenkultur im Verantwortungsbereich und der effizienten Entscheidungsfindung von nur wenigen Gesellschaftern.134 „Ich glaube, dass Familienunternehmen grundsätzlich sehr große Chancen insbesondere für die Krisenbewältigung besitzen. Familienunternehmen sind in der Lage, wenn sie es erkennen, dass sie objektiv an die Krise herantreten müssen, viel schneller Entscheidungen zu treffen. Nichts ist schlimmer, als in der Krise keine Entscheidung zu treffen. Im Familienunternehmen liegt eine Chance und dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Wenn es den Familieneigentümer gibt, der mehr als 50 % hält und alleine entscheiden kann, sowie erkennt, dass es gut ist, auch objektiv an die Probleme heranzugehen und sich einzugestehen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, sowie bereit ist, das zu ändern, dann bin ich der Meinung, liegt im Familienunternehmen ein großes Potenzial, die Krise effizient zu bewältigen.“135

Weiteres Potenzial zur effektiveren Krisenbewältigung bei Familienunternehmen wird in der Loyalität der Stakeholder, der Hartnäckigkeit, eine Sanierung mit unterschiedlichen Mitteln zum Erfolg zu führen, und der nachhaltigen Orientierung, nicht von Quartalsergebnissen oder kurzfristigen Maßnahmen abhängig zu sein, gesehen.136 Zwei Interviewpersonen halten die Leistung von Familienunternehmen in Krisenzeiten für schlechter.137 Die Kontinuität in der Unternehmensführung kann zu einer gewissen Sturheit und fehlenden Rationalität für das Treffen von 131Vgl.

ID 12, Z. 57–64. ID 4, Z. 143–146; ID 6, Z. 112–114; ID 8, Z. 87–90; ID 9, Z. 102–104; ID 13, Z. 82–83; ID 15, Z. 129–131; ID 17, Z. 123–124; ID 20, Z. 99. 133Vgl. ID 5, Z. 105–107; ID 6, Z. 120–130; ID 11, Z. 86–88; ID 17, Z. 127–131, ID 20, Z. 99–102. 134Vgl. ID 4, Z. 148–169; ID 15, Z. 131–149; ID 17, Z. 131–134. 135ID 15, Z. 129–149. 136Vgl. ID 6, Z. 114–119; ID 9, Z. 102–107; ID 13, Z. 78–83; ID 17, Z. 124–127. 137Vgl. ID 14, Z. 151–153; ID 19, Z. 153–155. 132Vgl.

145

6.7  Auswertung der Experteninterviews

Entscheidungen führen.138 Nicht-Familienunternehmen sehen zudem die Stellung eines Insolvenzantrags nicht als persönliches Scheitern an, wählen diesen Schritt tendenziell eher und erhöhen somit die Chance für eine erfolgreiche Sanierung.139 Des Weiteren haben Familienunternehmen eine höhere Regionalverantwortung und stehen notwendigen Maßnahmen, wie beispielsweise der Freisetzung von Mitarbeitern, nicht offen gegenüber.140 Gesellschafter von Nicht-Familienunternehmen sind lediglich mit ihrem Kapital beteiligt, treffen Entscheidungen mit mehr Rationalität, ziehen eher professionelle Berater hinzu und treffen schneller entsprechende Gegenmaßnahmen als Familienunternehmen.141 Tab. 6.5   Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung Krisenbewältigung Bewertung der Eigentümerstruktur

Anzahl

Anteil

Familienunternehmen > Nicht-Familienunternehmen

8

40 %

 Erklärungen:   Nachschuss Eigenkapital

5

  Entscheidungsfindung

3

  Hartnäckigkeit

2

  Loyalität Stakeholder

1

  Nachhaltigkeit

1

Familienunternehmen  Nicht-Familienunternehmen

3

15 %

Erklärungen: Nachschuss Eigenkapital

3

Entscheidungsfindung

1

Umgang mit Informationen

1

Familienunternehmen  Nicht-Familienunternehmen

14

70 %

Erklärungen: Weiche Faktoren: Loyalität, Vertrauen, Identifikation

13

Geringere Fluktuation in Schlüsselpositionen

3

Familienunternehmer wird als Mentor angesehen

2

Familienunternehmen  Nicht-Familienunternehmen

16

80 %

Erklärungen: Nachschuss Eigenkapital

15

Gute Kontakte zur Hausbank

11

Private Equity

2

Langfristige Investitionszyklen

2

Familienunternehmen  Nicht-Familienunternehmen

0

0 %

Familienunternehmen < Nicht-Familienunternehmen

10

50 %

Erklärungen: Nicht-Familienunternehmen verfügen über professionellere Instrumente

7

Haftung bei Familienunternehmen

2

Familienunternehmen handeln nachlässiger

1

Weniger Bankenkonsortien bei Familienunternehmen

1

Kein Unterschied

10

Erklärungen: Größe des Unternehmens entscheidend

5

Qualifikation des Managements entscheidend

1

50 %

6.7  Auswertung der Experteninterviews

155

Die hohe Wichtigkeit des Liquiditätsmanagements wird u. a. durch folgende Aussage untermauert. „Das Liquiditätsmanagement ist natürlich ein ganz, ganz wesentlicher Schlüssel zu einer guten und nachhaltigen Unternehmensführung.“164 „Liquiditätsmanagement ist das allerwichtigste in Krisenzeiten.“165 „In der Krise besitzt das Liquiditätsmanagement die Prio eins. Cash is king. Es gibt nichts Wichtigeres.“166 „Cash is king. In der Krise geht es nur noch um das Geld. In vielen Bereichen hat die Steuerung über die Liquidität zugenommen.“167 „Grundsätzlich ist der Cashflow-Rechnung natürlich eine hohe Wichtigkeit zuzuschreiben.“168 „Liquiditätsmanagement ist das A und O bei der Führung eines Unternehmens.“169 „Das Liquiditätsmanagement ist letztendlich absolut kriegsentscheidend.“170 „Das Liquiditätsmanagement ist das A und O im Bereich der Unternehmenskrise.“171

Die Ausführungen lassen keinen Zweifel daran, dass einer professionellen Aufstellung des Liquiditätsmanagements ausreichend Zeit geschenkt werden sollte und dass dieses ein Instrument ist, eine Unternehmenskrise ausreichend früh zu erkennen und effizient zu beheben. In sieben Interviews wird die Meinung geäußert, dass N ­ icht-Familienunternehmen tendenziell professionellere Instrumente des Liquiditätsmanagements im Unternehmen implementiert haben. Konkret werden an dieser Stelle Instrumentarien

164ID

1, Z. 196–198. 3, Z. 258–259. 166ID 8, Z. 151–152. 167ID 9, Z. 170–172. 168ID 11, Z. 135–137. 169ID 16, Z. 215–216. 170ID 18, Z. 201–202. 171ID 19, Z. 202–203. 165ID

156

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

bezüglich der Reduzierung von Working Capital genannt. Der Konsens in den Interviews dieser sieben Befragten ist, dass Nicht-Familienunternehmen aus Sicht der Professionalität des Liquiditätsmanagements vermutlich besser aufgestellt sind.172 Als weiteres Argument für diese Sichtweise wird die größere Sorge vor Haftungsrisiken seitens Fremdgeschäftsführern angeführt. Ein Fremdgeschäftsführer möchte eine persönliche Haftung unbedingt vermeiden und legt aus diesem Grund allein großen Wert auf eine ständig aktualisierte und professionell aufgestellte Liquiditäts- und Ertragsplanung. Die Rechenschaftspflicht ist in Nicht-Familienunternehmen deutlich höher gegenüber den weiteren Gesellschaftern, als dies in einem Familienkreis der Fall ist.173 Zehn Experten sehen keine Unterschiede in der Ausgestaltung des Liquiditätsmanagements zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen und führen an, dass allein die Größe des Unternehmens174 und die Qualifikation des Managements175 ausschlaggebend sind. Neben der dargelegten hohen Relevanz des Liquiditätsmanagements werden dem externen Berater ebenfalls hohe Einflussmöglichkeiten während wirtschaftlicher Krisenzeiten von 17 der 20 befragten Experten attestiert. Diese Einstellung vertreten insbesondere sämtliche Experten aus der Restrukturierungsberatung und Steuerberatung sowie Wirtschaftsprüfung. In wirtschaftlichen Krisenzeiten werden durch das Bewusstsein der Notlage, in der sich das Unternehmen befindet, Beratungsresistenzen abgebaut. Der Wille zur Veränderung der handelnden Personen ist im Rahmen einer Bestandsgefährdung deutlich höher als eine auf Ertrag ausgelegte Beratung. Somit sind die Einflussmöglichkeiten von externen Beratern allein aufgrund der Dringlichkeit in einer Unternehmenskrise als signifikant hoch anzusehen.176 Vier Experten führen zudem Bedingungen an, die den Einfluss externer Berater im Krisenfall deutlich erhöhen. Hierzu zählt, dass ein Vertrauensverhältnis zum Management aufgebaut wird bzw. besteht und dass eine ausreichend hohe Krisenkompetenz auf Beraterseite vorliegen sollte.177

172Vgl.

ID 1, Z. 199–204; ID 2, Z. 378–389; ID 3, Z. 263–269; ID 6, Z. 184–185; ID 15, Z. 242–249; ID 17, Z. 219–222; ID 18, Z. 201–211. 173Vgl. ID 6, Z. 185–186; ID 16, Z. 222–240. 174Vgl. ID 1, Z. 204–206; ID 3, Z. 269–278; ID 5, Z. 214–219; ID 12, Z. 119–120; ID 13, Z. 158–163. 175Vgl. ID 12, Z. 119–126. 176Vgl. ID 2, Z. 415–417; ID 6, Z. 192–199; ID 8, Z. 164–166; ID 9, Z. 197–200; ID 11, Z. 142–148; ID 12, Z. 133–136; ID 15, Z. 257–262; ID 16, Z. 245–258; ID 18, Z. 223–231. 177Vgl. ID 7, Z. 248–253; ID 10, Z. 261–267; ID 12, Z. 135–140; ID 17, Z. 233–238.

6.7  Auswertung der Experteninterviews

157

Als zentrale Aufgabe externer Berater in einer Bestandsgefährdung wird die Steuerung des Restrukturierungs- bzw. Insolvenzprozesses gesehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Entscheidung über die zu wählende Sanierungsart, die strategische Konzepterstellung und die Kontaktaufnahme zu den Fremdkapitalgebern relevant. Neben fachlichen Qualitäten ist es unabdingbar, dass ein Restrukturierungsberater auch über entsprechende menschliche und soziale Kompetenzen verfügt. Tabelle 6.11 fasst die erläuterten Erkenntnisse zu den Einflussmöglichkeiten externer Berater in wirtschaftlichen Krisenzeiten zusammen. Tab. 6.11   Aufgaben und Einfluss des externen Beraters Externe Berater Kriterien

Anzahl

Anteil

Externe Berater haben hohe Einflussmöglichkeiten in ­Unternehmenskrisen

17

85 %

Erklärungen: Abbau Beratungsresistenz durch hohen Veränderungsdruck

9

Voraussetzung: Vertrauensverhältnis und Kompetenz des Beraters 4 Zusätzliche Absicherung/Sorge vor Haftung Externe Berater haben keine hohen Einflussmöglichkeiten in ­Unternehmenskrisen

1 3

15 %

Erklärung: Unternehmen vertrauen langjährigen Steuerberatern und gewähren Restrukturierungsberatern keinen Einblick

1

Aufgaben externer Berater in Unternehmenskrisen  Steuerung des Restrukturierungs- bzw. Insolvenzprozesses

6

 Menschliche Facetten

4

 Bewertung Führungsebene

1

 Frühwarnfunktion

1

6.7.5 Unternehmensleitung Bei der letzten Frage sollte die Situation angenommen werden, dass die Unternehmensleitung eines Familienunternehmens mit mindestens einem Familienmitglied besetzt ist und annahmegemäß die Qualifikation dieses Familienmitglieds identisch zu der eines Fremdgeschäftsführers ist. 18 von 20

158

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Experten sind der Meinung, dass sich die Besetzung der Unternehmensleitung mit mindestens einem Familienmitglied positiv auf die Leistungsfähigkeit des Familienunternehmens auswirkt. Tab. 6.12   Besetzung der Unternehmensleitung mit einem Familienmitglied Besetzung der Unternehmensleitung mit einem Familienmitglied Bewertung

Anzahl Anteil

Positiv

18

90 %

Erklärungen: Weiche Faktoren: Einsatzbereitschaft, Identifikation, Vertrauen

12

Zielkongruenz mit Gesellschaftern

7

Effizientere Entscheidungsfindung

3

Einbringung von zusätzlichem Eigenkapital

2

Erhöhte Wertschöpfung durch Marketingmaßnahmen

1

Fremdmanagement sorgt für mehr Unsicherheit bei Mitarbeitern 1 Negativ

0

0 %

Kein Unterschied

2

10 %

Generationenproblem

2

Qualifikation der Unternehmensleitung entscheidend

1

Als Gründe für die positive Bewertung eines Familienmitglieds in der Geschäftsführung, die Tabelle 6.12 darlegt, gelten die erhöhte Motivation, Einsatzbereitschaft und Identifikation mit dem Familienunternehmen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass weitere Gesellschafter stärker hinter einem Familienmitglied bei gleicher Qualifikation als hinter einem Fremdgeschäftsführer stehen. Der Kontakt zu den Gesellschaftern ist enger und Entscheidungen können effektiver getroffen werden, da die Zielkongruenz im Gesellschafterkreis gegeben ist. Diese Aspekte werden durch folgende Aussagen belegt. „Das kann gut mit dem Sprichwort “Blut ist dicker als Wasser” beschrieben werden. Es geht am Ende um Vertrauen.“178

178ID

1, Z. 266.

6.7  Auswertung der Experteninterviews

159

„Das Unternehmen kriegt eine ganz andere Sicherheit aufgrund des ausgeprägten Fortführungswillens und der Identifikation der Unternehmerfamilie mit der Gesellschaft. All diese Faktoren werden durch ein solches Mitglied aus der Familie in der Unternehmensführung symbolisch repräsentiert.“179 „Ein Namensträger und Gesellschafter kann mehr Ruhe in die Belegschaft ausstrahlen und von dieser mehr Commitment einfordern.“180 „Generell denke ich, dass die Einsatzbereitschaft, die Loyalität, die Einbindung weiterer Gesellschafter in Entscheidungen und der Zusammenhalt im Unternehmen zwischen Arbeitnehmern und Geschäftsführung bei einem inhabergeführten Unternehmen im Vergleich zu einem fremdgeführten Unternehmen positiv anzusehen ist.“181 „Es ist stets gut, einen Familiengesellschafter in der Geschäftsführung zu haben, dessen Aufgabe es auch ist, eine Zielkongruenz bei allen Gesellschaftern herzustellen. Dabei kann der familiäre Hintergrund helfen. An dieser Stelle beißt sich eventuell ein fremder Manager eher die Zähne aus.“182 „Gründe hierfür sind bessere Absprachen und ein anderer Rechtfertigungsdruck als den ein Fremdgeschäftsführer hat. Die Leidenschaftslosigkeit, mit der in Kapitalgesellschaften oftmals das Management ausgetauscht wird, prägt einen Manager. Die schnelle Austauschbarkeit ist bei einem Familienmitglied in der Führung nicht gegeben. Dies führt dazu, dass das Unternehmen in schlechten wirtschaftlichen Zeiten besonders motiviert und nachhaltig geführt wird, um zu vermeiden, diejenige Person zu sein, die das Familienunternehmen zerstört hat.“183 „Die Identifikation mit dem Unternehmen ist höher und die Gesellschafter stehen stärker hinter einem Familienmitglied. In Krisensituation erhält ein Familienmitglied als Geschäftsführer somit mehr Unterstützung. Der Fremdgeschäftsführer erhält viel schneller Druck. Somit sehe ich die Vorteile in der Identifikation mit dem Unternehmen, der höheren Motivation des Familienmitglieds und dem engeren Kontakt mit den weiteren Gesellschaftern.“184 „Das Familienmitglied hat ein ganz fundamentales und eigenes Interesse an dem Unternehmen als solchem, weil dieses Unternehmen für die Familie im Regelfall den wesentlichen Vermögensgegenstand darstellt.“185 179ID

2, Z. 457–463. 4, Z. 288–291. 181ID 9, Z. 233–239. 182ID 10, Z. 302–307. 183ID 11, Z. 166–177. 184ID 12, Z. 158–166. 185ID 13, Z. 195–199. 180ID

160

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

„Ein geschäftsführendes Familienmitglied fühlt sich den Gesellschaftern gegenüber ganz anders verpflichtet. Es sind nicht nur seine Arbeitgeber, sondern seine Familie. Sollte noch weitere finanzielle Unterstützung von den Gesellschaftern gefordert werden, kann ein Geschäftsführer mit familiärem Hintergrund sicherlich einen effizienteren Zugang in dieser Angelegenheit kriegen als ein Fremdgeschäftsführer.“186 „Wenn ein Familienmitglied gleich kompetent ist wie ein Fremdgeschäftsführer, dann hat die Person noch die Aura der Familie. Familie bedeutet im Leben Zugehörigkeit, Identifikation, Tradition und Beständigkeit.“187

Zwei Experten gehen auf das Generationenproblem ein und sehen damit die Annahme derselben Qualifikation als schwierig zu erfüllen an. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls ein Problem darin gesehen, dass Patriarchen die nachfolgende Generation nicht ausreichend auf ihre Aufgaben vorbereiten und die Verantwortung zu spät übergeben.188

6.8 Fazit der qualitativen Untersuchung Die Ausführungen im vorherigen Kapitel zeigen, dass die qualitative Erhebung für viele Kategorien aussagekräftige Ergebnisse liefert. Dadurch können die durch die systematische Literaturübersicht aufgestellten theoretischen Erkenntnisse fundiert und präzisiert werden. Grundsätzlich definiert das Expertentum Familienunternehmen über die beiden Kriterien Eigentum und Leitung. Ein Familienunternehmen liegt für nahezu alle Befragten vor, wenn es sich mehrheitlich im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen befindet und von mindestens einer dieser Personen auch geleitet wird. Bei 40 % der Experten ist ebenfalls der Generationsaspekt von Relevanz. Die zentrale Eigenschaft von Familienunternehmen besteht in der langfristigen Orientierung und dem Erhalt des Unternehmens für die nachfolgenden Generationen. Ein Familienunternehmen zeichnet sich durch spezifische Kontroll- und Führungsstrukturen und den damit verbundenen kurzen und effizienten Entscheidungsprozessen aus. Charakteristisch ist weiterhin, dass es über hohe Eigenkapitalquoten verfügt. Familienunternehmen sind im Allgemeinen näher an der gewünschten Kapitalstruktur als Nicht-Familienunternehmen. 186ID

16, Z. 279–285. 19, Z. 307–310. 188Vgl. ID 14, Z. 298–316; ID 15, Z. 306–310. 187ID

6.8  Fazit der qualitativen Untersuchung

161

Hinsichtlich Unternehmenskrisen ist festzuhalten, dass diese laut Expertentum auf Managementfehler zurückzuführen sind und teilweise noch durch exogene Faktoren verstärkt werden. Die Krisenreaktion in Deutschland wird von den Experten als schlecht beurteilt. Im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit der Krisenbewältigung lässt sich eine Tendenz dahingehend feststellen, dass Familienunternehmen eine Bestandsgefährdung besser meistern als Nicht-Familienunternehmen. Die wesentlichen Gründe liegen hierbei in der Möglichkeit, zusätzliche Eigenkapitaleinlagen zu generieren, und in einer schnellen sowie effizienten Entscheidungsfindung. Familienunternehmen können als langfristig orientierte, risikoaverse Organisationen angesehen werden, deren Fokus auf der Vermögensübertragung in die nächste Generation liegt. Bei N ­ icht-Familienunternehmen steht deutlich mehr die kurzfristige Ertragsmaximierung im Mittelpunkt. Die Corporate Governance ist laut Expertentum bei Familienunternehmen in der Krisensituation aufgrund fehlender Kompetenz- und Verantwortungsabgrenzung im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen negativ behaftet. Die in Publikumsgesellschaften anzutreffenden Beiratsstrukturen stiften einen Mehrwert für die professionelle Begleitung und Behebung der Bestandsgefährdung. Das Expertentum sieht bei vielen Familienunternehmen die Notwendigkeit, die Corporate Governance neben der Family Governance zu professionalisieren. Familienunternehmen sind häufig informell organisiert und tendenziell weniger professionell strukturiert. In diesem Zusammenhang bietet das Forschungsprogramm der Risk Governance nach Stein und Wiedemann (2016) ein auf die vielfältigen Stakeholder ausgerichtetes Risikosteuerungskonzept.189 Eine proaktive Risikosteuerung, die über das mechanistisch geprägte Risikomanagement190 und über die nicht auf die strategische Risikosteuerung ausgerichtete Corporate Governance191 hinausgeht, kann insbesondere für den familiengeprägten Mittelstand von Bedeutung sein. Dieser Forderung kommt das Konzept der Risk Governance nach, indem das traditionelle Risikomanagement um einen nach potenziellen externen und internen Unternehmensgefahren Ausschau haltenden Radar ergänzt wird.192 Entsprechend besteht das Ziel der Risk

189Vgl.

Stein und Wiedemann (2016). Begrifflichkeit und Auffassung eines mechanistisch geprägten Risikomanagements vgl. Stein und Wiedemann (2016), S. 817–819; Stein et al. (2019), S. 1–6. 191Zur Kritik an der Rolle der Corporate Governance im Rahmen des Risk Governance Konzepts vgl. Stein und Wiedemann (2016), S. 816–817; Stein et al. (2019), S. 5–6. 192Vgl. Stein und Wiedemann (2016), S. 819–824. 190Zur

162

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Governance in einer kontinuierlichen Überprüfung des Geschäftsmodells auf Risikoszenarien und einer umfassend risikorobusten Gestaltung des Unternehmens.193 Um die Bedrohung eines Geschäftsmodells durch antizipierte Risiken zu vermeiden, impliziert die Risk Governance vier wesentliche Aufgaben: 1. Design von Risikomodellen: Abbildung des Geschäftsmodells und Festlegung der Art der unternehmensweiten Risikowahrnehmung, -priorisierung und -aggregation hinsichtlich der konkreten Stakeholderbedingungen. 2. Bestimmung von Modellrisiken: Identifizierung von fehlerhaften Risikomodellen und daraus resultierend falsch gemessenen oder nicht erkannten Risiken als besondere Gefahr für das Geschäftsmodell. Identifizierung erfolgt anhand einer wiederholenden Prüfung der Risikomodelle auf den sich wandelnden Unternehmenskontext und unter Einbezug von Stresstests. 3. Forschung und Entwicklung in Risikothemen: Systematische Ermittlung inhaltlicher und methodischer Fortschritte der Risikoforschung und Übertragung auf die konkrete Unternehmenspraxis. 4. Risikobezogene Beratung und Versorgung der Unternehmensführung mit dezentralen, geschäftsmodellrelevanten Risikoinformationen: Verankerung einer Kommunikationskultur über sämtliche Risiken und über sämtliche Hierarchiestufen im gesamten Unternehmen.194 Die dargelegten Aufgaben werden in Form eines Risk-Governance-Zirkels, der unter Einbezug von Mitarbeitern aus allen Funktionsbereichen Risikoinformationen sowie Bedenken erfasst, systematisiert und hinsichtlich der Auswirkungen auf das Geschäftsmodell diskutiert. Entsprechend trägt jeder Mitarbeiter zur Stärkung der unternehmensweiten Risikokultur bei.195 Die von dem Expertentum dargestellte Risikoaversion von Familienunternehmen könnte durch die ausbleibende Nutzung der formalen Risikosteuerung durch die eher informell angelegten Risk-Governance-Aktivitäten kompensiert werden.196 Folglich können Familienunternehmen die diskutierte Nähe der Mitarbeiter untereinander sowie zur Unternehmensleitung zielorientiert für die geschäftsmodellbezogene

193Vgl.

Stein und Wiedemann (2018), S. 101–103. Stein und Wiedemann (2016), S. 824–828. 195Vgl. Stein et al. (2019), S. 1234–1235; Scholz und Stein (2019), S. 40–41. 196Vgl. Wiedemann et al. (2016), S. 40–42; Stein et al. (2018), S. 66–68. 194Vgl.

6.8  Fazit der qualitativen Untersuchung

163

Risikofrühwarnung nutzen.197 Somit kann das Konzept der Risk Governance insbesondere für Familienunternehmen eine Möglichkeit darstellen, den seitens der Experten hervorgehobenen Risiken entgegenzuwirken. Aufgrund der vermehrt vorkommenden Möglichkeit der weiteren Einlage von Eigenkapital, Aufnahme zusätzlicher Haftungsrisiken im Gesellschafter- bzw. Familienkreis, persönlich gewachsener Kontakte zur Hausbank sowie Private Equity Gesellschaften ist die Finanzierungsseite bei Familienunternehmen für die Krisenbewältigung vorteilhafter im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen. Das Expertentum ist sich einig, dass sowohl dem Liquiditätsmanagement als auch dem Einbezug externer Berater im Rahmen einer Unternehmenskrise eine sehr große Wichtigkeit zukommt. Hinsichtlich des Liquiditätsmanagements ist anzuführen, dass dieses, insbesondere aufgrund professionellerer Instrumente, in Nicht-Familienunternehmen besser aufgestellt ist. Durch den immensen Veränderungsdruck in einer Bestandsgefährdung werden Beratungsresistenzen abgebaut und externe Berater vermehrt in Anspruch genommen. Diese müssen ein entsprechendes strategisches Konzept erstellen, mit dem das Unternehmen in der Lage ist, die Krisensituation zielgerichtet zu meistern. Ebenso besteht eine eindeutige Meinung der Experten darin, dass der Umgang mit Beschäftigten während Unternehmenskrisen in Familienunternehmen als besser zu beurteilen ist. Dies ist in weichen Faktoren, wie einer höheren Vertrauensbasis, Loyalität, Motivation sowie Identifikation begründet. Dadurch sind Mitarbeiter bereit, einen eigenen Sanierungsbeitrag zu leisten. Die Vorteilhaftigkeit der in Familienunternehmen oftmals auftretenden emotionalen Nähe der Mitarbeiter zu dem Unternehmen ist für die Implementierung des beschriebenen Risk Governance Konzepts ebenfalls förderlich. Ebenso ist die Fluktuation in Schlüsselpositionen während Krisensituationen in Familienunternehmen geringer. Diese Faktoren können entscheidend für eine erfolgreiche Bewältigung der Bestandsgefährdung sein. 85 % der befragten Experten bewerten, dass die Besetzung der Unternehmensleitung eines Familienunternehmens mit mindestens einem Familienmitglied unter der Annahme derselben Qualifikation zu der eines Fremdgeschäftsführers eine positive Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit des Familienunternehmens hat. Ebenfalls spielen diesbezüglich weiche Faktoren, wie eine erhöhte Motivation, Einsatzbereitschaft und Identifikation des Familiengesellschafters, eine große Rolle. Darüber hinaus ist die Zielkongruenz mit weiteren Gesellschaftern ebenfalls gegeben. Ein Familienmitglied kann durch die persönlichen Bindungen Entscheidungsprozesse schneller und effizienter anstoßen. 197Vgl.

Scholz und Stein (2019), S. 40.

164

6  Experteninterviews als qualitatives Untersuchungsdesign

Die anfangs aufgeworfenen Hypothesen lassen sich zum Teil präzisieren (kursiv hervorgehoben) und qualitativ bewerten. Die Granulierung sowie Beurteilung der Hypothesen durch die Experteninterviews ist in Tabelle 6.13 ersichtlich. Die qualitative Einschätzung basiert auf den drei Ausprägungen kein Ergebnis, Zustimmung und eindeutige Zustimmung. Einer Hypothese wird zugestimmt, sobald diese Einschätzung von dem Expertentum mehrheitlich getroffen wird. Eine eindeutige Zustimmung liegt vor, wenn sämtliche Experten diejenige Hypothese unterstützen bzw. sich nicht gegensätzlich äußern. Ersichtlich wird, dass die aufgeworfenen Hypothesen durch das gewonnene Expertenwissen umfassend präzisiert werden konnten. Aufgrund des Spezialwissens des hoch qualifizierten Expertentums konnten die Hypothesen tiefergehend formuliert werden. Die qualitative Untersuchung soll und kann keine abschließende Bewertung der Hypothesen vornehmen. Es lassen sich lediglich Aussagen aufgrund der Ausführungen der Experten treffen, ob es kein Ergebnis zu der jeweiligen Hypothese gibt oder in welchem Maße der Hypothese zugestimmt bzw. nicht zugestimmt werden kann. Entsprechend kann das verfolgte Ziel der Granulierung der Hypothesen durch die qualitative Erhebung als erreicht angesehen werden. Die Zusammenfassung der Hypothesen ist Tabelle 6.13 zu entnehmen. Tab. 6.13   Granulierung und Bewertung der Hypothesen durch die Experteninterviews Nr.

Hypothesen

Expertenmeinung

Zustimmung H (1a) Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen insbesondere aufgrund der durch die Familie geprägten Unternehmenskultur eine höhere Leistungsfähigkeit auf. H (1b) Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten insbesondere aufgrund der Möglichkeit der zusätzlichen Eigenkapitaleinlage und einer effizienteren Debattenkultur sowie der damit verbundenen Entscheidungsfindung eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

Zustimmung

H (2a) Steigende Eigentumskonzentration führt zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

Kein Ergebnis

H (2b) Steigende Eigentumskonzentration führt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

Kein Ergebnis

H (3a) Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Eindeutige nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen aufgrund einer Zustimmung erhöhten Einsatzbereitschaft und Zielkongruenz des Familiengesellschafters mit den weiteren Gesellschaftern eine höhere Leistungsfähigkeit auf. (Fortsetzung)

6.8  Fazit der qualitativen Untersuchung

165

Tab. 6.13   (Fortsetzung) Nr.

Hypothesen

Expertenmeinung

H (3b) Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Eindeutige nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen aufgrund einer Zustimmung erhöhten Einsatzbereitschaft und Zielkongruenz des Familiengesellschafters mit den weiteren Gesellschaftern in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine höhere Leistungsfähigkeit auf. H (4)

Familienunternehmen zeichnen sich durch eine langfristige und nachhaltige Unternehmensorientierung aus. Die Fokussierung in Nicht-Familienunternehmen liegt eher auf der Ertragsmaximierung.

Eindeutige Zustimmung

H (5)

Enge Kommunikationskanäle und informelle Interaktionen mit anderen Managementmitgliedern führen zu einem effizienteren Krisenmanagement bei Familienunternehmen.

Zustimmung

H (6)

Familienunternehmen sind aufgrund ihrer langfristigen Ausrichtung risikoaverser als Nicht-Familienunternehmen.

Zustimmung

H (7)

Zustimmung Familienunternehmen verfügen i. d. R. über hohe Eigenkapitalquoten, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten Finanzierungsvorteile stiften. Zudem resultieren aus dem vertrauenswürdigen Kontakt von Familienunternehmen zu ihrer Hausbank Vorteile im Rahmen der Fremdfinanzierung.

H (8a) Das Liquiditätsmanagement hat insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine hohe Relevanz.

Zustimmung

H (8b) Nicht-Familienunternehmen verfügen über professionellere Instrumente des Liquiditätsmanagements.

Zustimmung

H (9a) Nicht-Familienunternehmen engagieren externe Berater häufiger als Familienunternehmen.

Zustimmung

H (9b) Externe Berater haben in wirtschaftlichen Krisenzeiten einen höheren Einfluss auf Unternehmensentscheidungen. Dies ist insbesondere in einem durch die Krisensituation bedingten hohen Veränderungsdruck und dem Abbau von Beratungsresistenzen begründet.

Zustimmung

H (10) Der Umgang mit den Beschäftigten ist bei Familienunternehmen insbesondere aufgrund von erhöhtem Vertrauen, Loyalität, und Identifikation mit der Organisation als positiv zu bewerten und stiftet einen Mehrwert für die Krisenbewältigung.

Eindeutige Zustimmung

7

Quantitative Untersuchung

7.1 Einführung in die Untersuchung Eine zweckmäßige Beurteilung der Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken, die das Auftreten einer Unternehmenskrise beeinflussen können, hat die Notwendigkeit einer mehrperiodigen Untersuchung zur Folge. Die Marktforschung differenziert zwischen Methoden der Primär- und Sekundärforschung. Unter Primärforschung ist die Neuerhebung von Daten für ein zu betrachtendes Untersuchungsproblem zu verstehen. Diese wird in den Sozialwissenschaften ebenfalls als Feldforschung bezeichnet.1 Im Rahmen der Sekundärforschung werden bereits erhobene Daten für einen gegebenen Untersuchungszweck neu aufbereitet sowie analysiert. Es gilt, dass der Rückgriff auf Daten von beispielsweise amtlichen Statistiken, firmeninternen Quellen oder kommerziellen Datenbanken im Vergleich zur Primärforschung mit erheblichen Kosten- sowie Zeitvorteilen verbunden ist.2 Die Datenbasis der Untersuchung bildet die Unternehmensdatenbank Amadeus von Bureau van Dijk. Folglich wird auf die Sekundärforschung als Methode der quantitativen Untersuchung zurückgegriffen. Die quantitative Untersuchung verfolgt das Ziel, die anhand der systematischen Literaturübersicht und der Experteninterviews gewonnenen Hypothesen zu überprüfen. Um eine zielorientierte Bewertung der umfangreichen 1Vgl. 2Vgl.

Kuß et al. (2014), S. 41; Bolin et al. (2014), S. 156. Kuß et al. (2014), S. 41–43.

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_7. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Dücker, Eigentümerstruktur und Unternehmenssteuerung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31294-7_7

167

168

7  Quantitative Untersuchung

Hypothesen sicherzustellen, wird eine Fokussierung auf den Zusammenhang der Themengebiete Eigentümerstruktur, Familie sowie Berater in Verbindung mit der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens vorgenommen. Entsprechend stehen im Rahmen der Untersuchung insbesondere die Entscheidungsträgercharakteristiken und die Determinanten der Eigentümerstruktur im Mittelpunkt. Ein weiteres Ziel der Untersuchung besteht darin, zu überprüfen, ob ein Zusammenhang zwischen der Eigentümerstruktur und der Wahl der Abschlussprüfer besteht und ob die Wahl einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit hat. Diesbezüglich findet eine Operationalisierung der externen Berater anhand der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften statt. Diese Operationalisierung steht im Einklang mit bestehenden Forschungsstudien.3 Um die Zielsetzung einer umfangreichen Würdigung der Themenfelder zu erreichen, wird ein mehrstufiges methodisches Vorgehen, bestehend aus multivariater Diskriminanz- und multipler Regressionsanalyse, gewählt. Darüber hinaus berücksichtigen die Regressionsmodelle die den Hypothesen zugrundeliegenden Zeit- bzw. Leistungshorizonte. Neben der Einführung in die Untersuchung enthält das Kapitel die Vorstellung der Untersuchungsstichprobe, die Selektion der Variablen und die Darstellung der Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse sowie der linearen Regressionsanalyse. Zudem folgt eine zusammenfassende Diskussion und Würdigung der Befunde sowie Darstellung der Limitationen. Die Analyse betrachtet mindestens mittelgroße Kapitalgesellschaften4 mit Sitz in der europäischen Union. Grundsätzlich liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit auf dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Allerdings zieht die Begrenzung auf lediglich deutsche Unternehmen die Gefahr nach sich, keine ausreichend große Stichprobe für die fokussierte Analyse der dargelegten Hypothesen zu erhalten. Die Datenbank Amadeus zeichnet sich durch umfangreiche Unternehmensinformationen sowohl für West- als auch Osteuropa aus. Die Schwerpunktsetzung liegt auf Daten europäischer, nicht börsennotierter Gesellschaften.5 Aufgrund dieser Spezialisierung und um länderspezifische Faktoren zu begrenzen, erfolgt die Festlegung auf Unternehmen mit dem Sitz in der europäischen Union. Entsprechend wird sowohl dem Kriterium einer ausreichend großen Stichprobe als auch der Beschränkung interkultureller Besonderheiten Rechnung getragen.

3Vgl. Gaaya et al. (2017), S. 735–742; Darmadi (2016), S. 29–37; Prencipe et al. (2014), S. 370–376; Cascino et al. (2010), S. 257–258. 4Mittelgroße Kapitalgesellschaften sind im deutschen Handelsrecht in § 267 Abs.  2 definiert. 5Vgl. Bureau van Dijk (2019).

7.1  Einführung in die Untersuchung

169

Sollten vereinzelt Werte der Stichprobeunternehmen im Datensatz fehlen, werden diese anhand der Unternehmensabschlüsse ergänzt. Der Analysezeitraum bezieht sich auf die Jahre 2014–2018. Ein Untersuchungszeitraum von fünf Jahren mit über 3.500 Beobachtungspunkten lässt einen hinreichend großen Stichprobenumfang vermuten.6 Zudem wird mit der Beschränkung des Untersuchungszeitraums sowohl ein möglichst hoher Anteil an vollständig vorliegenden Daten als auch die Aktualität der Untersuchung weitestgehend sichergestellt. Die Stichprobe der Krisenunternehmen setzt sich absteigend nach dem Grad der Bestandsgefährdung aus drei Bereichen zusammen: 1. Unternehmen, die sich seit dem 01.01.2018 im Insolvenzverfahren befinden, 2. Unternehmen, die sich seit dem 01.01.2018 im Zahlungsverzug befinden, 3. Unternehmen, die weder unter Punkt 1 noch 2 fallen, aber aufgrund von Krisenindikatoren (Stichtag 01.01.2018) vermutlich einer Bestandsgefährdung ausgesetzt sind. Die ersten beiden Bereiche beruhen auf fest definierten Statusabfragen seitens des Datenbankanbieters Bureau van Dijk. Ein seit 01.01.2018 in der Datenbank vorliegender Status eines Insolvenzverfahrens oder Zahlungsverzugs basiert i. d. R. auf Daten des Geschäftsjahres 2017. Als Krisenindikatoren dienen analog zu einigen Studien der Jahresüberschuss (max. = 0 EUR), der Cashflow (max. = 0 EUR), der Verschuldungsgrad (min. = 200 %), der Return on Assets (ROA) (max. = 0) und das Eigenkapital (max. = 1.000 T  EUR).7 Die Identifizierung als Krisenunternehmen setzt das kumulative Vorliegen der Krisenindikatoren voraus. In der Unternehmensdatenbank Amadeus sind diejenigen Unternehmen, die seit einer gewissen Zeit insolvent bzw. inaktiv sind, nicht enthalten. Um die Verzerrung im Zusammenhang mit diesem Punkt möglichst gering zu halten, wird ein retrospektives Vorgehen mit dem Stichtag 01.01.2018 als Ausgangspunkt gewählt. Durch die Festlegung auf einen aktuell vorliegenden Stichtag und Anwendung einer rückwärtsgerichteten Analyse kann weitestgehend sichergestellt werden, dass mit einer großen Wahrscheinlichkeit diejenigen Krisenunternehmen noch in der Stichprobe enthalten sind, die unmittelbar vor einer Insolvenz stehen. Entsprechend liegen sämtliche Datenpunkte für die

6Für

weiterführende Informationen hinsichtlich der Stichprobengröße vgl. Green (1991). Attig et al. (2016); Mulyani et al. (2016); Saleh et al. (2017); Serrasqueiro et al. (2016); Zhou et al. (2017).

7Vgl.

170

7  Quantitative Untersuchung

Untersuchungsstichprobe für die Jahre 2014–2017 vor.8 Für das Geschäftsjahr 2018 (Abschlussstichtag 31.12.2018) liegen in der Datenbank von rund 70 % der betrachteten Unternehmen Daten vor.9 In Abhängigkeit des Untersuchungsziels und der verwendeten Methode wird das über die Stichprobe unvollständige Jahr 2018 mit in die Analyse aufgenommen. Kleine Kapitalgesellschaften sind gem. § 264 Abs. 1 Satz 4 HGB nicht gezwungen, einen Lagebericht aufzustellen, und können zudem zahlreiche Offenlegungserleichterungen wahrnehmen. Daher repräsentiert die Untersuchungsstichprobe aufgrund von Publizitätspflichten mindestens mittelgroße, bestandsgefährdete Kapitalgesellschaften mit Sitz in der europäischen Union. Für die Stichprobe wird eine einheitliche Definition der Größenkriterien von Kapitalgesellschaften benötigt. Aufgrund der oben beschriebenen gewünschten Fokussierung auf den Wirtschaftsstandort Deutschland finden die Größenklassen für Kapitalgesellschaften nach dem deutschen HGB Anwendung. Eine weitere Möglichkeit wäre, die von der EU-Kommission ausgegebene Empfehlung 2003/361/EG für die Einordnung eines Unternehmens als KMU zu verwenden. Die definierten Schwellenwerte führen allerdings zu keinem wesentlichen Ergebnisunterschied. Kleine Kapitalgesellschaften sind gem. § 267 Abs. 1 HGB die Unternehmen, welche mindestens zwei der nachstehenden Merkmale an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht überschreiten: • 6 Mio. EUR Bilanzsumme, • 12 Mio. EUR Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und • im Jahresdurchschnitt 50 Arbeitnehmer. Mittelgroße Kapitalgesellschaften sind gem. § 267 Abs. 2 HGB solche, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens zwei der drei Kriterien für kleine Kapitalgesellschaften überschreiten und jeweils mindestens zwei der drei folgenden Merkmale nicht überschreiten: • 20 Mio. EUR Bilanzsumme,

8Bei

750 Unternehmen in der Stichprobe ergeben sich für den Zeitraum von 2014–2017 insgesamt 3.000 Beobachtungen. 9Laut Datenbankabfrage vom 28.12.2019 liegen die Daten für das Geschäftsjahr 2018 von 55 Krisenunternehmen der Gruppe I, 152 Krisenunternehmen der Gruppe II sowie 324 Vergleichsunternehmen vor. Entsprechend basiert die Stichprobe für das Jahr 2018 auf 531 von 750 Unternehmensdaten.

7.1  Einführung in die Untersuchung

171

• 40 Mio. EUR Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und • im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer. Große Kapitalgesellschaften sind laut § 267 Abs. 3 HGB demnach Gesellschaften, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens zwei der Grenzkriterien von mittelgroßen Kapitalgesellschaften überschreiten. Weiterhin sieht die Untersuchung vor, dass den bestandsgefährdeten Unternehmen solvente Unternehmen in gleicher Anzahl gegenübergestellt werden. Zielsetzung dieser paarweisen Zuordnung ist, Beobachtungen aus einem Datensatz auf Grundlage von gemeinsamen Merkmalen, Beobachtungen aus einem anderen Datensatz zuzuweisen. Das Vorgehen zielt darauf ab, eine gemeinsame Auswertung der Daten zu ermöglichen, obwohl es an sich keine Beobachtung gibt, die in beiden Datensätzen tatsächlich vollkommen identisch vorkommt. Somit wird durch die paarweise Zuordnung ermöglicht, dass als Krisenunternehmen identifizierte Gesellschaften und solvente Unternehmen, die möglichst identische Größenkriterien aufweisen, hinsichtlich struktureller Ausprägungen gemeinsam analysiert werden können. Wesentlich für die Güte der empirischen Ergebnisse ist die Homogenität der Stichprobeunternehmen mit den Vergleichsunternehmen innerhalb derselben Branche.10 In der vorliegenden Untersuchung wird die Vergleichsstichprobe anhand der Kriterien Branche, Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl bestimmt. Ebenfalls findet eine Festlegung auf denselben Zeitraum statt. Zunächst wird die Auswahl der Vergleichsunternehmen durch den Branchenschlüssel der europäischen Branchenklassifizierung NACE Rev. 2 nach der detailliertesten Stufe der Klassen vorgenommen. Weiterhin wird das Unternehmen als Vergleichsunternehmen ausgewählt, das hinsichtlich der Größenkriterien Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl den kleinsten Abstand zum bestandsgefährdeten Unternehmen im Geschäftsjahr 2017 aufweist. Weiterführende Informationen zur Findung eines möglichst identischen Vergleichsunternehmens sind Abschnitt 7.2 zu entnehmen. Entsprechend resultiert für die bestandsgefährdeten Unternehmen eine solvente normierte Vergleichsgruppe in gleicher Zahl. Mithilfe der quantitativen Erhebung wird das Ziel verfolgt, die anhand der systematischen Literaturübersicht und der Experteninterviews gewonnenen Hypothesen zu überprüfen. Aufgrund der zum Teil fehlenden Daten- bzw. Variablenverfügbarkeit ist es nicht möglich, auf Hypothesen einzugehen, die im

10Vgl. Larcker und Richardson (2004), S. 633; Dopuch et al. (2012), S. 398; Rausch (2017), S. 227–228.

172

7  Quantitative Untersuchung

Zusammenhang mit dem MCS stehen. Daher liegt der Fokus der quantitativen Analyse auf der Untersuchung des Einflusses der Eigentümerstruktur sowie der Abschlussprüfer im Zusammenhang mit der finanziellen Leistungsfähigkeit. Diese Faktoren sind detailliert im zeitlichen Verlauf zu analysieren. Diesbezüglich werden die Einflussgrößen im Allgemeinen, im Krisenverlauf und explizit zum Krisenzeitpunkt untersucht. Das dargelegte Untersuchungsziel der Fokussierung des Einflusses der Eigentümerstruktur und der Abschlussprüfer auf die Leistungsfähigkeit soll anhand der Überprüfung der in Tabelle 7.1 dargestellten Hypothesen erreicht werden. Die grundlegenden Hypothesen wurden auf Basis der systematischen Literaturübersicht und der Experteninterviews gewonnen. Anzumerken ist, dass neben der notwendigen inhaltlichen Fokussierung die zum Teil fehlenden Daten- bzw. Variablenverfügbarkeit es nicht ermöglichen, auf Hypothesen, die insbesondere im Zusammenhang mit dem MCS stehen, einzugehen. Daher liegt der Fokus der quantitativen Analyse auf der Untersuchung des Einflusses der Eigentümerstruktur sowie der Abschlussprüfer auf die Leistungsfähigkeit. Diese Faktoren sind, entsprechend der folgenden Hypothesen, detailliert im zeitlichen Verlauf zu analysieren. Diesbezüglich werden die Einflussgrößen im Allgemeinen, im Krisenverlauf und explizit zum Krisenzeitpunkt untersucht. Tab. 7.1   Hypothesenübersicht für die quantitative Analyse Nr.

Hypothesen

H (1a)

Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (1b)

Familienunternehmen weisen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (2a)

Steigende Eigentumskonzentration führt zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

H (2b)

Steigende Eigentumskonzentration führt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu einer höheren Leistungsfähigkeit.

H (3a)

Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (3b)

Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen im Vergleich zu nicht-eigentümergeführten Familienunternehmen in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine höhere Leistungsfähigkeit auf.

H (4a)

Nicht-Familienunternehmen engagieren die sog. Big Four-Wirtschaftsprüfungsg esellschaften häufiger als Familienunternehmen.

H (4b)

Die Beratung bzw. Prüfung durch die Big Four wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit aus.

H (4c)

Die Beratung bzw. Prüfung durch die Big Four wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit in wirtschaftlichen Krisenzeiten aus.

7.2  Selektion der Variablen

173

Die Überprüfung der aufgeworfenen Hypothesen wird im Rahmen der quantitativen Analyse zum einen durch die Anwendung einer ProbitUntersuchung mittels einer multivariaten Diskriminanzanalyse und zum anderen durch die Aufstellung multipler Regressionsmodelle erreicht. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die quantitative Analyse die folgenden Forschungsfragen adressiert: 1. Welche Unternehmens- und Entscheidungsträgercharakteristiken beeinflussen die Leistungsfähigkeit? 2. Haben Eigentümerstruktur und Wahl des Abschlussprüfers einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit im Krisenverlauf oder im akuten Krisenzeitpunkt? Die Erläuterungen des Untersuchungsaufbaus der Diskriminanzanalyse und der Regressionsmodelle erfolgt in den Abschnitt 7.4.1 bzw. 7.5.1. Sämtliche Berech­ nungen werden mit der Software IBM SPSS Statistics (Version 26) durchgeführt.

7.2 Selektion der Variablen Die Selektion der für die vorliegende quantitative Analyse relevanten Variablen basiert im Wesentlichen auf dem derzeit geltenden Forschungsstand. Der aktuelle Forschungsstand wurde anhand der Durchführung einer systematischen Literaturübersicht in Kapitel 5 ausführlich dargelegt. Dabei konnten 50 relevante Studien identifiziert werden. Darüber hinaus wurden die gewonnenen Erkenntnisse durch fundiertes Expertenwissen präzisiert bzw. ergänzt. Somit dient ebenfalls die Auswertung der Experteninterviews im Kapitel 6 der fundierten Variablenselektion. Die quantitative Analyse basiert auf den in der Datenbank Amadeus von Bureau van Dijk verfügbaren Unternehmensdaten. Fehlende Werte und teilweise nichtfinanzielle Aspekte wurden ergänzt. Die nachfolgende Abbildung 7.1 zeigt zum einen nochmals den Modellrahmen, der im Wesentlichen auf der Auswertung des geltenden Forschungsstands basiert.11 Zum anderen stellt die Abbildung die für die Durchführung der quantitativen Untersuchung notwendige Überführung der Konzeptualisierung in ein Messmodell dar. Diesbezüglich werden den Bestandteilen Variablen zugeordnet und gezeigt, durch welche Indikatoren diese gemessen werden können. Im Folgenden wird die Messung der Variablen, getrennt nach kontrollierenden, nichtfinanziellen und finanziellen Variablen, erläutert. Die Unterteilung erfolgt 11Vgl.

hierzu den in Abbildung 7.1 dargestellten Modellrahmen der Untersuchung.

174

7  Quantitative Untersuchung

Eigentümerstruktur Zielvorstellung und Risikoeinstellung

Management Control System (MCS)

Leistungsfähigkeit

Corporate Governance

Familienkontrolliertes Unternehmen Namensgleich familienkontrolliertes Unternehmen

Berater

Eigentumskonzentration

Familie

Berater

Eigentümergeführtes Unternehmen Anzahl der Gesellschafter

Namensgleich familienkontrolliertes Unternehmen Eigentümergeführtes Unternehmen

Big Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften

Unternehmensalter

Return on Assets

Kontrollvariablen

Leistungsfähigkeit

Eigentümerstruktur

Familie

Return on Equity Krisenindikator Effektstärke der Unternehmenskrise

Branche (NACE) Umsatzerlöse Bilanzsumme Mitarbeiter Leverage

Leverage

Cash-Flow und Äquivalente

Verschuldungsgrad

Liquiditätsquote

Verbindlichkeiten/Umsatz

Cashverhältnis 1

Logarithmus des Eigenkapitals

Cashverhältnis 2

Umsatzerlöse/Eigenkapital Langfristige Investitionen Anlagevermögen/Bilanzsumme

Liquidität

Finanzierung und Investition

Finanz-Variablen

Kurzfristigkeit Nettoumlaufvermögen Kurzfristige Forderungen/Bilanzsumme Accounts Receivable Da ys Vorräte/Umsatzerlöse

Abb. 7.1   Konzeptualisierung und Messmodell

7.2  Selektion der Variablen

175

l­ediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit. Insgesamt konnten 31 Variablen herausgearbeitet werden, die Bestandteil der quantitativen Analyse sind. Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass nicht sämtliche Variablen im Rahmen der Regressionsmodelle angewendet werden können. Die Variable Leverage12 wird, in Abhängigkeit der Untersuchung, als kontrollierende oder erklärende Variable verwendet. Entsprechend ist der Leverage aus Gründen der Vollständigkeit in beiden Bereichen aufgeführt. Resultierend ergeben sich aufgrund der Doppelerfassung 32 Variablen. Als Kontrollvariable dient das Unternehmensalter, gemessen in Jahren. Das Unternehmensalter stellt eine grundlegende Variable dar, die oftmals als Kontrollvariable Anwendung findet und in einen Großteil der Analysen der identifizierten Studien einfließt.13 Neben dem Unternehmensalter wird die Branche anhand des Branchencodes NACE Rev. 2 kontrolliert. Als Kontrollvariablen für die Unternehmensgröße fließen Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiter in die Diskriminanzanalyse ein. Die systematische Literaturübersicht zeigt, dass die Mitarbeiterzahl entweder über die Veränderungen im Untersuchungszeitraum oder jährlich als Berechnung des natürlichen Logarithmus als Kontrollvariable verwendet wird.14 Die folgende Tabelle fasst die selektierten Kontrollvariablen zusammen (Tabelle 7.2). Tab. 7.2   Kontrollierende Variablen Nr.

Kategorie

1

Kontrollvariablen

2

Variablenbezeichnung

Messung

Unternehmensalter (ALT)

In Jahren

Branche (BRA)

NACE Rev. 2

3

Umsatzerlöse (UMS)

Höhe der Umsatzerlöse

4

Bilanzsumme (BIL)

Höhe der Bilanzsumme

5

Mitarbeiter (MIT)

Anzahl der Mitarbeiter

6

Leveragea (LEV)

Verbindlichkeiten/Bilanzsumme

aDie

Variable Leverage findet, in Abhängigkeit der Untersuchung, Anwendung als kontrollierende oder erklärende Variable und wird tabellarisch doppelt erfasst. 12Leverage bedeutet übersetzt Hebelwirkung bzw. Verschuldungsquote. Im Rahmen der Kapitalstruktur ist unter dem Leverage-Effekt die Hebelwirkung der Finanzierungskosten des Fremdkapitals auf die Eigenkapitalverzinsung zu verstehen. Entsprechend kann durch den Einsatz von Fremdkapital die Eigenkapitalrendite einer Investition gesteigert werden. Für weiterführende Informationen vgl. Brealey et al. (2012), S. 467–529; Perridon et al. (2014), S. 520–528. 13Vgl. Saleh et al. (2017); Zhou et al. (2017); Santos et al. (2014); Serrasqueiro et al. (2016); Feito-Ruiz et al. (2016); Stacchini und Degasperi (2015); Huang et al. (2015); Catuogno et al. (2018); Fan et al. (2013); Fang et al. (2015); He et al. (2012); Chu (2011); Villalonga und Amit (2006); Sraer und Thesmar (2007); Wilson et al. (2013). 14Vgl. Zhou et al. (2017); Serrasqueiro et al. (2016); Wilson et al. (2013).

176

7  Quantitative Untersuchung

Die nichtfinanziellen Variablen lassen sich in die Kategorien Eigentümerstruktur und Familie sowie Berater unterteilen. Eine Übersicht ist Tabelle 7.3 zu entnehmen. Die Kategorie Eigentümerstruktur enthält die Variablen familienkontrolliertes Unternehmen, namensgleich familienkontrolliertes Unternehmen, eigentümergeführtes Unternehmen, Eigentumskonzentration und Gesellschafter. Ein familienkontrolliertes Unternehmen liegt vor, wenn es sich mehrheitlich im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen15 befindet und somit von dieser begrenzten Personenanzahl kontrolliert wird.16 Das Verständnis eines namensgleich familienkontrollierten Unternehmens fasst das Kriterium Eigentum enger und sieht vor, dass zwischen den natürlichen Personen eine familiäre Beziehung besteht. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erfolgt die Beurteilung der Verwandtschaftsbeziehung anhand des Nachnamens. Anzumerken ist, dass die Operationalisierung beispielweise aufgrund von Eheschließungen oder identischen Nachnamen ohne vorliegende familiäre Verbundenheit fehlerhaft sein kann. Die Operationalisierung anhand des Führens desselben Nachnamens steht im Einklang mit dem bestehenden Forschungsstand.17 Eigentümergeführte Unternehmen unterliegen ebenfalls den Definitionskriterien der familienkontrollierten Unternehmen. Zudem muss mindestens einer der Eigentümer in der Geschäftsführung aktiv sein, damit das Kriterium eines eigentümergeführten Unternehmens erfüllt ist.18 Die Variable Eigentumskonzentration entspricht dem höchsten, im Unternehmen vorliegenden, Gesellschafteranteil. Diesbezüglich ist zu beachten, dass die Gesellschafteranteile einer Familie zusammengefasst und als Summe ausgewiesen werden. Entsprechend kann die Variable Eigentumskonzentration die Gesellschafteranteile von mehreren natürlichen Personen darstellen. Die Variable Gesellschafter gibt die Anzahl der Gesellschafter des Unternehmens an. Abgesehen von der Variable Eigentumskonzentration und Gesellschafter liegt eine binäre Kodierung vor. Der Fokus der durchgeführten systematischen Literaturübersicht liegt auf Familienunternehmen. Dementsprechend enthalten nahezu sämtliche Studien die Variable, ob ein Familienunternehmen vorliegt oder nicht. Um die Variablenselektion

15Der

natürliche Personenkreis muss keine verwandtschaftliche Beziehung aufweisen. Entsprechend sollte der Terminus familienkontrolliert nicht missverstanden werden. 16Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 14–15. 17Vgl. Westhead und Cowling (1998), S. 39–56; Maury und Pajuste (2005), S. 17–41; Uhlaner et al. (2004), S. 186–190; Rotfuß et al. (2010), S. 61; Wallau et al. (2007), S. 7–9. 18Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 75.

177

7.2  Selektion der Variablen

zu belegen, werden die relevantesten Untersuchungen angeführt, die sowohl das Kriterium der Führung als auch der Leitung adressieren und binär kodiert sind.19 Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass zahlreiche in der systematischen Literaturübersicht enthaltene Studien explizit den Einfluss der Gesellschafter anhand der Quantifizierung der vorliegenden Unternehmensbeteiligung messen.20 Hinsichtlich des Themenfeldes externe Berater liegt der Fokus der quantitativen Untersuchung auf den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die binär kodierte Variable 12 nimmt unter der Voraussetzung, dass die Jahresabschlussprüfung von einem der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durchgeführt wurde, den Wert eins an. Die Schwerpunktsetzung wird durch die Literatur, die der Rolle der Big ­Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine hohe Beachtung schenkt, untermauert. Insbesondere die Studien von Kristanti et al. (2016) und Wilson et al. (2013) untersuchen den Zusammenhang zwischen dem Engagement der Big Four und der Unternehmensleistung.21 Tab. 7.3   Nichtfinanzielle Variablen Nr.

Kategorie

7

Eigentümerstruktur, Familienkontrolliertes Unternehmen Familie (FKU)

Ja: 1 Nein: 0

8

Namensgleich familienkontrolliertes Unternehmen (NFK)

Ja: 1 Nein: 0

9

Eigentümergeführtes Unternehmen (EIG)

Ja: 1 Nein: 0

10

Eigentumskonzentration (KON)

Höhe ­Gesellschafteranteile

11

Gesellschafter (GES)

Anzahl Gesellschafter

12

Berater

Variablenbezeichnung

Messung

Big FourJa: 1 Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (BIG) Nein: 0

19Vgl. Saleh et al. (2017); Zhou et al. (2017); Santos et al. (2014); Yen et al. (2015); Mulyani et al. (2016); Gentry et al. (2016); Huang et al. (2015); Boubakri et al. (2010); Kristanti et al. (2016); Arrondo-García et al. (2016); Bopaiah (1998); Villalonga und Amit (2006); Sraer und Thesmar (2007); Lagaras und Tsoutsoura (2015). 20Vgl. Yen et al. (2015); Huang et al. (2015); Salloum et al. (2013); Fang et al. (2015); Villalonga und Amit (2006); Baek et al. (2004). 21Vgl. Kristanti et al. (2016); Wilson et al. (2013).

178

7  Quantitative Untersuchung

Die in der Untersuchung enthaltenen finanziellen Variablen können in die Bereiche Liquidität, Verschuldung bzw. Fremdkapital, Eigenkapital, Vermögen, Investition und Rentabilität untergliedert werden. Die Liquidität beschreibt den kurzfristigen Handlungsspielraum eines Unternehmens. Insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten belegen die Studien, dass diesen Kennzahlen ein hoher Erklärungsgehalt zugeschrieben werden kann. Variablen 13 bis 16 setzen die im Unternehmen vorhandenen liquiden Mittel, bestehend aus Cashflow und kurzfristigen Äquivalenten, ins Verhältnis zur Bilanzsumme und Verbindlichkeiten, kurzfristigen Vermögensgegenständen oder kurzfristigen Verbindlichkeiten. Das Verhältnis der liquiden Mittel zur Bilanzsumme und die Liquiditätsquote erfahren in der Literatur die höchste Beachtung.22 Die anhand von Expertenwissen fundierten Kennzahlen Cashverhältnis 1 sowie 2 finden ebenfalls ihre Abbildung in der Literatur.23 Mithilfe von Variable 17 wird das Verhältnis der kurzfristigen Vermögensgegenstände zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten untersucht und somit nochmals der kurzfristige Handlungsspielraum des untersuchten Unternehmens beleuchtet.24 Der zweite Bereich der finanziellen Kennzahlen umfasst die Kategorie Verschuldung bzw. Fremdkapital und besteht aus den Variablen Leverage, Verschuldungsgrad und Anteil Verbindlichkeiten an Umsatzerlösen. Insbesondere die Variablen Leverage und Verschuldungsgrad sind in dem Großteil der Studien, die den aktuellen Forschungsstand aufzeigen, enthalten. Beispielsweise werden diese Kennzahlen von Andres (2011), Lagaras und Tsoutsoura (2015) sowie Wilson (2013) hervorgehoben.25 Die Kennzahl Umsatz dividiert durch das Eigenkapital eines Unternehmens kommt in vier Untersuchungen explizit vor.26 Des Weiteren untersucht die Variable Anteil Umsatzerlöse am buchhalterischen Eigenkapital die Kapitalstruktur des Unternehmens. Diese wird insbesondere von den folgenden zwei Studien verwendet.27 Aus dem Bereich Vermögen fließen die Variablen 22

22Vgl. Chu et al. (2016); Lins et al. (2013); Feito-Ruiz et al. (2016); Mulyani et al. (2016); Huang et al. (2015); Arrondo-García et al. (2016); Fang et al. (2015); Lagaras und Tsoutsoura (2015); Baek et al. (2004); Crespí Cladera und Martín Oliver (2015). 23Vgl. Zhou et al. (2017); Attig et al. (2016); Fang et al. (2015); Damodaran et al. (2005); Andres (2011); Amann und Jaussaud (2012). 24Vgl. Lins et al. (2013); López-Gracia und ­Sánchez-Andújar (2007). 25Vgl. Andres (2011); Lagaras und Tsoutsoura (2015); Wilson et al. (2013). 26Vgl. Lins et al. (2013); Serrasqueiro et al. (2016); Epure und Amore (2017); Anderson und Reeb (2003). 27Vgl. Chu et al. (2016); Attig et al. (2016).

7.2  Selektion der Variablen

179

bis 26 in die Untersuchung mit ein. Diese bestehen aus Nettoumlaufvermögen28, Anteil kurzfristiger Forderungen an der Höhe der Bilanzsumme29, Accounts Receivable Days30, Anteil des Anlagevermögens an der Höhe der Bilanzsumme31 und dem Anteil der Vorräte an den Umsatzerlösen32. Neben der Finanzierungswird ebenfalls die Investitionsseite der Unternehmen beachtet. Die Variable 27 langfristige Investitionen berechnet sich aus dem Verhältnis der Investitionen in Sachanlagen zu dem bilanziellen Sachanlagevermögen des Unternehmens.33 Eine Vielzahl der als relevant identifizierten Analysen aus dem Bereich Rentabilität enthalten die Kennzahlen Return on Equity und Return on Assets. Diese werden weitestgehend als nicht adjustierte Kennzahlen verwendet. Insbesondere ist an dieser Stelle Return on Assets hervorzuheben. Return on Equity gibt das Verhältnis von Jahresüberschuss zu dem bilanziellen Eigenkapital an, während Return on Assets den Jahresüberschuss zu der Bilanzsumme in Beziehung setzt. Beispielsweise beziehen Saleh et al. (2017), Anderson und Reeb (2003), Sraer und Thesmar (2007) sowie Amann und Jaussaud (2012) beide Kennzahlen in ihre Untersuchungen mit ein.34 Variable 30 dient dazu, die Stärke der Unternehmenskrise darzustellen. Die Krisenstärke basiert auf acht Indikatoren, die anhand eines zweistufigen methodischen Vorgehens identifiziert wurden. Zunächst erfolgt die Auswahl derjenigen Indikatoren, denen der bisherige Forschungsstand eine besondere Beachtung zuschreibt. Diese setzen sich aus den Bereichen Liquidität (CASH/ BS, LIQ, CASH/KVERB), Kapitalstruktur (EK, VG), Vermögen (NET, VERB/U) sowie Rentabilität (ROA) zusammen. Im Anschluss wird eine Überprüfung dieser anhand der Strukturmatrix der Diskriminanzanalyse vorgenommen. Als Gruppierungsvariable dient lediglich die Einordnung der beiden Gruppen der Krisenunternehmen sowie der solventen Vergleichsunternehmen im Jahr 2017. Die Strukturmatrix enthält die Faktorladungen, die den Korrelationen der Prädiktoren mit den Werten der Diskriminanzfunktion entsprechen. Für sämtliche identifizierte Krisenindikatoren ergeben sich angemessene Ladungen,

28Vgl.

Santos et al. (2014); Catuogno et al. (2018). Lins et al. (2013); Amann und Jaussaud (2012). 30Vgl. Lins et al. (2013). 31Vgl. Yen et al. (2015); Amann und Jaussaud (2012). 32Vgl. Huang et al. (2015); Wilson et al. (2013). 33Vgl. Chu et al. (2016); Lins et al. (2013); Huang et al. (2015); Kristanti et al. (2016). 34Vgl. Saleh et al. (2017); Anderson und Reeb (2003); Sraer und Thesmar (2007); Amann und Jaussaud (2012). 29Vgl.

180

7  Quantitative Untersuchung

die eine gute Diskriminierbarkeit nachweisen. Mögliche zusätzliche Krisenindikatoren wie beispielsweise langfristige Investitionen oder DaysAR stiften keinen wesentlichen Mehrwert für die Abbildung eines Krisenunternehmens. Entsprechend bestätigt die statistische Überprüfung die anhand des Forschungstandes gewählten Krisenindikatoren. Daraufhin wurde für jede dieser Kennzahlen ein Schwellenwert ermittelt, der auf eine mögliche finanzielle Schieflage in diesem Bereich hindeuten kann. Die Schwellenwertermittlung basiert auf den angeführten Forschungsstudien. Ein Hinweis auf eine Krisensituation liegt vor, wenn die folgenden Werte erreicht werden: • Liquide Mittel/Bilanzsumme

 ≤ 3  %,

• Liquiditätsquote

 ≤ 0,5,

• Liquide Mittel/Kurzf. Verbindlichkeiten

 ≤ 10  %,

• Eigenkapital

 ≤ 1.000 T  EUR,

• Verschuldungsgrad

 ≥ 20  %,

• Nettoumlaufvermögen

 ≤ 0 EUR,

• Verbindlichkeiten/Umsatz

 ≥ 1,

• ROA

 ≤ 0.

Sollten sämtliche Indikatoren auf eine Krisensituation hinweisen, nimmt die Variable Krisenstärke den Wert Acht an. Die Bewertung erfolgt jeweils jährlich. Dies ermöglicht die Abbildung eines potenziellen Krisenverlaufs über den vorliegenden Untersuchungszeitraum. Zudem erfolgt mit Variable 31 eine binäre Kodierung der Krisenstärke. Sobald mindestens vier der oben genannten Schwellenwerte unter- bzw. überschritten sind, liegt gem. der Variablendefinition eine Krisensituation für das Unternehmen vor. Darüber hinaus wird Variable 32 zur Beurteilung der finanziellen Unternehmenssituation anhand der Kapitalstruktur gebildet. Diesbezüglich basiert die Einschätzung lediglich auf den Größen Eigenkapital und Verschuldungsgrad. Sollten beide Schwellenwerte erfüllt sein, gibt der Kapitalstrukturindikator einen Hinweis auf das mögliche Vorliegen einer strukturellen Krisensituation. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird ersichtlich, dass ein auf die Kapitalstruktur ausgerichteter Leistungsindikator aufgrund der Verwendung des ROA als abhängige Variable notwendig ist. Tabelle  7.4 stellt abschließend die erläuterten finanziellen Variablen, die die quantitative Analyse enthält, zusammenfassend dar.

7.2  Selektion der Variablen

181

Tab. 7.4   Finanz-Variablen Nr.

Kategorie

Variablenbezeichnung

Messung

13

Liquidität

Anteil Cashflow und ­Äquivalente an Bilanzsumme (CASH/BS)

(Liquide Mittel/Bilanzsumme) * 100

14

Liquiditätsquote (LIQ)

(Liquide Mittel/ Kurzf. ­Verbindlichkeiten)

15

Cashverhältnis 1 (CASH/KVG)

(Liquide Mittel/Kurzf. VG) * 100

16

Cashverhältnis 2 (CASH/KVERB)

(Liquide Mittel/ Kurzf. ­Verbindlichkeiten) * 100

17

Kurzfristigkeit (KVG/KVERB)

Kurzf. VG/Kurzf. ­Verbindlichkeiten

Leverage (LEV)a

Verbindlichkeiten/Bilanzsumme

18 19

Verschuldung/ Fremdkapital

20

Verschuldungsgrad (VG)

(Bilanzsumme – EK)/EK

Anteil Verbindlichkeiten an Umsatzerlösen (VERB/U)

Verbindlichkeiten/Umsatz

21

Eigenkapital

Anteil Umsatzerlöse am Eigenkapital (U/EK)

Umsatz/Eigenkapital

22

Vermögen

Nettoumlaufvermögen (NET)

Siehe Unternehmensbilanz

23

Anteil kurzf. Forderungen (Kurzf. VG/Bilanzsumme) * 100 an Bilanzsumme (KFOR/BS)

24

Accounts Receivable Days (DAYSAR)

365 * (Kurzf. VG/Umsatz)

25

Anteil Anlagevermögen an Bilanzsumme (AVER/BS)

(Anlagevermögen/Bilanzsumme) * 100

26

Anteil Vorräte an ­Umsatzerlöse (VOR/U)

Vorräte/Umsatz

(Fortsetzung)

182

7  Quantitative Untersuchung

Tab. 7.4   (Fortsetzung) Nr.

Kategorie

Variablenbezeichnung

Messung

27

Investition

Langfristige Investitionen Investitionen in SA/Sachanlagevermögen (INV) ((SAt – SAt-1)/SAt) * 100

28

Rentabilität

Return on Equity (ROE)

Jahresüberschuss/Eigenkapital

29

Return on Assets (ROA)

Jahresüberschuss/Bilanzsumme

30

Krisenstärke (KS)

Mögliche Ausprägungen: 0 (Kein Krisenindikator erfüllt) bis 8 (Alle Krisendindikatoren erfüllt)

31

Krisenklassifizierung (KLA)

Basis: Krisenstärke (KS) 0: Krisenunternehmen 1: Solventes Unternehmen

32

Kapitalstrukturindikator (KAP)

0: Krisenhinweis 1: Kein Krisenhinweis

aDie Variable Leverage findet, in Abhängigkeit der Untersuchung, Anwendung als kontrollierende oder erklärende Variable und wird tabellarisch doppelt erfasst.

7.3 Vorstellung der Untersuchungsstichprobe 7.3.1 Krisenunternehmen mit dem Status Zahlungsverzug oder Insolvenzverfahren Die Stichprobe der bestandsgefährdeten Unternehmen unterteilt sich in die beiden Gruppen: Krisenunternehmen identifiziert anhand deren in der Unternehmensdatenbank Amadeus hinterlegten Status oder festgelegter Krisenindikatoren. Zunächst wird eine nach Gruppen getrennte Beschreibung der Krisenunternehmen unter Verwendung deskriptiver Statistiken vorgenommen. Im Anschluss folgt die Charakterisierung der ermittelten Vergleichsunternehmen. Abschließend wird die gesamte Untersuchungsstichprobe zusammenfassend vorgestellt. Die deskriptiven Statistiken umfassen sämtliche im vorherigen Kapitel dargelegten Variablen.35 Die Schwerpunktsetzung hinsichtlich der Vorstellung der

35Die

deskriptiven Statistiken der, in Abhängigkeit der Untersuchung, verwendeten Variable Leverage werden lediglich einmal aufgeführt.

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

183

Untersuchungsstichprobe liegt, entsprechend der Hypothesen, auf der Darstellung der nichtfinanziellen Variablen. Die folgenden Statistiken beziehen sich auf die Jahre 2014–2017. Das unvollständig vorliegende Jahr 2018 wird in diesem Zusammenhang nicht betrachtet.36 Die erste Gruppe (Status) beinhaltet diejenigen Unternehmen aus der europäischen Union, deren Status seit dem 01.01.2018 von Bureau van Dijk auf Insolvenzverfahren oder Zahlungsverzug gesetzt ist. Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 7.1 genannten Restriktionen ergibt sich eine Stichprobe von 165 Unternehmen mit 660 Beobachtungspunkten über die Jahre 2014–2017. Das durchschnittliche Unternehmensalter beträgt 24,65 Jahre bei einer Standardabweichung von 18,31. Der Mittelwert der Umsatzerlöse beziffert sich auf knapp 90 Mio. EUR und die durchschnittliche Bilanzsumme liegt bei fast 77 Mio. EUR. Der Mittelwert der Beschäftigten beziffert sich für den Untersuchungszeitraum von 2014–2017 auf etwa 652 Mitarbeiter. Der Anteil von Familienunternehmen liegt bei ca. 46 %. Wie bereits dargelegt, basiert diese Untersuchung auf der Definition eines familienkontrollierten Unternehmens.37 Allerdings ist anzumerken, dass die Definition keine familiäre Beziehung der natürlichen Personen fordert. Der Anteil familienkontrollierter Unternehmen, bei denen die Mehrheitseigentümer denselben Nachnamen vorweisen, liegt bei etwa 39 %. Sollte darüber hinaus ein Gesellschafter in der Geschäftsführung des Unternehmens sitzen, liegt ein eigentümergeführtes Unternehmen vor. Bei 34 % der Stichprobe der Unternehmen mit dem Status Zahlungsverzug oder Insolvenzverfahren handelt es sich um eigentümergeführte Gesellschaften. Die Variable Eigentumskonzentration gibt den im Unternehmen vorliegenden höchsten Gesellschafteranteil an. Diesbezüglich werden die Anteile von Familienmitgliedern, identifiziert anhand desselben Familiennamens, zusammengefasst. Die durchschnittliche Eigentumskonzentration liegt für die Krisenunternehmen, identifiziert anhand des Status, bei 86,66 %. Der Mittelwert der Anzahl der dokumentierten Gesellschafter beträgt 2,82. Die Abschlussprüfung oder

36Durch

die Fokussierung der Untersuchung auf die Jahre 2014–2017 wird ein zahlenmäßiges Gleichgewicht zwischen den Gruppen Krisen- und Vergleichsunternehmen erreicht. 37Ein familienkontrolliertes Unternehmen liegt vor, wenn es sich mehrheitlich im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Personen befindet und somit von dieser überschaubaren Personenanzahl kontrolliert wird. In Abhängigkeit der jeweiligen Rechtsform bestehen Unterschiede hinsichtlich der Operationalisierungskriterien. Vgl. Stiftung Familienunternehmen (2019), S. 74–75.

184

7  Quantitative Untersuchung

die Beratung wird bei 22 % der Untersuchungsstichprobe von einer der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften übernommen. Die Würdigung der finanziellen Variablen wird im Rahmen der Betrachtung der gesamten Untersuchungsstichprobe in Abschnitt 7.3.4 vorgenommen.38 Eine Zusammenfassung der deskriptiven Statistiken ist der nachfolgenden Tabelle 7.5 zu entnehmen. Diese enthält ebenfalls die entsprechenden Werte für die finanziellen Variablen. Die Größen Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Nettoumlaufvermögen sind in sämtlichen Tabellen in eintausend EUR (TEUR) angegeben. Darüber hinaus werden aus Gründen der Übersichtlichkeit im Folgenden die Abkürzungen der zusammengesetzten finanziellen Variablen verwendet.

Tab. 7.5   Deskriptive Statistiken der Krisenunternehmen nach Status Minimum

Maximum

1,00

117,00

Anzahl Unternehmen Unternehmensalter

Mittelwert

Std.-Abw.

24,65

18,31

165

Umsatzerlöse

836,00

2.885.145,00

89.452,95

270.234,19

Bilanzsumme

1.437,00

3.457.344,00

76.776,62

306.298,14

Mitarbeiter

0,00

24.982,00

652,29

2.385,54

Leverage

0,09

5,81

0,84

0,46

Familienkontrolliert

0,00

1,00

0,46

0,50

Namensgleich familienkontrolliert

0,00

1,00

0,39

0,49

Eigentümergeführt

0,00

1,00

0,34

0,47

Eigentumskonzentration

10,80

100,00

86,66

22,06

Gesellschafter

1,00

69,00

2,82

5,76

Big Four

0,00

1,00

0,22

0,41 (Fortsetzung)

38Das

Vorgehen steht im Einklang mit dem gewählten Forschungsschwerpunkt. Entsprechend erfahren die Variablen der Bereiche Eigentümerstruktur und Familie sowie Berater eine stärkere Würdigung.

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

185

Tab. 7.5   (Fortsetzung) Minimum

Maximum

Anzahl Unternehmen

Mittelwert

Std.-Abw.

165

CASH/BS

0,00

88,69

7,55

12,14

Liquiditätsquote

0,06

15,11

0,99

1,13

CASH/KVG

0,00

93,90

11,38

16,09

CASH/KVERB

0,00

501,10

17,06

37,97

KVG/KVERB

0,06

28,00

1,34

1,73

Verschuldungsgrad

831,64

5,55

58,65

VERB/U

−640,23

0,00

30,51

0,94

1,87

U/EK

−361,48

1.547,73

14,01

93,11

Nettoumlaufvermögen

−468.936,16

763.000,11

0,00

98,71

DaysAR

0,00

2.590,30

94,59

204,42

AVER/BS

0,00

94,00

33,86

24,05

KFOR/BS

3.913,43

72.674,96

25,49

21,40

VOR/U

0,00

243,66

11,56

22,09

INV

−2.715,36

100,00

−19,58

146,71

ROE ROA Krisenstärke

−247,45

−2,53

0,00

17,32 21,89 8,00

−1,09

12,66

2,78

2,02

−0,02

0,88

Krisenklassifizierung

0,00

1,00

0,66

0,47

Kapitalstrukturindikator

0,00

1,00

0,70

0,46

Tabelle 7.6 zeigt sowohl die zugehörige Branche nach der Klassifizierung NACE Rev. 2 als auch das Herkunftsland der Untersuchungsstichprobe der nach dem Status identifizierten Krisenunternehmen. Das verarbeitende Gewerbe mit 35 %, gefolgt von dem Handel mit 22 % und dem Baugewerbe mit 17 % können als dominierende Branchen angesehen werden.

186

7  Quantitative Untersuchung

Tab. 7.6   Branche/Land Segmentierung der Krisenunternehmen nach Status Standort Branche (NACE Rev. 2)

AT

CZ

DE

ES

FR

UK

IT

PT

RO

SE



Land- und Forstwirtschaft 0

0

0

0

0

0

0

0

3

0

3

Verarbeitendes Gewerbe

3

5

8

7

19

3

2

10

1

58

0

Energieversorgung

0

0

0

0

0

0

1

0

2

0

3

Wasserversorgung

0

0

0

1

0

1

0

0

0

0

2

Baugewerbe

0

0

0

5

2

12

1

1

6

1

28

Handel

1

0

1

4

4

18

0

1

6

2

37

Verkehr und Lagerei

0

0

0

0

0

3

0

1

1

0

5

Beherbergung und Gastro- 0 nomie

0

0

0

0

7

0

0

1

0

8

Information und Kommunikation

0

0

0

1

0

2

0

0

0

0

3

Finanz- und Versicherungs- 0 dienstleistungen

0

0

0

0

2

0

0

0

0

2

Grundstücks- und Wohnungswesen

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

1

Freiberufliche, wissen0 schaftliche, technische DL

0

0

1

0

0

0

0

0

0

1

Sonstige wirtschaftliche DL

0

0

1

0

6

0

1

0

0

8

0

Öffentliche Verwaltung

0

0

0

0

0

2

0

0

0

0

2

Gesundheits- und Sozialwesen

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

1

Kunst, Unterhaltung und Erholung

0

0

0

0

0

2

0

0

0

0

2

Sonstige DL

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

1



1

3

6

21

14

75

6

6

29

4

165

Neben Tabelle 7.6 veranschaulicht die folgende Abbildung die Dominanz des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland als Herkunftsland der anhand ihres Status identifizierten Krisenunternehmen. Einen beachtlich hohen Anteil ist ebenfalls Rumänien mit 18 % und Spanien mit 13 % zuzuschreiben (Abbildung 7.2). Dass vergleichsweise bedeutende europäische Wirtschaftsstandorte wie Deutschland, Frankreich oder Italien tendenziell unterrepräsentiert sind,

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

187

ist rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Einleitung von Insolvenzverfahren sowie möglicherweise konjunkturellen Aspekten geschuldet. 80

75

Anzahl Unternehmen

70 60 50 40 29

30

21

20 10 0

14 6

6

DE

ES

FR

8

6

UK IT Unternehmenssitz

PT

RO

Andere

Abb. 7.2   Unternehmenssitz der Krisenunternehmen nach Status

Als weitere Komponente zur Beschreibung der Untersuchungsstichprobe dienen die Umsatzerlöse der Krisenunternehmen. Abbildung 7.3 gliedert die Umsatzerlöse in die vier Bereiche unter 10 Mio.  EUR, 10 bis 20 Mio. EUR, 20 bis 50 Mio. EUR und über 50 Mio. EUR. Knapp 60 % der Unternehmen weisen 60

52

Anzahl Unternehmen

50

44 39

40 30

30

20 10 0

< 10 Mio. EUR

10 - 20 20 - 50 Mio. EUR Mio. EUR Umsatzerlöse

Abb. 7.3   Umsatzerlöse der Krisenunternehmen nach Status

> 50 Mio. EUR

188

7  Quantitative Untersuchung

im Untersuchungszeitpunkt jährliche Umsatzerlöse von mindestens 20 Mio. EUR auf. Die meisten Unternehmen der Stichprobe sind in den Bereich 20 bis 50 Mio.  EUR einzusortieren.

7.3.2 Krisenunternehmen mit definierten Indikatoren Die zweite Untersuchungsstichprobe zu Krisenunternehmen beinhaltet sämtliche in der Datenbank Amadeus enthaltene aktive Unternehmen, die bestimmte, in Abschnitt 7.1 erläuterte, Krisenindikatoren aufweisen. Analog zu der Beschreibung der Krisenunternehmen aus der ersten Gruppe folgen Ausführungen zu den wesentlichen deskriptiven Statistiken, der Branchen- und Länderzugehörigkeit sowie der Umsatzklassen der Teilstichprobe. Die Gruppe der Krisenunternehmen mit definierten Indikatoren umfasst 210 Unternehmen (840 Beobachtungspunkte) mit einem durchschnittlichen Alter von 24,08 Jahren und einem Mittelwert von 177 Angestellten im Untersuchungszeitraum. Damit gleicht der Durchschnitt des Unternehmensalters nahezu der ersten Stichprobe, wobei die Mitarbeiterzahl deutlich geringer ausfällt. Ebenfalls geringer fallen die Anteile familienkontrollierter, namensgleich familienkontrollierter und eigentümergeführter Unternehmen mit 34 %, 32 % und 19 % aus. Die Eigentumskonzentration, angegeben in Form des jeweils höchsten Gesellschafteranteils, liegt bei knapp 90 %. Der Anteil der Abschlussprüfung durch eine der Big Four-Gesellschaften beträgt 24 %. Tabelle 7.7 gibt einen Überblick über die genannten deskriptiven Statistiken der Teilstichprobe. Tab. 7.7   Deskriptive Statistiken der Krisenunternehmen nach Indikatoren Minimum

Maximum

Anzahl Unternehmen

Mittelwert

Std.-Abw.

210

Unternehmensalter

1,00

116,00

24,08

17,05

Umsatzerlöse

132,00

214.005,00

24.551,71

25.285,81

Bilanzsumme

154,00

64.494,00

12.522,35

8.640,35

Mitarbeiter

4,00

3.594,00

177,32

384,23

Leverage

0,24

2,00

0,88

0,14

Familienkontrolliert

0,00

1,00

0,34

0,47

Namensgleich familienkontrolliert 0,00

1,00

0,32

0,47 (Fortsetzung)

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

189

Tab. 7.7   (Fortsetzung) Eigentümergeführt

Minimum

Maximum

Mittelwert

Std.-Abw.

0,00

1,00

0,19

0,39

Eigentumskonzentration

12,27

100,00

89,86

18,76

Gesellschafter

1,00

31,00

2,25

2,75

Big Four

0,00

1,00

0,24

0,43

CASH/BS

0,00

124,66

5,77

8,95

Liquiditätsquote

0,05

92,17

1,12

4,95

CASH/KVG

0,00

145,74

7,56

11,17

CASH/KVERB

0,00

303,75

9,72

22,26

KVG/KVERB

0,08

214,68

1,79

11,36

Verschuldungsgrad VERB/U U/EK Nettoumlaufvermögen KFOR/BS

−1.033,10

0,00

−2.897,06

−30.547,83

2.256,82

17,08

97,27

93,42

0,72

3,23

2.442,66

36,43

175,77

26.169,98

369,83

3.066,38

92,25

35,94

21,95

26.421,93

110,96

911,90

0,02

98,94

23,09

19,92

VOR/U

0,00

891,02

INV

−137.625,15 100,00

DaysAR AVER/BS

ROE ROA

−40,07

−53,98

−793,33

−2,62

230,67

3,28

13,51

37,72

−184,09

4.755,02

−3,06

−0,05

35,14 0,19

Krisenstärke

0,00

8,00

3,42

1,85

Krisenklassifizierung

0,00

1,00

0,51

0,50

Kapitalstrukturindikator

0,00

1,00

0,52

0,50

Hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der vorherigen Stichprobe. Das verarbeitende Gewerbe und der Handel stellen die dominierenden Branchen mit knapp über 30 % bzw. 25 % dar. Anzumerken ist, dass die Branche Verkehr und Lagerei in dieser Stichprobe mit 25 zugehörigen Unternehmen am drittstärksten und deutlich öfter als in der Stichprobe nach Unternehmensstatus vertreten ist. Die weiteren Häufigkeiten des Auftretens der einzelnen Branchen sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen (Tabelle 7.8).

BE 0 3 0 0 1 2 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 7

Branche (NACE Rev. 2)

Land- und Forstwirtschaft

Verarbeitendes Gewerbe

Energieversorgung

Wasserversorgung

Baugewerbe

Handel

Verkehr und Lagerei

Beherbergung und Gastronomie

Information und Kommunikation

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen

Grundstücks- und Wohnungswesen

Freiberufliche, wissenschaftliche, techn. DL

Sonstige wirtschaftliche DL

Erziehung und Unterricht

Gesundheits- und Sozialwesen

Kunst, Unterhaltung und Erholung

Sonstige DL



10

1

0

1

0

1

0

0

0

0

0

4

1

0

0

0

2

0

DE

Standort

12

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

4

4

2

0

0

1

0

ES

4

0

0

0

0

0

0

0

0

2

0

0

0

0

0

0

2

0

FI

41

0

1

2

0

1

1

0

0

2

0

6

10

5

0

0

13

0

FR

Tab. 7.8   Branche/Land Segmentierung der Krisenunternehmen nach Indikatoren

31

3

1

0

1

2

1

0

0

2

0

2

7

1

0

0

11

0

UK

8

0

1

0

0

1

1

0

0

0

0

0

3

0

0

0

2

0

GR

61

0

1

1

0

1

3

1

0

5

0

5

19

5

1

0

18

1

IT

10

0

0

0

0

1

0

0

0

1

0

0

4

0

0

0

4

0

PT

9

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

2

3

0

0

1

2

0

RO

4

0

0

0

0

0

2

0

0

0

1

0

0

0

0

0

1

0

SE

13

0

0

1

0

1

0

0

1

0

1

2

1

0

0

0

6

0

Andere

210

4

4

5

2

9

9

1

1

12

2

25

54

14

1

1

65

1



190 7  Quantitative Untersuchung

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

191

Im Hinblick auf die Verteilung der Unternehmenssitze zeigt sich für die Stichprobe der Krisenunternehmen, die anhand von Krisenindikatoren identifiziert wurden, ein ausgeglicheneres Bild. Als Herkunftsländer dominieren Italien (IT) mit 29 %, Frankreich (FR) mit 20 % sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (UK) mit 15 % Unternehmensanteil. Zehn der in der Stichprobe enthaltenen Krisenunternehmen stammen aus Deutschland (Abbildung 7.4).

70

61

Anzahl Unternehmen

60 50

41

40

31

30 20 10 0

7

BE

10

12

8

4 DE

ES

FI

FR

UK GR IT Unternehmenssitz

10

PT

9

RO

13 4 SE

Andere

Abb. 7.4   Unternehmenssitz der Krisenunternehmen nach Indikatoren

Abbildung 7.5 veranschaulicht, dass die Mehrzahl der Unternehmen aus der Stichprobe Umsatzerlöse im Bereich von 10 bis 20 Mio. EUR aufweisen. Somit verschiebt sich die Verteilung im Vergleich zu der Stichprobe nach Status (Abbildung 7.3) zu den kleineren Umsatzklassen.

192

7  Quantitative Untersuchung

100

92

Anzahl Unternehmen

90 80 64

70 60 50 40

38

30

16

20 10 0

< 10 Mio. EUR

10 - 20 20 - 50 Mio. EUR Mio. EUR Umsatzerlöse

> 50 Mio. EUR

Abb. 7.5   Umsatzerlöse der Krisenunternehmen nach Indikatoren

7.3.3 Vergleichsunternehmen Wie bereits im einleitenden Abschnitt 7.1 Aufbau der Untersuchung dargelegt, wurden für die insgesamt 375 Unternehmen (165 Krisenunternehmen nach Status, 210 Krisenunternehmen nach Indikatoren) jeweils solvente Vergleichsunternehmen unter Verwendung der Datenbank Amadeus gesucht. Zwingend erforderlich im Rahmen der paarweisen Zuordnung ist, dass das Vergleichsunternehmen derselben Branche wie das Krisenunternehmen angehört. Anzuführen ist, dass die Unternehmenszuordnung anhand der detailliertesten Stufe der Branchenklassifizierung durchgeführt wurde und tabellarisch nur Branchenklassen gezeigt werden können. Darüber hinaus soll das solvente Vergleichsunternehmen möglichst ähnlich hinsichtlich der Kriterien Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl sein.39 Ebenfalls könnte die Herkunft des Unternehmens als zusätzliches Merkmal für das paarweise Zuordnungsverfahren dienen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass der Unternehmenssitz der Stichprobeunternehmen auf die europäische Union begrenzt ist. Entsprechend sind länderspezifische Besonderheiten nur von bedingter Relevanz. Somit ist der Ausschluss der Herkunft als Merkmal für das Verfahren der paarweisen Zuordnung nachvollziehbar. Dennoch wird im Rahmen der Analyse geprüft, ob eine Verzerrung der

39Vgl.

Winkler (1995), S. 355–384; Shipman et al. (2017), S. 213–244.

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

193

­ rgebnisse aufgrund bestimmter Länder vorliegt. Die Nichtberücksichtigung des E Herkunftslands hat möglicherweise ebenfalls den Mehrwert, dass das Verfahren auf eine größere Anzahl potentieller Vergleichsunternehmen zurückgreifen kann. Auf Unternehmensebene wurde innerhalb derselben Branche (NACE Rev. 2) das Unternehmen als Vergleichsunternehmen gewählt, das einen möglichst geringen zahlenmäßigen Abstand für die Parameter Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl aufweist. Die Berechnung des Abstands erfolgt mithilfe des natürlichen Logarithmus. Der Mittelwert der Abstandsmessung sämtlicher Unternehmen beträgt 12,83. Kleinere Ausreißer wurden nochmals überprüft und sind mit der geringen Anzahl an Vergleichsunternehmen in der jeweiligen Branche (Pflichtkriterium) zu begründen. Analog zu der vorherigen Vorstellung der beiden Gruppen von Krisenunternehmen erfolgt die deskriptive Beschreibung der gefundenen solventen Gesellschaften. Diesbezüglich stellt Tabelle 7.9 zunächst die deskriptiven Statistiken der Vergleichsunternehmen dar. Tab. 7.9   Deskriptive Statistiken der Vergleichsunternehmen Minimum

Maximum

Anzahl Unternehmen

Mittelwert

Std.-Abw.

375

Unternehmensalter

1,00

129,00

25,93

17,67

Umsatzerlöse

48,00

3.983.784,00

59.120,19

230.593,97

Bilanzsumme

1.853,00

2.314.504,00

37.637,83

140.575,58

Mitarbeiter

1,00

35.781,00

371,16

1.991,22

Leverage

0,00

2,85

0,63

0,30

Familienkontrolliert

0,00

1,00

0,45

0,50

Namensgleich familienkontrolliert

0,00

1,00

0,41

0,49

Eigentümergeführt

0,00

1,00

0,33

0,47

Eigentumskonzentration

7,41

100,00

86,02

21,94

Gesellschafter

0,00

101,00

3,13

7,92

Big Four

0,00

1,00

0,21

0,41

CASH/BS

0,00

96,25

11,76

14,49

Liquiditätsquote

0,03

58,28

1,66

2,80

CASH/KVG

0,00

99,94

17,43

19,35

CASH/KVERB

0,00

160,91

3.635,29

139.038,79

(Fortsetzung)

194

7  Quantitative Untersuchung

Tab. 7.9   (Fortsetzung) Minimum

Maximum

Anzahl Unternehmen

Mittelwert

Std.-Abw.

375

KVG/KVERB

0,00

1.391,25

4,14

41,87

Verschuldungsgrad

466,14

3,47

21,99

VERB/U

−367,35

0,00

12,42

0,52

0,71

U/EK

−540,33

523,91

8,78

36,82

Nettoumlaufvermögen

−1.176.032,89

638.691,17

0,00

93,76

DaysAR

0,00

533,46

64,20

55,24

AVER/BS

0,00

98,30

31,06

24,15

KFOR/BS

VOR/U INV ROE ROA

−374,03

−24.938,99

−57,00

−12,49

2.794,35

64.436,73

26,85

20,95

293,38

9,84

21,66

100,00

−26,21

680,36

1.881,77 18,98

3,72

52,50

0,04

0,64

Krisenstärke

0,00

8,00

1,54

1,66

Krisenklassifizierung

0,00

1,00

0,88

0,33

Kapitalstrukturindikator

0,00

1,00

0,93

0,26

Die identifizierten 375 Vergleichsunternehmen weisen bei 1.500 Beobachtungspunkten ein Durchschnittsalter von 25,93 Jahren auf. Der Mittelwert der erzielten Umsatzerlöse beläuft sich auf über 59 Mio. EUR. Die Bilanzsumme beziffert sich auf knapp 38 Mio. EUR. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl liegt bei 371 Personen. Mit einem Anteil von 45 % familienkontrollierter, 41 % namensgleich familienkontrollierter und 33 % eigentümergeführter Unternehmen ist die Vergleichsgruppe hinsichtlich der enthaltenen Familienunternehmen ähnlich gelagert wie die erste Gruppe der Krisenunternehmen. Die Eigentumskonzentration weist einen Mittelwert von 86,02 % auf. Die Abschlussprüfung durch eine der Big Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften liegt mit 21 % unter den ermittelten Werten für die beiden Gruppen der Krisenunternehmen. Tabelle 7.10 zeigt die Aufschlüsselung nach Branchen und Standorten der Vergleichsunternehmen. Hinsichtlich der Branchen kann die Tabelle als Zusammenfassung der kumulierten Zahlen der beiden Krisengruppen angesehen werden, da die Branchenzugehörigkeit das zwingende Kriterium bei der Identifizierung eines solventen Unternehmens ist. Entsprechend wird erneut deutlich, dass das

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

195

verarbeitende Gewerbe und der Handel die dominierenden Bereiche darstellen. Zusammen stammen 57 % der gesamten Stichprobe der Krisen- und Vergleichsunternehmen aus diesen beiden Branchen. Danach folgen das Baugewerbe mit ca. 11 % sowie Verkehr und Lagerei mit 8 %. Die genaue Übersicht der Klassifizierung der Vergleichsunternehmen in die Branchenklassen nach NACE Rev. 2 ist der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Tab. 7.10   Branche/Land Segmentierung der Vergleichsunternehmen Standort Branche (NACE Rev. 2)

BE

CZ

DE

ES

FR

UK

IT

NO

PT

RO

An- ∑ dere

Land- und Forstwirtschaft

0

0

0

1

0

1

0

0

1

1

0

4

Verarbeitendes Gewerbe

8

5

7

15

11

15

32

1

7

3

19

123

Energieversorgung 0

1

0

2

0

0

1

0

0

0

0

4

Wasserversorgung

1

0

0

0

0

1

0

0

0

1

3

0

Baugewerbe

4

1

1

5

5

11

5

5

0

3

2

42

Handel

6

1

4

15

4

19

18

1

4

6

13

91

Verkehr und Lagerei

0

2

1

1

4

2

8

0

3

2

7

30

Beherbergung und Gastronomie

0

0

0

2

0

2

1

0

2

1

2

10

Information und Kommunikation

1

2

2

1

1

3

3

1

1

0

0

15

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen

0

0

0

0

1

2

0

0

0

0

0

3

Grundstücks- und Wohnungswesen

0

0

0

1

0

0

0

0

0

1

0

2

Freiberufliche, wissenschaftliche, techn. DL

2

0

0

1

3

1

2

0

0

0

1

10

Sonstige wirtschaft- 1 liche DL

0

1

3

1

6

1

2

1

1

0

17

Öffentliche Verwaltung

0

0

0

0

2

0

0

0

0

0

2

0

(Fortsetzung)

196

7  Quantitative Untersuchung

Tab. 7.10   (Fortsetzung) Standort Branche (NACE Rev. 2)

BE

CZ

DE

ES

FR

UK

IT

NO

PT

RO

An- ∑ dere

Erziehung und Unterricht

0

0

0

1

0

1

0

0

0

0

0

2

Gesundheits- und Sozialwesen

0

0

3

1

1

0

0

0

0

0

1

6

Kunst, Unterhaltung 1 und Erholung

0

0

1

0

4

0

0

0

0

0

6

Sonstige DL

0

0

0

0

0

4

0

0

0

0

1

5



23

13

19

50

31

73

72

10

19

18

47

375

Bezüglich des Unternehmenssitzes unterscheiden sich Krisen- und Vergleichsunternehmen. Jeweils knapp 20 % der Vergleichsunternehmen stammen aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Italien. Spanien stellt etwa 13 % und Frankreich 8 % der solventen Gesellschaften. Darauf folgen Deutschland und Portugal mit einem Stichprobenanteil von jeweils 5 %. Abbildung 7.6 stellt die Verteilung der Herkunftsländer der Vergleichsunternehmen grafisch dar.

80

73

72

Anzahl Unternehmen

70 60

50

50 40 30

47 31

23

20

19 13

10 0

BE

CZ

19

18

PT

RO

10

DE

ES

FR UK IT Unternehmenssitz

Abb. 7.6   Unternehmenssitz der Vergleichsunternehmen

NO

Andere

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

197

Abbildung 7.6 ordnet die Umsatzerlöse der Vergleichsunternehmen in die bereits bekannten Klassen unter 10 Mio. EUR, 10 bis 20 Mio. EUR, 20 bis 50 Mio. EUR und über 50 Mio. EUR ein. Während bei den Krisenunternehmen, identifiziert anhand deren in Amadeus hinterlegten Status, die oberen beiden Größenklassen dominieren, dominiert bei den anhand von Krisenindikatoren erhaltenen Unternehmen der Bereich 10 bis 20 Mio. EUR. Abbildung 7.7 fasst beide Verläufe zusammen und zeigt, dass knapp 70 % der Vergleichsunternehmen in dem mittleren Bereich zwischen 10 und 50 Mio. EUR Umsatzerlösen liegen. Gesellschaften, die oberhalb von 50 Mio. EUR Umsatz liegen, sind etwas stärker vertreten als Unternehmen mit weniger als 10 Mio. EUR Umsatz. 160 137

Anzahl Unternehmen

140

122

120 100 80 60

70 46

40 20 0

< 10 Mio. EUR

10 - 20 20 - 50 Mio. EUR Mio. EUR Umsatzerlöse

> 50 Mio. EUR

Abb. 7.7   Umsatzerlöse der Vergleichsunternehmen

7.3.4 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchungsstichprobe Die Ergebnisse hinsichtlich der paarweisen Zuordnungskriterien Umsatzerlöse, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl weisen im Durchschnitt akzeptable Unterschiede auf. Die in Tabelle 7.11 zusammenfassend dargestellten Mittelwerte sind ein weiteres Indiz dafür, dass möglichst passende Vergleichsunternehmen gefunden wurden. Auffällig ist, dass der Anteil von Familienunternehmen in den Definitionsstufen familienkontrolliert, namensgleich familienkontrolliert

198

7  Quantitative Untersuchung

und eigentümergeführt bei den solventen Unternehmen im Vergleich zu den gewichteten Durchschnittswerten der Krisenunternehmen höher ist. Die Eigentumskonzentration fällt hingegen geringer aus. Des Weiteren umfassen die Vergleichsunternehmen im Durchschnitt mehr Gesellschafter. Darüber hinaus zeigt die Übersicht, dass Krisenunternehmen vergleichsweise öfter durch eine der Big Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften betreut werden. Die Unterschiede zwischen dem gewichteten Durchschnitt der Krisen- und der Vergleichsunternehmen hinsichtlich der finanziellen Kennzahlen fallen erwartungsgemäß aus. Die Rentabilitätskennzahlen ROE und ROA weisen ein negatives Vorzeichen für die Gruppen der Krisenunternehmen und ein positives Vorzeichen für die Vergleichsgruppe auf. Die Krisenstärke ist im Wertebereich von null bis acht kodiert.40 Höhere Werte der Variable Krisenstärke deuten auf eine schwerwiegendere bestandsgefährdende Situation hin. Der gewichtete Durchschnittswert der Krisenstärke beträgt für die Gruppe der Krisenunternehmen 3,14 und ist im Vergleich zu den solventen Unternehmen mehr als doppelt so hoch. Hinsichtlich der binär kodierten Variablen Krisenklassifizierung und Kapitalstrukturindikator zeigt sich ein ähnliches Bild. Ein Wert von eins impliziert jeweils das Vorliegen eines solventen Unternehmens. Die Krisenklassifizierung beruht auf der diskutierten Variable Krisenstärke. Der Kapitalstrukturindikator setzt sich aus Variablen aus dem Bereich der Kapitalstruktur zusammen. Die gewichteten Durchschnittswerte der Krisenunternehmen liegen für die beiden Variablen bei 0,58 bzw. 0,60. Dahingegen deuten die Krisenklassifizierung und der Kapitalstrukturindikator für die Gruppe der Vergleichsunternehmen mit Werten von 0,88 bzw. 0,93 auf einen deutlich höheren Anteil von solventen Unternehmen hin. Tabelle 7.11 stellt die in den vorherigen Abschnitten erhobenen deskriptiven Statistiken als Gesamtübersicht vergleichend dar. Spaltenweise sind zunächst die Gruppen 1 (Status) und 2 (Indikatoren) der Krisenunternehmen einzeln aufgelistet. Darüber hinaus wird der gewichtete Durchschnitt über sämtliche Krisenunternehmen berechnet. Dieser kann folglich mit den deskriptiven Werten der solventen Unternehmensgruppe verglichen werden.

40Die Indikatoren für die Variable Krisenstärke setzen sich aus den Bereichen Liquidität, Kapitalstruktur, Vermögen und Rentabilität zusammen.

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

199

Tab. 7.11   Deskriptive Statistiken der Untersuchungsstichprobe

Anzahl ­Unternehmen

Gruppe I (Status)

Gruppe II Gewichteter (Indikatoren) Durchschnitt

Vergleichsunternehmen

165

210

375

375

Unternehmensalter 24,65

24,08

24,33

25,93

Umsatzerlöse

24.551,71

53.108,26

59.120,19

89.452,95

Bilanzsumme

76.776,62

12.522,35

40.794,23

37.637,83

Mitarbeiter

652,29

177,32

386,31

371,16

Leverage

0,84

0,88

0,86

0,63

Familienkontrolliert 0,46

0,34

0,39

0,45

Namensgleich 0,39 familienkontrolliert

0,32

0,35

0,41

Eigentümergeführt 0,34

0,19

0,26

0,33

Eigentumskonzentration

86,66

89,86

88,45

86,02

Gesellschafter

2,82

2,25

2,50

3,13

Big Four

0,22

0,24

0,23

0,21

CASHBS

7,55

5,77

6,55

11,76

Liquiditätsquote

0,99

1,12

1,06

1,66

CASH/KVG

11,38

7,56

9,24

17,43

CASH/KVERB

17,06

9,72

12,95

160,91

KVG/KVERB

1,34

Verschuldungsgrad 5,55

1,79

1,59

4,14

17,08

12,01

3,47

VERB/U

0,94

0,72

0,82

0,52

U/EK

14,01

36,43

26,57

8,78

Nettoumlaufvermögen

3.913,43

369,83

1.929,01

2.794,35

KFOR/BS

25,49

35,94

31,34

26,85

DaysAR

94,59

110,96

103,76

64,20

AVER/BS

33,86

23,09

27,83

31,06

VOR/U

11,56

13,51

12,65

9,84

INV ROE

−19,58

−1,09

−184,09

−3,06

−111,71

−2,19

−26,21

3,72

(Fortsetzung)

200

7  Quantitative Untersuchung

Tab. 7.11   (Fortsetzung)

Anzahl ­Unternehmen ROA

Gruppe I (Status)

Gruppe II Gewichteter (Indikatoren) Durchschnitt

Vergleichsunternehmen

165

210

375

−0,02

375

−0,05

0,04

−0,04

Krisenstärke

2,78

3,42

3,14

1,54

Krisenklassifizierung

0,66

0,51

0,58

0,88

Kapitalstrukturindikator

0,70

0,52

0,60

0,93

Eine statistische Überprüfung, ob sich die Mittelwerte der für die Untersuchung relevanten Variablen zwischen den beiden Gruppen signifikant voneinander unterscheiden, wird mittels t-Test im Abschnitt 7.5.2 vorgenommen. Abschließend werden die Branchenzugehörigkeit (Tabelle 7.12), der Unternehmenssitz (Abbildung 7.8) sowie die Umsatzerlöse (Abbildung 7.9) für sämtliche der Untersuchung angehörende Unternehmen dargestellt. Tab. 7.12   Branche/Land Segmentierung der Untersuchungsstichprobe Standort Branche (NACE Rev. 2)

BE

CZ

DE

ES

FR

UK

IT

NO

PT

RO

An- ∑ dere

Land- und Forstwirtschaft

0

0

0

1

0

1

1

0

1

4

0

8

Verarbeitendes Gewerbe

11

8

14

24

31

45

53

1

13

15

31

246

Energieversorgung 0

1

0

2

0

0

2

0

0

3

0

8

Wasserversorgung

0

1

0

1

0

1

2

0

0

0

1

6

Baugewerbe

5

1

1

12

12

24

11

5

1

9

3

84

Handel

8

1

6

23

18

44

37

1

9

15

20

182

Verkehr und Lagerei

0

2

5

5

10

7

13

0

4

5

9

60

Beherbergung und 0 Gastronomie

0

0

2

0

9

1

0

2

2

4

20

(Fortsetzung)

7.3  Vorstellung der Untersuchungsstichprobe

201

Tab. 7.12   (Fortsetzung) Standort Branche (NACE Rev. 2)

BE

CZ

DE

ES

FR

UK

IT

NO

PT

RO

An- ∑ dere

Information und Kommunikation

1

2

2

2

3

7

8

1

2

0

2

30

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen

0

0

0

0

1

4

0

0

0

0

1

6

Grundstücks- und Wohnungswesen

0

0

0

1

0

0

2

0

0

1

0

4

Freiberufliche, wissenschaftliche, techn. DL

2

0

0

2

4

2

5

0

0

1

4

20

Sonstige 2 ­wirtschaftliche DL

0

2

4

2

14

2

2

3

1

2

34

Öffentliche ­Verwaltung

0

0

0

0

0

4

0

0

0

0

0

4

Erziehung und Unterricht

0

0

0

2

0

2

0

0

0

0

0

4

Gesundheits- und Sozialwesen

0

0

4

1

4

0

1

0

0

0

2

12

Kunst, ­Unterhaltung und Erholung

1

0

0

1

1

7

1

0

0

0

1

12

Sonstige DL

0

1

0

0

0

5

3

0

0

0

1

10



30

17

34

83

86

176

142

10

35

56

81

750

Entsprechend der dargelegten Erkenntnisse der einzelnen Gruppen zeigt die Segmentierung eine Dominanz des verarbeitenden Gewerbes (32,8 %) und des Handels (24,3 %). Aus der Abbildung geht ebenfalls hervor, dass Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Italien die Untersuchungsstichprobe dominieren. 23,4 % der enthaltenen Unternehmen stammen aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, gefolgt von italienischen Gesellschaften, die einen Anteil von 18,9 % an der Stichprobe besitzen. Dies wird durch Abbildung 7.8 grafisch unterstrichen. Im Rahmen der Analyse wird untersucht, ob eine Verzerrung der Ergebnisse aufgrund der Dominanz dieser Länder besteht.

202

7  Quantitative Untersuchung

200

176

180

Anzahl Unternehmen

160

142

140 120 100

83

80

86

81 56

60 40

30

20 0

BE

35

34 17

CZ

10 DE

ES

FR UK IT Unternehmenssitz

NO

PT

RO

Andere

Abb. 7.8   Unternehmenssitz der Untersuchungsstichprobe

Abbildung 7.9 zeigt die Umsatzerlöse der Stichprobe. Fast 70 % der Unternehmen weisen Umsatzerlöse im Bereich von 10 bis 50 Mio. EUR auf. Somit dominieren Unternehmen der mittleren Umsatzklassen die Stichprobe. Die beiden Randbereiche der Umsatzerlöse von kleiner als 10 Mio. EUR und größer als 50 Mio. EUR sind nahezu gleichverteilt. 300 253

Anzahl Unternehmen

250

253

200 150

130

114

100 50 0

< 10 Mio. EUR

10 - 20 20 - 50 Mio. EUR Mio. EUR Umsatzerlöse

Abb. 7.9   Umsatzerlöse der Untersuchungsstichprobe

> 50 Mio. EUR

7.4  Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse

203

7.4 Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse 7.4.1 Erläuterung des Analysevorgehens Nach der Darstellung des Aufbaus der quantitativen Untersuchung, der Vorstellung der Untersuchungsstichprobe und der Selektion der Variablen folgt eine kurze Darlegung der Anwendung der multivariaten Diskriminanzanalyse.41 Die multivariate Diskriminanzanalyse stellt den ersten Teil der quantitativen Analyse dar. Die Zielsetzung der multivariaten Diskriminanzanalyse besteht darin, Gruppenzugehörigkeiten anhand von mehreren Variablen zu bestimmen.42 Für die vorliegende Untersuchung dient die Diskriminanzanalyse dem Zweck, die Stichprobeunternehmen anhand von selektierten Variablen der Gruppe der Krisenunternehmen oder der solventen Unternehmen zuzuordnen. Entsprechend besteht die Zielsetzung der multivariaten Diskriminanzanalyse darin, die Gruppen Krisenunternehmen und solvente Unternehmen durch Linearkombination mehrerer unabhängiger Variablen so zu trennen, dass die Streuung innerhalb der Gruppen möglichst gering und zwischen den Gruppen möglichst hoch ist.43 Somit sind die Merkmale zu identifizieren, durch die sich die Krisenunternehmen deutlich von solventen Unternehmen unterscheiden lassen. Grundlegend besteht der Datensatz aus 750 Unternehmen, die sich aus 375 Krisen- sowie 375 solventen Vergleichsunternehmen zusammensetzen. Entsprechend erfolgt der Prozess der paarweisen Unternehmenszuordnung bereits in den vorherigen Kapiteln. Im Rahmen der multivariaten Diskriminanzanalyse wird der Einfluss der einzelnen unabhängigen Variablen auf die abhängige Gruppierungsvariable (0 = Krisenunternehmen, 1 = solventes Unternehmen) beleuchtet. Grundsätzlich werden zwei verschiedene Modelle im Rahmen der Diskriminanzanalyse aufgestellt. Das erste Modell nimmt sämtliche unabhängigen Variablen zusammen in die Analyse auf. Im zweiten Modell erfolgt eine schrittweise Auswahl der Variablen anhand des Wilks-Lambda. Mithilfe des zweiten Modells wird untersucht, ob die Genauigkeit der Gruppenzuordnung erhöht werden kann. Die schrittweise Auswahl der Variablen erfolgt bidirektional, d. h. es findet sowohl eine Vorwärts- als auch eine Rückwärtsauswahl statt.

41Für

weitere Informationen zum Thema Diskriminanzanalyse vgl. Cacoullos (2014); Lachenbruch und Goldstein (1979); Mika et al. (1999). 42Vgl. Baetge et al. (2004), S. 535. 43Vgl. Lachenbruch und Goldstein (1979), S. 69–72.

204

7  Quantitative Untersuchung

Die Diskriminanzfunktion des verwendeten Grundmodells besitzt die folgende Form:

Z = b0 + b1X1 + b2 X2 + .. + bJ XJ mit

Z = Diskriminanzvariable Xj = Merkmalsvariablej(j = 1, 2, . . . ., J) .. bj = Diskriminanzkoeffizient f u r Merkmalsvariable j b0 = Konstantes Glied Bei dem zweiten Modell, der schrittweisen Aufnahme von Variablen, wird jeweils bestimmt, inwieweit das gesamte Wilks-Lambda minimiert wird. Es wird diejenige Variable in das Modell aufgenommen, die für die größtmögliche Reduzierung des Wilks-Lambda sorgt. Wilks-Lambda wird als Kriterium zur Untersuchung der Trennfähigkeit der aus den Variablen gebildeten Diskriminanzfunktion verwendet.44 Wilks-Lambda gibt das Verhältnis von nicht erklärter Streuung zur Gesamtstreuung der Diskriminanzwerte wieder. Ein niedriger Wert gibt eine geringe unerklärte Streuung und eine damit einhergehende gute Unterscheidung zwischen den Gruppen an. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Wilks-Lambda um ein normiertes Maß, das Ausprägungen zwischen null und eins annehmen kann.45 Entsprechend führt eine schrittweise Minimierung des Wilks-Lambda zu einer besseren Zuordnung der Beobachtungen zu den beiden Gruppen Krisenunternehmen und solventes Unternehmen. Folglich wird bei jedem Schritt die Variable mit dem höchsten Minimierungseffekt auf das gesamte Wilks-Lambda hinzugefügt. Eine Variable wird in das Modell mitaufgenommen, wenn das Signifikanzniveau des F-Werts niedriger als der Eingabewert ist.46 Für das Modell wird der Wert der F-Wahrscheinlichkeit für den Einschluss einer Variablen auf 0,05 und für den Ausschluss der Variablen auf 0,10 gesetzt. Als Gruppierungsvariable dient die Variable 31 Krisenklassifizierung. Wie im vorherigen Kapitel erläutert, setzt sich diese Variable aus verschiedenen Indikatoren aus den Bereichen Liquidität, Kapitalstruktur, Vermögen und Rentabilität zusammen. Die Variable Krisenklassifizierung ist, wie es die Diskriminanzanalyse fordert, binär kodiert und nimmt für Krisenunternehmen den

44Vgl.

Hahs-Vaughn (2016), S. 281–283. Klecka und Iversen (1980), S. 39–40. 46Vgl. Klecka und Iversen (1980), S. 54. 45Vgl.

7.4  Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse

205

Wert null und für solvente Unternehmen den Wert eins an. Die Aufnahme der acht Indikatoren, auf denen die Krisenklassifizierung beruht, als unabhängige Variablen ist ausgeschlossen. Zu beachten ist, dass die Stichprobeunternehmen, die aus Krisengruppe 2 stammen, auf Basis von Indikatoren aus den genannten Bereichen identifiziert wurden. Daher ist es notwendig, die anhand von Indikatoren identifizierten Krisenunternehmen von der Diskriminanzanalyse auszuschließen.47 Somit fließen in die Diskriminanzanalyse die anhand ihres Status in der Unternehmensdatenbank Amadeus klassifizierten Krisenunternehmen sowie sämtliche Vergleichsunternehmen in die Analyse ein. Der Untersuchungszeitraum bezieht das datentechnisch unvollständig vorliegende Jahr 2018 und alle vorliegenden Vergleichsunternehmen mit ein, um möglichst aussagekräftige Klassifizierungsergebnisse erzielen zu können, die die weitere quantitative Analyse unterstützen. Für das Jahr 2018 fehlen die Daten von 110 anhand des Status identifizierten Krisenunternehmen und von 51 Vergleichsunternehmen. Insgesamt basiert somit die Diskriminanzanalyse auf 2.539 Beobachtungen.48

7.4.2 Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen Bevor die multivariate lineare Diskriminanzanalyse durchgeführt wird, gilt es, die Voraussetzungen für diese zu prüfen. Im Wesentlichen sollten folgende Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Anwendung der Diskriminanzanalyse beachtet werden: • Merkmale sind metrisch skaliert, • Vorliegen von mindestens zwei Gruppen, die durch die Merkmale vorhergesagt werden, • Merkmale sollten in den Gruppen in etwa multivariat normalverteilt sein, • Merkmale sollten möglichst keine Multikollinearität aufweisen, • Varianzhomogenität der Werte in den einzelnen Gruppen sollte möglichst bestehen.49 47Der Vollständigkeit halber wurde dennoch eine Diskriminanzanalyse, die sämtliche Unternehmensgruppen berücksichtigt und die Jahre 2017 sowie 2018 Außen vor lässt, durchgeführt. Diesbezüglich ergeben sich ähnliche Klassifizierungsergebnisse. 48Gem. Datenbankabfrage vom 28.12.2019 liegen für die Jahre 2014–2017 die Daten der 165 Krisenunternehmen (Status) und der 375 Vergleichsunternehmen vor. Zusätzlich umfasst die Stichprobe 55 Krisenunternehmen (Status) und 324 Vergleichsunternehmen aus dem Jahr 2018. (165 x 4 + 375 x 4 + 55 + 324 = 2.539 Beobachtungen). 49Vgl. Feilmeier et al. (1981), S. 2–4; Ho (2013), S. 338–357.

206

7  Quantitative Untersuchung

Zur Durchführung der multivariaten linearen Diskriminanzanalyse ist es zwingend notwendig, dass die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt sind. Hinsichtlich der weiteren Bedingungen (Normalverteilung, Multikollinearität und Varianzhomogenität) können Abweichungen von den gewünschten Verteilungseigenschaften toleriert werden. Tabelle 7.3 und 7.4 geben die Merkmale an, die aus den beiden Bereichen Governance und Finanzen in die Analyse einfließen. Die Tabellen lassen erkennen, dass eine metrische Skalierung sämtlicher Merkmale vorliegt. Des Weiteren geht das Vorliegen von mindestens zwei unterschiedlichen Gruppen bereits aus dem Untersuchungsdesign hervor. Zu der ersten Gruppe der Krisenunternehmen wurde im Rahmen des paarweisen Zuordnungsverfahrens eine zweite Gruppe von solventen Unternehmen gebildet. Die Gruppenunterschiede gilt es anhand von mehreren metrisch skalierten Merkmalen, die durch die Diskriminanzanalyse gleichzeitig untersucht werden, herauszuarbeiten. Somit sind die beiden notwendigen Voraussetzungen für die Verwendung einer multivariaten linearen Diskriminanzanalyse erfüllt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die statistischen Auswertungen der drei weiteren Voraussetzungen in den Anhängen 7 bis 12 zu finden. Die Prüfung von multivariat normalverteilten Merkmalen kann anhand der Schiefe und Kurtosis sowie des Kolmogorov-Smirnov-50 als auch S ­ hapiro-Wilk-Tests51 52 erfolgen. Bei normalverteilten Werten sind sowohl Schiefe als auch Kurtosis gleich 0. Grundsätzlich gilt, dass je weiter die Werte von null entfernt sind, desto weniger wahrscheinlich ist das Vorliegen von normalverteilten Daten. Die Schiefe gibt an, ob die Verteilung symmetrisch ist. Dabei geben eine positive Schiefe rechtsschiefe und eine negative Schiefe linksschiefe Daten an. Die Kurtosis untersucht die Wölbung der zugrunde liegenden Verteilung. Eine spitze Verteilung weist eine positive und eine abgeflachte Verteilung eine negative Kurtosis auf. Anhang 2 veranschaulicht, dass die Bedingungen für Schiefe und Kurtosis von den Merkmalen nicht erfüllt werden. Dies wird durch die in Anhang 3 vorzufindenden Kolmogorov-Smirnov- und Shapiro-Wilk-Tests unterstrichen. Die beiden Tests zeigen einen signifikanten Wert von 0,000 für jede Variable.

50Der

Kolmogorow-Smirnow-Test dient der Überprüfung des Vorliegens von zwei ­ identischen Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Für weiterführende Informationen vgl. Massey Jr (1951); Lilliefors (1967); Razali und Wah (2011); Hedderich und Sachs (2016). 51Der Shapiro-Wilk-Test überprüft die Hypothese, ob die Grundgesamtheit einer Stichprobe normalverteilt ist. Für weiterführende Informationen vgl. Shapiro und Wilk (1965); Shapiro und Francia (1972); Doornik und Hansen (2008); Rees (2018). 52Vgl. Razali und Wah (2011), S. 21–32; Ho (2013), S. 338–343.

7.4  Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse

207

Dies bedeutet, dass die Nullhypothese, die das Vorliegen einer Normalverteilung besagt, zu verwerfen ist. Das Fehlen einer Normalverteilung der Variablen lässt sich darauf zurückführen, dass der Datensatz aus Unternehmenskennzahlen besteht, für die eine Normalverteilung der Daten nicht angenommen werden kann. Multikollinearität ist gegeben, sobald zwei oder mehr Prädikatoren miteinander stark korrelieren. Hinweise auf das Vorliegen von Multikollinearität können die Toleranz und der Varianzinflationsfaktor (VIF) liefern. Die Toleranz ist der Kehrwert des VIF. Ein Toleranzwert von unter 0,1 oder ein VIF-Wert über 10 stellt jeweils ein starkes Indiz für Multikollinearität dar.53 Anhang 4 veranschaulicht die Kollinearitätsstatistik und zeigt, dass einige der Merkmale nah an den Schwellenwerten liegen und somit möglicherweise eine Korrelation dieser mit weiteren Prädikatoren vorliegen kann. Insbesondere könnte dies darin begründet sein, dass dieselben Kennzahlen für vier verschiedene Zeitpunkte einzeln in die Untersuchung einfließen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass auch die verwendeten Finanzkennzahlen miteinander verknüpft und nicht völlig unabhängig voneinander sind. Dennoch unterstreicht Anhang 4, dass weder der Toleranzwert unter 0,1 noch der VIF-Wert über 10 für die in das Modell einfließenden unabhängigen Variablen liegt. Entsprechend kann das Vorliegen von Multikollinearität nicht bestätigt werden. Als letzte Voraussetzung ist die Varianzhomogenität zu überprüfen, die gegeben ist, sobald die Varianz in den Gruppen etwa gleich ist. Die Varianzhomogenität wird in SPSS mithilfe des Levene- und des Box-M Tests untersucht. Deren Ergebnisse sind in Anhang 5 bzw. 6 ersichtlich. Der Levene-Test lässt Aussagen darüber zu, ob die Varianz der Residuen gleich ist. Der Box-M Test überprüft die Kovarianzmatrix auf Gleichheit. Die Homogenität der Fehlervarianz zwischen den Gruppen gilt gem. dem Levene-Test als erfüllt, wenn die Signifikanz über 0,05 (p > 0,05) liegt.54 Anhang 5 zeigt, dass dies nicht für alle Variablen dieser Untersuchung gilt. Somit ist lediglich für die Merkmale, bei denen der Wert größer als 0,05 ist, die Gleichheit der Varianzen anzunehmen. Die Interpretation des Box-M Tests erfolgt analog zu der des Levene-Tests. Anhang 6 belegt, dass keine Gleichheit der Kovarianzenmatrizen besteht (Signifikanz = 0,000).

53Vgl.

hierzu beispielsweise Schneider (2007), S. 191–193. Die von zahlreichen Studien verwendeten Schwellenwerte werden von O'Brien (2007), S. 673–685 kritisch reflektiert. 54Vgl. Eschweiler et al. (2007), S. 549–550.

208

7  Quantitative Untersuchung

Darüber hinaus weist Abschnitt 7.2 darauf hin, dass die Untersuchungsstichprobe möglicherweise durch bestimmte Branchen sowie Länder dominiert wird. Aufgrund dessen wurde im Rahmen der Analyse geprüft, ob eine Verzerrung aufgrund dieser Verteilungen gegeben ist. Die Ergebnisse ohne die dominierenden Faktoren weichen allerdings nicht wesentlich von den Ergebnissen der Untersuchungsstichprobe ab. Diesbezüglich eignet sich die Stichprobe für die nachfolgende Analyse. Um eine erste Überprüfung vorzunehmen, ob sich die Mittelwerte der relevanten Variablen der Gruppen Krisenunternehmen und solvente Unternehmen signifikant voneinander unterscheiden, wird ein t-Test für unabhängige Stichproben verwendet. Anhang 7 ist zu entnehmen, dass bei einem Konfidenzintervall von 90 % signifikante Gruppenunterschiede für nahezu sämtliche Variablen bestehen. Aufgrund dessen kann davon ausgegangen werden, dass Variablen identifiziert wurden, die eine Unterscheidung der beiden Gruppen ermöglichen und die aufgestellten Hypothesen zielgerichtet adressieren. Es lässt sich festhalten, dass die Voraussetzungen der Normalverteilung und Varianzhomogenität nicht erfüllt sind. Möglicherweise führt die Nichteinhaltung der Prämissen dazu, dass die multivariate Diskriminanzanalyse lediglich suboptimale Ergebnisse liefert.55 Allerdings ist anzuführen, dass sowohl die Normalverteilungsannahme als auch die Annahme der Varianzhomogenität in empirischen Untersuchungen i. d. R. nicht erfüllt sind.56 In diesem Zusammenhang zeigt die Literatur, dass die multivariate lineare Diskriminanzanalyse eine robuste Methode darstellt, die trotz Verletzung dieser Voraussetzungen zielführende Ergebnisse liefert.57 Beispielsweise vergleicht die Untersuchung von Hüls (1995) die Ergebnisse der linearen multivariaten Diskriminanzanalyse mit den Resultaten des Kendall-Verfahrens.58 Der von Kendall entwickelte Konkordanzkoeffizient stellt ein verteilungsfreies Verfahren der Diskriminanzanalyse dar. Dennoch ergeben sich trotz Verletzung der Normalverteilungsannahme

55Vgl.

Baetge et al. (2004), S. 536. Fisher (1936), S. 179–188; Weibel (1978), S. 188–189; Gebhardt (1980), S. 190– 201; Niehaus (1987), S. 92; Feidicker (1992), S. 85; Stibi (1994), S. 135; Hüls (1995), S. 111–119. 57Vgl. Hahs-Vaughn (2016), S. 291; Lachenbruch und Goldstein (1979), S. 70–77; Tinsley und Brown (2000), S. 215–216; Everitt und Dunn (2001), S. 253–255; Melzian et al. (2013), S. 194; Sharma (1996), S. 263–264; Fahrmeir et al. (1996), S. 357–435. 58Für weiterführende Informationen zu dem von Kendall entwickelten Verfahren vgl. Kendall (1980), S. 162–168. 56Vgl.

209

7.4  Ergebnisse der multivariaten Diskriminanzanalyse

für die Anwendung der multivariaten Diskriminanzanalyse im Vergleich zu der Anwendung des Kendall-Verfahrens bessere Klassifizierungsquoten.59 Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass die notwendigen Voraussetzungen von metrisch skalierten Merkmalen und dem Vorliegen von mindestens zwei Gruppen gegeben sind. Dementsprechend erfolgt die Anwendung der multivariaten linearen Diskriminanzanalyse.

7.4.3 Auswertung der statistischen Modelle Zunächst erfolgt eine detaillierte Untersuchung des ersten Modells, in das sämtliche Merkmale einbezogen werden. Anhang 8 zeigt den Gleichheitstest der Gruppenmittelwerte. Sehr signifikante (p