Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder: Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters [Reprint 2011 ed.] 3484150858, 9783484150850

Die vorliegende Arbeit zur Rolle der Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters ist als eine Art lit

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Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder: Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters [Reprint 2011 ed.]
 3484150858, 9783484150850

Table of contents :
Abkürzungen
Einleitung
I. Die mittelalterliche Familie als Forschungsproblem
1. Mittelalterliche Familie und Familienforschung
2. Historische Familienforschung und mittelalterliche Literatur
3. Die Adelsfamilie in der literarhistorischen Diskussion
II. Die historische Adelsfamilie und die Literarisierung ihrer Geschichte
1. Adel und Stifterchronik: zur historischen Problematik
2. Deutsche Fürstengenealogie und Stifterchronik
Die ›Gandersheimer Reimchronik‹ des Priesters Eberhard
Volkssprachige Babenbergergenealogien des 13. Jahrhunderts in ihrem lateinischen Umfeld
›Der stiffter bůch‹ von Allerheiligen
Familiengeschichte in klösterlichen Traditionsbüchern des 14. Jahrhunderts
3. Geschlechtergeschichte als Herrschafts- und Landesgeschichte
Die Geschichte des normannischen Herzogsgeschlechts: der ›Roman de Rou‹ von Wace
Von den Weifengenealogien zur ›Braunschweigischen Reimchronik‹
Egmonder Stifterchronik und Landeshistoriographie: die ›Rijmkroniek‹ der Grafen von Holland
Die Babenberger im ›Fürstenbuch‹ des Jans Enikel
III. Die historische Adelsfamilie in der höfischen Dichtung
1. Schwanritter und Melusine: höfische Dichtung als historische Geschlechtermythologie
2. Die ›Histoire de Guillaume le Maréchal‹ und der ›Fouke le Fitz Waryn‹: Familiengeschichte als Ritterbiographie
3. Literarisches Mäzenatentum als Familientradition: die Gönnerfamilie in der höfischen Dichtung
IV. Die Adelsfamilie als Thema der höfischen Dichtung
1. Familie und Verwandtschaft in der höfischen Literatur: gattungsspezifische Ausdifferenzierung
Verwandtschaft als Betrug: die Tierdichtungen vom Fuchs und Wolf
Vriunde unde mâge im ›Nibelungenlied‹
Brüdergruppen und Neffenkollektive: das Beispiel der Wilhelmsepen
Komplexe Verwandtschaftssysteme: von Chrétiens ›Conte du Graal‹ zu Wolframs ›Parzival‹
Chanson de geste und Höfischer Roman: Wolframs ›Willehalm‹
2. Historische Konturen der literarischen Familiendarstellung
Ausblick: Familie und Verwandtschaft als Paradigma einer mentalitätsgeschichtlichen Literaturbetrachtung?
Literaturverzeichnis
Register

Citation preview

HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM, JOACHIM HEINZLE, HANS-JOACHIM MÄHL UND KLAUS-DETLEF MÜLLER

BAND 85

URSULA PETERS

Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Peters, Ursula: Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder: Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters / Ursula Peters. - Tübingen: Niemeyer, 1999 (Hermaea; N.F., Bd. 85) ISBN 3-484-15085-8

ISSN 0440-7164

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen Buchbinder: Geiger, Ammerbuch

Vorwort

In der vorliegenden Arbeit, die mit Unterbrechungen in den Jahren 1990 bis 1996 entstanden ist, wird nach der Bedeutung der mittelalterlichen Adelsfamilie für die Entstehung und thematische Ausprägung der volkssprachigen Literatur des Mittelalters gefragt. Sie knüpft an die neuere familienhistorische Diskussion der Mediävistik an, die ich allerdings nach 1996 nur noch in Auswahl habe verfolgen und einarbeiten können. Sehr herzlich danken möchte ich Franz-Josef Holznagel und Timo Reuvekamp-Felber für ihre kritische Lektüre des Manuskripts in seinen Vorstadien, Barbara Kierdorf, Kerstin Reichardt, Katja Schäffer, Christiane Spiecker und Silke Rothenburger für ihre Hilfe bei den bibliographischen Recherchen und Korrekturen, Gisela Hilgers und ganz besonders Barbara Nitsche für ihre Mühen mit dem Manuskript, Barbara Nitsche auch für ihre Hilfe bei der Erstellung des Registers, den mediävistischen Herausgebern der Reihe Hermaea, Hans Fromm und vor allem Joachim Heinzle, dessen kritische Einwände und sachkundige Vorschläge dem Manuskript noch einmal sehr zugute gekommen sind, und schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung einer großzügigen Druckbeihilfe. Köln, im März 1998

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

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Einleitung

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I. Die mittelalterliche Familie als Forschungsproblem

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1. Mittelalterliche Familie und Familienforschung 2. Historische Familienforschung und mittelalterliche Literatur 3. Die Adelsfamilie in der literarhistorischen Diskussion

7 25 44

II. Die historische Adelsfamilie und die Literarisierung ihrer Geschichte 1. Adel und Stifterchronik: zur historischen Problematik . . . . 2. Deutsche Fürstengenealogie und Stifterchronik Die >Gandersheimer Reimchronik< des Priesters Eberhard Volkssprachige Babenbergergenealogien des 13. Jahrhunderts in ihrem lateinischen Umfeld >Der stiffter buch< von Allerheiligen Familiengeschichte in klösterlichen Traditionsbüchern des 14. Jahrhunderts 3. Geschlechtergeschichte als Herrschafts- und Landesgeschichte Die Geschichte des normannischen Herzogsgeschlechts: der >Roman de Rou< von Wace Von den Weifengenealogien zur >Braunschweigischen Reimchronik< Egmonder Stifterchronik und Landeshistoriographie: die >Rijmkroniek< der Grafen von Holland Die Babenberger im >Fürstenbuch< des Jans Enikel

75 75 86 86 100 121 129 148 149 157 175 185

VII

III. Die historische Adelsfamilie in der höfischen Dichtung 1. Schwanritter und Melusine: höfische Dichtung als historische Geschlechtermythologie 2. Die >Histoire de Guillaume le Marechal< und der >Fouke le Fitz WarynNibelungenlied< Brüdergruppen und Neffenkollektive: das Beispiel der Wilhelmsepen Komplexe Verwandtschaftssysteme: von Chretiens >Conte du Graal< zu Wolframs >Parzival< Chanson de geste und Höfischer Roman: Wolframs >Willehalm< 2. Historische Konturen der literarischen Familiendarstellung

195 197 225 253 267 269 270 274 279 292 309 320

Ausblick: Familie und Verwandtschaft als Paradigma einer mentalitätsgeschichtlichen Literaturbetrachtung?

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Literaturverzeichnis

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Register

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Abkürzungen

AfK ATB Annales Beitr. BDL BLV CCM CFMA CN DA DTM dtv DVjs FDA FRA GAG GRLM GRM IASL JEGP JOWG KTRM LMa MGH MIÖG MLN MTU

Archiv für Kulturgeschichte Altdeutsche Textbibliothek Annales. Economies, Societes, Civilisations Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Blätter für deutsche Landesgeschichte Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart Cahiers de civilisation medievale Les classiques fran9ais du moyen äge Cultura neolatina Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutsche Texte des Mittelalters Deutscher Taschenbuch Verlag Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Freiburger Diözesan-Archiv Fontes Rerum Austriacarum. Osterreichische Geschichtsquellen Göppinger Arbeiten zur Germanistik Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters Germanisch-romanische Monatsschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Journal of English and German Philology Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben Lexikon des Mittelalters Monumenta Germaniae Historica Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung Modern Language Notes Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters IX

RUB SATF VL VSWG WaG WW ZfbLg. ZfdA ZfdPh. ZfSL ZfrPh. ZGO ZRG GA ZRG KA

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Reclams Universal-Bibliothek Societe des anciens textes frangais Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Welt als Geschichte. Zeitschrift für universalgeschichtliche Forschung Wirkendes Wort Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für französische Sprache und Literatur Zeitschrift für romanische Philologie Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung

Einleitung

Für ein mentalitätsgeschichtliches Verständnis der mittelalterlichen Literatur ist der Problemkomplex Familie und Verwandtschaft von einer besonderen Bedeutung. Ist er doch einer der zentralen Themenschwerpunkte der historischen Anthropologie, der in die elementaren, tieferen Schichten gesellschaftlicher Organisation wie interner Verhaltenskonditionierung führt und dabei auf die verschiedensten, mentalitätsgeschichtlich relevanten Problemfelder bezogen ist: etwa auf den Themenumkreis von Ehe, Sexualität und Reproduktion, von Generations- und Geschlechterbeziehungen, der Rolle der Frauen, Kinder und Jugendlichen, der Erbund Sukzessionsregelungen, der Sozialisation und Verhaltenssteuerung und schließlich der Individuation und Selbstpräsentation. Dieses gesamte Umfeld von Familie und Verwandtschaft ist in den letzten 40 Jahren in einem Spezialzweig der Geschichtswissenschaft, der historischen Familienforschung, systematisch unter den verschiedensten methodischen Prämissen analysiert worden, und zwar mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten, die das breit ausgefächerte Themen- und Fragespektrum des Untersuchungsfelds von Familie und Verwandtschaft abschreiten: die verschiedenen Organisationsformen der Haushaltsfamilie, die sich wandelnde Bedeutung von Verwandtschaftsgeflechten, das Nebeneinander verschiedener Familien- und Verwandtschaftsvorstellungen, die Strukturveränderungen familialer Organisation, aber auch den höchst komplizierten Bereich der affektiven Seite familialer Bindungen. Der mediävistische Sektor der historischen Familienforschung konzentriert sich vornehmlich auf die Adelsfamilie, daneben und im Zusammenhang mit der Adelsfamilie auf die Familienclans der spätmittelalterlichen Städte und zunehmend auch auf die Organisationsformen und Strukturprozesse bäuerlicher Familien. Für die Literarhistoriker ist natürlich die adelige Familienforschung von besonderem Interesse. Sie faßt das gesamte Umfeld der mittelalterlichen Herrscher-, Fürsten- und Adelsfamilie in den Blick und leuchtet sie systematisch in ihrer Entwicklung vom Frühzum Spätmittelalter von den verschiedensten Seiten her in übergreifenden Vergleichen wie regionalen Fallbeispielen aus. Als Ergebnis dieser historischen Bemühungen um das Umfeld der mittelalterlichen Adelsfamilie er1

steht das Bild einer in ihrer Organisationsform wie in ihrem Selbstverständnis höchst wandelbaren Personenfiguration, die sich in ihrer sozialen Konstitution, ihrer internen Struktur und ihrer ideologischen Formation flexibel den verschiedenen gesellschaftlichen Erfordernissen anpaßt und auf diese Weise im Laufe der Jahrhunderte tiefgreifende Strukturveränderungen erfährt, die zugleich die entscheidenden Entwicklungen der mittelalterlichen Adelsgesellschaft nachzeichnen. Für Georges D u b y steht sogar die mittelalterliche Adelsfamilie so sehr im Schnittpunkt der bestimmenden gesellschaftlichen Prozesse, daß mit dem historischen Blick auf ihre Veränderungen - besser und direkter als bei Untersuchungen zur mittelalterlichen Grundherrschaft, zur Ständeorganisation oder Gruppenmobilität - die entscheidenden Faktoren der mittelalterlichen Adelsgesellschaft zur Sprache kommen. Unter dieser Prämisse sieht sich die historische Familienforschung im Zentrum einer Sozialgeschichte der mittelalterlichen Gesellschaft angesiedelt. Damit ist zugleich die Literarhistorie angesprochen, die sich um ein gesellschafts- bzw. funktionsgeschichtliches Verständnis der volkssprachigen Literatur, zumal der höfischen Dichtung des Mittelalters, bemüht. Im Gefolge von Georges Dubys Diktum vom familialen Rahmen als der Matrix der Feudalgesellschaft 1 sieht sie sich auf die überragende Bedeutung des Strukturwandels der mittelalterlichen Adelsfamilie in seinen Konsequenzen für die Entstehung und Verbreitung der höfischen Literatur verwiesen. Und tatsächlich ist in den letzten 20 Jahren zunehmend das Thema Familie und Verwandtschaft in den Blick der Literarhistoriker getreten und hat unter den verschiedensten methodischen und sachlichen Orientierungen die Literaturanalyse bestimmt. Das Ergebnis dieser literarhistorischen Anknüpfung an die historische Familienforschung ist ein dezidiert familienhistorisches Verständnis der Texte: Sie gelten als signifikante literarische Ausdrucksformen einer zutiefst von Familie und Verwandtschaft bestimmten Mentalität, werden in einem ausgeprägten Sippenbewußtsein verortet, auf Bedeutungspotentiale ihrer Familien- und Verwandtschaftsthematik abgetastet und unter familienbezogene Typenkategorien wie Roman de lignage, Ancestral romance, Sippenepos, Familienroman, adelige Hausüberlieferung oder Familienchronik subsumiert. Familienhistorische Konstruktionen haben längst die Nachfolge der gesellschaftsgeschichtlichen Interpretation angetreten und bestimmen zunehmend die funktionsgeschichtlichen Aussagen über die höfische Dichtung. 1

Duby, Lardreau, Dialogues, S. 171 ff.

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Angesichts dieser deutlich familiengeschichtlichen Orientierung der literarhistorischen Argumentation ist es erstaunlich, daß in diesem Zusammenhang die historische Adelsfamilie kaum Beachtung findet. So werden zwar in diffizilen Interpretationen die familienhistorischen Implikationen literarischer Motive und Themen entfaltet und die Texte in ein generell um die spezifischen Probleme der Adelsfamilie zentriertes Interesse eingebunden, der mögliche Anteil der historischen Adelsfamilie als Auftraggeber, als Adressat oder literarische Thematik bleibt dabei jedoch in vielen Fällen ausgeblendet. Auf diese Weise wirkt die familiengeschichtliche Argumentation der neueren literarhistorischen Forschung merkwürdig unkonkret und unhistorisch. Ausgangspunkt und Zentrum wird deshalb im folgenden die Frage nach der Bedeutung historischer Adelsfamilien für die Entstehung und Verbreitung der volkssprachigen Literatur des Mittelalters sein. Und es wird zunächst weniger um familiengeschichtliche Interpretationen der höfischen Dichtung gehen als um mögliche Berührungszonen historischer Adelsfamilien mit der volkssprachigen Literatur, genauer: um die historische Adelsfamilie als möglichen Initiator, Förderer, aber auch als Thema der volkssprachigen Texte. Unter diesem Gesichtspunkt zeichnen sich zwei große Untersuchungsbereiche ab: einerseits literarische Zeugnisse einer volkssprachigen Aufzeichnung der Geschichte historischer Adelsfamilien, die - wie etwa die >Gandersheimer ReimchronikRoman de Rou< - die Geschichte bedeutender Dynastenfamilien in ihrer genealogischen Abfolge wie kognatischen Ausdifferenzierung verfolgen und damit in den Umkreis der lateinischen Familienhistoriographie und ihrer verschiedenen Ausprägungen als genealogische Notizen, Stifterchroniken, Memorialzeugnisse, adelige Hausüberlieferung oder Haus- und Landeschronistik gehören, andererseits jene wenigen Beispiele höfischer Dichtung, in denen - wie in den literarischen Geschlechtermythologien des Schwanritterstoffs, der Melusinegeschichte oder dem >Fouke le Fitz Waryn< - bekannte historische Adelsfamilien in ihrer mehr oder weniger sagenhaft-imaginären Geschichte zum literarischen Thema werden. In beiden Fällen ist ein breites und vor allem divergierendes Spektrum von Texten unterschiedlicher typenspezifischer, regionaler wie zeitlicher Herkunft abzuschreiten, die nur in Ausnahmefällen Kontinuitäten und Filiationen aufweisen. Die historische Adelsfamilie ist als Gegenstand volkssprachiger Texte so wenig verbreitet, daß die literarischen Beispiele aus den verschiedensten Bereichen zusammengesucht werden mußten. Dabei wird sich die Diskussion auf zwei Aspekte konzentrieren: zunächst 3

auf die von Gerd Althoff 2 gestellte Frage nach der konkreten Beteiligung der historischen Adelsfamilie an der mehr oder weniger literarisch ambitionierten Verschriftlichung ihrer Geschichte, nach ihrer Rolle als Auftraggeber, Informationsquelle, Adressat und Publikum, nach den >Anlässen< der Textentstehung, nach den die Familiengeschichte leitenden Darstellungsinteressen, d.h. letztlich nach der jeweiligen Zweckbestimmung bzw. Funktionalisierung jener ganz unterschiedlichen Beispiele volkssprachiger Dynastengeschichte. Im Hintergrund dieser Überlegungen steht jedoch auch die für das Verständnis der Entstehung und Verbreitung der höfischen Epik zentrale Frage nach ihrer Anbindung an spezifische Formen der Glorifizierung und Selbstsicht mäzenatischer Dynastenfamilien, die schon immer in der literarhistorischen Diskussion zur Funktion der höfischen Dichtung präsent war, aber in den letzten Jahren durch Hans Patzes3 berühmte Arbeit von 1964/65 über die im 1 1 . Jh. einsetzende Vielfalt familienhistorischer Aufzeichnungen im Umkreis der landesfürstlichen Höfe eine neue Basis erhalten hat. Denn Patzes Zusammenstellung der verschiedensten Ansätze und Ausprägungen familienhistorischer Aufzeichnungen des 1 1 . bis 13. Jhs. legt es nahe, eine Brücke zu der im Umkreis genau dieser Fürstenhöfe entstandenen volkssprachigen höfischen Romanliteratur des 12. Jhs. zu schlagen und in dieser eine Art fiktionaler Weiterführung zu sehen, die den Geschlechterstolz mäzenatischer Dynastenfamilien in literarischen Szenarien bedeutender Ahnenreihen, Genealogien und Sippenverbänden anspricht. Diese funktionsgeschichtliche Anbindung der höfischen Romanliteratur an die familienhistorischen Interessen und Aktivitäten von Kloster, Stift und Kanzlei im Umkreis der Fürstenhöfe ist ein ansprechender Gedanke, der allerdings noch kaum auf seine historische Tragfähigkeit überprüft worden ist. Die hier versammelten Beispiele volkssprachiger Familiengeschichte, sei es im eher historischen Kontext von Familienchronistik oder im biographischen bzw. geschlechtermythologischen Umfeld höfischer Unterhaltungsliteratur, könnten dabei eine Vermittlerposition einnehmen, ja geradezu als eine Art Gelenkstelle zwischen der lateinischen Familienhistoriographie und der literarischen Familienthematik der höfischen Dichtung fungieren und damit der höfischen Dichtung mit ihren literarischen Bildern bedeutender Geschlechterreihen und ausladender Verwandtschaftsgeflechte zumindest typologisch einen Weg bahnen. Da eine solche Bestimmung volkssprachiger Familiengeschichten auch Auswirkungen auf unsere Einschät-

2 3

V o r allem Althoff, Anlässe. Patze, Adel und Stifterchronik.

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zung der literarischen Familienthematik der höfischen Dichtung hat, wird bei der literarhistorischen Analyse der volkssprachigen Familienhistoriographie immer wieder darauf geachtet, inwieweit sie diese Rolle einer Art typologischer Zwischenstufe von lateinischer Familienchronistik und volkssprachigem höfischen Dynastenroman übernehmen und damit eventuell zu einem familienhistorischen Verständnis auch der höfischen Unterhaltungsdichtung hinführen kann. Da sich zeigen wird, daß kein direkter Weg von unseren Beispielen volkssprachiger Dynastenhistorie zur Familienthematik der höfischen Literatur führt, stehen im letzten Teil der Arbeit die literarischen Bilder von Familie und Verwandtschaft zur Diskussion, die in bestimmten Literaturbereichen geradezu den Erzählverlauf strukturieren, ja sogar ganz wesentlich die Programmatik bestimmen. Zumindest in diesen Fällen liegt die Vermutung nahe, daß hinter diesen ausdifferenzierten literarischen Verwandtschaftsformationen eine spezifische Gesellschaftsthematik und zugleich eine ausgeprägte mentalitätsgeschichtliche Problematik der Texte steht, eine literarische Auseinandersetzung mit einschneidenden Strukturveränderungen bzw. Strukturproblemen der Adelsfamilie, ihrer mentalitätsgeschichtlichen Auswirkungen und Bewältigungsstrategien. Dies ist jedenfalls der Tenor jener familienhistorisch orientierten Arbeiten der letzten 15 Jahre, in denen - in Anlehnung an Georges Dubys Vorschläge die Verwandtschaftstableaus der höfischen Dichtung auf ihre familiengeschichtlichen Implikationen befragt und in ihrer Aussagekraft zumindest als literarische Begleiter eines gravierenden Strukturwandels der Adelsfamilie, als literarische Antworten auf Krisensituationen und Problemzonen der mittelalterlichen Adelsfamilie, d.h. als konzeptionelles Aktionsfeld einer mentalitätsgeschichtlichen Bewältigung tiefgreifender Veränderungen in Familienpolitik wie Verwandtschaftsbewußtsein, erörtert werden. Dieser auf der literarischen Familienthematik basierende mentalitätsgeschichtliche Verständnishorizont der höfischen Dichtung ist bislang kaum auf seine Evidenz überprüft worden. Dies wird allerdings auch nicht an Einzeltexten möglich sein, die mit ihren oft sehr >historisch< wirkenden Familienszenarien gelegentlich sehr direkt historisch-konkrete familienpolitische Konstellationen abzurufen und deshalb geradezu für ein familienhistorisches Verständnis prädestiniert zu sein scheinen. Voraussetzung für eine kritische Diskussion dieses spezifisch mentalitätsgeschichtlichen Deutungsmusters ist ein übergreifender Blick auf die Verwandtschaftsmotive der höfischen Dichtung, auf ihr literarisches Spektrum von detailrealistischer Konkretisierung historischer Familienpolitik bis zu den in imaginäre Welten ausgreifenden Tableaus fiktiver Verwandt5

schaftsketten, auf ihre typenspezifische Ausdifferenzierung und die Besonderheiten ihrer Auswahl. Erst auf dieser Basis erscheint es aussichtsreich, nach den möglichen familienhistorischen Implikationen der literarischen Verwandtschaftsbilder zu fragen, denn erst vor dem Horizont der geradezu kaleidoskopischen Vielfalt literarischer Verwandtschaftsmotive läßt sich ihre charakteristische Funktionalisierung und damit der historische Aussagewert der literarischen Familienthematik erkennen.

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I. Die mittelalterliche Familie als Forschungsproblem

ι . Mittelalterliche Familie und Familienforschung Die historische Familienforschung hat sich in den letzten dreißig Jahren erfolgreich in dem Spektrum historischer Disziplinen als ein eigener Forschungszweig durchgesetzt, und zwar in regional unterschiedlicher Intensität - zunächst im angloamerikanischen Bereich und in Frankreich, mit erheblicher Verzögerung hingegen in Deutschland - und in sachlich wie methodisch breiter Ausdifferenzierung als historische Demographie und Haushaltsforschung, als strukturalistische Verwandtschaftsanalyse und personengeschichtliche Gruppenerforschung, als Mentalitätsgeschichte der Familie und Psychohistorie des familialen Lebens- und Emotionsraums.1 Gemeinsames Interesse ist dabei die Erforschung der Vorgeschichte der modernen konjugalen Kernfamilie Westeuropas und Nordamerikas hinsichtlich der Organisation des Zusammenlebens in Haushalten, des Abstammungs- und Verwandtschaftsbewußtseins, der psychosozialen Bedeutung familialer Bindungen und Lebenssituationen. Der Schwerpunkt dieser Familienuntersuchungen liegt deshalb - aber auch wegen der günstigeren Quellenlage - nicht im Mittelalter, sondern in der sog. Schwellenzeit des 16. bis 18. Jhs. 2 Als besonders fruchtbar für die Diskussion haben sich die Forschungen der Cambridge Group for the History of Population and Social Structure erwiesen, ihre weit ausgreifenden Untersuchungen zur Größe und ZuZur Etablierung und methodischen Ausdifferenzierung der historischen Familienforschung vgl. die übergreifenden Darstellungen von Berkner, Recent Research; Heidi Rosenbaum, Neuere Entwicklung; Hausen, Familie; dies., Historische Familienforschung; Tyrell, Historische Familienforschung; Mitterauer und Sieder, Patriarchat; Lee, Past Legacies and Future Prospects; Historische Familienforschung; Teuteberg, Genese und Entwicklung; Mitterauer, Historisch-anthropologische Familienforschung. 2 Eine Auswahl aus den zahlreichen Arbeiten und Sammelbänden: Household and family; Shorter, Making of the Modern Family; Flandrin, Families; Stone, Family, Sex and Marriage; Anderson, Approaches; Familie zwischen Tradition und Moderne; Familie in der Geschichte; Family Forms in Historie Europe; Goody, Development of the Family; Familie als sozialer und historischer Verband; Gottlieb, Family in the Western World. 1

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sammensetzung vorindustrieller Haushalte, zur Berechnung der coresidential domestic group, die Untersuchung unterschiedlicher Typen des Zusammenlebens in Haushaltsgemeinschaften.3 Die größte Resonanz hat dabei Peter Lasletts provozierendes Ergebnis gefunden, daß in der vorindustriellen Gesellschaft Alteuropas nicht - wie immer wieder vermutet wurde - die mehrere Generationen übergreifende Großfamilie dominierte, sondern die kaum mehr als 5-7 Personen umfassende Eltern-Kind-Familie.4 Diese in der historischen Familienforschung zunächst als Widerlegung des »Mythos von der vorindustriellen Großfamilie«5 begrüßte These Lasletts von der in Kernfamilien organisierten Gesellschaft Alteuropas, der »world we have lost«6, und die damit verbundene Vorstellung einer Kontinuität der Kernfamilie vom Mittelalter bis in die Neuzeit ist freilich schon bald kritisch auf ihre Evidenz überprüft, vor allem aber - und das ist noch wichtiger - in ihrer Bedeutung für unser Verständnis der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie problematisiert worden.7 Die Auseinandersetzung mit den quantitativen Verfahren der Cambridge Group for the History of Population and Social Structure bei der Bestimmung der Haushaltsgrößen vergangener Jahrhunderte hat eine intensive Diskussion über die theoretischen Prämissen und Berechnungsgrundlagen der Household-Forschung eröffnet: über die Berücksichtigung regionaler und sozialer Faktoren, die Auswirkungen von Generationszyklen, die Rolle der nichtverwandten Bediensteten und Mitbewohner für die Eingrenzung der sog. coresidential group im vorindustriellen Europa. Mit dem Ergebnis, daß inzwischen die Thesen von Peter Laslett zur Kontinuität der konjugalen Kernfamilie in ihrem sachlichen Gehalt zurechtgerückt worden sind.8 3

Eine repräsentative Auswahl bietet der Sammelband: Household and family, mit dem programmatischen Einleitungsaufsatz von Peter Laslett, Introduction: the history of the family, S. 1 - 7 3 . 4 »In England and elsewhere in Northern and Western Europe the standard situation was one where each domestic group consisted of a simple family living in its own house, so that the conjugal family unit was identical with household and with houseful, and where dwelling was coterminous with premises« (Ebda., S. 40). 5 So eine Kapitelüberschrift von Michael Mitterauer, in: Ders. und Sieder, Patriarchat, S. 38. Überarbeitete Fassung dieses Kapitels als Aufsatz in: Seminar: Familie und Gesellschaftsstruktur, S. 1 2 8 - 1 5 1 . 6 Laslett, World W e Have Lost. 7 Vor allem durch Rosenbaum, Neuere Entwicklung; Mitterauer und Sieder, Patriarchat; Tyrell, Historische Familienforschung, und in dem Band: Historische Familienforschung. 8 Die relativ kleindimensionierte Eltern-Kind-Familie mag zwar im frühneuzeitlichen E u ropa die Kernzelle des Zusammenlebens in Haushalten gewesen sein, sie wird jedoch erweitert und überlagert durch dem Haus zugehörige Personen, etwa unverheiratete Verwandte in Dienstfunktionen oder das nichtverwandte Gesinde, Mieter, Kostgänger, die

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Damit ist zugleich der Blick für die unerwartete Vielfalt an Typen des Zusammenlebens in kleineren wie größeren Haushalten im frühneuzeitlichen Europa geschärft worden, die in den letzten Jahren in regionalen Fallstudien wie übergreifend-systematischen Arbeiten erforscht wurden. 9 Während in diesem der historischen Demographie nahestehenden Zweig der Household-Forschung die Familie unter dem Gesichtspunkt des Zusammenwohnens in Haushaltsverbänden als Reproduktions- und Arbeitseinheit einer coresidential domestic group gesehen wird, der auch nichtverwandte Personen angehören können, konzentriert sich die Verwandtschaftsforschung, als der andere Zweig der historischen Familienforschung, auf die Familie als eine Abstammungsgemeinschaft, deren interne Strukturen in Bluts- und Heiratsverwandtschaft, in mütterliche und väterliche Linien, in kognatische und agnatische Filiationen verfolgt werden.10 Methodische Orientierung und terminologisch-konzeptuelle Grundlage für diese historische Verwandtschaftsforschung sind ethnologische Untersuchungen zur Rolle von Verwandtschaftsbeziehungen bei außereuropäischen Völkern, speziell Claude Levi-Strauss' Konzept der Bedeutung der elementaren Strukturen der Verwandtschaft." Ziel dieser bislang auf die frühneuzeitliche Familie bezogenen Untersuchungen ist eine Analyse des internen Beziehungsgeflechts der weitgespannten Verwandtschaftsfamilie, des Nebeneinanders väterlicher Abstammungslinien und mütterlicher Filiationen, von agnatischem Geschlechtsdenken und kognatischem Verwandtschaftsbewußtsein, der strukturellen Bedeutung von Eltern-Kind-, Bruder-Schwester-, Onkel-Neffen-Konstellationen, der Regeln patrilinearer Erbfolge und exogamen Heiratsverhaltens, der Ausweitung der verwandtschaftlichen Bindungen um die spirituelle bzw. künstliche Verwandtschaftsebene von Patenschaft und Adoption. Die Verwandtschaftsfamilie fungiert dabei als eine die Haushaltsfamilie weit

räumlich getrennt wohnenden, aber als Arbeitskräfte in den Haushalt eingegliederten Großeltern, und regional wie sozial sehr unterschiedliche Organisationsformen des Z u sammenlebens in frereche oder consorteria. 9 Vornehmlich durch David Herlihy in dem zusammenfassenden Werk: Medieval Households. 10 Zur Unterscheidung von Haushalts- und Verwandtschaftsfamilie, der methodischen und sachlichen Konsequenzen ihrer Erforschung vgl. den Artikel >FamilieFamilia< als Grundstruktur; Bullough, Early medieval social groupings; Leyser, Maternal Kin in Early Medieval Germany; Hammer, Family and >familiaInstitution< der laudatio parentum, der seit dem 10. Jh. bezeugten Zustimmung von Verwandten beim offiziellen Akt von Landschenkungen an geistliche Gemeinschaften, hat etwa Stephen White46 überzeugend die Kontext-und Situationsabhängigkeit der Vorstellungen von Familie und Verwandtschaft zeigen können: Die laudatio parentum habe auch in ihrer Blütezeit von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jhs. weder sämtliche kollateralen Verwandten noch die engsten Familienangehörigen des eigenen agnatischen Geschlechts versammelt, sondern jeweils wechselnde Gruppen entsprechend den Umständen der Schenkung und der Beteiligung der Familienmitglieder am Familienerbe. Im ganzen sei zwar die engere Familie von Frau, Kindern, Eltern und Geschwistern am häufigsten bezeugt, aber auch diese mit signifikanten >LükkenYsengrimusGesta FridericiVita et Gesta Chuonradi< und Widukinds von Corvey >Sachsengeschichte< im Hinblick auf die Herrscherfamilien der Staufer, Salier und Liudolfinger, 49 die thematischen Kerne von Königsdienst, Bestätigung des Heils in glänzenden Leistungen und genealogischen Interessen am >LudwigsliedRuodlieb< und schließlich an der >Ecbasis CaptiviAnsippens< erörtert Hauck diese >YsengrimusHistoria WelforumGenealogia WelforumAnnalista Saxo< und die aus der Sächsischen Weltchronik< rekonstruierte sog. >sächsische WelfenquelleChronica Reinhardsbrunnensis< zusammengestellten Nachrichten über die Ludowinger, die eher knappen Genealogien der Babenberger ebenso wie die detailreichen und farbigen Geschlechter- und Territorialgeschichten der Grafschaften Flandern, Hennegau und des Herzogtums Brabant, an denen auch Georges Duby die Entstehung fürstlicher Territorien, die Formierung agnatischer Geschlechter und die Ausbildung eines fürstlichen und adeligen Geschlechtsbewußtseins verfolgt hat.53 Diese verschiedenen literarischen und künstlerischen Formen adeliger Hausüberlieferung bezeuDie Erforschung adeliger Hausüberlieferung des 12. Jahrhunderts setzt ein mit programmatischen Arbeiten von Schmid, Probleme um den »Grafen Kuno von Öhningen«; ders., Weifisches Selbstverständnis, die von Otto Gerhard Oexle weitergeführt werden: Bischof Konrad von Konstanz; ders., »Sächsische Weifenquelle«; ders., Weifische und staufische Hausüberlieferung; ders., Adeliges Selbstverständnis. 51

52 53

Diese wechselvolle, den jeweiligen Umorientierungen des Geschlechts entsprechende Geschichte weifischer Hausüberlieferung verfolgt Oexle vor allem in dem Aufsatz: »Sächsische Weifenquelle«. Patze, Adel und Stifterchronik. Duby, Remarques, S.288ff.

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gen - so vermutet die historische Familienforschung - nicht nur die Etablierung eines Adelsgeschlechts, sondern bieten uns auch Informationen über sein Selbstverständnis. Sie mag in die verschiedensten literarischen Typen und Kombinationen eingebunden sein - in Genealogien, Familienhistorie, Klostergründungsgeschichte, in Viten, Nekrologe und Memorialzeugnisse - und den verschiedensten Zwecken dienen. In jedem Falle geht sie aber auf das Familienwissen des Geschlechts, auf mündliche oder schriftliche Traditionen und die Initiative seiner prominenten Familienmitglieder zurück, die an ihrem Hof durch einen Kanzleibeamten oder in einem der dem Geschlecht besonders verbundenen Klöster oder Stifter die ruhmvolle Geschichte des Geschlechts mit seinem wagemutigen >SpitzenahnAnnalista Saxo< und im Anhang der Sächsischen Weltchronik< überlieferte sog. »sächsische WelfenquelleHistoria WelforumGenealogia WelforumKrisensituationen< und Rechtsprobleme der jeweiligen geistlichen Institutionen zurückgingen, mag für den Literarhistoriker, der neben der Intention der Autoren und den Entstehungsumständen der 55

Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue, S. 76f. Erst in den mit ihren »wichtigsten Zeugnissen« bereits ins Spätmittelalter führenden »Familiengeschichten als Auftragsarbeit mit deutlich vorgegebenem Erwartungshorizont der Auftraggeber« (S. 77) scheint Gerd Althoff überzeugende Beispiele adeliger Hausüberlieferung als befriedigende D o kumente aristokratischen Familienwissens zu sehen. Z u einem vergleichbaren Ergebnis kommt Johanek, Schreiber und die Vergangenheit, der - wie Althoff - betont, daß die Stifterchroniken des 12. und 13. Jahrhunderts nicht »dynastische. Geschichtsschreibung der landesfürstlichen Höfe« (S. 201) und auch die Kuenringer-Geschichten der Zwettler >Bärenhaut< nicht für ein Kuenringer-Publikum bestimmt seien, sondern Klostergeschichtsschreibung. Erst im 15. Jahrhundert erreiche die Dynastengeschichtsschreibung auch den H o f , und erst dann partizipiere der Laienadel an der höfischen Historiographie seines Geschlechts; vgl. dazu S.204ff.

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Texte auch die Interessen des Publikums und Gönners berücksichtigt, zu strikt sein und zu apodiktisch mögliche erfolgverheißende Aspekte des familiengeschichtlichen Verständnisspektrums der überlieferten Texte abschneiden. Dennoch trifft Gerd Althoff mit seinem Insistieren auf den Anlässen der Kompilation familiengeschichtlicher Nachrichten einen neuralgischen Punkt des Konzepts der adeligen Hausüberlieferung: eine diffuse Verwendung des Begriffs, die schon bei Karl Hauck* 6 angelegt ist und auch in der sich auf ihn beziehenden historischen Familienforschung nie grundsätzlich problematisiert worden ist; mit dem Ergebnis, daß sehr häufig familiengeschichtliche Nachrichten der mittelalterlichen Quellen ohne weitere historische Überprüfung ihrer Herkunft und intentionalen Ausrichtung unter dem Stichwort der adeligen Hausüberlieferung weniger

auf

ihre

entstehungsgeschichtlichen

Voraussetzungen

und

Ge-

brauchsfunktionen im Umkreis der Autoren als auf die >Innensicht< der angesprochenen Adelsfamilien, ihr verwandtschaftliches

Gruppenbe-

wußtsein und genealogisches Selbstverständnis bezogen worden sind. 57 Gerd Althoffs kritische Fragen an den Begriff der adeligen Hausüberlieferung und die mit ihm verbundene Vorstellung von ungebrochenen Zeugnissen adeligen Geschlechts- und Familienbewußtseins müssen deshalb noch einmal an den entsprechenden Texten überprüft werden. 58 Eine extreme und methodisch besonders fragwürdige Ausprägung haben allerdings Karl Haucks weitausgreifende Überlegungen zur adeligen Hausüberlieferung in der historischen Adelsforschung im Rahmen pro56

Vor allem durch die irritierende Heterogenität seiner Quellen für adelige Hausüberlieferung: historische Notizen über sagenhafte Stammväter von Adelsfamilien neben dem Verweis des >Klage Ysengrimus< oder dem eher allgemeinen aristokratischen Themenspektrum von Königsdienst, Adelsethos und genealogischem Interesse im >RuodliebHistoria WelforumGenealogia Arnulfi comitisGenealogia< rekonstruiert, die als Karolingergenealogie und Familiengeschichte der Grafen von Flandern ein Beispiel »genealogischer Memoria« und zugleich »ein Stück dynastischen Gebrauchsschrifttums« (S. 240) des 10. Jhs. darstelle. 58 Eine erste kritische Auseinandersetzung mit Althoffs Überlegungen, vor allem seiner These, daß es sich bei der sog. >sächsischen Welfenquelle< nicht um weifische Hausüberlieferung, sondern um weifenkritische Nachrichten handle, bietet Oexle, Memoria Heinrichs des Löwen, S. 142^, Anm. 73; neuerdings ausführlicher und mit überzeugenden Argumenten ders., Weifische Memoria, S. 69-76. 3°

sopographisch-genealogischer Untersuchungen zum frühmittelalterlichen Adel bei Reinhard Wenskus59 und Wilhelm Störmer 60 erfahren, wenn hier aus urkundlich in Gruppen auftretenden Namen der Heldensage, speziell der Nibelungensage, auf deren Verbreitung im 8./9. Jh. geschlossen wird, die in bestimmten Familien als adelige Hausüberlieferung lebendig gewesen sei und in dieser familienbezogenen Form sogar die verschiedensten Spuren in den Texten des 12./13. Jhs. hinterlassen habe: etwa in der Bischof Pilgrim-Stelle der >NibelungenklageHildebrandsNibelungenliedes< verwiesen. 76 Ahnliches gilt in der französischen Forschung für die Chansons de geste-Zyklen, die mit ihren mündlichen Vorstufen zumindest Spuren karolingischer und frühkapetingischer adeliger Familienproblematik festhielten und deshalb wichtige Informationen über Organisationsformen, Zusammengehörigkeitsgefühl und Gemeinschaftshandeln frühmittelalterlicher Sippenverbände vermittelten. So argumentiert etwa Marc Bloch im Rahmen des Kapitels »Solidarite du lignage« mit der Verwandtschaft des Ganelon, die in der >Chanson de Roland< ganz selbstverständlich ihren Anführer im Prozeß unterstütze und nach dessen Niederlage ebenso selbstverständlich hingerichtet werde. 77 Und Jean Flori betont in dem Kapitel >L'historien et l'epopee fran$aise< des Epopee-Bandes der Typologie des sources au moyen äge occidental den Dokumentationswert der Chansons de geste für den Familienhistoriker, der sich für die Verwandtschaftsbeziehungen, die Onkel-Neffen-Relationen, die Rolle der Jeunes im Familienverband interessiere/ 8 Aber auch andere fiktionale Texte werden für unser Verständnis der adeligen Familie des Mittelalters herangezogen: der >Siege de Barbastre< für das Gruppenbewußtsein der Jeunes, 79 der >Garin le Lorrain< für die »solidarite parentale«,80 die Fabliaux für das Auftreten der weiteren Verwandtschaft bei Eheschließungen,81 die Chanson de geste >Aye d'Avignon< für die bedeutende Rolle der Vettern. 81 Demgegenüber haben geschlechtermythologische Dichtungen des Hoch- und Spätmittelalters, die mehr oder weniger abenteuerliche Ge75

So etwa die in Anm. 14 genannten Arbeiten von Genzmer, Kroeschell und Schlesinger; vgl. aber auch H . G . Gengier, Rechtsalterthümer im Nibelungenliede, in: Zeitschrift für deutsche Culturgeschichte 1858, S. 1 9 1 - 2 1 $ , hier S . 2 0 5 - 2 0 9 (»Die Sippe«), S . 2 0 9 - 2 1 2 (»Die Ehe«). 76 So vergleicht etwa Hüpper, Poesie und Recht, Rechtsbestimmungen mit der literarischen Ausgestaltung von Familienkonflikten, darunter auch am Beispiel des >NibelungenliedsHildebrandslied< bei der Begegnung von Vater und Sohn zum Ausdruck komme.

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Bloch, Societe feodale, S. 18 5; vgl. auch seine Beispiele aus dem >Couronnement de Louis< und der >Chanson de Roland< für die Furcht des Ritters vor dem Urteil der Familie (S. 186), aus dem >Raoul de Cambrai< für Sippenhaft und Sippenvergeltung (S. 188), aus dem >Girart de Roussillon< für die Versöhnung von Familien (S. 190). 78 Epopee, Kap. III (von Jean Flori): L'historien et l'epopee fran^aise, S. 8 3 - 1 1 9 , hier S. 97. 79 Heers, Clan familial au moyen äge, S. 40. 80 Lorcin, Societe et cadre de vie en France, S. 66. 81 Ebda., S.79H. 82 Carron, Enfant et parente, S. iof.

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nealogien und Ursprünge historischer Familien entwerfen, zumindest an sie anknüpfen, kaum das Interesse der Historiker gefunden, die sich von diesen fiktionalen Texten offenbar keine neuen Informationen über die Selbstdeutung der betreffenden Familien erwarten. Ganz im Gegensatz zu den Fürstengenealogien des 12. Jhs., den adeligen Stifterchroniken und Geschichten adeliger Häuser mit ihren mythischen Stammvätern, ihren dubiosen Ehen und ihrem merkwürdigen Herrschaftserwerb sind weder die anglonormannischen, auf historische Persönlichkeiten bezogenen R o mane >Estoire de WaldefGui de Warewic< oder >Fouke le Fitz WarynSchwanritter< und im >Lohengrin< angesprochene Lohengrin-Abstammung der Häuser Brabant und Kleve, weder das in der Verserzählung >Peter von Staufenberg< berichtete Feenabenteuer eines Angehörigen der Straßburger Familie Diemringer noch die Lusignan-Genealogie der Melusine-Romane zu einem zentralen G e genstand der historischen Familienforschung geworden. Bis auf einige wenige Arbeiten zu eher punktuellen Fragen des historisch-politischen Bezugs familienhistorischer Konkretisierung 84 oder zu dem übergreifenden Problem der >Ansippung< bzw. des >genealogischen Herkommens< fiktionaler Familiengeschichten85 ist bislang in der Erforschung der G e schichte der mittelalterlichen Adelsfamilie dieser Bereich volkssprachiger Geschlechtermythologie noch kaum systematisch berücksichtigt und erschlossen worden.

83

Hingegen sieht Legge, Anglo-Norman Literature, in diesen Romanen eine Art Familienchronik, die den Ruhm der jeweiligen Nachkommen und ihrer Familie steigerten, und belegt sie mit dem umstrittenen Begriff der Ancestral romance; vgl. dazu unten S. 69ff. 84 Dies verfolgt seit einigen Jahren Heinz Thomas an den verschiedensten Texten: In dem Aufsatz: Matiere de Rome - Matiere de Bretagne. Zu den politischen Implikationen von Veldekes >Eneide< und Hartmanns >ErecEneide< als volkssprachliches Epos über einen der Stammväter Barbarossas« (S.65), in der Arbeit: Zeitgeschichtliche Komponenten in Chretiens >Perceval< und Wolframs >ParzivalParzivalhöfischen Liebehöfische Liebe< als Gegenstand von Psychohistorie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte, in: Poetica 23 (1991), S. 374-424, hier S. 385 ff. 95 Zu Georges Dubys Auffassung von der die mittelalterliche Gesellschaft bestimmenden Rolle der Verwandtschaftsbeziehungen vgl. seine Antworten in: Duby, Lardreau, Dialogues, S. 171 ff. 96 Etwa Bd. 27 (1972): Familie et societe; 32 (1977): Systemes familiaux; 33 (1978): Genealogies et families; Les rituels de parente; 36 (1981): Amour, mariage, parente; 41 (1986): Les structures familiales. 97 Etwa die Tagungsbände der in Paris (Familie et parente dans l'occident medieval) und Aix-en-Provence (Les relations de parente dans le monde medieval) veranstalteten Kolloquien. 98 Vgl. etwa Domaines de la parente; Guenee, Genealogies entre l'histoire et la politique; Guerreau-Jalabert, Structures de parente; dies., Parente dans l'Europe medievale; Lorcin, Societe et cadre de vie; Rouillan-Castex, L'amour et la societe feodale.

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Rekurs auf literarische Texte entfaltet und präzisiert werden: so etwa die 1985 erschienene »Histoire de la vie privee«, in deren Mittelalter-Band Danielle Regnier-Bohler" an Beispielen historischer Familien wie literarischer Familienbilder die zentrale Bedeutung der Verwandtschaft betont, ein Jahr später die »Histoire de la famille«, in der Pierre Toubert100 die frühmittelalterliche Ehediskussion der Kirche in ihren Konsequenzen für die Adelsfamilie, Robert Fossier 101 die rechtlichen und sozialen Veränderungen im hochmittelalterlichen Familienverband nachzeichnen, und schließlich die 1990 unter der Leitung von Georges Duby und Michelle Perrot erschienene »Histoire des femmes en Occident«, in deren von Christiane Klapisch-Zuber betreuten Mittelalter-Teil in den einzelnen Kapiteln zu den faktischen Lebensverhältnissen und ideologischen Vorstellungen über die Frauen zugleich die Familie, vor allem die mittelalterliche Adelsfamilie mit ihren strukturellen Veränderungen im Eheverhalten, Erbrecht und Verwandtschaftsbewußtsein präsent ist. Dabei werden zunehmend Begriffssystem und Fragestellungen der strukturalen Anthropologie Levi-Straussscher Prägung rezipiert und für die Erforschung der mittelalterlichen Adelsfamilie fruchtbar gemacht. Mit dem Ergebnis, daß nun weniger die Filiationssysteme von agnatischer und kognatischer Verwandtschaft diskutiert als die Bedeutung der Allianzbeziehungen, der Eheschließungsregeln für die Verwandtschaftsstrukturen des mittelalterlichen Adels wie auch deren Erweiterung und Ergänzung durch >künstliche< Verwandtschaftsformen geistlicher Herkunft wie Patenschaft oder geistliche Familienkonzepte monastischer Ausrichtung herausgestellt werden. So verfolgt Ruiz Domenec102 am Beispiel der Adelsgesellschaft Katalaniens vom 1 1 . bis 13. Jh. den von Levi-Strauss echange generalise asymetrique genannten Typus des Heiratsverhaltens, bei dem sozial höhere Familien ihre Töchter jeweils an unter ihnen stehende Adelsfamilien abgeben und auf diese Weise in einem differenzierten System von Frauengeber- und Frauennehmerfamilien ein hohes Maß komplexer Bindungen und Mobilität zwischen den verschiedenen Adelsgruppen erreichen.103 Auch Anita Guerreau-Jala99

Kap.: »Verwandtschaftsverhältnisse und Großfamilie« ( S . 9 5 - 1 5 9 ) . Kap. 8: »Le moment carolingien ( V I I I e - X e siecle)«, hier: »Ideologie du mariage et fonctions du modele matrimonial« (S. 3 5 1 - 3 6 0 ) . 101 Kap.9: »L'ere feodale ( X l e - X I I I e siecle)« ( S . 3 6 1 - 3 8 3 ) . 102 Ruiz Domenec, Systeme de parente. I0} E i n literarisches Ergebnis dieses spezifischen Heiratsmodells sei die auf dem Gestus männlicher Unterwerfung basierende fin'amors-Konzeption der Trobadors, die nicht wie Erich Köhler behauptet - auf soziale Aufstiegsbewegungen des niederen Rittertums, sondern eher auf den tendenziell höheren Status der weiblichen Familie zurückgehe. 100

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bert 104 geht von der das Handeln und Denken der mittelalterlichen Adelsfamilien bestimmenden Bedeutung der Allianzregeln des generalisierten Frauentauschs aus, betont jedoch den wachsenden Einfluß der Kirche, die mit ihren strengen Inzestverboten dieses geregelte Heiratssystem mit seiner Grundkonstellation von matrilateraler Kreuzkusinenheirat und Avunkulat und damit das differenzierte Geflecht adeliger Allianzverwandtschaft bedrohe, zugleich aber mit ihrer Propagierung von Patenverwandtschaft und geistlicher familia den Adel in ein weiteres, den beiden >natürlichen< Verwandtschaftssystemen von Konsanguinität und Allianz weit überlegenes Modell künstlicher Verwandtschaftsbeziehungen geistlicher Provenienz einbinde.105 In allen diesen Arbeiten haben literarische, ja fiktionale Texte ein besonderes Gewicht, denn man erwartet von ihnen spezifische Informationen: einerseits - im Sinne von Georges Dubys Überlegungen - über die mentalitätsgeschichtliche Seite des Strukturwandels der Adelsfamilie, über die internen Probleme und Konflikte, die Verhaltensänderungen und Reaktionen, die Frustrationen, Hoffnungen und emotionalen Defizite, die sich in spezifischen literarischen Familienszenarien, in bestimmten Themen und Figuren niedergeschlagen hätten, andererseits - in Anlehnung an strukturanthropologische Vorstellungen von der Organisation der mittelalterlichen Adelsgesellschaft - über die konzeptuellen Formen symbolischer Repräsentation und ritueller Einbindung von Verwandtschaftssystemen und familialen Handelns, die ebenfalls am differenziertesten in literarischen Texten ausgestaltet seien. In der von Georges Duby geprägten Familienforschung richtet sich das Interesse auf bestimmte thematische Felder der Literatur: auf die von lignage, Herrschaft, Ehe und Liebe, auf die literarische Figur des jugendlichen, adeligen Helden, den milesperegrinus der Fürstengenealogie, den chevalier errant der höfischen Romane, den povre bachelier der Chansons de geste, der durch Heirat, Rittertüchtigkeit oder Fürstendienst eine Herrschaft erwirbt oder in Vater- und Familiensuche das angestammte Familienerbe übernimmt, auf die literarische Thematisierung von Erb-, Herrschafts- und Generationskonflikten und den thematischen Umkreis von Ehe, Inzest, höfischer Liebe, die mehr oder weniger direkt auf die prekäre Situation der jugendlichen Adelssöhne, der >Verlierer< adeliger lignage-Politik, ausgerichtet seien 104 105

Guerreau-Jalabert, Structures de parente. Eine detaillierte Analyse des Verhältnisses von natürlicher Verwandtschaft des Adels und der kirchlichen Propagierung spiritueller Verwandtschaftsbeziehungen bietet GuerreauJalabert am Beispiel der >Vie du pape saint GregoireParzival< zentralen Gedanken der von der väterlichen und mütterlichen Familie ererbten art, W. A. Nitze, Oliver Farnsworth, Albert William Aron und Ciaire Hayden Bell109 diskutieren im Zusammenhang mit der Frage nach der Existenz bzw. dem Weiterwirken frühmittelalterlicher Matrilinearität die für die deutsche wie französische Epik charakteristische Figuration von strengem Vater, sanfter Mutter und intensiver Onkel-Neffen-Beziehung, 20 Jahre später wieder Alfred Adler 110 und schließlich noch einmal Reto R. Bezzola 111 in seinem berühmten Aufsatz des Jahres 1970 über die literarischen Neffen. Sie alle haben damit bereits Fragestellungen und Problemkomplexe der späteren strukturanthropologisch orientierten familienhistorischen Forschung vorweggenommen. Und schon im Jahre 1906 verweist Carl Schubert112 auf die Bedeutung von Pflegesohnverhältnissen in der französischen Epik, die in neueren familienhistorischen Untersuchungen zu den >Narbonnais< oder dem >Willehalm< wieder eine Rolle spielen. Auch in den älteren bewußtseinsgeschichtlich orientierten Arbeiten sind - etwa von Hermann Schultheiß"5 zum Sippengedanken bei Wolfram von Eschenbach, 20 Jahre später von Walter Müller-Römheld114 in seinen Untersuchungen zum genealogischen Denken mittelalterlicher Autoren und auch noch im Jahre 1975 Francis Gentry" 5 am Beispiel des Bedeutungsspektrums von trinwe und 106

Van der Lee, Literarisches Motiv der Vatersuche; vgl. auch Rosenfeld, Hildebrandlied, die indogermanischen Vater-Sohn-Kampf-Dichtungen; Jan de Vries, Das Motiv des V a ter-Sohn-Kampfes im Hildebrandslied, in: G R M N F 3 (1953), S . 2 5 7 - 2 7 4 ; neuerdings Obergfell, Father-Son Combat Motif, sowie Storp, Väter und Söhne; dies., Vater und Sohn. 107 Harms, Kampf mit dem Freund oder Verwandten. 108 Schwietering, Natur und art. 109 Nitze, Sister's Son; Farnsworth, Uncle and Nephew; Aron, Traces of Matriarchy; Bell, Sister's Son. 110 Adler, Hervis de Mes. 111 Bezzola, Neveux. '^Schubert, Pflegesohn. 113 Schultheiß, Bedeutung der Familie im Denken Wolframs von Eschenbach; deutlicher nationalsozialistischen Sippenvorstellungen verpflichtet ist Fink, Sippe und Rittertum bei Wolfram, aber auch Tempeanu, Sippenfeindschaft, im Falle des >NibelungenliedsNibelungenlied< - Fragen an die Texte gestellt worden, die später im Gewände der Mentalitätshistorie und ohne forschungsgeschichtliche Kontinuität zu diesen älteren Arbeiten wieder neu aufkommen. Stichworte dieser Diskussion sind die Genealogie als zentrale Denk- und Erfahrungskategorie im Mittelalter, Verwandtschafts- und /zgrcdge-Bewußtsein als textbestimmende Faktoren;" 6 in den älteren Arbeiten eher auf das Sippenbewußtsein von Autor und Publikum bezogen, in den neueren mit dem Blick des strukturalen Anthropologen auf Denksysteme von lignage und parente. Demgegenüber hat sich schon die ältere Forschung erstaunlich wenig um die faktische Beteiligung historischer Adelsfamilien an der Entstehung und Verbreitung mittelalterlicher Literatur gekümmert. Während die historischen Umstände der Ausbildung der höfischen Dichtung im Umkreis von Adels- und Fürstenhöfen breit diskutiert worden sind, ist das Umfeld der Familie überhaupt nur im Bereich der Heldenepik in Erwägung gezogen worden: in Deutschland vor allem am Beispiel des >Nibelungenliedsadeligen Hausüberlieferung< eine Präzisierung und familienhistorische Konkretisierung erfahren."8 In der französischen Chanson de geste-Forschung hat hingegen bereits im Jahre 1913 der Historiker Frantz Funck-Brentano119 in einer Besprechung von Joseph Be-

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A m prononciertesten bei Bloch, litymologies et genealogies; ders., Etymologies and Genealogies; ders., Genealogy as a Medieval Mental Structure. Howard Blochs methodisch nicht unproblematische Überlegungen finden allmählich Eingang in die literarhistorische Argumentation, mit gelegentlich merkwürdigen Ergebnissen; vgl. etwa Storp, Väter und Söhne, S. 48ff.

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Vgl. dazu vor allem die neueste, in ihren historischen Konstruktionen allerdings wenig überzeugende Arbeit von Dieter und Jürgen Breuer zum Nibelungenlied. Vgl. dazu oben S . 2 5 f f . Funck-Brentano, Chansons de geste; zur Entstehung der Chansons de geste »au sein des grandes families« (S.49) vgl. auch das Chanson de geste-Kapitel in Funck-Brentanos Uberblicksdarstellung: Le Moyen Age, S. 48-62. Ganz generell hatte auch schon die Forschung des 19. Jhs. die Chansons de geste an die Adelsfamilie angebunden, ohne jedoch entstehungsgeschichtliche Konsequenzen daraus zu ziehen; vgl. etwa Paris, Trouveres. Chansons de geste: »La chanson de geste repondait d'ailleurs aux deux grandes passions de toutes les societes: l'amour de la patrie, l'orgueil de la famille« (S. 261); oder Flach,

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diers »Legendes epiques« die dezidierte »origine lignagere« (S. 184) der Chansons de geste betont: Nicht - wie von Joseph Bedier vermutet - im Umkreis geistlicher Institutionen der großen Pilgerstraßen seien die Chansons de geste entstanden, zur Unterhaltung der Pilger, die sich für Heidenkämpfe und Heldentaten nationaler Märtyrer und heiliger Fürsten der Vorzeit interessierten, sondern in den großen Adelsfamilien des späten 10. und 1 1 . Jhs., deren glanzvolle Geschichte die Chansons de geste in ausgreifenden Zyklen um Aufstieg und Untergang großer epischer Sippen zum Thema hätten. Chanson de geste sei »chanson de famille« (S. 184) und richte sich - wie die lateinische Historiographie eines Lambert von Ardres - an das Adelshaus, dessen Familienwissen und genealogische Uberlieferung sie in die literarische Form der wechselvollen Geschichte der epischen Sippen in Heidenkampf, Königsdienst, Empörung, Verbannung und Untergang einkleide. Diese Überlegungen zu den Chansons de geste als einer Art literarischer Hausüberlieferung hochadeliger Geschlechter haben allerdings in der neueren Chanson de geste-Forschung wenig Resonanz gefunden. 120 Zu übermächtig waren die etablierten Diskussionen im Gefolge von Edmond Faral und Joseph Bedier um die geistlich-gelehrten Vermittlungswege der Ausbildung und Verbreitung der Chansons de geste bzw. ihre subliterarischen mündlichen Traditionslinien, die im Gegenzug gegen diese klerikale Enstehungstheorie die sog. Traditionalisten bis ins 9. Jh. zurückverfolgt und auf diese Weise den Gedanken einer Entstehung und Tradierung der Chansons de geste als volkssprachige Hausüberlieferung der Adelsgeschlechter des 1 1 . und 12. Jhs. nicht weitergeführt haben. Erst in den letzten Jahren hat mit dem zunehmenden Interesse an der hochmittelalterlichen Adelsfamilie auch die Frage nach dem Verhältnis von Adelsgeschlecht und Chanson de geste wieder die Aufmerksamkeit der literarhistorischen Forschung gefunden und neue Überlegungen zur Anbindung der Chansons de geste an die familialen Traditionen und genealogischen Interessen der Adelshäuser hervorgebracht. 121 Compagnonnage dans les chansons de geste: »C'est l'histoire des families, des gestes, et non l'histoire des seigneuries que chantent nos trouveres.« (S. 152). ' " J o s e p h Bedier hat sich nicht öffentlich mit Funck-Brentanos Entstehungstheorie auseinandergesetzt, lediglich in einem Brief an seinen Freund Andre Beaunier seine Gegenargumente zusammengestellt. Dieser Brief ist gedruckt bei Livingston, Origine »lignagere« des chansons de geste. Wilmotte, Epopee fran^aise, sieht in den Chansons de geste - wie Funck-Brentano - »chansons de famille«, die dem L o b der Vorfahren gewidmet seien; vgl. S. 149ff. 111

So etwa für die altfranzösische Kreuzzugsgeste Suzanne Duparc Quioc, Recherches, im Hinblick auf das Interesse der Familie C o u c y an der >Conquete de Jerusalem< (S. 787), der

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In diesen punktuellen Ansätzen der älteren Forschung ist zwar bereits ein breites Themen- und Argumentationsspektrum im Umkreis der Frage nach der Bedeutung der Adelsfamilie für die Entstehung und literarische Ausgestaltung der mittelalterlichen Literatur angesprochen worden, zu einem Schwerpunktthema der literarhistorischen mediävistischen Diskussion ist das Thema Familie/Verwandtschaft jedoch erst in den letzten 20 Jahren geworden, als sich auch die historische Familienforschung zunehmend der Erforschung der mittelalterlichen Familie zugewandt hat. Dieser Aufstieg der Familienthematik in der literarhistorischen Diskussion zeigt sich in einer Vielzahl von Arbeiten, in denen von den unterschiedlichsten Seiten her weiträumig das Themenspektrum Familie und Verwandtschaft in der mittelalterlichen Literatur abgeschritten wird: in Tagungsbänden und literarhistorischen Beiträgen zu historischen Sammelwerken zum Thema Familie/Verwandtschaft, in generellen Überlegungen zur Bedeutung von Familie/Verwandtschaft für die mittelalterliche Literatur, in Studien zu charakteristischen literarischen Motiven, Figuren und Konstellationen aus dem Themenbereich Familie/Verwandtschaft, in Einzelanalysen von Texten, literarischen Typen und Autorenoeuvres unter dem Gesichtspunkt der literarhistorischen Bedeutung der Familien- und Verwandtschaftsthematik und schließlich in Versuchen einer historischen Rekonstruktion der faktischen Beziehungen, ja Zugehörigkeit literarischer Texte zu bestimmten historischen Adelsfamilien. Auch methodisch deckt diese neuere literarhistorische Familiendiskussion ein breites Feld ab, vor allem im Hinblick auf die Disziplinen, denen die einzelnen Arbeiten verpflichtet sind: eine besondere Rolle spielen dabei die Psychoanalyse und Psychohistorie, die strukturale Anthropologie, die Sozialgeschichte und historische Familienforschung. Entsprechend divergierend sind die literarhistorischen Frageinteressen, die im ganzen weniger aufeinander abgestimmt sind, als die dem Aufschwung der historischen Familienforschung vergleichbare Intensität der familienbezogenen Literaturbetrachtung der letzten Jahre vermuten läßt. Am wenigsten an Fragestellungen und Ergebnissen der historischen Familienforschung orientiert sind naturgemäß jene Arbeiten, in denen die mittelalterliche Familie im Sinne psychoanalytischer Modellbildung beGrafen von Poitou (S. 789ff.), evtl. auch der Familie Caumont la Force an der >Chanson des chetifs< (S. 791 f.) oder Grillo, Romans de croisade, histoires de famille, der im Auftreten des Namens Baudouin de Sebourg in der altfranzösischen Kreuzzugsgeste (in der >Chanson d'AntiocheFamilienromans< ödipaler Dreieckskonstellation, eines psychohistorischen Verständnisses gestörter Eltern-Kind-Beziehungen oder Lacans Theorie des Begehrens folgenden Strebens nach dem väterlichen Namen fungiert. Trotz aller methodischer und sachlicher Divergenzen ist diesen Arbeiten gemeinsam, daß jeweils bestimmte literarische Motive, Figurenkonstellationen oder Details der Personencharakterisierung zur Bestätigung und Demonstration psychoanalytischer Fallbeschreibung bzw. Theoriebildung werden. Thelma S. Fenster 122 sieht etwa in der Familienhandlung der Chanson de geste >Aye d'AvignonFamilienromans< abgebildet, in dem der Sohn seinen realen Vater in der Phantasie durch einen besseren ersetzt. Rolf Endres 123 deutet auffallende Auftritte literarischer Personen, etwa der Meierstochter im >Armen Heinrichs im Sinne der individualpsychologischen Persönlichkeitstheorie als typische Reaktion auf liebloses und autoritäres Erziehungsverhalten der Eltern, Jacques Roubaud 124 vermutet hinter den für die französischen Gralromane charakteristischen Unbestimmtheiten im Bereich der Gralsfamilie das Geheimnis einer inzestuösen Verbindung, das in der gestörten Gralsgenealogie, in der ungeklärten Beziehung von Perceval und dem Fischerkönig und den undeutlichen Reden der Gralsmitglieder verdeckt werde, Robert Lafont 125 verweist - in Anlehnung an Bezzolas berühmten Neffen-Aufsatz - auf die 122

Fenster, Family Romance of »Aye d'Avignon«; vergleichbare Überlegungen erprobt sie auch am Beispiel der Chanson de geste >Raoul de CambraiParzivalCligesAlis136

Maddox, Kinship Alliances. Adler, Epische Spekulanten, S. 44-49. 138 Allen, Kinship in the Chanson de Roland. 139 Planche, Roland fils de personne. 140 Perennec, Willehalm et Guillaume. 137

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cans< und Wolframs >WillehalmGui de BourgogneAuberi de BourgainManekineAiol< zeigt, wie das im strukturanthropologischen Verständnis diffizil austarierte System mütterlicher und väterlicher Familienbindung in eine einseitig patrilineare Ausrichtung des Protagonisten, in eine »obstination patrilineaire« (S. 308), überführt und damit im Text der historische Weg der Adelsfamilien von der frühmittelalterlichen Sippe zum hochmit141

Vallecalle, Parente et souverainete. Weill, Structure et parente dans Auberi de Bourgain. 143 Gouttebroze, Structure narrative; ähnlich argumentiert neuerdings Schmid, Mutterrecht und Vaterliebe. 144 Mancini, Aiol et l'ombre du pere; ähnlich ders., Aiol, dal clan al lignaggio. 142

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telalterlichen Geschlecht nachvollzogen werde, bei Jan-Dirk Müller,145 der die >NibelungenliedManekineVie du pape saint Gregoire< zeigt, wie dieser Text in den lokalen und ideologischen Gegenbildern von Aquitanien vs. Insel bzw. Rom der zutiefst gestörten und gefährdeten Adelswelt Aquitaniens mit ihren endogam-inzestuösen Tendenzen und entsprechend ungeklärten Verwandtschaftsbeziehungen die klare Welt der Kirche mit ihren vielfältigen Formen künstlicher Verwandtschaft entgegenstelle, das auf Konsanguinität und Allianzen beruhende aristokratische System natürlicher Verwandtschaft mit der kirchlichen Programmatik einer alle natürlichen Verwandtschaftsformen überschreitenden »parente spirituelle« konfrontiere und damit als eine Art »discours sur la parente«'48 die zeitgenössischen Versuche einer Einflußnahme der Kirche auf die Familienbindungen und Heiratspraktiken des Adels ideologisch unterstütze. Die Fruchtbarkeit dieser Verbindung von strukturanthropologischer und gesellschaftsgeschichtlicher literarhistorischer Argumentation hatte bereits im Jahre 1979 der spanische Romanist Ruiz Domenec in einer programmatischen Arbeit »Systeme de parente et theorie de l'alliance dans la societe catalane (env. 1000-env. 1240)« erwiesen, in der er - am Beispiel der katalanischen Adelsgesellschaft des 1 1 . bis frühen 13. Jhs. - Heiratsverhalten und Verwandtschaftsbewußtsein des mittelalterlichen Adels im Lichte von Levi-Strauss' Allianztheorie untersucht und anschließend die Relevanz adeliger Heiratspraktiken für die Entstehung der höfischen Liebesdichtung diskutiert. Die patrilinear organisierte mittelalterliche Adelsgesellschaft, deren Verwandtschaftsbewußtsein auf dem von Levi-Strauss echange generalise asymetrique genannten, um die matrilaterale Kreuzkusinenheirat zentrierten Heiratssystem basiere, weise in der Regel der 145 146 147 148

Müller, Motivationsstrukturen. Gouttebroze, Structure narrative. Vgl. die in Anm. 10 j aufgeführten Arbeiten zur >Vie du pape saint GregoireVie du pape saint Gregoire< im angevinischen Umfeld Heinrichs II. und Eleonores von Aquitanien an, da sie mit Gregoire der aquitanischen Genealogie Eleonores einen Papst und Heiligen eingliedere und damit die >Geblütsheiligkeit< des englischen Königshauses unterstreiche.

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Frauengeberfamilie einen höheren Rang zu und dadurch auch den Frauen eine besondere Rolle für Aufstieg wie Prestige der Familien. Seinen spezifischen literarischen Ausdruck finde dieses Verwandtschaftssystem des mittelalterlichen Adels in der charakteristischen, auf der Inferiorität des Mannes beruhenden Sänger-Dame-Konstellation der Trobadorlyrik, die als »chronique idealisee« (S. 319) des adeligen Allianzsystems asymmetrischen Austauschs die strukturbestimmende gesellschaftliche Dominanz der mütterlichen Familie und damit verbunden die besondere soziale Bedeutung der Mütter und Ehefrauen in die literarische Figur der unerreichbaren domna verwandle. Das in der literarhistorischen Diskussion der 70er Jahre vor allem von Erich Köhler 149 propagierte gesellschaftsgeschichtliche Verständnis des trobadoresken fin 'amors-Korizepts als eines spezifischen literarischen Ausdrucks der Aufstiegsbestrebungen und sozialen Frustrationserfahrungen des niederen Adels erfährt hier eine strukturanthropologische Umformulierung, die die vermuteten Aufstiegswünsche des niederen Adels in das differenzierte, auf dem höheren Rang mütterlicher Familien basierende Heiratssystem asymmetrischen Frauentauschs einbindet. Entscheidend für das Verständnis der mittelalterlichen Adelsgesellschaft seien nicht etwa die durch Klassenunterschiede und Standeshierarchien verursachten sozialen Spannungen, sondern das alle gesellschaftlichen und persönlichen Bereiche übergreifende wie bestimmende Verwandtschaftssystem, das in der hochmittelalterlichen Gesellschaft Westeuropas - in der Terminologie von Claude Levi-Strauss - als echange generalise et asymetrique die gesellschaftlichen, mentalen und kulturellen Ausdrucksformen der Menschen reguliere und damit auch die literarischen Werke entscheidend präge. Darin folgt Ruiz Domenec einer Prämisse strukturanthropologischer Verwandtschaftsforschung, die Georges Duby schon seit einigen Jahren in ihrer Bedeutung für die Erforschung der mittelalterlichen Adelsgesellschaft erkannt und - entsprechend seinem Diktum: »der familiale Rahmen. Ich bin versucht, in ihm so etwas wie den genetischen Code der gesamten Gesellschaft zu sehen«150 - in weit ausgreifenden Studien zu Familie, Verwandtschaft und Ehe des mittelalterlichen Adels in Frankreich umgesetzt hat. Mit der Rezeption seiner Fa•49 Vgl. den programmatischen Aufsatz von Köhler, Observations historiques et sociologiques. 150 Duby, Dialogues, hier S. 173. Dubys Einsicht in die fundamentale Bedeutung von famille et parente in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft setzt der Literarhistoriker Howard Bloch (Anm. 1 1 6 ) in eine A r t literarische Anthropologie um, in der genealogisch-familiales Denken zur zentralen Kategorie aller Aktivitäten wird.

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milienarbeiten setzte in der literarhistorischen Forschung eine deutliche Verlagerung der Interessen von literatursoziologischen zu familienhistorischen Interpretationen ein; allerdings - wie das Beispiel der erst im Jahre 1979 erschienenen Arbeit von Ruiz Domenec zur katalanischen Adelsgesellschaft zeigt - mit einer erheblichen Verzögerung. Denn eine Reihe von Dubys grundlegenden Arbeiten zur mittelalterlichen Adelsfamilie stammen bereits aus den 60er Jahren. In die literarhistorische Argumentation haben sie jedoch erst zehn Jahre später Eingang gefunden, dann allerdings vehement und in den verschiedensten literarischen Bereichen und thematischen Ausprägungen. Grundlage der zunächst eher punktuellen, inzwischen aber breit aufgefächerten familienhistorischen Diskussion der Literaturgeschichte ist der von Georges Duby verfolgte Prozeß der allmählichen Ausdifferenzierung der hochmittelalterlichen Adelsgeschlechter, die sich über ihren Stammsitz, die Familienwappen, die Geschlechtsnamen, über Klosterstiftung und Familiengrablege definieren, in strikten Erbregelungen, in wohlerwogenen Ehevereinbarungen und genealogischen Rekonstruktionen ihre Zukunft als patrilineares lignage abzusichern versuchen und mit einer Reihe struktureller Probleme im Bereich der wirtschaftlichen Basis, der biologischen Reproduktion, aber auch der innerfamiliären Affektbeziehungen zu kämpfen haben. Duby verweist einerseits auf die Erfolgsbilanz dieser Adelsgeschlechter, auf ihre gelungene Etablierung in Stammburgen, ihre kalkulierten Erb- und Heiratsstrategien, ihren in Genealogien fixierten Ahnenstolz und ihr ausgeprägtes Geschlechterbewußtsein,151 betont aber zugleich auch die Schattenseiten ihrer Entwicklung zum patrilinearen Geschlecht, die Ausblendung mütterlicher Linien, die mit der Durchsetzung der Primogenitur verbundenen Erbauseinandersetzungen und Generationskonflikte, die Enterbungsängste und Frustrationserfahrungen der jüngeren Söhne, die Abwertung der Frauen und Ausgrenzung der Bastarde.152 Beide Familienbilder, die glanzvolle Machtentfaltung und Selbstdarstellung erfolgreicher Adelsgeschlechter ebenso wie die Verluste und Opfer ihres Aufstiegs, bestimmen auch die literarhistorische Diskussion, 151

A m explizitesten in der Arbeit: Remarques. Diese Argumentation führt Gabrielle M. Spiegel in ihren Arbeiten zur mittelalterlichen Genealogie, speziell zur Entstehung volkssprachiger Genealogien in Frankreich, weiter. Sie reagierten auf die Herausbildung einer agnatischen /igwage-Familienstruktur des mittelalterlichen Adels und artikulierten zugleich den exemplarischen Anspruch dieser neuen Adelshäuser; vgl. etwa: Spiegel, Genealogy; dies., History, Historicism and the Social Logic of the Text, S. 181 ff.

152

V o r allem in dem 1964 erschienenen Aufsatz über die Jeunes, dessen Thesen er pointiert weiterführt und ausweitet in: Chevalier, la femme et le pretre, S. 2 j 7 f f . , und Guillaume le Marechal, S. 94 ft.

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denn die höfische Dichtung erfährt einerseits - wie bei Georges Duby die Fürstengenealogien und Familienhistorien der nordfranzösischen Fürstengeschlechter - eine affirmativ-repräsentative Deutung als literarische Verherrlichung des lignage, wird andererseits aber auch als eine Art literarischer Seismograph für die Strukturprobleme und emotionalen Defizite der mittelalterlichen Adelsfamilie gesehen. Den legitimistischen Familienbezug höfischer Dichtung verfolgt etwa Friedrich Wolfzettel153 am Beispiel des in den Chansons de geste wie den Höfischen Romanen beliebten Typus der >JugendgeschichteLanzelet< Ulrichs von Zatzikhofen ein ausgesprochener »roman de lignage«,155 der in den Enfances-Etappen von Exil - Familiensuche - Integration - Rückkehr in die eigene Herrschaft vornehmlich um das Thema der Suche nach dem eigenen Geschlecht kreise. Für Alfred Ebenbauer156 ist im >Wigamur< das gesamte Handeln des Helden von einem ausgeprägt »legitimistischen Prinzip des Geblüts und der Herkunft«, einem strikt »dynastischen Denken« (S. 42) bestimmt, das ihn auf seinem

153

Wolfzettel, Stellung und Bedeutung der Enfances. 154 Perennec, Artusroman und Familie; vgl. auch das >LanzeletLanzelet< dans l'adaptation d'Ulrich von Zatzikhoven. L e heros et la famille« (S. 5-97). Diese Überlegungen führt neuerdings Zellmann, Lanzelet, weiter, indem sie Ulrichs >Lanzelet< im Kontext verschiedener Typen adeliger Hausüberlieferung als ein »Stück Hausliteratur« (S. 286), ein »biographisch organisiertes Hausbuch« (S. 286), speziell als eine »fiktive Genealogia Genewisiae« (S. 142), betrachtet, die in den Stadienpueritia - adolescentia - iuventus—gravitas den Weg des Helden bis zur »Stiftung des Hauses Genewis-Dodone« (S. 7) verfolge. 155 156

Perennec, Recherches, S. 37. Ebenbauer, Wigamur und die Familie.

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schwierigen Weg zur eigenen Herrschaft erfülle. Jean-Guy Gouttebroze 157 verweist auf die für Chretiens CEuvre entscheidende »ideologie lignagere« (S. 81), Elspeth Kennedy1*8 auf die komplizierte Verschränkung von Identitätssuche und /zgwdge-Thematik im französischen Prosa-Lancelot, und Friedrich Wolfzettel159 verdeutlicht noch einmal am >Durmart le Galoisnegativen< Familienszenerie um zwei Themenschwerpunkte: die angesichts der faktischen Durchsetzung patrilinearer Geschlechterfolgen im mittelalterlichen Adel auffallende Dominanz der mütterlichen Verwandtschaft in einigen Höfischen Romanen und die besondere literarische Rolle der Jeunes genannten jugendlichen Aventiureritter und Turnierkämpfer. In beiden Motivkomplexen werden brisante familienkritische Implikationen vermutet, mit de157

Gouttebroze, Familie et structures de la parente. Kennedy, Quest for Identity; ähnlich auch Hahn, Genealogy and Adventure. 159 Wolfzettel, Ideologie chevaleresque. 160 Chenerie, Chevalier errant. 158

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nen die höfischen Autoren auf krisenhafte Entwicklungen agnatischer Familienpolitik des Adels reagiert hätten: im Falle ihres Insistierens auf der Bedeutung matrilinearer Familienbindungen, dem handlungsbestimmenden Gewicht affektiver Mutterbruder-Schwestersohn-Beziehungen eher generell auf familiengeschichtliche wie emotionale Defizite agnatischen Geschlechtsbewußtseins bezogen, im Umkreis der literarischen JeuneThematik hingegen konkreter auf die >Opfer< agnatischer Familienpolitik ausgerichtet. Während das für Chretiens Werk, für die französischen Gralromane, vor allem aber für Wolframs >Parzival< charakteristische handlungsbestimmende Gewicht der mütterlichen Verwandtschaft auf eine tiefgreifende Krise des agnatisch-dynastischen Geschlechtsbewußtseins verweise, die in der höfischen Dichtung durch gegenläufige Bilder bedeutender kognatischer Verwandtschaftsverbände, affektiver mütterlicher Verwandtschaftsbeziehungen und endogam-matrilinearer Eheschließungen aufgefangen werde,161 verdanke sich die literarische Figur des Jeune, des jugendlich-ritterlichen chevalier errant der Höfischen Romane, der auf seinen Abenteuer- und Turnierfahrten mit der ritterlichen Anerkennung zugleich eine vorteilhafte Heirat und eine eigene Herrschaft erreicht, der prekären gesellschaftlichen Situation der durch die strikt agnatisch orientierten Familienstrategien des Adels in eine Existenzkrise geratenen jüngeren Adelssöhne, die als Folge konsequent praktizierter Primogeniturregelungen vom Familienerbe und damit von einer eigenen Herrschaft ausgeschlossen seien und in den attraktiven Jeune-Figuren der höfischen Dichtung die höfisch-ritterliche Idealisierung ihres ungesicherten militärischen Lebens wie auch die utopischen Perspektiven des Erwerbs von Ehefrau und Herrschaft besonders geschätzt haben mochten.162 Bestimmend für diesen Typus familiengeschichtlicher Interpretation ist jedenfalls die Uberzeugung von einem durchweg kritischen Impetus der höfischen Romanautoren, die in der fiktionalen Welt von Aventiure und Rittertum der mit dem agnatischen Selbstverständnis adeliger Geschlechter verbundenen Ausgren-

161

So argumentieren vor allem Werner Busse und Elisabeth Schmid in ihren >ParzivalAdelsfamilie und mittelalterliche Literatur< grundlegende Frage ist merkwürdigerweise in der literarhistorischen For180

181 182

Dieser Aspekt bleibt unbeachtet bei Jackson, Märe von Helmbrecht, der aus dem Erzählzusammenhang die Konturen einer mittelalterlichen Haushaltsfamilie rekonstruiert; vgl. demgegenüber Hüpper, Familie Helmbrecht in der Krise. Dies betont Lorcin, Fa?ons de sentir, Kap. II, S. 21-95. Ruberg, Verwandtschaftsthematik in den Tierdichtungen.

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schung bislang nur in Ansätzen und eher am Rande erörtert worden. Zwar sieht die Gönnerforschung in der Adelsfamilie eine entscheidende Instanz für die Entstehung lateinischer wie volkssprachiger Literatur, verweist auf die Bedeutung verwandtschaftlicher Bindungen bei der Konstitution von Literaturkreisen und Rezipientengruppen. 185 Diese Anregungen sind allerdings nur in Einzelfällen aufgegriffen und in mehr oder weniger überzeugenden Fallbeispielen aufgefächert, 184 jedenfalls auch im Zusammenhang mit dem neueren familienhistorischen Literaturinteresse nicht systematisch weitergeführt worden. So sind von dem gesamten Spektrum an historischer Rekonstruktion des Verhältnisses von Adelsfamilie und Literatur - wenn ich recht sehe - in der Literaturgeschichte überhaupt nur drei Themenkomplexe der möglichen Einbindung von Texten in das literarische Interesse und die Familiengeschichte historischer Adelshäuser etwas ausführlicher diskutiert worden: die adelige Hausüberlieferung, die anglonormannische Ausprägung der sog. Ancestral romance und die literarischen Geschlechtermythologien des Spätmittelalters. Und selbst bei diesen drei Bereichen, die sehr unterschiedliche Aspekte des Familienbezugs mittelalterlicher Literatur ansprechen, ist die Rolle und Bedeutung historischer Adelsfamilien für die Entstehung und Tradierung literarischer Texte nur am Rande erörtert, zumindest in keiner Weise unter prinzipiellen Gesichtspunkten diskutiert worden. Das zeigt sich am deutlichsten an dem von Karl Hauck in die Adelsforschung eingeführten Konzept der adeligen Hausüberlieferung, das die historische Diskussion um die Weifenhistoriographie prägt und in Hans Patzes Bestimmung der adeligen Stifterchronik eingegangen ist, in der literarhistorischen Forschung bislang jedoch erstaunlich wenig Resonanz gefunden hat. Obwohl es immer wieder Ansätze einer übergreifenden Diskussion gegeben hat, l8j ist hier die mit der Vorstellung der adeligen Hausüberlieferung angesprochene Frage nach dem Zusammenhang von adeliger Familienüberlieferung, literarischen Interessen der Adelshäuser 183

Vgl. Bumke, Mäzene im Mittelalter, der zwar der Adelsfamilie als Auftraggeber und Publikum höfischer Dichtung kein eigenes Kapitel widmet, aber im Laufe seiner Darstellung immer wieder die bedeutende Rolle der Familienbindungen beim Mäzenatentum hervorhebt: etwa S.42ff. (im Hinblick auf die Familienüberlieferungen fürstlicher G e schlechter), S. 26 5 ff. (zu den gräflichen Familien als den Gönnern höfischer Dichtung).

184

Etwa von U w e Meves in dem in Anm. 64 erwähnten Aufsatz zur Rolle der Sieghardinger für die Literatur im Südosten des Reiches; ein eindrucksvolles Beispiel für die Kausalität von verwandtschaftlichen Bindungen und literarischen Interessen präsentiert Beckers, Literarische Interessenbildung bei einem rheinischen Grafengeschlecht.

185

Schon Patze, Adel und Stifterchronik, bietet in seinem Überblick über die familienbezogenen historiographischen Aktivitäten eine Fülle wertvoller Hinweise, die Bumke, Mäzene im Mittelalter, S.42ff., durch weitere Beispiele ergänzt.

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und der Entstehung von Texten nicht weiter verfolgt und etwa auch an Beispielen volkssprachiger Geschlechtergeschichte erprobt, sondern nur in einer bestimmten, sehr eingeschränkten Ausprägung erörtert worden: vornehmlich in bezug auf Sagenstoffe und literarische Themenkreise, die - wie die Nibelungenüberlieferung, die Brautwerbungsfabel des >König Rother< oder die Empörergeste des >Herzog Ernst< - bis zu ihrer literarischen Fixierung im 12. Jh. kontinuierlich in lokalen, verwandtschaftlich verbundenen Adelsgruppen tradiert worden seien und auch noch in den literarischen Texten des 12. Jhs. in bestimmten Namen, historischen Anspielungen und prononcierten Figurenkonstellationen Spuren ihrer genuinen Funktion als adelige Hausüberlieferung hinterlassen hätten. So ist für Wolfgang Haubrichs 186 die kollektive Erinnerung führender Adelshäuser an Sagenstoffe und Vorzeithelden eine der zentralen Funktionen der Heldensage. Und er sieht vor allem in der »onomastischen Ansippung an Sagenhelden in großen Adelsfamilien des frühen Mittelalters« (S. 139) Zeugnisse adeliger Haustraditionen, die jederzeit in Akten exemplarischer Memoria-Pflege, aber auch in punktuellen Deutungen aktuellen Geschehens über die Heldensage und ihre Vorzeithelden verfügten. Methodisches Vorbild und sachliche Grundlage für diese Diskussion um die Rolle adeliger Familien bei der Vermittlung epischer Stoffe vom Frühmittelalter bis ins 12. Jh. sind die Überlegungen Wilhelm Störmers 187 zur Tradierung der Nibelungensage etwa in der bayerischen Adelsfamilie der Pilgrime, auf die noch im frühen 13. Jh. der >KlageFamilieninitiative< Bischof Pilgrims aufmerksam mache. Uwe Meves 188 hat den Kreis dieser Epenstoffe tradierenden adeligen Familiengruppen erweitert und die Bedeutung der weitverzweigten Sieghardinger für die Adelsliteratur im Südosten des Reichs erörtert: der Tengelinger für die stoffliche Vermittlung und Entstehung des >König Rothen 1 8 9 und der Peilsteiner für Neidharts Lieder. Wilhelm Stornier 190 sieht hinter der Herzog-Ernst-Geschichte Familientraditionen nordbayerischer Geschlechter, die sich von den babenbergischen Schwabenherzögen herleiteten. Und Volker Mertens 191 vermutet im Mäzenaten186

Haubrichs, Anfänge, S. 139ffStornier, Herkunft Bischof Pilgrims; vgl. dazu oben S. 3 iff. 188 Meves, Rolle der Sieghardinger. 189 Demgegenüber favorisiert Zellmann, Herrschaft und Ehe, die Babenberger, die sich auf Nachfolgefamilien der Tengelinger stützten; vgl. Kap.: »Ist der König Rother eine Tengelinger-Dichtung?« (S. 2 4 7 - 2 5 5 ) . I? °Störmer, »Spielmannsdichtung« und Geschichte. 191 Mertens, Gregorius Eremita: »Gregorius P e c c a t o r - ein Heiliger aus Kaiser Ottos Sippschaft« (S. 1 0 J - 1 0 8 ) ; ders., Concept of Guelf Identity in Literature; neuerdings zusam187

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tum Herzog Wilhelms von Braunschweig-Lüneburg für die >Gesta Gregorii PeccatorisGregoriusFouke le Fitz Waryn< um die fiktive Lebensgeschichte eines >historischen< Helden kreisen, sehr direkt in die Topographie Englands eingebettet sind, in zeitgeschichtlichen und lokalhistorischen Anspielungen eine zeitgenössische Adelsgesellschaft in England ansprechen und - wie Dominica Legge vermutet - an dem Protagonisten die sagenhafte und romaneske Vorgeschichte einer >historischen< Familie nachzeichnen. Sie bieten die abenteuerliche Lebensgeschichte eines h i storischem Helden, der die aus den höfischen Abenteuerromanen und Chansons de geste bekannten Stationen von Verbannung, Flucht, Orient-

191

193

menfassend: ders., Deutsche Literatur am Weifenhof, in: Heinrich der L ö w e und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Weifen 1 1 2 5 - 1 2 3 5 . Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995. Bd. 2. Essays. Hg. von Jochen Luckhardt und Franz Niehoff, M ü n chen 1995, S. 2 0 4 - 2 1 2 , hier S.210. Zur methodischen und sachlichen Kritik an dem Konzept der adeligen Hausüberlieferung vgl. oben S. 32f. Legge, Anglo-Norman Literature, Kap. VII: »The >Ancestral Romanceneuen< Adelsfamilien bestimmt gewesen, die sich - wie die Bigods, die Galloways oder Wallingfords - in England zu etablieren suchten, sich jedoch einem ständigen Parvenu-Vorwurf ausgesetzt sahen und deshalb an einer auf eine abenteuerliche Stammvater-Figur bezogenen romanhaften und entsprechend prestigeträchtigen Familiengeschichte Gefallen gefunden hätten. Dominica Legge, die in diesen anglonormannischen Ancestral romances zwar fiktionale, in ihrer Funktionsbestimmung allerdings sehr wohl den Genealogien nordfranzösischer Adelsgeschlechter vergleichbare Familienchronik e n sieht, betont ausdrücklich die historische Seite ihres Familienbezugs: die in die Texte eingelassenen zeitgeschichtlichen Anspielungen auf Namen wichtiger Familienmitglieder, auf bedeutende Ereignisse aus der Familiengeschichte, auf bestimmte Klöster mit ihren Familiengräbern, die zusammen mit den genereller familienorientierten Themen von Erbauseinandersetzungen, Legitimität der Ehe, Anerkennung der Söhne und Familiengründung den ausgeprägten lignage-Charakter dieser Texte ausmachten. Ancestral romances sind für sie deshalb eine spezifisch anglonormannische Variante der französischen Chansons de geste, deren typenbestimmende Familienthematik in den anglonormannischen Texten eine besondere Zuspitzung auf die Interessen historisch bezeugter Adelsfamilien erfahre. Mit dieser entstehungsgeschichtlichen wie thematisch-ideologischen Ausrichtung auf die Legitimationsbedürfnisse bestimmter englischer Adelsfamilien wären die Ancestral romance genannten anglonormannischen Romane signifikante Beispiele für die besondere Rolle, die Adelsfamilien mit ihrem spezifischen Selbstverständnis bei der Entstehung volkssprachiger Texte haben können. Diese Sicht hat sich allerdings in der Forschungsdiskussion nicht durchsetzen können. 194 Zu wenig gesichert sind die historischen Beziehungen der meisten Texte zu den jeweils vermuteten Adelsfamilien, und zu wenig spezifisch ist ihre Familienthematik. Dieses negative Ergebnis hinsichtlich des Typus Ancestral romance bedeutet jedoch nicht, daß damit zugleich die Frage nach einer möglichen Beteili194

Zur Kritik an der vermuteten Familienbindung der von Dominica Legge Ancestral Romances genannten Texte vgl. vor allem Dannenbaum, Anglo-Norman Romances.



gung anglonormannischer Adelsfamilien an der Entstehung bestimmter familienbezogener literarischer Texte hinfällig ist. Denn auch einer kritischen Uberprüfung von Dominica Legges Prämissen halten zumindest zwei Texte stand, die auf sehr unterschiedliche Weise mit der Vita ihres Protagonisten zugleich eine Art Geschichte einer historischen Adelsfamilie vermitteln: die >Histoire de Guillaume le MarechalPeter von Staufenberg< die elsässische Adelsfamilie Diemeringen an die unglückliche Liebesgeschichte ihres Vorfahren Peter von Staufenberg. Und mit dem >Wilhelm von Österreich< bezieht Johann von Würzburg das österreichische Herzogshaus auf die Liebeshandlung des österreichischen Herzogssohnes Wilhelm und der heidnischen Königstochter Aglye. Daß sich im Spätmittelalter fiktionale Geschlechtermythologie auch auf bereits ausgestorbene Adelshäuser beziehen kann, zeigt schließlich der nach 1314 entstandene Roman >Friedrich von Schwaben^ der nach Klaus Grafs Untersuchungen199 mit den wunderbaren Erlösungs- und Liebesabenteuern des schwäbischen Herzogs Friedrich an das staufische Geschlecht der Herzöge von Schwaben erinnert, dabei das mit Konradins Hinrichtung im Jahre 1268 erfolgte Aussterben dieser staufischen Schwabenherzöge überspielt und ihr Ansehen auf die >Nachfolger< im lant Schwaben überträgt. Der dynastische Bezug, eine in spätmittelalterlichen Texten beliebte Spielart der Historisierung der literarischen Darstellung, ist bei den geschlechtermythologischen Romanen sehr deutlich ausgeprägt. Ob allerdings die im Unterschied zu den Ancestral romances explizite Anbindung der Geschichte an eine historische Familie ihre Charakterisierung als >Familientexte< erlaubt, ist schon weniger deutlich. Die Forschung ist im Falle der geschlechtermythologischen Romane mit guten Gründen gegenüber spezifisch familienhistorischen Überlegungen eher zurückhaltend. Sie betont den romanhaft-fiktionalen Charakter des Familienbezugs, der über eine generelle Verherrlichung der mythologischen Ursprünge der angesprochenen Familie nicht hinausgehe, jedenfalls in der Regel keine

197

Vgl. dazu den Überblick bei Lecouteux, Melusine, und Kolb, Schwanrittersage als U r sprungsmythos. 198 Z u r Lusignan-Relation dieser Texte vgl. die umfängliche historische Einleitung von Eleanor Roach zu ihrer Neuausgabe des Coudrette-Textes, S. 2 1 - 5 2 . 199 Graf, Genealogisches Herkommen.

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konkretere Filiation von literarischem Text und spezifischen Interessen der Familien erkennen lasse. Die literarhistorische Diskussion im Umkreis des Themas Adelsfamilie und mittelalterliche Literatur bietet demnach ein merkwürdig unausgewogenes Bild von extensiver familien- und verwandtschaftshistorischer Textinterpretation und eher verhaltenen Explorationen des historischen Umfelds der Beziehung von Adelsfamilie und Literatur. Methodisch basiert sie auf der Uberzeugung von der überragenden Bedeutung des Prozesses der Herausbildung der mittelalterlichen Adelsgeschlechter, der alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringe, dementsprechend auch ganz wesentlich an der Entstehung der höfischen Dichtung Anteil habe und diese in ihrer thematischen Ausgestaltung wie funktionsgeschichtlichen Ausrichtung bestimme. Während jedoch in den letzten Jahren das thematischideologische Familienspektrum der mittelalterlichen Literatur in einer Vielfalt differenzierter Entzifferung der möglichen familienhistorischen Implikationen von literarischen Themen, Figurenkonstellationen und Erzählsequenzen voll ausgeleuchtet worden ist, liegt die historische Seite des Familienbezugs höfischer Literatur noch weitgehend im Dunkeln. Es fehlt eine systematische Durchsicht der Quellen auf die Entstehung volkssprachiger Texte im engeren Umkreis von Adelsfamilien, eine weiter ausgreifende literarhistorische Diskussion der möglichen Formen der Teilhabe mittelalterlicher Adelsfamilien am >Literaturbetrieb< und schließlich auch eine Art typologischer Überblick über die Spannbreite der literarischen Thematisierungsmöglichkeiten der Geschichte historischer Adelsfamilien. Nur wenige Text- und Problembereiche - die adelige Hausüberlieferung, die Ancestral romances oder die geschlechtermythologischen Romane - haben überhaupt die Aufmerksamkeit der Literargeschichte als Beispiele literarischer Traditionsbildung im Umkreis historischer Adelsfamilien gefunden; allerdings noch ohne überzeugende Ergebnisse, so daß der literarhistorischen Diskussion keine gesicherten Zeugnisse für die Entstehung literarischer Texte im Umkreis einer Adelsfamilie, d.h. aber auch keinerlei Modellfälle für das komplizierte Geflecht von Geschlechtsbewußtsein einer adeligen Familie, Autorintention und Publikumsinteressen vorliegen und wir deshalb auf eher unbefriedigende generelle Vermutungen über den Zusammenhang der Konstitution der Adelsgeschlechter, ihres Familienwissens und der höfischen Literaturinteressen angewiesen sind. Diese Unausgewogenheit der literarhistorischen Argumentation tangiert allerdings zugleich die Evidenz der gerade in den letzten Jahren favorisierten familienideologischen Textinterpretation, die mehr oder weniger intensiv auf die Geschichte der Adelsfamilie

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ausgreift und dabei ein breit ausdifferenziertes familienhistorisches Verständnis der höfischen Literatur entwirft, ohne nach den historischen Grundlagen des Verhältnisses von Adelsfamilie und Literatur im Bereich der Textentstehung und der möglichen thematischen Filiationen zu historischen Adelsfamilien zu fragen.

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II. Die historische Adelsfamilie und die Literarisierung ihrer Geschichte

i. Adel und Stifterchronik: zur historischen Problematik Während Karl Hauck 1 mit seinen um den Begriff der adeligen Hausüberlieferung zentrierten Überlegungen zum sippen- und hausgebundenen Charakter mittelalterlicher Adelsdichtung von eher problematischen historischen Rekonstruktionen und thematisch-ideologischen Spekulationen ausgeht, bietet die in den Jahren 1964/65 unter dem Titel »Adel und Stifterchronik« erschienene Arbeit von Hans Patze der Erforschung des Verhältnisses von Adelsfamilie und Literatur eine vorzügliche historische Basis. Unter dem Terminus Stifterchronik sind hier historiographische Werke des 11. bis 14. Jhs. unterschiedlichster Provenienz zusammengestellt, die in den Quellen und historischen Handbüchern als Genealogien, Viten, Annalen, Chroniken oder Klostergründungsgeschichten firmieren, aber gleichermaßen dem Dynastenadel, der Geschichte seines Hauses und seiner Herrschaft einen besonderen Platz einräumen und deshalb für Hans Patze - entsprechend dem Untertitel seiner Arbeit - als »Frühformen territorialer Geschichtsschreibung« auf signifikante Weise das Zusammenwirken von Dynastenfamilie und Hauskloster bei der Ausbildung fürstlicher Landesherrschaft dokumentieren. Das Textcorpus dieser Stifterchroniken ist weit gespannt. Hans Patze unterscheidet grob die Gruppen Klosterchronistik und Landesgeschichtsschreibung. Im ersten Teil seiner Arbeit sind jedenfalls zahlreiche Klosterchroniken versammelt, die seit dem 11. Jh. - zunächst im Umkreis der Hirsauer Reform, später auch weiter ausgreifend in Augustinerchorherrenstiften - neben den das Kloster betreffenden Ereignissen auch detaillierte Informationen über die Familie der Stifter bieten: etwa - sein frühestes Zeugnis - das >Chronicon Eberspergense< (I, S. 66f.) mit den Familiennachrichten über die Grafen von Ebersberg, die Formbacher >Genealogia fundatorum< (I, S. 3 3 f.), die Reinhardsbrunner Aufzeichnungen über die Ludowinger (I, S. 3 5-40), die Pegauer Biographie des Wiprecht von Groitzsch (I, S. 40-43), die Gosecker Geschichte der Pfalzgrafen von 1

Hauck, Haus- und sippengebundene Literatur.

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Sachsen (I, S.43f.), die Genealogien der Babenberger in der Heiligenkreuzer und Klosterneuburger Chronistik (I, S. 7of.) oder die der Kuenringer in den Zwettler Aufzeichnungen des 14. Jhs. (I, S. 71 f.)· Diese Texte entstammen als Teile von Formular- und Traditionsbüchern, Klosterannalen und Biographien den verschiedensten historischen Aufzeichnungen und sind bislang noch nicht in dieser Form zusammengestellt worden. Hans Patze betont jedoch, daß ihre Autoren auf die zunehmende Bedeutung der Dynastenfamilie nicht nur für das einzelne (Haus-) Kloster, sondern auch für den auf einer durchgebildeten Schriftlichkeit basierenden Ausbau der Landesherrschaft reagieren und deshalb in den unterschiedlichsten historiographischen Kontexten die Adelsfamilie zu einem zentralen Gegenstand ihrer historischen Bemühungen machen. Der zweite Teil bietet hingegen die bekannten großangelegten landesgeschichtlichen Darstellungen fürstlicher Herrschaft, die von vorneherein die Fürstenfamilie ins Zentrum des Interesses rücken: zunächst die vornehmlich im Nordwesten des Reichs, in Flandern, Brabant und Hennegau entstandenen Werke Walthers von Therouanne (II, S. 69-72) und Galberts von Brügge über die Ermordung des flandrischen Grafen Karls des Guten (II, S. 72-79), Lamberts von Ardres Geschichte der Grafen von Guines (II, S. 79-87), Gisleberts von Möns >Chronicon Hanoniense< (II, S. 88-97) u n d Melis Stokes mittelniederländische >Rijmkroniek< über die Herrschaftsgeschichte der Grafen von Holland (II, S. 101), aber auch die >Historia Welforum< (II, S. 109-114) mit ihrer Hausgeschichte der süddeutschen Weifen und die für die Söhne Hz. Albrechts von Braunschweig-Lüneburg bestimmte volkssprachige >Braunschweigische Reimchronik< (II, S. 105-108) mit der Familiengeschichte der sächsischen Weifen. Zwar haben diese Texte wegen ihrer detaillierten rechts-, kultur- und bildungsgeschichtlichen Informationen schon immer das besondere Interesse der Historiker gefunden, als eigene Gruppe sind allerdings auch sie bislang noch nicht zusammengestellt worden. Hans Patze lenkt hingegen den Blick auf ihre dynastengeschichtlichen Partien und rückt sie unter diesem Gesichtspunkt in die Nähe jener Klosterchroniken, die in reduzierter Form das böten, was hier elaboriert präsentiert werde: Herrschaftsgeschichte als Dynastengeschichte. Der Begriff Stifterchronik paßt eigentlich nur für die erste Gruppe, denn er bezieht sich auf die Entstehung der Texte in den der jeweiligen Adelsfamilie nahestehenden Klöstern bzw. Stiften, die die Nachrichten über ihre Gründung, Rechts- und Besitzverhältnisse und wirtschaftliche Entwicklung mit Aufzeichnungen über die Herkunft, Verwandtschaft und Taten ihrer adeligen Förderer verbinden und dabei in Einzelfällen sogar ausgreifende Dynastengeschichten hervorbringen können. Ausgangs-

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punkt und Zentrum der literarischen Fixierung adeliger Familiengeschichte ist hier aber in jedem Falle das Kloster bzw. das Stift mit seinen spezifischen Interessen. Dies gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die Gruppe der landesgeschichtlichen Werke. A u c h diese Texte mögen zwar wie Galberts von Brügge >Passio Karoli comitis< oder die >Braunschweigische Reimchronik< - in einem dem jeweiligen Fürstengeschlecht nahestehenden Stift entstanden sein,2 der Blick der Chronisten ist jedoch weniger vom Stift geprägt als auf die Darstellung der Herrschaft des Fürsten und auf die Geschichte seines Geschlechts ausgerichtet. N o c h deutlicher wird die Distanz dieser Texte zur dynastischen Klosterhistoriographie, wenn wie im Falle des >Chronicon Hanoniense< oder der >Rijmkroniek< des Melis Stoke, evtl. auch der >Historia Welforum< - die Autoren der fürstlichen Kanzlei angehören 3 und sie die Herrschaftsgeschichte der Fürstenfamilie aus der Perspektive des fürstlichen Verwaltungsbeamten entwerfen. 4 Für Hans Patze überwiegen jedoch die Gemeinsamkeiten, denn in beiden Fällen konzentrierten sich die Chronisten - die Autoren der Klosterchroniken nur weniger dezidiert und systematisch als etwa Galbert von Brügge oder der Braunschweiger Reimchronist - auf verfassungs- und sozialgeschichtliche Probleme, die sie jeweils an der Geschichte der Dynastenfamilie demonstrierten: die Klosterhistoriographie eher in genealogischen Notizen oder kürzeren Exkursen zur Stifterfamilie, die ausgreifenden Dynastengeschichten hingegen als explizite Verbindung von Landes- und Familiengeschichte. Dabei bedienten sich die Autoren in beiden Fällen des mündlich oder sogar schriftlich tradierten Familienwissens der Adelshäuser und dokumentierten auf diese Weise Bedeutung wie Selbstbewußtsein der mittelalterlichen Adelsgeschlechter. Jedenfalls zeichne sich in beiden Textgruppen der seit dem 11. Jh. zu beobachtende rasante Aufstieg der mittelalterlichen Adelsgeschlechter ab, die sich in ihrer gesellschaftlichen wie kulturellen Dominanz nicht nur ihren schreibenden KanzleibeGalbert ist ein Geistlicher der Kollegiatkirche St. Donatian in Brügge, der zugleich notarius der Grafen v o n Flandern war; vgl. M. Ryckaert, Galbert v o n Brügge, in: L M a I V (1988), Sp. i o 8 i f . Im Braunschweigischen Reimchronisten wird ein Angehöriger des Braunschweiger St. Blasiusstifts gesehen. 3 Gislebert v o n M ö n s ist als Kapellan und Kanzler des Grafen Balduin V . v o n Hennegau bezeugt; vgl. T h . de Hemptinne, Giselbert von M ö n s , in: L M a I V (1988), Sp. 1467t., Melis Stoke als Kleriker in Diensten Graf Johanns II., später Wilhelms III. v o n Holland; vgl. J. W . J. Burgers, D e loopbaan van de Klerk Melis Stoke, in: Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden 188 (1993), S. 20-27, und in dem ungenannten Chronisten der >Historia Welforum< wird ein Hofgeistlicher H e r z o g Welfs V I . gesehen; vgl. O . G . Oexle, Historia W e l f o r u m , in: L M a V (1990), Sp.44f.

2

4

A m deutlichsten zeigt sich dies in den auf die Weifen bezogenen nos- b z w . nostn- F o r m u lierungen der >Historia Welforumeigentlichen< Stifterchroniken, jene in klösterliche Traditionsbücher und Gründungsgeschichten eingebundenen Familiennachrichten adeliger Geschlechter, die zwar ein deutliches 5

Bumke, Mäzene im Mittelalter, S. 4 4 - 5 3 .

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Interesse an adeliger Familiengeschichte dokumentieren, aber keine Verbindung zu späteren Zentren adeliger Literatur aufweisen, dann die in den Hausklöstern entstandenen Genealogien und kurzen Haus- und Herrschaftsgeschichten, die - wie die Babenberger Genealogien, die >Genealogia WelforumHistoria brevis principum Thuringiae< oder die >Genealogia Wettinorum< - den bedeutenden landesfürstlichen Familien und späteren Mäzenen der höfischen Literatur gelten, und schließlich jene wenigen Texte, die - wie die >Historia Welforum< oder die >Vita Ludovici IV.< - bereits das Hauskloster verlassen und am Fürstenhof und damit im Umfeld der sog. höfischen Dichtung entstehen. Bei dieser Gruppierung der Texte gewinnt die Adelsfamilie sowohl qualitativ als Thema zunehmend an Gewicht als auch entstehungsgeschichtlich immer mehr an Einfluß, bis die dynastische Geschichtsschreibung um die Wende des 12. Jhs. in den Literaturbetrieb der Fürstenhöfe und damit auch in die literarischen und ideologischen Interessen der Fürstenfamilie integriert erscheint. Dadurch wäre zugleich entstehungsgeschichtlich wie thematisch-ideologisch eine Brücke geschlagen zur volkssprachigen Literatur, die in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. an denselben Höfen, d.h. für jene Dynastenfamilien verfaßt worden ist, die offensichtlich ein ausgeprägtes Herkunfts- und Geschlechtsbewußtsein pflegten, ambitionierte Formen der Literarisierung ihres Familienwissens unterstützten und zugleich an den verschiedensten Sparten höfischer Unterhaltungsdichtung Gefallen fanden. Auch die volkssprachige Literatur der Fürstenhöfe würde im Kontext einer von der Fürstenfamilie geförderten dynastischen Geschichtsschreibung ein besonderes Profil erhalten: als eine höfische Unterhaltungsdichtung, die im näheren Umkreis historischer Bemühungen um die Rekonstruktion der glänzenden Familiengeschichte des herrschenden Fürstengeschlechts entsteht, zwar weniger direkt als diese genealogischen Rekonstruktionen, aber wohl ebenso wirkungsvoll auf den Geschlechterstolz ihrer Gönner ausgerichtet ist und - bei allen Unterschieden - im ganzen möglicherweise von vergleichbaren literarischen und dynastischen Interessen ihres Publikums getragen ist wie die lateinischen Genealogien. Diese Sichtweise würde der Adelsfamilie, genauer der Dynastengeschichte als Herrschafts- und Bewußtseinsfaktor eine überragende Bedeutung für die Entstehung eines lateinischen und volkssprachigen Literaturbetriebs im Umkreis der Fürstenhöfe zuweisen. Die Fürstenfamilie in ihrer Herrschaftspraxis wäre die zentrale Instanz, deren Residenz und Verwaltungszentrale zum sozialen Ort der literarischen Produktion und Rezeption wird, deren Familienwissen, Geschlechterbewußtsein und Repräsentationsbedürfnis die literarischen Texte bestim79

men: als lateinische Genealogie, Biographie und Hausgeschichte, aber auch - wenn auch weniger explizit - als volkssprachiger Fürstenpreis, höfischer Geschichts- und Abenteuerroman und als Minnedichtung. Ähnlich argumentiert Georges Duby,6 der in seinen Arbeiten zur mittelalterlichen Adelsgesellschaft immer wieder den überragenden Quellenwert der lateinischen Genealogien betont, die geradezu symptomatisch mit ihrem Einsetzen im 10. Jh., mit Witgers Genealogie des Grafen Arnold von Flandern, das Herauslösen der Adelsgeschlechter dokumentierten, mit den sich anschließenden Genealogien deren Aufstieg zu den großen Dynastenfamilien begleiteten und in ihrem komplizierten Zusammenspiel von historischer Faktizität und genealogischer Spekulation zugleich deren gesellschaftliche Stellung, interne Struktur, Bewußtwerdung und Gesellschaftserfahrungen als lignage spiegelten. Auch bei ihm rücken die Genealogien als hervorragende »representations mentales«7 der gesellschaftlichen Dominanz und des dynastischen Selbstverständnisses der großen Adelsgeschlechter entstehungsgeschichtlich wie ideologisch in die Nähe der volkssprachigen Literatur der Fürstenhöfe. Sie dokumentierten wie diese eindrucksvoll den Aufstieg einzelner Adelsfamilien zum mächtigen Dynastengeschlecht, zur Landesherrschaft, zum landesfürstlichen Selbstverständnis und repräsentativen literarischen Mäzenatentum. In der Adelsfamilie, der Duby ohnehin eine überragende Rolle als Initiator wie Seismograph aller gesellschaftlichen Entwicklungen des Mittelalters zuweist, laufen jedenfalls alle Fäden zusammen. Sie wird - entsprechend ihrer zunehmenden Bedeutung und Bewußtwerdung als mächtiger lignage zum Thema historiographischer Bemühungen, die im Rekurs auf die Geschichte des eigenen Geschlechts ihrem Ahnenstolz, ihrem Geschlechtsbewußtsein und ihren gesellschaftlichen Ambitionen Ausdruck verleihen, aber doch auch im Umkreis des Fürstenhofs bald durch weiter ausgreifende historische und fiktionale, lateinische und volkssprachige Texte ergänzt und abgelöst werden. Die Genealogien fungieren in ihrem direkten Familienbezug gleichsam als historische Vorstufe wie thematisch-ideologische Basis der am Fürstenhof entstandenen und von den literarischen Interessen der Dynastenfamilie getragenen Literatur. Dieses Bild von den lateinischen Genealogien in ihrer Ausrichtung auf das Selbstverständnis der Dynastenfamilien wie auch auf den Literaturbe-

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A m deutlichsten in dem frühen Aufsatz: Remarques; vgl. aber auch ders., Structures familiales dans le Moyen Age; ders., Structures familiales aristocratiques, und neuerdings Spiegel, Genealogy. Remarques, S. 288.

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trieb des Fürstenhofs, das bereits Reto R. Bezzolas 8 großangelegte Literaturgeschichte der Fürstenhöfe v o m 8 . b i s 1 2 . J h . vermittelt und in den letzten Jahren in familiengeschichtlich orientierten literarhistorischen Arbeiten9 forciert ausgestaltet wird, ist allerdings in der historischen Forschung inzwischen wieder problematisiert worden. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Diskussion um Hans Patzes eindrucksvolle Textreihe von Stifterchroniken, die inzwischen in wesentlichen Punkten - z.T. auch von ihm selbst - korrigiert worden ist. Die zunächst an einzelnen Beispielen explizierte, bald auch genereller formulierte Kritik zielt auf die für die Bestimmung von Stifterchroniken entscheidende Vorstellung, daß die mittelalterlichen Autoren sich - der wachsenden Bedeutung der Adelsfamilien entsprechend - zunehmend auf die Dynastenfamilie, auf die Vermittlung genealogischer Kenntnisse konzentrierten und dabei der Förderung, wenn nicht gar Mitwirkung der betreffenden Adelsfamilien sicher sein konnten. Gegen diese Vorstellung von den genuin familienhistorischen Interessen der Chronisten, von ihren vornehmlich auf die Dynastenfamilie ausgerichteten genealogischen Aufzeichnungen wird die strikte Zweckbindung der in den meisten Fällen gerade nicht von den Wünschen der Dynastenfamilien geleiteten Familiennachrichten der Stifterchroniken betont. So demonstriert Jörg Kastner 10 an einer Reihe von Patzes Beispielen für ausgeprägte Stifterchroniken - an der Zwifaltener, der Scheyerner, 11 der Ebersberger und der Zwettler Chronistik - , wie sehr die Familiennotizen jeweils der Zweckbestimmung der Texte untergeordnet sind, im Falle der Fundationes etwa die genealogischen Erörterungen der juristisch-besitzgeschichtlichen Argumentation dienen, das Dynastengeschlecht an seine Pflichten gegenüber dem Kloster erinnern, jedenfalls nicht um seiner selbst willen preisen. Als Reaktion darauf hat Hans Patze 12 im Jahre 1977 seine Überlegungen zur familiengeschichtlichen Aus-

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Bezzola, Origines. So etwa Bloch, Etymologies, der - im Anschluß an Georges D u b y - ganz selbstverständlich die Familienhistoriographie adeliger Stifterchroniken in einer mentalitätsgeschichtlichen wie literarischen Engführung mit der höfischen Romanliteratur sieht und als Verstehensangebot für die volkssprachige Dichtung wertet, ohne freilich die historischen Verhältnisse im einzelnen zu erörtern. A m bündigsten formuliert dies Czerwinski, Gegenwärtigkeit: »Stifterchronik und höfisches Epos erweisen sich derart als Zweige einer Tradition adliger Familien- und Hausüberlieferung« (S. 286). Kastner, Historiae fundationum, S. 3 1 - 3 4 ; 49-52; 1 3 3 - 1 4 9 . Den »gegenwartsrelevanten Zweck« der genealogischen Passagen dieser Chronik betont neuerdings, gegen Patze, auch Ferdinand Kramer, Geschichtsschreibung zwischen Rückbesinnung auf Hirsauer Tradition und adeligem Machtanspruch. Eine quellenkritische Studie zur Scheyerner Chronik, in: Z f b L g . 5 7 ( 1 9 9 4 ) , S. 3 5 1 - 3 8 1 , hier S. 3 78 f. Patze, Klostergründung, S. 102 ff.

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richtung der Stifterchronik korrigiert und vermerkt, daß in vielen Fällen die mit Familienchroniken versetzte Gründungsgeschichte eines Klosters nur scheinbar eine Stifterchronik, in Wirklichkeit eher ein »Urkundenersatz« (S. 106), eine Rechtssicherung und die Familiengeschichte dabei eine Art Beweismittel sei, das nicht unbedingt auf das Geschlechtsbewußtsein der Stifterfamilie verweise. Gerd Althoff führt diese familienkritische Argumentation - wenn auch weniger auf Patzes Stifterchroniken als auf das Konzept der adeligen Hausüberlieferung bezogen 15 - weiter. Auch er sieht in der Zweckbestimmung der Texte das entscheidende Kriterium für unser Verständnis der genealogischen Aufzeichnungen und insistiert auf den >Anlaß< ihrer Entstehung, der erst darüber Aufschluß gebe, ob die Familiennachrichten der mittelalterlichen Quellen auf mündliche oder schriftliche Familientraditionen bezogen sind und dann tatsächlich als (Selbst-) Zeugnisse adeligen Geschlechterbewußtseins gelten können, oder ob sie zielgerichtete Informationen, etwa Argumente in hoheits-, besitz-, erb- oder eherechtlichen Fragen sind und dann zwar Ansehen und Stellung des Adelsgeschlechts beleuchten, aber nicht unbedingt auch sein dynastisches Selbstverständnis. Er demonstriert dies an verschiedenen Fallbeispielen, an den Viten Mathildes, der Gemahlin König Heinrichs I., 14 und an Hrotsviths historischen Werken, den >Gesta Ottonis< wie auch der >Primordia coenobii GandeshemensisFürstenbuch< und der sächsischen Weifen in der >Braunschweigischen ReimchronikSächsische WeltchronikGandersheimer Reimchronik< des Priesters Eberhard In den Jahren 1 2 1 6 bis 1218 verfaßt ein Geistlicher namens Eberhard eine rund 2000 Verse umfassende volkssprachige Reimchronik des Kanonissenstifts Gandersheim, die sog. >Gandersheimer ReimchronikSächsische Weltchronik< und vor der >Braunschweigischen ReimchronikDe fundatione Ganderheimensis ecclesiaePrimordia coenobii Gandeshemensis< die Geschichte und Rechtsverhältnisse des liudolfingischen Reichsstifts bietet (S. 248). Z u diesem in den Quellen comes oder dux orientalis Saxonum genannten Liudolf vgl. Glocker, Verwandte der Ottonen, S. 2 5 4 - 2 5 7 . Erst für die Söhne Brun und Otto ist offenbar der Herzogtitel sicher bezeugt.

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Brunshausen, dann över der Gande (V. 401) ein Kloster stiftet,4 bei Papst Sergius II. seine Befreiung von jeder bischöflichen Herrschaft5 sowie die Überreichung der Gebeine der heiligen Päpste Anastasius I. und Innozenz I. (Kap. 5) erreicht, mit den beiden Söhnen Brun und Otto bei König Ludwig eine Bestätigung der Reichsunmittelbarkeit erhält6 und drei der vier Töchter - Hathumod, Gerberga und Christina (Kap. 6) - zu Äbtissinnen des neu gegründeten Familienstifts bestimmt. Aber auch die vierte Tochter, Liudgard, setzt sich für die liudolfingische Neugründung ein: als Ehefrau König Ludwigs d. J. betätigt sie sich für Gandersheim sogar als >Diebin< der Hl. Blutreliquie (Kap. 11) und überredet ihren königlichen Gemahl zu großzügigen Schenkungen an das Stift.7 Diese Verbundenheit der Liudolfinger mit ihrer Familiengründung, in der das Stifterpaar und ihr Sohn, Herzog Otto der Erlauchte, begraben sind, begleitet nach der Darstellung des Chronisten auch die weitere Geschichte des Stifts und führt auf beiden Seiten zu großen Erfolgen. Auch nach dem Tode des Gründers profitiert Gandersheim von reichlichen Zuwendungen der Stifterin Oda, von der Bautätigkeit ihres Sohnes Herzog Otto, erhält durch die Vermittlung der Gemahlin Kaiser Arnulfs, einer Verwandten Odas, von Arnulf die in Rom vom Papst überreichte Reliquie einer Kreuzpartikel (Kap. 15), eine urkundliche Bestätigung der bisherigen königlichen Privilegien8 und - als Seelgerätstiftung für seine Ahnen weitere königliche Schenkungen am Niederrhein.9 Die Liudolfinger wiederum erreichen im Jahre 919 mit Ottos des Erlauchten Sohn Heinrich die 4

So stellt sich die Abfolge von Gründung und nachträglicher Verlagerung in der Gandersheimer Uberlieferung dar. Goetting, Bistum Hildesheim, geht allerdings davon aus, daß Gandersheim von Anfang an an der heutigen Stelle geplant gewesen sei, die Frauen aber bis zur Fertigstellung der Stiftsgebäude im Benediktinerkloster Brunshausen untergebracht gewesen seien (S. 76ff.). 5 Es heißt hier programmatisch: dat et iemer fri unde ledich were / von allen heren, de biscbopdome gewalden; / wen alleine de stol to Rome scbölde behalden / de geistliken gewalt över sin stiebte (Vv. 310-313); vgl. dazu Goetting, Bistum Hildesheim, S. 81 f. 6 Gandersem leten se dar an dat rike / to neimen satten denste mere, / wen dat et an des rikes besebermnisse were, / so men noch an den hantfesten mach sein, / de neine lögene danne de warheit jein. / seit, alsüs is Gandersem an dat rike komen, / dat eme darna to eren quam unde to vromen (Vv. 454-460). Gemeint sind wohl die Diplome König Ludwigs d. J. des Jahres 877; vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 79 und 83. 7 michelgot sines egens gaf he aldare: / (...)/ von könichliker wait gaf he ok deme stiebte, / dat dar neimant över enhedde werltlik gerichte, / wen dat et de ebdische selven beide, / de tho der ebdige mit rechte gewelde (Vv. 656-670). Gemeint sind wohl die von Goetting, Bistum Hildesheim, S. 83, aufgeführten Reichsgutschenkungen. 8 deme stiebte bestedigede he ok al dat got, / dat sin vedere vor eme dar gegeven hade (V. 822f.). 9 Vv. 825 ff.; zu diesen Schenkungen Kaiser Arnulfs vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S.84.

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Königswürde, die der neu gewählte König weniger auf seine eigenen Qualitäten zurückführt als auf die vilgrote(n) bilge(n) werdicheit (V. 1462), die sich seine Vorfahren durch die Stiftung und Förderung von Gandersheim erworben hätten. Auch er erweist dieser Familiengründung sein vederlik gemöde (V. 1454), indem er die Schenkungen seines Vaters bestätigt,10 ebenso wie sein Sohn Otto I., der Gandersheim ein päpstliches Schutzprivileg erwirbt" und in einer Handfeste die bisherigen königlichen Güterschenkungen zusammenstellen läßt.12 Auch in den folgenden Jahren stehen Töchter der Liudolfinger als Äbtissinnen an der Spitze des Stifts, ja sie betreten sogar in Eberhards Bericht zunehmend die Bühne des Geschehens, wie Gerberga II., die Nichte Ottos I., die sich als Schwester des gegen Otto II. rebellierenden bayerischen Herzogs Heinrich des Zänkers auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen sogar dem - natürlich unberechtigten - Mißtrauen des Königs ausgesetzt sieht (Kap. 36), oder Sophia, die Tochter Ottos II., die gegen den Widerstand ihrer das ottonische Familienstift Quedlinburg bevorzugenden Mutter vom königlichen Vater zur Erziehung nach Gandersheim gegeben wird (Kap. 37), nach dem Tode Ottos II. zur Unterstützung ihres Bruders Otto III. von ihrer Residenzpflicht im Stift entbunden wird (Kap. 39), aber nach dem Tode der Äbtissin Gerberga - mit königlichen Ehren - als Äbtissin wieder nach Gandersheim zurückkehrt (Kap. 40) und sich wie ihre beiden Vorgängerinnen Wendeigard und Gerberga für die Reichsunmittelbarkeit des Stifts einsetzt. Während diese sich erfolgreich um eine päpstliche Bestätigung der >Freiheit< ihres Stifts bemüht haben,13 beginnt Sophia - nach Eberhards verschleiernder Darstellung des Gesche10

wente alle dat egen, dat de vader sin /gode darafto denende dar gegeven hede, / datleithe allet bliven vast unde stede (Vv. 1 4 5 7 - 1 4 5 9 ) . " got heft ok eme dat herte gegeven. / dat he Gandersem vor Unrechter gewalt behode (Vv. 1529f.). Gemeint ist damit wohl das V v . 1624H. erwähnte Schutzprivileg (vgl. Anm. 13), das Otto I. in der Regierungszeit der Äbtissin Wendeigard im Jahre 948 bei Papst Agapit II. erwirkt hat; vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 8 5 f. 11 trüwelike droch he darto vaderliken mot, / mit hantvesten bestedigede he eme alle dat got, / dat de könige vor eme dar gegeven haden (Vv. 1 5 3 2 - 1 5 3 5 ) . Gemeint ist wohl das große Bestätigungsdiplom Ottos I. von 956; vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 86. 13

Unter Wendeigard erhält Gandersheim das von Otto I. bei Papst Agapit II. erwirkte Schutzprivileg (vgl. Anm. 11), das der Gandersheimer Chronist als Leistung der Äbtissin sieht: orkünde heft men doch des, er denne se störve, / dat se to Rome eine hantfesten erwörve, / darinne de vriheit to Gandersem is bekant, / von einem pawes, de was Agapitus genant (Vv. 1 6 2 4 - 1 6 2 7 ) . Und Gerberga II. erreicht im Jahre 968 ein von Otto I. und Otto II. auf der großen Weihnachtssynode zu Rom von Papst Johann XIII. erwirktes Schutzprivileg: unde wu vilseik de ebdische Gerborch were, / se gedachte doch wolan eres godeshuses ere. / von der vriheit erwarf se einen bref, hantveste genant, / von einem pawese, de was Johannes genant (Vv. 1 8 0 9 - 1 8 1 2 ) ; vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 86.

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hens im 41. Kapitel - im Jahre 1000 mit ihrer Weigerung, die Gandersheimer Stiftskirche weihen zu lassen, eine lange Auseinandersetzung um die Diözesanzugehörigkeit des Stifts, die als der sog. Gandersheimer Streit in die Forschung eingegangen ist14 und - im Jahre 1007 - mit der glanzvollen Weihe des Gandersheimer Münsters ihren vorläufigen Abschluß findet. Mit dem Hinweis auf diese prachtvolle Machtdemonstration der Äbtissin und König Heinrichs II. Ubergabe der Grafschaft Derneburg in die Hand der Äbtissin15 beendet Eberhard die Frühgeschichte des Stifts, die er ab V. 1912 - in einer Kombination von Vers und Prosa - in annalistischer Aufzählung der Namen und wichtigsten Lebens- bzw. Regierungsdaten und -fakten einerseits der deutschen Könige, andererseits der Gandersheimer Äbtissinnen bis in die Gegenwart zu Beginn des 13. Jhs. führt: die Könige von Ludwig dem Deutschen bis Friedrich II., die Gandersheimer Äbtissinnen von der Liudolferin Hathumod bis Mechthild I., der Tochter des Grafen Burchard I. von Wöltingerode-Wohldenberg, des Gandersheimer Hochvogts, die in ihrer Amtszeit erbitterte juristische Auseinandersetzungen ümme underdanicheit (V. 1930), d.h. um die Exemtion des Stifts, mit dem Hildesheimer Bischof Hartbert - hier wird erstmals der Gegenspieler genannt - ausgefochten, in dieser Angelegenheit in den Jahren 1205, 1206 und 1208 dreimal Rom aufgesucht, bei Papst Innozenz III. schließlich eine förmliche Bestätigung der alten Rechte der Exemtion von der bischöflichen Gewalt erhalten und zur Verdeutlichung dieser Unterstellung unter die Jurisdiktion des Papstes ihre Weihe durch den päpstlichen Legaten, den Kardinalbischof Guido von Praeneste, erreicht habe.16

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Zum sog. Gandersheimer Streit vgl. Goetting, Bistum Hildesheim, S. 89-93; Victor Bayer, Zur Geschichte des Gandersheimer Streites, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 16 (1876), S. 1 7 8 - 1 9 3 ; Perst, Kaisertochter Sophie; Gunter Wolf, Prinzessin Sophia ( 9 7 8 1039). Äbtissin von Gandersheim und Essen, £nkelin, Tochter und Schwester von Kaisern, in: Niedersächsisches Jahrbuch 61 (1989), S. 1 0 5 - 1 2 3 , hier S. 1 0 6 - 1 1 7 , und neuerdings Görich, Gandersheimer Streit, sowie Goetting, Bernward und der große Gandersheimer Streit, die beide die verschiedenen Etappen dieses vielschichtigen Verfahrensstreits zwischen den Diözesen Mainz und Hildesheim nachzeichnen. E r endet unter der Beteiligung Heinrichs II. mit einem >Sieg< der Diözese Hildesheim, der schließlich Gandersheim zugesprochen wird.

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Vgl. dazu die präzisierenden Erläuterungen Weilands, S. 388, Anm. 1. Die Ungewöhnlichkeit dieser Grafschaftsrechte (vgl. Perst, Kaisertochter Sophie, S. 30, sowie Goetting, Bistum Hildesheim, S. 92) wird in Eberhards Wortlaut deutlich: he gaf ok dar rike gift uncle herlik genoch: / dat was ein des rikes gravescbap, Derneborch genant, f dat de schölde sin ewichlike an der ebdischen bant - / dat spreket, dat se selven de gravescbap bebelde - / de dar to Gandersem der ebdige geweide (Vv. 1 9 1 2 - 1 9 1 6 ) .



V v . 1 9 2 5 - 1 9 3 9 ; zur Geschichte dieser Auseinandersetzungen um die Exemtion des Stifts vgl. Hans Goetting, Gandersheim und Rom. Die Entwicklung der kirchenrechtlichen Stellung des Reichsstifts Gandersheim und der große Exemtionsprozeß ( 1 2 0 3 - 1 2 0 8 ) . Mit

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Mit diesem juristischen Sieg der Gandersheimer Äbtissin beschließt der Chronist sein Werk: Sint von Gandersem enweit ek nicht mere (V. 1940). Er erbittet für seine leven vrouwen... / bi der herschap ek an dissem dichtende wende (Vv. i94if.) ein seliges Ende, für >uns< die Verbindung von >römischer< und himmlischer Freiheit und die Ausrichtung der Fürsten auf beständigen Frieden. In einem Nachtrag von acht Versen wird schließlich noch einem potentiellen Publikum von vrouwen, leien ederpapen (V. 1949), dem das Berichtete nicht gefalle, die Möglichkeit einer Korrektur disserrede (V. 1950) eröffnet. Daß die am Ende der >Gandersheimer Reimchronik< direkt angesprochenen juristischen Auseinandersetzungen des Stifts mit dem Hildesheimer Bischof um die Freiheit Gandersheims von der bischöflichen Jurisdiktion ganz entscheidend die Entstehung, thematische Ausrichtung und intendierte Wirkung des Textes bestimmen, ist in der Forschung schon immer gesehen worden. 17 Die wohl bereits im Jahr 1196 gewählte Äbtissin Mechthild I. von Wöltingerode, die Schwester der Stiftsvögte Graf Hermann I. und Heinrich I. von Wohldenberg,18 setzt zu Beginn des 13. Jhs. in einem Prozeß vor der Kurie eine im Sinne des Stifts positive juristische Klärung der Konflikte mit dem Diözesanbischof durch. Sie verweigert wie Sophia im Jahr 987 - ihre Weihe durch den Hildesheimer Bischof, läßt sie im Jahr 1203 von dem päpstlichen Legaten vollziehen, beantragt bei der Kurie einen förmlichen Rechtsentscheid aufgrund der Stiftsprivilegien und erreicht 1206 - nach einer Prüfung der Gandersheimer Urkunden durch die Kurie - als Bestätigung alter Rechtstitel des Stifts seine jurisdiktioneile Unterstellung unter die Kurie und damit die endgültige Exemtion von seinem Diözesanbischof. Sicher zu Recht wird in dem als Schreiber bzw. Diktator von drei in den Jahren 1204 bis 1216 ausgestellten Stiftsurkunden bezeugten Diakon und capellanus abbatisse Eberhard der Autor der >Gandersheimer Reimchronik< gesehen,1® der einige Jahre nach diesem für Gandersheim so erfolgreieinem Urkundenabdruck, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 51 (1953), S. 3 6 - 7 1 , sowie ders., Bistum Hildesheim, S . 9 8 - 1 0 2 . 17 Vgl. vor allem das Vorwort von Ludwig Wolff zu seiner Ausgabe, S. X I I - X I V ; Goetting, Bistum Hildesheim, S. 249; neuerdings Honemann, Eberhard von Gandersheim, Sp. 279t. 18 Zur Hochvogtei der beiden Brüder über Gandersheim bzw. zu ihrer Schwester Mechthild als Gandersheimer Äbtissin vgl. Wolfgang Petke, Die Grafen von WöltingerodeWohldenberg. Adelsherrschaft, Königtum und Landesherrschaft am Nordwestharz im 12. und 13. Jahrhundert, Hildesheim 1971 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 4), S. 7 7 - 8 3 (Hermann I.), S. 8 3 - 9 3 (Heinrich I.), S . 9 J - 9 7 (Mechthild). 19

Vgl. Wolff, S. XII; Goetting, Bistum Hildesheim, S. 395; Honemann, Eberhard von Gandersheim, Sp. 277.

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chen Prozeß im Umkreis und sicher in engem Kontakt mit der siegreichen Äbtissin, seiner leven vrouwen (V. 1941), in einer Geschichte des schon von der Gründerfamilie dem Papst unterstellten, reichsunmittelbaren Kanonissenstifts die von Mechthild erreichte endgültige juristische Ausgliederung aus der Diözese Hildesheim und damit auch die Politik seiner Äbtissin historisch beglaubigt und rechtfertigt: für die densthaft unde underdenich man (V. 82), die ungelarde(n) lüde (V. 83), die Ministerialen des Stifts, die von der strahlenden Geschichte dieses reichsunmittelbaren Stifts, dem erfolgreichen Zusammenwirken von Adel und Stift, seinen rechtlichen Ansprüchen hören und an vielen Stellen des Textes sehr direkt an die Freigebigkeit früherer Adelsgeschlechter erinnert werden.20 Tatsächlich konzentriert Eberhard seine Darstellung der Gandersheimer Frühgeschichte auf den in Handfesten dokumentierten Rechtsstatus eines von Anfang an reichsunmittelbaren Kanonissenstifts, das von der Gründerfamilie dem Papst und dem Reich unterstellt wird, im Laufe seiner Geschichte immer wieder päpstliche und königliche Bestätigungen seiner vriheit erhält, aufgrund dieser Reichsunmittelbarkeit in besonderer Weise an königlichen Schenkungen partizipiert21 und mit seinen einflußreichen liudolfingischen Äbtissinnen jeden Ubergriff auf die vriheit des Stifts abwehrt. Die Stifterfamilie, das Reich und der Papst erscheinen dabei als die Garanten seines wirtschaftlichen und geistlichen Gedeihens. Und da mit Heinrich I. die Nachkommen des Stifters Liudolf zum Königsgeschlecht aufsteigen, läßt sich die Geschichte dieses Stifts als ein gelungenes und für beide Seiten profitables Zusammenwirken von Fürstenbzw. Königsfamilie und Reichsstift vorstellen. Das Stift verdankt der Gründerfamilie seine ökonomische Basis, seinen wirtschaftlichen Aufstieg, die Vermittlung von königlichen und päpstlichen Privilegien, Stiftungen und Rechtsschutz; seinerseits bietet es als ein Familienstift, dessen Äbtissinnen der herzoglichen Gründerfamilie, seit Heinrich I. dem Königshaus entstammen, dieser Familie - wie Eberhard König Heinrich I. erkennen läßt22 - die geistliche Legitimation ihrer Königswürde und - wie 10

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A m deutlichsten in dem Exkurs V v . 836-846 über die früheren Wohltäter und jetzigen >Räuber< des Stifts, der das 15. Kapitel abschließt. Dies wird ausdrücklich am Beispiel der Schenkungen des Kaisers Arnulf demonstriert, dessen Gemahlin ihn zur Übergabe der Hl.-Kreuz-Reliquien an Gandersheim überredet: se reit, dat he et to Gandersem geve, / want et neiner underdanicheit enplege / in al der werlde neinem bischopdome, / wen alleine deme stole to Rome, / dar et de hertoge Ludolf gegeven hede (Vv. 8 1 3 - 8 1 7 ) . he bekande, dat et von siner döget nicht enwere, / dat he hedde entphangen de könichliken ere, / wen von der vilgroten hilgen werdicheit, / den sine vordheren to groter erwerdicheit/ dat kloster to Gandersem hadden gestichtet (Vv. 1460-1464). Diesen Gesichtspunkt der

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am Beispiel der Ä b t i s s i n n e n G e r b e r g a u n d S o p h i a deutlich w i r d 2 3 - tatkräftige politische U n t e r s t ü t z u n g . D i e >Gandersheimer Reimchronik< bietet demnach eine glanzvolle G e schichte des Familien- u n d Reichsstifts G a n d e r s h e i m , die mit ihrer f o r cierten Thematisierung v o n Rechtsfragen, Wirtschaftsaspekten u n d juristischen D o k u m e n t e n geradezu konsequent auf das E n d e des Textes, den siegreichen Rechtsstreit der Ä b t i s s i n M e c h t h i l d I. mit ihrem D i ö z e s a n b i schof z u B e g i n n des 1 3 . J h s . , zuläuft. G a n d e r s h e i m s s c h w i n d e n d e B e d e u tung neben den ottonischen G r ü n d u n g e n v o n Q u e d l i n b u r g , N o r d h a u s e n u n d d e m E r z b i s t u m M a g d e b u r g , seine seit d e m B e g i n n des 1 1 . J h s . z u n e h mende E n t f e r n u n g v o n der K ö n i g s d y n a s t i e hat d e m g e g e n ü b e r in der >Gandersheimer Reimchronik< k a u m Spuren hinterlassen. 2 4 U n d nur w e nige Partien des Textes, bestimmte B r ü c h e b z w . Leerstellen in der Darstellung, lassen v e r m u t e n , daß möglicherweise auch der spezifische R e c h t s status u n d damit die gesamte Vorgeschichte der Reichsunmittelbarkeit u n d E x e m t i o n des Stifts nicht ganz so u n k o m p l i z i e r t g e w e s e n ist, w i e E b e r h a r d mit seiner A b f o l g e v o n päpstlichen und königlichen E x e m tionsprivilegien, Seelgerätstiftungen, Reliquienschenkungen u n d G ü t e r übertragungen suggeriert. S o durchzieht den T e x t das T h e m a der unrech-

Verbindung von Klostergründung und dynastischer Erhöhung der Stifterfamilie betont auch Hrotsvith in ihrer Geschichte der Gründung Gandersheims, etwa in der Prophezeiungjohannes des Täufers an Aeda, die Ehefrau Billungs und Mutter Odas, über den Aufstieg des Gandersheimer Stiftergeschlechts in dem Gründungsgedicht >Primordia coenobii GandeshemensisGandersheimer Reimchronik< forcierte Bild eines seit seiner Gründung exemten Stifts und verdeutlicht damit die thematische Ausrichtung des Textes auf die Realisierung der durch den Prozeß erreichten endgültigen Herauslösung des Stifts aus dem Diözesanverband. Sie verzeichnet jedoch zugleich eklatant die in der historischen Forschung zur Gandersheimer Frühgeschichte betonten engen Beziehungen des Stifts zum Bischof von Hildesheim, 30 der durch Hergabe von Eigengut und bischöflichem Zehnten bereits ganz wesentlich an der Gründung mitwirkt, am Erwerb der Gebeine der hl. Päpste Anastasius I. und Innozenz I. beteiligt ist, ganz selbstverständlich die Stiftskirche weiht und die Ordination aller Äbtissinnen vollzieht, im 10. Jh. die liudolfingische Gründung sogar als eine Art bischöfliches Eigenkloster betrachtet. Demgegenüber bemüht sich offenbar die Stifterfamilie von Anfang an um die Reichsunmittelbarkeit ihres Stifts, erreicht im Jahre 877 bei König Ludwig d. J. Immunität, Königsschutz und das gegen ein bischöfliches Mitspracherecht gerichtete Vorrecht der Besetzung des Amts der Äbtissin mit ihren Töchtern. 31 Und Otto I. vermittelt in der 28

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Vgl. etwa die Formulierung der Gründungsurkunde (orkündichliker scrift, V . 305): dat et iemerfri unde ledich were / von allen heren, de bischopdome gewalden (Vv. 3 iof.). de streit weder den bischop Hartbrechte to Hildensem (V. 1929). Vgl. zum folgenden bei Hans Goetting, Die Anfänge des Reichsstifts Gandersheim, in: Braunschweigisches Jahrbuch 31 (1958), S. 5 - 5 2 , hier vor allem S. 37ff., sowie ders., Bistum Hildesheim, S. 8 i f f . und das Kapitel: »Das Verhältnis zum Diözesanbischof und die kirchenrechtliche Exemtion« (S. 2 1 6 - 2 2 2 ) . Vgl. Anm. 6. Allerdings sieht Goetting, Bistum Hildesheim, S. 82ff., in diesen Bemühungen der Stifterfamilie um königlichen Schutz nicht nur eine Abwehr bischöflicher A n sprüche, sondern auch eine Wendung gegen eigenkirchliche Ansprüche aus der eigenen

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Amtszeit seiner Nichte Gerberga III. im Jahre 948 bei Papst Agapit II. ein von scharfen antibischöflichen Bestimmungen getragenes Schutzprivileg, das das Kanonissenstift im geistlichen Bereich der päpstlichen Gewalt und sonst dem König unterstellt, ihm somit die schon von den Gründern angestrebte Reichsunmittelbarkeit erhält.32 Damit ist zwar im 10. Jh. das Stift wie der von Gerbergas Nachfolgerin Sophia ausgefochtene Gandersheimer Streit um ihre Weihe und die des Münsters zeigt - noch keineswegs aus dem Diözesanverband herausgelöst,33 aber die Interessen des Stifts und seiner Förderer zielen von Anfang an auf päpstlichen Schutz und vor allem auf die Zurückdämmung des bischöflichen Einflusses. Insofern ist es nicht erstaunlich, daß in der Gandersheimer Uberlieferung die Hildesheimer Bischöfe ausgespart sind: Sie haben keine Aufnahme in die nekrologische Überlieferung des Stifts gefunden.34 Ebenso negieren die für Gandersheim im Jahre 877 ausgestellten königlichen Diplome die Rolle des Hildesheimer Diözesanbischofs bei der Gründung und Etablierung des Stifts und stellen vornehmlich das Zusammenwirken von Stifterfamilie, König und Papst heraus.35 Und auch Hrotsvith von Gandersheim bietet im 10. Jh. in ihrem Gründungsgedicht >Primordia coenobii Gandeshemensis< dieses um die bischöfliche Beteiligung verkürzte Bild der Frühgeschichte Gandersheims,36 das schließlich im 13. Jh. in der >Gandersheimer Reimchronik< des Stiftsgeistlichen Eberhard noch eine Radikalisierung erfährt, da hier die Hildesheimer Bischöfe bis auf die juristische Niederlage Bischof Hartbrechts im Jahre 1206 überhaupt nicht mehr erwähnt werden. Die Geschichte des Gandersheimer Kanonissenstifts erfährt dadurch eine sehr eingeschränkte, auf seine Reichsunmittelbarkeit und Rechtspositionen konzentrierte Perspektivierung, die den traditionellen BemühunFamilie. Gemeint sind offenbar Thankmar und Liudolf, die früh verstorbenen Söhne Herzog Ottos des Erlauchten; vgl. S. 84, Anm. 5. 31 Vgl. Anm. 1 1 und 13. 33 So betont Goetting, Bistum Hildesheim, daß die Hildesheimer Bischöfe bis Ende des 12. Jhs. ihre Rechte als Diözesanherren ausgeübt haben und das Stift überhaupt erst zu Beginn des 13. Jhs. in unmittelbare Beziehungen zur Kurie treten konnte (S. 2 1 9 ^ ) . 34 V g l . ebda., S.83. 35 Ebda., S . 8 3 f . 36 Nach Hrotsviths Darstellung entwickeln sich die wirtschaftlichen und rechtlichen V o r aussetzungen der Klostergründung ausschließlich in der Zusammenarbeit des Stifterpaares Liudolf und Oda mit dem Papst, zu dem sie sich nach Rom begeben, ohne daß der Hildesheimer Bischof auch nur erwähnt wird: >Primordia coenobii GandeshemensisBreve Chronicon< als Leopold II. verzeichnet ist (71,14), weicht die Zählung der Leopolde von der ab, die Lechner, Babenberger, »Stammtafel der Babenberger« (S. 479f.), bietet und nach der im folgenden verfahren wird. 59 Vgl. die Einleitung des Herausgebers Wattenbach, S. 69, sowie die zusammenfassenden Überlegungen bei Wilhelm Wattenbach, Franz-Josef Schmale, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. V o m Tode Kaiser Heinrichs V . bis zum Ende des Interregnum. E r ster Band. V o n Franz-Josef Schmale unter der Mitarbeit von Irene Schmale-Ott und Dieter Berg, Darmstadt 1976, S. 1 9 1 f. 56

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Dies vermutet Lhotsky, Quellenkunde, S . 2 2 J .

ΙΟΙ

bzw. Herzöge von Österreich und Gründer wie Förderer von Melk erinnert werden sollte. In beiden Fällen wäre die babenbergische Familiengeschichte als Erinnerung und Belehrung für die regierenden Fürsten bestimmt; ja, ihr Autor verweist sogar - utpetitis (70,16) - auf den Auftrag, dem er mit der historischen Rekonstruktion und Niederschrift der Geschichte des Geschlechts nachgekommen sei. Die Initiative wäre demnach von der Fürstenfamilie ausgegangen, die sich über ihre Geschichte zu informieren wünschte. So direkt ist sonst kaum die Beteiligung der Fürstenfamilie an der Entstehung einer Genealogie bezeugt. Allerdings gilt der Melker Familienchronist wegen seiner sagenhaften Gründungslegende, seinen merkwürdigen Etymologien und seinen irrtümlichen Daten in der historischen Forschung im ganzen als so wenig glaubwürdig, daß man, vor allem Julius Strnadt, in dem >Breve Chronicon Austriae Mellicense< weniger eine Geschichte der Babenberger als eine »Stilübung, eine Schreibschulaufgabe«61 vermutet hat, deren Schreiber im Gestus der persönlichen Anrede an den Landesfürsten Heinrich Jasomirgott bzw. seinen noch unmündigen Sohn die Familiengeschichte des regierenden Hauses unter einer deutlichen Melker Perspektive zusammengestellt habe. Sein Hinweis auf die Initiative des Fürsten, auf seinen Auftrag zur genealogischen Rekonstruktion bzw. seine Bitte um Informationen über die väterlichen Vorfahren gehörte dann auch in den Bereich einer topischen Inszenierung der Textentstehung, bezeugte jedenfalls nicht in der gewünschten Weise die faktischen Interessen der regierenden Babenberger an ihrer Familiengeschichte. Die affektive Einbeziehung des Fürsten mag tatsächlich nicht mehr als eine rhetorische Geste sein und keine historische Basis in einem Auftrag oder auch nur einem Familieninteresse Hz. Leopolds V. haben. Man erfährt deshalb möglicherweise aus dem >Breve Chronicon Austriae Mellicense< weniger über das Familienwissen der Babenberger als über das Bild, das der Melker Chronist von dem österreichischen Herzogshaus vermittelt. Aber auch das ist schon interessant genug, denn der Chronist bietet eine merkwürdig reduzierte Familiengeschichte, die zwei Themen umkreist: die dezidierte Patrilinearität der Geschlechterfolge und die Sorge der Babenberger für ihre Gründung Melk. Am auffallendsten ist die patrilineare Akzentuierung der Genealogie in ihren väterlichen Verwandtschaftsbezeichnungen, die die Babenberger als ein eng um eine kontinuierlich zielgerichtete agnatische Linie geschlossenes Fürstengeschlecht ausweisen. Fürstengenealogie wird damit zum Medium eines strikt agna61

Strnadt, Chronicon, S. 303.

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tischen Familiengedächtnisses, das dem Adressaten durchweg seine verwandtschaftliche Position am Ende einer patrilinearen Kette seiner väterlichen Vorfahren vor Augen führt, wobei nur die berühmtesten Heiraten einzelner Ahnen erwähnt werden: Leopolds III. Ehe mit Agnes, der Tochter Kaiser Heinrichs IV., und Heinrich Jasomirgotts erste Ehe mit der Kaisertochter Gertrud wie auch seine zweite Ehe mit der griechischen Prinzessin Theodora, einer Nichte König Manuels. Die übrigen Babenbergergattinnen wie auch die nichtregierenden Geschwister bzw. Kinder bleiben ausgespart. Es geht hier ganz offensichtlich nicht um babenbergisches Verwandtschaftsbewußtsein, das sich in einer Fülle bedeutender Filiationen und vorteilhafter Allianzen konkretisierte, sondern um das Bild der erfolgreichen Herrschaft eines Fürstengeschlechts, dessen letzter Sproß, Leopold V., an die überragenden Taten seiner väterlichen Ahnen erinnert werden soll: an den Erwerb der Markgrafschaft Osterreich durch den invents Leopold, die Ungarnkämpfe seiner Nachfahren, den zwischenzeitlichen Besitz des Herzogtums Bayern, die Erhebung Österreichs zum Herzogtum, vor allem aber an die Bemühungen der väterlichen Vorfahren um die Babenbergergründung Melk, die ins Zentrum babenbergischer Herrschaft führen. Schon Leopold I. demonstriert seine tatkräftige Übernahme der Mark Österreich, indem er die Burg eines mächtigen Adeligen auf dem Berg Melk zerstört und an ihrer Stelle zwölf Kanoniker ansiedelt. In der Regierungszeit Heinrichs I. wird der Märtyrer Koloman in der Melker Kirche beigesetzt, dessen Gebeine vom Markgrafen auf Bitten seines Bruders, des Erzbischofs von Trier, den Ungarn ausgeliefert werden, aber bald wieder zurückkehren (71,1-10). Mit der Unterstützung Leopolds II. wird das Kanonikerstift Melk unter Abt Sigebot in ein Benediktinerkloster umgewandelt (7i,2of.), das Leopold III. dem Schutz des Papstes Kalixt II. unterstellt und vor Zehntansprüchen des Passauer Bischofs Reginmar schützt, indem er bei Papst Innozenz II. eine Erneuerung der alten Privilegien als exemtes Kloster erreicht (71,24-30). Die glanzvolle Geschichte der Babenberger ist nach dieser Darstellung eng mit den Geschicken ihrer Gründung, der Residenz und Grablege Melk, mit ihrer Sorge um ihr Hauskloster verbunden. Einen Höhepunkt dieser engen Beziehungen zwischen dem Fürstengeschlecht und seinem Hauskloster markiert Leopold III. mit seinen Bemühungen um die Exemtion des Klosters. Von seinen beiden Söhnen Leopold IV. und Heinrich Jasomirgott weiß hingegen der Chronist keine besonderen Aktivitäten für das Wohlergehen Melks zu berichten. Und tatsächlich verliert Melk schon unter Leopold III. seine Vorrangstellung als Grablege, Hauskloster und Residenz: Die Fürstenfamilie wählt die neuen Gründungen Klosterneu103

burg und Heiligenkreuz als Grablege und verlegt ihre Residenz nach Klosterneuburg bzw. Wien.62 Im Sinne von Gerd Althoffs familienhistorischen Überlegungen wäre diese für Melk bedrohliche Orientierung der Fürstenfamilie >Anlaß< genug für die Entstehung einer Babenbergergenealogie, die im Gestus der Belehrung von Heinrichs Sohn Leopold V. über seine väterlichen Ahnen die traditionelle Verbundenheit des Fürstengeschlechts mit seiner Gründung Melk herausstellt. Die Fürstenfamilie wird dieses Melker Wunschbild ihrer Geschichte nicht gekannt haben. Und auch in der Historiographie hat diese aus dem Melker Blickwinkel konzipierte Babenbergergenealogie offenbar keine breitere Resonanz gefunden, da ihre Uberlieferung auf den Melker Annalencodex 391 beschränkt bleibt, ganz im Unterschied zu dem >Chronicon pii marchionisChronicon pii marchionis< »Stifterchronik im besten Sinne«,64 da es auf einen Redaktor der Klosterneuburger Annalen zurückgehe, der um 1 1 7 7 an den Bericht von der Gründung Klosterneuburgs im Jahre 1 1 1 4 eine Art Vita des Gründers, des Markgrafen Leopold III., anschließe, die zugleich wichtige Details aus der babenbergischen Familiengeschichte biete und damit dem Stiftergeschlecht ein besonderes Eigengewicht zuweise. Auch Heide Dienst, die inzwischen die verwirrende Überlieferung des im Annalenkontext wie auch in selbständigen Fassungen auftretenden >Chronicon pii marchionis< detailliert beschrieben und damit auch die komplizierte Entstehungsgeschichte dieses vielfach bearbeiteten Textes erhellt hat,65 geht von der Klosterneuburger Herkunft des >Chronicon< aus, bestimmt jedoch die Intention des Chronisten etwas anders als Hans Patze. Die älteste Überlieferung des >Chronicon< führe zwar in den Kontext von Heiligenkreuzer Annalen des Jahres 1265, entstanden sei der Text jedoch in Klosterneuburg, wo ein Annalist nach dem Amtsantritt von Propst Werner (ca. 1170), wahrscheinlich noch vor 1 1 7 7 , aus den verschiedensten an61

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64 6j

Z u den wechselnden Residenzen der Babenberger in Klosterneuburg und Wien vgl. Karl Oettinger, Die Babenbergerpfalz in Klosterneuburg, in: M I Ö G 55 (1944), S. 1 4 7 - 1 7 0 ; F. Rörig, Stift Klosterneuburg, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Stift Lilienfeld 15. Mai - 3 1 . Oktober 1976. Niederösterreichische Jubiläumsausstellung, Wien 1976, S. ι6γί., sowie E. Zöllner, Wien zur Zeit der Babenberger, in: Ebda., S. 296-298. Neuedition und weitere Stationen der Textgeschichte im Anhang I bei Dienst, Regionalgeschichte, S. 2 2 9 - 2 3 7 ; zitiert wird aber im folgenden nach Wattenbachs Edition. Patze, Adel und Stifterchronik, S. 7 1 . Dienst, Regionalgeschichte, S. 2 3 - 3 4 .

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nalistischen Bruchstücken zur Geschichte des Stifts eine Geschichte seines Gründers zusammengestellt habe.66 Ansatzpunkt für den Exkurs über Leopold III. könne die Nachricht über die Grundsteinlegung der Klosterneuburger Stiftskirche durch Propst Otto im Jahre 1 1 1 4 gewesen sein, die der Annalist zunächst mit Erläuterungen zur reformkonformen Haltung des auf sein als Eigenkirchenherr übliches Recht der Grundsteinlegung verzichtenden Stiftsgründers kommentiere, im Anschluß daran um eine Familiengeschichte dieses vorbildlichen Fürsten, qui cognominabatur Pius (610,1), erweitere.67 Tatsächlich beleuchtet bereits diese Anschlußstelle der Annalen mit ihren Informationen über die fromme Zurückhaltung des Fürsten und seine tatkräftige Unterstützung geistlicher Reformkonzepte die Interessen des >ChroniconChronicon< eingebunden, die mit ihren Informationen über die Ehefrau, die Kinder, die Schwiegersöhne und Schwestern bzw. Schwäger des Markgrafen ganz unter dem Stichwort der göttlichen Begnadung steht, denn Gott habe dem frommen Fürsten mit Agnes, der Tochter Kaiser Heinrichs IV., eine entsprechende

66 67

Ebda., S. 3 3 f. Ebda., S . 3 4 f .

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Gattin 68 und elf überlebende, zu hohen weltlichen wie geistlichen Ehren aufgestiegene Kinder, sechs Söhne und fünf Töchter, geschenkt, deren Karrieren im einzelnen verfolgt werden. Dabei setzt der Chronist - wie Heide Dienst überzeugend zeigt69 - signifikante Schwerpunkte. Relativ knapp werden die weltlichen Söhne vorgestellt: Adalbert, der älteste, der Vogt von Klosterneuburg, der mit seinen Eltern im Kapitelsaal des Stifts begraben liegt (610,14-16), der zweite, vom Vater weniger geliebte Sohn Heinrich, der alle überleben wird (610,16-18), von dem der Chronist an geeigneter Stelle weitere Informationen ankündigt,70 Leopold, der Herzog von Bayern wird und in Heiligenkreuz begraben ist (610,18f.), und schließlich Ernst, der vierte Sohn, der ebenfalls in diesem Kloster bestattet ist (610,19). Noch kürzer sind die Nachrichten zu den fünf Töchtern, deren vorteilhafte Ehen verzeichnet sind: Berchta ist mit Heinrich III., dem Burggrafen von Regensburg, verheiratet (611,50-612,1), Agnes mit Wladislaw, Herzog von Polen-Schlesien (612,1), Gertrud mit Wladislaus, dem Herzog, späteren König von Böhmen (612,1-4), Elisabeth mit Hermann, dem >Landgrafen von Sachsens 71 und Jutta mit Regenger, dem Markgrafen von Montferrat (612,5 f.). Und noch lapidarer fallen die Angaben zu den drei Schwestern des Markgrafen aus, die - selbst namenlos - nur noch über ihre bedeutenden Ehemänner das Interesse des Chronisten finden: den Markgrafen Otakar von Steir (6i2,6f.), den Grafen Leuthold von Znaim (612,7) u n d den Böhmenherzog Boriwoi/ 2 Umso ausführlicher werden wir über die geistliche Karriere der beiden jüngsten Söhne Otto (610,19-611,24) und Konrad (611,25-49) unterrichtet, die als einflußreiche geistliche Würdenträger auch für Klosterneuburg von Bedeutung sind und den Chronisten zu Exkursen über ihre Rolle in der Klosterneuburger und weiteren Kirchenpolitik veranlassen. Otto, der ältere und berühmtere Bruder, glänzt als Schüler in Klosterneuburg, wird mit der Unterstützung seines Vaters Propst des Stifts, begibt sich finanziell gut ausgestattet nach Paris zum Studium, kehrt mit Reliquien für Klosterneuburg zurück, entscheidet sich - dies ist der äußere Anlaß zur Regulierung von Klosterneuburg - bei einem seiner Besuche im Zisterzienserkloster Morimond, mit 15 Geistli68

Eine coniugem piissimam et aeque bonam, de regiaprosapia ortam (610,yi.). Dienst, Regionalgeschichte, S. 5 5-62. 70 de quoplenius in suo loco dicemus (610,ιγί.). 71 612,4t. Gemeint ist Graf Hermann II. von Winzenburg, der Markgraf von Meißen. 71 βιζ,γί. Dieser Herzog von Böhmen - so wird in 612,8 f. ausdrücklich festgestellt - sei nicht der Vater jenes Wladislaw von Böhmen, der - wie weiter oben (612,2) erwähnt - eine Tochter des Markgrafen geheiratet habe. Z u r Verwandtschaft der Babenberger mit den Przemysliden vgl. das Schaubild bei Dienst, Regionalgeschichte, S.62. 69

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chen als Mönch einzutreten, wird Bischof von Freising, fördert hier die Wissenschaften und wird sein Leben bei einer Übernachtung in Morimond beenden, wo er auch begraben liegt. Die Lebensdaten des jüngsten Sohnes Konrad sind etwas spärlicher: Er wird Bischof von Passau, danach als Nachfolger Eberhards Erzbischof von Salzburg, hat als Anhänger Alexanders III. Auseinandersetzungen mit Kaiser Friedrich, stirbt nach vielen Bedrängnissen und Leiden und ist im Kloster Admont begraben. Aber auch er ist eng mit Klosterneuburg verbunden. So begeben sich in der Zeit des Schismas 30 Kleriker des Stifts, unter ihnen offenbar auch der Autor des >ChroniconChronicon pii marchionis< vor diesem Hintergrund als

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Dies zeigen die Formulierungen in der 1. Person PI.: Hic nos Niwenburgenses ärciter triginta elend Frisacum adivimus, et ab eo ordines nostros reeepimus ( 6 1 1 , 3 1 f.). 74 Dienst, Regionalgeschichte, S. 6 9 - 7 1 , vor allem S. 70f.

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ein offensiver Exkurs zur Rolle des kirchentreuen Markgrafen Leopold III. zu verstehen. Jedenfalls betrachtet der Chronist Leopold III. und seine Familie dezidiert unter der geistlichen und kirchenpolitischen Perspektive eines Klosterneuburger Klerikers, der in den 8oer Jahren des 12. Jhs. die Fürstenfamilie als Exempel göttlicher Begnadung unter das Schöpferwort Crescite et multiplicamini (612,11) stellt und - im Gegensatz etwa zum agnatischen Interesse des >Breve Chronicon Austriae Mellicense< - den Erfolg einer Familie in der breiten kognatischen Ausdifferenzierung der Verwandtschaft sieht, dabei ein nur mäßiges Interesse an den weltlichen Familienangehörigen, auch den bedeutendsten, hat, sich jedoch umso mehr den geistlichen Karrieren und kirchenpolitischen Aktivitäten der geistlichen Familienmitglieder in ihrer Verbindung zu Klosterneuburg widmet. Ihr weltliches Pendant ist Markgraf Leopold III. cognominabatur Pius (610,1), der als Förderer seiner Hausklöster und Oberhaupt einer erfolgreichen Familie das strahlende Bild eines kirchentreuen Fürsten abgibt, der sich in besonderer Weise um das Wohlergehen seiner Gründung Klosterneuburg verdient gemacht hat. Von diesem >Chronicon pii marchionis< gibt es - wie Heide Dienst detailliert dokumentiert hat75 - die verschiedensten kürzenden wie erweiternden Fassungen, die den Stammbaum der Babenberger weiterführen. Eine dieser gekürzten und zugleich vermehrten Fassungen, die in ihren Erweiterungen auf Heiligenkreuz verweist und in den Codex des Pfarrers Albert von Waldkirchen aus der ersten Hälfte des 14. Jhs. eingegangen ist, die >Generacio Leopoldi marchionisChroniconGeneracioChronicon pii marchionis< als Cod. C im Kommentar; so auch die 612,5 ( v o r den Informationen zu den Ehen von Leopolds Schwestern) einsetzende Weiterführung: 6 1 2 , 2 0 - 5 2 .

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zwei Babenbergertöchter bzw. ihre Ehemänner für die Nachfolge im Herzogtum an Bedeutung: zunächst Gertrud, die einzige Tochter Heinrichs, des zweiten Sohnes Leopolds VI. und Bruders Herzog Friedrichs II. des Streitbaren, die allerdings in drei Ehen dem Herzogtum Osterreich und Steiermark nicht langfristig einen starken Herzog bieten konnte. Ihr erster Ehemann Wladislaw, der älteste Sohn des Böhmenkönigs, verstirbt bald ohne Kinder (612,41 f.). Es folgt Hermann IV., der Markgraf von Baden, der mit ihr einen Sohn, Friedrich, und eine Tochter hat, aber ebenfalls kurz darauf stirbt (612,42-45). Und der dritte Ehemann, Roman von Halles,77 verläßt sie, nachdem er mit ihr eine Tochter gezeugt hat, und kehrt in seine Heimat zurück. Die Herrschaft in Österreich und der Steiermark läuft deshalb auf König Wenzels jüngeren Sohn Ottokar Przemysl zu, denn Margarete, eine der vier Töchter Leopolds VI., die zunächst mit Heinrich (VII.), dem Sohn Kaiser Friedrichs II., verheiratet war, kehrt nach dem Tod ihres Bruders, des Herzogs Friedrich des Streitbaren, nach Österreich zurück und heiratet im Jahre 1252 Ottokar von Böhmen, qui potenter obtinuit Austriam et Stiriam (612,50). Zugleich bedeutet dies jedoch den Abbruch des babenbergischen Herzogsgeschlechts, denn der Chronist beschließt die >Generacio< pointiert mit der neun Jahre später vollzogenen Trennung des Paares. Als der machtbewußte Fürst Ottokar erkennt, daß er mit Margarete keine Söhne haben würde, verstößt er sie. Er regiert Österreich und die Steiermark mit mächtiger Hand und heiratet eine Enkelin des ungarischen Königs Bela IV.78 Die >GeneracioChronicon< erheblich. Während dieses fast ausschließlich den Blick auf diepietas Leopolds III. und seiner Familie, auf ihre Bemühungen um Klosterneuburg bzw. Heiligenkreuz und ihre erfolgreiche Familienpolitik lenkt, wird die Fortsetzung zunehmend eine Genealogie, bei der es in erster Linie um die Legitimität der Herrschaft im Herzogtum Österreich und Steiermark geht. Die Weiterführung der Familiengeschichte setzt zunächst noch mit vergleichbaren Informationen über die Nachkommen Leopolds III. ein: etwa über den Enkel Leopold V., der die Geistlichen liebt, das Kloster Göttweig reich beschenkt und sich nach seinem Unfall im Mönchshabit nach Heiligenkreuz begibt, um hier zu sterben und begraben zu werden. Auch er wird aber bereits in seiner landesherrlichen Position als der erste 77 78

6 1 2 , 4 5 - 4 7 ; nach Lechner, Babenberger, S. 306, ein Verwandter Kg. Belas von Ungarn. Kunigunde von Halics; vgl. dazu Lechner, Babenberger, S. 307. Z u den Auseinandersetzungen und Parteiungen nach Hz. Friedrichs II. T o d im Jahre 1246, die in den Fortsetzungen und Übersetzungen des >Chronicon< thematisiert sind, vgl. Lechner, Babenberger, S. 299ff., und Reichert, Landesherrschaft, S. 4 2 - 5 2 .

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Herzog von Österreich und der Steiermark vorgestellt.79 Und im folgenden bestimmen diese landesherrlichen Details das berichtete Geschehen. Sein erster Sohn Friedrich I. übernimmt das Herzogtum Osterreich und Steiermark, stirbt jedoch ohne Kinder, so daß Leopold VI., der zweite Sohn, der Gründer von Lilienfeld, zum Herzog von Osterreich und der Steiermark wird. Von dessen sieben Kindern werden dann nur die namentlich aufgeführt, die für die Herrschaft von Bedeutung sind: die drei Söhne und eine der vier Töchter, jene Margarete, über die Ottokar von Böhmen später seine Herrschaft in Osterreich und der Steiermark legitimieren wird, ganz im Gegensatz zur Anfangspartie des >Chronicon< mit seinen Informationen über die Ehen aller Leopold-Töchter. Eine signifikante Ergänzung findet diese >GeneracioChronicon< in einer genealogischen Bildtafel des Codex,80 die die Nachkommen Leopolds III. und seiner Gemahlin bis in die 6oer Jahre des 13. Jhs. versammelt; allerdings wesentlich vollständiger als die >GeneracioGeneracioGeneracio< dokumentiert als Babenbergergenealogie demnach zugleich unerbittlich das Ende der Herrschaft dieses Geschlechts. Während der Klosterneuburger Annalist des 12. Jhs. in seinem Exkurs die Begnadung des frommen Fürsten auch an der Vielzahl von Kindern, Schwiegersöhnen und Schwägern demonstriert, verfolgt der Heiligenkreuzer >GeneracioGeneracio Leopoldi marchionis< endet hingegen mit der >Verstoßung< der Babenbergerin Margarete durch Ottokar, den neuen Herrscher in Österreich und der Steiermark. Von dieser Heiligenkreuzer Fortsetzung gibt es eine volkssprachige Fassung, die unter dem Titel >Der fursten geslechte< in drei Handschriften auf Jans' >FürstenbuchFürstenbuch< mit dem Bericht von der Schlacht an der Leitha im Jahre 1246, kurz vor Friedrichs des Streitbaren Tod, abbricht,83 wirkt die sich in seiner handschriftlichen Uberlieferung unmittelbar anschließende Babenbergergenealogie, die die Babenberger von Leopold III. in knappen Kommentaren bis ins Jahr 1270 verfolgt, wie ein Abgesang auf dieses österreichische Herzogsgeschlecht, das einige Jahre später - mit Rudolfs von Habsburg Sieg über Ottokar von Böhmen und

Teilweise (ab 682,12) in der Wiener Hs. 13897 (Nr. 2) des 14. Jhs., vollständig in den Wiener Hss. 2778 (Nr. 3) und 2782 (Nr. 4) des 15. Jhs. Z u dieser volkssprachigen Babenbergergenealogie vgl. neuerdings Moeglin, Formation, S. i74f. 82 Vgl. die graphische Präsentation der Edition. Der Herausgeber Philipp Strauch, S. 680, sieht in der Bildtafel des. >GeneracioFürstenbuchFürstenbuch< und >Der fursten geslechte< die babenbergische Vorgeschichte der Habsburger in Österreich: das >Fürstenbuch< als ausführliche anekdotische Hausgeschichte eines merkwürdig ambivalent gesehenen Geschlechts bis zu Friedrichs des Streitbaren folgenreichem Tod, die sich anschließende Babenbergergenealogie in knappen Strichen bis zu den letzten Nachkommen, die sich als Landesfürsten nicht mehr haben durchsetzen können. >Der fursten geslechte< verfolgt in einer Art Kombination von >Generacio< und genealogischer Bildtafel die Geschichte der Nachkommen Leopolds III., die zwar noch einige Glanzpunkte - etwa die Regierung Leopolds VI. - aufweist, sich aber doch im ganzen als die Geschichte der Katastrophen dieses Geschlechts darbietet und damit konsequent auf sein Ende zuläuft. Auch der Ubersetzer verzeichnet unerbittlich - wie der >GeneracioGeneracio< mit Ottokars Herrschaft und der Verstoßung der >letzten< Babenbergerin. Er verzichtet sogar ganz auf dieses Faktum und folgt mit seinen abschließenden Nachrichten zu den verschiedenen Kindern der beiden Babenbergerinnen Margarete88 und Gertrud dem genealogischen Konzept der Babenbergertafel des Albert von Waldkirchen-Codex, die ebenfalls die Genealogie der Babenberger mit den Kindern Gertruds enden läßt. Der Ubersetzer bietet freilich mehr Informationen: Margaretes - allerdings bereits im Jahre 1251 verstorbener - Sohn Wolf Friedrich aus ihrer ersten Ehe mit König Heinrich (VII.) lebet ritterleich (686,53), Gertruds Sohn Friedrich aus ihrer Ehe mit Hermann von Baden ist im Jahre 1268 von Karl von Anjou enthauptet worden (686,5f.), ihre Tochter Agnes aus derselben Ehe ist bereits im Jahre 1269 Witwe des Herzogs Ulrich III. von Kärnten und inzwischen mit dem Grafen Ulrich von Heunburg verheiratet (686,yf.), und schließlich Maria, ihre Tochter aus der kurzen Ehe mit Roman von Halics, ist mit einem ungarischen Prinzen verheiratet, der ein edel herczog was über die Tra (686,11). Diese volkssprachige Fassung der >ChroniconGeneracio< mag mit ihren Fortsetzungen bis ins Jahr 1270 noch während der Herrschaft Ottokars, d.h. vor dem Sieg Rudolfs von Habsburg im Jahr 1278 und der Belehnung seiner Söhne Albrecht und Rudolf mit Österreich und der Steiermark im Jahr 1281, entstanden sein, um - wie möglicherweise auch die genealogische Tafel des >GeneracioDer fursten geslechte< vermittelt eher den Eindruck eines Abschlußberichts, der die letzten Filiationen eines berühmten Geschlechts bis zu den beiden überlebenden Töchtern verfolgt und damit diese Phase als beendet ansieht. Die Überlieferung dieser deutschen Babenbergergenealogie in den Hss. des 14. und 15. Jhs. fügt sich in dieses Bild. Im Verbund mit den babenbergischen besitz- und familiengeschichtlichen Einträgen des sog. >Landbuchs von Osterreich und Steier< und den Babenberger-Anekdoten des >Fürstenbuchs< doku88

Deu erste tochter Margret, / di selbe den chünich Chunrat bet (685,26), die eigentlich bereits 684,28ff. neben Agnes, Constancia und Gertrud hätte genannt werden müssen. Ihre Identität mit der eben erwähnten chünigin Margret (685,22), der Ehefrau Ottokars von Böhmen, wird nicht eigens betont.

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mentiert sie die Babenbergerherrschaft in Österreich von den Anfängen bis an ihr Ende, bevor die Habsburger ihr Erbe antreten.89 Sehr folgerichtig schließt sich deshalb an dieses Babenberger-Corpus - zumindest in einer Handschrift - eine Habsburgergenealogie an, die mit 1273, dem Jahr der Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König, beginnt und aus der Perspektive des 15. Jhs. die Herrschaft seines Geschlechts in Osterreich nachzeichnet. Mit Jans' Werk ist eine weitere volkssprachige Babenbergergenealogie verbunden. In fünf Handschriften der >Weltchronik< sind nach V. 2765290 zwei Prosaexkurse eingeschaltet:91 eine Von den kunigen (539,1) überschriebene Liste der auf die Karolinger folgenden deutschen Könige und Kaiser, die genealogische Informationen und Regierungsdaten punktuell durch detailliertere Nachrichten des österreichischen Herzogshauses erweitert und bis ins Jahr 1167, der Eheschließung König Stephans II. von Ungarn mit Herzog Heinrich Jasomirgotts Tochter Agnes und dem Eintreffen Kaiser Friedrichs I. in Osterreich, führt (539,1—5^.3,31). Es folgt unter der Uberschrift Hie hebent sich an die fürsten von Osterreich und von Steyr (544,1) eine Babenbergergenealogie von Markgraf Adalbert bis zum Ende dieses Herzogsgeschlechts mit der Herrschaft des Böhmenkönigs Ottokars II. Przemysl. In ihren Anfangspartien stimmt diese Genealogie im wesentlichen mit der von Wilhelm Wattenbach aus der Wiener Hs.423 des 12. Jhs. mitgeteilten >Genealogia marchionis Austriae< überein, die in knappen Strichen die Babenberger von Markgraf Heinrich I. bis zum Regierungsantritt Herzog Leopolds VI. abschreitet und dabei deutlicher als bei den bisher behandelten Babenbergergenealogien - den Ehefrauen eine wichtige Rolle als Trägerinnen bedeutender Familienverbindungen zuweist. So haben die Babenberger zweimal über ihre Gattinnen direkte Querverbindungen zur Kaiserfamilie: zu Beginn der Geschlechterreihe über Gisela, die Witwe von Ernst, dem Stiefbruder Heinrichs I., die in dritter Ehe Kaiser Konrad II. heiratet (609,53-56), und natürlich über Agnes, die zweite Ehefrau Leopolds III., die als Tochter Kaiser Heinrichs IV., Schwester Heinrichs V. und vor allem als Witwe Herzog 89

Heinzle, Wandlungen, sieht desKalb auch >Der fursten geslechte< zu Recht im Zusammenhang einer habsburgischen »Babenberger-Renaissance«; vgl. S. 5 5 f.; dazu auch unten S. 1 i8ff. 90 Nach einem Sprachen- und Länderkatalog (Vv. 273 57-27652), der mit den wenig ritterlichen, aber umso mehr prestigeorientierten Ungarn endet. 91 In zwei Fassungen, die einerseits durch die einzige vollständige Hs. der Regensburger T h u m - und Taxisbibliothek (Nr. 2) des 14. Jhs., die Heidelberger Hs. pal. germ. 336 (Nr. n ) , die Wiener Hs. 2921 (Nr. 12), den Münchener cgm. 250 (Nr. 14) des 15. Jhs., andererseits durch die Leipziger Hs. der Stadtbibliothek C X (Nr. 9) repräsentiert werden.

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Friedrichs von Schwaben und Mutter von zwei berühmten Söhnen, Friedrich von Büren, dem Vater Friedrich Barbarossas, und Konrad, dem späteren König, den Babenbergern zusätzlich königliche Würden vermittelt (609,56-62). Ihre Enkelin Agnes, die Tochter Herzog Heinrich Jasomirgotts, wird in zweiter Ehe Hermann von Spanheim, den Herzog von Kärnten, heiraten (610,52-54). Der im Kontext der ansonsten eher lapidaren genealogischen Angaben ungewöhnliche Kommentar des Chronisten zu ihrem gemeinsamen Sohn Ulrich, qui nunc dux est Karinthie (610,5 5), hat die Forschung veranlaßt, die Entstehung dieser Babenbergergenealogie in den Jahren zwischen 1181 und 1192, der Regierung Herzog Ulrichs I. von Kärnten, in der näheren Umgebung dieses Fürsten zu vermuten.92 Unter dieser Kärntner Perspektive würde diese Fassung der Geschichte der Babenberger - als eine Geschichte der berühmten mütterlichen Verwandtschaft des regierenden Spanheimer Herzogs - vor allem dem Prestige und den potentiellen Ansprüchen der Herzöge von Kärnten dienen: Sie dokumentiert die verwandtschaftlichen Filiationen dieser Fürstenfamilie zu den österreichischen Herzögen, die wiederum vor allem durch ihre weiblichen Familienmitglieder mit den höchsten königlichen und kaiserlichen Geschlechtern verbunden sind. Die vielleicht auf spezifische Interessen des kärntischen Herzogshauses zurückgehende Akzentuierung der Bedeutung weiblicher Linien findet sich allerdings nicht in der in Jans' >Weltchronik< eingefügten volkssprachigen Version. Es fehlen hier die in der Eingangspartie der >Genealogia< entworfenen genealogischen Konstruktionen zur Karolingerin Gisela, die die österreichischen Markgrafen mit dem Königshaus und den Zähringern verbindet, ebenso die Bemerkungen des Chronisten zur Rolle der Salierin Agnes als Stammutter der staufischen Könige Konrad III. und Friedrich I., die Informationen über die weitgespannten Ehen der Töchter Leopolds III. und - natürlich - die Nachrichten der >Genealogia< über die durch die Ehe von Heinrich Jasomirgotts Tochter Agnes erreichte Allianzverbindung des Herzogshauses von Kärnten mit den Babenbergern bzw. die zur Zeit der Entstehung der >Genealogia< aktuelle Regierung Herzog Ulrichs I. von Kärnten. In ihren Nachrichten über die einzelnen Fürsten stimmt allerdings die deutsche Babenbergergeschichte im wesentlichen mit der lateinischen Genealogie überein, etwa in ihrer Charakterisierung Leopolds III. als milt,9i in den Angaben über seine Gründung 92

93

Lhotsky, Quellenkunde, S. 235. Allerdings waren beide Söhne Hermanns bei dessen T o d im Jahre 1 1 8 8 noch unmündig. Sie standen unter der Vormundschaft ihres Onkels Herzog Leopolds V . von Osterreich, Ulrich bis ins Jahr 1 1 9 2 . 544,17; in Parallele zu Liupoldus largus (609,56) der >GenealogiaChronicon pii marchionisGenealogiaChronicon pii marchionis< und die vom späten 13. bis ins 15- Jh. reich bezeugten historischen Bemühungen um die Familiengeschichte der Babenberger verdanken sich offenbar in besonderer Weise den Habsburgern, die in ihrer Herrschaftspraxis an das Herzogsgeschlecht der Babenberger anknüpfen, die Verehrung seines berühmtesten Familienmitgliedes unterstützen, seit der Mitte des 14. Jhs. seine Heiligsprechung betreiben" 2 und auf diese Weise - vor allem nach der Kanonisation Leopolds III. am 6.1.1485 - zugleich die vielfältigsten Aktivitäten der literarischen und künstlerischen Ausgestaltung babenbergischer Familiengeschichte fördern." 3 Im Gegensatz zum Gandersheimer Reimchronisten, der mit dem für Gandersheim so segensreichen Wirken der Liudolfinger/Ottonen zugleich die Familiengeschichte einer längst ausgestorbenen Herzogs- und Königsdynastie präsentiert und unter seiner dezidierten Gandersheimer Perspektive keine familienhistorischen Linien in die Gegenwart verfolgt, beziehen sich die Babenberger-Genealogien auf eine bedeutende zeitgenössische Dynastie. Die frühen lateinischen Texte entstehen auf dem Höhepunkt ihrer Macht als österreichische Herzogsfamilie, die volkssprachigen und lateinischen Bearbeitungen setzen einige Jahrzehnte nach ihrem Aussterben ein und halten sich bis ins 15. Jh. Damit dokumentieren sie ein kontinuierliches, wenn auch jeweils wechselndes Interesse an der Geschichte dieser bedeutenden regierenden bzw. kürzlich ausgestorbenen österreichischen Herzogsfamilie, das - im Vergleich zur >Aktualisierung< der Liudolfinger/Ottonen in der >Gandersheimer Reimchronik< - über den Charakter einer historisch-juristischen Beglaubigung weit hinausgeht. Zentrum der genealogischen Bemühungen ist hier die berühmte Herzogsfamilie, die unter wechselnden Perspektiven beleuchtet wird: als strikt patrilinear orientiertes Herzogs- und Stiftergeschlecht, als weitgespannte, in Filiationen und Allianzen auf berühmte Adels- und Fürstengeschlechter ausgreifende Dynastenfamilie, als genealogischer Anknüpfungspunkt für das Ansehen anderer Adelsgeschlechter und schließlich als aussterbende Herrschaftsdynastie. 111 111

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Vgl. dazu oben S. 1 1 2 . Zur Vorgeschichte der Heiligsprechung Leopolds III. im 14. und 15. Jh. vgl. Ludwig, Kanonisationsprozeß, S. X X I I I f f . So auch das zwischen 1489 und 1491 entstandene Tafelbild des Babenberger-Stammbaums im Kreuzgang des Stifts Klosterneuburg; vgl. dazu Floridus Röhrig, Der Babenberger-Stammbaum im Stift Klosterneuburg, Wien o. J.

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In ihrer Vielfalt dokumentieren diese Babenbergergenealogien zwar die >Aktualität< und Bedeutung dieses österreichischen Herzogsgeschlechts, nicht unbedingt jedoch seine Beteiligung an der literarischen Konstruktion der Familiengeschichte. Dies gilt für die während seiner Herrschaft zusammengestellten Genealogien des 12. Jhs., das >Chronicon pii marchionisGeneracio< und das >Breve Chronicon Austriae MellicenseHeiligkeit< des Grafen, der zunächst der jvng grafEberhardus (16*, 13), der tugenthaft graf Eberhart (i8"',i4f.), nach der Klostergründung der skiige grave Eberhart (30*, 5; vgl. auch 28*,12; 40*, 19; 70^,13) bzw. der salig Eberhardus (48*, 12; vgl. auch 50*, 16; 54*, 14) und nach seinem Tod der hailig Eberhardus (102"',8) genannt wird. Ahnlich ist die Verteilung bei seinem Sohn Burkhart, der zunächst der tugenthaffte jvngeling (42*, 13 f.), dann sin saliger svn, grave Burkhart (60*, 17) und danach der salige grave Burkhart (γΗ^',ι^ί.) heißt, wobei allerdings die Charakterisierung als >heilig< nur Graf Eberhard und einer Verwandten (Dvselbe hailigü magt, 88*,3) vorbehalten ist. II? Nach Kläui, Nr. 13: Eberhard V. (Eppo). 120 Zu dieser consobrina Kaiser Heinrichs II. und Papst Leos IX. vgl. Hils, Grafen von Nellenburg, S. 18; Kläui, S. 187 sowie Gallmann, S. ii9*f.

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Sitzungen im Bistum Mainz erbaute Kloster Pfaffen-Schwabenheim bei Kreuznach einen Priester als Erzieher wählte. Mit seiner hochadeligen Ehefrau Itha führte er eine gottgefällige Ehe, wurde deshalb mit acht wohlgeratenen Kindern, zwei Töchtern und sechs Söhnen, gesegnet, wobei Burkhart, 121 der einzig überlebende weltliche Sohn, ihr Erbe und ihre Nachfolge als Graf von Nellenburg antrat. Ihm gehört der zweite Teil der Vita. Graf Eberhard III. von Nellenburg wird in dieser Vita als ein Adelsheiliger präsentiert: In seiner Jugend lebt er mit der Hilfe seines geistlichen Erziehers nach der weite zucht vnd ere vnd nach gottes willen (i8 :; ',if.), als Graf versorgt er die armen lute (i 8*, 17), gibt sich jeden Tag der Psalterlektüre hin, läßt drei Messen halten und opfert dabei jeweils größere Geldbeträge (22*,i6f.). Nach seiner Gründung des Klosters Allerheiligen wird er von Gott mit Wundern ausgezeichnet (36*,1 - 50*,5), unternimmt mehrere Romfahrten sowie eine Pilgerreise nach Santiago und entschließt sich nach zwei Erscheinungen eines apostatischen, von ihm seinerzeit durch Aufnahme in seine Gründung Allerheiligen geretteten Ritters - zusammen mit seiner Ehefrau zu einem geistlichen Leben: er als Konverse in Allerheiligen (56*,21), die salig Gräfin als zurückgezogen lebende >Witwe< mit anderen Damen in einem Haus in der Nähe des Klosters (5 8*,4ff.), bevor sie in das von ihrem Sohn im Zusammenwirken mit dem Allerheiligener Abt Siegfried neu gegründete Agneskloster nach Schaffhausen umsiedelt. Nach dem Tod und der Bestattung des Grafen im Münster des Klosters zeichnet Gott das Grab dieses Klosterstifters mit Wunderzeichen aus, die in einem zusammenfassenden Bericht unter der Überschrift Dis sint zaichen (62^,12) aufgelistet werden (62*,13 - γο*,$). Das zentrale Thema dieser Vita ist freilich die Gründung und Frühgeschichte des Benediktinerklosters Allerheiligen, das Graf Eberhard III. von Nellenburg vff sinem aigen (24*, 18) gestiftet habe.122 Dabei wird diese von göttlichen Zeichen begleitete Geschichte der Gründung detailliert entfaltet: die Auswahl des Ortes, der Bau und die päpstliche Weihe der Auferstehungskapelle mit ihren drei Altären, Eberhards Stiftung von mere denne zwai hvndert hSban friges vnd lediges aigens (30*, 15 f.) für das Münster, ohne dabei das Familienerbe anzutasten, der Bau der Klostergebäude für zunächst zwölf Mönche und einen Abt, der kontinuierliche Zu121 122

Kläui, N r . 25. Für die Nellenburger war mit der Gründung des Klosters Allerheiligen eine Verlagerung ihrer Herrschaftsbasis vom Zürichgau an den Hochrhein verbunden, w o Eberhard auf dem Nenziger Berg bei Stockach seit der Mitte des 1 1 . Jhs. seine Stammburg Nellenburg hatte; vgl. dazu Hils, Grafen von Nellenburg, S. i2ff.; Kläui, S. 190; Gallmann, S. 38.

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wachs an Ansehen und Vermögen, so daß schon unter Graf Burkhart täglich 300 Menschen versorgt werden konnten,123 die in einer päpstlichen Bulle dokumentierte Unterstellung des Klosters unter den Schutz des Hl. Stuhls (34*,i4f.), die zunächst von Alexander II., später von weiteren Päpsten bestätigt worden sei. Der Sohn und Erbe Burkhart von Nellenburg führt diese Tradition seiner Eltern als Förderer Allerheiligens weiter. Er läßt seinen Vater mit großen Ehren im Münster begraben (62*,2-4), bindet das Kloster in die Hirsauer Reform ein, da der Abt und die Mönche an gaischlichen dingen vnd an weltlicher berichtunge nicht als endelich warin, als es noturfftig ware gesin (72*,8-10), und erreicht die Übersiedlung des Hirsauer Abtes Wilhelm mit zwölf Mönchen, darunter auch dem späteren bedeutenden Abt Siegfried, nach Allerheiligen, indem er auf sein vom Vater ererbtes Vogteirecht über das Kloster wie auch die statt ze Schafhusen (74"',3) verzichtet (74*,iff.). Er stiftet zwei Zellen, Sancta Maria in Wagenhausen und Sancta Fides in Grafenhausen (84*,6-9), beginnt im Zusammenwirken mit Abt Siegfried den Neubau des Münsters (84*, 12-19), übereignet - da er keine Erben hat - seinen gesamten Eigenbesitz, abgesehen von der Stammburg Nellenburg, die er seinen Verwandten überläßt, dem Kloster (86*,7-17). Nach dem Tod seiner Ehefrau verzichtet er auf Grafentitel wie adelige Statusprivilegien (88*, 18 - 90*,2), begibt sich zum Sterben nach Allerheiligen, läßt die gesamten Vorräte seiner Burg dem Kloster für den Bau des Münsters übergeben und findet neben seinem Vater, seiner Ehefrau und einer >heiligen< Verwandten im Münster sein Grab (94*,9-15). Seine ihren Gatten und alle Söhne überlebende Mutter Itha von Nellenburg wird allerdings am Ende ihres Lebens als Nonne des Schaffhausener Agnesklosters noch mit den kirchenpolitischen Problemen der Regierungszeit Heinrichs IV., vor allem den Nöten konfrontiert, die ihre Stiftung Allerheiligen wie auch Schaffhausen bei der Weihe des neuen Münsters durch den vom König abgesetzten Bischof Gebhard von Konstanz zu erdulden haben. Eine Erscheinung ihres verstorbenen Gatten, des hailig Eherhardus (102*,8), tröstet sie jedoch in dieser schweren Zeit. Und tatsächlich kann nach der >Vertreibung< des vom Kaiser eingesetzten Gegenbischofs Arnold von Heiligenberg der salig bisschof Gebhardus (104*,i4f.) bald wieder ehrenvoll nach Konstanz zurückkehren (96*,! 1 - 104*,17). Mit dem Hinweis auf den Tod der saligen

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In fast identischer Formulierung wird dieser Aufstieg des Klosters ( 3 2 * , 1 2 - 1 6 ) im Z u sammenhang mit Graf Burkharts Bemühungen um Allerheiligen noch einmal erwähnt; vgl. 92*, 2 - J .

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frowen gravynne Itben (IO6*,I) und der Aufforderung zur Nachfolge in ihrem rainen lebenne (io6*,6) schließt der Text. Diese in der handschriftlichen Überlieferung Der stiffter buch (106*,9) genannte volkssprachige Stifterchronik des Klosters Allerheiligen verbindet in einer Vita bzw. Doppelvita der Stifter/Förderer, des Grafen Eberhard und seines Sohnes Burkhart, geistliche Biographie, Familiengeschichte, Klostergründungsbericht und klösterliche Rechtsdokumentation. So werden hier - wie in der >Gandersheimer Reimchronik< oder dem >Chronicon pii marchionis< - neben den Familiennachrichten, den Klostergründungsinitiativen der Stifter und den Wunderberichten auch sehr genau und unter Hinweis auf die entsprechenden Urkunden des Klosters eine Reihe von Rechtshandlungen der Stifter verzeichnet, die für das Kloster von zentraler Bedeutung sind.124 Einmal folgt sogar eine Urkunde im Wortlaut.125 Dabei gewinnt auch die Familienthematik eine besondere Ausprägung. Denn >Der stiffter buch< bietet nicht - wie etwa die volkssprachigen Babenbergergenealogien - eine ausdifferenzierte Geschlechterfolge der Nellenburger, sondern ist als Vita bzw. Doppelvita der beiden heiligmäßig lebenden Klostergründer und -förderer auf einen eng begrenzten Ausschnitt der Stifterfamilie ausgerichtet: zunächst auf das gottgefällige Leben des eigentlichen Klostergründers, das zur Einführung des Protagonisten in die Generation der Eltern ausgreift, dann auf die Aktivitäten des einen Sohnes, der als Erbe und Nachfolger die klosterfreundliche Politik des Vaters weiterführt und die frühe Geschichte des Benediktinerklosters Allerheiligen durch die Einführung der Hirsauer Reform und

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Dies gilt sowohl für Eberhards Stiftung von Eigengut, das nicht dem Familienbesitz entstamme, sondern neu im Königsdienst erworbene Rechte umfasse, so daß alle potentiellen Rückforderungsansprüche weiterer Verwandter ausgeschlossen sind (30*, 16 - 3 2*,2), als auch für die durch Handfesten bezeugte Unterstellung des Klosters unter den Schutz des Hl. Stuhls, die mehrmals bestätigt worden sei ( 3 4 * , 8 - 1 5 ) , und schließlich auch für den mit der Einführung der Hirsauer Reform verbundenen ausdrücklichen Verzicht Burkharts auf das von seinem Vater ererbte Vogteirecht über das Kloster und die Villa Schaffhausen, der zweimal verzeichnet wird (74*, 1 - 9 ; 86*,2-8). Z u den Hintergründen und komplizierten Verhandlungen dieser Aktion vgl. Patze, Adel und Stifterchronik I, S. 54^ Allerdings tritt Burkhart auch weiterhin als advocatus Scafusensis auf, nun allerdings wie Hils, Grafen von Nellenburg, S. 86ff., ausführt - frei vom A b t gewählt. U n d auch sein Neffe Adalbert von Mörsberg wird als Vogt von Schaffhausen mit dem Kloster noch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten austragen; vgl. dazu Kläui, S. 1 9 4 - 1 9 6 .

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82*, 18 - 8 4 * , $ ; es handelt sich dabei wahrscheinlich um die Urkunde vom 26. Januar 1092, in der Papst Urban II. Freiheiten Allerheiligens bestätigt und das neu gegründete Agneskloster in Schaffhausen wie auch die Maria geweihte Zelle in Wagenhausen den Benediktinern von Allerheiligen unterstellt; zum Wortlaut der Urkunde vgl. Das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen. Hg. von Franz Ludwig Baumann, Basel 1881 (Quellen zur Schweizer Geschichte III, 1), N r . 13, S. 28-30.

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die Unterstützung des großen Neubaus des Münsters ganz wesentlich prägt, und schließlich auf die Erfahrungen der alten Gräfin, auf deren Zuwendung - verbunden mit der geistlichen Unterstützung ihres verstorbenen Gatten, des >heiligen< Klostergründers - das Kloster auch in schweren Zeiten zählen kann. Mit dieser Konzentration des Interesses auf die Person des Klostergründers ist diese Vita dem >Chronicon pii marchionis< vergleichbar, da in beiden Texten unter dem Aspekt der pietas des Protagonisten nur die engste Familie in den Blick rückt: die Ehefrau und die direkten Nachkommen, die in unterschiedlicher Akzentuierung Aufnahme finden. Der >ChroniconChroniconChronicon pii marchionis< - nicht bei den geistlichen, sondern nur bei zwei weltlichen Söhnen ausführlichere Informationen. So berichtet er etwa von Adalberts wunderverdächtigem (frühem) Tod und verweist auf die in dem buch noch folgende Darstellung des Lebens von Burkhart, der wart des vatter erbe an dem gute vnd och an allen syten, als dis buch hie nach wol sait.116 Diese drei Generationen umfassende, strikt patrilinear-agnatische Nellenburger Familiengeschichte spiegelt in ihrer Auswahl und Präsentation sehr deutlich die Perspektive des Klosters. So werden weder die mächti126

22*,6-8. Bei der Aufzählung der Eberhard-Söhne beginnt der Autor mit den beiden Geistlichen Udo, dem späteren Erzbischof von Trier (Kläui, N r . 20), und Ekkehard (Kläui, N r . 21), seit 1 0 7 1 / 7 2 A b t der Reichenau, fährt mit den beiden im Rahmen der A u s einandersetzungen Heinrichs IV. gegen den sächsischen Herzog Magnus in der Schlacht an der Unstrut im Jahre 1075 gefallenen Brüdern Eberhard (Kläui, N r . 22) und Heinrich (Kläui, N r . 23) fort und beendet die Aufzählung mit dem früh verstorbenen Adalbert (Kläui, N r . 24) und dem Erben und Nachfolger Burkhart. Zur historischen Abfolge der Eberhard-Söhne vgl. auch Georg Tumbült, Graf Eberhard von Nellenburg, der Stifter von Allerheiligen, in: Z G O N S 5 (1890), S. 4 2 5 - 4 4 2 , hier S-439ff. Seine Zweifel an der Chronologie werden allerdings nicht von Kläui geteilt, der die Abfolge des Stifterbuchs bietet; vgl. auch Gallmann, S. 4 3 - 4 6 .

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gen Verwandten der weiblichen Linien der Nellenburger genannt127 noch die kirchenpolitischen Aktivitäten der erfolgreichen geistlichen Söhne Eberhards III. erwähnt.128 Und ganz schweigt sich der Chronist über die Nachkommen des im Jahre 1075 i m Sachsenkrieg Heinrichs IV. in der Schlacht an der Unstrut gefallenen Sohnes Eberhard aus, von denen einer, Adalbert von Mörsberg, noch zu Lebzeiten Burkharts von Nellenburg als offenbar ungeliebter Vogt des Klosters bezeugt ist und auch im folgenden immer wieder mit dem Kloster in Rechtsstreitigkeiten verwickelt sein wird.129 Nur einige wenige der weiteren Familienangehörigen des Klostergründers haben überhaupt das Interesse des Chronisten gefunden, und auch sie offenbar nur dann, wenn sie eng mit dem Kloster verbunden bzw. für das Kloster von Bedeutung sind: etwa der mit Eberhard verwandte Papst Leo IX., 130 der die Auferstehungskapelle mit eigener Hand geweiht habe (28*,i9f.), oder die hailigü magt (88*,3) Irmentrud aus dem Schaffhausener Agnes-Kloster, die Tochter jenes Burkhart-Neffen Adalbert von Mörsberg, die sowohl ihre jahrzehntelange Krankheit als auch die Verachtung ihrer weltlichen Verwandtschaft131 mit Geduld ertragen habe, mit deutlichen Zeichen eines heiligmäßigen Todes gestorben und im Münster mit Graf Eberhard und Burkharts Gemahlin begraben sei. Ansonsten konzentriert sich die Klostergründer-Vita strikt auf die engere Stifterfamilie der Nellenburger: die Eltern des Klostergründers, das Stifterpaar und seine Kinder, an ihrer Spitze der letzte überlebende weltliche Sohn, der Haupterbe und Nachfolger, mit dem der Chronist die für Schaffhausen bedeutende Familie der Nellenburger in der männlichen Linie abbrechen läßt. An den Erben der Grafschaft Nellenburg, den Eberhard-Söhnen und Burkhart-Neffen Graf Dietrich von Bürgeln132 und Graf Adalbert von Mörsberg, zeigt der Autor kein Interesse. Sie werden lediglich als die frunde erwähnt, denen Graf Burkhart sine bürge [...] vnd das dar zu horte (86*, 12t.) überlassen hat. Wichtig ist ihm hingegen die genaue Dokumentation der Besitzverfügungen Burkharts an das Kloster.133

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Etwa die bedeutenden Verwandten von Hedwig und Itha. V o r allem des Reichenauer Abtes Ekkehard. 129 Z u Adalberts von Mörsberg klosterfeindlichem Auftreten vgl. Kläui, S. 195f.; er wird in der Eberhard-Vita lediglich als Vater der »heiligen« Irmentrud erwähnt: dv was ains graven tocbter, der hiess grave Albrecht vnd was des stiffters vetter (88*, 1 - 3 ) . 130 E s heißt: vnd was dem selben graven Eberharde nach sippe (28*,!8f.); er ist ein Vetter (consobrinus) von Eberhards Mutter Hedwig. 131 Gemeint ist damit vor allem ihr Vater, der dem Kloster wenig freundlich gesonnene Vogt Adalbert von Mörsberg; vgl. auch Anm. 129. 132 Kläui, N r . 28. 133 86*. 7 - 1 2 . 128

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Auch bei diesem Beispiel ist zur Zeit der Entstehung des familienhistorischen Texts das Stiftergeschlecht in seiner direkten männlichen Linie längst ausgestorben, 134 das Familienerbe in die verschiedensten Familien übergegangen und das ehemalige Nellenburger Hauskloster nach erbitterten Auseinandersetzungen mit den unmittelbaren Nachfolgern der beiden Gründer vornehmlich an der Sicherung des Besitzes interessiert.135 In dieser Situation vermittelt >Der stiffter buch< Ende des 13. Jhs. die Erinnerung an eine begnadete Adelsfamilie, die zwei Generationen lang, in den überragenden Figuren des Stifterpaars und ihres Sohnes, konsequent und erfolgreich ihren Namen, ihren Besitz und ihren Einfluß für die Gründung und das ökonomische und spirituelle Gedeihen des Klosters einsetzt, zugleich aber auch mit ihrer >Adelsheiligkeit< dem Kloster zu einem besonderen Ansehen verhilft. 136 Die als Eberhard-Vita konzipierte Stifter-Memoria, die die Nellenburger Familiengeschichte in einen um Nachrichten zum gottgefälligen Leben von Ehefrau und Sohn erweiterten Lebensbericht des Klostergründers einbindet, zielt letzten Endes auf den spirituellen Ruhm des Klosters, das sich nach dieser Darstellung als Begräbnisstätte prominenter Nellenburger Familienmitglieder zum Ausgangspunkt kultischer Verehrung und göttlicher Wunderzeichen, vor allem des bedeutendsten Nellenburgers, des Klostergründers und Adelsheiligen Graf Eberhard III., präsentiert. >Der stiffter büch< bietet demnach ei134

Nur noch Graf Dietrich von Bürgeln tritt als Graf von Nellenburg auf, seine Söhne Berthold (Kläui, Nr. 31) und Eberhard (Kläui, Nr. 32) schon nicht mehr. Und Adalbert von Mörsberg stirbt ohne Söhne. Im Jahre 1216 wird schließlich Graf Manegold I. von Verengen Graf von Nellenburg. Seine Nachkommen, Eberhard I., Manegold II., Eberhard II., Eberhard III. und Eberhard IV., werden als Grafen von Veringen-Nellenburg bis 1422 regieren. Vgl. dazu Wilhelm Baum, Die Habsburger und die Grafschaft Nellenburg bis zu deren Ubergang an Osterreich (1275-1465), in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 1 1 0 (1992), S. 73-94. 135 Zu den seit der Mitte des 12. Jhs. einsetzenden Bemühungen des Klosters um die Sicherung seiner Besitztitel vgl. Theodor Mayer, Die älteren Urkunden des Klosters Allerheiligen in Schaffhausen, in: Z G O 1 1 0 (1962), S. 1 - 1 5 , hier S. 1 1 ff. I}6 Diese Erinnerung an die engere Stifterfamilie der Nellenburger vermittelt auch eine allerdings stark beschädigte und entsprechend schwer in ihren Figurenbildern zu identifizierende Sandsteinplatte, die im Jahr 1955 in einem spätmittelalterlichen Fußboden des nördlichen Münsterseitenschiffs gefunden wurde. Sie versammelt - entsprechend der allerdings nur fragmentarisch erhaltenen Namen und Todesdaten - in der Mitte in übereinander angeordneten Stifterbildern wahrscheinlich das Grafenpaar Eberhard und Itha mit ihren sechs in einer Vierer- und einer Zweiergruppe angeordneten Söhnen; vgl. die Beschreibung und Rekonstruktion der Gedächtnisplatte von Hans Lieb, unter Mitwirkung von Beat Rudolf Jenny, Das Stifterdenkmal im Münster zu Schaffhausen, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957), S. 1 2 1 - 1 2 7 , sowie die Abbildungen der Platte bei Dietrich Schwarz, Zur kunstgeschichtlichen Einordnung des Stifterdenkmals aus dem Münster zu Schaffhausen, in: Ebda., S. 128-133, hier Tafeln 3537·

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ne Ausprägung adeliger Familiengeschichte, wie wir sie auch in den um Wunderberichte erweiterten >ChroniconVita sancti Leopoldi< des 15. Jhs. kennen: 137 die Vita eines >heiligen< Fürsten, die Klostergründungsbericht, Familientraditionen und Wunderberichte verbindet. Ihre Funktion ist weniger die Dokumentation der Geschichte einer adeligen Stifterfamilie als der um ein Kloster zentrierten kultischen Verehrung des >adelsheiligen< Gründers. Familiengeschichte in klösterlichen Traditionsbüchern des 14. Jahrhunderts Während die volkssprachigen Babenbergergenealogien des 13. Jhs. in ihrer literarischen Konstruktion der Familiengeschichte wie auch in ihrem literarischen Anspruch weit hinter die >Gandersheimer Reimchronik< des frühen 13. Jhs. zurückfallen, finden sich im 14. Jh. Texte, die jene durch die >Gandersheimer Reimchronik< bezeugte Tradition der Verbindung von Klosterhistoriographie und Familiengeschichte in volkssprachigen Versen weiterzuführen scheinen. Unter den mittelhochdeutschen Klostergründungsgeschichten des 14. Jhs., die Karl Münzel im Jahre 1933 zusammengestellt und literarhistorisch in die Nähe der >Gandersheimer Reimchronik des Priesters Eberhard gerückt hat, 138 gibt es Texte, die den Bericht von der Gründung des betreffenden Klosters mit detaillierten Nachrichten über die Stifterfamilie verbinden und dabei mehr oder weniger ausführlich die Ahnen und Nachkommen des Klostergründers in ihrer Genealogie verfolgen: die Kuenringer für das Zisterzienserkloster Zwettl, 139 das Ministerialengeschlecht der Maissauer für das Zwettl unterstellte Zisterzienserinnenkloster St. Bernhard 140 und die nordbayerischen Familien von Sulzbach und Kastl-Habsberg als Nachkommen des sagenhaften schwäbischen Herzogs Ernst für die Benediktinerabtei Kastl. 141 In allen drei Fällen handelt es sich um deutsche Reimchroniken, die allerdings - anders als die >Gandersheimer Reimchronik< - in einen Traditionenkodex des Klosters, d.h. im Umkreis von Urkundenabschriften, Fundationsberichten und Besitzverzeichnungen eingetragen sind. Trotz dieser Überlieferung im Rahmen von klösterlichen Rechtsdokumenten ver137

Vgl. die Ausführungen von Dienst, Regionalgeschichte, S. 72 ff. Münzel, Mittelhochdeutsche Klostergründungsgeschichten, S.95. 139 Im >Stiftungen-Buch< bzw. >Liber fundatorum< von Zwettl (Bärenhaut), S. 1 - 2 2 . 140 Im >Stiftungsbuch< bzw. >Liber fundatorum monasterii< von St. Bernhard, S. 1 3 0 - 1 4 9 . 141 Zitiert wird diese >Kastler Reimchronik< nicht nach Fhr. von Freyberg, sondern nach M o ritz. 138

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mutet Hans Patze, 142 daß - im Gegensatz zu den lateinischen Fundationes - für die Entstehung und Aufzeichnung dieser volkssprachigen Texte weniger rechtliche als erbaulich-religiöse Gründe verantwortlich seien, die auch die Konzeption und Ausgestaltung ihrer Darstellung von Familiengeschichte bestimmten. Diese Behauptung wird sich in dieser Form an den Texten wohl nicht bestätigen lassen. Aber im ganzen greifen diese mittelhochdeutschen Reimchroniken des 14. Jhs. doch weit über Klostergründungsgeschichten und Stiftergenealogien hinaus und präsentieren eine erstaunliche Vielfalt an literarischen Möglichkeiten der Konstruktion und Ausgestaltung der Geschichte des Stiftergeschlechts, die sie zu interessanten historischen Familientexten machen. Das früheste Beispiel ist die deutsche Reimchronik über die Geschichte der Kuenringer, die unter dem Titel Prologus tevtunicus in librum fundatorum Zwetlensis monasterii (S. 1) den in der ersten Hälfte des 14. Jhs. zusammengestellten >Liber fundatorum< des Zisterzienserklosters Zwettl, die sog. Bärenhaut, 143 einleitet. Die erst in den letzten Jahren durch die Vorbereitung der Faksimileausgabe der >Bärenhaut< von Karl Brunner und Joachim Rössl aufgehellte komplizierte Entstehungsgeschichte dieses Kompendiums von Stifter- und Klostergeschichte, von Privilegien, Urkunden, Besitz- und Abgabenverzeichnis des Klosters Zwettl in den Jahren 1310/11 mit Nachträgen bis ins Jahr 13 31 wird auf ein Zusammenwirken des Klosters mit seiner Stifterfamilie, den Kuenringern, vor allem ihrem Familienoberhaupt Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein, zurückgeführt. 144 Dieser Kooperation von Adelsfamilie und Kloster scheinen die thematischen Schwerpunkte von Stiftergeschichte und Rechtsdokumentation zu entsprechen, die in lateinischer wie deutscher Ausprägung den Inhalt des >Liber fundatorum< bestimmen. Denn der in fünf Büchern eingeteilte, in den Jahren 1310/11 entstandene Grundstock des >Liber fundatorum< besteht aus einer wohl schon im 13. Jh. verfaßten lateinischen Verschronik (S. 23-27) über die Herkunft und Geschichte der Zwettler

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Patze, K l o s t e r g r ü n d u n g , S. n j i . Joachim Rössl hat eine Faksimileausgabe dieses w e g e n seines Einbandes >Bärenhaut< ( H a u t eines Ebers) genannten Traditionenbuches vorgelegt u n d in einem K o m m e n t a r band ausführlich dokumentiert. Z u r Entstehung, A n l a g e u n d F u n k t i o n des C o d e x vgl. die A r b e i t e n v o n T a n g l , Studien; B r u n n e r , Z w e t t l e r »Bärenhaut«; Rössl, Z w e t t l e r »Bärenhaut«. Z u r Beteiligung der Kuenringer, v o r allem L e u t h o l d s I. v o n K u e n r i n g - D ü r n s t e i n , an der Entstehung des P r a c h t k o d e x vgl. Brunner, Z w e t t l e r »Bärenhaut«, S.6$jii., s o w i e Rössl, Z w e t t l e r »Bärenhaut«, S. 678. D i e B e z e i c h n u n g der K u e n r i n g e r richtet sich im f o l g e n d e n nach der Beilage »Stammbaum der Kuenringer« des Katalogs der Ausstellung: D i e K u e n ringer.

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Stifterfamilie der Kuenringer und einer Art Prosakommentar, der mit einer Fülle auch volkssprachiger Urkunden dokumentarisch belegt ist, sich zunehmend zu einem Chartular des Klosters entwickelt, aber immer wieder auch erzählende Passagen mit (nicht selten höchst kritischen) Informationen über die Kuenringer aufweist. Eingeleitet wird dieses Zwettler Traditionsbuch schließlich durch eine deutsche Reimchronik über die Kuenringer (S. 1-22), die die Familiengeschichte des lateinischen Textes bis in die Jahre 1308-12, bis zu Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein und seinen Kindern, weiterführt und wohl erst nach der Zählung und Lagenregistratur dem Codex als Teil 1 beigebunden wurde. Die Bedeutung, die bei der Zusammenstellung des Codex der Geschichte der Stifterfamilie zugewiesen wird, zeigt sich schon in dem Titel Liber fundatorum et benefactorum zwetlensis monasterii,145 der zugleich das Verständnis dieses Traditionsbuches als einer rechtssichernden StifterMemoria ganz wesentlich begründet. Und tatsächlich ist das gesamte Textcorpus von der Geschichte der Kuenringer bestimmt, die in ganz unterschiedlicher Ausprägung - in Latein wie in der Volkssprache, in Prosa und Vers, in Wort und Bild - die Rechtsaufzeichnungen der Zwettler Mönche durchdringt: in lateinischen Hexametern, in Prosakommentaren, Urkundenabschriften und weiterführenden Nachrichten, in einer deutschen Reimchronik und in einer Reihe von Federzeichnungen, darunter auch zahlreichen Stammbäumen der weitverzweigten Familie der Kuenringer.146 Die im frühen 13. Jh. entstandene lateinische Verschronik, die nach Hadmars II. Tod (1217) auf das Vorsatzblatt des Cod. Zwetl. 8, des Winterteils eines dreibändigen Lectionum officii Cist, von 1173/74, eingetragen und bei der Zusammenstellung des Zwettler Traditionsbuchs unter Verzicht auf die zwölf Prologverse in den >Liber fundatorum< übernommen wurde, 147 informiert über die bis zu Hadmar II. reichende Frühgeschichte der Kuenringer. Sie werden hier auf Atzo, einen Verwandten des 145

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147

So in der Überschrift des Prologs, S. 22; in Entsprechung dazu favorisiert Brunner, Zwettler »Bärenhaut«, S. 647, das volkssprachige Pendant >Stifter-Buch< gegenüber der bisherigen Bezeichnung der >Bärenhaut< als >Stiftungen-BuchLiber fundatorum< keine Aufnahme gefunden haben - die Kuenringer von A t z o bis Hadmar II. präsentiert (vgl. Kommentarband der Faksimileausgabe, S. 23) und im folgenden in einer Reihe einzelner Darstellungen der Haupt- und Nebenlinien weitergeführt wird; zu den einzelnen Bildern vgl. Kommentarband, S. 2 0 - 2 3 . Die nicht in die >Bärenhaut< übernommenen Prologverse bietet Johann von Fräst, Urkunden und geschichtliche Notizen, die sich in den Handschriften des Stiftes Zwettl finden,

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Markgrafen Leopold II. und seines Bruders Poppo, des Erzbischofs von Trier, zurückgeführt, der in den unruhigen Zeiten der Regierung des >üblen< Heinrich IV. von Poppo seinem Bruder Leopold als Hilfe gegen die verheerenden Einfälle der feindlichen Nachbarstämme der Slaven und Baiern nach Osterreich gesandt worden sei. Nachdem er in einer Art christlicher Entscheidungsschlacht die Feinde vertrieben habe, sei er vom österreichischen Fürsten als Belohnung mit dem in seiner Familie bis heute erblichen Amt des Mundschenken betraut und einer besonders vornehmen Ehefrau beschenkt worden. Nach dieser langen Einleitung von 107 Versen setzen die Familiennachrichten ein: Von Atzos drei Söhnen, dem früh verstorbenen Anshelm sowie Nitzo und Albero, führen die beiden jüngeren zum Zisterzienserkloster Zwettl bzw. zu dem späteren Stiftergeschlecht der Kuenringer. Einer von Nitzos Söhnen wird Hadmar I. sein, der in kinderloser Ehe mit seiner Gattin Gertrud lebte, mit ihr das Zisterzienserkloster Zwettl gründete, es reich ausstattete, sich allerdings wegen der noch unsicheren Zukunft seiner Gründung das Stift Göttweig als Grablege erwählte. Und Alberos gleichnamiger Sohn, der den Familiennamen Kuenring annahm, ist der Vater Hadmars II., mit dessen überschwänglichem Lob als Förderer Zwettls der Text endet. Der abschließende Segenswunsch des Verfassers für Hadmar II., seine Ehefrau und ihre Nachkommen läßt vermuten, daß der Text bald nach dem Tod dieses Kuenringers, der von Herzog Leopolds VI. Kreuzzug im Jahre 1227 nicht zurückkehrte, entstanden ist, vielleicht auch - wie Heide Dienst andeutet148 - in der Zeit, als das Schicksal dieses Fürsten und Förderers von Zwettl noch ungewiß war. Diese lateinische Verschronik über die Frühgeschichte der Kuenringer, in deren gelehrter Historiographie, »genealogischer Klitterung«149 und biblischer Darstellung sich - nach Heide Diensts Untersuchungen - sowohl das Selbstverständnis des Klosters als auch die politischen Interessen der Stifterfamilie in der ersten Hälfte des 13. Jhs. spiegeln,IJ0 wird fast 100

148 149

150

in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 2 (1849), S. 3 6 1 - 4 2 7 , hier S. 365 f.; neuerdings wieder abgedruckt bei Dienst, Tradition und Realität, S. 42, Anm. 6. Dienst, Regionalgeschichte, S. 94. Dienst, Regionalgeschichte, verfolgt in ihrem Kuenringer-Kapitel (S. 9 2 - 1 0 0 ) unter dem Titel »Genealogische Klitterung als politisches Programm« (S. 92) die genealogischen A n sippungen und Spekulationen des Zwettler Chronisten; ausführlicher dazu Dienst, Tradition und Realität. Die politisch-zeitgeschichtliche Konturierung der Familiengeschichte zeigt sich für Heide Dienst, Regionalgeschichte, S. 96 und Anm. 87, am deutlichsten in der Behauptung des Chronisten, daß A t z o als Belohnung für seine Dienste das A m t des Mundschenken erhalten und seinen Nachkommen bis heute vererbt habe. Damit artikuliere der Chronist ein

!3 2

Jahre später, zur Zeit Leutholds I. von Kuenring-Dürnstein, als eine Art historisches Dokument der Gründung dieses Klosters das erste Buch des großen Zwettler Traditionsbuches einleiten. Auf die Anfangsnotiz über die Gründung Zwettls im Jahre 1138 und die Nachricht De hac nostra abbacia a senoribus huius domus hos versus scriptos inuenimus (23,1) folgt unter der Überschrift Versus de primis fvndatoribus (23,3) die um die zwölf Prologverse gekürzte Kuenringergeschichte in leoninischen Hexametern aus dem 13. Jh. Ihr als prologus tevtunicus (1,1) vorangestellt ist eine um Zusatzinformationen und Nachträge erweiterte deutsche Reimfassung von 75 5 Versen, die in drei jeweils mit Amen abschließenden Partien die Geschichte der Kuenringer bis zu Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein und seinen Kindern verfolgt.15' Die ersten beiden Abschnitte entsprechen inhaltlich der lateinischen Verschronik: In 294 Versen wird - wie in den Versen 23,4-26,3 des lateinischen Textes - die Vorgeschichte des Kuenringer-Stammvaters Atzo als eines von Gott in einem prophetischen Traum prädestinierten Helfers des von Baiern, Ungarn und Böhmen bedrängten Markgrafen und als eines Retters von Osterreich präsentiert, der in einer Art Kreuzzug das Land von den Angriffen der vndiet (7,8) befreit und auf diese Weise den Frieden wieder herstellt. Die zweite Partie bietet in Anlehnung an 26,3-27,31 der lateinischen Vorlage - die Frühgeschichte des Geschlechts bis zu Hadmar II. Sie beginnt mit Gunsterweisen des mit ihm verwandten Markgrafen, dem Aufstieg des Atzo vber alle dt in dem lande waren (9,28), der reich belohnt wird, die vornehmste Dame als Ehefrau und das Schenken- wie Marschallamt erhält. Es folgen Informationen über seine drei Söhne, über Nitzos Sohn Hadmar I., der mit seiner Ehefrau eine keusche und deshalb kinderlose Ehe führt und mit ihr das Zisterzienserkloster Zwettl gründet, sich um das Gedeihen der jungen Gründung kümmert, aber - zum großen Bedauern des Chronisten - beim Tod seiner Ehefrau sich für Göttweig als Grablege entscheidet, denn: Daz chloster was no nit volchomen (11,15). Vollenden wird die Hadmar-Gründung ein Nachkomme des jüngsten Atzo-Sohnes Albero, dessen Enkel Hadmar II., der ander hadmar (11,33), sich des Klosters im Sinne seines Stifters annimmt: Allen seinen vleiz er leit dar zu / Beid abent vndefrS /

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Wunschdenken der Kuenringer, die zwar bis Ende des 13. Jhs. über die Marschallwürde verfügten, aber keine Mundschenken waren, dieses A m t jedoch im 13. Jh. anstrebten. Zur historischen und literarischen Darstellung der Kuenringer in diesem prologus tevtunicus vgl. neben Münzel, Mittelhochdeutsche Klostergründungsgeschichten, S. 9 5 ff., und Patze, Klostergründung, S. 1 1 7 , vor allem Zawrel, Historia fundatorum, S. 20-89, der diese volkssprachige Kuenringergeschichte nach ihren Quellen, ihrer gattungsgeschichtlichen Zuordnung und ihrem Publikumsbezug untersucht.

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Wie er ez volbrxht / Daz man sein immer gedieht (12,1-4). Und wie die lateinische Verschronik endet dieser Abschnitt mit der Bitte des Verfassers für das Seelenheil dieses Klosterförderers, der die himmlische Krone verdient habe. Die dritte, über die lateinische Vorlage hinausgehende Partie setzt noch einmal neu bei der Albero-Linie ein. Im Rückgriff auf eine Bemerkung des zweiten Abschnitts über diesen Zweig, der zum KuenringerGeschlecht geworden sei, bietet sie zunächst eine sagenhafte Geschichte über den Kuenringernamen, den eine Familienversammlung als Geschlechtsnamen gewählt und den Hadmars II. Vater Albero als erster getragen habe. Dieser Atzo-Enkel habe sich - im Gegensatz etwa zu seinem Vetter, dem Klostergründer Hadmar I. - bereits in Zwettl begraben lassen. Und nun folgt die Familiengeschichte der Kuenringer, die unter dem interessegeleiteten Blick des Zwettler Chronisten als Geschichte des Verhaltens der Kuenringer gegenüber ihrem Hauskloster Zwettl erscheint. Der die Darstellung bestimmende Gesichtspunkt ist dabei die Memoria-Aufgabe des Klosters für jene Familienmitglieder, die in Zwettl bestattet sind. Die Bedeutung dieses Themas zeigt sich schon im zweiten Abschnitt, als der Chronist bedauernd vermerkt, daß Hadmar I. sich nicht in seiner Gründung Zwettl, sondern in Göttweig habe begraben lassen: Also ist er von seinem chloster gedigen / Doh swa er leit da leit er wol / Alein ez vns leit wesen sol. (11,20-22). Die Kuenringer-Linie des Atzo-Enkels Albero bringt die entscheidende Wende, da sich bereits dieser erste Träger des Kuenringernamens in Zwettl habe begraben lassen. Und auch im folgenden ist die Entscheidung der einzelnen Kuenringer für oder gegen Zwettl als Grablege ein entscheidendes Kriterium für das Interesse des Chronisten an ihnen: sehr deutlich etwa bei Alberos beiden Kindern Hadmar II., der so vast mitßeizze gar / daz chloster zwetel hat volhraht (15,12 f.), und Gisela von Sonnberg, der Stammutter berühmter Geschlechter, von denen der Chronist jedoch schweigen will: Want sisih von vns vntphremdent / Vnd zv vns vil stehen choment / Mit ir lesten tödpetten( 15,27-29). Nur Gisela selbst sei in Zwettl bestattet. Und über Hadmars II. prachtvolle Totenfeier in Zwettl finde man ausführliche Informationen in diesem bSh.^ 1 Hadmar II., der durch seine intensive Bautätigkeit Zwettl unterstützt und ausdrücklich alle Bedränger des Klosters verflucht habe, findet mit dieser zwettlfreundlichen Politik bei seinen männlichen Nachkommen zunächst keine Nachfolge. Seine Söhne Heinrich und Hadmar III. jedenfalls ahtent der fl$>h niht /.Da von wart ir geluk enwiht. (16,11 f.). Auch

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16,4; die entsprechende Passage über die Totenfeier Hadmars II. in Zwettl schließt das erste Buch des >Liber fundatorum< ab; vgl. S. 96-100.

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von den Nachkommen ihrer Schwester Gisela, die über ihre Ehe mit Ulrich von Falkenstein zu den mächtigsten Geschlechtern gehören, scheint nur der älteste Sohn Rapoto engere Kontakte mit Zwettl gepflegt zu haben, das sein Totengedächtnis feiert (16,22-24). Die bedeutende Nachkommenschaft des dritten Sohnes Hadmar hingegen übergeht der Chronist: Want sib sein gesiebte hat / Gephlibtet verre an ander stat / Mit dem tödpette sein (16,33-17,1). Nach einer längeren Reflexion über die bedauerliche Entwicklung, daß sich diese Geschlechter zugunsten anderer Klöster von ihrer so angesehenen Stiftung zurückziehen, wendet sich der Reimchronist wieder den beiden Söhnen Hadmars II. zu, die beide - offenbar weil sie die zwettlfreundliche Tradition ihres Vaters nicht weiterführen - Schwierigkeiten haben: Heinrich III. wie Hadmar III. büßen zwischenzeitlich mit >Vertreibung< für ihre Rebellion gegen Herzog Friedrich II. 153 Da Heinrichs Geschlecht im männlichen Stamm ausstirbt, führen die Söhne Hadmars III. den Kuenringernamen nach der Erbteilung von 1259 in zwei Linien weiter: einerseits der mit dem Hinweis auf die Informationen des puch (18,28) nur kurz erwähnte Heinrich IV. von Kuenring-Weitra, der über seine fünf Kinder mit den bedeutendsten Geschlechtern verbunden sei, andererseits Albero IV. von Kuenring-Dürnstein, dem als Vater seiner Söhne Leuthold, Heinrich und Albero das besondere Interesse des Chronisten gilt. Denn diese Söhne knüpfen wieder an die zwettlfreundliche Tradition der tugentleicben chunringer (19,33) mit Stiftungen - wie das nachfolgende Buch detailliert dokumentiere (20,2f.) - an, von denen nur einige, etwa die Jahrtagstiftung für ihren Vater (20,11-13), aufgeführt werden. Da zwei der Albero-Söhne früh sterben,154 läuft die Familiengeschichte der Kuenringer auf Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein zu. Es folgt ein Lobpreis, der Familien- mit Klostergeschichte verbindet (21,1 iff.): Unter Leuthold I. habe das Kuenringergeschlecht - wie seine Kinder zeigen - mit der edelen grafen sam (21,15) 155 einen Aufstieg genommen und zugleich Zwettl an Größe und Ansehen gewonnen. Die Reimchronik endet mit einem Hinweis auf das nachfolgende Buch, in dem dies alles zu lesen sei,156 und der Bitte des Chronisten 153

1 8 , 7 - 2 0 ; zum >Aufstand< der Kuenringer nach dem Tod Herzog Leopolds VI. im Winter 1230/31 vgl. Reichert, Landesherrschaft, S . 9 - 1 9 . 154 Albero VI. kommt in der Schlacht von Dürnkrut zwischen Rudolf von Habsburg und Ottokar von Böhmen im Jahr 1278 ums Leben (20,17-26), Heinrich VI. stirbt jung, d.h. ohne Erben (20,27^). 155 Zu den im 13. Jh. einsetzenden Heiratsverbindungen der Kuenringer mit Grafenfamilien vgl. Peter Zawrel, Einführung, Genealogie, in: Kuenringer, S. 4 3 - 5 1 , hier vor allem S.44 (etwa Leutholds I. zweite Gattin Gräfin Agnes von Asberg). 156 Daz tiht hie haben schol ein ende / Wand ich zw dem puehe sende / Alle di iz wizzent wel-

Σ

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um >unser< Seelenheil, in das - im Sinne einer gemeinsamen Gruppe - auch die Kuenringer und alle Stifter des Klosters einbezogen werden.157 Diese deutsche Reimchronik ist offenbar im Zusammenhang mit der Anlage des Zwettler Traditionsbuchs zur Zeit Leutholds I. von KuenringDürnstein in den Jahren 1308 bis 1312 entstanden und dem mit der lateinischen Kuenringerchronik des 13. Jhs. beginnenden Codex als prologus tevtunicus vorgebunden worden. Und tatsächlich fungiert der deutsche Text als eine Art Prolog zu der in dem Codex versammelten Geschichte des Klosters und seiner Stifter/Förderer, da - ganz im Gegensatz natürlich zur lateinischen Chronik des 13. Jhs. - der volkssprachige Autor im dritten Teil immer wieder auf entsprechende Nachrichten und Ausführungen in dem nachfolgenden/?«^ verweist.'58 Diese funktionelle Einbindung der Kuenringergeschichte in den Zwettler Traditionscodex bestimmt allerdings auch ihre Darstellung, die deutlich auf die Interessen des Klosters ausgerichtet ist. So betrachtet der Chronist mit dem Bericht von der Gründung Zwettls durch Hadmar I. - wie sein lateinischer Vorgänger im 13. Jh. - die Kuenringer explizit aus der wir-/uns-Perspektive des Klosters, die vor allem im dritten Abschnitt zahlreiche affektive Nebenbemerkungen des Chronisten über das Verhalten einzelner Kuenringer zu dem Kloster prägt.159 Zentrales Thema ist dabei die Verbundenheit der Kuenringer mit ihrem Hauskloster, die sich vor allem darin zeigt, daß sie es zu ihrer Familiengrablege wählen. Unter diesem Gesichtspunkt verfolgt und bewertet der Chronist die wechselnde Familiengeschichte: Da der Gründer Hadmar I. zu seinem Bedauern noch unsicher über die Zukunft seiner neuen Gründung war und sich deshalb in Göttweig begraben ließ (11,12-24), beginnt die Tradition Zwettls als Kuenringer-Grablege mit Hadmars I. Vetter Albero III. (i4,i6f.), dessen Sohn Hadmar II. (16,1-4), seinem bedeutenden Förderer, bricht in der nächsten Generation mit den Kindern Hadmars II. ab und setzt erst wieder mit Hadmars III. Sohn Albero V., vor allem aber dessen drei Söhnen Leuthold I., Heinrich VI. und Albero VI. ein, die u.a. zefuesprünn auh den gelt / Zu irs vater iartag gaben (2o,i2f.). Entsprechend fällt die Berichterstattung aus. Während der Chronist bei den Familienangehörigen, die sich und ihr Begräbnis der Kuenringerlent / Di iz lesent in dem ellent. / Dazpei hern leutolds zceiten / Disiv Stiftung ist so weiten / Gepraittet ferr vnd ouh gemeret / Als vns disiu schuft nu leret (21,27-34). 157 Daz mit vns di chunringer / Vnd alle getrew Stifter / Besitzen deines vaters reich / Mit allen heiligen ewichleich. Amen (22,7-10). I58 V g l . etwa 11,6; 16,3f.; 1 7 , n f . ; 18,13ff-; 1 8 , 3 3 ^ 20.1-3; 21.27-34159

Vgl. etwa 1 1 , 2 2 ; 1 2 , 2 1 ; 14,12; 15,1; i j , 2 7 f f . ; 17,18; 20,1; 22,ji.

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gründung Zwettl entziehen, ausdrücklich auf weitere Nachrichten verzichtet,'60 verweist er bei jenen Kuenringern, die sich - wie Hadmar I., Hadmar II. und Leuthold I. - als eifrige Förderer des Klosters erwiesen haben, auf das nachfolgende Buch. Auch dies zeigt noch einmal die enge Verklammerung der prologartigen Reimchronik der Kuenringer mit dem nachfolgenden Zwettler Traditionsbuch, das die verschiedensten Dokumente versammelt, speziell natürlich Verzeichnisse der Schenkungen, Stiftungen und Privilegien, aber auch historische Nachrichten über die Stifterfamilie, die wiederum ihren Niederschlag in der Reimchronik finden. Und es fragt sich deshalb, ob wir tatsächlich - wie Karl Brunner und Joachim Rössl vermuten16' - für die Entstehung der >Bärenhaut< und speziell der volkssprachigen Kuenringergeschichte von einer Beteiligung Leutholds I. von Kuenring-Dürnstein ausgehen müssen, der angesichts einer Reihe von Rückschlägen, Niederlagen, Gefährdungen und Problemen seiner Familie um die Wende des 13. Jhs. - wie schon ein Jahrhundert früher Graf Siboto von Falkenstein - an einer Dokumentation der Herrschaftsgeschichte seines Geschlechts interessiert gewesen sei und deshalb ein Unternehmen gefördert habe, das mit der Geschichte der Kuenringergründung Zwettl zugleich die strahlende Geschichte seines Hauses herausstellte. Die Nachrichten über die Kuenringer sind gerade im >neuen< dritten Abschnitt in ihren positiven wie negativen Ausprägungen'62 so eng auf die nachfolgende Dokumentation bezogen und damit so sehr bestimmt von den Interessen des Klosters, daß eine spezifische Einwirkung Leutholds auf diese Art von Familiengeschichte nicht recht deutlich wird. Die Angehörigen und Familienverbindungen der Kuenringer sind ja für 160

Vgl. etwa im Falle der berühmten Verwandtschaft Giselas von Sonnberg, der Schwester Hadmars II. (ij,26ff.), Hadmars von Mistelbach, eines Sohnes Giselas von Falkenberg und Enkels Hadmars II. (i6,32ff.), und seiner Nachkommen ( i 7 , i 7 f f . ) . A u c h die Federzeichnung mit dem Stammbaum der frühen Kuenringer von A z z o bis Hadmar II. (fol. 8r) verzichtet auf Familienmitglieder, die für Zwettl nicht wichtig sind; vgl. dazu Joachim Rössl, Kommentarband zur Faksimileausgabe, S. 23.

' 6 ' Brunner, Zwettler »Bärenhaut«, S . 6 j 7 f f . ; Rössl, Zwettler »Bärenhaut«, S. 6γιί. l6z Vgl. etwa die von Tangl, Studien, S. 292^, versammelten kritischen Kommentare des >Liber fundatorumLiber fundatorum< zu Beginn des dritten Buches (fol. 2rb-3 jra) immer wieder erwähnt wird. Zawrel, Historia fundatorum, S. 244ff., vermutet deshalb eine entstehungsgeschichtliche Schichtung des Textes mit kuenringerkritischen und -freundlichen Partien mit einer den Klosterbereich überschreitenden Wirkungsintention der Verfasser, die mit den Kuenringern auf die Gruppe des österreichischen Landesadels ziele.

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den Chronisten nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Verbundenheit mit Zwettl von Bedeutung. Er präsentiert in Anlehnung an die lateinische Verschronik die ministerialischen Kuenringer als ein durch die Dankbarkeit des Markgrafen den anderen Adelsfamilien überlegenes, quasi-fürstliches Stiftergeschlecht, verweist auch in der weiteren Geschichte immer wieder auf die bedeutenden Heiratsverbindungen, vor allem der weiblichen Familienmitglieder, zeigt jedoch - ähnlich wie der Zeichner des Kuenringer-Stammbaums von Atzo bis Hadmar II. - kein Interesse an dessen mächtigen lateralen Verwandtschaftsverbindungen, wenn sie keine positiven Auswirkungen für Zwettl haben. Der Glanz der Kuenringer wird von ihm auf wenige Höhepunkte fokussiert. Neben den aus der lateinischen Vorlage stammenden sagenhaften Befreiungstaten des Stammvaters Atzo sind es vor allem drei Kuenringer-Förderer des Klosters Zwettl, der Klostergründer Hadmar I., der Albero-Sohn Hadmar II. und Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein, auf dessen Lob diese deutlich aus der Perspektive des Klosters präsentierte Kuenringergeschichte zuläuft. Dieser Kuenringer erfährt eindringlich, wie sehr das Gedeihen seines Geschlechts an das Zusammenwirken mit dem Hauskloster gebunden ist: Nu hat in got so hoeh geert /Vnd ist sein gesieht gemert / Mit der edelen grafen sam / Di uon chunigen habent nam / Got hat gehohet sein gesieht (21,1317). Leuthold I. von Kuenring-Dürnstein, nach dem Sturz der Weitra-Linie als Folge ihres Widerstands gegen Rudolf von Habsburg von 1278 das Oberhaupt der Kuenringer,163 mag daran Gefallen gefunden haben. Und vielleicht ist ja auch die Entstehung eines so repräsentativ ausgestalteten, mit zahlreichen Federzeichnungen der Kuenringer-Genealogie versehenen Traditionscodex wie der Zwettler >Bärenhaut< ohne die Unterstützung, ja Gönnerschaft der Stifterfamilie kaum denkbar,164 so daß das den gesamten Codex tragende Konzept eines gedeihlichen Zusammenwirkens von fürstlicher Zuwendung und klösterlicher Memoria-Aufgabe doch auch an die Stifterfamilie, speziell an Leuthold I., appellativ gerichtet sein mag. Die Perspektive, aus der die Geschichte der Familie präsentiert wird, ist allerdings ganz eindeutig die des Klosters. Offenbar in Anlehnung an dieses Zwettler Stifter-Buch wird in der Mitte des 14. Jhs. - im Jahre 1 3 5 0 / 5 1 - auch für das Zwettl unterstellte nieder163

Z u den im Umfeld der Auseinandersetzungen zwischen Rudolf von Habsburg und Ottokar von Böhmen unterschiedlich verlaufenden Entwicklungen der beiden KuenringerLinien in den 70er Jahren des 1 3 . Jhs. vgl. Ernst C . Hellbling, Die Kuenringer, St. Pölten/ Wien 197 j (Schriftenreihe niederösterreichische juristische Gesellschaft 4), S. 12 ff.; Rössl, Böhmen, Ottokar II. Przemysl, S. 396ff.

164

Darauf weist (mündlich) Franz-Josef Holznagel hin.

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österreichische Zisterzienserinnenkloster St. Bernhard bei Horn ein >Liber fundatorum monasteriiLiber testamentorum< betitelten Kastler Urbar und vor Urkundenabschriften und einer lateinischen Klosterchronik eingetragen ist.171 Sie beginnt program169

Münzel, Mittelhochdeutsche Klostergründungsgeschichten, S. 1 $3, verweist auf die Klosterhistoriographie der dominikanischen Nonnenviten und sieht in der Berichtsperspektive des Chronisten von St. Bernhard die der Darstellung der Nonnenviten vergleichbare Haltung eines Seelsorgers, der sich um die Geschichte und das Heil der seinem Kloster anvertrauten Zisterzienserinnen bemüht. 170 Ab S. 303 folgen einige Urkunden späteren Datums (bis 1383). 171 Frh. von Freyberg, S. 457, der erste Herausgeber der deutschen Reimchronik, vermutet in Abt Hermann den Verfasser des mittelhochdeutschen Textes und Schreiber des Codex; Bosl, Nordgaukloster Kastl, S. 2 2 f., Münzel, Mittelhochdeutsche Klostergründungsgeschichten, S. Spi., Tyroller, Herkunft, S. 78f., und Honemann, Klostergründungsgeschichten, Sp. 1243, sehen in ihm zumindest den Initiator des Unternehmens. Zur Entstehung des Kastler Wirtschaftsbuches unter Abt Hermann vgl. Bosl, Nordgaukloster Kastl, S.22f.; 89f. 171 Der Text hat im 16. Jh. eine Umarbeitung erfahren und ist mit lateinischen Kommentaren versehen worden, die bei Moritz, Anhang S. 116-119, gedruckt sind. I4I

matisch als Stifterchronik: An dem Buch vint man ze lesen. / Wer Kastll Stifter sint gewesen (V. ι f.) Zugleich ist sie aber auch eng auf ein - wohl verlorenes - Salbuch des Klosters bezogen, auf dessen Dokumentation ihr Autor immer wieder verweist.173 Allerdings fungiert sie nicht - wie in Zwettl und St. Bernhard - als zusammenfassende Einleitung in ein klösterliches Traditionsbuch, sondern als volkssprachiges Pendant zur Dokumentation des Salbuchs und dabei sogar explizit als Orientierungshilfe für Laien, die - wenn sie nach der herrschaftlichen Basis des Klosters fragen - über die Herkunft der Stifter informiert werden sollen: Die Salbuch sagent in Latein / Wer die Stifter gewesen sein / Die Kastel und ander Cloester werd / Got habent gestift uf diser Erd / Des fragent dick die Laeut / Nu well wir daz man bedaeut. / Latein ze devtschen Puchen. / Welch Lay ez wellen suchen. / Und nach der Herschaft fragen / So kan man im gesagen. / Von welher Art sie sin geporn. / Die divse Stift hie habent erkorn (V. 37-48). Klostergeschichte, Rechtsbeweise und Besitzdokumentation erscheinen hier ausdrücklich in die Familiengeschichte der Stifter eingebunden und werden tatsächlich im Laufe der Darstellung über die Genealogien der Stifter vermittelt. Thematisches Zentrum der weit ausgreifenden Familientableaus der Kastler Klosterstifter ist das gemeinsame Handeln von Mitgliedern der pfalzgräflichen Familie: Bernger II., Graf von Sulzbach, Luitgard, der Witwe des Markgrafen Diepold und vor allem Friedrich, Graf von Kastl-Habsberg mit seinem Sohn Otto, 174 die sich im Jahre 1102 zur Gründung eines Benediktinerklosters entschließen und dafür Teile ihres offenbar gemeinsamen Erbes auf dem Kastlberg zur Verfügung stellen. Diese drei Stifter der Benediktinerabtei Kastl, die gemeinsam bei Papst Paschalis II. am 12. Mai 1102 die Bestätigung ihrer Gründung erreichen, das Kloster reich ausstatten und über ihre Familienbeziehungen ihrer Gründung reiche Schenkungen vermitteln, werden in der Reimchronik in ihren weit ausgreifenden genealogischen Beziehungen vorgeführt: zunächst in ihrer sagenhaften Abstammung von dem Ba173

174

Vgl. etwa V . 193; 244; 324; 433; 465; 475; 645; 720; 744. Z u diesem verlorenen Salbuch vgl. den Herausgeber Moritz, S.45, sowie Tyroller, Herkunft, S. 8off. Die Reimchronik führt die Klostergründer in zweiter bzw. in dritter Generation auf den schwäbischen >Babenbergerunsentfremdet< hätten, und die Reimchronik von St. Bernhard sogar ganz auf eine Genealogie der Maissauer Klosterförderer verzichtet, nur in einzelnen Lebenssituationen von Otto und Stephan von Maissau einen knappen Ausschnitt beleuchtet, entfaltet der Kastler Chronist eine ausladende Familiengeschichte königsnaher Stiftergeschlechter, die in ausdifferenzierten Verwandtschaftsverbänden um die Benediktinerabtei Kastl gruppiert ist. Ihr ideelles Zentrum ist das Kloster, das über die agnatischen und kognatischen Verwandten seiner drei Stifter und Förderer in ein weitgespanntes Netz bedeutender Adels-, Fürsten- und Herrschergeschlechter eingebunden ist und bis in die Gegenwart des Chronisten als Adressat frommer Stiftungen und als Grablege auch der weiter entfernten berühmten Verwandtschaft seiner Stifter fungiert. Trotz ihrer überlieferungsgeschichtlichen Gemeinsamkeiten als volkssprachige Verschroniken, die im frühen 14. Jh. als Teil eines übergreifenden, vornehmlich lateinischen Traditionscodex des jeweiligen Klosters entstanden und sehr direkt auf dessen Rechts- und Besitzdokumentation ausgerichtet sind, überwiegen dennoch bei den drei Texten, zumindest 175

Beide Fürsten, die noch in den Jahren 1 1 6 4 - 1 1 6 6 in der schwäbischen Fehde des Pfalzgrafen von Tübingen gegen die Weifen Gegenspieler waren, da Friedrich von Rothenburg auf Seiten des Pfalzgrafen von Tübingen in die Kämpfe eingriff, sind im Jahre 1 1 6 / - ebenso wie Bernger III. von Sulzbach - auf dem vierten Italienzug Barbarossas an der im Heer grassierenden Malaria gestorben; vgl. dazu H . Schwarzmaier, Friedrich IV. von Rothenburg, in: L M a I V (1988), Sp.960.

176

Vornehmlich im Zusammenhang rechtlicher oder wirtschaftlicher Fragen, die das Kloster betreffen; vgl. etwa V . 278; 282; 316; 485; 502; 613.

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hinsichtlich ihrer Familienthematik, die Unterschiede. Zwar handelt es sich in allen drei Fällen um sog. Stifterchroniken, die mehr oder weniger ausführlich historische Nachrichten über die Familie der Klostergründer im Zusammenhang mit Gründung, Wachsen und Gedeihen des Klosters bieten und in dieser kompakten Zusammenschau sogar - wie im Falle des Zwettler >Liber fundatorum< oder des >Liber testamentorum< von St. Bernhard - als eine Art einleitender historischer Abriß der Kloster- und Stiftergeschichte der klösterlichen Dokumentation vorangestellt werden können. Die Geschichte der Stifterfamilie verdeutlicht zugleich die Geschichte wie auch die Ansprüche des Klosters. Und doch haben wir es mit sehr unterschiedlichen Konzeptionen und Darstellungen der Adelsfamilie zu tun. Der Zwettler Chronist der >Bärenhaut< verfolgt die agnatische Genealogie der Kuenringer von einem sagenhaften Urvater Atzo über die Entwicklung des Kuenringer-Zweigs bis zu dem zeitgenössischen Oberhaupt der Kuenring-Dürnstein-Linie Leuthold I. und seinen Nachkommen und vermerkt nur in Ansätzen weibliche Familienmitglieder oder kollaterale Linien. Im Gegensatz zu dieser strikt agnatischen KuenringerGenealogie entwirft der Kastler Chronist ein geradezu exzessives kognatisch ausdifferenziertes Verwandtschaftstableau der Kastl-Gründerfamilien, die über weibliche Linien, vorteilhafte Ehen der Töchter wie Schwestern und angeheiratete Verwandte breite Adelskreise erfassen und bis in die kaiserliche Familie reichen. Kriterium für diesen agnatischen bzw. kognatischen Blick der jeweiligen Chronisten auf die Stifterfamilie ist das Wohl des Klosters bzw. die Kooperation von Stifterfamilie und Hauskloster. Für den Zwettler Reimchronisten konkretisiert sich dieses Zusammenwirken in der Funktion Zwettls als Grablege seiner Förderer. Er muß jedoch zu seinem Bedauern feststellen, daß die bedeutenden weiblichen Linien der Kuenringer ihr »töd petten« (i 5,29) dem Kuenringer Hauskloster entziehen und auch die agnatische Hauptfamilie nur in wenigen Einzelpersonen dem Kloster freundlich gesonnen ist. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist eine relativ lapidare, einsträngig agnatische Familiendarstellung, die kognatische Nebenlinien nicht weiter verfolgt, sondern auf die strahlende Person Leutholds I. zuläuft. Ganz anders verfährt wiederum der vielleicht auch aus Zwettl stammende Reimchronist von St. Bernhard, der die gestufte Gründungsgeschichte des Klosters voranstellt und die Familiennachrichten auf die Person des >eigentlichen< Gründers Stephan von Maissau zentriert, dabei mit einem heilsgeschichtlichen Deutungsgestus die politischen Wechselfälle einer Familie an Vater und Sohn demonstriert, geradezu seismographisch die Bedeutung des Geschlechts an die Würde des Landesmarschallamts

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bindet und die zukünftige Geschichte der Familie des Stifters, die allerdings nur kurz in ihren bedeutenden Linien eingeblendet wird, von ihrer Unterstützung des Klosters abhängig macht. Der Kastler Reimchronist bindet demgegenüber sein Kloster in ein dichtes Geflecht agnatischer und kognatischer Verwandtschaftskreise ein, die er in mehrmaligen Erzähleinsätzen breit entfaltet und in ihrer jeweiligen Bedeutung für das Kloster bestimmt. Dieses Ausgreifen auf die kognatischen Verwandtschaftsverbände der Kastler Stifterfamilien hat seinen Grund: Da mit Bernger III. von Sulzbach und Otto von Habsberg bereits in der zweiten Generation die auf den sagenhaften Stammvater Ernst zurückgehenden Kastlberger Stifterfamilien im männlichen Stamm aussterben, war das Kloster im 14. Jh. in besonderer Weise auf die Förderung durch weitere Verwandtschaftslinien der Stifterfamilien angewiesen. Der Reimchronist trägt dieser spezifischen Situation des Klosters Rechnung, indem er auf eine strikt genealogische Darstellung verzichtet und die abbrechenden agnatischen Linien überdeckt durch die kognatischen Verwandtschaftskreise, die dem Kloster eine verbreiterte Basis ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sicherung gewähren und es zugleich in die Nähe der kaiserlichen Familie der Wittelsbacher rücken. Diese extrem kognatische Verwandtschaftskonzeption des Kastler Reimchronisten mag einem Wunschbild des Klosters entsprechen, das im 14. Jh. gerade nicht wie in Zwettl seine Zukunft auf direkte Nachkommen seiner Stifter stützen konnte und sich deshalb möglicherweise verstärkt an die bedeutenden Verwandten der weiblichen Linien erinnerte, um sie in die Verwandtschaftspflichten der Stifterfamilie einzubinden. Obwohl der Uberlieferungsbefund dieser volkssprachigen Stifterchroniken des 14. Jhs. eine vergleichbare Funktion als komprimiertes narratives, volkssprachiges Pendant zur jeweiligen Rechtsdokumentation des Klosters nahelegt, entfalten die drei Texte ein breites Spektrum an literarischen Möglichkeiten der Konzeption und Darstellung adeliger Familiengeschichte, die zwar in jedem der Fälle auf den nachfolgenden Dokumenten des Traditionsbuches basiert und auf sie hinführt, aber doch eine im einzelnen sehr unterschiedliche Ausgestaltung erfährt, die von den jeweiligen Interessen des Klosters, den Gegebenheiten der Adelsfamilie und den Intentionen des Chronisten abhängt. Volkssprachige Familiengeschichte setzt in Deutschland erst im 13. Jh. ein, dann allerdings - wie im lateinischen Bereich - in sehr unterschiedlicher Ausprägung. So decken die bisher erörterten volkssprachigen Beispiele des 13. und 14. Jhs. hinsichtlich ihrer literarischen Ausgestaltung wie Funktionsbestimmung ein breites Spektrum möglicher familienhisto146

rischer Konstruktion ab: als literarisch anspruchsvolle, gereimte Stifterchronik, als lapidare Genealogie, als Vita oder gereimte Klostergründungsgeschichte mit jeweils unterschiedlicher Thematisierung und literarischer Ausgestaltung der Familiengeschichte. Gemeinsam ist ihnen hingegen - mit der Ausnahme der Babenbergergenealogien der Jans EnikelÜberlieferung - ihre entstehungs- und überlieferungsgeschichtliche Zugehörigkeit zu bestimmten Ausprägungen monastischer Historiographie, wodurch sie in ihrer typenspezifischen Orientierung, ihrer thematischen Akzentuierung und intendierten Funktionsbestimmung entscheidend geprägt werden. Am deutlichsten ist diese Einbindung auch der volkssprachigen Familiengeschichte in klösterliche Aufzeichnungen bei den Geschlechtergeschichten der Kuenringer, der Maissauer und der Familie Sulzbach-Kastl, die als gereimte Klostergründungsgeschichten von Zwettl, St. Bernhard und Kastl die im 14. Jh. angelegten Traditionsbücher dieser Klöster im Sinne einer auf das Wirken der Stifterfamilie zentrierten, prologartigen, volkssprachigen Kurzfassung der von dieser Familie weithin bestimmten, im folgenden jedoch in Urkundenabschriften, Kaufbriefen und Abgabenverzeichnissen nur noch unter juristischen und ökonomischen Gesichtspunkten fixierten Geschichte dieser Konvente eröffnen. Auch die Doppelvita der Stifter von Allerheiligen bietet die Nellenburger Familiennotizen vornehmlich unter der Perspektive der glänzenden Geschichte von Gründung und Aufstieg dieses Schaffhausener Benediktinerklosters. Und ebenso hat - wenn auch mit einem ganz anderen literarischen Anspruch - der Gandersheimer Reimchronist bei seiner Darstellung der Familiengeschichte der Liudolfinger/Ottonen in erster Linie aktuelle Überlegungen zur Rechtsposition seines Stifts im Blick, die er über das Agieren der längst ausgestorbenen Stifterfamilie vermittelt. Lediglich die beiden volkssprachigen Babenbergergenealogien der Jans EnikelUberlieferung fallen aus diesen klösterlichen Bemühungen um die schriftliche Fixierung adeliger Familiengeschichte heraus. Eingefügt in die >Weltchronik< bzw. in der handschriftlichen Überlieferung des >Fürstenbuchs< als Ergänzung und Fortsetzung an die fragmentarischen Babenbergergeschichten dieses Texts angebunden fungieren sie als eine Art A b schlußbericht über die berühmten, seit einigen Jahrzehnten als österreichisches Herzogsgeschlecht ausgestorbenen Babenberger. Im Rahmen von Jans' Historiographie dokumentieren sie Ende des 13. Jhs. die deutlichen Interessen eines Wiener Adelspublikums an unterhaltsamen Informationen über die Familiengeschichte ihrer ehemaligen herzoglichen Landes- und Stadtherren und führen damit in den Umkreis volkssprachiger, im anglonormannischen Bereich bereits im 12., in Deutschland erst im

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13. Jh. entstandenen Geschlechtergeschichten, die in ihrer Entstehung wie ideologischen Akzentuierung nicht an die monastische Perspektive gebunden sind, sondern auf die verschiedensten Aspekte von Herrschaftsund Landesgeschichte ausgreifen.

3. Geschlechtergeschichte als Herrschafts- und Landesgeschichte Die bisher erörterten Beispiele deutschsprachiger Familiengeschichte entstammen mehr oder weniger direkt der Historiographie klösterlicher Rechtssicherung, die auch die Familienthematik dieser Texte zutiefst bestimmt. Ziel der Familienchroniken ist dabei weniger die auf derzeit lebende Mitglieder oder verwandte Nachkommen ausgerichtete Verherrlichung eines berühmten Geschlechts, dessen strahlende Geschichte genealogisch rekonstruiert und ausgeführt wird, als die Darstellung des segensreichen Wirkens dieser Familie für das jeweilige Kloster bzw. Stift: Zentrum des familienhistorischen Interesses ist die adelig-fürstliche Familie als Stifterfamilie. Deshalb ist es nicht erstaunlich, daß es in diesen Texten nicht selten um bereits ausgestorbene Geschlechter geht. Auftraggeber wie Adressat dieser Familiengeschichten sind eben nicht in erster Linie Mitglieder wie Nachkommen des in seiner glänzenden Geschichte entfalteten Geschlechts, sondern der Kloster- bzw. Stiftskonvent im Blick auf seine adeligen Geschäftspartners die - als Nachkommen, Verwandte oder Rechtsnachfolger - an die klosterfreundliche Tradition der berühmten Stifterfamilien erinnert werden können. Familiengeschichte ist hier weniger adelig-fürstliche Geschlechtergeschichte als gewichtiger Teil der jeweiligen Kloster- bzw. Stiftsgeschichte. Dementsprechend unklar bleiben bei diesen Texten Anteil wie Interesse der adeligen Familie an der volkssprachigen Präsentation ihrer Geschichte. Von diesem Typus familienhistorischer Konstruktion führt offenbar keine direkte entwicklungsgeschichtliche Linie zur Literarisierung adeliger Familiengeschichte, die von den Familien ausgeht, von ihnen getragen, zumindest auf ihr Selbstverständnis als Geschlecht ausgerichtet ist. Deutlicher auf die Geschlechtergeschichte einer Fürstenfamilie und ihr Selbstverständnis bezogen scheinen hingegen einige volkssprachige Reimchroniken zu sein, die die Geschichte einer Herrschaft bzw. eines Landes in engster Verbindung, ja geradezu am Beispiel der Geschichte eines Fürstengeschlechts verfolgen. Prominenteste Zeugnisse dieser Form der literarischen Präsentation von adelig-fürstlicher Familiengeschichte in der Volkssprache sind die Geschlechtergeschichten der normannischen 14g

Herzöge bzw. anglonormannischen Könige im >Roman de Rou< von Wace und der >Chronique des Dues de Normandie< des Benoit, der babenbergischen Herzöge im >Fürstenbuch< des Jans Enikel, der sächsischen Weifen in der >Braunschweigischen Reimchronik< und der Grafen von Holland in der >Rijmkroniek< des Melis Stoke.

Die Geschichte des normannischen Herzogsgeschlechts: der >Roman de Rou< von Wace Im Jahr 1 1 6 0 beginnt Wace, ein Kleriker aus Caen, 1 nach seinen eigenen Worten mit der Geschichte und Herkunft Rollos, des Gründers der normannischen Herzogsdynastie, der gegen die Anmaßung der heute noch gefährlichen Franzosen die Normandie erobert habe: Mil chent et soisante anz out de temps et d'espace /puiz que Dex en la Virge descendi par sa grace, / quant un clerc de Caen, qui out non Mestre Vace, / s'entremist de l'estoire de Rou et de s'estrasce, / qui conquist Normendie, qu'enpoist

qui

ne qui place, / contre l'orgueil de France, qui encor les menas-

ce.1 Das Ergebnis der 20jährigen Bemühungen dieses Chronisten um die estoire und estrace des sagenhaften Rollo ist eine aus heterogenen Einzelteilen unterschiedlicher Länge bestehende, im ganzen ca. 15000 Verse umfassende, unter dem Titel >Roman de Rou< edierte Reimchronik über die Geschichte der Normandie, die in mehrfachen Neueinsätzen die G e schichte der normannischen Herzöge von Rollo bis König Heinrich I. von England bietet.3 Mit dessen Sieg über seinen Bruder Herzog Robert >Kurzhose< in der Schlacht von Tinchebray (im Jahr 1106) beendet Wace seine Geschichte der normannischen Herzöge. Weiterführen werde cest' 1

Z u den biographischen Daten dieses normannischen Chronisten, der nach eigenen A u s sagen von der Insel Jersey stammt, in >Frankreich< studiert hat, Kleriker in Caen, wohl in der berühmten Abtei St. Etienne, ist und auf Vermittlung Heinrichs II. eine Präbende in Bayeux, evtl. im Domstift, erhalten hat, vgl. neben Edelestand du Meril, La vie et les ouvrages de Wace, in: Jahrbuch für romanische und englische Literatur 1 (1859), S. 1 - 4 3 ; A . J . Holden in seiner Neuausgabe des >Roman de RouModernität< zusammenstellt.

2

>Chronique ascendanteRoman de Rou< den Titel, der aus den älteren Ausgaben von Friedrich Pluquet (1827-1829) und Hugo Andresen ( 1 8 7 7 - 1 8 7 9 ) stammt, beibehalten hat, hat er die Abfolge der einzelnen Partien verändert; vgl. dazu seine Ausführungen, S. 9 - 1 3 ; im folgenden wird der erste Teil mit Holden als >Chronique ascendanteChronique des Dues de NormandieRoman de Rou< mit einem prologartigen Teil von 315 Alexandrinern, der sog. >Chronique ascendanteLangschwert< und dessen Vater Rollo, einem dänischen Normannenführer, der zu Beginn des 10. Jhs. die Herrschaft dieses Geschlechts in der Normandie begründet und 30 Jahre lang die Normandie in seiner Gewalt gehabt habe. In einem zweiten Durchgang verfolgt Wace die Geschichte dieses von Rollo ausgehenden Geschlechts der Herzöge der Normandie sehr viel ausführlicher und mit zahlreichen Details aus den Kämpfen um die Normandie in zwei weiteren, durch Neueinsatz und wechselnde Reimtechnik voneinander getrennten Partien, und zwar in aufsteigender Linie von Rollo bis König Heinrich I. Eine 4425 Alexandriner umfassende erste Partie unterschiedlich langer Laissenstrophen, die sog. >Deuxieme partie< der Holden-Ausgabe, setzt in programmatischer Anknüpfung an das Ende des genealogischen Abrisses der >Chronique ascendante< mit Rollo ein: Α ROH somm.es venus et de ROH VOHS diron, / LA commence l'estoire que nos dire devon (II, if.). Sie bietet mit Rollos Gründung des Herzogtums,6 der Herrschaft seines Sohnes Wilhelm >Langschwert< und Enkels Richard I. die Geschichte der ersten >Herzöge< der Normandie bis zum Jahre 965. Gliederungsprinzip der Darstellung ist dabei die agnatische Abfolge von Vater und Sohn, die in Überschriften des 4

Die Argumente zur Identifizierung des Maistre Beneeit mit Benoit de Sainte-Maure sind zusammengestellt von Gustav Adolf Beckmann, Trojaroman und Normannenchronik. Die Identität der beiden Benoit und die Chronologie ihrer Werke, München 1965 (Langue et Parole 7).

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Lange Zeit ist die >Chronique ascendante< einem Bearbeiter zugesprochen worden, der nach der Revolte von Heinrichs II. Söhnen gegen ihren Vater, also nach 1 1 7 4 , für Heinrich II. eine zusammenfassende Genealogie des englischen Königs verfaßt habe; vgl. die Argumente für einen »remanieur« in dem >Roman de RouTroisieme partie< der Neuedition von A. J. Holden, schreitet Wace schließlich nach einem deutlich einen Neueinsatz markierenden Prolog über die memorä-Funktion der Geschichtsschreibung7 die wechselvolle Geschichte der normannischen Herzöge und späteren englischen Könige von Richard I. bis König Heinrichs I. entscheidenden Sieg über seinen älteren Bruder Robert >KurzhoseTroisieme partie< in Anlehnung an die >ursprüngliche< Eingangspartie über Hasting programmatisch- die Erinnerung an die Vorfahren, ihre Taten, Worte und Verhaltensweisen: Pur remembrer des ancesurs / lesfeiz e les diz e les murs / les felunies desfeluns / e les barnages des baruns, / deit l'um les livres e les gestes / e les estoires lire α festes. / Si escripture ne fust feite / e puis par clers litte e retraite, / multfussent choses ubliees / ki de viez tens sunt trespassees (III, Vv. 1-10). Adressat dieser unter dem Titel >Roman de Rou< versammelten Einzelteile einer großangelegten geste (...) de Rou et dez Normanz (>Chronique ascendanteChronique ascendante< nostre roi Henri (V. 7), König Heinrich II. von England, der über die Geschichte und die Herkunft Rollos, des erfolgreichen Normanneneroberers aus der Frühzeit des Herzogtums, informiert werden solle8 und damit zugleich wie der folgende von Heinrich II. bis zu Rollo absteigende genealogische Abriß der >Chronique ascendante< verdeutlicht - über seine eigene Abstammung aus dem berühmten Geschlecht der normannischen Herzöge. Denn Heinrich II. ist hier über seine Mutter, die Königin Mathilde, und seinen Großvater Heinrich I., in direkter Linie in das Geschlecht des sagenhaften >Normannenherzogs< Rollo eingebunden. Zentrales Thema dieser genealogischen Konstruktion ist - das wird in den Eingangsversen 7

8

In diesen Prolog sind die Eingangsverse eines zur »Roman de RouRoman de Rou< mit seiner bis zum englischen Herrscherpaar Heinrich II. und Eleonore führenden Geschlechtergeschichte der Herzöge der Normandie umso eindeutiger. An der Geschichte des Geschlechts von Rollo läßt sich die Herrschaftsgeschichte der Normandie ablesen. Sie läuft konsequent und ohne Umwege auf den englischen König Heinrich II. zu, der als direkter Nachkomme des legendären Begründers des Herzogtums Normandie zugleich der legitime Herzog der Normandie ist. Auf diese Aussage hin sind die familiengeschichtlichen Informationen zu Heinrich II. zugeschnitten: Für den normannischen Kleriker aus Caen, dem Herrschaftszentrum angevinischer Macht in der Normandie, ist ausschließlich Heinrichs II. mütterliche Abstammung vom Geschlecht der Normannenherzöge von Bedeutung; die väterliche Herkunft als Graf von Anjou erwähnt er nur im Zusammenhang mit Heinrichs königlicher Herrschaftsbasis 10 und verzichtet auf jede weitere Information zu seiner Anjou-Herkunft. Ganz im Gegensatz etwa zu Benoxt, der in seiner >Chronique des Dues de Normandie< an den Bericht von der Eheschließung der Tochter Heinrichs I., der verwitweten Kaiserin Mathilde, mit dem Grafen Gottfried Plantagenet von Anjou eine ausführliche Genealogie dieses Geschlechts anschließt (II, Vv. 44071-44188) und damit den gemeinsamen Sohn Heinrich II. in eine weitere bedeutende Familie einordnet. Zwar führt der >Roman de Rou< die Geschichte der Normannen nicht - wie in Benoits Chronik - bis zu Heinrichs I. Tod im Jahre 1 1 3 5, sondern endet bereits mit dessen Sieg im Jahre 1106, d.h. vor Ausführungen zur folgenreichen Eheschließung Mathildes mit dem Grafen von Anjou, die möglicherweise Wace ebenfalls zu einem Exkurs über das Geschlecht der Anjous veranlaßt und damit die einseitige Ausrichtung Heinrichs II. auf die Familie der Normannenherzöge etwas 9

Ebda.: qui conquist Normendi [...]/ contre l'orgueil de France, qui encor les menasce (Vv. *f)· 10 Ebda.: Henri out assez teres, qui out Tors et Touroingne, / Anjou out et le Maingne de son droit patremoingne (V. 97 f.).

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abgemildert hätte. Die lapidare Geschlechterfolge der >Chronique ascendante< zeigt jedoch, daß es Wace mit seiner Geschichte des Herzogtums Normandie tatsächlich vornehmlich um die normannische Herkunft des englischen Königs gegangen ist, der er seine Herrschaft in der Normandie und in England verdanke.11 Denn dieser Einleitungsteil des >Roman de Rounormannisch< endet der >Roman de Rou< mit dem Hinweis des Autors auf drei Könige namens Heinrich, alle drei Herrscher in England und der Normandie, die er gekannt und in der Normandie selbst gesehen habe. Gemeint sind Heinrich I., Heinrich II. und dessen ältester Sohn Heinrich der Junge, die ausschließlich in ihrer verwandtschaftlichen Zugehörigkeit zum normannischen Herzogsgeschlecht charakterisiert werden: Li segont Henri que jo di /fu nies alpremerain Henri, / ne de Mahelt, Vempereriz, / e Ii tierz fu al segont filz (III, Vv. 1143511438). Obwohl Wace in seinem (Euvre in einer für mittelalterliche Verhältnisse auffallenden Weise Auskunft über seine Person, seine Arbeitsweise und die Entstehungsgeschichte seiner Werke gibt, bleibt es unklar, welchen Anteil das englische Königshaus, speziell König Heinrich II., an der Entstehung dieser volkssprachigen Reimchronik über seine Herkunft aus dem Geschlecht des Normannenführers Rollo hat. Wace bietet zwar eine Reihe von Informationen über seine Kontakte zum englischen Herrscherhaus: So beginnt er die >Chronique ascendante< mit der funktionsgeschichtlichen Bemerkung, daß durch seine historiographische Tätigkeit Heinrich II. die Geschichte und Herkunft des Rollo-Geschlechts erfahren solle (V. 7), fährt mit einem Preis des Herrscherpaares fort (Vv. 17-42) und erwähnt an mehreren Stellen des >Roman de Rou< die Freigebigkeit dieses Königs, der ihm, dem Kleriker in Caen, eine Präbende in Bayeux verschafft habe.12 Auch wenn diese Nachricht über besondere königliche 11 12

Ebda.: Normanz et Engleiz out de son droit matremoingne (V. 99). III, V v . 1 7 1 - 1 7 5 (Heinrich II. wird angesichts des Niedergangs von adeliger Freigebigkeit

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Gunsterweise an den normannischen Kleriker aus Caen nicht unbedingt im Zusammenhang mit seinen historiographischen Aktivitäten gesehen werden muß, so verweist sie doch zumindest auf Kontakte zwischen diesem normannischen Chronisten und dem englischen König, die sicher auch die Entstehung dieser Geschlechtergeschichte der Normandie bestimmt haben. Und von seinem vor dem >Roman de Rou< im Jahre 115 5 abgeschlossenen >Roman de BrutHistoria regum Britanniae< in eine volkssprachige Reimchronik, berichtet um 1200 La3amon in seiner englischen Übersetzung, daß Wace ihn der Königin Eleonore überreicht habe.13 Aber selbst wenn diese Information eines späteren Übersetzers des >Roman de Brut< zutreffend ist und Wace tatsächlich seine volkssprachige Geschichte der Bretonen der sich in den Jahren 1 1 5 4 - j 8 immer wieder in der Normandie aufhaltenden englischen Königin übergeben haben sollte, so bedeutet dies noch keineswegs, daß dieser normannische Chronist seine historiographischen Werke im Auftrag des englischen Königshauses verfaßt hat. Dieser Vorbehalt gilt besonders für den >Roman de RouBrutAblösung< des Chronisten durch einen erfolgreicheren, weil vom Interesse des Königs begünstigten Kollegen als auf eine Art Parallelarbeit eines Kollegen beziehen, der seine Darstellung weiterführe. Tatsächlich führt die >Chronique des Dues de Normandie< des Benoit bis zum T o d Kg. Heinrichs I. im Jahr 1 1 3 5.

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m'eüst / ςο qu'il me pramist, mielz me fust; / nelpoi aveir> neplout al rei, / maisn'est

mie remes en mei.15 A u c h wenn der Zusammenhang v o n W o h l -

taten bzw. nicht eingehaltenen Versprechen des Königs und der Arbeit an der Normannenchronik nicht ganz klar ist, so wird doch durch die Z u sammenführung der Themen, frühere Gunst, jetziges Mißfallen des K ö nigs und seine Übergabe v o n cest' ovre (III, V. 1 1 4 2 1 ) an Maistre Benoit, eine A r t Auftragsverhältnis des Königs zu dem Chronisten suggeriert. U n d wenn Wace mit cest'ovre

(III, V. 1 1 4 2 1 ) tatsächlich die ebenfalls nicht

bis zu Heinrich II. fortgeführte >Chronique des D u e s de Normandie< des Benoit meint, dann wäre zumindest diese wesentlich detailliertere normannische Geschlechtergeschichte der englischen Könige als A u f t r a g s werk von dem Interesse des englischen Königshauses getragen. A u c h dies ist allerdings nicht zweifelsfrei gesichert, da Benoit z w a r an mehreren Stellen von Heinrich II. als dem Adressaten seines Werks spricht, aber nicht im Sinne eines Auftrags, sondern nur als Widmung. S o bestimmt er seine C h r o n i k mit der Genealogie des buen rei (V. 1 4 7 8 5 ) zur Lektüre vor diesem: Dens m'i dunt tant terme e espace / Que l'ovre Ii achef e face / Ε que, si davant Itii la lise, / K'il ne la blasme ne despise!16 F ü r den >Roman de Rou< und seinen gegen E n d e des Texts die Rolle des enttäuschten C h r o n i sten einnehmenden A u t o r ist dies noch weniger deutlich. Trotzdem dürfte 15

III, Vv. 11420-30. Zur Erklärung dieses >Gunstentzugs< des englischen Königs werden die verschiedensten Gründe bzw. Anlässe erwogen. Die ältere Forschung, etwa Lejeune, Role litteraire d'Alienor d'Aquitaine, S. z6i., vermutete eine Parteinahme des Historiographen in den Auseinandersetzungen Heinrichs II. mit seiner Gemahlin für Eleonore von Aquitanien, in den neueren Arbeiten werden weniger >persönliche< als ideologische Gründe, die die Darstellung der Geschichte des Königshauses betreffen, angenommen: etwa Jean Blacker, »La geste est grande, longue et grieve a translater«. History for Henry II, in: Romance Quarterly 37 (1990), S. 387-396, hier S. 39of., die vor allem Waces für den König wenig erfreuliche negative Charakterisierung von dessen Großvater Heinrich I. verantwortlich macht, oder Jean-Guy Gouttebroze, Pourquoi congedier un historiographe, Henri II Plantagenet et Wace (115 5-1174), in: Romania 1 1 2 (1991), S. 289-3 1 J> der in Wace einen typisch anglonormannischen Kleriker sieht, der den Suprematieanspruch des englischen Königs, u.a. auch dessen Bemühungen um eine Sakralisierung bzw. Kanonisierung seiner Vorfahren, nicht nachvollzieht und z.B. weder König Edward den Bekenner zu einem Heiligen stilisiert noch die besondere Beteiligung und Präsenz Heinrichs II. bei der Translation der Gebeine Herzog Richards I. und Richards II. erwähnt, ganz im Gegensatz zu Benoit, der sogar in einer der Fassungen seiner Chronik das Schweigen seines Vorgängers Wace angesichts der haute escience (V. 25837), der creance et l'amor (V. 2 5 843) Herzog Richards II. gegenüber Gott tadle und damit den Wünschen Heinrichs II. sehr viel besser entspreche als Wace. 16 Vv. 14800-804; und etwa 14000 Verse später bittet er Gott darum, daß Heinrich II. Gefallen am Vortrag seiner Arbeit finden möge: Or donge Dexpar sa dougor /Qu 'auplaisir seit demon seignor, / Deu buen rei Henri, fiz Maheut, / Que si benigue cum il senet / Seit α l'o'ir e α l'entendre! (Vv. 28711-15). Zu den im Text verstreuten Widmungsversen an König Heinrich II. vgl. Bezzola, Origines III, 1, S. i94ff.

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die englische Königsfamilie ebenso wie die anglonormannischen Parteigänger in Caen/Bayeux an den historiographischen Bemühungen von Wace um die Genealogie des Rollo-Geschlechts Gefallen gefunden haben. Denn dieser normannische Geistliche aus der Verwaltungszentrale Caen bzw. aus der Umgebung des einflußreichen Bischofs von Bayeux verfolgt hier auf der Basis historiographischer Werke, mündlicher Berichte und eigenen Erlebens die wechselvolle Geschichte der Normandie in der Form einer Geschlechtergeschichte der normannischen Herzöge von Rollo bis zu Heinrich II. von England. Mit dieser einsträngig genealogischen Präsentation der normannischen Herkunft Heinrichs II. und seines Sohnes Heinrich des Jungen, die alle weiteren verwandtschaftlichen Filiationen des englischen Königshauses ausblendet, bietet er keine ausladende Familiengeschichte der angevinischen Könige, sondern eine strikt auf die Frage der Herrschaft in der Normandie gerichtete Geschlechtergeschichte, die in Zeiten verstärkter englisch-französischer Konflikte um die Normandie - den Anspruch des derzeitigen englischen Königs und seines zum Herzog der Normandie designierten Nachfolgers auf die normannische Herrschaft massiv begründet und unterstützt. Die genealogische Konstruktion ist hier ein schlagendes politisches Argument für die angevinische und gegen die kapetingische Herrschaft in der Normandie. Im deutschsprachigen bzw. niederländischen Raum dauert es noch gut ioo Jahre, bis sich in der Volkssprache vergleichbare elaboriert-anspruchsvolle Hausgeschichten bedeutender Fürstenfamilien finden, die nicht in klösterliche Rechtsaufzeichnungen eingebunden bzw. - wie die >Gandersheimer Reimchronik< - von juristischen Positionen eines Klosters zutiefst bestimmt sind. In Frage kommen dabei im 13. Jh. überhaupt nur drei Texte: die nach 1279 von einem unbekannten Geistlichen wohl in Braunschweig verfaßte >Braunschweigische ReimchronikRijmkroniek< des holländischen Grafenhauses von den Anfängen bis ins frühe 14. Jh. und schließlich das im letzten Viertel des 13. Jhs. entstandene, fragmentarisch überlieferte >FürstenbuchBraunschweigischen Reimchronik< Die Hausgeschichte der Weifen hat bereits im 12. Jh. mehrfach und mit unterschiedlichen Intentionen das Interesse der Chronisten gefunden. Sie ist in einer Reihe divergierender Fassungen behandelt worden: in der wohl bald nach dem Tod Heinrichs des Schwarzen im Jahr 1126 entstandenen >Genealogia WelforumHistoria WelforumAnnalista Saxo< genannten Geschichtswerk, das Abt Arnold von Berge und Nienburg zugeschrieben wird. 19 Eine Sonderstellung nimmt dabei die >Historia Welforum< ein, eine ungewöhnlich elaborierte Darstellung der Geschichte eines Fürstengeschlechts, die mit ihren reichen Informationen zu einzelnen Familienmitgliedern, ihren Anekdoten, Kommentaren und ihren auf das Weifengeschlecht bezogenen >wirHistoria Welforum< in der Forschung als ein ausgeprägtes Beispiel souveräner fürstlicher Hausgeschichte, die nicht von den Intentionen eines Hausklosters geprägt, sondern aus der Perspektive der Fürstenfamilie verfaßt und offenbar im Umkreis des oberschwäbischen Weifenhofs in Ravensburg unter Herzog Weif VI. entstanden sei.20

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Vgl. neben der M G H - E d i t i o n von Georg Waitz auch (mit Übersetzung): >Historia WelforumHistoria Welforum< (mit Übersetzung), S. 1 - 6 8 ; die Steingadener Fortsetzung, S. 6 8 - 7 5 . 19 >Annalista SaxoHistoria WelforumHistoria Welforum< berichtet21 - nach Streitigkeiten mit diesem ebenfalls dem staufischen Kaiser und seinen Söhnen verkauft hat, bricht allerdings das Herzogsgeschlecht der süddeutschen Weifen ab. Ihre Geschichte wird in Zukunft vornehmlich im Umkreis des sächsischen Zweigs der Familie als Vorgeschichte des sächsischen Herzogsgeschlechts der Weifen tradiert, die auch die süddeutsche Herkunft dieser Familie entfaltet. Dies gilt für die Weifenpartie des >Annalista SaxoHistoria WelforumGenealogia Welforum< und die >Historia Welforum< mit ihrer Ausrichtung auf die süddeutschen Weifen zurück, aber auch noch die im >Annalista Saxo< dokumentierte sächsische Welfenüberlieferung, die nach der Übertragung des Herzogtitels von Sachsen an Heinrich den Stolzen, den Sohn Heinrichs des Schwarzen und Ehemann der Kaisertochter Gertrud, in der Zeit um 1134 im Michaelskloster in Lüneburg zusammengestellt worden sei und Informationen über die süddeutsche Herkunft dieses neuen sächsischen Herzogsgeschlechts vermitteln sollte. Und in dieser sächsischen Orientierung wird schließlich in den weifischen Herrschaftszentren Braunschweig und Lüneburg die Weifengeschichte im 13. Jh. in reicher Ausgestaltung weitergeführt, nicht nur in lateinischen Genealogien wie der >Chronica principum BrunsvicensiumCronica ducum de BrunswickChronica principum Saxoniae< oder dem >Chronicon sancti Michaelis LuneburgensisSächsischen Weltchronik< auf eine Liste der Päpste, der römischen Könige und Kaiser eine Genealogie der Weifen27 von Eticho-Welf bis Heinrichs des Schwarzen Nachkommen, die in ihren wesentlichen Informationen der Weifenpartie des >Annalista Saxo< entspricht und - vornehmlich nach Oexles Untersuchungen28 - auf dieselbe Quelle, jene im Umkreis Heinrichs des Stol24

Zur Bedeutung dieser Konradfeier von 1 1 2 3 für die Traditionsbildung und die verschiedenen Ausprägungen des Familienwissens der Weifen vgl. Otto Gerhard Oexle, Bischof Konrad.

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So vor allem Oexle, »Sächsische Welfenquelle«, S. 4 7 1 ff. Z u diesen Genealogien vgl. unten S. 168 ff. >Sächsische WeltchronikHistoria WelforumAnnalista SaxoAnnalista Saxo< - neu mit der genealogischen Abfolge bei den Brüdern Rudolf, Weif und Konrad zu Zeiten Heinrichs I. ein, verfolgt die Weifenlinie wie der sächsische Annalist bis zu Heinrich dem Schwarzen und seinen Nachkommen, bietet ebenfalls die merkwürdige Geschichte der Verstoßung der bayerischen Herzogstochter Ethelind durch Weif IV., den alden (275,26),19 und informiert über die Bemühungen Heinrichs des Schwarzen um die memoria bedeutender Familienmitglieder, des Urahns Eticho-Welf und des hl. Bischofs Konrad von Konstanz. Während allerdings der Weifenexkurs des >Annalista Saxo< mit dem lapidaren Hinweis auf die Kinder Heinrichs des Schwarzen schließt, folgen in der Weifengenealogie der >Sächsischen Weltchronik< noch einige weitergehende Angaben zu den Nachkommen Heinrichs des Schwarzen: zur Eheschließung des älteren Sohnes Heinrichs des Stolzen mit der Kaisertochter Gertrud und ihrem gemeinsamen Sohn Heinrich dem dridden (276,12), zur Ehe des jüngeren Sohnes Weif VI. mit der Tochter des Pfalzgrafen Gottfried von Calw und schließlich zu den verschiedenen Ehen der vier Töchter, die der >Annalista Saxo< bereits an einer früheren Stelle seiner Chronik aufgeführt hat.30 Fluchtpunkt der Darstellung scheint aber auch hier die Figur Heinrichs des Schwarzen zu sein, der mit der Eheschließung seines Sohnes für seine Familie den Herzogstitel von Sachsen erreicht. Er wird als Nachfahre eines berühmten süddeutschen Fürstengeschlechts und als Oberhaupt einer durch bedeutende Eheverbindungen erfolgreichen Familie vorgestellt, die sich über den Sohn Heinrich den Stolzen und den Enkel Heinrich den Löwen, den dridden (276,12), als sächsische Herzogsfamilie etabliert. Mit dem den Weifenexkurs abschließenden Hinweis auf die Geburt des Enkels, Heinrichs des Löwen, wird zugleich der Höhepunkt weifischer Herzogsmacht in Sachsen bezeichnet. Von den Schwierigkeiten, die dieser weifische Fürst und damit seine Nachkommen als Herzöge in Sachsen 29

Sie ist - neben anderen Besonderheiten der Weifengenealogie des >Annalisto Saxo< - für Althoff, Heinrich der L ö w e und das Stader Erbe, ein Argument für die weifenkritische Orientierung der sächsischen Welfenquelle, die nicht im Umkreis des Geschlechts, sondern seiner Gegner zusammengestellt worden sei; vgl. dazu S. 30, Anm. 58. 30 Vgl. dazu S. 158.

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hatten, berichtet die Weifenpartie der >Sächsischen Weltchronik< nicht mehr. Diese im 13. Jh. entscheidenden Probleme weifischer Herzogsmacht in Sachsen sind hingegen Anlaß und thematischer Rahmen einer Reihe in den weifischen Herrschaftszentren Lüneburg und Braunschweig im Laufe des 13. Jhs. entstandener, um die Konstruktion weifischer Familiengeschichte zentrierter historiographischer Werke, die in weit ausgreifenden Genealogien die sächsischen Weifen in die alten sächsischen Herzogsfamilien einbinden. In diesen Kontext gehört auch die Ende des 13. Jhs. wohl im Umkreis des Braunschweiger Blasiusstiftes verfaßte >Braunschweigische ReimchronikFürstenspiegels< ist die edelen herscaph von Bruneswich. / we ir vorderen haben gewesen, / aber... (Vv. 9330-9332), d.h. das im Jahre 123 5 neugegründete Herzogtum Braunschweig-Lüneburg bzw. die seit der Erbteilung von 1267 bzw. 1269 zu Herzog Albrecht gehörenden Teile die31

31

33

Zur Entstehungszeit in den Jahren 1279 und 1292 mit späteren Nachträgen von 1298 vgl. Weiland in seiner Einleitung zur Ausgabe, S . 4 3 1 ; zu Braunschweig als Ort der Entstehung, ebda., S . 4 3 i f . E r verweist immer wieder auf seine Quellen, die allgemein als mengen buchen (V. 64), dhe bücheiy. 167),mengekroniken (V. 169), vilbuchen (V. 191),scripht (V. 1 1 3 ) , daz buch (V. 981) bezeichnet, gelegentlich etwas genauer charakterisiert werden: Von Gandersem uns dhe kronica seyt (V. 405), die scrift dher Romere (V. 666), Von Bruneswich der vursten scripht (V. 1922). Bekannt sind u.a. die Weltchronik Martins von Troppau, die Annalen Gerhards von Stederburg, die >Gandersheimer Reimchronik< und die >Sächsische WeltchronikBraunschweigische ReimchronikBraunschweigische Reimchronik< unter spezifisch weifengenealogischen Gesichtspunkten betrachtet; vgl. dazu unten S. 175.

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ses Herzogtums und ihre Vorgeschichte, die im Rückgriff auf die Familiengeschichte der Liudolfinger, Brunonen, Billunger und sächsischen Weifen entfaltet wird. Für diese familiengeschichtliche Rekonstruktion der Herrschaft Braunschweig beruft sich der Autor mehrfach auf eine Braunschweigische Fürstenchronik, eine scripht von Bruneswich dher herren,H in der zu Recht eine Fassung der Ende des 13. Jhs. wohl im Braunschweiger Blasiusstift entstandenen lateinischen Genealogien der weifischen Herzöge von Braunschweig vermutet wird,35 denn auch sie bieten die Geschlechtergeschichte der Liudolfinger, Brunonen und Weifen bis zu Herzog Albrecht I. von Braunschweig in ihrer Ausrichtung auf die Herrschaft Braunschweig. Der volkssprachige Chronist integriert allerdings diese Einzelgenealogien in das für die Demonstration genealogischer Zusammenhänge charakteristische Bild eines Baumes mit dem edelen stam (V. 150) von Braunschweig und zwei aus Sachsen herauswachsenden Wurzeln, die sich obermittes (V. 155) zu einem Stamm vereinigen und ein aus zahlreichen berühmten Fürsten und Königen aus Bayern, Sachsen und Schwaben bestehendes Laubwerk tragen.36 Gemeint sind mit diesem den gesamten Text in seinem Aufbau bestimmenden Bild der beiden zunächst getrennten und später sich zu einem Stamm vereinigenden Wurzeln die beiden >Sachsenherzöge< Widukind und Hermann, die Stammväter der Familien der Liudolfinger und Billunger, die über längere Zeit hinweg das Herzogtum Sachsen innegehabt hätten. Die erste Wurzel, die bereits aus der >Ganders-

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V. 688; vgl. auch die von dem Herausgeber Ludwig Weiland, S.439, zusammengestellten weiteren Verweise: der vursten scripht / von Bruneswich (V. 1 4 1 1 f.), eyne ghescripht... / dher vursten von Bruneswich (V. 1693 f.), Von Bruneswich der vursten scripht (V. 1922). In Frage kommen vor allem die nur fragmentarisch überlieferte und von ihrem Herausgeber O. Holder-Egger auf die Jahre 1 2 6 9 - 7 7 datierte >Chronica principum Brunsvicensium< und die von dieser wohl abgeleitete >Cronica ducum de BrunswickBraunschweigischen Reimchronik< diskutiert O . Holder-Egger, Ueber die Braunschweiger und Sächsische Fürstenchronik und verwandte Quellen, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 1 7 (1892), S. 1 5 9 184, der in dem von ihm in einer aus St. Blasius stammenden Trierer Hs. gefundenen >Chronica principum Brunsvichensium Fragmenta< nicht nur die Grundlagen der >Cronica ducum de BrunswickBraunschweigischen ReimchronikBraunschweigische ReimchronikHistoria WelforumBraunschweigischen Reimchronik< noch zur ersten Wurzel, unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft Braunschweig sind sie sogar das unmittelbare Verbindungsglied von den Liudolfingern bis zu dem Weifen Herzog Albrecht I. von Braunschweig und seinen Söhnen: Von dhissem Brune von Bruneswich39 / mach men haben alghelich / al dher vursten namen, / dhe hernidher quamen / von sime hohen gheslechte / um an herzogen Heynriche und Albrechte, / dhes grozen herzogen Albrechtes kint (Vv. 1429-1435).

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Widukind als Urahn der Liudolfinger ist erst seit dem 12. Jh. bezeugt; weder Widukind von Corvey noch Hrotsvith von Gandersheim kennen ihn als Stammvater der Liudolfinger. 38 Es heißt hier zurückhaltend: an necheyner scripht ich las, / waz dhisse Brun zo rechte / dhem ersten bestünde an sime gheslechte (Vv. 1 4 2 4 - 1 4 2 6 ) . 39 Es ist unklar, ob mit diesem Brun von Braunschweig der brunonische Graf Brun oder der kurz zuvor genannte liudolfingische Herzogsohn Brun, der erste Brune (V. 1427), gemeint ist. Durch diese Zweideutigkeit erreicht der Autor, der sehr wohl zwischen dem brunonischen Grafen und dem Liudolfinger Brun unterscheidet, einen suggestiven genealogischen Zusammenhang der beiden Familien, der im folgenden (vgl. etwa V v . 2 5 9 3 2597) immer wieder angesprochen wird.

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Die zweite Wurzel, die von Otto I. als Herzöge des neu eroberten östlichen Sachsen eingesetzte Familie der Billunger, führt von Herzog Hermann, Sohn des Billung, in direkter Linie über zwei Bernharde und Ortholph bis zu dem letzten männlichen Nachkommen, zu Herzog Magnus, mit dessen Tod König Heinrich IV. das Herzogtum von Sachsen dem Grafen Lothar von Supplinburg übergibt. Die Ehen und Nachkommen der beiden zunächst vom sächsischen Herzogtum ausgegrenzten MagnusTöchter Eilika und Wulfhild werden allerdings noch eine besondere Bedeutung für das Herzogtum Sachsen gewinnen: Eilika heiratet Graf Otto von Ballenstedt, ihr Sohn, Markgraf Albrecht der Bär ist der Vater jenes Bernhard, der im Jahre 1180 nach dem Sturz Heinrichs des Löwen den östlichen Teil des Herzogtums Sachsen mit dem Herzogstitel erhalten wird, Wulfhild ist mit dem Weifen Herzog Heinrich dem Schwarzen von Bayern vermählt, ihr Sohn Heinrich wird Gertrud, die Tochter von Richeza und Lothar von Supplinburg, heiraten, damit - nach Lothars Wahl zum deutschen König - zum Herzog von Sachsen werden und über seine Frau Gertrud zugleich die Herrschaft in Braunschweig übernehmen. In ihrem Sohn Heinrich dem Löwen vereinigen sich schließlich - nach der Darstellung des Chronisten - die beiden bedeutenden sächsischen Herzogsfamilien, da er väterlicherseits - über die Ehe seines Großvaters Heinrichs des Schwarzen mit der Billungerin Wulfhild - der Billungerfamilie und mütterlicherseits - über die Brunonen und ihre Anbindung an den Braunschweig-Gründer Herzog Brun - den Liudolfingern angehöre.40 Im Rahmen der genealogischen Bildszenerie der >Braunschweigischen Reimchronik< sind demnach mit dem Weifen Heinrich dem Löwen die beiden aus Sachsen herausgetriebenen Wurzeln, das herzogen Hermannes kunne (V. 2592) und das gesiechte / von herzogen Ludolfe (Vv. 2594^), zu einem einheitlichen und bedeutenden Stamm, dem der sächsischen Weifen, zusammengewachsen. Ihrer Geschichte gelten die folgenden Ausführungen des Chronisten, die zwar streckenweise detailliert auch über die Reichsgeschichte des 12. und frühen 13. Jhs. informieren, aber zugleich doch immer den Blick auf die Geschichte Heinrichs des Löwen und seiner Nachkommen in Sachsen richten: die anfängliche Zusammenarbeit des Weifen mit seinem königlichen Vetter Friedrich I., die >Katastrophe< vor Mailand in ihren - durch die Reichsacht, den Verlust des Reichslehens und 4

° Hi hat sich dher boum irslozen, / da her uz ist gesprozen / von zveri wurzelen, als ich sprach. / zo erst ir iewedher lange plach / dhes herzochtomes zo Saxen. / Heynrich daz welph was gewaxen / von herzogen Hermannes kunne. / so seyt men, daz gewunne / dhe herzoginne ir gesiechte / von herzogen Ludolfe, der zo rechte / von Bruneswich Brünes vater was, / dher besezzen hatte, als ich las, / daz herzichtoum an Saxen (Vv. 2586-2598).

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die Feindschaft des Kaisers - langfristigen Konsequenzen für Heinrich und seine Familie, die unterschiedliche Rolle der drei überlebenden Söhne Heinrich, Otto und Wilhelm, die nach Heinrichs des Löwen Tod die ihnen verbliebenen Besitzungen im Jahre 1202 aufteilen. Der älteste Sohn Heinrich, der durch seine Ehe mit der einzigen Tochter des rheinischen Pfalzgrafen Konrad eine Versöhnung mit Kaiser Heinrich VI. anstrebt und zumindest die Pfalzgrafschaft vom Kaiser als Lehen erhält, übernimmt den westlichen Teil des Eigenguts, dazu die umstrittene Herrschaft Stade, Otto, der als Graf von Poitou nach Heinrichs VI. Tod als Gegenkönig Philipps um die Königswürde kämpft, nach Philipps Ermordung als Otto IV. König wird, erhält u.a. das brunonische Erbe mit Braunschweig und Wilhelm die nordöstlichen, billungischen Besitzungen mit dem Zentrum Lüneburg. Da Otto IV. im Jahre 1218 ohne Erben stirbt und auch Pfalzgraf Heinrich, der dessen Nachfolge in Braunschweig antritt, keine männlichen Nachkommen hinterläßt, überträgt er im Jahre 1223 das gesamte weifische Erbe an Wilhelms Sohn Otto von Luneborch daz kint (V. 7479), der im Jahre 1235 auf dem Reichstag zu Mainz von Friedrich II. die Vereinigung der verbliebenen weifischen Besitzungen, die Bildung des neuen Herzogtums Braunschweig-Lüneburg und seine Erhebung zum Reichsfürsten erreicht. Im Gegensatz zu seinem Großvater Heinrich dem Löwen, dem Herzog von Bayern und Sachsen, der zwar von seinen Vorfahren Braunschweig geerbt habe, später als Herzog von Braunschweig bezeichnet worden sei, sich aber - wie der Chronist ausdrücklich vermerkt - in seinen Urkunden und auf seinen Siegeln nie selbst Herzog von Braunschweig genannt habe,41 sei er der erste herzöge / von Bruneswich (Vv. 7 5 94 f.). Von seinen vier Söhnen, den vier Blumen am zvich dhes ersten homes (V. 7814), die neben fünf mit bedeutenden Fürsten verheirateten Töchtern aus seiner Ehe mit Mechthild, der Tochter des Markgrafen Albrecht von Brandenburg und Urenkelin der Billungerin Eilika, hervorgehen, hebt der Autor nur den ältesten Sohn hervor, jenen Herzog Albrecht I. von Braunschweig, dhen uzerwelthen vnrsten klar (V. 7819), den er bereits im Prolog in einem ambitionierten Kryptogramm verherrlicht,41 41

Es heißt hier juristisch präzise: went sin oldervater / herzöge Heynrieb algater / was herzöge von Beygerlant / und ouch von Saxen ghenant, / und nicht von Bruneswich, / went dhe stat ie gelich / siner olderen was, / als ich an eynem bliche las. / alleyne men in und sine kint / von Bruneswich heyz herzogen sint, / men vant doch nicht gescreben / dhen namen an iren breben, / noch ir ingesigelso nicht jach (Vv. 7596-7608).

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Z u den philologischen Problemen der schwer verständlichen Textstelle vgl. neben Weiland, S.459, Anm. 3, Fedor Bech, Zur Braunschweigischen Chronik, in: Germania 23 (1878), S. 1 4 2 - 1 5 5 ; Rudolf König, Stilistische Untersuchungen zur Braunschweigischen Reimchronik, Diss. Halle 1 9 1 1 , S. 98 ff., und Karl Stackmann, Kleine Anmerkung zu einer

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im Rahmen der familiengeschichtlichen Überblicke immer wieder als Fixpunkt des Berichteten erwähnt und nun in ausführlichen Schilderungen in geradezu ritterlich-höfischer Stilisierung als gewaltigen Fürsten, tapferen Kämpfer und überlegenen Turnierhelden vorführt. Nach der im Jahre 1267 vereinbarten und 1269 offenbar vollzogenen Teilung des weifischen Erbes mit seinem Bruder Herzog Johann von Lüneburg, der die Lüneburger Teile des Herzogtums übernimmt, während Albrecht die braunschweigischen Besitzungen erhält,43 ist Herzog Albrecht I. von Braunschweig in die verschiedensten Auseinandersetzungen, darunter auch in eine Fehde mit seinem Bruder Otto, dem Bischof von Hildesheim, verstrickt, bis er im Jahre 1279 stirbt und im Braunschweiger Dom neben seinem Großvater Otto IV. und seiner ersten Ehefrau begraben wird. Der Autor widmet ihm als dem eigentlichen Protagonisten seiner Chronik eine lange Totenklage, berichtet von seinen Kindern, einer Tochter und sechs Söhnen, und erinnert am Schluß die drei ältesten Söhne Heinrich, Albrecht und Wilhelm an das Gedenken ihres weithin berühmten und vorbildlichen Vaters: edhele jugent von Bruneswich, / gedenke dhines Vater, Heynrieb, / gedenke welch eyn vurste daz her were; / hi siner zit we groze ere / daz lant hette unte recht; / dhes gedenke, dhu junger Albrecht / und 'Willehalm, dher hrodher din, / wend ir nu dhe vursten sin, / von dhen men hirnach sol sprechen (Vv. 9319-9327). Mit der strahlenden Gestalt Herzog Albrechts I. und seinen vielversprechenden Söhnen erreicht die verwickelte genealogische Vorgeschichte der Herrschaft Braunschweig ihr vorläufiges Ende. Der Autor der >Braunschweigischen Reimchronik< komponiert sie in dem übersichtlichen Tableau eines ausladenden Baumes, dessen zwei Wurzeln der ursprünglich getrennten sächsischen Herzogsfamilien der Liudolfinger und Billunger über die Zwischenstufen der Brunonen und Weifen sich in Ehrung für Albrecht den Großen, in: Z f d A 106 (1977), S. 1 6 - 2 4 ; neuerdings zur Figur Herzog Albrechts I. in der >Braunschweigischen Reimchronik< auch die zusammenfassenden Bemerkungen von Danielle Buschinger, La litterature ä la cour du due Albert ier de Brunswick ( 1 2 5 2 - 1 2 7 9 ) et dans l'entourage des Guelfes ä la fin du moyen äge, in: Le mecenat de la cour de Brunswick. Actes d'un colloque organise dans le cadre du 7eme Congres triennal de la Societe pour l'Etude de la Litterature Courtoise (1992) ä l'Universite de Massachusetts, Amherst (USA). Ed. par Danielle Buschinger et Wolfgang Spiewok, Greifswald 1993 (Wodan. Greifswalder Beiträge zum Mittelalter 24), S . 7 - 1 4 , hier

S.7-9· 43

Vgl. V v . 865 5-8667 mit genauen Angaben zur Aufteilung, wobei der Chronist allerdings unerwähnt läßt, daß die Stadt Braunschweig zunächst gemeinsamer Besitz blieb; vgl. dazu Adolf Bähr, Albrecht I., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg ( 1 2 5 2 - 1 2 7 9 ) , in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 13 (1914), S. 1 - 6 2 , hier S. 39f., sowie Patze, Weifische Territorien, S. 14.

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Heinrich dem Löwen zu einem Stamm vereinigen und - trotz seiner Absetzung als Herzog von Sachsen - zumindest unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft Braunschweig eine genealogisch kontinuierliche Weiterführung bis zu Herzog Albrecht I. von Braunschweig und seinen Söhnen erfahren. Wie sehr der Chronist an einer lückenlosen Genealogie der Herzöge von Sachsen bis zu Albrecht I. von Braunschweig und damit zugleich an einer rechtlich eindeutigen Begründung des neuen weifischen Herzogtums von Braunschweig interessiert ist, hat Hans Patze44 in einer eindrucksvollen historischen Analyse der >Braunschweigischen Reimchronik< betont: Dies zeige sich nicht nur an dem mehrere Familien übergreifenden genealogischen Stammbaum als Aufbauprinzip des Textes, sondern auch an der ungewöhnlichen terminologischen und sachlichen Präzision, mit der der Reimchronist immer wieder genealogische Probleme, unklare Rechtstitel oder komplizierte juristische Sachverhalte formuliere. Leitender Gedanke sei für ihn der »Nachweis der einwandfreien historischen und rechtlichen Grundlagen des Herzogtums von 1235« (S. 343), dessen aktuelle Inhaber, Albrecht und seine Söhne, in ungebrochener Linie auf die alten Herzogsfamilien von Sachsen zurückgehen und in der >Braunschweigischen Reimchronik< eine Art »Hausbuch« der Geschichte dieses 1235 neugegründeten weifischen Herzogtums erhalten sollten: »Man kann sich vorstellen, daß die Söhne Albrechts des Großen, denen das von ihrem Erzieher vorgelesen wurde, nun - endlich - verstanden hatten, wo der Dreh- und Angelpunkt ihres Hauses lag und wer ihn repräsentierte« (S. 343). Familiengeschichte figuriert demnach - wie in der >Gandersheimer Reimchronik< - vornehmlich als rechtliches Argument: dort im Hinblick auf die durch die Stifterfamilie begründete Exemtion eines reichsunmittelbaren Stifts, hier auf die erbliche Kontinuität der Herrschaft Braunschweig von den sächsischen Herzogsfamilien der Liudolfinger und Billunger bis zu den sächsischen Weifen Ende des 13. Jhs. Thematischer Fluchtpunkt der gesamten Darstellung ist die Geschichte der Herrschaft Braunschweig bzw. des neugegründeten Herzogtums Braunschweig, die auch die familiengeschichtlich-genealogischen Interessen des Autors leitet und den Blick immer wieder auf die Herrschaft Braunschweig lenkt. So 44

Patze und Ahrens, Begründung des Herzogtums Braunschweig; wieder in nahezu identischer Formulierung als Teil des Aufsatzes von Patze, Mäzene der Landesgeschichtsschreibung, S. 3 3 4 - 3 4 6 (die Zitate stammen aus diesem Beitrag). Hans Patze betont gegen die Ansicht von Herderhorst, Braunschweigische Reimchronik, die >Braunschweigische Reimchronik< sei vor allem »paradigmatische Fürstengeschichte« (S. 33), das auf das Territorium Braunschweig bezogene Interesse des Autors.

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wird ausdrücklich berichtet, daß der bayerische Herzog Heinrich der Stolze durch die Heirat mit Richeza, der Tochter Lothars von Supplinburg, zugleich die Herrschaft Braunschweig erhält, daß sein Sohn Heinrich der Löwe in Braunschweig, seinem mütterlichen Erbe, aufwächst, hier als Herzog eine reiche Bautätigkeit entfaltet und sich nach seiner Verurteilung nach Braunschweig zurückziehen bzw. seine Familie hier zurücklassen wird. Für den Chronisten ist Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen und Bayern, vornehmlich der Herr von Braunschweig, dher von Bruneswicb, / dher aldhe herzöge Heynrich (Vv. 4142f.), ebenso seine Söhne Otto, dher ouch von Bruneswich was genant (V. 4943), und Pfalzgraf Heinrich, dher sidher (nach Ottos Tod) herre wart zo Bruneswich (V. 4449), während der dritte Sohn Wilhelm, dhem zo erbe wart gemezzen / Luneborch dhe herscaph (Vv. 7460^), eher als Vater Ottos des Kindes Aufmerksamkeit findet, der als dher junghe Luneburgere (V. 7572) zum Alleinerben weifischen Besitzes in Lüneburg und Braunschweig wird und auf dem Hof tag zu Mainz im Jahre 1235 seine Erhöhung zum Reichsfürsten und die Bestätigung des Herzogtums Β raunschweig-Lüneburg erreicht, dessen einer Teil an seinen ältesten Sohn Herzog Albrecht I. von Braunschweig, den Protagonisten der >Braunschweigischen ReimchronikChronica principum Brunsvicensium< ist das allerdings nur aus der >Cronica ducum de Brunswick< zu erschließen, da sie mitten in der brunonischen Familiengeschichte einsetzt und die Billungergenealogie - wie in der b r a u n schweigischen Reimchronik< - bereits vorher eingefügt sein könnte. D a jedoch die von ihr abgeleitete >Cronica ducum de Brunswick< an den entsprechenden Stellen keine Billungerpartie hat, ist dies auch von der >Chronica principum Brunsvicensium< zu vermuten.

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V v . 1 1 0 7 - 1 2 2 5 , wobei er sehr präzise - wie auch das >Chronicon sancti Michaelis LuneburgensisBraunschweigischen Reimchronik< eine breite Entfaltung. Der Grund für diese ungleiche Verteilung ist das Interesse des Autors an der Herrschaft Braunschweig. Vor allem gilt das natürlich im Falle der brunonischen Grafenfamilie, deren Geschlecht und Herrschaft Braunschweig einerseits - genealogisch allerdings nicht ganz eindeutig - über den Stammvater Brun, vurste in Bruneswich (V. 1415), auf die sächsische Herzogs- und Königsfamilie der Liudolfinger zurückgehe, andererseits in ungebrochener Folge bis zu Herzog Albrecht I. von Braunschweig und seinen Nachkommen führe und über ihre weibliche Linie eine kontinuierliche Herrschaft der sächsischen Weifen in Braunschweig garantiere. Die Rolle dieses mit dem salischen Kaiser verwandten Grafengeschlechts47 als Verbindungsglied von der alten sächsischen Herzogsfamilie zu den Weifen in Braunschweig stellt der Autor nachdrücklich heraus. Aber auch die Familie der Liudolfinger wird - ganz im Gegensatz zur >Gandersheimer Reimchronik< - deutlich unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft Braunschweig gesehen. Während in der >Gandersheimer Reimchronik< die Liudolfinger vornehmlich in ihrer Rolle als Förderer ihres Familienstifts Gandersheim Beachtung finden, deshalb der in den Kämpfen gegen die Dänen gefallene älteste Sohn Brun des Stiftsgründers Liudolf, der im Zusammenhang des königlichen Privilegs von 788 auftritt (Vv. 445-451), nur kurz erwähnt wird (Vv. 49/ff.), die Familientradition hingegen der zweite Sohn Herzog Otto der Erlauchte weiterführt, wird in der >Braunschweigischen Reimchronik< jener Liudolf-Sohn Brun zu einer wichtigen Figur im Liudolfinger-Stammbaum, als Gründer von Braunschweig und Dankwarderode,48 obwohl sich der Autor in diesem Punkt Hermann übertragen habe, und dem >alten< bi der Wirra, daz nu ist genant / Westvalen (Vv. 1 1 4 8 f.), unterscheidet, das das Geschlecht des herzogen Brünes dhes alden / von Saxen (Vv. 115of.), also die Nachkommen des Liudolfingers Herzog Brun, innegehabt hätte. 47 Wie in dem Nachtrag De genealogiaprincipum et heredum in Bruneswich ( 2 6 , 2 9 - 3 7 ) der >Chronica principum Brunsvicensium< informiert der Braunschweiger Reimchronist (Vv. i49off.) über die verschiedenen Heiraten Giselas von Werle, der Gattin Brunos von Braunschweig, die vorher mit Herzog Luitpold von Schwaben und danach mit König Konrad III. verheiratet war. Der Brunone Graf Liudolf, ihr Sohn aus der zweiten Ehe, wird auf diese Weise zum Halbbruder Kaiser Heinrichs III., Giselas Sohn aus ihrer Ehe mit Konrad III.: Dhisse vurste gar gemeyt / greven Lutolphes broder was / von muterhalb, als ich las, / vrowen Gislen sun, / dhes vater hatte wesen Brun (Vv. 1 5 1 7 - 1 5 21). 48

Während nach der >Cronica ducum de Brunswick< an der Gründung Braunschweigs nicht nur Brun, sondern ein zweiter Liudolf-Sohn Dankwart beteiligt ist, auf den auch der N a -

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über den Wahrheitsgehalt seiner Quelle nicht ganz sicher ist: ich hophe, daz uns icht spotte / dhe scripht, an dber ich horte, / we von herzogen Brune worte/ hegunnen daz nu heyzet Bruneswich, / unde de horch algelich, / dhe itteswenne darzo lach, / dhe men Thanquarderode jach.49 Und als Gründer von Braunschweig wird dieser Liudolf-Sohn für den Reimchronisten geradezu ein Koordinationspunkt der Liudolfinger, an den er immer wieder erinnert. So ist Herzog Liudolf in der >Braunschweigischen Reimchronik< weniger der Urahn des sächsischen Herzogsgeschlechts diese Rolle übernimmt Widukind - als der Vater des Braunschweig-Gründers Herzog Brun: Diz was dhes bournes eyner ram, / dhe her von herzogen Lutolphe quam: / herzöge Otto und konine Heynric, / dre keyser Otten und eyn Heynric, / dhe here sin ghewaxen / von dhem werdhen vorsten von Saxen / dhe ouch herzogen Brunen vater was, / dher zo ersten, als ich las, / dhe veste huwen began, / daz dhen namen Bruneswich sint gewan. / dhe borch men do Thanquardherhode jach.50 Und auch die ottonischen Kaiser Otto II. und Otto III. werden nicht in ihrem Verwandtschaftsgrad etwa zu Herzog Liudolf, sondern zu seinem Sohn Brun bestimmt.51 Auf ihn gehen letzten Endes - so suggeriert der Chronist, der in dieser Sache allerdings keine genauen Informationen hat52 - auch die Brunonen zurück, die seit dem Auftreten des Grafen Bruno die Herrschaft Braunschweig innehaben, bis sie über weibliche Erbfolge - über Richeza und Gertrud, die Ehefrau bzw. Tochter Lothars von Supplinburg - in den Besitz der sächsischen Weifen kommt. Der früh verstorbene Liudolf-Sohn Herzog Brun ist in dieser genealogisch orientierten Geschichte der edelen herscaph von Bruneswich (V. 9330) eine zentrale Figur, die für die verwandtschaftliche und erbrechtliche Kontinuität der Herrschaft Braunme Dankwarderode zurückgehe (vgl. 577,39f.), bestreitet der Braunschweiger Reimchronist ausdrücklich die Existenz eines weiteren Bruders Dankwart neben Brun und Otto: an eynem anderen buche ich las, / dha mir noch eyn son genennet wart, / dher solte heyzen Thanquart. / dhes Sprech ich doch nicht vor war (Vv. 442-445). 49 V v . 623-629; und noch einmal genauer: diz is dher werdhe vurste, sich, / nach dhem ghenant ist Bruneswich, / von Saxen herzogen Ludolphes kint, / von dhem men ghescreven vint, / daz Bruneswich von im begunnen worte (Vv. 648-652). 50 V v . 1 3 9 4 - 1 4 0 4 ; vgl. auch: von herzogen Ludolfe, derzo rechte / von Bruneswich Brünes vater was (Vv. 25955.). 51 Etwa Otto II: Ir ne suit iz nicht hören node, / daz ich sus nenne daz gesiechte; / wilt ir iz merken rechte: / her was herzogen Brune an dhem verdhen kni (Vv. 1 3 1 3 - 1 3 1 6 ) ; da Otto II., der Urenkel Herzog Ottos des Erlauchten, der Urgroßneffe Bruns ist, würde man eigentlich den fünften Verwandtschaftsgrad erwarten (vgl. Weiland, A n m . 11). Otto III: disse herre Brune nicht bestunt zo rechte, / doch was her geboren von sime siechte, / her was im an dhem vunften khni (Vv. 1 3 4 2 - 1 3 4 4 ) . Gemeint ist, daß Ottos III. Beziehung zu Herzog Brun den vierten Verwandtschaftsgrad überschreitet; vgl. dazu Weiland, Anm. 3. 52

Vgl. seine bereits S. 163, Anm. 38 zitierten problematisierenden Überlegungen V v . i424ff.

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schweig von den Liudolfingern, Brunonen und sächsischen Weifen bis zu Herzog Albrecht I. und seinen Söhnen steht. Diese strikt an Braunschweig orientierte Geschlechtergeschichte der Liudolfinger- und Brunonen-Wurzel der sächsischen Weifen erfährt allerdings in der >Braunschweigischen Reimchronik< eine entscheidende Erweiterung durch die Billunger, die andere Wurzel des sächsischen Herzogshauses, die der Chronist vermutlich nicht in der vursten scripht / von Bruneswich (Vv. i 4 i i f . ) vorgefunden haben wird, ohne Schwierigkeiten jedoch einer der zahlreichen, in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. entstandenen >billungisch< ausgerichteten Genealogien des sächsischen Hochadels entnehmen konnte. Denn die Geschlechtergeschichte der Billunger bestimmt nicht nur die >Sächsische FürstenchronikCronica principum SaxoniaeCronica principum Saxoniae< sowie die ebenfalls von O . Holder-Egger in der im St. Blasiusstift entstandenen Trierer Hs., die auch das Fragment der >Chronica principum Brunsvicensium< enthält, aufgefundenen erweiterten Fassung der >Chronica principum Saxoniae ampliataChronicon sancti Michaelis LuneburgensisChronicon sancti Michaelis LuneburgensisBillungerin< Mechthild erfährt in dieser Darstellung - wie Bernd Schneidmüller betont - eine auch politisch signifikante Deutung als »Reintegration billungischer H e r zogsherrschaft«, 59 die die Nachkommen und damit auch das neu entstandene Herzogtum Braunschweig-Lüneburg verstärkt an die Familientraditionen des sächsischen Herzogsgeschlechts binde. Für die neue Rolle der sächsischen Weifen als Herzöge von Braunschweig und Lüneburg mochte jedenfalls das Wissen um ihre doppelte billungische Herkunft von besonderer Bedeutung sein. Ihre Bemühungen um die Konsolidierung ihres im Jahre 1 2 3 5 neugegründeten Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, um den Ausbau ihrer neuen Stellung als Herzöge von Braunschweig und Lüneburg 60 scheinen jedenfalls seit der Mitte des 13. Jhs. Hintergrund und Anlaß jener auf die weifischen Herrschaftszentren Braunschweig und Lüneburg zentrierten vielfältigen genealogischen Aktivitäten gewesen zu sein, bei denen die sächsischen Weifen kaum mehr oder nur noch in einem knappen Exkurs in ihrer süddeutschen Herkunft aus Altdorf-Ravensburg erfaßt, umso forcierter jedoch in ihren verwandtschaftlichen Verbindungen zu den bedeutenden sächsischen Geschlechtern der Liudolfinger, Brunonen oder Billunger und in deren Nachfolge als Herzöge von Sachsen bzw. Herzöge von Braunschweig-Lüneburg vorgestellt werden. Ziel dieser genealogischen Rekon-

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Schneidmüller, Billunger-Welfen-Askanier, S.74. Die »politische Aussage« (S. 58), die mit diesem Reditus-Gedanken verbunden sei, vergleicht Schneidmüller mit um die Wende des 12. Jhs. in Frankreich bezeugten Vorstellungen, daß das kapetingische Königtum durch eine Heirat wieder zu den Karolingern zurückgekehrt sei; vgl. dazu Karl Ferdinand Werner, Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des »Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli«, in: Die Welt als Geschichte 12(1952), S. 203-22 5, sowie Gabrielle M. Spiegel, The Reditus Regni ad Stirpem Karoli Magni: A New Look, in: French Historical Studies 7 (1971), S. 145-174. Zur Reditus-Technik der Genealogie des sächsischen Herzogshauses in der >Cronica principum Saxoniae< vgl. auch Melville, Vorfahren und Vorgänger, S. 271-274. 60 Zu den besitzgeschichtlichen, verfassungsrechtlichen und politischen Problemen im Umkreis der Gründung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg und der nachfolgenden Rolle der weifischen Herzöge vgl. die landeshistorischen Arbeiten von Lotte Hüttebräuker, Das Erbe Heinrichs des Löwen. Die territorialen Grundlagen des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg von 1235, Göttingen 1927 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen. Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas von Niedersachsen 9); Siegurd Zillmann, Die weifische Territorialpolitik im 13. Jh. (1218-1267), Braunschweig 1975 (Braunschweiger Werkstücke Reihe Α 12), hier vor allem S. 3 i9f.; Egon Boshof, Die Entstehung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, in: Heinrich der Löwe. Hg. von Wolf-Dieter Mohrmann, Göttingen 1980 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archiwerwaltung 39), S. 249-274; Patze und Ahrens, Begründung des Herzogtums Braunschweig, und Patze, Weifische Territorien im 14. Jh.

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struktionsbemühungen ist die Herleitung des weifischen Herzogtums Β raunschweig-Lüneburg aus den Familientraditionen sächsischer Herzogsherrschaft, die - in ganz unterschiedlicher thematischer Akzentuierung - über die liudolfingisch-brunonische Linie oder über die billungische Herkunft der Weifen begründet werden kann.61 In den Umkreis dieser zweckgerichteten genealogischen Bildprogramme der sächsischen Weifen-Historiographie ordnet sich auch die >Braunschweigische Reimchronik< ein.62 Denn auch sie bietet eine zielgerichtete Familiengeschichte des weifischen Herzogshauses von BraunschweigLüneburg, das in weit ausgreifenden Genealogien auf die bedeutenden sächsischen Herzogsfamilien zurückgeführt wird. Deutungsmodell und Gliederungsprinzip dieser genealogischen Rekonstruktion ist dabei der Geschlechterbaum, der den regierenden Weifen in Braunschweig-Lüneburg, den leuchtenden Blumen am Zweig des zwei Wurzeln sächsischer Herzogsfamilien vereinigenden Stammes, die attraktive Rolle als Vollender der Geschichte der sächsischen Herzogshäuser zuweist. Mit diesem Bildprogramm des weitverzweigten Stammbaums sächsischer Herzogsherrschaft greift der volkssprachige Autor allerdings zugleich über die lateinische Chronistik hinaus, denn diese konzentriert sich - ihrer Entstehung und thematisch-ideologischen Akzentuierung entsprechend - entweder - wie die >Braunschweigische Fürstenchronik< - auf die liudolfingisch-brunonische oder - wie die >Sächsische Fürstenchronik< und die braunschweigische Bildtafel - auf die billungische Deszendenz der sächsischen Weifen. Der Reimchronist kombiniert jedoch beide Argumentationslinien in dem Bild von den zwei Wurzeln sächsischer Weifenherrschaft, führt in Heinrich dem Löwen und seinen Nachkommen souverän die beiden alten sächsischen Herzogsfamilien der Liudolfinger und Billunger zusammen und entwirft damit ein Gesamtpanorama lückenloser Genealogie von der frühen Herzogsherrschaft in Ost- und Westsachsen bis zu den regierenden Fürsten in Braunschweig-Lüneburg. Dieses übergreifende genealogische Programm zielt auf das neugegründete Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, das - über die Verwandtschaft der Weifen 61

Über die verschiedenen Ausprägungen und Möglichkeiten der brunonisch-welfischen und billungisch-welfischen Memorialtradition in St. Blasien und St. Michael informiert Bernd Schneidmüller, Landesherrschaft, weifische Identität und sächsische Geschichte, in: Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter. Hg. von Peter M o raw, Berlin 1992 (Beiheft zur Zeitschrift für historische Forschung 14), S . 6 5 - 1 0 1 .

61

Dies geht schon aus Hans Patzes Arbeiten zur >Braunschweigischen Reimchronik< hervor; noch deutlicher formuliert diese Beziehung der >Braunschweigischen Reimchronik< zu den entsprechenden lateinischen Genealogien Schneidmüller, Billunger-Welfen-Askanier, S. 3 6.

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mit den Liudolfingern und den Billungern - in die gesamte, liudolfingisch-brunonische wie billungische Ursprünge berücksichtigende Tradition des Herzogtums Sachsen eingebunden ist. Und da nach der Darstellung der >Braunschweigischen Reimchronik< schon bei den Liudolfingern die Gründung und Herrschaft Braunschweigs zu den Kernpunkten sächsischer Herzogsmacht gehört, erweist sich die regierende Herzogsfamilie in Braunschweig - unter Ausblendung der askanischen Herzöge von Sachsen - als der legitime und würdige Nachfolger der alten Herzöge von Sachsen. Adressat dieses dynastischen Programms scheint die Herzogsfamilie von Albrecht I. zu sein, speziell seine Söhne, möglicherweise sogar - wie Hans-Joachim Ziegeler zeigt - in besonderer Weise der im Jahre 1267 geborene, seit dem Tod Alb rechts I. im Jahre 1279 eigenständig urkundende älteste Sohn Herzog Heinrich Mirabilis, der sich in der direkten Nachfolge Heinrichs des Löwen sieht und in der >Braunschweigischen Reimchronik< in dem auf die sächsischen Weifen zulaufenden Familienstammbaum der alten Herzöge von Sachsen eine attraktive genealogische Konkretisierung seines herzoglichen Anspruchs auf al Saxsen (V. 9268) finden mochte. Die >Braunschweigische Reimchronik< wäre damit eines der wenigen Beispiele volkssprachiger Dynastenhistoriographie im 13. Jahrhundert, die tatsächlich in ihrer Präsentation der Familiengeschichte von aktuellen Interessen der Mäzenatenfamilie geleitet zu sein scheint, jedenfalls auf zur Zeit ihrer Entstehung brisante Problemsituationen dieser Familie reagiert und in einem weit ausgreifenden genealogischen Programm einer Restitution alter Herzogsmacht Antworten und Lösungen anbietet, die dem traditionellen Selbstverständnis dieser Familie sehr direkt entsprochen haben mag. Familiengeschichte erweist sich hier - wie im >Roman de Rou< als Projektionsfläche spezifischer dynastischer Ambitionen, genauer als Demonstration und Bestätigung aktueller dynastischer Rechts- bzw. Herrschaftsansprüche. Egmonder Stifterchronik und Landeshistoriographie: die >Rijmkroniek< der Grafen von Holland Einige Jahre später, um die Wende des 13. Jhs., beginnt ein Reimchronist mit einer mittelniederländischen Geschichte des holländischen Grafenhauses, wie er sie in lateinischen Schriften und Urkunden des Klosters Egmond vorgefunden habe: Omdat ic niet en wille, / Dat mijn sijn ligghe Stil / Ende verderve mit ledicheden, / Willie η alhier ter Steden / Segghen, wie de graven waren, / De hollant in hären jaren / Hadden onder haer l

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bedwanc, / Ende hoe verre dat haer ganc / Met rechte gaet in Vrieslant, / Alsoo als icket bescreven vant/ In den ehester tEcghemonde, /In Latine in vraier orconde, / Sonder favele sonder lieghen / Ende sonder iement te bedrieghen (I, Vv. 1-14). Er widmet sie in den Eingangsversen des ersten Buches dem Grafen Floris V., der darin das Wichtigste über seine Herkunft und seine Rechtsansprüche auf Holland, Seeland und das zur Entstehungszeit dieses Teils der Chronik möglicherweise noch nicht besiegte Westfriesland erfahren solle: Oese pine ende dit ghepens / Sendic u, heer grave Florens, / Dat ghi sien moghet ende hören, / Waen dat ghi sijt gheboren, / Ende bi wat redenen ghi in hant / Hebbet Zeelant ende Hollant, / Ende bi wat redenen dat ghi soect / Vrieslant, dat Η so sere vloect (I, Vv. 2734). Dieser Chronist, der seine Reimchronik über die Geschichte der Grafen von Holland offenbar im zeitlichen Umkreis der Friesenfeldzüge Floris' V. (1282-128t))63 begonnen hat, setzt bei der Geschichte der Grafen bzw. der Grafschaft Holland mit Dietrich I. ein, der im Jahre 864 - wie die I, Vv. 333-392 eingefügte volkssprachige Reimfassung einer Handfeste des Klosters Egmond bezeuge - von Karl dem Kahlen Holland als Teil seines Königreichs erhalten, vier Jahre später, im Jahre 868, von Karls Bruder Ludwig dem Deutschen eine Bestätigung und Erweiterung seiner Rechte in Holland - ebenfalls dokumentiert durch eine gereimte Fassung der entsprechenden Handfeste (I, Vv. 405-445) - erreicht64 und als erster Graf von Holland mit der Hilfe seiner Gemahlin Gheve in Nordholland zu Ehren des Lokalheiligen Adalbert ein Nonnenkloster, das spätere Benediktinerkloster Egmond, gestiftet habe, das seine Geschichte mit der der Grafschaft Holland verband: Dit was rechte tote Egmonde / Dat thovet ende tbeghin ter stonde / Van der graefscap van Hollant was, / Also ict bescreven las (I, Vv. 487-90). Das Grafenpaar wird in seiner Stiftung begraben, und auch ihr Sohn Dietrich II., der de eerste grave was, / De van Hollant grave hiet (I, V. 654L), ist dieser Familienstiftung eng verbunden: Er sorgt für einen Neubau der Kirche, läßt die wegen der Ubergriffe der Friesen gefährdeten Nonnen durch Mönche ersetzen, seine Gemahlin Hildegard beschenkt den Konvent mit einem Altar voller wertvoller Gold- und Ju63

Anlaß für diese Eingrenzung der Entstehung der >Rijmkroniek< auf die Zeit der Friesenfeldzüge ist die Formulierung: Vrieslant, dat u so sere vloect (I, V. 34), die in der Forschung als Hinweis auf die noch ausstehende endgültige Unterwerfung der Friesen gewertet wird; vgl. vor allem Romein, Geschiedenis, S. 5 1 - J 4 , der sogar die Jahre 1 2 8 9 - 1 2 9 1 erwägt, in denen sich zwar Floris V . »Graaf van Holland en Zeeland en Heer van Vriesland« (S. 52) nennt, aber noch nicht fest etabliert ist in Westfriesland.

64

Nach Hage, Sonder favele, S. 175, basieren diese (unrichtigen) Behauptungen auf korrupten, vordatierten Urkundenabschriften der Schenkungen Karls des Einfältigen von 922 und Lothars von 969.

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welenarbeiten, einer Bibel und einem prächtig ausgestatteten Evangeliar, und beide werden im Jahre 987 in Egmond begraben.6' Ihr Sohn Arnulf, verheiratet mit Lutgard, einer - wie es heißt - griechischen Prinzessin, Tochter eines Theophanus und Schwester der Kaiserin Theophanu,66 erreicht durch kaiserliche Protektion die Erblichkeit der Grafschaft, die wieder durch den volkssprachigen Wortlaut der entsprechenden Handfeste dokumentiert ist (I, Vv. 709-760). Es folgen Arnulfs Sohn Dietrich III., dessen Sohn Dietrich IV., der ohne Nachkommen stirbt, so daß sein Bruder Floris I., der sechste Graf von Holland, seine Nachfolge antritt, dessen Sohn Dietrich V., der nach dem frühen Tod seines Vaters und der Wiederverheiratung seiner Mutter mit Robert, dem Sohn des Grafen Balduin von Hennegau und Flandern, sein Land mit der Hilfe seines Stiefvaters Robert erkämpft, dem Egmonder Abt Stephan in Handfesten die Stiftungen und Herrschaftsrechte seiner Vorfahren bestätigt,67 im Jahre 1091 nach 15 jähriger Friedensherrschaft stirbt68 und in Egmond begraben ist, ebenso wie sein Sohn Floris II., genannt de vette (II, V. 69), dessen Witwe - wie ausdrücklich vermerkt wird - dem Kloster viel für seine Seele gestiftet hat.69 Dessen Sohn Dietrich VI. hat bei Auseinandersetzungen mit seinem Bruder Floris de swarte (II, V. 8 5) mit dem Eingreifen der Friesen auf der Seite seines Gegners zu rechnen, ebenso wie sein Sohn Floris III., der nach 33jähriger Regierung im Jahre 1190 - wie Friedrich Barbarossa - auf dem

Dideric versciet van desert levene, / Doe men tachtich ende sevene / Ende neghenhondert screef dejare, / Na dat die maghet was moeder mare. / Hi ende sijn wijf worden begraven / TEgmonde, dat si met haven / Ende met erven hadden gherijct (I, V v . 789-795). 66 Diese nicht den faktischen Gegebenheiten entsprechende Behauptung einer Zugehörigkeit von Arnulfs Gattin zum griechischen Königs- und - über Theophanu - zum sächsischen Kaiserhaus stammt aus der Egmonder Geschichtsschreibung, aus dem >Liber Sancti Adalbert^ und den >Annales Egmundensesc Luitgard von Luxemburg war als Schwester von Kunigunde, der Gattin Kaiser Heinrichs II., zwar die Schwester einer Kaiserin, aber nicht eine griechische Prinzessin; zur Entstehung dieser Konstruktion vgl. Johanna Maria van Winter, The Imperial Aristocracy in the Tenth and the Beginning of the Eleventh Centuries, in: Byzantinum and the L o w Countries in the Tenth Century. Aspects of A r t and History in the Ottoman Era, Hernen 1985, S. 1 3 - 3 2 , sowie Hage, Sonder favele, S. 177, Anm. 21. 67

Diese Didric gaf in der stonde / Den abt Steven van Egmonde / Hantvesten, ende veste al die gaven, / Die sine oudevorders gaven, / Ende mersde hem haer recht / In landen, in herscepien echt (II, V v . 37-42). 68 Wobei der Chronist ungewöhnlich präzise die seiner Regierungszeit vorangegangene 1 jjährige Interimszeit wechselnder stellvertretender Regenten (zwei Jahre seine Mutter, acht Jahre sein Stiefvater, vier Jahre Gottfried III. von Niederlothringen, ein Jahr der U t rechter Bischof) seit dem Tode seines Vaters ausdifferenziert; vgl. II, V v . 5 1 - 6 2 . 69 Peternelle gaf vele haven / Daer over de ziele van hären man (II, V . 1 iof.).

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Kreuzzug in Antiochia stirbt.70 Ihm folgt zuerst sein älterer Sohn Dietrich VII., nach dessen frühem Tod im Jahre 1203 71 der jüngere, vom Chronisten wenig geschätzte Bruder Wilhelm I., dessen Sohn Floris IV. im Jahre 1234 in einem Turnier in Corbie umkommt und in die Familiengrablege Egmond zu seinen Vorfahren gebracht wird.72 Seine Nachkommen, zwei Söhne und zwei Töchter, werden bedeutende Positionen einnehmen: Wilhelm II. wird nicht nur Graf von Holland, sondern in den Jahren 1247 und 1252 auch zum deutschen König gewählt. Nach seinem Tod im Jahre 1256 73 wird sein Bruder Floris für einige Jahre der Vormund seines Neffen, des späteren Floris V., sein, ebenso wie eine der Schwestern, Aleida, die durch ihren Ehemann, den hennegauischen Grafen Johann von Avesnes, dem Haus Avesnes angehört, das nach dem frühen Tod von Johann I., dem jungen Sohn und designierten Nachfolger von Floris V., im Jahre 1299 mit Johanns von Avesnes Sohn Graf Johann II. die Grafschaft Holland und Seeland übernimmt. Im folgenden werden die Berichte über Vorgänge im Grafenhaus und die Herrschaft Hollands detaillierter. Die Bücher vier bis zehn bieten ausführliche Informationen über die Verschwörung gegen den Grafen Floris V. im Zusammenhang mit seinem Wechsel vom englischen Bündnis zum französischen König, seine Gefangennahme und Ermordung im Jahre 1296, die Aktivitäten Johanns von Avesnes als Stellvertreter seines Neffen, des jungen Floris-Sohnes Graf Johann I., den frühen Tod des jungen Grafen Johann, seine Beerdigung in Rijnsburg, die Auseinandersetzungen um die Nachfolge in der Grafschaft, aus denen schließlich der hennegauische Graf Johann von Avesnes siegreich hervorgeht, die Kämpfe gegen Flandern, den Tod von Graf Johanns Sohn Johann in der Schlacht bei Kortrijk, die Aktivitäten von Floris' Bastardsohn Herrn Witte van Haemsteke, das Auftreten des Jonckhere Willem, Graf Johanns Sohn, der im Jahre 1304 die Nachfolge seines Vaters als Graf Wilhelm III. von Holland antritt. Und mit der Nachricht von seinem Ritterschlag und seiner Hochzeit mit der französischen Königstochter Johanna

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Grave Flor ans, hebben wi verstaen, / Starf metten keiser Vrederike / Intjaer ons heren zekerlike /xi hondert ende neghentich jaer (II, V v . 987-990). E r stirbt in Dordrecht und wird im Schiff nach Egmond gebracht: De dode was in een scip ghedragen; / TEgmonde ginc men bene jaghen; / Daergroef men bi sinen maghen, / Aldaer sine vorders laghen (II, V v . 1 4 1 5 - 1 4 1 8 ) . A u c h bei ihm wird ausdrücklich die Familiengrablege Egmond erwähnt: Begraven was hi met misbare / In Hollant bi sinen maghen, / Aldaer sine vorders laghen, / Inden cloester herde sciere (III, V v . 698-701). E r ist im Kampf gegen die Friesen unerkannt erschlagen und - wie der Chronist vorwurfsvoll bemerkt - heimlich in een huis tHoechoutwoude (III, V . 1582) begraben w o r den; vgl. III, V v . 1 5 7 6 - 1 5 8 4 .

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von Valois im Jahre 1305 endet der Text in der Fassung der Hss. Β und C: Hier makic mijns dichtens ende (Χ, V. 1005). In der Hs. Α folgen hingegen noch drei Nachträge, eine Widmung von 52 Versen (X, Vv. 1006-1057) an den edlen Grafen von Holland mit der Namensnennung des Verfassers Melijs Stoke, u arme clerc (Χ, V. 1009), eine 23 Verse umfassende Partie74 einerseits über Wouter, den clerc, de dit screef (S. 379, V. 1), der zu Unrecht im päpstlichen Bann gewesen sei, eine Pilgerfahrt unternommen und dabei die gesamte Entlohnung für sein Buch verbraucht habe, andererseits Wünsche für das Wohlergehen des Jan van Polanen und seiner Familie,75 und schließlich 18 Verse mit merkwürdigen Informationen über die angebliche Vorgeschichte der Ermordung des Grafen Floris V., der sich an der Ehefrau Gerhards van Felsen vergangen habe und deshalb von dem Ehemann aus Rache getötet worden sei.76 Aufgrund der Angaben der Hs. Α über Melis Stoke bzw. Wouter de Clerc gilt die >Rijmkroniek< der Grafen von Holland als Werk des Dordrechter Stadtschreibers und späteren gräflichen Notars Amelis Stoke, der in den Jahren 1299 bis 1305 als Urkundenschreiber in den Diensten Johanns II. und seines Nachfolgers Wilhelms III. bezeugt ist77 und wahrscheinlich dem jungen Grafen Wilhelm eine Bearbeitung bzw. Fortsetzung jener Chronik des Grafenhauses von Holland vorgelegt hat, die ein uns unbekannter Chronist in den Jahren zwischen 1278 und 1291 für Graf Floris V. verfaßt hatte.78 Sie würde in etwa die ersten vier Bücher der Aus74

Sie folgt in Brills >RijmkroniekRijmkroniekRijmkroniekSpieghel Historiael< anschließt, als Augenzeuge des Geschehens die Turbulenzen des Landes Holland nach der Ermordung des Grafen bis zur Etablierung des hennegauischen Grafenhauses von Avesnes zu verfolgen, das - durch eine Allianzverbindung mit einer Schwester Wilhelms II. - bereits für den jungen Floris V. die Vormundschaft übernommen hatte und sofort nach der Ermordung dieses Grafen in der Person Graf Johanns von Avesnes dessen jungem Sohn Johann I. als >Onkel< treu zur Seite stand, um nach dessen überraschendem Tod im Jahre 1299 die Herrschaft in Holland anzutreten: Doe sende men over nacht ende dach / Na den grave, dat hi kere: / Si ne moghen niet wesen sonder here (VI, Vv. 1310-1312). Diese zweite Partie der holländischen >Rijmkroniek< ist den lateinischen Landeschroniken von Hennegau und Flandern vergleichbar,83 am nächsten steht sie Galberts von Brügge lateinischem Augenzeugenbericht über die Ermordung des flandrischen Grafen Karls des Guten im Jahre 1227 und den sich anschließenden Parteienstreit zwischen verschiedenen Bewerbern um die Nachfolge und ihrer Helfer bis zum Sieg Dietrichs von Elsaß. In beiden Fällen geht es um die Darstellung tiefgreifender Sukzessionsprobleme in der Landesherrschaft, die sich in heftigen Auseinandersetzungen der verschiedensten Parteien entfalten und schließlich mit dem Sieg einer Seite enden, mit der dann eine neue Geschlechterlinie in der Landesherrschaft beginnt. Bei Galbert von Brügge ist dies das mit dem lo83

Patze, Adel und Stifterchronik, II, S. 101, vergleicht die >Rijmkroniek< etwa mit der h e n negauischen Chronik< des Gislebert von Möns.

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thringischen Herzogsgeschlecht verwandte Haus Elsaß, in der holländischen >Rijmkroniek< hingegen setzt sich das hennegauische Grafenhaus Avesnes durch, das mit Graf Johann II., einem Sohn Johanns von Avesnes, des Ehemanns von Aleida, einer Tochter Floris5 IV., in Holland die Dynastie der Avesnes einführte. Der Sohn dieses Johann II., der junge Graf Wilhelm III., ist vermutlich der in der Α-Fassung angesprochene Here van Hollant, edele grave (Χ, V. 1006), dem einer seiner Urkundenschreiber, Melis Stoke, dit boec ende dit were (Χ, V. 1008) vorlegt. Die >Rijmkroniek< läßt jedenfalls als Geschichte des Grafenhauses von Holland die auf die Egmonder Gründerfamilie bezogene adelige Stifterchronik in ihrem zweiten Teil in eine ausgesprochene Landeshistoriographie einmünden, die den schwierigen, aber folgerichtigen und rechtlich einwandfreien Prozeß der Übernahme der holländischen Grafenherrschaft durch das Haus Avesnes entfaltet. Floris V. mochte in den Jahren seiner Friesenfeldzüge Gefallen an einer Geschichte seiner Familie finden, die ihre Etablierung als Landesherren von Holland, Seeland und Westfriesland an ihrer Rolle als Egmonder Stifterfamilie verfolgt und dabei zugleich - wie schon zu Beginn programmatisch formuliert wird und zumindest für das gesamte erste Buch bestimmend 1st84 - immer wieder ihre Rechtsansprüche auf (West-) Friesland unterstreicht. Wilhelm III., dem zweiten holländischen Grafen aus dem Hause Avesnes, wird die Fortsetzung bzw. Bearbeitung dieser Geschichte des holländischen Grafenhauses zugeeignet, die die Konsolidierung und Befriedung der Grafschaft Holland durch das Haus Avesnes vorführt, dessen enge Verwandtschaft mit der holländischen Grafenfamilie in ausdrücklichen Onkel-Neffen-Bezeichnungen der Protagonisten immer wieder betont85 und Wilhelms genealogisch abgesicherten Rechtsanspruch - als ältester überlebender Sohn Graf Johanns II.86 - auf die Nachfolge in der Grafschaft Holland geradezu pointiert herausstellt. 84

Nicht nur zu Beginn des Textes heißt es programmatisch von der Herrschaft der Grafen von Holland: Endehoe verre dathaer ganc/ Met rechte gaetin Vrieslant(I, V v . 8f.). Auch im folgenden wird dieses Recht auf Friesland immer wieder unterstrichen bzw. die angebliche >Freiheit< der Friesen in Zweifel gezogen: Ende bi wat redenen dat ghi soect / Vrieslant, dat« so sere vloect. (I, V v . 3 3 f.) bzw. Van desen beroemen ham de Vresen / Dat si waren ghescouden vri (I, V v . 242^); vgl. auch I, V v . 3 0 5 - 3 1 1 ; I, V v . 5 3 0 - 5 4 2 ; I, V v . 7 6 5 - 7 7 0 .

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Das Verhältnis Johanns von Avesnes zu seinem >Neffen< Johann wird nach dem T o d Floris' V. nachdrücklich als eine vertraute Vater-Kind-Beziehung dargestellt: De graven voeren beide gader, / Recht alst kint metten vader (VI, V v . 1182f.). Daneben wird immer wieder die Bezeichnung sijnnevejan ( V I , V . 1 1 7 4 ; 1318), met sinen neve (VI, V. i288)eingeflochten.

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Bereits im siebten Buch erwähnt der Chronist den T o d des ältesten Grafensohns Johann (VII, V v . 1080-1084). I m achten Buch berichtet er von der Herrschaftsübergabe des kranken Grafen Johann an seinen Sohn Wilhelm, want hisijn oudste zone was (VIII, V . 549),

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Die holländische >Rijmkroniek< vereint in ihrer Abfolge von Egmonder Stifterchronik und Landeshistoriographie zwei extreme Möglichkeiten dynastengeschichtlicher Darstellung, die sicher zu einem großen Teil auf ihre jeweiligen Quellen zurückgehen, aber doch auch Unterschiede in den Autorentypen bzw. den Interessen ihres Publikums spiegeln. Im ersten Teil wird die Herkunft, die Etablierung und genealogische Reihe des holländischen Grafenhauses sehr direkt an die Geschichte des Klosters angebunden und dem Grafen Floris V. in der Geschichte seines Geschlechts in juristischen Hinweisen wie suggestiv-affektiven Appellen - die Verbundenheit seiner Vorfahren mit Egmond vor Augen geführt. Im zweiten Teil hingegen dominiert die Perspektive des Landeshistoriographen, der angesichts einer dynastischen Krisensituation und des damit verbundenen Wechsels im Grafenhaus - die genealogische Legitimation, die Befriedungserfolge, die gelungene Etablierung und Kontinuitätsstiftung einer neuen Dynastie herausstellt. Daß diese Aufgabe der Legitimierung des neuen holländischen Grafenhauses von Avesnes am besten einer seiner Notare, der den ersten holländischen Grafen dieses Hauses, Johann II. und Wilhelm II., als Urkundenschreiber diente, erfüllen kann, liegt nahe. Er läßt die Geschichte des holländischen Grafenhauses zielstrebig auf die Erfolge des Hauses Avesnes als Grafen von Holland zulaufen, das nicht nur genealogisch sehr direkt an die bisherige Fürstenfamilie angebunden ist, sondern auch deren landesherrliche Politik - die Unterwerfung der Friesen, die Auseinandersetzungen mit Flandern um Seeland und schließlich die Allianzverbindung mit dem französischen Königshaus - erfolgreich weiterführt. Auch hier werden - wie in der >Braunschweigischen Reimchronik< - hinter der Familienhistoriographie Brüche in der Landesgeschichte wie im dynastischen Bewußtsein sichtbar, die der begründenden und verklärenden historiographischen Bemühung bedürfen. Während die volkssprachige Dynastengeschichte der normannischen Herzöge von Wace und Benoit, der Weifen in der >Braunschweigischen Reimchronik< und des holländischen Grafenhauses in der >Rijmkroniek< des Melis Stoke mehr oder weniger deutlich von dynastisch-politischen Zweckbestimmungen, von den >Anlässen< der historiographischen Aktivitäten getragen ist, scheint allerdings der Wiener Autor Jans mit seinen anekdotisch zugespitzten Babenbergerhistorien im >Fürstenbuch< ganz andere Wege zu gehen. und trägt eigens noch nach, daß inzwischen auch der Zweitälteste Bruder Heinrich verstorben sei (Vv. j 5 o - 5 5 4), so daß Wilhelm nun als ältester überlebender Sohn an der Reihe sei: Nu wast op Willam comen danne, / Dat hi was doutste ende deerste / Ende most bliven de gheerste (VIII, V v . 556-558).

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Die Babenberger im >Fürstenbuch< des Jans Enikel Ende des 13. Jhs. ist an die glänzende Geschichte der Babenberger als des ehemaligen österreichischen Herzogsgeschlechts nicht nur in den berühmten babenbergischen Hausklöstern in lateinischen Genealogien, genealogischen Bildtafeln, Glasfenstern und Grabdenkmälern87 erinnert worden, sondern auch im Wiener Literaturbetrieb: durch Jans Enikel, den wohl einer adeligen Wiener Familie angehörenden Autor historiographischer Werke,88 der in seinem bei Vers 4258 mitten im Bericht über die Vorbereitungen der Schlacht an der Leitha abbrechenden >Fürstenbuch< die Herrschaft der Babenberger in Osterreich, später auch der Steiermark, von Markgraf Adalbert bis Herzog Friedrich II. nachzeichnet, offenbar in Anlehnung an eine mehrfach als kronika bzw. buoch bezeichnete Quelle, die der Abt des Wiener Schottenklosters dem Autor des >Fürstenbuch< vermittelt habe.89 Dieses soll eine Geschichte des Landes Osterreich und der Steiermark bieten. Ihr Autor will - so formuliert er programmatisch zu Beginn des Textes - von Österriche sagen / und von dem werden Stirlant (Vv. 2f.), beginnt seine Reimchronik mit Österrich, das niht wan ein heidenschaft (Vv. 29ff.) gewesen sei, dem Bericht von der Gründung Wiens in vorchristlicher Zeit und macht auch im weiteren Verlauf des Textes immer wieder Wien zum Schauplatz und seine Bewohner zu Hauptakteuren des berichteten Geschehens.

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Zur sog. Babenberger-Renaissance vgl. oben S. 118 ff. Die Selbstaussagen des Chronisten hat Philipp Strauch, Studien über Jansen Enikel. 1. Name. Stand. Lebenszeit, in: ZfdA 28 (1884), S. 35-64, sowie in der Einleitung seiner Jans Enikel-Ausgabe zusammengestellt und diskutiert, S. LXX-LXXVII; zur bereits oben S. 8 5, Anm. 22 erwähnten Namensproblematik vgl. Heinzle, Wandlungen, S. 54. Die beste historische Einordnung der biographischen Daten findet sich bei Otto Brunner, Zwei Studien zum Verhältnis von Bürgertum und Adel. 1. Das Wiener Bürgertum in Jans Enikels Fürstenbuch (1950), wieder in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Dritte unveränderte Auflage Göttingen 1980, S. 242-265, auf der die weitere Forschung basiert. Konsens der Forschung ist, daß der Wiener Autor Jans seine beiden historiographischen Werke, die >Weltchronik< und das >FürstenbuchFürstenbuch< eindeutig aus der Perspektive dieser Gruppe, die >Weltchronik< weniger deutlich; vgl. dazu neuerdings Wenzel, Höfische Geschichte, S.8/ff.; 133ff., sowie Liebertz-Grün, Anderes Mittelalter, S.71 f.; die >FürstenbuchFürstenbuchFürstenbuch< vgl. die Zusammenstellung bei Strauch, S. LXIX; zur Vermittlung der Quelle durch den Abt des Schottenklosters: wan ichz ze Wienn geschriben vant: / ze den Schotten tet mirz der apt bekant, / da las ichz unde hanz gesehen, / des muoz ich von der warheit jehen (Vv. 1089-1092).

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Grundlegendes Erzähl- und Strukturprinzip ist jedoch die strikte Genealogie der Babenberger, die - anders als etwa in dem >Breve Chronicon Austriae Mellicense< - nicht mit dem sagenhaften adolescens Leopold I., sondern mit Markgraf Adalbert, dem erst(en) vogt in Österlant (V. 119), einsetzt, über seinen Sohn Ernst, dessen Nachkommen Adalbert und Leopold II. bis zu dessen berühmtem Sohn Leopold III. führt, dem Gründer von Klosterneuburg und Heiligenkreuz, der der guot Liupolt hiez (V. 885), und seiner Ehefrau Agnes, des keisers Heinrichs tohter (V. 889), mit ihren elf überlebenden Kindern, von denen allerdings nur die sechs Söhne namentlich aufgeführt werden.90 Direkter Nachfolger Leopolds III. ist bei Jans, der die Markgrafenwürde des dritten Sohnes Leopold IV. ausspart,91 dessen älterer Bruder Heinrich Jasomirgott, von dem es schon im >Chronicon pii marchionis< heißt, daß sein Vater ihn weniger als die anderen geliebt habe.92 So auch hier: Heinrich der ander sun sin, / dem tet got siner kraft schin, / daz er in liez aller lengist leben; / die kraft wolt im got gehen. / doch was der fürst erbheute< noch zu besichtigenden Grab im Münster bestattet: als manz noch hiut ze Wienn siht stän (V. 1127). Auf seinen Sohn Leopold V. folgen mit dessen Sohn Leopold VI. bzw. Enkel Friedrich II. die beiden letzten Babenberger, die die besondere Aufmerksamkeit des Chronisten genießen und im >Fürstenbuch< in ihren Aktivitäten breit vorgeführt werden: Leopold VI., zunächst nur Herr über die Steiermark und nach dem Kreuzzugstod seines Bruders Friedrich auch Herzog von Osterreich, das unter seiner Regierung eine für Wien besonders segensreiche 32jährige Friedensherrschaft erlebt, und Friedrich 90

V v . 9 1 5 - 9 5 0 ; genannt werden Adalbert, Heinrich, Leopold, Ernst, Otto, bischof ze Vrisinge (V. 946), während der Name des jüngsten Sohnes, Konrads, des späteren Erzbischofs von Salzburg, dem Chronisten unbekannt ist: den sehsten sun wil ich verdagen, / wan da von kan ich niht gesagen; / mir ist sin hie niht kunt getan, / da von muoz ich ez varen lan (Vv. 947-950). Ausgespart bleiben hingegen die Namen und Ehen der fünf Töchter Leopolds III., die im >Chronicon pii marchionis< und seinen lateinischen wie deutschen Fortsetzungen detailliert aufgeführt werden.

91

E r wird bei Jans lediglich als Herzog von Bayern und Frauendiener vorgestellt: sin dritter sun her Liupolt, / der was den schoenen vrouwen holt; / der wart herzog in Beier lant, / als ich von im geschrihen vant (Vv. 9 3 1 - 9 3 4 ) .

91

>Chronicon pii marchionisFürstenbuchFürstenbuchDer fursten geslechte< 684,22-27).

94

Vgl. dazu S . u 4 f f .

187

lationen von Eltern, Geschwistern und Kindern vorgestellt werden. Dennoch konzentriert sich der Chronist im ganzen weniger auf die Geschichte dieses Geschlechts als auf das Wirken seiner einzelnen Protagonisten als Landesherren von Osterreich und der Steiermark bzw. als Stadtherren von Wien. So interessiert er sich weder für die Herkunft des österreichischen Herzogsgeschlechts noch - wie etwa der Autor des >Breve Chronicon Austriae Mellicense< - für die Anfänge der Herrschaftsbildung dieser Familie, sondern setzt - wie die in die >WeltchronikRückeroberung< seiner Herrschaft in Österreich (Vv. 2401-2409), die gelegentlich ausdrücklich durch eigenhändige Lektüre historisch beglaubigt werden. Von Leopolds V. Erwerb der Steiermark heißt es etwa: wie er Stir gewannen hat, / daz wil ich in sagen drät, / wan ichz ze Wienn geschriben vant: / ze den Schotten tet mirz der apt bekant, / da las ichz unde hänz gesehen (Vv. 1087-1091). Er habe sie von einem an Lepra erkrankten Fürsten, Herzog Ottokar VI. von Steiermark, höchst preiswert erworben, auch wenn er für den Wahrheitsgehalt von Einzelheiten dieses günstigen Kaufs nicht bürgen könne. Aber entscheidend sei das juristische Faktum der Zugehörigkeit der Steiermark zu Österreich: daz der selb fürst kouft daz lant. / daz selb las ich zen Schotten drät, / als ez da geschriben stat; / da von gehört ez sicherlich / billich zuo Österricb (Vv. 1114-1118). Zugleich erfahren diese politisch-gesellschaftlichen Daten der babenbergischen Haus- und Herrschaftsgeschichte freilich in einigen Fällen eine merkwürdige Umdeutung bzw. Akzentuierung, da sie häufig in elaborierte, gelegentlich schwankhaft-anekdotische, in jedem Fall unterhaltsame Geschichten über die Herrschaftspraxis, Fürstenrepräsentation, Kampfrituale oder Triebbefriedigung dieser Babenberger eingebunden 95

In einer präzisen Formulierung heißt es: er braht die maregräfschaft in Österrich / zuo einem werden herzogentum (Vv. 958f.).

188

sind, allerdings mit signifikanten Unterschieden bei den einzelnen Vertretern der Familie. Bestimmte Protagonisten der babenbergischen Fürsten bleiben gänzlich von diesen novellistischen Einlagen ausgespart, etwa die frühen Markgrafen Adalbert und Ernst, von denen der Chronist nur wenig zu wissen scheint, ebenso die beiden bedeutenden und hochgeschätzten Fürsten Leopold III., der allerdings angesichts seiner überragenden Stellung als pius marchio Leopoldus in den lateinischen Genealogien hier erstaunlich knapp, lediglich mit seinen wichtigsten Herrschafts- und Familiendaten aufgeführt ist,96 und Leopold VI., von dem Jans in anekdotischer Zuspitzung nur die Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz mit ihrer Vorgeschichte auf dem Kreuzzug berichtet (Vv. Ii52-1490). Mit dem Lösegeld bezahlt er die Stadterweiterung Wiens: umbe hundert tüsent marc/ muost er da geben demfürsten karc. / do hiez der tugentbaft man, / der herzoc Liupolt grifen an / und hiez Wienne witen (Vv. 1489-1495). Andere Mitglieder dieses berühmten Geschlechts werden hingegen in ausgesprochen ungewöhnlichen Aktivitäten vorgestellt, die einerseits bestimmte herrschaftsgeschichtliche Fakten beleuchten und erklären, sie als Herrscher zugleich aber auch in ein merkwürdiges Licht rücken: etwa die beiden Brüder Leopold II. und Adalbert (von Pernegg), die - der eine, Markgraf Adalbert, heimlich aus Lust und gegen den Rat der Alten, der andere, Markgraf Leopold, in aller Öffentlichkeit als kühl kalkulierten Racheakt für die missetat (V. 7 1 1 ) seines Bruders - jeweils die kaum >erworbene< Gattin des anderen vergewaltigen, mit dem Ergebnis, daß heftige Kämpfe zwischen den beiden Parteien ausbrechen, in denen auch Leute des Kaisers umkommen, Adalbert auf Anraten seines Schwiegervaters an den Kaiser appelliert, Leopold sich vor dem kaiserlichen Gericht seines Schwiegervaters verantwortet und nach der Entscheidung der schidliut (V. 868) Österreich von seinem Bruder übernimmt und in einem öffentlichen Versöhnungsakt mit zwölf Fahnen daz lant (V. 887) empfängt. Eine wechselseitige Vergewaltigungsgeschichte fungiert hier als Begründung bzw. Vorgeschichte für einen juristischen Sachverhalt der Landesgeschichte: Die Babenbergerherrschaft läuft über die Leopold-Linie weiter. Oder Herzog Heinrich Jasomirgott, der sich darauf einläßt, nach dem Tod seines kaiserlichen Schwiegervaters am Hof des neuen Kaisers in Apulien beim Turnier in einem Ochsenfell anstelle des gewünschten Luchspelzes 96

V v . 881-950; die Gründung und Ausstattung von Klosterneuburg (als ez noch bint ze Niunburg stat, V . 895) und Heiligenkreuz (Vv. 899-902), die Eheschließung mit der Kaisertochter Agnes (Vv. 887-892) und die Anzahl, bei den Söhnen auch die Namen, seiner elf überlebenden Kinder (Vv. 915-950).

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aufzutreten und dafür von dem erheiterten Kaiser das ihm bislang verweigerte Land ob der Enns erhält (Vv. 1-1060). Auch hier wird eine bedeutende Station in der Herrschaftsgeschichte der Babenberger in eine Anekdote fürstlichen Geschicks eingebunden. Und schließlich vor allem Herzog Friedrich II., von dem weitaus die meisten Geschichten berichtet werden: wie er bei einem Hoftag selbstbewußt die gemeinsame Brotmahlzeit mit dem Kaiser ausschlägt, die von diesem verhängte Sperrung aller Kochmöglichkeiten mit Nußmahlzeiten umgeht und durch diesen geschickten Schachzug die Anerkennung des Herrschers als kluger Fürst gewinnt (Vv. 2467-2 542), wie er die Steuerpflicht der Wiener festlegt und sich dabei von einem hinter einem Vorhang verborgenen Vertrauten angesichts der Selbstaussagen der Betroffenen heimlich über deren wahre Finanzmöglichkeiten informieren läßt (Vv. 2179-2290), wie er in Wien eigens ein Fest, einen tanz (V. 2332), arrangiert, um einer Dame, der Gattin eines angesehenen Bürgers, die sich seinem Liebeswerben versagt hat, Gewalt anzutun und deshalb von den empörten Wienern aus der Stadt vertrieben und von zahlreichen Ministerialen verlassen wird,97 oder wie er nach dem Sieg über das böhmische Heer unter Herzog Ulrich von Kärnten dessen Parteigänger Ulrich und Kadolt Weise gegen den Einspruch seines Hauptmanns Werner Preußel, der sich bei ihrer Gefangennahme für das Leben der beiden Herren verbürgt hat, hinrichten lassen will und sich erst in letzter Sekunde zur Begnadigung der beiden Gefangenen überreden läßt (Vv. 3955-4206). Wir kennen solche Geschichten aus den lateinischen Genealogien fürstlicher Familien, deren >mythische< Stammväter mit Klugheit, List und Glück die Grundlagen der jeweiligen Familienherrschaft geschaffen haben: der adolescens Leopoldus, der als Jagdgefährte des Kaisers durch sein entschlossenes Handeln die Ostmark erworben habe, der Weife Heinrich >mit dem goldenen WagenStammväter< bedeutender Geschlechter bieten ein höchst ambivalentes Bild von der Herkunft und Herrschaftsbegründung dieser Familien. In der Forschung wird deshalb gelegentlich sogar erwogen, ob diese Gründungssagen nicht von einem kritisch-polemischen Blick auf die Familiengeschichte getragen sind.98 Noch bemerkenswerter sind freilich Jans' Geschichten über einige der babenbergischen Fürsten, die hier nicht nur als zupackend-listige und deshalb höchst erfolgreiche Fürsten im Umgang mit dem Kaiser auftreten, sondern auch als Vergewaltiger, Willkürherrscher und grausame Fürsten, die von ihren Begleitern oder Untergebenen zurechtgewiesen werden müssen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß der Wiener Autor Jans in der Forschung als ein eher kritisch-distanzierter Historiograph der Babenberger gilt, die in den Jahren der frühen Habsburgerherrschaft beim Wiener Stadtpatriziat nicht mehr als charismatische Herzogsfamilie, sondern nur noch als klug und illusionslos agierende Schwankhelden Interesse gefunden hätten." Und doch muß mit diesen seltsamen Anekdoten von Fürstenstolz, Herrscherlist und Regentenwillkür, in die nach der Darstellung des >Fürstenbuch< einige der Babenbergerfürsten verwickelt erscheinen, nicht unbedingt eine polemisch-distanzierte Abwertung der Babenberger verbunden sein. Denn auch bei Jans sind die Babenberger ein sehr erfolgreiches Fürstengeschlecht, das einzelne überragende Persönlichkeiten stellt, in Österreich und der Steiermark höchst segensreich gewirkt und vor allem Wien zu seiner wirtschaftlichen Blüte verholfen hat. Das >Fürstenbuch< gehört deshalb sehr wohl in den Umkreis jener Ende des 13. Jhs. einsetzenden, in der Forschung als Babenberger-Renaissance bezeichneten künstlerischen wie literarischen Bemühungen um die Geschichte und Verherrlichung des ehemaligen österreichischen Herzogsgeschlechts der Babenberger. Im Gegensatz allerdings zu den in den babenbergischen Hausklöstern tradierten Genealogien und Bildprogrammen, die die Babenberger in ihren bedeutendsten Vertretern als ein berühmtes Herzogsgeschlecht von Klosterstiftern, Kirchenförderern und Friedensfürsten vorstellen, tritt bei dem >FürstenbuchAnnalista Saxo< ausführlich berichteten Geschichte der weifischen Herrschaftsbegründung durch Heinrichs List mit seinem goldenen Pflug, S.95ff.

99

Zur Forschungsdiskussion um die ideologische Einschätzung von Jans' ironisch-gebrochener Darstellung vgl. Liebertz-Grün, Anderes Mittelalter, S. 86ff., die einen kritischdesillusionierenden Blick des Chronisten auf die fürstliche Elite konstatiert.

191

punkt der Babenberger hervor. 100 Seine Erinnerung an die Babenberger ist getragen von einer Mischung aus tiefer Verehrung eines für die Geschichte Österreichs, der Steiermark, vor allem aber der Stadt Wien bedeutenden Fürstengeschlechts und überlegen-humoristischer Charakterisierung einzelner Protagonisten dieser seit einigen Jahrzehnten als Herzogsgeschlecht ausgestorbenen Familie. Das >Fürstenbuch< nimmt als großangelegte Geschichte des Landes Österreich und der Steiermark unter den Babenbergern im Rahmen babenbergischer Familiengeschichtsschreibung eine Sonderstellung ein. Jedenfalls führt es mit seinen Babenbergeranekdoten weit über die übrigen Zeugnisse babenbergischer Familiengeschichte hinaus, die nur zögernd mit einer knappen Genealogie und einem biographischen Annalenexkurs zu Herzog Leopold III. - im 12. Jh., zu ihrem größeren Teil erst im 13. und 14. Jh. - vornehmlich als genealogische Weiterführung des >Chronicon pii marchionis< - entstanden ist und mit ihrer Zentrierung um die Figur Leopolds III. sich im engen Umkreis der babenbergischen Hausklöster bewegt, von denen im Spätmittelalter die Heiligsprechung dieses Babenbergerfürsten ausgegangen ist. Aber auch die politisch-dynastisch motivierte Herrschafts- und Landeshistoriographie eines Wace, des braunschweigischen Reimchronisten oder des gräflichen Notars Melis Stoke läßt das >Fürstenbuch< - trotz aller landesgeschichtlichen Perspektiven - mit seiner Babenbergergeschichte weit hinter sich. Es ist zwar anzunehmen, daß auch im >Fürstenbuch< - wie in der holländischen >Rijmkroniek< - der D y nastenwechsel zu einem bestimmenden Thema werden, d.h. im weiteren Textverlauf von den mit dem Tod des österreichischen Herzogs Friedrich II. einsetzenden Problemen, dem dynastischen Abbruch der Babenbergerherrschaft, der krisenhaften Zwischenzeit und schließlich dem strahlenden Aufstieg der neuen Dynastie der Habsburger berichtet werden sollte. Und doch entfalten die Babenbergergeschichten in ihren anekdotischen Konkretisierungen und Zuspitzungen im >Fürstenbuch< bereits ein literarisches Eigengewicht, das sie abhebt von dem historiographischen Anspruch und Gewicht etwa der dynastengeschichtlichen Würdigung des holländischen Grafenhauses in der >Rijmkroniek< und näher an literarische Konstruktionen und fiktionale Geschichten historischer Fürstengeschlechter in der höfischen Dichtung heranrückt.

ICO

Diese Wiener Perspektive des >FürstenbuchFürstenbuch< endete. Angesichts der Bedeutung, die der Dynastenfamilie als gesellschaftlicher Organisationsform, als wechselnde Personenfiguration und ideologisches Konstrukt in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft zugeschrieben wird, aber auch vor dem Hintergrund der ausdifferenzierten lateinischen Familienhistoriographie, der in der Forschungsdiskussion um die Entstehung einer an den Fürstenhöfen gepflegten volkssprachigen Unterhaltungsdichtung eine besondere Bedeutung zukommt, erstaunt die Spärlichkeit an Beispielen einer volkssprachigen Glorifizierung historischer Fürsten- und Adelsfamilien. Darüber hinaus hat sich sehr schnell gezeigt, daß diese wenigen überhaupt in Frage kommenden Texte volkssprachiger Geschlechtergeschichte, die sich in ihrer Entstehung und Ausgestaltung den verschiedensten >Anlässen< verdanken und dementsprechend auch in die verschiedensten literarischen Typen- und Uberlieferungszusammenhänge eingebunden sind, die zunächst vermutete Rolle einer Art typologischer Zwischenstufe von historischer Familienchronistik und höfischem Geschlechterroman nicht übernehmen können. Die historischen Beispiele volkssprachiger Familiennachrichten, die sich als Stifterchronik und Vita, als Geschlechtergeschichte und Landeschronistik den unterschiedlichsten Typenkontexten lateinischer Familienhistoriographie zuordnen lassen, decken zwar ein breites Feld volkssprachiger Familienhistoriographie ab, die in jedem Fall um die Geschichte einer historischen Dynastenfamilie zentriert ist. Es führt jedoch kein Weg zur Familienthematik der höfischen Romanliteratur. Selbst die weit ausgreifenden, literarisch zugespitzen Geschlechtergeschichten von Wace und Benoit, von Jans und dem Braunschweiger Reimchronisten verweisen eher auf historiographische Kontexte als auf die höfische Unterhaltungsdichtung. Und überhaupt scheint die Geschichte historischer Dynastenfamilien nur unter bestimmten Konstellationen in der Volkssprache behandelt worden zu sein. Im ganzen ist die historische Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur erstaunlich wenig präsent.

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III. Die historische Adelsfamilie in der höfischen Dichtung

Bei den bisherigen Beispielen sind historische Adels- bzw. Fürstenfamilien der primäre Gegenstand von Texten, die zwar als Genealogien, Stifterchroniken, Fürstenviten oder Herrschaftsgeschichten ganz unterschiedlichen Literatur- und damit auch Funktionstypen angehören, aber doch immer um die Geschichte eines bestimmten Adels- bzw. Fürstengeschlechts zentriert sind. Und obwohl diese Familientexte sehr häufig ohne die Beteiligung der in ihnen vorgestellten Familien entstanden sind, sie demnach in den meisten Fällen nicht unbedingt das Selbstbild des jeweiligen Adelsgeschlechts bieten, sondern auf ganz andere, die jeweilige Familie nur mittelbar betreffende >Zwecke< ausgerichtet sein mögen, so ist doch die Geschichte der jeweiligen historischen Adelsfamilie der zentrale Fixpunkt des Textes, an dem ein bestimmtes Problem verfolgt und präsentiert wird. Das Thema Adelsfamilie figuriert in diesen Texten jedenfalls als Geschichte eines historischen Adels- bzw. Fürstengeschlechts. Anders ist das natürlich bei der höfischen Dichtung, die zwar dem Thema Adelsfamilie in genealogischer Ausgestaltung von Herrschaftsdynastien wie auch in der Präsentation ausladender Sippenverbände, verwandtschaftlicher Filiationen oder verwickelter Familienkonflikte eine bedeutende Rolle zuweist, deren Autoren jedoch nur selten den Blick auf historische Adelsgeschlechter richten, um sie in die literarische Konstruktion einzubeziehen. Am deutlichsten verfolgt dies etwa Johann von Würzburg in seinem im Jahre 1 3 1 4 abgeschlossenen Roman > Wilhelm von Österreichs dessen gleichnamiger Protagonist einerseits in berühmte literarische Geschlechter eingebunden ist, über seine Mutter in die Gahmuretfamilie 1 und über seine Ehefrau Aglye in die Gralfamilie, 2 zugleich aber 1

1

Wilhelm trifft auf Gaylet von Spangen, Gahmurets Schwestersohn, der ihn über ihre Verwandtschaft informiert: wir sin von ainen liben / bechomen waerlich, / bistu von Osterrich: / miner swester tobter ist / diu berzoginne von der du bist / geborn (Vv. 1 4 1 0 6 14m). Aglyes Zugehörigkeit zur Gralfamilie wird in einem längeren genealogischen Exkurs (Vv. 1 2 2 7 4 - 1 2 3 51) entfaltet: Stammvater (ir alter an V . 1 2 2 7 8 ) ist Senebor von Capadocia, dessen Sohn Parille zwei Söhne hatte: Thytorison, den Vater Titurels, von dem geslaeht geborn sint, / daz ist der stam des grales kint (Vv. 12289^), und Agrant von Z y z y a , den Vater von Aglye, die auf diese Weise als Kusine Titurels fungiert. Vgl. allerdings V v . i8382ff.,

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auch als S o h n eines österreichischen H e r z o g s L e o p o l d u n d als Vater eines F r i e d r i c h s o w o h l auf die im frühen 14. J h . längst ausgestorbene österreichische H e r z o g s f a m i l i e der Babenberger mit ihren L e i t n a m e n L e o p o l d u n d Friedrich als auch auf die in den Schlußpartien des Textes als ( w e n n auch problematische) G ö n n e r genannten habsburgischen H e r z ö g e v o n Osterreich, die B r ü d e r Friedrich der S c h ö n e u n d L e o p o l d der G l o r r e i che, 3 verweist u n d damit in der Verherrlichung des österreichischen H e r zogshauses eine höchst attraktive A m a l g a m i e r u n g literarischer u n d historischer D y n a s t e n f a m i l i e n präsentiert. 4 A u c h der nach 1 3 1 4 entstandene a n o n y m e R o m a n >Friedrich v o n Schwaben< bietet in der F i g u r des s c h w ä bischen H e r z o g s Friedrich, der nach einer R e i h e v o n A b e n t e u e r n die K ö nigstochter A n g e l b u r g v o n ihrem Z a u b e r b a n n erlöst u n d heiratet, eine E r i n n e r u n g an ein berühmtes Geschlecht, das der seit 1 2 6 8 ausgestorbenen staufischen H e r z ö g e v o n S c h w a b e n , die in der L i e b e s - u n d W e r bungsgeschichte v o n Friedrich und A n g e l b u r g eine sagenhafte V o r g e schichte erhalten. Klaus G r a f J weist allerdings darauf hin, daß mit den

wo die genealogische Abfolge von Aglyes väterlichen Vorfahren leicht verändert ist: Hier sind Parille und Thytorison Söhne des Urahns Senebor. 3 Zur Problematik der (von dem Hg. in den Anhang verbannten) Habsburger-Partien der Hss. Η und Hb wie auch des merkwürdig distanziert-kritischen Gestus der auf die österreichischen Herzöge bezogenen Gönner-Passage (Vv. 18593-18654) vgl. Manfred Günther Scholz, Zum Verhältnis von Mäzen, Autor und Publikum im 14. und 15. Jahrhundert. > Wilhelm von Österreich< - >Rappoltsteiner Parzifal< - Michel Beheim, Darmstadt 1987, S. 54ff., der die Habsburger-Partien nicht für Schreiberzusätze, sondern für einen ursprünglichen Fürstenpreis des Autors hält, der »einen Roman zur Verherrlichung des österreichischen Herzogshauses« (S. 80) verfaßt habe, bei den Habsburger Fürsten allerdings offenbar auf wenig Resonanz gestoßen sei und neue Gönner in den Grafen von Hohenberg-Haigerloch finde, deren Lob dann in G (Vv. i3234ff.) die Habsburger-Partie von Η (Anhang IV, 284) ersetze. 4 Vgl. dazu neuerdings Dietrich Huschenbett, Johann von Würzburg: Wilhelm von Österreich, in: Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Hg. von Horst Brunner, Stuttgart 1993 (RUB 8914), S.412-435, hier S.4i/f., der die Kontamination von historischen Personen und »genealogischen >Phantasien Wilhelm von Osterreich< mit seiner Referenz an die regierenden habsburgischen Herzöge von Osterreich die Geschichte des Herzogs von Schwaben nicht direkt an eine zeitgenössische Nachfolgefamilie richte, sondern bereits eine Art »schwäbisches Landesbewußtsein« (S. 294) anspreche, d.h. ein an »einem Land Schwaben orientiertes Selbstbewußtsein« (ebd.) im Umkreis des schwäbischen Adels, etwa der Herzöge von Teck, oder ehemaliger staufischer Ministerialen Im ganzen bleibt jedoch die Thematisierung historischer Adelsfamilien im Rahmen volkssprachiger höfischer Dichtung auf nur wenige literarische Bereiche beschränkt. In Frage kommen dabei in erster Linie einzelne, zugleich sehr ausgeprägte Fallbeispiele spezifisch geschlechtermythologischer Anbindung historischer Familien an die erzählte Geschichte, die auf diese Weise als genealogischer Ursprungsmythos der jeweiligen Familie figuriert, des weiteren zwei anglonormannische Texte, die in der literarischen Form der Reimbiographie bzw. des Abenteuerromans eines hohen Adeligen zugleich die erfolgreiche Geschichte bedeutender englischer Dynastenfamilien präsentieren, demnach eine deutlich familiengeschichtliche Konkretisierung des höfischen Romans zu bieten scheinen, und schließlich das in literarischen Gönnernennungen vermittelte Bild lokaler Literaturkreise, deren verwandtschaftliche Beziehungen das literarische Leben prägen und den Eindruck eines ausgeprägten Familieninteresses an der Förderung volkssprachiger Literatur bieten.

1. Schwanritter und Melusine: höfische Dichtung als historische Geschlechtermythologie Nicht selten werden in der höfischen Dichtung am Ende des Textes die Protagonisten genealogisch in eine Ahnenreihe eingebunden, die bis zu historischen Personen bzw. Fürstengeschlechtern führt. 6 A m deutlichsten ist diese genealogische Anbindung der literarischen Figuren an große Herrscherhäuser in den Chansons de geste ausgeprägt, die in ihren weit

6

So bietet etwa der >König Rother< über Pippin, den Vater Karls des Großen, oder der Legendenroman >Die gute Frau< mit den Söhnen Karl und Pippin eine genealogische A n knüpfung an das karolingische Herrscherhaus; und Rudolf von Ems führt im >"Wilhelm von Orlens< die Genealogie des Protagonisten über den Sohn Johfrit von Brabant bis zu dem Enkel Gottfried von Bouillon, dem ersten König von Jerusalem.

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ausgreifenden Epenzyklen die Vor- und Nachgeschichte Karls des Großen mit dem Elternpaar Pippin und Berthe und dem Sohn Ludwig dem Frommen umkreisen und in ein dichtes Geflecht familiärer Beziehungen einbinden.7 Das genealogische Interesse bleibt freilich in all diesen Fällen auf die Vergangenheit großer Herrscherhäuser beschränkt und bewegt sich in einer eher allgemein historischen Perspektive, ohne eine besondere Ausrichtung auf die Geschichte zeitgenössischer Adelshäuser zu gewinnen. Diesen unspezifisch historischen Rahmen einer lockeren Anbindung des literarischen Geschehens an berühmte Dynastenfamilien der weiteren Vergangenheit verlassen freilich zwei Stoffbereiche, der Schwanritterund der Melusinenstoff, die in ihrer Zuspitzung des Geschehens auf die Geschichte zeitgenössischer Adelsfamilien als ausgeprägte Beispiele volkssprachiger geschlechtermythologischer höfischer Romane in Frankreich wie Deutschland literarisch fruchtbar geworden sind: der Schwanritterstoff bereits im 12. und 13. Jh., 8 die Melusinengeschichte erst um die Wende des 14. Jhs. 9 Der Schwanritterstoff umfaßt die Geschichte von einem unbekannten Ritter, der in Begleitung eines Schwans auftaucht, einer bedrängten Herzogin bzw. ihrer Tochter zu Hilfe kommt, sie unter der Bedingung heiratet, daß sie ihn nie nach seiner Herkunft frage, und nach einigen Jahren glücklicher Herrschaft - wieder mit der Hilfe des Schwans - das Land verläßt, nachdem seine Ehefrau ihr Schweigeversprechen gebrochen hat. Diese Schwanritterepisode ist seit dem 12. Jh. in historischen Nachrichten wie in literarischen Texten auf die verschiedensten Adelshäuser im Nordwesten des Reichs bezogen worden, 10 zunächst auf das Herzogshaus von Niederlothringen, da in der frühesten historischen Uberlieferung des Stoffes wie auch in den altfranzösischen Kreuzzugsepen im Umkreis der >Chanson du Chevalier au Cygne< der Schwanritter der Großvater des niederlothringischen Herzogs und berühmten Kreuzfahrers Gottfried von Bouillon ist, bald aber auch auf andere Häuser: das Haus Boulogne über Gottfrieds Bruder Balduin von Boulogne, danach die - als Nachfolger Gottfrieds von Bouillon in Niederlothringen - aus dem Hause Löwen 7

8

Z u r Königssippe in den Chansons de geste vgl. Heintze, König, Held und Sippe, S. 3 2 4 -

384·

Z u r historischen und literarischen Geschichte des Schwanritterstoffs vgl. Frey, SwanKnight Legend; Krüger, Quellen; Cramer, Lohengrin; Lecouteux, Entstehung; ders., Melusine. 9 Z u r Verbreitung des Melusinenstoffs vgl. Le Goff, Le R o y Ladurie, Melusine maternelle et defricheuse; Lecouteux, Structure des legendes melusiennes; ders., Entstehung; ders., Melusine, S. 1 4 - 1 0 8 . 10 A m umfassendsten dokumentiert dies Cramer, Lohengrin, S.68ff.

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stammenden Herzöge vom Brabant, die zu Beginn des 13. Jhs. verwandtschaftliche Verbindungen zur Familie Bouillon haben, und ganz ohne verwandtschaftliche Beziehungen zum Haus Boulogne-Bouillon etwa das Grafenhaus Kleve, das sich seit dem 14. Jh. intensiv um die Pflege einer familienbezogenen Schwanrittertradition bemüht. Und da bei weiteren Adelshäusern, den Herzögen von Geldern, den Grafen von Holland oder den Grafen von Rieneck, Beziehungen zur Schwanritterüberlieferung dokumentiert sind, erweist sich der Schwanritterstoff als eine überaus erfolgreiche Familientradition, allerdings in den meisten Fällen - wie Thomas Cramer am Beispiel des Hauses Boulogne-Bouillon 11 ausdrücklich betont - nur in sekundären Quellen, die zwar ein deutliches Wissen um die Schwanrittertradition einer Familie, aber nicht unbedingt zugleich ihr Eigeninteresse an einer hausbezogenen Schwanritterüberlieferung bezeugen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Rolle, die der poetischen Uberlieferung im Prozeß der Zuschreibung und Herausbildung familienbezogener Traditionen der Schwanrittersage zukommt, da ja die Geschichte des Schwanritters als genealogischer Ursprungsmythos vom 12. bis 16. Jh. zu einem Großteil über höfische Dichtungen vermittelt ist. 12 Sie beginnt mit den Texten der altfranzösischen Kreuzzugsgeste, die um die Figur Gottfrieds von Bouillon, des legendären Kreuzritters und ersten Königs von Jerusalem, zentriert ist und - vor allem in den verschiedenen Fassungen der >Chanson du Chevalier au Cygne< 13 - seine Abstammung von dem sagenhaften Schwanritter Elyas vorführt, der den Herzog von Sachsen, den Gegner der Herzogin von Bouillon, in einem Gerichtskampf vor Kaiser Otto besiegt, die Herzogstochter Beatris mit der ausdrücklichen Vereinbarung eines Frageverbots heiratet und nach sieben Jahren, als diese ihr Versprechen bricht, wieder verläßt. Ihre gemeinsame Tochter ist Ydain, die - als Mutter Godefroys, des zukünftigen Königs von Jerusalem, und seiner Brüder Baudouin, des Herzogs von Edessa, und Eustache, des Grafen von Boulogne - in der >Chanson< in mehreren Prophezeiungen von "Ebda., S.73f. 12 Zur literarisch vermittelten Geschlechtermythologie des Schwanritterstoffs vgl. vor allem Krüger, Quellen; Cramer, Lohengrin, S-48ff., und Kolb, Schwanrittersage. 13 Vgl. neben den beiden älteren Ausgaben, der von C . Hippeau und - einer Fassung der >Chanson< des 14. Jhs. - von Baron de Reiffenberg, die im Rahmen einer Gesamtedition der altfranzösischen Kreuzzugsgeste veröffentlichte Neuausgabe von Jan A . Nelson. Zur Uberlieferung und literarhistorischen Einordnung der einzelnen Branchen der Kreuzzugsepik um die Figur Gottfrieds von Bouillon vgl. H . Pigeonneau, Le cycle de la croisade et de la famille de Bouillon, Saint Cloud 1877, neuerdings Bender et Kleber, Epopees romanes.

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dem zukünftigen Ruhm ihres glänzenden Geschlechts erfährt. Der legendäre Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon und seine ebenso berühmten Brüder aus dem Haus Boulogne-Bouillon sind hier demnach direkte Nachkommen des Schwanritters. Seine Geschichte erhält freilich in den verschiedenen Zweigen der altfranzösischen Kreuzzugsgeste eine Vorund Nachgeschichte. Die in >La Naissance du Chevalier au Cygne< 14 bzw. >Les Enfances du Chevalier au CygneChanson du Chevalier au Cygne< selbst eingefügte Erzählung von den Schwankindern erläutert die Herkunft des unbekannten Ritters mit seinem Schwan,' 6 und die hagiographische Fortsetzung >Fin d'Elyas< 17 bietet die nachfolgenden Erlebnisse des Schwanritters: mit seiner Rückkehr ins eigene Reich, der Erlösung des Schwan-Bruders, der Errichtung der Festung Bouillon, seinem Rückzug in das Kloster St. Trond, seiner Identifizierung durch einen ehemaligen Vasallen und Kampfgefährten, dem späten Zusammentreffen mit Ehefrau Beatris und Tochter Ydain, seinen Prophezeiungen zu deren Nachkommen, den Herzögen von Bouillon, bis zu seinem heiligmäßigen Tod in St. Trond. Mit diesem ausladenden genealogischen Tableau der altfranzösischen Kreuzzugsgeste ist der berühmte Kreuzritter Gottfried von Bouillon und mit ihm das Haus Boulogne-Bouillon in eine Sagentradition eingebunden, die mit der Verherrlichung des Hauses Boulogne-Bouillon und dem Ende des Schwanritters in St. Trond zugleich lokale Anknüpfungspunkte berücksichtigt. Allerdings ist mit dem Aufbruch Gottfrieds von Bouillon ins Heilige Land, spätestens mit seinem Tod im Jahre 1106 das Herzogtum Niederlothringen zunächst an die Grafen von Limburg, dann an die Familie Löwen übergegangen, die sich Ende des 12. Jhs. Herzöge von Brabant nennen, so daß sich die Kreuzzugsgeste um Gottfried von Bouillon mit ihrer Schwanrittertradition des Hauses Boulogne-Bouillon schon im 12. Jh. nicht mehr auf ein regierendes Herzogshaus Bouillon beziehen kann, als Verherrlichung eines Fürstenhauses demnach keinen aktuellen A n -

So lautet der Titel dieser in der Neuausgabe des Zyklus als Bd. I geplanten Branche in der Edition von Nelson. 15 So bei Bender et Kleber, Epopees romanes, S. 65. 16 Zu den literarischen Fassungen der Schwankindergeschichte vgl. Cramer, Lohengrin, S-48ff., Lecouteux, Melusine, S. n o f f . ; Bender et Kleber, Epopees romanes, S.6jff. 17 Ediert ist diese Branche von Nelson im Anschluß an den >Chevalier au CygneChanson du Chevalier au Cygne< bietet Jeanne Lods, La fin du »Chevalier au Cygne«, in: Melanges de langue et de litterature du Moyen Äge et de la Renaissance. Offerts ä Jean Frappier par ses collegues, ses eleves et ses amis. Tome II, Geneve 1970 (Publications romanes et frangaises 112), S. 659-682. 14

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Sprechpartner hat. Und dies scheint auch nicht intendiert zu sein, denn die altfranzösische Kreuzzugsgeste um die sagenhafte Figur des Schwanritters bietet keine aktualisierenden Familiennachrichten zur weiteren Entwicklung des Hauses Boulogne-Bouillon, sondern konzentriert sich ausschließlich auf Gottfried von Bouillon, seine Brüder und ihren illustren Vorfahr, den Schwanritter. 18 Zentrale Thematik der im 12. und 13. Jh. entstandenen altfranzösischen Kreuzzugsgeste um den Schwanritter sind Ruhm und Aufstieg des Hauses Boulogne-Bouillon bis zum Königtum in Jerusalem, wobei dieses Geschlecht bereits Ende des 12. Jhs. in seinem Jerusalem-Zweig im männlichen Stamm ausgestorben und in seinem politischen Glanz längst erloschen war. 19 Die Schwanrittergeschichte des französischen Kreuzzugs-Epenzyklus bietet demnach - vergleichbar der Wilhelmsgeste - eine sagenhafte Familiengeschichte, die zwar mit zahlreichen historischen Namen und Fakten versetzt ist, jedoch in ihrer Zuspitzung auf die Vorgeschichte Gottfrieds von Bouillon und damit das ehemals berühmte Haus Boulogne-Bouillon in einem eher allgemein historischen Rahmen verbleibt, ohne sich um die weitere Geschichte des Geschlechts zu kümmern und sich etwa an eine aktuelle (Nachfolge-) Familie im Sinne genealogischer Ansippung und dynastischer Verherrlichung durch einen besonderen Ursprungsmythos zu richten. Jedenfalls scheinen sich in den verschiedenen Branchen der >Chevalier au CygneParzivalSchwanritterJüngeren Titurel·, 21 im >LohengrinLorengel< und Ulrich Füetrers >LohargrinLohengrinSchwanritter< fehlt diese Verbindung. 20

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sondern in einer eher lockeren, gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit verdunkelten Verbindung zu Gottfried von Bouillon.24 Und im ganzen rükken sie den Stoff wesentlich näher als die französischen Epentexte an die Gegenwart heran. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Lokalisierung der Schwanrittergeschichte ins Herzogtum Brabant, denn die bedrängte Dame ist in den deutschen Texten nicht eine Herzogin von Bouillon, sondern - den Verhältnissen des 12. Jhs. angemessen - eine Herzogin von Brabant.25 Bei Konrad von Würzburg ist es die Gattin des auf dem Kreuzzug verstorbenen Gottfried, so daß hier der Schwanritter nicht ein Vorfahre Gottfrieds von Bouillon ist, sondern sein Schwiegersohn, der das Land rettet und wieder verläßt. Damit ist - wie vor allem Horst Brunner betont26 - in Konrads >Schwanritter< gegenüber den französischen Texten der >Chevalier au Cygneheute< noch als Nachkommen des Schwanritters verstehende Familien: die Häuser von Kleve, Geldern und Rieneck, die sogar im Kampf den Schwan als Wappenzeichen trügen: von den sitgröze herren sint/ üf gewabsen undgeborn. / vil werde fürsten üzerkorn / von ir gesiebte quamen: / in Wuhsen üz ir sämen / vil mäge und herlicher neven. / von Gehe beide und von Cleven / die graven sint von in bekomen, / und wurden Rienecker genomen / üz ir gesiebte

24

Die am Schluß des >Parzival< eingefügte Geschichte des Parzival-Sohnes Loherangrin, der sich als Schwanritter mit einer Herzogin von Brabant verbindet, bietet keine expliziten Hinweise auf Gottfried von Bouillon, bestenfalls verschlüsselte Anspielungen, wie neuerdings Bumke, Parzival und Feirefiz, S.262ff., erörtert; in Konrads von Würzburg >Schwanritter< ist der Protagonist der Schwiegersohn des auf dem Kreuzzug verstorbenen Herzogs Gottfried, der deutlich auf den berühmten Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon verweist; vgl. dazu Brunner, Genealogische Phantasien, S. 2 7 7 ^ Die übrigen, vornehmlich auf der Loherangrin-Episode des >Parzival< basierenden Schwanritter-Fassungen vermeiden jede Anspielung auf die berühmten Kreuzfahrer des Hauses Bouillon.

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Z u den verwandtschaftlichen und politischen Verbindungen des Hauses BoulogneBouillon mit den Herzögen von Brabant, die als Herzöge von Niederlothringen im 12. Jh. die Nachfolge des 1 1 0 6 ausgestorbenen Hauses von Bouillon antraten, vgl. Blöte, A u f kommen der Sage von Brabon Silvius, S. i6ff.; Cramer, Lohengrin, S. 75 f.; Bumke, Parzival und Feirefiz, S. 258ff. z6 Brunner, Genealogische Phantasien, S. 279f.

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verre erkant. / ir künne wart in manec lant / geteilet harte wite, / daz noch alda ze strite / den swanen füeret unde treit (Vv. 1598-1611). Mit diesem Hinweis auf die Schwanritterherkunft der Häuser Geldern, Kleve und Rieneck verläßt Konrad von Würzburg den für die Schwanritterdichtungen charakteristischen unspezifisch historisierenden Rahmen und bindet die Geschichte sehr direkt an das Familienbewußtsein zeitgenössischer Adelsgeschlechter des 13. Jhs., die ihr Haus auf den sagenhaften Retter des Herzogtums Brabant zurückführten. Konrads von Würzburg >Schwanritter< ist deshalb mehr als die anderen Schwanritterdichtungen in der Forschung als ein familienbezogener Text unter dem Gesichtspunkt genealogischer Konstruktion und mäzenatischer Familienverbindungen betrachtet worden.27 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist natürlich die Epilogaussage über die Schwanritterabstammung der drei Adelsgeschlechter, die, mit unterschiedlichen Ergebnissen für die drei Adelsgeschlechter, auf ihren Realitätsgehalt, ihre dokumentarische Relevanz und ihre familiengeschichtliche Bedeutung befragt worden ist. Im Falle des Hauses Geldern, das im 13. Jh. durch Otto II. mit dem Herzogshaus von Brabant verwandt ist und sich deshalb ohne Schwierigkeit auf seine Abstammung vom Schwanritter hätte berufen können, ist im 13. Jh. Konrads Behauptung der einzige Anhaltspunkt für eine Verbindung der Familie zur Schwanritterüberlieferung.28 Das Haus Kleve verfügt zwar trotz fehlender verwandtschaftlicher Bindungen zu Brabant über eine reiche, von der Familie geförderte Schwanrittertradition. Sie setzt allerdings erst im 14. Jh. ein, so daß für das 13. Jh. ebenfalls nur Konrads Bemerkung auf eine klevische Schwanrittertradition verweist.29 Anders verhält es sich hingegen bei der im Main-Spessart-Gebiet ansässigen Grafenfamilie Rieneck,30 einem seit der Herrschaftsteilung von 1197 selbständigen Seitenzweig der niederrheinischen Familie Loon-Rieneck, die zwar - wie Kleve - nicht mit dem Herzogshaus Brabant verwandt ist, aber - wie neuerdings Theodor Ruf festgestellt hat - bereits in der Mitte des 13. Jhs. in ihren Sie-

17

Sehr dezidiert von Weidenkopf, Poesie und Recht; Brunner, Genealogische Phantasien; Graf, Genealogisches Herkommen; Kokott, Konrad von Würzburg, S. 1 7 - 3 1 . 28 Zur Schwanrittertradition des Hauses Geldern vgl. vor allem Weidenkopf, Poesie und Recht, S. 3 3 i f . ; Brunner, Genealogische Phantasien, S. 282f. 19 Die klevische Tradition ist ausführlich dokumentiert bei Blöte, Aufkommen des clevischen Schwanritters; Cramer, Lohengrin, S. 9 8 - 1 2 2 ; vgl. auch Weidenkopf, Poesie und Recht, S . 3 3 3 - 3 3 5 ; Brunner, Genealogische Phantasien, S.283f. 50 Zur Schwanrittertradition der Grafen von Rieneck vgl. Krüger, Schwan der Rienecker; Weidenkopf, Poesie und Recht, S. 3 2 9 - 3 3 2 ; Brunner, Genealogische Phantasien, S. 284^; Ruf, Grafen von Rieneck, II, S. 1 8 5 - 1 8 8 ; Graf, Genealogisches Herkommen, S. 285-287; Kokott, Konrad von Würzburg, S. 27ff.

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geln eine signifikante Schwanrittertradition ausgebildet hat.3' Während auf den Siegeln der Familie das Schildwappen für den Looner und Rienekker Zweig identisch ist, differiert die Helmzier erheblich: Looner Siegel haben einen Fächer, die Rienecker seit 1229 ein Windrad, das auf den Siegeln Ludwigs III. - frühestes Zeugnis ist ein Siegel des Jahres 1258 32 - einem Schwan Platz macht, der allerdings auf die direkten Nachkommen Ludwigs beschränkt bleibt. Sie führen ihn bis zum Niedergang der Linie im Jahre 1333 auf ihren Siegeln als Helmzier. Dieses von Theodor Ruf in seiner Relevanz für das Familienbewußtsein der Rienecker breit erörterte Siegel Ludwigs III. von 1258 mit dem Schwan als Helmzier ist zugleich von besonderer Bedeutung für das Verständnis des >SchwanrittersSchwanritter< Konrads Hauptgönner gesehen. Ausschlaggebend war da31

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Ruf, Grafen von Rieneck, II, S. 18 5 f. Bisher ist in der Forschung nur ein Rienecker Siegel mit einer Schwan-Helmzier von 1283 diskutiert worden; vgl. Blöte, Aufkommen des clevischen Schwanritters, S. 3, Anm. 3; Krüger, Schwan der Rienecker, S. 81. Vgl. Ruf, Grafen von Rieneck, Abb. 15.

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für einerseits ihre lokale Nähe zu Würzburg, dem vermuteten Aufenthaltsort des jungen Konrad, bei gleichzeitiger niederrheinischer Herkunft aus der Familie Loon und damit ihre möglichen Beziehungen zu den niederrheinischen Geschlechtern Geldern und Kleve, 33 andererseits die im Vergleich zu den im ganzen nur zwei Verse umfassenden Geldern- und Kleve-Anspielungen auffallende Ausführlichkeit der Rieneck-Würdigung, die - wenn man auch die Verse 1608-11 auf sie bezieht - sechs Verse umfaßt.34 Konsens der Überlegungen zur Gönnerschaft der Rienecker ist, daß Konrad den Schwanritterstoff über die niederrheinischen Verbindungen seiner Rienecker Auftraggeber vermittelt bekommen und diesem Geschlecht angesichts seiner im 13. Jh. vornehmlich von Ludwig III. und seinem Bruder Gerhard anvisierten und erreichten herrschaftlichen Konsolidierung und Expansion im Main-Spessart-Raum im >Schwanritter< eine ambitionierte Familiengeschichte präsentiert habe. Sie verbinde dieses im Jahre 1106 im Spessartraum ausgestorbene, in einer niederrheinischen Linie als Grafen von Loon-Rieneck weitergeführte und nach der Teilung von 1197 auf seine mainfränkische Herrschaftsbasis konzentrierte Adelsgeschlecht mit dem sagenhaften Schwanritter und dadurch zugleich mit dem Haus Brabant. Aktueller Anlaß der Entstehung und Rezeption dieser literarischen Familientradition sei möglicherweise eine der bedeutenden Eheschließungen gewesen, mit denen die Rienecker in der Mitte des 13. Jhs. ihren Herrschaftsraum im Main-Spessart-Gebiet gegenüber Mainz und Würzburg ganz wesentlich erweitert und sich zugleich als expansives Dynastengeschlecht in diesem Raum etabliert haben: die Hochzeiten der Brüder Gerhard IV. mit Adelheid von Hohenlohe-Brauneck und Ludwig III. mit Udelhild von Gumbach und Rothenfels um 1260 bzw. die Eheschließung von Ludwigs Tochter Elisabeth im Jahre 1278 mit Ulrich von Hanau.35 Im Umkreis dieser für die Rienecker bedeutenden Herrschaftsund Festakte könnte - so wird vermutet - der >Schwanritter< entstanden und vorgetragen worden sein, der dieses mainfränkische Adels geschlecht -

53

34

So argumentieren vor allem Weidenkopf, Poesie und Recht, und Brunner, Genealogische Phantasien. Dieses Verständnis der Rieneck-Stelle bei Helmut de Boor, Die Chronologie der Werke Konrads von Würzburg, insbesondere die Stellung des Turniers von Nantes, in: Beitr. 89 (1967 Tübingen), S. 2 1 0 - 2 6 9 , hier S. 266, und Brunner, Genealogische Phantasien, S. 280;

285.

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Diese Konkretisierung der Textentstehung auf bestimmte Anlässe der Rienecker D y n a stiegeschichte findet sich zuerst bei Weidenkopf, Poesie und Recht, S. 331 f.; ihm folgen Brunner, Genealogische Phantasien (mit Bezug auf Weidenkopf), S. 2 84; Ruf, Grafen von Rieneck, II, S. 188, und Kokott, Konrad von Würzburg, S. 28f.

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zusammen mit weiteren berühmten niederrheinischen Familien - an seine illustre niederrheinische Herkunft erinnere. Allerdings differieren die Überlegungen zur möglichen Funktion des Textes: Stefan Weidenkopf betont den kompensatorischen Charakter des zur Zeit der höchsten Machtentfaltung der mainfränkischen Rienecker entstandenen >SchwanritterHausüberlieferung< im Bild einer Schwanritterabkunft der durch diese Herkunft zugleich mit den bedeutendsten niederrheinischen Familien verwandten Rienecker im Sinne eines legitimatorischen Anspruchs auf dynastische Anciennität der Familie aufgefangen habe. Nachdem jedoch Theodor Ruf auf den Siegelwechsel Ludwigs III. in der Mitte des 13. Jhs. aufmerksam gemacht hatte, ist die Entstehung des >Schwanritters< weniger unter dem Aspekt eines defizitären Familienwissens als eines neuen Geschlechterdenkens gesehen und enger an ein in der Mitte des Jahrhunderts neu sich entfaltendes expansives Dynasten- und Herrschaftsbewußtsein der Rienecker gerückt worden. Schon Theodor Ruf vermutet im Blick auf Ludwig III. eine Art gemeinsame Planung des Siegelwechsels wie der Gönnerschaft für Konrads Werk, das keineswegs - wie Weidenkopf annimmt - genealogische Legitimationsdefizite des Geschlechts zu überbrücken habe, sondern im Auftrag Ludwigs III. und parallel zu dessen selbstbewußter Anknüpfung an die Schwanrittertradition auf seinem Siegel dieses Geschlecht in seinen Familienambitionen durch eine Würdigung seiner illustren Deszendenz unterstütze.37 Hintergrund dieses neuen, auf der Schwanritterherkunft basierenden Familienbewußtseins der Rienecker seien - so führt Hartmut Kokott 38 die Überlegungen Theodor Rufs weiter - die Erfolge Ludwigs III. im Kampf um die durch seine Heirat mit Udelhild von GumbachRothenfels angestrebte Herrschaft Rothenfels, die den Rieneckern eine neue Machtbasis verschafft hätten. Sichtbare Dokumente dieses Neubeginns der Familie seien der Siegelwechsel wie auch Konrads Text mit ihrer bewußten Familienanknüpfung an die Genealogie des sagenhaften Schwanritters, dessen Geschlecht in der Tradition der Begnadung des Kreuzritters Gottfried von Bouillon durch göttliches Eingreifen aus scheinbar ausweglosen Situationen gerettet wurde.

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E r meint damit das ursprüngliche Aussterben der mainfränkischen Rienecker im Jahre 1106, ihre weitere Existenz als Filiation der Loon-Linie und spätere Abspaltung der mainfränkischen Rienecker im Jahre 1 1 9 7 . 37 R u f , Grafen von Rieneck, II, S. 188. 38 Kokott, Konrad von Würzburg, S. 28f.

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Konrads von Würzburg >Schwanritter< scheint demnach als genealogischer Ursprungsmythos ein prägnantes Beispiel höfischer Familienliteratur zu sein, mit dem ein zeitgenössisches Adelshaus in seinen Ambitionen auf eine außergewöhnliche Herkunft unterstützt und in eine sagenhafte Deszendenz eingebunden wird. Klaus Graf mahnt zwar zu Recht zur Vorsicht vor zu eindeutig konkretisierenden familiengeschichtlichen Überlegungen, die von einem Schwanritter-Familienbewußtsein der Rienecker ausgingen, da die Auftraggeberschaft der Rienecker sich keineswegs zweifelsfrei aus dem Text ergebe.39 Aber selbst wenn man diese Unsicherheit hinsichtlich der Gönner von Konrad berücksichtigt und den >Schwanritter< nicht unbedingt als eine von den Rieneckern im Sinne ihrer dynastischen Erhöhung geplante Auftragsarbeit betrachtet, so bleibt doch bei diesem Text das in der höfischen Literatur, auch im Umkreis der anderen Schwanritterdichtungen, ungewöhnliche Faktum, daß das Textgeschehen als Familienhistorie bis in die Gegenwart bestimmter historischer Adelsfamilien ausgreift und mit ihrer Schwanritterherkunft ein literarisch vermitteltes Abstammungsbewußtsein evoziert, das in einem Fall, dem der Rienecker, sogar durch ein zeitgenössisches außerliterarisches Dokument eines dynastischen, auf den Schwanritter bezogenen Herkunftsbewußtseins bestätigt wird. Die anderen Schwanrittertexte bieten zwar eine zeitgenössisch-historische Szenerie des Geschehens, vermeiden jedoch jede genauere Filiation zu aktuellen Familien. Konrad von Würzburg hingegen liefert mit dem >Schwanritter< und seinen familienbezogenen Epilogbemerkungen ein signifikantes Beispiel einer aktualisierenden literarischen Geschlechtermythologie, die historische Adelsfamilien der Gegenwart als Nachkommen des Schwanritters an die literarische Fiktion des Erzählgeschehens familiengeschichtlich anbindet und ihnen einen genealogischen Ursprungsmythos anbietet, der - zumindest in einem Fall - zur gleichen Zeit bereits nachweislich auch außerhalb der Literatur seine Wirkung in der familialen Selbstdarstellung entfaltet. Insofern ist Konrads >Schwanritter< tatsächlich eines der wenigen Beispiele von höfischer Dichtung als historischer >Familientextwunderbaren Ursprünge< in einer poitevinischen Schlangenfrau. Der deutsche Autor der >Melusine< hat demnach den spezifischen Familienbezug seiner französischen Vorlage zwar erkannt, aber mit deutlicher Zurückhaltung lediglich als eine speziell den französischen Roman betreffende Familiengeschichte referiert. Er selbst verzichtet auf eine konkretisierende Aktualisierung der Geschichte etwa in die eigene Gegenwart eines bestimmten Geschlechts und konzentriert sich eher auf den generellen Aspekt der Kontinuität und weiten Verbreitung der zahlreichen Melusine-Nachkommen in der zeitgenössischen Adelswelt. Eine bestimmte Familie, die sich aus der weitverzweigten Nachkommenschaft der sagenhaften Schlangenfrau heraushebt und sich - wie die Herren von Parthenay bei Coudrette - etwa in direkter Linie auf sie zurückführt, rückt bei Thüring von Ringoltingen nicht in den Blick, so daß sein Melusinenroman in der Forschung von Coudrettes geschlechtermythologischem Familientext abgesetzt und eher als ein auf historischer Authentizität basierendes Kompendium adeliger Lebenswirklichkeit und Standesnormen bezeichnet wird. Daß allerdings das Melusinenmotiv der >gestörten Mahrtenehe< auch im deutschen Bereich auf eine zeitgenössische Adelsfamilie bezogen werden kann, zeigt die gut 150 Jahre vorher, um 1300, entstandene Versnovelle >Peter von Staufenbergs78 die mit Peterman von Temringer, [...] von Stovffenberg waz er geborn (Vv. joff.), einen Angehörigen der Straßburger, in der Ortenau als Miterben der Burg Staufenberg angesiedelten Adelsfamilie Diemeringen zum Helden einer verhängnisvoll endenden Liebesbeziehung mit einer überirdischen Dame macht. Die Feengeschichte des >Peter von Staufenberg< wird zwar in der Forschung als adelige Haussage gerne in die Nähe der Schwanritter- und Melusinensage ge77 78

Müller, >MelusinePeter von StaufenbergPeter von Staufenberg< wäre dann ein im Umfeld der an der Burg Staufenberg beteiligten Familie Diemeringen entstandener und auf die familialen Lokalinteressen dieses Hauses abgestimmter Text, der den festen Erzähltypus der >gestörten Mahrtenehe< in eine auf die Burg Staufenberg bezogene Haussage verwandelt. 82 Diese familienbezogene Einschätzung der Entstehung und Verbreitung des Textes ist allerdings aus mehreren Gründen wenig überzeugend. Zunächst ist - das betont auch die neuere Forschung - die vermutete Autorschaft bzw. Auftraggeberschaft des Egenolf von Staufenberg mehr als ungesichert,83 aber auch der Text selbst läßt alle Kennzeichen vermissen, die ihn als eine geschlechtermythologische Familiengeschichte der Staufenberger auswiesen. So gibt es außer dem Namen des Helden und seiner Einbindung in den lokalen Umkreis der Burg Staufenberg keine weitergehenden Familiennachrichten; es fehlen die entscheidenden Familieninformationen, etwa genealogische Vor- und Nachgeschichten der >Peter von StaufenbergPeter von Staufenberg< ist hingegen eine exemplarische Geschichte von einer durch die Macht gesellschaftlicher Zwänge unglücklich endenden Feenliebe, die sich von vergleichbaren Texten, etwa den Lais der Marie de France, dadurch unterscheidet, daß sie den vorliegenden Fall in einem historischen Ambiente, dem Umkreis der Burg Stau82

Im 16. Jh. scheint allerdings tatsächlich die Neubearbeitung des Textes, die im Umkreis Johann Fischarts angesiedelt ist, auf die Initiative des derzeitigen Besitzers von Staufenberg, Melchiors Widergrün von Staufenberg, zurückzugehen, der sich - wie Andre Schnyder, Johann Fischart als Bearbeiter eines mittelalterlichen Märes. Veränderungen ästhetischer Darstellungsverfahren und kultureller Deutungsmuster im >Peter von Staufenberg«, in: W W 39 (1989), S. 15-43, hier S. 41, Anm. 74, erwähnt - um die Sanierung und Abrundung des Besitzes bemüht und sich möglicherweise wie Herzog Jean de Berry im Falle des Melusinenromans von Jean d'Arras für die sagenhafte Vorgeschichte seiner Besitzungen interessiert. Jedenfalls ist die Neubearbeitung - so heißt es in der Vorrede - für die derzeitigen Staufenberger bestimmt: Vnd nach allem innsonderheyt / Wollen wirs thun mit fraudigkeyt / 2 « lob dem Stauffenberger Stammen / Oer noch steiff bhallt sein alten Namen (Vv. 31-34). Zu dieser Fischart-Bearbeitung vgl. neben Schnyder vor allem Richard Ernest Walker, Peter von Staufenberg. Its Origin, Development, and later Adaption, Göppingen 1980 ( G A G 289), S.98; Lundt, Melusine und Merlin, S. 174-180.

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So wird zu Recht nicht nur die Identifizierung des ohnehin nur in der Druckfassung genannten herr(n) eckenolt (S.62, V. 1156) mit Egenolf von Staufenberg problematisiert, sondern auch die Gewißheit, mit der man in der lapidaren Namensnennung der späten Druckfassung den Autor bzw. Auftraggeber des Textes gesehen hat. Zur kontroversen Diskussion dieser Frage vgl. die Zusammenfassung von Grunewald, Peter von Staufenberg, S. 6.

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fenberg, ansiedelt und in der Figur eines Angehörigen einer bedeutenden Straßburg-Ortenauer Adelsfamilie konkretisiert. Diese historische Anbindung der Geschichte an die Burg Staufenberg und ihre Mitbesitzer mag zwar dem Text bei Angehörigen dieser Familie ein besonderes Interesse gesichert haben, da sie hier einen der Ihren in aller adeligen Vorbildlichkeit sowohl in der übernatürlichen Welt einer Feenliebe wie auch in der großen Welt des kaiserlichen Hofs agieren sehen. Aber diese Geschichte der verhängnisvoll endenden Feenliebe des Peterman von Temringer (V. 50) verweigert zugleich jede weitergehende Familienidentifikation. Sie bricht ab, bleibt eine Episode und eignet sich deshalb gerade nicht als Haussage und Hausgeschichte eines Geschlechts.84 Dennoch ist festzuhalten, daß die Geschichte des Schwanritters und der Schlangenfrau Melusine bzw. der namenlosen Geliebten des Peterman von Temringer (V. jo) sehr direkt im Sinne einer Geschlechtermythologie an historische Adelsfamilien angebunden erscheint, allerdings in jeweils anderer Ausprägung und Funktionalisierung. Konrad von Würzburg bezieht die Schwanrittertradition auf das Selbstverständnis zeitgenössischer Adelsgeschlechter als Nachkommen des sagenhaften Schwanritters, in einem Fall sogar in signifikanter Parallele zu einem etwa gleichzeitig auf Siegeln dokumentierten Schwanritter-Bezug eines bestimmten Familienzweigs. Der Autor des >Peter von Staufenberg< hingegen vermittelt zwar in seiner zu Beginn des 14. Jhs. entstandenen Fassung der >gestörten Mahrtenehe< mit dem Protagonisten als eines Angehörigen eines Straßburger Adelsgeschlechts und der Situierung der Geschichte in den lokalen Umkreis dieses Geschlechts ein deutlich historisches Ambiente, verzichtet jedoch zugleich auf jede weiterführende familiengeschichtliche Konkretisierung, die die unglückliche Geschichte eines Staufenbergers zu einem Teil der Familientradition machte, ganz im Gegensatz etwa zu den um 1400 entstandenen französischen Fassungen der Melusinengeschichte, die in beiden Fällen mit der Geschichte von der Entstehung und Entwicklung der Herrschaft Lusignan zugleich die der gleichnamigen, zur Zeit der Textentstehung längst ausgestorbenen Adelsdynastie bietet: bei Jean d'Arras im Blick auf den neuen Besitzer des Schlosses Lusignan als familiengeschichtliche Lokalsage dieser Herrschaft, bei Coudrette jedoch - in direkter genealogischer Anbindung an die Lusignans - dezidiert als Familiengeschichte der zeitgenössischen Herren von Parthenay. Diese von ih84

Anders Lundt, Melusine und Merlin, die in dem >Peter von StaufenbergHistoire< nur für den ältesten Sohn Wilhelm von den gelungenen Eheverhandlungen des Vaters im Jahre 1195 mit Balduin von Bethune, dem befreundeten Grafen von Aumäle, der mit der Zustimmung des Königs dem Schwiegersohn mit seiner Tochter Alice seinen gesamten Besitz 6

Duby, Guillaume le Marechal, S. 49 und i^öf.; zum Mißtrauen des Königs gegenüber den Marschalls vgl. Peters, Ritterbiographie, S. 1 8 5 - 1 8 9 . 7 Μ es n'est unquorpas chevaliers / A l'ore que gefis cest livre (Vv. i4894f.). 8 Die Bedeutung der von Wilhelm Marschall vereinbarten Eheschließungen seiner Töchter für die Familienthematik des Werks betonen auch Martine Thiry-Stassin et Claude Thiry, Mariage et lignage dans l'Histoire de Guillaume le Marechal, in: Femmes. Mariages-Lignages. X l l e - X I V e siecles. Melanges offerts ä Georges D u b y , Bruxelles 1992 (Bibliotheque du Moyen Äge), S. 3 4 1 - 3 5 9 . Z u den Marschall-Kindern und ihren Ehen vgl. die historischen Kommentare des Herausgebers Paul Meyer im 3. Bd., S. 206-209. Über die Eheverhandlungen Wilhelm Marschalls für seine Söhne und Töchter informiert Waugh, Lordship, S. 54ff., über das Schicksal der Marschall-Herrschaften nach 1245 ders., Marriage, Class, and Royal Lordship in England under Henry III, in: Viator 16 (198 5), S. 1 8 1 207, sowie ders., Lordship, S . 2 i f f .

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in England übereignet. Diese stirbt jedoch bald nach der im Jahre 1214 geschlossenen Ehe. Von der zehn Jahre später vereinbarten Ehe Wilhelm Marschalls II. mit der Schwester des Königs weiß der >HistoireHistoire< scheint in dem Lebensweg des Wilhelm Marschall zugleich die Geschichte der erfolgreichen Etablierung einer der mächtigsten englischen Grafenfamilien zu bieten, deren Ansehen hier freilich nicht an weit zurückreichende genealogische Ketten oder breite Verwandtschaftsbeziehungen gebunden wird, sondern an den >besten Ritter der ZeitHistoire< unter dieser Perspektive von Tapferkeit und Loyalität vorgestellt. In den Kämpfen zwischen König Stephan und Kaiserin Mathilde habe er durch sein tollkühnes Eintreten für Mathilde die militärische Entscheidung herbeigeführt und ihr auch in prekären Situationen jederzeit die Treue gehalten (Vv. i83ff.). Von seiner ersten Ehefrau, einer ferne de haut parage (V. 64), die ihm zwei - nach der >Histoire< - früh verstorbene Söhne Gilbert und Walther geboren hatte, trennt er s i c h e r conseil (V. 371), als nach einer lang andauernden Fehde mit dem benachbarten Konstabier Patrick von Salisbury eine Ehe mit dessen Schwester Sibille ihm die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden eröffnet. Dieser Ehe, qui lur dura tute lor vie (V. 377), entstammen vier Söhne und zwei Töchter: Johann, der älteste Sohn, von dessen Tod und Bestattung im Familiengrab Bradesnestoke im Jahre 1194 der Autor später berichtet (Vv. 1013iff.), Wilhelm, der Held der >Histoireschönen< Schwestern, die der Vater Johann Marschall richement (V. 398) verheiratet, bleiben in der >Histoire< ungenannt.9

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Eine von ihnen - sie ist mit Robert von Pont de l'Arche verheiratet - wird Wilhelm Marschall nach dem Tod des jungen Königs Heinrich und vor seiner Fahrt nach Jerusalem aufsuchen, als er sich von seinen Freunden und Verwandten, A ses serors, a son lingnage, / A tot son autreparantage (Vv. 726if.), verabschiedet. Sie bedauert Wilhelms Pilgerfahrt,

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Diese Perspektivierung der >Histoire< auf Tapferkeit und absolute Dienstbereitschaft von Großvater und Vater gegenüber dem angevinischen Herrscherhaus führt zu einer merkwürdig verkürzten Darstellung der Familiengeschichte. Sie verdeckt die Bedeutung dieser Adelsfamilie mit ihren Besitzungen im Umkreis der Burgen Marlborough und Ludgershall in Wiltshire und ihren verwandtschaftlichen Verbindungen, die in der >Histoire< nur in Nebenbemerkungen und Informationssplittern zu erschließen ist.10 Denn schon unter König Heinrich I. haben die Marschalls das Amt des königlichen Marschalls inne, zwar noch nicht erblichdas erreicht erst Wilhelm Marschall im Jahre 1199 anläßlich der Krönung Johanns aber doch schon von Gilbert gegen Bezahlung auf den Sohn Johann, den Vater Wilhelm Marschalls, übergehend, der in der etwa 1136 entstandenen >Constitutio Domus RegisReinhart Fuchs< in detaillierten Analysen der rechtlichen Implikationen der Begegnungen und Reden des Fuchses mit seinen Gegenspielern - Sigrid Widmaier, Das Recht im >Reinhart FuchsNibelungenlied< Im Gegensatz zu dieser satirisch gebrochenen und dementsprechend negativ konnotierten Verwandtschaftsthematik der Tierdichtung scheint die Welt des Heldenepos von zwar nicht unproblematischen, so doch eindeutig positiv besetzten Verwandtschaftsbindungen bestimmt zu sein. Und tatsächlich agieren etwa im >Nibelungenlied< Personenverbände, die in erster Linie auf Verwandtschaftsbindungen der mdge und der vriunde beruhen,13 zugleich aber auch - wie die formelhafte Wendung von mdge und man14 andeutet - durch Vasallitätsverbindungen erweitert sind. Diese verwandtschaftlich organisierten Personenverbände der mdge sind - das hat kürzlich Jan-Dirk Müller 15 noch einmal betont - für das gesamte Geschehen des >Nibelungenlieds< entscheidend: Die mdge werden um Rat gefragt, in die Diskussion einbezogen, sie sind zu verwandtschaftlicher Hilfe verpflichtet, und auf sie stützt sich die Entscheidung und das jeweilige Handeln. Im Zentrum dieses verwandtschaftlichen Personenverbands der mdge stehen in der Regel Brüdergruppen: das gilt für die Burgundenkönige, aber auch für Etzel und Bloedelin (Vv. 1346,2^), Else und Gelphrat (V. 1615,1), Liudeger und Liudegast (Vv. 237,2f.), die - so ist zu vermuten von engeren und weiteren Verwandten umgeben sind. Deutlicher wird dies allerdings nur bei den Burgundenkönigen. Ihre nächsten Verwandten sind ihre Mutter Ute, ihre Schwester Kriemhild und Bischof Pilgrim von Passau, ihr Mutterbruder, der zunächst seine niftel (V. 1298,1), siner swester kint (V. 1312,1) Kriemhild auf ihrem Weg in Etzels Land aufnimmt, später die Burgundenkönige, die neven sin (V. 1628,2). In ihrem engeren Umkreis sind weitere Verwandte angesiedelt, deren Filiationen allerdings

Kulturgeschichte der germanischen Völker N F 102): »Heinrich Fuchs [...] pervertiert die Werte, an die seine Verwandten glauben und die sie zur Grundlage ihres Handelns machen.« (S. 58). 13

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Wobei mage ausschließlich verwandtschaftliche Bindung anzeigt, während der Begriff der vriunde auch über die Verwandten ausgreift - am deutlichsten bei Hagen und V o l k e r in den Bereich von Freundschaft, Schwurgemeinschaft. Vgl. aus der Fülle an Beispielen etwa: mage unt mine man (V. 47 5,2); beide mage und mine man (V. 1196,4); miner mage und ouch der mvnen man (V. I2j6,3); fünfhundert manne und ouch der mage min (V. 1266,1); mine mage und unser man (V. 1640,3); beide mage unde man (Vv. 1648,4; 2377,4). Müller, Motivationsstrukturen, S. 234ff.

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unklar bleiben: etwa der alte Bischof von Speyer, der zu Ute von den Burgundenkönigen von unser friunde (V. 1508,3) spricht, der mäc Hagen, 16 der seinerseits mit seinem Bruder Dankwart und seinem Schwestersohn Ortwin von Metz 17 in eine engere Verwandtengruppe eingebunden ist, und Gere, von dem es lapidar heißt: Gere was ir (= Kriemhild) sippe (V. 754,1). Hinzu kommen jeweils die Allianzverwandten, die konemägen, die in den weiteren Verwandtschaftsverband der mägen eingebunden sind. Das gilt für Siegfried in bezug auf seine konemägen (V. 749,2), die Burgunden, wie auch für die Burgundenkönige in bezug auf Etzel, der ausdrücklich seine besondere Freude über die Ankunft seiner konemägen herausstellt: ine wart min selbes mäge / nie so rehte vrö (V. 1504,2). Die genauere Struktur dieses Verwandtschaftsverbands bleibt freilich unklar. Es bilden sich lediglich bestimmte Nester heraus: die Eltern-Kind-Figuration, die Brüdergruppen, die Geschwister-Konstellation und die OnkelNeffen-Filiation, die zwar im >Nibelungenlied< nicht jene für die Chansons de geste so charakteristische Ebene einer ausdifferenzierten eigenen Neffengruppe annimmt, aber doch auch zu auffallenden Onkel-NeffenFigurationen führt, die gemeinsam auftreten und sich in besonderer Weise unterstützen. Das zeigt sich nicht nur an Hagen/Dankwart und ihrem aufbrausenden Neffen Ortwin von Metz, sondern auch an Hildebrant und seinem todesmutigen swester kindeI% Wolfhart, an Dietrich und seinem swester sun (V. 2283,3) Sigestab. Dieses relativ einfache Verwandtschaftspanorama eines zentralen Kreises von Brüdergruppen und Onkel-Neffen-Konstellationen, der durch einen weiteren Kreis allgemeiner, in ihrer Filiation unbestimmt bleibender Verwandten umgeben ist, entspricht in etwa den Verwandtschaftstableaus der französischen Chansons de geste, die ebenfalls auf der Figurenebene im wesentlichen durch eine Brüder- und eine Neffengeneration bestimmt sind19 und nur selten einmal eine Figur über eine kompliziertere Verwandtschaftsfiliation in den Verbund der handelnden Personen einordnen.20 16

E r wird nur an zwei Stellen ausdrücklich als Verwandter (mac) der Burgunden erwähnt: V . 898,1 (in bezug auf Kriemhild); V. 1 1 3 3 , 3 (als Verwandter Giselhers). 17 Vgl. das Brüderpaar Hagen und Dankwart: V v . 9,1 f.; Hagen als oeheim von Ortwin (V. 81,4); diesen als neven (V. 1 1 , 1 ) von Dankwart und swester sun (V. 119,2) von Hagen. 18 V . 2248,4; vgl. auch V v . 2271,2; 2300,4; 2301,1 ff. 19 Allerdings gewinnt hier die Neffengruppe auch als Gruppe eine besondere Bedeutung; vgl. dazu unten S.285f. 20 Im >Nibelungenlied< gibt es eigentlich nur einen einzigen Fall komplexer Verwandtschaftsverbindung: Rüdigers Ehefrau Gotelind, die Dietrich von Bern als miner basen kint (V. 2 3 1 4 , 3 ) bezeichnet, die also die Tochter von Dietrichs väterlicher Schwester ist.

27 5

Im >Nibelungenlied< erhält allerdings die Verwandtschaftsthematik noch eine spezifische Akzentuierung, da die Verwandtengruppen nicht nur - wie etwa in den französischen Chansons de geste - gemeinsam gegen äußere Feinde antreten, sondern die Konflikte auch - wie bei den zahlreichen Verwandtenkämpfen der französischen Empörergeste - in ihrem innersten Bereich aufbrechen. Und genau dies wird im >Nibelungenlied< in allen Details vorgeführt. So erfolgt in langen Erzählabschnitten des Beginns die allmähliche Integration Siegfrieds in den Verwandtschaftsverband der Burgunden als konemäge," die seine Ermordung zum besonders schändlichen Verwandtenmord macht. Und auch Kriemhilds präzise und penibel dokumentierte Reintegration in ihren Verwandtschaftsverband nach dem Tode Siegfrieds geht ihrer allmählichen Desintegration im Kampf gegen ihre engsten Blutsverwandten am Etzelhof voraus. In beiden Fällen wird die Monstrosität des Geschehens argumentativ an der Verwandtschaft festgemacht. So gewinnt die Verwandtschaft Hagens mit den Burgunden und damit auch zu Kriemhild, die sonst im Text nur eine sekundäre Rolle spielt,22 gerade in dem Augenblick an Bedeutung, wenn es um die Planung des Mords geht: In seiner Unterredung mit Kriemhild vor Siegfrieds Ermordung erinnert ihn diese - mit den Worten du bist min mac, so bin ich der din (V. 898,1) - an seine verwandtschaftlichen Pflichten der triuwe, vertraut auf dieser triuwe-Basis ihm bzw. seiner besonderen Fürsorge ihren Gatten Siegfried an und steigert damit Hagens Handeln zum heimtückischen Verwandtenverrat. Und auch der todwunde Siegfried, der zunächst eher allgemein seinen Mördern die eigene triuwe und ihre Verletzung von Vereinbarungen vorhält,23 verharrt schließlich im Themenbereich der Verwandtschaft, wenn er einerseits die fatalen Konsequenzen für die gesamte Familie, vor allem für die Nachfahren der Mörder heraufbeschwört und dabei besonders seinen Sohn beklagt, der später unter dem Vorwurf, seine engsten Verwandten seien Mörder, zu leiden habe,24 andererseits Kriemhild als Witwe dem besonderen Schutz ihres ältesten Bruders, in dem er zugleich seinen Mörder sieht, anempfiehlt (Vv. 996,2-997,2). Und tatsächlich wird Kriemhild in einem langsamen " V g l . V v . 749,2; 763,3. " Sonst erwähnt nur noch Giselher nach Hagens Hortversenkung seine Verwandtschaft mit ihm: waer' er niht min mäc, ez gierige im an den lip (V. 1133,3). 23 ich was iu ie getriuwe; des ich engolten hän (V. 989,3). 24 Zunächst allgemein: ir habt an iuwern mägen leider übele getan. / Die sint da von bescholten, swaz ir wirt geborn / her nach disen ziten (Vv. 989,4-990,2); schließlich auf den eigenen Sohn bezogen: Nu müeze got erbarmen deich ich ie gewan den sun, / dem man daz itewizen sol näh den ziten tuon / daz sine mäge iemen mortliche hän erslagen (Vv.

995>!-3)· 276

Prozeß der Reintegration in den Verband ihrer Blutsverwandten25 das attraktive und für eine Witwe höchst ungewöhnliche Angebot ihres Schwiegervaters auf einen Status als Königin wie zu Lebzeiten ihres Gatten ausschlagen, um in Worms zu bleiben. Motiviert und begründet wird dies mit dem Argument der Blutsverwandtschaft, das verschiedene, sich steigernde Facetten annimmt. Zunächst bitten allgemein ir mäge (V. 1077,2), dann Giselher als Exponent der mäge sie, als Akt der triuwe bei ihrer Mutter zu verbleiben: du solt durch dine triuwe hie bi diner muoter sin (V. 1078,4); er verspricht ihr seine ökonomische Unterstützung16 und will sie, falls sie sich für Worms entscheide, für den Tod ihres Gatten entschädigen (V. 1080,3). Schließlich verweisen Ute, Gernot und ir getriuwe mäge (V. 1081,3) auf die fehlende Verwandtschaft27 unter Siegfrieds Leuten in Xanten und steigern dieses Argument zur affektiven Opposition zwischen den Allianzverwandten, die ihr alle vremde seien, und den vertrauten vriunden in Worms,28 das sich Kriemhild gegenüber ihrem Schwiegervater zu eigen macht und durch den Aspekt der Totenklage im Kreis ihrer Blutsverwandten ergänzt.29 Auf dieser Basis einer extremen Dichotomisierung von Allianz- und Blutsverwandten erhält das spätere Handeln Kriemhilds einen besonderen Akzent: als maßlose Rache an den naehsten mägen (V. 19,3), wie in der ersten Aventiure bereits verkündet, noch vor der Katastrophe ihr hellsichtig von Dietrich entgegengehalten30 und immer wieder im Laufe des Berichts betont wird.31 Während Etzel aus Liebe zu seiner Gattin und in höflicher Noblesse behauptet, sich mehr über die Ankunft seiner burgundischen Allianzverwandten zu freuen als über die seiner Blutsverwandten (Vv. 1504,1-4), plant Kriemhild ihre Rache an eben diesen Verwandten. Verwandtschaft wird im >Nibelungenlied< zum Problem. Darin ist es auf merkwürdige Weise der Verwandtschaftskonzeption des >Reinhart Fuchs< vergleichbar. Denn auch im >Nibelungenlied< erhebt sich - wie im >Reinhart Fuchs< - über einer ausgeprägten, im terminologischen wie konzeptuellen Bereich ausdifferenzierten Ebene ungebrochen positiver Ver15

Hüpper, Poesie und Recht, analysiert diese Szene sehr detailliert unter dem Stichwort: »die Rückführung der >Witwe< in die Munt ihrer Vatersippe« (S. 103); vgl. S. 103-109. 26 nu zer min eines guot (V. 1079,2). 17 lützel künnes (V. 1081,4). 18 Si sint iu alle vremde (V. 1082,1) vs. belibet bi den vriunden (V. 1082,4). 19 ich habe niemen mäge in Nibelunge lant (V. 1085,3); u n d endgültig: ich muoz hie beliben, ..., / bi den minen magen, die mir helfen klagen (Vv. 1088, iL). 30 Diu bete dich lützel eret,... / daz du dinen magen raetest an den lip (Vv. 1902,1 f.). 31 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei Müller, Motivationsstrukturen, S. 235, Anm. 38.

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wandtschaftsvorstellungen32 eine höchst komplizierte Verwandtschaftsfiguration, die zum ideologischen Programm des Textes gehört. Einerseits ist die Erzählwelt des >Nibelungenliedes< - wie im >Reinhart Fuchs< - ganz selbstverständlich von den verschiedensten Verwandtschaftsfigurationen geprägt, die auf vielfältige Weise das Geschehen bestimmen: Sie sind in den formelhaften Wendungen ir vriunt unde mdge, mage unde man, vriunde, mdge, man oder vriunt unde man präsent und werden in konkreten Beispielen verwandtschaftlicher Hilfe bzw. zu erwartender verwandtschaftlicher Solidarität vorgeführt und als Argument bzw. Folie für Aktivitäten eingespielt, die dann allerdings ganz anders verlaufen. Zugleich entfaltet sich im engsten Familienverband die Katastrophe, die sich in Szenarien der Unwirksamkeit verwandtschaftlicher Bindungen, der Vortäuschung verwandtschaftlicher triuwe, des Verwandtenverrats, ja Verwandtenmords ausdifferenziert und die agierenden Figuren in - unter dem Verwandtschaftsaspekt - komplizierte Konstellationen und ausweglose Situationen verstrickt: wenn etwa Kriemhild ihren Verwandten Hagen mit dem Schutz von Siegfried beauftragt, wenn sie nach der Ermordung Siegfrieds wieder in ihren Blutsverwandtschaftsverband zurückkehrt, wenn Rüdiger zwischen Allianzverwandtschaftsverpflichtung und eidlichem Versprechen aufgerieben wird, wenn Giselher zu Unrecht - wie sich zeigen wird - beim Auftreten des bewaffneten Rüdiger mit der verwandtschaftlichen Unterstützung seines Schwiegervaters rechnet33 oder wenn affektive Appelle an die engste Blutsverwandtschaft der Protagonisten nichts mehr nützen.34 Auch das >Nibelungenlied< bietet ein zutiefst pessimistisches Bild von der Wirkungsmacht verwandtschaftlicher Bindungen. Verwandtschaft erweist sich als eine nicht weniger problematische Kategorie als im >Reinhart FuchsNibelungenliedes< dokumentieren die französischen Chansons de geste eindrucksvoll ihre positive Seite. Mit seinen auf die verschiedensten Stoffkreise verteilten rund 60 Texten ist dieser Typus thematisch um einige wenige Adelssippen zentriert und präsentiert zugleich die Adelsfamilie als den thematischen und ideologischen Kern seiner Handlungsstränge. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß sich die literarhistorische Forschung schon seit langem auf die vielfältigen Ausprägungen konzentriert, die in diesen Texten die Familienthematik annehmen kann. So hat bereits im Jahre 1887 Wilhelm Determann auf die für die Chansons de geste charakteristische Form der Personengruppierungen aufmerksam gemacht, die vornehmlich von Familienbindungen bestimmt seien und die er - in Abgrenzung historischer Formen von Familie und Verwandtschaft - »epische Verwandtschaft«35 nennt. Gemeint ist damit die Vielfalt verwandtschaftlicher Bezüge, die zahlreiche Chanson de geste-Figuren untereinander verknüpfe: die engen, terminologisch präzise etwa als fiz a seror bezeichneten Verwandtschaftsbindungen, die lockere Zuordnung mit den eher allgemeinen Verwandtschaftsbegriffen des Typs nies oder cosins, die sehr häufig auftretende affektive frere-Anrede im Kontext persönlicher Verbundenheit und nicht selten auch Patenverwandtschafts-Konstellationen, ohne daß diesen diversen Verwandtschaftsbeziehungen im weiteren Verlauf der Handlung immer eine besondere Bedeutung zukäme. Im ganzen vermittelten jedenfalls die in den Chansons de geste terminologisch wie thematisch höchst flexibel und vielfältig eingesetzten Verwandtschaftsformen den Eindruck einer in großen Verwandtschaftsverbänden organisierten Erzählwelt, deren Personal sich auf einige wenige Adelsfamilien verteile und in vielfältigen verwandtschaftlichen Verflechtungen untereinander verbunden sei. Angesichts dieser Dominanz der Familienthematik hat sich die Forschung immer wieder sowohl um eine interne Strukturierung dieser epischen Familienverbände als auch um ein Verständnis der mit diesen in den Chansons de geste so reich ausdifferenzierten Verwandtschaftskonstellationen vermittelten Sinnangebote bemüht. Einen ersten Versuch bietet im Jahre 1964 Alfred Adler mit seinem übergreifend strukturalistischen Blick auf das diffizile Geflecht von Korrespondenzen und Oppositionen, das die Texte in ihren unterschiedlichen Personen- und Handlungskonstella35

Determann, Epische Verwandtschaften, S. 1 1 .

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tionen in den Epenzyklen bilden, indem er auch auf bestimmte Strukturmuster der Verwandtschafts- und Familienbeziehungen aufmerksam macht, mit denen der Einzeltext im Sinne des Kontrasts oder der Variation seinen unverwechselbaren Platz im Figurationsgewebe des gesamten Epenzyklus behaupte: etwa die exemplarische Kinderlosigkeit des Paares Guillaume-Gyborc 36 gegenüber der Vielzahl von Söhnen eines Aymeri de Narbonne oder die extreme Exogamie der Aymeri-Sippe neben einer »quasi-endogamen Tradition« (S. 46) im Umkreis von Charlemagne und seinem Sohn. 37 Für Adler ist allerdings die Familienthematik der Chansons de geste nur ein Teilaspekt neben anderen, an dem sich die strukturellen Relationen der verschiedenen Texte der einzelnen Branchen verdeutlichen lassen. Demgegenüber sind die erst in jüngster Zeit fast gleichzeitig in den Jahren 1991 bzw. 1992 erschienenen, sich sachlich wie methodisch bestens ergänzenden Arbeiten von Michael Heintze und Dorothea Kullmann vornehmlich auf die Familienthematik der Chansons de geste ausgerichtet. Dorothea Kullmann betrachtet die Familienthematik der Chansons de geste unter dem Aspekt der literarischen Konzeption und Konstruktion, Michael Heintze eher als Medium spezifischer historisch-gesellschaftlicher Erfahrungen. Heintze verfolgt die Entwicklung der Familiendarstellung der Chansons de geste vom 13. zum 14. Jh., die er unter dem Stichwort »Auflösungserscheinungen in den Sippenverbänden«38 zusammenfaßt und dem von der historischen Familienforschung konstatierten Weg der Adelsfamilie vom lockeren Sippenverband des Frühmittelalters zum Adelsgeschlecht des Hochmittelalters zuordnet. Diese Auflösung der alten »horizontalen Sippenstruktur« (S. 522) zeige sich auf den verschiedensten Ebenen: wenn etwa in den späteren Texten mit dem Auftreten von Bastarden, Inzestverbindungen oder Zweikämpfen unter Blutsverwandten zunehmend problematische Familienkonstellationen ausgestaltet würden, die eine »Lockerheit und Gestörtheit der verwandtschaftlichen Beziehungen« (S.453), zumindest eine »Lockerung und Abkühlung der Sippenbindungen« (S.454) implizierten, oder wenn das Verwandtschaftsbild der frühen Texte, die horizontal weit ausgreifenden Sippen mit ihren dominanten lateralen Verwandten, den bedeutenden OnkelNeffen-Beziehungen und fehlenden Vätern, in den späteren Epen durch ein auf eine enge Vater-Sohn-Bindung und das väterliche Erbe gegründetes agnatisch-dynastisches Adelsgeschlecht ersetzt werde. Die zunächst ,realistic< attitude to representation« (S. 103) - in ihren Familientableaus einer »straightforward representation of history« (S. 103) entzögen.

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schiedenen epischen Familien abschreitet und damit zugleich einen Großteil des gesamten Textcorpus abdeckt. Tatsächlich orientiert sich im Falle der Chansons de geste die literarhistorische Binnengliederung des Textcorpus im wesentlichen an den literarischen Familienzusammenhängen, da sich im ganzen sechs Themenkreise unterscheiden lassen, die zugleich auf bestimmte Familien ausgerichtet sind:41 1. die auf die Eroberungen Karls des Großen, aber auch die Geschichte seiner Eltern und seiner Jugend bezogenen karolingischen Karls- oder Königsgeste, der vor allem die >Chanson de RolandMainet< oder etwa Jean Bodels >Sachsenkrieg< angehören; 2. der Texte über die Rebellion führender Vasallenfamilien gegen die Karolinger versammelnde Empörerzyklus, der im Blick auf den Stammvater einer der berühmten Empörerfamilien, Doon de Mayence, auch Geste de Doon de Mayence genannt wird; 3. die offenbar als eine Art Seitenzweig dieses Empörerzyklus um Doon de Mayence entstandenen Texte der sog. Nanteuil-Geste, die sich um >Doon de Nanteuil< gruppieren und - in den weiterführenden Texten >Aye d'AvignonGui de Nanteuih, >Parise la Duchesse< oder >Tristan de Nanteuil< - jedem Familienmitglied einen abenteuerlichen Werdegang als Findelkind, Exilierter, Ausgegrenzter zuschreiben; 4. die mit 24 Texten die anderen Chanson de geste-Typen an Umfang und Geschlossenheit weit überschreitende Wilhelmsgeste, die zentriert ist um das Paar des Heidenkämpfers Graf Guillaume d'Orange und seine ehemals heidnische Gattin Orable/Gyborc, in einer Vielzahl von Texten einerseits auf die Lebensschicksale von Guillaumes Neffen Vivien bzw. Gyborcs Bruder Rainouart, andererseits über den Vater Aymeri de Narbonne, dessen Onkel Girart de Vienne und den Urahn Garin de Monglane weit in die Geschichte von Guillaumes Geschlecht zurückgreift und dieser genealogischen Ausweitung von Guillaumes Geschichte seine Bezeichnung als Geste des Aymerides bzw. Geste de Monglane verdankt; 5. die auf zeitgenössische Ereignisse im Königreich Jerusalem abzielende Kreuzzugsgeste, die mit ihren Texten um die Geschichte des Schwanrit41

Einen guten Überblick über die Stoffbereiche der Chansons de geste bieten Joseph Bedier, Les legendes epiques. Recherches sur la formation des Chansons de geste. 4 Bde., Paris ' 1 9 2 6 - 2 9 ; Epopee, sowie der übersichtliche Artikel >Chanson de geste< von W . - D . Lange, in: L M a II (1981), Sp. 1 7 0 3 - 1 7 0 6 , auf dem die folgende Darstellung im wesentlichen beruht. A u c h Heintze, König, Held und Sippe, präsentiert im 3. Teil, »Die Feudalsippen« (S. 25 5-447), seiner Arbeit einen Großteil der Chanson de geste-Typen unter dem Gesichtspunkt der agierenden Familien.

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ters zugleich eine legendäre Geschichte des Hauses Bouillon bietet, und schließlich 6. die Sippenfehdeepen der Lothringergeste, die mit den Figuren Hervis von Metz und Garin le Loherain die wechselvolle Dynastengeschichte der Herzogsfamilie von Lothringen verfolgt. Wie sehr diese Epenzyklen im einzelnen auf die jeweiligen Fürstenfamilien ausgerichtet sein können, zeigt am deutlichsten die Wilhelm- bzw. Aymeriden- oder Monglane-Geste,42 die mit ihren 24 Texten des 12., 13. und 14. Jhs. das Geschlecht des Garin de Monglane konsequent bis in die verschiedensten Abzweigungen abschreitet. Zentrale Figur des gesamten Zyklus ist Graf Guillaume d'Orange, dessen unermüdlichen und erfolgreichen Kämpfen gegen die sarazenischen Heiden die frühesten Texte gelten: sein Eintreten für den schwachen Thronfolger Louis und seine stellvertretende Hilfeleistung als Kämpfer für den Papst im >Couronnement de LouisLa Prise d'OrangeBataille d'Aliscans< und der >Chanson de GuillaumeMoniage GuillaumeCouronnement de LouisCharroi de Nimes< und der >Prise d'Orange< oder Vivien in >Aliscans< und der >Chanson de GuillaumeEnfances GuillaumeCouronnement de LouisCharroi de Nimes< und der >Prise d'OrangeCouronnement de Louise, V . 1 1 6 4 , nachdem er im Kampf gegen den riesenhaften Corsolt seine Nase >verliert< bzw. sie verstümmelt wird. Vgl. dazu Frappier, Chansons de geste I, S. 89-94.

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>Moniage Guillaume< - eine Nachgeschichte und damit eine ausdrückliche familiengeschichtliche Einbindung und Ausweitung erhält, wird in weiteren Branchen des Zyklus einzelnen Personen dieser Guillaume-Verwandtschaft eine eigene >Geschichte< zugewiesen, die zugleich die Konturen der Familie in ihren genealogisch-agnatischen wie auch lateralen Linien ausleuchtet. Eine Gruppe von Texten des 13. Jhs. verfolgt Guillaumes Ahnen der väterlichen Linie über seinen Vater Aymeri de Narbonne, dessen Onkel Girart de Vienne bis zu dessen Vater Garin de Monglane, der in dem Text >Garin de Monglane< am Hof Karls des Großen von dem Kaiser das noch von den Heiden besetzte Lehen Monglane zugesprochen bekommt, sich diese Herrschaft im Heidenkampf erobert und nach seiner Heirat mit Mabille über seine vier Söhne Hernaut de Beaulande, Girart de Vienne, Renier de Gennes und Milon de Pouille, vor allem über Girart de Vienne der Stammvater eines fier lignage wird, der in dem gesamten Textcorpus immer wieder erwähnt ist. Auf die Schicksale dieser vier GarinSöhne, die ihr Glück in der Fremde suchen, konzentriert sich der in der ersten Hälfte des 13. Jhs. entstandene >Girart de Vienne< des Bertrand de Bar-sur-Aube: Milon de Pouille ist in Italien erfolgreich, Hernaut kommt in den Besitz von Beaulande, Girart und Renier begeben sich an den Hof Karls des Großen, wo Renier das Herzogtum Gennes und Girard das von Vienne erhalten. Das Auftreten eines jungen Mannes, der sich nach anfänglichen Mißverständnissen bald als Aymeri, der Sohn von Girarts Bruder Hernaut de Beaulande erweist, führt zu Turbulenzen und einem erbitterten Krieg mit dem Kaiser, in dem Girart Hilfe von seinen Brüdern und Neffen bekommt, so daß auch hier eindrucksvoll der fier lignage der Garin-Söhne im gemeinsamen Kampf gegen das kaiserliche Heer agiert. Girarts Neffe Aymeri ist der Held einer Gruppe von Texten, die ihn - wie >Aymeri de Narbonne< - als jugendlichen Kämpfer bei der Eroberung seiner Herrschaft in Narbonne vorstellt, als Fürst von Narbonne, der mit seinen Söhnen seine Herrschaft gegen den Einfall der Sarazenen verteidigt,44 vornehmlich aber als nicht mehr jugendliches Familienoberhaupt und Vater von sieben Söhnen und einigen Töchtern, der seine Söhne vom väterlichen Erbe ausgrenzt, sie in die Fremde schickt, um sich im Königsdienst, durch eine Heirat oder im Kampf eine eigene Herrschaft zu erwerben, und ihnen dabei in den verschiedensten Notsituationen beisteht. So verabschiedet er zu Beginn der >Narbonnais< seine sechs älteren Söhne, weil er das väterliche Erbe dem jüngsten Sohn Guibert überlassen wolle,

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Dies thematisieren die Texte >Siege de Barbastre< und Adenets le Roi >Buevon de C o u m archiGuibert d'Andrenas< entscheidet allerdings der 140jährige Aymeri, daß auch sein jüngster Sohn nichts von ihm zu erwarten habe, da er sich seine Herrschaft im Kampf gegen die Sarazenen erwerben solle. Und tatsächlich wird Guibert mit der Hilfe seines Vaters und seiner Brüder im Kampf gegen den heidnischen König Judas die Herrschaft Andrenas in Spanien erobern, die Tochter seines heidnischen Gegners heiraten und auf diese Weise König von Andrenas werden. Und in der bereits auf das Ende des 12. Jhs. datierten >Mort d'Aymeri de Narbonne< wird der inzwischen uralte Aymeri noch ein letztes Mal gemeinsam mit seinen von weit herbeigerufenen Söhnen seine Herrschaft Narbonne gegen die Sarazenen, vor allem ihren Anführer, den mächtigen Corsolt, verteidigen, diesen dabei im Zweikampf mit einer merkwürdigen List in der Verkleidung von dessen Amazonenfreundin töten und damit zwar Narbonne zurückgewinnen, zugleich allerdings zusammen mit seinen beiden Söhnen Garin d'Anseune und Bernart de Brubant den Tod im Kampf finden. Aymeris berühmtester Sohn Guillaume, dessen diverse Heldentaten im Heidenkampf sechs Texte umkreisen,45 ist selbst kinderlos, wird jedoch bei jeder seiner Aktionen von mindestens einem seiner Neffen, etwa Bertrand, Guielin, Gautier, Savari, Vivien und dessen Bruder Guiot, oder seinem zunächst unerkannten jungen Schwager, dem ungebärdigen Rainouart, begleitet, die ganz wesentlich an seinen Siegen über die Heiden beteiligt sind. Während etwa Bertrand und Guielin, die beiden am häufigsten genannten Neffen und Begleiter von Guillaume, in den Wilhelmsepen im wesentlichen in dieser auf Guillaume bezogenen Helferrolle verbleiben, gewinnen Vivien und Rainouart bereits hier - in >Aliscans< und der >Chanson de Guillaume< - eigene Konturen als Heidenkämpfer und werden schließlich zum Gegenstand weiterer Texte, die ihnen eine eigene Vorund Nachgeschichte geben. So erhält Guillaumes geliebter N e f f e Vivien, dessen tief betrauerter Tod im Kampf gegen die Sarazenen jeweils den ersten Teil der >Chanson de Guillaume< und >Aliscans< bestimmt, in zwei 45

Es handelt sich dabei um >Enfances Guillaumes >Couronnement de LouisCharroi de NimesPrise d'OrangeAliscans< und >Chanson de GuillaumeAliscans< darstellt: Die >Enfances Vivien< bietet die abenteuerliche Geschichte Viviens, der als siebenjähriger Sohn Garins d'Anseune von seinem Onkel Guillaume als Geisel gegen seinen in Roncesvals von den Sarazenen gefangen genommenen Vater ausgetauscht wird, die verschiedenen Stationen als todgeweihter Gefangener, Sklave, Kaufmannssohn durchläuft, bis er mit einer Gruppe von Abenteurern Liuserne erobert und diese Burg mit der Hilfe seines Vaters Garin und seines Onkels Guillaume erfolgreich gegen die Belagerung der Sarazenen behauptet. Die >Chevalerie Vivien< führt direkter in die Vorgeschichte von >Aliscansneuen< Rittern in den Heidenkampf nach Spanien, wo sie Triumphe feiern und den heidnischen Oberbefehlshaber Desrame mit einer Schiffsladung verstümmelter Heiden so sehr reizen, daß dieser ein Riesenheer in Aliscans/Archamp zusammenzieht, wo die Christen lagern. In Erinnerung an seinen Schwur weigert sich Vivien zunächst, seinen Onkel Guillaume zu Hilfe zu rufen, erlaubt dies erst, nachdem er schwer verwundet ist und sein Heer zurückweichen muß, kämpft jedoch auch noch nach dem Eintreffen von Guillaumes Hilfstruppen erbittert weiter. Die vernichtende Niederlage der Christen, Viviens Heldentod und die Klage Guillaumes über den Tod seines Neffen wird den Beginn von >Aliscans< bestimmen und zum Ausgangspunkt eines weiteren Hilferufs an den französischen König und die Aymeri-Familie werden. Während in >Aliscans< in einer zweiten großen Schlacht vor allem Guillaumes Schwager Rainouart mit seinen riesenhaften Kräften die Verluste der Christen und damit auch den Tod Viviens an den Heiden rächen wird, übernimmt im >Folquet de Candie< des Herbert le Due de Dammartin, einer Art Parallelgeschichte zu >AliscansAliscans< und der >Chanson de Guillaume< in einer eigenen Vivien-Branche um eine Jugendgeschichte dieses Helden erweitert wird, eröffnet Guiborcs jüngerer Bruder Rainouart, der eigentliche Sieger der Entscheidungsschlacht von >AliscansBataille Loquifer< von den Heiden aus Rache über die Niederlage bei Aliscans entführt wird, in >Moniage Rainouart< seinem Va286

ter unerkannt als Heerführer der Heiden im Kampf gegenübersteht, und führt zu dessen Sohn Renier, dem in dem Ende des 13. Jhs. entstandenen Text >Renier< schließlich mit Tancred, einem der Helden des ersten Kreuzzugs, ein Sohn zugewiesen wird, der die Wilhelmsgeste stoffgeschichtlich an die Kreuzzugsgeste annähert. Familiengeschichte bestimmt demnach die Zyklenbildung der Wilhelmsgeste, am deutlichsten als genealogische Kette des Monglane-Geschlechts von Garin de Monglane bis zu Graf Guillaume d'Orange,46 daneben aber auch als laterale Verwandtengruppe der Guillaume-Brüder, des Neffen Vivien und des Schwagers Rainouart, deren Geschichte in den einzelnen Branchen des Zyklus verfolgt wird. Beide Konzeptionen von Familie, die vertikale Genealogie eines Adelsgeschlechts wie auch die horizontale Verbreitung einer adeligen Verwandtengruppe, sind auf unterschiedliche Weise an der Zyklenbildung um die Figur des kinderlosen Guillaume d'Orange beteiligt. Ein deutlich genealogisches Interesse steht hinter den Texten, die einerseits die Monglane-Linie über Guillaumes väterliche Ahnen, den Vater Aymeri de Narbonne, dessen Onkel Girart de Vienne bis zu Garin de Monglane abschreiten, andererseits eine neue Linie, ausgehend von Guillaumes jungem Schwager Rainouart bis zu Tancred, dem berühmten Kreuzfahrer, entwerfen. Demgegenüber leuchten jene Texte, die das Geschehen um die Brüder von Guillaume, seinen Neffen Vivien oder den Schwager Rainouart zentrieren, die Konturen von Guillaumes fier lignage in seinem Auftreten als horizontale adelige Verwandtengruppe von Brüdern, Neffen und einem angeheirateten Schwager aus. Beide Vorstellungen sind im Zyklus präsent, decken jeweils verschiedene Bereiche des Familiendenkens ab und lassen sich deshalb weder entstehungsgeschichtlich noch ideologisch befriedigend jenem von Michael Heintze vermuteten chronologischen Schema einer Ablösung horizontaler Sippendarstellung durch genealogische Konzepte eines agnatischen Adelsgeschlechts einpassen. Die auf Guillaumes väterliche Ahnen ausgerichteten Texte um Garin de Monglane, Girart de Vienne und Aymeri de Narbonne bieten am Leitfaden genealogischer Rückführung die vertikale Tiefendimension von Guillaumes fier lignage als des berühmten, im Heidenkampf erprobten Geschlechts von Monglane, während jene Texte mit Guillaumes Taten und den Geschichten seiner Brüder, seines Neffen Vi46

Zur Rolle der »parente genealogique« bei der Zyklenbildung vgl. die Ausführungen von Fransois Suard und Jean Flori, La chanson de geste en France, in dem Band: Epopee, S.65ff. Vgl. auch Bernard Guidot, Aliscans: Structures parentales ou filiation spirituelle? in: Relations de parente, S. 2 5 - 4 5 , der programmatisch formuliert: »Familie et epopee sont indissociables.« (S. 28).

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vien und seines Schwagers Rainouart in immer neuen thematischen Konstellationen und familiengeschichtlichen Figurationen das erfolgreiche Zusammenwirken der Aymeri-Verwandtschaft im Heidenkampf herausstellen. Und zwar so nachdrücklich und vielseitig, daß die Wilhelmsepen als Epen der Sippensolidarität gelten, die dezidiert den Heidenkampf als eine Angelegenheit der Aymeri-Sippe, d.h. Guillaumes im Umkreis seines Vaters, seiner Brüder und Neffen, darstellen und dabei - ganz im Gegensatz etwa zu den Sippenfehdeepen der Nanteuil-Geste - ausdrücklich auf das erfolgreiche, weil gemeinsame Agieren dieser berühmten Adelssippe abheben. So ist Guillaumes Vater Aymeri de Narbonne jederzeit und bis ins höchste Alter sofort zur Stelle, wenn einer seiner sieben Söhne der Ubermacht einer heidnischen Belagerung ausgesetzt ist, seine Söhne eilen ebenfalls immer wieder mit ihren Hilfstruppen ihren bedrängten Brüdern zu Hilfe und deren Söhne wie auch die der ungenannten Schwestern halten sich in der Umgebung von Guillaume, der Zentralfigur des Zyklus, auf und stehen ihm in wechselnden Figurationen bei seinen diversen Abenteuern im Heidenkampf bei. Dieser um den kinderlosen Graf Guillaume d'Orange zentrierten Aymeri-Sippe von Vater, Brüdern und Neffen wird schließlich mit der Figur von Guiborcs Bruder Rainouart, Guillaumes angeheiratetem Schwager, ein Allianzverwandter zugeordnet, der als wichtigster Kämpfer des Christenheeres den Tod von Guillaumes Neffen Vivien rächt und seinerseits zum Ausgangspunkt einer eigenen Geschlechterlinie wird. Die Familie als agnatisches Adelsgeschlecht mit einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl der drei Generationen von Vater, Brüdern und Neffen ist in der Wilhelmsgeste sowohl als Strukturprinzip der Z y k lenbildung wie auch als thematisch-ideologisches Programm der bestimmende Faktor. Abgesehen von dieser strukturell und thematisch übergreifenden Bedeutung der Adelsfamilie für die Wilhelmsgeste sind die einzelnen Texte auch in ihrer Binnenhandlung so sehr von Familienthematik geprägt, daß sie immer wieder als Beispiele für die literarische Modellierung signifikanter familialer Konstellationen herangezogen werden: etwa das merkwürdige Thema der >Enterbung< der eigenen Söhne, mit dem einige Texte des Wilhelmzyklus prononciert einsetzen, das Schicksal dieser Söhne und damit auch den Verlauf der Handlung unter das Stichwort >Erwerb einer Herrschaft< stellen und deshalb in der neueren Forschung als eindrucksvolle Dokumente einer literarischen Reaktion auf die sich in den Adelsgeschlechtern des 12. und 13. Jhs. allmählich durchsetzenden Erbstrategien der Primogenitur und ihrer Auswirkungen auf die Lebenssituation der jüngeren Adelssöhne Beachtung gefunden ha288

ben. 47 Oder die für die Wilhelmsepen so charakteristischen Szenen der Auseinandersetzungen zwischen Jungen und Alten, Vätern und Söhnen, mächtigen senhors und jungen bachelers, die Marie-Gabrielle GarnierHausfater in ihrer Vielfalt unter dem Stichwort >Generationskonflikte< zusammenstellt und ebenfalls auf die Umstrukturierungsprozesse der Erbpraxis adeliger Familien bezieht.48 Aber auch die Onkel-Neffen-Paare, die in den Wilhelmsepen oft als wichtigste und handlungsbestimmende Figuration im Zentrum des verwandtschaftlichen Personengeflechts der Texte stehen und lange Zeit als literarische Relikte einer ehemals matriarchalischen Organisation der Gesellschaft betrachtet worden sind,49 neuerdings eher als literarische Zeichen für die überragende Bedeutung gelten, die in den Adelsfamilien dem mütterlichen wie väterlichen Onkel für die Karriere der jüngeren Adelssöhne zukomme, und die deshalb vornehmlich im Wilhelmzyklus, der »epopee des neveux« 50 ihren literarischen Ausdruck als feste Personenkonstellation im Sinne einer >epischen Formel· gefunden hätten.51 Und schließlich das in der Heldenepik häufig thematisierte prekäre Problem des Verwandtenkampfes, ja sogar der Verwandtentötung, 52 das in den Wilhelmsepen vor allem an Rainouart, aber auch an seinem Sohn Maillefer entfaltet wird, die beide im Kampf jeweils ihren Vätern und ihren väterlichen Verwandten gegenüberstehen. Rainouart kämpft in >Aliscans< und der >Chanson de Guillaume< auf der 47

>NarbonnaisGuibert d'AndrenasWillehalmEnterbungsszenen< in den Wilhelmsepen vgl. Kolb, Chanson-de-geste-Stil, S. ijjof.; Garnier-Hausfater, Mentalites epiques, S. 28-34. Jean-Louis G. Picherit, L'evolution de quelques themes epiques: la depossession, l'exheredation, et la reconquete du fief, in: Olifant 11 (1986), S. 1 1 5 - 1 2 8 ; Ronald G. Koss, Raoul de Cambrai and Inheritance Disputes in Feudal Society, in: Olifant 13 (1988), S. 97-110, rekurrieren auf die in anderen Chansons de geste thematisierten Erbprobleme. 48 Ihr Aufsatz »Mentalites epiques et conflits de generations«, geht offenbar auf ihre These pour le doctorat de 3eme cycle des Jahres 1984 zurück: Les conflits de generations dans les chansons de geste du cycle de Guillaume d'Orange, Paris III, deren Ergebnisse sie in: Perspectives Medievales 10 (1984), S. 71-73, vorstellt. 49 So vor allem die etwa gleichzeitig zu Beginn des 20. Jhs. erschienenen Arbeiten von Farnsworth und Clair Hayden Bell, die beide im Untertitel die Fragestellung verdeutlichen: »A Study in the Survival of Matriarchy (bzw. Matriliny)«; kritisch dazu Kullmann, Verwandtschaft, S. 50-55. 50 So lautet die programmatische Uberschrift bei Lafont, Oncles et neveux, S. 846, zu seinem >Chanson de GuillaumeMoniage Rainouart< zunächst unerkannt als Heidenführer auf seinen Vater Rainouart als dem Anführer der feindlichen Christenpartei trifft. Die Handlung der Wilhelmsepen ist jedenfalls - wie auch die der anderen Chansons de geste - zutiefst von einem dichten Geflecht verwandtschaftlicher Konstellationen und familienbezogener Episoden durchdrungen, dem sich nur wenige Texte entziehen: am deutlichsten die >Moniage GuillaumeMoniage Rainouart< mit ihrem Thema des Kampfes von Vater und Sohn den Protagonisten als schwierigen Klosterbruder ganz losgelöst von seinen Familienverbindungen agieren läßt. Damit nimmt allerdings die >Moniage Guillaume< eine ausgesprochene Sonderstellung im Umkreis der Wilhelmsepen ein, die sich gerade durch ihre thematische Ausrichtung auf die Familienbindung des Protagonisten auszeichnen und diese in den unterschiedlichsten thematischen Ausprägungen vorführen. Dies zeigt sich nicht nur auf der Ebene der Zyklusbildung, etwa in einer genealogischen Konturierung der Geschichte eines bedeutenden Fürstengeschlechts von Heidenkämpfern und in einem sukzessiven Ausleuchten von Guillaumes den engeren Familienkreis von Vater, Brüdern und Neffen umfassenden Verwandtengruppe, sondern auch bei den einzelnen Texten in einer Vielzahl von Episoden und Szenen affektiver Verwandtschaftsfigurationen, die als Vater-Sohn-, Onkel- bzw. Tante-Neffen-Konstellationen ein breites Spektrum möglicher Verwandtschaftsbeziehungen positiv wie negativ in ihren Idealkonzepten wie Problemzonen ausfalten. In manchen Texten werden diese Familienszenen sogar zu einem dominanten Thema. So erfährt etwa die >Enterbung< zu Beginn der >Narbonnais< eine penible Ausgestaltung zum Familiendrama,53 bestimmen den zweiten Teil der >Chanson de Guillaume< die unermüdlichen Versuche des ι jjährigen Gui, als jüngerer Bruder von Vivien nach dessen Tod bei seiner Tante Gyborc wie seinem Onkel Guillaume sein heritage, d.h. sein Einrücken in die Neffenund Vertrauten-Stellung Viviens, zu erreichen und Guillaume bei seinen Kämpfen gegen die Heiden zur Seite zu stehen.54 Und in jenen Texten des

53

H

Die Fürstin Hermenjart ist mit der Handlungsweise ihres Gatten nicht einverstanden, kritisiert die Enterbung der sechs Söhne, muß jedoch die für Eheauseinandersetzungen in den Chansons de geste typischen Faustschläge hinnehmen, bis sie ihrem Mann mit seiner Durchsetzung der Posterogenitur Recht gibt; vgl. die Eingangsszene in den >NarbonnaisCouronnement de LouisCharroi de NimesPrise d'Orange< und den >Aliscans< - Guillaume als Hauptfigur in wechselnden Episoden des Heidenkampfes präsentieren, dominieren neben Guillaume ganz selbstverständlich zwei Neffen, die Brüder Bertrand und Guielin, das gesamte epische Geschehen und gehören als eine feste Personengruppe absolut loyaler und tollkühner Begleiter zum entscheidenden thematischen Repertoire dieser Textgruppe. Und immer wieder sind in die Texte Episoden erbitterter Auseinandersetzungen zwischen den engsten Verwandten eingeschaltet, etwa die Familienkonflikte um die >Enterbung< der Aymeri-Söhne in den >NarbonnaisGuibert d'AndrenasChanson de Guillaumes 57 seine wütende Konfrontation mit seiner Schwester am Königshof in >AliscansChanson de Guillaumes V v . 1 4 5 3 f f . '8>AliscansConte du Graal< als niece (V. 1901) von Gornemans de Gorhaut bezeichnet, im >Parzival< jedoch wesentlich genauer eine Schwestertochter von Gurnemanz von Graharz ist: sin swester was diu muoter min (V. 189,27). Und schließlich füllt Wolfram zahlreiche Lücken des bei Chretien nur unvollständig besetzten Verwandtensystems, indem er neue Personen, aber auch bereits aus dem >Conte du Graal< bekannte Romanfiguren in die beiden Familien einbindet. So ordnet er den drei Geschwistern der herrschenden Gralfamilie noch zwei weitere Schwestern zu, Repanse de Schoye, die Parzivals Halbbruder Feirefiz heiraten wird, und Schoysiane, über die Percevals germaine cousine (V. 3600) als Tochter einen präzisen Ort in Parzivals mütterlicher Verwandtschaft erhält. Uber Schoysianes Ehemann Kyot von Katelangen findet auch Condwiramurs als Tochter Tampunteires, eines Bruders von Kyot und Manphilyot, ihren Platz in der weiteren Gralsverwandtschaft, ebenso Gurnemanz von Grahart, dessen Schwester mit Tampunteire verheiratet ist. Aber auch der König von Escavalon und seine schöne Schwester, zu denen Gauvain unerkannt auf seinem Weg zu dem anberaumten Schiedskampf kommt, sind im >Parzival< als Vergulaht und Antikonie über ihre Mutter Flurdamurs, einer Schwester Gahmurets, mit Parzival verwandt. Und sogar Gauvains Herausforderer Guigambresil gehört bei Wolfram als Landgraf Kingrimursel und vetern sun (V. 412,6) von Vergulaht und Antikonie über seinen Vater zu Parzivals väterlicher Familie.97 Am bedeutsamsten ist allerdings die von Wolfram konzipierte Einbindung des roten Ritters in die Mazadansippe. Ither ist bei ihm als Schwestersohn von Utepandragün der basen sun (V. 145,11), der Vaterschwestersohn, von Artus und damit zugleich über den Gahmuretstamm der Mazadanfamilie mit Parzival verwandt,'8 der auf diese Weise seinen Eintritt in die Welt des Rittertums mit der Tötung eines Blutsverwandten beginnt. Dieser Gedanke, der zu einem zentralen Thema des Romans wird, zeigt nachdrücklich die besondere Bedeutung, die Wolfram der Verwandtschaft im >Parzival< zuweist. Da er einen Großteil der handelnden Personen über Bluts- oder Allianzverbindungen in die 97

Den Widerspruch zwischen dieser Verwandtschaftsbestimmung von Kingrimursel als väterlicher Vetter der beiden Geschwister und der Behauptung Kingrimursels, sein Vater und der von Kingrisin seien Brüder (V. 324,13), diskutiert Jones, German Kinship Terms, S. 3 7 - 4 2 . 98 E r ist Gahmurets Vatervatervaterbrudertochtersohn; zur Verwandtschaft mit Parzival vgl. Seiffert, Terms of Kindred, S. i7off.

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beiden Familien einordnet, treffen im >Parzival< immer wieder Verwandte - erkannt oder unerkannt - aufeinander. Dies beginnt schon mit Parzivals Vater Gahmuret, der bei seinen Kämpfen vor Patelamunt mit den von dem Schottenkönig Vridebrant zurückgelassenen christlichen Truppen zugleich einer Gruppe mütterlicher Verwandter gegenübersteht." Und auch Parzival wird mit Sigune, Anfortas, Repanse de Schoye und Trevrizent seinen nächsten mütterlichen Verwandten begegnen und unerkannt gegen den Artusvetter Ither, seinen Vaterschwestersohn Vergulaht, den Artusneffen Gawan und schließlich seinen Halbbruder Feirefiz kämpfen. Diese in ihren möglichen Konstellationen ungewöhnlich reich ausgestalteten, differenziert gegliederten, sich z.T. überschneidenden und in einer auffallenden Terminologie präsentierten Verwandtensysteme des >Parzival< sind inzwischen vielfach, vornehmlich im Rahmen der in der strukturalen Anthropologie ermittelten Systeme elementarer Dispositionen und Grundhaltungen gegenüber bestimmten Verwandten analysiert worden. Ansatzpunkte dieser Überlegungen sind zum einen Besonderheiten der Personenbeziehungen und Konfliktgestaltung, die sich - so wird vermutet - durch die Rekonstruktion der jeweiligen Verwandtschaftsrelation möglicherweise dem Verständnis erschließen, zum anderen die besondere Bedeutung der vor allem in auffallenden MutterbruderSchwestersohn-Relationen inszenierten mütterlichen Verwandtschaft und schließlich die in der Forschung als tendenziell endogam bezeichneten Eheverbindungen und Heiratsbestimmungen im >ParzivalParzival< dargestellten Verwandtschaftsbeziehungen im wesentlichen bestätigt. Die in der strukturalen Anthropologie als positiv gekennzeichneten Bruder-Schwester-, MutterbruderSchwestersohn-Beziehungen fänden ihre literarische Umsetzung in dem affektiven Verhältnis etwa der Geschwister Antikonie und Vergulaht, von 99

Kaylet von Hoskurast, sein Schwestersohn Killirjacac von Schampane und dessen veter (V. 47,10) Gaschier von Normandie; Killirjacacs Mutter, d.h. Kaylets Schwester und Gaschiers Schwägerin, ist als Tochter Hoskurasts die Nichte von Gahmurets Mutter Schoette. Zu den Problemen der präzisen Fixierung der Verwandtschaft der drei Herren vgl. Jones, German Kinship Terms, S. 35-37. ""Initiiert hat diese Diskussion Karl Bertau mit seinen Überlegungen zur spezifischen »Verhaltenssemantik von Verwandten«, die Elisabeth Schmid, Familiengeschichten, vor allem im >ParzivalParzivalParzivalParzivalConte du Graal< bestimmt und von Wolfram in ihrer Bedeutung noch weiter ausgebaut worden ist. Denn er erweitert nicht nur die beiden Verwandtengruppen seiner Vorlage zu Parzivals väterlicher und mütterlicher Familie, sondern verteilt dabei auch die thematischen Akzente sehr unterschiedlich. Mit der Mazadan-Sippe, die zugleich die Artus- bzw. Gawan-Familie urafaßt, werden Parzivals Schönheit, sein überlegenes Rittertum, seine Hartnäckigkeit in der Gralsuche verbunden, mit der mütterlichen Gralfamilie hingegen ganz andere Themenbereiche, da es hier eher um den Zusammenhang von Kenntnis der Familienmitglieder, Schuld, Sündenbewußtsein, Selbsterkenntnis und Erwähltheit geht, der in einem langen und schwierigen Prozeß und vor allem aber mit der Hilfe einzelner mütterlicher Verwandter erschlossen wird. IO} Damit erhält die mütterliche Familie im >Parzival< ein besonderes Gewicht: Sie stellt mit Herzeloyde, Anfortas, Trevrizent und Sigune die für Parzivals Weg zum Gralkönig entscheidenden Figuren und führt zugleich in zentrale Sinnschichten des Romans. Daß Wolfram mit dieser thematisch-ideologischen Privilegierung der mütterlichen Familie ein Ausspielen matrilinearer Verwandtschaftsstrukturen gegen die in der zeitgenössischen Adelsgesellschaft bevorzugte Patrilinearität anstrebte, ist allerdings wenig überzeugend, denn Wolfram verstärkt zugleich die bei Chretien bereits angelegte Patrilinearität der Verwandtschaftssysteme, indem er beide Familien um eine ausgeprägte, allerdings abbrechende Genealogie bis zu den Stammvätern Titurel und Mazadan bereichert.104 Ebensowenig einleuchtend ist die in der neueren familienhistorisch orientierten >ParzivalParzivalParzival< hat sie allerdings durch den methodischen Rekurs auf Levi-Strauss eher auf die Themen Endogamie und Reproduktion des Geschlechts geachtet. Die Unterscheidung einer Vaterwelt von einer Mutterwelt hinsichtlich der in ihnen jeweils angesprochenen Themen stellt hingegen Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 140, heraus.

104

Die genealogische Gefährdung des Gralsgeschlechts betonen Schmid, Familiengeschichten, S. 200ff., und Bumke, Parzival und Feirefiz, S. 264. Schmid, Familiengeschichten, S. i4ff.

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dung von Schionatulander mit Sigune, die nicht neue Allianzen zwischen Familienverbänden stiften, sondern bereits bestehende Verwandtschaften durch Allianzverbindungen überlagern und damit verstärken. 106 Angesichts von Wolframs Tendenz, möglichst viele Figuren des Romans in differenzierten Verwandtschaftsrelationen den beiden großen Familienverbänden einzugliedern, sind allerdings diese Ehen bzw. Verbindungen, die weitere Blutsverwandte zu Allianzverwandten machen, nicht erstaunlich, passen sie doch bestens in die von Wolfram auch terminologisch immer wieder herausgestellte reziproke Mehrfachdeterminierung verwandtschaftlicher Verbindungen. Man mag dies im Falle einer Uberlagerung von Affinitäts- und Allianzverwandtschaft Endogamie nennen, eine mehr oder weniger bewußte, vielleicht sogar kritische Auseinandersetzung mit kirchlich vermittelten Exogamiegeboten der Gesellschaft ist damit jedoch sicher nicht verbunden. Jedenfalls betont Wolfram die bereits existierende Blutsverwandtschaft dieser Paare nicht. Wesentlicher scheint deshalb auch bei diesen Ehen, die die Mazadan- und Titurelsippe erneut verknüpfen, der für die Verwandtschaftsthematik des >Parzival< bestimmende Gedanke eines weit ausgreifenden Familienverbandes zu sein, der väterliche und mütterliche Bluts- und Allianzverwandte in einem ausdifferenzierten System reziproker Verwandtschaftsrelationen zusammenfaßt, in das immer wieder neue Personen integriert werden. Wolfram baut jedenfalls das von Chretien im >Conte du Graal< entwickelte Konzept einer Darstellung menschlicher Gemeinschaften im Medium von Verwandtengruppen systematisch aus, erweitert jede der kleineren Verwandtengruppen zu einem mehrfach gegliederten Familienverband und entwirft auf diese Weise im >Parzival< eine Welt von Verwandten, die in Trevrizents Ausführungen über den Brudermord von Kain und Abel zugleich eine religiöse Fundierung und Ausweitung erfährt.

Chanson de geste und Höfischer Roman: Wolframs >Willehalm< Im Kontext des Höfischen Romans sind diese handlungstragenden Verwandtengruppen des französischen und deutschen Gralromans höchst ungewöhnlich. Als differenziert gegliederte Verwandtensysteme, die zumal im deutschen Text - einen Großteil der Romanfiguren im Rahmen 106

Die beiden Familien sind bereits durch die Heirat von Kaylet, dem Sohn von Gahmurets Mutterschwester, und Rischoyde, der Schwester Frimutels, verbunden und werden nun durch weitere Allianzen erneut bestätigt. Das bedeutet - nach Schmid, Familiengeschichten - u.a., daß Gahmuret »die Nichte per affinitatem seines Mutterschwestersohns« (S. 199) heiratet.

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komplizierter Bluts- und Allianzfiliationen verknüpfen und sich damit zugleich als paradigmatische Bilder für den Zustand und das Funktionieren komplexer menschlicher Gemeinschaften erweisen, unterscheiden sie sich allerdings auch grundlegend von den Familienverbänden der Chansons de geste, die im Gegensatz zu den von Chretien und Wolfram entworfenen komplexen Systemen reziproker Verwandtschaftsrelationen aus einer stabilen Gruppe engster männlicher Verwandter bestehen, der locker und meist in eher unklarer Relation weitere Verwandte, sehr häufig als Neffen, zugeordnet sind. Beide Konzeptionen, die offenen, zumindest nicht immer eindeutig in ihren internen Relationen fixierten Verwandtengruppen der Chansons de geste wie auch das komplexe, reziprok fixierte Verwandtensystem etwa der Gralromane, besonders von Wolframs >ParzivalWillehalmAliscansWillehalm< hat bislang erstaunlich wenig Interesse der Forschung gefunden, o b w o h l der >Willehalm< zahlreiche F i liationen zur Familienproblematik des >Parzival< aufweist; vgl. dazu etwa Kolb, Chansonde-geste-Stil, S. 193 ff. Neuerdings entfaltet dies Kiening, Reflexion-Narration, in dem Kapitel »Sippe« (S. 1 9 0 - 2 0 5 ) seiner >WillehalmWillehalm< herausstellt.

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Bueves de Coumarcis, die mit weiteren Vettern wechselnder Namen, u.a. Guielin, Guichard, Gaudins Ii Brun, Huon de Santes, Hues de Melans und Gautier de Termes, bereits in der Eingangsschlacht von den Heiden gefangen genommen werden, Vivien, der geliebte Schwestersohn von Guillaume, der in dieser Schlacht sterben wird, und schließlich Milons und Samson, der Bruder von Guichart. Von den weiblichen Familienmitgliedern treten nur die alte Fürstin Ermengart de Pavie und ihre mit dem französischen König Loeis verheiratete Tochter Blancheflur und deren Tochter Aelis auf, die eine herausragende Rolle im Streit und bei der Versöhnung ihres Onkels Guillaume mit ihrer Mutter spielt. Die Namen der anderen Schwestern, deren Söhne Guillaume begleiten, bleiben ebenso ausgespart wie im Falle einiger Neffen die genaue Verwandtschaftsrelation zu Guillaume. 108 Wie in den anderen Texten des Zyklus, w o die Aymerisippe aus einer Drei-Generationenlinie des Paars Aymeri und Ermengart, ihren Söhnen, ungenannten Töchtern und einer lockeren Gruppe von Enkeln besteht, läuft auch in >Aliscans< die Aymerifamilie auf eine offene Gruppe von Neffen bzw. Söhnen und einer Nichte zu, ohne daß in jedem Falle ihre genealogische Zuordnung deutlich wäre. 109 Auf der Gegenseite gruppiert sich ebenfalls eine Drei-Generationenfamilie mit Orables/Gyborcs Vater Desrame als Familienoberhaupt, seinen 15 ihn im Kampf begleitenden Söhnen, während der jüngste Sohn Rainouart auf der Seite der Christen kämpft, dem Schwiegersohn Thiebaut d'Arabe 1 1 0 und dessen Sohn Esmeree d'Odierne aus seiner Ehe mit Orable/Gyborc, der ebenfalls an den Kämpfen seiner mütterlichen Familie gegen die neue Allianzverwandtschaft seiner Mutter teilnimmt und bei seiner Begegnung mit Guillaume diesen als Stiefvater 111 anspricht. Die enge patrilineare Zentrierung der Desrame-Verwandtschaft um die VaterSöhne-Linie wird etwas aufgelockert durch Desrames Bruder Aerofle," 2 der als Onkel von Thiebaut diesen in seinem Rachefeldzug unterstützt, und vor allem durch König Baudus de Valfondes, einen Neffen oder Enkel

108

So erfährt man nichts über die Mutter von Guillaumes Schwestersöhnen Vivien und Gui; und Guielin, Guichard, Gaudins Ii Brun, Huon de Santes, Hues de Melans und Gautier de Termes werden lediglich Neffen genannt ohne jede weitere Zuordnung als Schwesteroder Brudersohn. 109 Zu der in den Wilhelmsepen üblichen Praxis einer einfachen, unbestimmt bleibenden Z u ordnung der Neffen vgl. Kullmann, Verwandtschaft, S. 69ff. 110 Wenn dieser Thiebaut in >Aliscans< auch neveu Desrame (V. 1 5 4 1 ) genannt wird, so bezeichnet hier neveu allgemein den Verwandten. 111 >AliscansAliscans< stehen sich demnach auf dem Schlachtfeld zwei vergleichbar strukturierte, drei Generationen umfassende Verwandtengruppen gegenüber, mit jeweils dem Familienoberhaupt, seinen Söhnen als Brüdergruppe und im Falle der Guillaume-Verwandtschaft deren Söhnen bzw. Neffen, auf Desrames Seite dem Schwiegersohn, dessen Sohn und einzelnen weiteren, nur locker angebundenen Verwandten. Die beiden Desrame-Kinder Orable/Gyborc und Rainouart überschreiten allerdings die Grenzen ihrer Verwandtengruppen und finden ihren Platz in der feindlichen Partei der Aymeri-Verwandtschaft: Orable/Gyborc durch ihre zweite Ehe mit dem Aymeri-Sohn Guillaume, Rainouart durch seine Kämpfe auf Guillaumes Seite bzw. seine spätere Heirat mit der Guillaume-Nichte Aelis. Sie bewirken, daß sich in den Kämpfen Blutsund Allianzverwandte feindlich gegenüberstehen. Orables/Gyborcs Sohn Esmeree d'Odierne trifft in Guillaume zugleich auf seinen Stiefvater, den er konsequent als Sire paratre (V. 1050) anredet, und Rainouart ist mehrfach in z.T. tödliche Kämpfe mit seinen engsten Blutsverwandten verwickelt: Zweimal kämpft er gegen seinen Vater Desrame, tötet seine Brüder Jambus und Walrape, seinen cousins Margot de Bocident und besiegt schließlich seinen cousins Baudus de Valfonde, der mit seiner Taufe zugleich die Versöhnung unter den Verwandten einleitet. Auch in Wolframs >Willehalm< treffen auf dem Schlachtfeld von Alischanz mit den Heeren von Terramer und Heimrich zwei riesige Familienverbände aufeinander, die durch die Terramer-Kinder Arabel/Giburg und Rennewart untereinander komplizierte Filiationen aufweisen. 115 Al113

Eine genaue Bestimmung der verwandtschaftlichen Zuordnung von Baudus de Valfondes als Enkel oder N e f f e von Desrame ist nicht möglich, da er einerseits als nies Rainouart, fiex sa seror l'aisnee (V. 5109), also Tochtersohn von Desrame, andererseits als Vetter von Rainouart bezeichnet wird, der von ihm sagt: Μ es cousins est, car de m'antainfu nes (V. 7279). Baudus wäre dann der Sohn einer Schwester von Desrame.

114

Etwa für Margot de Bocident, den Rainouart tötet und als cousins (V. 5769) bezeichnet, für Haucebier, von dem es heißt nies fu Tiebaut et oncle Sinagon (V. 356), für Corsuble, den neveu Haucebier (V. 4514), und für König Baufume, ki ert nies Desrame (V. 1016). Dies durchleuchtet Kiening, Reflexion-Narration, S. 19 5 f., an Giburg und vor allem dem Terramer-Enkel Poidjus von Griffane.

115

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lerdings sind hier - im Gegensatz zur Chanson de geste - die beiden Verwandtengruppen sehr unterschiedlich gestaltet. Die Familie des Markgrafen Willehalm entspricht in ihrer internen Strukturierung in etwa der Aymeri-Sippe von >AliscansAliscans< heißt: niesfu. Tiebautet oncle Sinagon (V. 356), wird im > Willehalm< als Halzebiere von Valfunde als neve von Giburg (V. 2 5 8,5) und Terramer

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Vater Matusalez, 120 Fausabere 121 und Mautriblez 122 in diesen erweiterten Familienverband ein, konstruiert dabei - wie im Falle der >AliscansAliscansAliscansProblemfiguren< Giburg und Rennewart sind terminologisch fest in der TerramerVerwandtschaft verankert: Rennewart sogar ausschließlich als Terrameres kint (V. 288,4), des richesten mannes sun (V. 269,28) oder als Bruder der Terramer-Söhne, 126 zugleich ist er selbst wiederum Referenzpunkt für verwandtschaftliche Filiationen, wenn etwa Poidjus von Griffane als siner

(V. 341,4) zum weiteren Verwandten der beiden. Sinagun ist bei Wolfram zumindest in Bezug auf Halzebiere genauer bestimmt; er ist Halzebieres swester sun (Vv. 27,14; 220,16; 294,24), damit zugleich neve, d.h. Verwandter von Giburg (V. 294,23) und der 14 Söhne von Purrel (V. 432,4). 120 Josweiz von Amatiste, Sohn des Matusales, ist als Terramers kin de oebeimes sun (V. 349,11) Sohn des Bruders von Terramers (zweiter) Frau. 121 Er wird im >Willehalm< als Fausabre von Alamansura zu Terrameres swester sun (V. 371.9)· Er wird zum (unbestimmten) Verwandten von Giburg (ware sippe, V. 461,26), wie auch andere Kämpfer von >AliscansParzivalWillehalm< der religiöse Gedanke einer genuinen Zusammengehörigkeit der Menschen seine signifikante Konkretisierung in der Präsentation komplexer Verwandtensysteme mit ihren ausdifferenzierten Filiationen findet. Wolframs Ausgestaltung der Verwandtschaftsmotive im >Parzival< und >Willehalm< mag in ihren Dimensionen eine Ausnahme im Umkreis der höfischen Dichtung darstellen. Allerdings bezieht er sich in beiden Fällen auf eine Vorlage, die der Adelsfamilie als Verwandtschaftsverband in typenspezifischer Ausprägung bereits eine bedeutende Rolle zuweist: im >Conte du Graal< als Verwandtschaftssysteme, die von dem jugendlichen Protagonisten aus ihrer Isolierung und Erstarrung befreit werden, in > Aliscans< als familiale Solidargemeinschaft, die um den Protagonisten drei Generationen von Verwandten, den Vater, die Brüder und die Gruppe der Neffen, versammelt. Dabei nehmen die Gralromane mit ihrer ausgeprägten Familienthematik im Umkreis des Höfischen Romans eine Sonderstellung ein, nicht hingegen >Aliscans< im Kontext der Chansons de geste, für die das Agieren von Verwandtschaftsverbänden geradezu typenbestimmend ist. Daß die Adelsfamilie allerdings in der literarischen Darstellung auch ganz andere Formen annehmen kann, zeigen Hartmanns >Gregorius< und seine Vorlage, die >Vie du pape saint GregoireVie du pape saint GregoireVie du pape saint GregoireGregoriusJugend< bis zu einer erfolgreichen Heirat auf der Suche nach einem festen Platz in der Adelsgesellschaft als Kämpfer im Fürstendienst, auf dem Kreuzzug und im Turnier verbringe, sei zum einen der große >Verlierer< jener Entwicklung der Adelsfamilie zu zunehmend auf Primogenitur und strikte agnatio basierenden Adelsgeschlechtern, vertrete aber zugleich nicht nur als draufgängerischer Kämpfer, geschickter Turnierheld und einsatzfreudiger miles, der nach Ehre, Belohnung und einer vermögenden Ehefrau strebe, sondern auch als potentieller Adressat der höfisch-ritterlichen Dichtung geradezu idealtypisch die strahlenden Seiten einer höchst mobilen ritterlichen Adelsgesellschaft. Vor allem die höfischen Autoren richteten sich mit ihren Werken sehr direkt an diese Gruppe der Jeunes und verwandelten ihre in der historischen Wirklichkeit möglicherweise wenig erfreulichen, weil von sozialer Unsi11

Z u Georges Dubys in der Geschichts- wie in der Literaturwissenschaft folgenreichen Jeu ne-Thesen vgl. Peters, Sozialgeschichte, sowie oben S. 5 8 ff.

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cherheit, von Ausgrenzungsängsten und permanenter Unruhe bestimmten militärischen Lebensformen in der höfischen Epik durch die literarische Figur des jugendlichen Aventiureritters oder Heidenkämpfers, in der Trobadorlyrik durch eine dezidierte/oz>em-Glorifizierung in eine geradezu auratische höfisch-ritterliche Existenz. Historisch bezeugte Jeunes sind für Duby einerseits die ungeduldigen, gegen ihren regierenden Vater rebellierenden Königs- und Fürstensöhne, etwa Wilhelms des Eroberers ältester Sohn Robert Kurzhose oder des englischen Königs Heinrich II. Sohn Heinrich der Junge, andererseits jüngere, vom Familienerbe ausgegrenzte Adelssöhne wie der englische Magnat Wilhelm Marschall, der es als vierter Sohn eines adligen Herrn ohne eigene Herrschaft durch hervorragende militärische und organisatorische Fähigkeiten im Königsdienst zu einer höchst vorteilhaften Heirat und dadurch zu einem der angesehensten Fürsten des englischen Königreichs gebracht habe, dessen wechselvolles Leben in einer rund 20000 Verse umfassenden anglonormannischen Reimbiographie, der >Histoire de Guillaume le Marechal·, aufgezeichnet worden ist. Diese jederzeit mögliche Karriere eines Jeune als Turnierheld, tapferer Ritter, loyaler Königsdiener, kluger Diplomat und Oberhaupt einer bedeutenden Familie stehe als historisches Substrat auch hinter den literarischen Bildern des nach Ruhm, Beute und Siegespreis strebenden Aventiureritters der Höfischen Romane und der povres bachelers der Chansons de geste. Und tatsächlich scheinen bestimmte literarische Figuren sehr genau dem von Georges Duby entworfenen Soziogramm eines Jeune zu entsprechen: Parzivals Vater Gahmuret, der bei Wolfram ausdrücklich als zweitgeborener, durch die Rechtspraxis der Primogenitur von der Herrschaft ausgegrenzter Königssohn agiert, zwar von seiner Familie reich ausgestattet wird, aber in einer signifikanten Geste das väterliche Wappen ablegt, den Herrschaftsbereich seines Bruders verläßt und sich als Ritter in die Dienste des Baruc begibt. Ahnliches gilt im >Willehalm< für Willehalms jüngsten Bruder Heimrich, genannt derpover schetis (V. 242,9), der unter Hinweis auf Gahmuretes erbeteil (V. 243,10) als landloser Fürstensohn den ebenso herrschaftslosen Königssohn Schilbert von Tandarnas begleitet. Dieser Heimrich der schetis ist der letzte von Willehalms Brüdern, der sich nach der für die Wilhelmsepen charakteristischen >Enterbung< durch ihren Vater Aymeri/ Heimrich noch nicht als Herrschaftsträger hat etablieren können. Aber auch der Protagonist der französischen Wilhelmsepen, Graf Guillaume dOrange, wird in einem der Texte, dem >Couronnement de LouisEnterbungsszenenHistoire de Guillaume le Marechal< werden immer wieder diese bachelers und ihre charakteristische Abfindung erwähnt: vgl. V v . iBzjff.; 26/6H.; 7i8off. Dies zeigt am Beispiel der >NarbonnaisParzival< (vor Gahmurets Eheschließung mit Herzeloyde, Vv. 86,29ff.), in Pleiers >Tandareis und Flordibel< (König Artus muß die Ansprüche von drei Damen auf Tan-

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such der Eltern, gegen den erbitterten Widerstand ihrer Tochter eine ihnen vorteilhaft erscheinende Heirat zu erzwingen. 19 In der literarischen Darstellung überwiegen hingegen die Liebesheiraten, die zwar in der Ö f fentlichkeit diskutiert und geschlossen, aber nicht unbedingt unter den beteiligten Familien ausgehandelt werden. Im ganzen wird bei der literarischen Ausgestaltung dieser >Liebesehen< sogar oft eher verschleiert, daß die Anbahnung, die Vorbereitung und die zeremonielle Ausführung der Eheschließung eine genuine Angelegenheit der Familien sind. 10 A m auffallendsten ist aber die Zurückhaltung der höfischen Autoren gegenüber dem Thema Inzest, genauer den Inzestbestimmungen der Kirche, die in der historischen Familienforschung eine höchst kontroverse Diskussion entfaltet haben. Kernpunkt der historischen Überlegungen ist neben der Frage nach dem Grund vor allem die nach der faktischen Bedeutung und Wirksamkeit des von der Kirche seit dem 4. Jh. diskutierten, zunehmend verschärften und seit dem 8. Jh. auf Bluts-, Allianz- und geist-

dareis abwägen, V v . 1 5 8 i 7 f f . ) oder in Rudolfs von Ems >Wilhelm von Orlens< (Duzabel und Amelie erheben Anspruch auf Wilhelm, Vv. i 3 4 4 j f f . ) . 19 Zur literarischen Thematisierung des komplizierten Verhältnisses von Heiratszwang und Ehekonsens vgl. Rüdiger Schnell, Literatur als Korrektiv sozialer Realität. Z u r Eheschließung in mittelalterlichen Dichtungen, in: N o n nova, sed nove. Melanges de civilisation medievale dedies a Willem Noomen edites par Martin Grosman et Jaap van Os, Groningen 1984, S. 225-238. Das Thema des versuchten elterlichen bzw. verwandtschaftlichen Zwangs auf eine Tochter bzw. eine Verwandte zu einer von der Familie gewünschten Ehe findet sich in einer Reihe von Texten: etwa im >Orson de Beauvais< (Vv. 43off.), >Daurel et Beton< (Vv. 615ff.), im >Demantin< (Vv. ι γ γ ϋ · ; 2960ff.), >Meleranz< (Vv. i09joff.), »Wilhelm von Orlens« (Vv. 8 1 1 yff.) und >Wilhelm von Österreich« (Vv. 641 iff.). Das gesamte Spektrum von familialer bzw. feudaler Ehevereinbarung bis zur weiblichen Revolte gegen die Anforderungen der Familie entfaltet am Beispiel der Chansons de geste JeanClaude Vallecalle, Contrainte ou mystification: remarques sur le mariage et la femme dans les chansons de geste, in: Travaux de litterature 6 (1993), S. 7 - 3 2 . In der gereimten Vita der Yolande von Vianden bestimmt das Thema des Heiratszwangs, das hier entsprechend dem Vitencharakter des Textes um die Alternative Ehe - Kloster kreist und mit erstaunlichen juristischen und gesellschaftlichen Details der Eheverhandlungen angereichert ist, sogar zu einem Großteil die Darstellung der geistlichen Karriere der Protagonistin: Dieses Thema beginnt mit der entsetzten Reaktion der Mutter, als Yolande die Ehepläne ihrer Eltern ablehnt und auf einer eigenen Wahl insistiert (Vv. 789ff.), setzt sich in einer Vielzahl diplomatischer Aktivitäten des Eingreifens von Beichtvätern (Vv. 1 1 1 3 ff.) und Verwandten (Vv. 1653ff.), permanenter Unterredungen und Verhandlungen fort und endet in handgreiflichen Auseinandersetzungen (Vv. 1 7 1 5 ff.). 20

Vgl. dazu die für die literarische Ausgestaltung der Eheschließung einschlägigen Arbeiten von Faber, Eheschließung; Michael Schröter »Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe...«. Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jh. Mit einem Vorwort von Norbert Elias, Frankfurt 1985, sowie Rüdiger Schnell, Liebesdiskurs und Ehediskurs im 15. und 16. Jahrhundert, in: The Graph of Sex and the German Text. Gendered Culture in Early Modern Germany ι 500-1700 edited by Lynne Tatlock, Amsterdam 1994 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 19), S. 7 7 - 1 1 9 , hier S. 8off.

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liehe V e r w a n d t e bis auf den siebten G r a d ausgeweiteten Inzestverständnisses, d.h. der kirchlichen L e h r e v o n der z u nahen V e r w a n d t s c h a f t als Ehehindernis. 2 1 D a b e i zeichnen sich z w e i konträre Positionen ab: W ä h rend H i s t o r i k e r w i e G e o r g e s D u b y im B l i c k auf einen G r o ß t e i l der E h e n des europäischen Dynastenadels, die auch im 1 2 . J h . n o c h innerhalb der v o n der K i r c h e verbotenen G r a d e geschlossen w u r d e n u n d keine S a n k t i o nen v o n Seiten der K i r c h e auf sich z o g e n , Praktikabilität w i e faktische U m s e t z u n g der strengen kirchlichen I n z e s t b e s t i m m u n g e n anzweifeln, da sich der A d e l in seiner E h e p r a x i s w e i t g e h e n d ü b e r die strikten F o r d e r u n gen der K i r c h e hinweggesetzt b z w . die kirchlichen D i s p e n s m ö g l i c h k e i t e n extensiv genutzt u n d die kirchlichen Inzestregeln bestenfalls f ü r seine Z w e c k e , d.h. im Falle einer g e w ü n s c h t e n T r e n n u n g , beachtet habe, 2 2 v e r 11

Zur Diskussion der verschiedenen Bestimmungen auf den Konzilien und Synoden des Frühmittelalters vgl. neuerdings die übergreifende Arbeit von Paul Mikat, Die Inzestgesetzgebung der merowingisch-fränkischen Konzilien (511-626/27), Paderborn, München, Wien, Zürich 1994 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N F 74), in der die Ergebnisse seiner früheren Studien zum Konzil von Orleans (511), Epaon (517) und den merowingisch-fränkischen Inzestgesetzgebungen zusammengefaßt sind; Rudolf Weigand, Kirchenrechtliche Verständnishintergründe des Kiliansmartyriums (1989), wieder in: ders., Liebe und Ehe im Mittelalter, Goldbach 1993 (Bibliotheca Eruditorum 7), S. 77^-91*; Michael Mitterauer, Christianity and endogamy, in: Continuity and Change 6 (1991), S. 29 5-3 3 3. Am umfassendsten über die Frühgeschichte der Diskussion informiert Jean Fleury, Recherches historiques sur les empechements de parente dans le mariage canonique des origines aux fausses decretales, Bordeaux 1933, über die weitere Entwicklung, Ausweitung und Differenzierung des kanonischen Ehehindernisses der Verwandtschaft im Mittelalter immer noch: Joseph Freisen, Geschichte des kanonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur (1893). Neudruck: Aalen, Paderborn 1963, S. 371-561; Francis X. Wahl, The Matrimonial Impediments of Consanguinity and Affinity. An Historical Synopsis and Commentary, Washington 1934 (The Catholic University of American Canon Law Studies 90), S. gff., sowie neuerdings Rudolf Weigand, Die Ausdehnung der Ehehindernisse der Verwandtschaft, in: Z R G Κ Α 1 1 1 (1994), S. 1 - 1 7 .

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So argumentieren etwa John W. Baldwin, Masters, Princes, and Marchands. The Social Views of Peter the Chanter and his Circle. 2 Bde., Princeton 1970,1, S. 332-337; II, S. 222227, (im Zusammenhang der Diskussionen im Vorfeld des Laterankonzils 1215); Duby, Medieval Marriage, S. 24-81; ders., Chevalier, la femme et le pretre, S. 58; vgl. auch Klapisch-Zuber, Familie medievale, S. 464-467, die auf die Seltenheit dokumentierter Eheprozesse bzw. -komplikationen wegen zu naher Verwandtschaft der Partner verweist und dies auf die verschiedensten Strategien des Adels zurückführt, diese Bestimmungen zu umgehen. Und am Beispiel der zahlreichen Verwandtenehen der französischen Könige von 987-1215 bietet Marie-Bernadette Bruguiere, Canon law and royal weddings, theory and practice: The French example, 987-1215, in: Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Canon Law. San Diego, University of California at La Jolla, 21-27 August 1988. Ed. by Stanley Chodorow, Citta del Vaticano 1992 (Monumenta Juris Canonici C. 9), S. 473-496, ein eindrucksvolles Bild der sehr unterschiedlichen, von den jeweiligen politischen Konstellationen und Situationen abhängigen Reaktionen der Kirche. Und auch Regine Le Jan, Familie et pouvoir, S. 318 ff., dokumentiert am Beispiel karolingischer Adelsfamilien zahlreiche Fälle für Heiraten im vierten und fünften Grad.

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weisen Jack Goody, Constance Bouchard oder David Herlihy 23 auf aufsehenerregende, die Konsanguinität der Partner inkriminierende Eheprozesse des 1 1 . und 12. Jhs. und gehen davon aus, daß der Dynastenadel spätestens im 12. Jh. bei seinen Eheplänen sehr wohl die strengen kirchlichen Postulate der verbotenen Verwandtschaftsgrade berücksichtigt und sich aus diesem Grund präventiv um Kenntnisse über die eigene Verwandtschaft, d.h. um genealogische Aufzeichnungen über die väterlichen und mütterlichen Ahnen gekümmert habe. Die Kirche hätte demnach mit ihren zunehmend verschärften und erst auf dem Laterankonzil von 1 2 1 5 wieder auf den vierten Verwandtschaftsgrad eingeschränkten Inzestregeln zutiefst auf die Handlungsfähigkeit der Adelsfamilie eingewirkt, nachdrücklich die Ehe- und Familienpolitik des Adels beeinflußt, sein Verwandtschaftsbewußtsein geschärft und nicht zuletzt sein Interesse an einer Familienhistoriographie gefördert. 24 Wenn dies zutrifft und die kirchlichen Inzestbestimmungen als Diskussionsgegenstand wie Verhaltensmaxime in der Adelsgesellschaft von einer solch tiefgreifenden Bedeutung gewesen sind, könnte man allerdings erwarten, daß sie auch in der volkssprachigen Adelsdichtung deutliche Spuren hinterlassen haben. Und tatsächlich ist der Inzest ja auch ein beliebtes Thema der höfischen Literatur des 12. bis 14. Jhs., 25 allerdings vornehmlich - wie Danielle BuAllerdings habe die karolingische Aristokratie sich ohnehin - aus Gründen der Sicherung und Erweiterung ihrer Machtbasis - um tendenziell exogame Heiraten bemüht, auch wenn sie den strikten kirchlichen Bestimmungen nicht gefolgt sei. 23 Goody, Entwicklung, S. 149-162; Bouchard, Consanguinity; dies., The Origins of the French Nobility: A Reassessment, in: American Historical Review 86 (1981), S. 501-532, hier: S. 53of., und neuerdings David Herlihy, Making Sense of Incest: Women and the Marriage Rules of the Early Middle Ages, in: Law, Custom, and the Social Fabric in Medieval Europe. Essays in Honor of Bryce Lyon. Ed., with an Appreciation, by Bernard S. Bachrach and David Nicholas, Kalamazoo 1990, S. 1 - 1 6 ; ebenso auch Werner Maleczek, Echte und zweifelhafte Stammbäume bei kanonischen Eheprozessen bis ins frühe 13. Jahrhundert, in: Akten des Internationalen Kongresses für Genealogie und Heraldik, Innsbruck 1988, S. 123-143. 24 Diese Verbindung von Konsanguinitätsbestimmungen, eherechtlichen Prozessen und der Entstehung adeliger Genealogien betont vor allem Althoff, Heinrich der Löwe und das Stader Erbe; vgl. aber auch Bouchard, Consanguinity, S.272f.; Duby, Chevalier, la femme et le pretre, S. 200f. 25 Ubergreifend zur literarischen Inzestthematik des 12. Jhs. Buschinger, Inzest-Motiv; dies., Aspects du theme de l'inceste, sowie Archibald, Incest in Medieval Literature; dies., Appalling Dangers, die sich auf die (ungedruckte) These de troisieme cycle, Tours 1981 von Bernard und Mireille Meslier, Theme de l'inceste, stützt. Diese Arbeit, die sowohl eine Zusammenstellung der Inzestmotive der französischen Literatur des 12.-14. Jhs. als auch eine an Dumezils Thesen orientierte Interpretation der bedeutendsten Strukturtypen bietet, liegt - zumindest im französischen Bereich - den im folgenden zitierten Textbeispielen zugrunde. Sie ist mir durch die freundschaftliche Hilfe von Rene Perennec zugänglich gemacht worden.

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schinger und Elizabeth Archibald zurecht betonen - in seiner engeren Bedeutung als illegitime Ehe, Sexualbeziehungen oder Begierden unter den nächsten Blutsverwandten der Zeugungsfamilie, also zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter oder zwischen leiblichen Geschwistern.26 Spuren dieses Inzests begleiten die literarische Ausgestaltung der Herrscherfiguren Karl und Artus. 2 7 Daneben dominieren zwei Handlungsmuster: Vornehmlich im Umkreis von Viten- und Legendentexten ist Inzest als vollzogene Ehe bzw. Sexualbeziehungen unter den nächsten Verwandten ein schweres Vergehen, das - oft auch unerkannt - die Vorgeschichte des Heiligen bestimmt und ihn zu extremen Formen der Reue und Buße treibt.28 In einigen französischen und deutschen Abenteuerromanen konkretisiert sich hingegen diese Form der Inzestthematik in der Liebe eines verwitweten königlichen Vaters zu seiner noch unverheirateten Tochter, mit deren Flucht vor den väterlichen Nachstellungen eine verwickelte Abenteuerkette einsetzt.29 Gegenüber diesen Erzählmodellen, die um das Thema des Inzests in seiner extremen Ausprägung als blutschänderische Beziehung engster Verwandter organisiert sind, tritt in der höfischen Dichtung die weitere 26

Buschinger, Inzest-Motiv, S. 107 und 135; Archibald, Incest in Medieval Literature, S. 2 ff. Die mehr oder weniger verdeckten Spuren eines Zusammenhangs zwischen dem treulosen Artusneffen Mordret und einer illegitimen Verbindung von Artus und seiner Schwester stellen Meslier, Themes de l'inceste, S. 218 ff., zusammen, ebenso S. 3 1 7 f f . die literarischen Zeugnisse einer besonderen >Sünde< Karls des Großen, die auf eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester bzw. seinen illegitimen >Sohn< Roland verweise; vgl. dazu auch Hans-Erich Keller, L e peche de Charlemagne, in: L'imaginaire courtois et son double edite par Giovanna Angeli et Luciano Formisano, Napoli 1991 (Pubblicazioni delP Universita degli Studi di Salerno. Sezione Atti, Convegni, Miscellanee 35), S. 39-54. 18 In der Form des doppelten Inzests etwa in der Vita des hl. Gregorius und der Albanuslegende. 19 Mireille et Bernard Meslier, Themes de l'inceste, sehen in diesem Typus, bei dem die Inzestthematik neutrale bis positive Aspekte habe, ein »motif initial« (S. 3 jo), das den Protagonisten Möglichkeiten der Bewährung eröffne: so etwa in Philippes de Beaumanoir >La Manekine< (Vv. 3i4ff.), in >Mai und Beaflor< (Vv. 2 1 , 2 i f f . ) , in Jehan Maillarts >Roman du conte d'Anjou< (Vv. 241 ff.), >Yde et OHve< (Vv. 634off.), der >Belle Helene de Constantinople< (ungedr.). Episoden von Vater-Tochter-Inzest finden sich auch in Heinrichs von Neustadt Apolloniusroman (Vv. i42ff.), im >Doon de Mayence< (Vv. 32.51 ff.), >Lion de Bourges< (Vv. 27815 ff.) oder Hans' von Bühel >Königstochter von Frankreich (Vv. 19off.); vgl. dazu Claude Roussel, Aspects du pere incestueux dans la litterature medievale, in: Amour, mariage et transgressions au moyen age. Actes du colloque des 2 4 , 2 5 , 2 6 et 27 mars 1983 Universite de Picardie. Publies par les soins de Danielle Buschinger, Andre Crepin, Göppingen 1984 ( G A G 420), S. 47-62, sowie Buschinger, Inzest-Motiv, S. 1 i2f.; 1 1 6 - 1 2 9 . In diesen Umkreis gehört auch das aus antiken Exempelgeschichten stammende Motiv der >Verleumdung< eines jungen Manns durch seine Schwiegermutter oder Stiefmutter, die ihn zu verführen versucht, abgelehnt wird, um ihn in der Öffentlichkeit der versuchten inzestuös-illegitimen Liebe zu ihr zu bezichtigen; so etwa im französischen >Roman des Sept Sages de Rome< (K, V v . 775ff.). 17

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Bedeutung von Inzest im Sinne der v o n der Kirche propagierten, bis auf die Allianz- und geistlichen Verwandten des siebten Grades ausgeweiteten Konsanguinitätsregeln eher in den Hintergrund. Jedenfalls ist dieses Verständnis v o n Inzest in den Texten des 12. und 1 3 . Jhs. nicht in vergleichbare spektakuläre Handlungsabläufe umgesetzt worden. U n d in bestimmten literarischen Sektoren, etwa den Verserzählungen, 30 fehlen fast alle Hinweise auf das Ehehindernis der zu nahen Verwandtschaft. A l s Problem ist in der höfischen Literatur allerdings auch diese Ausprägung des Inzestgedankens präsent. G a n z allgemein bleibt der Hinweis des >ParzivalConstant du Hamel< hinweist; ebenso Klapisch-Zuber, Familie medievale, S. 466. 31 Vv. 291,21 f., wobei nicht deutlich wird, ob damit eine blutschänderische Beziehung unter engsten Familienangehörigen oder das weitere Inzestverbot unter Verwandten gemeint ist. 32 Im >Garin le Loherain< verhindert ein Erzbischof die geplante, von den Gegnern erbittert bekämpfte Ehe von Garin, dem Sohn des Hervis von Metz, und Blancheflur, der Tochter des Königs Tierri de Maurienne, indem er bei der Konsens-Frage zwei Mönche auftreten und unter Hinweis auf das Ehehindernis der zu engen Verwandtschaft die verwandtschaftliche Beziehung der beiden beschwören läßt: Hervis de Mez qui fu peres Garin / Cousins germains estoit al roi Tierri / Sipres Ii est qu 'il ne la doit tenir/ Ne espouser ne couchier en son lit(Vv. 5902-5905). Und in Rudolfs von Ems >Wilhelm von Orlens< kann Duzabel ihren Wunsch auf eine Ehe mit Wilhelm nicht durchsetzen, weil es sich erweist, daß sie zu eng mit ihm verwandt (Wilhelms mütterliche Großmutter ist die Schwester von Duzabels väterlichem Großvater) ist: Sie wird jedenfalls von ihrem Vater als naehste niftel (V. 13587) von Wilhelm bezeichnet. Im >Maugis d'Aigremont< wird gerade noch rechtzeitig vor einer Liebesgeschichte die Tante-Neffen-Beziehung von Ysane und Maugis entdeckt: Je sui suer vostre mere,fille Hemant de Moncler; / Or devon vos et moi Damedeu merd'er / Et la sainte pucele, oü se volt aombrier, / Qui de pechie nos a fait issi delivrer. / Pres nemos a deables en enfer fet aler. / Damedeu en devon moi et vos gradier (Vv. 3 2763280). Ein Verbot der Heirat zwischen Patenverwandten findet sich in mehreren Texten: >Orson de Beauvais< (Vv. 2727ff.); >Sone de Nansay< (Vv. 11103 ff.); >Constant du Hamel< (Vv. 198-208) und >Elie de Saint Gilles« (Vv. ζ66οίί.). Kein Problem ist hingegen die Heirat von Patenverwandten in >Parise la Duchesse< (Vv. 964ff.), im >Richart Ii biaus< (Vv. 673 ff.) und >Dieudonne de HongrieGarin le Loherain< und >Orson de Beauvais< vgl.

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sen 33 oder sogar wieder getrennt. 34 O d e r illegitime Sexualbeziehungen von Vetter und Kusine führen zu Katastrophen 3 5 bzw. werden gerade noch verhindert. 36 U n d bestimmte Formulierungen im Vorfeld v o n Eheprojekten, etwa in Konrads von W ü r z b u r g >Partonopier und Meliu s , bezeugen sogar ein deutliches Bewußtsein v o n der Relevanz der kirchlichen Konsanguinitätsregeln, 37 ebenso der auffallende Kommentar Herborts von Fritslar im >Liet von Troie< zur E h e v o n Orest mit seiner Parallelkusine Ermoine: bi den geziten pflac man des (V. 1 7 5 1 4 ) . H i e r zeichnet sich sogar ein diffiziles Wissen um komplizierte Konsanguinitätsregeln ab. D i e sich verschärfende kirchliche Lehre v o n dem Ehehindernis der zu engen Verwandtschaft scheint jedenfalls den höfischen Autoren sehr w o h l geläufig gewesen zu sein. Andererseits bleibt auch einer Reihe berühmter literarischer Paare, etwa Isolde und ihrem angeheirateten N e f f e n Tristan, Fenice und Cliges, dem N e f f e n ihres E h e auch Dorothea Kulimann, Le role de l'Eglise dans les mariages epiques, in: Charlemagne in the North. Proceedings of the Twelfth International Conference of the Societe Rencevals Edinburgh 4th to 11 th August 1991. Ed. by Philip E. Bennett, Anne Elizabeth Cobby and Graham A. Runnalls, Edinburgh 1993, S. 177-187, hier S. 184. 33 Etwa im >WigamurKarlamagnüs sagas von Guenelun und Karls Schwester Geiein berichtet, nachdem Kleriker ihre Verwandtschaft im vierten Grad entdeckt haben; vgl. >Karlamagnus sagaTristan de Nanteuil< zeugt Tristan in einer illegitimen Liebe unwissentlich mit seiner Kusine einen Sohn, der ihn später tödlich verwunden wird (Vv. 9482-10353; 22869ff.). 16 So im >AiolOrendelCliges< ein Gegenmodell zur Tristangeschichte, da Chretien sich bei dem Paar Cliges-Fenice wenig um das Thema des Ehebruchs kümmere, umso mehr jedoch darauf achte, daß jeder Anschein eines Inzests ausgeblendet werde; so auch Archibald, Incest in Medieval Literature, S. 10. 39 Z u dieser endogamen Heirat, die das Prestige des Königshauses sogar erhöht, vgl. Heintze, Ciperis de Vignevaux, S. 663 ff. 40

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Etwa die in der Forschung als tendenziell endogam betrachtete und von der Kirche eigentlich nicht erlaubte Ehe von Parzival und Condwiramurs, der Tochter eines Bruders des Ehemanns von Parzivals Tante Schoysiane; vgl. dazu oben S. 5iff.; 3o8f. Dies hat schon Faber, Eheschließung, S.49, mit Erstaunen registriert. Archibald, Incest in Medieval Literature, verweist auf die >Realitätsnähe< der literarischen Geschichten von verhinderten Heiraten zwischen Vetter und Kusine gegenüber den literarischen Konstruktionen inzestuöser Beziehungen innerhalb der Kernfamilie. Aber: »incest between siblings and between parents and children, already an established theme in literature and folklore, makes a more exciting story than incest between third cousins, and a much more awful warning.« (S. 8); ebenso dies., Appalling Dangers, S. ιβ^ίί.; ähnlich auch Meslier, Themes de l'inceste, S. 36off. Vgl. dieses für die Konsanguinitätsdiskussion wichtige Gutachten zum Ehehindernis wegen zu enger Verwandtschaft in: Brief N r . 19, S. 1 7 9 - 1 9 9 ; frz. Übersetzung und Kommentar in: Pierre Legendre, Lemons IV, suite. Le dossier occidental de la parente: Textes juris-

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wird. Die höfischen Autoren würden demnach in ihren literarischen Bildern inzestuöser Vater-Tochter- bzw. Geschwisterliebe, unwissentlicher Mutter-Sohn-Ehen und gedoppelter Inzestverbindungen mit dem Gestus exemplarischer Abscheu eindeutige Extremfälle illegitimer Sexual- und Ehebeziehungen präsentieren, zugleich jedoch die erweiterten, in der Adelsgesellschaft keineswegs allgemein akzeptierten Konsanguinitätsregeln der Kirche mitschwingen lassen und ihnen auf diese Weise den Boden einer zumindest suggestiven Anerkennung bereiten. Allerdings paßt die deutliche Indifferenz der höfischen Autoren gegenüber der eherechtlichen Diskussion um die Ausweitung der verbotenen Verwandtschaftsgrade auch sehr genau in jene für die literarische Familiendarstellung im 12. und 13. Jh. charakteristische Tendenz, bestimmte von der historischen Familienforschung als entscheidend erachtete gesellschaftliche Problembereiche der mittelalterlichen Adelsfamilie mehr oder weniger auszublenden, zumindest in keiner Weise bevorzugt in literarische Szenarien umzusetzen, bestenfalls in verdeckter Form anzusprechen. Das gilt für die regional unterschiedlichen, sich allmählich jedoch allgemein durchsetzenden Veränderungen im Erbrecht, für die Abschichtung, die damit möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten der jüngeren Adelssöhne und aller adeligen Töchter und die sich daran anschließenden zahlreich bezeugten Erbauseinandersetzungen, 44 für die langfristig geplanten, komplizierten Eheverhandlungen der Familien und eben auch für die erbittert geführte Diskussion um die kirchliche Lehre des Ehehindernisses der Konsanguinität. All diese bedeutenden Gesellschaftsbereiche der Adelsfamilie finden bei den höfischen Autoren nur wenig Resonanz. Sie beziehen sich zwar gelegentlich auf sehr konkrete historische Details der internen Organisation der Adelsfamilie, im ganzen umgehen sie jedoch eher die von der historischen Familienforschung erarbeiteten >aktuellen< Entwicklungen, die >neuen< Organisationsformen und >ernsten< gesellschaftlich-juristischen Probleme adeliger Familienpolitik. Sie umkreisen demgegenüber mit ihren ausdifferenzierten literarischen Bil-

diques indesirables sur la genealogie traduits et presentes par Anton Schütz, Marc Smith, Yan Thomas, Paris 1988, S. 1 3 0 - 1 6 5 . Zur Bedeutung dieser Argumentation für die juristische Ehediskussion vgl. Herlihy, Making of the Medieval Family, S. i22f., sowie D. L. d'Avray, Peter Damian, Consanguinity and Church Property, in: Intellectual Life in the Middle Ages. Essays Presented to Margaret Gibson. Edited by Lesley Smith and Benedicta Ward, London, Rio Grande 1992, S. 7 1 - 8 0 . 44

Zur ideal-harmonisierenden Darstellung der höfischen Dichtung, die der faktischen Bedeutung von Erbrechtsregelungen bzw. den bezeugten Erbkonflikten in adeligen und fürstlichen Familien kaum Rechnung trägt, vgl. etwa Schultz, Knowledge of Childhood, S. 161 f.

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dern von Kernfamilien, patrilinearen Adelsgeschlechtern und kognatischen Verwandtschaftsverbänden bestimmte konzeptuelle Bereiche der Familienideologie, die sie in die unterschiedlichsten narrativen Szenarien umsetzen: die Familie als Demonstrationsraum der Lehre, Verwandtschaftsbindungen als Verhaltens- und Identitätsprogramm, adelige Verwandtschaftssysteme als Gesellschaftsparadigma, Verwandtschaft als Exemplifizierung eines religiösen Postulats und schließlich künstliche Verwandtschaftsformen als geistliches Gegenkonzept gegen die in Blutsund Allianzverwandtschaften verstrickte adelige Laiengesellschaft. Die Frage nach den historischen Konturen literarischer Familiendarstellung, nach der literarischen Thematisierung bedeutender Bereiche adeliger Familienpolitik war als eine Art Gegenprobe gedacht, als Probe auf die historische >Aktualität< der literarischen Familienthematik, auf die Fähigkeit der höfischen Literatur, mit attraktiven literarischen Bildern von Familie und Verwandtschaft zugleich die wichtigsten Aspekte adeliger Familienorganisation anzusprechen, d.h. auf einschneidende Strukturveränderungen der mittelalterlichen Adelsfamilie zu reagieren, sie in literarische Familientableaus zu verwandeln und auf der Ebene fiktionaler Familienszenarien spezifische Problemlösungen zu inszenieren. Das Ergebnis dieser Probe ist merkwürdig zwiespältig. Zwar entwirft die höfische Literatur eine Fülle problemorientierter, in historische Verlaufsmodelle eingebundener bzw. auf historisch bezeugte Regelungen und Situationen ausgreifender Familienszenarien und Verwandtschaftsbilder, in denen die verschiedensten, historisch möglichen Konstellationen von Familie und Verwandtschaft durchgespielt werden, zugleich verzichtet sie jedoch auf ein direktes Abrufen bestimmter historisch relevanter Problembereiche der Adelsfamilie. Die höfischen Autoren treffen bei der Fülle der von ihnen konzipierten Verwandtschaftsfigurationen eine sehr bewußte Auswahl und zeigen dabei nicht unbedingt ein verstärktes Interesse für die von der historischen Familienforschung vermuteten Problemzonen der mittelalterlichen Adelsfamilie. Sie entwickeln hingegen eigene, und zwar strikt text- und typenspezifische Vorstellungen vom Glanz und Elend der Adelsfamilie. So verweisen sie zwar in der literarischen Figur eines jungen, herrschaftslosen Fürstensohns, eines povre bacheler oder armen betschelir, auf die Erbregelungen der Primogenitur und damit möglicherweise zugleich auf eine einschneidende familienpolitische Herrschaftsstrategie, lassen jedoch in der Regel diesen Bereich historischer Erbregelungen sehr schnell hinter sich und binden diese historische Konstellation in normative Konzepte von Ritterschaft, Tugendadel und Freiwilligkeit des Verzichts ein. Sie unterstreichen zwar in ihren genealogi336

sehen Exkursen die Dominanz agnatischer Geschlechterlinien, bieten aber zugleich immer wieder attraktive Bilder von der überragenden Bedeutung der kognatischen Verwandtschaft, ohne daß sich damit ein historischer oder gar kritischer Kommentar zur agnatischen Geschlechterherrschaft verbindet. Sie entwerfen zwar eine Vielzahl konfliktgeladen-affektiver Onkel-Neffen-Paare, die auf die bedeutende Rolle des Mutterbruders in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft zu rekurrieren scheint, greifen jedoch weit über diese >historische< Konstellation hinaus und umgeben diese Personenfiguration mit der Aura besonderer persönlicher Affektionen. Im ganzen orientieren sich die Verwandtschaftsmotive der höfischen Dichtung weitaus weniger an historischen Gegebenheiten adeliger Familienorganisation oder bestimmten historischen Positionierungen adeligen Verwandtschaftsbewußtseins als an literarischen Traditionen, textinternen Erzählmustern, erzähllogischen Erfordernissen und ideologischen Programmen. Damit werden sie freilich zu höchst unverläßlichen Zeugnissen für die Bedeutung familienpolitischer Strukturentwicklungen und ihrer vermuteten mentalitätsgeschichtlichen Auswirkungen und Bewältigungsstrategien. In detailrealistischer Konkretisierung scheinen sie zwar immer wieder auf historische Konstellationen von Familie und Verwandtschaft auszugreifen, dabei gelegentlich sogar ausgesprochen >historische< Konturen anzunehmen, sie verlassen jedoch diese Faktizitätsebene der Adelsfamilie sehr schnell und entwerfen eine eigene Welt literarischer Verwandtschaftsfigurationen. Wie andere Themenbereiche der höfischen Dichtung auch erfahren sie eine typenspezifische Ausgestaltung und Konturierung, sind nicht ein mehr oder weniger verzerrtes, literarisch transformiertes, idealisiertes oder normativ-zugespitztes Abbild der Organisationsformen historischer Adelsfamilien, sondern - wie bereits der Historiker White am Beispiel der laudatio parentum gesehen hat - eine »cultural category« (S. 127), Konstrukte des Imaginären, die in ihrer Vielfalt handlungsbestimmender Familienkonstellationen und sinntragender Verwandtschaftsbilder zwar generell die überragende Bedeutung von Familie und Verwandtschaft in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft erweisen, einer spezifisch familienhistorischen Interpretation jedoch keine erfolgversprechenden Perspektiven eröffnen.

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Ausblick: Familie und Verwandtschaft als Paradigma einer

Eine Untersuchung der Rolle der Adelsfamilie in der mittelalterlichen Literatur gehört in den Umkreis des Themenschwerpunkts famille etparente, den französische Mentalitätshistoriker seit über 20 Jahren im Umfeld der Annales und der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales programmatisch als einen Teilbereich der historischen Anthropologie erforschen. Dabei hat der mediävistische Sektor der histoire des mentalites vornehmlich am Beispiel der mittelalterlichen Adelsfamilie die Spezifik ihrer Frage nach den im weitesten Sinne mentalitätsgeschichtlichen Grundlagen wie auch Auswirkungen historischer Prozesse erprobt und dabei in einem Ausgreifen auf die verschiedensten Disziplinen wie methodischen Ausrichtungen geradezu Paradigmen einer mentalitätsgeschichtlichen Behandlung des Themenbereichs Familie und Verwandtschaft vorgelegt. Es gibt m.W. in der Mediävistik keinen thematischen Bereich, der in vergleichbarer Weise die Aufmerksamkeit der Mentalitätshistorie erfahren hat. Dieser von der Mentalitätsgeschichte vorgegebene Verständnishorizont bestimmte auch die vorliegende Arbeit und führte zu thematischen wie methodischen Einschränkungen. Im Zentrum des Interesses stand die Adels- bzw. Fürstenfamilie des westeuropäischen Mittelalters in ihrer Bedeutung als Thema und Gegenstand vor allem der volkssprachigen Literatur.1 Nicht berücksichtigt wurden hingegen etwa die adeligen Eliten der hoch- und spätmittelalterlichen Städte, auch nicht die bedeutenden Familien der oberitalienischen Stadtstaaten, obwohl ihre Geschichte wie auch ihre Selbstsicht in lateinischen wie volkssprachigen Hausbüchern, in Geschlechterbüchern, Familienchroniken, Memorialzeugnissen, in Libri di ricordanze bzw. Libri della famiglia gut dokumentiert sind. Und auch im Bereich der literarischen Thematisierung der Familie ist keineswegs die Gesamtheit der literarischen Familien- und Verwandtschaftsmotive in den Blick gefaßt worden, sondern nur eine spezifische Auswahl an Text-

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Allerdings mit gravierenden Einschränkungen: So konnte z.B. der offenbar sehr ergiebige Bereich des skandinavischen Nordens, auf den mich Joachim Heinzle hingewiesen hat, wegen fehlender Kompetenzen nicht einbezogen werden.

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typen und Einzelwerken in ihren charakteristischen Ausprägungen des Themenumfelds Familie und Verwandtschaft. Bestimmend war dabei immer wieder der thematische Umkreis der mittelalterlichen Fürsten- und Adelsfamilie in ihrer mentalitätshistorischen Erforschung, die bereits in breitem Ausmaß literarische Texte einbezogen und dadurch zugleich ein sachlich wie methodisch weit ausgreifendes Panorama eines mentalitätsgeschichtlichen Interesses an der literarischen Familiendarstellung entworfen hatte. Unsere Frage nach der Bedeutung der Adelsfamilie für die mittelalterliche Literatur war deshalb auch als eine Art Überprüfung bzw. Erprobung der Möglichkeiten einer mentalitätsgeschichtlich orientierten Literaturgeschichte gedacht: A m Beispiel des spezifischen bistoire des mentalites-Themas Familie und Verwandtschaft sollten zugleich aus der Sicht der Literaturwissenschaft die besonderen Fragestellungen, der sachliche Gewinn wie auch die methodischen Perspektiven eines mentalitätsgeschichtlichen Verständnisses der mittelalterlichen Literatur eruiert werden. Die Ergebnisse sind höchst ambivalent. Die literarische Familiendarstellung bietet zwar ein vielgestaltiges Panorama unterschiedlichster familiengeschichtlicher Konstruktionen und Verwandtschaftskonstellationen, jedoch jeweils streng >fallbezogene< Ausprägungen: zweckgerichtete Geschlechtergeschichten, strikt text- bzw. typenspezifische Verwandtschaftsfigurationen, eine sehr bewußte Auswahl in bezug auf historisch mögliche und relevante Aktionsfelder von Familie und Verwandtschaft und im ganzen weniger eine >historische< Konkretisierung als eine eigene Konstruktionswelt literarischer Verwandtschaftsformationen, in der die unterschiedlichsten Figurationen entworfen und miteinander montiert werden. Dieses Ergebnis ist für den Literarhistoriker nicht erstaunlich, wird aber angesichts bestimmter detailrealistischer, scheinbar historischer Konturen und deshalb in der Mentalitätsgeschichte auch in besonderer Weise beachteter Familiendarstellungen mittelalterlicher Texte gelegentlich übersehen. Die Fülle literarischer Familiengeschichten und Verwandtschaftsbilder mag zwar dem Mentalitätshistoriker wichtige Einsichten in die spezifisch literarische Welt imaginärer Ausfaltung von Familie und Verwandtschaft vermitteln. Die Literarhistorie wird hingegen diese Sicht auf die mittelalterliche Literatur nicht ohne weiteres übernehmen können. Denn ihr zerrinnt die Frage nach einem mentalitätsgeschichtlichen Verständnis der Literatur unter den Fingern, sobald sie versucht, die für die Mentalitätsgeschichte entscheidende Kategorie der sog. attitudes mentales für die literarische Analyse fruchtbar zu machen, jene kollektiven, vorbewußten, tiefverwurzelten Einstellungen der Menschen 340

gegenüber den grundlegenden, elementaren Lebenssituationen, die sich in überindividuellen, in kollektiven Deutungsschemata und Wissenssystemen konkretisieren: im Bereich von Familie und Verwandtschaft etwa die Wirkungsmacht unterschiedlich affektbesetzter Verwandtschaftsrelationen, die Existenz eines ausdifferenzierten Verhaltensspektrums im Familienverband gegenüber mütterlichen, väterlichen, gegenüber Allianzoder Patenverwandten, aber auch der unerschütterliche Glaube an die bestimmende Prägung durch genealogische Geschlechterketten oder die Überzeugung von der Notwendigkeit, ja Unerläßlichkeit ausdifferenzierten Memoria-Handelns gegenüber Verwandten. Genau auf diese Aspekte kollektiver Vorstellungs- und Sinngebungsmuster im Bereich von Familie und Verwandtschaft konzentriert sich die Mentalitätshistorie und versucht, die subkutane Wirkungsmacht bestimmter familialer attitudes mentales bei gesellschaftlichen Strukturveränderungen, der Ausbildung gesellschaftlicher Praktiken und Institutionen, der Propagierung bestimmter Verhaltensnormen zu erweisen: etwa das mit strukturanthropologischen Verwandtschaftskonzepten beschreibbare adelige Heiratsverhalten, das komplexe Verhaltensrepertoire im Umkreis der laudatio parentum, die zunehmende Bedeutung der agnatischen Linien, die sich in Veränderungen des Erbrechts spiegelnden Wandlungen des Familienbewußtseins, die Entstehung literarischer Memoria-Zeugnisse. Unter dieser Prämisse werden die literarischen Texte zu einer bedeutenden, wenn nicht gar entscheidenden Quelle für bestimmte, nicht explizit formulierte und normalerweise eher verdeckte Informationen aus dem Bereich familialer attitudes mentales, die dann wiederum für die Erklärung gesellschaftlichen Handelns eingesetzt werden können. Die Literarhistorie wird hingegen dieser mentalitätsgeschichtlichen Lektüre literarischer Texte eher skeptisch gegenüberstehen. Als Dokumente des Imaginären mögen sie zwar mentalitätsgeschichtliche Zeugnisse sein, sind jedoch als solche nicht ohne weiteres referentialisierbar. So zeigt etwa die breit ausdifferenzierte Familienthematik literarischer Texte, die unterschiedliche Ausprägung dynastengeschichtlicher Konstruktion ebenso wie die kaleidoskopische Vielzahl literarischer Verwandtschaftsbilder, sehr deutlich, daß es sich hier gerade nicht um eine spezifisch literarische Konfiguration familialer attitudes mentales handelt, sondern um jeweils sehr präzise kalkulierte Konzeptualisierungen von Verwandtschaftsvorstellungen: in den Dynastengeschichten etwa um historisch bzw. institutionell verortbare, zweckgerichtete Konstruktionen der Geschichte eines Fürstengeschlechtes, in der höfischen Unterhaltungsdichtung eher um text- wie typenspezifische Imaginationen ganz unterschied341

licher Modelle gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese literarischen Verwandtschaftsmotive sind nicht in erster Linie von familialen attitudes mentales getragen und von daher im Sinne einer mentalitätsgeschichtlichen Lektüre entzifferbar, sondern eher umgekehrt: In den unterschiedlichsten Imaginationen von Familie und Verwandtschaft entwerfen sie überhaupt erst Konzepte familialer attitudes mentales. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß die literarhistorische Diskussion der letzten Jahre zwar zunehmend sachliche und methodische Anregungen der Mentalitätshistorie aufgegriffen und in breitem Ausmaß etwa ihre familienhistorischen Überlegungen und Informationen einbezogen, bislang aber selbst keine überzeugenden spezifisch mentalitätsgeschichtlichen Textanalysen vorgelegt hat. Das Ausgreifen auf Konzepte der Mentalitätsgeschichte führt zwar in der literarhistorischen Diskussion zu einem anderen Blick auf die Literatur, zu neuen Themenschwerpunkten, etwa dem verstärkten Interesse für die Spezifik der literarischen Familienthematik, jedoch nicht zu einer methodischen Neuorientierung im Sinne einer mentalitätsgeschichtlichen Literaturbetrachtung. Das bedeutet: das Programm einer Literaturgeschichte als Mentalitätsgeschichte wird zwar den Gegenstandsbereich literarhistorischen Arbeitens erweitern, ist jedoch kein innovatives, methodisch tragfähiges Konzept für eine Funktionsgeschichte der Literatur. Auch bei den von den Mentalitätshistorikern bevorzugten Themenschwerpunkten wird deshalb die literarhistorische Diskussion - das zeigen die zweckgerichtet ausgestalteten Dynastengeschichten ebenso wie die typenspezifisch funktionalisierten literarischen Verwandtschaftsbilder - für das Textverständnis immer wieder auf etablierte funktionsgeschichtliche Deutungsmuster zurückkommen: auf die Frage nach der Differenz zwischen poetischen und anderen Diskursen, nach den Anlässen der Textentstehung, nach den mit der literarischen Darstellung verbundenen Interessen, aber auch nach dem diese Interessen überschreitenden, widerständigen, subversiv-utopischen Potential der literarischen Konstruktion. Und mit diesem methodisch weiten Spektrum wird literarische Funktionsgeschichte zugleich zu einem genuinen Teil einer übergreifenden Kulturwissenschaft.

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Literaturverzeichnis

D a s Literaturverzeichnis bietet n u r eine A u s w a h l der benutzten Literatur: neben sämtlichen Textausgaben v o r allem übergreifende A r b e i t e n der historischen

Familienforschung,

Untersuchungen

zur

mittelalterlichen

A d e l s f a m i l i e w i e auch literarhistorische Studien z u r Familienthematik mittelalterlicher Texte. Spezialarbeiten z u E i n z e l p r o b l e m e n sind jeweils in den A n m e r k u n g e n verzeichnet; sie sind n u r dann in das L i t e r a t u r v e r zeichnis a u f g e n o m m e n , w e n n sie mehrmals zitiert u n d deshalb in abgekürzter F o r m notiert w e r d e n . F r e m d s p r a c h i g e , i n z w i s c h e n übersetzte L i teratur w i r d prinzipiell unter d e m ursprünglichen Titel (auch in abgekürzter F o r m in den A n m e r k u n g e n ) verzeichnet; die Seitenangaben in den A n m e r k u n g e n beziehen sich allerdings i m m e r auf die deutsche U b e r setzung.

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Benoit (de Sainte-Maure) S. 149,1 jo u. Anm.4, 1 5 2 , 1 5 4 u. Anm. 1 4 , 1 5 5 u. Anm. 1 5 , 1 9 3 - »Chronique des Dues de Normandie< S. 85, 149,150, 1 5 2 , 1 5 4 Anm. 14, 15 5, 184, 193 - »Roman de Troie< S. 1 jo, 260 Bernward von Hildesheim - Vita S. 93 Anm. 27 Berthold von Holle - >Demantin< S. 328 Anm. 19 Bertrand de Bar-sur-Aube - »Girart de Vienne< S. 284, 291 u. Anm. 59 Bibel S. 132, 177 Biographie S.40, 71, 76, 80, 86, 125, 197, 224, 225» 226, 233, 235, 246» 251, 252 u. Anm. 65, 2J7, 325 »Boeve de Hamtone< S. 236, 238 u. Anm. 26 Boppe S. 26 5 f. Anm. 48 »Braunschweigische Reimchronik< S. 7 6, 77 u. Anm. 2, 85, 86 Anm. 1,99, 149, 1 5 6 , 1 J 7 , 1 6 1 - 1 7 5 , 1 8 4 , 1 9 2 , 1 9 3 , 233 Brautwerbungsfabel S. 68 »Breve Chronicon Austriae Mellicense< S. 1 0 0 - 1 0 2 , 1 0 8 , 1 2 1 , 1 8 6 , 1 8 8 Bruder Wernher S. 260 Castato (von Florenz) S. 12, 13 u. Anm. 25,38,39 »Chanson d'Antioche< S. 47f. Anm. 121 »Chanson des chetifs< S. 47f. Anm. 121 »Chanson du Chevalier au Cygne< S. 72, 198, 199 u. Anm. 13, 200 u. Anm. 17, 201, 202 Chanson de geste S. 3 5,40, 43, 46f. u. Anm. 1 1 9 u. 120, 49 u. Anm. 122, 54, 55, 59, 60, 62 u. Anm. 168, 63 f. u. Anm. 171

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u. 173 u. 174 u. 175, 69, 70, 197, 198 u. A n m . 7 , 202, 226, 234, 237, 241, 24J, 269, 270, 275, 276, 279, 280, 281 u. A n m . 39 u. 40, 282 u. A n m . 41, 283, 289 A n m . 47 u. 52, 290 u. A n m . 53, 291, 292, 293 u. A n m . 62, 294, 295 u. A n m . 74, 296, 301, 303, 309, 310, 3 1 3 , 3 1 5 , 316, 319, 325, 326 u. A n m . 12 u. 14, 328 Anm. 19, 334 >Chanson de Guillaume< S.283, 285 u. A n m . 4 j , 286, 289 u. A n m . 50, 29of. u. A n m . 54 u. 57 >Chanson de Roland< S. 3 5 u. A n m . 77, 54, 282 >Charroi de Nimes< S. 283 u. A n m . 42, 285 Anm.45, 291 >Chevalerie Vivien< S. 2 8 6 Chretien de Troyes S. 60, 61, 256, 296, 334 A n m . 38 - >Cliges< S. 54, 334 A n m . 38 - >Le C o n t e du Graal< S. 50, 292, 297-303. 304, 305. 307, 308, 309, 310. 316 - >Erec et Enide< S. 296 u. Anm. 75 - »Guillaume d'Angleterre< 8.69,235 f., 238 - >Lancelot< S. 256 A n m . 12 - >Yvain< S. 293, 296, 302, 326f. A n m . IJ . . . »Chronica principum Brunsvicensium< S. 159, 162 A n m . 3 5 , 168 Anm.45, 169 A n m . 47, 1 7 1 A n m . J3 »Chronica principum Saxoniae< S. 159,

1 7 1 u. A n m . 53, 172 A n m . 56, 173 A n m . 59 »Chronica Reinhardsbrunnensis< S. 27, 75 »Chronicon Eberspergense< S. 75, 82, 84 >Chronicon Egmundanum< S. 181 A n m . 81 »Chronicon pii marchionis< S. 104-108, 109 u. A n m . 78, n o , 1 1 3 , 116, 1 1 8 , 1 1 9 , 120, 1 2 1 , 122, 125, 126, 129, 186 u. A n m . 90 u. 92, 192 »Chronicon Sancti Michaelis Luneburgensis< S. 159, i68f. A n m . 46, 1 7 1 A n m . 54, 172 A n m . 58 »Ciperis de Vignevaux< S. 3 3 4 »Conquete de Jerusalem< S. 47f. A n m . 121 »Constant du Hamel< S. 332 A n m . 30 u. 32

»Constitutio D o m u s Regis< S. 229 »Continuatio Florianensis< S. 118 A n m . 102 Coudrette

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- »Roman de Melusine< S. 72 u. A n m . 198, 209-212, 2 1 4 - 2 1 8 , 219, 220, 221, 223, 224 »Couronnement de Louis< S. 3 5 A n m . 77, 283 u. A n m . 4 2 u. 43, 285 Anm.45, 2 9 r > 325 »Cronica d u c u m de Brunswick< S. 159, 162 A n m . 35, 168 A n m . 4 5 , löpf. A n m . 48 »Daurel et Beton< S. 328 A n m . 19 Dhuoda - »Manuale< S. 33, 34 Didaktik S. 66, 320 »Dieudonne de Hongrie< S. 3 3 2 A n m . 3 2 »Doon de Mayence< S. 331 A n m . 29 »Doon de Nanteuil< S. 282 »Doon de la Roche< S. 49 A n m . 122 »Durmart le Galois< S. 60 Dynastengeschichte S. 27, 29 A n m . 5 5, 68, 78, 79, 8 6 , 1 0 4 , 1 4 7 , 1 4 8 , 193, 202, 340 Eberhard S. 120, 1 2 9 , 1 4 7 - »Gandersheimer Reimchronik< S. 3, 8 5 - 1 0 0 , 1 2 0 , 1 2 5 , 1 2 9 , 1 5 6 , 1 6 1 A n m . 32, i62f., 167, 169, i 8 i f . »Ecbasis cuisdam captivi per tropologiam< S.26, 271 u. A n m . 3 Egenolf S. 72, 221, 222 u. A n m . 83 - »Peter von Staufenberg< S. 36, 72, 220-223 Egmond, Kloster - »Liber Sancti Adalberti< S. 177 A n m . 66 s. auch »Annales Egmundenses< s. auch »Chronicon Egmundanum< Ehrenrede S.259 »Elie de Saint Gilles< S. 3 3 2 A n m . 3 2 Emmeram - Vita S.33 Empörergeste (s. auch »Chanson de gesteEracle< S. 2 5 5 Anm. 9, 2 5 6 Anm. 12, 265 Anm. 45 - >Ille et Galeron« S. 25 5 Anm. 9 Gebet S.218 Gedächtnisbuch/Gedenkbuch (s.u. >Libri memoriales«) Genealogie S. 3 , 1 6 , 21, 24, 28, 29, 36, 40, 43,58 u. Anm. 1 5 1 , 59, 7 0 , 7 1 , 7 5 , 77, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86,102,109, 114, 115,116,121,129, 130,139,147,150 Anm. j, 152, 157, 159 u. Anm. 26, 161, 162, 1 7 1 , 174 Anm.62, 185, 189, 190, 191, 192, 195, 199, 207, 224, 236, 2J0, 266, 330 u. Anm. 24 - Babenberger- S.27, 76, 79, 8 5 f., 1 0 0 - 1 2 1 , 1 2 5 , 1 2 9 , 1 4 7 , 1 8 6 Anm. 92, 187,188 -Bildprogramme S. 28 Anm. 5 4 , 1 1 0 , i n u. Anm.82, 1 1 2 , 1 1 3 , 1 7 1 , 172, 174, 175, 185, 191 - Billunger- S. 168 Anm. 4 5 - Grafen von Flandern S. 101 - Habsburger- S. 1 1 2 , 114, 120 - Karolinger- S. 30 Anm. 57

- Kuenringer- (s. auch >ZwettlGenealogia Arnulfi comitis« S. 30 Anm. 57

>Genealogia marchionis Austriae« S. 114, 1 1 5 u. Anm. 93, 1 1 6 Anm. 94,187 >Genealogia Welforum« S. 27, 29, 79, 83, 84,157,159 >Genealogia Wettinorum« S. 79 >Generacio Leopoldi marchionis« S. 108 u. Anm. 76, 109, 110, 1 1 1 u. Anm. 82, 1 1 2 , 1 1 3 , 1 1 6 Anm.95, 1 1 7 , 121 Geoffroy von Monmouth - >Historia regum Britanniae« S. 154 Gerhard von Stederburg - Annalen S. 161 Anm. 32 Gervasius von Tilbury S. 209 - >Otia imperialia« S. 209 Anm. 47 Geschlechterbuch S. 339 Geschlechtermythologie S. 3 , 1 7 , 25, 35, 36, 67, 71, 72, 73, 197, 207, 220, 221, 223, 224 >A Gest of Robyn Hode« S. 244^ Anm. 44

>Gesta Herwardi« S. 244 f. Anm. 44 Geste des Aymerides (s.u. »Wilhelmgeste/ -epenWilhelmgeste/ -epen«) >Girart de Roussillon« S. 3 5 Anm. 77 Gislebert von Möns S. 77 Anm. 3 - >Chronicon Hanoniense« S. 76, 77, 84, 182 u. Anm. 83 Goseck, Kloster - »Geschichte der Pfalzgrafen von Sachsen« S.75 f. Gottfried von Viterbo S. 36 Anm. 84 Graldichtung/-literatur S. 49 Anm. 122, 201 Anm. 22 Gralroman S. 49, 50 Anm. 127, 61, 269, 297 u. Anm. 76, 299 Anm. 84, 300, 308 Anm. 103, 309, 310, 316, 320 Gralstoff S.201 >Gui de Bourgogne« S. 5 5 >Gui de Nanteuil« S. 282 >Gui de Warewic« S. 36, 69, 236, 237 Anm. 23, 239, 240 u. Anm. 32 u. 36, 241 »Guibert d'Andrenas« S. 285, 289 Anm. 47, 291 u. Anm. 56 »Die gute Frau« S. 197 Anm. 6

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Hagiographie S. 39, 65 u. Anm. 178, 200, 317 Anm. 131 >Die halbe Decke< S. 3 21 Handfeste S. 87 Anm. 6, 88 u. Anm. 12 u. 13, 91, 125 Anm. 124, 176,177, 181, 182 Hans von Bühel - >Königstochter von Frankreich S. 3 31 Anm. 29 Hartmann von Aue S. 296 u. Anm. 75, 317 Anm. 130 - >Der arme Heinrich< S. 49, 66, 318, 320 - >Erec< S. 296 Anm. 75 - >Gregorius< S. 69, 316, 317 Anm. 130, 3 i8f., 320 - >Iwein< S. 262, 326f. Anm. 15 Hausbuch S. 59 Anm. 154,167, 339 Haussage S. 22of., 222, 223 Hausüberlieferung S. 25, 26, 27, 29, 31 u. Anm. 63, 32 Anm. 64 u. 66, 33 Anm. 70, 34, 47, 68, 206, 271 Anm. 4 - adelige S. 2, 3, 25, 26, 27 u. Anm. 50, 28, 29 u. Anm. 5 5, 30 u. Anm. 56, 31, 32 u. Anm. 64 u. 67, 33, 46, 59 Anm. 154, 67, 68, 69 u. Anm. 192, 73, 75, 81 Anm.9, 82, 83, 253 Anm. 1 - Liudolfinger S. 26 Anm. 49 - Nibelungen S. 3 1 - 3 3 - Weifen S. 27 Anm. 51, 28 Anm. 54, 30 Anm. J7 u. 58 - sächsische S. 190 Heinrich der Glichezäre S. 272 Anm. 9 - >Reinhart Fuchs< S. 272 u. Anm. 10, 273, 273f. Anm. 12, 277, 278 Heinrich Kaufringer - >Die Rache des Ehemanns< S. 321 Anm. 5 Heinrich von Neustadt - 2>Apollonius von Tyrlant< S. 3 31 Anm. 9 Heinrich von dem Türlin - >Diu Cröne< S. 326f. Anm. 1 5 Heinrich von Veldeke S. 264, 265 - >Eneit< S. 36 Anm. 84, 263f. u. Anm.43 u. 44, 326f. Anm. 15, 327 u. Anm. 17 Heldendichtung S. 25, 32, 33, 34, 46, 62, 63, 262, 274, 280 Anm. 38, 289 u. Anm. Heldensage S. 31, 32 u. Anm. 64 u. 66, 33 Anm. 68, 46, 68 Herbert le Due de Dammartin - >Folquet de Candie< S. 286 Herbort von Fritslar - >Liet von Troie< 8.260,333

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Herrand von Wildonie S. 2 5 7 - >Der betrogene Gatte< S. 257 Herrmann der Damen S. 2 j6f. Anm. 16 >Herzog Ernst< S. 33, 34, 68f., 253^ >Hie hebent sich an die fuersten von Österreich und von Steyr< (s. auch »Jans (Enikel)Hildebrandslied< S. 33, 35 u. Anm. 76 >Histoire de Gilles de Chin< S. 252 Anm. 65 >Histoire de Gillion de Trazegnies< S. 252 Anm. 65 >Histoire de Guillaume le Marechal< S. 71 u. Anm. 196, 225-235, 246, 247 Anm.49, M 1 , 2 5 2 > 253> 3 2 5, 3 2 6 A n m · 1 2 >Histoire des Seigneurs de Gavre< S. 2 5 2 Anm. 65 >Historia brevis prineipum Thuringiae< S.79 >Historia Welforum< S. 27, 29, 30 Anm. 5 7. 3 3 f·, 76, 77 u. Anm. 3 u. 4, 79, 84, 15 7 u. Anm. 17 u. 18 u. 20, 158 u. Anm.2i, 159 u. Anm. 27, 162 Anm. 36 höfisch - Dichtung/Literatur S.2, 3, 4, 5, 36 Anm. 84, 46, 50, 59, 61, 67 Anm. 183, 73, 78, 79, 83, 192, 195, 197, 199, 207, 224, 232, 233f., 235, 251, 252, 253, 254 Anm. 7, 25 5, 256, 261, 264, 265 u. Anm.46, 266, 267, 268, 269, 316, 320, 324, 326, 327, 330, 331, 332, 335 Anm. 44.336,337 - Literaturbetrieb S. 254 - Literaturinteressen S. 256 - Roman S.4, 40, 43, 45, 55, 59, 60, 61, 62, 63 f. Anm. 173 u. 174, 66, 81 Anm. 9, J 93. I97> !98, 2 I 8 , 224, 234, 235, 236, 237, 260, 270, 281 u. Anm.40, 292, 293, 2 94> 295> 2 9 6 . 297> 3 02 > 3°9, 3 l 6 , 3 J 8 Anm. 133, 319, 322, 325,326 - Unterhaltungsdichtung S.4, 5,40,79, 193, 341 >Horn< S. 59 >La houce partie< S. 3 21 Anm. 3 Hrotsvith von Gandersheim S. 26 Anm. 49, 92 Anm. 24, 97 Anm. 42, 163 Anm. 37 - >Gesta Ottonis< S. 82 - >Primordia coenobii Gandeshemensis< S. 8 2, 86 Anm. 2, 91 f. Anm. 22, 9 5 u. Anm. 36 Hue de Rotelande - >Protelaus< S. 327

Hugeburg - >Vita der Heiligen Willibald und Wynnebald< S. 3 3 Hugo von Montfort S. 261 Jacob van Maerlant - »Spieghel Historiael« S. 179 f. Anm. 78, 182 Jans (Enikel) S. 85 Anm. 22, 100,114, 147,185 u. Anm. 88 - >Fürstenbuch< S.8y, m , 112, 113, 118, i20, i 2 i , 147, 149, 1 $6,184, 185-192, 193 - >Weltchronik« S.85, 114, 115, 117, 147, 18j Anm. 88,186 Anm.92,187,188 - s. auch >Der fursten geslechte< - s. auch >Hie hebent sich an die fuersten von Osterreich und von Steyr< Jean d'Arras - >Roman de Melusine« S. 72, 210 u. Anm. jo, 2 1 1 u. Anm. 53, 2 1 2 - 2 1 4 , 2 I 5> 216 Anm. 64, 218, 222 Anm. 82, 223, 333 Anm. 37 Jean Bodel - >Sachsenkrieg< S.282 Jehan S. 251 - s. >Histoire de Guillaume le Marechal« Jehan Maillant - >Roman du conte d'Anjou< S. 331 Anm. 29 Johann Fischart S. 222 Anm. 82 Johann von Würzburg - >Wilhelm von Osterreich« S.72, 195, 196 Anm.4, 197, 2 6 j f . Anm.48, 328 Anm. 19 Johannes Hadlaub S. 257 u. Anm. 22, 258, 259, 260, 261 John Leland - >De Rebus Britannicis Collectanea« S.242 Anm. 39 Jongleur S. 247 Jugendgeschichte (s.u. >Enfances Karlamagnus saga« S. 333 Anm. 34 Karls- (oder Königs-)geste (s. auch >Chanson de geste«) S. 282, 333 Anm. 34 Kastl, Kloster - >Liber testamentorum« S. 1 4 1 , 145 - Reimchronik S. 129 Anm. 141, 141-144, 145, 146, 147, 254 Anm.4 Kleinepik S. 270, 321 u. Anm. 2 Klostergeschichtsschreibung S. 29 Anm. 5 5, 77, 129

Klostergründung - Geschichte S.28 u. Anm. 54, 75, 78, 82, 85, 86 u. Anm.2, 1 2 1 , i 2 i f . Anm. 1 1 6 u. 1 1 7 , 125, 129, 1 3 0 , 1 3 9 ^ Anm. 1 6 7 , 1 4 5 , 147, 213 »König Rother« S. 33, 34 u. Anm. 7 1 , 68, 197 Anm. 6, 2 j 3 u. Anm. 2 Konrad von Würzburg S. 2 j 8 f . u. Anm. 24

- >Partonopier und Meliur« S. 333 - >Der Schwanritter« S. 36, 72, 201 u. Anm. 18, 202-207, 2 2 3 Kraft von Toggenburg S. 260 Kreuzzugsdichtung/-epik S. 47f. Anm. 1 2 1 , 198, 199 u. Anm. 13, 200, 201, 282, 287 >Kudrun< S. 49 Anm. 122 Lai S. 150, 222 Lambert von Ardres - Geschichte der Grafen von Guines S. 47, 76, 190 Lancelot-Gral-Zyklus S. 269^ Anm. 1 >Landbuch von Österreich und Steier« S. 1 1 3 laudatio parentum S. 23, 24, 337, 341 La3amon - >Brut< S. 154 u. Anm. 13 Legende S. 247, 331 Legendenroman S. 197 Anm. 6, 2 5 4 Leges S. 11 Libri della famiglia/di ricordanze/ di ricordi S. 13, 39, 339 Libri memoriales S. 14, 15,21 Liebescasus S. 2 j 5 Lied S. 68, 260 Anm. 3 1 , 261, 262 >Lion de Bourges« S. 331 Anm. 29 Litaneigebet S. 218 Anm. 73 Liutprand von Cremona S. 26 Anm. 49 >Livre des faits de Boucicaut« S. 252 Anm. 65 >Livre des faits de Jacques de Lalain« S. 252 Anm. 6 j >Lohengrin< S. 36, 72, 201 u. Anm. 22 Lokalsage S . 2 1 2 , 2 1 3 , 223 >Lorengel< S. 201 Lothringergeste S. 283 >Ludwigslied< S. 26 Lyrik - mittelhochdeutsche S. 261 Mären S. 321 Anm. 5 >Mai und Beaflor« S. 3 31 Anm. 29

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>Mainet< S.282 Marie de France S. 222 Marner S. 260 Martin von Troppau -Weltchronik S. 161 Anm. 32 >Maugis d'Aigremont< S. 3 3 2 Anm. 3 2 Melis Stoke S. 77 Anm. 3 , 1 7 9 u. Anm. 74 u. 77, 180 u. Anm. 80, 183 - >Rijmkroniek< 8.76,77, 149, 156, 175-183, 184, 192 Memoria S. 30 Anm. 57, 1 2 8 , 1 3 1 , 1 3 4 , 138, 151, 160, 233, 252, 341 Memorialbuch S. 18, 19, 21 Memorialtradition S. 15, 20,22,174 Anm. 61 Memorialzeugnis S. 3, 28, 266, 339 Minnedichtung S. 56, 80, 254 Minnelied/Minnesang S. 257, 260, 262 Minnerede S. 259 >Moniage Guillaume< S. 283, 284, 290 >Moniage Rainouart< S. 286, 290 >Mort d'Aymeri de Narbonne< S. 28 5 >La Naissance du Chevalier au Cygne< S. 200 Nanteuil-Geste S.282,288 >Les Narbonnais< S. 45, 284, 289 Anm. 47, 290 u. Anm. 53, 291 u. Anm. 55 Neidhart S. 68, 262 Nekrolog S. 28 >Nibelungenklage< S. 30 Anm. 56, 31 u. Anm. 63, 68 >Nibelungenlied< S. 3 5 u. Anm. 76,45 Anm. 1 1 3 , 46 u. Anm. 1 1 7 , 56, 274-278, 279 Nibelungensage S. 31 u. Anm. 63, 32 u. Anm.64 u. 66, 68,69, 253 u. Anm. 1 Ordericus Vitalis - >Historia Ecclesiastica< S. 234 Anm. 19 >Orendel< S. 3 3 3 Anm. 3 7 >Orson de Beauvais< S. 328 Anm. 19, 332f. Anm. 32 Oswald von Wolkenstein S. 261 Otto von Botenlauben S. 260 u. Anm. 32

Otto von Freising - >Gesta Friderici
Parise la Duchesse< S.49 Anm. 122, 282, 332 Anm. 32 >Partonopeu de Blois< S. 296

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Pegau, Kloster - Biographie des Wiprecht von Groitzsch S. 75 Petrus Damiani S. 334 Pfaffe Konrad - >Rolandslied< S. 255 u. Anm. 10, 256, 265 Anm. 47, 313 Philippe de Beaumanoir - >LaManekine< S. 55,56, 64, 331 Anm.

29

Pierre Bersuire - >Reductorium morale< S. 209 u. Anm. 48 Pleier, der - >Meleranz< S. 328 Anm. 19 - >Tandareis und Flordibel< S. 327^ Anm. 18 >La Prise d'Orange« S. 283 u. Anm. 42, 285 Anm.45, 291 >Prosa-Lancelot< S. 60, 269, 269f. Anm. 1 Prosaroman S. 50, 71, 236, 242 >Protesilaus< S. 293 Anm. 63 >Queste del saint Graal
Raoul de Cambrai< S. 3 5 Anm. 77,49 Anm. 122 >Rappoltsteiner Parsifal< S. 262 Reimchronik S. 85, 86, 121, 129, 130, 1 3 1 , 1 3 5 , 1 3 6 , 1 3 7 u. Anm. 162, 139 u. Anm. 167, 141 u. Anm. 1 7 1 , 142 u. Anm. 1 7 4 , 1 4 8 , 1 5 3 , 154,185 Reinbot von Durne - >Der Hl. Georg< S. 265 Anm. 47 Renaud de Bäge - >Le Bel Inconnu< S. 61 Anm. 162 >Renier< S. 287 >Richart Ii biaus< S. 3 3 2 Anm. 3 2 Roman S. 36 u. Anm. 83 u. 84,52, 53, 54, 59, 60, 69, 70, 72, 80, 195, 196 u. Anm. 3, 210, 2 1 1 , 212 u. Anm. 55, 217, 218, 220, 224, 235, 236, 238 u. Anm. 26, 239 u. Anm. 31, 241, 242 Anm. 39, 243, 244, 245 u. Anm.46, 248, 250, 253, 255 Anm.9, 264, 292 Anm. 60, 293, 295, 296, 298, 300, 301, 303, 305, 307, 308, 309, 321, 322 - F a m i l i e n - S. 2, 196 Anm. 4 - höfischer (s.u. >höfisch