Dramaturgie in der Ausstellung: Begriffe und Konzepte für die Praxis [1. Aufl.] 9783839427149

What does dramaturgy mean in exhibition work, and who is responsible for it? A book on theory and practice of exhibition

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German Pages 134 [130] Year 2014

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Dramaturgie in der Ausstellung: Begriffe und Konzepte für die Praxis [1. Aufl.]
 9783839427149

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Inhalt
Einführung
1. Dramaturgie und Narration. Eine Annäherung
Dramaturgie, wo bist du? Einige Fragmente aus der Welt des Theaters
Die Poesie des Ortes. Zum Gewicht der Erzählung
Der einsame Zuschauer auf der Bühne. Die verwirrende Verwandtschaft zwischen Theater und Ausstellung
Was ist eine gelungene Dramaturgie und wie entsteht eine gute Geschichte? Einblicke in andere Disziplinen
2. Auftakt, Spannungsbogen und Leitfiguren. Dramaturgische Mittel in der Ausstellungspraxis
Narrative Räume. Der Werkzeugkasten der Szenografie
Von Hollywood lernen? Why not! Das dramaturgische Mittel des »Säens und Erntens« in der Ausstellungsarbeit
Hollywood oder Hörsaal? Zwischen dramaturgischer Sinnstiftung und historischer Redlichkeit
Eindeutig vieldeutig. Skizzen, Vermutungen und ein starkes Narrativ
Der Supermarkt als Metapher und Bühne. Dramaturgie als Mittel zur Involvierung
Komm, wir spielen die Ausstellung! Spielgeschichten als narrative Grundlage
Diesseits der Narration. Ausstellen im Zwischenraum
Wer schreibt die Geschichte? Positionen zu Rollenverteilung und Autorschaft in der Ausstellungsarbeit
Autoren
Bildnachweis
Danksagung

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Stapferhaus Lenzburg: Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli (Hg.) Dramaturgie in der Ausstellung

Edition Museum | Band 8

Erscheint im Rahmen der Veranstaltungsreihe x-positionen. In dieser Reihe reflektiert das Stapferhaus Lenzburg Fragen, die sich aus der eigenen Ausstellungsarbeit stellen, und lädt Fachleute aus Theorie und Praxis zum Austausch ein. Im Rahmen dieser Reihe bereits erschienen: Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld: transcript 2012. www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1726-9

Stapferhaus Lenzburg: Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli (Hg.)

Dramaturgie in der Ausstellung Begriffe und Konzepte für die Praxis

Gefördert mit Mitteln des Swisslos-Fonds des Kantons Aargau und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Einblick in die Installation Learn im Urbanian Pavilion der Expo 2010 in Shanghai, 01.05.2010 - 31.10.2010. Foto: Thijs Wolzak Konzeption: Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli Koordination und Redaktion: Aline Minder, Michael Fässler Mitarbeit Redaktion: Michael Feller, Marianne Jossen Layout: Janosch Perler Übersetzungen: Rita Dominet Lektorat: der springende punkt/Eva Hauck, Claudia Lüdtke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2714-5 PDF-ISBN 978-3-8394-2714-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einführung | 8

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DramaturgIE unD narratIon Eine annäherung

DramaturgIE, wo bIst Du? Einige Fragmente aus der welt des theaters Lukas Bärfuss | 12

DIE PoEsIE DEs ortEs Zum gewicht der Erzählung Frank den Oudsten | 18

DEr EInsamE ZuschauEr auF DEr bühnE Die verwirrende Verwandtschaft zwischen theater und ausstellung Werner Hanak-Lettner | 30

was Ist EInE gElungEnE DramaturgIE unD wIE EntstEht EInE gutE gEschIchtE? Einblicke in andere Disziplinen | 42

2

auFtakt, sPannungsbogEn unD lEItFIgurEn Dramaturgische mittel in der ausstellungspraxis narratIVE räumE Der werkzeugkasten der szenografie

Herman Kossmann | 50

Von hollywooD lErnEn? why not! Das dramaturgische mittel des »säens und Erntens« in der ausstellungsarbeit Ariane Karbe | 68

hollywooD oDEr hörsaal? Zwischen dramaturgischer sinnstiftung und historischer redlichkeit Erika Hebeisen und Denise Tonella | 80

EInDEutIg VIElDEutIg skizzen, Vermutungen und ein starkes narrativ Lisa Noggler-Gürtler | 86

DEr suPErmarkt als mEtaPhEr unD bühnE Dramaturgie als mittel zur Involvierung Detlef Vögeli | 94

komm, wIr sPIElEn DIE ausstEllung! spielgeschichten als narrative grundlage Susanne Gesser | 102

DIEssEIts DEr narratIon ausstellen im Zwischenraum Nicola Lepp | 110

wEr schrEIbt DIE gEschIchtE? Positionen zu rollenverteilung und autorschaft in der ausstellungsarbeit | 118

autoren | 124 bildnachweis | 128 Danksagung | 130

Einführung

Wenn wir im Stapferhaus Lenzburg an einer Ausstellung arbeiten, sprechen wir über Höhepunkte und Nebengeschichten, über Protagonistinnen und Antagonisten, über den Auftakt und die Schlusspointe. Wir diskutieren mit einer Selbstverständlichkeit über Fragen der Dramaturgie, wie wir sie aus Literatur, Film und Theater kennen. Aber was genau ist in der Ausstellungsarbeit unter Dramaturgie zu verstehen? Welchen Stellenwert kommt ihr bei der Konzeption einer Ausstellung zu? Wer ist zuständig für die Dramaturgie, wenn es bei niemandem auf der Visitenkarte steht? Sind es die Kuratorinnen oder die Szenografen, beide oder niemand? Diese Fragen standen am Anfang einer zweitägigen Arbeitstagung Ende September 2012 in Lenzburg (CH). Die Beiträge und Diskussionen der Tagung x-positionen: Narration und Dramaturgie in der Ausstellungsarbeit bilden die Grundlage des vorliegenden Sammelbandes. Wer nun universell einsetzbare Rezepte und abschließende Antworten erwartet, wird enttäuscht. Wer sich jedoch mit Fragen von Dramaturgie und Autorschaft in der Ausstellungspraxis auseinandersetzen will, findet vielfältige Positionen und Denkanstöße. Im ersten Kapitel kommen diese in erster Linie aus der Welt des Theaters. Der Autor und Dramaturg Lukas Bärfuss zerstreut gleich zu Beginn des Kapitels die Illusion, dass der Begriff »Dramaturgie« in der Welt des Theaters abschließend definiert werden kann. Sein einführender Essay ist der Versuch, seine dramaturgische Praxis in Kategorien und Begriffe zu fassen – und schließt mit einem Appell für eine stärkere Autorschaft in der Ausstellungsarbeit. Der Szenograf Frank den Oudsten und der Kurator Werner Hanak-Lettner erweitern diese Perspektive: Den Oudsten findet in der Rhetorik der Antike Anknüpfungspunkte für die heutige Ausstellungsarbeit, Hanak-Lettner zeichnet die historische Nähe von Ausstellung und Theater nach. Das erste Kapitel schließt mit Stimmen von Dramaturgieprofis verschiedener Disziplinen: Ein Popmusik-Komponist, ein Filmdramaturg, ein Journalist, ein Shoppingwelten-Architekt, ein Werber und eine Theater-Gamedesignerin erläutern, was in ihrem Genre eine gelungene Dramaturgie ausmacht. Und bieten damit Inspiration für die Ausstellungsarbeit.

Einführung

Im zweiten Kapitel suchen erfahrene Ausstellungsmacher Antworten auf die eingangs gestellten Fragen. Den Anfang macht Herman Kossmann, der mit seinem Ausstellungsbüro Kossmann.dejong international für Aufsehen sorgt und in diesem Buch die Zutaten seines Erfolgsrezepts zum ersten Mal in deutscher Sprache präsentiert. Auf seinen »Werkzeugkasten der Szenografie« folgen Beiträge von sieben Ausstellungsmacherinnen und Ausstellungsmachern, die ausgewählte Ausstellungen auf dramaturgische Aspekte hin durchleuchten: Ariane Karbe, die im Bereich Ausstellungsnarrationen promoviert, zeigt auf, dass sich das dramaturgische Mittel des »Säens und Erntens« aus Hollywood auch auf die Ausstellungsarbeit übertragen lässt. Erika Hebeisen und Denise Tonella denken anhand der von ihnen kuratierten Dauerausstellung im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz des Schweizerischen Nationalmuseums über den schmalen Grat zwischen einer spannenden Inszenierung und historischer Genauigkeit nach. Die freischaffende Ausstellungskuratorin Lisa Noggler-Gürtler gibt Einblick in die Entstehung der Ausstellung Römer und so und beweist: Auch bloße Vermutungen können den Kern einer guten Geschichte bilden. Detlef Vögeli vom Stapferhaus Lenzburg zeichnet am Beispiel des Supermarktbildes der Ausstellung ENTSCHEIDEN nach, wie ein starkes Narrativ gleichzeitig Rückgrat und Korsett für die Konzeption einer Ausstellung sein kann. Susanne Gesser, Leiterin des kinder museums des historischen museums frankfurt zeigt, dass sich auch Ausstellungskonzepte mit Spielcharakter eignen, um eine stimmige Dramaturgie zu entwickeln. Nicola Lepp schließlich veranschaulicht anhand der von ihr kuratierten Ausstellung Museum der Gefäße im Humboldt Lab Dahlem, wie Objekt, Text und Film ein Verweissystem bilden können, in dem jedes Medium eine Stimme hat und eine eigene Logik entfalten kann. Am Ende des Sammelbandes steht die Frage, wer in der Ausstellungspraxis die Dramaturgie verantwortet: Die hier aufgezeichneten Stimmen von Szenografen und Ausstellungsmacherinnen zu Rollenverteilung und Autorschaft stammen aus der Schlussdiskussion der Tagung in Lenzburg. Die unterschiedlichen Positionen machen deutlich, dass die Frage nach der Autorschaft eine entscheidende ist. Die Beiträge in diesem Sammelband zeigen, dass es in der Ausstellungsarbeit keinen dramaturgischen Masterplan gibt, der zum Happy End führt. Doch das ist keine Tragödie: Die Diskussion bleibt auf jeden Fall spannend. Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli / Stapferhaus Lenzburg

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DramaturgIE unD narratIon Eine annäherung

Dramaturgie, wo bist du? Was bist du? Und woher kommst du? Wenn sich Ausstellungsmacher mit Dramaturgie und Narration beschäftigen, stoßen sie unweigerlich an die Grenzen ihrer Disziplin. In Sparten wie dem Theater und dem Film, aber auch in der Werbung oder in der Popmusik sind diese Begriffe und Techniken längst etabliert. Um neue Perspektiven auf die Ausstellungsarbeit zu gewinnen, lohnt es sich zu fragen: Wie machen es eigentlich die anderen?

Dramaturgie, wo bist du?

Einige Fragmente aus der welt des theaters Lukas Bärfuss

Gekürztes und bearbeitetes Transkript der Rede im Rahmen der Tagung x-positionen in Lenzburg

1. Dramaturgie Unter Ausstellungsmachern scheint die Dramaturgie das Gerücht der Stunde zu sein. Wohl deshalb hat man mich eingeladen, um darüber zu erzählen, welche Bedeutung dieser Begriff im Theater hat. Ich muss gestehen, dass ich in den Jahren, seit ich am Theater arbeite, selten ein Gespräch über die Dramaturgie geführt habe. Sehr selten. Wahrscheinlich überhaupt nie. Und ich habe diese Gespräche nicht vermisst, einfach deswegen, weil ich den Begriff »Dramaturgie« nicht besonders fruchtbar finde. Das hat einen einfachen Grund: So etwas wie »die Dramaturgie« gibt es nicht. Sie ist in der Wirklichkeit nicht zu finden. Niemand kann mit »der Dramaturgie« essen gehen. Der Begriff ist ein reines Abstraktum. Und wie jedes reine Abstraktum sind die Interpretationen davon so vielfältig wie die Interpreten. Mit dem Begriff »Dramaturgie« wird kein Problem gelöst. Und nach meiner Erfahrung besteht die Arbeit am Theater eben genau darin: Lösungen zu suchen für Probleme, die man sich selbst gestellt hat. 2. Dramaturgen Was es in der Wirklichkeit gibt, sind Dramaturgen. Dramaturg ist eine Berufsbezeichnung, die in jedem Land eine andere Aufgabe beschreibt. Am deutschsprachigen Theater sind Dramaturgen Produzenten. Ihre Aufgaben sind deswegen vielfältig. Sie bestimmen über die Stücke, die auf den Spielplan kommen sollen. Sie suchen für bestimmte Regisseure bestimmte Stoffe und denken gemeinsam mit ihnen über die Besetzung nach.

Dramaturgie, wo bist du?

Welcher Schauspieler welche Rolle spielen, wer das Bühnenbild und die Kostüme besorgen könnte. Der Dramaturg ist außerdem das Bindeglied zwischen jenen, die mit festen Verträgen am Theater arbeiten, wie etwa die Bühnentechniker und die Schauspieler des Ensembles, und ihren wandernden Kollegen, wie etwa die Regisseure und die Bühnenund Kostümbildner. Damit am Premierentag alles zusammenkommt, müssen die freien Radikale hinter einer gemeinsamen Idee versammelt werden. Die unterschiedlichen Aufgaben und Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden führen deshalb zu einem erheblichen Kommunikationsbedarf, und tatsächlich sind die Dramaturgen die ersten Kommunikatoren des Theaters, und zwar nicht nur gegen innen, sondern auch nach außen, gegenüber dem Publikum und der Presse. 3. Die Fassung Grundlage dieser Kommunikation sollten die Stücke sein, und wenn es auch vielleicht lapidar klingt, so ist es nicht immer selbstverständlich, dass sie im Zentrum der Auseinandersetzung stehen. Oft genug muss der Dramaturg über andere Dinge sprechen, über Geld, Politik oder die Qualität der hauseigenen Kantine, und es bedarf eines gewissen Maßes an Hartnäckigkeit, dieses Geplapper immer wieder zum wesentlichen Bezugspunkt des Theaters zu führen, eben zu den Texten, den Stücken. Leider kommt es nur selten vor, dass ein Stück so gespielt werden kann, wie der Autor es geschrieben hat. In der Regel ist eine Bearbeitung notwendig, und das hat zuerst dispositionelle Gründe. Hamlet von William Shakespeare etwa weist in der »Dramatis Personae« 18 Rollen aus. Dazu kommen zwei Clowns, ein norwegischer Captain, Soldaten, ein Priester, Theaterleute, Höfling und eine Menschenmenge. Die wenigsten Theater haben genügend Schauspieler, um jede dieser Rollen zu besetzen. Zur Lösung dieses Problems gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste: Man streicht gewisse Rollen. Die zweite: Ein Schauspieler verkörpert verschiedene Figuren. 4. Die geschichte Die Frage, wie man das Stück bearbeitet, damit es gespielt werden kann, führt sehr schnell zu einer anderen, sehr viel grundsätzlicheren Frage. Welche Geschichte soll erzählt werden? Wo beginnt und wo endet sie? Wer erzählt aus welchem Grund? An wen ist diese Geschichte gerichtet? Die Wirklichkeit ist keine Geschichte. In der Wirklichkeit geschehen Dinge gleichzeitig und beeinflussen sich, ohne dass jemand je davon erfahren würde. Niemand überblickt die Zusammenhänge, die Ursachen und Folgen bleiben in den allermeisten Fällen undurchsichtig. Die Wirklichkeit ist keine Folge. Sie besteht aus Gleichzeitigkeiten. Aber Gleichzeitigkeit ist in einer Geschichte nur sehr schwierig darzustellen, denn es ist fast unmöglich, Gleichzeitigkeit wahrzunehmen. Selbst wenn diese Gleichzeitigkeit am selben Ort auftritt, überfordert sie uns, geschweige denn, wenn dies nicht zutrifft. Wir sind kaum in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig wahrzunehmen.

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Wenn zwei Menschen gleichzeitig reden, sind wir überfordert. Geschichten bestehen aus Folgen, sie haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Sie sind daher etwas ganz und gar Künstliches. Vielleicht brauchen Menschen Geschichten, um eine Ordnung in das Chaos der Gleichzeitigkeit zu bringen, dieses Chaos, das um uns herum tobt. Die Wirklichkeit hat keinen Autor, sondern unendlich viele. Die Wirklichkeit ist keine Geschichte, sie hat keine Struktur, keinen Anfang, kein Ende, keine Mitte, wo das eine beginnt, hört das andere auf, es ist einziger großer Übergang. Die Art und Weise, wie Menschen ihre Wirklichkeit wahrnehmen, verändert sich. Sie hat etwas mit der jeweiligen Gesellschaft zu tun, mit der Technologie, der Herrschaftsform, mit dem, was man Zeitgeist nennt. Und diese Vorstellungen, die Ideen, beeinflussen die Art und Weise, wie und welche Geschichten wir erzählen. Die Weise, wie wir Hamlet verstehen, ändert sich mit jeder Generation, und deshalb braucht es Dramaturgen, die gemeinsam mit den Regisseuren erkunden, wie man diese Geschichte jetzt erzählen könnte, damit wir sie neu verstehen lernen. 5. Das Publikum Die beschriebenen Prozesse, die Menschen, die an einer Produktion arbeiten, die Mittel, die man dazu zur Verfügung stellt – all dies ist bis zu einem gewissen Grad kontrollierbar. Man kennt die Menschen, hat sich mit dem Stoff auseinandergesetzt – und auch, wenn das Theater nur daraus bestehen würde, wäre die Sache schon ziemlich kompliziert. Es gibt aber einen Mitspieler, der ganz und gar unberechenbar ist und über dessen Reaktionen man nicht verfügen kann, einen Akteur, der jeden Abend eine andere Gestalt hat. Ich habe immer wieder erlebt, dass man acht Wochen in der Abgeschiedenheit an einer Inszenierung arbeiten kann und dabei das Publikum vergisst. Ich erinnere mich an die Uraufführung von Malaga, einem Stück, das beinahe ausschließlich aus sehr kurzen Wechselreden besteht, einem Hin und Her aus Angriffen und Gegenangriffen, das auf der Probebühne sehr gut funktionierte. Und da gerade in Komödien das Timing der entscheidende Faktor ist, wurde an der richtigen Taktung der Schauspieler sehr lange und intensiv gearbeitet, bis die Schauspieler die Repliken so präzise beherrschten wie Messerwerfer ihre Dolche. Leider hatte niemand bedacht, dass manche dieser Repliken ziemlich komisch sind. Lachen aber braucht Zeit, und während dieser können die Schauspieler nicht fortfahren, sie müssen warten, bis es im Saal wieder ruhig geworden ist. Ein großer Teil der Probenarbeit war umsonst gewesen, die Schauspieler mussten ein neues Timing finden, und leider habe ich erst nach der Premiere erfahren, weshalb Billy Wilder in seinem Film Some Like It Hot während einer bestimmten Szene Jack Lemmon zwei Rasseln in die Hand gedrückt hat, die er jeweils am Ende seines Satzes für einige Sekunden schüttelt: eben um dem Gelächter die nötige Zeit einzuräumen. 6. Zeit und raum Im Theater gibt es nur eine Zeit und nur einen Raum. Man kann im Theater nicht blättern. Der Generaldirektor, müde von der Arbeit, der eine Szene nicht verstanden hat,

Dramaturgie, wo bist du?

kann nicht die Hand aufstrecken und darum bitten, eine Szene noch einmal zu spielen. Und die Theaterstudentin, die das Stück schon kennt, kann nicht nach hinten springen. Der Raum ist die zweite große physikalische Konstante des Theaters. Der Raum ist der Ort, in dem wir zueinander in Beziehung treten. Der Zuschauer setzt alles in eine Beziehung, er fragt sich, in welchem Verhältnis der Schauspieler zur Bühne, zu den anderen Schauspielern und zum Publikum steht. Und vor allem: wer von den Akteuren den höheren Status besitzt. Der Status hat nichts zu tun mit der tatsächlichen Macht. Ein kleines Kind hat auf der Bühne immer einen höheren Status als ein Erwachsener, weil die Reaktionen des Kindes für den Erwachsenen grundsätzlich unberechenbar sind. Und wer seinen hohen Status durch seine Funktion begründet, ist gefährdet, einfach deshalb, weil der König, im Gegensatz zum Bettler, sehr viel mehr zu verlieren hat. Es ist diese Dynamik, der Zwang, die Verhältnisse zu interpretieren, die den Zuschauer packt und ihn das Geschehen mit Interesse verfolgen lässt. Ein Stückeschreiber kann ein noch so filigranes Sprachkunstwerk bauen, er wird sich niemals über die physikalischen Gesetze des Theaters hinwegsetzen können. Sie gelten jenseits der Poetik, jenseits der künstlerischen und gesellschaftlichen Absichten des Künstlers. Diese Gegebenheiten sind eine wesentliche Einschränkung seiner Möglichkeiten, aber gleichzeitig beschreiben sie den Rahmen, der seine Kunst erst möglich macht. 7. Die Vorstellung Im Deutschen beschreibt die Vorstellung wunderbarerweise ebenso die Imagination wie die Theatervorführung. Es gibt also mindestens zwei Orte, in denen die Vorstellung stattfindet: im physischen Raum der Bühne und im Kopf der Zuschauer. Und so wie das Theater die Zuschauer vereint, so vereinzelt sind sie in ihrer Vorstellung. Wir sind die einzigen Sehenden in der Welt unserer »Imaginatio«, die wir begehen, erwandern, erkunden, in der wir Erfahrungen machen können. In diese Räume der Fantasie können wir niemanden mitnehmen, wir können nur die Berichte teilen, die Logbücher der Erkundungsfahrten, aber die Reise selbst müssen wir alleine unternehmen. Vielleicht sind literarische Texte als Führer in die innere Welt der Vorstellungswelt zu begreifen, aber ich suche diese Reisemöglichkeit in jeder Kunst, und ich suche sie auch in Ausstellungen, einerlei, welches Thema dabei verhandelt wird. 8. Die ausstellung In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es ein historisches Museum. Es war im Schloss untergebracht und es gab dort Ritterrüstungen, Hellebarden, Fahnen und im Keller eine Schiffsorgel. Alles in allem eine große Unordnung, aber es gab trotzdem eine ordnende Erzählung. Vor dreißig Jahren gab es noch die Idee einer gemeinsamen Geschichte. Die Geschichte war jene der wehrhaften Eidgenossen, die in ruhmreichen Schlachten ihre nationale Unabhängigkeit erkämpften, die Geschichte eines Willens, der sich von der Vergangenheit unterbrochen in die Gegenwart fortsetzte. Eine Hellebarde, von der behauptet wurde, sie sei in einer dieser Schlachten eingesetzt worden, musste nicht weiter erklärt werden. Sie war ein Zeugnis für den Heldenmut, eine Reliquie, die ihre Bedeutung durch ihre Doppelpräsenz in Vergangenheit und Gegenwart bekam.

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Unsere Zeit glaubt, den Heroismus überwunden zu haben. Heute muss eine Hellebarde wieder erklärt werden. Die Hellebarde als Artefakt kann sich nicht mehr auf eine Ideologie stützen, dafür kann an ihr anderes erklärt werden: die Strategie der Gewalthaufen, die sozialen Strukturen, die jene Kriegsordnung erst ermöglichten – die Hellebarde ist nur Trümmerteil in unserer Auffassung von der fragmentierten Geschichte, so etwas wie eine verbindende Erzählung gibt es nicht mehr. Auch wenn es vielleicht keine Ideologie mehr gibt – so etwas wie einen Zeitgeist gibt es natürlich trotzdem, und bestimmt gehört die Auffassung vom Fragmentcharakter der Geschichte dazu. Und wie jeder Zeitgeist bedient er die Vorlieben und Gewohnheiten des Publikums. Der Zeitgeist gebärdet sich zwar fortschrittlich, weil er sich vom früheren Zeitgeist absetzt. In seinem Wesen allerdings ist er konservativ. Er überschreitet niemals die Konventionen, die er selbst gesetzt hat, und deshalb erhält man in der aktuellen Ausstellung in jenem Museum (die paradoxerweise aufgeräumt ist und eine Ordnung suggeriert, die sie gleichzeitig verleugnet) zwar vielleicht eine Vielzahl von Informationen, aber eine Erfahrung wird sie kaum ermöglichen. Ich fürchte, dass sich die Autoren wohl sehr lange mit der abstrakten Dramaturgie, aber kaum mit der Frage nach der konkreten Autorschaft auseinandergesetzt haben. Der Zeitgeist hat keinen Autor. Er erzählt durch die Konventionen, festen Normen und Formen, die auf keine Verantwortlichkeit verweisen. Er ist der gemeinsame Nenner, die Summe des Erwartbaren, und diese ist frei von persönlicher Erfahrung. Ich würde mir deshalb wünschen, dass sich die Ausstellungsmacher nicht so sehr um die Dramaturgie kümmern, sondern sich die Frage nach der Autorschaft stellen. Dass jemand die Verantwortung übernimmt für die Darstellung, für die Deutung und die Erzählung. Denn wo ich heute sehr oft Pauschalreisen angeboten bekomme, die pflichtgetreu die großen Sehenswürdigkeiten absolvieren, würde ich mir Individualtouren wünschen, lebendige Erkundungen in möglicherweise abgelegene Gebiete einer bestimmten, individuellen Vorstellungswelt.

Die Poesie des ortes Zum gewicht der Erzählung 1 Frank den Oudsten

Was ist eine Ausstellung? Diese Frage lässt eine ganze Reihe unterschiedlicher Antworten zu. Angesichts der Diskussion über die Gesetzmäßigkeiten und der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Ausstellung möchte ich sie jedoch gern wie folgt beantworten: Eine Ausstellung ist eine mehr oder weniger bewusste räumliche Anordnung einer mehr oder weniger konsistenten Sammlung von Gegenständen, die, vorgegeben durch mehr oder weniger prägnante Auswahlkriterien, für die Dauer der Veranstaltung eine derart dokumentarisch-dramatische Wechselbeziehung miteinander eingehen, dass entsprechend den Absichten des Ausstellungsmachers ein narratives kohärentes Potenzial entsteht, das dem Ensemble Aussagekraft verleiht und in einer klaren Sprache zum Publikum spricht. Selbstverständlich sind auch andere Sichtweisen denkbar. Da aber jede Ausstellung das Ergebnis einer interdisziplinären Kräftebündelung ist, habe ich eine Formulierung gewählt, die alle am Zustandekommen einer Ausstellung beteiligten Parteien einbezieht, ungeachtet der fachlichen Konventionen und der unterschiedlichen Hintergründe der jeweiligen Fachpersonen. Damit möchte ich eine gemeinsame Mittelposition definieren, die – ganz im Interesse des Mediums selbst – zu einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Vertiefung anregen soll. Was es zu überschreiten gilt, sind natürlich die Grenzen der Disziplinen. Die Protagonisten dieses Kraftfelds sind der Kurator und der Gestalter. Sie haben ihre Ausbildung und ihre fachliche Eignung auf vollständig getrennten Wegen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten erworben. Meines Wissens gibt es keine Ausbildungsgänge, in denen der angehende Kurator sich in die Gesetzmäßigkeiten des Raumes vertieft 1 | Dieser Text ist eine leicht überarbeitete Übersetzung des ersten Kapitels aus: Herman Koss-

mann, Suzanne Mulder, Frank den Oudsten: De Narratieve Ruimte. Over de kunst van het tentoonstellen, Rotterdam: nai010 2012. Das Buch ist in Englisch unter dem Titel »Narrative Spaces: On the Art of Exhibiting« (2013) erhältlich.

Die Poesie des Ortes

oder in denen der angehende Gestalter seine Formgebung einer inhaltlichen Prüfung unterzieht. Geschweige denn einen Lehrplan, der die Kuratoren und die Gestalter dazu zwingt, sich im Laufe ihrer Ausbildung miteinander auszutauschen. Mehr noch: Beide Disziplinen haben ihre eigenen Symposien und Festivals. Ihr Diskurs ist zwar zutiefst verwandt, wird aber strikt getrennt geführt. Wie ist die aktuelle Lage? Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kunstmuseums ist die Realisation von Ausstellungen seit Jahr und Tag geprägt vom problematischen Verhältnis zwischen dem Kurator als Vertreter des Inhalts und dem Gestalter als Vertreter der Form. Diese Polarisierung gründet in der historischen Trennung von Idee und Materialisierung bzw. in der Vorstellung, dass der Kurator als Hüter der Sammlung die primäre und alleinige Verantwortung für die Festlegung der Auswahlkriterien hat und somit bei jeder Ausstellung als inhaltlicher Filter gegenüber der Außenwelt fungiert. Dies basiert auf der Annahme, dass das Museum über eine natürliche Autorität verfügt und dass seine wissenschaftliche Expertise die Auswahl mehr oder weniger automatisch in die richtige oder relevante Perspektive rückt. In diesem Kontext kommt dem Gestalter traditionell eine dienende Rolle zu, indem er die vom Kurator vorgenommene Anordnung mit räumlichen, grafischen, optischen und neuerdings auch medientechnischen Mitteln unterstützt. Eine Aufgabe, die – in aller Bescheidenheit – einen erheblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild des Ganzen hat, wodurch sie sich als solide Disziplin im Umfeld von Ausstellungsprojekten etabliert hat. Wohlgemerkt: Das Primat der Positionierung eines Objekts in einem Ausstellungsraum liegt in dieser Konstellation unverändert beim Kurator. Die Rolle des Gestalters beschränkt sich nach wie vor auf die Anordnung von Sekundärmitteln, vergleichbar mit dem Stellenwert und der Funktion des Bühnenbildes im klassischen Theater: das Ausleuchten oder die Amplifizierung des Charakters und der Handlungen der Protagonisten. Auch im Bereich des Dramas war es lange Zeit undenkbar, dass sich die Ausstaffierung und die Requisiten zu autonomen narrativen Elementen mit einem eigenen Charakter und Potenzial entwickeln könnten. Erst als im klassischen Theater das Primat des Textes ins Wanken geriet und im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts der Weg für andere Verhältnisse in der Arena frei wurde, erhielt auch das Bühnenbild die Chance, Autonomie zu erringen und innerhalb der Dynamik des Dramas eine eigene, ebenbürtige Rolle zu übernehmen.2 Bemerkenswerterweise findet sich zu dieser Befreiung der theatralen Mittel eine Parallele im Bereich des Kunstmuseums, die in der aktuellen Debatte über »curating« immer wieder als Bezugspunkt genannt wird. Nämlich die Ausstellung Live In Your Head: When Attitudes Become Form, die der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann 1969 in der Kunsthalle Bern organisierte.3 2 | Vgl. Hans Thies Lehmann: Postdramatisches Theater, Frankfurt/Main: Verlag der Autoren, 1999. 3 | Harald Szeemann (1933 – 2005): »Live In Your Head: When Attitudes Become Form: Works,

Concepts, Processes, Situations, Information«, 1969. Die radikale Ausstellung, die 68 zeitgenössische Konzeptkünstler repräsentierte, war vom 22. März bis zum 27. April 1969 in der Kunsthalle Bern, vom 10. Mai bis zum 15. Juni 1969 im Haus Lange in Krefeld und vom 28. September

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When Attitudes Become Form brachte ein anderes museales Bestreben zum Ausdruck, basierend auf einer egalitären und radikal andersgearteten Urheberschaft, die von den kooperierenden Künstlern geteilt wurde. Zum einen wurde so die problematische Distanz zwischen Kurator und Künstler aufgelöst, zum anderen wurde ein neuer Typus Kurator ins Leben gerufen, für den Harald Szeemann bis zum heutigen Tag ein leuchtendes Beispiel ist. Das Projekt When Attitudes Become Form riss den Elfenbeinturm des Kunstmuseums ein und gewährte dem Publikum einen Einblick in den künstlerischen Prozess, der ihm bis dahin – zumindest in Ausstellungen – in der gängigen Praxis des Kunstmuseums verwehrt worden war. Diese Umkehr der Perspektive hatte verschiedene Konsequenzen. Sie führte nicht nur dazu, dass Szeemann als Institutsdirektor entlassen wurde. Sondern, viel wichtiger, sie veranlasste ihn auch dazu, sich als »unabhängiger Kurator« zu etablieren und somit einen Weg einzuschlagen, der nicht nur die Ausstellungspraxis änderte, sondern dem Kurator – ironischerweise – auch eine andere »attitude« abverlangte. Die klassische, monodisziplinäre (kunst-)historische Perspektive erwies sich nunmehr als unzureichend, aussagekräftige Ausstellungen mit einem aktuellen Bezug zustande zu bringen. Mit einem Mal stellte sich heraus, dass das instrumentelle Spektrum, das vorher Sprache und Code einer musealen Präsentation bestimmt hatte, weit über die Grenzen der eigenen Disziplin reichte. Darüber hinaus belegten neue Medien und Elemente aus der Welt des Theaters und der Performance eindeutig, dass das Format Ausstellung zeitlich-räumliche Dimensionen aufwies, die hinsichtlich Konzept und Ausführung eine Expertise erforderten, die nicht mehr von dem klassisch ausgebildeten Kurator/Konservator allein aufgebracht werden konnte. Insbesondere die Erkenntnis, dass – bei der Vermittlung – der Inhalt der Form ein ebenso wichtiger Faktor wie die bis dahin als vorherrschend angesehene Form des Inhalts darstellte, ermöglichte es dem Gestalter, sich eigenständig mit der Formgebung und Anordnung der Mittel auseinanderzusetzen. Diese Lossagung von dem traditionellen Rollenverhalten machte Schluss mit der Beschränkung, dass der Inhalt ausschließlich Sache des Kurators sei. Im Zuge dessen musste auch der Kurator zu der Einsicht gelangen, dass Raum, Zeit, Licht, Form und Farbe unvermeidliche Dimensionen seines Berufs sind – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Ausstellungsmacher in Bezug auf Vermittlung und Wirkung noch manches vom Theater lernen konnte. Mit dieser Implosion von Dogmen und der gleichzeitigen Explosion des Interesses für das Format Ausstellung haben nun beide Seiten zu kämpfen. Bei dieser Auseinandersetzung geht es um Autonomie, Autorschaft, um Vertiefung der Kenntnisse und um die Relevanz der Interpretation, wobei sowohl der Kurator als auch der Gestalter gefordert bis zum 27. Oktober 1969 im Institute of Contemporary Art (ICA) in London zu sehen. Aktuell wurde diese Ausstellungsikone von Germano Celant im Ca’Corner della Regina der Fondazione Prada für die Biennale Venedig neu interpretiert und neu inszeniert (1. Juni bis 3. November 2013). Das Archiv von Harald Szeemann befindet sich seit 2011 in der Sammlung des Getty Research Institute in Los Angeles.

Die Poesie des Ortes

sind, sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden. Jeder auf seine Weise und zugleich in einem intensiven gegenseitigen Austausch. Eine mangelnde inhaltliche Grundlage spornt den engagierten Künstler-Gestalter dazu an, neue Bereiche zu sondieren, die andere Ausblicke auf seinen Beruf eröffnen. Dies führt zu einer neuen Fragestellung, die – bei der Suche nach Aussagekraft und Relevanz – dazu auffordert, die möglichen Verhältnisse zwischen Form und Inhalt näher zu untersuchen, mit besonderer Aufmerksamkeit für das sich aus der breit gefächerten Skala von Varianten ergebende narrative Potenzial. Für dieses neue Bestreben im Bereich der Gestaltungspraxis wird gelegentlich auch der diffuse Begriff »Szenografie« verwendet, mit dem der gewandelte Ansatz derer, die eine Ausstellung noch als ein in sich geschlossenes Produkt sehen, und derer, die sie vorzugsweise als offenen Prozess betrachten möchten, hervorgehoben werden soll.4 Eine mangelnde schöpferische Grundlage treibt den Künstler-Kurator zur experimentellen Zusammenarbeit mit ausgewählten Künstlern an, wobei in intensiven Prozessen Masterpläne für neue Ausstellungen erprobt und erarbeitet werden. Der unabhängige und nicht länger als Repräsentant eines Museums auftretende Kurator sieht sich so nunmehr vor die komplexe Aufgabe gestellt, für das »narrative Umfeld« seiner Ausstellung eine »Partitur« zu entwerfen, die allen (auch den ästhetischen) Experten seiner Organisation eine inhaltliche Orientierung bietet. Genauso wie der Gestalter sieht sich auch hier der Kurator gezwungen, eine vielschichtige Perspektive auf das Projekt zu entwickeln. Diese Tendenz wird im parallelen Diskurs als »critical curating« umschrieben. Allerdings herrscht reichlich Verwirrung über die genaue Bedeutung, weil der Begriff »curating«, ähnlich wie »Szenografie«, eine Vielzahl von Interpretationen zulässt und beide im Sprachgebrauch ausgehöhlt werden.5 Die Fragen »Was macht einen Szenografen aus?« und »Was macht einen Kurator aus?«, die in Symposien und Veranstaltungen immer wieder gestellt werden, verweisen auf das konzeptionelle Durcheinander und die Verschmelzung in der neuen Interdisziplin: Die Kategorien überschneiden sich und bilden somit ein koexistenzielles Paar in fragiler Balance. Ihre Situation ist identisch: Das Ausarbeiten einer Ausstellung folgt

4 | Obwohl es vom Ansatz her um die gleichen Tendenzen ging, wurde im deutschsprachigen

Gebiet der Begriff »Szenografie« populär, während er im englischsprachigen Raum wegen der starken Konnotation zum Theater gerade vermieden wurde und man dort zwecks Abgrenzung Zuflucht nahm zu der allgemeineren, aber vagen Umschreibung »design for narrative practice«. Es versteht sich von selbst, dass die sich hinter der ersten Bezeichnung versteckende inhaltliche Ambition weiter reicht als bis zum Entwurf eines Bühnenbildes im klassischen Theater oder seines Äquivalents im Rahmen einer Ausstellung. Genauso wenig beschränkt sich die narrative Dimension der zweiten Bezeichnung auf eine lineare Kette von Szenen in einer geschlossenen, klassisch literarischen Abhandlung. 5 | Vgl. David Levi Strauss: »The Bias of the World. Curating After Szeemann & Hopps«, in:

Steven Rand / Heather Kouris (Hg.): Cautionary Tales. Critical Curating, New York: Apexart 2007, S. 15 – 25.

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einer »fuzzy logic« 6, gleichgültig ob wir die innere Logik oder die Ästhetik im Blick haben. Eindeutige Rezepte gibt es nicht. Alles ist Prototyp. All dies widerspiegelt sich im Streit um terminologische Fragen. In beiden »Welten« ist ein radikales Umdenken in Hinblick auf Aufgabe und Endergebnis gefordert. Die Ausstellung als räumliche Anordnung von Artefakten lässt sich einfach nicht länger ausschließlich als ein in sich geschlossenes, abgerundetes Produkt konzipieren, das vom Kurator und Gestalter fertiggestellt wird, bevor das Publikum die Räume betritt. Eine Ausstellung sollte vielmehr als eine offene, zeitlich-räumliche Anordnung einer Reihe von teilweise kontrollierbaren Prozessen angesehen werden, die erst nach der Eröffnung durch die Beteiligung des Publikums vervollständigt werden. Das ist der Quantensprung im Denken, der sogleich einen breiten Fächer an offenen, nicht linearen narrativen Strukturen eröffnet. In diesem Quantensprung wurzelte auch der revolutionäre Impuls von When Attitudes Become Form. Und jetzt, wo alle Zuschreibungen und Bezeichnungen in der Schwebe sind – und darüber hinaus mehr Ausstellungen als jemals zuvor ausgerichtet werden –, sind wir an den Punkt gelangt, an dem der Künstler-Kurator und der Autor-Gestalter in ihrem beruflichen Schicksal untrennbar miteinander verwoben sind. Schließlich ist die Frage, mit der sich Kurator und Gestalter gleichermaßen befassen (sollten), jene, welche Erzählung oder welche Auslegung eines gegebenen oder autonom entwickelten Inhalts im Hier und Jetzt relevant ist und auf welche Weise eine solche Erzählung nach Inhalt und Form umgesetzt oder kodiert werden muss, damit sich das (narrative) Potenzial der Inszenierung entfalten kann und in der Publikumsrezeption die richtige Saite angeschlagen wird. Daran schließt sich die Frage an, mit welcher Anordnung von Übertragungsmitteln die Erzählung am besten transportiert werden kann. Genau betrachtet sind dies allesamt Aspekte, die bereits in der klassischen Rhetorik erörtert worden sind. Da diese historischen Erkenntnisse die geteilten Interessen des Kurators und des Gestalters betreffen – und ein Ausstellungsnarrativ trotz des andersartigen Formats doch die grundlegenden Wesenszüge einer mitreißenden Rede aufweisen sollte –, erscheint es sinnvoll, an dieser Stelle kurz in die Werkzeugkiste der »Ars Rhetorica« zu greifen.7 6 | Bei »fuzzy Logic« (unscharfe Logik) ist alles eine Frage der Gradierung. In der Wissenschaft

hat »fuzziness« eine offizielle Bezeichnung: Multivalenz. Dies im Gegensatz zur Bivalenz, die nur zwei Werte kennt: wahr oder nicht wahr, 1 oder 0. In »fuzzy logic« gibt es als Antwort auf eine Frage also mehrere Optionen statt nur zwei Extreme; zwischen Weiß und Schwarz gibt es im Prinzip eine unendliche Anzahl von Graunuancen. In der Rechtsprechung werden diese Gradierungen der Wirklichkeit eliminiert, wenn der Richter den Zeugen dazu auffordert, seine Antwort auf »Ja« oder »Nein« zu beschränken. 7 | Die Grundlage für die »Ars Rhetorica«, aus der in der humanistischen Tradition der Renais-

sance die »Ars Memoriae« hervorging, wurde vom griechischen Philosophen und Wissenschaftler Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) gelegt. Aristoteles’ Abhandlungen über die Rhetorik und Poetik bildeten nicht nur für die lateinischen Meister der Rednerkunst, wie beispielsweise für den unbekannten Verfasser von Ad Herennium (erstes Jahrhundert v. Chr.), sondern auch für Cicero

Die Poesie des Ortes

Die kunst der rhetorik und der narrative raum In The Art of Memory begibt sich die britische Historikerin Frances A. Yates auf die Suche nach dem Ursprung der klassischen Gedächtniskunst: der »Ars Memoriae«.8 Sie verweist auf drei lateinische Quellen und eröffnet mit der Anekdote des griechischen Dichters Simonides von Keos, den bereits Cicero in seinem Werk De Oratore als Begründer der Mnemotechnik (Technik des Merkens und des Erinnerns) betrachtet. In dieser Abhandlung über die Rhetorik wird die Gedächtnisfunktion als einer von fünf Pfeilern beschrieben.9 Yates zitiert dabei die englische Standardübersetzung10 von Cicero, im Folgenden sind alle Zitate in der lateinisch-deutschen Übersetzung von Theodor Nüßlein aufgeführt.11 »Als Simonides zu Krannon in Thessalien bei Skopas, einem begüterten Adligen, speiste, habe er das Lied gesungen, welches er auf diesen geschrieben hatte; dieses habe nach Art der Dichter zur Ausschmückung viele Passagen auf Kastor und Pollux enthalten. Da habe Skopas gar schäbig zu Simonides gesagt, er werde ihm nur die Hälfte der Summe, die er mit ihm vereinbart habe, für dieses Lied zahlen; den übrigen Lohn solle er, wenn es ihm beliebe, von seinen Tyndariden [die Zwillinge Kastor und Pollux, Anm.] fordern, welche er ebenso gepriesen habe. Kurz darauf, wird berichtet, sei dem Simonides mitgeteilt worden, er möge hinauskommen; zwei junge Männer stünden an der Türe, die dringend nach ihm riefen. Er sei aufgestanden und hinausgegangen, habe aber niemanden gesehen. Genau in diesem Augenblick sei das Zimmer, wo Skopas tafelte, zusammengestürzt; bei diesem Einsturz sei dieser selbst mit seinen Verwandten verschüttet worden und umgekommen. Als ihre Angehörigen sie beerdigen wollten und die zerschmetterten Leichen auf keine Weise unterscheiden konnten, soll Simonides aufgrund dessen, dass (106 – 43 v. Chr.) und Quintilianus (ca. 35 – 100) den Ausgangspunkt. Vgl. Aristoteles: Rhetorik, übers. und erläutert von Christof Rapp, Bd. 4, Berlin: Akademie 2002. 8 | Frances A. Yates: The Art of Memory, London: Pimlico 1992 (1966). 9 | Die Mnemotechnik ist die Technik des Merkens und Erinnerns. Sie stützt sich auf fünf Pfei-

ler: inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio. Marcus Tullius Ciceros (106 – 43 v. Chr.) De Oratore, 3 Bücher, 55 v. Chr. veröffentlicht, ist ein Dialog, der den idealen Redner als moralischen Führer des Staates darstellt. Damit erhebt sich der Text über ein Handbuch hinaus, das lediglich die Kunst der Rede beschreibt. Die funktionale Mnemotechnik, wie sie in der Anekdote über Simonides von Keos beschrieben und von Cicero in De Oratore verfeinert wird, gipfelte in der Renaissance in einer wahren Kunst des Erinnerns: der »Ars Memoriae«. In Italien waren Giulio Camillo (1480 – 1544) und Giordano Bruno (1548 – 1600) deren wichtigste Vertreter, während in England Robert Fludd (1574 – 1637) der bekannteste Gedächtniskünstler war. 10 | De Oratore wurde von E. W. Sutton (Buch I, II, 1939) und von H. Rackham (Buch III, 1949)

ins Englische übersetzt. Dies sind die Übersetzungen, auf die sich Yates stützt. 11 | Cicero, De Oratore, hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf/Zürich: Artemis &

Winkler 2007.

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er sich daran erinnerte, welchen Platz ein jeder von ihnen bei Tisch eingenommen habe, Hinweise für die Bestattung jedes Einzelnen gegeben haben. Durch diesen Vorfall veranlasst, habe er der Überlieferung nach alsdann herausgefunden, dass es vor allem die Anordnung sei, welche dem Gedächtnis Klarheit verschaffe.« 12

Daraufhin erläutert Cicero den Kern dieser Erkenntnis und weist darauf hin, »dass man in seiner Vorstellung das am besten nachbilden kann, was durch eine sinnliche Wahrnehmung übermittelt wurde und sich eingeprägt hat, dass aber der schärfste von all unseren Sinnen der Gesichtssinn ist. Daher könne man das, was man durch die Ohren oder in Gedanken aufnimmt, am leichtesten behalten, wenn es auch durch die visuelle Vorstellungskraft im Gedächtnis verankert werde, so dass eine bild- und gestalthafte Vorstellung nicht Sichtbares und der Beurteilung durch den Augenschein Entzogenes so einprägt, dass wir Sachverhalte, die wir durch Denken kaum erfassen könnten, durch die Anschauung gewissermaßen festhalten.« 13

Cicero zufolge machen somit – neben einer übersichtlichen Gliederung – ein eindringliches Bild und das Vermögen, das wahrgenommene Bild zu internalisieren, das eigentliche Wesen eines gut funktionierenden Gedächtnisses aus. Simonides hatte sich offenbar ein deutliches Bild davon gemacht, welche Plätze die Gäste an Skopas Tisch eingenommen hatten. Er hatte sich ihre einzelnen Gesichter als Bilder eingeprägt und anhand der Tischordnung die einzelnen Eindrücke in ein kohärentes Ganzes strukturiert. Der dramatische Kontext des schicksalhaften Unfalls hatte seine Wahrnehmung noch verstärkt, wodurch sich das Geschehen in allen Einzelheiten tief in sein Gedächtnis eingegraben hatte. Sofern in Bezug auf die Realisierung von Ausstellungen eine sinnvolle Parallele zur »Gedächtniskunst« gezogen werden kann, sollte die »Techne« folgende Parameter aufweisen: Im Kontext einer geschärft wahrgenommenen (1) räumlichen Ordnung (2) wird eine klare Abfolge von eindringlichen Bildern oder Geschehnissen (3) in einer logischen Kette von markanten Orten (4) verankert.14 Jedes mnemotechnische Verfahren, ob es sich nun um die Verinnerlichung einer Rede im antiken Athen oder um die Kulturtechnik des »Staging Knowledge«15 in einer modernen Ausstellung handelt, setzt offenbar diese vier Elemente voraus: eine intensive, 12 | Cicero, De Oratore II, lxxxvi, 352 – 353. 13 | Cicero, De Oratore II, lxxxvii, 357. F. A. Yates: Art of Memory, S. 19. 14 | »Techne« stammt aus dem Griechischen und wird häufig mit Fachkompetenz im Sinne von

Sachkenntnis oder Kunst übersetzt. Sie bezieht sich auf die rationale Methode, die für die Herstellung eines Gegenstands oder das Erreichen eines Ziels angewandt wird und somit Kenntnisse der zugrunde liegenden Prinzipien voraussetzt. 15 | »Staging Knowledge« ist ein Begriff, der vom österreichischen Kurator Herbert Lachmayer

(1948) für seine Methodik zur Strukturierung einer Ausstellung eingeführt wurde.

Die Poesie des Ortes

den Blick schärfende Situation, einen strukturierten Raum, bedeutungsvolle Bilder und einen charaktervollen Ort – Elemente, die sich in ihrem narrativen Zusammenhang immer wieder als Kern und Konstante einer Inszenierung herauskristallisieren. Die Verknüpfung von prägnanten Bildern mit markanten Orten – ein Prinzip, das sich eigentlich jeder Ausstellungsmacher zu eigen machen oder zumindest als Denkanstoß betrachten sollte – wird auch in einer anderen klassischen Quelle der »Ars Rhetorica«, nämlich im Ad Herennium beleuchtet, einem Werk, das lange Cicero zugeschrieben wurde, weil er so häufig aus dem Text des anonymen Verfassers zitierte.16 In dieser »Theorie über das Reden in der Öffentlichkeit«, die einem gewissen Gaius Herennius gewidmet war, plädiert der unbekannte Verfasser für die Verwendung von »imagines agentes« – vermittelnden Bildern, die, notfalls mittels einer manipulierten oder dramatisierten Erscheinungsform, in der Erinnerung haften bleiben.17 »Uns lehrt also die Natur selbst, was getan werden muss. Denn wenn wir im Leben unbedeutende, gewöhnliche, alltägliche Dinge sehen, prägen wir uns diese gewöhnlich nicht ein, deswegen weil unser Sinn durch keine neuartige und bewundernswerte Sache beeindruckt wird; aber sehen wir und hören wir etwas ausnehmend Schändliches, Unehrenhaftes, Bedeutendes, Unglaubliches, Lächerliches, so prägen wir uns dies gewöhnlich für lange ein. […] Bilder müssen wir also in der Art festlegen, die man am längsten in der Erinnerung behalten kann. Das wird der Fall sein, wenn wir ausnehmend bemerkenswerte Ähnlichkeiten festlegen; wenn wir nicht stumme und unbestimmte Bilder, sondern solche, die etwas in Bewegung bringen, hinstellen; wenn wir ihnen herausragende Schönheit oder einzigartige Schändlichkeit zuweisen, wenn wir irgendwelche Bilder ausschmücken wie mit Kränzen oder einem Purpurkleid, damit die Ähnlichkeit für uns umso bemerkenswerter sei; oder wenn wir sie durch etwas entstellen, z. B. eine blutige oder mit Schmutz beschmierte oder mit roter Farbe bestrichene Gestalt einführen, damit diese umso hervorstehender sei, oder irgendwelche lächerlichen Züge den Bildern verleihen; denn auch dies wird bewirken, dass wir sie uns leichter einprägen können. Denn die Dinge, welche wir uns leicht einprägen, wenn sie echt sind, prägen wir uns auch unschwer ein, wenn sie erdacht und sorgfältig gekennzeichnet sind. Aber es wird nicht zu vermeiden sein, dass wir immer wieder die jeweils ersten Plätze schnell für uns durchgehen, um die Bilder ins Gedächtnis zurückzurufen.« 18 16 | Rhetorica ad Herennium, hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf/Zürich: Arte-

mis & Winkler 1998 (1994). Sowohl die Identität des Autors als auch jene von Gaius Herennius, dem das Werk gewidmet wurde, konnte bisher nicht eindeutig festgestellt werden. 17 | »Imagines agentes«: vermittelnde Bilder in aussagekräftigen Inszenierungen. Der Begriff

wurde in der Antrittsvorlesung am 28. Januar 2005 von Prof. Dr. Karl A. E. Enenkel, damals außerordentlicher Professor für neulateinische Literatur an der Universität Leiden, näher erläutert. Ein Beispiel für ein überzeugendes »imago agens« – Enenkel nennt es Andachtsbild – sei Christus am Kreuz, das das Leiden Christi heraufbeschwört. 18 | Rhetorica ad Herennium III, xxii, 35.37.

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Der springende Punkt bei diesem Zitat ist natürlich der Schlusssatz: Die Dinge, die uns in der Wirklichkeit beeindrucken, können wir uns meistens mühelos als irrationales Produkt unserer Gedanken merken, sofern sie in einem bedeutungsvollen Kontext erscheinen oder aufgerufen werden. Die »imagines agentes«, die den Betrachter auf den ersten Blick in den Bann ziehen sollen, um seine Aufmerksamkeit auf die darauffolgenden Details zu lenken, bilden dabei das eindringliche historische Äquivalent zum heutigen »big picture«, um das Vokabular des modernen Ausstellungsmachers aufzugreifen.19 In der Dynamik des narrativen Raums treten sie niemals einzeln auf, sondern erscheinen gemeinsam als helle Sterne am Firmament der Erzählung. Damit scheint sich der Kreis der Erinnerung und der Einbildungskraft nun auch in historischer Hinsicht zu schließen. Die Parallelen sind einleuchtend: Der narrative Raum ist ein artifizielles Gedächtnis, das eine Erzählung beherbergt, die für maximale Aussagekraft in jeder Phase ihrer Entwicklung und in jedem Aspekt ihrer Erscheinung den Gesetzen der klassischen Rhetorik folgen muss. Meiner Meinung nach appelliert die Umsetzung dieser Prämisse gleichermaßen an die Vorstellungskraft und die Fähigkeiten sowohl des Kurators als auch des Gestalters. Im Buch I von Rhetorica ad Herennium wie auch im Buch I von De Inventione 20 von Cicero werden die fünf Kategorien von Fähigkeiten aufgezählt, über die ein Redner bzw. eine Rede verfügen sollte: Vorstellungskraft, Struktur, Stil, Gedächtnis und Präsentation. In beiden lateinischen Texten werden diese Begriffe näher erläutert. Im Folgenden möchte ich diese Erläuterungen ergänzen und sie zum narrativen Raum der Ausstellung in Bezug setzen: •







Inventio bezieht sich auf die Entwicklung der zugrunde liegenden Idee, des Konzepts oder der Hypothese des Projekts. Sie hat den Charakter einer reinen Erfindung, die der Erzählung inhaltliche Spannkraft verleihen soll. Dispositio verweist auf die Anordnung des Materials. Die verfügbare Sammlung von Artefakten erfordert eine solche Gliederung, dass das Konzept von dem Material und den Mitteln getragen werden kann und die Struktur der Erzählung sich psychophysisch manifestiert. Elocutio richtet sich auf den Stil des Ganzen. Durch die Festlegung der Ästhetik der Übertragungsmittel soll ein Ort mit Charakter geschaffen werden und die Erscheinungsform der Erzählung Aussagekraft erlangen. Memoria unterstellt, dass es bei der Realisierung einer Ausstellung um nichts

19 | Vgl. Frank den Oudsten: Space.Time.Narrative. The exhibition as post-spectacular stage,

London: Ashgate 2011. In den Interviews mit Herman Kossmann und Mark de Jong (S. 107 – 150) sowie mit Barbara Holzer und Tristan Kobler (S. 273 – 318) werden die Bedeutung des ersten Eindrucks und die Rolle des »big picture« in der Inszenierung hervorgehoben. 20 | Rhetorica ad Herennium I, ii, 3. Cicero, De Inventione, Buch I, vii, 9, hrsg. und übers. von

Theodor Nüßlein, Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 1998. Nüßlein übersetzt die Begriffe wie folgt: Auffindung des Stoffes, Anordnung, stilistische Gestaltung, das Sicheinprägen und der Vortrag.

Die Poesie des Ortes



weniger geht als um die Komposition und Konstruktion eines künstlichen Gedächtnisses, mit der zentralen Frage: Welches Spektrum von Medien muss eingesetzt werden, damit das narrative Potenzial der Erzählung sich entfalten kann? Pronuntiatio betrifft die dramaturgische Dimension und die Dynamik der Ausstellung in actio. Erst nachdem sich die Türen für das Publikum geöffnet haben, stellt sich heraus, welcher Grad der (physischen und mentalen) Beteiligung die Präsentation tatsächlich zulässt.

Selbstverständlich folgen die oben genannten »Stadien« der Rhetorik nicht kausal aufeinander. Sie stehen vielmehr für offene, transparente, fließende Dimensionen ein und desselben Phänomens: der Absicht, eine überzeugende Erzählung zu schaffen. Diese fünf Dimensionen sind stark miteinander verwoben, sie überschneiden und durchdringen einander. Im Rahmen der Ausstellungskonzeption sind sie als Parameter für den Umgang mit Zeit und Raum zu verstehen, wobei jeder für sich ein Konglomerat von Subparametern darstellt. Und zwar mit einer derartigen Komplexität, dass eine eigene Relativitätstheorie für sie aufgestellt werden müsste. Deshalb ist absolut entscheidend, wie der Kurator und der Gestalter mit dieser Komplexität umgehen können. Im Rahmen der klassischen »Ars Memoriae« wurde geraume Zeit darüber diskutiert, das Gedächtnis in ein Gedächtnis für Dinge (»res«) und eines für Worte (»verba«) zu unterteilen. Bald gelangte man aber zur Erkenntnis, dass der Gedächtniskomplex eine unteilbare Einheit bildet. Allerdings rückte in der Folge das Sachgedächtnis in der historischen Mnemotechnik in den Vordergrund.21 Damit wurde die Kraft der Bilder und der visuellen Wahrnehmung unterstrichen, zugleich aber auch eingeräumt, dass die Welt der Dinge nicht von der Welt der Gedanken/Worte zu trennen sei. Immer wieder taucht dieses grundsätzliche Problem der Interpretation auf. Die Frage nach dem Verhältnis der beiden Sphären ist also unvermeidlich aktuell und wird bestimmt vom Kreislauf der Erinnerung und Einbildungskraft. Hier finden der Kurator und der Gestalter den Kern ihrer gemeinsamen Aufgabe und Verantwortung: in der narrativen Komponente, die die innere Logik und den inneren Zusammenhang einer jeden Inszenierung sicherstellen soll. Diese Logik muss immer wieder neu erfunden werden und aus der unendlichen Vielfalt von Beziehungen, die die Worte mit den Dingen eingehen können, herausdestilliert werden. Denn auch wenn in einer bestimmten Situation eine einzige Erzählung vorherrscht, so halten sich gleichzeitig doch neunhundertneunundneunzig andere dahinter verborgen: dunkle Materie, die als narratives Potenzial latent vorhanden ist.

21 | Das Begriffspaar »res« (Dinge) und »verba« (Worte) wird vor allem in Rhetorica ad Heren-

nium mit »memoria« in Verbindung gebracht, der Mnemotechnik, die ursprünglich von einem zweigeteilten Gedächtnis ausging: eines für Dinge und eines für Wörter. Später hielt Cicero die Unterscheidung in Wortgedächtnis und Sachgedächtnis jedoch für wenig sinnvoll, da die stärksten Eindrücke ohnehin mit dem Bild (Ding) verbunden seien. Siehe auch: F. A. Yates: Art of Memory, S. 24.

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Das unbekannte poetische Potenzial Jeder Teil, jeder Quadratzentimeter einer Ausstellungsfläche ist Bedeutungsträger, ob der Kurator und der Gestalter dies nun wollen oder nicht. Hier liegt auch der fundamentale Unterschied zu einem leeren Raum in der Architektur. Es ist der Unterschied zwischen Ort und Raum, der durch den Charakter bestimmt wird. Der Raum eines Ausstellungsmachers ist immer die Beherbergung einer Idee, ein Ort, an dem eine Erzählung Schutz findet. Deshalb kann ein Ausstellungsmacher die Welt der Dinge und die Welt der Worte nicht gesondert voneinander betrachten. Dort, wo sich beide Bereiche überschneiden, geschieht das Denken und (Be-)Greifen, das Erfahren und Erleben. »Inventio«. Das unendliche Reich der Sprache, das Reich der Formulierungen und der (Fehl-)Interpretationen, der Modelle und ihrer Modulationen. Lassen Sie mich dies anhand einer Analogie verdeutlichen: In den 1930er-Jahren befasste sich der Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky intensiv mit den Bewegungen von fernen Galaxien und Sternenclustern.22 Zur Schätzung der Gesamtmasse eines solchen Clusters wurden verschiedene theoretische Modelle eingesetzt. Die stark voneinander abweichenden Ergebnisse deuteten darauf hin, dass offenbar Materie im Spiel war, die nicht wahrgenommen werden konnte. Allerdings manifestierte sich die unsichtbare dunkle Materie als Energie. Diese Diskrepanz kann bis zum heutigen Tage nicht erklärt werden und ist seitdem als das »Problem der fehlenden Masse« bekannt. Interessant für uns ist, dass diese astronomischen Phänomene Dimensionen aufweisen, die nicht wahrnehmbar sind. Es sind Kräfte tätig, die sich unserem Blick entziehen. Die Dynamik der Dinge wird offensichtlich durch ein Potenzial bestimmt, das nur teilweise erforscht werden kann. In gewisser Weise fungieren auch narrative Räume, gestaltet oder nicht gestaltet, als Sternencluster. Es gibt mehr, als gesehen oder gehört, gedacht oder entworfen werden kann. Es bedarf eines unbekannten poetischen Potenzials, das 1001 Erzählungen gleichzeitig fließen lassen kann. Einprägsame narrative Räume, gestaltet oder nicht gestaltet, weisen deswegen ein grundsätzliches »Problem der fehlenden Erzählung« auf: eine verletzliche und rätselhafte Dimension, die kaum bewusst mit Ästhetik bewältigt werden kann und dem Publikum eine äußerste Sensibilität abverlangt. Welche Bedingung für eine eindringliche Erzählung auch immer die Richtige sein mag: Alles ist in Bewegung und hängt vom richtigen Augenblick ab. Der narrative Raum ist ein Fenster, in dem sich die Erzählung fließend und im Vorübergehen entfaltet, ein Intervall, in dem der Erzähler und der Zuhörer zueinanderfinden. Ein Schnappschuss. Blick und Augenblick zugleich.

22 | Fritz Zwicky (1898 – 1974) war ein Schweizer Astronom, der den größten Teil seines berufli-

chen Lebens am California Institute of Technology (Caltech) tätig war.

Der einsame Zuschauer auf der bühne

Die verwirrende Verwandtschaft zwischen theater und ausstellung Werner Hanak-Lettner

»Der Mensch ging ins Drama gleichsam nur als Mitmensch ein. […] Das sprachliche Medium dieser zwischenmenschlichen Welt aber war der Dialog. […] Alles, was diesseits oder jenseits [des Miteinandersprechens] war, musste dem Drama fremd bleiben.« 1

Das Drama im Theater der frühen Neuzeit, das den antiken Prolog, Chor und Epilog über Bord geworfen hatte, bestand vor allem aus dem, was Menschen miteinander redeten oder sich deuteten. Das Drama kannte also nichts, was nicht der Dialog zwischen den »dramatis personae« hervorbrachte. Denken wir aber an das moderne und das zeitgenössische Theater, an die späten Stücke von Samuel Beckett oder an das Theaterschaffen von Elfriede Jelinek, so erkennen wir, dass sich das Theater von einer dramatischen über die epische Form eines Bertolt Brecht hin zu einer offenen Struktur gewandelt hat: Autorinnen des sogenannten postdramatischen Theaters sind in ihren eigenen Stücken präsent und Schauspieler wenden sich teilweise mehr an das Publikum als an ihre Mitspieler. Der Dialog, so scheint es, hat seine Anspielstationen verloren und nicht wiedergefunden.2 Das Drama hat sich im 20. Jahrhundert sichtlich vom Theater entfremdet. Gleichzeitig ist der Begriff der Dramaturgie, der ursprünglich die Qualität des Dramenbaus oder ein Lehrbuch zum Drama (z. B. Lessings Hamburgische Dramaturgie) bezeichnete, in andere Medien und Genres ausgewichen. Er ist zu dem Begriff für die Beschreibung jenes Bogens geworden, der kreative Werke (Literatur, Film, Ausstellungen etc.) aber auch »außermediale« Vorgänge (Kriege, Kinderspiele, Sport) in sich und in ihrer 1 | Peter Szondi: Theorie des modernen Dramas (1880 – 1950). Frankfurt am Main: Suhrkamp

1965, S. 14. 2 | Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren,

1999, S. 43 – 44.

Der einsame Zuschauer auf der Bühne

Vermittlung nach außen zusammenhält. Dramaturgie in ihrer einfachsten Definition kann als räumlicher und zeitlicher Ablauf zwischen einem Anfangs- und Endpunkt verstanden werden. In der Ausstellung meint Dramaturgie nicht nur den Spannungsverlauf bzw. die gelungene räumliche und inhaltliche Rhythmik, sondern auch die Qualität der Sinnproduktion. Die häufige Verwendung des Begriffs im Ausstellungsbereich legt die Möglichkeit nahe, das Medium Ausstellung selbst als Drama zu analysieren.3 Bevor ich auf diese Möglichkeit näher eingehe, möchte ich noch in eine zweite, damit in Zusammenhang stehende Richtung vorstoßen. Es gibt Hinweise und Beispiele dafür, dass es zwischen dem Medium Ausstellung und dem Theater seit der frühen Neuzeit wesentlich mehr Berührungspunkte gibt als bisher in der Kulturgeschichte angenommen und beschrieben.4 Auf einem kurzen Ausflug in die Geschichte, der bis zurück in die frühe Neuzeit führt, werde ich zwei dieser Beispiele kurz beleuchten und damit auch einen historischen Unterbau für ein Modell der Ausstellung als Drama liefern. Ein Drama, das jenem am Theater sowohl ähnlich als auch grundverschieden von diesem ist.5

Das theatrum und die moderne ausstellung Paris, 1675: In diesem Jahr findet die Akademie-Ausstellung, der sogenannte Salon, für mehrere Jahrzehnte zum letzten Mal statt.6 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der junge deutsche, von 1672 bis 1677 in der französischen Hauptstadt weilende Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, diese Ausstellung sieht. Es ist auch genau jenes Jahr, in dem er ein Konzept für ein Unterfangen schreibt, das sowohl Theater als auch Ausstellung sein soll. Er will nichts weniger als Wissenschaft, Gedächtniskunst, Kunstund Wunderkammern, Bibliotheken, botanische Gärten, Unterhaltungstheater und vieles mehr in einer großen Wissensshow zusammenfügen. Sein Theater der Natur und Kunst war ein großer, jedoch nie realisierter Wurf, in dem er in barocker, heute aber durchaus zeitgemäß wirkender Art und Weise eine Verbindung zwischen Museum, Theater und Wissen herstellte. Obwohl sich Leibniz bei diesem Konzept hinter dem Understatement-Titel Drôle de Pensée, also Gedankenscherz, verschanzte, 3 | Werner Hanak-Lettner: »Dramaturgie«, in: Arge Schnittpunkt (Hg.): Handbuch Ausstel-

lungstheorie und -praxis, Wien/Stuttgart: Böhlau – UTB 2013, S. 156. 4 | Mit der performativen Wende ist die Nähe zwischen Ausstellung und Theater nochmals ge-

stiegen und wird in theoretischer Hinsicht öfter untersucht. Gerade diese Tatsache trägt aber auch dazu bei, den Blick auf zahlreiche Berührungspunkte in der Zeit zwischen früher Neuzeit und Moderne zu verstellen. 5 | Vgl. Werner Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater

entstand. Bielefeld: transcript, 2011, S. 15. Dieser Artikel baut auf zahlreichen in dieser Studie gewonnenen Erkenntnissen auf. 6 | Diese Form der Ausstellung fand 1664 zum ersten Mal statt. Zur Geschichte des Salons und

der Pariser Akademie: Georg Friedrich Koch: Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1967.

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lieferte er ein praktikables Konzept, in dem er sogar Gedanken zur Finanzierung und Organisation notierte. Sein Theater der Natur und Kunst gliedert sich in mehrere Abschnitte, die fließend und assoziativ ineinander übergehen. Der Text ist ein beredtes Zeugnis dafür, dass Ausstellung und Theater bereits in einer Zeit, in der die Ausstellung gerade mehr schlecht als recht als öffentliches Format Fuß zu fassen begann, in konzeptioneller Hinsicht eine Symbiose eingegangen waren. Möglicherweise war es vielmehr so, dass Theater und Ausstellung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch in einer Art Symbiose lebten, dass Ausstellung und Theater gewissermaßen eins waren, sodass der Begriff »Ausstellung« noch nicht notwendig geworden war und sich unter »Theater« bzw. »Schaustellung« all das subsumieren ließ, was zur Schau gestellt, ausgestellt, vorgespielt, gezeigt wurde. Leibniz zündet hier ein Feuerwerk an Ideen: »Die Darbietungen könnten beispielsweise die Laterna Magica sein (damit könnte man beginnen), sowie Flüge, künstliche Meteoriten, alle Arten optischer Wunder, eine Darstellung des Himmels und der Sterne. Kometen. Ein Globus wie jener in Gottorf oder Jena; Feuerwerke, Wasserspiele, ungewöhnlich geformte Schiffe, Alraunen und andere seltene Pflanzen. Ungewöhnliche und seltene Tiere. Die königliche Manege. Tiergestalten. Der königliche Pferderenn-Automat. Eine Verlosung. Darstellungen von Kriegshandlungen. Aus Holz gefertigte und auf einer Bühne errichtete Festungsanlagen, offener [Graben], usw. Alles nach dem Muster des Projektemachers […], den ich gesehen habe. Ein Festungsbaumeister würde den Gebrauch des Ganzen erklären.« 7

Leibniz wollte sogleich mit der Laterna magica beginnen. Er war sich der unschätzbaren Vorzüge dieser bereits die neuen Medien ankündigenden optischen Apparatur bewusst, mit der sich eine große Anzahl von Bildern in einen Raum projizieren ließ, ohne die wertvollen Originale selbst auf diese Wissensbühne 8 zu bringen. Doch er will auch Originale und unvermittelte »Aufführungen«. Leibniz rückt Objekte, Mittel und Handlungen der barocken Kunst- und Wunderkammer, vor allem aus den Kapiteln Wissenschaft und Natur sowie der barocken Fest- und Vergnügungskultur, in den Mittelpunkt. Letztlich ist es dieser epische Ansatz eines technisch-kulturwissenschaftlichen Theaters, wie es sich Leibniz erträumt, der den Weg zur heutigen kulturhistorischen Ausstellung weist, deren Bühne der Ausstellungsraum und deren alles erklärender Festungsbaumeister der Kurator und/oder der Museumsguide ist.

7 | Gottfried Wilhelm Leibniz: Gedankenscherz, eine neue Art von RERPRÄSENTATION be-

treffend [Drôle de Pensée, touchant une nouvelle sorte de REPRESENTATIONS], übers. aus dem Französischen und zit. nach Horst Bredekamp: Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst, Berlin: Akademie Verlag 2004, S. 238. 8 | Vgl. Helmar Schramm u. a. (Hg.): Bühne des Wissens, Berlin: Dahlem Univ. Press 2004, sowie

das von Herbert Lachmayer geprägte Konzept »Staging Knowledge«.

Der einsame Zuschauer auf der Bühne

»Die Aufführung könnte zudem jederzeit mit einigen Geschichten oder Komödien vermischt werden. Theater der Natur und der Kunst. Kämpfen, Schwimmen. Außergewöhnliche Seiltänzer. Salto mortale. Zeigen, wie ein Kind ein schweres Gewicht mit einem Faden heben kann. Anatomisches Theater. Heilkräutergarten. Später auch ein Labor. Denn neben den öffentlichen Darbietungen wird es besondere geben, wie die von kleinen Rechenmaschinen und anderen, Gemälde, Medaillen, Bibliothek.« 9

Leibniz, und das ist hinsichtlich der Form seiner Unternehmung bemerkenswert, spricht von der Aufführung, also von nur einer Aufführung, nicht von mehreren. Er plant eine Aufführung, in der all diese Handlungsstränge und ästhetischen Mittel ineinandergreifen. Und er will sowohl die epische »Geschichte« als auch das Theater in Form der »Komödie« in sein Projekt integrieren. Dass Leibniz die Kunstkammer und die Wissensvermittlung mit dem Theater verschränkte, ist aus seiner Zeit erklärbar. Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle: Generell ging das Barock über eine heute nachvollziehbare Theaterbesessenheit hinaus, indem es die shakespearesche Formel »All the world’s a stage«10 ernst nahm und die ganze Welt und das Dasein auf Erden zu einer großen Aufführung, eben zum barocken Welttheater, erklärte. Darüber hinaus bedienten sich die Wissensvermittlung und auch die Wirtschaft auf Jahrmärkten und Messen theatralischer Mittel, wie beispielsweise beim Verkauf von Arzneimitteln durch die Darstellung der Wirkung und der darauffolgenden Genesung.11 Und schließlich bezeichnete der Begriff Theater, der sich vom griechischen »théatron« (Zuschauerraum, Theater) und dessen Stammwort »théa« (das Anschauen, die Schau, das Schauspiel)12 ableitet, mindestens seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Kunstkammern, Enzyklopädien und Vortragsräume wie eben anatomische Theater.13 Leibniz’ Versuch der Theatralisierung der Wissenschaft sowie der Kunst- und Wunderkammer war ein Versuch, eine Öffentlichkeit für das Medium Ausstellung bzw. ein adäquates Medium für die sich formierende Öffentlichkeit zu schaffen. Da es den Raum, durch den die Besucher frei und vor allem selbstständig gehen durften, noch nicht gab, nahm Leibniz den Umweg über das Theater, das als Vergnügungsort sowohl des Adels 9 | Gottfried Wilhelm Leibniz: Gedankenscherz, a.a.O., S. 238ff. 10 | William Shakespeare, As You Like It, 2. Akt, 7. Szene, Auftritt Jacques. 11 | Vgl. Gerda Baumbach (Hg.): Theaterkunst und Heilkunst. Studien zu Theater und Anthro-

pologie, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2002. Für Parallelen zwischen Theater/Drama und zeitgenössischer Werbung bzw. Shoppingwelten vgl. die entsprechenden Texte im Kapitel Was ist eine gelungene Dramaturgie und wie entsteht eine gute Geschichte? in diesem Band. 12 | Duden: Das Herkunftswörterbuch, Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag 1989, S. 742. 13 | So publizierte 1590 Jean Bodin beispielsweise das Universae naturae Theatrum, das eine

systematische, aber nicht illustrierte Beschreibung der Welt war. 1615 brachte der Nürnberger Arzt und Humanist Michael Rötenbeck hingegen ein Theatrum Naturae mit über 500 Tier- und Pflanzenaquarellen von Lazarus Rötting heraus.

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als auch der breiten Schichten etabliert war. Sein Theater der Natur und Kunst zeugt auch von der Tatsache, dass der Begriff Theatrum im 16., 17. und 18. Jahrhundert generell nicht nur das Theater im heutigen Sinn, sondern auch Lexika in Buchform und eben auch Kunst- und Wunderkammern bezeichnete. Wenig wahrscheinlich ist, dass es sich bei der Bezeichnung Theatrum für die Kunst- und Wunderkammer sowie die schematische Darstellung der Welt in Druckwerken um ein rein modisches Branding handelte. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass die Bezeichnung Theatrum ein tatsächliches Integriertsein der Kunst- und Wunderkammer in die Welt des Theaters implizierte. Entstand die Ausstellung etwa aus dem Geiste des Theaters? Am Ursprung der Tendenz, die Kunst- und Wunderkammern sowie die systematischen Darstellungen der Welt in Druckwerken als Theatra zu bezeichnen, scheint es jedenfalls eine starke Gemeinsamkeit mit dem Theater gegeben zu haben, etwa ein gemeinsames Moment, ein gemeinsames Vorbild, ein Bedürfnis, eine Stoßrichtung. Der Urknall der modernen Ausstellung hat jedenfalls im Theatrum stattgefunden.

Der einsame Zuschauer auf der bühne des »gedächtnistheaters« Dieser Urknall ist in einem Modell zu finden, das als Gedächtnistheater in die Geschichte einging. Sein Produktionsort ist wiederum Paris, jedoch entsteht es 125 Jahre früher als Leibniz’ Theater der Natur und Kunst. Gebaut hat es 1530 im Auftrag von Franz I. von Frankreich der aus Venedig stammende Giulio Camillo. Dieser war ein Bekannter Tizians und ein Freund des Architekturhistorikers und (Theater-)Architekten Sebastiano Serlio. Er bekleidete in jungen Jahren einen Lehrstuhl an der Universität Bologna, wurde von den Dichtern Arios und Torquato Tasso als Genie gepriesen, von anderen wiederum als Hochstapler verdammt. Es ist nicht ganz einfach, die Gestalt und das Konzept von Camillos Gedächtnistheater zu begreifen, das 50 Jahre vor dem ersten »festen« neuzeitlichen Theatergebäude, dem Teatro Olympico des Andrea Palladio in Vicenza, entstand. Eine kurze Schrift, die er knapp vor seinem Tod diktiert hat, sowie einige Briefe können unser Vorstellungsvermögen unterstützen. Er baute ein Gebilde in Form des damals wieder in Mode gekommenen antiken römischen Theaters. Der Mystiker und Kabbalist Camillo konstruierte dabei das Modell eines Theaters, bei dem er sich auf die Prinzipien der klassischen Gedächtniskunst stützte.14 Er teilte die halbrunde Zuschauertribüne des römischen Theaters in sieben horizontale und sieben vertikale Linien und verteilte dort Symbole, Bilder und Texte, mit denen er den gelehrten Zuschauern/Besuchern nicht nur ermöglichen wollte, sich die Welt zu erklären, sondern sich diese Erklärung auch zu merken.

14 | Vgl. Beitrag von Frank den Oudsten in diesem Band.

Der einsame Zuschauer auf der Bühne

»Gerade weil er an die Göttlichkeit des Menschen glaubt, erhebt der göttliche Camillo den ungeheuren Anspruch, er könne das Universum durch einen Blick von oben, von den ersten Ursachen her, als ob er Gott wäre, in Erinnerung behalten. In dieser Atmosphäre gewinnt die Beziehung zwischen dem Menschen – dem Mikrokosmos – und der Welt – dem Makrokosmos – eine neue Bedeutung.« 15

Camillos Gedächtnistheater ist eine Kommunikationsplattform zwischen Mikro- und Makrokosmos, worin es dem Welttheater bzw. der Kunst- und Wunderkammer ähnlich ist. Hier wird verständlich, warum beispielsweise Samuel Quiccheberg, der erste »Museumstheoretiker« nördlich der Alpen, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – also in einer Zeit, in der weder das Wesen der heutigen Ausstellung noch die Form des heute gebräuchlichen geschlossenen Theatergebäudes bekannt waren – auf dieses hybride Gebilde Camillos mit seiner Gestalt zwischen Theater und Ausstellung zurückgriff, um seine neuen Ideen zu formulieren.16 Vom tatsächlichen Aussehen des Gedächtnistheaters wissen wir vor allem durch zwei Briefe von Viglius17, einem niederländischen Juristen und Staatsmann, an Erasmus von Rotterdam. Er beschrieb es als »ein Werk mit der wunderbaren Fähigkeit, dass jeder, der als Zuschauer reingelassen wird, über jedes Thema nicht weniger gewandt disputieren kann als Cicero«. 18 In einem zweiten Brief an Erasmus schrieb Viglius von sich in der dritten Person: »Du sollst also wissen, dass Viglius in dem Amphitheater war und alles sorgfältig angesehen hat.«19 Folgendes hat Viglius in dem Modell des Theaters gesehen: »Das Werk ist aus Holz, im Inneren mit vielen Bildern versehen und voll von kleinen Kästchen; es gibt verschiedene Ordnungen und Zonen darin. Er gibt jeder Figur und jedem Ornament seinen Platz, und er zeigte mir eine solche Menge Papier, daß ich, obwohl ich immer gehört hatte, daß Cicero die Quelle der reichsten Beredsamkeit sei, wohl kaum gedacht hätte, daß in einem Autor so viel enthalten sei oder daß aus seinen Schriften solche Massen zusammengetragen werden könnten. […] Er hat für dieses sein Theater viele Namen, mal nennt er es einen gebauten oder gestalteten Geist oder Seele, mal sagt er, es sei mit Fenstern versehen. Er gibt vor, daß alles, was der menschliche Geist erfassen kann und was wir mit dem körperlichen Auge nicht sehen können, nachdem es durch sorgfältige Meditation gesammelt sei, durch gewisse körperhafte Zeichen in einer solchen Weise zum Ausdruck 15 | Frances A. Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare.

Vierte Auflage. Berlin: Akademie Verlag 1994 [engl. 1966], S. 34f. 16 | Vgl. das Kapitel 4.5. »Die Sammlungsdramaturgie Samuel Quicchebergs«, in: Werner

Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama, S. 85ff. 17 | Wigle van Aytta van Zwichem (1507 – 1577). 18 | Brief von Viglius an Erasmus vom 28. März 1532, in: P. S. Allen (Hg.): Erasmi Epistolae, Bd.

IX, Oxford 1906 – 1955, S. 479, zit. nach Frances A. Yates: Gedächtnis und Erinnern, S. 123. 19 | P. S. Allen (Hg.): Erasmi Epistolae, Bd. X, S. 29f. zit. nach: Frances A. Yates, ebd. S. 124.

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gebracht werden könne, daß der Betrachter mit seinen Augen sogleich alles begreifen kann, was sonst in den Tiefen des menschlichen Geistes verborgen ist. Und wegen dieser körperlichen Anschauung nennt er es Theater.« 20

Die Möglichkeit der körperlichen Anschauung einer geistigen Materie rechtfertigte für Camillo also den Begriff des Theaters. Einer solchen Rechtfertigung hätte es 100 Jahre später sicher nicht mehr bedurft, als sich die Bezeichnung Theatrum für private Sammlungen und sogar für Bücher durchgesetzt hatte. Aber Camillo lebte in einer anderen Zeit. Er benutzte nicht nur den Begriff des Theaters, er baute gleich eines. Mit Camillos Gedächtnistheater, das sich sowohl als Theater als auch als Wunderkammer lesen lässt, ist ein Ausgangspunkt des gemeinsamen Weges von Theater und Ausstellung zu finden. Hier entsteht gewissermaßen das Ausstellungs-Theater der Renaissance, das sich dann mit der Philosophie und den Mitteln des Barocks weiter entfalten wird. Ein Detail in Camillos Theater verdient im Zusammenhang mit der Ausstellung besondere Beachtung: Es ist der »einsame Zuschauer«. Er ist ein gelehrter Besucher, der auf der Bühne steht, in den aufsteigenden Zuschauerrang eines römischen Theaters blickt und versucht, die dort dargestellte Welt mithilfe der Symbole, Zeichen und Texte zu verstehen und sich den hergestellten Sinn zu merken. »So ist die normalerweise gebräuchliche Aufteilung eines Theaters und auch die gebräuchliche Interaktion zwischen Publikum und Schauspieler auf der Bühne außer Kraft gesetzt bzw. umgekehrt. Der Zuschauer ist nicht nur Zuschauer, sondern auch Agierender, der in Interaktion mit den auf den Zuschauerrängen befindlichen Dingen tritt.« 21

Mit der Rolle des Zuschauers in Camillos Theater beschreibt Manuela Kahle die Rolle des modernen Ausstellungsbesuchers. Eine Beobachtung, die sie mit dem Künstler Dan Graham teilt: »Camillo’s encyclopaedic memory machine […] was intended to exist as an actual miniature theater large enough for one spectator-scholar, who could stand in the central stage area. The spectator was to use the device to learn the structure of the universe from microcosm to macrocosm, as in a modern science museum’s representation of subatomic physics or outer space.« 22

20 | Ebd. 21 | Manuela Kahle: Zwischen Mnemotechnik und Sammlungstheorie. Eine Untersuchung zu

Giulio Camillos »L’idea del theatro« und Samuel Quicchebergs »Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi«, München: Dipl. Arb. 2005, S. 23. 22 | Dan Graham: »Garden as Theater as Museum«, in: Theatergarden bestiarium, Ausstellungs-

katalog des P.S. 1, New York/Cambridge, Mass./London: MIT Press, 1990, S. 88.

Der einsame Zuschauer auf der Bühne

Giulio Camillo hatte den Zuschauer seines Gedächtnistheaters aus dem Zuschauerraum geholt, auf die Bühne gestellt und zum Protagonisten der Aufführung erklärt. Wenn wir uns die heutigen Hängewände im Museum neben der steil ansteigenden Zuschauertribüne voller Bilder, Symbole und Texte in Erinnerung rufen, mit denen der Zuschauer von der Bühne aus interagierte, so wird unmissverständlich klar, dass das Theater des Giulio Camillo eine Urform der Ausstellung in ihrer heutigen Form ist.

Die ausstellung als Drama: ein modell In dramaturgischer Hinsicht, und das ist für das Thema dieses Aufsatzes von besonderer Bedeutung, tritt hier erstmals das Trennende zwischen dem Drama am Theater und jenem in der Ausstellung zutage: Den Unterschied macht der Besucher, denn die Handlung der Aufführung in der Ausstellung wird vom ihm, dem Besucher auf der Bühne, vorangetrieben. Die Ausstellung ist tatsächlich eine Bühne, alles in ihr ist, mit welchen Mitteln, Aufwand, Intensität auch immer – bewusst oder unbewusst – inszeniert. Sie ist eine Bühne, die von den Kuratoren und Gestaltern just im Moment der Eröffnung der Ausstellung verlassen wird. Genau genommen haben die Ausstellungsmacher mithilfe von Objekten, Kunstwerken, Texten, Architektur, Grafik, Sichtachsen, Lichtsetzung etc. einen Raum in Szene gesetzt, ihn für die Besucher vorbereitet und ihn daraufhin zurückgelassen. Das Verlassen des Raumes hat die Position des Ausstellungsmachers jedoch nicht geschwächt: Einen Raum zu bespielen, in dem nichts verändert werden darf, ist eine mächtige Position. Insbesondere wenn man über Stellvertreter (Aufseher, Guards, Serviceteam) verfügt, die peinlichst genau auf die Einhaltung der Regeln achten, die unter anderem besagen, dass keine Texte geändert und die ausgestellten Dinge nicht angefasst werden dürfen. Haben die Kuratoren die Bühne zu Beginn der Ausstellung bereits verlassen, so haben die Besucher den sinnbildlichen Zuschauerraum hinter sich zurückgelassen. Sie unterscheiden sich darin fundamental von ihren Kulturrezipienten-Kollegen, den Theater- und Kinozuschauern sowie den Konzerthörern, die weiterhin in den ihnen zugewiesenen, statischen Sitzmöbeln verharren. Die Besucher nehmen sich Zeit, etwas aus dem ihnen zur Verfügung gestellten Raum zu machen. Für das Verständnis des Systems Ausstellung ist folgende Erkenntnis existenziell: »Time is on the visitors’ side, not on the curator’s«. Besucher tragen nicht nur die Kategorie Zeit zum System Ausstellung bei, sondern behalten auch über weite Strecken des Ausstellungsbesuchs die Kontrolle über ihr eigenes Zeitmanagement. Eine Beschreibung des Besuchers als Protagonisten findet sich in Jean-François Lyotards konzeptionellen Überlegungen zu seiner 1985 im Centre Pompidou kuratierten Ausstellung Les Immatériaux:

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»The visitor is a body in movement. What is the aim of this movement? Is it similar to that of the ›character-forming novels‹ of the eighteenth or nineteenth centuries? Our young hero travels the world, has all sorts of adventures, puts them to use to test his intelligence, his courage and passions, and then returns home fully ›formed‹.« 23

Da es der Besucher ist, der durch seine Bewegung in seiner mitgebrachten Zeit die Handlung vorwärtstreibt, die Ausstellungsmacher aber einen Raum zur Verfügung stellen, der die Handlungsweisen des Besuchers zu beeinflussen sucht, lässt sich die Ausstellung genau genommen als ein Medium, das von zwei Skripts gesteuert wird, beschreiben: einerseits aus einem von den Ausstellungsmachern raumgewordenen Entwurf, der einer Spielvorlage für die Commedia dell’Arte nicht unähnlich ist, und einem finalisierenden Beitrag durch die Besucher andererseits. Die Ausstellung ist ein von Kuratoren und Besuchern gemeinsam zusammengetragenes Raum-Zeit-Konstrukt. In die Sprache des Dramas übersetzt, und damit komme ich zum Anfang meiner Überlegungen zurück, lässt sich dieses Konstrukt schließlich folgendermaßen beschreiben: Im Ausstellungsraum kommt es zu einer Konfrontation zwischen dem Besucher, der sich sowohl als Zuschauer als auch als Akteur über eine Bühne (den inszenierten Ausstellungsraum) bewegt, und den dort ausgestellten Dingen.24 Wenn es ein Drama in der Ausstellung gibt, dann spielt es sich zwischen den Dingen untereinander, vor allem aber zwischen den Dingen und den Besuchern, ab. Der Dialog zwischen Dingen und Besuchern ist ein innerer Dialog, in dem die Besucher den Dingen, je nach ihrem Wissen und ihrer Erfahrung, ihre Stimme leihen: »Objects are the actors and knowledge animates them.«25 Erstirbt dieses Wissen, so gibt es immer noch Hilfsmittel, die diesen wieder entstehen lassen. Ein Grund, warum Ausstellungen selten ohne Objekt- und andere Texte auskommen. Sie sind die »legitimen Schwindelzettel« der bürgerlichen Gesellschaft in der bürgerlichen Institution Museum und seinem Medium, der Ausstellung.

Das ausstellungsdrama, praktisch reflektiert Für den Dialog zwischen den Dingen selbst empfiehlt es sich für Kuratoren, Partner zu finden, die es miteinander aufnehmen können und sich nicht gegenseitig zum 23 | Jean-François Lyotard: »Les Immatériaux«, über. ins Englische von Paul Smith in: Reesa

Greenberg / Bruce W. Ferguson und Sandy Nairne, »Thinking about Exhibitions«, London / New York: Routledge 1996, 4. Auflage 2002, S. 159 – 173, S. 167; das französische Original erschien erstmals in »Art & Text«, 17 (1985), S. 47 – 57. 24 | Vgl. Werner Hanak-Lettner: »Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater

entstand«, Bielefeld: transcript 2011, S. 105 – 106. 25 | Barbara Kirshenblatt-Gimblett: »Destination Culture. Tourism, Museum, and Heritage«,

Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1998, S. 3.

Der einsame Zuschauer auf der Bühne

Verstummen bringen. Dieses Können hat Hans-Joachim Müller anhand von Harald Szeemann und seinen Ausstellungen analysiert: »Und was er dabei gefunden, was er dabei entdeckt hat, war nicht, was passt, was sich fügt, was zusammengehören könnte, sondern was stark genug ist, neben dem starken Nachbarn zu bestehen.«26 Was hier hauptsächlich für Kunstausstellungen gemeint ist, bewahrheitet sich auch bei kulturhistorischen Projekten und hilft vor allem, unnötigen Objektballast, der eine große Anzahl von Ausstellungen lähmt, loszuwerden. Die Qualität des Dramas, das zwischen den Dingen entsteht (und in weiterer Folge von ihrer Stellung im Raum und den sie aufladenden Texte beeinflusst wird), ist dabei von großer Wichtigkeit für jenes »Hauptdrama«, das sich in einer Ausstellung zwischen den Besuchern und Dingen entwickelt bzw. entwickeln kann. In der Regel sind die Ausstellungsmacher bei diesem Prozess nicht anwesend. Deshalb sind für die Entwicklung dieser »räumlichen Spielvorlage« zwei Faktoren entscheidend: einerseits ein starkes Skript hinsichtlich der Objekte im Raum im Szeemann’schen Sinne und andererseits ein Einfühlungsvermögen in die Besucher, sowohl in ihre diversen Backgrounds als auch in den Gang, den sie als Akteure nehmen könnten. Die Einfühlung in den möglichen Weg und das Aufmerksamkeits-Management der Besucher kann eine computergestützte Simulation des Ausstellungsraums unterstützen. Sich in Repräsentanten verschiedener Besuchergruppen hineinzuversetzen, bleibt jedoch immer eine der wichtigsten Leistungen des Ausstellungsmachers selbst, die kein Simulationsprogramm übernehmen kann. Beim Konstruieren einer Ausstellung hilft es zudem, sich die Gegebenheiten der Ausstellungsstruktur immer wieder aufs Neue bewusst zu machen: Die Ausstellung ist ein Raumkonstrukt, das durch die von den Besuchern investierte Zeit sowie durch ihren jeweiligen Hintergrund und ihre momentane Situation immer wieder aufs Neue zum Leben erweckt wird. In räumlicher und auch medialer Hinsicht ist es daher sinnvoll, das Konzept wiederholt dahingehend zu befragen, ob die jeweilige Ausstellung, die ja durch die Besucher (nach einer Vorlage der Gestalter) konstituiert wird, nicht gerade eine Schieflage zuungunsten der Besucher erhält, ob sich diese noch frei auf der offenen Ausstellungs-Bühne bewegen können oder ob sie bereits in einen Zuschauerraum zurückgedrängt werden, in dem sie die Möglichkeit zur angemessenen Aktivität eines Akteurs verlieren.27 Schließlich ist es für Ausstellungsmacher bzw. Kuratoren nützlich, zu Beginn und während eines Projekts die eigene Position zu hinterfragen. Denn trotz Einfühlung in die Besucher und der Beeinflussungsmöglichkeiten, die sie auf deren Gang haben, müssen Kuratoren immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass sich die Besucher jeglichen räumlichen »Kanalisierungen« widersetzen, aus diesen ausbrechen und letztlich, im besten Sinne des Wortes, immer wieder »machen, was sie wollen«. Diese durchaus 26 | Hans-Joachim Müller: »Leben im Überschwang. Zum Tod des großartigen Kurators und

Kunstliebhabers Harald Szeemann«, in: Die Zeit, Nr. 9, 24. Februar 2005, S. 53. 27 | Ein Beispiel dafür wäre eine Ausstellung, die zu einem hohen Prozentsatz aus Medien und

Videos besteht, die selbst den Rhythmus vorgeben und so das autonome Zeitmanagement des Besuchers zu stark strapazieren, diese Problematik aber nicht reflektiert.

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lehrreiche und konstruktive »Enttäuschung«, die darin begründet ist, dass die Ausstellung durch jeden Besucher und Besuch neu entsteht, da die in ihr lauernde Geschichte durch die Bewegung und Aufmerksamkeit ebendieser Besucher vorangetrieben wird, macht dabei klar, dass die Kuratoren nur über die Objekte und damit nur über die Hälfte der im Ausstellungsspiel beteiligten Protagonisten »das Sagen haben«. Für die Kuratoren sind die Besucher berechenbar unberechenbar. Durch diese Charakteristik gelangen die Kuratoren wiederum in eine herausfordernde, einzigartig spannende und schließlich auch prekäre Situation: die der mächtigen Machtlosigkeit. Einmal begriffen, wird diese mächtige Machtlosigkeit zur idealen Basis, das Ausstellungsdrama zu koordinieren.

was ist eine gelungene Dramaturgie und wie entsteht eine gute geschichte? Einblicke in andere Disziplinen

An der Tagung x-positionen in Lenzburg gingen sechs Akteure aus anderen Disziplinen in Workshops der Frage nach, was Dramaturgie und Narration in ihrer eigenen Berufspraxis bedeutet. Die hier versammelten Beiträge sind ein Destillat aus diesen Diskussionen.

theater-gamedesign

Das spiel mit räumen, objekten und menschen

Laura Schäffer, künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin, Theaterkollektiv machina eX Eine gute Dramaturgie macht aus Zuschauern Mitspieler. Der Einstieg ist die Hälfte vom Ganzen: Hier wird das Eis gebrochen, hier entscheidet sich, ob der Zuschauer sich auf seine Rolle als Mitspieler einlässt oder auf Distanz bleibt. Wie Computerspiele haben auch Spiele im Raum Immersion zum Ziel: Die Zuschauer sollen in eine andere Welt eintauchen und sich als Akteure der Geschichte erfahren. Die große Kunst des Gamedesigns ist es dabei, einen klaren Ablauf vorzugeben und gleichzeitig dem Publikum das Gefühl von Gestaltungsfreiheit zu geben. Im Idealfall verschmelzen die dargebotenen Theaterszenen unmerklich mit den offenen Spielsequenzen zu einem großen Ganzen. Ohne Spannung geht nichts: Damit Computerspiele im Raum funktionieren, muss beim Publikum der Drang erzeugt werden, die Geschichte vorantreiben zu wollen. Das bedingt einen ausgewogenen Mix zwischen Momenten der Herausforderung und Situationen der Belohnung. Eine Geschichte lebt von emotionalen Hochs und Tiefs, von originellen Rhythmuswechseln und überraschenden Wendungen. Und am Ende folgt das große Finale, das Schlussbouquet, die Auflösung.

Was ist eine gelungene Dramaturgie und wie entsteht eine gute Geschichte?

werbung

Facts tell, stories sell

Marc Schumacher, Werber und Account Planning Director, Contexta 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Gute Geschichten kommen aus dem Kern des Produkts. Gute Geschichten kommen aus der Heritage der Marke. Gute Geschichten beruhen auf einer Wahrheit. Gute Geschichten sind mutig und einfach. Gute Geschichten bedienen sich großer Gefühle. Gute Geschichten brechen die Regeln.

Eine überraschende und unterhaltsame Markengeschichte in 20 Sekunden auf den Punkt bringen, das ist das Erfolgsrezept guter Werbung. Hinter jeder Marke steckt eine gute Story und diese Essenz gilt es freizulegen. Fakten allein genügen nicht – auch wenn eine wirkungsvolle Erzählung auf Wahrheit und Authentizität beruht. Zugleich braucht es Mut zur Reduktion und zur Einfachheit: Eine Markengeschichte ist dann erfolgreich, wenn sie eine Botschaft vermittelt. Was einfach klingt, ist das Schwierigste überhaupt. Gute Kommunikation ist keine Einbahnstraße, deshalb führen wir lieber Dialoge statt Monologe: Wenn es uns gelingt, die Kunden zu aktivieren und zu involvieren, werden sie eine Markengeschichte gerne weitererzählen. Das heißt auch, sich nicht vor Emotionen zu fürchten. Gute Geschichten bedienen sich großer Gefühle – erfolgreiche Werbung ist aber keine Kuschelzone. Es gilt, Regeln zu brechen, das Publikum zu überraschen und Reaktionen zu provozieren.

shoppingwelten-architektur

theatralisiertes Einkaufserlebnis mit authentischen geschichten

Marco Dionisio, Visual-Marketing-Experte, dioma ag Der erste Eindruck ist entscheidend. Das, was die Kunden beim Betreten des Geschäfts wahrnehmen, sehen und empfinden, ist ausschlaggebend für den Verkaufserfolg. Das bedeutet, dass wir Geschichten in die Läden bringen müssen. Die Kunden wollen Storys. Dazu gibt es verschiedene Ansätze: Jede Ware, jedes Stück im Laden hat eine Geschichte, eine »Schöpfungsgeschichte« sozusagen, aber auch eine Beziehungsgeschichte zur Welt. Manchmal geht es ganz einfach darum, diese Geschichten dem Kunden zu erzählen. Manchmal hingegen sind es eher Geschichten rund um die Ware, die wir erzählen. Gefühle zählen in jedem Fall mehr als Fakten. Wir brauchen in den Geschäften dramaturgische Wellenbewegungen: Preispunkte, Kompetenzbereiche, Inspirationsinseln. Wenn alles im gleichen Rhythmus ist, wird dies schnell als langweilig empfunden. Deshalb ist die Kundenführung elementar. Unsere

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Dramaturgie in der Ausstellung

Arbeit gestaltet sich je nach Ausgangslage ganz anders: Wenn es darum geht, auf einer großen Etage 4000 Schuhe zu präsentieren, funktioniert das Geschichtenerzählen ganz anders als in einem kleinen, szenigen Designshop. Aber immer geht es darum, die richtige Bühne zu schaffen, auf der man die Waren präsentieren kann – und die Erwartungen der Kundschaft zu übertreffen. Die Einkaufswelten der Zukunft bieten (an-)fassbare, emotionale und theatralische Erlebnisse. Sie wecken Entdeckergeist und Fantasie, sie erzählen und inszenieren authentische Geschichten.

Popmusik

große gefühle für ein großes Publikum

Georg Schlunegger, Songschreiber und Produzent, HitMill Popmusik ist ein Spiel mit Emotionen. Jeder Popsong vermittelt über Musik und Text ein Gefühl. Wer kommerziell erfolgreiche Popmusik machen möchte, erschafft eine musikalische Gefühlswelt, mit der sich ein großes Publikum identifizieren kann. Wer oder was steckt hinter der Musik? Welche Charakteristika prägen einen Künstler, das beworbene Produkt oder einen Film? Aus diesen – manchmal sperrigen Informationen – ein emotional berührendes und eingängiges Lied zu produzieren, ist unsere Aufgabe. Ein Hit ist aber nicht nur einfach eine schöne Melodie mit einem einfachen Text. Seine narrative Form, thematisch wie dramaturgisch, ist für das Publikum immer leicht nachvollziehbar und verknüpft sich so mit den eigenen Erfahrungen und Überzeugungen des Hörers. Musik und Text sollten demselben Leitmotiv folgen, damit sie eine dramaturgische Einheit bilden. Allerdings ist es die melodische und harmonische Komponente des Stücks, die das Gefühl und damit auch die Geschichte prägt. Die ersten Takte eines Stücks sind ausschlaggebend, denn sie geben einen ersten Eindruck davon, was die Hörer im Verlauf des Songs erwartet. Bei einer durchschnittlichen Dauer von etwa 3:30 Minuten müssen wir Songschreiber alles daransetzen, die Spannung aufrechtzuerhalten. Der dramaturgische Verlauf soll die Zuhörer überraschen und berühren. Harmoniestrukturen können verändert werden, Tonarten können wechseln. Auf der Textebene kann ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, die Szenerie wechseln oder es werden Fragen aufgeworfen und erst später aufgelöst. Höhepunkt eines Stücks ist fast immer der Refrain. Musikalisch und textlich fasst er alles zusammen, was ein Popsong an Emotionen vermitteln will. Wiederholungen verleihen einer Melodie, einer Botschaft Nachdruck und verankern sie in der Erinnerung des Publikums. Eine gelungene Dramaturgie in der Popmusik vereint Mut zu großen Gefühlen, Überraschungseffekte sowie ein perfektes Zusammenspiel von Inhalt und Form. Dennoch: Der Erfolg eines Popsongs bleibt unberechenbar. Es ist in hohem Maße das Publikum, das ein Stück erfolgreich macht, nicht der Autor oder der Produzent.

Was ist eine gelungene Dramaturgie und wie entsteht eine gute Geschichte?

Film

wie Filmanfänge verführen

Michael Vögtlin, Dramaturg Was verspricht uns ein Filmanfang? Was verrät er? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die kommenden 90 Minuten ziehen? Wie zieht ein Anfang den Zuschauer in den Bann? Und wie können wir uns eine solche erste Begegnung zunutze machen? Das Publikum geht stets mit einer Erwartungshaltung – geschürt etwa durch Werbung, Trailer und Kritiken – ins Kino. Filmemacher treffen eine Verabredung mit dem Zuschauer und für die Rezeption des Films ist entscheidend, wie sie mit diesen Erwartungen umgehen. Erfüllen die Filmemacher diese oder weigern sie sich? Der Filmanfang dient zunächst einmal der Vorbereitung auf das, was kommt. Er steckt den Rahmen ab bezüglich Erzählhaltung, Handlung, Atmosphäre, Stimmung, Milieu, Figuren usw. Ein Filmanfang fordert ob dieser Fülle an Informationen die gesteigerte Aufmerksamkeit seines Zuschauers. Er wirft die Frage auf, wohin die Reise geht. Er arbeitet aber nicht nur hermetisch innerhalb der Erzählung, sondern er etabliert auch Interesse beim Zuschauer. Idealerweise bleibt ein Filmanfang in seinen dramaturgischen Mitteln transparent, ohne den Film der Vorhersehbarkeit auszuliefern. Diese Kunst offenbart sich für den Zuschauer oft erst im Rückblick, beim wiederholten Sehen oder bei der vertieften Analyse eines Films.

Journalismus

wie aus Fakten geschichten werden

Marc Tschudin, Journalist und Dokumentarfilmer Mit der Narration, dem Storytelling im Journalismus, ist das so eine Sache: Alle reden davon, aber nur wenige erzählen wirklich Geschichten. Denn viele Journalisten sehen sich der klassischen Berichterstattung verpflichtet; der sachgerechten, ausgewogenen Darstellung eines Ereignisses. Der Journalist als Berichterstatter ist dabei im Text kaum wahrnehmbar, er berichtet aus einer gewissen Distanz zum Geschehen. Die Fakten ordnet er nach dem bewährten Muster: Zuerst die Meldung in einem Satz, dann in der Chronologie des Ereignisses die Beantwortung der W-Fragen (Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Warum?), gefolgt von der Einordnung in einen Gesamtkontext und schließlich dem Blick in die Zukunft. Im Grunde lautet die News-Dramaturgie: Das Wichtigste zuerst! Das funktioniert im Print, online, im Radio und im Fernsehen. Allerdings nur bei aktuellen, relevanten Themen und wirklichen Neuigkeiten, bei denen es in erster Linie darum geht, zeitnah und möglichst objektiv zu informieren. Dementsprechend kurz wirken auf diese Weise aufbereitete Informationen bei den Rezipienten nach.

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Dramaturgie in der Ausstellung

Artikel oder Fernsehbeiträge, die etwas auslösen, lange hängen bleiben, über die man redet, funktionieren häufig ganz anders. Sie sind nicht berichtet, sondern erzählt. Sie enthalten narrative Elemente: eine außergewöhnliche Hauptperson zum Beispiel, mit einem Ziel und einem Widerstand, den sie überwinden muss. Die Handlung der Hauptperson verbindet dabei mehrere Ereignisse, Zitate werden zu Dialogen, die Fakten werden nicht mehr aneinandergereiht, sondern kausal miteinander verwoben, kurz: Aus klarer Perspektive findet eine nachvollziehbare Veränderung statt. Dramaturgisch ist für den Journalisten dabei alles möglich, einzige Pflicht: Am Schluss – und nicht am Anfang wie bei der News-Dramaturgie – steht eine Pointe, eine Erkenntnis. Das Publikum kann dadurch die eigenen Erfahrungen mit einbringen, das eigene Leben mit der gelesenen, gehörten oder gesehenen Geschichte abgleichen. Fakten werden also mit Emotionen verbunden. Das ist die Stärke einer Geschichte. Und gleichzeitig – aus journalistischer Sicht – auch das Problem: Der Journalist wird nämlich unweigerlich zum Erzähler, zu einem Teil der Geschichte und damit spür- und wahrnehmbar. Im Gegensatz zur Berichterstattung muss er Farbe bekennen, Stellung beziehen. Anders geht es nicht: Aus einer Ansammlung von Fakten wird erst eine Geschichte, wenn jemand sie erzählt.

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auFtakt, sPannungsbogEn unD lEItFIgurEn Dramaturgische mittel in der ausstellungspraxis

Ein Blick in den Werkzeugkasten des niederländischen Szenografen Herman Kossmann zeigt: So breit wie die Palette dramaturgischer Mittel, so vielfältig sind auch deren Anwendungsmöglichkeiten im Raum. Sechs Einblicke in die Praxis loten nach diesem Auftakt die Chancen und Grenzen verschiedener dramaturgischer Strategien aus und regen zur Reflexion der eigenen Ausstellungstätigkeit an.

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Der Werkzeugkasten der Szenografie Herman Kossmann

Die Inszenierung von Raum, Sammlungen, Bildern, Text, Licht, Fotografie, Film, neuen Medien und Interaktion versetzt eine Ausstellung in die einzigartige Lage, die Besucher zu informieren und zu verführen, sie in Staunen zu versetzen, sie miteinzubeziehen und mit Erfahrungen zu bereichern. In einer gut gestalteten Ausstellung bilden die eingesetzten Medien keine einzelnen, verstreuten Elemente, sondern fügen sich zu einem ausgewogenen und wirkungsvollen Ensemble zusammen. Die Aufgabe besteht immer darin, die Besucher in eine Erlebniswelt eintauchen zu lassen, die ebenso inhaltsreich wie wirkungsvoll ist und neue Ideen hervorruft. Wir betrachten Ausstellungen als anregende, narrative Räume, die die Besucher zur aktiven Beteiligung einladen. Im Laufe der Jahre hat unser Büro Kossmann.dejong 2 ein Ausstellungsvokabular erarbeitet, das die Verständigung unter uns und mit den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, erleichtern soll. Die nachstehenden neun Kriterien oder Konzepte sind nicht als Rezept für die Gestaltung einer Ausstellung gedacht. Sie stecken vielmehr einen Rahmen ab, der das Bewusstsein schärfen soll für das, was eine Ausstellung oder ein narratives Umfeld sein könnte oder müsste, und es uns ermöglicht, über das eigentliche Wesen der Ausstellungspraxis zu diskutieren.

1 | Dieser Text ist eine leicht überarbeitete Übersetzung des vierten Kapitels aus: Herman Koss-

mann, Suzanne Mulder, Frank den Oudsten: De Narratieve Ruimte. Over de kunst van het tentoonstellen, Rotterdam: nai010 2012. Das Buch ist in Englisch unter dem Titel »Narrative Spaces: On the Art of Exhibiting« (2013) erhältlich. 2 | Ausstellungsbüro Kossmann.dejong: http://www.kossmanndejong.nl (10.12.13).

Narrative Räume

Der rundgang Eine Ausstellung ist eine Erzählung, die sich in Zeit und Raum entfaltet. Als Medium unterscheidet sich die Ausstellung insofern von allen anderen narrativen Formen, als dass der Zuschauer sich hier physisch fortbewegt. Bei der Lektüre eines Buchs, bei einer Kinovorstellung oder einer Theateraufführung sitzt das Publikum meistens regungslos auf einem Stuhl. Die physische Interaktion ist minimal, alles ist auf mentale Interaktion ausgerichtet. In einer Ausstellung hingegen können sich die Besucher frei durch den Raum bewegen. Die Strecke kann linear sein, wobei das Publikum einer vorgegebenen Route mit einem deutlich gekennzeichneten Anfangs- und Endpunkt folgt. Oder sie kann labyrinthisch verlaufen, sodass man ohne fest umrissenes Ziel umherschweifen kann. Es sind zahllose Durchquerungen des Raums möglich, die jeweils eine eigene Auslegung der Ausstellung zulassen. Die Besucher können die Strecke schnell oder langsam zurücklegen, aufmerksam oder hastig oder – sehr zielstrebig – ihre eigenen Interessen verfolgen und dabei das eine Objekt auslassen und beim anderen anhalten, um es besser auf sich wirken zu lassen. Man kann hochschauen oder sich bücken und Details entdecken, die anderen möglicherweise entgehen. Der Rundgang fungiert dabei als die Schnur einer Kette, die die einzelnen Szenen der Erzählung wie Perlen aneinanderreiht. In einer Ausstellung ist eine Vielzahl von narrativen Ketten denkbar. Das Bild der Perlenkette veranschaulicht, dass es bei einer Ausstellung um mehr geht als nur um die ausgestellten Gegenstände. Eine Kette suggeriert Zusammenhang und betont die Beziehungen zwischen den Dingen. Als solcher stellt der Rundgang auch die Verbindung zwischen dem Ausstellungsmacher, das heisst dem Erzähler, und dem Publikum dar. Die Gestaltung einer Ausstellung lässt sich mit der Planung einer Route durch eine außergewöhnliche Landschaft oder eine schöne, interessante Stadt vergleichen. Im Laufe des Rundgangs ändert sich die Sicht auf die Umgebung. Es tun sich neue Sichtachsen und Durchblicke, spannende Orte mit einer besonderen Atmosphäre, auffällige Felsformationen, Gebäude oder Bilder auf, die allesamt dazu beitragen, den Spaziergang zu einem abwechslungsreichen Erlebnis zu machen. Sobald man anhält, dringt die Umgebung besser zu einem durch und man bekommt einen Blick fürs Detail. Außer der Landschaft und der Stadt selbst gibt es auch Ereignisse, die die Erfahrung verändern oder verstärken können: einen Sonnenuntergang, eine läutende Kirchturmglocke, Gesprächsfetzen eines Nachbarschaftsstreits, einen plötzlichen Regenschauer oder eine Windböe, die Gesellschaft, in der man sich befindet, oder die Begegnung mit einem Fremden. Eine Ausstellung ist wie eine mehrdimensionale, nicht lineare Erzählung aufgebaut, wobei die Besucher viele verschiedene Erzählstränge verfolgen können. Nur ganz vereinzelt handelt es sich um eine eindimensionale, klassisch strukturierte Erzählung mit Anfang, Mitte und Ende. Die meisten Ausstellungen setzen sich vielmehr aus mehreren losen Erzählfragmenten zusammen, die räumlich zwar auf zusammenhängende Weise inszeniert sind, aber nach dem Prinzip eines Spaziergangs immer wieder anders betrachtet und somit auch immer wieder anders erlebt werden. Mit den narrativen Fragmenten oder Szenen komponieren die Besucher ihre Erzählung im Grunde selbst, und

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dies nicht nur, weil sie ihren eigenen Weg durch die Ausstellung gehen können, sondern auch, weil jedes Individuum als geistiges Rüstzeug einmalige Kenntnisse, Erinnerungen und Erwartungen mitbringt, die dem Erlebten einen individuellen Akzent und ein eigenes Gewicht verleihen. Mit dem Rundgang entsteht ein Rhythmus von Stillstand und Weitergehen, von Bewegung und Tempo. Er gibt somit die Choreografie des Ganzen im Raum vor, während die Erzählung strukturiert und vorgibt, welche narrativen Elemente an den einzelnen Orten präsentiert werden und auf welche Weise dies geschieht. Rundgang und Erzählung sind komplementär: Sie stellen die physischen und geistigen Komponenten der Ausstellung dar. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, eine komplexe, mehrdimensionale Erzählung zu gestalten. Verschiedene Themen können physisch getrennt in einzelnen Pavillons inszeniert werden. Unterschiedliche Schichten der Erzählung können mit unterschiedlichen Medien hervorgehoben werden. Auch auf Mikroebene lässt sich die Erzählung unterschiedlich gestalten. Durch die Art und Weise, in der die Objekte gruppiert und zueinander positioniert werden. Oder durch das Hinzufügen von Licht, Klang oder Texten. All diese Elemente können der Erzählung einen anderen Stellenwert oder eine neue Wendung geben. Das Besondere besteht darin, dass sich die statischen Teile in der Wahrnehmung der Besucher mit der eigenen Fortbewegung »mitzubewegen« scheinen und ständig wechselnde Beziehungen miteinander eingehen. So entstehen visuelle und narrative Verbindungen zwischen den verschiedenen Elementen der Inszenierung. Der Rundgang durch eine Ausstellung ist nie zweckfrei, und sei es nur, dass die Ausstellungsmacherin eine Geschichte erzählen will. Der »Wirkungsbereich« dieser Erzählung hängt in hohem Maße von Momenten intensiver Aufmerksamkeit seitens des Besuchers ab. Nur wenn er stehen bleibt, ist Vertiefung möglich. Solche Momente eröffnen der Ausstellungsmacherin eine einmalige Chance, denn der Rhythmus dieser Momente der Intensität und Vertiefung wird maßgeblich durch die physische Struktur der Erzählung bestimmt.

synchronizität und schichtung Die Montage paralleler narrativer Stränge, die in Zeit und Raum hin und her springen, ist eine bewährte Erzähltechnik in Büchern und Filmen. Da sich ein Ausstellungsmacher oder eine Ausstellungsmacherin in der Regel mit komplexen Themen auseinandersetzen muss, bietet es sich an, mehrere Erzählstränge mit unterschiedlichen Hauptpersonen und mehrschichtigen Perspektiven einzuführen, um die Komplexität zu bewältigen. Die einzelnen Erzählstränge können dann mit verschiedenen Medien in unterschiedlicher Form nebeneinander ausgearbeitet werden. In einem Film entwickelt sich die Geschichte in der Zeit. In einer Ausstellung hingegen können unterschiedliche Aspekte der Erzählung gleichzeitig präsentiert werden. Bei historischen Themen können so beispielsweise »Zeitschneisen« geschaffen werden, um Geschehnisse, die in Wirklichkeit gleichzeitig stattfanden, nebeneinander zu zeigen.

Narrative Räume

Als Gestalter kann man den gesamten Raum als Instrument einsetzen. Was sich dort abspielt, kann und muss nicht alles gleichzeitig von der Besucherin erlebt und konsumiert werden. Aber allein schon das Gefühl, dass an diesem speziellen Ort mehr zu erleben ist als auf den ersten Blick ersichtlich, macht die Ausstellung als Format reizvoll. Während ein Besucher sich ein bestimmtes Objekt anschaut, kann sich gleichzeitig in seinem Augenwinkel etwas ganz anderes ereignen – eine Synchronizität, die man auch aus dem Alltag kennt. Um eine Ausstellung für unterschiedliche Zielgruppen gleichermaßen ansprechend zu gestalten, aber auch um zu verhindern, dass der Besucher sich in der Erzählung verirrt, ist es wichtig, eine Schichtung vorzunehmen und die unterschiedlichen Erzählstränge, die Hauptthemen und die Einzelheiten dosiert und strukturiert anzubieten. Dazu eignen sich mehrere Medien, wobei einige leichter angenommen werden und schneller Wirkung entfalten als andere. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen langen Einleitungstexten und Zitaten, zwischen statischen und bewegten Bildern, zwischen Musik und Begleitkommentar. Die meisten Besucher erfahren Bild und Ton als zugänglich und eindringlich. Texte mit Fußnoten oder Abbildungen mit vielen Details erfordern hingegen mehr Anstrengung. Manche Medien sind also kraftvoller als andere. Die meisten Besucher ziehen bewegte Bilder Texten vor. Ton kann als omnipräsentes Medium eingesetzt werden, genauso wie Duft, von dem nur selten Gebrauch gemacht wird. Jedes Medium nimmt auch eine eigene Position auf der Skala zwischen Wissen und Erfahren ein und hat eine spezifische Wirkung auf die Besucher, sowohl emotional als auch intellektuell. Es gibt viele Erzählweisen: kurz und bündig oder ausführlich und detailliert, mit Betonung der Sinneswahrnehmung oder des Intellekts. Wo und in welchem Augenblick ein einzelnes oder mehrere Medien eingesetzt werden, hat somit einen großen Einfluss auf den Aufbau, den Charakter und die Eindringlichkeit der Erzählung. Die Mehrschichtigkeit der Erzählung lenkt und strukturiert die Informationsdichte, das heisst die Anzahl der Geschehnisse, die man zusammentragen und den Besuchern zumuten kann. Dieser Prozess lässt sich vergleichen mit dem Aufbau einer Musikkomposition oder der Verwendung von Zutaten bei einem Gericht, wobei die verschiedenen Klänge oder Geschmacksnoten einander verstärken oder abschwächen. Alles muss sich im Gleichgewicht befinden. Die richtige Balance sorgt dafür, dass das Publikum Lust hat, sich auf die Erzählung einzulassen, und dass diese Lust auch erhalten bleibt. Die Lesbarkeit bzw. Verständlichkeit der Präsentation ist dabei von entscheidender Bedeutung. Es ist eine spannende Aufgabe, Ausstellungen zu gestalten, die zu stundenlangem Entdecken anregen, zugleich aber auch in weniger als einer halben Stunde einen starken Eindruck hinterlassen können. In so einer kurzen Zeitspanne erschließen sich einem natürlich nur einige wenige Schichten der Erzählung. Je länger man aber bleibt, desto tiefer dringt man in die Erzählung ein und desto mehr erfährt man. Das Erlebnis wird intensiviert, ähnlich wie bei dem Besuch einer schönen Stadt, die mit zunehmendem Aufenthalt interessanter und anziehender wird.

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Die ausstellungsszene als blickfang: Im themenbereich »work« des von kossmann.dejong gestalteten Urbanian Pavilion an der Expo 2010 in shanghai wurde der arbeitsalltag von sechs verschiedenen Familien aus sechs verschiedenen kulturen porträtiert.

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Da im Medium Ausstellung mehrere Varianten der gleichen Erzählung parallel nebeneinander angeordnet werden können, besteht die Herausforderung darin, sowohl für den Laien als auch für den Sachkundigen unerwartete Einblicke zu schaffen. Zwar sind die Lebensumstände und Kenntnisse des Publikums nie im Einzelnen bekannt, im Großen und Ganzen lässt sich die Erwartungshaltung jedoch gut abschätzen und sollte mit der Absicht der Erzählung abgestimmt werden. Für den durchschnittlichen Besucher spielt das »Kleingedruckte« in der Regel keine Rolle, während solche Details für eine Expertin sehr wichtig sein können. Auf dieser spezifischen Ebene können »Fußnoten« an jedem Punkt der Erzählung also sehr wohl zu einer Vertiefung beitragen.

blickfang und spannungsbogen Eine Ausstellung kann nur dann zu einer Erfahrung werden, wenn die Besucher sich die Zeit dafür nehmen, sich in und durch den Raum zu begeben. Ihr Rundgang ist eine individuelle Aktion mit einer bestimmten Dauer. Daraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz: Die Besucher müssen diese Aktion selbst herbeiführen und ständig angeregt werden, weiterzugehen oder irgendwo stehen zu bleiben. Dabei kommt dem ersten Einblick eine große Bedeutung zu. Also dem Moment, in dem die Besucherin in erwartungsvoller Haltung einen ersten Blick in die Ausstellung wirft. Dieses erste Bild muss ins Schwarze treffen und die Neugierde des Besuchers wecken. Es ist der Magnet, der das Publikum aktiviert. Nehmen wir als Beispiel eine Stadt: Ein Spaziergang durch ein beliebiges Viertel löst an sich schon eine unglaubliche Vielfalt an Eindrücken aus. Dennoch wird häufig ein bestimmter Kirchturm, ein besonders attraktiver Platz oder ein prachtvoller Park hervorstechen und das Bild dominieren. Ein solcher markanter Blickfang bildet das zusammenführende Element, die bündelnde Kraft, die die Identität des Ortes bestimmen. Und genauso wie ein Spaziergang durch eine Stadt fortwährend neue, bemerkenswerte Eindrücke und Bilder vermittelt, muss auch eine Ausstellung mit einer Kaskade von Blickfängen aufwarten. Das Gesamtbild muss eine über die Details hinausgehende, gebündelte Kraft erzeugen. Jede Szene – eine Ausstellung ist grundsätzlich aus Szenen, das heisst aus räumlichen Anordnungen aufgebaut – muss visuell von einem treffenden und interessanten Bild getragen werden. Dieses Bild stellt den Beginn eines Spannungsbogens dar. Die Erzählung stützt sich somit auf einer Reihe denkwürdiger Bilder ab und all diese Blickfänge zusammen lassen eine Dynamik wechselnder Perspektiven entstehen. Der Blickfang muss somit nicht nur für jede einzelne Szene passen, sondern er muss auch einen übergreifenden visuellen Zusammenhang bilden. Es ist essenziell, dass man sich gleichermaßen in den Spannungsbogen des Publikums hineinversetzt. Denn dessen Erwartungshaltung bestimmt, wie lange die Besucher gefesselt und konzentriert sind, bevor ihre Aufmerksamkeit nachlässt und sie den Drang verspüren weiterzugehen. Das Spannungsempfinden schwankt zwar von Mensch zu Mensch, aber als Ausstellungsmacher sollte man imstande sein, jedes Mal

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einen guten Mittelweg zu finden. Eine Ausstellung kann somit als eine Aneinanderreihung von Inszenierungen – »räumlichen Artikulationen« – betrachtet werden, die alle einen eigenen Spannungsbogen erzeugen. In der Wahrnehmung der Besucher ist ein Rundgang durch eine Ausstellung die Addition von Spannungsbögen, die in einer wellenartigen Bewegung ineinander übergehen. Dabei offenbart der Blickfang den Besuchern häufig schon den Kern der Ausstellung und erzeugt – sofern gut getroffen – auch den Nachhall, also das Bild, das sich den Besuchern einprägt und das sie von der Ausstellung mit nach Hause nehmen. Wie komplex eine Ausstellung auch immer zusammengestellt sein mag, wie viele unterschiedliche Erzählstränge oder Komponenten es auch immer geben mag, die Aufgabe besteht stets darin, ein kohärentes Ganzes entstehen zu lassen, und zwar inhaltlich, räumlich und visuell. Jeder Gestalter, ob es sich nun um einen Schriftsteller, eine Filmemacherin, einen Künstler, eine Komponistin, einen Architekten oder eine Stadtplanerin handelt, ist auf der Suche nach der allumfassenden Kraft, die alle Komponenten des Werkes zusammenbringt. Wie führt man nun einen solchen Spannungsbogen in einer Ausstellung herbei? Bei komplexen Sachverhalten beispielsweise, indem man den Raum in Kapitel oder Themen einteilt und für Themenbereiche, die dazwischenliegen, eine andere Form wählt oder Ruhephasen einbaut. Oder indem man buchstäblich Abstand schafft, sodass die Besucher die Zeit haben, das eine Thema hinter sich zu lassen und sich auf das nächste vorzubereiten. Bei vielschichtigen Ausstellungen mit einer ganzen Reihe von thematischen Unterbereichen bietet sich auch eine Pavillonstruktur an. Die einzelnen Pavillons bilden dann nicht nur eine inhaltliche Begrenzung des Themas, sondern auch eine physische Gliederung. Bei einem Rundgang durch die Ausstellung sind solche Übergänge von einem Pavillon zu einem anderen auch Momente, in denen die Besucher wieder atmen können; es befindet sich dann im wahrsten Sinne des Wortes »Luft« zwischen den verschiedenen Elementen. Dies gilt nicht nur für die übergeordnete, sondern auch für die untergeordnete Ebene, beispielsweise für die Ebene der Objekte. Wenn eine große Anzahl von Sammlungsstücken in einer einzigen Vitrine liegt, werden sich die meisten Besucher schwertun, sich auf ein einzelnes Stück zu konzentrieren. Eine gut durchdachte Positionierung oder räumliche Anordnung der Objekte in der Vitrine mit einem eigenen Platz für jedes einzelne Objekt oder die Aufteilung von Objekten in gesonderte Vitrinen fördert in hohem Maße das Interesse für einzelne Sammlungsstücke. Ähnlich wie im Theater geht es in einer Ausstellung um einen gegliederten Aufbau in Szenen mit zeitlichen und räumlichen Nischen, damit das Ganze atmen kann. Gestalterisch lässt sich dies mit Polaritäten umsetzen: leer und voll, geschlossen und offen, farbig und schwarz-weiß, Groß- und Nahaufnahme, Lernen und Erfahren. Zwar dominiert dabei die visuelle Wahrnehmung, es werden aber auch alle anderen Sinnesorgane einbezogen. Denkwürdige, beeindruckende Bilder markieren die Szenen und modulieren die Erzählung. Diese Arbeitsweise ist mit der Installationskunst verwandt, wobei das Gesamtbild ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Sobald diese großen,

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eindringlichen Bilder, diese Blickfänge einmal feststehen, hat man schon ein relativ starkes Gerüst. Den Spannungsbogen der Besucher kann man als Ausstellungsmacher natürlich nur zu einem gewissen Grad einschätzen. Es gibt immer Situationen, die man nicht vorhersehen kann. Aber wenn alle einzelnen Schichten und Elemente einer Ausstellung gut durchdacht und gestaltet sind, ist das Endergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv. Zum Zeitpunkt der Konzeption und der Gestaltung ist noch weitgehend ungewiss, wie die Ausstellung tatsächlich wirken wird. Aber das ist gerade das Schöne an diesem Medium: Es ist unwahrscheinlich reich, weist viele Schattierungen auf und bietet die Möglichkeit, unendlich viele Geschichten zu erzählen.

Immersion Im Idealfall kommt der Besuch einer Ausstellung einem vollkommen immersiven Erlebnis nahe. Was könnte faszinierender sein als eine Ausstellung, die die Besucher vollständig absorbiert, die Alltagswelt außen vor lässt und das Erfahren einer ganz anderen Welt ermöglicht? Dabei ist diese neue künstliche Wirklichkeit keinesfalls unreal. Es ist lediglich eine andere Wirklichkeit, die ein eindringliches und intensives Erleben bewirkt. Der Gestalter steht somit vor der Herausforderung, die Besucher in eine Erzählung eintauchen zu lassen, die ihnen genügend Raum für ihre eigene Vorstellungskraft bietet. Ein wahrer Meister der Schaffung von immersiven Erlebniswelten war Walt Disney. Die Erlebnisse im Disneyland sind im Grunde dreidimensionale Filmvorführungen, in denen die Wege und Abfolgen von Szenen von Vornherein feststehen und nichts dem Zufall oder der eigenen Fantasie überlassen wird. Die »Imagineers« von Disney haben alles unter Kontrolle: die Routenführung und häufig auch das Transportmittel, mit dem die Besucher durch die »Experience« gelotst werden. Die Nachwirkung dieser Erlebnisse, wie fantastisch und professionell sie auch immer sein mögen, ist jedoch häufig nur von kurzer Dauer. Sie werfen weder ein neues Licht auf die Dinge noch regen sie zur Reflexion an. Bei Disney stehen das Ereignis und dessen unmittelbares Erleben im Mittelpunkt. Bei einer musealen oder kulturellen Ausstellung hingegen sollte auch immer nach einer Möglichkeit gesucht werden, das Erlebte inhaltlich nachwirken zu lassen. Der Eintaucheffekt spielt bei allen Medien und somit auch bei der Ausstellung eine Rolle. Das Ausmaß, in dem eine Ausstellung einen Besucher in eine andere Welt eintauchen lassen kann, sagt nicht nur etwas über die Intensität der Erfahrung oder die Empfänglichkeit der fraglichen Person aus, sondern auch etwas über das Ausmaß, in dem die Wirklichkeit der Ausstellung von der Alltagswelt abweicht oder komplementär zu dieser ist. Kurzum, es geht darum, ob die Ausstellung etwas Anderes oder Neues zu bieten hat, ob der Ort, den man bewusst aufsucht und wo man sich einige Zeit aufhält, eine Überraschung bereithält. Dabei dreht sich alles um Glaubwürdigkeit. Selbstverständlich kann man das Publikum mit einem multimedialen Märchen »umhauen«. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die Besucherin daran anknüpfen und sich

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transdisziplinarität Eine ausstellung sollte alle sinne ansprechen. Der schlüssel bei der gestaltung dieser räume heißt transdisziplinarität: Der Einsatz von bildern, objekten, texten und räumen transformiert den Inhalt zu einem neuen wesen. In diesem modell umkreisen und kreuzen sich zwölf konzepte und bilden gemeinsam eine überzeugende ausstellungsgestaltung.

Blickfang und Spannungsbogen

um

Schichtung

li

ch

t

ra

Abstraktion

fa r b e Wer sagt was?

Immersion

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Medienmix

Regie

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Interaktion

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Erzählung

Zwischen Wissen und Erfahren

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Synchronizität

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Rundgang

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beteiligen kann, ohne die eigene Identität aufs Spiel zu setzen. Damit eine Besucherin wirklich berührt wird, muss die kritische Distanz gewahrt werden. Für den Ausstellungsmacher bedeutet dies, dass er eine Inszenierung realisieren muss, die das Potenzial hat, Veränderung zu initiieren. Das Eintauchen soll bewirken, dass der Besucher das Dargebotene mit neuen Augen betrachtet oder, anders ausgedrückt, dass er die Ausstellung als anderer Mensch verlässt. Dies setzt allerdings voraus, dass der Besucher wirklich drinnen und in das Geschehen involviert war. Dabei spielt das Eintauchen eine maßgebliche Rolle. Ausschlaggebend ist, inwiefern es ein eineinhalbstündiger Besuch schafft, das Publikum in eine mitreißende Umgebung mit einer anderen Intensität zu versetzen. Dazu muss die Wirklichkeit des Ortes nicht komplett von der Alltagswelt losgelöst sein, aber doch eine gewisse Distanz dazu herstellen. Für das Einlassen auf die Erzählung oder die Poesie des Ortes ist das ein entscheidendes Kriterium. Wenn dies berücksichtigt wird, ist eine Ausstellung ein Ort mit einer außergewöhnlichen und denkwürdigen Identität. Genauso wie in einem Buch oder Film schafft sie Raum für eine Erzählung, nur dass dieser Raum in einem Buch oder Film virtuell und in einer Ausstellung real ist.

Interaktion Eine Ausstellung stellt immer eine Form der Interaktion dar, und sei es nur, weil die Besucher bewusst gekommen sind und ihren Weg durch die Ausstellung selbst wählen. Bei dieser Wahl handelt es sich um eine Mehrfachauswahl, zumindest wenn die Ausstellung nicht auf eine einzige, zwingend vorgeschriebene Strecke beschränkt ist. Es ist ein offenes Medium, das natürlich nur dann Interaktion auslöst, wenn das Medium und die Besucher aufeinander reagieren und die Präsenz der Besucher zu einem Faktor der generellen Wirkung der Szene oder der Erzählung wird. Bei der Gestaltung einer Ausstellung muss man sich immer wieder auf die Suche nach Mitteln und Wegen begeben, um die Einbahnstraße in der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger zu durchbrechen und die Wechselwirkung zwischen beiden zu verstärken. Eine sehr effektive Form einer solchen Interaktion erreicht man mit einem Erzähler aus Fleisch und Blut, der, obwohl er die Form der Ausstellung nicht ändern kann, doch Einfluss auf deren Wirkung nehmen und der vorliegenden Erzählung jede denkbare Nuance hinzufügen kann. Einem guten Erzähler gelingt es, durch seine Stimme, Haltung und Gestik, aber vor allem durch eine mitreißende Geschichte sein Publikum vom Anfang bis zum Ende in den Bann zu ziehen. Ein lebender Erzähler hat die Möglichkeit, seine Geschichte anzupassen, indem er improvisiert und auf das Publikum reagiert. Ein Erzähler oder Museumsführer, der zugleich auch Diskussionsleiter, Schauspieler, Musiker oder Tänzer ist und zum Schrittmacher der Verständigung wird, erhöht die Aussagekraft einer Ausstellung immens. Die Entwicklung neuer Medien hat die Einbindung interaktiver Prozesse in technischer Hinsicht erheblich erleichtert. Dementsprechend ist es auch einfacher geworden, die Besucher in Verlauf und Vielschichtigkeit eines Narrativs und in die Beschaffenheit des Raumes einzubeziehen.

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Dabei geht es nicht darum, dass die Besucher die Erzählung nach Belieben abändern können, sondern dass sie der Erzählung neue Dimensionen hinzufügen oder sie an ihre persönlichen Interessen anpassen können. Neue Medien können einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Verständigung der Besucher untereinander und ihrer Interaktion leisten. Bereits ein geringes Maß an Interaktion, bei dem nur wenige Knöpfe gedrückt werden müssen, kann Wirkung zeigen. In diesem Falle bedeutet Interaktion, mit dem Angebot verbunden, »online« zu sein, was bereits ein Gefühl von Partizipation vermitteln kann. Eine andere Form der Interaktion kann darin bestehen, dass die Installation auf die Anwesenheit von Besuchern reagiert und sich verändert, weil diese detektiert wurden. Bereits indem man die Besucher dazu bringt, etwas zu tun, bezieht man sie intensiver in die Erzählung ein. Für andere Besucher kann es wiederum interessant sein, diejenigen, die sich aktiv beteiligen, bei ihren Aktionen zu beobachten. Die Kunst besteht darin, jegliche Hürde zu vermeiden und die Interaktion so natürlich und intuitiv wie möglich stattfinden zu lassen. Dabei sollte die technische Anlage verborgen werden, um ihr einen Anschein von Intelligenz zu geben und eine magische Dimension zu verleihen. Schnittstellen müssen sehr besucherfreundlich sein: einfach, intuitiv und einladend.

Zwischen wissen und Erfahren Es ist eine große Herausforderung, Ausstellungen mit transformatorischem Potenzial zu gestalten. Falls im Besucher durch die Erfahrung im Raum kein Wandel hervorgerufen werden kann, bleibt in der Erinnerung wenig von der Aussage haften. Eine Ausstellung jedoch, die in der Lage ist, das Publikum zu berühren, vermittelt Erfahrungen, die nicht so schnell vergessen werden, weil sie zu neuen Erkenntnissen und einer Horizonterweiterung führen. Damit sich eine Ausstellung einprägt, ist es wichtig, mehr als nur Erfahrung anzubieten. Auch der Intellekt, das Lernen und Begreifen, kurzum das Wissen, muss angesprochen werden. Erfahrung hat einen eher subjektiven, konkreten Charakter und beruht auf Emotionen und Assoziationen, die abgerufen werden. Einsicht und Wissen wurzeln hingegen in der Reflexion, sie sind auf das Denken, auf Konzepte und Interpretation ausgerichtet und haben daher einen eher abstrakten Charakter. Erfahren und Wissen sind unterschiedliche, sich gegenseitig verstärkende Dimensionen der Einsicht. Ein Ausstellungsmacher muss daher die Kunst beherrschen, beide Dimensionen miteinander zu verbinden. Er muss sowohl an den Intellekt als auch an die Intuition appellieren. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen kognitiver und sinnlicher Erfahrung ist daher ein wesentliches Kriterium bei der Ausstellungsgestaltung. Eine ausgewogene Wechselwirkung zwischen diesen beiden Aspekten ist auch deswegen so wichtig, weil das eine Mal die Erfahrung zu einer Vertiefung der Kenntnisse und das andere Mal das erworbene Wissen zu einer neuen Erfahrung führt. Es ist erstaunlich, wie häufig Kuratoren dazu neigen, dem Wissen mehr Bedeutung beizumessen als dem Erfahren. Daher die oftmals langen Einleitungen und vielen Beschriftungen. Nicht selten verwendet das Publikum mehr Zeit für das Lesen einer

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Texttafel als für das Anschauen des Exponats. Von der Warte der Kuratoren aus sind ausführliche Texte nicht weiter verwunderlich. Als wissenschaftliche Experten sind sie für den Inhalt zuständig und somit in diesen Fragen die wichtigsten Dialogpartner für die Gestalter. Gemeinsam haben sie die Aufgabe, einen Umsetzungsplan zu erarbeiten, wobei Fachkenntnisse auf eine subtile Art und Weise in die Präsentation implementiert werden und das Thema sowohl für den Sachkundigen als auch für den Laien überraschend und ansprechend erzählt bzw. dargestellt werden kann. Ein Experte, der sich ein Leben lang mit einem spezifischen Thema befasst, kann häufig tief gehende Zusammenhänge aufdecken, die, sofern er darüber hinaus auch noch ein guter Erzähler ist, die Bausteine für eine schöne Erzählung bilden können. Bei der Gestaltung versuchen wir, die Faszination des Sachkundigen zu rekonstruieren und festzuhalten. Die sich daraus ergebende Erzählung kann Laien in eine außergewöhnlich eindringliche Welt hineinführen. Da seitens des Museums die Tendenz besteht, beim Wissen anzusetzen, wendet sich der Gestalter zum Ausgleich in der Regel zunächst dem Erfahren zu. Daher wird den Gestaltern häufig vorgeworfen, sie würden auf Spektakel und »szenografische Effekthascherei« setzen. Zu Unrecht, denn es geht immer um das Zusammenspiel: Eine spektakuläre Erfahrung muss mit dem entsprechenden Wissen in Einklang gebracht werden. Es ist auch nichts gegen Spektakel einzuwenden, solange es gute Gründe dafür gibt. Umgekehrt gilt: Die Zurschaustellung von Wissen darf ruhig wie eine undurchdringliche Mauer wirken, solange es seine Funktion erfüllt und die Erzählung intensiviert. Erfahren allein ist nicht genug, Wissen allein genauso wenig. Es geht um das, was dazwischenliegt: den Bereich zwischen Wissen und Erfahren.

Identifikation und nähe In einer guten Geschichte kann sich der Zuhörer mit dem Erzähler identifizieren. Umgekehrt stimmt der Erzähler seine Geschichte auf den Zuhörer ab. Die mentale Distanz zwischen beiden ist gering und überbrückbar. Nähe ist essenziell. Dies gilt auch für die Ausstellung: Je mehr Besucher sich mit der Erzählung und dem Erzähler identifizieren können, desto eindringlicher und einprägsamer wird die Geschichte. Das ist eine Tatsache. In der Welt des Museums werden diese kommunikativen Gesetzmäßigkeiten jedoch häufig außer Acht gelassen. So geläufig es in Spielfilmen und Büchern ist, über die Erzählperspektive, simultane Erzählstränge und Erzählstrukturen nachzudenken, so ungewöhnlich ist dies noch immer in Museen und Ausstellungen. Häufig kommt nur ein unbekannter Kurator zu Wort, ohne dass die Besucher erfahren, wer sich dahinter verbirgt. Filme und audiovisuelle Präsentationen werden meistens von anonymen Synchronsprechern gesprochen. Texte müssen ohne Signatur auskommen. Die Information wird seitens der Institutsleitung als Monolog vorgetragen. Nur, warum ist das so? Diese Anonymität schafft nur Distanz, was dem Prozess der Identifizierung gewiss nicht zuträglich ist. Der Erzähler bleibt auf Distanz und der Besucher ist sich selbst überlassen.

Zwischen wissen und Erfahren – Ziel der ausstellung Bisj Poles: Sculptures From the Rain Forest im tropenmuseum amsterdam war es, den besucherinnen und besuchern mit einer begehbaren Installation den zeremoniellen charakter der ahnenpfähle der asmat aus neuguinea näherzubringen.

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Die Frage, wer der Absender all dieser Nachrichten ist und »wer was sagt«, betrifft alle Ebenen der Ausstellung. Die Besucherin kann sich viel besser identifizieren, sobald deutlich wird, dass sich hinter jeder Mitteilung ein Verfasser, ein Mensch verbirgt. Wenn der Gestalter dieses Prinzip der Identifikation in die Inszenierung einfließen lässt, wird das Ganze gleich interessanter. Neben der Stimme der Kuratorin können dann auch die Stimmen des Experten oder der Direktorin eingespielt werden, wobei möglicherweise auch ihre unterschiedlichen Standpunkte zum Ausdruck kommen. Eine solche Mehrstimmigkeit verstärkt nicht nur die Einbindung des Publikums, sondern auch die Nuancierung und Schichtung der Erzählung und lässt sie atmen. Da eine Ausstellung selten eine lineare Geschichte erzählt, kann der Gestalter überall neue Perspektiven anbringen. Das Anbieten mehrerer Erzählperspektiven und die Darlegung unterschiedlicher Meinungen sind deswegen so interessant, weil sie den Besucher dazu anspornen, sich eine eigene Meinung zu bilden und die Erzählung auf eigene Weise auszulegen. Das Gefühl der Nähe kann auch durch eine geeignete materielle Ausstattung der Ausstellung intensiviert werden. Ausstrahlung, Textur und Greifbarkeit spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit zunehmender Perfektion der Form, des verwendeten Materials oder der ausgearbeiteten Details der Ausstellung verstärkt sich jedoch der Eindruck der Unnahbarkeit und vergrößert sich die Distanz zwischen dem Besucher und dem Dargebotenen oder, anders ausgedrückt, zwischen dem Zuhörer und dem Erzähler.

abstraktion und metaphern Je flacher die Struktur und je realistischer und wortgetreuer das Thema umgesetzt wird, desto weniger Raum bleibt für die eigene Vorstellungskraft. Umgekehrt gilt aber auch: Je abstrakter die Erzählung, desto mehr Möglichkeiten der eigenen Reflexion und Interpretation gibt es. Die Ausstellung muss eine ausreichende Bandbreite haben, um den individuellen Besucher entsprechend seinem jeweiligen kulturellen und sozialen Hintergrund ansprechen zu können. Dies kann durch ein gewisses Maß an Abstraktion erreicht werden, wobei gut gewählte Metaphern die Vorstellungskraft fördern können. Als Gestalter sind wir ständig auf der Suche nach »übergeordneten Begriffen der Vorstellungskraft«. Das Denken in Metaphern ist dabei sehr hilfreich. Ähnlich wie ein Schriftsteller, der mit einer Metapher ein Bild direkt im Kopf des Lesers verankert, kann auch die Ausstellungsgestalterin vorgehen. Die Metapher ist ein Hilfsmittel zur Bereicherung der Sprache und Verbesserung der Verständigung während des Gestaltungsprozesses und der Vorbereitung der Ausstellung. Sie ermöglicht eine zusätzliche Nuancierung, indem sie der Sprache eine bildhafte oder rhetorische Deutung hinzufügt. Die Metapher ist ein wichtiges Instrument, das die Botschaft und das Gespräch konkreter, bildhafter und somit anziehender macht. Mit Metaphern können abstrakte Begriffe zu konkreten Personen, Gegenständen oder Ereignissen in Beziehung gesetzt werden. Das damit heraufbeschworene Bild ermöglicht eine effiziente Informationsübertragung. Metaphern appellieren an das kreative Vermögen. Sie können vorhandene Denkmuster

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durchbrechen und neue Sichtweisen eröffnen. Darin liegt ein gewaltiges Potenzial. Die Verwendung von Metaphern verleiht einzelnen Komponenten mehr Zusammenhang und Gewicht und ruft neue Fragen hervor. Nicht nur beim Ausstellungsmacher, sondern letztendlich auch beim Besucher erzeugen Metaphern neue Einsichten, die mehr aus dem Herzen als aus dem Kopf zu kommen scheinen. Das gilt natürlich nicht nur für Ausstellungen. Auch in der bildenden Kunst, im Design und in der Werbung werden Metaphern eingesetzt, um Assoziationen zwischen einem Produkt und den Emotionen des Rezipienten herzustellen. Das Schöne an einer Metapher liegt in der Mehrdeutigkeit der hervorgerufenen Assoziationen. Dies kann zugleich problematisch sein, da die Aussagekraft einer Metapher immer in Kultur und Zeit eingebettet ist. Als Regisseur einer Ausstellung muss man also nicht nur einen guten Überblick über die Zielgruppen, sondern auch ein feines Gespür für den Zeitgeist haben.

regie Eine Ausstellung ist ein multidisziplinäres Produkt und erfordert als solches einen interdisziplinären Ansatz. Als Ausstellungsgestalter arbeitet man daher häufig mit den unterschiedlichsten Fachleuten zusammen: Kuratoren, Konservatorinnen, Grafikdesignern, Filmemacherinnen, Lichttechnikern, Texterinnen, Interaktionsgestaltern, Innenarchitektinnen, Architekten, Kommunikationsexpertinnen usw. Die Beiträge aus all diesen Disziplinen müssen integriert und zu einem neuen Ganzen zusammengefügt werden. Dies erfordert eine Regie, einen Gestalter-Regisseur oder einen Kurator-Regisseur, der Erzählstrukturen festlegt, Zusammenhänge knüpft und den Inhalt mit einer neuen Interpretation versieht. Diese Interpretation ist grundsätzlich subjektiv. Denn auch wenn Objekte aus einer Sammlung ausgestellt werden, unterliegen diese einer Auswahl. Erstaunlicherweise richten viele Museumskuratoren ihr Augenmerk nur auf den ursprünglichen Kontext und wissenschaftlichen Wert des Sammlungsstücks. Sie betrachten Museumsobjekte als Repräsentanten spezifischer historischer Ereignisse. Museumsobjekte sind jedoch Gegenstände, die aus ihrer ursprünglichen Umgebung entfernt und somit gewissermaßen dekontextualisiert wurden. In diesem Sinne ist das Museum ein »Waisenhaus«, wobei den »Waisenkindern« beim Ausrichten einer Ausstellung eine neue Umgebung, eine neue Identität zugewiesen wird. Eine derartige Rekontextualisierung der Sammlung schafft neue Zusammenhänge und erzeugt neue Erzählungen und Einsichten. Wie relevant oder bedeutungsvoll dieser neue Kontext ist, ist eine Frage der Regie. Multidisziplinäres Gestalten erfordert Lenkung, insbesondere wenn es kompliziert wird. Das Endergebnis muss ein ausgewogenes Ganzes sein, was in einer Kakofonie von Meinungen nicht erzielt werden kann. Daher muss jemand Regie führen, dafür sorgen, dass alle am gleichen Strang ziehen und das gleiche Ziel verfolgen. Jeder einzelne Beitrag muss in das Gesamtbild passen und eine Funktion erfüllen. Um dies zu erreichen, muss sich jeder vollständig darüber im Klaren sein, worum es bei der Ausstellung geht. Die Interpretation des Regisseurs – einschließlich der von ihm festgelegten

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Erzählperspektiven – muss bekannt sein. Auch sollte jeder wissen, welches Potenzial der Ausstellungsraum hat. Kurz: Jeder muss aus dem gleichen Bewusstsein heraus arbeiten und mit den Gestaltungsinstrumenten der Ausstellung vertraut sein. Erst dann kann jeder Beteiligte nachvollziehen, was von ihm erwartet wird, und beurteilen, ob die unterbreiteten Vorschläge angemessen sind. Voraussetzung für eine solche Vorgehensweise ist, dass die verschiedenen Experten die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Metaphern verwenden. Der Regisseur der Ausstellung seinerseits muss sich immer wieder fragen, welchen Mehrwert die unterschiedlichen Beiträge bringen und wie man diese noch verbessern und stärker zum Vorschein bringen kann. Während des gesamten Prozesses muss er zu allen Aspekten der Gestaltung Entscheidungen treffen können und sich dabei auf eine klare Argumentation stützen. Wer Regie führt, ist egal. Es geht darum, dass die Bildsprache der Inszenierung und die Erzählweise »lesbar« und anziehend sind. Der Prozess, der dieser Transformation zugrunde liegt, kann von der Kuratorin, vom Gestalter oder von beiden gemeinsam arbeitsteilig gesteuert werden. Betrachtet man eine Ausstellung als einen Ort, an dem der Dialog und die Interaktion im Mittelpunkt stehen, als eine bedeutsame Erfahrung, die Denkanstöße gibt und noch lange in Erinnerung bleibt – kurzum als ein Produkt, das einen Wandel beim Publikum bewirkt –, bedarf es in Bezug auf die Ausgangspunkte, das Zustandekommen und das Endergebnis noch vieler Entwicklungen. Der Regisseur eines Theaterstücks oder eines Films wählt die Schauspieler, die Dramaturgin, die Requisiteure, Lichtgestalter usw. selbst aus, damit er ein optimales Produkt liefern kann. Ein Produkt ohne Kompromisse. Ein fesselndes, kritisches oder aufwühlendes Theaterstück. Einen überraschenden, inspirierenden oder ergreifenden Film. Die Zusammensetzung eines Teams, das eine Ausstellung realisieren soll, hängt noch allzu häufig vom Zufall und von banalen Bedingungen ab: Konservatoren, die als Kuratoren auftreten müssen, Wissenschaftler, die zu lange Ausstellungstexte schreiben, Museumspädagogen, die nur Kinder betreuen wollen, technische Abteilungen, die zu viel Macht ausüben – Menschen, die häufig auf Anweisung von oben zusammengefügt werden, die nicht aus einer gemeinsamen Idee heraus handeln, die häufig nicht gelernt haben, als multidisziplinäres Team miteinander umzugehen, und meistens nicht die gleiche Sprache, geschweige denn eine gemeinsame Ausstellungssprache sprechen. Hinsichtlich der Themenwahl und der Ausarbeitung versuchen die meisten Museen, es allen Zielgruppen recht zu machen. Jegliche Form der Reibung oder Konfrontation wird vermieden. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass das Medium Ausstellung genauso viel Potenzial und Möglichkeiten bietet wie gute Filme, Bücher oder Theaterstücke. Dazu bedarf es aber noch eines regelrechten Kulturwandels, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Museums. Die Ausstellung könnte viel häufiger zu einem Ort werden, an dem anregende Diskussionen geführt und aktuelle und relevante Themen erörtert werden. Sie sollte als Stätte der Begegnung und der Interaktion dienen – miteinander und mit dem betreffenden Thema. Das ist eine bewusste Entscheidung und eine Frage der Regie.

Von hollywood lernen? why not!

Das dramaturgische mittel des »säens und Erntens« in der ausstellungsarbeit Ariane Karbe

Das wohl berühmteste Beispiel der Filmgeschichte für die Technik des »Säens und Erntens«, mit deren Hilfe Spannung erzeugt werden kann, stammt aus dem Film Citizen Kane 1 von und mit Orson Welles. Welles spielt darin den Zeitungsmogul Charles Foster Kane, der am Ende seines Lebens sagenhafte Reichtümer angehäuft hat, aber einsam und verbittert ist. Auf seinem Sterbebett ist sein letztes Wort: »Rosebud« – Rosenknospe. Journalisten verfassen einen filmischen Nachruf auf Kane, doch als sie ihn dem Produzenten vorführen, ist dieser unzufrieden. Auf diese Weise erzählten sie der Welt zwar, was Kane beruflich erreicht, nicht aber, was ihn als Menschen ausgemacht habe. Der Produzent beauftragt einen der Journalisten damit, die wichtigsten Wegbegleiter Kanes aufzusuchen und sie nach Rosebud zu befragen. Im Verlauf des Films erzählen sie ihm Kanes Leben; in Rückblenden werden die einzelnen Stationen gezeigt. Eine Schlüsselszene zeigt den Beginn von Kanes bemerkenswertem Werdegang. Seine durch einen glücklichen Umstand reich gewordene Mutter beschließt, ihn bei seinem neuen Vormund, Mr. Thatcher, in Chicago aufwachsen zu lassen, um ihm die bestmögliche Erziehung angedeihen zu lassen und ihn vor seinem gewalttätigen Vater zu schützen. Den vergnügt im Schnee spielenden Charles trifft die Nachricht völlig unvorbereitet. Wütend schlägt er Thatcher mit dem Schlitten in den Bauch, doch muss er sich fügen – und der Schlitten bleibt verlassen zurück.2 Keine der Personen, die der Journalist befragt, hat auch nur die leiseste Ahnung, was es mit dem geheimnisvollen Rosebud auf sich haben könnte, und unverrichteter 1 | Vgl. Citizen Kane (USA, 1941), Regie: Orson Welles, Drehbuch: Herman J. Mankiewicz und

Orson Welles. 2 | Vgl. Citizen Kane, Minute 21:29.

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Dinge kehrt er in die Redaktion zurück. Die Zuschauer aber erfahren, was sich hinter Rosebud verbirgt: Unter den unzähligen Gegenständen, die Kane gesammelt hat, befindet sich auch der Schlitten aus seiner Kindheit. Als ein Arbeiter ihn in den Ofen wirft, sind das Bild einer Rosenknospe und der Schriftzug »Rosebud« auf der Sitzfläche deutlich zu erkennen. Der Schlitten steht für Kanes arme, aber glückliche Kindheit, nach der er sich zeit seines Lebens zurückgesehnt hat und die weder durch Reichtum noch Macht aufgewogen werden konnte. Tatsächlich also enthält Rosebud den Schlüssel zu Kanes Persönlichkeit, so wie der Produzent des Nachrufes es vermutet hat. An diesem Beispiel lässt sich besonders gut erklären, wie die Technik des »Säens und Erntens«, die vor allem unter der englischen Bezeichnung »Planting und Payoff« bekannt ist,3 funktioniert. Eine Information (Kanes letztes Wort ist Rosebud) wird den Zuschauern zu einem bestimmten Zeitpunkt 4 zur Verfügung gestellt und wirft eine Frage auf (was bedeutet Rosebud?)5. Im Laufe der filmischen Handlung werden Teilantworten oder Hinweise auf die Antwort gegeben6 und zu einem späteren Zeitpunkt, in diesem Fall am Ende des Films, wird durch eine Information die Frage beantwortet (Rosebud ist Kanes Schlitten)7. Charakteristisch für dieses dramaturgische Mittel ist, dass der Moment des »Erntens« bei den Zuschauern eine Erkenntnis auslöst. Auf der Drehbuchautoren-Plattform »The Script Lab« wird die Technik folgendermaßen definiert: »[…] a device by which a motif, a line of dialogue, a gesture, behavioral mannerism, costume, prop or any combination of these is introduced into a story and then often repeated as the story progresses, until in the changed circumstances toward the resolution, the planted information assumes a new meaning and ›pays off‹«. 8

Erst durch das »Payoff« ist die volle Bedeutung der »gesäten« Information zu erfassen; oft kann erst jetzt überhaupt verstanden werden, dass eine Information »gesät« wurde, 3 | Dennis Eick führt weitere gebräuchliche Bezeichnungen wie »Platzieren und Ernten«, »Vor-

gabe und Einlösung« und »Setup und Payoff« auf. Vgl. Dennis Eick: Drehbuchtheorien. Eine vergleichende Analyse, Konstanz: UVK 2006, S. 95. 4 | Vgl. Citizen Kane, Minute 02:25. 5 | Alleine schon die Inszenierung der Sterbeszene verleiht dem Wort »Rosebud« große Bedeu-

tung, wodurch aufseiten des Publikums der Wunsch erweckt wird, den Sinn des Wortes zu erfahren. Bekräftigt wird dieser Wunsch dann durch die explizit vom Produzenten des Nachrufes gestellte Frage: »But who was she?« Vgl. Citizen Kane, Minute 12:56. 6 | Im Fall von Citizen Kane sind es eher Antworten, was nicht mit Rosebud gemeint ist, wie zum

Beispiel in Minute 28:50, wenn der Journalist an ein Porträt Thatchers gewandt sagt: »You’re not Rosebud, are you?« 7 | Vgl. Citizen Kane, Minute 01:50:59. 8 | Vgl. The Script Lab: http://www.thescriptlab.com/screenwriting/voice/connection/107-plan

ting-and-payoff (02.10.2013).

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das heisst dass sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut relevant werden wird. In der Tat ist diese Variante, wenn erst im Rückblick die »gepflanzte« Information als eine solche zu erkennen ist, jene, die von manchen Autoren ausschließlich unter »Planting und Payoff« verstanden wird, wohl, weil die Sprengkraft der Erkenntnis stärker ist.9 Mich interessiert an dieser Stelle jedoch lediglich die durch Citizen Kane veranschaulichte Version, wenn durch die erste Information ausdrücklich und auf bewusster Ebene eine Frage aufseiten des Publikums ausgelöst wird, denn alleine in diesem Fall wird Spannung erzeugt. So reizvoll der beschriebene Überraschungseffekt für die Zuschauer auch sein mag, ist er für meine Überlegungen in Bezug auf die Ausstellungsarbeit hier nicht ausschlaggebend. Vielmehr steht für mich im Vordergrund, auf welche Weise mithilfe dieser Technik in klassischen Hollywoodnarrationen10 Spannung erzeugt wird und ob die Technik zu diesem Zweck auch in kulturhistorischen Ausstellungen angewendet werden könnte. Dahinter steht die größere Fragestellung, ob es überhaupt möglich ist, in kulturhistorischen Ausstellungen eine Spannung zu erzeugen, wie wir sie aus Theaterstücken, Spielfilmen oder auch Romanen kennen. Dieser Aspekt von Spannung – wir wollen unbedingt die Antwort auf eine Frage wissen11 – macht die Beschäftigung mit ihr in Bezug auf die Ausstellungsarbeit zu einem vielversprechenden Unterfangen. Meine Hypothese lautet, dass die in Hollywoodfilmen verwendeten dramaturgischen Mittel zum Spannungsaufbau in kulturhistorischen Ausstellungen verstärkt dafür genutzt werden könnten, den Wissensdurst der Besucher produktiv zu fördern. Wie exakt aber müssen die Informationen »gesät« werden, damit die Besucher den Wunsch verspüren, die von den Kuratorinnen zur Verfügung gestellten Antworten zu »ernten«? Können die Informationen in Ausstellungen auf gleiche Art und Weise platziert und wirksam werden, wie es in Hollywoodfilmen möglich ist? Oder gibt es Unterschiede, und wenn ja, worin bestehen diese?

9 | Vgl. D. Eick: Drehbuchtheorien, S. 95, Robert McKee: Story. Die Prinzipien des Drehbuch-

schreibens, Berlin: Alexander 2007 (4. Auflage), S. 260, Michel Chion: Techniken des Drehbuchschreibens, Berlin: Alexander 2001, S. 218. 10 | Dieser Begriff bezeichnet Filme, in denen der Held oder die Heldin ein bestimmtes Ziel ver-

folgt. Der Weg zu diesem Ziel ist durch Hindernisse und Antagonisten geprägt. Die einzelnen Ereignisse sind logisch miteinander verbunden und am Ende werden alle noch offenen Fragen beantwortet. Vgl. David Bordwell, Kristin Thompson: Film Art. An Introduction, New York: McGraw-Hill 2010 (9. Auflage), S. 102 – 103. 11 | Innerhalb der Filmwissenschaft wird zwischen verschiedenen Arten von Spannung unter-

schieden (s. z. B. Britta-Karolin Öhding: Thriller der 90er Jahre. Über den Zusammenhang von Struktur, Spannung und Bedeutung aus ausgewählten Spielfilmen, Bardowick: Wissenschaftler-Verlag 1998, S. 11 – 12) und diskutiert, ob ein ungewisser Ausgang – also die noch nicht bekannte Antwort auf eine Frage – überhaupt Voraussetzung für Spannung sein muss. Siehe die Debatte zwischen Robert J. Yanal: »The Paradoxe of Suspense«, in: British Journal of Aesthetics 36 (1996), S. 146 – 158, und Richard J. Gerrig: »Is There a Paradoxe of Suspense? A Reply to Yanal«, in: British Journal of Aesthetics 37 (1997), S. 168 – 174.

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Vier krokodile und eine ausstellung Erste Hinweise soll die Analyse der Ausstellung Die Leidenschaften. Ein Drama in fünf Akten12 des Deutschen Hygiene-Museums Dresden geben, die sich – wie schon der Titel vermuten lässt – bezüglich ihrer Struktur, Gestaltung und Erzählweise an einem klassischen Theaterstück orientiert. Kuratorin Catherine Nichols charakterisiert das Wesen von Leidenschaften, jenen heftigen Emotionen, und zeigt auf, wie sie im Laufe der Geschichte bewertet wurden und welcher Umgang mit ihnen empfohlen wurde. In enger Zusammenarbeit mit der Opernregisseurin Mariame Clément und der Bühnenbildnerin Julia Hansen hat sie das »begehbare Bühnenbild der Ausstellung«13 geschaffen, das auf der Metapher des »Gefühlshaushalts« basiert. Die einzelnen Ausstellungsbereiche sind wie Wohnräume gestaltet und je nachdem, ob die Leidenschaften gerade ab- oder anwesend sind, herrscht in diesen Räumen Ruhe oder ein Chaos aus zerborstenem Mobiliar. In jedem der ersten vier Ausstellungsräume, die den ersten vier Akten entsprechen, befindet sich ein Objekt, welches ein Krokodil darstellt. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass in einer kulturhistorischen Ausstellung eine Objektart mehrmals vorkommt. Auffällig ist in diesem Fall jedoch die prominente Platzierung des ersten und dritten Krokodils, die beide unübersehbar am Anfang des jeweiligen »Aktes« präsentiert werden. Dies lässt vermuten, dass ihnen in der Ausstellungsnarration eine wichtige Bedeutung zufällt. Das erste, präparierte Krokodil hängt in dem ansonsten eher zurückhaltend gestalteten Esszimmer über dem Tisch und empfängt die eintretenden Besucher frontal mit aufgerissenem Maul. Das dritte Krokodil, ein Werk des Künstlers Carsten Höller,14 aus orangefarbenem Kunststoff und vier Meter lang, liegt auf einem niedrigen weißen Podest direkt am Eingang von Akt vier. Die Vermutung, sie seien bedeutsam, wird durch den Objekttext zum ersten Krokodil bestätigt, denn ausdrücklich wird das Krokodil hier als »Sinnbild der Leidenschaften« ausgewiesen. Die Bedeutung der Krokodile zu entschlüsseln, verspricht demnach, das Wesen der Leidenschaften zu ergründen, und so könnte das Ziel der Ausstellung auch zusammengefasst werden.15 Der Verdacht, es könne sich bei den Krokodilen um »Plants« und »Payoffs« handeln, wird durch die Tatsache nahegelegt, dass die Technik des »Säens und Erntens« in

12 | Vgl. Die Leidenschaften. Ein Drama in fünf Akten, Deutsches Hygiene-Museum Dresden,

Laufzeit 25. Februar 2012 bis 30. Dezember 2012, Kuratorin: Dr. Catherine Nichols, Gestaltung und Szenografie: Mariame Clément und Julia Hansen. 13 | Vgl. Die Leidenschaften, Flyer zur Ausstellung. 14 | Krokodil (Crocodile), 2002. 15 | Im Flyer heißt es: »Anhand kostbarer und profaner Objekte aus allen Bereichen des gesell-

schaftlichen Lebens – vom Kunstmuseum bis zur Küche – werden Sie erfahren, was die Menschen seit der Antike und bis heute über ihre Leidenschaften denken, wie sie gefühlt und wie sie gelernt haben, mit ihnen zu leben.«

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wer hat angst vor dem krokodil? Einblick in die ausstellung Die Leidenschaften. Ein Drama in 5 Akten im Deutschen hygiene-museum Dresden.

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Hollywoodfilmen nicht selten mithilfe von Requisiten realisiert wird.16 Im Kontext der Filmhandlung werden die Gegenstände mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen. Entscheidend ist hier, dass auch Kuratorin Nichols die Abfolge der Objekte in Die Leidenschaften analog zum Theater als Handlung begreift.17 In dem Einführungstext zur Ausstellung heißt es: »In dieser Ausstellung begegnen Sie den Leidenschaften unmittelbar, denn die Ausstellung wird als Drama in fünf Akten erzählt, in dem SIE und DIE LEIDENSCHAFTEN die Hauptfiguren sind. Sie bewegen sich räumlich durch das Stück: von Akt zu Akt, von Szene zu Szene. Die Vorstellung beginnt, sobald Sie die Bühne betreten. Toi, toi, toi!«18 Der Verdacht wird durch die Bedeutung der einzelnen Krokodile erhärtet, die aus narratologischer Sicht als »Ereignisse«19, grundlegende Informationseinheiten, verstanden werden können. Denn tatsächlich wird durch Krokodil Nr. 1 eine Frage aufgeworfen, die durch die folgenden drei Krokodile schrittweise beantwortet wird. In dem Objekttext zum ersten Krokodil, dem Präparat mit weit aufgerissenem Maul, steht, dass Krokodile Menschen seit jeher faszinieren und in Wunderkammern oft an der Decke gehangen hätten. Weiter heißt es: »Wie seine Vorgänger möchte auch dieses Krokodil Verwunderung in seinem Gegenüber auslösen. Als Sinnbild der Leidenschaften will es uns mit seinem klaffenden Maul überfallen und verzehren – oder zunächst mal nur anlächeln? Seien Sie gespannt!« Vereinfacht gesagt lautet die Frage: »Sind Leidenschaften gefährlich oder nützlich?« Verstärkt wird die Frage durch einen auf dem Esstisch liegenden Bildband, der das Foto Crocodile Eating Ballerina (1983) von Helmut Newton zeigt. Darauf ist eine nackte Frau zu sehen, deren Oberkörper im Maul eines Krokodils verschwunden ist. Das Krokodil changiert in seiner Bedeutung zwischen Verführung

16 | Paul Joseph Gulino beschreibt ausführlich die Verwendung der Zigarettenschachteln in The

Shop Around the Corner (USA, 1940), Regie: Ernst Lubitsch, Drehbuch: Samson Raphaelson. Vgl. Paul Joseph Gulino: Screenwriting. The Sequence Approach, New York: Continuum International Publishing Group 2004, S. 44 – 48. Siehe zum Beispiel auch den Einsatz der Spieluhren in Music Box (USA, 1989), Regie: Costa-Gavras, Drehbuch: Joe Eszterhas. 17 | Die Parallelen zwischen Spielfilmen und Theaterstücken sind so stark, dass es gerechtfertigt

scheint, sich in Bezug auf die Technik des »Säens und Erntens« auf beide Medien zu beziehen. Die Drehbuchliteratur bezieht sich in vielfältiger Weise auf Dramentheorien. Besonders deutlich wird dies bei Ari Hiltunen: Aristotle in Hollywood. The Anatomy of Successful Storytelling, Bristol: Intellect Ltd 2002. 18 | Dieser Text hing in einem Vorraum, der wie ein Theaterfoyer gestaltet war. 19 | Matias Martinez und Michael Scheffel definieren ein »Ereignis« als »die elementare Ein-

heit eines narrativen Textes im Bereich der Handlung […]«. Matias Martinez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München: C. H. Beck 2002 (3. Auflage), S. 25. Heike Buschmann verwendet den Begriff ebenfalls für die Analyse einer Ausstellung. Vgl. Heike Buschmann: »Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse«, in: Joachim Baur (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld: transcript 2010, S. 149 – 169, S. 155 – 156.

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und Vernichtung, da die anmutige Pose der Ballerina nicht entscheiden lässt, ob sie freiwillig oder unfreiwillig in diese Lage geraten ist. Das nächste Krokodil ist im zweiten Akt, dem »Konflikt«, ausgestellt. Hier werden unterschiedliche und gegensätzliche Wertungen der Leidenschaften durch die Geschichte thematisiert. Eine kleine, handgeschnitzte Holzskulptur stellt ein Krokodil in Menschengestalt dar. Lässig hat es die Hände in den Hosentaschen vergraben. Der dazugehörige Objekttext thematisiert Charles Darwins Theorie, Leidenschaften seien mit den Instinkten bei Tieren vergleichbar und für die Selbsterhaltung wichtig. Diesem Krokodil könnte demnach die Aussage zugewiesen werden: »Leidenschaften sind nützlich.« Das bereits beschriebene Krokodil von Carsten Höller ist im dritten Akt exponiert, dem »Höhepunkt«, in dem die Leidenschaften außer Rand und Band geraten und gehörigen Schaden anrichten. Im Objekttext wird es als »furchteinflößend« beschrieben, womit es hiermit auf die durch Krokodil Nr. 1 aufgeworfene Frage antwortet: »Leidenschaften sind gefährlich.« Das vierte Krokodil ist in Akt vier, der »Wendung«, zu finden, in dem verschiedene Methoden vorgestellt werden, mit deren Hilfe Leidenschaften gezügelt werden können. Es handelt sich um eine Handpuppe aus einem Kasperletheater. Im Objekttext wird erklärt, dass das Kasperletheater einen kontrollierten und in verträgliche Bahnen gelenkten Umgang mit heftigen Gefühlen ermögliche, da das Kasperle stets das böse Krokodil bezwinge. Abschließend wird auf die anfangs aufgeworfene Frage »Sind Leidenschaften gefährlich oder nützlich?« also die Antwort gegeben: »Leidenschaften können gefährlich sein, doch wenn sie mithilfe bestimmter Maßnahmen gezügelt werden, sind sie nützlich.«

Die ausstellung ist kein Film Die Analyse spricht also dafür, dass der Einsatz der Krokodile tatsächlich als »Säen und Ernten« gedeutet werden kann. Dennoch hat sich beim Anblick des ersten Krokodils auf meiner Seite keine Spannung eingestellt.20 Interessanterweise habe ich, obwohl ich die Frage »Sind Leidenschaften gefährlich oder nützlich?« bereits an Ort und Stelle schriftlich fixiert habe, die Information unverzüglich in die Aussage umgemünzt: »Leidenschaften sind ambivalent.« Ich habe zwar den Wunsch verspürt, weitere Eigenschaften von Leidenschaften im Ausstellungsverlauf kennenzulernen, wurde aber von keiner Frage bewegt. Eine Erklärung hierfür könnte die Erwartungshaltung sein, mit der wir typischerweise Ausstellungen besuchen und auf die Werner Hanak-Lettner in

20 | Roswitha Muttenthalers und Regina Wonischs Ausstellungsanalysen folgend, nehme ich

mich als »Subjekt der Rezeption« ernst und habe bewusst keine Besucherbefragungen durchgeführt. Roswitha Muttenthaler / Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld: transcript 2006, S. 238.

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Die Ausstellung als Drama eingeht.21 Er beschreibt im Folgenden zuerst die Erwartungshaltung, mit der wir Filme anschauen, und geht dann auf Ausstellungen ein: »Erstens gibt es da Drehbücher in unserem Kopf, die uns sagen, jetzt wird es spannend, und zweitens vertrauen wir, dass diese offenen Fragen irgendwann einmal geklärt werden. Wenn sie der Film letztendlich dann doch nicht liefert, werden wir ihm das möglicherweise als Schwäche anlasten, aber vorerst gilt einmal der Vertrauensgrundsatz. In der Ausstellung hingegen müssen die Informationen sofort geliefert werden.« 22

Als einen Grund führt er an, dass wir gewohnt seien, »[…] Ausstellungen als primär räumliche und nicht als zeitliche Konstruktionen zu begreifen […]«.23 Würden Informationen nicht an der Stelle zur Verfügung gestellt werden, wo das betreffende Objekt ausgestellt ist, reagierten wir frustriert. Es wäre also möglich, dass das durch vielfache Ausstellungsbesuche verfestigte mentale Skript »Ausstellungen vermitteln Informationen«, mit dem ich Die Leidenschaften betreten habe, die durch Krokodil Nr. 1 aufgeworfene Frage in ihrer Wirkung entkräftet hat. Ein weiterer möglicher Grund, warum ich die Frage zwar zur Kenntnis genommen, aber dennoch keine Spannung empfunden habe, könnte die Komplexität der Ausstellungssituation gewesen sein. So prominent Krokodil Nr. 1 im Raum platziert war, so schwer hatte es sich gegen die Fülle der auf mich einströmenden Fragen und Informationen durchzusetzen. Gerade hier am Beginn der Ausstellung musste ich mich erst einmal in das Setting einfinden: Wo finde ich den Einführungstext? Welcher Art von Objekten sehe ich mich gegenüber? Ich sehe schon den zweiten Ausstellungsbereich, was erwartet mich dort? Wie groß ist die Ausstellung überhaupt? 24 Auch klassische Hollywoodnarrationen können ohne Frage vielschichtig und kunstfertig gewebt sein, doch während sie uns ein, noch dazu durch einen Rahmen beschränktes Bild nach dem anderen präsentieren, ringen die »Bilder« der Ausstellung parallel um unsere Aufmerksamkeit. Neben der Erwartungshaltung und der Vielschichtigkeit der Ausstellungssituation ist als mögliche Erklärung die zentrale Rolle von Objekten für das Medium Ausstellung 21 | Meines Wissens ist Hanak-Lettner der einzige Autor, der sich bisher mit der Technik des »Sä-

ens und Erntens« in Bezug auf kulturhistorische Ausstellungen befasst hat, auch wenn er diesen Begriff nicht verwendet, sondern allgemein von »Verbindungen zwischen den Dingen« spricht. Die von ihm beschriebenen Beispiele tragen aber Charakterzüge des »Säens und Erntens«. Vgl. Werner Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand, Bielefeld: transcript 2011, S. 182 – 186. 22 | W. Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama, S. 26. 23 | Vgl. ebd. 24 | Auch die soziale Interaktion mit anderen Besuchern kann einen entscheidenden Einfluss auf

die Wahrnehmung der Ausstellungsobjekte haben. Vgl. Dirk vom Lehn / Christian Heath / Jon Hindmarsh / Paul Luff: »Interaktion an und mit Ausstellungsstücken. Video-basierte Analysen in Museen«, in: Standbein/Spielbein 91 (2011), S. 46 – 51.

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zu nennen. Die Bedeutungen sind eben nicht in den Gegenständen eingeschrieben, sondern werden ihnen zugeschrieben, und zwar in hohem Maße von den Besuchern selber.25 Das erste Krokodil hat auf mich persönlich lediglich Gefahr ausgestrahlt und den Aspekt der Nützlichkeit nicht berührt. Ohne den Objekttext wäre die beabsichtigte Frage auf meiner Seite nicht evoziert worden. Das orangefarbene Krokodil hingegen wirkte auf mich nicht »furchteinflößend«, sondern wegen seines lächelnden Maules und der fröhlichen Farbe lustig und positiv. Die Wirkung der Objekte selber hatte einen höheren Stellenwert als die Aussagen der Objekttexte. Selbstverständlich können auch die Informationen in filmischen Narrationen von einer hohen Mehrdeutigkeit geprägt sein, wenn ich zum Beispiel einem Schauspieler, den ich persönlich nicht attraktiv finde, nur schwer die Rolle des Verführers abnehmen kann. Die Verbindung aber zwischen den Worten, die Schauspieler äußern, oder den Gesten, die sie vollführen, ist unmittelbarer und stärker als jene zwischen Objekt und Objekttext in einer Ausstellung.

Der dramaturgische werkzeugkasten Auch wenn die mithilfe der Krokodile realisierte Technik des »Säens und Erntens« in der Ausstellung Die Leidenschaften auf meiner Seite keine Spannung erzeugt hat, ziehe ich daraus keinesfalls den Schluss, dass die Technik generell keine Anwendung in kulturhistorischen Ausstellungen finden könnte. Im Gegenteil. Abgesehen davon, dass sich nur anhand eines einzigen Beispiels keine solch allgemeingültige Aussage treffen ließe, enthält gerade das »Scheitern« wichtige Hinweise darauf, welche Bedingungen erfüllt werden müssten, um in Ausstellungen Spannung als Motivationskraft auf narrativer Ebene nutzen zu können. Die Erwartungshaltung, die Werner Hanak-Lettner als »Drehbücher im Kopf«26 bezeichnet, spielt eine wesentliche Rolle, ob sich Spannung im beschriebenen Sinn aufseiten von Ausstellungsbesuchern überhaupt einstellen kann. Nicht gewohnt daran, in Ausstellungen »Plants« vorzufinden, lassen sich jene, die ausnahmsweise eingebaut worden sind, nur mühsam als solche entschlüsseln. Wer aber sagt denn, dass solche mentalen Drehbücher nicht umzuschreiben wären? Auch das Medium Film wurde in seinen Anfangsjahren kaum dafür genutzt, Geschichten zu erzählen, wie der Filmwissenschaftler Tom Gunning verdeutlicht hat.27 Stattdessen wurden dem Publikum 25 | Vgl. Peter Vergo: »The Reticent Object«, in: Peter Vergo (Hg.), The New Museology, London:

Reaktion Books Ltd 1989, S. 41 – 59, S. 46, und John H. Falk / Lynn D. Dierking: The Museum Experience Revisited, Walnut Creek: Left Coast Press 2013. 26 | W. Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama, S. 187. Er verwendet den Begriff in Rückgriff auf

Christian Mikunda: Der verbotene Ort oder Die inszenierte Verführung. Unwiderstehliches Marketing durch strategische Dramaturgie, Frankfurt/Main: Ueberreuter Wirtschaftsverlag, S. 19 – 33. 27 | Vgl. Tom Gunning: »1902 – 1903, Movies, Stories, and Attractions«, in: André Gaudreault

(Hg.), American Cinema 1890 – 1909, Themes and Variations, New Brunswick: Rutgers University Press 2009, S. 112 – 132.

Im Vordergrund die arbeit Krokodil des künstlers carsten höller, im hintergrund die außer rand und band geratenen leidenschaften.

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Attraktionen vorgeführt, wie zum Beispiel die Ankunft eines Zuges.28 Mit der Veränderung des Mediums haben sich auch die Skripte in den Köpfen der Zuschauer gewandelt und angepasst. Der Punkt ist: Wenn die »Narrativität« 29 dem Medium Film nicht zwingend eingeschrieben ist – könnte sich dann nicht auch das Medium Ausstellung auf der Ebene der Informationsvergabe zu einer größeren Narrativität hin entwickeln lassen? 30 Eine solche Umformung jedoch wäre nur sinnvoll, wenn es hierfür dringliche Gründe gäbe. Ich halte den Grund, die Aufmerksamkeit der Besucher auf narrativer Ebene durch den Einbezug von Spannung zu stärken, für gewichtig genug, die Grenzen und Potenziale einer solchen Umgestaltung zumindest auszuloten. Klassische Hollywoodnarrationen können hier wichtige Impulse geben, denn für deren Autoren ist die Aufmerksamkeit des Publikums das höchste Gut.31 Die Gründe hierfür reichen weit über monetäre Interessen hinaus. In der Kunst des Drehbuchschreibens wird Spannung als wichtiges Vehikel gewertet, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln und, mehr noch, die Zuschauer aktiv in das filmische Geschehen einzubinden.32 Denn in dem Moment, wo durch die gezielte Informationsvergabe eine Frage ausgelöst wird, beginnen die Zuschauer Hypothesen zu bilden und kontinuierlich mögliche Antworten auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen.33 Um auf die durch die Technik des »Säens und Erntens« erzeugte Spannung zurückzukommen, bedeutete dies, dass die Linearität in Ausstellungen – gegen den Trend 34 – 28 | L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat (Frankreich, 1896), Regie: Auguste und Louis

Lumière. 29 | Siehe zum Beispiel Kristin Thompsons Definition: »In any medium, a narrative can be

thought of as a chain of events occurring in time and space and linked by cause and effect.« Kristin Thompson: Storytelling in the New Hollywood. Understanding Classical Narrative Technique, Cambridge: Harvard University Press 1999, S. 10. 30 | Ich beziehe mich hier ausdrücklich auf die Strukturierung und Abfolge der »Ereignisse«

und nicht auf das Kreieren von »narrativen Räumen« im Sinne der Gestaltung von Ausstellungen, auch wenn beides bei der Konkretisierung von Ausstellungsprojekten Hand in Hand geht. Vgl. David Dernie: Exhibition Design, New York: W. W. Norton & Company 2006, und Lee H. Skolnick: »Beyond narrative: designing epiphanies«, in: Suzanne MacLeod / Laura Hourston Hanks / Jonathan Hale (Hg.): Museum Making. Narratives, architectures, exhibitions, London: Routledge 2012, S. 83 – 94. 31 | Vgl. David Howard / Edward Mabley: The Tool of Screenwriting. A Writer’s Guide to The

Craft and Elements of a Screenplay, New York: St. Martin’s Press 1993, S. 22 – 23. 32 | Vgl. ebd., S. 37 – 38. Vgl. François Truffaut (unter Mitarbeit von Helen G. Scott): Mr. Hitch-

cock, wie haben Sie das gemacht?, München: Carl Hanser 1973, S. 62. 33 | Vgl. Burkhard Driest: Poetik des Filmdramas für Drehbuchautoren, Frankfurt/Main: Zwei-

tausendeins 2001, S. 115 – 116. 34 | George E. Hein charakterisiert in seinem einflussreichen Werk Learning in the Museum

das von ihm favorisierte »konstruktivistische Museum« folgendermaßen: »The idea that a topic can be arranged linearly, like a text, will not even be considered.« George E. Hein: Learning in the Museum, London: Routledge 1998, S. 38. Nina Simon hingegen stellt diesen Trend

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stärker betont werden müsste. Denn nur wenn die Frage abgerufen würde, bevor sich die Besucher die Antworten erlaufen, entstünde überhaupt Spannung. Ich meine damit auf keinen Fall, dass alle Ausstellungen linear verlaufen sollten. Ich halte es für eine der größten Qualitäten des Mediums Ausstellung überhaupt, dass das Netz der Informationen lockerer gewebt ist als in anderen narrativen Medien und dadurch kreative Freiräume in den Köpfen des Publikums entstehen können, was vor allem dem räumlichen Charakter, der Bewegung der Besucher und der Assoziationskraft der Objekte zu verdanken ist. Aber meiner Meinung nach ist es lohnenswert, präzise auszuloten, was in den Koffer mit den dramaturgischen Werkzeugen von Kuratoren gehört und hierbei von anderen Medienmachern zu lernen. Die Analyse der Technik des »Säens und Erntens« legt nahe, dass für eine erfolgreiche Anwendung und den Aufbau von Spannung unbedingt ein Lautsprecher in den kuratorischen Werkzeugkasten gehört. Denn nur wenn die Frage so gestellt wird, dass sie nicht überhört werden kann, kann die Antriebskraft der Spannung die Besucher beflügeln. Inwieweit sich die Objekte in ihrer Mehrdeutigkeit und sich Ausstellungen mit ihrem raumhaften Charakter einer solchen Dramaturgie widersetzen oder sie gar verunmöglichen, bleibt: spannend.

infrage und betitelt einen Blog-Beitrag mit »Should Museum Exhibitions Be More Linear?«. Sie schreibt: »Maybe we fight our own purposes when we deliberately eschew the powerful dramatic tools available in the linear storytelling format.« Nina Simon: Should Museum Exhibitions Be More Linear? Exploring the Power of the Forced March in Digital and Physical Environments, Museum 2.0., 09.01.2013: http//www.museumtwo.blogspot.de/2013/should-museum-exhibi tions-be-more.html (27.08.2013).

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hollywood oder hörsaal?

Zwischen dramaturgischer sinnstiftung und historischer redlichkeit Erika Hebeisen und Denise Tonella

Politische Geschichte ist ein sperriger Ausstellungsgegenstand, die Wirtschaftsgeschichte ebenso. Je weiter die Themen in der Vergangenheit zurückliegen, desto stärker müssen zeitliche und lebensweltliche Distanzen überbrückt werden. Dafür sind dramaturgische Mittel überaus hilfreich: Sie haben Unterhaltungswert und bieten Besucherinnen und Besuchern mit wenig historischem Vorwissen lebensweltliche Anknüpfungspunkte und thematische Einstiegshilfen. Gleichzeitig gestalten und strukturieren sie den Ausstellungsraum und sie schaffen zusammen mit einem übergeordneten Narrativ inhaltliche und räumliche Orientierungsmöglichkeiten. Geschichte als anregende Unterhaltung zu vermitteln, darauf zielt die Dauerausstellung Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert des Schweizerischen Nationalmuseums im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz. Gerade für dieses Museum an peripherem Standort, zu dem die meisten eigens anreisen müssen, scheint es umso wichtiger, einladend auf die Besucherinnen und Besucher zuzugehen. Wir wollen die Leute bei ihren Rezeptionsgewohnheiten abholen, und zwar mit einer Ausstellung, die weder »Elfenbeinturm-Allüren« hat noch sich in »Disneyworld-Sensationen« verliert.1 Die Ausstellung geht den Entstehungsbedingungen der Eidgenossenschaft nach. Sie führt die Besucher zurück in die Zeit vor der alten Eidgenossenschaft und begleitet sie auf einem Weg von Mitteleuropa über die Alpen in die Zentralschweiz. Diese Erzählung spielt sich in drei geopolitischen Räumen ab und erstreckt sich im Museum gleichsam von oben nach unten über drei Etagen. Zentrales Orientierungsmittel ist also

1 | Vgl. Gabriele Detterer: »Architektur mit alpinen Konturen. Museumsneubau von Renzo

Piano in Trento«, in: Neue Zürcher Zeitung, 12.9.2013, Nr. 211, S. 13.

Hollywood oder Hörsaal?

eine Art geopolitischer Trichter. Dafür haben wir verschiedene dramaturgische Mittel erprobt, drei davon sollen im Folgenden vorgestellt werden.

atmosphärische raumbilder Ziel der atmosphärischen Raumbilder ist es, eine Ausstellungsbühne zu kreieren, bei deren Betreten die Besucher zentrale Facetten des Themas spontan erkennen. Der immersive Charakter des Raumes vermittelt unmittelbar, für alle Besuchergruppen verständlich, worum es hier im Wesentlichen geht. Auf der untersten Ausstellungsetage ist dies der Wald, der für Ländlichkeit und bäuerliche Welt steht.2 Die Wände sind mit einer hinterleuchteten Laubwaldtapete bespannt, im Raum verteilen sich rund 20 Bäume und es ist Vogelgezwitscher zu hören. Hier wird die Entstehung der Eidgenossenschaft aus der Perspektive der ländlichen Innerschweiz, aus der Sicht der Länderorte, erzählt. Die Kombination von Laubbäumen, warmem Licht und Vogelstimmen spielt mit einem der wirksamsten dramatischen Mittel: mit der Wiederkennung.3 Der Wald markiert den Handlungsort und verweist auf zentrale Akteure der Geschichten in diesem Raum. Er spielt zudem auf die Bezeichnung »Waldstette« für die Länderorte Uri, Schwyz und Unterwalden an.4 Die Rauminszenierung funktioniert also vorgängig emotional-intuitiv, ermöglicht aber zugleich ein kognitives Anknüpfen an historisches Vorwissen.

thematische leitfiguren Leitfiguren dienen dazu, spezifische Themenfelder zu eröffnen und sind historisch vielschichtiger als Raumbilder. Sie sind zugleich »Eye-Catcher« und »Bremser«, werfen aber auch Fragen auf, die in der Ausstellung beantwortet werden. Niemand kommt um sie herum, sie stehen beim Zugang zur jeweiligen Ausstellungsetage. Im Erdgeschoss werden die Besucherinnen und Besucher von einer toten Kuh mit aufgeschlitzter Kehle empfangen. Das präparierte Tier liegt da als Opfer einer mittelalterlichen Fehde. Fehden waren für den Adel eine Form von Selbstjustiz, die bäuerliche Bevölkerung brachten diese Konflikte um ihre Ernten. Weil für ihren Schaden kein Gericht zuständig war, gilt der Wunsch nach eigenen Gerichten als plausibler Beweggrund für die Formierung ländlicher Kommunen.5 2 | Auf der mittleren Etage haben wir mit dem begehbaren Berg ein Raumbild geschaffen. 3 | Vgl. Werner Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater

entstand, Bielefeld: transcript 2011, S. 23. 4 | Vgl. Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz, Baden: hier + jetzt 2010, S. 30. 5 | Vgl. Peter Blickle: »Friede und Verfassung. Voraussetzungen und Folgen der Eidgenossen-

schaft von 1291«, in: Hist. Verein der fünf Orte (Hg.), Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft, Bd. 1: Verfassung – Kirche – Kunst, Olten: Walter-Verlag 1990, S. 64 – 93.

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Die tote kuh als opfer einer mittelalterlichen Fehde – und als leitfigur in der ausstellung Entstehung Schweiz.

Hollywood oder Hörsaal?

Ein weiteres Beispiel für eine Leitfigur ist der Ritter hoch zu Ross. Er erinnert an die adlige Kultur des Krieges und ist heute eine medial stark verbreitete Mittelalterfigur. Diese Prominenz nutzen wir, indem wir bei den Wissensbeständen der Besucher anknüpfen. Der aufrechte Ritter in der stolzen Vertikale bildet auf der obersten Ausstellungsetage den Ausgangspunkt für die Geschichte adliger Herrschaft in Europa. Im untersten Geschoss findet sich der Kontrapunkt: Auf einer horizontalen Grabplatte zeugt der gefallene Ritter vom Sieg eidgenössischer Truppen über ein Adelsheer.

multisensorische Inszenierung Die Ausstellung Entstehung Schweiz bedient sich einer »polyphone[n] Erzählstruktur, die von vielen verschiedenen Quellen und Medien getragen wird«.6 Ausstellungsräume dienen als Bühne, auf der sich Besucher bewegen und mit dem Ausgestellten und Erzählten in Dialog treten. Das Zusammenspiel von historischen Zeugnissen, Installation, Medienstationen, Visualisierungen und Reproduktionen spricht auf einer Vielzahl von Kanälen verschiedene Sinne an. Die Kombinationen eröffnen den Besucherinnen und Besuchern mehrere Wege und Mittel, sich in den Ausstellungsräumen zu bewegen und sich Inhalte anzueignen. Im Folgenden ein Beispiel dafür: Auf der untersten Etage wird unter anderem die Schlacht zwischen habsburgischen und eidgenössischen Truppen bei Sempach in Szene gesetzt. In Bäumen erscheinen die Waffen der Eidgenossen, hinter der gegenüberliegenden Glaswand die Waffen der Habsburger. Die Gegenüberstellung der Bewaffnung veranschaulicht adlige und bäuerliche Kriegsführung. In der Mitte liegt die erwähnte monumentale Grabplatte eines in Sempach gefallenen Ritters, über ihm die Inszenierung militärischer Bedrohung mit Halbarten und Harnischen. Das Ganze auf weichem Humusboden, untermalt von Waffenklirren und eingebettet in eine Waldkulisse. Hinter der Szene, sichtbar durch eine Glasscheibe, das Spielzimmer für Ritter und Burgfräulein. Abschließend illustriert ein Gemälde, das Winkelried als legendären Helden von Sempach zeigt, die Rezeption der Schlacht. Hier kann man also schauen, hören, deuten, verknüpfen, sich verkleiden und nicht zuletzt die Aura von Objekten aus dem 14. Jahrhundert einfangen. Diese vielschichtige und multisensorische Inszenierung gibt den Besucherinnen und Besuchern individuelle Möglichkeiten der Aneignung und Deutung von historischen Zusammenhängen.

grenzen der Dramaturgie Doch wie viel Inszenierung brauchen historische Zeugnisse und wo gelangen wir an den Punkt, an dem dramaturgische Mittel lediglich der Effekthascherei dienen? Aus kuratorischer Sicht werden die Grenzen der Dramaturgie da erreicht, wo die Inszenierung im Dienst eines übergeordneten Narrativs den Blick auf eine historisch redliche 6 | W. Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama, 2011, S. 16.

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Erika Hebeisen und Denise Tonella

Vermittlung der Objekte nicht schafft, sondern verstellt. Jede Anordnung im Raum erzeugt bereits eine Dramaturgie. Gleichzeitig sind Objekte auf eine Dramatisierung angewiesen, wenn sie als Teil einer übergeordneten Erzählung vermittelt werden sollen. Keinesfalls wollten wir die Dinge allein den persönlichen Lesarten der Besucherinnen und Besucher überlassen. Vielmehr zielten wir mit dem Einsatz dramaturgischer Mittel darauf ab, eine Geschichte anhand von materiellen Bedeutungsträgern zu erzählen. Die Entstehung der Eidgenossenschaft liegt zeitlich weit zurück und nur wenige Dinge von damals sind bis in die Gegenwart erhalten geblieben. Diese seltenen Dinge gilt es, in einer Ausstellung medial und szenografisch zu vermitteln, wobei immer bestimmte Bedeutungen ein- und andere ausgeschlossen werden. Wie der Blick auf ein Objekt versperrt und damit ein Exponat quasi zum Verschwinden gebracht wird, zeigt das Beispiel des Attinghauser Kästchens auf der untersten Etage der Ausstellung, im »Laubwald«. Erst wenn sich der Besucher von der zentralen Szene mit der Landsgemeinde abwendet, rückt hinter einem Baum die Vitrine mit dem reich verzierten Kästchen aus dem Urner Geschlecht der Attinghausen ins Blickfeld. Sie gibt den entscheidenden Hinweis: Die Freiherren von Attinghausen stellten um 1300 während fast 50 Jahren den Landammann. Ihnen gelang es, im Prozess der Kommunalisierung ihren Status zu behaupten. Zwar wird der Landammann als oberste politische Instanz von der Landsgemeinde gewählt, es ist aber historisch erwiesen, dass sich für dieses Amt noch lange keine einfachen Landleute durchsetzten.7 Dieser historiografische Einwand irritiert die populäre Vorstellung von den Länderorten als politische Gemeinschaft von Gleichen. Es stört das traditionelle Geschichtsbild von der Innerschweiz als Urdemokratie. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dem Exponat als Repräsentanten einer geschichtspolitischen Irritation zu wenig Raum zukommt. Da wurden dramaturgische Mittel gegen die historische Redlichkeit eingesetzt, um nicht vom übergeordneten Narrativ abzulenken. Unsere Aufgabe als Ausstellungskuratorinnen ist es, für die Balance zwischen Inszenierung und historischer Redlichkeit einzustehen. Wie schmal dieser Grat ist, zeigt das Beispiel des Attinghauser Kästchens. Ein roter Faden in Form eines starken, übergeordneten Narrativs ist für die Vermittlung einer Aussage zentral. Gleichzeitig müssen Kuratorinnen und Kuratoren dafür sorgen, dass dies nicht auf Kosten der materiellen Überlieferung und differenzierter Betrachtungsmöglichkeiten geschieht.

7 | Vgl. Hans Stadler: »Landsgemeinde« in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-

dhs-dss.ch/textes/d/D10256.php (15.11.13).

Der tote ritter steht im Zentrum der szenerie zur schlacht bei sempach. Er repräsentiert die opfer der kriegerischen landleute.

Eindeutig vieldeutig

skizzen, Vermutungen und ein starkes narrativ Lisa Noggler-Gürtler

»[Dieser Ansatz] verlangt, dass wir unser eigenes historisches Wissen dekonstruieren, dass wir das allzu Bekannte vergessen oder vielmehr in Klammern setzen, um uns von der Gewohnheit zu lösen, die Vergangenheit in globaler Perspektive oder nach Maßgabe von ideologisch geprägten Einschnitten zu deuten. Dieses historische Wissen soll im Hinterkopf bleiben, um nach einer anderen Logik zusammengebaut zu werden.« 1

Dramaturgie, Storyline, Narration und Storytelling bergen als Lehnbegriffe aus anderen Disziplinen in ihren Definitionen die Möglichkeit, das eigene Tun, das Ausstellen, das Ausstellung-Machen zu spezifizieren, zu schärfen – verweisen aber gleichzeitig auch auf die Grenzen derartiger Vergleiche. »Ausstellen heißt Geschichten im Raum erzählen« 2 und offeriert den Betrachtern mit dem kuratorischen und gestalterischen Konzept eine von vielen Deutungsmöglichkeiten. Das räumliche »Erwandern« eines Themas als erlernte Kulturtechnik 3, bedeutet 1 | Alain Corbin: Auf den Spuren eines Unbekannten. Ein Historiker rekonstruiert ein ganz

gewöhnliches Leben, Frankfurt: Campus 1999, S. 183. 2 | Stapferhaus Lenzburg: Dramaturgie und Narration in der Ausstellungsarbeit. Eine Arbeits-

tagung für Museumsfachleute, 2013, Flyertext: http://www.stapferhaus.ch/kursereihen/x-posi tionen/2013-dramaturgie/ (20.11.13). 3 | Wenn man davon ausgeht, dass jede Ausstellungserzählung, jede Darstellungsweise Teil einer

symbolischen Praxis ist, mit der sich eine Gesellschaft ihrer kulturellen Bedeutung und Vergangenheit versichert – dann spiegeln sich in Museen und Ausstellungen gesellschaftliche Selbstkonzeptionen und wissenschaftliche Positionen wider. Ausstellungen sind Teil kultureller Praktiken, in denen sich Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und kollektive Narrationen sowie gesellschaftliche Diskurse und Wissensformen manifestieren. Vgl. Roswitha Muttenthaler / Regina Wonisch: »Grammatiken des Ausstellens. Kulturwissenschaftliche Analysemethoden

Eindeutig vieldeutig

auch für die Besucher, bereits mit einer vertrauten Haltung einen Raum mit inszenierten Objekten zu begreifen. »Gesten des Zeigens« 4 – oder »Sprechakte« 5 der Kuratorin – treffen auf assoziative Annäherungen an diesen Sprechakt, an die Perspektive, den Blickwinkel der Ausstellungsmacher seitens des Publikums. Die Anordnung der Exponate, der inszenierte Raum scheinen eine kontrollierbare Deutung vorzugeben, das selbstständige Erwandern eines Ortes, die individuell unterschiedliche Verweildauer erschweren es, für solcherart heterogenes Verhalten von Dramaturgie oder Narration im engeren Sinn zu sprechen. Im anschließend besprochenen Beispiel werden daher auch noch Begriffe wie Spannungsbogen, konzeptuelle Grundhaltung und gewünschte Assoziationsketten herangezogen. In Römer oder so. Eine Ausstellung zum Gräberfeld in Brigantium 6 im neu eröffneten vorarlberg museum Bregenz steht ein Teil der archäologischen Sammlung des Museums im Mittelpunkt. Die Voraussetzung, jene Sammlung zu zeigen, und die Vorgabe, damit generationenübergreifend Besucher anzusprechen, hatte zur Folge, sich in Bezug auf Inhalt und Gestaltung der Ausstellung sehr genau mit den Bedürfnissen eines heterogenen Publikums zu befassen, um individuelle, vor allem aber auch gemeinsame Erfahrungen altersgerecht anzubieten. Entlang der, wie es scheint, sehr naheliegenden und klaren Frage »Wer liegt da begraben?« bzw. »Wer lebte hier und wie kann man sich dieses (Zusammen-)Leben vorstellen?« werden die kleinen und großen Besucher eingeladen, sich mit dem römerzeitlichen Friedhof von Brigantium mit den über 1200 Gräbern über einen Zeitraum von ca. 460 Jahren (10 v. Chr. bis 450 n. Chr.) zu befassen. Im gegebenen geografischen und zeitlichen Raum ist diese Frage an jenen Prozess geknüpft, der entweder usurpatorisch als »Romanisierung« oder aber sich gegenseitig kulturell austauschend als »Romanisation« verstanden wird, sowie an die Entwicklung neuer lokaler Kulturen. Dem gegenüber stehen die antiken schriftlichen Quellen und ihre bis heute wirksamen (Fremd-)Bilder und deren Rezeption hinsichtlich der eigenen und kollektiven Identität. Die archäologische Forschung definiert für Brigantium ausgehend von Grabformen,

musealer Repräsentation«, in: Christina Lutter / Lutz Musner (Hg.), Kulturwissenschaften in Österreich, Wien: Löcker 2003, S. 117 – 133. 4 | Vgl. Roswitha Muttenthaler / Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von

Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld: transcript 2006. 5 | Vgl. Mieke Bal: Sagen, Zeigen, Prahlen, in: Mieke Bal, Kulturanalyse, Frankfurt am Main:

Suhrkamp 2002, S. 72 – 117. Mieke Bal: Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis, London/New York: Routledge Chapman & Hall 1996. 6 | Eröffnung am 21.6.2013. Kuratorische Leitung: Lisa Noggler-Gürtler; konzeptionelle Bera-

tung: Gabriele Rath; wissenschaftliche Leitung: Gerhard Grabher; Szenografie und Gestaltung: Ursula Gillmann, Matthias Schnegg, Birgit Noij; Grafikdesign: Roland Stecher, Thomas Matt; Illustrationen und Animationen: xkopp creative; Texte, Hörgeschichten, Dialoge, Animationen: Petra Nachbaur; wissenschaftliche Beratung: Michaela Konrad, Maria Bader, Irene Knoche, Ferdinand Neuberger, Andreas Picker, Christoph Ulf.

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Lisa Noggler-Gürtler

Beigaben, Bestattungssitten sogenannte »latènezeitliche oder gallische«, »römerzeitliche« und »germanische« Objektgruppen. Auf konkretere Fragen nach der kulturellen Herkunft, männlichen und weiblichen Rollen oder simpel »Wann?« oder »Wie alt?« fallen die Antworten oft vage aus. Trotz aller verfügbaren wissenschaftlichen Befunde bleibt vieles nur wahrscheinlich und es wird mit generellen Annahmen und Indizienketten argumentiert.

Das ungefähre ist der kern der geschichte Diese Indizienketten, das Spekulative, das Unsichere und Vage stehen nun im Mittelpunkt der Ausstellung, sind zum Konzept erhoben und die Besucher werden aktiv eingeladen, neue Bilder zu generieren. Stereotypen über mögliche Personen weichen im Ausstellungsraum zugunsten der Vorstellung verschiedener Gruppen: Frauen, Männer, Alte, Junge, kulturelle Zuschreibungen und Mischformen, Ärmere, Reichere. Das »Ganz genau weiß man es nicht«, »Es kann so gewesen sein«, »Es ist wohl aus dem Jahr xy, könnte von az kommen und ist vermutlich ein w« ist Kern der Ausstellung. Die Summe kleinerer Perspektivenwechsel soll den Besuchern ermöglichen, über das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, Traditionen und Sozialisierungen zu reflektieren. Insofern wird zwar das Erwartete (Scherben, Fibeln, Gürtelschnallen, Glasgefäße, Schmuck, Scherben, Tongefäße, Scherben) gezeigt, aber keine erwartete Deutung angeboten. Römer oder so weicht von herkömmlichen Erzählungen ab, zeigt die unbekannten Seiten der bekannten Objekte, widmet sich – ganz im Sinn einer »guten Erzählung« – den Abweichungen, den Unwägbarkeiten – das ist der wichtigste Spannungsbogen, die Grundhaltung der Ausstellung. Die Besucher lernen den Reiz des Vielleicht zu schätzen, wenn diese Vieldeutigkeit nicht mit Beliebigkeit zu tun hat, sondern mit Möglichkeiten und sie so die lähmende (vermeintliche) Eindeutigkeit überflügelt. Die Ausstellung zielt darauf ab, sich mit Klischees, Stereotypen und althergebrachten Bildern zu den Römern, den Germanen, den Galliern auseinanderzusetzen: Auf der Galerie etwa begegnen die Besucher – einem Prolog gleich – drei stereotypen, wohlbekannten, klischeehaften Figuren: einem römischen Legionär, einem Gallier, einem Germanen. Der plastisch von der Wand abgehobene Titel Römer oder so lässt auf eine niederschwellig ausformulierte Differenzierung schließen. Im ersten Bereich des Ausstellungsraumes, dem »Intro«, durch eine Art hochgeklappte Wand vom übrigen Raum getrennt, stehen den stereotypen – von antiken Geschichtsschreibern bis modernen Hollywoodhelden geprägten – Figuren auf der Galerie eine Vielzahl an Bezeichnungen gegenüber: Brigantioi, Vindelikerinnen, Alamannen etc. – aber auch Walserinnen, Vorarlberger, Österreicherinnen. Die Benennung vieler bedeutet im Hinblick auf die gängigen Klischeebilder eine Differenzierung – eines der wesentlichen Ziele, die sich diese Ausstellung gesteckt hat. Römer oder so zielt damit im Weitesten auch darauf ab, über Identitäten heute nachzudenken, über eigene Vorstellungen und darüber, wie diese Vorstellungen zustande kommen und gekommen sind, zu schmunzeln – und sie vielleicht sogar zu

Die ausschnitte im boden legen beispielhaft gräber frei, anhand derer aspekte wie Datierung, geschlecht, status thematisiert werden. Einblick in die ausstellung Römer oder so im voralberg museum bregenz.

Flüchtige kreidezeichnungen geben anlass zur spekulation: Frau grabowska und Frau schichtle diskutieren am bildschirm die herkunft kultureller Praktiken.

Eindeutig vieldeutig

modifizieren. Dazu müsste es gelingen, bei den Besuchern eine intrinsische Motivation hervorzurufen, über die gemachten Erfahrungen in der Ausstellung bestehende heutige Klischees und (Vor-)Urteile infrage zu stellen: »Ziele, die das unbewusste System in eine handlungswirksame Stimmung bringen können, müssen aus Worten bestehen, die starke und eindeutige Bilder erzeugen, an die wiederum starke und eindeutig gute Gefühle in der Welt des Körpers gekoppelt sind. Und weil man starke und eindeutige Bilder braucht, steigt man am besten gleich auf der Bildebene ein und nicht auf der Sprachebene. Erst ein Bild suchen – dann zu dem Bild die passenden Worte erarbeiten – aus diesen Worten ein Ziel bauen und dieses Sprachgebilde, das ursprünglich aus der Bilderwelt stammt, mit den daran gekoppelten Gefühlen aus der Körperwelt auf Maß schneidern«.7

changieren zwischen gesichertem wissen und spekulation Bilder und Worte, Raum und Inhalt, Gestaltung und erzählte Geschichten – die Ausstellung Römer oder so versucht die konsequent umgesetzte Verbindung von beidem: •



Mit dem »doppelten« Boden als scheinbarer Auslegung des museal geordneten Gräberfeldes: Er grenzt als hochgezogene Wand den ersten Bereich der Ausstellung ab und dient gleichsam als Trennung zwischen gesichertem Wissen und Spekulation am Grabungsfeld. Der Blick in die dahinter liegende Ausstellungsszenerie ist nur an einzelnen Stellen freigegeben. Im fensterseitigen Randbereich erstreckt sich am Boden ein Band mit archäologischen Funden. Es führt an der Wand vorbei in den großen Ausstellungsraum. Dieser gibt sich als eine große, farbig markante Auslegeordnung der Grabfunde zu erkennen. Über den Funden liegt, einer Decke gleich, ein zweiter Boden und überlagert das Gefundene. Mit der unkonventionellen »Ausstellungslandschaft«, die sich aus den ausgeschnittenen Öffnungen im Boden ergibt, wodurch sich das körperlich-räumliche Erschließen der Ausstellung sehr abwechslungsreich gestaltet: Im Randbereich und an den zahlreichen Stellen, wo der Boden herausgeschnitten, aufgeklappt oder gehoben worden zu sein scheint, gibt er einzelne Objekte und Objektgruppen zu erkennen. Nicht wie am Fundort in der Erde verschüttet, sondern in Schachteln und Seidenpapier verpackt, verweisen sie auf den musealen Zusammenhang, dem sie heute entnommen sind. Die Einschnitte im Boden legen nicht nur Exponate frei, sondern auch die aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse, Geschichten und Spekulationen. Sie geben preis, was man alles wissen könnte, wissen möchte.

7 | Maja Storch bezieht sich auf Wilma Bucci, wenn sie Überlegungen zum Bau von handlungs-

wirksamen Zielen (auch Lernzielen) anstellt: Maja Storch / Benita Cantieni / Gerald Hüther / Wolfgang Tschacher: Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen, Bern: Verlag Hans Huber 2011 (2007), S. 133.

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In Anordnungen daneben, darüber, schwebend, stehend, in Draufsicht und Untersicht, einmal aufrecht, einmal gebückt, allein und/oder am besten alle zusammen werden archäologische Herangehensweisen an die Gräberfunde körperlich-räumlich erfahrbar. Um sich den Fragen anzunähern, werden Vergleiche angestellt, Theorien herangezogen, Quellen zurate gezogen – einiges kann man sich zusammenreimen, mehr bleibt offen, vieles ist Spekulation. Ausgangspunkt dafür sind immer die Funde aus dem Gräberfeld. Mit den flüchtig anmutenden Kreidezeichnungen an den Wänden, die vielfältige, fragmentarische und überraschende gedankliche Experimente anbieten – so als ob sie rasch hingekritzelt und wieder wegwischbar wären. Mit den scheinbar nicht fürs Publikum bestimmten pointierten Dialogen zweier animierter Protagonistinnen der archäologischen Zunft – die beiden sichten und diskutieren die Themenbereiche der Ausstellung, vor allem erproben sie das Öffnen des Denkens – dabei entsteht die Meta-Narration des Ausstellungsmachens, ein fiktives »Making-of«. Mit der räumlich unterstützten Lust am Schauen, am Hören und am Horchen. Mit der schriftlichen Umsetzung wissenschaftlicher Inhalte in anderer Gestalt als den gängigen Präsentationsformen von Fachwissen. Und nicht zuletzt mit handlungsorientierten Einladungen an Groß und Klein, sich mit den vielen interessanten Fragezeichen des Gräberfeldes auseinanderzusetzen. •

• • •

Die Exponate sind um drei bekannte Themenkreise strukturiert, die im Raum jedoch nur sehr subtil als neues Thema erkennbar werden: • •



Es geht um die Datierung (der Gräber und des Alters der Menschen). Es geht darum, aus welchem Kulturkreis die Menschen stammen könnten – bzw. aus welchem Kulturkreis die Beigaben stammen – und ob und wie dies miteinander in Bezug zu setzen ist. Und es geht um die Frage, ob man aufgrund der Beigaben, der Anordnung auf arm und reich oder auf männlich und weiblich schließen könnte.

Bei allen Aspekten wird versucht, von den materiellen Überresten auf die begrabenen Personen, auf die »Gruppen« von Personen zu einer bestimmten Zeit rückzuschließen – immer stehen dafür zunächst Grabensembles, die »in situ« präsentiert werden, im Mittelpunkt, daran schließen weitere Aspekte zu den jeweiligen Themen an. Die räumliche Anordnung der Objekte und die Art der Vermittlung bringen den Besuchern die Arbeitsweise von Archäologen näher: zum Beispiel das Kategorisieren von Objekten, das Vergleichen, das Anstellen von Schlussfolgerungen und das Spekulieren. Dabei wird auch ein Stück Museumsgeschichte, die auf der Ergrabung des römischen Brigantium beruht, erzählt. Der gesamte gestaltete Raum spiegelt die Grundhaltung,

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den Spannungsbogen der Ausstellung und macht das Changieren zwischen gesichertem Wissen und Spekulation erfahrbar. 8 Ganz am Ende der Ausstellung gibt es neun Objekte, die auf einen speziellen Menschen, auf ein individuelles emotionales Gefüge hindeuten. Diese Fundgegenstände werden in Kombination mit einem heutigen Pendant präsentiert, zum Beispiel Fluchtäfelchen vs. Mobbing-E-Mail. Zu diesen neun Objekten gibt es je eine Hörgeschichte. Nach der intensiven Konfrontation mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Schlüsse zu ziehen, gestattet sich die Ausstellung neun Erzählungen, die spielerisch und in unterschiedlichen Tonlagen entlang von Gegenständen aus der gegenwärtigen Erfahrungswelt in die Antike führen und zurück. Der Richtungswechsel ist ein programmatischer und entspricht dem Zugang der Ausstellung, deren Narration auch andersrum aufgerollt werden kann. Sie funktioniert auch ausgehend von fabulierter Spekulation und dann entlang diverser Verzweigungen in die einzelnen Themenbereiche, um auf dem sicheren Terrain vorhandenen Materials zu landen und innezuhalten – um’s vorerst dabei zu belassen oder, neu gerüstet, aufzubrechen.

8 | »Experiencing and knowing are two dimensions that mutually reinforce each other. […] Find-

ing the right balance between cognitive and sensory experience is a major issue […] because at times the experience may induce a deeper understanding, while at others it is acquired knowledge that may lead to a new experience […].« Herman Kossmann: »The Practice of Design« in: Herman Kossmann / Suzanne Mulder / Frank den Oudsten: Narrative Spaces. On the Art of Exhibiting, Rotterdam: 010 Publishers 2012, S. 100. Siehe auch den Beitrag von Herman Kossmann in diesem Band.

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Der supermarkt als metapher und bühne Dramaturgie als mittel zur Involvierung Detlef Vögeli

»Fakten sind Dreck – so wie jeder Rohstoff Dreck ist. Ihre Richtigkeit ist insofern wichtig, wie die Reinheit und Vollständigkeit von Zutaten beim Backen wichtig ist. Aber ein Kuchen sind sie noch nicht.« 1 Constantin Seibt, Journalist und Autor

Für gute Kuchen gibt es Rezepte. Ein Rezept für gute Ausstellungen haben wir nicht, aber wir sind überzeugt: Was für Journalisten gilt, gilt auch für uns Ausstellungsmacher. Eine Auswahl und Aneinanderreihung von Fakten und Objekten alleine ist noch keine Ausstellung. Eine gute Ausstellung ist mehr als die Summe ihrer Zutaten. Die Dramaturgie entscheidet, ob eine Ausstellung zum Publikum spricht oder stumm bleibt. Die Dramaturgie ist denn auch ein viel diskutierter Begriff in unserer Ausstellungspraxis – ohne dass wir dabei einer klaren theoretischen Definition folgen würden. Unsere intuitive Auffassung von Dramaturgie deckt sich jedoch mit der Definition des Theater- und Literaturwissenschaftlers Gottfried Fischborn. Danach sind ein strukturierter Ablauf und die kommunikative Wirkung Grundbedingung, um von einer Dramaturgie sprechen zu können.2 Für die Ausstellung ENTSCHEIDEN. Über das Leben im Supermarkt der Möglichkeiten 3 haben wir als Bild und Rahmenerzählung den Supermarkt gewählt. Mit welcher kommunikativen Absicht? Und wie hat das Supermarktbild die Erzählung im Raum beeinflusst?

1 | Constantin Seibt: Deadline. Wie man besser schreibt, Zürich: Kein & Aber 2013, S. 21. 2 | Vgl. Gottfried Fischborn: Politische Kultur und Theatralität. Aufsätze, Essays, Publizistik,

Frankfurt/Main: Peter Lang 2012. 3 | ENTSCHEIDEN. Eine Ausstellung über das Leben im Supermarkt der Möglichkeiten, 15. Sept.

2012 bis 25. April 2014, Zeughaus Lenzburg (CH), www.stapferhaus.ch (01.11.13).

Der Supermarkt als Metapher und Bühne

Eine Frage der haltung Vor jeder dramaturgischen Überlegung steht die Frage nach der Haltung gegenüber Thema und Publikum: das Mission-Statement. Das Stapferhaus Lenzburg wurde im Jahr 1960 weder als Museum noch als Ausstellungshaus gegründet. Stiftungszweck des Stapferhauses ist es, ein breites Publikum zur geistigen Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen anzuregen. In welcher Form wir das tun, steht uns frei. Wir müssen keine Ausstellungen machen. Wir machen Ausstellungen aus Überzeugung. Aus Überzeugung, dass sich das Format »Ausstellung« wie kein zweites eignet, ein breites Publikum anzusprechen und zum Nachdenken zu verführen. Kaum ein anderes Medium verfügt über eine derartige Vielfalt dramaturgischer Mittel zur Involvierung des Publikums: Die Ausstellung kann sich mehrerer Medien (Objekte, Film, Ton, Text) bedienen und mit der Inszenierung auch gleich das Setting der Rezeption mitbestimmen: Die Besucherin kann stehend, sitzend, kniend oder liegend etwas lesen, sehen, hören, fühlen oder riechen. Die Besucherin kann von A nach B gelotst, mit anderen Besuchern in Interaktion gebracht, aber auch vereinzelt werden. Und die Besucherin kann im Raum Spuren hinterlassen und damit selber zu einem Teil der Ausstellung werden. Ausstellungen sind für uns Mittel zum Zweck: Wir wollen etwas bewirken; Fragen aufwerfen und mit dem Publikum auf Augenhöhe in einen Dialog treten. Wir denken Ausstellungen als Bühnen, als Raum zur Selbstbeobachtung und zur gesellschaftlichen Verortung. Das ist die Grundhaltung hinter jeder Stapferhaus-Ausstellung. Und ein guter Boden. Auch wenn das Rezept sich von Ausstellung zu Ausstellung ändert, die kommunikative Absicht bleibt dieselbe: Wir wollen Gegenwartsthemen als kulturelle Phänomene zur Diskussion stellen und Möglichkeitsräume aufzeigen: Weil nicht alles, was so geworden ist, wie es ist, auch so bleiben muss.

Der supermarkt als rückgrat und korsett Szenografie bedeutet nach Frank den Oudsten wörtlich »Beherbergung einer Idee«.4 Jede Ausstellung braucht eine Idee, eine inhaltliche These als Grundlage für die Erzählung im Raum. Bei der Konzeption der Ausstellung zum Thema Entscheiden hatten wir vorerst naheliegende Bilder im Kopf: ein Labyrinth, Weggabelungen und Räume mit verschiedenen Türen. Wir hatten das Publikum vor Augen, das während des Rundgangs durch die Ausstellung immer wieder vor neuen Entscheidungen steht. Dass es anders gekommen ist, hat inhaltliche Gründe. Bei der näheren Auseinandersetzung mit dem Thema wurde klar: Uns interessierte die wohlstandsgesättigte Multioptionsgesellschaft 5 als Gegenwartsphänomen. Der Soziologe Peter Gross beschreibt die Multioptionsgesell4 | Mündliche Herleitung durch Frank den Oudsten im Rahmen der Tagung x-positionen,

27. – 28. September 2013 in Lenzburg. Vgl. auch Beitrag von Frank den Oudsten, S. 18– 28. 5 | Vgl. Peter Gross: Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994.

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schaft als eine individualisierte und säkularisierte Gesellschaft, in der normative Leitplanken und vorgezeichnete Lebenswege weitgehend fehlen. Entscheidungskompetenz wird zur grundlegenden Lebenskompetenz: Wie Entscheidungen treffen in einer Welt, in der alles möglich scheint, aber wenig sicher ist? Die Krux unserer Zeit ist nicht in erster Linie zwischen A oder B und zwischen verschiedenen vorgezeichneten Wegen zu wählen, sondern auszuwählen aus einem überwältigenden Angebot an Möglichkeiten. Ein Labyrinth, Weggabelungen, verschiedene Türen und Wege – diese Bilder wurden in unseren Augen der Komplexität des Themas nicht gerecht. Das Bild des Supermarktes schien uns eine sinnige Metapher für das Leben in der Multioptionsgesellschaft. Dabei hatten wir den Supermarkt des 21. Jahrhunderts vor Augen: von Stararchitekten entwickelte Konsumtempel und Erlebniswelten wie etwa das Westside in Bern. Dem Architekten Daniel Libeskind schwebte dabei »eine stimulierende Erlebnisdestination« vor, Westside sei »mehr als eine blosse Hülle für ein Einkaufszentrum. Es ist ein Raum, um darin zu leben. Hier fühlen sich die Menschen wohl, verbringen eine schöne Zeit.« 6 Neben zahlreichen Shopping-Möglichkeiten finden sich im selben Komplex auch eine Altersresidenz, ein Hotel, eine Wellnessanlage und verschiedene Freizeitangebote. Auch der Einkaufskomplex Sihlcity in Zürich wirbt mit dem Slogan »Alles fürs Leben« und vereint Konsum, Kunst, Kultur und eine Kirche unter einem Dach.7 Mit dem Supermarkt als Bild haben wir ein Leitmotiv gewählt, das alle kennen. Die Ausstellung knüpft damit formal an der Erfahrungswelt der Besucher an. Indem wir den Supermarkt als Metapher auf alle Lebensbereiche übertragen, wird das Bild inhaltlich neu aufgeladen. Das Leben als Supermarkt der Möglichkeiten zu betrachten heißt auch, zu möglichst tiefen Kosten den größtmöglichen Nutzen erzielen zu wollen – und ökonomische Kriterien auf Entscheidungen in sämtlichen Lebensbereichen anzuwenden, also auch in Karrierefragen, im Freundeskreis und im Liebesleben.8 Die Idee der Multioptionsgesellschaft führte also zum szenografischen Bild des Supermarktes. Die Metapher des Supermarktes wiederum bildete als Rahmenerzählung das Rückgrat der Ausstellung – und wirkte damit auf die Wahl des Inhalts und die Dramaturgie der Ausstellung zurück: Form follows content follows form. Das Supermarktbild eröffnete kreative Spielräume: die Einkaufstasche, der Supermarktsound, die Medienabteilung als Schauplatz politischer Debatten, die Apotheke für Diagnosen, die Ringabteilung für Liebesentscheidungen und die Supermarktkasse inklusive persönlicher Entscheidungsquittung am Schluss des Rundgangs. Dazwischen fiel es bisweilen auch schwer, das Versprechen eines Supermarktes inhaltlich und formal einzulösen. Uns schwebte nicht nur eine inhaltliche Fülle, sondern auch eine 6 | Vgl. Daniel Libeskind, zitiert auf der Website des Westside: http://www.westside.ch/architektur.

aspx (01.11.13). 7 | Vgl. http://sihlcity.ch/de/ und http://www.sihlcity-kirche.ch/ (01.11.13). 8 | Die Soziologin Eva Illouz vertritt unter anderem die These, dass wir uns auch im Gefühls-

leben von ökonomischen Kriterien leiten lassen. Vgl. Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin: Suhrkamp 2011.

bio oder budget? haselnuss oder tahiti-Vanille? Die besucherinnen und besucher bewegen sich mit einer Einkaufstasche durch den »supermarkt der möglichkeiten«.

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visuelle Üppigkeit vor. Der Grat war schmal zwischen sinnigen Supermarktzitaten und inhaltsleerer Kulisse, zwischen originellen Referenzen und plumper Nachbildung. Das Supermarktbild als Rückgrat der Ausstellung entpuppte sich auch als Korsett: Ideen mussten über die Klinge springen, weil sie aus formalen oder inhaltlichen Gründen im Supermarkt kein Zuhause fanden.

Dramaturgie als backtriebmittel Der Besucher spielt in unseren dramaturgischen Überlegungen jeweils die Hauptrolle. Die Leitfrage lautet: Mit welchen Mitteln lässt sich der Besucher am besten involvieren? Involvieren im Wortsinn nach Duden: an etwas beteiligen, in etwas verwickeln? Wie kommt er in die Ausstellung hinein? Wie verlässt er die Ausstellung wieder? In welcher Stimmung befindet er sich in einer bestimmten Installation, wie fühlt er sich, wenn er zur nächsten geht? Wir besprechen Fragen des Rhythmus, der geistigen und emotionalen Reize, diskutieren den Medienmix und den Spannungsbogen. Jede einzelne Installation lebt von einer eigenen Dramaturgie. Dabei ist – wie eingangs bereits erwähnt – nebst der inhaltlichen Erzählung auch das mediale Setting entscheidend für die dramaturgische Wirkung. Die Dramaturgie der Ausstellung ENTSCHEIDEN lässt sich grob in fünf Kapiteln nachzeichnen: Paradies (Intro) – Supermarktabteilungen (Exposition) – Diagnosen & Rezepte (Steigerung) – Zufall & Schicksal (Wendepunkt) – Kasse & Quittung (Auflösung). Paradies (Intro) Am Anfang von ENTSCHEIDEN hat die Besucherin keine Wahl: Alle sechs Minuten öffnet und schließt sich eine automatische Schiebetüre zum Eingang des Supermarktes. In dieser Eingangsschleuse wird die Besucherin auf das Thema und ihre Rolle als Protagonistin im Supermarkt der Möglichkeiten eingestimmt. ENTSCHEIDEN beginnt im Paradies: Pflanzen, Vogelgezwitscher, Wasserplätschern und fliegende Schmetterlinge umgarnen die Besucherin. Ein Animationsfilm skizziert die Geschichte der Entscheidungsfreiheit – vom Entscheid Adams, vom Apfel der Erkenntnis zu kosten, und der nachfolgenden Verbannung über die Aufklärung bis ins (Supermarkt-)Paradies der Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Nach der historischen Zeitraffererzählung folgt ein Perspektivenwechsel: Die Leinwand wird dunkel. Licht und Erzählstimme sind auf die Besucherin gerichtet: »Jetzt stehst du hier. Und du hast die Wahl. Willkommen im Supermarkt der Möglichkeiten!« Die Türe zum Supermarkt öffnet sich. Und die Besucherin muss sich entscheiden: Sechs Einkaufstaschen mit unterschiedlichen Sujets stehen zur Wahl. Die Taschenwahl ist ein kleines Selbstexperiment – unter Beobachtung der anderen Besucher.

Der Supermarkt als Metapher und Bühne

supermarktabteilungen (Exposition) Im Hauptteil steht die Selbstbeobachtung im Zentrum. In der Einkaufstasche findet die Besucherin eine überdimensionierte Supermarkt-Bonuskarte, die ENTSCHEIDENCard. Statt Produkte oder Bonuspunkte sammelt sie damit während des Ausstellungsrundgangs persönliche Erkenntnisse. An vier Touchscreen-Stationen in der Gestalt von Supermarkt-Früchtewaagen wird sie aufgefordert, ihr Entscheidungsverhalten abzuwägen: Bleiben oder gehen? Job-Hopper oder Job-Keeper? Zugreifen oder zögern? Kopf oder Bauch? Bei jeder Station erhält die Besucherin einen persönlichen Strichcode-Kleber mit den gespeicherten Antworten. Diesen klebt sie auf ihre ENTSCHEIDEN-Card. Zwischen den Stationen flaniert die Besucherin frei durch unterschiedliche Abteilungen. Nicht Konsum-, sondern Lebensentscheide stehen im Zentrum. Das Leben in der Multioptionsgesellschaft wird mittels persönlicher Video- und Audiogeschichten, aber auch mit Facts & Figures in unterschiedlichen Variationen präsentiert. Die Besucherin wird dabei immer wieder mit sich selbst, ihrem Wertekompass und ihrem Entscheidungsverhalten konfrontiert: Was ist mir wichtig im Leben? Will ich, was ich mache? Mache ich, was ich will? Was kann, was  muss, was will ich ändern in meinem Leben? Sie begegnet unterschiedlich gelebten Entscheidungsstrategien zwischen Kopf und Bauch, Risiko und Sicherheit. Und wird dabei punktuell auch mit den Grenzen der Entscheidungsfreiheit konfrontiert. Diagnosen und rezepte (steigerung) In der »Apotheke« liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Multioptionsgesellschaft nahe beieinander. Supermarktsound und verführerisches Werbegeflüster begleiten die Besucherin dorthin: »Yes you can! Hör auf, dir Grenzen zu setzen! Have it your way! Nichts ist unmöglich!« 30 Schubladen bieten Entscheidungsrezepte zur Linderung der täglichen Qual der Wahl. Anschließend wird die Besucherin mit den Kollateralschäden der Multioptionsgesellschaft konfrontiert: Auf einer Massageliege schildern zwei Burnout-Patienten ihren Weg in die Klinik und wieder zurück ins Leben. Und ein Entscheidungscoach und die Chefärztin einer Burnout-Klinik stellen ihre Gesellschaftsdiagnose und geben Rat, wie man nicht zerbricht am Druck, seines eigenen Glückes Schmied sein zu müssen.9 Zufall und schicksal ( wendepunkt) Eine Etage höher endet der Supermarkt der Möglichkeiten abrupt: Hier ist es nicht mehr hell und bunt. Hier hat die Besucherin keine Wahl mehr. In einem dunklen Gang 9 | Der Soziologe Alain Ehrenberg spricht »von einer neuen Quelle des Leidens«, von der »Unfä-

higkeit, die Freiheitsspielräume und Wahlmöglichkeiten für ein gelingendes Leben zu nutzen«. Ehrenberg beobachtet einen Zusammenhang zwischen den Anforderungen der Multioptionsgesellschaft und der Zunahme an depressiven Erkrankungen. Diese Sicht teilt der Philosoph Byung Chul Han in seinem Buch Müdigkeitsgesellschaft. Vgl. Alain Ehrenberg: Das Unbehagen in der Gesellschaft, Berlin: Suhrkamp 2011, und Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft, Berlin: Matthes & Seitz 2010.

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am Ende der ausstellung erhält die besucherin an der kasse eine Quittung mit persönlichen tipps – damit die nächste Entscheidung etwas leichter fällt.

Der Supermarkt als Metapher und Bühne

wird sie mittels Originaldokumenten mit einer Schicksalsgeschichte konfrontiert – und wird sich dabei der Grenzen der Entscheidungsfreiheit bewusst. Am Ende des Gangs wird es wieder heller: Die verspielte Kugelbahninstallation des Künstlerduos Husmann/ Tschaeni zum Thema Zufall und Schicksal setzt einen emotionalen Kontrapunkt zu den düsteren Schicksalsgängen. kasse und Quittung (auflösung) Die Besucherin steigt die Treppe hinunter. Der Blick in den Supermarkt der Möglichkeiten ist frei und die Perspektive der Besucherin ambivalenter. Sie scannt ihre Strichcodes, geht zur Kasse, erhält dort ihre persönliche Entscheidungsquittung. Und will diskutieren: über die Krux des Entscheidens im Supermarkt der Möglichkeiten, über ihren Entscheidungstyp, Kopf- und Bauchentscheide, ungleiche und verpasste Chancen, den Zufall und das Schicksal.

Das sind die groben Linien des Storyboards. Und unsere kommunikative Absicht – die Idee, was mit den Besucherinnen und Besucher auf dem Weg durch ENTSCHEIDEN geschehen kann. Wir sind uns jedoch bewusst: Wir haben nicht alles in der Hand. Im Supermarkt der Möglichkeiten gibt es unterschiedliche Wege und Lesarten. Unsere Aufgabe ist es, eine Bühne zu schaffen, die zur persönlichen Auseinandersetzung einlädt. Die Dramaturgie ist das Mittel, um die Besucherinnen und Besucher in ein Thema zu verwickeln und bei ihren persönlichen Erfahrungen anzudocken. Oder um es mit der eingangs zitierten Kuchenmetapher zu sagen: Das Storyboard ist noch nicht der Kuchen. Die Besucherinnen und Besucher bringen ihre eigenen Zutaten, ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit. Die Dramaturgie ist das Backtriebmittel10 – und Voraussetzung, damit aus dem Teig ein Kuchen entsteht.

10 | Backtriebmittel sind Stoffe, die in einen Teig Gase einlagern und ihn auflockern. Die Locke-

rung macht das Gebäck erst essbar. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Triebmittel (01.11.13). Zur Backtrieb-Metapher inspiriert hat mich Otto Steiner in der Schlussdiskussion der Tagung.

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komm, wir spielen die ausstellung! spielgeschichten als narrative grundlage Susanne Gesser

»In dieser Ausstellung ist ja überhaupt nichts zu sehen, das sind doch alles nur Kulissen.« So klang der Vorwurf eines flüchtigen Besuchers des kinder museums frankfurt 2001, der die Ausstellung Leben im, am und auf dem Main gestreift hatte. Mit einem Blick hatte er gesehen, dass seiner Ansicht nach dort eben nichts zu sehen war. Bereits die frühen Ausstellungen des kinder museums unterschieden sich von üblichen Ausstellungen für ein erwachsenes, museumserfahrenes Publikum. Für Robinson im Main 1978 und Anno Kindermal 1979/80 wurden die Ausstellungsräume inszeniert und gestaltet.1 Mit Robinson entstand »ein bekletter- und bekriechbarer Abenteuerraum dort, wo vordem Vitrinen und Schrifttafeln dräuten«.2 Anno Kindermal. Was Knaben und Mägdelein zur Goethezeit spielten und sonst noch so erlebten stellte in Miniaturstraßenzügen verschiedene Kinderlebensläufe zwischen 1780 und 1830 dar. Die Besucher konnten sich beim Betreten des Ausstellungsraums zwischen sechs verschiedenen sozialen Rollen entscheiden, jeder Bereich wurde getrennt voneinander durchlaufen, jedoch mit denselben biografischen Etappen. Beide Ausstellungen waren mit den Mitteln des Theaters inszenierte Räume, in denen die Besucher in andere Welten hineinversetzt werden sollten. Die Aktion der Besucher, das Mitdenken und -erleben waren erwünscht, es wurde »mit der traditionellen Ausstellungspraxis, die von isolierten Objekten mit kommentierten Texten ausgeht, gebrochen« 3. Die Besucherin wurde zur Benutzerin, der Betrachter zum Akteur 1 | Dr. Heike Kraft als damalige Leiterin des kinder museums konzipierte die Ausstellungen, der

Bühnenbildner Melchior Schedler gestaltete sie. 2 | Melchior Schedler, zum Ausstellungsprojekt Robinson: http://www.melchiorschedler.de/

index2.htm (20.10.2013). 3 | Peter Leo Kolb: Das Kindermuseum in den USA. Tatsachen, Deutungen und Vermittlungs-

methoden. Ein Beitrag zur vergleichenden Museumspädagogik, Frankfurt am Main: Haag + Herchen 1983, S. 298.

Komm, wir spielen die Ausstellung!

und Entdecker.4 Dennoch wurde auch hier mit den Mitteln eines Museums gearbeitet, reichlich museale Objekte waren zu sehen – aber eben nicht auf den ersten Blick. Mit einem gewissen Abstand und bestärkt durch die Erfahrungen der Ausstellungen des kinder museums aus den 1970er-Jahren begeben wir uns bis heute immer wieder auf die Suche nach neuen Wegen, erproben neue Formen der Museumsarbeit, entwickeln unsere Ausstellungstätigkeit weiter und bauen sie aus. Im Folgenden stelle ich zwei Ausstellungen des kinder museums frankfurt vor, denen als narrative Grundlage eine Spielgeschichte, hier ein Planspiel bzw. eine Theateraufführung, unterlegt waren.

Prolog: spielend eine ausstellung erschließen Warum aber soll im Museum gespielt werden? Das Spielen ist eine Tätigkeit, die nicht unterschätzt werden darf, denn Kinder arbeiten ernsthaft, wenn sie spielen: Spielen ist der Weg, wie sie lernen, ihre Gefühle auszudrücken, Sprache anzuwenden und soziale Kompetenz zu erwerben. Spielend erschließen sich Kinder ihre Umgebung und die Welt, sie finden durch das Spiel heraus, wie Dinge funktionieren, wozu sie zu gebrauchen sind und welchen Sinn sie haben. Beim Spielen werden grundlegende Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt, geübt und gelernt. Spielen hat sehr viele unterschiedliche Formen. Auch wenn es manchmal nicht so aussieht – in den allermeisten Fällen ist das, was Kinder machen, sinnvoll. Sie probieren aus, experimentieren und arbeiten intuitiv, und sie lesen nicht erst Anleitungen. Dieses spielerische Lernen und Ausprobieren, die Neugierde, die Entdecker- und Spielfreude der Kinder machen wir uns bei Ausstellungskonzeption und -gestaltung zunutze. Der große Vorteil des kinder museums frankfurt ist, dass wir in einem sehr kleinen Team arbeiten und von Beginn an bei der Ausstellungskonzeption bereits die Didaktik und Museumspädagogik mitdenken. Und wir binden auch die Ausstellungsgestalter sehr früh in die Entwicklungs- und Konzeptionsarbeit ein. Oft genug wird eine didaktische »Architektur« für die Ausstellung entwickelt, welche die Besucher ermuntert, spielend zu lernen und die Ausstellung aktiv zu erleben oder zu benutzen.

Die konferenz des moenus: ein Planspiel Die Ausstellung Leben im, am und auf dem Main (2001 – 2003) thematisierte verschiedene Aspekte rund um den Fluss, an dem die Stadt Frankfurt liegt. Das Wissen um die Veränderungen, die im Laufe der Jahrhunderte durch den Menschen am Main vorgenommen worden waren, mit ihren Gründen und Folgen, war Motivation für das Ausstellungsvorhaben. Das Handeln von Personen zu unterschiedlichen Zeiten sollte in Beziehung zueinander gesetzt werden. Anhand der ausgestellten Erfahrungen aus der 4 | Vgl. Susanne Gesser: Ein Museum für Kinder im Museum. Dokumentation zum 30. Jubiläum

des Kindermuseums. Kleine Schriften des Historischen Museums in Frankfurt am Main, Band 53, Frankfurt/Main 2002.

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Die ausstellung als bekletter- und bekriechbarer abenteuerraum – Einblick in die ausstellung Robinson im Main (1978).

Komm, wir spielen die Ausstellung!

Vergangenheit sowie der gegenwärtigen Ideen und Informationen sollten Schüler mögliche Lösungen im zukünftigen Umgang mit dem Fluss und der Umwelt selbst erarbeiten und zu Gehör bringen. Ein Planspiel als Spielgeschichte und narrative Grundidee wurde der Ausstellungskonzeption und -gestaltung sowie als Vermittlungsmethode unterlegt. So konnten drei Zeitabschnitte um 1830, 1974 und 2000 sowie drei Perspektiven – im Main (Lebewesen, Abwasser, Kanalisierung), am Main (Stadtentwicklung, Berufe) und auf dem Main (Schifffahrt, Fischerei, Sport/Freizeit) – miteinander verknüpft werden. Mit den Ausstellungsgestaltern 5 entschieden wir uns für einen »Spielraum«, in dem Ausstellungsstücke zwar eine exponierte Rolle innehatten, jedoch die Handlung und die Aktion der Rezipienten ausdrücklich gewünscht waren und provoziert wurden. Dafür wurde der Raum inszeniert, eine Umgebung modelliert und die Ausstellungsstücke in einen Kontext gestellt. Hierbei war weniger die Raumaufteilung als diachrone Abfolge als vielmehr der Raum als Analogie zur »Welt« von Bedeutung. Bei einem Planspiel wird von einem Konflikt ausgehend, der eine realistische Situation abbildet, ein Ausschnitt der Wirklichkeit simuliert. In drei bis acht Teams – bestehend aus je vier bis fünf Spielern – wurden Situationen durchgespielt, Entscheidungen getroffen und eine Konfliktlösung herbeigeführt. In unserem Beispiel war der Flussgott als personifiziertes Fließgewässer mitsamt seinem Hofstaat vorübergehend ins Museum gezogen. Er war Auftraggeber und verantwortlich dafür, Probleme unterschiedlichster Art der Vergangenheit und Zukunft zu durchdenken, Lösungen zu finden und in der »Konferenz des Moenus« zu diskutieren. Dieser »sagenhafte« Ansatz wurde gewählt, da der Großteil der Besucher Schüler zwischen sieben und zwölf Jahren war. Eine Spielleiterin in der Rolle der Gesandten des Flussgottes begrüßte die Schulgruppe zur Konferenz, verlas einen Brief des Moenus und erläuterte die Teilnahmeregeln. Die am Konflikt beteiligten Interessengruppen waren vorgegeben: Wasserbauingenieure aus dem 19. Jahrhundert, Umweltschützer des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Fabrikanten (chemische Industrie) des 19. und 20. Jahrhunderts und Fischer und Schiffer aller Generationen. Die Schüler ordneten sich einer der genannten Gruppen zu, wobei die dabei eingenommene Rolle nicht mit der eigenen Meinung übereinstimmen musste. Während des Spiels sollten sie aus ihren gruppenspezifischen Positionen heraus agieren und versuchen, die Interessen als Gruppe optimal zu vertreten. Die allgemeinen Informationen über die Ausgangslage des Konflikts, die üblicherweise den Teilnehmern eines Planspiels an die Hand gegeben werden, befanden sich in der Ausstellung. Damit diente die Ausstellung als Informationsspeicher für die Mitspieler. Es war Teil des Planspiels, sich als Team zu finden, sich mit der Rolle im Spiel zu identifizieren und vertraut zu machen. Jede Gruppe erhielt Accessoires, Requisiten, Rollenbeschreibungen, Aufgaben sowie eine Hilfestellung zur Konferenzvorbereitung. Damit untersuchte jede Kleingruppe die sie betreffenden Aspekte und Teilbereiche der Ausstellung. Sie informierte sich über die historischen Tatsachen, Ideen, Entwicklungen und war in der Lage, sich einen Eindruck der Gegebenheiten zu verschaffen. »Ereignisse«, die von 5 | Das Gestaltungsbüro Exposition in Frankfurt realisierte die Gestaltung der Ausstellung:

http://www.exposit.de/projekte2.php?aID=8 (23.10.2013).

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Susanne Gesser

der Spielleiterin ins Spiel gegeben wurden, forderten die beteiligten Gruppen auf, sich unmittelbar mit einer anderen Gruppe zu verständigen und einen direkten »Konflikt« zu bearbeiten.

Wie man einen Kaiser macht: theaterspiel als Vermittlungsstrategie einer historischen ausstellung 6 Mit einer Ausstellung an vier Orten (historisches museum frankfurt, Institut für Stadtgeschichte, Dommuseum und Museum Judengasse) wurde im Jahr 2006 das 650. Jubiläum der »Goldenen Bulle«, des Gesetzestextes, in dem Frankfurt am Main als Wahlort festlegt worden war, gefeiert. Von 1356 bis 1806 wurden in Frankfurt durch die zunächst sieben, später neun Kurfürsten, Könige und Kaiser gewählt und ab 1562 auch gekrönt. Das kinder museum beteiligte sich an dieser Jubiläumsausstellung mit einem eigenen Beitrag, einem interaktiven Theaterstück. Der Ausstellungsraum des kinder museums verwandelte sich dafür drei Monate lang in eine Bühnenkulisse, in der vier zentrale Szenen aufgeführt wurden.7 Damit wurde für die Schüler die Zeit zurückgedreht, sie konnten in die Kleidung einer anderen Epoche schlüpfen und dabei etwas über die Geschichte Frankfurts als Wahl- und Krönungsstadt der deutschen Kaiser lernen: Die jungen Besucher konnten als Kaiser, Erzbischof, Kurfürst oder auch als Baldachinträger, Mundschenk oder Dienstmädchen die Feierlichkeiten, das Zeremoniell und die Auswirkungen von Wahl und Krönung auf die Bevölkerung im 18. Jahrhundert entdecken. Das Theaterspiel bot ihnen die Möglichkeit, sich intensiv und auf eine ungewöhnliche Art und Weise mit der Geschichte ihrer Stadt und dem historischen Gesellschaftssystem auseinanderzusetzen. Mithilfe dieser Methode sollte deutlich werden, welche Regeln und Rituale bei Kaiserkrönungen der vergangenen Zeit eingehalten werden mussten und wie stark es sich bei den Abläufen und Vorgängen um eine Inszenierung der Macht handelte. Am Beispiel der Wahl und Krönung Kaiser Karls des VII. (1741/1742) nahmen professionelle Schauspieler in den Rollen einer Chronistin, eines Zeremonienmeisters, einer Bürgerin und eines Metzgermeisters die jungen Besucher in Empfang und berichteten über ihren Platz im Geschehen. Jedes Kind wurde, nach Wahl einer passenden Rolle, durch Requisiten und Kostüme zum Akteur der Wahl- und Krönungszeremonie. Zur Vorbereitung erkundeten die Teilnehmer neben den Hauptausstellungen auch 6 | Vgl. auch: Sabine Radl / Susanne Gesser: »Aktives Lernen im Kinder- und Jugendmuseum:

beobachten – animieren – interagieren«, in: Hannelore Kunz-Ott / Susanne Kudorfer / Traudel Weber (Hg.): Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele, Bielefeld: transcript 2009, S. 214 – 217. 7 | Für diese Ausstellung arbeiteten wir zusammen mit: James Lyons (Regie), Gitti Scherer, im

Auftrag des Gestaltungsbüros Atelier Markgraf (Bühnenbild), Monika Seidl (Kostüme).

Das museum als theaterbühne: Einblick in die ausstellung Wie man einen Kaiser macht im kinder museum frankfurt (2006).

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Susanne Gesser

historisch authentische Orte wie den Dom und den Kaisersaal. Die szenische Darstellung wurde anschließend in vier Gruppen geprobt. In einem Prolog richtete sich der Blick zunächst auf Karl IV. und die Entstehungsgeschichte der Goldenen Bulle. In der ersten Szene wurde mit einem Zeitsprung von knapp 400 Jahren die Wahl Karls VII., wie sie in der Goldenen Bulle festgelegt ist, dargestellt. Anschließend wurde die Einquartierung des Duc du Belle-Isle ins Palais Cronstetten anläßlich der Krönung behandelt. In der dritten Szene ging es um die Krönung Karls VII. im Dom. Beim Auszug des Kaisers gelangten die Nachwuchsschauspieler auf den Römerberg und in den Kaisersaal. Hier begann die vierte und letzte Szene des Theaterstücks, die die Rolle der Metzgerzunft bei der Krönung zeigte. Am Ende führten die Gruppen ihre einstudierten Szenen einander vor, wobei das Theaterstück per Digitalkamera aufgenommen wurde, um es der jeweiligen Schulklasse als Erinnerung mitzugeben. Für das Bühnenbild wurden Grafiken aus dem Diarium, das über die Wahl und Krönung Kaiser Karls des VII. berichtete, verwendet. Diese etwas ungewöhnliche Form der Ausstellungsvermittlung sollte die Schüler herausfordern, sich selbstständig und zielorientiert mit einem Ausschnitt des Ausstellungsthemas zu beschäftigen und sich dessen Inhalte zu erschließen. Sie setzten das »erforschte« Wissen unmittelbar mit Empathie um und schufen gemeinsam mit ihren Mitschülern ein Gesamtbild, sodass am Ende der Veranstaltung jede beteiligte Person den Inhalt der Ausstellung und des geschichtlichen Prozesses kennengelernt hatte. Die Wissensvermittlung bei diesem Projekt verlief interdisziplinär. Die Vermittlungsziele lagen darin, Zusammenhänge zu erkennen, sich praktisch mit Geschichte und Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen, handlungsorientierte Lernerfahrungen zu machen, soziale Verknüpfungen im Probelauf eines Spiels zu lernen, Wissen zu erweitern und nicht zuletzt: etwas noch nie zuvor Getanes zu tun.

Epilog: besondere anforderungen Ausstellungskonzepte mit Spielcharakter stellen besondere Anforderungen an Gestaltung und Museumspädagogik. So kann es passieren, dass der Ausstellungsraum zu einer Bühnenkulisse wird und, wie eingangs beschrieben, auf den ersten Blick nichts zu sehen ist. Zu nennen ist auch der Ausstellungsbesuch, der für Kinder und Schüler eine selbstständige Entdeckungsreise sein soll. Deshalb ist die Betreuung in der Ausstellung integraler Bestandteil des pädagogischen Konzepts. Die Publikumsbetreuung, wie wir sie nennen, meint spezifisch geschultes pädagogisches Personal, das die Besucher an einzelnen Ausstellungsbereichen oder Stationen intensiv betreut. Diese Mitarbeiter haben die Aufgabe, die Vermittlungsidee zu transportieren, das Spiel zu erklären, Spielleiter zu sein und den Abschluss zu moderieren. Unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten wir mit Schauspielern zusammen, die von uns museumspädagogisch qualifiziert werden. Eine abgestimmte Organisation des Ausstellungsbesuchs ist ebenfalls wichtig. So war Wie man einen Kaiser macht nur als Gruppe mit 40 Personen zu erleben. Zu bestimmten Terminen konnten sich Schulklassen, Familien und Einzelpersonen

Komm, wir spielen die Ausstellung!

anmelden, um vier Stunden lang an diesem »Ausstellungsspiel« teilzunehmen. Für die Main-Ausstellung hatten wir neben dem Spielkonzept für geschlossene Gruppen einen Leitfaden für Einzelbesucher und Familien erarbeitet, mit dessen Hilfe diese sich spielerisch die Ausstellung erschließen konnten. Sehr großes Augenmerk legen wir bei all unseren Ausstellungen, denen Spielgeschichten unterlegt sind, auf die Einstiegs- und Eingangssituation. Denn wenn zu Beginn der Funke überspringt, läuft das »Spiel« fast von alleine. Überwiegend machen wir sehr positive Erfahrungen mit dieser Art der Museumsarbeit und Ausstellungsgestaltung. Die Kinder gehen mit Begeisterung auf unsere Angebote ein, begeben sich in Rollen und spielen mit. Jedem – auch zufälligen – Besucher des kinder museums empfehlen wir, sich mutig und spielfreudig auf unsere zum Teil ungewöhnlichen Ausstellungen einzulassen. Dann ist mehr zu entdecken, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.

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Diesseits der narration ausstellen im Zwischenraum Nicola Lepp

Als ich im Frühjahr 2013 die Ausschreibung zur Tagung x-positionen las, war ich interessiert und neugierig, und gleichzeitig stellte sich ein leises Unbehagen ein. Denn wenn im Feld des Ausstellens mit dem Begriff der Narration operiert wird, ist dies fast immer irgendwie mit der stillschweigenden Übereinkunft verbunden, dass Ausstellungen Medien der Geschichtenerzählung sind. Auch wenn eingeräumt wird, dass es sich um ein Erzählen im dreidimensionalen Raum handelt, und damit eine (scheinbare) Differenz zu anderen Medien, etwa dem Buch oder dem Film, eröffnet wird, bleibt doch die Vorstellung einer sprach- bzw. textbasierten Sequenzialität im Sinne einer Abfolge von sinnerzeugenden Worten die zentrale Referenz. Nun ist aber eine Ausstellung eigentlich gar nicht vorrangig eine Worterzeugungsmaschine, deren Resultate gelesen werden können. Vielmehr ist dieses Medium durch ein Gemenge charakterisiert, bestehend aus in Form von Text anwesendem Wissen, Themen und Intentionen und dann aus konkreten und sichtbaren Räumen, Objekten, anderen Exponaten, Labels mit Beschriftungen, die je in eine bestimmte dreidimensionale Ordnung gebracht wurden, um von Besuchern durch ihre Bewegung im Raum erfahren zu werden. Vor dem Hintergrund dieses räumlich-dinghaft-textlichen Gemenges und der damit verbundenen offenen Rezeptionshaltung des Publikums erscheint es mir bemerkenswert, dass in der Ausstellungstheorie und -praxis nahezu alternativlos auf die Narration als einen sprach- und textbasierten dramaturgischen Modus gesetzt wird.1 1 | Zur Dominanz von durch die Linguistik und Semiotik beeinflussten Ausstellungstheorien,

die die Ausstellung als sprachliches System und den Rezeptionsvorgang als Lesevorgang entwerfen vgl. Roger Fayet: »Ob ich nun spreche oder schweige«. Wie das Museum seine Dinge mit Bedeutung versieht, in ders. (Hg.): Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen, Baden 2005; zu Narration und Storyline in Ausstellungen vgl. den sehr differenzierten und aufschlussreichen Band von Charlotte Martinez-Turek, Monika Sommer (Hg.): Storyline. Narrationen im Museum, Wien: Turia & Kant 2009.

Diesseits der Narration

Hierin – so meine These – liegt nicht nur eine Verengung der Potenziale des Mediums Ausstellung; es rührt an eine Grundproblematik oder ein Paradox des Museums überhaupt: dass die Dinge, die hier zur Schau gestellt werden, eigentlich nur nachgeordnet sind. Narrationen als die museale Diskursstrategie zu setzen, heißt immer auch den Vorrang anzuerkennen, der einer Weltaneignung durch Begriffe gegenüber einer durch die Dinge und Sinne in der Moderne eingeräumt wird. Diese Nachgeordnetheit der Dinge in der Erkenntnishierarchie durchdringt das Selbstverständnis der ganzen Institution. Sie soll hier für die nächsten Seiten einmal einer tastenden Befragung zugänglich gemacht werden. Bis heute besteht immer noch weitgehend ein Konsens darüber, dass Ausstellungen in der Lage sind, ein vorgängiges Wissen durch das Medium des dreidimensionalen Objektes genauso wie durch neuere Medien und mithilfe von szenischen Anordnungen abzubilden und an ein Publikum zu vermitteln. Traditionell verläuft der Weg beim Verfertigen von kulturgeschichtlichen Ausstellungen so, dass ein inhaltliches, wissenschaftliches Konzept mit Exponaten unterlegt bzw. illustriert wird, welche dann durch beigegebene Texte erschlossen werden. Im nächsten Schritt übertragen Ausstellungsgestalter oder Szenografinnen das Ganze in den Raum. Die räumliche Übersetzung findet in der Regel erst hier statt. Sie wird traditionell den Gestaltern und Szenografen überlassen, kommt im Entwicklungsprozess einer Ausstellung also an zweiter Stelle. Die Objekte dienen in dieser Logik vorrangig als Belege. Sie sind dann dazu da, eine bereits vorgegebene Erzählung zu beglaubigen, die in Form von Ausstellungstexten und Objektlegenden und immer öfter auch in Form von Audioguides manifest wird. Dem entspricht eine im kulturgeschichtlichen Museum verbreitete Präsentationsweise, die die Exponate nicht untereinander in Beziehung setzt, um so aus ihrer Materialität und räumlichen Anordnung auch visuelle Argumente zu entwickeln, sondern sie immer nur auf den beigegebenen Text bezieht. Und dem korrespondiert schließlich ein Rezipient, der seinen Augen weniger traut als dem Objektlabel, welches fast alle Besucher nach einem ersten Blick auf das Ausgestellte suchen, um sich zu vergewissern, was denn da eigentlich zu sehen ist. In den Texten – ob Objektlegenden, Einführungs-, Raumoder Bereichstexte, Zeitleisten, Audioguides etc. – treten die Wissensdiskurse als die eigentlichen Träger der Narration in Erscheinung. Sie bilden die unverrückbare Voraussetzung für die sogenannte Lesart der Objekte. Problematisch an dieser Konstellation ist, dass das Wissen dem Exponierten immer schon vorausgeht. Ausstellungen hierzulande beruhen, um es provokant zu sagen, auf einer Museologie, die immer schon den Text und die fertige Erzählung vor den exponierten Dingen privilegiert. Die dazugehörige Museumstheorie, die in den Museumswissenschaften bis heute zu den wichtigsten Referenzen gehört, ist die Semiophorentheorie von Krzysztof Pomian2, die zweifellos große Verdienste hat, aber auch ein gewichtiges Problem mit sich bringt. Pomian sagt: Die Dinge werden in dem Moment, wo sie aus ihren alten Nutzungszusammenhängen herausgelöst werden und ins Museum kommen, von Gebrauchsdingen zu Zeichenträgern. Sie stehen im Museum für 2 | Vgl. Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin: Wagenbach 1998.

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Nicola Lepp

etwas, sind Zeichen für etwas anderes, das sie repräsentieren.3 Durch diesen Vorrang, der dem Objekt als einem Ding, das zum Sprechen gebracht und entschlüsselt werden kann,4 eingeräumt wird, verlieren sich seine Dreidimensionalität, seine Materialität und seine Präsenz – was sich in der kulturhistorischen Ausstellungspraxis darin zeigt, dass hier häufig aus den dreidimensionalen Objekten geradezu Flachware gemacht wird, indem sie gerne in Wandvitrinen präsentiert werden, das heisst sich dem Besucher nur noch in einer Aufsicht oder Frontalansicht zeigen.

bedeutung und Präsenz Die Zeichendimension, die ihre Erzählfunktion begründet, ist aber eben nur die eine Dimension von Museumsobjekten. Die Dinge im Museum bedeuten nicht nur, sie sind ganz banal auch da. Sie haben eine spezifische Materialität, sodass sie immer, egal wie klein oder flach sie sind, Raum einnehmen. Diese Form der Anwesenheit in einem Ausstellungsraum, die nicht von der Bedeutung her ableitbar ist, sondern von ihrer Körperlichkeit ausgeht, ist bislang in der Ausstellungstheorie und -praxis wenig berücksichtigt worden. Hier setzen neuere Theorien einer antihermeneutischen Literaturwissenschaft an, die den Sinn- und Bedeutungsschichten der Dinge, die den museologischen Diskurs der letzten 20 Jahre geprägt haben, eine zweite Kategorie zur Seite stellen – die der Präsenz. Präsenz ist dabei ein Gegenbegriff zur Interpretation. Sie meint die bloße Tatsache der Anwesenheit und je aktuellen Gegenwart der Dinge, zum Beispiel in einem Ausstellungsraum. Präsenzeffekte entstehen – so der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht – durch die materiellen Elemente der Kommunikation, sie sind der Einmaligkeit des Erlebens geschuldet und nicht dauerhaft; Präsenz markiert ein ausschließlich räumliches Verhältnis zur Welt und damit ein nicht begriffliches Wissen.5 Gumbrecht entwirft so das ästhetische Erleben als eines, das zwischen »Sinnund Präsenzeffekten« oszilliert.6 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann man die spezifische Medialität einer Ausstellung im Anschluss an Gumbrecht so formulieren, dass die Dinge nicht nur anhand von textlichen Beigaben erzählt werden, sondern im Raum, in dem der Besucher ihnen durch seine individuelle Bewegung begegnet, ihre Präsenz und damit eine spezifische Wirksamkeit entfalten. Eine Ausstellung ist kein aufgeschlagenes Buch, 3 | Ebd., S. 46ff. 4 | Gegenüber dieser konventionellen Rede, die behauptet, dass im Museum »die Dinge zum

Sprechen gebracht werden« können, hat sich in der Neuen Museologie die Begrifflichkeit des »Zu-sehen-Gebens« durchgesetzt. Vgl. dazu stellvertretend: Roswitha Muttenthaler, Regina Wohnisch (Hg.): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld: transcript 2006. 5 | Hans Ulrich Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt

am Main: Suhrkamp 2004. 6 | Ebd., S. 18.

Diesseits der Narration

das nur lesend erfahren werden kann, sondern agiert immer auf der doppelten Ebene von Hermeneutik und sinnlich-räumlichem Erleben. Dass Text und Objekt dabei eben nicht ineinander verrechnet werden können, dass das eine – das Objekt – nicht im anderen – dem Text – aufgeht, sondern dass zwischen materiellen Objekten und abstrakten Begriffen eine Lücke klafft, ist dabei kein Manko, dass wir als Kuratoren ausräumen müssten, indem wir behaupten, wir könnten die Dinge zum Sprechen bringen. Vielmehr gilt es, diese Lücke produktiv zu begreifen. Walter Benjamin hat in seinen Ausstellungsrezensionen einmal konstatiert: »Verdummend würde jede Ausstellung wirken, der das Moment der Überraschung fehlt. Was zu sehen ist, darf nie dasselbe, oder einfach mehr oder weniger sein, als eine Beschriftung zu sagen hätte. Es muß ein Neues, einen Trick der Evidenz, mit sich führen, der mit Worten grundsätzlich nicht erzielt wird.«7 Es gibt keinen direkten Weg vom Inhalt zum Objekt. Vielmehr, so die These, liegt erst in dieser Lücke zwischen Sagen und Zeigen, in dieser Offenheit zwischen Inhalten und Objekten das besondere Potenzial des Mediums Ausstellung begründet. Das bedeutet, dass wir uns bei der Regie von Ausstellungen nicht nur von Konzepten, sondern auch von den Objekten und der banalen Tatsache ihrer Anwesenheit leiten lassen, indem wir sie nicht nur als Zeugen und Illustrationen, sondern auch als Akteure ernst nehmen; und dass wir sie in ihren Möglichkeiten ausloten, indem wir versuchen, das, was sich von ihnen aus denken und erfahren lässt, zur Aufführung zu bringen. Das Machen einer Ausstellung beginnt im Grunde erst dort, wo der Inhalt oder die Storyline als das, was zu sagen beabsichtigt ist, und das, was die Objekte selbst qua Materialität und Präsenz an Erfahrungen eröffnen und Fragen aufwerfen, in einem Prozess der Annäherung und gegenseitigen Übersetzung zueinander in Beziehung gesetzt werden. In diesem Sinne sind Ausstellungen niemals bloße Abbildungsmedien von vorgängigem Wissen, sondern Medien, die durch das Ausloten von Relationen zwischen Ideen, Konzepten und Inhalten auf der einen Seite und Objekten und Räumen auf der anderen im Hier und Jetzt eines Ausstellungsraumes etwas Neues schaffen, die Sichtweisen vorschlagen und Erkenntnisse ermöglichen, die in einem anderen Medium gar nicht zu haben wären. Das, was Gumbrecht die »Präsenzeffekte« nennt, entzieht sich dabei der Vereinnahmung durch die Narration. Es steht vielmehr auch dafür, dass die Dinge uns jenseits der Narration nahekommen und uns angehen können.

ausblick ins Museum der Gefäße Was gehen uns Gefäße an? Abschließend möchte ich einen kurzen Einblick in ein Projekt geben, das ich 2013 für die Probebühne des Humboldt Lab Dahlem8 an den Staatlichen

7 | Walter Benjamin: Jahrmarkt des Essens, Gesammelte Schriften Band IV.1, Kleine Prosa und

Baudelaire-Übertragungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 527. 8 | Humboldt Lab Dahlem: http://www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem/ (02.04.2014).

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Imaginationen der Zerbrechlichkeit – »Intervention 2: gefäßgefährdungen« in der ausstellung Museum der Gefäße im humboldt lab Dahlem.

Diesseits der Narration

Museen Berlin kuratiert habe: das Museum der Gefäße 9. Ausgangspunkt dieses kleinen experimentellen Projekts war eine Beobachtung an den Dingen: Mir war aufgefallen, dass in den im Fokus der Probebühne stehenden Museen in Berlin-Dahlem – dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Ostasiatische Kunst – ein auffallend hoher Prozentsatz aller ausgestellten Objekte Gefäße sind. Genau genommen sind es 38 Prozent, wie sich bei einer Zählung später herausstellte. Dieser eigentümliche Befund war Anlass für eine Spurensuche in den Ausstellungen und im Depot, im Archiv und in der Literatur über die Frage, warum hier (und in archäologischen, ethnologischen und kunstgewerblichen Museen überhaupt) so viele Gefäße gezeigt werden, was für Objekte Gefäße eigentlich sind und warum es sich lohnen könnte, sie sich näher anzuschauen. Der Ausstellungskonzeption lag diese Irritation durch die Dinge selbst zugrunde, indem sie ihre Anwesenheit in den Schauräumen des Museums als erstaunliches Ereignis setzte und der Befragung zugänglich machte. Es galt damit auch, Alternativen zur kulturgeografischen Ordnung zu entwickeln, die der jetzigen Präsentation zugrunde liegt, und in der die Gefäße als formal-ästhetische Gegenstände interessieren, als gewissermaßen abgeschlossene, still gestellte Artefakte, die unterschiedliche Kulturen repräsentieren.10 Das Projekt stellte eine andere Frage: Wie ließ sich die Handlungsmacht der Gefäße, die sie in der musealen Präsentation eingebüßt hatten, zurückgewinnen, wie ließen sich die Gefäße nicht nur als Artefakte und Zeichen, sondern auch als Agenten menschlichen Handelns und Denkens in den Blick bekommen und im Medium der Ausstellung performieren? Die zentrale These war, dass Gefäße soziale Medien sind, die durch ein »Gefäßhandeln«, in dem Menschen und Dinge aufeinander bezogen und ineinander verwoben sind, Gemeinschaft stiften. Was wäre, wenn sie wegfallen? Gibt es Kultur ohne Gefäße? Um diese Thesen und Fragen herum ordneten wir die Ausstellung schließlich an. Die Ausstellung wollte zuerst einmal die Ruhe stören, indem sie der Statik der Objekte systematisch die Logik des bewegten Bildes und Tons zur Seite stellte. Sie bediente sich zweier unterschiedlicher Formate: einer außerhalb der Sammlungspräsentationen liegenden Zentrale und vier Interventionen in unterschiedlichen Ausstellungsräumen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. In den Interventionen machten wir zunächst einmal die in den Sammlungen ausgestellten Gefäße sichtbar, indem wir auf ihre Anwesenheit aufmerksam machten (Intervention 1: Die Fülle der Gefäße); ihre Zerbrechlichkeit wurde als reale und symbolische Erschütterung in Augen- und Ohrenschein genommen11 (Intervention 2: Gefäßgefährdungen); jenseits der Oberflächen erkundeten wir den Innenraum der Gefäße, den man im Museum nie

9 | Ko-Kuratorin war Nina Wiedemeyer und das Projekt wurde in Kooperation mit der Szeno-

grafin Ursula Gillmann entwickelt. 10 | Der Präsentation als Artefakte korrespondiert eine Praxis der Restaurierung, die bis in die

1990er-Jahre die Objekte von allen Spuren gereinigt hat, die auf ihre Gebrauchs- und Nutzungszusammenhänge verwiesen. Sie sind alle sehr sauber. 11 | Soundinstallation von Stefan Matlik, Essenheim.

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Nicola Lepp

zu Gesicht bekommt, qua Kamera und Herstellung von Resonanzräumen12 (Intervention 3: Die Leere der Gefäße); und schließlich wurde die Differenz zwischen Fülle und Leere im Modus des Gießens und im Sinne eines Gebens und Schenkens re-enactet13 (Intervention 4: Gießen – Schenken). Diese Interventionen in die Objektarrangements der Dauerausstellung wurden zusammengehalten von der Gefäßzentrale: einer Montage aus Objekten, Texten und Filmen auf einer Fläche von 6 x 6 Metern, die ihre Spurensuche nach dem »Kulturobjekt« Gefäß im Zwischenraum von Narration und Präsentifikation betrieb und ihre Suchbewegung im Herstellen von räumlichen, visuellen und narrativen Verhältnissen zwischen den drei Ebenen abzubilden versuchte. Objekt, Text und Film standen hier bewusst nicht in einem illustrativen Verhältnis zueinander, sondern bildeten ein Verweissystem, in dem jedes Medium eine Stimme hatte und seine eigene Logik entfalten konnte: keine Erzählung im Sinne einer Vorrangstellung des Textes, sondern eine Montage aus Erzählung und Spekulationen, Bildern und materialen Objekten, die ihre Erkenntnis- und Erfahrungsmöglichkeiten den Zwischenräumen verdankte.

12 | Installation von Moritz Fehr, Berlin. 13 | Filminstallation von Anna Henckel-Donnersmark, Berlin.

gefäße stiften gemeinschaft – Einblick in die »gefäßzentrale« der ausstellung Museum der Gefäße im humboldt lab Dahlem.

wer schreibt die geschichte?

Positionen zu rollenverteilung und autorschaft in der ausstellungsarbeit

Wenn der Ausstellungsraum »eine Idee beherbergt« und sich Dramaturgie mit Vermittlungstechniken und deren Wirkungen beschäftigt, stellt sich die Frage: Wer ist dafür verantwortlich, dass Inhalt und Form in einer guten Geschichte zusammenfinden? Ist es der Szenograf? Die Kuratorin? Beide oder niemand? Denkanstöße von 14 Praktikern aus der Tagung x-positionen in Lenzburg.

»Wenn ein Museum einen Gestaltungswettbewerb ausschreibt, landet als Ausgangslage meist ein dickes Papier voller Fachwissen auf dem Pult der Szenografen. Den Wettbewerb gewinnt jenes Büro, welches daraus die überzeugendste Geschichte entwickelt.  Die Gestalter werden zu Autoren. Ich finde das falsch. Die Projektleitung – im Museumsalltag die Kuratorinnen und Kuratoren – sind für die Geschichte zuständig, sie müssen klären, wo der Kern der Erzählung liegt und wohin die Erzählung führen soll. Aber klar: Je früher sie dies im Austausch mit den Gestaltern tun, desto besser. Am spannendsten und fruchtbarsten ist dieser Austausch, wenn die Ausstellungsautoren auch im Raum denken und die Gestalter auch inhaltlich. Gemeinsam lassen sich die Geschichten im Raum am besten erzählen. Aber letztendlich liegt die dramaturgische Verantwortung bei den Ausstellungsautoren. Im Museumsalltag scheint mir die Rolle des Autors oft unterbesetzt oder zumindest zu wenig bewusst besetzt.«

sibylle lichtensteiger leiterin stapferhaus lenzburg

Wer schreibt die Geschichte?

»Ausstellungen machen ist Teamwork, sie entstehen in kongenialer Zusammenarbeit. Vielleicht reicht es aber nicht, nach der Autorschaft zu fragen, vielleicht muss man auch die Kategorie der Verantwortung einführen: Auch wenn es eine geteilte Autorschaft gibt, am Ende trägt ja doch jemand die Verantwortung. Ich bin Museumskuratorin, und am Ende bin ich diejenige, die den Kopf hinhalten muss beziehungsweise es ist mein Direktor.«

angela Jannelli

kuratorin, historisches museum frankfurt

»In einer Ausstellung ist die Grenze zwischen ›gelungen‹ und ›nicht gelungen‹ von weichen Parametern gegeben. Ich plädiere dafür, dass die durchaus getrennten Erfindungsprozesse vom Kurator und vom Szenografen synchronisiert werden. Was beide verbindet, ist das gemeinsame Interesse an der Dramaturgie einer Ausstellung: Das Ziel, einen Inhalt, eine Geschichte oder eine These möglichst aussagekräftig zu vermitteln. Lediglich ihre Herangehensweise ist eine andere.«

Frank den oudsten

szenograf und medienkünstler

»Warum sollen wir gerade jetzt und zu diesem bestimmten Thema eine Ausstellung machen? Für eine Ausstellung braucht es gute Gründe und das Publikum sollte mitentscheiden, welche Themen und Aspekte relevant sind. Das heißt aber auch, dass die Kuratoren ihre Deutungshoheit aufgeben müssen und nicht länger die ›Gralshüter‹ über die Sammlung und die Inhalte sind. Zum einen sollten wir das Team weiter denken als die Konstellation ›Kuratoren und Gestalter‹ und weitere Stimmen und Experten einbeziehen. Zum anderen ist es wichtig, Transparenz bezüglich der Autorschaft in die Ausstellung zu bringen. Viele Besucher glauben immer noch, dass Ausstellungen Wirklichkeit abbilden! Sie realisieren nicht, dass Ausstellungen Kunsträume sind. Deshalb ist es enorm wichtig, dass – wie auch immer die Teams zusammengesetzt sind – deutlich wird, dass das Museum eine Position einnimmt.«

marie-Paule Jungblut

Direktorin historisches museum basel

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Dramaturgie in der Ausstellung

»Bei einem Ausstellungsprojekt nehme ich die Rolle des Regisseurs ein. Die Kuratoren müssen aber keine Angst vor mir haben. Als Gestalter hat man nämlich ebenso die Kompetenz, die richtigen Fragen zu stellen. Wir beschränken uns nicht nur auf die Gestaltung, wir müssen auch den Inhalt verstehen. Die Kuratoren ihrerseits sind Experten für die Frage, warum ein Thema relevant ist und was daran so faszinierend ist. Eine Ausstellung entsteht immer im Team. Form und Inhalt sind untrennbar miteinander verknüpft.«

herman kossmann

ausstellungsgestalter, kossmann.dejong amsterdam

»Dass im Schweizerischen Nationalmuseum explizit Ausstellungskuratorinnen und -kuratoren eingestellt werden, ist neu. Seit einiger Zeit sind nämlich diejenigen Kuratoren, die eine Sammlung betreuen und dafür qualifiziert sind, zunehmend mit dem Ausstellungsmachen beschäftigt. Gleichzeitig werden die Szenografen immer wichtiger. Sie nehmen sich dramaturgischer Fragen an und bestimmen den roten Faden auch inhaltlich mit. Leider ist es aber so, dass die Auseinandersetzung über inhaltliche Relevanz und thematische Fragen oft zu kurz kommt.«

Erika hebeisen

kuratorin und historikerin, schweizerisches nationalmuseum

»Ob eine Ausstellung gelingt, hängt in hohem Maße vom Konzept ab. Es ist mehr als nur eine Inhaltsangabe, jedoch noch keine Form und sagt auch nichts darüber, was und wie dies in einer Ausstellung umgesetzt wird. Mit einem starken Konzept kann man jedoch arbeiten und das ist es, was oft fehlt. Manchmal bringen es die Kuratoren mit, manchmal entsteht es aber erst durch die Fragen und Ideen der Gestalter.«

uschi gillmann

ausstellungsmacherin, atelier gillmann

Wer schreibt die Geschichte?

»Es kommt immer wieder vor, dass wir von den Kuratoren Texte, Inhalte und Objektlisten bekommen mit dem Auftrag, ›etwas daraus zu machen‹. Damit übernehmen wir automatisch die Autorschaft. Und wenn wir dann zu weit gehen, wird uns auf die Hände geklopft.«

matthias schnegg

architekt und gestalter, groenlandbasel

»Es gibt neben der visuellen Gestaltung auch die inhaltliche Gestaltung. Diese ist Aufgabe der Ausstellungskuratoren: Als Wissenschaftskommunikatoren erzählen sie die Geschichte. Es ist entscheidend, dass man sie von wissenschaftlichen Kuratoren im Aufgabenbereich Sammlung und Forschung unterscheidet. Als Ausstellungkuratorin bin ich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gestaltung für die Geschichten verantwortlich.«

Dora strahm

ausstellungskuratorin und biologin, naturhistorisches museum bern

»Die etablierten Strukturen am Theater sind eine gute Orientierungsmöglichkeit für uns Museumsleute. Dort ist es so, dass der Regisseur den Laden zusammenhält. Er ist auch derjenige, der die Handschrift gibt und der das Konzept entwickelt. Er arbeitet eng mit einem Bühnenbildner zusammen und mit dem Dramaturgen, der sozusagen der künstlerisch-wissenschaftliche Vermittler ist. Aus dieser Erfahrung sehe ich den Kurator als Regisseur. Als Kuratorin liegt mir zudem viel daran, die Museumpädagogen frühzeitig mit dem Szenografen oder dem Gestalter in den Dialog zu bringen.«

susanne Feldmann

ausstellungskuratorin und schauspieldramaturgin

»Wir sollten vom Nachthimmel nicht nur die Sterne sehen, sondern das Ganze. Eine klassische Autorenschaft ist kein zwingender Faktor für eine gute Ausstellung, sondern kann sogar hinderlich sein. Das Produkt steht im Vordergrund, nicht der Urheber. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, alle am Prozess Beteiligten von Anfang zu

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Dramaturgie in der Ausstellung

involvieren: ein gutes interdisziplinäres Team vom Kurator über den Szenografen bis zum Publikum. Entscheidend ist ein Moderator, der im Team für Orientierung und Koordination sorgt. Er kann, falls nötig, auch Akzente setzen.«

christian rohner

ausstellungskurator, museum für kommunikation bern

»Wenn wir uns eines Themas annehmen, muss uns auch klar sein, weshalb wir eine Ausstellung machen und nicht etwa ein Buch oder einen Film. Das Publikum soll dann entsprechend profitieren und einen Mehrwert davon haben, eine Ausstellung zu besuchen. Die Leistung der Gestalter sehe ich darin, dass sie zusammen mit uns Kuratoren für die Inhalte eine adäquate Umsetzung und Präsentation finden, die dem Medium Ausstellung gerecht wird und dessen Potenzial voll auszuschöpfen weiß. Um dies zu ermöglichen, wird das Gestalterteam oftmals schon früh vom Kuratorenteam in den Entstehungsprozess eingebunden und das Narrativ der Ausstellung in gemeinsamer Auseinandersetzung entwickelt.«

marc griesshammer kurator, stadtmuseum aarau

»Mit jeder Ausstellung wird eine Geschichte erzählt, sei es nun durch eine klassisch objektzentrierte Präsentation oder eine Ausstellung mit thematischem Zugang. Durch die Entscheidungen im Entstehungsprozess, durch die Auswahl und die Zusammenführung von Themenfeldern und Objekten werden diese Geschichten entwickelt. Szenografen, Vermittler, Kommunikationsverantwortliche, Betriebsleiter, Kuratoren – alle Personen, die in diese Ausstellungsentwicklung und -realisierung involviert sind – beteiligen sich daran. Diese geteilte Autorschaft gilt es, offenzulegen und dem Besucher sichtbar zu machen, um die Subjektivität der Ausstellung aufzuzeigen und das Museum als absoluten und autoritären Wissensvermittler zu dekonstruieren.«

carmen simon

museumswissenschaftlerin

Wer schreibt die Geschichte?

»Man munkelt, da schreibe jemand irgendwo eine Geschichte. Geschichten? Geschichten als Grundlage für Ausstellungen? Träume ich oder haben mich meine Halluzinationen im Griff? Wir Ausstellungsmacher sind meilenweit davon entfernt, Geschichten als Basis für unsere Arbeit zu verwenden. Wir schweben irgendwo zwischen Forschungsergebnissen und Strategiepapieren, die im besten Fall von den Bildermachern, den Szenografen, in den Raum katapultiert werden. Eine Geschichte ist etwas anderes, etwas sehr Subtiles und Rundes und Genussvolles. Es gleitet oder holpert, es zieht oder verweilt, es fängt immer irgendwo an und hört irgendwo auf, ganz bestimmt. Nein, in der Schweiz habe ich noch niemanden kennengelernt, der etwas vom Geschichtenschreiben für den Raum versteht. Ich habe Sehnsucht nach jemandem, der dieses Handwerk beherrscht. Wissen Sie, wo ich diese Person kennenlernen könnte?«

otto steiner

gründer und Inhaber steiner sarnen schweiz ag

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autoren

lukas bärfuss ist Schriftsteller und Theaterdramaturg. Er schreibt Romane (Koala, 2014, Hundert Tage, 2008) und vor allem Theaterstücke (unter anderem Der Bus, Die Probe, Öl) die in Basel, Bochum, am Thalia Theater Hamburg, an den Münchner Kammerspielen und am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurden und weltweit gespielt werden. Von 2009 bis 2013 war er außerdem als Autor und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich tätig; hier entstanden seine Stücke Malaga (2010) und Zwanzigtausend Seiten (2012). susanne gesser studierte Kunstpädagogik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. Seit 1992 ist sie Kuratorin im kinder museum frankfurt, das sie seit 1998 leitet. Sie hat zahlreiche Ausstellungen für Kinder und in Zusammenarbeit mit ihnen kuratiert und befasst sich seit vielen Jahren mit der Fragestellung des Mediums Ausstellung in der Praxis. Seit 2003 vertritt sie das historische museum frankfurt in allen Bauangelegenheiten und ist seit 2006 Mitglied der Arbeitsgruppe Neukonzeption. Dort ist sie verantwortliche Projektleiterin der Dauerausstellung Frankfurt Jetzt! mit dem Stadtlabor. Neben ihrer Museumstätigkeit hatte und hat sie Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und ist in der Ausbildung von Museumspädagogen und Kuratoren tätig. Sie war Mitherausgeberin des x-positionen-Tagungsbands Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content (2012). werner hanak-lettner ist Chefkurator am Jüdischen Museum Wien seit 2011, wo er seit 1992 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er kuratierte die permanente Ausstellung Unsere Stadt. Jüdisches Wien bis heute (2013) und zahlreiche kulturgeschichtliche Ausstellungen und Publikationen, unter anderem Bigger than Life. 100 Jahre Hollywood. Eine jüdische Erfahrung (2011) und quasi una fantasia. Juden und die Musikstadt Wien (gemeinsam mit Leon Botstein, Wien: 2003, New York: 2004). Im Auftrag des Wien Museums konzipierte er die Wiener Mozart Wohnung (2006) und das Haydnhaus (2009). 2011 publizierte er die Studie Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater

Autoren

entstand (transcript). Er lehrte an der Universität Wien und am Bard Graduate Center in New York City. Erika hebeisen ist Historikerin und Kuratorin. Nach ihrem Studium in Zürich und Berlin war sie Assistentin und Dozentin an der Universität Basel und promovierte zur Kulturgeschichte christlicher Frömmigkeit. Sie verfasste zahlreiche Publikationen zur Religions-, Geschlechter- und zur Schweizer Geschichte. 2008/09 war sie stellvertretende Projektleiterin für die neue Dauerausstellung Geschichte Schweiz im Landesmuseum Zürich. Seit 2010 ist sie Kuratorin am Schweizerischen Nationalmuseum, wo sie die Sammlung der historischen Waffen betreut und kulturhistorische Ausstellungen realisiert. ariane karbe studierte Ethnologie und Komparatistik in Berlin und Bayreuth. Seit 1999 ist sie freiberuflich als Ausstellungskuratorin tätig, unter anderem für das Museumsdorf Cloppenburg – Niedersächsisches Freilichtmuseum und das Anne Frank Zentrum, Berlin. An der Filmschule Hamburg Berlin ließ sie sich zur Drehbuchautorin ausbilden. Seit 2010 promoviert sie an der School of Museum Studies, University of Leicester, zum Thema Ausstellungsnarrationen. herman kossmann ist Architekt und Ko-Leiter des Gestaltungsbüros Kossmann.dejong. Nach Abschluss seines Architekturstudiums 1983 unterrichtete er an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Den Haag und führte als Architekt mehrere große Renovationsprojekte durch. Nach der Konzeption und Realisation verschiedener Ausstellungen gründete er 1998 zusammen mit seinem ehemaligen Studienkollegen Mark de Jong das Ausstellungsbüro Kossmann.dejong: Exhibition Architects. Neben seiner Tätigkeit als Partner und Chefdesigner bei Kossmann.dejong ist er Dozent an verschiedenen Universitäten und Kunsthochschulen. Er ist Autor mehrerer Artikel und Bücher, unter anderem von Engaging Spaces (2010). Zusammen mit den Ko-Autoren Suzanne Mulder und Frank den Oudsten verankerte er in Narrative Spaces: On the Art of Exhibiting (2013) die Ausstellungspraxis in einem breiteren, theoretischen und kulturhistorischen Kontext. nicola lepp ist Kulturwissenschaftlerin und Ausstellungsmacherin. Sie entwickelt Themenausstellungen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Kulturgeschichte und arbeitet an alternativen Formen des Ausstellens und Kuratierens. Sie betreibt in Berlin das büro für neues ausstellen und bildet mit Annemarie Hürlimann die kuratorische Arbeitsgemeinschaft hürlimann + lepp, die gegenwärtig die Konzeption für die neue GRIMMWELT in Kassel entwickelt. Nebst diversen Lehraufträgen dozierte Lepp zwischen 2001 und 2007 als stellvertretende Professorin im Studiengang Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam und ist dort seit 2008 Honorarprofessorin. Sie ist Herausgeberin

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Dramaturgie in der Ausstellung

diverser Ausstellungskataloge und publiziert zur Geschichte und Theorie der Dinge sowie zur Ausstellungstheorie und -praxis. Gegenwärtig steht theoretisch wie praktisch die Beschäftigung mit einer kritischen Bildungs- und Vermittlungstheorie des Museums im Zentrum. sibylle lichtensteiger ist seit 2002 Leiterin des Stapferhauses Lenzburg (bis 2010 in Co-Leitung mit Beat Hächler). Sie arbeitet als Co-Kuratorin in den Ausstellungsprojekten mit und ist verantwortlich für die Positionierung des Stapferhauses als »Haus der Gegenwart«. Vor bzw. neben ihrer Stapferhaus-Zeit studierte sie Geschichte und Germanistik in Zürich und Berlin und arbeitete als Journalistin, unter anderem als Redaktorin bei Schweizer Radio DRS. Zusammen mit Susanne Gesser, Martin Handschin und Angela Jannelli publizierte sie 2012 Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content (transcript). aline minder ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie war in verschiedenen Schweizer Museen tätig und arbeitete von 2010 bis 2013 im Stapferhaus Lenzburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Ausstellungs-, Vermittlungs- und Publikationsprojekten. Seit 2014 ist sie im Bernischen Historischen Museum für die Bildung und Vermittlung verantwortlich. In ihren Forschungen zu Theorie und Praxis des Museums und des Formats Ausstellung beschäftigte sie sich mit Dramaturgie und Narration in Ausstellungen zur Antike. lisa noggler-gürtler ist freie Ausstellungskuratorin, Althistorikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie war in folgenden Institutionen tätig: Ethnografisches Museum Schwaz, Schloss Matzen, Technisches Museum Wien (Bereichsleitung Bau-, Alltags- und Umwelttechnik, stellvertretende Sammlungsleiterin, Gesamtprojektleitung für die Neueinrichtung der Dauerausstellung Alltag – eine Gebrauchsanweisung), ZOOM Kindermuseum, Universität Innsbruck (Ausstellung zum Thema Psychiatrie), vorarlberg museum. Zudem lehrt, forscht und publiziert sie zur Umwelt-, Kultur- und Frauengeschichte sowie im Bereich der Museologie und der Wissensvermittlung. Frank den oudsten ist Szenograf und Autor. Bis 2010 war er Professor für Szenografie an der Zürcher Hochschule der Künste und unterrichtet heute an unterschiedlichen europäischen Hochschulen und Universitäten. Er studierte technische Physik, Fotografie und Film in Utrecht. Neben performativen Bühnenexperimenten realisierte er zahlreiche Medieninstallationen für Ausstellungen. Er ist Autor von Space Time Narrative. The exhibition as post-spectacular stage (2012) und publizierte zusammen mit Herman Kossman und Suzanne Mulder Narrative Spaces, on the art of exhibiting (2013). Aktuell leitet er das interdisziplinäre Projekt Alphabet City: ein Experiment, das den internationalen

Autoren

Diskurs über den narrativen Raum mit der Verknüpfung von kuratorischer und szenografischer Praxis strategisch vertiefen möchte. Denise tonella ist Historikerin, Ausstellungskuratorin und Filmschaffende. Seit 2006 ist sie verantwortlich für Produktion, Konzept, Regie und Schnitt zahlreicher Kurzfilme und Filmdokumentationen. Im Schweizerischen Nationalmuseum ist sie seit 2010 tätig: Von 2010 bis 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit 2014 als Ausstellungskuratorin. Bisherige Projekte: Dauerausstellung Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert, Interventionen Studio und Fernsehen und Was die Dinge über das Leben sagen, Wechselausstellung Karl der Große und die Schweiz. Detlef Vögeli ist stellvertretender Leiter des Stapferhauses Lenzburg. Seit 2008 für das Stapferhaus tätig, unter anderem in Recherche, Konzeption und Realisation der Ausstellungen. Ist als Ko-Autor für die Dramaturgie der Ausstellung ENTSCHEIDEN. Über das Leben im Supermarkt der Möglichkeiten mitverantwortlich. Hat nach dem Lehrerseminar Gesellschaftswissenschaften (Zeitgeschichte, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Journalistik) studiert.

stapferhaus lenzburg heißt die Schweizer Kulturinstitution, die mit ihren Ausstellungen Räume zur Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen schafft. Dabei spricht das Stapferhaus das Publikum auf Augenhöhe an und lädt es ein, selber Position zu beziehen. Mit Glaubenssache, nonstop, HOME und ENTSCHEIDEN wurde das Stapferhaus zu einer festen Größe in der schweizerischen und europäischen Ausstellungslandschaft. Workshops und Veranstaltungen begleiten die Ausstellungen und ermöglichen thematische Vertiefungen für verschiedene Zielgruppen. Publikationen, Tagungen und Bildungsangebote ergänzen die Ausstellungstätigkeit.

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bildnachweis

Foto Cover: Einblick in die Installation Learn im Urbanian Pavilion der Expo 2010 in Shanghai, 01.05.2010 – 31.10.2010. Foto: Thijs Wolzak. Foto S. 54: Einblick in die Installation Work im Urbanian Pavilion der Expo 2010 in Shanghai, 01.05.2010 – 31.10.2010. Foto: Thijs Wolzak. Grafik S. 58/59: Visualisierung aus dem Buch Engaging Spaces: Exhibition Design Explored von Herman Kossmann und Mark de Jong. Frame Publishers, Amsterdam (2010). Foto S. 63: Einblick in die Ausstellung Bisj Poles: Sculptures From the Rain Forest im Tropenmuseum Amsterdam, 03.11.2007 – 13.04.2008. Foto: Kossmann.dejong. Foto S. 72: Einblick in die Ausstellung Die Leidenschaften. Ein Drama in 5 Akten im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, 25.02.2012 – 30.12.2012. Foto: Oliver Killig. Foto S. 77: Einblick in die Ausstellung Die Leidenschaften. Ein Drama in 5 Akten im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, 25.02.2012 – 30.12.2012. Foto: Oliver Killig. Foto S. 82: Einblick in die Dauerausstellung Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert des Schweizerischen Nationalmuseums im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum / Roland Zemp.

Bildnachweis

Foto S. 85: Einblick in die Dauerausstellung Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert des Schweizerischen Nationalmuseums im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum / Roland Zemp. Foto S. 89: Einblick in die Ausstellung Römer oder so im voralberg museum Bregenz. Foto: Markus Tretter. Foto S. 90: Einblick in die Ausstellung Römer oder so im voralberg museum Bregenz. Foto: Matthias Schnegg. Foto S. 97: Einblick in die Ausstellung ENTSCHEIDEN. Eine Ausstellung über das Leben im Supermarkt der Möglichkeiten des Stapferhauses Lenzburg. 15.09.2012 – 25.04.2014. Foto: Anita Affentranger. Foto S. 100: Einblick in die Ausstellung ENTSCHEIDEN. Eine Ausstellung über das Leben im Supermarkt der Möglichkeiten des Stapferhauses Lenzburg. 15.09.2012 – 25.04.2014. Foto: Anita Affentranger. Foto S. 104: Einblick in die Ausstellung Robinson im Main im kinder museum frankfurt, 1978. Foto: kinder museum frankfurt / P. Wycisk. Foto S. 107: Einblick in die Ausstellung Wie man einen Kaiser macht, im kinder museum frankfurt, 2006. Foto: kinder museum frankfurt / U. Dettmar. Foto S. 114: Einblick in die Ausstellung Museum der Gefäße im Humboldt Lab Dahlem, 14.03.2013 – 12.05.2013. Foto: Jens Ziehe. Foto S. 117: Einblick in die Ausstellung Museum der Gefäße im Humboldt Lab Dahlem, 14.03.2013 – 12.05.2013. Foto: Jens Ziehe.

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Danksagung

Diese Publikation und die ihr vorangegangene Tagung x-positionen: Dramaturgie und Narration in der Ausstellungsarbeit konnten nur durch die Mithilfe vieler Beteiligter realisiert werden: Ein großer Dank geht an die Referentinnen und Referenten der Tagung, die der Diskussion um die Ausstellungsdramaturgie Gehalt gegeben und zu Gedanken über neue Wege in der Ausstellungskonzeption angeregt haben. Sie haben ihre Referate für dieses Buch verschriftlicht, überarbeitet und zur Verfügung gestellt. Die Tagungsbeiträge haben wir ergänzt durch weitere Gastartikel. Ihren Verfassern sei an dieser Stelle genauso gedankt wie Rita Dominet, die die niederländischen Texte von Herman Kossmann und Frank den Oudsten ins Deutsche übersetzt hat. Die Lektorinnen Claudia Lüdtke und Eva Hauck haben die Texte von Fehlern befreit. Für die Gestaltung und den Satz zeichnet der Grafiker Janosch Perler verantwortlich. Dem transcript-Verlag danken wir für die Unterstützung von der Konzeptphase bis zum Druck. Ein großer Dank geht auch ans historische museum frankfurt für die Mitarbeit bei der Konzeption von Tagung und Publikation und für die Referate von Kuratorin Angela Jannelli und ihrer Mitarbeiterin Sonja Thiel an der Tagung. Susanne Gesser danken wir für ihren Textbeitrag zum Band. Ein herzliches Dankeschön geht weiter an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stapferhauses Lenzburg, die vor und hinter den Kulissen für die Tagung im Einsatz standen: Michael Fässler, Celia Bachmann, Michael Feller, Nadja Good, Andrea Grossenbacher, Marianne Jossen, Elisabeth Meer und ihr Verpflegungsteam. Ermöglicht haben die Tagung und die vorliegende Publikation der Swisslos-Fonds des Kantons Aargau und die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Herzlichen Dank für die großzügige Unterstützung. Sibylle Lichtensteiger, Aline Minder, Detlef Vögeli / Stapferhaus Lenzburg