Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union: Eine vergleichende Studie der Politiken zu Nachhaltigkeits- und Tabakkonsum [1. Aufl.] 9783658315771, 9783658315788

Die Studie untersucht, wie in zwei Bereichen der europäischen Politik auf Adressaten eingegangen wird. In der EU-Umweltp

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Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union: Eine vergleichende Studie der Politiken zu Nachhaltigkeits- und Tabakkonsum [1. Aufl.]
 9783658315771, 9783658315788

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Einleitung (Jan Pollex)....Pages 1-7
Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze (Jan Pollex)....Pages 9-17
Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl – Analyseelemente und analytisches Vorgehen (Jan Pollex)....Pages 19-34
Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung (Jan Pollex)....Pages 35-49
Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und die Rolle der Konsumenten in der EU-Politik (Jan Pollex)....Pages 51-68
Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik (Jan Pollex)....Pages 69-84
Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik (Jan Pollex)....Pages 85-117
Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik (Jan Pollex)....Pages 119-156
Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der Analyseergebnisse (Jan Pollex)....Pages 157-181
Fazit (Jan Pollex)....Pages 183-186
Back Matter ....Pages 187-209

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Forschungen zur Europäischen Integration

Jan Pollex

Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union Eine vergleichende Studie der Politiken zu Nachhaltigkeits- und Tabakkonsum

Forschungen zur Europa¨ ischen Integration Reihe herausgegeben von Andrea Lenschow, Kultur- und Sozialwissenschaften, Universität Osnabrück Kultur- und Sozialwissenschaften, Osnabrück, Niedersachsen, Deutschland Susanne Schmidt, InIIS, Universität Bremen InIIS, Bremen, Bremen, Deutschland Ingeborg Tömmel, Fachbereich Sozialwissenschaften, Universität Osnabrück Fachbereich Sozialwissenschaften, Osnabrück, Niedersachsen, Deutschland

In dieser Reihe werden Monographien und Sammelbände zur Erforschung der Europäischen Integration veröffentlicht. Zentrale Themen der Reihe sind das politische System der EU sowie Policymaking und Governance im europäischen Mehrebenensystem. Der erstgenannte Themenkreis umfasst Analysen des europäischen Institutionengefüges in seiner horizontalen und vertikalen Dimension (Mehrebenensystem) sowie der vielfältigen Interaktionen zwischen Institutionen und Akteuren, die sowohl innerhalb des Systems als auch von außen Einfluss ausüben. Der zweitgenannte Themenkreis bezieht sich auf die Politiken der Union, wobei deren Initiierung und Ausgestaltung auf der europäischen Ebene und ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten im Vordergrund stehen. Zudem bildet die Governance europäischer Politik einen zentralen Fokus. In der Reihe finden sowohl stärker theoretisch orientierte Studien als auch fundierte empirische Analysen Berücksichtigung.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12354

Jan Pollex

Zielgruppenim Policy-Makingder EuropäischenUnion Eine vergleichende Studie der Politiken zu Nachhaltigkeits- und Tabakkonsum

Jan Pollex Leipzig, Deutschland Dissertation an der Universität Osnabrück im Fachbereich Sozialwissenschaften.

Forschungen zur Europäischen Integration ISBN 978-3-658-31577-1 ISBN 978-3-658-31578-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde als Dissertation im Frühjahr 2019 an der Universität Osnabrück eingereicht. Sie stellt damit den Endpunkt einer Promotionsphase dar, die ich sehr genossen habe. Dazu beigetragen hat nicht nur die Tatsache, dass ich mit großer Freiheit an einem Thema arbeiten konnte, das ich als spannend und relevant erachte. Wesentlich dafür war vor allem mein Umfeld am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Meine Kolleg*innen am Institut und vor allem am Lehrstuhl haben diese Phase meines Lebens menschlich und akademisch sehr bereichert. Besonderer Dank gilt dabei vor allem Andrea Lenschow, die mir viel Raum und Hilfestellung bei meiner wissenschaftlichen Entwicklung gegeben hat. In der Rückschau auf diese Jahre kommt aber auch den alltäglichen Dingen – der gemeinsamen Mensarunde, dem Feierabendbier und der fachlich anspruchsvollen Diskussion über Handball- und Fußballbundesliga – eine große Bedeutung zu. Mein Dank gilt meinen Betreuern, Andera Lenschow und Michael Böcher, für ihre Begleitung bei der Erstellung dieser Dissertation. Darüber hinaus danke ich Dorothee Riese und Jörg Baudner für ihre hilfreichen Kommentare zu dem Manuskript. Meiner Familie kann ich mit Worten kaum ausreichend für ihre Unterstützung auf dem langen Weg bis hierher danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Für Luise, Birgit, Lore & Helmut Leipzig

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Inhaltsverzeichnis

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze . . . . . . . 2.1 Theoretische Ansätze der Policy-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Überblick theoretischer Ansätze in der Policy-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Diskursiver Institutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Untersuchung der Politikgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Analytische Perspektiven der Policy-Forschung: Interpretative und post-positivistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . .

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Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl – Analyseelemente und analytisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zielgruppen von Politiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Policy-Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Probleme und Politiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Politikinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Systematisierung und Ordnung von Politikinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Grundlegende Typen: Regulierungen, ökonomische Instrumente, Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Verhaltensbasierte Politikinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zwischenfazit: Das analytische Vorgehen in der Arbeit . . . . . . . .

11 12 14 16 19 20 25 26 27 28 30 31 33

VII

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Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Politik in der Europäischen Union – Entwicklung, Organe und Policy-Making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Beteiligung der Mitgliedstaaten im Policy-Making . . . . . . . . . . . . 4.4 Der politische Prozess auf supranationaler Ebene – Ablauf, Akteure, Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und die Rolle der Konsumenten in der EU-Politik . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der Binnenmarktintegration zu nachhaltiger Entwicklung . . . . . . . . . 5.1.1 Nachhaltige Entwicklung, nachhaltiger Konsum und politische Ansätze in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Instrumente und Akteure der EU Politik zu Umwelt und nachhaltigem Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Gesundheitspolitik in der EU – zwischen Mitgliedstaaten und supranationaler Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Tabakpolitik in der EU – Entwicklungen und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Instrumente und Akteure der EU-Gesundheits- und Tabakpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Vergleich der politischen Ansätze zur Verbrauchersteuerung . . . .

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Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Fallauswahl und Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Fragestellung und Leitfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Datenbasis und Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Kontext der Instrumentenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Feldspezifische Programme der EU-Umweltpolitik . . . . . 7.1.2 Themenspezifische Programme zu nachhaltigem Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 36 37 44 45 51 52 54 57 60 62 63 65 69 70 73 78 81 85 85 87 90

Inhaltsverzeichnis

7.1.3 Mitgliedstaaten und ihre Policies als Kontext der EU-Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Internationaler Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Positionen der Akteure und Einschätzung der Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Problemdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Kontext der Instrumentenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Feldspezifische Programme der EU-Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Themenspezifische Programme zur Tabakpolitik in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Mitgliedstaaten und ihre Policies als Kontext der EU-Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Internationaler Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Erarbeitung der Tabakproduktrichtlinie im Jahr 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Überarbeitung der Tabakproduktrichtlinie im Jahr 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Empfehlung zur Einrichtung rauchfreier Zonen 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Positionen der Akteure und Einschätzung der Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Problemdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der Analyseergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Vergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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93 96 97 98 104 109 113 119 119 120 124 127 130 131 132 138 145 149 153 157 157 161

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Inhaltsverzeichnis

9.3 Zielgruppen und Instrumentenwahl – Erkenntnisse der Untersuchung und Bezüge zur Policy-Forschung . . . . . . . . . . . . . 9.4 Zielgruppen und Instrumentenwahl im Policy-Making der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung steht seit mittlerweile einigen Jahrzehnten im Fokus von Forschung und Politik. Zuletzt hatten die weltweiten Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung einen umfangreichen Wandel in alltäglichen Lebensweisen eingefordert, um eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und einen umfangreichen Umwelt- und Naturschutz zu erreichen. Wie hierbei politisch auf individuelle Entscheidungen Einfluss genommen wird, stand auch am Beginn dieses Projektes. Während Wissenschaft und einige politische Akteure weitreichende Maßnahmen fordern, um Bürger zu einem nachhaltigen Konsum zu bewegen, dominieren insgesamt weiche Instrumente bei der Steuerung von Verbraucherverhalten (Fuchs/Lorek 2005; Di Giulio/Fuchs 2016; UN 2015). In anderen Politikbereichen, bspw. der Gesundheitspolitik, werden aber weitreichendere Maßnahmen getroffen, um individuelles Verhalten zu verändern. Vor diesem Hintergrund soll diese Arbeit einen Beitrag zum besseren Verständnis der politischen Steuerung individueller Verhaltensweisen leisten. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive kann die Beeinflussung individuellen Verhaltens als eine wesentliche Dimension politischer Steuerung bezeichnet werden. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf zwei Bereiche der EU-Politik, in denen Bürger und ihr Verhalten adressiert, dabei aber unterschiedliche Instrumente genutzt werden: Im ersten Fall, der Politik zu nachhaltigem Konsum, steht umweltfreundliches, im zweiten Fall, der EU-Tabakpolitik, steht gesundes Verhalten im Fokus der Policies. Sowohl nachhaltiger Konsum als auch der Gebrauch von Tabak werden in Forschung und Politik intensiv diskutiert. Im Rahmen der Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung spielt die Bezugnahme auf Konsumentscheidungen und individuelle Verhaltensweisen eine zentrale Rolle. Bereits im UN-Bericht ‚Our Common Future‘ von 1987 wird die Relevanz individueller Konsummuster für eine nachhaltige Entwicklung angesprochen (UN 1987), mit dem ‚Oslo Symposium

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_1

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Einleitung

on Sustainable Consumption‘ (1994) wurde das Konzept nachhaltiger Verhaltensweisen dann endgültig etabliert (Fuchs/Lorek 2005). Auch die ‚Sustainable Development Goals‘ der Vereinten Nationen adressieren nachhaltigen Konsum (UN 2015). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage nach regulatorischen Eingriffen, um nachhaltige Verhaltensmuster zu fördern. Die bestehende Literatur zeigt hier eine deutliche Dominanz weicher Eingriffe auf Basis neutraler Informationsinstrumente. Gerade in der Europäischen Union, die als Vorreiter in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik bezeichnet werden kann (Jordan/Adelle 2013), wird individuelles Verhalten ausschließlich mit neutralen Informationen gesteuert (Jordan et al. 2013). Einerseits wurde und wird das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in den Fokus der politischen Bemühungen gesetzt, andererseits hat sich die Art der Verhaltenssteuerung nur mäßig verändert. Vor allem das EU Ecolabel stellt das zentrale Instrument zur Förderung eines nachhaltigen individuellen Konsums dar. Seit seiner Einführung 1992 wurde der grundlegende Steuerungsansatz in der verbraucherfokussierten Nachhaltigkeitspolitik kaum verändert. Auch die Tabakpolitik wird in der Forschung intensiv behandelt (Princen 2007; Cairney et al. 2012). Vor allem die Adressierung individuellen Verhaltens durch Produktkennzeichnungen steht hierbei im Fokus. Eine Vielzahl von Studien weist auf die Notwendigkeit der Veränderung von Konsummustern zur Steigerung der Gesundheit hin (Hammond et al. 2006; Alemanno et al. 2012). Durch die Weltgesundheitsorganisation wurde mit der Framework Convention on Tobacco Control im Jahr 2003 ebenso Verbraucherverhalten in den Fokus politischer Bemühungen gerückt. In der EU-Tabakpolitik wurden bereits in den 1990er Jahren verbraucherfokussierte Maßnahmen ergriffen. Anfänglich wurden Bürger noch über Inhaltsstoffe von Tabakprodukten informiert, schrittweise wurde diese neutrale Information aber zu einem Warnhinweis weiterentwickelt. Seit 2014 werden zudem Schockbilder auf Tabakprodukten genutzt, die als verhaltensbasiertes Instrument bezeichnet werden können und individuelles Verhalten verändern sollen. In diesem Fall wurde ein neutrales Informationsinstrument also schrittweise zu einem verhaltensbasierten weiterentwickelt. Darüber hinaus werden in der Tabakpolitik auch Verhaltenseinschränkungen (v. a. Rauchverbotszonen) genutzt, um individuelle Verhaltensweisen zu verändern. Interessant sind hierbei zwei Aspekte. Zum einen kann in beiden Themenfeldern eine zentrale Relevanz individuellen Verhaltens identifiziert werden. Sowohl Forschung als auch Politik weisen auf diese hin. Dennoch kommt es hier zu sehr unterschiedlichen Formen der Verhaltenssteuerung. Während das Ecolabel über Jahre unverändert neutral informiert (eine Warnung vor besonders umweltschädlichen Produkten findet bspw. nicht statt), kam es beim Tabaklabel zu einer schrittweisen Veränderung des Instruments und zur Nutzung von Verhaltenseinschränkungen.

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Zum anderen ist die Europäische Union im Bereich der Gesundheitspolitik mit weniger Kompetenzen ausgestattet als in der Umweltpolitik. Zwar gingen auch in der Umweltpolitik erste Maßnahmen auf die Sicherung des freien Binnenmarktes zurück, jedoch ist dieses Feld mittlerweile durch genuin supranationale Kompetenzen gekennzeichnet (Jordan/Adelle 2013). In der Gesundheitspolitik besitzt die EU hingegen wenige genuin supranationale Kompetenzen: Hier sind entweder die Mitgliedstaaten allein zuständig oder die Kompetenz ist zwischen nationaler und supranationaler Ebene geteilt. Dennoch wurden hier mit der Art der Produktkennzeichnung (in Form von Warnungen und Schockbildern) und den Maßgaben zu rauchfreien Zonen weitreichende Policies formuliert, die explizit mit einem gesundheitspolitischen Ziel verbunden und dabei über die Zuständigkeit der Union für den Binnenmarkt umgesetzt wurden. Aus Perspektive der Policy-Forschung ist dabei besonders interessant, warum unterschiedliche Instrumente zur Steuerung individuellen Verhaltens genutzt werden. Zur Erklärung der Varianz in der Instrumentenwahl fokussiere ich die Charakterisierung von Zielgruppen in den Politikbereichen1 . Sowohl Maßnahmen in der Tabakpolitik als auch in der Umweltpolitik richten sich an Konsumenten, Verbraucherinnen oder Individuen. Damit spielen auch Erwartungen zu deren Verhalten und die Richtung der angestrebten Verhaltensänderung für die Instrumentengestaltung eine Rolle, wie ich in dieser Arbeit zeigen werde. Mit Blick auf die Europäische Union ergibt sich für diese Arbeit die Frage, wie es der EU im Rahmen der Tabakpolitik gelang, trotz begrenzter Kompetenzen Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens weiterzuentwickeln. In der Nachhaltigkeitspolitik, in der die supranationale Ebene größere Kompetenzen hat, kann hingegen keine Weiterentwicklung der Maßnahmen festgestellt werden. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Instrumentenwahl bei variierenden supranationalen Kompetenzen stellt sich zudem die Frage, ob diese weitreichenden Maßnahmen aufgrund bestimmter Adressatencharakterisierungen als legitim dargestellt werden konnten, obwohl die EU hier ihre Zuständigkeiten strapaziert. Zwei Literaturstränge bilden die Ausgangspunkte für diese Arbeit. Zum ersten ist die Forschung zum Policy-Making und der Instrumentenwahl essentiell für diese Arbeit. Die Frage nach den Gründen für die Wahl bestimmter Policy-Instrumente wird dabei in einer Vielzahl von Studien adressiert. Linder und Peters (1989) richten ihren analytischen Blick auf die Erwartung an und Wahrnehmung von bestimmten Instrumenten durch Akteure im Policy-Making. Sie gehen davon aus, dass die Instrumentenwahl, u. a. durch grundlegende politische oder ideologische Unterschiede, das mit den Instrumenten verbundene politische Risiko 1 Im

Rahmen einer ersten Vorstudie wurde das Vorgehen bereits angewendet (Pollex 2017).

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(bspw. politische oder gesellschaftliche Kritik an einer bestimmten Art der Steuerung) oder administrative Kapazitäten bedingt ist (1989: 47). Daneben betonen Howlett und Mukherjee, dass nicht alle politischen Entscheidungen durch wissensbasierte oder logische Prozesse der Politikgestaltung und Instrumentenwahl charakterisiert sind (2014: 58). Vielmehr können kurzfristige Zeithorizonte, Perspektiven auf eine mögliche Wiederwahl oder limitiertes Wissen das Policy-Making beeinflussen (ebd. 64 f.). Grundlegend wird hier Politikgestaltung aber als Problemlösung angenommen. Demgegenüber stehen Ansätze, die Politiken eher als Zufallsprodukt konzipieren (Töller 2012). Maßgeblich für diese Perspektive auf die Politikfeldanalyse sind die Arbeiten von Cohen et al. (1972) zum Garbage Can oder Kingdon (2003) zum Multiple-Streams Ansatz. An diese Ansätze anknüpfend, fragen Studien danach, wie Akteure im Policy-Making schlüssige Verknüpfungen u. a. von Instrumenten und Problemen erstellen, um ihre Politikgestaltung zu begründen oder zu rechtfertigen (Zittoun 2013). Die strukturierte Einbindung von Adressaten und deren Charakterisierung als Einflussfaktor auf die Instrumentenwahl stellt bisher aber eher eine Randerscheinung in der Politikfeldanalyse dar. Vor allem Schneider und Ingram haben diesen Aspekt in die Forschung zur Politikgestaltung eingebracht (1993). Sie gehen von einer Konstruktion von Zielgruppen und daraus resultierender politischer Tätigkeit aus: „[…] the social construction of target populations has a powerful influence on public officials and shapes both the policy agenda and the actual design of policy“ (1993: 334). Der empirische Schwerpunkt dieser Studien richtet sich allerdings stark auf (re-)distributive Politiken. Schneider und Sidney fokussieren „benefits and burdens to be distributed“ (2009: 104). Nedlund und Nordh (2018) untersuchen die Charakterisierung von gesellschaftlichen Gruppen als bedürftig und die darauf aufbauende Formulierung sozialpolitischer Maßnahmen. Wie aber Charakterisierungen von Zielgruppen darüber hinaus auf die Instrumentenwahl wirken, bspw. in Bereichen, in denen eine allgemeine Verhaltensänderung verfolgt wird, stellt bisher ein Desiderat der Policy-Forschung dar. Gerade durch das vergleichende Design dieser Studie soll hierzu ein Beitrag geleistet werden. Die Einbindung von Zielgruppen und ihrer Charakterisierung ist auch deswegen bedeutsam, weil gerade in der Diskussion um Policy-Instrumente eine Bezugnahme auf Adressaten implizit mitgedacht werden muss. So argumentieren Lascoumes und Le Gales: „[…] public policy instrumentation is a major issue in public policy, as it reveals a (fairly explicit) theorization of the relationship between the governing and the governed […]“ (2007: 3). Damit stellen Sie die Politikgestaltung in den Kontext der Adressaten und Erwartungen an deren Verhalten. Der zweite Literaturstrang, auf den diese Arbeit aufbaut, ist die Forschung zum Policy-Making in der Europäischen Union. In dieser Arbeit konzentriere ich mich

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im Besonderen auf das Zusammenwirken von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament (EP). Zwar bespricht die aktuelle Forschung zur Europäischen Kommission u. a. die Rolle und das Agieren der Kommission in der Politikgestaltung auf europäischer Ebene (u. a. Smith 2014; Hartlapp et al. 2016; Tömmel 2016) und die zunehmende Politisierung der Arbeit der Kommission (Hartlapp et al. 2014). Wie und ob dabei aber Perspektiven auf die EU-Bürger eingebunden werden, ist bisher noch nicht umfänglich untersucht worden. Darüber hinaus haben, vor allem in der jüngeren Vergangenheit, Studien den Fokus auf eine diskursive Dimension gelenkt, um zu zeigen, welche Rolle Diskurse für die Politikgestaltung oder institutionelle Praktiken spielen (Nitoiu/Tomic 2013). Mathieu und Weinblum (2013) untersuchen bspw. die Erstellung von Storylines im Rahmen der EU-Außenhandelspolitik. Aber auch diesbezüglich besteht weiterer Forschungsbedarf: Wie Storylines mit Bezug zur Steuerung individuellen Verhaltens erstellt werden, wurde bisher nicht betrachtet. Ebenso umfangreich adressiert die aktuelle Forschung zum Europäischen Parlament eine Vielzahl von Themen, darunter die Kompetenzen des Parlaments und seine Stellung im politischen System der EU (u. a. Shackelton 2017; RoedererRynning/Greenwood 2017), seine Rolle im Policy-Making (u. a. Blom-Hansen 2014; Kohler 2014) und die Organisation der Parlamentsarbeit (Settembri/ Neuhold 2009; Christiansen/Neuhold 2013). Bisher wurde in dieser Forschung allerdings kaum analysiert, wie das EP Annahmen zu Bürgern und ihrem Verhalten formuliert und in seine Policy-Vorschläge einbindet. Diese Dimension kann zum Verständnis der Arbeit des Parlaments und seiner internen Positionsbildung beitragen (s. für die bestehende Forschung u. a. Yoshinaka et al. 2010; Thierse 2019). Bisherige Studien haben gezeigt, dass das Europäische Parlament Praktiken entwickelt hat, die es ihm erlauben, der Kommission im Policy-Making auf Augenhöhe zu begegnen (Häge/Kaeding 2007; Roederer-Rynning/Greenwood 2017; Lord 2018). Wie das EP hierbei aber in Bereichen agiert, in denen die Steuerung individuellen Verhaltens und der Schutz von Umwelt und Gesundheit im Fokus stehen, stellt eine Leerstelle der bisherigen Forschung dar. In Anknüpfung an Carstensen und Schmidt (2016) richte ich in dieser Untersuchung den Blick auf die Nutzung von Ideen und Interpretationen im Policy-Making. Gerade Annahmen zum Verhalten von Zielgruppen, so der Ausgangspunkt dieser Arbeit, spielen eine Rolle für die Instrumentenwahl und deren Begründung im Politikprozess. Wie hierbei Europäische Kommission und Parlament unterschiedliche Interpretationen nutzen, wie sie ihre Ideen durchzusetzen versuchen und welche Konflikte dabei auftreten, ist bisher nicht ausreichend in der Forschung zum PolicyMaking in der EU behandelt worden. Aus analytischer Perspektive konzentriere ich mich auf die Erstellung von Storylines, die politisches Handeln begründen.

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Einleitung

Im Fokus der Arbeit steht weiterhin, wie hierbei unterschiedliche Erzählungen aus Zielgruppe, Probleminterpretation und Instrument erstellt werden, um die Steuerung individuellen Verhaltens zu rechtfertigen. Neben der Forschung zum Policy-Making in der EU und zur Instrumentenwahl und -gestaltung baut die Arbeit auf die Forschung zu Verbraucherinnen und der Verbraucherpolitik auf. Dieses Politikfeld und die Bezugnahme auf Verbraucherinnen in anderen Bereichen sind für politikwissenschaftliche Studien von besonderem Interesse, da hier staatliches Handeln unmittelbar auf individuelles Handeln trifft. In Anknüpfung an Lascoumes und Le Gales (2007) werden hier also das Verhältnis von Regierung zu Regierten und Annahmen zu Bürgern besonders deutlich. Dennoch haben erst größere (politische) Krisen (v. a. im Bereich der Lebensmittelsicherheit im Zuge der BSE-Krise) in den 2000er Jahren zu einer intensiven Befassung mit der Verbraucherpolitik geführt (Janning 2004, 2011)2 . Mit Blick auf das Verhältnis von Politik und Markt identifiziert Vanberg (2003) die Ideale eines souveränen Konsumenten und eines souveränen Bürgers. Die Bezugnahme auf das souveräne Individuum sei ein relevantes Steuerungsideal, um freie Märkte und politisches Handeln in Einklang zu bringen. Daran anknüpfend bezeichnet Janning die „[…] von der liberalen Marktideologie angenommene Harmonie in den Beziehungen zwischen Verbrauchern und Produzenten […]“ als fernab jeder Wirklichkeit (2003: 154). Mit Blick auf diese Befunde scheint eine Analyse der Einbindung von Adressaten, und hierbei vor allem von Annahmen zu Konsumenten, bei der Instrumentenwahl und der Gestaltung politischer Steuerung notwendig. Auch in der Forschung zu verhaltensbasierten Policy-Interventionen, bzw. zum Nudging, wird zwar auf verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse und das Verhalten der Adressaten eingegangen, wie diese aber im Policy-Making rezipiert werden und unter welchen Bedingungen sie die Instrumentenwahl beeinflussen, ist bisher nur unzureichend geklärt (Moseley/Stoker 2013; Bogliacino et al. 2016). Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: In Kapitel zwei und drei werden die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Arbeit gelegt. Ich erstelle hierbei den theoretischen Rahmen der Arbeit (Kapitel zwei) und lege das politikfeldanalytische Vorgehen in Anknüpfung an diese Überlegungen dar (Kapitel drei). Hierbei wird im Rückgriff auf die Verbraucherforschung eine Analyseperspektive auf unterschiedliche Konsumententypen und idealtypische Annahmen zu ihrem Verhalten dargestellt. Kapitel vier widmet sich dem politischen Prozess auf supranationaler Ebene und stellt die Rolle der EU-Organe dar. Im Besonderen konzentriere ich mich hier auf 2 Zuvor

hatte sich die Politikwissenschaft fast zwei Dekaden kaum mit dem Thema befasst. Auch eine Verknüpfung von Verbraucherrecht und Verbraucherpolitik fand kaum statt (Janning 2011).

1

Einleitung

7

die Dynamik zwischen Kommission und EP, die in dieser Arbeit einen Schwerpunkt der Analyse darstellt. Daran anschließend werden in Kapitel fünf die beiden Politikfelder, auf die sich die Arbeit konzentriert, behandelt. In Kapitel sechs werden Leitfragen für die Analyse formuliert, die konzeptionellen und methodischen Grundlagen der Arbeit sowie das Vorgehen bei der Datenerhebung und -analyse dargestellt. Kapitel sieben und acht widmen sich den beiden Fällen. In ihnen wird die empirische Analyse der Erstellung von Storylines zur Politikgestaltung in den beiden Fällen vorgenommen. In Kapitel neun nehme ich zunächst eine vergleichende Zusammenführung der Fälle vor, bevor ich die Ergebnisse der Arbeit diskutiere und die Leitfragen beantworte. Darüber hinaus beziehe ich die Erkenntnisse der Arbeit auf die genutzten Forschungsstränge und stelle den Beitrag der Arbeit zur bisherigen Forschung dar. Abschließend fasst Kapitel zehn die Arbeit zusammen.

2

Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze

Diese Arbeit ist als Beitrag zur EU-Forschung und zu Fragen der Politikgestaltung im supranationalen Prozess angelegt1 . Dabei soll ebenso ein Beitrag zur Policy-Forschung geleistet werden. In der Folge werden zunächst grundlegende Perspektivenwechsel der Policy-Forschung diskutiert, bevor der analytische Zugang der Arbeit dargestellt wird. Im Zentrum der Policy-Forschung stehen: „[…] Fragen nach der Entstehung, der Form und den Folgen staatlichen Handelns […]“ (Knill/Tosun 2015: 9). Als theoretischer Hintergrund der gesamten Policy-Forschung kann eine Vorstellung vom Staat als zentraler gesellschaftlicher Steuerungsinstanz identifiziert werden2 (Mayntz 1996: 149). Die Wurzeln der modernen Policy-Forschung können in der Beratung politischer Akteure gesehen werden (Héritier 1993, Jann 2009): Vor allem in den 1960er Jahren prägten präskriptive und normative Auseinandersetzungen mit Politiken die Policy-Forschung, die in dieser Phase daher im Kern als Planungs- und Organisationsforschung bezeichnet wird: „[…] policy analysis was seen primarily

1 Diese

Teildisziplin wird auch als (vergleichende) Politikfeldanalyse bezeichnet. Darüber hinaus können weitere Entwicklungspfade und Schwerpunktsetzung innerhalb der PolicyForschung unterschieden werden, s. Jann 2009. 2 Grundlegend ist hier zudem, dass der Begriff Politik mit den englischen Begriffen policy, politics und polity weiter untergliedert wird. Die Policy-Forschung schließt also an die Betrachtung von policies an, die die inhaltliche Dimension der Politik darstellen und Gesetzte, Verordnungen und politische Programme umfasst. Politics meint den politischen Prozess und polity bezeichnet das Institutionelle Gefüge, z. B. politische Systeme, in denen politische Prozesse stattfinden. Diese Unterscheidung dient der analytischen Trennung von Phänomenen. Dabei sind natürlich politische Entscheidungen, politische Prozesse und institutionelle Faktoren interdependent (Knill/Tosun 2015: 11). Alle drei Dimensionen werden also zur Erklärung von Policy-Inhalten, deren Entstehung und Bewertung einbezogen (u. a.: Héritier 1993; Jann 2009, Cairney 2012). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_2

9

10

2

Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze

as an activity conducted inside government […] with the purpose of informing the choices of a few key people […]“ (Mintrom/Williams 2015: 3). Mittlerweile stellt eine analytische Perspektive auf die Prozesse der Politikgestaltung den Kern der Policy-Forschung dar und umfasst neben der Untersuchung des Policy-Prozesses unter anderem auch den Vergleich nationaler Politiken und Politikprozesse, den Vergleich von Policy-Instrumenten sowie die (vergleichende) Evaluationsforschung3 . Seit den 1980er Jahren prägen zudem interpretative Ansätze die Policy-Forschung. Hierbei stehen die Relevanz und der Einfluss von Ideen auf das Policy-Making im Fokus. Grundlegend für diese Konzepte sei die Überzeugung, „dass Handlungsorientierungen, Situationsdeutungen […] und Werthaltungen in der Policy-Forschung nicht einfach vorausgesetzt werden können, sondern als kausale Faktoren […] selbst analysiert und erklärt werden müssen“ (Jann 2009: 489; Fischer 2007). Einige für diese Arbeit relevante Ansätze auf Basis dieser „interpretativen Wende“ (Jann 2009: 489) oder des „argumentative turn“ (Fischer 2007) in der Policy-Forschung werden im weiteren Verlauf des Kapitels noch ausführlich besprochen. Die Arbeit fokussiert die unterschiedlichen Interpretationen der Realität im Policy-Making, wobei vor allem Interpretationen von und Annahmen zu Zielgruppen im Zentrum der Untersuchung stehen. So soll der Einfluss unterschiedlicher Ideen auf die Politikgestaltung analysiert werden. Hierzu fokussiere ich in der Folge Ansätze, die dabei helfen können, den Einfluss von Ideen im Policy-Making greifbar zu machen. In einem ersten Schritt werden daher theoretische Ansätze besprochen, in einem zweiten Schritt stehen dann konkretere analytische Zugänge im Fokus, die an diskursiven Perspektiven der Policy-Forschung anknüpfen und die empirische Untersuchung in dieser Arbeit anleiten.

2.1

Theoretische Ansätze der Policy-Forschung

Der Prozess des Policy-Makings kann insgesamt als unübersichtlich oder „messy“ (Cariney 2012: 4) bezeichnet werden und ist durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren gekennzeichnet (Schneider/Janning 2006; Knill/Tosun 2015). Um diese Faktoren zu identifizieren und zu untersuchen, nutzt die Policy-Analyse „eine Reihe von theoretischen Perspektiven“, die helfen, idealtypische und bisweilen „vereinfachte Vorstellungen“ über den Ablauf der Gestaltung von Politiken zu formulieren 3 Werner

Jann 2009 stellt die Entwicklung der Policy-Forschung, Themenkonjunkturen und Verknüpfungen zu anderen Subdisziplinen der Sozialwissenschaften ausführlich dar. In dieser Arbeit wird auf eine detaillierte Darstellung und Diskussion dieser historischen Entwicklung zugunsten der Konzentration auf den empirischen Fokus der Untersuchung verzichtet.

2.1 Theoretische Ansätze der Policy-Forschung

11

und die empirische Analyse anzuleiten (Knill/Tosun 2015: 46). Diese Ansätze stellen keine Theorien im engeren sozialwissenschaftlichen Sinn dar, deren Ziel es wäre, möglichst alle Fälle, die im Rahmen einer Theorie untersucht werden, zu erklären (Blum/Schubert 2011: 35). Mit Blick auf die Vielzahl empirischer Studien zum Policy-Making hatte bereits Theodor Lowi festgestellt, dass sich aus der Menge an Untersuchungen keine Theorie mit einer weiten Erklärkraft herausgebildet hätte (Lowi 1964: 478 ff.). Allerdings konnte die Policy-Forschung seither Theorien und Hypothesen mittlerer Reichweite erarbeiten, welche die Analysen leiten (Schmidt 1993). Zur Abgrenzung vom Konzept der Theorie schlagen Schneider und Janning den Begriff des theoretischen Rahmens vor, um auf das gängige Vorgehen der Kombination von Ansätzen zur Erklärung in der Policy-Forschung hinzuweisen (2006: 77, s. auch Scharpf 2000: 75). Daran anknüpfend wird in der Folge auf theoretische Ansätze der Policy-Forschung eingegangen, die grundlegende Perspektiven darstellen und Analysen in dieser Subdisziplin der Politikwissenschaft anleiten.

2.1.1

Überblick theoretischer Ansätze in der Policy-Forschung

Grundlegend können theoretische Ansätze zur Erklärung der Politikgestaltung nach den zur Erklärung herangezogenen Faktoren in strukturalistische, institutionalistische und akteurzentrierte Ansätze unterteilt werden4 . Strukturalistische Ansätze identifizieren grundlegende gesellschaftliche Strukturen und Konfliktlinien als Erklärungen. Hierzu zählen, u. a. sozioökonomische Erklärungen (z. B. varietis of capitalism), die Struktur von politischen Systemen oder die Cleavage-Theorie (Knill/Tosun 2015: 47 ff.; Cairney 2012: 113). Akteurzentrierte Ansätze weisen politischen Akteuren eine zentrale Relevanz bei der Erklärung von Politikgestaltungen zu und fokussieren dabei die Wechselwirkung aus institutionellem Rahmen und Akteurshandeln (Mayntz/Scharpf 1995). Institutionalistische Ansätze gehen von einer zentralen Rolle von Institutionen für Staatstätigkeit aus. Zunächst können unterschiedliche institutionalistische Ansätze unterschieden werden. Als wesentliche Ausprägungen können der historische, der soziologische und der rational choice

4 Es

existieren darüber hinaus auch weiterführende Ordnungen von theoretischen Ansätzen. So ordnen Schneider und Janning Ansätze entsprechend der Ebene von erklärenden Faktoren in Mirko-, Meso-, und Makroebene, worauf hier aber nicht weiter eingegangen wird (2006: 76 ff.).

12

2

Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze

Institutionalismus5 genannt werden (Hall/Taylor 1996). Für das hier zugrunde liegende politikwissenschaftliche Verständnis können Institutionen in formelle und informelle unterschieden werden (Cairney 2012: 70). Formelle Institutionen sind dabei jene, die „formal-rechtliche Verfahrensregeln und Organisationsstrukturen des politisch-administrativen Systems“ betreffen (Knill/Tosun 2015: 51). Hierbei stehen verfasste Akteure, Arenen oder das Verhältnis zwischen diesen im Fokus (Cairney 2012: 70). Informelle Institutionen sind hingegen solche, die als sozio-kulturelle Strukturen bezeichnet werden können. Hierbei spielen (gesellschaftliche, religiöse, kulturelle) Normen, die Handlungen anleiten, eine zentrale Rolle und beeinflussen das Handeln von Akteuren. Basis für dieses Verständnis von Institutionen ist eine soziologische Perspektive auf individuelles Handeln, die neben geltenden – aber nicht zwangsweise niedergeschriebenen – Regeln u. a. auch Rollenerwartungen umfasst, die Akteure beeinflussen (Cairney 2012: 71–71; Knill/Tosun 2015: 53).

2.1.2

Diskursiver Institutionalismus

In der Arbeit werde ich mich auf die Analyse von Interpretationen und Ideen im Policy-Making konzentrieren. Ich nutze daher post-positivistische Ansätze auf einer konkreten analytischen Ebene (s. die folgende Betrachtung in diesem Kapitel). Um dies auch auf einer abstrakteren Ebene theoretisch zu rahmen, nutze ich den Ansatz des Diskursiven Institutionalismus (Schmidt 2008, 2010; Carstensen/Schmidt 2016). Hierbei ist diese Arbeit aber nicht als radikal konstruktivistische Analyse angelegt, sondern versucht vielmehr, die Relevanz unterschiedlicher Ideen im Policy-Making zu untersuchen. Die Ansätze des historischen, akteurzentrierten oder rational choice Institutionalismus gehören zum etablierten Werkzeugkasten der Policy-Analyse. Sie können jedoch die Rolle von Ideen, Interpretationen der Realität, Weltsichten, politischen oder ideologischen Orientierungen nicht umfänglich abbilden6 . Obwohl keiner der angesprochenen Ansätze die Rolle von Ideen oder Interpretationen leugnen würde, sind diese dennoch nicht strukturiert und konzeptionell in die Ansätze eingebunden (Schmidt 2008, 2010). Der diskursive Institutionalismus stellt eine Ergänzung 5 Erklärungsansätze,

die einer rational choice Perspektive folgen, gehen unterschiedlich auf die Rolle von Akteuren und das Wechselspiel mit Institutionen ein. So können Institutionen als gegeben oder durch Akteure geschaffen betrachtet werden. Da dies nicht im Fokus der Arbeit steht, kann ich hierauf nicht detaillierter eingehen. Für eine weitere Diskussion s. Hall/Taylor 1996 und Shepsle 2006. 6 In der Folge nutze ich hierfür die Überbegriffe Ideen und Interpretationen und folge damit Schmidt in ihrer Analyse und Begriffsnutzung (Schmidt 2008).

2.1 Theoretische Ansätze der Policy-Forschung

13

dar und „[…] adds another institutionalist approach to our methodological toolkit“ (Schmidt 2008: 305). Als Definition für den diskursiven Institutionalismus (DI) in Abgrenzung zu den anderen drei zuvor genannten Versionen kann daher festgehalten werden: „The institutions of discursive institutionalism […] are not external rule-following structures of the three older institutionalisms that serve primarily as constraints on actors, whether rationalist incentives, historical paths, or cultural frames. They are instead simultaneously constraining structures and enabling constructs of meaning, which are internal to […] agents whose ’background ideational abilities’ explain how they create and maintain institutions at the same time that their ’foreground discursive abilities’ enable them to communicate critically about those institutions, to change (or maintain) them“ (Schmidt 2010: 4).

Schmidt identifiziert hier drei „[…] main levels of generality […]“ im Hinblick auf Ideen im politischen Prozess. Zunächst sind „philisophical ideas“ zu nennen, die grundlegende, dauerhaft stabile Überzeugungen darstellen (Schmidt 2008: 306)7 . Auf einem konkreteren Level können programmatische Ideen und Überlegungen identifiziert werden, die umfassende politische Interpretationen von Problemen und grundsätzliche Lösungsansätze zusammenführen: „These programmatic ideas […] define the problems to be solved […], the issues to be considered; the goals to be achieved; the norms, methods, and instruments to be applied; and the ideals that frame the more immediate policy ideas proposed to solve any given problem“ (Schmidt 2008: 306).

Am konkretesten bezeichnet Schmidt spezifische Policy-Ideen, die in konkreten Politiken und mit Blick auf spezifische Lösungen relevant sind. Dabei sind die beiden konkreten Arten von Ideen im Fokus kontinuierlicher politischer Debatten: „Whereas both policy ideas and programmatic ideas can be seen as foreground, since these tend to be discussed and debated on a regular basis, the philosophical ideas generally sit in the background […]“ (Schmidt 2008: 306). Damit integriert der DI eine explizite Akteurperspektive8 . Eine zentrale Rolle spielt darüber hinaus „ideational power“ (Carstensen, Schmidt 2016). Ohne hier auf eine Diskussion von Macht-Definitionen eingehen zu wollen, kann davon ausgegangen werden, dass Macht jede Chance ist, seinen 7 Schmidt verweist darauf, dass diese Überzeugungen nur in Krisenmomenten überhaupt eine

Veränderung erfahren können (2008: 306). eine ausführliche Diskussion zur Relevanz von Institutionen im DI und die Betrachtung unterschiedlicher Akteure s. Schmidt 2008; Carstensen/Schmidt 2016.

8 Für

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2

Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze

eigenen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen (Weber 1980)9 . Zunächst können Ideen und Interpretationen nur dann wirkungsvoll sein (vor allem im Kontext politischer Prozesse), wenn diese im Rahmen bestehender Herrschaftsstrukturen oder institutionalisierter Formen des Austausches diskutiert werden. Der Kern von ideational power bezieht sich auf die Durchsetzung von Interpretationen. Wer seinen Deutungen zu Geltung verhilft und sie gegen konkurrierende durchsetzt, „[…] defines the range of possibilities […]“ (Carstensen, Schmidt 2016: 321). Dabei ist der Prozess der Durchsetzung „[…] rarely […] a completely ‚rational‘ process in the sense that the most powerful necessarily are those with the ‚best‘ argument“ (Carstensen/Schmidt 2016: 323, Hervorhebung im Original). Insgesamt stellt der DI einen geeigneten theoretischen Rahmen dar, um die Wirkung von Ideen und Interpretationen im Policy-Making zu untersuchen. Die Kombination aus diskursivem Institutionalismus (auf der Ebene einer theoretischen Betrachtung sozialer Zusammenhänge) und die Zugänge post-positivistischer Ansätze (auf der konkreten Analyse-Ebene) bilden den analytischen Hintergrund dieser Arbeit.

2.2

Die Untersuchung der Politikgestaltung

Die Politikfeldanalyse fokussiert eine Reihe von Phasen und Elementen des politischen Prozesses. Einige Ansätze zur Analyse des Policy-Makings gehen auf die idealtypische Annahme zurück, dass es sich dabei um eine Abfolge von Phasen handelt, in denen Politiken als Antworten auf Probleme formuliert werden, um möglichst effiziente Lösungen zu gestalten (Allison 2008: 61). Als Kritik an diesen positivistischen Ansätzen wurde eine Vielzahl post-positivistischer Perspektiven in der Politikfeldanalyse entwickelt (Héritier 1993; Cariney 2012; Knill/Tosun 2015). Diese gehen von einem komplexen Prozess aus, der keinesfalls rein rationalen Regeln folgt (Héritier 1993; Cairney 2012; Lejano 2015)10 . Maßgeblich für die Entwicklung post-positivistischer Ansätze waren u. a. Cohen et al. (1972), die mit dem Garbage Can Modell einen ersten Ansatz vorschlugen,

9 Allgemein soll hier zudem festgehalten werden, dass Macht in sozialen Beziehungen durch-

gesetzt werden kann. Für eine ausführlichere Diskussion unterschiedlicher Perspektiven s. Anter 2012. 10 An dieser Stell sei nur kurz auf weiterführende Literatur verwiesen. So unterscheidet bspw. Teisman (2000) verschiedenen Ansätze nach einer vertikalen Trennung von Abläufen (rationale oder Cycle-Modelle) und horizontalen Abläufen (Stream-Modelle). Auf die Diskussion dieser unterschiedlichen Ansätze kann hier nicht ausführlicher eingegangen werden.

2.2 Die Untersuchung der Politikgestaltung

15

der den Policy-Prozess als ein „[…] relatively complicated intermeshing of elements“ betrachtet (Cohen et al. 1972: 16). Auch der Multiple-Streams-Ansatz nach Kingdon geht davon aus, dass das Policy-Making eher ungeordnet abläuft und in entscheidenden Situationen Probleme und Lösungen aneinandergekoppelt werden (2003: 72 f.). Dieser Perspektive folgend, kann davon ausgegangen werden, dass PolicyMaking sich weniger auf die Lösung von Problemen bezieht, sondern „[…] a political issue of management and control […]“ darstellt (Howlett et al. 2015: 423). Policy-Making kann also als Prozess angesehen werden, bei dem bestehende Ansätze (bspw. bereits genutzte Instrumente) auf neue oder drängende Probleme angewendet werden, um diese zu behandeln oder zu managen und weniger, um sie in ihrer Gänze zu lösen (Kingdon 2003: 79; Howlett et al. 2015). Daran anknüpfend identifiziert der Multiple-Streams Ansatz (MSA) drei Ströme: den Problem-, den Policy- und den Politics-Strom, die unabhängig voneinander fließen (Kingdon 2003). Im Problem-Strom werden Themen diskutiert und konkurrieren um politische Aufmerksamkeit. Im Policy-Strom werden, so die Annahme, unabhängig von etwaigen Problemen, Lösungen und Instrumente diskutiert. Dieser Prozess findet innerhalb von „communities of specialist“ statt, in denen wiederum unterschiedliche politische Ansätze diskutiert werden (Kingdon 2003: 143). Der Politics-Strom bezieht sich auf den politischen Prozess, Stimmungen oder Aushandlungsprozesse zwischen Interessengruppen und Parteien (Kingdon 2003: 145; Zahariadis 2008; Howlett et al. 2015; Blum 2018). In Anlehnung an den MSA ist für die Gestaltung von Politiken vor allem das „coupling“ – also die Verknüpfung der Ströme – zentral (Kingdon 2003: 173). Diese Verbindung zwischen „[…] problems and policies is one of the most complex questions in policy analysis“ (Zittoun 2013: 41). Dem MSF folgend, bestehen Lösungen im Policy-Strom und werden unabhängig von Problemen erstellt. Daraus ergibt sich eine zentrale Frage: „How can we grasp the meaning of policy if there is no logical reason for pairing a problem with a solution as it is rather the result of chance and opportunity?“ (Zittoun 2013: 42). Der Prozess des Koppelns kann als diskursiver Vorgang angesehen werden, bei dem Argumente für bestimmte Paarungen ausgetauscht werden (Blum 2018: 100). Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Agieren von Entrepreneuren. Sie nehmen Kopplungen in Situationen, in denen sich „windows of opportunity“ öffnen, vor und können damit bestimmte Pakete (aus Problemen und Lösungen) einbringen (Kingdon 2003: 173; Zahariadis 2008: 521). Zahariadis bezeichnet dies bspw. als ein Framing, das bestimmten Kopplungen verliehen wird, um ihnen eine Überzeugungskraft zu verleihen (2008: 522). Zittoun verweist auf die Erstellung von Storylines, die Policy-Akteure nutzen, um Kopplungen zu begründen und um Probleminterpretationen und Lösungsansätze

16

2

Policy-Forschung – Grundlagen und theoretische Ansätze

zusammenzubinden (2013: 48, 51). An dieses Verständnis des Policy-Makings anknüpfend werde ich mit Hilfe des Storyline-Ansatzes untersuchen, wie Ideen zu Zielgruppen, Instrumenten und Problemen miteinander kombiniert werden, um Policy-Ansätze als schlüssig darzustellen.

2.3

Analytische Perspektiven der Policy-Forschung: Interpretative und post-positivistische Ansätze

Nachdem die theoretischen Perspektiven und grundlegenden Annahmen zum Policy-Prozess für diese Arbeit geklärt wurden, soll in diesem Kapitel eine analytische Perspektive entwickelt werden, um den Einfluss von Ideen und Interpretationen auf die Politikgestaltung zu erfassen. Ich konzentriere mich daher in der Arbeit auf post-positivistische bzw. interpretative Perspektiven der Policy-Analyse (Fischer 2007; Münch 2016). Diese Ansätze beruhen auf der Annahme, dass wissenschaftliche Forschung ein diskursives und kontextgebundenes Verständnis von sozialen Entwicklungen inkorporieren muss (Fischer 1998: 129 ff.; Hajer 2005). Interpretative Ansätze können so als kulturalistische Perspektiven bezeichnet werden, die die diskursive Konstruktion von Problemen und Politiken durch Akteure in den Blick nehmen (Schneider/Janning 2006: 96 ff.). Dabei müssen gesellschaftliche Strukturen, wertebasierte Überzeugungen oder wissensbasierte Annahmen berücksichtig werden, da sie die Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit maßgeblich beeinflussen können (Fischer 2007: 224; s. auch: Hajer 2005; Lejano 2015). Ausgehend von der Prämisse, dass keine unumstrittene Interpretation der Realität existiert, gehen interpretative Ansätze davon aus, dass Akteure bestimmte Erzählungen erstellen, die ihrer Interpretation der Realität entsprechen und einzelne Elemente (z. B. Ereignisse, Daten, Problemlagen) zu einer story verknüpfen (Hajer 2002: 103 ff.; van Eeaten 2007: 251 ff.). In Anknüpfung an post-positivistische Analyseansätze der Policy-Forschung konzentriere ich mich in dieser Arbeit darauf, politische Entscheidungen unter Berücksichtigung von Deutungen und Interpretationen zu erklären. Im Fokus steht daher die „[…] Rekonstruktion der kollektiv wirksamen symbolischen Ordnungen in einem spezifischen soziohistorischen Kontext […]“, wodurch „[…] nachvollziehbar gemacht werden [soll], weshalb in ebendiesen Kontexten ein bestimmtes Handeln […] sinnvoll ist und ein anderes nicht“ (Barbehön 2018: 198). Ich orientiere mich in dieser Arbeit an dem Konzept der Storylines (Hajer 2002). Relevant ist dabei vor allem, dass Akteure im Policy-Making unterschiedliche Interpretationen und politische Schwerpunktsetzungen zu einer Erzählung verknüpfen und

2.3 Analytische Perspektiven der Policy-Forschung: Interpretative …

17

dabei die Vielzahl der Elemente (u. a. Details eines Problems, Adressatengruppe(n), Instrumente und Instrumentenkombinationen, ideologische Grundüberzeugungen) verdichten und zu knappen Erzählungen verknüpfen (Hajer 2002: 103 ff., Münch 2016: 60 f.). Aus dieser Perspektive untersuche ich in dieser Arbeit, wie Interpretationen zu Zielgruppen in Storylines eingebunden werden und welche Relevanz sie dabei für die Wahl bestimmter Instrumente und die Gestaltung dieser haben.

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl – Analyseelemente und analytisches Vorgehen

Diese Arbeit befasst sich mit der Wahl von Politikinstrumenten, wobei ich aus analytischer Perspektive davon ausgehe, dass – mit Bezug auf Zielgruppen – Storylines erstellt werden, die politische Maßnahmen und die Instrumentenwahl begründen. Die Untersuchung von Instrumentenwahl und -gestaltung ist eine, vielleicht die zentrale Frage der Policy-Forschung, da sie wesentliche Schlüsse auf das Verständnis von Adressaten zulässt: „[…] public policy instrumentation is a major issue in public policy, as it reveals a (fairly explicit) theorization of the relationship between the governing and the governed: every instrument constitutes a condensed form of knowledge about social control and ways of exercising it […]“ (Lascoumes/Le Gales 2007: 4).

In der Policy-Forschung wurden und werden eine Vielzahl von Ansätzen diskutiert, die wiederum eine Vielzahl von Einflussfaktoren oder Elementen betrachten, die die Instrumentenwahl und -gestaltung beeinflussen. Dabei werden u. a. Probleme, institutionelle Faktoren und Akteure als zentrale – wenn auch sehr unterschiedlich diskutierte – Aspekte für die Instrumentenwahl herausgestellt. Böcher und Töller verweisen u. a. auf Probleme und Problemdiskurse sowie situative Aspekte, die maßgeblich, neben Akteuren oder Institutionen, auf die Instrumentenwahl einwirken (Böcher/Töller 2007). Peters (2002) verweist auf die analytischen Elemente Ideen, Individuen, Institutionen, Interessen und ein internationales Umfeld, die wesentlich für die Instrumentenwahl (und deren Analyse) seien. Ansätze, die Zielgruppen oder Adressaten mit in die Instrumentenwahl einbeziehen, verweisen zudem auf soziale Konstruktionen und Annahmen, die stereotypische Vorstellungen (u. a. zum individuellen Verhalten) oder Interpretationen der Realität umfassen (Schneider/Sidney 2009).

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_3

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3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

Aufbauend auf diese Vielzahl von Ansätzen und den in Kapitel zwei diskutierten analytischen Perspektiven der Policy-Analyse konzentriere ich mich in dieser Arbeit grundlegend auf drei Elemente, deren Einfluss auf die Instrumentenwahl untersucht wird. Diese analytische Trennung unterschiedlicher Faktoren dient der Anleitung der Untersuchung. Mit dieser Unterscheidung soll auch die Kritik an Garbage Can- oder Stream-Modellen aufgenommen werden, die Dryzek deutlich formuliert: „Analytical garbage is still garbage“ (1983: 350). Dieser harschen Kritik folge ich ausdrücklich nicht. Dennoch ist es für meine Untersuchung relevant, die unterschiedlichen Faktoren als analytische Elemente voneinander zu trennen, um überhaupt ihre Rolle im Policy-Making untersuchen zu können. Im Fokus der Analyse steht die Zielgruppencharakterisierung. Daneben betrachte ich Probleminterpretationen und den Kontext. Unter letzterem Element werden die programmatischen Festlegungen im Politikfeld (Shanahan et al. 2011) und der internationale Kontext (Peters 2002) gefasst. Hierbei spielen die Annahmen des diskursiven Institutionalismus eine wesentliche Rolle: Ich betrachte mit Blick auf den Kontext vor allem Ideen und Interpretationen (sprich: programmatische Ideen), die limitierend auf die Instrumentenwahl im konkreten Fall wirken. Die Analyse der Probleminterpretationen ist wesentlich, da hiermit festgelegt wird, welche Adressaten und welche Verhaltensweisen überhaupt für eine Problemlage verantwortlich sind und daher mit Policies adressiert werden müssen (Capano/Lippi 2017). Gerade die Kombination aus Zielgruppe und Probleminterpretationen ist wesentlich, um schlüssige Storylines zur Instrumentenwahl zu erstellen. Capano und Lippi bezeichnen dies als „pursuit of sens-making“, das Akteure in der Politikgestaltung antreibt (2017: 274). Neben diesen drei analytischen Elementen konzentriere ich mich auf die Europäische Kommission und das Europäische Parlament als zentrale Akteure im Policy-Making. Hierzu werden in Kapitel vier grundlegende Überlegungen angestellt.

3.1

Zielgruppen von Politiken

Das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit besteht in der Analyse der Relevanz von Zielgruppen für die Gestaltung von Politiken und die Wahl von Instrumenten. Mit Blick auf dieses Analyse-Element sind für die Policy-Forschung die Arbeiten von Helen Ingram und Anne Schneider von zentraler Bedeutung, die die Konstruktion und Rolle von Zielgruppen für die Politik-Gestaltung untersucht haben (Schneider/Ingram 1993; Schneider 2015; Howlett 2014). Dabei, so das Hauptargument dieser Forschung, stellen Eigenschaften, die Adressaten zugeschrieben

3.1 Zielgruppen von Politiken

21

werden, eine zentrale Begründung für die Formulierung und Gestaltung einer Politik dar (Schneider 2015: 224). Die Forschung zu Zielgruppen knüpft dabei an die Untersuchung zur Verhaltenssteuerung durch politisches Handeln an (Schneider, Ingram 1990; John 2013) oder bezieht sich auf Fragen der „behavioural governance“ (Strassheim/Korinek 2015). Unter Zielgruppe einer Politik verstehe ich in dieser Arbeit Adressaten und bestimmte gesellschaftliche Gruppen und deren politische (und diskursive) Konstruktion: „The social construction of target populations refers to the cultural characterizations or popular images of the persons or groups whose behavior and well-being are affected by public policy“ (Schneider/Ingram 1993: 334). Vor allem diese Definition und Konstruktion der Adressaten einer Politik ist nach Schneider und Ingram zentral. Dabei bezieht sich die Beschreibung einer Zielgruppe auf Eigenschaften der Adressaten. Ihnen werden bestimmte Werte, Einstellungen, Überzeugungen und Charakteristiken zugeschrieben, die für die Gruppe konstituierend sind. Weiterhin spielen „behavioral assumptions“ eine zentrale Rolle für die Konstruktion einer Zielgruppe (Schneider/Ingram 1993: 335). Diese Annahmen über das Verhalten einer Gruppe müssen nicht explizit in Politiken formuliert werden, spielen aber sehr wohl implizit eine Rolle, da sie die Basis dafür bilden, wie und mit welchen Mitteln Adressaten angesprochen und ihr Verhalten gesteuert werden soll (Schneider 2015: 224 f.)1 . In der bestehenden Forschung wird daran anknüpfend untersucht, wie auf Basis dieser Zuschreibungen durch Policies Lasten, Verantwortungen und Leistungen verteilt werden. Wird eine gesellschaftliche Gruppe beispielsweise als deutlich wohlhabender als der Durchschnitt der Bevölkerung beschrieben, kann das die Grundlage für eine stärkere (steuerliche) Belastung dieser Gruppe sein (Schneider/Ingram 1993: 334 f.) Die Zuschreibung von Eigenschaften und Charakterisierung von Gruppen kann zudem auch aus strategischer Perspektive aktiv durch Akteure im Policy-Making genutzt werden: „[…] the electoral implication of a policy proposal depends partly on the power of the target population itself (construed as votes, wealth, and propensity of the group to mobilize for action) but also on the extent to which others will approve or disapprove of the policy’s being directed toward a particular target.“ (Schneider/Ingram 1993: 335)

Damit stellt die Beschreibung einer Adressatengruppe eine wichtige Kommunikation dar, mit der politisches Handeln und ergriffene Maßnahmen (u. a. hinsichtlich der gewählten Instrumente) begründet werden. Schneider und Ingram orientieren ihre Analysen von Zielgruppen zudem an der Maßgabe, diese empirisch überprüfen 1 Diese

Deutungen, so die Annahme der Arbeit, werden in Politikfeldern verankert.

22

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

zu können: „Social constructions of target populations are measurable, empirical, phenomena. Data can be generated by the study of texts, such as legislative histories, statutes, guidelines, speeches, media coverage, and analysis of the symbols contained therein“ (1993: 335). Hieran knüpfe ich in der Arbeit an und untersuche, wie die Beschreibung von Gruppen (als eine politische Konstruktion) erfolgt. Dabei steht die Beschreibung und Interpretation von Adressaten und deren Einbindung in Storylines im Fokus. Um in dieser Arbeit Zielgruppen, ihre Charakterisierung und Annahmen zu ihrem Verhalten zu untersuchen, nutze ich einerseits Ansätze einer politik- und rechtswissenschaftlichen Perspektive auf Konsumenten und andererseits auch Ansätze der dezidierten Verbraucherforschung. Hierbei können Idealtypen des individuellen Verhaltens herausgestellt werden; Tabelle 3.1 stellt die zentralen Aspekte dieser Idealtypen und die Rolle politischer Interventionen im Kontext der idealtypischen Annahmen zusammen. In Anknüpfung an die breite Forschung zu diesem Thema können zwei zentrale Leitbilder identifiziert werden: starke, aktive, informationssuchende, mündige Konsumenten und schwache, verletzliche, schutzwürdige Konsumenten (Cseres 2005; Strünck 2015; Klug 2015; Rauh 2016; Fridrich et al. 2017). Aus juristischer Perspektive kann eine „interference between consumer protection and competition“ herausgestellt werden (Cseres 2005: 307), wobei sich ein liberales und ein interventionistisches Modell gegenüberstehen. In der liberalen oder laissez-faire Perspektive des Zusammenspiels von Politik, Markt und Verbraucherinnen ist es das Ziel der Verbraucherpolitik, den souveränen Konsumenten zu unterstützen, den freien Handel zu gewährleisten und ihn durch Informations-, Vertrags- und Wettbewerbsrechte zu sichern. In dieser Perspektive wird ein „strong, active, information-seeking consumer“ angenommen (Cseres 2005: 323; Rauh 2016). Aus einer paternalistischen oder interventionistischen Perspektive ist es das Ziel der Verbraucherpolitik, Konsumenten in ihrer schwachen Position zu stärken, indem Marktversagen und ökonomische Ungleichgewichte sowie Machtdisparitäten abgebaut werden. Hierzu sind staatliche Interventionen, „[…] regulation of the substance of transactions, statutorily-mandated contract terms or standard consumer transactions“ notwendig. Das zugrunde liegende Verbrauchbild ist das einer „vulnerable, weak person who needs protection by the state“ (Cseres 2005: 323, Rauh 2016). Diese beiden Idealtypen des Verbrauchers sind so auch in der Verbraucherforschung zu finden. Häufig werden hierfür die Begriffe mündiger und verletzlicher Verbraucher verwendet (Fridrich et al. 2017). Die Idee des mündigen Verbrauchers basiert auf der neoklassischen Annahme vollkommener Märkte, die seit den 1970er und 1980er Jahren Wirtschaftswissenschaft und auch Wirtschaftspolitik prägte (Strünck 2015: 20). Zu dieser Annahme ist das Idealbild des mündigen oder

3.1 Zielgruppen von Politiken

23

souveränen Verbrauchers komplementär: „Das Idealbild der Konsumentensouveränität, wie es in den meisten volkswirtschaftlichen Lehrbüchern zu finden ist […]“, basiert auf der Prämisse transparenter Märkte, in denen Verbraucherinnen „[…] entsprechend ihrer eigenen Präferenzen auswählen können […]“ (Strünck 2015: 20). Die zentralen Merkmale dieses Idealtypus sind: rationales, souveränes Kaufverhalten mit dem Ziel der Nutzenmaximierung und ein Verlangen nach Informationen über Produkte, Dienstleistungen und mögliche Alternativen (Janning 2003: 157 f.; Strünck 2015: 20 f.; Rauh 2016: 37). Der Idealtyp des verletzlichen Verbrauchers bezieht sich auf einen Konsumenten, der aufgrund geringerer Informationen und endlicher Kapazitäten strukturell unterlegen und auf Hilfe bei der Entscheidung angewiesen ist (Klug 2017: 84). Zudem entscheidet dieser Konsument nicht frei nach einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Maximierungsstrategie, sondern ist von sozialen Normen, Gruppenzwängen, unvollständigen Informationen, Emotionen oder Kaufritualen beeinflusst (Janning 2003: 157 f.; Rauh 2016: 37; Strünck 2015: 23). Vor allem aus der Perspektive der behavioural economics muss diesbezüglich auch ergänzt werden, dass die Annahme rationaler Entscheidungsfindungen nur selten belegt werden kann. Hingegen sind kurzfristige Überlegungen, emotionale Verlustängste und auch die Wahrnehmung von Informationen stark von psychologischen und kognitiven Faktoren beeinflusst (Oliver 2015: 700 ff.). Damit bilden verhaltensökonomische Annahmen auch die Basis für Konzepte wie den liberalen Paternalismus und Nudging-Ansätze (Oliver 2015; Thaler/Sunstein 2009). Trotz der Kritik am Leitbild des mündigen Verbrauchers ist dieses nicht nur zur Analyse, sondern auch in politischen und rechtlichen Fragen relevant. So verweist Strünck darauf, dass der Europäische Gerichtshof sich in Entscheidungen auf einen aufmerksamen und souveränen Verbraucher beruft (2015: 24)2 . Neben den beiden Idealtypen eines starken bzw. schwachen Konsumenten werden in der Forschung noch weitere Annahmen und Verständnisse von Verbrauchern diskutiert, die Abstufungen der beiden zentralen Typen darstellen. Hierzu zählt u. a. die Idee eines verantwortungsvollen Verbrauchers, der bewusst auf den Ressourcenverbrauch und Implikationen des Verhaltens achtet (Klug 2017: 79 ff.). Ähnliche Perspektiven werden in der Forschung unter den Schlagworten ‚political consumption‘ und auch ‚sustainable consumption‘ besprochen (Stolle et al. 2005). Ebenso wird der Typ des ignoranten Verbrauchers diskutiert, der bewusst und willentlich auf die Übernahme von Verantwortung beim Konsum verzichtet. Beide Leitbilder 2 Der

Bundesgerichtshof beruft sich bspw. häufiger auf einen schutzwürdigen Konsumenten. Diese Unterschiede können in dieser Arbeit nicht ausführlich betrachtet oder gar geklärt werden.

24

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

können aber als Sondertypen bezeichnet werden (Klug 2017: 79, 83 ff.). Die Idealtypen des starken bzw. schwachen Verbrauchers stellen aus analytischer Perspektive dichotome Annahmen zum Verhalten dar, weswegen in der Analyse diese beiden Extreme genutzt werden, um zunächst die Unterschiede in der Zielgruppenwahrnehmung zu untersuchen. Im Lichte der Empirie wird dann ggf. auch auf differenziertere Annahmen zum Verbraucherverhalten eingegangen. Tabelle 3.1 Verbraucher-Idealtypen Merkmal

Starker und mündiger Konsument

Schwacher und verletzlicher Konsument

Grundlegende Verhaltensweisen

Souveränes Verhalten auf dem Markt, Kosten-Nutzen-Abwägung und rationales Verhalten in Anknüpfung an Abwägungen

Verhalten beeinflusst durch Emotionen, Routinen, Normen und mentale ‚shortcuts‘

Rolle der Politik

Zurückhaltende Rolle; Interventionen nur zur Stärkung von Märkten und ihren Funktionsweisen; Garantie von Marktmechanismen ohne Einschränkung der Verbraucherfreiheit

Aktive Rolle; Schutz des Verbrauchers durch politische Maßnahmen; Einschränkung von Freiheiten, wenn dies dem Schutz oder dem Erreichen von übergeordneten Zielen (z. B. mit Gemeinwohlbezug) dient

Relevante Politikinstrumente zur Stärkung der Verbraucherinnen

Empowerment der Verbraucher durch Erhöhung des Angebotes und die Stärkung von Marktmechanismen; Stärkung durch Informationen; Abbau von Informationsasymmetrien

Stärkung der Verbraucher in ihrer Bürgerrolle; Schutz vor Produkten/Stoffen, die übergeordneten Zielen entgegen stehen

Eigene Zusammenstellung basierend auf Strünck 2015; McShane/Sabadoz 2015.

Damit können sowohl aus der Verbraucherforschung, der Sozial- und Politikwissenschaft wie auch aus der juristischen Perspektive zwei zentrale Idealtypen des Verbrauchers identifiziert werden, die in der Folge als Analysefolie für die Charakterisierung von Zielgruppen verwendet wird.

3.2 Policy-Kontext

3.2

25

Policy-Kontext

Die Policy-Forschung betrachtet eine Vielzahl von Faktoren, die unter dem Begriff Kontext gefasst werden können. In dieser Arbeit konzentriere ich mich auf bestimmte Deutungen und Interpretationen. Daher werden unter Kontext in dieser Arbeit Politikfelder in den Blick genommen, da in diesen grundlegende programmatische Ideen festgeschrieben werden (Schmidt 2008)3 . Politikfelder können als Themengebiete beschrieben werden, die Akteure und Themen zusammenführen und damit einen institutionellen Rahmen für die konkrete Politikgestaltung bilden (Janning 2011; Blätte 2015; Loer et al. 2015)4 . Dabei sind Deutungen in den Feldern von Relevanz, weil sie zentrale Festlegungen darstellen und feldspezifische PolicyAnsätze (die Problemverständnisse, Ziele und Instrumente kombinieren) vorgeben (Blätte 2015: 97). In Anknüpfung an den diskursiven Institutionalismus können verschiedene Ebenen in Politikfeldern, die durch unterschiedliche Abstraktions- bzw. Konkretisierungslevel gekennzeichnet sind, unterschieden werden. Sie variieren in der Art der politischen Vorgaben zu Instrumenten und Programmen (Howlett 2009: 73 f.). Die grundlegende Annahme ist, dass abstrakte politische Programme (bspw. auf Ebene eines Felds oder als Regierungsprogramm) Festlegungen zu Politikvorstellung treffen. In Anknüpfung daran werden politische Ziele, Problemdefinitionen und Instrumente auf einer konkreteren themenspezifischen Ebene behandelt (Howlett 2009: 74). Dabei ermöglichen oder limitieren Entscheidungen, die auf einer abstrakteren Ebene getroffen werden, die möglichen Policy-Optionen auf einer konkreteren Ebene: „[…] the range of choices left at the micro-level of concrete targeted policy tool calibrations is restricted by the kinds of meso-level decisions made about policy objectives and policy tools, and both of these, in turn, are restricted by the kind of choices made at the highest or meta-level of general policy aims […]“ (Howlett 2009: 74).

Der analytischen Perspektive dieser Arbeit folgend, werden Politikfelder als abstrakte Ebene und Themengebiete als konkretere Ebene konzipiert, wobei letztere Policy-Ansätze konkretisiert und themenspezifische Ansätze formuliert. Einzelne

3 Unter

Kontext wären auch andere analytische Perspektiven denkbar, die bspw. ein PoliticsVerständnis und damit die Aushandlung von Interessen fokussieren. Aufgrund der Konzentration auf Ideen in dieser Arbeit wird diese Politics-Dimension an dieser Stelle nicht weiter einbezogen. 4 Welche Daten für die Analyse des Kontextes einbezogen werden, erläutere ich in Kapitel sechs.

26

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

Politiken versuchen, diese Vorgaben dann umzusetzen. Weiterhin können Festlegungen auf Feld- oder Themenebene langfristige Wirkungen auf das Policy-Making in Politikfeldern haben, indem bspw. Interpretationen von Zielgruppen oder Problemen wirkmächtig weiterführende Politiken beeinflussen und den Rahmen des Möglichen festlegen. Den Deutungen in Politikfeldern kann so auch eine langfristige Stabilität zugeschrieben werden. So kann mit Rückgriff auf Streeck und Thelen angenommen werden, dass bestehende Deutungen häufig reproduziert werden und dadurch Stabilität erlangen; Wandel findet so nur inkrementell statt (2005: 8 f.). Auch Lindblom (1959) zeigt, dass Akteure eher graduelle Politikanpassungen wählen, weil institutionelle Faktoren umfassenden Wandel erschweren. Die analytische Unterteilung eines Politikfeldes in unterschiedliche Ebenen eröffnet zudem Anknüpfungsmöglichkeiten zu Halls (1993) Perspektive auf Politikwandel, der gerade auf der Ebene von Politikparadigmen (also den grundlegenden Festlegungen im Feld) nur selten und eher graduell erfolgt. Dieser Fokus auf die Relevanz von dominierenden Deutungen schließt an die Perspektive des diskursiven Institutionalismus an, die bereits beschrieben wurde. Die Konzentration auf eine „diskursive Dimension“ (Blätte 2015: 92) von Politikfeldern und ihrer Konfiguration ergibt sich aus der Annahme, wonach politische Handlungsfelder „diskursiv konstruierte soziale Räume“ (ebd.: 94) darstellen. Damit nehmen Deutungen und Interpretationen eine übergeordnete Rolle ein, da sie „immer ein Teil“ aller Vorgänge und Handlungen innerhalb des Feldes sind (ebd.: 97). Die Annahme einer übergeordneten Relevanz von Deutungen für das Agieren in einem Politikfeld in Anknüpfung an interpretative Analyse-Ansätze wird als Untersuchungsperspektive in dieser Arbeit übernommen.

3.3

Probleme und Politiken

Zur Erklärung der Instrumentenwahl bezieht diese Arbeit Probleme als ein weiteres analytisches Element mit ein und fokussiert dabei Problemwahrnehmungen und Interpretationen. Die Policy-Forschung zeigt, dass Probleme keinesfalls klar im politischen Prozess beschrieben und umfänglich gelöst werden. Der zentrale Grund hierfür ist die Interpretation bestimmter Missstände aus unterschiedlichen Perspektiven: „Problem definition cannot be definitvely settled […]“ (Weiss 1989: 98). Vielmehr konkurrieren im politischen Prozess unterschiedliche Definitionen oder Interpretationen eines Problems. Aus analytischer Perspektive geht es hierbei also nicht um die Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Missstände klar beschreiben, sondern um einen politischen Akt der Aushandlung, bei dem

3.4 Politikinstrumente

27

sich „[…] competing interpretations […]“ gegenüberstehen (Rochefort/Cobb 1993: 59). So werden bestimmte Entwicklungen (bspw. Klimaerwärmung, Kinderarmut) durch Akteure unterschiedlich interpretiert. Akteure im Policy-Making versuchen, aufgrund ihrer Perspektive Probleme zu verstehen, sie zu beschreiben und daran anknüpfend Lösungen zu finden (Turnbull 2006: 6 f.). Relevant ist, dass Probleme im Policy-Making selbst eine politische Interpretation der Realität darstellen. Policy-Maker reagieren auf neue Probleme mit „[…] standard practice […]“ und adressieren nicht immer alle Aspekte eines Problems, sondern jene, die als „[…] more approachable […]“ angesehen werden (Turnbull 2006: 5). Weiterhin spielen die identifizierten Gründe für Missstände eine Rolle. Auch hierbei findet nicht ein rein rationaler Prozess, sondern eine Interpretation durch politische Akteure statt: „When there are multiple frames by which political actors might formulate a policy problem, to give it form they resort to argumentation rather than scientific demonstration“ (Turnbull 2006: 8). Relevant ist hier auch der Querverweis auf andere Analyseelemente wie Zielgruppen. Werden bestimmte Gruppen oder ein bestimmtes Verhalten als ursächlich identifiziert, erfolgt eine Adressierung dieser Gruppen. Dabei werden Gruppen bspw. als hilfsbedürftig beschrieben, sodass ihnen Unterstützung zuteil wird (Schneider/Ingram 1993: 335 ff.). Damit kann für diese Arbeit festgehalten werden, dass Problemdefinitionen als Resultat politischer Interpretationen und Aushandlungen verstanden werden. Mit der Problemdefinition geht die Adressierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen einher, deren Verhalten als relevant für eine Lösung angesehen wird. Auch hier können wieder Bezüge zum diskursiven Institutionalismus hergestellt werden, da bestehende Interpretationen in einem Politikfeld auch bei neuen Themen oder Problemen herangezogen werden. Somit können einmal getroffene Festlegungen zukünftiges Handeln beeinflussen oder einschränken.

3.4

Politikinstrumente

Im Fokus meiner Analyse steht die Wahl und Gestaltung von Instrumenten. Nachdem der analytische Fokus auf Zielgruppen, Probleme und den Kontext der Politikgestaltung dargestellt wurde, behandelt dieses Kapitel Instrumente. Die Erforschung von Policy-Instrumenten5 folgt Fragen nach der Art staatlichen Handelns und der politischen Einflussnahme auf gesellschaftliche Entwicklungen 5 In

der Folge werden Politikinstrumente, Policy-Instrumente, -Werkzeuge und Policy-Tools als Synonyme gebraucht.

28

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

(Knill/Tosun 2012: 15 ff.). Hierzu werden verschiedene Instrumente genutzt. Der Begriff Politikinstrument kann dabei zunächst als Sammelbegriff oder „generic term“ bezeichnet werden, unter den alle Techniken fallen, die Regierungen zur Verfügung stehen, um Ziele zu erreichen (Howlett 1991: 2). Bemelmans-Videc beschreibt Instrumente als „set of techniques by which governmental authorities wield their power in attempting to ensure support and effect social change“ (2007: 3). In dieser Perspektive wird die Beeinflussung individuellen Verhaltens deutlich – Instrumente werden mit dem Ziel der Verhaltensänderung eingesetzt.6 Die Entscheidung für ein bestimmtes Instrument (oder ein Set an Maßnahmen) stellt daher nach Vedung „one of the most intricate and important [decisions] in strategic political planning“ dar (2007: 21). Die Wahl von Instrumenten durch politische Akteure und Entscheidungsträger ist mit bestimmten Zielen und Erwartungen verbunden, weshalb es wichtig ist, zu wissen „what decisionmakers believe they are getting when they choose one instrument rather than another“ (Linder/Peters 1989: 37). Die Auswahl bestimmter Instrumente ist so auch Ausdruck der Logiken des politischen Handelns und der Art der Zielgruppenadressierung (Anderson 1977; Howlett 1991; Bemelmans-Videc 2007; Haselswerdt/Bartels 2015). Von Bedeutung ist in dieser Hinsicht, dass Instrumente nicht nur das Verhalten von Zielgruppen einschränken oder verändern, sondern darüber hinaus auch das Verhältnis zwischen steuernder Instanz (u. a. Gesetzgeber) und Betroffenen beeinflussen können. So erzeugen Verbote ein wesentlich stärkeres Kontrollverhältnis, bspw. zwischen Bürger und Staat, weil ein bestimmtes Verhalten nicht nur als unerwünscht bezeichnet wird, sondern Zuwiderhandlungen unter Umständen auch sanktioniert werden. Hingegen erzeugen Anreize, Informationen oder Subventionen eher ein kooperatives Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Zielgruppe (Bemelmans-Videc 2007: 27). Das folgende Kapitel gibt zunächst einen knappen Überblick über die Systematisierung von Instrumenten, bevor ich verschiedene Instrumenten-Typen diskutiere.

3.4.1

Systematisierung und Ordnung von Politikinstrumenten

Die Ordnung und Systematisierung von Instrumenten stellen einen Kern der PolicyForschung dar. Eine der einflussreichsten Ordnung von Instrumenten (und Politiken) hat Lowi (1964, 1972) vorgelegt und damit nachfolgende Untersuchungen stark beeinflusst. Er liefert auch einen überzeugenden Grund für die Erstellung von 6 Theoretisch können auch Instrumente zur Steuerung von Administrationen oder Bürokratien

sowie der Beeinflussung von Teilstaaten im Föderalismus unterschieden werden, die hier aber nicht im Fokus stehen, s. auch Bemelmans-Videc 2007: 4.

3.4 Politikinstrumente

29

Systematisierungen und Ordnungen, die nicht Selbstzweck seien, sondern dem Verständnis von Politiken und ihren Zielen dienten sowie dahinterliegende politische Handlungen und deren Maxime offenlegen könnten (Lowi 1972: 299). Lowi unterscheidet grundlegend zwischen distributiver, redistributiver und regulativer Politik (1964: 690 ff.) und ordnet Instrumente nach ihrer Intensität. Zentral ist hierbei, dass bestimmte Logiken der Instrumentenwahl zu berücksichtigen sind: „politics works in the short run“ (1964: 690) und innerhalb von begrenzten Amtszeiten und Wahlperioden sind Wiederwahl und politische Zustimmung zentrale Handlungsmaximen im Policy-Making. Zudem spielen Konfliktstrukturen eine zentrale Rolle für die Wahl von Instrumenten. Sehr stark politisierte Fragen werden demnach anders geregelt als weniger konfliktträchtige. Lowi kommt hier zu dem Schluss, dass bspw. „[d]istributive issues individualize conflict […]“ (1964: 695). Welche Gruppe also Leistungen erhält, gibt auch Auskunft darüber, auf welcher Seite eines Konfliktes (bspw. um Verteilung von Steuergeld) diese Gruppe steht. Insgesamt kann so festgehalten werden, dass Politikinstrumente nicht bloße Werkzeuge der Steuerung darstellen, sondern darüber hinaus im Kontext von Zielgruppen- und Problemverständnissen betrachtet werden müssen und über diese Aspekte Auskunft geben können. Weiterhin wurde von Vedung (2007) ein Vorschlag zur Ordnung von Instrumenten vorgelegt, der das Maß an Zwang, das durch Instrumente ausgeübt wird, fokussiert (2007: 23). Der Einsatz von Politikinstrumenten ist mit dem Ziel der Verhaltensänderung bei den Adressaten verbunden. Das Maß an Zwang, das durch ein Instrument ausgeübt wird, ist daher von zentraler Bedeutung. Vedung unterscheidet drei Kategorien von Instrumenten: Regulierungen, ökonomische Instrumente und Informationen. Grundlegend ist dabei die Abstufung: „regulation is more constraining for addressees than economic means, and the latter are more constraining than information“ (2007: 35). In diesem Zusammenhang geht Vedung (in Anknüpfung an Doern/Wilson 1974) davon aus, dass „[…] over time a policy problem is tackled in three different ways: first by the provision of information such as uttering a broad statement of intent, subsequently by the application of selective incentives, and lastly by the establishment of regulations accompanied by the threat of sanction“ (2007: 40).

Dieser Ansatz leitet die weitere Analyse in dieser Arbeit, weil er den Vorteil hat, eine Kategorisierung von Instrumenten eindeutig anhand des ausgeübten Zwanges vorzunehmen. Außerdem ist diese Ordnung durch Sparsamkeit gekennzeichnet und

30

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

orientiert sich an minimalist approaches zur Analyse von Instrumenten, weswegen Kernmerkmale von Werkzeugen herausgestellt werden und nicht der Versuch unternommen wird, alle möglichen Instrumente einzubinden7 .

3.4.2

Grundlegende Typen: Regulierungen, ökonomische Instrumente, Informationen

Neben grundlegenden Vorschlägen zur Ordnung von Instrumenten haben Studien eine Vielzahl von Überblicken und Heuristiken zu Instrumententypen vorgelegt. Linder und Peters unterscheiden u. a. Garantien, Qualitätsstandards, Quoten, Lizenzen, prozedurale Vorgaben, Steuern, Gebühren, Vergünstigungen oder Verbote. Hierbei ordnen Sie die Vielzahl an Instrumenten entlang von Kategorien wie, u. a., Kosten, öffentliche Wahrnehmung, Tiefe des Eingriffs, Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung (Linder/Peters 1989; Howlett 1991). Wesentlich schlanker unterscheiden Böcher und Töller Instrumente und unterteilen in: persuasive (u. a.: Informationen, Label, Bildungskampagnen), kooperative (u. a.: freiwillige Selbstverpflichtungen), prozedurale (u. a.: Auditverfahren), marktwirtschaftliche (u. a.: Steuern, Subventionen) und regulative (u. a.: Verbote, Grenzwerte) Instrumente (2007: 306). Auch in dieser Heuristik erfolgt die Ordnung anhand des Maßes an Zwang, das ausgeübt wird. Mit Blick auf die Adressierung von Bürgern und Konsumenten wird allerdings deutlich, dass eine größere Zahl von Instrumenten kaum nutzbar ist. So können Verbraucherinnen nur schwerlich prozedurale Vorgaben zum Konsum bestimmter Produkte gemacht oder Qualitätsstandards bei der Auswahl von Dienstleitungen vorgegeben werden. Auch freiwillige Vereinbarungen können mit Bürgern kaum geschlossen werden, da diese – anders als Industriesektoren oder Unternehmen – keine formal organisierte Vertretung haben. Bei der Analyse von Instrumenten, die individuelles Verhalten adressieren, ist daher die simple Unterscheidung in Informationen, ökonomische Instrumente und Regulierungen am sinnvollsten. Ich folge daher Vedungs Perspektive (2007). In dieser stellen Regulierungen Maßnahmen dar, bei denen Regierungen oder Gesetzgeber das Ziel der Verhaltensänderung durch das Setzen von Regeln und Vorgaben oder Verboten erreichen wollen (Vedung 2007: 31). Dabei ist das Maß des politischen Eingriffs und des angewandten Zwanges als hoch zu bezeichnen, weil ein Abweichen von der Regel als irregulär gilt und sanktioniert

7 Für

eine tiefergehende Analyse von minimalist und maximalist Ansätzen sei auf Vedung 2007 und Howlett 1991 verwiesen.

3.4 Politikinstrumente

31

werden kann (Döhler 2011: 519). Ökonomische Instrumente sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Ressourcen (um-)verteilen. Dies kann finanzielle Förderungen, steuerliche Vorteile oder Subventionen durch den Staat an bestimmte Gruppen oder Akteure, die als Zielgruppe definiert wurden, umfassen. Ebenso können aber auch Ressourcen durch den Staat angeeignet werden, indem bspw. bestimmte Güter oder Dienstleistungen besteuert werden (Vedung 2007: 32). Ökonomische Instrumente üben ein geringeres Maß an Zwang aus als Regulierungen. So müssen ökonomische Vorteile nicht zwingend in Anspruch genommen werden und Zuwiderhandlungen sind, wie bspw. eine Besteuerung von Produkten beim Kauf dieser, nur schwer möglich.8 Informationen üben keinen Zwang auf die Adressaten aus, sondern versuchen, sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen: „information includes measures undertaken to influence addressees through the transfer of knowledge, communication of reasoned argument, persuasion, advice, moral appeals […].“ (Vedung 2007: 48) Deutlich wird in dieser Beschreibung, dass die unterschiedlichen Typen auch unterschiedliche Wirkmechanismen nutzen. Während bei Regulierungen ein bestimmtes Verhalten erzwungen wird, setzen ökonomische Instrumente Anreize. Informationsinstrumente versuchen, Adressaten zu überzeugen, Wissen zu vermitteln oder auch moralische Appelle zu formulieren (Vedung 2007: 48). Gerade Informationsinstrumente spielen eine besondere Rolle, da sie versuchen Bürger oder Konsumenten zu aktivieren und damit langfristige Veränderungen zu erreichen (Holzinger et al. 2009: 50)9 . Hingegen besteht die Gefahr, dass beim Wegfall von Anreizen oder Verboten bestimmte gewünschte Verhaltensweisen wieder eingestellt werden.

3.4.3

Verhaltensbasierte Politikinstrumente

Eine weitere Kategorie von Instrumenten, die in der jüngeren Vergangenheit zunehmend im Fokus der Policy-Forschung steht, sind verhaltensbasierte Instrumente, wobei vor allem Nudging (zu deutsch: anstoßen, anstupsen) prominent besprochen wird. Hierbei werden libertär-paternalistische Eingriffe in das individuelle Verhalten von Bürgern betrachtet (Thaler/Sunstein 2009: 5 f.). Dabei handelt es sich nach 8 Dies

trifft auf die Mehrzahl der Instrumente zu. Auch bei Steuern ist ein Betrug natürlich möglich, der dann durchaus geahndet wird. Dies steht aber nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Politikinstrument und wird deswegen in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. 9 Die Autoren beziehen dies auf die europäische Umweltpolitik, in der sogenannte new instruments eine besondere Rolle spielen. Aber auch über dieses Feld hinaus, kann diese Beschreibung getroffen werden.

32

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

John et al. um „more subtle tools“ (2009: 362), als sie bspw. Informationsinstrumente darstellen, um individuelles Verhalten zu beeinflussen. Verhaltensbasierte Instrumente fokussieren kognitive und emotionale Reaktionen und wirken so durch ein unbewusstes Reagieren auf einen Nudge (Baldwin 2014: 834 f.; John et al 2009: 366). Konventionelle Instrumente, wie Informationen, wirken hingegen nur durch die aktive Wahrnehmung der Adressaten. Zielgruppen von Nudges werden so in eine bestimmte Richtung geleitet oder sanft gepusht (Thaler/Sunstein 2009: 4). Die Beschreibung des Ansatzes als libertär-paternalistisch bezieht sich dabei auf zwei Merkmale von Nudges als Instrument zur Steuerung von Zielgruppen. Diese sind einerseits „free to do what they want“ (Wilkinson 2013: 341) und andererseits Objekt der Verhaltenssteuerung durch „choice architects“ (Thaler/Sunstein 2009: 5). Letztere können explizit auch Regierungen oder politische Akteure sein und haben das legitime Interesse daran, „to steer peoples’s choices in directions that will improve their lives […]“ (Thaler/Sunstein 2009: 5). Nudges sind somit klar als Policy-Instrumente charakterisiert und stehen in einer Reihe mit Informationen oder ökonomischen Anreizen10 . Die Einordnung in die von Vedung (2007) vorgeschlagene Ordnung von PolicyInstrumenten nach der Intensität des von ihnen ausgeübten Zwanges erscheint dabei aber schwieriger. Zwar gehen Thaler und Sunstein davon aus, dass Adressaten von Nudges frei über eine Verhaltensanpassung entscheiden können, dennoch wirkt dieses Instrument auch über unterbewusste Reaktionen, sodass eine bewusste Verhaltenssteuerung eingeschränkt sein kann. Informationen oder Zwang und verhaltensbasierte Instrumente werden in der Literatur durchaus als unterschiedliche Instrumente betrachtet (Wilkinson 2013: 343). Zur Einordnung dieser Maßnahmen folge ich Loer (2019), die nicht von einer gänzlichen neuen Kategorie von Instrumenten ausgeht: Verhaltensbasierte Instrumente stellen hingegen klassische Werkzeuge dar, die mit verhaltensbasierten Zugaben ergänzt werden. Diese „enzymatic effects“, die durch verhaltensbasierte Ergänzungen stattfinden, verändern Instrumente, indem individuelles Verhalten auf einer kognitiven Ebene angesprochen wird. Sie verändern i. d. R. aber nicht die Kategorie von Instrumenten (Loer 2019). So können informierende Instrumente durch die Ergänzung um emotionale Aspekte ihren neutralen Charakter verlieren und einen verhaltensbasierten spin bekommen, der nicht nur rationale Verhaltensweisen, sondern auch emotionale anspricht und nutzt, um Verhalten zu ändern. 10 Natürlich kann der Nudge-Ansatz darüber hinaus kritisch betrachtet werden, vor allem aufgrund der Art der Verhaltenssteuerung als libertär-paternalistisch. Wilkinson (2013) zieht daher auch Parallelen zur Manipulation von Verhalten. Dies ist allerdings nicht der Fokus dieser Arbeit und kann daher hier auch nicht weiter ausgeführt werden. Für kritische Diskussionen s. John et al. 2009 und Baldwin 2014.

3.5 Zwischenfazit: Das analytische Vorgehen in der Arbeit

3.5

33

Zwischenfazit: Das analytische Vorgehen in der Arbeit

Aus den Darstellungen und Überlegungen in Kapitel zwei und drei leitet sich das analytische Vorgehen der Arbeit ab. Zur Strukturierung der Untersuchung habe ich analytische Elemente (Zielgruppen, Probleme und Kontext) unterschieden, deren Einfluss auf die Wahl und Gestaltung von Instrumenten betrachtet werden soll. Im Fokus steht dabei, wie Adressaten in Storylines eingebunden werden, um Maßnahmen als schlüssig und adäquat darzustellen. In Anknüpfung an die interpretative Policy-Forschung gehe ich davon aus, dass zu Zielgruppen und Problemen innerhalb der Politikfelder Deutungen erstellt werden, die wiederum Einfluss auf die konkrete Policy-Gestaltung innerhalb des Feldes haben. Die Fälle in dieser Arbeit umfassen die jeweiligen Policies, also eine bestimmte Regulierung zur Produktkennzeichnung, in der bspw. Größe, Art und Form der Kennzeichnung, eingeschlossene Produktgruppen, Übergangsfristen etc. bestimmt werden. Ich gehe davon aus, dass im Feld unterschiedliche Adressatengruppen bzw. Interpretationen zu den Adressaten existieren und besprochen werden. Diese werden anhand der idealtypischen Annahmen, die in diesem Kapitel dargestellt wurden, untersucht. Im ersten Schritt der Analyse wird daher herausgearbeitet, welche Deutungen (bzw. programmatischen Ideen) innerhalb der Felder erstellt, welche Schwerpunkte für politische Ansätze beschrieben und welche Festlegungen damit für die Politikgestaltung getroffen werden. Im zweiten Schritt der Analyse fokussiere ich dann die Erstellung von Politiken in den konkreten Fällen11 . Dabei werde ich untersuchen, welche Deutungen zu Adressaten, Problemen oder PolicySchwerpunkten in Storylines kombiniert werden (s. Hajer 1993). Ich nehme an, dass bestimmte – im Feld vorhandene Deutungen – im Rahmen der Politikgestaltung in konkreten Fällen zu schlüssigen Policy-Paketen, bestehend aus Adressaten, Instrumenten und Problemverständnissen, verbunden werden. Mit Blick auf den Prozess der Politikgestaltung auf EU-Ebene rücken zwei Organe in den Fokus der Untersuchung: die EU-Kommission und das Europäische Parlament. Gerade die supranationalen Organe sind von zentraler Bedeutung, wenn Politiken einen Bezug zum Binnenmarkt haben. Die Kommission hat einen maßgeblichen Einfluss auf Schwerpunktsetzungen von Policies und darüber hinaus auch mit Blick auf die Gestaltung der Politikfelder. Das Europäische Parlament ist durch die sukzessive Stärkung seiner Rolle in den Feldern mit Binnenmarktbezug und in der Gesetzgebung hierbei als ebenbürtiger Mitspieler der Kommission 11 Diese werden in der Folge noch dargestellt. Ich konzentriere mich auf die EcolabelRegulierung, die Tabakproduktrichtlinie und die Empfehlung zu rauchfreien Zonen.

34

3

Politikformulierung, Zielgruppen und Instrumentenwahl …

zu sehen. Diese beiden Organe werden daher in der Arbeit in den Fokus genommen, um die Policy-Gestaltung zu untersuchen. Sie werden im folgenden Kapitel ausführlich betrachtet.

4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

Dieses Kapitel behandelt den politischen Prozess in der Europäischen Union1 und stellt zu Beginn die Grundlagen des Policy-Makings, zentrale Akteure und Entwicklungen in der EU zusammen. Hierbei konzentriere ich mich vor allem auf den Prozess der Politikgestaltung, da sich die Analyse der beiden Fälle im weiteren Verlauf der Arbeit daran orientieren wird. So sollen auch genuin europäische Besonderheiten dieses Prozesses abgebildet werden. Die Betrachtung der Organe wird geleitet durch die Fragen: Welche Organe nehmen wie Einfluss auf die Politikgestaltung? Wie läuft dieser Prozess auf EU-Ebene ab und welche Dynamiken sind bei der Analyse zu beachten? Vor allem die Stellung von Kommission und EP als Agenda-Setzer, bzw. „conditional agenda-setter“ (Tsebelis 1994), ist hierbei relevant. Gerade diese zentrale Position im Agenda-Setting ermöglicht es beiden Organen auch, Interpretationen in den Politikprozess einzubringen. Sie können so als Entrepreneure bezeichnet werden, die maßgeblich an der inhaltlichen Schwerpunktesetzung europäischer Policies beteiligt sind. Die jüngere Forschung widmet sich verstärkt der Frage nach dem Wirken der beiden Organe im Policy-Making: Egeberg et al. (2014) betrachten ideologische Schwerpunkte in der Arbeit von Kommission und EP und wie dies die Zusammenarbeit beider Organe beeinflusst. Weiterhin haben Beland et al. (2014) den Fokus der Forschung auf die Bedeutung einer ideational power – auch im Kontext der EU – gelenkt, um die Wirkung von Ideen im Policy-Making greifbar machen zu können. Weiterhin fragt Thierse (2019) nach der Rolle von Rapporteuren 1 Ich

bezeichne in dieser Arbeit alle unterschiedlichen Stadien der Zusammenarbeit der Mitgliedsländer als Europäische Union. Die genauen Bezeichnungen für unterschiedliche historische Phasen, bspw. Europäische Gemeinschaft u. a., werden nur dort verwendet, wo unbedingt zwischen Integrationsphasen unterschieden werden muss. Da diese unterschiedlichen Stadien nicht der Fokus der Arbeit sind, nutze ich in den meisten Fällen den Begriff Europäische Union, um auf die Staatengemeinschaft zu verweisen. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_4

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4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

im EP und ihrer Einflussnahme auf die Politikgestaltung. Rauh (2019) untersucht die Politikgestaltung der Kommission mit Berücksichtigung einer unterschiedlichen Politisierung und Salienz bestimmter Themenbereiche. Diese vielfältigen Studien haben aus unterschiedlichen Perspektiven den Blick auf das Agieren von Kommission und Europäischem Parlament gerichtet. Die vorliegende Arbeit ist als weiterführender Beitrag gedacht, mit dem der Fokus auf die Adressierung der Bürger der EU gelenkt wird. Vor allem die Frage danach, wie beide Organe mit ihren Interpretationen zu Zielgruppen und Problemen die Wahl und Gestaltung von Instrumenten beeinflussen und Ideen zu Adressaten und deren Steuerung in den Politikansätzen verankern, steht dabei im Fokus.

4.1

Politik in der Europäischen Union – Entwicklung, Organe und Policy-Making

Der Prozess der Europäischen Integration hat bis heute ein komplexes System der Politikgestaltung hervorgebracht, das intergouvernementale und supranationale Elemente miteinander vereint (Keohane/Hoffmann 1991: 17; Stone Sweet/Sandholtz 1998; Hix/Høyland 2011). Mit der zunehmenden Integration von Politikbereichen fand auch eine Kompetenzverschiebung von der nationalstaatlichen auf die supranationale Ebene statt, die mittlerweile durch eine starke Rolle der Kommission und eine gestärkte Rolle des Europäischen Parlaments gekennzeichnet ist (Hix/Høyland 2011: 10; Tömmel 2016). Dabei können Politikfelder nach dem Grad der Integration und der supranationalen Zuständigkeit unterschieden werden, wobei hier eine große Varianz festgestellt werden kann (Jachtenfuchs/Kohler-Koch 2003). Klassische Kernkompetenzen der Nationalstaaten, wie bspw. Verteidigungspolitik, sind durch eine Dominanz der Mitgliedstaaten und den Verbleib der Kompetenzen auf nationaler Ebene gekennzeichnet (Hix/Høyland 2011: 28). Hingegen sind alle Politikfelder, die für die Binnenmarktintegration relevant sind, weitgehend integriert und vom supranationalen Policy-Making stark beeinflusst (Hix/Høyland 2011: 192 ff.). Ein Beispiel hierfür stellt die europäische Umweltpolitik dar, die aufgrund der Relevanz von Umweltstandards (v. a. für Produkte, die auf dem Binnenmarkt gehandelt werden) eine zunehmende Integration auf EU-Ebene erfahren hat (Knill/Liefferink 2013). Gerade in diesen Feldern, in denen die supranationale Ebene stärker Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen kann, ist das Zusammenspiel der Organe Kommission und Parlament von besonderem Interesse. Daneben können auch Bereiche identifiziert werden, in denen die Mitgliedstaaten ihre Politik auf EU-Ebene koordinieren, ohne das hierbei maßgebliche Kompetenzen auf die supranationale Ebene

4.2 Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission

37

transferiert wurden oder werden, sowie Bereiche, die ausschließlich durch nationale Kompetenzen gekennzeichnet sind2 (s. Hix/Høyland 2011: 6; AEUV Art. 2–6). Obwohl Politikfelder unterschiedlich stark integriert sind, kann doch eine grundlegende und übergreifende Entwicklung festgestellt werden: Seit den Römischen Verträgen sind mit zahlreichen Schritten der Vertiefung der europäischen Integration zunehmend Kompetenzen auf die europäische Ebene transferiert worden. Hierbei entscheidend sind vor allem die Verträge der Union, die das Verhältnis von supranationaler und nationaler Ebene und die Zuständigkeiten der EU-Organe regeln. Als zentrale Entwicklungsschritte können hier zunächst schlaglichtartig vor allem die Einheitliche Europäische Akte (1987), der Maastrichter Vertrag (1993), die Verträge von Amsterdam (1999) und Nizza (2003) sowie der Vertrag von Lissabon (2009) genannt werden. Die Verträge eint, dass sie maßgebliche Veränderungen des Primärrechts der Union darstellen, welche die supranationale Ebene gestärkt und entscheidend die Strukturen des supranationalen Policy-Makings beeinflusst haben (Hix/Høyland 2011: 8 ff.). Vor allem mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurden die zentralen supranationalen Organe, Parlament3 und Kommission, aufgewertet und ihre Kompetenzen erweitert (Keohane/Hoffmann 1991: 6; Hix/Høyland 2011: 8 f.; Tömmel 2014: 49) 4 . In Themenbereichen, die den Binnenmarkt und sein Funktionieren betreffen, kommt beiden Organen eine maßgebliche Stellung zu, da sie über Schwerpunktsetzungen, Politikansätze und deren Gestaltung maßgeblich mitentscheiden, worauf ich in der Folge eingehe.

4.2

Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission

Aufgrund der zentralen Stellung von Parlament und Kommission werden beide Organe und ihr Wirken im Policy-Making in den Fokus der folgenden Betrachtung gestellt. Das besondere Erkenntnisinteresse dieser Arbeit gilt der Interaktion von 2 Auf

diese beiden Dimensionen wird hier nicht weiter eingegangen. Bezeichnung des Europäischen Parlaments als Parlament erfolgte erst durch den Vertrag von Maastricht. Zuvor wurde das Organ, u. a. als Versammlung der EG bezeichnet. In dieser Arbeit wird durchgängig die Bezeichnung als Europäisches Parlament auch für Phasen verwendet, in denen das Organ formal einen anderen Namen trug (Borchardt 2015: 172 f.). 4 Ohne hier stärker auf die unterschiedlichen Dynamiken der europäischen Integration einzugehen, muss angemerkt werden, dass durch eine Stärkung der supranationalen Ebene nicht intergouvernementale Elemente geschwächt wurden. S. dazu u. a. Tsebelis/Garret 2011 und Tömmel 2014. 3 Die

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4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

Kommission und Parlament, da sie als supranationale Organe eine zentrale Stellung im politischen System der EU einnehmen. Stone Sweet und Sandholtz haben schon früh die Erwartung formuliert, dass „[o]nce supranational institutions are born, a new dynamic emerges […] (1997: 300). So können Kommission und EP in Anknüpfung an Stone Sweet und Sandholtz als „[…] locus of new a new kind of politics […]“ konzipiert werden (ebd.). Das Europäische Parlament steht hier zunächst im Fokus, weil es die direkt gewählte Vertretung der Unionsbürger darstellt (Tömmel 2014: 105). Neben der Bedeutung als Bürgervertretung hat das Parlament wesentliche Kompetenzen innerhalb der EU. Zu seinen Funktionen gehören Rechtsetzungs-, Haushalts- und Kontrollbefugnisse, ein Zustimmungsrecht in auswärtigen Angelegenheiten sowie weitere Zustimmungsrechte (Tömmel 2014: 107). Obwohl diese Funktionen eindeutig zu den ‚klassischen‘ Parlamentsfunktionen zählen (Patzelt 2003), unterscheidet sich das EP dennoch von nationalen Parlamenten und ihren Funktionen in parlamentarischen oder semi-präsidentiellen Systemen (Shackelton 2017: 192). Vor allem das Fehlen des Initiativrechts ist hier zu nennen, weswegen das Parlament nicht ohne die Kommission ein Verfahren zur Gesetzgebung initiieren kann (Tömmel 2014: 109; Hix/Høyland 2011: 54). Trotz der eingeschränkten Initiativfunktion spielt das EP dennoch eine zentrale Rolle im Prozess der Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Diese Kompetenz hat sich über eine Vielzahl von europäischen Verträgen geändert (Tömmel 2014, Shackelton 2017). Maßgeblich wurde die Stellung des Europäischen Parlaments mit der Einheitlichen Europäischen Akte aufgewertet: „[…] it was only with the adoption of the SEA [Single European Act] in February 1986 that the EP was to become a significant player in the sphere of legislative politics“ (Rittberger 2005: 143). Hierbei war vor allem die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens von besonderer Bedeutung, da das Parlament so durch Änderungsvorschläge die Initiativen der Kommission wirkungsvoll verändern kann (Rittberger 2005: 143). Im Zuge dieser Kompetenzerweiterung war das EP in der Lage „[…] considerable influence on the substance of important pieces of Community legislation […]“ auszuüben, die unter dem Konsultationsverfahren so nicht möglich gewesen wären (Rittberger 2005: 143 f.). Durch den Vertrag von Lissabon wurde das Mitentscheidungsverfahren zum Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union aufgewertet und auf nahezu alle Bereiche der EU-Politik ausgeweitet (Hix/Høyland 2011: 53). Mit dieser Vertragsänderung wurde das Parlament „[…] in eine gleichberechtigte Legislative neben dem Rat transformiert“ (Tömmel 2014: 108). Insgesamt kann also eine sukzessive Stärkung des Parlaments und seiner formellen Kompetenzen als Teil der Legislative festgestellt werden. Damit ist durch die schrittweise Aufwertung des EP auch ein

4.2 Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission

39

mächtiger Akteur auf supranationaler Ebene geschaffen worden, der neben der Kommission maßgeblich Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen kann. Vor allem die Möglichkeit, Themen in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit zu rücken und damit eine Entscheidung herbeizuführen und so auch Inhalte zu gestalten, ist essentiell im politischen Prozess (Princen 2011: 927 f.). Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten zur Initiative kann das EP einerseits die politische Agenda weniger stark setzen als die Kommission. Andererseits kann es als Agenda-Shaper bezeichnet werden, da es die Kommission zur Aufnahme bestimmter Themen aufrufen und so zumindest eine öffentliche Aufmerksamkeit und auch eine politische Befassung erreichen kann (Hix/Høyland 2011). Dabei ist das Parlament dann am mächtigsten, wenn es Kommission und Rat mit einer gemeinsamen Position gegenübertritt, was hohe Anforderungen an die innere Konsensfindung stellt (Tömmel 2014: 110; Tsebelis/Kreppel 1998). Für die Betrachtung des Parlaments ist hier festzuhalten, dass es als Organ im politischen System der EU, trotz der eingeschränkten Möglichkeiten, Gesetzgebungsprozesse zu initiieren, dennoch seit Ende der 1980er Jahre auch formal eine machtvolle Position einnimmt und maßgeblich den politischen Prozess beeinflusst. In Anknüpfung an Carstensen und Schmidt (2016) kann hier gefragt werden, wie das Parlament Macht durch die Nutzung von Ideen ausüben kann, um die Politikgestaltung zu beeinflussen. Abgesehen von seiner Stellung im politischen System der EU ist das Parlament auch durch die genuin parlamentarische Arbeit gekennzeichnet, deren Verständnis für die Untersuchung der Dynamiken zwischen EP und Kommission relevant ist. Die parlamentarische Arbeit des EP unterscheidet sich zunächst in einem zentralen Aspekt von der Arbeitsweise vieler nationaler Parlamente: „There is no permanent coalition in the European Parliament, and without a government to support, legislative coalitions are formed vote by vote“ (Hix/Høyland 2011: 59, Thierse 2015). Die beiden größten Fraktionen, Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialisten und Demokraten (S&D) agieren hierbei häufig in dem Modus einer großen Koalition5 (Hix/Høylad 2011: 59). Die Arbeit der Fraktionen6 ist durch parteipolitische, inhaltliche und ideologische Unterschiede gekennzeichnet, die über die letzten Legislaturperioden nur unwesentliche Veränderungen erfahren haben (McElroy/Benoit 2012: 157; Daniel/Thierse 2018). So können die Fraktionen u. a.

5 Für

eine ausführliche Aufstellung der Fraktionen und ihrer Stärke, s. Tömmel 2014: 165 ff.

6 Ich nutze in der Folge die Begriffe Fraktion und Partei in Bezug auf die politischen Gruppen

im EP synonym, da ich mich auf die Arbeit im Parlament konzentriere und nicht auf die weitere Rolle und Arbeit der Parteien eingehe (bspw. Kandidatenauswahl o. ä.). Die Verordnung 2004/2003 regelt die Rolle europäischer Parteien. Siehe dazu u. a. Mittag/Steuwer 2010: 18 ff.

40

4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

anhand der Dimensionen Links-Rechts, Integrationsfreundlich oder -feindlich (Hooghe et al. 2002) oder auch freier Markt vs. staatliche Regulierung (McElroy/Benoit 2012) unterschieden werden. Vor allem den Parlamentsausschüssen kommt eine zentrale Stellung zu, da in ihnen die Positionen des Parlaments erarbeitet werden und sich hier auch die Fraktionen auf Basis der inhaltlichen Arbeit mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Politikvorstellungen gegenüberstehen (Tömmel 2014: 170). Die Arbeit in den Ausschüssen ist dabei durch den Fokus auf die Mitgestaltung der Politik gekennzeichnet. Das Erreichen von Kompromissen innerhalb eines zuständigen Ausschusses ist für die Möglichkeit der Einflussnahme relevant (s. o.). Dabei spielen Formen des informellen Austausches und der informellen Kooperation eine wichtige Rolle, um einerseits inhaltliche Kompromisse zu finden und andererseits, um damit der Kommission geschlossen gegenüberzutreten (Settembri/Neuhold 2009). Der Aspekt der parlamentarischen Arbeit zur Mitgestaltung von Politiken hat damit insgesamt im EP zunehmend an Bedeutung gewonnen. Andererseits hat die Annäherung der Arbeit des EP an klassische Funktionsweisen nationaler Arbeitsparlamente7 die deliberative, auf Austausch im Plenum fokussierte Arbeit des EP zurückgedrängt (Kohler 2014). So hat gerade in Bezug auf die Politikgestaltung und den Prozess der Gesetzgebung ein Wandel des EP von einer „[…] consultative assembly to full-fledged legislature […]“ stattgefunden (Yoshinaka et al. 2010: 457). Innerhalb des Parlaments bilden die Ausschüsse thematisch spezialisierte Foren, in denen die politische Willensbildung stattfindet (Bowler/Farrell 1995; Princen 2011)8 . Auch im Parlament und seinen Ausschüssen sind die politischen Positionen und Präferenzen der Fraktionen und bisweilen Differenzen zwischen diesen von Relevanz und müssen im Prozess der Gesetzgebung ausgeglichen werden. Dies ist notwendig, damit das EP seine volle Macht im Policy-Making gegenüber Rat und Kommission ausspielen kann (Hix/Høyland 2011; Versluis et al. 2011; McElroy/Beniot 2012; Tömmel 2014). Bei der Politikgestaltung nehmen vor allem die Vorsitzenden der Ausschüsse, die

7 Der

Vergleich des EP mit nationalstaatlichen Parlamenten und ihren Arbeitsweisen, v. a. in parlamentarischen Systemen, wird in der Forschung intensiv besprochen. Eine ausführliche Darstellung dieser Diskussion ist hier nicht möglich. Für das Verständnis der Arbeit des EP gerade bei der Politikgestaltung durch die Ausschussarbeit ist die Bezugnahme auf nationale Parlamente aber sinnvoll, um die Mitgestaltungsmöglichkeiten des EP einzuschätzen, s. u. a. Settembri/Neuhold 2009. 8 Hierbei ist die Besetzung der Ausschüsse, die Prestigeträchtigkeit und Bedeutung einiger Gremien und die Austarierung der Parteizugehörigkeit bedeutsam. Auf die Binnenstruktur dieser Gremien kann diese Arbeit nicht ausführlich eingehen. s. McElroy 2008 und Thierse 2015 für eine weitere Befassung mit dem Thema.

4.2 Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission

41

Ausschusskoordinatoren der jeweiligen Fraktion und die Berichterstatter eine zentrale Rolle ein, da sie die Arbeit in den Ausschüssen koordinieren, die Fraktionen und ihre Positionen vertreten sowie die Fraktionen über aktuellen Entwicklungen informieren. Vor allem den Berichterstattern, die das gesamte EP vertreten, kommt eine wichtige Rolle bei der Erstellung von Parlamentsberichten und -positionen zu. Sie koordinieren letztlich die Position des EP und haben maßgeblich Einfluss auf etwaige Gesetzesinitiativen und Änderungsvorschläge des Parlaments (Benedetto 2005; Finke 2012; Thierse 2017). Die Positionierung der zuständigen Ausschüsse gegenüber der Kommission und ihren Vorschlägen ist für diese Untersuchung daher besonders relevant. Auch das Zusammenspiel der Ausschüsse, die durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gekennzeichnet sind (Daniel/Thierse 2018), beeinflusst die Arbeit des EP im PolicyMaking. Daneben kann angenommen werden, dass parteipolitische Prioritäten durchaus relevant sind für die Ausgestaltung von Politiken9 . Die Europäische Kommission stellt das zweite zentrale Organ des supranationalen Policy-Makings dar. Ähnlich dem Parlament hat auch die Kommission im Verlauf der europäischen Integration und der Vertragsänderungen eine Aufwertung und Stärkung ihrer Rolle erfahren. Zu den Aufgaben der Kommission zählen vor allem: Gesetzgebungsprozesse zu initiieren, hierfür Vorschläge zu unterbreiten, den Prozess der Gesetzgebung zu steuern und in ihm zwischen unterschiedlichen Positionen in EP und Rat zu vermitteln. Weiterhin setzt sie Gesetze um (bspw. in Form von Verordnungen) und überwacht und kontrolliert die Einhaltung der EUVerträge (Hix/Høyland 2011: 34). Aufgrund dieser Stellung kann der Kommission eine Rolle zugewiesen werden, die der einer Exekutive in vielen politischen Systemen nahekommt (Tömmel 2014: 147 f.). Dabei kann aber eine Gewaltenteilung eher „[…] zwischen Politikinitiative einerseits und Entscheidungsmacht andererseits […]“ unterschieden werden, wobei der Kommission die wesentliche Kompetenz bei der Initiierung von Politiken zukommt und dem Parlament und dem Rat die Entscheidungsmacht zuzuschreiben ist (Tömmel 2016: 54). Die Verträge der Gemeinschaft haben, wie auch im Hinblick auf das EP, sukzessive die Position der Kommission gestärkt. Im Unterschied zum Parlament war aber eine zentrale Stellung der Kommission bereits in den frühen Verträgen der europäischen Gemeinschaft angelegt. Schon im Gründungsvertrag der Europäischen 9 Aspekte

der Interessenvermittlung werden hier nicht weiter betrachtet. Diese Aktivitäten finden im Policy-Prozess eher in der Phase der Interessenartikulation statt. Diese Phase wird in dieser Arbeit nicht explizit behandelt, die Rolle dieser Akteure soll hier aber erwähnt werden, s. u. a. Princen/Rhinhard 2006; Klüver 2013. Dies ist zudem Relevant, da der Prozess der Politikgestaltung nicht linear abläuft und auch Interessengruppen immer wieder in unterschiedlichen Phasen ihre Belange artikulieren (Princen 2011: 115 ff.).

42

4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurde eine „Hohe Behörde“ als zentrales Organ eingesetzt, das mit der Erreichung der Ziele der Gemeinschaft betraut wurde (EGKS Vertrag Art. 8). Die Stärkung der Kommission erfolgte daher vor allem über eine Ausweitung ihrer Kompetenzen in eine Vielzahl von Politikfeldern: „Over time, […] the EU has expanded the range of its activities dramatically, so that by the early 1990s, the policies of the Union had spread from the core economic activities of the common market to embrace almost every conceivable area of political, economic and social life“ (Pollack 2015: 520).

Damit ging auch eine Stärkung der Rolle der Kommission in all diesen Politikbereichen einher (Hix/Høyland 2011). Vor allem die Präsidenten der Kommission haben maßgeblich weitere Integrationsschritte und eine Stärkung der Position der Kommission gefördert (Tömmel 2013). Sie formulieren das Arbeitsprogramm und sind verantwortlich für die politischen Schwerpunktsetzungen (Müller 2017). Neben einem Kommissionspräsidenten setzt sich das Organ aus den Kommissaren zusammen, die an der Spitze der Generaldirektionen (GD) stehen, wobei hier seit dem Vertrag von Nizza jedes Mitgliedsland einen Kommissar stellt (Hix/Høyland 2011: 34). Die Arbeit der Kommission ist vergleichbar mit nationalen Regierungen und ihrer Struktur: „The European Commission, like a government, is composed of a political executive wing (the Commissioners and their personal staff) and an administrative wing (the departments and services)“ (Egeberg 2016: 126). Den politischen Schwerpunktsetzungen und auftretendem Handlungsbedarf folgend, erarbeiten die Generaldirektionen entsprechende thematische Politikvorschläge: „[…] the Commission drafts the legislation that is passed on to the two legislative bodies, the EP and the Council […]“ (Egeberg 2016: 126). In der Forschung wird die Stellung der Kommission zunehmend kritisch hinterfragt (u. a. Burns 2004; Majone 2014): „The ‚decline of the Commission‘ thesis features particularly prominently in the ‚new intergovernmentalism‘ agenda […]” (Nugent, Rhinard 2016: 1199). Trotz der Bedeutung der Mitgliedstaaten und ihrer Einflussnahme auf die Politikgestaltung kommen Nugent und Rhinard (2016) aber zu dem Ergebnis, dass die Kompetenzen der Kommission beim Agenda-Setting und im Rahmen von Legislativ- und Exekutivfunktion nicht verringert wurden10 . Das Handeln der Kommission ist durch zwei Aspekte maßgeblich geprägt, die wiederum die Dynamik zwischen EP und Kommission beeinflussen. Zum 10 Dieser Befund wird durch aktuelle Studien gestützt, s. Bürgin 2018 zur Stellung der Kommission durch die internen Reformen des Kommissionspräsidenten Juncker; Becker et al. 2016 zur Fokussierung der Kommission auf wenige Politikbereiche und eine damit einhergehende Verstetigung der zentralen Rolle der Kommission.

4.2 Organe im supranationalen Policy-Making – Parlament und Kommission

43

einen „[…] ist die legislative Gestaltungsmacht der Kommission […]“ dadurch abgesichert, dass es für Rat und EP „[…] rechtlich betrachtet leichter ist, Kommissionsvorschläge anzunehmen als diese inhaltlich abzuändern […]“ (Hartlapp et al. 2016: 87). Im Rückschluss auf die Positionsbildung der Kommission heißt dies aber auch, dass sie um einen breiten Konsens bemüht ist, um gestaltend tätig sein zu können und Entscheidungen herbeizuführen (ebd.: 87 f.). Daneben zeigen Untersuchungen der internen Positionsbildung der Kommission, dass diese durch genuin politische Faktoren beeinflusst ist (Hartlapp et al. 2014). Hierbei sind zunehmend normative und parteipolitische Orientierungen relevant und beeinflussen die Politikvorschläge der Kommission. Unabhängig von den Präferenzen der GDs und der finalen Position der gesamten Kommission ist es essentiell, dass auch Präferenzen des Parlaments und der Mitgliedstaaten einbezogen werden, um erfolgreich und effektiv Politiken umzusetzen (Hartlapp et al. 2016: 89). Maßgeblichen Einfluss kann die Kommission v. a. über regulierende Politik nehmen (Pollack 2000: 524; s. auch Majone 1997). Weiterhin kann angenommen werden, dass die Kommission ein Interesse an der Ausweitung ihrer Kompetenzen hat und daher die Integration von Politikfeldern auf EU-Ebene vorantreibt. Auch hierzu sind regulative Eingriffe maßgeblich und haben insgesamt zu einer kontinuierlichen Ausweitung der Kompetenz der Kommission geführt (Pollack 2000: 537; Nugent/Rhinard 2016). Neben der Stellung der Kommission aufgrund der formalen Regeln der EU-Verträge ist ihr Agieren vor allem als Agenda-Setting zu betrachten. Die Kommission kann mit ihren Initiativen beeinflussen, welche Themen politische Aufmerksamkeit erhalten (Princen 2011: 109). Sie ist damit das „[…] centre-piece […]“ im politischen Prozess auf EU-Ebene, vor allem in der Phase des AgendaSettings und der Problemdefinition (Versluis et al. 2011: 134). Letztere ist, wie bereits in Kapitel drei besprochen, als ein politischer Akt zu sehen, bei dem die Offenheit von Themen, deren Interpretation und politische Deutung im Fokus stehen (Rochefort/Cobb 1993: 59). Hier ist die Kommission mit ihren Generaldirektionen in einer Schlüsselstellung, um unterschiedliche Probleme, Probleminterpretationen und Lösungsansätze aufzunehmen und daraus Vorschläge zu erarbeiten (Christiansen 2006: 105 ff.; Hix/Høylanad 2011: 35 ff.). Die Generaldirektionen sind weiterhin bedeutsam, da innerhalb der Kommission durchaus auch politische Konflikte und unterschiedliche Interpretationen zum Tragen kommen und die Schaffung einer gemeinsamen Position beeinflussen (Hartlapp et al. 2014). Vor diesem Hintergrund stellt die Arbeit die Frage danach, wie die Kommission ihre Stellung nutzt, um Deutungen und Interpretationen (v. a. hinsichtlich der adressierten Zielgruppen) zu etablieren und damit die Politikgestaltung zu beeinflussen. Diese Darstellung verdeutlicht, dass die Kommission und das EP durch ihre formale Stellung und ihre Einflussmöglichkeiten im Policy-Making von zentraler

44

4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

Bedeutung für die Ausgestaltung von Politiken auf europäischer Ebene sind. Gerade die Bearbeitung von Vorschlägen der Kommission in den EP-Ausschüssen stellt eine wesentliche Phase der Policy-Gestaltung auf EU-Ebene dar. Hierbei sind zudem die inneren Positionsbildungen sowohl in der Kommission als auch in den Ausschüssen des EP (die maßgeblich für die Position des gesamten Parlaments sind) relevant. Wie hierbei aber Zielgruppen, Annahmen zu deren Verhalten und ihre Bedeutung für die Adressierung von Problemen entwickelt, besprochen und im Policy-Making integriert werden, soll durch die Analyse herausgestellt werden.

4.3

Beteiligung der Mitgliedstaaten im Policy-Making

Im Fokus meiner Arbeit steht die Politikgestaltung auf supranationaler Ebene und dabei das Interagieren von Kommission und EP im Besonderen. Daneben sind aber auch die Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung für die Ausgestaltung von Politiken. Sie sind dabei über den Europäischen Rat und den Rat der Europäischen Union am Policy-Making beteiligt. Der Rat der Europäischen Union (in der Folge nur noch Rat) kann dabei als zweite Kammer oder gleichberechtigter zweiter Teil der Legislative bezeichnet werden (Tömmel 2014: 95)11 . Für die Beschreibung der Beteiligung der Mitgliedstaaten muss aber wieder zwischen Politikfeldern je nach Grad ihrer Integration unterschieden werden. In Themenbereichen wie der Finanz- oder Außenpolitik ist die Rolle der Mitgliedstaaten nahezu exklusiv (Tömmel 2014: 98, Pütter 2014: 71 ff.). Diese Themen und die zentrale Rolle der EU-Staaten darin stehen nicht im Fokus der Arbeit und werden daher nicht weiter betrachtet12 . Die Mitgliedstaaten sind über den Rat neben dem EP ein zentrales Organ für die supranationale Beschlussfassung. Vor allem im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren teilen sich EP und EU-Staaten hier die Kompetenz (Tömmel 2014: 116). Aber auch vor der Einführung dieses Verfahrens kann der Prozess der Policy-Gestaltung durchaus als kooperativ bezeichnet werden (Rittberger 2005: 143 f.; Hix/Høyland 2011: 53). In dieser Arbeit befasse ich mich mit Themenbereichen, in denen supranationale Akteure die Politikgestaltung (maßgeblich) mitgestalten13 . Wie bereits dargestellt, konzentriere ich mich auf die Dynamik zwischen Kommission und EP. Neben 11 Im Rat kommen jeweils die nationalen Minister zusammen. Einen Sonderfall stellt hier die Außenpolitik dar, worauf hier aber nicht weiter eingegangen wird, s. Tömmel 2014. 12 Siehe Pütter 2014 für eine ausführliche Analyse der Gestaltungsmacht der Mitgliedstaaten in diesen Politikfeldern. 13 Die supranationalen Akteure sind im Bereich der Umweltpolitik mit mehr Kompetenzen ausgestattet als in der Gesundheitspolitik, worauf in der Einleitung bereits verwiesen wurde.

4.4 Der politische Prozess auf supranationaler Ebene – Ablauf …

45

dem klaren Fokus auf diese beiden Akteure sollen die Mitgliedstaaten hier aber nicht ignoriert werden. Da eine Analyse der Positionsbildung im Rat, dem Ausgleich zwischen den Staaten oder ihrem Einfluss auf die Policy-Gestaltung hier nicht im Fokus der Arbeit steht, werden die Mitgliedstaaten daher anhand der Darstellung von nationalen Schwerpunktsetzungen in die Arbeit eingebunden14 . Den Mitgliedstaaten kann unterstellt werden, dass sie nationale Regeln auf die europäische Ebene hochladen wollen, um so Kosten für eine Anpassung zu minimieren (Haverland/Liefferink 2012: 181). Darüber hinaus verfolgen die Mitgliedstaaten das Ziel, ihre Kompetenzen zu wahren. Dies geschieht über die Arbeit im Rat, in dem die Positionsbildung der Mitgliedstaaten erfolgt. Allein dieser Prozess der internen Abstimmung der EU-Staaten ist aber sehr komplex (Tömmel 2014: 98 f.). Um den Umfang der Arbeit handhabbar zu halten, werden daher in der Folge ausgewählte nationale Regelungen betrachtet. Hierbei konzentriere ich mich auf sogenannte frontrunner (Liefferink/Andersen 1998). Deren Steuerungsansätze in den jeweiligen Politikfeldern stellen so Anknüpfungspunkte für die Kommission dar. Diese frontrunner-Staaten haben so mit ihren nationalen Regelungen auch maßgeblich Einfluss auf die Ausgestaltung europäischer Politiken, da diese nationalen Regeln den Hintergrund europäischer Maßnahmen bilden können (Liefferink/Andersen 1998). So kann die Kommission ambitionierte nationale Regeln bspw. als Ansatzpunkt für supranationale Policy-Vorschläge nutzen. Dahingehend werde ich in dieser Arbeit nationale Regeln einbeziehen.

4.4

Der politische Prozess auf supranationaler Ebene – Ablauf, Akteure, Instrumente

In diesem Kapitel wird der Prozess der Gesetzgebung auf supranationaler Ebene überblicksartig dargestellt. Das Augenmerk liegt hierbei auf dem eigentlichen Prozess der Rechtsetzung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, den unterschiedlichen Phasen dieses Prozesses und der Rolle und Kompetenz der EU-Organe

Aus dieser unterschiedlichen Kompetenz in den Themenbereichen ergibt sich ein Teil des Erkenntnisinteresses der Arbeit. 14 Ich beziehe mich dabei auf die Frage nach der Interpretation von Zielgruppen im PolicyMaking und die Dynamik zwischen EP und Kommission. Eine strukturierte Einbindung des Rates und seiner Positionsbildung, sowie der denkbaren 28 unterschiedlichen Perspektiven würde den Rahmen der Arbeit wesentlich vergrößern und wird hier aus arbeitsökonomischen Gründen nicht vorgenommen.

46

4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

(v. a. Kommission und Europäisches Parlament). Da in der Analyse das PolicyMaking und die Instrumentenwahl auf EU-Ebene im Fokus stehen, stellt die Befassung mit dem Gesetzgebungsverfahren eine Grundlage für diese Analyse dar. Als Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene wird hier das ordentliche Gesetzgebungsverfahren betrachtet, wie es mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt wurde. Mit Blick auf die vertraglichen Änderungen innerhalb der Union über die letzten Dekaden kann zunächst festgehalten werden, dass in einigen Bereichen der Prozess der supranationalen Politikgestaltung gegenüber dem intergouvernementalen Policy-Making an Bedeutung gewonnen hat. Dies trifft vor allem für Bereiche wie die Binnenmarkt- und Umweltpolitik zu, in denen die europäischen Organe stärker Einfluss auf die Policy-Gestaltung nehmen als die Mitgliedstaaten (Wallace et al. 2015: 8)15 . In diesem Kontext muss ebenso festgehalten werden, dass der Policy-Prozess zwischen Politikfeldern „[…] considerably and systematically […]“ (Pollack 2015: 13) variieren kann16 . Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in der EU dient – kurz gesagt – dem Ausgleich der Positionen von Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten, wobei drei Lesungen vorgesehen sind, um eine Kompromissfindung zu ermöglichen (Tömmel 2014: 125 f.). Damit ähnelt der Ablauf den Prozessen in nationalen Parlamenten und weist dennoch markante, genuin europäische Charakteristiken auf (Versluis et al. 2011: 230). Wie bereits zuvor besprochen, ist die Kommission in einer zentralen Stellung, da sie alle Gesetzgebungsinitiativen vorbereitet. Im nachfolgenden Prozess der Lesung(en) dieser Vorlagen spielen EP und Rat eine zentrale Rolle, da sie ihre Positionen formulieren und versuchen, mögliche Konflikte durch die Überarbeitungen der Initiativen auszugleichen und zu einem gemeinsamen Standpunkt zu finden (Finke 2012). Sollten hierbei zwei Lesungen zu keiner Einigung führen, wird in einem Vermittlungsausschuss eine Möglichkeit zur Einigung gesucht (Tömmel 2014: 125). Dabei sind sowohl Kommission als auch EP und Rat vertreten. Hierbei ist es „[…] extremely rare that a procedure becomes truly stalled so that no decision can ever be made“ (Versluis et al. 2011: 141). Ein Kompromiss würde dann in der dritten Lesung angenommen werden. Insgesamt kann dieses System der Gesetzgebung als konsensorientiert beschrieben werden, da zwischen allen

15 Dies kann, so Wallace et al. (2015), nicht als Sieg des Supranationalismus verstanden werden, weil in anderen Bereichen die Nationalstaaten weiterhin die zentrale Rolle spielen (bspw. in der Währungspolitik). Diese Arbeit konzentriert sich aber auf jene Bereiche, in denen der supranationale Prozess von größter Bedeutung ist. 16 Daher wird im folgenden Kapitel explizit auf die Felder Umwelt-und Gesundheitspolitik eingegangen.

4.4 Der politische Prozess auf supranationaler Ebene – Ablauf …

47

Positionen (Kommission, EP, Rat) ein Ausgleich erzeugt werden soll17 (Versluis et al. 2011: 133). Für diese Arbeit ist der Prozess dieser Positionsbildung relevant. In Reaktion auf Vorschläge der Kommission erarbeiten die Ausschüsse des Parlaments die Position des EP. Eine besondere Rolle kommt hier den Berichterstattern in den Ausschüssen zu, die eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten (s. o.). Im Hinblick auf Politikinstrumente können in der Europäischen Union zunächst fünf grundlegende Rechtsakte unterschieden werden, mit denen politische Ziele in der Union verwirklicht werden. Hierbei stellen Verordnungen ein bindendes Instrument dar, dem in der gesamten EU Folge geleistet werden muss. Richtlinien hingegen setzen vor allem Ziele fest, die in den Mitgliedstaaten erreicht werden sollen. Hierbei haben die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung und Übertragung in nationales Recht (im Rahmen der Vorgaben durch die Richtlinien) eine gewisse Freiheit. Beschlüsse richten sich an bestimmte Zielgruppen und sind für diese bindend. So können einzelne Mitgliedsländer, Industriebereiche oder Unternehmen durch diese Rechtsakte adressiert werden. Mit Empfehlungen kann die EU (v. a. die Kommission) ihre Sichtweisen verdeutlichen. Dieser Rechtsakt ist nicht bindend und „[…] suggests a line of action without imposing any legal obligation […]“ (EU 2018). Ebenso sind auch Stellungnahmen nicht bindend und können die jeweilige Position der EU-Organe darlegen. Dieser Rechtsakt steht Kommission, Parlament, Rat, dem Ausschuss der Regionen und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Verfügung (EU 2018). In Anknüpfung an die in Kapitel drei dargestellte Unterscheidung von Politikinstrumenten kann auch hier nach dem Grad des ausgeübten Zwangs unterschieden werden. So sind vor allem Verordnungen und Richtlinien durch die Nutzung von Zwang gekennzeichnet, da sie rechtlich bindend sind und ein Verstoß oder eine Nichterfüllung Konsequenzen haben kann: So ist Recht, das durch diese Akte garantiert wird, einklagbar. Dies gilt auch für Beschlüsse. Gerade Richtlinien lassen den Mitgliedstaaten aber eine größere Freiheit in der Umsetzung der vereinbarten Ziele. Diese Rechtsakte unterscheiden sich außerdem nicht nur mit Blick auf die Nutzung von Zwang, sondern auch im Hinblick auf „[…] the distribution of tasks across the levels of governance […]“ (Knill/Lenschow 2003). Damit ist hier auch die Multi-Level-Struktur der EU relevant, indem bspw. Mitgliedstaaten und die lokale Ebene in den Mitgliedstaaten bei der Implementierung von Politiken adressiert werden, bspw. zur Luftqualität (u. a. Bondarouk/Liefferink 2016). 17 So werden in den Phasen auch jeweils unterschiedliche Mehrheiten benötigt, um einen Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen. Im Rat sind qualifizierte Mehrheiten ausreichend um Änderungen des Parlaments anzunehmen, umgekehrt benötigen vom Rat veränderte Vorschläge (oder das Ergebnis der Vermittlungsphase) auch eine einfache Mehrheit im Parlament. Die Ablehnung der Ratsposition in der zweiten Lesung benötigt eine absolute Mehrheit im Parlament (Tömmel 2014: 125).

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4

Politik in der Europäischen Union – Organe und Politikgestaltung

Neben diesen grundlegenden Rechtsakten können die Politikinstrumente, die in der europäischen Politik genutzt werden, weiter unterschieden werden. Neben der Setzung von Standards spielen auch ökonomische und Informationsinstrumente eine wichtige Rolle für die Erreichung von Politikzielen in der EU. Diese haben vor allem seit den 2000er Jahren als Ergänzung zu command-and-control Ansätzen Eingang in die EU-Politik gefunden: „The substantive and procedural regulatory standards fit the image of the EU regulatory state – and true enough, these regulatory instruments remain the dominant form of intervention in the European single market and other spheres of social life“ (Knill/Lenschow 2003: 2; Hervorhebung im Original). Zunächst sind also Instrumente, die Zwang auf Adressaten ausüben (indem bspw. einzuhaltende Standards festgeschrieben werden) essentiell in der EU-Politik. Darüber hinaus erfolgte im Zuge des „governance turn in the European Union“ (Schout et al. 2010: 154) auch eine Hinwendung zu „new policy instruments“ (Jordan et al. 2005: 481). Diese Instrumente können als „[…] mixed bag of regulatory tools“ beschrieben werden, wobei diese Werkzeuge eint, dass sie einen indirekten Ansatz wählen um „[…] behavioural change“ bei den Adressaten zu erreichen (Knill/Lenschow 2003: 2). Vor allem das White Paper on European Governance (COM 2001/428) kann hier als Startpunkt einer Entwicklung bezeichnet werden, in deren Folge verstärkt auf weichere Steuerungsinstrumente in der EU gesetzt wurde (Tömmel/Verdun 2009). In der EU erfolgte eine Fokussierung auf Politikinstrumente, die flexibel sind und so Adressaten eine größere Freiheit bei der Umsetzung von Politikzielen zugestehen (COM 2001/428: 11; Jordan et al. 2005: 483). Darüber hinaus wird stärker auf die Überzeugung von Adressaten gesetzt. Vor allem Informationsinstrumente wie Label oder Kampagnen verfolgen das Ziel einer Verhaltensänderung über die Bereitstellung von Informationen, ohne dabei Zwang auszuüben. Diese Instrumente haben in der Umweltpolitik eine längere Tradition, sind aber durch die Konzentration auf flexible Instrumente im Zuge des governance turn in den Fokus der Politikgestaltung in vielen Bereichen genommen worden18 . Abschließend kann festgehalten werden, dass vor allem Kommission und Europäisches Parlament wesentlich für die Politikgestaltung auf supranationaler Ebene sind. Dieser Prozess ist insgesamt auf den Ausgleich der Positionen unterschiedlicher Akteure angelegt und weist damit starke konkordanzdemokratische Elemente auf. Mit Blick auf die Instrumente, die auf europäischer Ebene genutzt werden, ist für diese Arbeit relevant, dass eine ganze Reihe von Werkzeugen, die in unterschiedlichem Maß auf Zwang basieren, für die Realisierung von politischen Zielen zur 18 Neben der Betrachtung der Instrumente können auch noch Governance-Modi in der EU unterschieden werden, worauf in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird. Für eine Darstellung s. Tömmel 2009: 14 f., 25.

4.4 Der politische Prozess auf supranationaler Ebene – Ablauf …

49

Verfügung stehen. Vor allem in den letzten Dekaden haben hier flexible, weichere Instrumente an Bedeutung gewonnen, auch wenn command-and-control Ansätze weiterhin relevant sind.

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und die Rolle der Konsumenten in der EU-Politik

Diese Arbeit konzentriert sich auf zwei Teilgebiete der Politikfelder Umwelt und Gesundheit, nämlich auf nachhaltigen Konsum als Bereich der europäischen Umweltpolitik und auf Tabakpolitik als Teilgebiet der europäischen Gesundheitspolitik. Beide Politikfelder sind dabei eng mit der Europäischen Integration, dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes verbunden und adressieren maßgeblich europäische Verbraucher. Gerade der Bezug auf Konsumenten stellt dabei eine wesentliche Dimension der Europäischen Integration dar. Die Bezugnahme auf Verbraucherinnen erfolgt bereits in den Römischen Verträgen (1957) im Kontext der Agrarpolitik und dem Vertrieb von landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Der Großteil der Politiken, die Konsumenten und Bürger betreffen, sind unter Maßgabe einer „economic integration“ verfolgt worden und stellen einen Kernbereich des Binnenmarktes dar (Dahl 1993: 346 ff., Weatherill 2013: 2). Die Stärkung des gemeinsamen Marktes sollte so auch Vorteile für die Konsumenten ausbauen und festigen: „Lower prices, greater variety, and a higher quality of goods and services have been considered the most important benefits for European consumers“ (Repo/Timonen 2017: 126; Weatherill 2013). Maßgeblich geprägt wird die europäische Verbraucherpolitik zudem durch den Artikel 153 des Vertrages von Amsterdam, der das Ziel eines hohen Maßes an Verbraucherschutz formuliert und dabei Bezug nimmt auf den Schutz der Gesundheit und der ökonomischen Interessen der EU-Bürger (Vertrag von Amsterdam 1999). Neben dem Schutz der Konsumenten steht auch die Stärkung ihrer Rolle als Marktteilnehmer im Fokus der EU-Politik: „EU consumer policy should also empower consumers […]. Consumers should have the capacity to promote their interests in order to be on the same footing as other civil society stakeholders represented at the EU level“ (COM/2002/208: 2, Hervorhebung im Original). Darüber hinaus wird Verbraucherpolitik und die Bezugnahme auf Konsumenten nicht nur als die Regulierung des Verhältnisses von Verbraucherinnen und Produzenten (inkl. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_5

51

52

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Handel) am Markt verstanden (Rauh 2016: 33), sondern auch als die Adressierung von Konsumenten und ihrem Verhalten unter Bezugnahme auf die Gemeinschaft und Gemeinwohlziele, wie Gesundheits- und Umweltschutz (Weatherill 2013). Insgesamt stellen Konsumentinnen eine wesentliche Zielgruppe der EU-Politik dar. Durch die Bezugnahme auf Verbraucherinnen in den Verträgen der EU und in dezidierten Agenden zur Verbraucherpolitik sind sie als Zielgruppe klar benannt. Die nachfolgenden Kapitel stellen einen Überblick zur EU Umwelt- und Gesundheitspolitik dar und gehen dabei auch darauf ein, wie Konsumentinnen in den beiden Politikfeldern einbezogen werden.

5.1

Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der Binnenmarktintegration zu nachhaltiger Entwicklung

Als eine erste zentrale Wegmarke der Entstehung dieses Politikfeldes kann das Jahr 1972 identifiziert werden, in dem erstmals ein Rahmenprogramm für den Schutz der Umwelt auf europäischer Ebene initiiert wurde (Delreux/Happaerts 2016: 19). Zudem erhielt die Union so erstmals ein Mandat in diesem Politikfeld, da die Mitgliedstaaten die Kommission mit der Erarbeitung eines solchen Programmes beauftragt hatten (Knill/Liefferink 2013: 13). In der Folge wurde das Feld der Umweltpolitik weiter ausgebaut und zu einem bedeutenden in der Staatengemeinschaft. Hierbei waren zum einen drängende, grenzüberschreitende Probleme, wie Luft- und Wasserverschmutzungen, ein zentrales Motiv für supranationales PolicyMaking. Zum anderen spielte die Existenz nationaler Umweltstandards eine Rolle, die zollfremde Handelsbarrieren darstellten und den grenzüberschreitenden Handel auf dem europäischen Binnenmarkt zu hindern in der Lage waren (Knill/Liefferink 2013: 14). Die Verbindung der Umweltpolitik zum gemeinsamen Binnenmarkt ist maßgeblich für die Entwicklung dieses Feldes: „The most important reason for the introduction of common environmental policy was the fear that trade barriers and competitive distortions in the Common Market could emerge due to different environmental standards“ (Knill/Liefferink 2013: 14). Die Entwicklung der EU-Umweltpolitik kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden, die durch wesentliche Entwicklungssprünge gekennzeichnet sind und für diese Arbeit schlaglichtartig einbezogen werden1 (Delreux/Happaerts 2016; Knill/Liefferink 2013). Mit dem ersten Umweltaktionsprogramm begann eine zentrale Phase der europäischen Umweltpolitik, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine rechtliche Basis für supranationale Aktivitäten in diesem Bereich existierte. 1 Für

eine umfassende Zusammenstellung und Beschreibung s. Delreux, Happaerts 2016.

5.1 Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der …

53

Diese Periode kann zwischen 1972 und 1987 verortet werden. Vor allem drängende Umweltprobleme führten zu – mitunter weitreichenden – supranationalen Maßnahmen: „For instance, in the 1970s, relatively strict limits with regard to water pollution control were passed, which went far beyond what would have been necessary for mere market harmonization“ (Knill/Liefferink 2013: 18). Ein zentraler Grund für die sehr ambitionierte europäische Umweltpolitik ist im gesteigerten Interesse der Zivilgesellschaft zu sehen, die – unterstützt von Nichtregierungsorganisationen – politische Reaktionen auf zunehmende Umweltverschmutzungen einforderte (Delreux/Happaerts 2016: 17; s. auch Dalton 1993; Rucht 1996). Erst die Einheitliche Europäische Akte (EEA) schuf 1987 eine rechtliche Basis für supranationale Maßnahmen im Bereich der Umweltpolitik (Knill/Liefferink 2013: 19). In der Folge war die europäische Umweltpolitik maßgeblich durch vier Prinzipien geprägt: Nach dem precautionary principle sollen politische Ansätze Umweltgefahren verhindern und nicht nur entstandene Schäden beseitigen; nach dem principle of action at the source soll die EU-Umweltpolitik die Ursache von Umweltverschmutzungen beseitigen; nach dem polluter-pays principle sollen jene Akteure für Umweltschäden und deren Beseitigung aufkommen, die sie verursachen; nach dem principle of integration sollen Umweltbelange in allen anderen Politikbereichen integriert werden, um einen umfassenden Umweltschutz zu gewährleisten (Knill/Liefferink 2013: 21 f.). Insgesamt wurde so ein umfassender politischer Ansatz zum Schutz von Natur, Klima und Ressourcen formuliert. In der Folge wurden Umweltschutzaspekte durch eine „[…] cross-sectoral policy integration […]“ (Lenschow 2002: 4) in eine Vielzahl anderer Politikbereiche integriert und so zu einem Leitprinzip europäischer Politik, um eine nachhaltige Entwicklung in der EU zu erreichen (Jordan/Lenschow 2010). Darüber hinaus kann ein stetiger Anstieg politischer Maßnahmen zum Umweltschutz identifiziert werden (Delreux/Happaerts 2016: 13). Bereits mit der Konzentration auf sustainable development – maßgeblich im 5. Umweltaktionsprogramm der EU – kombinierte die EU das Ziel einer ökonomischen Entwicklung und gleichzeitigem Umweltschutz und folgte damit dem Ansatz der Brundtlandkommission (Jordan 2008). Auch in der jüngeren Umweltpolitik der EU wird dieser Brückenschlag weiter fokussiert und unter der Überschrift green economy behandelt (Delreux/Happaerts 2016: 32). Das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung prägte und prägt maßgeblich die europäische Umweltpolitik und darüber hinaus auch anderen Politikfelder.

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5.1.1

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Nachhaltige Entwicklung, nachhaltiger Konsum und politische Ansätze in der EU

Die Idee einer nachhaltigen Entwicklung wurde maßgeblich durch den Report der Brundtland-Kommission (international) auf die politische Agenda gesetzt2 . Die darin vorgeschlagene Definition einer nachhaltigen Entwicklung beeinflusste die Debatte zum Verhältnis von Umweltschutz und Entwicklung (v. a. der ökonomischen) und wurde auch von der EU rezipiert und zur Basis ihrer Programme. So wurde folgende Definition durch den Brundtland-Report vorgeschlagen: „[Sustainable development] meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED 1987: 16). Mit diesem Ansatz versuchte die Brundtland-Kommission „[…] the relation between socio-economic and environmental […] [development]“ zu fassen (Giddings et al. 2002: 188) und Fortschritt, Wachstum und Umweltschutz in Einklang zu bringen (Meadowcroft 1997: 430). Diese Definition ist aufgrund ihrer Einfachheit und Griffigkeit vielfach rezipiert worden, lässt aber durch ein geringes Maß an Konkretisierung Raum für politische Interpretationen, Operationalisierungen und Anwendungen (Giddings et al. 2002; Hopwood et al. 2005). Aufgrund dieser definitorischen Offenheit werden Interpretationen der Idee einer nachhaltigen Entwicklung durchaus kontrovers diskutiert. So wird vor allem das Konzept der Green Economy aus Umweltschutz-Perspektive kritisch gesehen (Barbier 2011; Brand 2012). Die Übernahme des Ziels einer nachhaltigen Entwicklung in politische Programme erfolgte vielfach, ohne bestehende politische und wirtschaftliche Ziele fundamental in Frage zu stellen (Hopwood et al. 2005: 40). Aus analytischer Sicht sind viele Anwendungen des Konzepts einer Perspektive schwacher Nachhaltigkeit zuzuordnen. Diese schwache Perspektive sieht „[…] natural and manufactured capital interchangeable […]“ an, sodass technische Innovationen den Verlust von Rohstoffen o. ä. kompensieren können (Hopwood et al. 2005: 40). Hierbei steht ein Effizienzgedanke im Zentrum der Interpretation von nachhaltiger Entwicklung. Dem gegenüber stehen Interpretationen, die der Perspektive einer starken nachhaltigen Entwicklung zugeordnet werden können. Diese Ansätze, wie bspw. Degrowth-Konzepte (Demaria et al. 2013; Martinez-Allier et al. 2010), sehen fundamentale Veränderungen in Produktions- und Konsummustern sowie Lebensweisen als notwendig an, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen (Hopwood 2 Bereits

Meadows et al. (1972) hatten mit der Studie „Limits to Growth“ eine Diskussion zur langfristigen ökonomischen Entwicklung gestartet. Auf eine umfassende Darstellung des Themas wird hier aber verzichtet.

5.1 Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der …

55

et al. 2005; Lorek/Fuchs 2013). Mit dem Oslo Symposium on Sustainable Consumption (1994) wurde individueller Konsum und seine Relevanz für eine nachhaltige Entwicklung besprochen und definiert: “[…] the use of services and related products which respond to basic needs and bring a better quality of life while minimising the use of natural resources and toxic materials as well as the emissions of waste and pollutants over the life-cycle so as not to jeopardise the needs of future generations” (Norwegisches Umweltministerium 1994).

Individueller Konsum nimmt eine zentrale Stellung innerhalb des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung ein, weil alltägliche Kaufentscheidungen und Nutzungsmuster maßgeblich Ressourcenverbrauch und Umweltschutz beeinflussen (Lorek/Fuchs 2013). Daran anknüpfend wurden unterschiedliche Ansätze zur Förderung eben dieser Konsumweisen diskutiert. Analog zum Konzept einer nachhaltigen Entwicklung ist auch der Ansatz, Konsummuster nachhaltiger zu gestalten, offen für politische Interpretationen und Anwendung, sodass auch „[…] little consensus […] about the basic forms and general content […]“ dieses Zugangs zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung besteht (Spargaren/Mol 2008: 354). Die Unterscheidung in schwache und starke Perspektive kann analytisch genutzt werden, um konsumorientierte Ansätze zu untersuchen und zu unterscheiden (Geels et al. 2015). Starke Ansätze zu einem nachhaltigem Konsum fokussieren individuelle Verhaltensweisen als maßgeblich für eine nachhaltige Entwicklung, wohingegen schwache Ansätze vor allem Produktinnovationen betonen und dabei keine Veränderungen individueller Kauf- und Verbrauchsmuster einfordern (u. a. Geels et al 2015). Tabelle 5.1 gibt einen Überblick zu den beiden unterschiedlichen Perspektiven auf nachhaltigen Konsum. Tabelle 5.1 Überblick Ansätze zu schwachem und starkem nachhaltigen Konsum

Art des eingeforderten Wandels

Schwacher nachhaltiger Konsum Reformierende Position

Starker nachhaltiger Konsum Revolutionierende Position

Fokus auf technische Verbesserung von Produkten; Konsumenten sollen ermutigt werden, nachhaltige und umweltschonende Produkte zu kaufen

Fokus auf grundlegenden Wandel von Produktionsund Konsummustern; Kritik an kapitalistischen und marktwirtschaftlichen Modellen des Wirtschaftens (Fortsetzung)

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5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Tabelle 5.1 (Fortsetzung) Schwacher nachhaltiger Konsum Reformierende Position

Starker nachhaltiger Konsum Revolutionierende Position

Perspektive auf Konsum

Fokus auf individuelle Konsumenten als Käufer am Markt; Betonung von Konsumentensouveränität, freier Wahl und „expression of preferences“

Fokus auf Konsum und Materialismus; Betonung von „over-consumption“ und Kritik an Kommerzialisierung und Kommodifizierung

Theoretische Annahmen zum Verhalten

Basis ist Rational Choice Theorie und Annahme eines rationalen individuellen Verhaltens.

Konsum als sozial eingebundenes Phänomen, das durch Werte und Normen beeinflusst wird; Kritische Position basierend auf neo-marxistischen Ansätzen

Politik-Implikationen

Förderung von umweltschonenden Produkten/Produktionsweisen; Setzen von Anreizen für nachhaltigen Konsum

Grundlegende Veränderung von Produktion und Konsum

Eigene Zusammenstellung auf Basis von Lorek/Fuchs 2013; Geels et al. 2015: 9.

Durch die Brundtland-Komission, die intensive Fokussierung auf nachhaltige Entwicklung und den Marakesh Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen, der in Anknüpfung an das Oslo Symposium on Sustainable Consumption eine Diskussion nachhaltiger Konsummuster gefördert hat, wurden so auch individuelle Verhaltensweisen in den Fokus von Wissenschaft und Politik gerückt (Spargaren/Mol 2008; Lorek/Fuchs 2013). Diesem „consumerist turn“ (Spaargaren/Mol 2008: 354) folgend, adressiert auch die Europäische Union Fragen zu umweltschonenden Kauf- und Nutzungsmustern. Mit der Zunahme von konsumbedingten Umweltproblemen konzentrierte sich die europäische Politik auf Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Konsumweisen ab den 1990er Jahren (Murphy 2001: 43). Betrachtet man die Maßnahmen, die die Europäische Union seither ergriffen hat, um individuellen Konsum zu adressieren, kann festgehalten werden, dass die Information von Konsumenten im Zentrum politischer Ansätze steht. Vor allem mit der Einführung des europäischen Ökolabels (EU Ecolabel) 1992 wurde und wird der individuelle Konsum mit dem Ziel adressiert, Verbraucherinnen über umweltschonende Produkte zu informieren (Jordan et al. 2009: 172 f.). Dabei baut dieses Label

5.1 Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der …

57

auf bestehende nationale Politiken auf, die in den Mitgliedstaaten vor der Einführung des europäischen Siegels existierten. Vor allem das deutsche Label „Der Blaue Engel“ ist hier zu nennen, das bereits 1987 eingeführt wurde und den Ansatz, Verbraucherinnen über Produkteigenschaften zu informieren, auf der nationalen Ebene verfolgte (ebd.). Mit der Einführung des EU Ökolabels verfolgte die EU Kommission das Ziel, eine Harmonisierung nationaler Ansätze zu erreichen, da unterschiedliche Siegel und unterschiedliche Anforderungen den freien Warenverkehr im Binnenmarkt einschränken oder behindern könnten (Murphy 2001: 45). Darüber hinaus wurden auch auf europäischer Ebene Kampagnen und Bildungsmaßnahmen initiiert und gefördert, die Verbraucher von einem nachhaltigen Verhalten überzeugen sollen (Goldsmith/Piscopo 2014: 52).

5.1.2

Instrumente und Akteure der EU Politik zu Umwelt und nachhaltigem Konsum

Die reichhaltige Forschung zur EU-Umweltpolitik hat bisher gut herausgestellt, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Instrumente in dem Politikfeld genutzt wird (Halpern 2010; Knill/Liefferink 2013) und dass dabei unterschiedliche Dynamiken eine Rolle für die Gestaltung der Policy-Ansätze spielen (u. a. Tews et al. 2003, Halpern 2010)3 . Mit Blick auf Politiken, die dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung folgen, können zwei zentrale Policy-Ansätze herausgestellt werden. Zum einen werden Produkte über bindende Regelungen adressiert, um deren Umwelteinfluss zu reduzieren. Hierbei spielt vor allem der Ansatz des Ecodesigns eine zentrale Rolle. So werden bspw. bestimmte Chemikalien verboten oder ein Maximum der Energienutzung vorgeschrieben. Zum anderen werden Konsumenten mit weichen Instrumenten über umweltschonende Produkte und Dienstleistungen informiert. Hierbei ist das Ecolabel das zentrale Instrument (Nash 2009). Darüber hinaus werden bspw. auch Label für den Energieverbrauch von Produkten genutzt. Damit steht die EU-Politik zur Förderung eines nachhaltigen Konsums exemplarisch für die meisten, auch nationalen, Ansätze zur Verbraucheradressierung mit informierenden Maßnahmen (Reisch et al. 2013). Außerdem können in angrenzenden Themenbereichen, wie bspw. der Klimapolitik, weitere Ansätze identifiziert werden. Die Europäische Union „[…] adopted a hugely complex package of climate and energy measures [in 2008] aimed at reducing 3 Hier

sei nur auf die Forschung zum Policy-Dismantling verwiesen, die zeigt, dass gerade in der Umweltpolitik auf EU-Ebene ein Rückgang an Regelungen, bzw. deren bindender Wirkung verzeichnet werden kann. Auf diese Diskussion kann ich hier nicht ausführlich eingehen, s. Steinebach/Knill 2017 und Burns et al. 2019.

58

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

emissions […], centralising on toughening the emissions trading system, boosting the use of renewable energy, limiting emissions from […] cars and funding new carbon capture and storage facilities […]“ (Jordan et al. 2010: 6; Ellermann/Buchner 2007)4 . Mit Blick auf die Vielzahl von Instrumenten, die in unterschiedlichen Bereichen der europäischen Umweltpolitik genutzt werden, wird deutlich, dass alle Kategorien von Instrumenten in europäischen Politiken Verwendung finden. Harte Instrumente, die Zwang nutzen, werden aber vor allem in Bezug auf Produkte genutzt. Mit Blick auf Individuen und Konsumenten werden hauptsächlich weiche (informierende) Instrumente genutzt; Zwang jedoch wird nicht ausgeübt. Sowohl das europäische Parlament als auch die Europäische Kommission sind aufgrund ihrer Stellung und Kompetenzen im politischen System der EU auch für die europäische Umweltpolitik von zentraler Bedeutung. Innerhalb der Kommission ist hier vor allem die Generaldirektion für Umwelt zu nennen. Seit ihrer Gründung 1981 hat diese Generaldirektion5 maßgeblich die europäische Umweltpolitik beeinflusst. Nachdem zunächst technische Details von Produktionsprozessen und Industriesektoren im Fokus der Generaldirektionen standen und ihre Mitarbeiter den Ruf von „green fundamentalists“ hatten, entwickelte sich die GD zu einer starken Stimme des Umweltschutzes und nahm politische Prozesse und die Politikformulierung stärker in den Blick (Schön-Quinlivan 2013: 104; Delreux/Happaerts 2016). Aufgrund der zentralen Stellung der Kommission im politischen System der EU war es der GD Umwelt möglich, sowohl durch die hohe Kompetenz der Mitarbeiter in technischen Belangen als auch durch die aktive Policy-Gestaltung, die europäischen Maßnahmen zum Umweltschutz zu prägen. Mit dem fünften Umweltaktionsprogramm und der Fokussierung von nachhaltiger Entwicklung wurde die GD zunehmend zum relevanten Akteur auch in anderen Politikbereichen (Schön-Quinlivan 2013: 109). Diese Stellung zeigt sich auch im Anstieg von Umweltpolitiken auf EU-Ebene seit der Gründung der Generaldirektion. Vor allem seit den 1980er Jahren kann ein starker Anstieg der Richtlinien und Verordnungen identifiziert werden (Delreux/Happaerts 2016: 13). Nach der letzten Wirtschaftskrise im Jahr 2008 wird jedoch zunehmend eine geringere Ambition der Kommission in Umweltfragen attestiert. Einige Studien

4 Mittlerweile

kann durchaus argumentiert werden, dass die Klimapolitik ein eigenes Politikfeld in der EU darstellt. Dieses Beispiel soll hier nur die Vielfalt der politischen Ansätze illustrieren, s. Wurzel/Connelly 2011. 5 1973 war innerhalb der Generaldirektion für Industriepolitik eine Division zur Vorbereitung des ersten Umweltaktionsprogrammes gegründet worden, aus der letztlich die spätere Generaldirektion Umwelt hervorging (Delreux/Happaerts 2016). Die GD für Klimaschutz und Klimapolitik wurde 2010 gegründet (Schön-Quinlivan 2013).

5.1 Umweltpolitik in der Europäischen Union – Von der …

59

weisen sogar auf einen partiellen Abbau von Vorgaben zum Klima- und Umweltschutz hin (Steinebach/Knill 2017), was aber nicht unbedingt Rückschlüsse auf die GD Umwelt, sondern eher auf eine Verschiebung der politischen Prioritäten in der gesamten Kommission und ihrer Führung zulässt. Neben der Kommission kann vor allem das Europäische Parlament als wichtiges Organ in der Umweltpolitik auf supranationaler Ebene bezeichnet werden. Es hat sich durch ambitionierte Vorschläge und eine aktive Einforderung von Umweltschutzpolitiken einen Ruf als „environmental champion“ erarbeitet (Burns/Carter 2010: 124). Aufgrund der Arbeitsweisen des Parlaments, bei denen die Ausschüsse und ihre Arbeit von zentraler Bedeutung sind, kann der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit6 als zentrales Forum der parlamentarischen Willensbildung in Umweltfragen bezeichnet werden. Während das EP durch parteipolitische und ideologische Unterschiede gekennzeichnet ist und beispielsweise konservative Parteien weniger ambitioniert im Hinblick auf Umweltschutzfragen sind als die Fraktion der Grünen oder auch der Sozialdemokraten (Burns 2013), kann diese Trennlinie im Umweltausschuss des EP in dieser klaren Form nicht nachgewiesen werden. Hurka (2013) zeigt, dass die Mitglieder des Ausschusses zwar unterschiedliche Positionen einnehmen, daraus aber selten Konflikte erwachsen. So versuchen vor allem die Berichterstatter des Ausschusses Kompromisse zu finden und eine gemeinsame Position zu formulieren (Burns 2013: 291 f.). Darüber hinaus haben zwei Entwicklungen die Arbeit des ENVI-Ausschusses maßgeblich geprägt. Durch die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens und die Stärkung des EP im politischen Prozess (und damit auch der Ausschüsse) sind die Möglichkeiten des Parlaments gestiegen, Policies zu beeinflussen. Zugleich erfordert dieser Prozess aber auch einen breiten Konsens innerhalb des Parlaments, was wiederum auch die Arbeit des ENVI-Ausschusses beeinflusst. So sind die Vorschläge des Ausschusses seit der Stärkung des Parlaments weniger ambitioniert, dafür aber von einer breiten Mehrheit getragen (Burns 2013). Zum anderen haben Parlament und Ausschüsse durch die EU-Osterweiterung 2004 eine Veränderung in ihrer Zusammensetzung erfahren. So wurden konservative und weniger ambitionierte Kräfte im Parlament gestärkt, was ebenso zu einer Abnahme der Radikalität der Änderungswünsche des EP in Umweltfragen geführt hat. Gleichzeitig stieg so aber die Zahl der erfolgreichen Änderungsvorschläge des Parlaments, wodurch es insgesamt großen Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen konnte (Burns et al. 2012)7 . 6 Im

Weiteren auch Umweltausschuss oder ENVI-Ausschuss, da dies der offiziellen Abkürzung des Ausschusses entspricht. 7 Neben EP und Kommission sind natürlich auch andere Akteure relevant, u. a. Interessengruppen. Diese Arbeit fokussiert aber die Dynamik zwischen den beiden genannten EU-Organen

60

5.2

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Gesundheitspolitik in der EU – zwischen Mitgliedstaaten und supranationaler Politik

Die Gesundheitspolitik in der Europäischen Union ist zunächst durch zwei Aspekte gekennzeichnet. Zum einen spielen die Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle: „In general, health care governance is a matter for the member states, not the EU“ (Hervey 2008: 104), worunter vor allem Gesundheits- und Krankenversicherungssysteme oder die Ausbildung von Fachpersonal zu nennen sind (Cucic 2000; Hervey 2008; Greer 2010). Zum anderen sind Gesundheitsfragen aber auch in europäischen Policies relevant. Vor allem die Bezugnahme auf den Schutz der Gesundheit und die Sicherung eines „[…] high level of human health […]“ (Vertrag von Amsterdam, Art. 152) sind maßgeblich für europäische Ansätze in der Gesundheitspolitik. Europäische Regelungen spielen dadurch auch eine wichtige Rolle für nationale Gesundheitspolitiken. Allerdings entstammen supranationale Policies in der Mehrzahl nicht dem Bereich der europäischen Gesundheitspolitik, sondern den Feldern „[…] internal market, competition policy, research, education, energy and agricultural policies […]“ und beeinflussen nationale Politik durch Schwerpunktsetzungen mit Bezug auf u. a. den Handel von Medikamenten oder die Ausbildung und Mobilität von medizinischem Fachpersonal (Cucic 2000: 220). Die Entwicklung europäischer Gesundheitspolitiken und die Etablierung als Politikfeld ist – ähnlich der Evolution der EU-Umweltpolitik – durch die Änderung der Verträge der europäischen Gemeinschaft geprägt. Dabei zeichnet sich die europäische Gesundheitspolitik eher durch eine Fokussierung auf die Gesundheit der EU-Bürger aus und Wege, diese zu stärken und konzentriert sich weniger auf Bereiche, die durch nationale Gesetzgebungen maßgeblich beeinflusst werden (v. a. Gestaltung und Finanzierung der Gesundheitssysteme). Vor allem das Programm Europe Against Cancer (1987), das über die Gefahren von Krebserkrankungen aufklären sollte, kann als Beginn einer europäischen Gesundheitspolitik aufgefasst werden. Mit ihm wurde erstmals die Gesundheit der EU-Bürger maßgeblich in den Fokus einer supranationalen Politik genommen (Randall 2000: 139). Nachfolgende Aktivitäten und vor allem die primärrechtlichen Veränderungen führten so zu einer Etablierung einer europäischen Gesundheitspolitik. Die Entwicklung des Politikfeldes auf europäischer Ebene ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass das Thema Gesundheit schon in den frühen Verträgen der Gemeinschaft angesprochen wurde, eine Etablierung und Institutionalisierung aber bei der Interpretation von Zielgruppen, sodass andere Akteure hier nicht weiter betrachtet werden. Für Forschung zu Interessengruppen in der EU-Politik s. Bomberg 2007; Bunea 2013; Klüver 2013.

5.2 Gesundheitspolitik in der EU – zwischen Mitgliedstaaten und …

61

erst wesentlich später stattfand: „While implicitly health has never been excluded from treaty provisions pertaining to the single market, there were no serious health competencies for decades […]“ (Greer 2006: 138). Zwar wurden im EuratomVertrag (Euratom-Vertrag, Art. 30) und auch in der EEA (Art. 18) Gesundheitsfragen benannt bzw. als Grundprinzipien der EU-Politik festgeschrieben, allerdings formuliert erst der Vertrag von Maastricht (Art. 3) klare Ziele in diesem Bereich (Cucic 2000). Vor allem aber mit Artikel 152 im Vertrag von Amsterdam sicherte sich die Union eine Möglichkeit, auf supranationaler Ebene tätig zu werden, um das Ziel des Gesundheitsschutzes zu verfolgen (Greer 2006). Trotz dieser vertraglichen Verankerung der Gesundheitspolitik auf europäischer Ebene sind Schritte zur Integration dieses Themenfeldes vor allem über die Bezugnahme auf die Schaffung des Binnenmarktes erfolgt. Eine komplette rechtliche Basis für eine europäische Gesundheitspolitik besteht trotz der vertraglichen Festlegungen nicht: „[…] national governments have jealously and successfully tried to prevent the transfer of substantial health policy competences to the supranational level“ (Lamping 2005: 19). Vor allem mit Bezug auf die Grundfreiheiten im Binnenmarkt wurden Themen wie die Mobilität von medizinischem Fachpersonal und Patienten oder die Anerkennung von Abschlüssen europäisch geregelt (Greer 2006). Diese zentrale Stellung der Grundfreiheiten nutzte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in wenigen, aber wegweisenden Entscheidungen, die zur Integration von gesundheitspolitischen Aspekten auf europäischer Ebene beitrugen (Lamping 2005: 28; Greer 2006)8 . Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit einer europäischen Gesundheitspolitik Ende der 1990er Jahre im Zuge der BSE-Krise deutlich. Der Handel von Nahrungsmitteln auf dem Binnenmarkt machte auch EU-weite Kontrollen von Lebensmitteln und Garantien der Lebensmittelsicherheit notwendig (Randall 2000: 141 f.). Im Nachgang der vertraglichen Entwicklung und der Aufwertung von Gesundheitsfragen sowie durch die notwendige europäische Antwort auf Lebensmittelkrisen wurde 1999 auch die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz gegründet (Randall 2000: 142). Diese Entwicklung führte somit auch zu einer institutionellen Verankerung der europäischen Gesundheitspolitik (Rometsch 2000; Vos 2000). Abschließend kann die europäische Gesundheitspolitik als umfangreiches Politikfeld charakterisiert werden, in dem eine Vielzahl von Themen behandelt wird, die mit dem Schutz der Gesundheit der EU-Bürger und der medizinischen Versorgung in Verbindung stehen.

8 Für einen Überblick zu wichtigen Entscheidungen des EuGHs in diesem Bereich s. Lamping

2005: 29.

62

5.2.1

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Tabakpolitik in der EU – Entwicklungen und Schwerpunkte

Die europäische Tabakpolitik stellt einen Teil der Gesundheitspolitik dar. Neben gesundheitspolitischen Aspekten bestehen aber auch Verbindungen der Tabakpolitik zur europäischen Agrarpolitik: „Until recently tobacco was the most heavily subsidised product in the EU“ (Cairney et al. 2012: 76)9 . Dass Tabak einerseits als landwirtschaftliches Erzeugnis umfangreich subventioniert wurde und andererseits Maßnahmen zur Reduktion des Tabakkonsums ergriffen werden, zeigt die Entwicklung der Tabaknutzung und die Veränderung der Stellung dieser Produkte. Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Tabakkonsum und vor allem das Rauchen populär. Es folgte eine gesellschaftliche Akzeptanz und weitergehend auch eine kulturelle Rahmung des Rauchens. So wurde die Versorgung von Soldaten mit Tabakprodukten im ersten Weltkrieg in England als patriotischer Akt angesehen (Studlar/Cairney 2014: 519). Auch in anderen Ländern herrschte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine hohe Akzeptanz des Rauchens (u. a. Nathanson 2004: 138). In Deutschland kam es beispielsweise in der Phase ab 1945 zu einer neuen Popularität von Zigaretten. So gelang es „[…] post-1945 pro-tobacco groups […]“, die Kontrolle und Einschränkung des Tabakkonsums mit dem Nazi-Regime in Verbindung zu bringen, da in diesem – so die Argumentation dieser Gruppen – eine strikte Kontrolle und Einschränkung des Rauchens existierte. Obwohl dies nicht den historischen Tatsachen entsprach, stärkte dies die Akzeptanz des Rauchens (Grüning et al. 2008: 142). Infolge dessen wurde Tabakpolitik zunächst als Teil der Wirtschaftspolitik verstanden und entsprechend gefördert (Studlar/Cairney 2014: 519). Erst mit zunehmenden Erkenntnissen zum gesundheitlichen Schaden von Tabakkonsum veränderte sich die Tabakpolitik. Stellvertretend kann hier auf die Einteilung in zwei Phasen der Tabakpolitik, die Studlar und Cairney vorgeschlagen haben, verwiesen werden. Danach kann die erste Phase zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts (und dem Beginn der Verbreitung von Tabakprodukten als Genussmittel) und den 1960er Jahre verortet werden. Sie ist gekennzeichnet durch eine „Tobacco promotion“ Politik mit starken Bezügen zur Wirtschaftspolitik. Ab den 1960er Jahren wandelt sich diese hin zu einer „Tobacco restriction“ Politik, die maßgeblich durch Gesundheitsaspekte bestimmt ist und diese ins Zentrum der Tabakpolitik stellt (Studlar/Cairney 2014: 520)10 .

9 Ab

2010 begann ein stufenweiser Abbau dieser Subventionen (Cairney et al. 2012: 76). ist der Übergang zwischen den Phasen als graduell zu verstehen. Weiterhin sind nationale Variationen von Relevanz, worauf hier nicht weiter eingegangen wird. 10 Hierbei

5.2 Gesundheitspolitik in der EU – zwischen Mitgliedstaaten und …

63

Seit Mitte der 1980er Jahre wird Tabak und seine Nutzung politisch aktiv auf europäischer Ebene behandelt. Vor allem das Programm „Europe Against Cancer“ führte zu einer intensiven Befassung mit diesen Produkten und ihrer Bedeutung als ein Faktor für Krebserkrankungen (Princen 2007: 21). Im Bereich der Tabakpolitik ist die Europäische Union vor allem seit 1987 aktiv, da sie durch die EEA eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Verantwortung in diesem Politikbereich erhielt (Cairney et al. 2012). Die EU nutzte vor allem ihre Kompetenzen im Bereich der Binnenmarktschaffung, um nationale Regeln zu harmonisieren (Studlar et al. 2011: 729). Insgesamt kann die europäische Tabakpolitik zu Beginn des supranationalen Policy-Makings als „Comprehensive Tobacco Control“-Ansatz bezeichnet werden, bei dem verschiedene nationalstaatliche Regelungen gesammelt und als Best Practices auf EU-Ebene verbreitet wurden (Studlar et al. 2011). Dabei prägen europäische Politikansätze trotz einer begrenzten Kompetenz der supranationalen Ebene in diesem Politikfeld die wesentlichen Policies der Tabakpolitik. So gab es beispielsweise in einigen Mitgliedsländern schon Warnhinweise auf Zigarettenschachteln, als die EU 1989 vorgab, dass diese mindestens vier Prozent der Verpackungsfläche einnehmen müssten (Asare et al. 2009: 86). Nicht alle Ansätze wurden also von der EU entwickelt, ihre Gestaltung ist aber maßgeblich durch sie geprägt und erfolgte mit Verweis auf die Harmonisierung von Binnenmarktstandards. Dies trifft auch auf das Verbot von Tabakwerbung im Fernsehen (1989), das spätere generelle Verbot von Tabakwerbung (2003) sowie auf das Verbot von Werbebegriffen wie light oder mild (2001) und die Einführung von Warnhinweisen (2003) zu (Asare et al. 2009: 86).

5.2.2

Instrumente und Akteure der EU-Gesundheits- und Tabakpolitik

Aufgrund der vielfältigen Themen, die im Rahmen der EU Gesundheitspolitik behandelt werden (Steffen et al. 2005), kann mit Blick auf Instrumente und Politikansätze in diesem Feld insgesamt von einem „policy patchwork“ in der europäischen Gesundheitspolitik gesprochen werden (Hervey/Vanhercke 2010). Dabei fokussiert die europäische Gesundheitspolitik sowohl Individuen (z. B. Patienten, Fachkräfte im Gesundheitswesen, Verbraucherinnen) als auch die Mitgliedstaaten und deren Zusammenarbeit und Kooperation und nutzt eine Vielzahl von Instrumenten verschiedener Kategorien (Hervey/Vanhercke 2010: 90). Im Rahmen der Tabakpolitik nutzt die EU neben Informationsinstrumenten (Hinweise auf Verpackungen) auch Politiken, die das individuelle Verhalten stärker einschränken. Mit einer Empfehlung (296/02) aus dem Jahre 2009 werden

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5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Maßnahmen zum Nichtraucherschutz vorgeschlagen und durch die Mitgliedstaaten durchgesetzt. Hierauf wird in der folgenden Betrachtung in dieser Arbeit noch detaillierter eingegangen. Für die europäische Tabakpolitik kann festgehalten werden, dass auf europäischer Ebene und unter Bezugnahme auf den Schutz von Bürgern vor Gesundheitsschäden gemeinschaftliche Politikansätze verfolgt werden, die nationale Unterschiede (kulturell, politisch, ideologisch) überbrücken (Örnberg 2009). Mit Blick auf zentrale Akteure der Gesundheitspolitik auf europäischer Ebene kann zunächst auf die Europäische Kommission und hier vor allem auf die Generaldirektion für Gesundheitsfragen (GD Sanco, seit 2014 GD Sante11 ) verwiesen werden. Diese wurde 1999 als eigenständige Generaldirektion für Gesundheitsfragen gegründet und hat seitdem eine zentrale Rolle in der europäischen Gesundheitspolitik. Zum einen fungiert die GD als zentrale Abteilung für die Erarbeitung von Politikvorschlägen. Zum anderen hat die Generaldirektion aber auch zunehmend die Funktion eines Forums übernommen. Auch die Koordinierung von Experten, die Einbeziehung von Fachwissen zu Gesundheitsfragen und der Ausgleich von Interessen ist eine der Kernaufgaben der Generaldirektion. Vor allem in spezifischen medizinischen Fragen – bspw. der Wirkung von Alkohol oder Tabak auf die Gesundheit, Möglichkeiten der Bekämpfung von Krankheiten – ist die Kommission (respektive die GD) auf das Wissen von Medizinern und Wissenschaftlern angewiesen (Örnberg 2009: 758 ff.). Neben der Kommission ist auch das Europäische Parlament durch seine Stellung als Vertretung der Bürger und im politischen Prozess von Bedeutung für die Politikgestaltung. Fragen der Gesundheit werden im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) behandelt. Wie auch im Rahmen der Umweltpolitik hat der Ausschuss eine zentrale Rolle bei der Formulierung der Position des Parlaments und insgesamt bei der Gestaltung von Politiken (Adamini et al. 2011: 78). Darüber hinaus ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO)12 von zentraler Bedeutung in der Gesundheitspolitik, vor allem im Bereich der Tabakpolitik (Mamudu et al. 2008). Hier hat die WHO mit ihren Agenden zur Bekämpfung von Tabak und vor allem dem Prozess zur Erstellung der Framework Convention on Tobacco Control maßgeblich die Schwerpunktsetzung auch in der EU beeinflusst (Mamudu et al. 2008). Auch der

11 Im Jahr 2014 wurde die Zuständigkeit für Verbraucherfragen aus der Generaldirektion herausgelöst und in die Generaldirektion für Justiz und Verbraucher verschoben, sodass die GD Sante hauptsächlich für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständig ist. 12 Die EU hat einen Status als Beobachter bei der WHO, tritt aber als eine Partei in der FCTC auf, da diese auch Binnenmarkt-Themen betrifft und hierfür die Kommission ein Mandat der Repräsentation der Interessen der Mitgliedstaaten wahrnimmt.

5.3 Vergleich der politischen Ansätze zur Verbrauchersteuerung

65

Europäische Gerichtshof hat mit wegweisenden Entscheidungen die Kompetenzen der europäischen Ebene insgesamt gestärkt (Martinsen 2005, Obermaier 2008). Abschließend kann für die europäische Gesundheits- und Tabakpolitik festgehalten werden, dass – ähnlich wie im Bereich der Umweltpolitik – neben der Kommission vor allem das Parlament mit seinen Ausschüssen maßgeblich Einfluss auf die Politikgestaltung nimmt13 .

5.3

Vergleich der politischen Ansätze zur Verbrauchersteuerung

Sowohl in der EU-Umwelt- als auch in der Gesundheitspolitik verfolgen Maßnahmen das Ziel, individuelles Verhalten zu verändern. Diese Politiken sind in umfangreichere Ansätze in den jeweiligen Themengebieten eingebettet, die in der Folge kurz skizziert werden. Bei dieser Betrachtung wird die Adressierung von Individuen (Konsumentenperspektive) von der Adressierung von Dienstleistern und Industrie (Produzentenperspektive) abgegrenzt. Damit verdeutliche ich, dass die Konzentration auf die Konsumentenperspektive in dieser Arbeit Erkenntnisse zur Politikgestaltung, v. a. im Hinblick auf die Wahrnehmung und Charakterisierung der Zielgruppe, verspricht. Mit dieser Darstellung soll ebenso deutlich werden, dass keine isolierte Betrachtung der Politik hinsichtlich der Konsumenten erfolgt, eine Fokussierung dieser Perspektive aber sinnvoll ist, um die Fragestellung dieser Arbeit zu beantworten. Sowohl in der Tabakpolitik als auch in der Politik zu nachhaltigem Konsum wird neben individuellem Verhalten auch die Herstellung von Produkten14 adressiert. Zentral ist in beiden Politikbereichen, dass einerseits individuelles Verhalten fokussiert wird, um dieses im Sinne der formulierten politischen Ziele zu verändern. Andererseits werden auch Produkte, ihre Inhaltsstoffe oder Vorprodukte, von Politiken angesprochen. So existieren Vorgaben sowohl in der Tabak- wie auch in der Nachhaltigkeitspolitik zu Inhaltsstoffen, die als gefährlich angesehen werden und daher nicht mehr zur Herstellung von Gütern zugelassen sind. In der Folge wird die Umsetzung dieses zweigleisigen Ansatzes in den beiden Politikbereichen dargestellt. 13 Wie auch bei der Betrachtung der Umweltpolitik soll hier nur auf die Arbeit von Interessengruppen und Expertennetzwerke verwiesen werden, da deren Wirken nicht im Fokus der Analyse steht, s. Randall 2000. 14 Vor allem in der Umweltpolitik werden auch Dienstleistungen adressiert, in der Tabakpolitik ist dies weniger zentral. Mit der Formulierung soll der Fokus der Arbeit deutlich werden, ohne dass Dienstleistungen explizit ausgeschlossen wären.

66

5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

Exemplarisch für die Umsetzung dieses Ansatzes soll für die Nachhaltigkeitspolitik hier die Ecodesign- und Ecolabel-Politik betrachtet werden (Nash 2009). Auf europäischer Ebene wird mit der Ecodesign-Politik Einfluss auf Produkteigenschaften genommen. Das zentrale Ziel ist hierbei, jene Produkte, die Teil dieser Politik sind15 , so zu gestalten, dass sie bei Herstellung, Nutzung und Verwertung möglichst wenig Schaden für die Umwelt verursachen16 . Mit dem Ecolabel sollen Verbraucherinnen mit Informationen zu nachhaltigen Konsumentscheidungen bewogen werden. So werden jene Produkte mit dem Label gekennzeichnet, die geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben. Konsumenten wird durch diese Information eine Möglichkeit zur Verhaltensänderung gegeben: Sie sollen Produkte kaufen, die im Vergleich zu ähnlichen Produkten derselben Kategorie geringere oder keine Umweltschäden verursachen. Die Notwendigkeit zur analytischen Trennung von Konsumenten- und Produzentensteuerung soll hier durch das Beispiel der Glühbirne verdeutlicht werden: Während in der öffentlichen Debatte häufig von einem Verbot der Glühlampe (u. a. Tagesschau 2012) gesprochen wurde und damit eine Verbindung zur Steuerung des individuellen Konsums assoziiert wird, stellt das Verschwinden dieses Produktes vom Markt ein Resultat der Produzentensteuerung dar. In der Verordnung 244/2009 wurden erstmals Ecodesign-Anforderungen an Haushaltslampen definiert. Im Zuge der Überarbeitung und Anpassung dieser Verordnung im Jahr 2015 (Verordnung 2015/1428) wurden die Anforderungen an die Energieeffizienz dieser Produkte so festgelegt, dass konventionelle Glühlampen diesen (aufgrund der technischen Konstruktion) nicht mehr entsprechen können. Aus analytischer Perspektive wird hier also nicht dem Konsumenten der Kauf eines bestimmten Produktes verboten (oder die Attraktivität des Produktes durch ökonomisch Anreize gesenkt), sondern das Angebot auf dem Markt eingeschränkt, sprich: Produzenten adressiert. Im Kontext der analytischen Perspektive auf nachhaltigen Konsum wird hier also nicht versucht, das individuelle Verhalten zu verändern. Verbraucherinnen werden bspw. nicht dazu angehalten, das Licht beim Verlassen eines Raumes auszuschalten. Hingegen führt die Ecodesign-Politik dazu, dass unabhängig 15 Im Zuge der Ecodesign-Politik werden von der EU Kommission Produktgruppen identifiziert, die unter Ecodesign-Vorgaben fallen sollen. Daran anknüpfend werden Vorgaben zu Produkteigenschaften erstellt. Es fallen damit nicht alle Produkte unter diese Politik, sondern nur hierfür identifizierte Kategorien. Weiterhin adressiert die Ecodesign-Politik energieverbrauchsrelevante Produkte. Um Teil dieser Politik zu sein, müssen Produkte im Zusammenhang mit einem Energieverbrauch stehen. So sind bspw. Fenster auch relevant für die Höhe des Energiebedarfs beim Heizen. 16 Eine weitere Maßnahme besteht bspw. in der Chemikalien-Verordnung REACH, die die Verwendung von Chemikalien bei der Produktherstellung reguliert. Auch hier ist der Ansatz der Produktadressierung deutlich.

5.3 Vergleich der politischen Ansätze zur Verbrauchersteuerung

67

vom Verbraucherverhalten Umweltauswirkungen bestimmter Produkte verringert werden. Der Politikansatz im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verbraucherfreiheiten nicht eingeschränkt, sondern umweltschonende Optionen gekennzeichnet werden17 . Auf Seite der Produzentenadressierung wird über die Ecodesign-Politik versucht, mit Vorgaben zur Produktgestaltung deren Umweltfolgen zu reduzieren. Hierbei kann aber eine gewisse Breite der Instrumente festgestellt werden. So werden Produzenten nicht nur über bindende Regelungen, sondern auch über freiwillige Wege zu einer Anpassung bewegt (Pollex/Lenschow 2020)18 . In der europäischen Tabakpolitik können ebenso Produzenten- und Konsumentenperspektive unterschieden werden. Wie auch im Rahmen der Umweltpolitik wird die Produktion von Gütern adressiert. Hierbei werden auf europäischer Ebene beispielsweise Grenzwerte zu Inhaltsstoffen wie Nikotin, Teer und Kohlenmonoxid festgelegt. Ebenso werden charakteristische Geschmacksstoffe (bspw. Menthol) verboten, die das Rauchen attraktiver machen (Richtlinie 2001/37 und Richtlinie 2014/40). Hier zeigt sich ein sehr ähnliches Vorgehen wie auch im Bereich der Produktadressierung im Rahmen der EU-Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, da durch klare Vorgaben und Grenzwerte die Produkteigenschaften so verändert werden, dass ein Mindestmaß an Gesundheitsschutz garantiert werden kann. Im Hinblick auf Verbraucherverhalten wird ebenso das individuelle Verhalten adressiert. Dabei regeln europäische Vorgaben (u. a. Richtlinie 2001/37) die Art und Größe von Warnhinweisen auf Tabakpackungen (u. a. Art. 5, Richtlinie 2001/37). Es handelt sich dabei aber – anders als im Bereich der Nachhaltigkeitspolitik – um verpflichtende Kennzeichnungen auf Verpackungen. Zudem umfassen diese Kennzeichnungen nicht bloß Informationen zu Produkteigenschaften, sondern beinhalten Warnhinweise (bspw. ‚Rauchen kann tödlich sein‘). Ab 2014 wurden diese Warnhinweise zudem durch sog. Schockbilder ergänzt, sodass die Kennzeichnung als behavioural Instrument charakterisiert werden kann. Damit besteht auch ein Unterschied in der Art des Informationsinstruments (s. Kapitel drei). Darüber hinaus werden mit der Empfehlung zu rauchfreien Umgebungen (2009/C 296/02) die Mitgliedstaaten dazu angehalten, nationale Regelungen zu Rauchverboten in öffentlichen Räumen oder an Arbeitsplätzen zu treffen. Diese Empfehlung stellt zwar keine bindende europäische Regelung dar, verdeutlicht aber 17 Zu ergänzen ist hier, dass Produzenten das Label auf freiwilliger Basis nutzen und es nicht für alle Produkte verpflichtend ist. 18 Eine ausführliche Abbildung aller Ansätze zur Produzentenadressierung erfolgt hier aus arbeitsökonomischen Gründen nicht. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Art der Konsumentenadressierung, die nur über Informationen erfolgt.

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5

Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Europäischen Union und …

die Ziele des Politikansatzes im Bereich der Tabakpolitik. So haben hier nach Vorschlag der Kommission und Konsultation des Parlaments die Mitgliedstaaten eine Vereinbarung getroffen, wirksame Maßnahmen (in diesem Fall Rauchverbote) zu treffen, um den Ansatz zur Verbesserung der Gesundheit zu unterstützen, und sich dabei auf klare Ziele und Maßgaben geeinigt19 . Insgesamt zeigt sich so, dass in der Tabakpolitik verpflichtende Kennzeichnungen, die als verhaltensbasiertes Instrument bezeichnet werden können, und Einschränkungen des individuellen Verhaltens genutzt werden, um Verbraucherinnen zu adressieren. In der Politik zu nachhaltigem Konsum werden hingegen nur neutrale Label genutzt, um Verbraucher zu informieren und so deren Verhalten ggf. zu ändern. Hierbei spielt für die weitere Untersuchung auch die Richtung der angestrebten Verhaltensänderung eine Rolle. Zwar verfolgen Policies in beiden Fällen das Ziel, individuelles Verhalten zu ändern. Im Bereich der Nachhaltigkeitspolitik wird aber eine Animierung zum Kauf bestimmter Produkte verfolgt, im Bereich der Tabakpolitik steht eine Einschränkung oder Hemmung bestimmter Konsummuster im Fokus. In beiden Bereichen werden zudem Produkteigenschaften adressiert. Hier besteht aber keine Varianz im Vergleich der beiden Politikbereiche, weswegen die Arbeit die Verbraucherperspektive und die Unterschiede in den politischen Ansätzen genauer untersucht. Die Konzentration auf verbraucherfokussierte Maßnahmen, die auf EU-Ebene getroffen werden, verspricht so Erkenntnisse zur Relevanz der Zielgruppenbeschreibung im Policy-Making20 .

19 Auf die Regelungen und den Prozess der Politikformulierung gehe ich in der Analyse noch ausführlicher ein. Die Darstellung in diesem Kapitel dient zunächst der Verdeutlichung der Analyseperspektive in dieser Arbeit. Auch die Relevanz einer Empfehlung, die unter die Kategorie des soft law fällt, wird in der Diskussion der Arbeit noch behandelt. 20 In der Tabakpolitik wurden zudem nationale Tabaksteuern harmonisiert, wobei dies aber ausschließlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt. Verbrauchssteuern, die umweltpolitische Ziele verfolgen, wurden lediglich mit Bezug auf Mineralölsteuersätze auf supranationaler Ebene diskutiert. Aufgrund der EU-Kompetenzen werden also keine ökonomischen Instrumente genutzt, um Konsumenten und deren Verhalten mit supranationalen Maßnahmen zu adressieren.

6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

In diesem Kapitel werden das Untersuchungsdesign und die Methodik der Arbeit dargestellt. Im Fokus steht hierbei die Relevanz von Zielgruppen und ihrer Charakterisierung für die Wahl von Politikinstrumenten. Es wurden die beiden Fälle der Politiken zu nachhaltigem Konsum und zu Tabakkonsum identifiziert, in denen unterschiedliche Instrumente (hinsichtlich der Gestaltung und des Maßes an Zwang, das genutzt wird) gewählt werden, um individuelles Verhalten zu adressieren. Aufgrund der Varianz zwischen den beiden Fällen gehe ich in der Analyse vergleichend vor, um Erkenntnisse zu den Gründen für diese Varianz herauszuarbeiten. Um die beiden Fälle anhand der identifizierten analytischen Elemente intensiv zu untersuchen, wähle ich ein qualitatives Vorgehen, das tiefergehende Fallstudien ermöglicht und für den Vergleich von wenigen Fällen geeignet ist. Das Design dieser Untersuchung basiert auf der analytischen Perspektive und dem Erkenntnisinteresse und orientiert daran wiederum das methodische Vorgehen und die Datenerhebung (Creswell 2014; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010). Wie bereits in Kapitel zwei dargestellt, bezieht sich diese Arbeit auf interpretative und post-positivistische Ansätze in der Policy-Forschung. Diese Perspektiven gehen davon aus, dass Realitäten von Akteuren interpretiert werden, ohne dabei zu leugnen, „[dass] es eine Wirklichkeit als Umgebung der jeweiligen Beobachter gibt“ (Noetzel/Brodocz 1996: 51). Vielmehr fokussieren post-positivistische Ansätze die Frage danach, wie Akteure die Realität oder ihre jeweilige Umwelt interpretieren und welche Konsequenzen daraus folgen (ebd.)1 . 1 Noetzel

und Brodocz (1996) stellen bspw. eine ausführliche Diskussion von konstruktivistischen Ansätzen in der Politikwissenschaft und ihrer unterschiedlichen Anwendungen dar. Jensen (1999) bietet einen umfassenden Überblick zur Entwicklung konstruktivistischer Perspektiven und ihrer Bedeutung in und für die Wissenschaft. Auf diese Werke sei exemplarisch für eine weitergehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Strömungen © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_6

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6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

In Anknüpfung an diese theoretische Perspektive untersucht die durch den argumentative turn geprägte Policy-Forschung empirisch, wie Probleme und Ereignisse interpretiert und ihre Bedeutung oder Dimension sozial konstruiert werden (Hajer 2004: 272 f.; Fischer 2007). So werden im (politischen) Diskurs bestimmte „Phänomene mit Bedeutungen versehen“, wodurch Akteure Realität produzieren und daraus entsprechende Handlungen ableiten (Hajer 2004: 275). An Hajer anknüpfend wird Diskurs für diese Arbeit als ein „Ensemble von Ideen, Konzepten und Kategorien“ verstanden, mit dem Akteure die Realität interpretieren und das wiederum die Welt für sie vorstrukturiert (2004: 275, 277). Daher orientiere ich mich in der Analyse am Konzept der Storylines (Hajer 2004). Dieses beschreibt einen Prozess, in dem komplexe Phänomene in knappen Erzählungen verknüpft werden und ihnen so bestimmte Bedeutungen zugewiesen werden. Storylines können als knappes „Statement, das die Erzählung zusammenfasst“ (Hajer 2004: 277) bezeichnet werden. An diese Perspektive anknüpfend, untersucht die Arbeit, wie Zielgruppencharakterisierungen in Storylines mit Probleminterpretationen und Instrumenten verknüpft werden. Durch diese Verknüpfung – so die Annahme – erfolgt eine diskursive Begründung der Instrumentenwahl, die Cappano und Lippi (2017) als „sense-making“ bezeichnen. Somit verfolgt die Arbeit das Ziel, Konstruktionen zweiten Grades zu erstellen. Während Konstruktionen ersten Grades die Interpretation der Wirklichkeit durch Handelnde (politische Akteure, Individuen im Alltag) bezeichnen, versucht die Sozialforschung, diese Konstruktionen zu verstehen und nachzuvollziehen. Eine Interpretation dieser Konstruktionen durch wissenschaftliche Analysen und eine Verbindung zu theoretischen Annahmen erfolgt dann als Konstruktion zweiten Grades (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 27).

6.1

Fallauswahl und Untersuchungsdesign

Wie in Kapitel 5 dargestellt, basieren sowohl Politiken zu nachhaltigem Konsum als auch zum Tabakkonsum auf ähnlichen vertraglichen Zielen der Europäischen Union hinsichtlich des Schutzes der Umwelt und Gesundheit. In beiden Politikfeldern werden Individuen und ihr Verhalten direkt adressiert und eine Verhaltensänderung verfolgt. Dabei bestehen aber Unterschiede in der Nutzung von Politikinstrumenten bzw. deren Ausgestaltung. Auf Ebene des Falls untersucht die Arbeit also die Art der Adressierung und die Gründe für eine unterschiedliche Instrumentenwahl und Theorieperspektiven, die unter dem Oberbegriff des Konstruktivismus gefasst werden, verwiesen.

6.1 Fallauswahl und Untersuchungsdesign

71

und -gestaltung. Dabei können die beiden Fälle (1) nachhaltiger Konsum und (2) Tabakkonsum identifiziert werden. Beide Fälle sind Teilbereiche je eines europäischen Politikfeldes (Umwelt- bzw. Gesundheitspolitik). Sie stellen darüber hinaus einen Ansatz innerhalb je eines Themenfeldes dar. In beiden Themenfeldern werden sowohl Produktion als auch Konsum adressiert (s. Abb. 6.1). Ich konzentriere mich in der Arbeit jeweils auf die Konsumentenperspektive.

Abbildung 6.1 Übersicht der Fälle innerhalb der Politik- und Themenfelder

Eigene Darstellung. Die hervorgehobenen Kästen signalisieren den Fokus der Arbeit So stellen beide identifizierten Fälle eine Untersuchungseinheit auf der gleichen Ebene innerhalb der Politikfelder dar. Dabei muss zwischen Programm, Policy und Instrument als unterschiedliche Ebenen der Politik unterschieden werden. Unter Programm werden feld- und themenspezifische politische Agenden verstanden, die Festlegungen zum politischen Handeln treffen. Unter Policy werden dann konkrete Politiken verstanden. Darunter fallen in dieser Arbeit europäische Richtlinien oder Verordnungen. Unter Instrument wird dann die Ausgestaltung dieser konkreten Politiken verstanden, beispielsweise Festlegungen zum Bildmaterial auf Zigarettenschachteln oder Vorgaben für die Gestaltung des Ecolabels. Damit erfolgt der Vergleich auf einer Ebene, auch wenn Produktzahl und -breite im Bereich der Umweltpolitik größer sind als im Bereich der Tabakpolitik. In beiden Fällen behandeln die Instrumente eine Reihe von Produkten2 . Da es der 2 Die

Bandbreite an Produkten, die vom Ecolabel abgedeckt (bspw. von Putzmitteln bis hin zu Wandfarben) werden, ist größer als im Bereich der Tabakpolitik. Dennoch bleibt, auch bei unterschiedlicher Zahl an Produkten, der grundlegende Ansatz der Verbraucheradressierung gleich.

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6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

Arbeit um die grundsätzlichen politischen Ansätze zur Beeinflussung individuellen Verhaltens geht, wird die Betrachtung der Fälle auf der gleichen Ebene vorgezogen, auch wenn in einem Fall darunter eine größere Zahl an Produktgruppen fällt. Dadurch können auch Schwerpunkte der Politikansätze und der Einbindung von Zielgruppencharakterisierungen gezeigt werden. Ausgehend von der unterschiedlichen Nutzung bzw. Gestaltung der Instrumente soll die Bedeutung unterschiedlicher Interpretationen zu den Adressaten und Problemen hierfür untersucht werden. Aus dieser Untersuchungsanlage ergibt sich eine vergleichende Untersuchung von zwei Fällen auf Basis eines Most Similar Case Designs (Lauth et al. 2015). Beide Fälle sind Teil europäischer Politiken, sie fokussieren beide individuelles Verhalten und dessen Änderung und sind Teil eines umfassenden Policy-Ansatzes. Lauth et al. weisen ausdrücklich darauf hin, dass die „spezifische Problematik dieses Forschungsweges […] die Konstruktion des Kontextes“ ist (2015: 64, Hervorhebung im Original). Die Frage, wann ein Kontext der Fälle gleich oder verschieden ist, lässt sich nicht abschließend und umfänglich beantworten, da „[j]eder Fall […] verschieden [ist], wenn man ihn in all seinen Facetten betrachtet“ (Lauth et al. 2015: 64)3 . Die Bezugnahme auf ein Design erfolgt, um die Untersuchung zu strukturieren, indem eine „kontrollierte Versuchsanordnung“ erstellt wird (Lauth et al. 2015: 60). Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Analyse und Interpretation der empirischen Daten zu der Erkenntnis führen, dass beide Fälle durch eine Reihe unterschiedlicher Aspekte gekennzeichnet sind. Durch die Fokussierung auf Zielgruppen, die Problemdimension und den Kontext des Politikfeldes in dieser Arbeit soll die Zahl von Einflussfaktoren möglichst gering und dabei aussagekräftig und trennscharf gehalten werden. So sollen die von Lijphart formulierten Hinweise an vergleichende Studien mit geringen Fallzahlen erfüllt werden (1971: 687)4 . Insgesamt konzentriert sich die Arbeit auf die europäische Ebene. Ich richte meine Aufmerksamkeit, wie in Kapitel vier zum Politikprozess in der EU bereits dargestellt, auf die EU-Kommission und das Europäische Parlament. Die Mitgliedstaaten, und hierbei der Rat als zentrales legislatives Organ, werden in dieser Arbeit ausgeklammert. Dies hat zwei Gründe. Erstens konzentriere ich mich in der Arbeit auf die Interaktion zwischen Kommission und Europäischem Parlament. Beide Organe sind sukzessive gestärkt worden und können als maßgeblich für das Policy-Making bezeichnet werden. Gerade die Dynamik zwischen beiden Organen 3 Kontext

bezieht sich hier auf alle Einflussfaktoren, Merkmale oder Bedingungen, die einen Fall ausmachen und meint nicht den Kontext, in dem Akteure handeln. 4 Diese Zuordnung wurde aufgrund der eindeutigen und trennscharfen Fall-Bezeichnung bei Lauth et al. (2015) gewählt. Für eine alternative Typologie, s. Lijphart (1971).

6.2 Fragestellung und Leitfragen

73

stellt ein Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung dar. Zweitens kann bezüglich der Mitgliedstaaten davon ausgegangen werden, dass diese sehr unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf Umwelt-, Tabak- und Verbraucherpolitik im Allgemeinen verfolgen (Weatherill 2013). Hierbei kann von variierenden Präferenzen hinsichtlich der Marktfreiheit und der Rolle staatlicher Intervention sowie unterschiedlicher Perspektiven auf die Rolle der Verbraucherinnen ausgegangen werden (Nessel 2019). Das Nachvollziehen der internen Abstimmungen im Rat und zwischen den Mitgliedstaaten würden den Rahmen dieser Arbeit überstrapazieren. Die Mitgliedstaaten werden daher in dieser Arbeit im Rahmen der Analyse des Politikkontextes betrachtet, da durch nationale Festlegungen und Positionen der Mitgliedstaaten der Handlungsspielraum für europäische Policies beeinflusst wird und diese als Teilaspekt der Politikfelder verstanden werden können5 . Unter Berücksichtigung des Erkenntnisinteresses der Arbeit ist die Eingrenzung der Untersuchung auf die beiden Organe Kommission und EP daher gerechtfertigt.

6.2

Fragestellung und Leitfragen

Der Fragestellung dieser Arbeit folgend, werden in der Analyse das Zielgruppenund Problemverständnis sowie der Kontext (d. h. Politik- und Themenfelder) untersucht. Im Fokus stehen dabei politische Interpretationen und Deutungen. Bei diesem Analyseschritt sind unterschiedliche Ergebnisse denkbar und zu erwarten. So können Konsumenten als Zielgruppe unterschiedlich charakterisiert werden (s. Darstellung zu den Idealtypen in Kapitel drei) oder unterschiedlich stark in einen Politikansatz eingebunden werden. Gleiches gilt für die Problemdefinition und die damit verbundene politische Interpretation von bestimmten Herausforderungen. In der Folge werden daher Leitfragen aufgestellt, welche die Untersuchung strukturieren und Erkenntnisse zur Bedeutung unterschiedlicher Interpretationen ermöglichen sollen. Die Leitfragen fokussieren die drei Analyseelemente Zielgruppe, Problem und Kontext sowie die Dynamik zwischen Europäischer Kommission und Europäischem Parlament. Darüber hinaus erfolgt die Analyse in zwei Schritten. Zunächst konzentriere ich mich auf die beiden Politik- bzw. Themenfelder und arbeite zentrale Deutungen zu Adressaten und Problemen heraus. Den theoretischen Annahmen der Arbeit folgend, gehe ich davon aus, dass hier schon zentrale Deutungen in den 5 Sollte

sich im Lichte der Empirie herausstellen, dass bestimmte Instrumente ausschließlich aufgrund der Mitgliedstaaten gewählt wurden, wird dies in der weiteren Untersuchung eingebunden und transparent gemacht. Diese Formulierung stellt hier die Annahme der Arbeit dar.

74

6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

Feldern etabliert werden. Im zweiten Schritt untersuche ich dann, wie diese Interpretationen bei der konkreten Politikformulierung verknüpft und so Storylines erstellt werden. Im Besonderen untersuche ich dabei die Rolle von Adressaten, Annahmen zu ihrem Verhalten und die Verknüpfung dieser Interpretationen mit der Instrumentenwahl. Mit Blick auf die Kommission und das EP gehe ich der Frage nach, wie (bzw. ob) diese beiden Organe (konkurrierende) Deutungen etablieren und auf die Gestaltung der Storylines Einfluss nehmen. In der Folge werden hierzu Leitfragen formuliert, die die Untersuchung strukturieren. Zielgruppe Das Element Zielgruppe steht im Fokus der Untersuchung. Es wird angenommen, dass Interpretationen zu Adressaten und deren Verhalten für die Wahl und Gestaltung von Politikinstrumenten relevant sind. Ebenso wird im Anschluss an die interpretative Policy-Forschung davon ausgegangen, dass Akteure im PolicyMaking Zielgruppen bestimmte Eigenschaften zuweisen und Annahmen über ihr Verhalten formulieren. Ich gehe davon aus, dass diese Zuschreibungen relevant für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl sind. Wie bereits mit Blick auf die Diskussion verschiedener Verbraucherbilder dargestellt, lassen sich zwei Idealtypen des Verbrauchers herausstellen. Während starke Konsumenten souveräne Akteure sind und sowohl beim Kauf (also als Marktakteure) als auch bei der Nutzung im Alltag auf Basis von Informationen frei handeln, sind schwache Konsumenten leicht zu verleiten, manipulierbar und schutzbedürftig, da sie u. a. als schwächste Marktteilnehmer benachteiligt sind (bspw. durch Informationsasymmetrien). Aus dieser Unterscheidung von Idealtypen ergibt sich daher die erste Leitfrage: (1) Werden unterschiedliche Annahmen zum Adressatenverhalten in den Kontext der Instrumentenwahl und -gestaltung gesetzt?

Die Frage nimmt so Bezug auf die angenommene zentrale Stellung von Zielgruppen für die Politikgestaltung. Die Analyse fokussiert mit dieser Leitfrage, wie stark auf Adressaten Bezug genommen wird und wie diese in Storylines zur Instrumentenwahl eingebunden werden. So können Konsumentinnen eine zentrale Stellung für die Begründung politischen Handels einnehmen oder nur eine nachrangige Rolle für die Erstellung von Storylines darstellen. Die Frage kann bejaht werden, wenn Verbraucher im Zentrum der erstellten Storyline stehen, d. h. alle anderen Aspekte (Probleme, Instrumente) auf sie bezogen werden. Darüber hinaus stehen idealtypische Annahmen zum individuellen Verhalten im Fokus der Untersuchung. Wird bspw. von einem souveränen Adressaten ausgegangen, ist die Nutzung von Zwang schwieriger zu begründen, als wenn eine schwache

6.2 Fragestellung und Leitfragen

75

Zielgruppe angenommen wird. Starke Konsumenten reagieren idealtypisch auf Informationsanreize und sind als souveräne Verbraucherinnen und Marktakteure nicht auf den Schutz durch staatliche Interventionen angewiesen. Daraus ergibt sich die zweite Leitfrage: (2) Werden souveräne Konsumenten betont, wenn Informationsinstrumente genutzt werden?

Die Wahl von Informationsinstrumenten sollte Bezug zu einem souveränen Adressatenverhalten herstellen. Daher sollten die Storylines, die Instrumentenwahl und Zielgruppe verknüpfen, auf der Annahme starker Verbraucherinnen basieren. Die diskursive Verbindung von starken Konsumenten und anderen Instrumenten (z. B. Zwang) wäre schwerer zu begründen, weil ein starker Adressat idealtypisch mit ausreichenden Informationen zu einer Verhaltensänderung bewegt werden kann. Mit Blick auf idealtypisch schwache Adressaten ergibt sich die dritte Leitfrage dieser Untersuchung: (3) Werden schwache Adressaten betont, wenn über Informationen hinausgegangen wird oder wenn Zwang genutzt wird?

Die zentrale Annahme ist hierbei: Ein schwacher und leicht zu manipulierender Verbraucher kann mit zusätzlichen Informationen nur bedingt zu einer Verhaltensänderung gebracht werden. Dieser Konsument reagiert zudem auf Emotionen oder ist von Routinen beeinflusst; die Kapazität, umfassende Informationen zu verarbeiten und daraufhin Verhalten zu verändern, ist begrenzt. Dieser Verbraucher muss – wenn sein Verhalten verändert werden soll – also weitreichender adressiert werden. Eine Kopplung dieses Verbraucherbildes mit Instrumenten, die über eine neutrale Information hinausgehen, ist somit einfacher möglich. Gerade die – diesem Idealtypus folgend – angenommenen Defizite bei der Informationsverarbeitung bieten einen Anknüpfungspunkt für die Nutzung weitreichender Instrumente. Der Eingriff in die individuelle Freiheit ist damit leichter möglich (und begründbar), weil er schlüssig in den Kontext dieser Charakterisierung gestellt werden kann. Die Legitimation von Einschränkungen (durch staatliche Interventionen) wird aus den angenommenen Eigenschaften der Adressaten generiert. Während also der starke Verbraucher durch Einschränkungen bevormundet würde, wird der schwache Konsument durch diese Maßnahmen unterstützt oder geschützt. Damit sind schlüssige Erzählungen, die schwache Konsumenten und weitreichende Eingriffe kombinieren, möglich. Darüber hinaus spielt hier auch die Art der anvisierten Verhaltensänderung eine Rolle. Wie bereits dargestellt, soll im Fall der Nachhaltigkeitspolitik eher

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6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

eine bestimmte Verhaltensweise befördert werden, wohingegen Verbraucher in der Tabakpolitik von bestimmten Verhaltensweisen abgehalten werden sollen. Hier sind also unterschiedliche Richtungen der Verhaltensänderung Ziel der Policies. Wie dabei Zielgruppencharakterisierungen eingebunden werden, wird mit Hilfe der vierten Leitfrage untersucht: (4) Wird die Richtung der Verhaltensänderung eindeutig mit Bezug auf eine bestimmte Zielgruppencharakterisierung behandelt?

Mit Rückgriff auf die Idealtypen zum Verbraucherverhalten soll untersucht werden, ob souveräne Konsumentinnen betont werden, wenn die Förderung eines Verhaltens verfolgt wird. Die Betonung schwacher Adressaten könnte in Storylines eingebunden werden, die eher weitreichendere Maßnahmen rechtfertigen und ein bestimmtes Verhalten verhindern sollen. Problem Das Element Problem bezieht sich, wie eingangs dargestellt, auf die politische Beschreibung bestimmter Missstände oder Situationen, die politisches Handeln erfordern. Daher wird untersucht, welche Struktur einem Problem zugewiesen wird. Für die Beantwortung der Fragestellung ist hierbei vor allem relevant, wie Probleme hinsichtlich bestimmter Adressaten interpretiert werden. Wem wird eine Verantwortung für ein Problem (und dessen Lösung) zugewiesen? Welche Zielgruppen sind von einem Problem betroffen und welche Zielgruppen werden zu seiner Lösung einbezogen und adressiert? Dementsprechend spielt der kollektive Nutzen einer Verhaltensänderung eine Rolle. Auch hier ist relevant, wie Interpretationen zu schlüssigen Storylines verknüpft werden, um überzeugende Policy-Pakete erstellen zu können. Die empirische Analyse in dieser Arbeit untersucht daher, ob und wie individuelles Verhalten in den Kontext des jeweiligen Problems gesetzt wird. Es kann zunächst angenommen werden, dass eine hohe Relevanz individuellen Verhaltens im Rahmen eines definierten politischen Problems zur Adressierung eben dieses Verhaltens durch Politikinstrumente führt. Hierbei würden Problem und Verhalten verknüpft. Ich gehe in der Arbeit davon aus, dass einerseits die Folgen individuellen Handelns als eine Problemursache und andererseits auch Verhaltensänderungen als Lösungsstrategie adressiert werden. Ebenso kann individuellem Verhalten aber auch eine nachgeordnete Relevanz zugewiesen werden, sodass die Veränderung des Verbraucherverhaltens nur eine von vielen Lösungsstrategien darstellt. Letzteres würde die Hürden für weitreichende politische Interventionen (bspw. die Nutzung

6.2 Fragestellung und Leitfragen

77

von Zwang) erhöhen, da diese Instrumente vor allem bei einem hohen Problemdruck eingesetzt werden (Lascoumes, Le Gales 2007). Daraus ergibt sich die fünfte Leitfrage: (5) Werden Verhaltensweisen als zentral für ein Problem angesehen, wenn individuelles Verhalten durch Politikinstrumente eingeschränkt werden soll oder wenn über die Nutzung von Informationen hinausgegangen wird?

Politikkontext Unter dem Element Kontext verstehe ich in dieser Arbeit Politikfelder als Bedeutungszusammenhänge. In Politikfeldern und Themengebieten ordnen dominante Deutungen oder Interpretationen das politische Agieren, indem Annahmen für das gesamte Feld festgelegt werden. Ich gehe davon aus, dass bestimmte Deutungen zu Zielgruppen und Problemstrukturen maßgeblich für die Politikgestaltung und Instrumentenwahl sind. Die Etablierung von Deutungen zu Adressaten, Problemverständnissen und grundlegenden Politikansätzen in den Feldern würde so auch die konkrete Gestaltung von Politiken beeinflussen. Hingegen wäre ebenso denkbar, dass eine Fokussierung auf Adressaten erst im konkreten Policy-Making erfolgt und in den Politikfeldern keine Deutungen zu Problemen oder Zielgruppen etabliert werden. Daraus ergibt sich die fünfte Leitfrage: (6) Wie stark restringiert der Kontext die Wahl von Politikinstrumenten?

Darüber hinaus wird in diesem Untersuchungsschritt auch der breitere Handlungsrahmen für Kommission und Parlament im supranationalen Policy-Making einbezogen. Wie in Kapitel vier bereits dargestellt, spielen auch nationale Politiken in den Mitgliedstaaten oder internationale Entwicklungen eine Rolle. Werden bspw. unterschiedliche Instrumente in den Staaten genutzt, besteht so ein Anknüpfungspunkt für europäische Initiativen. Andernfalls kann angenommen werden, dass eine Dominanz eines Instrumententyps (bspw. Informationsinstrumente) auf nationaler Ebene die Hürden für weitreichende, individuelle Freiheiten einschränkende, europäische Initiativen erhöhen würde. Somit müssten Problemdefinitionen und Zielgruppencharakterisierungen auf europäischer Ebene begründen, warum bestimmte Instrumente genutzt werden sollen. Insgesamt kann angenommen werden, dass auch nationale Festlegungen den Kontext der europäischen Politikformulierung beeinflussen und so zum restringierenden Charakter dieses Elementes beitragen.

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6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

Dynamik zwischen Europäischem Parlament und Europäischer Kommission Neben dem Fokus auf Zielgruppencharakterisierungen für die Instrumentenwahl steht die Dynamik im supranationalen Policy-Making der EU im Zentrum der Analyse. Wie in Kapitel vier dargestellt, sind sowohl die Kommission (mit den entsprechenden Generaldirektionen) als auch das Parlament (vor allem seine Ausschüsse) von zentraler Bedeutung im Prozess der Politikgestaltung. Die Arbeit geht der Frage nach, ob Kommission und Parlament unterschiedliche Interpretationen von Problemen und Zielgruppenverständnissen in Storylines zur Instrumentenwahl verknüpfen. Ausgangspunkt hierfür ist, dass die Kommission durch ihre herausgehobene Position im politischen System der EU auch mit Einflussmöglichkeiten, die als ideational power bezeichnet werden können (Carstensen/Schmidt 2016), ausgestattet ist. Daraus ergibt sich die Leitfrage: (7) Kann die Kommission ihre Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung gegenüber dem Europäischen Parlament durchsetzen?

Im Rahmen der Untersuchung soll daher auch die Position des Parlaments betrachtet werden. Mit Blick auf die Ambitionen des Parlaments in beiden betrachteten Politikfeldern kann angenommen werden, dass es versucht, über die Vorschläge der Kommission hinauszugehen. Ob und wie es hierbei konkurrierende Storylines formuliert, um der Kommission und ihren Vorschlägen gegenüberzutreten, wird in der Analyse betrachtet.

6.3

Datenbasis und Datenerhebung

Aufgrund der Anlage der Untersuchung werden Daten zu beiden Fällen erhoben, die sich auf die Analyseelemente Zielgruppe, Problem und Kontext beziehen und Erkenntnisse zu den relevanten Akteuren liefern sollen. Der Untersuchungszeitraum wurde indirekt durch den analytischen Fokus der Arbeit bestimmt. Im Zentrum der Arbeit steht die Gestaltung der Instrumente in den beiden Politikbereichen. Um hierüber Erkenntnisse zu erlangen, wurden für die Produkthinweise im Bereich Tabak und nachhaltiger Konsum jeweils die letzten beiden Überarbeitungen einbezogen; die Empfehlung zu rauchfreien Zonen wurde 2009 erstmals auf EU-Ebene formuliert und seither nicht überarbeitet. Durch diesen Fokus können etwaige Veränderungen in der Gestaltung der Instrumente nachverfolgt werden. Für die Analyse des Politikkontextes wurden außerdem Programme einbezogen, die sowohl vor der Erstellung der jeweiligen Policies als auch danach verfasst wurden (bspw. themenspezifische Programme zu nachhaltigem Konsum). Damit sollen langfristige

6.3 Datenbasis und Datenerhebung

79

Entwicklungen in den Feldern und Themengebieten und damit die Stabilität, bzw. der Wandel, von Ideen und Interpretationen abgebildet werden. So wäre es denkbar, dass nach der Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2009 ein Wandel im Politik- oder Themenfeld stattfindet, was wiederum Einfluss auf die Interpretation der Ergebnisse insgesamt hätte. Für diese qualitative Untersuchung werden hierbei vor allem zwei Quellentypen genutzt: (1) Dokumente aus dem Prozess der Politikgestaltung auf EU-Ebene, die mit Blick auf die zu analysierenden Aspekte zusammengestellt werden; und (2) Daten aus Experteninterviews, die für diese Arbeit geführt wurden. Hierbei ist das Ziel, Material zusammenzustellen, das wiederum als Kommunikation bezeichnet werden kann (Mayring 2015: 11) und somit hilft, die Einflussfaktoren auf die Instrumentenwahl zu erklären. Für die Arbeit wurden zwölf Expertengespräche als teilstandardisierte Leitfadeninterviews (s. u.) geführt. Für die Analyse wurden Programme zu den Feldern und zu den Themengebieten zusammengestellt und untersucht. Diese beschreiben die allgemeinen und politikfeldspezifischen Ziele der EU. Darüber hinaus wurden Dokumente aus dem Prozess der Politikgestaltung einbezogen. Tabelle 6.1 gibt hierzu einen Überblick. Die Datenerhebung erfolgte über die Eur-Lex-Datenbank der EU, die alle Rechtsakte und Dokumente aus dem Policy-Making zur Verfügung stellt. Hierbei wurden sowohl Themenagenden als auch Programme, die Festlegungen im Politikfeld treffen, sowie die Policies als Ansatzpunkt genutzt. Alle Dokumente, die mit diesen Aspekten im Zusammenhang stehen (Protokolle Ausschusssitzungen, Impact Assessments der Kommission, etc.) wurden gesammelt und für die Analyse genutzt. Die Plenarprotokolle geben darüber hinaus Auskunft über die Position des EP und unterschiedliche Positionen der Fraktionen. Die Protokolle der Debatten zur Überarbeitung des Ecolabel im Jahr 2000 und zur Tabakproduktrichtlinie (TPD) im Jahr 2001 waren nicht verfügbar und werden nicht in die Analyse einbezogen. Durch die Auswertung der anderen Dokumente aus dem Policy-Making können dennoch Erkenntnisse zur Beantwortung der Forschungsfrage gezogen werden. Auf nicht zu klärende Aspekte wird im jeweiligen Untersuchungsschritt hingewiesen.

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6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

Tabelle 6.1 Übersicht über die verwendeten Daten Policies

Verwendete Daten

Nachhaltigkeitspolitik Ecolabel 2000 und 2009

Umweltaktionsprogramme der EU (1987, 1993, 2002, 2013) Themenspezifische Agenden (2003, 2008, 2013) Alle verfügbaren Daten aus dem Prozess der Politikgestaltung, d. h. Vorschläge der Kommission, Ausschusspositionen und Berichte, Plenarprotokoll aus dem Jahr 2008 Experteninterviews

Tabakpolitik

Programme zur Gesundheitspolitik der EU (1994, 2003, 2008, 2014) Themenspezifische Agenden (1996, 2007)

TPD 2001 und 2014

Rauchfreie Zonen Alle verfügbaren Daten aus dem Prozess der 2009 Politikgestaltung, d. h. Vorschläge der Kommission, Ausschusspositionen und Berichte, Plenarprotokolle aus den Jahren 2013 zur TPD und 2009 zu rauchfreien Zonen Experteninterviews

Die zweite zentrale Datenbasis stellen Experteninterviews dar, die als teilstandardisierte Leitfadeninterviews geführt wurden. Die Auswahl der Experten orientiert sich an ihren Funktionen und das bei ihnen vorhandene Wissen. Über dieses Wissen verfügen Experten aufgrund ihrer Stellung in einer Organisation, ihrer beruflichen Erfahrung und inhaltlichen Expertise (Gläser/Laudel 2010: 117; Kaiser 2014: 36). An Kaiser anknüpfend sind dabei drei Arten von Wissen relevant: Betriebswissen (d. h. Abläufe in einer Organisation), Kontextwissen (d. h. Kenntnisse zu Rahmenbedingungen des Handelns) und Deutungswissen (d. h. Interpretation eines bestimmten Vorgangs durch die Experten) (Kaiser 2014: 44). Für meine Untersuchung sind dabei alle drei Wissensarten relevant. Das Betriebswissen von Experten ist vor allem in Bezug auf Abläufe bei der Politikformulierung relevant. Das Kontextwissen der Experten ist von Bedeutung, da so zentrale Erkenntnisse über die Einflussfaktoren auf die Politikgestaltung gewonnen werden können. Mit der Untersuchung des Deutungswissens können Erkenntnisse über die Sichtweise der jeweiligen Organisation und ihrer Überzeugungen erlangt werden. Dementsprechend erfolgte die Auswahl der Experten über deren inhaltliche und fachliche Zuständigkeit in den jeweiligen Organisationen. So wurden Experten bei

6.4 Datenanalyse

81

Interessengruppen über ihre Zuständigkeit für Konsum- oder Nachhaltigkeitsfragen sowie für Tabakpolitik ausgewählt6 . Innerhalb der Kommission und ihrer Generaldirektionen wurden dementsprechend Experten auf Basis der Organigramme der jeweiligen Generaldirektionen angefragt. Die Auswahl der Generaldirektionen ergibt sich hierbei aus der thematischen Zuständigkeit. Parlamentsabgeordnete, bzw. deren Mitarbeiter, wurden aufgrund der Tätigkeit in den zuständigen Ausschüssen angefragt. Die Interviews wurden dabei als teilstandardisiertes Leitfadeninterview geführt, bei dem die Fragen und deren Ablauf vorgegeben sind, die Antworten der Experten aber frei erfolgen (Gläser/Laudel 2010: 42). Dieser Interviewtyp bietet den Vorteil, dass auf Antworten der Experten reagiert und neuen Erkenntnissen nachgegangen werden kann. Vor allem wenn „beschreibende oder argumentierende Darstellungsmodi“ im Vordergrund stehen und durch die Interviews erhoben werden sollen, bieten sich halbstandardisierte Leitfadeninterviews an, da so Nachfragen durch den Forscher Raum haben und Perspektiven der Experten klar herausgearbeitet werden können (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 140). Weiterhin kann eine Anpassung an unterschiedliche Gesprächspartner erfolgen. Die Interviews dienen in dieser Arbeit vor allem der Triangulation und Bestätigung von Erkenntnissen, die aus der Analyse von Dokumenten gewonnen wurden. Die Zusammenstellung der Daten erfolgte ab Mai 2016, die zwölf Experteninterviews wurden zwischen April 2017 und Juli 2018 geführt. Hierbei wurden sowohl persönliche Gespräche als „Face to Face“ Interviews (Gläser/Laudel 2010: 153) und auch Telefongespräche mit den Interviewpartnern geführt7 . Da mit einer Vielzahl von Quellen und Experten, die aus unterschiedlichen Perspektiven Einschätzungen vornehmen, gearbeitet wird, ist eine Triangulation der Daten und Interpretationen gesichert.

6.4

Datenanalyse

Die Aufarbeitung der Interviews erfolgte zunächst durch eine Transkription der Audio-Dateien. Hierbei wurden die Gespräche vollständig transkribiert. Nur kurze Vorgespräche wurden, sofern sie nicht relevante inhaltliche Informationen enthielten, nicht transkribiert. Die Transkription erfolgte dabei orthografisch und 6 Hierfür

war das EU-Lobbyregister und die Beteiligung von Interessengruppen an Konsultationsgremien (bspw. für die Anpassung des EU Ecolabels) ausschlaggebend. 7 Telefoninterviews wurden geführt, wenn aus terminlichen Gründen ein persönliches Gespräch nicht möglich war. Daher wurden die Nachteile von Telefoninterviews (z. B. geringere Kontrolle über die Interviewsituation) in Kauf genommen, s. Gläser/Laudel 2010: 154.

82

6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

grammatikalisch korrekt, sodass gesprochene Fehler im Transkript korrigiert wurden, ohne dabei den Inhalt zu beeinflussen. Auf eine „literarische Umschrift“ wurde verzichtet (Gläser/Laudel 2010: 194). Angefangene und nicht beendete Sätze wurden mit einem „-“ gekennzeichnet, sodass begonnene Gedanken des Experten abgebildet werden. Störgeräusche oder unverständliche Passagen wurden als solche gekennzeichnet. Sprechpausen, Füllwörter oder nicht-verbale Äußerungen wurden im Transkript nicht übernommen, sofern sie nicht wesentliche Stellen für die Interpretation markieren. Lassen Denkpausen auf eine unklare Position schließen, wurde dies vermerkt (Gläser/Laudel 2010: 191 f.). Die Analyse der Daten und ihre Interpretation erfolgte als Inhaltsanalyse. Hierbei verweisen u. a. Mayring (2015) sowie Gläser und Laudel (2010) auf die Vielzahl von Ansätzen und Umsetzungen, die unter dieser Überschrift gefasst werden und sowohl quantitative als auch qualitative Zugänge umfassen. Allen Ansätzen ist dabei gemeinsam, dass Texten inhaltliche Informationen entnommen werden, „[…] in ein geeignetes Format[…]“ umgewandelt und sie dann „[…] getrennt vom ursprünglichen Text[…]“ analysiert werden (Gläser/Laudel 2010: 196). In dieser Arbeit wird eine systematische, regelgeleitete Analyse des Datenmaterials vorgenommen. Dabei werden auf Basis der Fragestellung und der theoretischen Vorannahmen Kategorien gebildet, welche die Datenanalyse anleiten. Dieses Kategoriensystem ergibt sich aus den theoretischen Annahmen zur Politikgestaltung und der Einflussfaktoren auf die Wahl von Politikinstrumenten. Das Datenmaterial wurde dementsprechend kodiert. Hierbei handelt es sich um eine deduktive – also an den theoretischen Annahmen orientierte – Kategorienbildung. Diese sind vorab festgelegt, aber nicht unveränderbar. Nach Mayring müssen Codes im Lichte der Empirie überprüft und angepasst werden, da nicht jede formulierte Kategorie auch praktikabel und eindeutig ist (2015: 68 ff.)8 . Die Untersuchung ist zudem als Kontingenzanalyse angelegt, bei der analysiert wird, ob bestimmte Elemente oder Aspekte in Zusammenhang stehen und miteinander verbunden sind (Mayring 2015: 16). Ziel dieses Vorgehens ist es, herauszustellen, welche Elemente (Zielgruppencharakterisierung, Problemdefinition, Kontext) miteinander in Bezug gesetzt werden und so die Wahl bestimmter Instrumente erklären können. Dabei steht die sprachliche Verknüpfung von Elementen im Fokus. So wird hier methodisch auch an die analytischen Überlegungen zu Storylines in der Policy-Analyse angeknüpft. Die Analyse der Daten erfolgt softwaregestützt mit MAXQDA. Dieses Vorgehen ermöglicht eine umfassende und aus forschungspraktischer Sicht einfache 8 Eine

Ergänzung der Codes wurde bspw. in der Arbeit vorgenommen. So musste der Code ‚spezifische Zielgruppe‘ ergänzt werden, da v. a. in der Gesundheitspolitik noch eine Ausdifferenzierung von Adressaten stattfindet. Dies war zu Beginn der Arbeit nicht absehbar.

6.4 Datenanalyse

83

Handhabung der Daten, da alle gängigen Dateiformate in das Programm importiert und analysiert werden können. Die Codierung der Quellen wird geleitet durch das Codierschema und die definierten Schlüsselbegriffe. Bei der Datenanalyse wird zwischen der Untersuchung des Kontextes und der Untersuchung der Politikgestaltung unterschieden. Im ersten Schritt (Analyse der feld- u. themenspezifischen Programme) wird dem Codierschema gefolgt und die Schwerpunkte der Agenden dargestellt. Im zweiten Schritt (Analyse der Politikgestaltung) wird dann der Fokus auf die Kombination von Interpretationen gelegt. Hierbei kann mit Hilfe von MAXQDA auch eine Häufigkeitsanalyse durchgeführt werden, bei der die Anzahl bestimmter Wörter oder Kodierungen zusammengestellt und so verglichen werden kann. Die grafische Auswertung der Analyse der Dokumente der Politikgestaltung erfolgt über die Darstellung von Code-Clustern (Erstellung mit MAXQDA). Die Abbildungen dieser Code-Cluster (s. Abb. 6.2) zeigen an, welche Codes innerhalb eines Satzes bis maximal innerhalb eines Absatzes zusammen auftreten. So kann bspw. innerhalb eines Absatzes zu Beginn über Konsumenten als Adressaten gesprochen werden. Anschließend kann über das Ecolabel als Instrument der Verbraucherinformation gesprochen werden. Hier würde also sowohl eine Codierung für den Code ‚Instrument‘ als auch für den Code ‚Information‘ erfolgen. Außerdem würde hier die Codierung ‚Konsumenten‘ vorgenommen werden, sofern nicht ausführlicher über das Verbraucherverhalten gesprochen wird, was eine Zuordnung zu einem der Idealtypen zulassen würde. Diese Codierungen innerhalb eines Absatzes würden dann als Überschneidungen zwischen den Codes dargestellt werden. Es kann aber auch in einem Satz über Verbraucherinnen und deren Nachfrage nach Informationen und die Gestaltung eines Labels vor diesem Hintergrund gesprochen werden. Dann würde eine Überschneidung der Codes ‚starke Konsumenten‘ und ‚Instrument‘ (innerhalb dieses Satzes) abgebildet werden. Zur Klärung wird dann in der Analyse jeweils die Häufigkeit der Code-Kombinationen im Text (in der Form Instrument+Information) angegeben. Gerade die Darstellung von Code-Clustern (Abb. 6.2) verdeutlicht die Verbindung von Themen. Jeder Kreis in der Abbildung symbolisiert einen Code, die Abstände zwischen den Kreisen repräsentieren dabei, wie häufig diese kombiniert werden. Je geringer also der Abstand zwischen den Kreisen, desto häufiger treten diese innerhalb eines Absatzes auf. Je größer die Kreise dargestellt sind, desto häufiger tritt der Code auf. Die Linien zwischen den Codes zeigen an, dass diese kombiniert werden. Dies stellt die Operationalisierung des Storyline-Ansatzes in der Arbeit dar, da so untersucht werden kann, welche Themen miteinander (wie oft) kombiniert werden. Damit sind auch Aussagen zur Stellung bestimmter Elemente (v. a. Zielgruppen) in den Storylines möglich.

84

6

Untersuchungsdesign, Leitfragen und Methodik

Abbildung 6.2 Beispielhafte Darstellung eines Code-Clusters; Eigene Darstellung, erstellt mit MAXQDA

Auf die Art und Weise der Verknüpfung geht dann die Analyse weiter ein. So wäre es theoretisch denkbar, dass Verbraucherinnen als stark charakterisiert werden (Codierung für starke Konsumenten), aber im nachfolgenden Satz über die unzureichende Wirkung eines Informationsinstruments gesprochen wird (Codierung Information und Instrument). Dementsprechend würde auch eine Kombination dieser Codes abgebildet werden. Es bedarf darüber hinaus aber der tieferen qualitativen Analyse, um zu zeigen, wie diese unterschiedlichen Perspektiven verknüpft werden. Durch dieses Vorgehen kann insgesamt nachvollzogen werden, welche Interpretationen zu Adressaten und Problemen vorliegen und wie diese miteinander verknüpft werden. Somit können auf Basis der Code-Kombinationen Storylines identifiziert werden. Zudem kann durch die Erfassung der Häufigkeit auch die Dominanz bestimmter Kombinationen identifiziert werden.

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

In diesem Kapitel nehme ich die Analyse der Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik vor. Dabei konzentriere ich mich auf das EU Ecolabel, das als wichtigstes Instrument der verbraucherfokussierten Politik zu nachhaltigem Konsum bezeichnet werden kann. In der Analyse gehe ich zunächst auf den Politikkontext ein und widme mich danach der Untersuchung des PolicyMakings. Anschließend stelle ich dar, wie Probleme im untersuchten Fall von den Akteuren interpretiert werden bzw. was als Problem angesehen wird. Im Fokus steht dabei vor allem, wie Storylines mit Bezug auf Adressaten, deren Verhalten (und Annahmen hierzu) und Probleminterpretationen erstellt werden.

7.1

Kontext der Instrumentenwahl

Für die Untersuchung des Kontextes der Instrumentenwahl fokussiere ich in dieser Arbeit, wie bereits dargestellt, zentrale Deutungen im Politikfeld. Dabei unterteile ich in Anlehnung an Howlett (2009) zwei Ebenen: eine feldspezifische und eine thematische Ebene des Feldes. Die nachfolgende Tabelle 7.1 bietet einen Überblick zu den Ebenen und dazugehörigen Dokumenten, die für diesen Fall einbezogen werden. Auf Ebene der feldspezifischen Programme konzentriere ich mich auf Agenden, die das Politikfeld sowie die Themen und Zielsetzungen darin formulieren. Diesen Dokumenten kommt dabei die Rolle zu, politische Schwerpunkte zu setzen und das Politik- bzw. Themenfeld inhaltlich zu skizzieren. Auf Ebene der thematischen Programme werden konkrete Themen und Zielsetzungen behandelt. So nutze ich für diese Analyse jene Agenden, die das Thema nachhaltiger Konsum behandeln und hierfür Schwerpunkte vorgeben.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_7

85

86

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

An die Annahmen dieser Arbeit anschließend untersucht dieser Analyseschritt, wie der Politikkontext die konkrete Politikgestaltung beeinflusst. Dabei konzentriere ich mich in der Analyse auf folgende Punkte: (a) welche Ideen und Interpretationen zu Zielgruppen formuliert werden, (b) ob und wie Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens besprochen werden und (c) welche Relevanz individuellem Verhalten zugewiesen wird. Tabelle 7.1 Überblick über die feld- und themenspezifischen Programme Level

Dokumente

Feldspezifische Programme

Environmental Action Programme der EU aus den Jahren 1987, 1993, 2002, 2013

Themenspezifische Programme

Thematische Agenden zu nachhaltigem Konsum: Integrated Product Policy (2003) COM 2003/302, Sustainable Consumption and Production Agenda (2008) COM 2008/397, Single Market for Green Products Agenda (2013) COM 2013/196

Die ausgewählten Agenden und Programme sind für die jeweilige Ebene maßgeblich. Für die Ebene des Politikfeldes konzentriere ich mich auf Umweltaktionsprogramme1 der EU, in denen umweltpolitische Schwerpunktsetzungen der Union festgelegt und damit das Politikfeld thematisch strukturiert wird. Die Programme werden von der Kommission vorgeschlagen und wurden, entsprechend der Vertragslage und den Kompetenzen der EU-Organe, vom Europäischen Rat (und später auch vom Parlament) verabschiedet. Dadurch stellen sie einen politischen Rahmen des Politikfeldes dar. Hierbei werden alle Programme seit 1987 einbezogen, um langfristige Schwerpunktsetzungen verfolgen zu können. Die vorhergehenden Umweltaktionsprogramme werden nicht einbezogen. Im Vorfeld des vierten Umweltaktionsprogramms hatten sich die Kompetenzen der Gemeinschaft mit der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) im Bereich der Umweltpolitik verändert. Somit kann hier sinnvollerweise ein Startpunkt für die Analyse gesetzt werden (Knill/Liefferink 2013: 19 ff.). Zudem nimmt die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung ab den 1980er Jahren eine prominentere Stellung innerhalb der Umweltpolitik ein. Auf Ebene der thematischen Programme konzentriert sich die Analyse auf drei Agenden, die maßgeblich nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion für die EU-Umweltpolitik behandeln.

1 In

der Folge auch Umweltprogramme, Aktionsprogramme oder Programme genannt.

7.1 Kontext der Instrumentenwahl

7.1.1

87

Feldspezifische Programme der EU-Umweltpolitik

Das erste hier einbezogene Programm ist das vierte Umweltaktionsprogramm, das maßgeblich zur Etablierung der Umweltpolitik als eigenständiges Politikfeld auf EU-Ebene beigetragen hat. In Anknüpfung an die Einheitliche Europäische Akte (1987)2 befasst sich das Programm ausführlich mit der Stellung der Umweltpolitik im EU-Kontext: „It is no longer seriously contested that environmental protection policy has a central part to play in the whole corpus of Community policies and that environmental protection needs to be taken into account as a fundamental factor when economic decisions are taken“ (4.EAP: 6).

Insgesamt dominieren programmatische Überlegungen zur Kontrolle und Reduzierung von Umweltverschmutzungen die Agenda. So widmen sich weite Teile des Dokuments der Zielsetzung, Umweltaspekte in alle Phasen wirtschaftlicher Tätigkeit einzubinden (4.EAP: 10). Die Rolle von Konsumenten wird zunächst im Hinblick auf eine angenommene steigende Nachfrage nach umweltschonenden Produkten diskutiert. Dies ist in eine breitere ökonomische Dimension eingebunden. So wird angenommen, dass striktere Umweltstandards „growth opportunities especially for small and medium-sized enterprises“ schaffen können (4.EAP: 11). Umgekehrt geht das Programm davon aus, dass Fortschritte bei Produkten essentiell für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sind (4.EAP: 11). Darüber hinaus werden Konsumenten im Dokument aus einer Perspektive des Verbraucherschutzes und der Verbraucherinneninformation behandelt. So geht die Passage „Consumer protection“ zwar auf den Schutz von Konsumenten durch die Garantie von Produktsicherheit ein, jedoch werden auch intensiv Wege zur Information und (Weiter-)Bildung von Verbraucherinnen besprochen. Vor allem die Information der Öffentlichkeit über den allgemeinen Zustand der Umwelt soll erhöht werden: „[…] there is no doubt that the widespread diffusion of information on the environment and on environmental problems, policies and programmes can powerfully support both the evolution and public acceptance of necessary environmental measures“ (4.EAP: 15). Sowohl implizit als auch explizit wird hier die Erwartung formuliert, dass ein Mehr an Information auch die Akzeptanz umweltpolitischer Maßnahmen erhöht (4.EAP: 16).

2 Die

EEA wurde bereits 1985 formuliert und trat 1987 in Kraft. Dem Inkrafttreten ging ein längerer Prozess der Formulierung voraus, weswegen das Umweltprogramm an die darin formulierten Ideen zur Weiterentwicklung der Union anknüpft, s. Hix/Høyland 2011.

88

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Insgesamt wird im Programm deutlich, dass eine Fokussierung auf Konsumenteninformation zur Verhaltensänderung den Kern der politischen Adressierung von Individuen und Verbraucherinnen darstellt. Explizit wird dies beim Verweis des Umweltprogramms auf das „European Year of the Environment“ deutlich, das als umfangreiche Informationskampagne angelegt ist und individuelles Verhalten in den Blick nimmt: „[…] the central aim of which is to convince every individual throughout the Community of the importance of the environment and thereby to change attitudes (both of society and of individuals) […]“ (4.EAP: 16). Diese Passagen zeigen ein Verständnis an, wonach Verhaltens- oder Einstellungsänderungen durch die Bereitstellung von Informationen erreicht werden können. Dem fünften Programm kommt eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Umweltpolitik zu, da es sich explizit auf die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung bezieht3 . Dabei wird individuelles Verhalten deutlich in den Fokus politischer Maßnahmen genommen: „The real ‚problems‘, which cause environmental loss and damage, are the current patterns of human consumption and behaviour […]“ (5.EAP: 8). Um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, müsse daher eine Integration von Umweltschutzzielen in „individual behaviour and choice“ erfolgen (5.EAP: 6). Deutlich werden die klare Identifikation und Bezugnahme auf individuelles Verhalten und dessen Relevanz für eine nachhaltige Entwicklung. Darauf aufbauend entwickelt das Programm dann – im Hinblick auf individuelles Verhalten – die Zielsetzung: „[…] consumption and behaviour patterns of society itself should be altered“ (5.EAP: 7). Weiterhin beschreibt das Programm ausführlich die Rolle unterschiedlicher „[…] agents and activities which deplete natural resources […]“, wobei hierbei explizit auf „[…] individual citizens and consumers […]“ verwiesen wird (5.EAP: 8). Auch das sechste Umweltaktionsprogramm verfolgt einen holistischen Ansatz und bindet eine Vielzahl von Akteuren ein und setzt so die Schwerpunkte des Vorgängerprogramms fort. (6.EAP: 4). So adressiert auch das sechste Umweltaktionsprogramm Verbraucherinnen explizit und bespricht ihre Rolle unter der Überschrift „Helping people to make environmentally friendly choices“ (6.EAP: 10). Die Agenda fasst die Konsumentenrolle und die notwendigen politischen Schritte zur Unterstützung der Verbraucher wie folgt zusammen: „People want more of a say in how decisions are made which affect the environment, and that means access to clear and trustworthy information. At the same time people, as consumers, can help persuade firms to be environmentally friendly and develop

3 Bereits

der Titel „Towards Sustainability – A European Community programme of policy and action in relation to the environment and sustainable development“ deutet dies an.

7.1 Kontext der Instrumentenwahl

89

innovative green products and services in the choices they make. To do this people need access to reliable information“ (6.EAP: 10).

Ebenso werden im siebten Programm EU-Bürger vor allem als Konsumenten und unter Bezugnahme auf umweltschonende Lebensstile in die politischen Zielsetzungen eingebunden (7.EAP: 15). Dabei wird vor allem das Ziel beschrieben, Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten durch Konsumentscheidungen zu erzeugen (7.EAP: 13). Der Policy-Ansatz der EU, bei dem die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen umweltschonender gestaltet und Konsumenten zu einem nachhaltigen Verhalten bewogen werden sollen, wird im Aktionsprogramm als erfolgreich angesehen: „structural changes in production […] as well as consumption patterns and lifestyles have reduced the overall environmental impact of production and consumption […]“ (7.EAP: 15). Insgesamt zeigt die Analyse, dass alle Programme Konsumenten als aktive Marktteilnehmer annehmen, die ihre Präferenzen über den Kauf zum Ausdruck bringen. Dafür bedarf es verlässlicher Informationen zu Produktspezifika und deren Umweltwirkung. Ebenso wird deutlich, dass dieser Perspektive eine Annahme starker Verbraucherinnen und souveräner Entscheidungsprozesse immanent ist. Zudem wird klar, dass Konsumenten in ihrer Entscheidung (für oder gegen bestimmte Produkte) unterstützt, nicht aber eingeschränkt werden sollen. Hierzu diskutieren die Programme nahezu ausschließlich weiche Formen politischer Steuerung. Deutlich wird ebenso eine Einbindung von Konsumenten als wichtige Akteure für eine nachhaltige Entwicklung in allen Programmen, wobei hier das fünfte und in etwas abgeschwächter Form auch das vierte diese Perspektive am deutlichsten besprechen. In den Umweltprogrammen sechs und sieben fällt die Diskussion der Verbraucherrolle knapper aus. Hier kann aber auch davon ausgegangen werden, dass sich die Annahme zur Stellung von Konsumenten und die Einbindung von Verbraucherinnen in den Politikansatz im Feld etabliert haben und deswegen weniger ausführlich besprochen werden müssen. So gehen die Programme zu Beginn jeweils auf die Vorgängerdokumente ein, was diese Interpretation unterstützt. Insgesamt werden zentrale Perspektiven in den Programmen immer wieder reproduziert. Alle untersuchten Programme gehen ebenso auf Politikinstrumente ein. Lediglich das fünfte Aktionsprogramm geht dabei aber auch auf ökonomische Instrumente ein: „In order to bring about substantial changes in current trends and practices and to involve all sectors of society […], a broader mix of instruments is needed.“ (5.EAP: 11) So wird „market-based instruments“ eine wichtige Rolle zugewiesen, um bspw. Kosten der Produktion in Form von Umweltbelastungen im Produktpreis abzubilden, sodass umweltschonende Produkte durch (vermeintlich) höhere Preise am Markt nicht gegenüber günstigeren, die die Umwelt aber stärker belastenden, benachteiligt werden (5.EAP: 11). Dieser Gedanke wird im sechsten

90

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Programm nochmals aufgegriffen, im siebten Aktionsprogramm werden allerdings keine ökonomischen Instrumente mehr angesprochen. Durchgängig erfolgt eine deutliche Fokussierung auf Informationsinstrumente. In allen Programmen wird die Bereitstellung von Informationen ins Zentrum politischer Ansätze gestellt: „[…] good knowledge and information is essential to relate an individual’s activities to environmental pollution or protection […]“ (5.EAP: 22). Hierfür wird explizit auf Maßnahmen verwiesen, die zur Verbraucherinformation beitragen: „The individual, as a consumer, can make a fully informed and rational choice only if the product information with which he/she is provided covers all relevant aspects such as performance, reliability, energy-efficiency, durability, running costs, etc, and if this information is given in a neutral form, supported by effective and dependable guarantees“ (5.EAP: 67).

Auch die Nachfolgeprogramme nehmen diesen Gedanken auf. So formuliert das siebte Programm die Idee, dass Informationen zu einer bewussten Kaufentscheidung beitragen und so die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten forciert wird: „Consumers should receive accurate, easy to understand and reliable information about the products they purchase, through clear and coherent labelling, including in relation to environmental claims […]“ (7. EAP: 13). Insgesamt wird deutlich, dass: (1) Alle untersuchten Programme von einem souveränen Verbraucherverhalten ausgehen. Diese Annahme zum individuellen Verhalten dominiert die Darstellungen. (2) Konsumentinnen eine aktive Rolle bei einer nachhaltigen Entwicklung zugewiesen wird, die aber vor allem den Kauf umweltschonender Produkte meint. (3) Die Programme vor allem Informationsinstrumente zur Veränderung individuellen Verhaltens fokussieren. Andere Kategorien von Instrumenten werden kaum diskutiert. Lediglich ökonomische Instrumente finden Erwähnung.

7.1.2

Themenspezifische Programme zu nachhaltigem Konsum

Dieses Kapitel konzentriert sich auf themenspezifische Programme, die eine Konkretisierung der grundlegenden politischen Ideen und Schwerpunkte darstellen

7.1 Kontext der Instrumentenwahl

91

(Howlett 2009)4 . Für die Analyse beziehe ich mich auf die drei zentralen Programme der EU zu nachhaltigem Konsum (s. Tabelle 7.1). Auch in diesem Analyseschritt konzentriere ich mich darauf, (a) welche Ideen und Interpretationen zu Zielgruppen formuliert werden, (b) ob und wie Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens besprochen werden und (c) welche Relevanz individuellem Verhalten zugewiesen wird. Das erste themenspezifische Programm der EU zu nachhaltigem Konsum wurde 2003 mit der Integrated Product Policy (IPP) durch die Kommission vorgelegt, das den Ansatz der EU zu nachhaltigem Konsum und Produktion erstmals ausführlich konkretisiert. Dabei wird das Ziel, „[…] supply and demand for greener products […]“ zu fördern (ebd.) ins Zentrum der Agenda gestellt. Verbraucher werden in dieser Agenda explizit als Marktakteure verstanden. Unter der Überschrift „Giving Consumers the Information to Decide“ (IPP: 12) wird ihre Rolle für nachhaltigen Konsum aus Sicht des Programms dargestellt. Dabei steht die individuelle Entscheidung im Zentrum der Konsumentenadressierung: „Consumers […] decide whether or not they purchase greener products and once bought, how they are used“ (IPP: 12). Hier wird deutlich, dass eine freie Entscheidung der Konsumenten angenommen wird und gewahrt werden soll. Daraus wird außerdem die Notwendig der Information von Konsumenten abgeleitet: „The Community’s role here is to provide and encourage EU-wide tools and frameworks to provide consumers with product information“ (ebd.). Deutlich wird an dieser Stelle auch eine Annahme zum Verbraucherverhalten, die dem starken Idealtyp entspricht. So geht die IPP davon aus, dass Verbraucherinnen ihre Entscheidung auf Basis von Produktinformationen treffen und durch die bereitgestellten Informationen zum Kauf von – in diesem Fall – nachhaltigen und umweltschonenden Gütern angeregt werden können. Dies wird auch mit Blick auf das zugrundeliegende Verständnis zur Stärkung der Verbraucherrolle deutlich: „The scope of all of these labels will be gradually expanded to provide consumers with more choice“ (IPP: 14). Empowerment wird hier als Vergrößerung der Auswahl verstanden. Die zweite themenspezifische Agenda, Sustainable Consumption and Production and Sustainable Industry Policy Action Plan (SCP), wurde 2008 aufgelegt und knüpft an die IPP an, indem auch in dieser Agenda ein umfassender Ansatz zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung skizziert wird. Diese Agenda ist dabei aber ausführlicher in der Beschreibung der Verbraucherrolle und integriert sie in eine globale Perspektive des Umweltschutzes: „The impacts of consumption in 4 In

der Folge konzentriere ich mich dabei auf die Politik zu Konsum und hier besonders auf die Diskussion des Ecolabels, da dieses verbraucherorientierte Instrument im weiteren Fokus der Analyse stehen wird.

92

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

the EU are felt globally, as the EU is dependent on the imports of energy and natural resources.“ (SCP: 1). Das zentrale Ziel der Agenda gleicht aber dem der IPP, nämlich: „foster […] uptake [of eco-friendly products] by consumers“ (SCP: 2), wozu vor allem Verbraucherinformationen dienen sollen. Die Agenda formuliert das Ziel „[to reinforce] information to consumers through a more coherent and simplified labelling framework, so that demand can underpin this policy“ (ebd.: 3). Dieser Perspektive liegt erkennbar, wie auch schon der IPP, ein souveränes Verbraucherverständnis zugrunde. So wird vor dem Hintergrund, dass Konsumenten am Markt umweltfreundliche Produkte kaufen sollen, wiederholt auf die Notwendigkeit der Information von Verbraucherinnen über Produkteigenschaften eingegangen. Unter dem Schlagwort „smarter consumption“ wird das Ziel formuliert, das Bewusstsein von Verbraucherinnen über umweltfreundliche Produkte zu erhöhen: „[…] raising the awareness of consumers at large and increasing their proactive role“ (SCP: 4). Auch das dritte themenspezifische Programm Building a Single Market for Green Products Agenda (SMGP) aus dem Jahr 2013 greift die Schwerpunkte der Vorgängerprogramme auf. Die Agenda identifiziert unzureichende Informationen zu nachhaltigen Produkten als ein zentrales Problem. Dieses solle durch bessere Information der Verbraucherinnen behoben werden: „Such comparability [of information] is important to allow competition based on environmental performance, and to allow consumers and businesses to take informed choices“ (SMGP: 4). Hier wird die Annahme eines souveränen Entscheidungsprozesses von starken Konsumenten deutlich formuliert. Alle Agenden fokussieren Informationsinstrumente und hierbei vor allem das EU Ecolabel, das als „label of excellence“ (SCP S.6) Konsumenten die umweltfreundlichsten Optionen am Markt signalisieren soll und so zu einer Verhaltensänderung beitragen soll. Nur an wenigen Stellen wird auch auf den Produktpreis eingegangen: „As price is one of the main determinants of purchasing choices, market-based instruments can also help get prices right and internalise environmental costs […]“ (SCP: 7). Deutlich wird mit Blick auf die Diskussion von Instrumenten in allen drei Agenden, dass ein souveräner Kaufprozess angenommen wird, der auf einer Kosten-Nutzen-Abwägung durch die Verbraucherinnen beruht. Vor allem die Information der Verbraucher wird als wesentlich angesehen, um nachhaltigen Konsum zu stärken. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden: (1) Alle drei Agenden greifen die grundlegenden Prinzipien der Umweltaktionsprogramme auf und nutzen konsistent ein starkes Verbraucherbild.

7.1 Kontext der Instrumentenwahl

93

(2) Insgesamt wird Konsumenten die Rolle souveräner Käufer zugewiesen, die durch ihre Entscheidungen Nachfrage nach umweltschonenden Produkten stärken und so ein ‚greening‘ des Marktes und der Produkte fördern. (3) Eine Bezugnahme auf Verhaltensweisen, die einem schwachen Adressatenbild zugeordnet werden können (bspw. emotionale Aspekte des Kaufes), konnte nicht identifiziert werden. Eine tiefergreifende Veränderung von Konsummustern (wie bspw. der Verzicht auf Käufe oder eine Reduktion des Konsumlevels) wird nicht besprochen. Insgesamt erfolgt im Politik- und im Themenfeld also eine Fokussierung starker Konsumentinnen. Wenn Policy-Maker schlüssige Pakete aus unterschiedlichen Interpretationen erstellen (Zittoun 2013; Capano/Lippi 2017), dann wäre der Verweis auf schwache Adressaten bei der Gestaltung des Ecolabels mindestens überraschend. Auch die Nutzung von weitreichenden Instrumenten (die bspw. Zwang nutzen), um souveräne Marktakteure in ihrem Handeln einzuschränken, würde nur bedingt eine schlüssige Verbindung dieser Interpretationen, die im Policy-Kontext dominieren, darstellen.

7.1.3

Mitgliedstaaten und ihre Policies als Kontext der EU-Umweltpolitik

Wie in der Konzeption der Analyse bereits angesprochen, sollen die Mitgliedstaaten in dieser Untersuchung nicht in ihrer Rolle im Rat (als Organ im Policy-Making) betrachtet werden, sondern hinsichtlich nationaler Regelungen als Teil des Kontextes europäischer Politikgestaltung. Da sich die Arbeit im Kern auf die supranationale Politikgestaltung konzentriert, sollen hier nicht die politischen Festlegungen und Variationen aller Mitgliedstaaten untersucht werden, sondern nationale Schwerpunkte als Hintergrund für europäische Vorschläge und Politikansätze betrachtet werden. Die Analyse konzentriert sich in der Folge besonders auf die umweltpolitischen ‚frontrunner‘ in der EU. Diese Fokussierung erscheint hier als gerechtfertigt, da angenommen werden kann, dass sich die Kommission an den Standards der ‚frontrunner‘ orientiert, um Vorschläge zur gemeinschaftlichen politischen Steuerung zu unterbreiten. Ohne hier eine ausführliche Diskussion der unterschiedlichen Strategien und Stellungen der umweltpolitischen Pioniere in der EU zu leisten (s. u. a. Liefferink/Andersen 1998; Liefferink et al. 2009), können Mitgliedstaaten wie Deutschland, die Niederlande und die nordeuropäischen Staaten als Vorreiter einer europäischen Umweltpolitik bezeichnet werden. Zwar divergieren hier durchaus

94

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Ambitionen auf europäischer und nationaler Ebene (Liefferink/Wurzel 2017), dennoch können die Politikansätze dieser Mitgliedstaaten als relevant für den Kontext europäischer Steuerung betrachtet werden. In der Folge fragt dieses Teilkapitel, welche Instrumente die nationale, verbraucherfokussierte Umweltpolitik dominieren und wie dies den Kontext einer europäischen Politik zu nachhaltigem Konsum prägt. Mit Blick auf die unterschiedlichen Kategorien von Instrumenten wird deutlich, dass auch in den politischen Ansätzen der Mitgliedstaaten vor allem informierende Instrumente eine zentrale Stellung einnehmen. So zeigt sich bei Betrachtung der deutschen Umweltpolitik, dass zwar eine Reihe von command-and-control Instrumenten verwendet werden, diese aber nicht auf den Konsum, sondern die Produktion von Gütern abzielen (Wurzel et al. 2003: 119 f.). Die Steuerung von Konsumverhalten erfolgt jedoch vor allem über informierende Instrumente, bspw. das 1987 eingeführte Label ‚Der Blaue Engel‘ (Jordan et al. 2009). Lediglich mit der Ökosteuerreform der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1999 wurden ökonomische Instrumente zur Verhaltenssteuerung eingeführt (Wurzel et al. 2003; Böcher 2007). Einschränkend ist hier aber zu erwähnen, dass durch eine Vielzahl von Ausnahmen und einen langen Anpassungsprozess kein kohärenter Politikansatz zu einer ökologischen Besteuerung verfolgt wurde (Wurzel et al. 2003). Auch die Niederlande können als ein Vorreiter in der (europäischen) Umweltpolitik bezeichnet werden. Bereits in den 1970er Jahren betonte die niederländische Umweltpolitik die Rolle von Konsumenten für eine umweltschonende und nachhaltige Entwicklung5 (Martens/Spaargaren 2005: 29 f.). In der Folge wurden vor allem Informationskampagnen durchgeführt, die sich an Konsumenten richteten, um „[…] moral appeals for ciritcal and ‚correct‘ consumption behaviour“ zu verbreiten (Martens/Spaargaren 2005: 29). Neben diesen informierenden Ansätzen wurden bereits seit den 1970er Jahren auch ökonomische Instrumente genutzt, um umweltschonende Konsummuster zu fördern. Hier basiert die niederländische Umweltpolitik vor allem auf Ökosteuern und Subventionen für energie- und ressourcensparende Produkte (ebd.: 36). Für die konsumentenfokussierte Umweltpolitik sind dabei zwei politische Aspekte zentral. Zum einen wird eine souveräne Konsumentenrolle angenommen. So basieren Politiken, die Konsumenten adressieren, auf der „[…] notion that consumers are sovereign market participants and it is the role of government to support them in their demand-side position.“ Weiterhin wird Verbraucherpolitik als

5 Auch

wenn dieser Begriff in dieser Form noch nicht verwendet wurde, bezog sich die Politik auf das Ziel „responsible living“, was der Idee einer nachhaltigen Entwicklung sehr nahekommt (Martens/Spaargaren 2005: 29).

7.1 Kontext der Instrumentenwahl

95

eine: „[…] seperate policy domain […]“ angesehen, deren Ziel es ist, Verbraucherinnen zu unterstützen, ohne dabei individuelle Freiheiten einzuschränken: „[policy is] primarily concerned with developing initiatives that enable consumers to pursue their personal needs […] without interference“ (Martens/Spaargaren 2005: 36). Abschließend sei hier auf Schweden und Dänemark verwiesen, die als erste europäischen Länder die Relevanz individuellen Konsums für die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik adressierten. Dabei wurden in Schweden vor allem seit den 1980er Jahren auch ökonomische Instrumente genutzt: „These market-based solutions indicated that environmental problems were perceived in economic terms and to an increasing degree included in economic discourse” (Kronsell 1997: 47). Die Rolle von Konsumenten wird hierbei vor allem über die Generierung von Nachfrage nach umweltschonenden Produkten beschrieben (ebd.: 48). Insgesamt werden in Schweden vor allem informierende und ökonomische Instrumente genutzt, um einen nachhaltigen Konsum zu fördern. Dieser Befund kann so auch für Dänemark getroffen werden (Skou Andersen 1997). Zuletzt wurde in Dänemark mit der Kampagne ‚One Tonne less‘ eine vielbeachtete Maßnahme ergriffen, um Konsumenten zu einer Veränderung in ihrem Verhalten zu bewegen. Dies stellt zunächst ein klassisches Informationsinstrument dar (Rubik et al. 2008: 19). Interessanterweise wurden für diese Maßnahme aber besonders relevante Gruppen identifiziert, nämlich Jugendliche und andererseits sehr wohlhabende Bevölkerungsgruppen, die häufig reisen und dadurch einen großen Anteil am dänischen CO2 -Ausstoß haben (ebd.). Damit geht dieses Informationsinstrument und seine Gestaltung auf unterschiedliche Adressatengruppen ein. Darüber hinaus kann auch in anderen EU-Mitgliedstaaten ein deutlicher Trend zur Nutzung von Informationsinstrumenten festgestellt werden (Jordan et al. 2003). Vor allem die besonders ambitionierten, oder als solche wahrgenommenen, Staaten haben diesen Trend in den 1990er Jahren in Gang gesetzt (Tews et al. 2003)6 . Weiterhin zeigt die Forschung zu Nachhaltigkeitspolitik, dass vor allem Konzepte wie die ökologische Modernisierung (Jänicke 2008) oder zuletzt die Idee einer green economy (Brand 2012) maßgeblich politische Steuerung beeinflusst haben. Diese Ansätze fokussieren eher die Veränderung von Produkten als einen Wandel der Konsummuster. Der hiermit verbundene Ansatz, dass Wirtschaftswachstum und Umweltschutz vereinbar sind, führte in der politischen Rezeption vor allem zu sanften politischen Eingriffen. Als einen zentralen Grund hierfür soll auf Konflikte um das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie verwiesen werden, die letztlich kaum 6 Hinzu kommt eine grundlegende Hinwendung zu weichen Instrumenten (spätestens) ab den

1990er Jahren, die durch die OECD und andere Akteure gefördert, bzw. eingefordert, wurde (Wurzel et al. 2003).

96

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

weiterführende Ansätze möglich machten7 . Martens und Spaargaren beschreiben für die Niederlande eine „[…] guiding philosophy that the market is the most efficient way to distribute goods […]“ (2005: 36), die insgesamt für die Ansätze der EU-Staaten angenommen werden kann. Damit kann für diese Arbeit festgehalten werden, dass auf Ebene der Mitgliedstaaten weitgehend informierende Instrumente dominieren, um Konsumenten von einem nachhaltigen Verhalten zu überzeugen. Eine flächendeckende Nutzung von command-and-control Ansätzen, um nachhaltigen Konsum zu fördern, kann nicht identifiziert werden und somit auch nicht als mögliche Vorlage für supranationale Ansätze dienen. Die klare Festlegung auf eine Nutzung von Marktmechanismen und ein Nicht-Intervenieren in individuelle (Konsum-)Freiheiten prägen die Politiken zu nachhaltigem Konsum auf Ebene der Mitgliedsländer.

7.1.4

Internationaler Kontext

Auch auf internationaler Ebene, vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen, wurde und wird die Frage behandelt, wie politische Maßnahmen nachhaltigen Konsum und eine nachhaltige Entwicklung fördern können. Die Betrachtung des internationalen Kontextes zielt darauf ab, darzustellen, welche Schwerpunktsetzungen auf einer globalen Ebene getroffen werden. Weitreichende internationale Agenden könnten Anreize für eine Veränderung europäischer oder nationaler Politiken darstellen. Eine erste ausführliche Behandlung des Themas erfolgte im Rahmen des Earth Summits 1992 und der Agenda 21, die eine Förderung nachhaltiger Konsummuster durch eine mehrgleisige Strategie einforderte (Fuchs/Lorek 2005: 263). Um dieses Ziel zu erreichen, benennt die Agenda verschiedene Instrumente und fokussiert dabei vor allem informierende, aber auch ökonomische (Agenda 21: 4.24). Daran anschließend wurde das Konzept eines nachhaltigen Konsums im Rahmen des Oslo Symposiums 1994 weiter behandelt und explizit formuliert, „[…] that a focus on eco-efficiency would not provide a sufficiently comprehensive framework […]“ (Fuchs/Lorek 2005: 265). Dieser Befund fokussiert explizit die Notwendigkeit, Verhaltensmuster zu verändern. Im Kontext der Rio+20 Konferenz der Vereinten Nationen wurden vom United Nations Environmental Programme (UNEP) auch unterschiedliche Politikinstrumente zur Förderung eines nachhaltigen Konsums zusammengestellt (UNEP 2015).

7 Exemplarisch

zum Thema der Green Economy s. Brand 2012.

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

97

Hierbei stehen Informationsinstrumente zwar im Fokus, aber auch ökonomische Instrumente werden diskutiert, um nachhaltigen Konsum und nachhaltige Lebensstile zu fördern und die Limitationen von Informationsinstrumenten zu kompensieren (u. a. UNEP 2015: 72). Darüber hinaus verweist das Programm auch auf Werbebeschränkungen und Warnhinweise auf Produkten, die häufig aufgrund von gesundheitspolitischen Überlegungen genutzt werden, um Konsumverhalten zu adressieren. Explizit verweist UNEP hierbei auf die Warnhinweise auf Tabakpackungen (2015: 131). Diese Instrumente könnten aus Sicht des UNEP eine Ergänzung sein, um Verhalten auch aus einer Umweltperspektive zu adressieren (ebd.). Neben den zahlreichen Konferenzen und Programmen unter dem Dach der Vereinten Nationen befasst sich auf internationaler Ebene auch die OECD maßgeblich (seit den 1990er Jahren) mit dem Thema des nachhaltigen Konsums. Dabei behielt die Organisation aber immer ihren Fokus auf ökonomisches Wachstum bei und favorisierte eher weiche Instrumente oder ökonomische Ansätze zur Förderung eines nachhaltigen Konsums: „Thus, [the OECD] failed to go beyond the aim of improving eco-efficiency and, in the end, the mutual pursuit of economic growth and environmental quality“ (Fuchs/Lorek 2005: 270). Insgesamt kann festgehalten werden, dass auf internationaler Ebene durchaus Maßnahmen diskutiert werden, die über informierende Ansätze hinausgehen, um nachhaltige Konsummuster zu fördern. Dabei ist aber eine Fokussierung auf Marktmechanismen häufig immanent, eine regulatorische Einschränkung des individuellen Konsums wird daher nicht diskutiert. Forderungen nach einem starken nachhaltigen Konsum werden hier also nicht aufgenommen. So argumentieren bspw. Di Guilio und Fuchs (2016) dafür, Konsumkorridore zu definieren und damit effektiv maximale Konsummengen für jeden Einzelnen zu definieren. Eine umfassende Übersetzung solcher Forderungen in politische Programme steht bisher aber aus (Fuchs/Lorek 2005). Damit kann wie schon mit Blick auf die mitgliedstaatliche Ebene auch für den internationalen Kontext festgehalten werden, dass vor allem informierende, z. T. auch ökonomische, Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens und zur Förderung eines nachhaltigen Konsums diskutiert werden.

7.2

Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

Dieses Kapitel widmet sich der Analyse der Politikgestaltung im Rahmen der EU-Umweltpolitik. Das zentrale Instrument, um Konsumenten zu nachhaltigem Konsum zu bewegen, ist das Ecolabel. In der Folge werde ich darstellen, welche

98

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Zielgruppenbilder in der Wahl und Diskussion des Instrumentes genutzt und wie (bzw. ob) diese mit anderen Aspekten kombiniert werden. Dabei steht die Verknüpfung von Zielgruppencharakterisierungen mit der Gestaltung des Instruments im Fokus. Ich konzentriere mich auf die Erstellung von Storylines. In der Analyse gehe ich dabei auf die Überarbeitung des Labels in den Jahren 2000 und 2009 ein8 . Dieser Analyseschritt bezieht sich außerdem intensiv auf die Kombination von unterschiedlichen Codes, die im Vorfeld der Analyse festgelegt wurden. Die Annahme ist hier, dass vor allem bei der Gestaltung konkreter Maßnahmen diese Kombination, bspw. von Adressaten und Instrumenten, relevant für die Politikgestaltung ist.

7.2.1

Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2000

Das Ecolabel wurde nach seiner Einführung 1992 erstmals im Jahr 2000 überarbeitet. Der Prozess der Überarbeitung begann dabei bereits 1996 mit dem Vorschlag der Kommission (vom 11.12.1996) und endete 2000 mit der Annahme der Verordnung (vom 17.07.2000). Im Laufe des Verfahrens haben die Kommission, der federführende Umweltausschuss des EP (sowie weitere EP-Ausschüsse) und der Ausschuss für Wirtschaft und Soziales (EWSA)9 ihre Position zum Vorschlag der Kommission formuliert. Diese Überarbeitung des Labels kann daher als erste zentrale Anpassung betrachtet werden (COM 96/603: 6). Im Fokus des Instruments steht dabei folgendes Ziel: „[…] promoting environmentally aware behaviour patterns, in particular by identifying and promoting ‚green‘ products“ (COM 96/603: 2). Damit richtet sich das Instrument klar an Verbraucherinnen und verfolgt das Ziel, diese mit Informationen zu einem nachhaltigen Verhalten zu bewegen (COM 96/302: 2 f.). In der Folge gehe ich zunächst auf die gesamte Zahl der Codierungen und Kombinationen und dann auf unterschiedliche Positionen der Akteure ein. Die Analyse zeigt zunächst eine Dominanz folgender Code-Kombinationen: Instrument+Information, Starke Konsumenten+Instrument und Starke Konsumenten+Information10 . Die meisten Überschneidungen der Codes hat die Kombination Instrument+Information (23), das Code-Paar Starke Konsumenten+Instrument 8 Die

Überarbeitungen begannen jeweils min. ein Jahr früher, hier wird aber das Jahr des Rechtsaktes angegeben, um die Versionen der Policy klar unterscheiden zu können. 9 Beim Ausschuss für Wirtschaft und Soziales handelt es sich nicht um einen Parlamentsausschuss, sondern um eine Vertretung von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Der Ausschuss hat eine beratende Funktion für die EU-Institutionen (Art. 4 Römische Verträge). Er wird im Rahmen der Befassung mit dem EP und seinen Positionen behandelt. 10 Der Code Instrument wurde vergeben, wenn Gestaltung oder Spezifika des Instruments besprochen werden.

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

99

wurde 15-mal identifiziert, das Paar Starke Konsumenten+Information 21-mal. Insgesamt zeigt sich so, dass die Bereitstellung von Informationen und das Ecolabel als Instrument im Fokus der Politikgestaltung stehen. Dabei wird auch intensiv auf Konsumenten im Allgemeinen und auf starke Konsumenten Bezug genommen. Dies verstärkt sich noch, wenn man nur die Positionen des EP und des EWSA betrachtet. Hier ist die Überschneidung Starke Konsumenten+Information die häufigste (14-mal), starke Konsumenten werden achtmal mit dem Instrument in Verbindung gebracht. Darüber hinaus wird das Instrument auch mit Bezug zur Umwelt besprochen, die Code-Kombination Umweltschutz+Instrument wurde 12-mal identifiziert. Betrachtet man nur die Position des ENVI-Ausschusses, steigt der Anteil der Paarung Starke Konsumenten+Information nochmals an (12 von 48 Codierungen)11 . Damit zeigt schon der Überblick über die Verteilung der identifizierten CodePaarungen deutlich in die Richtung einer Kopplung des Instrumentes an die Bereitstellung von Informationen für starke Konsumenten. In Abbildung 7.1 werden die Nähe und die Überschneidungen von Codes abgebildet. So wird deutlich, dass in den Dokumenten ein Cluster aus den Schlüsselbegriffen Information, Instrument und starke Konsumenten identifiziert wurde. Diese Themen werden besonders häufig zusammen besprochen und in Verbindung zueinander gesetzt12 . Andere Themen, bspw. eine Bezugnahme auf die Harmonisierung unterschiedlicher Kennzeichnungen im Binnenmarkt (Code Binnenmarkt), werden zwar ebenso im Kontext der Diskussion des Instruments besprochen, die Verknüpfungen der Themen erfolgt aber seltener.

11 Die geringe Zahl an Codierungen, die auf den Schutz der Umwelt hindeuten ergibt sich dadurch, dass Umweltschutz und nachhaltiger Konsum zwar eine zentrale Rolle im Dokument spielen, aber nur an wenigen – dafür aber zentralen – Textstellen mit Verbrauchern in Verbindung gebracht werden. Viele Textstellen kombinieren bspw. Umweltaspekte und Produkteigenschaften, was aber nicht im Fokus der Analyse steht. 12 Zur Erläuterung der Grafik s. Kapitel sechs.

100

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Abbildung 7.1 Code-Cluster auf Basis aller Dokumente, Überarbeitung 2000

Der Idealtyp eines schwachen Konsumenten wurde insgesamt nur fünfmal in den Dokumenten identifiziert. Dies geht vor allem auf die Diskussion von privaten Labeln (bspw. Label von Herstellern für ihre Produkte) und die möglicherweise irreführende Wirkung einer Vielzahl von Umweltkennzeichnungen zurück13 . Die folgenden Absätze widmen sich detaillierter diesen Kopplungen und unterschiedlichen Positionen der Akteure. Die Kommission verdeutlicht ihre Position hinsichtlich der Zielgruppe und des Instruments an einigen Textstellen, bspw.: „The scheme is […] intended to provide guidance and information to consumers“ (COM 96/302: 19). Hier wird deutlich, dass Verbraucherinnen mit Informationen (die durch das Ecolabel bereitgestellt werden) zu einem umweltschonenden Kaufverhalten bewegt werden sollen. Vor allem die Kaufentscheidung der Verbraucher steht dabei im Fokus. Das Instrument biete „[…] the possibility to influence environmental improvements through consumer choice […]“ (COM 96/302: 20). Darüber hinaus geht die Kommission davon aus, dass Konsumentinnen ein Bedürfnis nach Informationen haben. So soll der Vorschlag der Kommission danach bewertet werden: „[…] how effectively the […] eco-label 13 Diese Codierungen erscheinen nur bedingt in den Abbildungen, weil die Abbildungen die Code-Relationen darstellen. Es werden nur Kombinationen von Codes in die Darstellung aufgenommen, d. h. wenn zwei oder mehrere Codes im selben Absatz auftreten.

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

101

meets the information needs of consumers“ (COM 96/302: 29). Verbraucher werden hier eindeutig als starke Konsumenten charakterisiert, die auf Informationen reagieren und auf Basis dieser Informationen aktiv Entscheidungen treffen. Vor allem die Wahl durch den Verbraucher („consumer choice“) steht hier im Zentrum, was die Zuordnung zu einem starken Verbraucherinnenbild untermauert. Nur an wenigen Stellen werden Limitationen dieses Ansatzes angesprochen. So wird an einer Stelle im Vorschlag der Kommission darauf verwiesen, dass das europäische Label und nationale Label in ihren Anforderungen aufeinander abgestimmt sein sollten, sodass Verbraucher nicht durch eine große Anzahl verschiedener Kennzeichnungen verwirrt werden: „[…] provision should be made to ensure consistence […] between the Community eco-label and other […] schemes […], in order to avoid confusing consumers […]“ (COM 96/302: 25). Der Umweltausschuss betont in seinem Bericht (31.04.1998)14 ebenso die zentrale Stellung des EU Ecolabels zur Förderung eines nachhaltigen Konsums (A4-0119/98: 26) 15 . Die Verknüpfungen unterschiedlicher Themen, die durch die Codierung herausgearbeitet wurden, zeigt Abbildung 7.2. Auch hier wird ein Cluster aus Information, Instrument und starken Konsumenten deutlich. Selten wird auf schwache Konsumenten oder eine Harmonisierung unterschiedlicher Kennzeichnungen (Binnenmarkt) im Kontext der Diskussion des Instrumentes Bezug genommen.

14 Das Dokument, das den Bericht enthält (A4-0119/98), umfasst ebenso die Stellungnahmen der anderen Ausschüsse, da diese formal Teil des Berichts des Rapporteurs sind. Darum wird in der Folge immer auf dieses Dokument verwiesen, auch wenn der Bericht eines anderen Ausschusses behandelt wird. 15 In den Berichten und Stellungnahmen der EP-Ausschüsse werden bisweilen Änderungsvorschläge mit kursiven und fetten Passagen verdeutlicht. Diese Veränderung im Layout wird beim Zitieren von Textstellen nicht übernommen, da es sich hierbei nicht um eine Betonung des Inhalts handelt, sondern eine prozedurale Hervorhebung ist.

102

7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Abbildung 7.2 Code-Cluster auf Basis der EP-Dokumente, Überarbeitung 2000

Die Rolle der Bürger wird fokussiert, da diese einen relevanten Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten könnten, wobei eindeutig starke Konsumenten vorausgesetzt werden: „Das wachsende Umweltbewußtsein [sic] der Konsumenten braucht sicher nicht näher geschildert werden, denn diese wissen durchaus, daß [sic] man auch durch die Wahl eines bestimmten Erzeugnisses, das man einem anderen Erzeugnis vorzieht, in gewisser Beziehung zum Schutz unserer Umwelt beitragen kann“ (A4-0119/98: 27). Auf Limitationen dieses Informations-Ansatzes oder gar die Überforderung von Verbrauchern geht der Bericht nur einmal ein. Dies geschieht aber nicht mit Bezug auf das Ecolabel und seine Gestaltung oder den grundlegenden Ansatz der Verbraucherinformation, sondern im Kontext der Diskussion einer Notwendigkeit für eine einheitliche europäische Kennzeichnung: „Die Vielzahl nicht-koordinierter nationaler Systeme sowie die […] um sich greifende Entwicklung […] irreführender ökologischer Werbung haben jedoch bei den Verbrauchern Verwirrung gestiftet […]“ (A4-0119/98: 28) und damit die Glaubwürdigkeit des Binnenmarktes beschädigt.

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

103

Die Position des Parlaments16 hinsichtlich der Verbraucherinnen ist dennoch deutlich: Es geht weitgehend von starken Konsumenten aus und verknüpft diese mit dem Instrument und seinem Design. Zudem werden an einigen Stellen Verbraucherinnen im Allgemeinen (ohne weitere erkennbare Zuschreibungen) mit der Gestaltung dieses Instruments in Verbindung gesetzt17 . Vor allem der Umweltausschuss bezieht sich in seiner Position und Argumentation immer wieder auf Annahmen zum Verbraucherverhalten, die dem starken Idealtyp zugeordnet werden können. Eine differenzierte Perspektive, die eine mögliche Überforderung von Verbrauchern und die begrenzte Verarbeitung von Informationen betont, wird nur marginal eingenommen. Darüber hinaus erfolgt keine Bezugnahme auf andere Faktoren, die auf ein differenziertes Konsumentenbild schließen lassen. So werden weder unterschiedliche sozio-ökonomische Gruppen oder Konsumroutinen angesprochen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Soziales geht in seiner Stellungnahme (vom 03.06.1997) vor allem von souveränen Konsumentinnen aus. Es wird angenommen, dass Verbraucher ein „[…] interest in information on specific impacts on the environment and the state of the environment at large […]“ hätten (97/C 296/12: 3). An anderer Stelle wird jedoch auch auf irreführende Informationen durch „[…] private labels […]“ (97/C 296/12: 4) eingegangen und die Perspektive einer Verbraucherüberforderung genutzt. Darüber hinaus enthält der Entwurf der Kommission auch den Vorschlag eines abgestuften Labels, das durch ein bis drei Blumensymbole unterschiedlich umweltfreundliche Produkte anhand von drei zentralen (produktspezifischen) Eigenschaften unterscheidet (COM 96/302: 36 ff.). In der Diskussion einer abgestuften Kennzeichnung wird die Annahme souveräner Konsumenten deutlich. Der EP-Bericht bezeichnet diesen Vorschlag als eine „[…] bedeutsame Änderung […]“, die in der Lage sei, „den Verbraucher über die effektiven Umweltfolgen des Erzeugnisses […] besser und vollständiger zu informieren […]“ (A4-0119/98: 28). Der Industrieausschuss stellt sich insgesamt hinter den Kommissionsvorschlag und fordert keine größeren Änderungen18 . Interessant für diese Arbeit ist aber die Minderheitenansicht 16 Auf die Stellungnahmen des Haushaltsausschusses, des Ausschusses für Währungs- und Industriepolitik, sowie die Stellungnahme des Rechtsausschusses wird hier nicht gesondert eingegangen, da sich dadurch keine neuen Erkenntnisse ergeben. Auf relevante Passagen dieser Stellungnahmen wurde im Text verwiesen. 17 Dies ist letztlich nur logisch, da es sich um ein Instrument handelt, dass an Konsumenten gerichtet ist. Es soll hier aber dennoch erwähnt werden, dass nicht alle Passagen, die Verbraucher und das Instrument kombinieren auch auf eine klare Zuschreibung von Eigenschaften eingehen. 18 Änderungsvorschläge beziehen sich u.a. auf die Kosten für die Beantragung des Labels und eine Entlastung von Unternehmen hierbei (A4-0119/98: 40).

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Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

der ursprünglichen Verfasserin der Stellungnahme. Diese hatte nach der Abstimmung des Berichts ihre Rolle als Verfasserin niedergelegt und formuliert in ihrer Minderheitenmeinung Kritik am Vorschlag des abgestuften Labels: „Was die äußere Gestaltung des Umweltzeichens betrifft, so geht das abgestufte Umweltzeichen […] zu weit und wird für Verwirrung sorgen. Zur raschen Orientierung der Verbraucher, die ihre täglichen Einkäufe tätigen, dürfte es wenig hilfreich sein, eine Unzahl von Blumen zählen zu müssen“ (A4-0119/98: 38).

Die Verfasserin geht hier sehr deutlich auf Limitationen des Ansatzes einer umfassenden Information ein und bezieht sich dabei auch auf die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Verbraucherinnen im Alltag. Diese Position bezieht sich am deutlichsten auf ein differenzierteres Konsumentenbild und kann dem schwachen Verbraucheridealtyp zugeordnet werden. Allerdings handelt es sich hierbei um eine marginale Position. Von der Forderung eines mehrstufigen Labels sind die Kommission und der Umweltausschuss letztlich abgerückt, da dieser Vorschlag im Rat auf Widerstand gestoßen war. Das Parlament und der Rat einigten sich in einer gemeinsamen Stellungnahme auf ein einfaches Label (EC No 6/2000). Die finale Verordnung bezieht sich dann ausführlich auf die Verbraucherrolle und geht davon aus, dass diese auf Basis von Informationen Kaufentscheidungen treffen: „The eco-label should include […] information, in order to enable consumers to make informed choices“ (Regulation 1980/2000: 1). In der Verordnung wurde die Code-Kombination Starke Konsumenten+Instrument siebenmal identifiziert; sie ist die häufigste Kombination von Codes. Dies unterstreicht nochmals die zentrale Verbindung der (souveränen) Verbraucherperspektive mit dem Instrument und seiner Gestaltung.

7.2.2

Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2009

Ein weiteres Mal wurde das Ecolabel im Jahr 2008 überarbeitet, die Überarbeitung trat 2009 in Kraft. Die Analyse der Quellen zeigt, dass auch bei dieser Überarbeitung Instrument und Zielgruppe zueinander in Bezug gesetzt werden, wobei hier die Annahme starker Konsumenten dominiert. Dies zeigt sich durchgängig in allen Dokumenten: Die Kombination Starke Konsumenten+Instrument tritt 26-mal auf, die Verbindung Starke Konsumenten+Information 20-mal. Eine Perspektive auf Konsumenten, die einem schwachen Verbraucherbild zugeordnet werden kann, ist achtmal mit dem Code Instrument gekoppelt. Zehnmal tritt die Kombination Instrument+Binnenmarkt auf. Damit zeigt sich auch hier, dass im gesamten PolicyProzess eine starke Konsumentenperspektive dominiert und in vielen Fällen an das

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

105

Instrument gekoppelt wird. Abbildung 7.3 zeigt die Code-Cluster. Dabei wird deutlich, dass es zu einer häufigen Verknüpfung von Starken Konsumenten, Instrument und Informationen kommt. Auf starke Verbraucher und die Information dieser wird häufig im Kontext der Gestaltung des Instruments Bezug genommen. Ebenso wie im Jahr 2000 ist das Cluster aus den drei genannten Schwerpunkten auch bei der Überarbeitung des Instruments im Jahr 2009 deutlich.

Abbildung 7.3 Code-Cluster auf Basis aller Dokumente, Überarbeitung 2009

Der Entwurf der Kommission betont die zentrale Rolle der Konsumenten für eine nachhaltige Entwicklung und die Bedeutung des Ecolabels hierfür. Die Kennzeichnung durch das Label „[…] enable[s] them to distinguish the truly ‚green‘ products from their competitors“ (COM 2008/401: 3). Insgesamt bezieht sich die Kommission auf eine Verbraucherperspektive, die dem Idealtyp des starken Konsumenten zugeordnet werden kann. Die Kombination Starke Konsumenten+Information wurde neunmal identifiziert, die Kombination Starke Konsumenten+Instrument siebenmal. Nur zweimal wurde die Kombination Schwache Konsumenten+Instrument identifiziert. In diesen Fällen wird die Abstimmung zwischen nationalen Kennzeichnungen und dem europäischen Ecolabel diskutiert: „[…] to avoid confusing consumers, it is also necessary to enhance the coherence between the Community

106

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Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

Ecolabel […] and national […] schemes […]“ (COM 2008/401: 9). Die Perspektive auf starke Konsumenten ist in der Position der Kommission durchgängig zu finden. So wird eine aktive Verbraucherrolle bei der Auswahl von Produkten angenommen. Das Label solle Konsumenten helfen, „[…] to make informed choices“ (COM 2008/401: 9). Es wird aber auch deutlich, dass die Kennzeichnung nicht nur individuelle Verbaucher, sondern auch Unternehmen und öffentliche Institutionen ansprechen soll: „If consumers, as well as private and public purchasers, are to take environmental criteria into consideration when they choose their products […] it is important that they can find […] credible criteria […]“ (COM 2008/401: 3). Dies zeigt, dass Konsumentengruppen nicht in ihren spezifischen Eigenschaften unterschieden werden. An diesem Punkt unterscheidet sich der Fall der EU-Umweltpolitik deutlich vom zweiten Fall in dieser Arbeit, worauf noch ausführlich im weiteren Verlauf eingegangen wird. Auch das Code-Cluster (Abb. 7.4) verdeutlicht die Verknüpfung von souveränen Verbrauchern mit dem Instrument und der Bereitstellung von Informationen.

Abb. 7.4 Code-Cluster auf Basis der Kommissionsdokumente, Überarbeitung 2009

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

107

Auch die Positionen der Parlamentsausschüsse zeigen, dass die Argumentation in den Dokumenten durchgängig auf einer starken Konsumentencharakterisierung beruht. Wie auch in den Vorschlägen der Kommission, werden aktive Entscheidungsprozesse der Verbraucherinnen angenommen, die durch Informationen beeinflusst werden können. Nur an wenigen Stellen wird überhaupt die Wirkung irreführender Informationen oder die Überforderung von Konsumenten angesprochen. Die Stellungnahme des federführenden Umweltausschusses entspricht hierbei aber nicht ganz diesem Muster. Der Bericht (A6-0105/2009)19 vom 25.02.2009 geht insgesamt häufiger auf starke Konsumenten ein. Beide Perspektiven – schwache und starke Konsumenten – werden aber letztlich gleich häufig genutzt, um das Instrument und seine Überarbeitung zu diskutieren. So treten die Kombination Starke Konsumenten+Instrument und Schwache Konsumenten+Instrument beide dreimal auf. Während Verbraucher grundlegend als souveräne Käufer, die einer Kosten-NutzenAbwägung folgen, dargestellt werden, geht der Bericht auch auf die Limitationen dieses Ansatzes ein. Im Bericht fordert der Ausschuss eine Plattform, auf der Konsumenten Produkte, die durch das Ecolabel gekennzeichnet sind, einsehen können. Hierbei geht es dem Ausschuss vor allem darum, nachhaltige Entscheidungen zu erleichtern: „Es muss sichergestellt werden, dass die Verbraucher das Verzeichnis der Produkte […] möglichst einfach einsehen können“ (A6-0105/2009: 29). Diese Passage weist – implizit – darauf hin, dass bestimmte Maßnahmen, z. B. die Erreichbarkeit von Informationen, nachhaltige Entscheidungen fördern können. So ist hier erkennbar, dass der Ausschuss nicht nur von idealtypisch starken Konsumenten ausgeht. Eine zweite relevante Passage deutet im Kontext des öffentlichen Beschaffungswesens ebenso in diese Richtung: „[…] Mitgliedstaaten [können] den Verbrauchern als Vorbild dienen […]“ (A6-0105/2009: 33). Diese Argumentation deutet an, dass der Ausschuss auch die Wirkung von gesellschaftlichen Entwicklungen auf Individuen einbezieht. Beide Passagen sollen hier illustrieren, dass zumindest im Ansatz ein etwas differenzierteres Konsumentenbild im Kontext der Instrumentengestaltung diskutiert wird. Zweifelsohne ergänzen diese Kopplungen aus Instrument und schwacher Konsumentenperspektive lediglich die wesentlich häufigere Kombination aus Instrument und starkem Konsumentenbild im gesamten Prozess. So wird auch im Bericht des Rapporteurs durchgängig auf die „[…] bewusste Wahl […]“ der Konsumenten (A6-0105/2009: 10) hingewiesen. Auch wird Bezug genommen auf die Notwendigkeit einer Auswahl am Markt 19 Das Dokument umfasst den Bericht des Rapporteurs und die Stellungnahmen der anderen Ausschüsse. Das Dokument wurde deswegen mehrfach kodiert, wobei immer nur die jeweiligen Berichte und Stellungnahmen analysiert wurden. Es erfolgt aber dennoch immer die Angabe des gesamten Berichts, da dies die Quelle ist, wie sie auch auf den Seiten des Parlaments zu finden ist.

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Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

und die Signalisierung von Nachfrage. So müsse: „[…] das Ziel sein […], den Verbrauchern Produkte mit Umweltzeichen in ausreichender Auswahl anzubieten“ (A6-0105/2009: 37). Beide Beispiele verdeutlichen stellvertretend, dass von einem souveränen Konsumenten ausgegangen wird. Zudem wird die Rolle von Marktmechanismen betont, wobei Verbraucherinnen hier vor allem über ihre Nachfrage nach umweltschonenden Produkten Veränderungen herbeiführen sollen. Der Rapporteur des Umweltausschusses greift in seinem Bericht (A6-0105/2009: 8 f.) zudem wieder den Vorschlag eines abgestuften Labels auf, das Produkte in drei Stufen nach ihrer Umweltverträglichkeit bewerten soll. Auch der Industrieausschuss des Parlaments unterstützt die Idee einer mehrstufigen Kennzeichnung (A6-0105/2009: 52). Darüber hinaus bezieht sich auch dieser Bericht an vielen Stellen auf Konsumenten in einer starken Verbraucherperspektive. Die zentrale Rolle von Konsumenten betont vor allem der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz: „Die Verfasserin der Stellungnahme ist der Überzeugung, dass die Verbraucher, weil sie die Macht haben, Verbrauchsmuster zu ändern und nachhaltigere Optionen zu verlangen, unbedingt darin unterstützt werden müssen, diese Macht einzusetzen“ (A6-0105/2009: 76). In diesem Kontext schreibt der Ausschuss dem Ecolabel eine große Relevanz zu, um „[…] die Verbraucher darin zu unterstützen, eine Wahl im Sinne der Nachhaltigkeit […] zu treffen, und um den Herstellern Anreize zu bieten […]“ (A6-0105/2009: 77). In dieser Passage zeigt sich beispielhaft, dass aktive Entscheidungen der Konsumenten angenommen werden, die eher einer starken Konsumentenperspektive entsprechen. Auch die Rolle der Verbraucherwahl auf dem Markt und das Signalisieren von Nachfrage entspricht Merkmalen, die diesen Idealtyp charakterisieren. Letztlich bezieht sich auch die angenommene Verordnung in vielen Fällen auf starke Konsumenten, wenn das Instrument und seine erhoffte Wirkung diskutiert werden. So steht die Stärkung der „[…] consumer choice […]“ durch die Verbreitung des Ecolabel im Fokus der Verordnung (Regulation 66/2010: 1). Insgesamt kann so festgestellt werden, dass im Prozess der Überarbeitung dieses Instruments durchgängig eine Bezugnahme auf Konsumenten erfolgt, die dem Idealtyp eines starken Verbrauchers entspricht. Nur der Umweltausschuss geht differenzierter auf Konsumenten ein und diskutiert mögliche Limitationen des Informationsansatzes. Damit erfolgt im Policy-Prozess eine Kombination von starken Konsumenten und der Nutzung des Informationsinstruments. Eine Kritik an diesem Ansatz wird in den Berichten und Stellungnahmen der Parlamentsausschüsse nur bedingt geäußert. Diese Kritik bezieht sich dabei aber auf die Gestaltung des Instruments, bspw. in Form des Vorschlags zu einer abgestuften Kennzeichnung. Dies deutet aber auch eher auf die Annahme von starken Konsumenten hin, die Informationen einfordern und darauf ihre Konsumentscheidung stützen.

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

7.2.3

109

Positionen der Akteure und Einschätzung der Experten

Neben der Betrachtung des Policy-Prozesses und der Aushandlung von Vorschlägen zwischen den beteiligten Organen wird bei der Analyse auch auf unterschiedliche Positionen der Akteure und die Einschätzung durch Experten eingegangen. Zunächst konzentriere ich mich dazu auf die Plenardebatte des EP zum Ecolabel vom 02.04.2009. Anschließend werden die Erkenntnisse der Experteninterviews einbezogen20 . Die Plenardebatte bestätigt insgesamt das Bild, wonach Konsumentenfreiheit und souveräne Verbraucherinnen im Fokus stehen und eine Konzentration auf informierende Ansätze erfolgt21 . So bezieht sich der Abgeordnete Hegyi von der Fraktion der Sozialdemokraten (PSE)22 in seiner Stellungnahme auf die Möglichkeiten der Förderung eines nachhaltigen Konsums und unterstützt den Ansatz der Verbraucherinformation und der Nutzung von Marktmechanismen: „[…] Es gibt verschiedene Instrumente zur Sanktionierung umweltbewussten Verhaltens in unserer Gesellschaft […]. Wir können bestimmte Materialien und Handlungen untersagen. […] In einer Marktwirtschaft gibt es jedoch auch andere Mittel […]. Wir können die Verbraucher gezielt über die von ihnen gekauften Erzeugnisse ansprechen und Produkte empfehlen, die umweltfreundlich sind und die Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung erfüllen […]“ (Plenardebatte 02.04.2009).

Dieses Statement verdeutlicht drei relevante Punkte. Erstens begründet der Abgeordnete seine Zustimmung zum Instrument auch unter Berücksichtigung anderer, theoretisch möglicher Instrumente, um individuelles Verhalten zu adressieren. Er unterstützt aber explizit die Nutzung von Informationen. Zweitens setzt er diesen Ansatz in Kontext zu Marktmechanismen und den Bedingungen der Marktwirtschaft im europäischen Binnenmarkt, die geeignet seien, eine nachhaltige Entwicklung zu

20 Das Protokoll der Debatte zur Ecolabel-Verordnung aus dem Jahr 2000 war nicht verfügbar, sodass hier eine Konzentration auf die Debatte im Jahr 2008 erfolgt. Darüber hinaus werden auch die Einschätzungen von Experten eingebunden. Insgesamt ergeben diese Daten ein sehr konsistentes Bild, weswegen die Leerstelle der Debatte zur vorangegangenen Verordnung verkraftbar für die Analyse ist. 21 Die nachfolgenden Zitate und Verweise sind exemplarisch ausgewählt und stehen stellvertretend für Positionierungen in der Debatte. Abweichende Perspektiven werden deutlich benannt und eingebunden. 22 Bei der Angabe der Fraktionen werden jeweils die Namen verwendet, die zum Zeitpunkt der Debatten gültig waren. So wird die Fraktion der Sozialdemokraten aktuell als S&D bezeichnet, zuvor wurde aber die Bezeichnung PSE genutzt.

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Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

fördern, wenn sich Konsumenten aktiv für umweltschonende Produkte entscheiden. Drittens wird hier – implizit – auf die Freiheit der Konsumenten verwiesen, ihre Kaufentscheidungen zu treffen ohne dabei durch Interventionen eingeschränkt zu werden. Noch deutlicher wird diese Perspektive in der schriftlichen Stellungnahme der Abgeordneten Gill (ebenfalls PSE): „Meine Wähler sagen mir, dass sie beim Einkaufen gern unter verschiedenen Dingen wählen […]“ (Plenardebatte 02.04.2009). Auch der Abgeordnete Wijkman von der EVP-Fraktion unterstützt die Kennzeichnung und bezieht sich dabei auf die Informationen, die das Label bereitstellt und auf deren Basis Verbraucher ihr Verhalten verändern können, um „[…] die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten […]“ zu steigern (Plenardebatte 02.04.2009). Er äußert aber auch Kritik an der Endfassung der Verordnung und adressiert hierbei vor allem die Kommission: „Da ich die früheren Entwurfsfassungen der Kommissionsvorschläge gelesen habe, weiß ich, dass es insbesondere in der GD Umwelt weitaus ehrgeizigere Pläne […] gab“ (Plenardebatte 02.04.2009). Diese Wahrnehmung des EP-Abgeordneten stützen auch die geführten Experteninterviews, worauf der nächste Absatz eingeht. Hinsichtlich der EP-Position soll hier noch abschließend auf die Position eines Interviewpartners aus der Fraktion der Liberalen verwiesen werden. Dieser bestätigt, dass ein starkes Verbraucherbild im Fokus der Politik (der Liberalen im EP) steht: „Also als Liberale gehen wir ja eher von einem mündigen Verbraucher aus, der aufgrund der Informationen, die er von dem Produkt hat, eine eigene Entscheidung trifft. Wir diktieren keine Lebensformen in diesem Sinne“ (EP_Liberale Z. 23 ff.). Dieser Interviewpartner betont aber auch, dass es diesbezüglich unterschiedliche Positionen gibt. So würden andere Fraktionen andere Annahmen haben, was letztlich den politischen Prozess beeinflusst: „Die Diskussion läuft darauf hinaus, unter diesen verschiedenen Annahmen einen Kompromiss zu finden, mit dem alle Seiten leben können“ (EP_Liberal Z. 142 ff.). Das Abstimmungsergebnis im EP zeigte letztlich eine breite Mehrheit für den Vorschlag der Verordnung; Zustimmung: 633 Abgeordnete, Ablehnung: 18 Abgeordnete (EP 2009). Im Rahmen der Untersuchung wurden auch Experten befragt, die aus Sicht der Generaldirektionen der Kommission und aus Perspektive von Interessenorganisationen die EU-Politik einschätzen. So nimmt der Vertreter einer NGO zum Thema Umwelt wahr, dass Vorschläge der Kommission zunehmend weniger ambitioniert sind (NGO_Umwelt_2 Z. 160 ff.). Auch eine weitere Expertin sieht dies ähnlich und bewertet die europäische Politik zu nachhaltigem Konsum insgesamt eher kritisch, weil sie die Überforderungen von Verbrauchern nicht berücksichtige (NGO_Umwelt_1 Z. 143 ff.). Auch ein weiterer Interviewpartner kritisiert den Politikansatz, der nur auf der Information von Verbrauchern basiert, „[…] weil eben der Verbraucher, wenn er in ein Geschäft geht, nicht […] die Möglichkeit

7.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

111

hat, jede Kaufentscheidung fünfmal zu hinterfragen und zusätzliche Informationen zu recherchieren“ (NGO_Umwelt_2 Z. 168 ff.). Dieser Experte beschreibt zudem, dass die EU-Politik zu nachhaltigem Konsum vor allem die Freiheit der Verbraucherentscheidung fokussiert (NGO_Umwelt_2 Z. 63 f.). Damit wird deutlich, dass die befragten Experten von einem differenzierteren Konsumentenbild ausgehen, das nicht auf ausschließlich souveränen Verhaltensweisen basiert. Sie bestätigen aber ebenso, dass EU-Politik zu nachhaltigem Konsum häufig von einem starken Verbraucherbild getragen wird und dieses im Policy-Making dominiert. Hinsichtlich der Diskussion von Umweltthemen innerhalb der Kommission verweist der befragte Experte der Generaldirektion für Justiz und Verbraucherschutz darauf, dass die GD Umwelt sich häufig nicht mit ihren Vorschlägen durchsetzen könne (GD_Verbraucher Z. 260 ff.). Weiterhin schätzt er ein, dass Umweltthemen trotz der formulierten Ziele der EU nicht immer oberste Priorität hätten: „[…] since I am working in environmental policy it has always been difficult“ (GD_Verbraucher Z. 259 f.). Der Experte NGO_Umwelt_2 verweist hier auch auf unterschiedliche Überzeugungen der Kommissare, die zum Tragen kommen. Zwar sei die Kommission insgesamt überzeugt, dass Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zentrale Themen seien, „[a]llerdings sieht man dort auch wieder die Nuancen. […] Der Liberale sagt natürlich […]: oh wir müssen vorsichtig sein, weil wir können auch das Falsche regulieren“ (NGO_Umwelt_2 Z. 262 ff.). Dass die Generaldirektion für Umwelt sich mit ihrer Position vor allem im Hinblick auf das Thema nachhaltiger Konsum nicht vollumfänglich durchsetzen kann, zeigt auch das Interview, dass mit zwei Experten der GD Umwelt geführt wurde. Mit Blick auf die Rolle von Verbraucherinnen und ihre Wahrnehmung gehen die befragten Experten von einem wesentlich differenzierteren Konsumententyp aus, als dies in den politischen Schwerpunktsetzungen und im Vorschlag der Kommission zum Ecolabel zu sehen ist. Zum einen befasst sich die Expertin mit Faktoren, die Konsumentenverhalten beeinflussen können: „We are also engaged in the socalled indicators of consumption […] Is the price the trigger, is the convenience the trigger, is it environmental awareness […]“ (GD_Umwelt_2 Z. 205 ff.). Ihre Position hinsichtlich entscheidender Eigenschaft ist dabei klar: „[…] consumers of today want convenience […]“ (GD_Umwelt_2 Z. 382). Der zweite Experte der Generaldirektion für Umwelt verweist zudem auf eine begrenzte Wirksamkeit von Informationen: „I think the bulk of consumers doesn’t care. And the few who care, they care in any case. […] For the time being still price and quality makes a difference and environment usually comes third. So, it [gemeint ist das Ecolabel] is not really targeting the already involved that make a difference […]“ (GD_Umwelt_1 Z. 541 ff.). So bezeichnet der Experte den Weg der Verbraucherinformation als einen möglichen Ansatz, der aber limitiert sei: „But not necessarily am I saying

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7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

that this is the best way or should be the only way“ (GD_Umwelt_1 Z. 468 f.). Darüber hinaus sei eine umfassende Strategie notwendig, um nachhaltigen Konsum zu fördern: „There is no one solution“ (GD_Umwelt_1 Z. 477). So gäbe es innerhalb der Generaldirektion „[…] a wide-open discussion to what extent the burden of choice should be on consumers’ shoulders […]“ (GD_Umwelt_1 Z. 470 f.). Insgesamt zeigt sich hier, dass die Generaldirektion für Umwelt nicht ausschließlich von einem starken Konsumententyp ausgeht und Limitationen im Ansatz der Verbraucherinformation sieht. Vergleicht man diese Position mit den Vorschlägen der Kommission zur Überarbeitung des Ecolabel, so zeigt sich deutlich, dass sich die GD Umwelt mit diesen Ansätzen nur bedingt durchsetzen konnte. Auch die Aussagen des Experten GD_Verbraucher unterstreichen dies. Zum einen verweist er auf übergeordnete Ziele (z. B. ökonomische Interessen), die bisweilen umweltpolitischen Zielsetzungen gegenüberstünden (Z. 374 f.). Dies wiederum sei relevant, wenn umweltpolitische Fragen diskutiert werden, wie er am Beispiel von Flugreisen verdeutlicht: „Sometimes, or often the economic interest can be in line with environmental interests. [But] if you take into account the environmental damage [of flights] then […] the cost of flights […] will increase“ (Z. 379 ff.). Die ökonomischen Folgen umweltpolitischer Zielsetzungen seien, so der Experte, in der Lage, ambitioniertere Maßnahmen zu behindern: „And citizen like to travel and like to take cheap flights“ (Z. 296 f.), weswegen eine Verteuerung in diesem Beispiel als unrealistisch erscheint (Z. 298 f.). Insgesamt verdeutlichen auch die geführten Interviews und die Analyse der Parlamentsdebatten, dass die Annahme eines souveränen Verbraucherverhaltens das Policy-Making in diesem Fall dominiert. Zudem wird deutlich, dass es – gerade in der EU Kommission – durchaus differenzierte Perspektiven auf das Verbraucherverhalten gibt. Gerade die Generaldirektion Umwelt kann sich mit diesen Ansichten aber nicht durchsetzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei beiden Überarbeitungen des Ecolabels eine deutliche Bezugnahme auf souveräne Zielgruppen aufgezeigt werden konnte: (1) Dabei steht der Bezug auf Adressaten und Annahmen zu deren Verhalten im Zentrum der Storyline. (2) Die Storyline verknüpft die Wahl und Gestaltung des Instruments mit den Adressaten und dem Ziel, deren Verhalten zu ändern. (3) Nur sehr selten wird überhaupt auf differenziertere Annahmen zum individuellen Verhalten verwiesen. Storylines, die dieses Verhalten ins Zentrum des Policy-Makings rücken, werden aber kaum erstellt.

7.3 Problemdimension

7.3

113

Problemdimension

In diesem Analyseschritt konzentriere ich mich auf die Problemdimension und ihre Relevanz für die Instrumentenwahl. Dabei geht dieses Teilkapitel auf alle bisher genutzten Dokumente und Interviews ein, um so ein umfassendes Bild zu erlangen. Im ersten Schritt wende ich mich wieder den feld- und themenspezifischen Agenden zu, im zweiten Schritt werden dann auch die konkreten Politiken sowie die Perspektiven der Experten eingebracht. Die Untersuchung der Problemdimension wird durch die Frage geleitet, was als Problem konzipiert wird, welche Missstände hierfür beseitigt werden sollen und ob bzw. wie eine bestimmte Gruppe für ein Problem Verantwortung trägt und zu seiner Lösung beitragen soll. Mit Blick auf die themen- und feldspezifischen Agenden kann anhand des vierten Umweltaktionsprogramms der EU gezeigt werden, dass ein „[…] shift of attitudes […]“ als wesentlich für eine nachhaltige Entwicklung angesehen wird, wobei diese Veränderung „[…] above all in individuals“ (4.EAP: 39) stattfinden müsse. Darüber hinaus verknüpft das Programm das Problem der Umweltverschmutzung mit Chancen für eine positive ökonomische Entwicklung: „[…] environmental policy can contribute to improved economic growth and jobs creation. […] in a worlds [sic] where higher environmental standards are more and more being required, the achievement of such standards must increasingly be seen as an essential element in the future success of the Community“ (4.EAP: 7).

Das Problem zunehmender Umweltverschmutzung wird in einen breiten gesellschaftlichen Kontext eingebettet und der Schutz der Umwelt mit dem Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft verknüpft. Auch das fünfte Umweltaktionsprogramm bezieht das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in eine umfassende Perspektive auf die Gesellschaft ein: „The achievement of the desired balance between human activity and development and protection of the environment requires a sharing of responsibilities which is both equitable and clearly defined by references to consumption of and behaviour towards the environment and natural resources“ (5.EAP: 6).

Dabei wird vor allem die Verbindung von Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung betont, so stelle das Programm einen Rahmen für einen „[…] new approach to the environment and to economic and social activity and development […]“ dar (5.EAP: 13). Das sechste Umweltaktionsprogramm betont zudem die globale Dimension von Ressourcennutzung und Umweltschutz: „There is a limited

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7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

capacity of the planet to meet the increasing demand for resources and […] existing demand exceeds the carrying capacity of the environment […]“ (6.EAP: 2). Im siebten Umweltaktionsprogramm wird dann zudem die Komplexität wachsender Umweltprobleme, wie eine zunehmende Umweltverschmutzung oder Ressourcennutzung, beschrieben: „Global systemic trends and challenges […] add to the complexity of tackling environmental challenges and achieving long-term sustainable development“ (7. EAP: 1). Wie auch in den Programmen zuvor wird diese Problemperspektive eng an die weitere ökonmische Entwicklung in der Union geknüpft: „Adressing some of those complex issues requires tapping into the full potential of existing environmental technology and ensuring the continuous development and uptake by industry of the best available techniques and […] innovations […]“ (7.EAP: 7). Mit Blick auf themenspezifische Programme zeigt sich ebenso, dass vor allem die Komplexität von nachhaltiger Entwicklung im Fokus der Schwerpunktsetzungen steht. So werden die identifizierten Probleme (u. a. Umweltverschmutzung, hohe Ressourcennutzung) und das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung mit Konsumund Produktionsmustern verknüpft (IPP: 4). Als politische Maßgabe wird hierbei formuliert: „[…] win-win situations need to be found where environmental improvements and better product performance go hand in hand and where environmental improvements support long-term industrial competitiveness“ (IPP: 3). Verbraucherinnen wird in allen Programmen die Rolle zugewiesen, umweltschonende Produkte zu konsumieren (IPP: 23)23 . Das Programm Sustainable Consumption and Production Action Plan (SCP) verweist hier auf das Zusammenwirken aus Produktinnovationen und Verbrauchernachfrage nach diesen Produkten (SCP: 2 f.). Dass hierbei Konsumenten mit Informationen zu bestimmten Kaufentscheidungen bewegt werden sollen, wurde bereits ausführlich dargestellt. Diese Ziele werden wiederum in eine globale Problemperspektive eingebettet: „Sustainable development […] is a key objective of the European Union. Yet, increasingly rapid global changes, from melting of the icecaps to growing energy and resource demand, are challenging this objective“ (SCP: 2). Auch das dritte betrachtete Programm folgt dieser Perspektive und setzt konsistent die Vorgängerprogramme fort. So wird das Ziel beschrieben, einen „[…] higher uptake of green products and of green practices […]“ zu fördern, wozu durch Policy-Maßnahmen „[…] the free circulation of green products in the Single Market“ (SMGP: 2) gewährleistet werden soll.

23 Hingegen wird Produzenten die Aufgabe zugewiesen, umweltschonenden Produkte zur Verfügung zu stellen (IPP: 22).

7.3 Problemdimension

115

Die Programme weisen insgesamt auf die Bedeutung von Konsumentscheidungen hin. Es wird jedoch keine Gruppe im Besonderen zu einer Veränderung aufgefordert oder hierfür herausgestellt. Vielmehr wird ein umfassender Ansatz beschrieben, bei dem Kosten für Anpassungen alle Akteure (z. B. Konsumenten, Produzenten) betreffen. Dies wird ergänzt durch eine Skizzierung des Nutzens dieser Anpassungen für die gesamte Gesellschaft. So wird in allen Agenden auf die Chancen einer nachhaltigen Entwicklung verwiesen, wobei dies mit einem Verweis auf wirtschaftliches Wachstum und die Generierung von Beschäftigung erfolgt. Darüber hinaus wird wiederholt eine globale Problemperspektive beschrieben, die weltweite Umweltauswirkungen der europäischen Ressourcennutzung adressiert. Auf Ebene der konkreten Politiken wird dann wesentlich knapper auf eine Problemdimension hingewiesen. Im Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung des Ecolabels (COM 96/303), das noch vor den in dieser Arbeit betrachteten themenspezifischen Agenden implementiert wurde24 , wird auf die Relevanz des Konsums von umweltschonenden Produkten hingewiesen: „The objective of sustainable consumption is to reduce […] impact of consumption on the environment. To that end the strategy consists in promoting environmentally aware behaviour patterns […]“ (COM 96/303: 2). Die im Jahr 2000 angenommene Überarbeitung des Instruments verweist dann auch auf das Problem einer hohen Ressourcennutzung und verknüpft das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung mit der Maßgabe, Verbraucherinnen bei der Wahl umweltschonender Produkte zu unterstützen (Regulation 1980/2000: 2). Eine explizite Diskussion von Kosten und Nutzen erfolgt darüber hinaus weder in den Vorschlägen der Kommission noch in den Stellungnahmen der Ausschüsse. In der Analyse der Dokumente konnte die Code-Kombination Umweltschutz+Instrument 12-mal identifiziert werden. Darüber hinaus wird auf den Binnenmarkt und ökonomische Aspekte (v. a. Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit) Bezug genommen (je viermal). Das Instrument wird also vornehmlich mit Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung und den Schutz der Umwelt diskutiert, es werden aber ebenso Bezüge zu ökonomischen Zielen hergestellt. Die Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2008 fokussiert ebenso das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Im Vordergrund der Kommissionsvorschläge steht dabei wieder die Verknüpfung von Umweltschutz und ökonomischer Entwicklung: „[…] a modified Ecolabel can have net economic benefits for the EU economy, and increase both competition and competitiveness“ (SEC 2008/2119: 3). Auch

24 Hierbei geht es mir in der Analyse um das Aufzeigen einer gewissen Konsistenz im Ansatz der EU zu nachhaltigem Konsum. Auf die Auswahl der Dokumente wurde bereits in Kapitel fünf eingegangen, dies soll auch in der Diskussion nochmals reflektiert werden.

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7

Politik zu nachhaltigem Konsum im Rahmen der EU-Umweltpolitik

der Umweltausschuss des EP geht in seinem Bericht nicht nur auf den Gedanken des Umweltschutzes, sondern auch auf eine ökonomische Perspektive ein (A6-0105/2009: 45). Der Industrieausschuss fordert zudem eine „marktorientierte“ Politik, wobei Verbraucherinformationen zentral seien. (A6-0105/2009: 60). Auch die identifizierten Code-Kombinationen zeigen die Verbindung von Umweltschutz und ökonomischer Entwicklung. So wurden die Code-Kombinationen Instrument+Binnenmarkt und Instrument+Umweltschutz je 11-mal identifiziert. Vor allem die Verbindung einer nachhaltigen Entwicklung und eines nachhaltigen Konsums mit Chancen für eine positive ökonomische Entwicklung und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaften steht hierbei im Fokus. Insgesamt gehen die Akteure auch bei dieser Überarbeitung des Instruments nicht auf eine Verteilung möglicher Kosten einer nachhaltigen Entwicklung ein. Ein befragter Umweltexperte stellt die zentrale Rolle von Konsumenten für eine nachhaltige Entwicklung heraus: „Ecolabelling […] focuses on […] end-consumers as actors for change“ (Experte_Umwelt_1 Z. 128 f.). Darüber hinaus stellt aus seiner Sicht individueller Konsum eine zentrale Stellgröße für eine nachhaltige Entwicklung dar: „[…] it is obvious that environmental pressures stem from consumer demand and from the way we consume products […]“ (Experte_Umwelt_1 Z. 267 ff.). Er stellt aber ebenso die Komplexität einer nachhaltigen Entwicklung heraus: „[…] making […] consumption and production […] truly sustainable […] that is a broad issue“ (Experte_Umwelt_1 Z. 272 ff). Umweltpolitische Aspekte seien dabei auch in ökonomischer Hinsicht relevant: „[…] the environmental agenda is very well recognised and broadly supported as a way of creating a level playing field for European industry. So you cannot outcompete regions or countries by applying dirty technology“ (Experte_Umwelt_1 Z. 253 ff.). Ein weiterer Experte (NGO_Umwelt_2) verweist auf die hohe Nutzung von Ressourcen durch bestehende Konsummuster, die vor allem globale Auswirkungen hätten: „[…] aus der Verbraucherperspektive sind wir damit konfrontiert, dass wir im Prinzip über unsere Bedürfnisse […] konsumieren und das alles mit Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette verbunden ist, die dann häufig eben in anderen Ländern, außerhalb von Europa stattfinden. Und wir uns dessen gar nicht so sehr bewusst sind […], [weil] wir eben viele der Umweltprobleme […] in Länder ausgelagert haben, wo die Vorproduktion […] stattfindet“ (Z. 16 ff.).

Damit wird deutlich, dass im politischen Prozess vor allem abstrakte Folgen, die nicht in Bezug zum individuellen Verhalten gesetzt werden, als Problemlage identifiziert werden. Zudem wird durch das fünfte Umweltaktionsprogramm eine Perspektive eröffnet, die eher einen freiwilligen Wandel zu nachhaltigen Konsummustern unterstreicht als eine zwingende, durch staatliche Interventionen beförderte

7.3 Problemdimension

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Veränderung von Verhaltensweisen. So sollen Erkenntnisse zu Lebenszyklen von Produkten genutzt werden, „[…] to encourage the intervention of all people concerned in order to attain targets […]“ (5.EAP: 52). Politische Maßnahmen sollen also das Wissen um umweltschonende Produkte und Verhaltensweisen verbreiten. Eine zwingende Intervention in individuelles Verhalten wird so aber nicht einbezogen. Die explizite Fokussierung einer Gruppe oder einer Verhaltensweise findet nicht statt. Vielmehr wird die Komplexität einer nachhaltigen Entwicklung betont. Damit wird deutlich, dass eine Perspektive dominiert, die dem Idealtyp einer schwachen nachhaltigen Entwicklung zugeordnet werden kann (Geels et al. 2015). So sollen Konsum- oder Produktionsmuster nicht grundlegend verändert werden. Es ist das formulierte Ziel, durch den Konsum von umweltschonenden Produkten und durch eine Modernisierung der Industrie bestehende Konsum- und Produktionsmuster nachhaltiger zu machen, ohne diese völlig zu transformieren. Entsprechend dieser Perspektive braucht es auch keine Verteilung von Kosten (durch die grundlegende Veränderung von Verhaltensweisen), da über den Weg einer ökologischen Modernisierung bestehende Verhaltensweisen fortgesetzt werden können. Im Rückgriff auf die zitierte Literatur zur Erstellung von Policy-Paketen (Zittoun 2013; Capano/Lippi 2017) kann hier also festgehalten werden, dass in diesem Fall sowohl Probleminterpretation als auch Zielgruppenverständnis vor allem mit Informationsinstrumenten zu schlüssigen Paketen kombiniert werden können. Die Einschränkung individuellen Verhaltens durch Zwang wäre weder mit Blick auf das angenommene souveräne Verbraucherverhalten noch in Hinsicht auf die dominierende Probleminterpretation schlüssig. Eine ausführliche Diskussion dieser Erkenntnisse erfolgt in Kapitel neun.

8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

In diesem Kapitel nehme ich die Analyse der Tabakpolitik im Rahmen der EUGesundheitspolitik vor. Im Fokus der Arbeit steht, wie bereits dargelegt, die Wahl unterschiedlicher Instrumente bzw. die unterschiedliche Gestaltung der Instrumente, die individuelles Konsumverhalten adressieren. Dieses Kapitel bespricht die Kennzeichnung von Tabakprodukten, die den zentralen Ansatz der EU-Politik in diesem Bereich darstellt und Konsumenten über das Produkt informieren soll. Darüber hinaus befasse ich mich mit der Regelung zu rauchfreien Zonen, die das Konsumverhalten einschränkt. In der Analyse gehe ich zunächst auf den Politikkontext ein und widme mich danach der Untersuchung des Policy-Makings. Anschließend stelle ich dar, wie Probleme im untersuchten Fall von den Akteuren interpretiert werden bzw. was als Problem angesehen wird. Im Fokus steht dabei vor allem, wie Storylines mit Bezug auf Adressaten, deren Verhalten (und Annahmen hierzu) und Probleminterpretationen erstellt werden.

8.1

Kontext der Instrumentenwahl

Wie auch im Fall der europäischen Umweltpolitik werden in diesem Kapitel zunächst die gesundheitspolitischen Rahmenprogramme und themenspezifische Agenden analysiert. Auch hierbei folge ich der Annahme, dass sie den Kontext der Instrumentenwahl darstellen, indem sie das Politikfeld maßgeblich durch politische Festlegungen strukturieren. Wie im Fall der Umweltpolitik konzentriert sich die Untersuchung der Daten auf folgende Punkt: (a) welche Ideen und Interpretationen zu Zielgruppen formuliert werden, (b) ob und wie Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens besprochen werden und (c) welche Relevanz individuellem Verhalten zugewiesen wird. Tabelle 8.1 stellt einen Überblick über die verwendeten Programme zusammen. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_8

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Tabelle 8.1 Überblick über die feld- und themenspezifischen Programme Level

Dokumente

Feldspezifische Programme

Programme of Community action on health promotion, information, education and training 1994; Community Action Programmes in the field of health der Jahre 2003, 2008, 2014

Themenspezifische Programme Agenda present and proposed Community role in combating tobacco consumption (1996), Greenpaper towards a Europe free from tobacco smoke (2007)

8.1.1

Feldspezifische Programme der EU-Gesundheitspolitik

Um die Strukturierung des Politikfeldes durch zentrale Agenden zu untersuchen, konzentriert sich die Analyse in diesem Kapitel auf die Rahmenprogramme der EU zur Gesundheitspolitik. Das erste dieser Programme1 wurde 1994 formuliert und trat 1996 in Kraft. Es markiert einen der ersten Schritte der Gemeinschaft hin zu einem abgegrenzten europäischen Politikfeld Gesundheit, fällt vergleichsweise knapp aus und skizziert das Feld und seine Schwerpunkte. Im Fokus steht die Herleitung der Zuständigkeit der europäischen Gemeinschaft über die Förderung eines „high level of public health“ innerhalb der europäischen Gemeinschaft (COM 94/202: 1)2 . Im Zentrum des Programms stehen Risiken für die Gesundheit der Unionsbürger, bspw.: „[…] drug abuse, smoking and environmental pollution have a harmfull effect on health […] (ebd.). Darüber hinaus wird, im Hinblick auf Ernährungsfragen, die Rolle individueller Entscheidungen in den Fokus gestellt: „[…] the promotion of a healthy lifestyle related to nutrition is vitally important to enable people to make the necessary choices for ensuring appropriate nutrition […]“ (COM 94/202: 1). Deutlich wird hier eine Bezugnahme auf Entscheidungen 1 Dieses

Programm stellt formal nicht das erste dar. Die EU selber nennt das Programm ab 2003 das erste Aktionsprogramm im Bereich der Gesundheitspolitik. Dennoch stellt das hier einbezogene Programm von 1996 eine erste europäische Befassung mit dem gesamten Politikfeld Gesundheit dar. Weswegen es durchaus als das erste Programm dieser Art bezeichnet werden kann. 2 Diese Kommunikation der Kommission wurde in einer Resolution von Parlament und Rat angenommen und stellt das gesundheitspolitische Programm der EU dar, zu finden unter: OJ C 65, 4.3.1996, S. 149. Der längere Prozess der Erstellung dieses Programms (von 1994 bis 1996) kann ein Indikator für längere Abstimmungsprozesse am Beginn der Etablierung dieses Politikfeldes sein. In dieser Arbeit kann ich hierauf allerdings nicht im Detail eingehen, da dies nicht im eigentlichen Fokus der Analyse steht.

8.1 Kontext der Instrumentenwahl

121

der EU-Bürger im Kontext einer gesunden Lebensweise. Ähnlich wie im Fall der europäischen Umweltpolitik stehen hier also zunächst Entscheidungen von Bürgern im Fokus, die durch Informations- und Bildungsmaßnahmen gefördert werden sollen, wobei „[…] education measures in the workplace, particularly in relation to prevention of alcohol abuse and tobacco consumption […]“ betont werden. (COM 94/202: 3)3 . Insgesamt entwickelt das Programm eine erste Schwerpunktsetzung einer europäischen Gesundheitspolitik. Mit dem Programm zur „Community Action in the field of public health 2003–2008“ werden wesentliche Weichenstellungen des Vorgängerprogramms aufgenommen4 . Zentral für das Politikfeld ist dabei die Maßgabe, den Gesundheitsschutz in allen anderen Politikbereichen der EU zu berücksichtigen: „The programme shall thereby contribute to […] ensuring a high level of health protection in the definition and implementation of all Community policies […]“ (Directive 1786/2002/EC: 6)5 . Mit Bezug auf Tabakprodukte wird eine Steigerung der „public awareness“ verfolgt (Directive 1786/2002/EC: 11). Dabei wird Tabakkonsum in den Kontext bestimmter Lebensstile gesetzt. Charakteristisch für die Agenda ist das Ziel, den Fluss von Informationen zu fördern, „[…] in order to promote better knowledge and communication flows and thus enable a greater involvement of individuals in decisions that concern their health […]“ (Directive 1786/2002/EC: 1). Hier wird also durchaus eine aktive Bürgerrolle angenommen. Das dritte hier einbezogene Programm der EU trat 2008 in Kraft (Decision 1350/2007/EC). Wie auch die Vorgängerprogramme definiert diese Agenda zentrale Ziele und Herausforderungen in der EU-Gesundheitspolitik6 . Daran anknüpfend formuliert das Programm folgendes Ziel für die europäische Tabakpolitik: „creating supportive environments for healthy lifestyles […] on addiction-related determinants such as tobacco […]“ (Decision 1350/2007/EC: 11). Im Vergleich zu 3 Im

Politikfeld wird zudem eine Unterscheidung zwischen Tabak- und Alkoholprodukten deutlich, wobei Tabakerzeugnisse häufig als Genussmittel betrachtet werden. Bei Alkoholprodukten steht hingegen die Suchtgefährdung oftmals im Fokus. Darauf wird in dieser Analyse aber nicht ausführlicher eingegangen. 4 Dass zentrale Punkte übernommen werden, zeigt dieses Kapitel im weiteren Verlauf. Dieser Aspekt spricht auch dafür, das Programm von 1996 in diese Analyse einzubeziehen und es als das erste supranationale Programm zur Gesundheitspolitik zu erfassen. 5 Dabei geht das Programm auf eine Reihe von Gesundheitsgefährdungen ein, wie bspw. HIV/AIDS, „anti-microbial resistance“, „cross-border“ Bedrohungen, wie Infektionskrankheiten, „environmental pollution or food contamination“ (Directive 1786/2002/EC: 3 f.). 6 Hierbei nimmt das Dokument Bezug auf „[…] serious cross-border health threats […]“ (Decision 1350/2007/EC: 3) und setzt sich ausführlich mit Faktoren auseinander, welche die Gesundheit der EU-Bürger negativ beeinflussen. Dazu werden u. a. gezählt: „[…] heart disease, […] depressive disorders […], alcohol use […], lung cancer […]“ (ebd.).

122

8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

früheren Programmen wird hier Tabakkonsum stärker unter Bezug auf Abhängigkeit diskutiert und nicht mehr als Genussmittel. Deutlich wird ebenso, dass mit der Förderung eines Umfeldes, das die Reduktion von Tabakkonsum begünstig, ein umfassendes Ziel formuliert wird. Was genau zu diesem unterstützenden Umfeld gezählt wird und welche Maßnahmen hierzu getroffen werden sollen, wird im Programm nicht ausgeführt. Hinsichtlich der Adressaten wird keine explizite Festlegung oder Beschreibung der Zielgruppe vorgenommen. Aus der Bezugnahme auf Informationen, die Bürger von gesunden Lebensweisen überzeugen sollen, kann eher auf eine starke Charakterisierung der Adressaten geschlossen werden. Diese müssen für Informationen und Entscheidungshilfen offen sein, um auf diese Art der Steuerung anzusprechen. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass das Programm eine Schutzbedürftigkeit identifiziert. Diese ist, unabhängig von bspw. chemischen oder biologischen Gefahren, im gesamten Programm deutlich. Zielgruppencharakterisierungen können hier eher implizit festgestellt werden. Das vierte hier betrachtete Programm ist das „third Programme for the Union’s action in the field of health (2014–2020)“, das 2014 in Kraft trat (Regulation 282/2014). Wie auch die anderen zuvor formulierten Programme verfolgt dieses das Ziel eines „high level of human health protection“ (Regulation 282/2014: 1). Auch dieses Programm verortet die europäische Gesundheitspolitik im Spannungsfeld aus Gesundheitsschutz und Aktivierung der Bürger zu gesunden Lebensweisen. Letzterer Punkt wird in diesem Programm deutlicher als in den Vorgängeragenden formuliert, greift deren Schwerpunktsetzung aber auf. So ist das Ziel der Gesundheitspolitik ein „empowering“ der EU-Bürger. Diese sollen eine „active role in managing their health“ übernehmen und zu diesem Zweck politisch adressiert werden (Regulation 282/2014: 1). Hierbei steht die Aktivierung von Bürgern durch Informationen im Fokus, sodass diese „informed choices“ treffen können (Regulation 282/2014: 2). In diesem Kontext wird auch auf Tabakkonsum hingewiesen (Regulation 282/2014: 11). Ebenso wird aber auch auf den Schutz der Bürger hingewiesen und u. a. das Ziel formuliert: „Protect Union citizens from serious cross-border health threats“ (ebd.). Gerade mit Bezug auf eine aktive Bürgerrolle und das Treffen von Entscheidungen für eine gesunde Lebensweise werden (implizite) Bezüge zu einem starken Zielgruppenverständnis deutlich. Ebenso betont das Programm aber auch einen Präventivgedanken, bei dem Bürger vor gesundheitsschädlichen Faktoren geschützt werden sollen und bei dem zudem „[…] underlying factors of a social and environmental nature […]“ einbezogen werden sollen (Regulation 282/2014: 3). Der Gedanke, der hierbei formuliert wird, kann eindeutig in den Kontext eines schwachen Adressatenbildes gesetzt werden. Vor allem die Betonung von underlying social factors ist hier relevant, da deutlich wird, dass diese Faktoren

8.1 Kontext der Instrumentenwahl

123

Einfluss auf Gesundheit, Adressierung und Schutz der Adressaten haben und nicht nur souveränes Verhalten eine Rolle spielt. Alle untersuchten Programme gehen auch auf Politikinstrumente ein. Dabei erfolgt aber eine breitere Diskussion möglicher Instrumente als im Fall der EUUmweltpolitik. Das Programm des Jahres 2007 steht hierfür exemplarisch. Das Programm geht an zahlreichen Stellen auf die Notwendigkeit der besseren Information der Bürger ein. So sollen durch politische Maßnahmen „[…] health information and knowledge“ verbreitet werden (Decision 1350/2007/EC.: 7). Diese Beispiele stehen hier nur stellvertretend für die ausführliche Bezugnahme auf Informationsaspekte. Andererseits wird aber auch an vielen Textstellen der Schutzgedanke aufgeführt. So beschreibt die Agenda das zentrale Ziel „to protect the health and safety of citizens“ (Decision 1350/2007/EC: 3). Aber auch hier wird keine explizite Festlegung auf Instrumente vorgenommen. Auch mit Blick auf die Agenda des Jahres 2014 wird deutlich, dass keine starre Festlegung auf ein bestimmtes Set von Politikmaßnahmen erfolgt. Deutlich ist, dass die Agenda auf bestehende Instrumente verweist und eine – wenn notwendig – Verbesserung dieser anstrebt: „[…] including the use of existing instruments and, as appropriate, further development of […] health information […].“ (Regulation 282/2014:3) Im Vergleich der vier Programme wird dabei eine große inhaltliche Konsistenz deutlich. Sowohl hinsichtlich der Zielgruppencharakterisierung, der Rolle der Bürger als auch mit Bezug auf Politikinstrumente werden bestimmte Ideen über die Programme fortgeschrieben, wobei klare Festlegungen ausbleiben: (1) Es können sowohl Bezüge auf starke als auch schwache Zielgruppen identifiziert werden. (2) Es werden vor allem Informationsinstrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens besprochen, eine exklusive Festlegung auf eine Art von Maßnahmen bleibt aber aus. (3) Tabakkonsum und politische Maßnahmen zu seiner Eindämmung werden in den gesundheitspolitischen Agenden behandelt, wobei ebensowenig eine Festlegung auf bestimmte Maßnahmen erfolgt. Allerdings zeigt sich eine Verschiebung in der Behandlung von Tabakprodukten. Wurden diese in den 1990er Jahren eher als Konsumprodukte behandelt, wird in den 2000er Jahren auf Aspekte der Abhängigkeit und Sucht eingegangen.

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8.1.2

8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Themenspezifische Programme zur Tabakpolitik in der EU

Dieses Kapitel konzentriert sich auf themenspezifische Programme, die grundlegende Schwerpunkte auf Feldebene konkretisieren (Howlett 2009). Für die Analyse beziehe ich mich auf die zwei zentralen Programme zum Tabakkonsum (s. Tabelle 8.1). Auch in diesem Analyseschritt konzentriere ich mich darauf, (a) welche Ideen und Interpretationen zu Zielgruppen formuliert werden, (b) ob und wie Instrumente zur Adressierung individuellen Verhaltens besprochen werden und (c) welche Relevanz individuellem Verhalten zugewiesen wird. Die „Communication from the Commission to the Council and the European Parliament on the present and proposed Community role in combating tobacco consumption“ (COM 96/609) aus dem Jahr 1996 stellt die erste umfangreiche Befassung der Kommission mit dem Thema Tabakkonsum dar. Das Programm verfolgt das zentrale Ziel, eine „effective anti-smoking“ Politik (COM 96/609: 1) in der Europäischen Union durchzusetzen. Dabei konzentriert es sich auf die Reduktion der „incidence of smoking“ (ebd.). Im Programm werden verschiedene Zielgruppen der Politik zu Tabakkonsum behandelt. Zunächst geht das Programm auf Frauen ein, die insgesamt seltener als Männer rauchen. Jedoch, so die Agenda, kann ein Anstieg der rauchenden Frauen festgestellt werden: „[…] the gap is narrowing as the rate of uptake among younger women rises […]“ (COM 96/609: 2). Dabei geht die Agenda vor allem auf „changes in lifestyles“ ein, die zudem durch „successful niche marketing“ die Zunahme an Tabakkonsum bedingten (ebd.). Hier können Bezüge zu einem schwachen oder verletzlichen Verbraucherverständnis hergestellt werden. Zwar ist die Agenda sehr knapp in ihrer Beschreibung, dennoch ist der Verweis auf Lebensstile durchaus ein Hinweis auf Verhaltensweisen, die z. B. durch Routinen geprägt sind und damit einem schwachen Zielgruppenbild zugeordnet werden können. Ebenso wird ein Anstieg des Tabakkonsums unter Jugendlichen identifiziert: „There is a remarkable rise in smoking among young people from a rate of around 1 % at age 11 to between 20 % and 33 % at 15 years of age […]“ (COM 96/609: 2). Als Grund für diesen Anstieg und zentrales Problem für gesundheitspolitische Ansätze ist dabei, dass diese Altersgruppe Gesundheitswarnungen ignoriert: „Many young people are clearly ignoring the evidence of the harmful effects of tobacco“ (ebd.). Darüber hinaus wendet sich, so die Agenda, auch das Marketing und die Werbung für Tabakprodukte an diese Altersgruppe in „[…] their formative years“ (ebd.). Auch hier wird eine schwache Zielgruppencharakterisierung deutlich, bei der emotionale oder kulturelle Faktoren handlungsleitend sind und weniger eine Abwägung der Gesundheitsfolgen getroffen wird. Auf einen souveränen Entscheidungsprozess ausgerichtete Informationen seien bei dieser Zielgruppe

8.1 Kontext der Instrumentenwahl

125

nicht wirksam. Weiterhin unterscheidet das Programm auch Zielgruppen nach sozioökonomischen Faktoren oder Bildungsstand und kommt dabei zu der zentralen Einsicht: „The better-off increasingly avoid smoking“ (COM 96/609: 3). Dabei stellt das Dokument einen Zusammenhang aus höherem Gesundheitsbewusstsein und Bildungsstand sowie Einkommen her: „A further notable trend is the higher prevalence of smoking in lower socio-economic groups as better educated, better paid and more health conscious individuals increasingly avoid smoking […]“ (ebd.). Auch diese Perspektive kann in den Kontext eines schwachen Verbraucherbildes gesetzt werden. Zumindest Personen mit geringerem Bildungsstand und einem geringeren Gesundheitsbewusstsein scheinen durch ihre Lebensstile und Handlungsroutinen im Alltagshandeln beeinflusst und sind so auch weniger souverän im Hinblick auf Tabakkonsum und (un-)gesunde Lebensstile. Außerdem werden auch Nichtraucher als relevante Bevölkerungsgruppe für diese Thematik angesehen: „Non-smokers are increasingly demanding protection from smoking“ (COM 96/609: 3). Aufgrund der Gefahren durch passives Rauchen weist das Programm Nichtrauchern ein Recht auf Schutz ihrer Gesundheit zu: „[…] nonsmokers have every right to expect that their health is not impaired by smokers. This is especially the case for […] pregnant women and children […]“ (ebd.) Diese Schwerpunktsetzung im Programm identifiziert explizit Zielgruppen, die geschützt werden müssen und die nicht immer frei oder selbständig über den Schutz ihrer Gesundheit entscheiden können (bspw. in öffentlichen Gebäuden, in denen sie dem Passivrauchen ausgesetzt sind). Darüber hinaus nimmt die Agenda aber auch starke Konsumenten an, die auf Produktinformationen ansprechen: „[…] the labelling of tobacco products […] have alerted consumers […] of the dangers of smoking […]“ (COM 96/609: 4). Das zweite themenspezifische Programm, das hier analysiert wird, ist das „Green Paper – Towards a Europea free from tobacco smoke: policy options at EU level“, das 2007 von der Kommission veröffentlicht wurde (COM 2007/27). In diesem Green Paper wird ein umfassender Ansatz der europäischen Tabakpolitik entwickelt. Die Agenda bezieht sich auf eine Reihe von Zielgruppen, die im Dokument differenziert betrachtet werden. Um den Tabakkonsum insgesamt zu reduzieren, sollen einerseits Raucher dazu gebracht werden, den Konsum zu verringern oder einzustellen (COM 2007/27: 8.). Andererseits sollen auch möglichst alle Bürger davon abgehalten werden, Tabak überhaupt zu konsumieren (ebd.) bzw. mit dem Konsum zu beginnen (COM 2007/27: 4). Auch dieses Programm geht ausführlich auf unterschiedliche Gruppen ein. Als besonders schutzwürdig werden behandelt: „young children and infants“, „pregnant women“, „children and young people“ (COM 2007/27: 4). Wie auch im ersten betrachteten Programm wird auf sozio-ökonomische Faktoren eingegangen, die bei der Verringerung des Rauchens berücksichtigt werden müssen

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8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

(ebd.: 8). Diese Befassung mit dem Tabakkonsum deutet schon ein wesentlich differenzierteres Verständnis von Einflussfaktoren auf individuelles Handeln an. Eine zentrale Textstelle im Dokument bezieht sich bspw. auf die Wahrnehmung von Tabakkonsum. So verfolgt die Agenda das Ziel, eine „de-normalisation of smoking“ (Hervorhebung im Original) innerhalb der Gesellschaft zu erreichen (COM 2007/27: 8). Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte Verhaltensweisen (in diesem Fall das Rauchen) gesellschaftlich als normal oder nicht normal angesehen werden. Hier wird eindeutig nicht nur auf souveräne Entscheidungsprozesse Bezug genommen, die durch eine bessere Information beeinflusst werden können, sondern über soziale und kulturelle Faktoren argumentiert. Zur Verhaltensänderung, so die Agenda, müssen emotionale und kulturelle Faktoren einbezogen werden, die wiederum auf eine schwache Zielgruppencharakterisierung hindeuten. Würde hier vom souveränen Idealtyp ausgegangen, wären Informationen zum Effekt des Rauchens ein ausreichender Eingriff in individuelles Handeln. Hingegen wird aber im Green Paper die Perspektive eingenommen, dass ein bestimmtes Verhalten entnormalisiert und Individuen von einem Verhalten abgebracht werden sollen7 . Diese Interpretation wird auch mit Bezug auf bestehende Rauchverbote und deren Überwachung unterstützt: „[…] a total smoking ban is almost self-enforcing as social pressure becomes a powerful curb on smoking and drastically reduces the need for enforcement by formal authorities“ (COM 2007/27: 12). Die formulierte Annahme, dass individuelles Verhalten durch Emotionen oder sozialen Druck verändert werden kann, deutet klar auf eine schwache Zielgruppencharakterisierung hin. Beide Agenden diskutieren Instrumente, um das Ziel einer Reduktion des Tabakkonsums zu erreichen. Dabei geht das erste Programm (aus dem Jahr 1996) auf eine Vielzahl von Optionen ein. So wird die Wirkung von Steuern auf den Tabakkonsum besprochen (COM 96/609: 5)8 und auf Informationsinstrumente Bezug genommen: „[…] high taxation policy needs to be accompanied by flanking measures, such as smoking cessation assistance provided to consumers, curbs on promotion […], health education and information campaigns“ (COM 96/609: 5). Zudem greift die Agenda unterschiedliche Zielgruppen, die zuvor beschrieben wurden, wieder auf und nennt Instrumente, um diese anzusprechen: „Promote measures to increase awareness among the public and especially pregnant women of the dangers of smoking […]“ (COM 96/609: 7). Neben den genannten Instrumenten favorisiert die Agenda auch das Verbot des Rauchens in öffentlichen Räumen und Plätzen: „To 7 Das

Programm betont diese Perspektive und das Ziel einer Entnormalisierung des Rauchens mehrfach und diskutiert auch an weiteren Stellen ausführlich die Rolle von kulturellen Faktoren und Normen, u. a. COM 2007/27: 8. 8 Ein Experte, der für diese Arbeit befragt wurde, zieht dies in Zweifel, worauf in der Folge in diesem Kapitel noch eingegangen wird.

8.1 Kontext der Instrumentenwahl

127

protect […] non-smokers and prevent involuntary exposure to […] tobacco smoke […] smoking [should] be banned in public places and in the workplace“ (COM 96/609: 12). Auch die Agenda aus dem Jahr 2007 diskutiert unterschiedliche Ansätze, um das Ziel „Towards a Europe free from tobacco smoke“ zu erreichen (COM 2007/27: 1). Als zentrales Instrument werden Rauchverbote besprochen (COM 2007/27: 11). Diese Option für ein generelles Rauchverbot wird im Dokument auch als beste Lösung angesehen, da sie den größten (angenommenen) Effekt hätte (COM 2007/27: 20). Aber auch freiwillige Maßnahmen werden erwähnt, die eine Ausweitung rauchfreier Räume anvisieren (COM 2007/27: 17). Auch die Variante einer „Commission or Council Recommendation“ wird im Green Paper diskutiert (COM 2007/27:18). Auch in diesem Programm wird auf Informationen und Wege, Verhalten zu adressieren, eingegangen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass beide Agenden die Schwerpunkte der feldspezifischen Programme aufgreifen und konkretisieren: (1) Die Agenden gehen differenziert auf Zielgruppen ein, wobei ein schwaches Zielgruppenverständnis dominiert. Beide Programme gehen zudem detailliert auf unterschiedliche Zielgruppen ein, z. B. Jugendliche, Frauen, Nichtraucher. (2) Außerdem erfolgt eine detaillierte Besprechung von Instrumenten, die in den feldspezifischen Agenden nicht in dieser Ausführlichkeit vorgenommen wurde. Allerdings werden keine Ansätze vorgeschlagen, die nicht in den Kontext der feldspezifischen Zielsetzungen passen würden. So knüpfen die Agenden zum Tabakkonsum an die (abstrakteren) Festlegungen im Politikfeld an. Insgesamt erfolgt in diesem Politikfeld also keine so zentrale Festlegung auf bestimmte Instrumente, wie im Fall der Umweltpolitik. Auch werden vielfältigere Deutungen zu Adressaten im Feld verankert als im ersten Fall.

8.1.3

Mitgliedstaaten und ihre Policies als Kontext der EU-Gesundheitspolitik

In diesem Kapitel soll, analog zum Fall der Umweltpolitik, die Rolle der Mitgliedstaaten betrachtet werden9 . Vor allem ist hier relevant, welche nationalen 9 Auch

hier konzentriere ich mich wieder auf ambitionierte ‚Frontrunner‘ in der EU, um darzustellen, welche Maßnahmen auf nationaler Ebene genutzt werden. Diese können wiederum Anknüpfungspunkte für eine supranationale Policy-Gestaltung darstellen.

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8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Schwerpunktsetzungen und Instrumente einen strukturierenden Einfluss auf die europäische Politik in diesem Bereich haben können. Zunächst ist hier darauf hinzuweisen, dass in der bisherigen Forschung zu Gesundheitspolitik ausführlichere vergleichende und dabei genuin politikwissenschaftliche Studien zu den Mitgliedsländern, anders als mit Blick auf umweltpolitische Fragestellungen, noch selten sind10 . Joosens und Raw (2006) haben mit ihrer Studie zum ‚tabacco control scale‘ und der regelmäßigen Aktualisierung dieser Aufstellung einen der wichtigsten Beiträge geleistet. Mit diesem ‚tobacco control scale‘ messen die Autoren, wie stark in einzelnen Ländern Tabakkonsum politisch (mit unterschiedlichen Maßnahmen) gesteuert oder eingeschränkt wird11 . Sie messen dabei den Preis von Tabakprodukten, Maßnahmen zu Rauchverboten in öffentlichen Räumen oder in Arbeitsstätten, staatliche Ausgaben für Informationskampagnen, Werbeverbote und Hilfsangebote für Raucher (Joosens/Raw 2006: 250). Der ‚tobacco control scale‘ vergleicht eine Reihe von Ländern, darunter auch die EU-Mitgliedstaaten. Deutlich wird bei dieser Betrachtung, dass zwischen den EU-Staaten große Unterschiede bestehen: So nehmen Irland und das Vereinigte Königreich eine Spitzenposition aufgrund ihrer Regulierungen ein, während Österreich oder Luxemburg nicht einmal halb so hohe Werte erreichen12 . Vor allem das Vereinigte Königreich kann daher als Spitzenreiter in der Tabakpolitik bezeichnet werden und wird in der Folge intensiver betrachtet. Im Vereinigten Königreich wurden Politiken, die den Tabakkonsum adressieren und reduzieren sollen, bereits in den 1960er Jahren formuliert und eingeführt. So durfte ab 1965 nicht mehr im Fernsehen für Zigaretten geworben werden. Warnhinweise wurden 1971 erstmals auf Tabakprodukten angebracht, wobei dies im Rahmen einer freiwilligen Vereinbarung mit der Tabakindustrie beschlossen wurde und einen eher sanften Einstieg in dieses Steuerungsinstrument darstellte (Cairney 2007: 49 f.). Auch Maßnahmen zur Reduktion schädlicher Inhaltsstoffe wurden über freiwillige Vereinbarungen mit der Tabakindustrie getroffen. Daneben werden Tabakprodukte bereits seit den 1980er Jahren besteuert, wobei hier explizit dem 10 Eine

Ausnahme bildet hier Cairney et al. 2012. Messung und Einordnung basiert dabei v. a. auf Experteneinschätzungen und weniger stark auf weitergehenden Policy-Analysen. Dennoch bietet diese Skala einen guten Überblick über die untersuchten Länder. 12 Bei der Bewertung der Politiken der Länder werden insg. bis zu 100 Punkte vergeben, wobei der Preis für Tabakprodukte mit bis zu 30 Punkten am höchsten von allen Kategorien gewertet wird. Irland und das Vereinigte Königreichen erhalten im Scale von 2006 bspw. 74 und 73 Punkte, Luxemburg nur 26 und Österreich 31. Der Durchschnittswert aller betrachteten EUStaaten lag 2006 bei 46,7 Punkten und damit unter der Hälfte der möglichen 100 Punkte, was auf eine eher geringe Dichte und Intensität an Tabakpolitik insgesamt in der EU schließen lässt (s. Joosens/Raw 2006). 11 Die

8.1 Kontext der Instrumentenwahl

129

Ziel einer Reduktion des Tabakkonsums gefolgt wird (Cairney/Yamazaki 2017: 3). Vor allem seit den 2000er Jahren wurde zunehmend über verpflichtende staatliche Maßnahmen auf Tabakkonsum und Rauchverhalten Einfluss genommen. Zu den getroffenen Maßnahmen zählen weitgehende Rauchverbote (bspw. in Autos, wenn auch Kinder mitfahren) und umfangreiche Verbote von Tabakwerbung (Cairney, Yamazaki 2017: 3). Diese Vorreiterrolle des Vereinigten Königreichs kann jedoch nicht losgelöst von europäischen Ansätzen gesehen werden. So kann vor allem bei Tabakwerbeverboten ein Einfluss europäischer Politiken nachgewiesen werden, der auch den Fortschritt in diesem Bereich auf nationaler Ebene befördert hat (Cairney 2007: 54 f.)13 . Neben dem Vereinigten Königreich kann auch Frankreich eine Vorreiterrolle in der Tabakpolitik zugewiesen werden (Nathanson 2004; Cairney et al. 2012). Bereits 1976 wurde das Rauchen in öffentlichen Räumen eingeschränkt, um einen ausreichenden Gesundheitsschutz zu gewähren (Nathanson 2004: 138). Zudem ist die Tabakpolitik in Frankreich Teil der Drogenpolitik und wird damit genauso behandelt wie Alkohol oder Heroin (Nathanson 2004: 152). Dass diese Einordnung von Tabakprodukten Frankreich als ambitioniertes Mitgliedsland kennzeichnet, zeigt ein Blick in andere EU-Staaten. Beispielsweise wurde Tabak in Deutschland bis in die 1970er Jahre als Genussmittel angesehen. Erst in der nachfolgenden Dekade erfolgte ein Wandel und eine zunehmende Betonung von Gesundheitsaspekten (Frankenberg 2004: 161, 171). Auch bei Steuern auf Tabakprodukte lassen sich Unterschiede zwischen Vorreitern unter den EU-Mitgliedsländern und weniger ambitionierten Staaten erkennen. In Dänemark wurde bereits 1912 eine Steuer auf Tabakprodukte eingeführt (Albaek 2004: 190). Diese diente zunächst als Einnahmequelle auf das Luxus- und Genussmittel Tabak, entwickelte sich aber rasch zu einem Instrument staatlicher Steuerung. So wurden mit einer Steuerreform 1922 Tabak und Alkohol stärker besteuert: „[…] the […] reform definitely established that the use of tobacco, like the consumption of alcohol, had become a public issue that the state had a legitimate right to tax and regulate […]“ (Albaek 2004: 198). Die Besteuerung von Tabakprodukten reicht in Deutschland bis in das 17. Jahrhundert zurück, wurde aber erst Ende der 1980er Jahre auch unter gesundheitspolitischen Aspekten diskutiert (Frankenberg 2004: 162, 185). 13 Darüber hinaus bestehen in diesem Fall auch Unterschiede zwischen den Regierungskoalitionen: So hat die Labour-Regierung 2002 Verbote der Tabakwerbung schneller umgesetzt, als dies in der entsprechenden EU-Richtlinie gefordert war (Cairney 2007: 55). Auch die Rolle Schottlands als Vorreiter innerhalb des Vereinigten Königreichs spielt hier eine Rolle, um die weitreichenden Politiken in diesem Bereich zu erklären. Darauf kann hier nicht weiter eingegangen werden, Cairney (2007) und Cairney und Yamazaki (2017) stellen dies aber ausführlich dar.

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8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Insgesamt zeigt der Blick in die Mitgliedstaaten, dass sehr unterschiedliche Standards realisiert und Politikansätze verfolgt werden. Länder wie Frankreich, Dänemark und vor allem das Vereinigte Königreich nutzen vielfältige Ansätze aus Informationen, Steuern, der Einschränkung des Rauchens in der Öffentlichkeit, um die Gesundheit der Bürger zu schützen und die Zahl der Raucher zu reduzieren. Sie gehen in ihren Politiken dabei auch über die auf EU-Ebene festgelegten Standards hinaus. Andere Länder, wie bspw. Deutschland, sind hier weniger ambitioniert und erfüllen nur die Minimalstandards, die seit den 1980er und 90er Jahren auf EU-Ebene formuliert wurden (Gilmore/McKee 2004; Cairney et al. 2012).

8.1.4

Internationaler Kontext

Neben nationalen Politikansätzen der EU-Mitgliedstaaten stellt die Framework Convention on Tobacco Control (2005)14 der WHO die zentrale internationale Festlegung dar, die das Ziel verfolgt, Tabakkonsum zu reduzieren. In diesem Abschnitt wird gezeigt, welche Festlegungen in der Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) getroffen werden, wie Tabakkonsum beschrieben und welche Rolle diesem Konsum für die Gesundheit zugewiesen wird. Ohne hier systematisch auf den Einfluss dieses internationalen Abkommens auf die EU-Politik15 einzugehen, soll die Betrachtung aufzeigen, dass auf internationaler Ebene zum Teil sehr weitreichende Formulierungen und Interpretationen zur Problemdimension des Tabakkonsums getroffen werden. Diese sind so in den EU-Dokumenten nicht zu finden16 . So zeigt die Betrachtung der internationalen Ebene, dass vor allem Festlegungen auf EU-Ebene zentral für die Politikgestaltung in der Union sind. Die FCTC trifft mit Blick auf die Bedeutung von Tabakkonsum für die Gesundheit der Weltbevölkerung sehr deutliche Festlegungen. So bezeichnet das Dokument Tabakkonsum als „[…] tobacco epidemic […]“ und als „[…] global problem […]“ und setzt dies in den Zusammenhang mit „[…] devastating worldwide health, social, economic and environmental consequences […]“ (FCTC 2005: 1). Die Convention legt als zentrales Ziel eine kontinuierliche und substantielle Reduktion von „[…] tobacco use and exposure to tobacco smoke“ fest (FCTC 2005: 5). Ausgangspunkt 14 Die FCTC wurde ab 2003 von teilnehmenden Ländern unterzeichnet und trat am 27.02.2005 formal in Kraft. 15 Siehe auch Kapitel fünf zur EU-Tabakpolitik und der Rolle der WHO. 16 Alle Mitgliedstaaten der EU haben das Abkommen angenommen, wobei sich hier Unterschiede bei der Ratifizierung zeigen. So hat das Vereinigte Königreich bereits 2004 mit der Ratifizierung begonnen, Irland 2005, die Tschechische Republik aber erst 2012; s. United Nations Treaty Collection.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

131

ist auch hierfür die Annahme, dass Tabakkonsum eine massive Gesundheitsgefährdung darstellt: „The objective of this Convention […] is to protect present and future generations from the devastating health […] consequences of tobacco consumption […]“ (ebd.). Neben dieser Beschreibung des Problems adressiert die FCTC auch Maßnahmen, um die genannten Ziele zu erreichen. Als zentrales Instrument werden in Artikel 6 „Price and tax measures to reduce the demand for tobacco“ behandelt, die ein „[…] effective and important […]“ Instrument zur Reduktion von Tabakkonsum darstellen (FCTC 2005: 7). Daneben nennt die FCTC eine Reihe weiterer Instrumente, die in den teilnehmenden Staaten genutzt werden sollen, um Tabakkonsum einzudämmen. Darunter fallen u. a.: „[…] measures, providing for protection from exposure to tobacco smoke […]“ (Art. 8); Regulierungen zu Inhaltsstoffen (Art. 9); Festlegungen zu „Packaging and labelling of tobacco products“ (Art. 11); „[…] ban on advertising […]“ (Art.13). Insgesamt bespricht die FCTC so ein sehr breites Spektrum an politischen Maßnahmen, die der Reduktion des Tabakkonsums dienen sollen. Relevant für meine Untersuchung ist hier, dass die FCTC wesentlich weitreichender und deutlicher Tabakkonsum als zentrales Problem für die Gesundheit beschreibt als dies – v. a. im Hinblick auf die Bezeichnung als Epidemie – in den feld- und themenspezifischen Agenden der EU erfolgt. Auch die zentrale Stellung von ökonomischen Instrumenten und die ausführliche Besprechung eines Ansatzes, der vielfältige Instrumente nutzt, geht in dieser Hinsicht über die Behandlung des Themas in den themenspezifischen Programmen der EU hinaus, da v. a. fiskalische Maßnahmen in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten fallen und so auf EU-Ebene nicht adressiert werden können. Jedoch sind geforderte Maßnahmen, wie Warnhinweise und Rauchverbote, sehr wohl auch in der EU relevant.

8.2

Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

Dieses Kapitel stellt die Analyse der ausgewählten Policies dar und berücksichtigt dabei im Besonderen die Kombination von Zielgruppen, deren Charakterisierung und Annahmen zu ihrem Verhalten, mit den jeweiligen Instrumenten. Damit fokussiert die Analyse jetzt die Ebene der konkreten Politiken. Hierfür wurde die Tabakproduktrichtlinie (TPD) ausgewählt, die auch das Instrument der Verbraucherinformation auf Tabakprodukten bespricht. Es wird zudem die Überarbeitung dieser Richtlinie im Jahr 2014 betrachtet. Darüber hinaus widmet sich die Analyse auch dem zweiten Ansatz in der verbraucherfokussierten Tabakpolitik, dem Ansatz

132

8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

zu rauchfreien Zonen, wozu im Jahr 2009 eine Empfehlung verabschiedet wurde. Die Betrachtung in dieser Arbeit beginnt mit der Tabakproduktrichtlinie 2001, die alle Aktivitäten der EU mit Bezug zu Tabakprodukten zusammenfasste (also sowohl Produktion als auch Konsum adressiert). Bereits zuvor wurde mit den Richtlinien 89/622/EEC vom 13.11.1989 und 89/622/EEC vom 15.05.1992 die Kennzeichnung von Tabakprodukten adressiert. Darüber hinaus wurden mit der Richtlinie 90/239/EEC vom 17.05.1990 Limits für Nikotin- und Teergehalt in Tabakprodukten auf EU-Ebene geregelt. Diese verschiedenen Ansätze wurden in der Tabakproduktrichtlinie (2001/37/EC) vom 05.06.2001 gebündelt, um eine umfassende Regelung zu treffen. Im Fokus der folgenden Analyse stehen dabei die Maßnahmen, die individuelles Verhalten adressieren. Ich konzentriere mich in der Analyse wieder auf die Erstellung von Storylines. Dieser Analyseschritt bezieht sich außerdem intensiv auf die Kombination von unterschiedlichen Codes, die im Vorfeld der Analyse festgelegt wurden. Die Annahme ist hier, dass vor allem bei der Gestaltung konkreter Maßnahmen diese Kombination, bspw. von Adressaten und Instrumenten, relevant für die Politikgestaltung ist.

8.2.1

Erarbeitung der Tabakproduktrichtlinie im Jahr 2001

Die Erstellung der Richtlinie begann mit einem Vorschlag der Kommission vom 07.01.2000. Hierbei wurden die Hinweise auf Tabakprodukten überarbeitet, es wurden Warnhinweise (bspw. ‚Rauchen kann tödlich sein‘) und deren Größe auf den Verpackungen geregelt. In dieser Version des Instruments wurden aber noch keine grafischen Hinweise (sog. Schockbilder) verwendet. Insgesamt zeigt die Analyse, dass das Leitbild eines schwachen Konsumenten eine zentrale Rolle in allen Dokumenten spielt. Außerdem werden unterschiedliche, spezifische Zielgruppen17 betrachtet und diese im Kontext der Instrumentenwahl besprochen. Weiterhin stellt das Ziel des Gesundheitsschutzes ein zentrales Element dar, das mit Bezug auf das Instrument und die Adressaten behandelt wird. Die Analyse ergibt hier ein deutliches Cluster dieser Themen (s. Abbildung 8.1). So werden schwache Konsumenten mit Blick auf den Schutz der Gesundheit und im Kontext

17 Dass neben Konsumenten im Allgemeinen auch spezifische Gruppen betrachtet werden, zeigte sich schon bei der Betrachtung der feldspezifischen Agenden. Für die Analyse der konkreten Politiken wurde dieser Code übernommen und für die gesamte Analyse genutzt. So kann abgebildet werden, dass nicht nur idealtypische Annahmen zum individuellen Verhalten genutzt werden, sondern im Fall der Tabakpolitik auch unterschiedliche Gruppen besprochen werden.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

133

der Instrumentengestaltung miteinander verknüpft. Am häufigsten wurde die Kombinationen der Codes Gesundheitsschutz+Instrument (14-mal) identifiziert. Jeweils 13-mal wurde die Kombination Schwache Konsumenten+Gesundheitsschutz und Schwache Konsumenten+Instrument identifiziert. Damit wird deutlich, dass die Diskussion des Instruments und seiner Gestaltung eng an eine Konsumentenperspektive geknüpft wird, die einem schwachen Verbraucherleitbild entspricht.

Abbildung 8.1 Code-Cluster auf Basis aller Dokumente, Überarbeitung 2001

Der Vorschlag der Kommission befasst sich ausführlich mit der Kombination der unterschiedlichen Instrumente in einer Richtlinie und geht darüber hinaus intensiv auf die Adressierung von Konsumenten ein. Die häufigste Kombination von Codes im Kommissionsentwurf ist Instrument+Gesundheitsschutz (sechsmal). Die Kombination Schwache Konsumenten+Gesundheitsschutz wurde viermal, die Kombination Schwache Konsumenten+Instrument wurde dreimal identifiziert. Aber auch der Idealtypus eines starken Konsumenten wird im Kontext des Instruments genutzt, so wurde die Kombination Starke Konsumenten+Instrument zweimal identifiziert. Bei der Betrachtung der Cluster wird deutlich, dass die Kommission die Gestaltung des Instruments mit der Bezugnahme auf den Schutz der Gesundheit und auf schwache Konsumenten bespricht (s. Abbildung 8.2).

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Abbildung 8.2 Code-Cluster auf Basis der Kommissionsdokumente, Überarbeitung 2001

Die Bezugnahme auf Konsumenten erfolgt dabei zunächst im Hinblick auf die Notwendigkeit von Informationen zum jeweiligen Produkt und seinen Inhaltsstoffen: „[…] The consumer has the right to be informed of […] substances when purchasing or consuming the product […]“ (COM 1999/594: 2). In diesem Kontext wird auch auf den Binnenmarkt und nicht-einheitliche Regelungen in den Mitgliedstaaten verwiesen: „As a consequence, consumers in one Member State may be better informed than in another. Such differences are unacceptable and […] constitute a barrier to trade […]“ (COM 1999/594: 2). Im Kontext dieser Richtlinie bedeutet dies, dass der Bezug auf den Binnenmarkt (neben Bezügen auf Konsumenten und deren Gesundheitsschutz) auch für die Erweiterung der Hinweise herangezogen wird. Diese Erweiterung erfolgt mit Hinblick auf Bezeichnungen, wie „low tar“, die als irreführend für Konsumentinnen angesehen werden (COM 1999/594: 3). Der Abbau von Handelshemmnissen wird auch mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes begründet: „Those barriers should be eliminated […], in order to guarantee the protection of the health of individuals“ (COM 1999/594: 1).

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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Insgesamt zeigt die Analyse, dass der Vorschlag der Kommission intensiv auf schwache Verbraucher eingeht und diese im Kontext der Gestaltung des Instrumentes einbezogen werden. So wird wiederholt auf irreführende Informationen verwiesen oder der Schutz der Bürger in den Fokus gestellt, was eher auf eine schwache Zielgruppencharakterisierung hindeutet. Hier wird von Adressaten ausgegangen, die Schutz benötigen und trotz der unabhängigen Informationen durch Label in die Irre geführt werden können, bspw. durch Hinweise auf vermeintlich niedrige Nikotin- oder Teergehalte. Darüber hinaus nimmt die Kommission aber auch auf eine starke Verbraucherinnencharakterisierung Bezug, wenn die Information der Verbraucher betont wird. Beide Perspektiven auf Verbraucherinnen werden auch an den Binnenmarkt gekoppelt. So sei einerseits ein gleiches Level an Informationen im gesamten Markt notwendig, andererseits müsse aber auch der Schutz der Bürger insgesamt auf dem Binnenmarkt garantiert werden. Daraus werden letztlich die Vergrößerung und Erweiterung der Hinweise abgeleitet, worauf ich in der Folge eingehe. In ihren Stellungnahmen zum Vorschlag der Kommission gehen die Parlamentsausschüsse und der Bericht des Ausschusses für Umwelt und öffentliche Gesundheit intensiv auf die Gestaltung des Instruments und die Zielgruppe der Kennzeichnungen ein. So wurde die Code-Kombination Schwache Konsumenten+Instrument zehnmal identifiziert, die Kombination Schwache Konsumenten+Gesundheitsschutz tritt neunmal auf, Instrument+Gesundheitsschutz achtmal. Weniger häufig tritt die Bezugnahme auf spezifische Zielgruppen im Kontext der Befassung mit dem Instrument auf (dreimal). Diese Kombination unterscheidet die EP-Perspektive aber von der Kommissionsperspektive (s. Abbildung 8.3). So geht der Bericht des Rapporteurs auf unterschiedliche Zielgruppen ein und fordert, dass die Strategie der EU im Rahmen der Tabakpolitik „[…] auf die stärker gefährdeten Bevölkerungsgruppen […], insbesondere Jugendliche und Frauen […]“ ausgerichtet wird (A5-0156/2000: 13). Diese Perspektive spielt auch eine Rolle für die Ausgestaltung des Instruments, vor allem für die Formulierung von Warnhinweisen: „Daher sollte auf die Gefahren für Dritte, insbesondere Kinder, in dem Warnhinweis Bezug genommen werden“ (A5-0156/2000: 10).

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Abbildung 8.3 Code-Cluster auf Basis der EP-Dokumente, Überarbeitung 2001

Der ENVI-Ausschuss kritisiert vor allem den Ansatz der Information. Es wird im Bericht des Rapporteurs nicht bestritten, dass Verbraucherinnen über Produkte und deren Eigenschaften informiert werden sollten. Die Wirkung dieser Information auf Konsumenten wird aber ausführlich diskutiert: „Quantitative Informationen über den Schadstoffgehalt bergen die Gefahr, daß [sic] der Raucher in falscher Sicherheit gewogen wird. Die Raucher werden annehmen, daß [sic] […] ein geringer Schadstoffgehalt weniger Gefahr bedeutet. […] Tatsächlich gibt es keine ungefährlichen Zigaretten“ (A5-0156/2000: 18).

Diese Passage verdeutlicht, dass der Ausschuss von einem Adressaten ausgeht, der durch neutrale Informationen in die Irre geführt werden kann und diese Informationen nicht zur gewünschten Verhaltensänderung führen, weil Konsumenten diese Art der Kennzeichnung missinterpretieren könnten18 . Weiterhin geht der Bericht auch auf spezifische Gruppen ein. Diese Bezüge werden dann genutzt, um für eine 18 Daran anknüpfend schlägt der Bericht außerdem die Anbringung von Warnhinweisen an Verkaufsautomaten vor, weil diese Zigaretten permanent zur Verfügung stellen und einen besonders leichten Einstieg in das Rauchen darstellten (A5-0156/2000: 24).

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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Ausweitung des Instruments zu argumentieren. Insgesamt formuliert der Ausschuss folgendes Ziel: „Es bestehen keine Zweifel […] über die Notwendigkeit, unsere Bürger gegen die schädlichen Folgen des Konsums von Tabakerzeugnissen zu schützen und sie entsprechend zu warnen“ (A5-0156/2000: 35). Auch hier wird nochmals die Bezugnahme auf den Schutzgedanken deutlich, der insgesamt im Bericht im Kontext eines schwachen Konsumentenbildes gebraucht wird. Außerdem betont der Bericht, dass das Instrument der Verbraucherinformation nicht als neutrale Kennzeichnung, sondern als Warnung erfolgen soll. Anders als der ENVI-Ausschuss sieht der Ausschuss für Industrie die Vorschläge zur Vergrößerung und Ausweitung der Warnhinweise kritisch, da Tabak ein legales Genussmittel darstelle (A5-0156/2000: 42). Mit dem Verweis auf die Legalität von Tabakprodukten wird hier gegen eine Veränderung der Warnhinweise argumentiert. Auch hinsichtlich der Konsumenten nimmt dieser Ausschuss eine andere Position ein und zieht in Zweifel, dass Hinweise auf sogenannte Light-Produkte in die Irre führen können: „Produktbeschreibungen liefern den Verbrauchern nützliche Informationen über charakteristische Merkmale des Produkts […]. Da Raucher unterschiedliche Eigenschaften bevorzugen, bieten viele Hersteller Erzeugnisse mit […] unterschiedlichem […] Teer- und Nikotingehalt an“ (A5-0156/2000: 49).

Diese Passage verdeutlicht, dass der Ausschuss die Konsumentenfreiheit nicht einschränken möchte und davon ausgeht, dass Informationen wesentlich für das Verhalten der Adressaten sind. Darüber hinaus zieht die Stellungnahme dieses Ausschusses grundlegend in Zweifel, ob gesundheitspolitische Ziele mit den Binnenmarktvorschriften möglich sind: „Gesundheitspolitische Begründungen allein reichen nicht zur Änderung der Rechtsvorschriften aus […]“ (A5-0156/2000: 45). Im Hinblick auf die Größe der Hinweise auf den Tabakprodukten konnte sich letztlich das Parlament nur bedingt durchsetzen. Die Informationen zu Teer- und Nikotingehalt blieben Teil der Kennzeichnung und sollten nach der Richtlinie aus dem Jahr 2001 10 % der Verpackungsoberfläche einnehmen, der ENVI-Ausschuss hatte hier 30 % gefordert, der Vorschlag der Kommission sah von Anfang an 10 % vor. Die Warnhinweise (bspw. ‚Rauchen kann tödlich sein‘) sollten nach dem Vorschlag der Kommission 25–30 % der Verpackungsfläche einnehmen, der Rapporteur forderte in seinem Bericht eine Mindestgröße von 40 % der Oberfläche. Die Richtlinie sah letztlich eine Kennzeichnung auf 30–40 % (je nach Länge des Hinweistextes) der Verpackungsfläche vor. Die Analyse der Dokumente zeigt deutlich, dass die Perspektive auf die Adressaten und der Ansatz des Gesundheitsschutzes eine zentrale Rolle für die Gestaltung

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

des Instruments einnimmt. Während die Kommission gleichermaßen schwache und starke Konsumentencharakterisierungen nutzt und diese mit Ausgestaltung des Instruments verknüpft, geht der federführende Ausschuss stärker auf schwache Verbraucher ein und setzt diese in Bezug zum Instrument. Darüber hinaus wird im Bericht des ENVI-Ausschusses verstärkt auf spezifische Gruppen wie Kinder und Jugendliche Bezug genommen. Diese Perspektive wird ebenso mit der Instrumentenperspektive gekoppelt.

8.2.2

Überarbeitung der Tabakproduktrichtlinie im Jahr 2014

Die Überarbeitung der Tabakproduktrichtlinie (TPD) begann mit dem Vorschlag der Kommission vom 19.12.2012, in dem auf die Notwendigkeit der weiteren Anpassung von Regeln zum Verkauf und Konsum von Tabakprodukten im Binnenmarkt verwiesen wurde. Ein weiterer zentraler Grund für die Überarbeitung stellt die Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) der Weltgesundheitsorganisation dar, die bindende Regeln für die EU und ihre Mitgliedstaaten formuliert19 . Eine maßgebliche und für diese Arbeit zentrale Änderung der TPD betrifft das Produktlabel, das sich an Verbraucher richtet und im Rahmen der Überarbeitung hinsichtlich des Inhalts und der Form verändert wurde. Die Analyse der Dokumente zur Überarbeitung des Instruments zeigt, dass der Fokus auf dem Schutz der Gesundheit im Zusammenhang mit dem Instrument weiterhin besteht. Darüber hinaus erfolgt verstärkt eine Bezugnahme auf spezifische Zielgruppen, was diese Überarbeitung von der Politikerstellung im Jahr 2001 unterscheidet. Die Analyse zeigt, dass am häufigsten die Kombinationen Instrument+Gesundheitsschutz (22-mal), Spezifische Zielgruppe+Gesundheitsschutz (19-mal), Schwache Konsumenten+Instrument (17mal) und Spezifische Zielgruppe+Instrument (16-mal) auftreten. Das Instrument und seine Überarbeitung werden damit eindeutig auf eine schwache Verbrauchercharakterisierung und spezifische Zielgruppen, wie Kinder und Jugendliche, bezogen. Auch die Betrachtung der Code-Cluster illustriert diese Verknüpfung der Themen (s. Abbildung 8.4).

19 Die FCTC entfaltet auf EU-Ebene auch deswegen Wirkung, weil sich die Handelsbedingungen im Binnenmarkt ändern, wenn nur ein Mitgliedstaat seine nationalen Gesetzte in Reaktion auf die Ratifizierung der FCTC ändert und damit evtl. Handelshemmnisse entstehen. Darüber hinaus ist die gesamte EU Teilnehmer an der FCTC, worauf hier aber aus arbeitsökonomischen Gründen nicht weiter eingegangen werden kann.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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Abbildung 8.4 Code-Cluster auf Basis aller Dokumente, Überarbeitung 2014

Die Kommission fokussiert in ihrem Vorschlag den Schutz der Gesundheit und adressiert intensiv spezifische Zielgruppen, wie Jugendliche und Kinder. Folgende Code-Kombinationen treten am häufigsten auf: Instrument+Gesundheitsschutz (12mal), Spezifische Konsumenten+Instrument (achtmal), Instrument+Information (neunmal), Schwache Konsumenten+Instrument (sechsmal). Damit zeigt die Analyse, dass das Instrument der Tabakkennzeichnung und seine Gestaltung auf Verbraucherinnen bezogen wird. In diesem Kontext spielt sowohl der Schutz der Gesundheit als auch die Bereitstellung von Informationen eine Rolle. Die Produktkennzeichnung wird allerdings nur in wenigen Fällen als Mittel der Information besprochen, wesentlich häufiger werden Informationen als Mittel der Abschreckung in Form von Warnhinweisen diskutiert. So geht der Kommissionsvorschlag auf das Ziel der Überarbeitung der Labelingvorschriften ein: „The proposal seeks to ensure that the appearance of the package reflects the characteristics of the product inside […] – a product that has negative health consequences, is addictive, and is not for the consumption of children and teenagers“ (COM 2012/788: 7). Deutlich wird hier der Fokus auf eine bestimmte Zielgruppe, nämlich Kinder und Jugendliche, die vom Kauf der Produkte abgehalten werden sollen. Dies spielt auch

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

eine Rolle in der Ausgestaltung des Instruments, so werden besonders Zigaretten und loser Tabak besprochen, da diese Produkte häufig von jüngeren Konsumenten gekauft werden (Abbildung 8.5).

Abbildung 8.5 Code-Cluster auf Basis der Kommissionsdokumente, Überarbeitung 2014

Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung und dem besonderen Fokus auf bestimmte Adressaten schlägt die Kommission die Überarbeitung der Produktkennzeichnung vor. Hierbei sollen sowohl Angaben zu Inhaltsstoffen als auch die Warnhinweise verändert werden: „[…] the indication of the yields for tar, nicotine and carbon monoxide on cigarette packets have proven to be misleading as it makes consumers believe that certain cigarettes are less harmful than others. […] large combined health warnings are more effective than text-only warnings. In this light combined warnings should become mandatory […]“ (COM 2012/788: 18).

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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Diese Textstelle illustriert zunächst, dass die Kommission die Wirkung von Texthinweisen in Zweifel zieht20 . Die Verbraucherinformation wird hier auch nicht mehr als bloße Bereitstellung von Informationen zum Produkt, sondern als Warnhinweis charakterisiert. Um die Wirkung dieser Warnung zu erhöhen, sollen nach dem Willen der Kommission auch Bilder mit den Textwarnungen kombiniert werden. Ebenso wird deutlich, dass hier von einem Konsumenten ausgegangen wird, der durch neutrale Informationen zum Produkt (bspw. zum Nikotingehalt) in die Irre geführt werden kann, was der idealtypischen Charakterisierung eines schwachen Konsumenten entspricht. Die Kommission begründet diesen Vorschlag und die Überarbeitung des Instruments mit der Notwendigkeit einheitlicher Regeln für den Handel auf dem EU-Binnenmarkt (COM 2012/788: 17). Diese Begründung wird von anderen Akteuren kritisiert, worauf in der Folge noch näher eingegangen wird. Insgesamt zeigt die Analyse, dass die Kommission eine schwache Verbraucherperspektive, die Betonung spezifischer Zielgruppen und das Ziel des Gesundheitsschutzes mit der Überarbeitung des Instruments verbindet. Die Ausschüsse des Parlaments unterstützen den Kommissionsvorschlag insgesamt, beziehen bei einigen Themen aber unterschiedliche Positionen. Zunächst zeigt der Blick auf die Analyse, dass das EP insgesamt den Schutz der Gesundheit betont und sich dabei vor allem auf schwache und spezifische Zielgruppen bezieht (s. Abbildung 8.6).

20 Dabei bezieht sich der Kommissionsvorschlag auf Forschungserkenntnisse, diese werden aber nicht näher benannt oder erläutert. Die Rolle von wissenschaftlichen Erkenntnissen steht nicht im Fokus dieser Arbeit. Zweifelsohne spielt die Beratung durch Experten eine Rolle im Policy-Making. Dies wird im Rahmen der Diskussion in Kapitel 9 nochmals aufgegriffen.

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Abbildung 8.6 Code-Cluster auf Basis der EP-Dokumente, Überarbeitung 2014

Die Code-Kombination Schwache Konsumenten+Instrument wurde elfmal, die Kombination Spezifische Zielgruppe+Instrument achtmal und die Kombination Instrument+Gesundheitsschutz zehnmal identifiziert. Daneben zeigt die Analyse auch, dass ebenso die Kombination Starke Konsumenten+Instrument vorkommt (fünfmal). Letztere Kombination wurde bspw. in der Stellungnahme des Ausschusses für Industrie identifiziert, worauf in der Folge noch eingegangen wird. Der federführende Ausschuss für Umwelt und Gesundheit betont in seiner Stellungnahme (vom 24.07.2013) die Fokussierung auf junge Menschen und das Ziel, diese vom Rauchen abzuhalten (A7-0276/2013: 85). Hinsichtlich dieser Zielsetzung unterstützt der Ausschuss damit die Position der Kommission. Der ENVI-Ausschuss betont vor allem schwache Konsumenten und spezifische Zielgruppen im Kontext der Überarbeitung des Instruments (diese Kombinationen wurden sieben bzw. fünfmal identifiziert). Mit Blick auf die Ausgestaltung des Instruments will auch der ENVI-Ausschuss „[…] Warnhinweise mit Bild und Text, weil diese „[…] wirksamer sind als reine textliche Hinweise“ (A7-0276/2013: 19). So soll die Anbringung von Warnhinweisen den irreführenden Botschaften der Hersteller gegenübergestellt

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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werden, die „[…] Vorteile im Zusammenhang mit dem sozialen Status, dem sozialen Leben oder Qualitäten, wie etwa Weiblichkeit, Männlichkeit oder Eleganz, suggerieren […]“ (A7-0276/2013: 19). Damit bezieht der Bericht soziale und kognitive Faktoren ein und begründet damit die Gestaltung des Instruments. Diese Faktoren können eindeutig einer schwachen Adressatencharakterisierung zugeordnet werden. Ebenso relevant für die Vorschläge des Rapporteurs ist die Bezugnahme auf spezifische Zielgruppen. So betont der Bericht, dass Warnhinweise auch Bezug auf den Schutz von Nicht- und Passivrauchern nehmen sollten: „Tabakerzeugnisse […] emittieren […] Schadstoffe […]“, wobei es eindeutig sei, „[…] dass Passivrauchen Tod, Krankheit und Invalidität verursacht und dass insbesondere ungeborene Kinder und Säuglinge durch Passivrauchen gefährdet werden. […] Gesundheitsbezogene Warnhinweise sollten daher auch auf die gesundheitliche Gefährdung durch Passivrauchen aufmerksam machen“ (A7-0276/2013: 20).

Die Forderung des Ausschusses zeigt, dass die Ausgestaltung des Instruments und die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Hinweise auf den Schutz von Nicht- und Passivrauchern ausgerichtet sind und damit spezifische Gruppen und deren Schutz einbezogen werden. Hier kann auch argumentiert werden, dass mit den Hinweisen eine Art sozialer Druck erzeugt werden soll, indem Raucher über die Effekte ihres Verhaltens auf Dritte hingewiesen werden. Weiterhin bezieht sich der ENVIAusschuss auf die FCTC und deren Festlegungen hinsichtlich der Nutzung von Warnhinweisen (A7-0276/2013: 85 f.). Damit erfolgt auch in diesem Bericht eine explizite Bezugnahme auf den internationalen Politikkontext. Der Industrieausschuss formuliert in seiner Stellungnahme Kritik an den Forderungen der Kommission und des ENVI-Ausschusses. Dabei erkennt der Ausschuss das Problem des Konsums, gerade unter jungen Menschen, an und stellt zugleich den politischen Ansatz der EU-Politik hierzu grundlegend in Frage, weil damit ein „[…] Reiz des Verbotenen […]“ erzeugt würde (A7-0276/2013: 128). Der Bericht stellt weiterhin in Frage, ob Rauchen generell als schädlich betrachtet werden sollte (A7-0276/2013: 129). Daran anschließend werden im Bericht Änderungsvorschläge aufgeführt, die den Vorschlägen von Kommission und ENVI-Ausschuss gegenüberstehen. So geht der Industrieausschuss von starken Verbraucherinnen aus, die mit dem nötigen Wissen frei über ihren Konsum entscheiden können. Den Vorschlag der Kommission, Warnhinweise vorzuschreiben, die verdeutlichen, dass alle Tabakprodukte schädlich sind und damit womöglich irreführenden Informationen der Produzenten (bspw. zur geringen Schädlichkeit bestimmter Produkte) entgegenstehen, lehnt der Ausschuss ab. Stattdessen sollte „[…] durch eine geeignete

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

[…] Kennzeichnung […] eine Aufklärung der Verbraucher […]“ erfolgen (A70276/2013: 135), wodurch der Ansatz der TPD grundlegend verändert würde. In Anknüpfung an unterschiedliche Zielgruppenbilder werden durch die Ausschüsse unterschiedliche Gestaltungen der Instrumente vorgeschlagen21 . Besonders deutliche Kritik am Kommissionsvorschlag äußert der Rechtsausschuss und stellt das grundlegende Ziel der TPD in Frage. Zwar sei ein hohes Gesundheitsschutzniveau in der EU durch die Verträge vorgeschrieben, jedoch gehen die Vorschläge der Kommission aus Sicht des Ausschusses zu weit22 . So lehnt der Ausschuss Vorschriften zur Größe der Warnhinweise ab: „Aufgrund der vorgeschrieben [sic] Mindestgröße für die gesundheitsbezogenen Warnhinweise wird letztlich auch die Mindestgröße der Packungen festgelegt. Dadurch werden die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher eingeschränkt […]“ (A7-0276/2013: 311). Hier wird deutlich, dass der Ausschuss die freie Wahl von Verbraucherinnen nicht einschränken will und damit eher Bezüge zu einer Perspektive auf starke Verbraucher hergestellt werden. Abschließend kann festgehalten werden, dass in den Dokumenten zur Überarbeitung der Richtlinie deutlich wird, dass die Kommission und vor allem der ENVI-Ausschuss eine Perspektive auf schwache und spezifische Zielgruppen mit der Gestaltung des Instruments verknüpfen. So dienen diese Perspektiven auch dazu, eine Vergrößerung der Warnhinweise und eine Ergänzung durch grafische Warnungen zu begründen. Die Analyse zeigt auch, dass nicht alle Akteure diese Perspektive vollständig teilen. So sehen einige EP-Ausschüsse die Vorschläge kritisch und beziehen sich auch auf eine starke Verbraucherinnencharakterisierung im Zusammenhang mit anderen Vorschlägen zur Gestaltung des Instruments. Insgesamt dominiert aber ein schwaches Verbraucherbild und eine Betonung spezifischer Zielgruppen. Ebenso zeigt die Analyse, dass die Bezugnahme auf den Binnenmarkt zwar erfolgt, dieses Thema aber kaum im Kontext der Gestaltung des Instruments besprochen wird. Hingegen dominiert eine Storyline aus schwachen Adressaten und der Gestaltung des Instruments das Policy-Making, obwohl die Regulierung des Binnenmarktes und 21 Auch der Ausschuss für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz fokussiert ein souveränes Verbraucherbild (A7-0276/2013: 177), wohingegen der Landwirtschaftsausschuss eher auf eine schwache Charakterisierung Bezug nimmt (A7-0276/2013: 244). An die jeweilige Charakterisierung anknüpfend werden dann auch Unterstützung oder Kritik am Vorschlag von Kommission und ENVI-Ausschuss geäußert. Zudem sei darauf verwiesen, dass gerade der Industrieausschuss im regelmäßigen Austausch mit Vertretern der Tabakindustrie stand. Die Frage nach Interessenvertretung und deren Einfluss stehen hier aber nicht im Fokus, sondern die Frage nach der Bezugnahme auf Zielgruppen zur Begründung der jeweiligen Vorschläge. 22 Dies betrifft u. a. die unternehmerische Freiheit und Eigentumsrechte, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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die Zuständigkeit der EU hierfür überhaupt erst supranationale Regeln ermöglichen. Die ambitionierten Vorschläge der Kommission und des EVNI-Ausschusses, wonach 75 % der Packungsfläche für die kombinierten Warnhinweise (Text und Bild) genutzt werden sollten, wurden in der finalen Richtlinie auf 65 % reduziert. Dennoch kann hier von einer wesentlichen Verschärfung der Vorgaben gesprochen werden, da nicht nur die Größe der Kennzeichnung verändert wurde, sondern vor allem die Natur der Kennzeichnung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei beiden Überarbeitungen der Tabakkennzeichnung eine deutliche Bezugnahme auf schwache Zielgruppen aufgezeigt werden konnte: (1) Dabei steht der Bezug auf Adressaten und Annahmen zu deren Verhalten im Zentrum der Storyline. (2) Die Storyline verknüpft die Wahl und Gestaltung des Instruments mit den Zielgruppen und dem Ziel, deren Verhalten zu ändern. (3) Seltener wird auf souveräne Adressaten Bezug genommen. Storylines, die dieses Verhalten ins Zentrum des Policy-Makings rücken, werden nur von wenigen Akteuren erstellt.

8.2.3

Empfehlung zur Einrichtung rauchfreier Zonen 2009

Die Empfehlung23 zur Einrichtung rauchfreier Zonen folgt der Diskussion dieses Ansatzes im Rahmen des EU Programmes „Towards a Europe free from tobacco smoke“ (COM 2007/27), das bereits in dieser Arbeit besprochen wurde. Darüber hinaus werden rauchfreie Räume auch im Rahmen der FCTC der WHO empfohlen. Daran anknüpfend hat die Kommission den Entwurf für eine Ratsempfehlung am 30.06.2009 vorgelegt. Auch das EP bezog zu diesem Vorschlag Stellung, bevor die Empfehlung am 30.11.2009 angenommen wurde. Insgesamt zeigt die Analyse, dass auch dieses Instrument mit Bezug auf unterschiedliche Zielgruppen und eine schwache Adressatenperspektive (je fünfmal) diskutiert wird, hingegen nur selten auf eine souveräne Zielgruppencharakterisierung Bezug genommen wird. (Abbildung 8.7)24 . Ebenso wird das Ziel des Gesundheitsschutzes mit Bezug auf spezifische (elfmal) und schwache (achtmal) Zielgruppen diskutiert. Damit zeigt 23 Die

Diskussion des Charakters der Empfehlung als soft law erfolgt in Kapitel neun. Themen Gesundheitsschutz, spezifische und schwache Adressaten überschneiden sich in den Dokumenten so oft, dass die Codes in der Abbildung nahezu deckungsgleich sind, sodass hier die Abbildung leicht geändert wurde (die drei Begriffe wurden etwas auseinandergezogen), um eine Lesbarkeit zu gewährleisten. 24 Die

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sich auch mit Blick auf dieses Instrument, dass ein Bezug auf Adressaten hergestellt wird, wobei schwache und spezifische Adressaten im Fokus stehen.

Abbildung 8.7 Code-Cluster auf Basis aller Dokumente

Die Kommission stellt gleich zu Beginn ihres Vorschlages das Ziel dieses Instruments dar, dass nicht nur darin liegt, die Gesundheitsrisiken durch das Passivrauchen zu minimieren, sondern auch die Wahrnehmung des Rauchens insgesamt zu beeinflussen: „In addition to the health risk, exposure to tobacco smoke at home and in public places could increase childrens’ perceptions about smoking as common adult behaviour and thus could make it more likely that they will become smokers themselves“ (COM 2009/328: 2). Neben dem Fokus auf schwache Gruppen wie Kinder werden auch andere spezifische Gruppen identifiziert (u. a. in der Gastronomie), deren Gesundheit durch das Instrument geschützt werden soll (COM 2009/328: 2). Auf Basis des Artikels 152 (TFEU), der ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes in der EU fordert, schlägt die Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, die eine „[…] effective protection from exposure to tobacco smoke in indoor workplaces, indoor public places, public transport and, as appropriate, other public places […]“ garantieren (COM 2009/328: 8). Dabei zieht die Kommission

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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auch Querverbindungen zu anderen Ansätzen im Rahmen der Tabakpolitik, bspw. der Nutzung von Warnhinweisen auf Tabakprodukten (ebd.), um einen umfassenden Ansatz zum Gesundheitsschutz umzusetzen. Da es sich beim Vorschlag der Kommission um einen Entwurf für eine Empfehlung handelt, die der Rat annimmt, war auch die damalige Schwedische Ratspräsidentschaft wesentlich für die Erstellung der Empfehlung. Diese wurde in sehr kurzer Zeit erstellt (Kommissionsentwurf vom 30.06.2009) und angenommen (30.11.2009), wobei das Europäische Parlament unter hohen Zeitdruck gesetzt wurde. Dies kam in der Debatte zur Empfehlung im EP zur Sprache (Plenardebatte 25.11.2009). So wurde letztlich nur die Stellungnahme des EWSA berücksichtigt, der Bericht des ENVI-Ausschusses floss nicht in die Empfehlung ein. Die Berichterstatterin des Ausschusses für Umwelt und Gesundheit, Edite Estrela (S&D), kritisierte dies in ihrer Stellungnahme: „[…] I will begin by expressing my regret that the Swedish Presidency has decided to finalise this dossier without waiting for the Parliament’s report. This attitude shows an unacceptable disregard for those elected by Europe’s citizens“ (Plenardebatte 25.11.2009). Das EP beschloss am 26.11.2009 eine Resolution, in der es seine Position darlegte. Auf Basis dieser Resolution und des Berichts des Ausschusses für Soziales und Wirtschaft wurden die Code-Kombinationen analysiert (Abbildung 8.8). Auch wenn sich hierdurch nicht das komplette Bild ergibt, weil der zentrale Bericht ENVI-Ausschuss fehlt25 , zeigt es doch deutlich, dass auch diese beiden Positionierungen deutlich auf schwache und spezifische Zielgruppen eingehen.

25 Es konnten im Rahmen dieser Arbeit leider keine Informationen gesammelt werden, ob der Bericht überhaupt erstellt wurde, nachdem eine Berichterstatterin benannt worden war, bzw. welche Schritte zur Erstellung schon vorgenommen wurden.

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Abbildung 8.8 Code-Cluster auf Basis der Dokumente des EP und EWSA

Auf Basis dieser Quellen ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich der CodeKombinationen. Die Verknüpfungen Schwache Konsumenten+Gesundheitsschutz, Schwache Konsumenten+Instrument und Spezifische Zielgruppe+Instrument wurden je zweimal identifiziert. Die Kombination Spezifische Zielgruppe+Gesundheitsschutz tritt viermal auf. Zudem werden schwache Adressaten und spezifische Adressaten in sieben Fällen kombiniert. Dies unterstreicht den zentralen Fokus auf einzelne Gruppen und deren Charakterisierung als schützenswert. In seiner Resolution adressiert das Europäische Parlament vor allem Kinder, Schwangere, ungeborene Kinder und Arbeitnehmer. Darüber hinaus werden aber auch Raucher mit in die Begründung der Forderung nach rauchfreien Zonen eingebunden: „[…] only a full smoking ban in all enclosed workplaces […] and in all public buildings and transport, can protect the health of employees and non-smokers and make it considerably easier for smokers to quit […]“ (P7_TA 2009/0100: 4). Diese Textstelle zeigt beispielhaft, wie das EP in seiner Resolution die Forderung nach umfassenden Rauchverbotszonen mit der Perspektive auf bestimmte, besonders verletzliche, Zielgruppen kombiniert. Dies zeigt sich auch in der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 15.10.2009. So geht der Ausschuss u. a. auf den Schutz von Jugendlichen gesondert ein (COM 2009/328: 2) und diskutiert spezifische Gruppen, wie Arbeitnehmer in der Gastronomie oder Arbeitssuchende.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

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Dabei bezieht sich der Ausschuss auf die Annahme schwacher Zielgruppen und bindet sozio-ökonomische Faktoren in die Betrachtung der Adressaten und ihres Verhaltens ein. Insgesamt zeigt auch die Analyse des Policy-Makings zur Empfehlung von rauchfreien Zonen: (1) Dass die zentrale Storyline in diesem Prozess (idealtypisch) schwache Adressaten, spezifische Zielgruppen und das Instrument verknüpft und so die geforderten Maßnahmen begründet. (2) Nur selten werden andere Storylines erstellt, die souveräne Adressaten und die Legalität des Rauchens betonen und dabei weniger weitreichende Instrumente einfordern.

8.2.4

Positionen der Akteure und Einschätzung der Experten

Neben der Betrachtung des Policy-Prozesses und der Aushandlung von Vorschlägen zwischen den beteiligten Organen wird bei der Analyse auch auf unterschiedliche Positionen der Akteure und die Einschätzung durch Experten eingegangen. Zunächst konzentriere ich mich dazu auf die Plenardebatte des EP vom 08.10.2013 zur TPD und die Debatte vom 25.11.2009 zum Thema rauchfreie Zonen. Die Plenardebatte im Europäischen Parlament zeigt, dass die Bezugnahme auf schwache und vor allem spezifische Zielgruppen an die Überarbeitung der Produktkennzeichnung gekoppelt wird und als eine Begründung für die Verschärfung der Richtlinie dient. So geht die Rapporteurin des ENVI-Ausschusses, Linda McAvan (S&D), auf die spezifische Zielgruppe jüngerer Menschen im Rahmen der TPD ein (Plenardebatte, 08.10.2013). Auch ihre Fraktionskollegin Karin Kadenbach sieht besonders jüngere Menschen im Fokus der Politik: „Allein in Österreich sind 29,4 % der Jugendlichen zwischen 15 und 24 tägliche Raucher. […] Sie sind dazu animiert worden aus ihrem Umfeld […]“ (ebd.). Diese Wortmeldung bezieht sich auf soziale Faktoren, die Jugendliche zum Rauchen animieren, und nimmt Konsumenten, v. a. jüngere, als schwach wahr. Auch der Abgeordnete Florenz (EVP) nimmt diese Perspektive ein. Dabei differenziert er aber noch stärker zwischen bestimmten Zielgruppen: „Der 40-jährige Mann, der rauchen will, der soll in Gottes Namen rauchen. Das wollen wir doch gar nicht verhindern“ (Plenardebatte, 08.10.2013). Und auch eine Abgeordnete der GUE/NGL Fraktion26 verweist auf die Zielgruppe der Jugendlichen und Kinder im Kontext der Produktkennzeichnung: „[…] picture 26 Confederal

Group of the European United Left – Nordic Green Left

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and text warnings […] will prevent […] to get children and young people addicted […]“ (Plenardebatte, 08.10.2013). Kritik an dieser Perspektive wird aber durchaus geäußert. So bezeichnet der Abgeordnete Ewald Stadler27 den Vorschlag der Kommission als Bevormundung: „[…] ich bin entschieden gegen staatlich verordnete Lebensweisen. Ich bin entschieden dagegen, dass der Staat den Bürger bevormundet mit einem aufdringlichen staatlichen Schutzgehabe“ (Plenardebatte, 08.10.2013). Weniger zugespitzt formuliert auch der Abgeordnete Creutzmann (ALDE) Kritik am Vorschlag der Kommission. So sei Rauchen zwar gesundheitsschädlich: „Jedoch gibt es kein allgemeines Verbot. Wer will, darf rauchen. […] Der Ansatz der Kommission […], den Rauchern den Spaß am Rauchen zu verderben […], erscheint mir als eine unnötige Gängelung unserer Bürger. […] Wir können und dürfen nicht jeden Aspekt des Privatlebens regulieren“ (Plenardebatte, 08.10.2013). In beiden Wortmeldungen wird deutlich, dass die vorgeschlagene TPD als ein übermäßiger Eingriff in das Privatleben der Bürger gesehen wird. Zudem erfolgt eine Betonung der individuellen Souveränität, sodass hier die Annahme einer starken Konsumentencharakterisierung identifiziert werden kann. Auf Basis unterschiedlicher Zielgruppencharakterisierungen werden von den Akteuren unterschiedliche Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung erstellt. Die Überarbeitung der TPD und die Einführung von größeren und grafischen Warnhinweisen fand letztlich eine breite Mehrheit im EP28 . Dies deutet darauf hin, dass die Storyline, die schwache Adressaten und die Nutzung eines behavioural instruments verknüpft, von der Mehrheit des Parlaments unterstützt wird. In der EP-Debatte zum Thema rauchfreie Zonen vom 25.11.2009 werden sowohl unterstützende als auch kritische Positionen zum Vorschlag umfassender Rauchverbotszonen geäußert29 . So geht die Abgeordnete Estrella (S&D) auf die Forderung nach einem umfassenden Rauchverbot ein: „We believe that only a total ban on smoking in enclosed workplaces, including […] public buildings and public transport, will be able to ensure protection of the health of workers and non-smokers, and will encourage smokers to stop smoking“ (Plenardebatte 25.11.2009). Die Forderung nach umfassenden rauchfreien Zonen wird mit dem Schutz von Nichtrauchern und dem Schutz am Arbeitsplatz begründet und steht hier beispielhaft für eine Vielzahl von Wortmeldungen (Plenardebatte 25.11.2009). Eine Abgeordnete der 27 Zum Zeitpunkt der Debatte gehörte er keiner Fraktion an, er war Mitglied der FPÖ, trat aus dieser aber aus. 28 Zustimmung: 620 Abgeordnete, Ablehnung: 43 Abgeordnete, Enthaltung: 14 Abgeordnete (votewatch 2013). 29 Dieses Bild ergibt sich auch aus der Debatte zur TPD aus dem Jahr 2001, worauf hier aber nicht ausführlich eingegangen werden kann.

8.2 Konkrete Politiken – Zielgruppen und Instrumente im Policy-Making

151

EVP-Fraktion zeichnet jedoch ein differenzierteres Bild und bezieht sich auf Raucher und deren freie Entscheidung: „But let us not demonise smokers […] Those who chose, as others may say, not to kick the habit should carry on with what they wish to do […]“ (Plenardebatte 25.11.2009). Besonders kritisch wird von einigen Abgeordneten die Forderung des EP nach einer bindenden Regelung auf EU-Ebene gesehen. So zieht der Abgeordnete Liese (EVP) diesen Vorschlag in Zweifel: „We have only limited authority at a European level […]. We can only protect workers. We cannot provide special protection for children by taking action at a European level […]“ (Plenardebatte 25.11.2009). Mit dem Verweis auf die begrenzte supranationale Kompetenz in dieser Frage zieht er auch die Begründung des Vorschlages auf Basis des Schutzes von spezifischen Gruppen wie Kindern in Zweifel, da dies nicht Aufgabe des EP sei. Auch der Abgeordnete Davies (ALDE) schließt sich dieser Perspektive an: „[…] I do not think the decision should be taken at European level“ (Plenardebatte 25.11.2009). Auch der EVP-Abgeordnete Kastler sieht in seiner Stellungnahme die Forderung der Resolution als einen Versuch des Kompetenztransfers auf EU-Ebene an (Plenardebatte 25.11.2009). Insgesamt wird deutlich, dass ein Bezug auf schwache und spezifische Zielgruppen den Kern der Storyline bilden, die zur Begründung der Instrumentenwahl erstellt wird. Dabei rücken die eigentlichen Adressaten in den Hintergrund: Zwar wird das Verhalten von Rauchern eingeschränkt, ihre Perspektive wird im Policy-Making aber nur am Rand einbezogen. So verweisen einige EP-Abgeordnete auf die freie Wahl der Raucher. Insgesamt wird darauf rekurriert, dass rauchfreie Zonen auch die Stellung des Rauchens als gewöhnliches Verhalten verändern und so vor allem Kinder und Jugendliche davon abhalten sollen. Auch die geführten Experteninterviews zeigen, dass vor allem eine Perspektive auf spezifische Zielgruppen und Adressaten, die als schwache Gruppen charakterisiert werden, im Bereich der Tabakpolitik dominieren. Den grundlegenden Ansatz zur Gesundheitspolitik beschreibt ein Experte der Zuständigen Generaldirektion30 als umfassend, weil das Ziel der Veränderung von Lebensstilen komplex sei: „[…] we are of course aware that […] it is a very complex issue […] [of] changing behaviour in the right direction […]“ (GD_Gesundheit Z. 80 ff.). So sei neben der Information von Konsumenten und Bürgern die Schaffung eines „[…] health promoting environment […]“ die zentrale Herausforderung der Gesundheitspolitik (GD_Gesundheit Z. 88). Dies umfasst „[…] physical environment […] the distribution of shops […] or the density of vending machines […]“ (GD_Gesundheit 30 Der Experte befasst sich vor allem mit Alkoholpolitik, ein Gesprächspartner zur Tabakpolitik war nicht erreichbar. Der befragte Experte zieht aber Querverweise zu allen Themenbereichen und bezieht sich in den Antworten auch auf die Tabakthematik.

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8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

Z. 91 ff.). Aufgrund dieser Komplexität könne auch nicht eine Maßnahme eine wesentliche Veränderung erzielen: „[…] what we generally say is that there is no silver bullet […]. So it is not one measure with which you can make things go into the right direction“ (ebd. Z. 137 ff.). Der Experte bestätigt auch, dass vor allem die Identifikation von schwachen Zielgruppen relevant sei, um Maßnahmen in der Gesundheitspolitik zu ergreifen (ebd. Z. 290 ff.). Um eine umfassende Perspektive auf die europäische Gesundheitspolitik zu erhalten, wurde ein weiterer Experte befragt, der sich auf Ebene der Mitgliedstaaten seit vielen Jahren mit der europäischen und der nationalen Tabakpolitik befasst. Auch dieser bestätigt, dass die Grundüberzeugung in dem Themengebiet sei, dass die Veränderung von Verhalten nur durch eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden kann: „[…] die ganze Frage der Tabakregulierung und Prävention ist […] multifaktoriell […]. [M]an kann sich niemals auf die Diskussion erfolgreich einlassen, dass eine Maßnahme nun speziell und allein das Problem […] deutlich verringert“ (Experte_Gesundheit_2 Z. 111 ff.). Beide Experteninterviews unterstreichen, dass im Bereich der Gesundheits- und Tabakpolitik vor allem die Annahme einer schwachen Zielgruppe im Fokus steht, die „[…] soziale Komponenten in den Blick […]“ nimmt und Faktoren wie „[…] Gruppendruck, Werbung […]“ und das Ansehen eines Produktes in der Gesellschaft einbezieht (Experte_Gesundheit_2 Z. 146 ff.). Vor allem das Ziel, die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauchens zu verändern, wird von mehreren Experten in den Fokus gerückt (NGO_Gesundheit_2 Z. 202; ebenso: Experte_Gesundheit_2 Z. 180 ff.). Aus Perspektive dieser Arbeit deuten die Aussagen der Experten darauf hin, dass sich Ideen zum individuellen Verhalten auch in der Politikgestaltung etabliert haben, die eher dem Idealtyp schwacher Zielgruppen als einem souveränen Verhalten entsprechen. Dies ist besonders interessant, weil die Idee des Gesundheitsschutzes und die Bezugnahme auf schwache Adressaten zentral im Policy-Making ist. Trotz der begrenzten Kompetenzen der EU im Bereich der Gesundheitspolitik hat hier also eine Betonung schwacher und zu schützender Adressaten eine Bedeutung für die Begründung der politischen Maßnahmen auf supranationaler Ebene. Auch die interviewten Experten weisen auf den Punkt der begrenzten Kompetenz hin: „[…] also die EU hat ja für Gesundheitspolitik nicht so die Kompetenz. […] [Die] hat sie aber für den Handel. […] Und insofern hat sich, z. B. bei der Tabakproduktrichtlinie, der Weg eröffnet, über die Kompetenz zur Regelung des freien Warenverkehrs dann eben die Tabakwaren zu regulieren“ (Experte_Gesundheit_2 “ Z. 69 ff.). Darüber hinaus verweisen die Experten auch auf den besonderen Politikkontext, der durch die FCTC der WHO bereitgestellt wird (Experte_Gesundheit_2 Z. 21 f.; NGO_Gesundheit 2 Z. 49 ff.).

8.3 Problemdimension

153

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl bei der Überarbeitung der Tabakkennzeichnungen als auch bei der Erstellung der Empfehlung zu rauchfreien Zonen eine deutliche Bezugnahme auf schwache und spezifische Zielgruppen aufgezeigt werden konnte: (1) Dabei steht der Bezug auf Adressaten und Annahmen zu deren Verhalten im Zentrum der Storyline. (2) Die Storyline verknüpft die Wahl und Gestaltung der Instrumente mit den Zielgruppen und dem Ziel, deren Verhalten zu ändern. (3) Einige Akteure, v. a. im EP, versuchen, konkurrierende Storylines auf Basis einer anderen Zielgruppencharakterisierung zu etablieren. Dies gelingt aber nicht.

8.3

Problemdimension

In diesem Analyseschritt konzentriere ich mich auf die Interpretationen zum Problem und zur Lastenverteilung in den jeweiligen Politikfeldern und Themenbereichen sowie auf Ebene der konkreten Politiken. Hierzu werde ich auf alle Quellen, wie die Politikprogramme, Dokumente aus dem Policy-Making und die Experteninterviews, eingehen, um zu untersuchen, wie die Verteilung von Kosten für eine Verhaltensänderung diskutiert wird und welche Bezüge hierbei auf die Instrumentenwahl hergestellt werden. Die Analyse der EU Gesundheitsprogramme hat bereits mit Blick auf Festlegungen zu Zielgruppen und Instrumenten gezeigt, dass die Agenden eher einer Skizzierung des Feldes für mögliche supranationale Regelungen dienen und wenige Festlegungen treffen. So wird beispielsweise im Gesundheitsprogramm für die Jahre 2003–2008 lediglich auf den „[…] Community added value […]“ einer europäischen Gesundheitspolitik hingewiesen (Decision 1786/2002: 4). Am deutlichsten geht dann das Programm für die Jahre 2014–2020 auf eine Problemdimension ein. So wird der Schutz der Gesundheit und die Förderung gesunder Lebensweisen explizit in den Kontext der Entwicklung der Gemeinschaft gestellt: „Keeping people healthy and active longer […] will have positive overall effects on health […] and a positive impact on quality of life, on productivity and competitiveness, while reducing pressure on national budgets“ (Regulation 282/2014: 1). Das Programm bezieht sich deutlich auf die Verteilung von Lasten, indem auf die Kosten ungesunder Lebensweisen und Krankheiten für die Allgemeinheit hingewiesen wird. Wesentlich deutlicher und ausführlicher gehen die themenspezifischen Programme zur Tabakpolitik auf eine Problemdimension ein und behandeln die Frage

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Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

einer Lastenverteilung. So adressiert die Agenda zur Rolle der Gemeinschaft in der Tabakpolitik (1996) gleich zu Beginn dieses Thema und betrachtet Tabakkonsum und seine Folgen hinsichtlich der gesamtgesellschaftlichen Wirkung (COM 96/609: 1). Daran anschließend wird auf weitreichende Maßnahmen verwiesen, um die beschriebenen Probleme zu adressieren: „The scale of the problem of the damage to health from tobacco consumption calls for the mobilisation of every effort to reduce it“ (COM 96/609: 3). Dieses Programm weist also deutlich darauf hin, dass bestimmte Verhaltensweisen Lasten für die gesamte Gemeinschaft erzeugen und deswegen durch geeignete Maßnahmen adressiert werden sollen. Noch deutlicher als dieses Programm stellt das Green Paper „Towards a Europe free from tobacco smoke“ (COM 2007/27) aus dem Jahr 2007 das Passivrauchen in den Fokus der Auseinandersetzung mit dem Problem: „Exposure to environmental tobacco smoke (ETS) […] remains a widespread source of excess morbidity and mortality in the European Union, imposing significant costs on society as a whole“ (COM 2007/27: 3). Neben dem deutlichen Verweis auf die Folgen des Rauchens für Nichtraucher erfolgt auch eine Verknüpfung mit Folgen für das Gemeinwohl. Außerdem werden im Kontext dieser Befassung mit dem Problem auch explizit spezifische Zielgruppen, wie Kinder, Jugendliche und Schwangere, einbezogen, deren Gesundheit – obwohl sie selber nicht rauchen – durch das Passivrauchen massiv geschädigt werden kann (COM 2007/27: 4). Daneben werden aber auch ökonomische Kosten durch das Rauchen besprochen: „The burden to the economy as a whole includes the direct costs relating to increased healthcare expenditure on tobacco-related diseases, and the indirect costs linked to productivity losses […]“ (COM 2007/27: 6, Hervorhebung im Original). Auf Ebene der themenspezifischen Programme wird damit deutlich auf die Problemdimension eingegangen und konkrete Folgen des Rauchens (also des Verhaltens einer bestimmten Gruppe) für die Allgemeinheit diskutiert. Auch in den untersuchten Policies spielt diese Perspektive eine Rolle. Im Rahmen der TPD aus dem Jahr 2001 weist vor allem der ENVI-Ausschuss auf die Folgen des Rauchens hin: „Selbstverständlich ist es Aufgabe der Politik, Raucher auf die Gefährlichkeit ihres Handels für sich selbst aufmerksam zu machen. Noch wichtiger ist es jedoch, Gefahren für Dritte abzuwenden“ (A5-0156/2000: 10). Diese Passage geht deutlich auf die Problemdimension ein, indem unterstrichen wird, dass das Verhalten der Raucher negative Auswirkungen auf Nichtraucher hat. Außerdem wird diese Perspektive als Begründung für die Nutzung von Warnhinweisen angeführt. Die Kommission adressiert die Problemdimension in ihrem Vorschlag zur TPD aus dem Jahr 2001 nicht. Im Vorschlag zur TPD aus dem Jahr 2014 geht sie hingegen ausführlicher auf diese Fragen ein. So werden die Gesundheitsfolgen des Tabakkonsums klar benannt: „Tobacco is the most significant cause of premature death in the

8.3 Problemdimension

155

EU […]“ (COM 2012/788: 3). Dies wird auch mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Ziele der Politik angesprochen. „From a broader perspective, the revision [of the TPD] will contribute to the overall aim of the EU to promote the well-being of its people […]“ (ebd.). Damit wird auch hier das Verhalten einiger Bürger in Bezug zum Wohlergehen aller gesetzt. Das Impact Assessment der Kommission betont die ökonomischen Folgen des Rauchens, indem Beschäftigungsverluste in der Tabakindustrie gegen die positiven Effekte auf die Beschäftigung durch eine geringere Zahl an Rauchern aufgerechnet werden: „[…] the measures will lead to a net gain in employment estimated around 2,200 jobs“ (SWD 2012/453: 10). Diese Textstelle bespricht zwar nicht explizit den individuellen Tabakkonsum, sie verdeutlicht aber, wie klar wirtschaftliche Folgen des Rauchens in die Diskussion des politischen Ansatzes zur Verringerung der Zahl der Raucher einbezogen werden. Auch in der Debatte im EP werden die Folgen des Rauchens für die gesamte Gesellschaft adressiert. So gehen eine Vielzahl von Rednern auf den Fakt ein, dass in der EU ca. 700.000 Menschen pro Jahr an den Folgen von Tabakkonsum sterben und dadurch gesellschaftliche Folgen entstehen (s. u. a. Wortmeldung MEP Florenz, Plenardebatte 08.10.2013). Am deutlichsten geht die Abgeordnete Childers in ihrer schriftlichen Stellungnahme darauf ein: „[…] tobacco places a heavy burden on governments and society as a whole. Costs include indirect costs related to workday losses […]. Non-smokers also pay for the costs of smoking […]“ (Plenardebatte 08.10.2013). Auch im Rahmen der Erstellung der Empfehlung zu rauchfreien Zonen im Jahr 2009 spielen die Folgen des Rauchens für die Gesellschaft und vor allem Nichtraucher eine Rolle. So geht die Kommission in ihrem Entwurf deutlich auf dieses Thema ein: „According to conservative estimates, 7 300 adults including 2 800 non-smokers died as a result of ETS exposure at their workplace […]. The deaths of […] 16 400 non-smokers […] were caused by ETS exposure at home“ (COM 2009/328: 2). Und auch in der Plenardebatte wird das Verhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern angesprochen. Die Abgeordnete Sarbu (S&D) geht darauf ein: „[…] smokers are a minority in the European Union. […] At the same time, however, the majority made up of non-smokers want [sic] a smoke-free environment“ (Plenardebatte 25.11.2009). Insgesamt wird eine Probleminterpretation deutlich, die klar zwischen Verursachern und Geschädigten unterscheidet. So wird durchgängig auf negative Folgen des Rauchens für unbeteiligte Nichtraucher Bezug genommen, wobei dies auch

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8

Politik zu Tabakkonsum im Rahmen der EU-Gesundheitspolitik

im Hinblick auf Kosten, u. a. für Gesundheitssysteme, erfolgt31 . Diese Interpretation wird vor allem in den themenspezifischen Programmen und im Prozess der Politikgestaltung etabliert. Im Rückgriff auf die zitierte Literatur zur Erstellung von Policy-Paketen (Zittoun 2013; Capano/Lippi 2017) kann hier also festgehalten werden, dass in diesem Fall sowohl Probleminterpretation als auch Zielgruppenverständnis mit dem verhaltensbasierten Instrument, das Warnhinweise und Schockbilder nutzt, zu schlüssigen Paketen kombiniert werden können. Auch die Einschränkung individuellen Verhaltens durch Rauchverbote stellt in Kombination mit einer schwachen Adressatencharakterisierung und mit Verweis auf spezifische Gruppen ein schlüssiges Policy-Paket dar. Die bloße neutrale Information schwacher Adressaten würde in diesem Fall hingegen keine schlüssige Kombination darstellen. Vor allem der Bezug auf spezifische Zielgruppen und eine klare Lastenverteilung zwischen Gruppen ermöglicht hier eine sinnhafte Verknüpfung mit den gewählten Instrumenten (Capano/Lippi 2017).

31 Diese Interpretation bestätigen auch die befragten Experten, worauf hier nicht weiter eingegangen wird.

9

Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der Analyseergebnisse

In diesem Kapitel soll zunächst eine vergleichende Zusammenfassung der betrachteten Fälle erstellt werden. Daran anschließend werden die Leitfragen der Untersuchung beantwortet. Die Frage nach der Einbindung von Zielgruppen im PolicyMaking wird anschließend unter Bezugnahme auf die Forschung zu diesem Thema reflektiert. Dabei soll geklärt werden, welche Erkenntnisse diese Arbeit mit Blick auf die Forschung zur Politikfeldanalyse und Instrumentenwahl beitragen kann. Darüber hinaus werde ich auf das Policy-Making in der EU und die Dynamik zwischen Kommission und Europäischem Parlament eingehen.

9.1

Vergleichende Zusammenfassung

Die vergleichende Zusammenfassung der Analyse zeigt zunächst, dass sowohl hinsichtlich der Zielgruppen als auch mit Blick auf Probleme unterschiedliche Ideen und Interpretationen in den beiden Fällen aufgezeigt werden konnten. Dies ist bedeutsam für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl, die ebenso zwischen den Fällen variieren. Im ersten Fall, dem Policy-Making zum EU Ecolabel, beziehen sich die meisten Akteure auf starke Konsumenten, eine aktive Verbraucherwahl und einen souveränen Entscheidungsprozess (bspw. Kosten-Nutzen-Abwägungen) durch die Verbraucherinnen sowie auf die Annahme, dass Adressaten durch die Bereitstellung von Informationen dabei unterstützt werden können. Nur an wenigen Stellen konnte eine Bezugnahme auf ein schwaches Verbraucherbild identifiziert werden. Diese Passagen weisen zumeist auf eine begrenzte Verarbeitung von Informationen hin oder verweisen auf die Überforderung der Konsumenten. Bei genauerer Betrachtung der Daten zeigen sich aber auch Differenzen in der Wahrnehmung von Konsumenten, worauf mit Blick auf die Leitfragen noch eingegangen wird. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_9

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Im zweiten Fall, der EU Politik zu Tabakkonsum, zeigt die Analyse ein anderes Ergebnis. In diesem Politikbereich dominiert die Annahme einer schwachen Zielgruppe, die durch politische Maßnahmen geschützt werden soll. So wird bei den Überarbeitungen der Tabakkennzeichnung und auch bei der Einführung rauchfreier Zonen die Annahme deutlich, dass Verbraucherinnen verleitet werden können, auf emotionale und soziale Reize zu reagieren, Gruppendynamiken bestimmte Verhaltensweisen fördern und das physische Umfeld (bspw. die Verfügbarkeit bestimmter Produkte) einen Einfluss auf das Konsumverhalten haben. Nur selten nehmen bspw. EP-Abgeordnete oder die Ausschüsse des EP Bezug auf ein starkes Verbraucherbild, bei dem die freie Entscheidung der Konsumenten und deren Vermögen, die Gefahren des Tabakkonsums einzuschätzen, betont werden. Besonders hervorzuheben ist, dass neben einer allgemeinen schwachen Charakterisierung der Adressaten auch spezifische Gruppen in die Politikgestaltung einbezogen werden, bspw. Jugendliche, Arbeitnehmer oder Schwangere. Bei der Einführung von graphischen Elementen in der Produktkennzeichnung ist die Bezugnahme auf spezifische Gruppen ein zentrales Element der erstellten Storyline und der Begründung für diese Umgestaltung des Instruments. Bei der Einführung großflächiger Warnhinweise (ohne grafische Elemente) standen noch Raucher und das Ziel, dass diese den Tabakkonsum aufgeben, im Zentrum des Policy-Makings. Die Raucher wurden dabei vornehmlich als schwache Zielgruppe charakterisiert. Eine Charakterisierung als stark würde hier eher annehmen, dass sie sich bewusst zu einem bestimmten Verhalten entscheiden und auch durch Einschränkungen nicht ihre Entscheidung verändern. Ebenso spielt die Problemdimension in beiden Fällen eine wichtige Rolle für das Verständnis der Instrumentenwahl und -gestaltung. Leitend waren hier die Fragen, wie ein Problem beschrieben wird, das durch die jeweiligen Instrumente adressiert wird, ob eine klare Lastenverteilung dargestellt wird oder ob bestimmte Akteure als verantwortlich herausgestellt werden. Die Analyse der Politik zu nachhaltigem Konsum zeigt, dass im Policy-Making keine klare Lastenverteilung beschrieben wird. Zwar wird das Problem einer hohen Ressourcennutzung anerkannt und daran anknüpfend positive Entwicklungschancen von nachhaltigen, umwelt- und ressourcenschonenden Konsummustern betont. Dabei wird aber nicht auf eine grundlegende Veränderung von Verhaltensweisen verwiesen. Vielmehr sollen winwin Situationen durch den Konsum nachhaltiger Produkte erzeugt werden. Damit ist klar, dass dieser Ansatz in der EU-Umweltpolitik dem Idealtypus einer schwachen nachhaltigen Entwicklung zugeordnet werden kann (s. Kapitel fünf). Es erfolgt hier also weniger die Definition eines zu lösenden Problems als vielmehr die Befassung mit Möglichkeiten, eine bestimmte Entwicklung zu fördern und positiv auf diese Einfluss zu nehmen.

9.1 Vergleichende Zusammenfassung

159

Im zweiten Fall, der EU-Tabakpolitik, stellt sich auch dieses Bild anders dar als im ersten. In der EU-Gesundheitspolitik und vor allem im Bereich der Tabakpolitik erfolgt die Beschreibung eines zu lösenden Problems mit Blick auf das Gemeinwohl. So konnte folgende Problembeschreibung in der Analyse identifiziert werden: das Verhalten der Raucher – also der Konsum von Tabak – führt zu einer Gefährdung dritter, verursacht ökonomische Kosten und stellt damit ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. An diese Problemdefinition anknüpfend werden dann die Instrumente (unter Bezugnahme auf relevante Zielgruppen) diskutiert. Die Untersuchung zeigt auch, dass diese Problemdefinition weitgehend unumstritten ist. Die Forderung nach einer weniger strikten Tabakpolitik konnte bspw. nur an wenigen Stellen identifiziert werden1 . Zudem hat die Untersuchung den Politikkontext in den Blick genommen. Hierbei wurden die Politikfelder und Themengebiete als Kontext der Politikgestaltung angenommen und untersucht, welche Festlegungen auf diesen Ebenen getroffen werden. Dabei war die leitende Frage, ob dominante Deutungen (auf Ebene der Politik- und Themenfelder) die Politikgestaltung in den beiden Fällen beeinflussen oder limitieren. Die Analyse zeigt, dass im Politikfeld Umwelt bereits auf Ebene des Feldes und ebenso auf Ebene des Themengebietes eine Fokussierung von starken Konsumenten und Informationsinstrumenten erfolgt. Nur wenige Programme erwähnen überhaupt andere Instrumente. So gehen nur das fünfte und sechste Umweltaktionsprogramm auf ökonomische Instrumente ein. Damit ist hier die Zahl verfügbarer Interpretationen und damit auch die Varianz an unterschiedlichen Verknüpfungen schon eingeschränkt. Weiterhin betonen sowohl feldspezifische als auch themenspezifische Agenden, dass Marktmechanismen – also die Nachfrage nach umweltschonenden Produkten durch Konsumenten – genutzt und gefördert werden sollen, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Mit Blick auf die Mitgliedstaaten der EU kann ebenso festgestellt werden, dass keine Maßnahmen ergriffen werden, die das Konsumverhalten der Bürger einschränken würden oder hierfür auf EU-Ebene geworben würde. Auch auf internationaler Ebene dominieren Ansätze, die Verbraucherinformationen fokussieren und Bezüge zu Konzepten wie ‚Green Economy‘ oder ‚Ecological Modernization‘ herstellen2 . Im zweiten Fall dieser Arbeit zeigt sich bezüglich des Kontextes ein anderes Bild. Auf Feldebene wird weder eine Limitierung auf bestimmte Instrumente vorgenommen noch eine exklusive Deutung hinsichtlich der Zielgruppen etabliert. Vielmehr 1 Diese

Annahme ist dabei nicht unrealistisch. So fand bspw. in Deutschland eine lange Diskussion über rauchfreie Zonen statt. Darauf geht auch der befragte Experte (Experte_Gesundheit_2) im Interview kurz ein. Zuletzt wurden in Österreich wieder Rauchverbotszonen und über deren Abschaffung diskutiert. 2 Auf diese theoretischen Perspektiven gehe ich in der Folge noch ein.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

wird eine Vielzahl von Ansätzen zum Gesundheitsschutz und verschiedene individuelle Verhaltensweisen diskutiert. Die feldspezifischen Agenden sind im Bereich der Gesundheitspolitik also weniger auf eine bestimmte Interpretation fokussiert als in der EU-Umweltpolitik. Die themenspezifischen Agenden entwickeln im Rahmen des Politikfeldes einen umfassenden Ansatz, um die Gesundheit der EU-Bürger zu schützen. Auf dieser Ebene wird die ausführliche Diskussion unterschiedlicher Gruppen (u. a. Kinder und Jugendliche) und die Charakterisierung der Konsumenten als schwach deutlich. Auch der internationale Kontext ist in diesem Fall präsenter. Mit der FCTC, die von der EU und ihren Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, wird auf die Einführung von Warnhinweisen und Rauchverbotszonen hingewirkt. Da dieses Abkommen von den Unterzeichnern (EU sowie Mitgliedstaaten) angenommen wurde, entfaltet es eine andere politische Wirkung als Empfehlungen oder best-practices zur Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik auf internationaler Ebene. Aus diesen Unterschieden bezüglich zentraler Ideen und Interpretationen resultieren so auch unterschiedliche Storylines zur Instrumentenwahl, Tabelle 9.1 gibt hierzu einen Überblick. Tabelle 9.1 Zusammenfassung der Analyse Nachhaltiger Konsum

Tabakkonsum

Zielgruppencharakterisierung Annahme starker und souveräner Konsumenten

Annahme von schwachen Konsumenten, Bezugnahme auf spezifische Zielgruppen

Problem

Keine Bezugnahme auf klare Lastenverteilung zwischen Gruppen

Idee einer klaren Lastenverteilung, Bezugnahme auf Verursacher und Gemeinwohl

Kontext

Festlegungen auf starke Adressaten und Nutzung von Informationsinstrumenten im Politikfeld

Wenige Festlegungen im Feld; erst in themenspezifischen Programmen erfolgt Fokussierung auf schwache Adressaten und spezifische Zielgruppen (Fortsetzung)

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

161

Tabelle 9.1 (Fortsetzung)

Storyline

Nachhaltiger Konsum

Tabakkonsum

Das Instrument soll souveränen Verbraucherinnen Informationen zur Verfügung stellen, wodurch diese ihr Verhalten anpassen (können).

Das Instrument soll durch Warnungen das Verhalten schwacher Adressaten verändern. Die Nutzung von Warnungen und Schockbildern ist dabei nötig, um eine Verhaltensänderung der Zielgruppe(n) zu erreichen.

Damit zeigt die vergleichende Zusammenfassung, dass die unterschiedlichen Interpretationen, vor allem hinsichtlich der Zielgruppen wesentlich für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl sind. Das vergleichende Vorgehen liefert so Erkenntnisse dazu, wie sich die Politikgestaltung in den beiden Politikfeldern unterscheidet. Trotz der eingangs herausgestellten Ähnlichkeiten der beiden Fälle wurden so sehr weitreichende Unterschiede hinsichtlich zentraler Deutungen und Interpretationen herausgearbeitet. In der Folge werde ich anhand der Leitfragen die Ergebnisse der Analyse darstellen und diskutieren.

9.2

Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

Im Fokus der Untersuchung standen die drei identifizierten Analyseelemente: Zielgruppe, Problem und Kontext. Zu diesen Elementen wurden Leitfragen erstellt, die im Lichte der Empirie in diesem Kapitel beantwortet und reflektiert werden. Die Untersuchung folgte der Annahme, dass die Beschreibung von Zielgruppen – als idealtypisch stark oder schwach – relevant im Policy-Making ist, weil dadurch Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung beeinflusst werden. Unterschiedliche Annahmen zu Adressaten ermöglichen entsprechende Kopplungen mit Instrumenten, die eine individuelle Verhaltensänderung adressieren. Cappano und Lippi (2017) bezeichnen dies als „sense-making“, bei dem schlüssige Storylines politisches Handeln begründen sollen (s. auch Zittoun 2013). Somit kann das analytische Element Zielgruppe als ein Scharnierelement zwischen Instrumenten und

162

9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Problemen angesehen werden. Die Adressierung von Problemen mit bestimmten Instrumenten wird mit der Bezugnahme auf Adressaten (und Annahmen zu deren Verhalten) zu schlüssigen Policy-Paketen verknüpft. Folgende drei Leitfragen wurden hierzu erstellt: (1) Werden unterschiedliche Annahmen zum Adressatenverhalten in den Kontext der Instrumentenwahl und -gestaltung gesetzt? (2) Werden souveräne Konsumenten betont, wenn Informationsinstrumente genutzt werden? (3) Werden schwache Adressaten betont, wenn über Informationen hinausgegangen wird oder wenn Zwang genutzt wird? Um die Leitfragen zu beantworten, kann zunächst auf die Dominanz der Bezugnahme auf jeweils eine Zielgruppencharakterisierung in den beiden Fällen im Kontext der Diskussion des Instruments verwiesen werden. Diese spielen eine zentrale Rolle bei der Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl. Der betrachtete Fall des EU Ecolabels als zentrales Instrument innerhalb der verbraucherorientierten Umweltpolitik zur Förderung eines nachhaltigen Konsums zeigt deutlich, dass (a) eine Dominanz eines starken Verbraucherbildes besteht und (b) diese Beschreibung der Verbraucherinnen (und entsprechende Zuschreibung von Eigenschaften) in den Zusammenhang der Instrumentenwahl gestellt wird. Durchgängig wird in beiden Überarbeitungen des Instruments ein Zusammenhang aus starken Verbrauchern und der Information dieser durch das Instrument hergestellt. Ebenso zeigt die Analyse, dass nur selten überhaupt eine andere Charakterisierung der Zielgruppe vorgenommen wird. So beziehen sich Abgeordnete aller Fraktionen auf idealtypisch souveräne Konsumenten und betonen u. a. die Freiheit der Verbraucherinnen eine Wahl zu treffen, ohne darin eingeschränkt zu werden. Weiterhin wird Verbraucherinnen auch ein Interesse an Informationen und ein reflektiertes Konsumverhalten zugeschrieben. Insgesamt kann so die Dominanz einer starken Konsumentencharakterisierung nachgewiesen werden. Auch die Verbindung dieser Sicht auf Verbraucher mit der Instrumentenwahl (also der Wahl eines informierenden Instruments, das über neutrale Informationen eine Verhaltensänderung erreichen soll) wird deutlich. Die Leitfrage zwei kann daher bejaht werden. Im zweiten Fall in dieser Arbeit, der Tabakpolitik, konnte ebenso das Muster einer Verknüpfung von Zielgruppencharakterisierung und Instrumentenwahl identifiziert werden. Hier wurde aber in allen Policies eine Dominanz einer schwachen Zielgruppencharakterisierung nachgewiesen, die in den Kontext der Instrumente gesetzt wird. Die Produktkennzeichnung stellt hierbei keine neutrale Information über Produkteigenschaften dar, sondern ist als Warnhinweis konzipiert, der (im Jahr

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

163

2001) vor allem Raucher zu einer Verhaltensänderung bewegen soll. Im Jahr 2014 wird der Charakter des Instruments noch weiter verändert, indem nicht mehr nur gewarnt wird, sondern auch eine Nutzung von emotionalen Elementen erfolgt. Die Kombination aus Texthinweisen und sog. Schockbildern charakterisieren das Instrument als ein verhaltensbasiertes. Der Information wird hier also ein behavioural spin (Loer 2019) verliehen. Neben der Dominanz eines schwachen Konsumentenbildes konnte auch gezeigt werden, dass spezifische Zielgruppen (z. B. Jugendliche, Schwangere) eine zentrale Rolle für die Instrumentenwahl und -gestaltung spielen. Mit Blick auf den Fokus der Untersuchung, die Kopplung von Elementen und die Relevanz einer Zielgruppenvorstellung zeigen die untersuchten Policies deutlich, dass auch im zweiten Fall schlüssige Erzählungen auf Basis der Annahme schwacher Adressaten und dem Intervenieren mit Instrumenten erstellt werden. Von zentraler Bedeutung ist dies im Hinblick auf die Veränderung des Informationsinstruments von der bloßen Mitteilung von Inhaltsstoffen über die Warnung vor dem Konsum bis hin zum abschreckenden, emotionalen Charakter der Warnhinweise. Weil die Information über Inhaltsstoffe von den Konsumenten falsch verstanden werden kann (s. Besprechung der Überarbeitung der TPD im Jahr 2001 und hierbei vor allem den Vorschlag der Kommission), war aus Sicht der beteiligten Akteure eine Einordnung dieser Informationen durch Warnhinweise notwendig. So wird also eine schlüssige Erzählung von Adressaten und Instrument erstellt, die überzeugend darlegt, warum über neutrale Informationen hinaus interveniert wird. Die Analyse zeigt auch mit Blick auf die Empfehlung zu rauchfreien Zonen eine deutliche Dominanz eines schwachen Zielgruppenverständnisses und eine zentrale Bezugnahme auf spezifische Zielgruppen, die vor dem Passivrauchen geschützt werden sollen. Die Untersuchung dieses Rechtsaktes und seiner Erstellung zeigt deutlich, dass die Akteure eine schlüssige Erzählung aus Maßnahme, Zielgruppe und dem Politikziel erstellen, bei der bestimmte Gruppen und deren Gesundheit vor dem (Passiv-)Rauchen geschützt werden sollen, indem das Verhalten einer Gruppe (der Raucher) adressiert wird. Darüber hinaus steht der Ansatz, das Rauchen einzuschränken, im Kontext der gesamten Tabakpolitik. Indem diese Maßnahme die Attraktivität des Rauchens mindert (so die Annahme im Policy-Making), soll die Zahl der Raucher und die Attraktivität des Tabakkonsums insgesamt gesenkt werden. Auch mit Blick auf diese Policy kann also festgehalten werden, dass mit der Verbindung aus Zielgruppencharakterisierung und Instrument eine Storyline erstellt wird, welche die Form der Steuerung rechtfertigt und ihr Überzeugungskraft verleihen soll. Daher kann hier auch Leitfrage drei bejaht werden: schwache Adressaten werden betont, wenn über Informationen hinausgegangen wird oder wenn Zwang genutzt wird.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Insgesamt kann so auch die Leitfrage eins bejaht werden. Es werden unterschiedliche Charakterisierungen von Adressaten in den Kontext der Instrumentenwahl gesetzt. Dabei erfolgt eine Betonung von starken Zielgruppen im Fall des neutralen Informationsinstruments und eine Betonung von schwachen und spezifischen Zielgruppen im Fall des verhaltensbasierten Instruments. Ebenso erfolgt dies bei der Gestaltung von rauchfreien Zonen, die Verhalten einschränken. Damit wird deutlich, dass Zielgruppen und deren Charakterisierung zentral für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung sind. Ich folge hier Zittoun (2013), der dies als die Verknüpfung von Elementen, die politisches Agieren plausibel erscheinen lassen, beschreibt. Die Analyse zeigt deutlich, dass eine plausible Verknüpfung aus der Annahme einer starken und souveränen Zielgruppe und der Nutzung von Informationsinstrumenten (im ersten Fall) erstellt wird. Umso dominanter die Annahme einer solchen starken Zielgruppe ist, umso weniger plausibel sind demnach Eingriffe in die individuelle Freiheit oder Konsumentensouveränität, indem Verhalten eingeschränkt würde. Zahariadis (2008) setzt dies auch in den Kontext der Verbindung von Problemen und Lösungen: Akteure im Policy-Making haben das Ziel, einem Paket aus Problem und Lösung eine Überzeugungskraft zu verleihen, um dafür politische Zustimmung zu generieren. Gerade im Fall der Politik zu nachhaltigem Konsum wird individuelles Verhalten weniger stark als Problem dargestellt (s. u.). Die Maßnahmen, um das Konsumverhalten zu beeinflussen, sind daran anknüpfend auf weiche Instrumente ausgerichtet. Eine Einschränkung souveräner Verbraucherinnen wäre somit hochgradig begründungswürdig, wohingegen die weiche Information von starken Verbraucherinnen eine überzeugende Verknüpfung von Politikziel (im untersuchten Fall: Förderung von nachhaltigem Konsum), Zielgruppen (starke Konsumenten) und Instrument (Bereitstellung von Produktinformationen) darstellt. Wichtig ist hierbei auch, dass auf ein schwaches Adressatenbild nicht ausschließlich bei der Nutzung Zwang verwiesen wird, sondern dieses auch im Rahmen der Umgestaltung des Informationsinstruments der Tabakkennzeichnung relevant ist. Die Untersuchung der Zielgruppencharakterisierung in der Tabakpolitik liefert hierfür eine zentrale Erkenntnis: Die Dominanz einer schwachen Adressatencharakterisierung erleichtert Policy-Interventionen, die über die neutrale Bereitstellung von Informationen hinausgehen. So kann unter Berücksichtigung der gesamten Untersuchungsergebnisse eine zentrale Relevanz der Zielgruppencharakterisierung festgestellt werden. Während starke Verbraucherinnen und ihre Adressierung mit neutralen Informationen eine schlüssige und überzeugende Art der Intervention darstellen, werden schwache und schützenswerte Verbraucherinnen mit Maßnahmen adressiert (bzw. sollen mit diesen Maßnahmen geschützt werden), die über die reine Information hinausgehen.

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

165

Diese Schlussfolgerung soll hier mit Verweis auf die Überarbeitung des EU Ecolabels nochmals illustriert werden. Besonders der Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2000 zu einem mehrstufigen Label liefert wesentliche Erkenntnisse dazu, wie unterschiedliche Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung auf Basis von Zielgruppencharakterisierungen erstellt werden. Die Kommission und der ENVIAusschuss gehen dabei von starken Verbrauchern aus, die Informationen nutzen und aktive Kaufentscheidungen, unter Berücksichtigung der Kennzeichnungen, treffen. Vor diesem Hintergrund hatte die Kommission ein abgestuftes Label vorgeschlagen, dass Produkte, die minimale Anforderungen erfüllen, kennzeichnet und darüber hinaus auch eine Unterscheidung zwischen guten und besseren Produkten (gemessen an der Erfüllung unterschiedlich strenger Kriterien) ermöglicht, um Konsumenten eine noch umfänglichere Information zu geben (COM 96/603: 9 ff.). Auch der ENVIAusschuss hatte die Kennzeichnung mit einem Label, das zwischen einer und drei Umweltblumen vergibt, begrüßt. Damit, so der Ausschuss, sei es möglich „[…] den Verbraucher über die effektiven Umweltfolgen […] besser und vollständiger zu informieren […]“ (A4-0119/98: 28). Die Verknüpfung von starken Konsumenten und der umfassenden Information durch das Instrument, um Kaufverhalten zu beeinflussen, wird hier deutlich. Andere Akteure hingegen ziehen dies in Zweifel. Sie formulieren ihre Kritik mit Blick auf die Möglichkeiten der Verbraucher, diese Informationen überhaupt zu verarbeiten. So geht der Ausschuss für Wirtschaft und Soziales davon aus, dass Verbraucherinnen nicht viel Zeit mit dem Vergleich unterschiedlicher Produkte (und der unterschiedlichen Kennzeichnungen) verbringen wollen (97/C 296/12: 2). Auch im Sondervotum des Industrieausschusses durch eines seiner Mitglieder wird diese Kritik formuliert. Die Verfasserin argumentiert, dass Konsumenten durch ein mehrstufiges Label verwirrt würden (A4-0119/98: 38). Diese Diskussion um die Gestaltung des Instruments findet hier im Kontext unterschiedlicher Adressatencharakterisierungen statt. Unter Bezugnahme auf ein schwaches Verbraucherbild (und damit verbundene Annahmen zum Konsumentenverhalten) wird hier eine Präferenz hinsichtlich der Instrumentengestaltung und die Limitation von neutralen Informationen dargestellt. Damit erstellen die Akteure schlüssige Erzählungen zur Instrumentenwahl und den Adressaten dieser Werkzeuge auf Basis unterschiedlicher Zielgruppencharakterisierungen. Hierbei wird auch ein Kampf um Deutungen deutlich, auf den ich bei der Diskussion der Dynamik zwischen Kommission und EP nochmals eingehe. Abschließend kann somit festgehalten werden, dass Akteure im Policy-Making Storylines auf Basis bestimmter Zielgruppencharakterisierungen erstellen, die schlüssige Verknüpfungen von Adressaten und Instrument ergeben. Dabei soll den Akteuren (u. a. EP, Kommission) hier kein holzschnittartiges oder oberflächliches Verständnis von Verbraucherinnen unterstellt werden. Die Ergebnisse der

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

empirischen Untersuchung zeigen klar, dass mit unterschiedlichen Annahmen zum individuellen Verhalten (und damit auch zur Beeinflussung dieses Verhaltens) gearbeitet wird. Zentral für die Argumentation der Arbeit ist, dass der ENVI-Ausschuss in beiden Politikfeldern (Umwelt und Gesundheit) der federführende Ausschuss ist. Je nach Politikfeld variieren aber die Annahmen zum Verbraucherverhalten. So spielt die Annahme, dass Verbraucherinnen auch durch ein sehr großes Angebot zu bestimmten Kaufentscheidungen verleitet werden können, im Fall der Politik zu nachhaltigem Konsum keine Rolle. Auch die Annahme einer Überforderung der Verbraucher ist hier nur marginal ausgeprägt. Hingegen spielen beide Aspekte im Fall der Gesundheitspolitik eine zentrale Rolle. Die Relevanz von Ideen und Interpretationen, die in den Politik- und Themenfeldern festgelegt werden, wird in der Folge noch ausführlich diskutiert. Neben der Frage nach der generellen Rolle unterschiedlicher Zielgruppencharakterisierungen erfolgte in der Arbeit eine weitergehende Untersuchung zur Erstellung von Storylines. Folgende zwei Leitfragen werden in der Folge betrachtet: (4) Wird die Richtung der Verhaltensänderung eindeutig mit Bezug auf eine bestimmte Zielgruppencharakterisierung behandelt? (5) Werden Verhaltensweisen als zentral für ein Problem angesehen, wenn individuelles Verhalten durch Politikinstrumente eingeschränkt werden soll oder wenn über die Nutzung von Informationen hinausgegangen wird? Neben der grundlegenden Bedeutung von Zielgruppencharakterisierungen für Storylines zur Instrumentenwahl fokussiere ich auch die Richtung der verfolgten Verhaltensänderung. Hierbei spielt ebenso die Probleminterpretation eine Rolle. Die Analyse der beiden Fälle in dieser Arbeit hat gezeigt, dass Probleme unterschiedlich im Policy-Making definiert und besprochen werden. Hier sei nochmals auf die konsultierte Literatur verwiesen (u. a. Weiss 1989; Kingdon 2003), wonach Probleme im Policy-Making als Interpretation der Realität erstellt und ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Für die Analyse wurde das Element Problem im Hinblick auf zwei Aspekte untersucht. Einerseits stand die Frage im Fokus, welche Gruppe (oder Gruppen) für ein Problem verantwortlich gemacht wird und wessen Verhalten damit als relevant für die Problemlösung angesehen wird. Zweitens wurde untersucht, wie Probleme hinsichtlich eines kollektiven Nutzens interpretiert werden. Wie werden also individuelles Verhalten und Gemeinwohl in Bezug zueinander gesetzt? In beiden Fällen wird zunächst deutlich, dass individuelle Verhaltensweisen als relevant für ein Problem angesehen und daher auch adressiert werden. In der Politik zu nachhaltigem Konsum werden, neben anderen Faktoren, individuelle

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

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Konsumentscheidungen als relevant für eine nachhaltige Entwicklung angesehen. Sowohl Programme als auch die konkreten Politiken (Ecolabel) weisen auf die zentrale Stellung individuellen Verhaltens hin. Kaufentscheidungen sollen durch die Produktkennzeichnung verändert und umweltschonende Konsummuster gefördert werden. Auch in der Politik zum Tabakkonsum wird individuelles Verhalten als relevant angesehen. Bestimmte Verhaltensweisen (Tabakkonsum) werden durch Politikinstrumente adressiert, um eine Verhaltensänderung zu erreichen. So sollen sowohl Raucher zu einer Verhaltensänderung gebracht werden als auch Nichtraucher vom Tabakkonsum abgehalten werden. Neben dieser grundlegenden Gemeinsamkeit der Fälle zeigen sich aber deutliche Unterschiede. Während in der Politik zu nachhaltigem Konsum individuelles Verhalten in einen breiten gesellschaftlichen Kontext gesetzt wird und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wird, werden in der Tabakpolitik spezifische Adressaten in den Fokus gerückt. In der Politik zu nachhaltigem Konsum wird dabei aber nicht zwischen Verbrauchergruppen unterschieden. So werden neben individuellen Konsumenten auch öffentliche Einrichtungen3 angesprochen. Weiterhin werden Veränderungen in Einstellungen eingefordert (bspw. auch in Unternehmen), die eine gesamtgesellschaftliche Transformation zu nachhaltigen Formen des Konsums und Alltagslebens fördern. In der Tabakpolitik stellt sich die Rolle von Individuen anders dar: Hier werden Raucher (als klar abgrenzbare Gruppe) als Verursacher von Problemen (d. h. Gesundheitsgefährdung) benannt. Demgegenüber werden Nichtraucher als gefährdete und zu schützende Gruppe identifiziert. Auch Rauchern werden Eigenschaften zugeschrieben, die dem Idealtyp schwacher Konsumenten entsprechen. In der gesamten Diskussion der Instrumente spielen darüber hinaus auch die Folgen des Tabakkonsums für Raucher eine Rolle (u. a. Schädigung der Gesundheit, Verlust von Arbeitskraft). Insgesamt wird zwar in beiden Fällen individuelles Verhalten adressiert und dies auch in die Erstellung der Politikansätze und der Instrumentenwahl eingebunden, die erstellten Storylines aus Problem, Individuen und Instrument unterscheiden sich aber deutlich. Die Verknüpfung von Problem und Verursacher im Fall der Tabakpolitik stellt klar abgrenzbare Gruppen heraus. In der Politik zu nachhaltigem Konsum wird hingegen eine Storyline erstellt, in der Gruppen nicht klar abgegrenzt werden – so stehen eher alle Konsumenten und Verbraucherinnen von Produkten im Fokus der Politik, ohne das unterschiedliche Sub-Typen oder Teilgruppen der Konsumenten dezidiert besprochen würden4 . Dem 3 Hierbei

wird ein Fokus auf ein grünes Beschaffungswesen deutlich, bei dem öffentliche Einrichtungen nachhaltige Produkte und Dienstleistungen einkaufen sollen. Siehe Literatur zu ‚green public procurement‘, u. a. de Leonardis 2011; Grandia et al. 2015. 4 So können durchaus unterschiedliche Gruppen, bspw. anhand eines ökologischen Fußabdrucks, oder Lebensstile unterschieden werden, s. Marzouki et al. 2012.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Verhalten der Zielgruppe wird in beiden Fällen eine Relevanz innerhalb der jeweiligen Probleme zugewiesen, die Intensität dieser Problematisierung individuellen Verhaltens variiert aber deutlich. Die Richtung der angestrebten Verhaltensänderung (Leitfrage vier) muss also im Kontext der Interpretationen zu Adressaten und Problemen betrachtet werden. Die Ermunterung zum Kauf bestimmter Produkte erfolgt mit Blick auf souveräne Konsumenten und im Rahmen einer Probleminterpretation, die keine klare Lastenverteilung beschreibt bzw. bei der keine abgrenzbare Gruppe von Verursachern identifiziert wird. Das Ziel, bestimmte Konsumentscheidungen zu verhindern, wird in der Tabakpolitik hingegen deutlich mit Bezug auf schwache Adressaten und im Rahmen einer Probleminterpretation, die eine klar abgrenzbare Verursachergruppe in den Fokus rückt, verfolgt. Damit spielen Zielgruppen und deren Charakterisierung für die Richtung der angestrebten Verhaltensänderung eine Rolle. Weiterhin stellt die Probleminterpretation generell ein wichtiges Element für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl dar. Im Fall der Politik zu nachhaltigem Konsum wird eine Problemstruktur beschrieben, die zwar einen umfassenden Wandel von Verhalten adressiert, dabei aber keine klare Kosten-Nutzen-Verteilung darstellt. Zum einen werden weniger konkrete Folgen individuellen Handelns thematisiert: So werden globale Folgen des individuellen Konsums adressiert, was aber genau die Konsequenz einer einzelnen Entscheidung ist, wird nicht geklärt. Daher sind Einschränkungen des individuellen Verhaltens durch Instrumente (bspw. Verbote) nur schwer zu rechtfertigen, weil kein sofortiger Nutzen aufgezeigt wird. Zum anderen wird eine Storyline erstellt, die auf Win-Win-Situationen abhebt. Dabei soll der Kauf von nachhaltigen Produkten dem Umweltschutz und der ökonomischen Entwicklung dienen. Hier sind deutliche Bezüge zu Konzepten wie der ökologischen Modernisierung oder der Green Economy zu erkennen (Spaargaren, Mol 1992; Brand 2012). Damit zeigt sich, dass die Art der Problemdiskussion nicht die Notwendigkeit von weitreichenden politischen Interventionen erzeugt. Der grundlegende Ansatz der EU-Politik, Marktmechanismen zur Förderung nachhaltiger Konsummuster zu nutzen, starke und souveräne Verbraucherinnen zu adressieren und individuelle Konsumfreiheiten zu stärken, lässt keine andere schlüssige Erzählung zu, die auf die Nutzung von verhaltensbasierten Instrumenten oder gar Konsumeinschränkungen hinwirken könnte. Hingegen ermöglicht die Probleminterpretation im Fall der Tabakpolitik, v. a. die klare Bezugnahme auf Verursacher einer Gesundheitsgefährdung und eine Gruppe potentiell Gefährdeter, eine Storyline, die schwache Adressaten, verhaltensbasierte Instrumente, die Nutzung von Zwang und eben diese Probleminterpretation schlüssig verknüpft. Leitfrage fünf muss daher differenziert beantwortet werden. In beiden Fällen wird individuelles Verhalten als relevant für das Problem angesehen und daher adressiert.

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

169

Im Fall der Tabakpolitik erfolgt aber eine ausführliche Bezugnahme auf ganz konkrete Verhaltensweisen, die dann auch durch das Instrument adressiert werden. Im Fall der Nachhaltigkeitspolitik werden tendenziell alle Konsumenten angesprochen. Zudem stellt individuelles Kaufverhalten hierbei nur einen von mehreren relevanten Faktoren für eine nachhaltige Entwicklung dar. Damit kommt der Probleminterpretation eine zentrale Relevanz für die Erstellung von Storylines zu, weil sie im Fall der Tabakpolitik weitreichendere Maßnahmen als im Fall der Nachhaltigkeitspolitik ermöglicht bzw. hierfür Anknüpfungspunkte bietet. Neben der Zielgruppencharakterisierung und der Problemdeutung fokussierte die Analyse auch den Kontext des Policy-Makings, der als Politik- und Themenfeldkontext operationalisiert wurde. Politik- und Themenfelder werden als Bedeutungszusammenhang verstanden, die Deutungen zu zentralen Aspekten der Politikgestaltung für das gesamte Politikfeld und spezifischer für einzelne Themenfelder vorgeben. Im Fokus dieses Untersuchungsschrittes steht die Frage, ob (bzw. wie) der Kontext des Policy-Makings die Wahl der Instrumente beeinflusst. Hierzu wurde folgende Leitfrage formuliert: (6) Wie stark restringiert der Kontext die Wahl von Politikinstrumenten? In der Untersuchung wurden zentrale Programme der beiden Politikfelder und relevante Agenden der Themengebiete analysiert. Die Untersuchung zeigt, dass schon auf Ebene der Politikfelder diskutiert wird, welche Probleme adressiert, welche Ziele verfolgt und welche Adressaten als relevant eingestuft werden. Aber auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den beiden Fällen. Während im Politikfeld Umwelt auf EU-Ebene durch die Umweltaktionsprogramme5 schon eine deutliche Fokussierung von Informationsinstrumenten und die Kennzeichnungen von Produkten als Ansatz zur Einflussnahme auf das Konsumverhalten erfolgt, werden in der Gesundheitspolitik auf EU-Ebene wesentlich weniger konkrete Festlegungen getroffen. In den Agenden, die Schwerpunkte der EU-Gesundheitspolitik darstellen, werden zwar Ziele, wie die Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes in der Union, und auch bestimmte Themen (bspw. Arbeitsschutz, Krebserkrankungen) in das Zentrum der Befassung gestellt, eine Engführung auf Maßnahmen oder Instrumente bleibt aber aus. Hingegen zeigt die Analyse, dass im Politikfeld Umwelt schon auf Ebene des Feldes von starken 5 Die

Umweltaktionsprogramme haben zwar einerseits überhaupt erst auf eine Hinwendung zum Konsum als relevante Stellgröße für eine nachhaltige Entwicklung hingewirkt, zugleich aber in der Mehrzahl eine Engführung auf Marktmechanismen und Informationsinstrumente betrieben. Hier stellen das fünfte und sechste Programm in ihrer Schwerpunktsetzung eher eine Ausnahme dar, s. Kapitel sieben.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Konsumenten ausgegangen wird. Dadurch wird eine abweichende Charakterisierung auf Ebene der Themen oder auch in konkreten Politiken unwahrscheinlicher. Dieser Wechsel in der Beschreibung der Zielgruppe würde die etablierten Deutungen im Feld herausfordern. Vor allem der Ansatz „working with the market“ (6. EAP: 4) stellt eine zentrale Festlegung dar, die Maßnahmen wie Konsumeinschränkungen oder abschreckende Warnhinweise auf Produkten unwahrscheinlich werden lässt. Die Verwendung von Schockbildern würde in diesem Kontext einen weitreichenden Eingriff in Marktmechanismen darstellen, der durch die Deutungen zu Problemen und Zielgruppen nicht gerechtfertigt wäre. Auch die themenspezifischen Agenden setzen dies in den beiden Feldern fort. Die betrachteten Programme zu nachhaltigem Konsum fokussieren den Ansatz der Verbraucherinformation und die Rolle von Konsumenten als souveräne Marktakteure. Die Annahme von starken Verbrauchern wird auf dieser Ebene deutlich etabliert. Im Fall der EU-Gesundheitspolitik erfolgt hingegen keine Fokussierung bestimmter Instrumente oder eine Formulierung von Annahmen zum Konsumentenverhalten. Erst auf Ebene der Themenagenden, und hier besonders durch die Agenda „Towards a Europe free from Tobacco Smoke“, werden eine schwache Zielgruppencharakterisierung und spezifische Adressatengruppen etabliert. Zudem werden eine Reihe von Instrumenten unterschiedlicher Kategorien diskutiert, sodass keine Engführung stattfindet – es bleiben alle Optionen offen. Damit sind Anknüpfungen unterschiedlicher Storylines möglich: Der Schutz spezifischer Gruppen durch harte Instrumente, die Adressierung einer Verhaltensänderung durch informierende oder ökonomische Maßnahmen und auch die Nutzung von verhaltensbasierten Instrumenten ist hier möglich, weil unterschiedliche Verknüpfungen aus Zielgruppe, Problem und Lösung schlüssig erstellt werden und eine adäquate politische Reaktion – mit Blick auf zentrale Ideen im Politikfeld – darstellen können. Auch hinsichtlich des einbezogenen internationalen Kontextes weisen die Fälle Unterschiede auf. Während in der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung und nachhaltigen Konsum zwar eine Vielzahl von Ansätzen diskutiert werden, erfolgt hier keine Festlegung. Wesentlich stärker wirkt hier die FCTC der WHO, die als Vereinbarung von den Mitgliedern der WHO unterzeichnet und ratifiziert wurde. Dabei gehen die Formulierungen und Forderungen der FCTC zwar über die Festlegungen im Rahmen der EU-Politik hinaus, sie sind aber anschlussfähig. Vor allem, weil im Rahmen der themenspezifischen Agenden zur Tabakpolitik ähnliche Perspektiven genutzt werden (u. a. Schutz von Nichtrauchern), sind die geforderten Maßnahmen auch in der EU-Politik umsetzbar (z. B. die Einführung

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

171

von grafischen Hinweisen)6 . Sie knüpfen an die Deutungen der EU zur Tabakund Gesundheitspolitik an. Hingegen fordert zwar auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP 2015) die Prüfung oder sogar Einführung von Maßnahmen, die über die Information der Konsumenten hinausgehen. Diese sind jedoch nur schwer mit den dominanten Deutungen in der EU-Umweltpolitik vereinbar. Der geforderte Ansatz, auch Informationen und Emotionen zu kombinieren (UNEP 2015), lässt sich mit Bezug auf die Schwerpunktsetzungen der EU im Politikbereich nachhaltiger Konsum nur bedingt mit den bisherigen Ansätzen verknüpfen. Eine schlüssige Storyline aus starken Konsumenten und der Beeinflussung durch Schockbilder wäre hier nur bedingt schlüssig. Die jeweiligen Deutungszusammenhänge in den Politik- und Themenfeldern ermöglichen also die Umsetzung bestimmter Maßnahmen oder aber erschweren die Wahl bestimmter Instrumente. Im Rückgriff auf die Perspektive des Diskursiven Institutionalismus werden hier also auf Ebene der Felder und Themengebiete programmatische Ideen etabliert. Diese unterscheiden sich zwischen den beiden Fällen, wirken letztlich aber gleichsam in jedem Fall auf die konkrete Politikgestaltung. Vor allem die Erstellung von Storylines ist durch diese programmatischen Ideen beeinflusst, da sie Anknüpfungspunkte für die Erstellung schlüssiger Erzählungen vorgeben (s. Schmidt 2008). Ein Abweichen von diesen Festlegungen (bspw. in der Umweltpolitik) würde einen sprunghaften PolicyWandel bedeuten, der entweder durch externe Schocks und sich öffnende windows of opportunity ermöglicht wird oder aber umfassende Umdeutungen im gesamten Politikfeld nach sich zöge. Beides tritt aber in den untersuchten Fällen (und in den untersuchten Zeiträumen) nicht auf. Für diese Policy-Ideen (Schmidt 2008) stehen also programmatische Ideen als Anknüpfungspunkte zur Verfügung. Die Annahme von schwachen Verbrauchern, die vor allem auf Ebene der Themenagenden zur Verfügung steht, ist hierbei essentiell. Ebenso wurden Policy-Ansätze in den Mitgliedstaaten in die Analyse einbezogen. So sollten Policies erfasst werden, die über die EU-Regelungen hinausgehen und damit als Vorbild für gemeinschaftliche Regelungen dienen könnten. Deutlich wird hierbei, dass im Bereich der Umweltpolitik keine nationalen Pioniere identifiziert werden können. Vielmehr zeigt die Betrachtung, dass auch auf Ebene der EU-Staaten vor allem Informationsinstrumente genutzt werden, um Konsumenten zu adressieren und sie zu einem nachhaltigen Konsumverhalten zu bewegen. Wären einzelne Staaten hier ambitioniert (bspw. durch die Einführung von Konsumlimits, s. Di Giulio/Fuchs 2016), könnte dies einen Ansatzpunkt für eine mögliche Harmonisierung auf EU-Ebene darstellen. Dieser Weg wurde teilweise im Bereich der 6 Die

Umsetzung der Forderung nach rauchfreien Zonen als soft law auf EU-Ebene wird in der Folge noch diskutiert.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Tabakpolitik gewählt. Denn bei diesem Thema gibt es sehr wohl Mitgliedsländer, die über die gemeinschaftlichen Regelungen hinaus Maßnahmen ergriffen haben, um das Konsumverhalten zu verändern. Bei beiden Anpassungen der TPD geht die Kommission genau auf diesen Punkt ein und begründet ihre Vorschläge auch mit der Notwendigkeit einer Harmonisierung für den gesamten Binnenmarkt7 . Die Antwort auf Leitfrage sechs muss daher lauten: Die Deutungen, die in den Politikfeldern festgelegt werden, beeinflussen das Policy-Making stark. Gerade im Politikfeld Umwelt restringieren sie die Wahl von Instrumenten, da kaum Anknüpfungspunkte für weiterreichende Maßnahmen zur Konsumsteuerung vorhanden sind. Schlüssige Storylines können hier nur die Idee souveräner Adressaten und Informationsinstrumente verknüpfen. Beide Aspekte sind als programmatische Idee auf Ebene des Feldes und des Themengebietes festgelegt. In der Gesundheits- und Tabakpolitik beeinflusst der Kontext die Instrumentenwahl und -gestaltung ebenso. Dabei stehen aber vielfältigere Anknüpfungspunkte in Form von programmatischen Ideen zur Verfügung, die Storylines auf Basis schwacher Adressaten ermöglichen. Abschließend steht die Frage nach der Dynamik zwischen Europäischer Kommission und Europäischem Parlament im Fokus. Hierzu wurde folgende Leitfrage erstellt: (7) Kann die Kommission ihre Storylines zur Instrumentenwahl und -gestaltung gegenüber dem Europäischen Parlament durchsetzen? In Anknüpfung an die Literatur zum Policy-Making in der EU wurde mit Blick auf die Leitfrage untersucht, wie Kommission und Parlament interagieren. Durch die zentrale Stellung der Kommission kann angenommen werden, dass diese bestimmte Deutungen und Storylines etablieren kann bzw. im Policy-Making vorgibt. Das EP ist ebenso ein wichtiger Akteur im Policy-Making auf supranationaler Ebene, muss aber auf Vorgaben der Kommission (und damit auch Storylines) reagieren und kann ggf. konkurrierende Storylines einbringen. Wie genau also beide Organe hinsichtlich der Erstellung von Erzählungen agieren, stand im Fokus der Analyse. Ich gehe in der Folge zunächst auf die Kommission und dann das Europäische Parlament ein. In der Analyse konnte die Rolle der Kommission und ihre zentrale Stellung auch in den untersuchten Fällen gezeigt werden. Zwei Aspekte sind hierbei wichtig: Zum einen ist die Kommission schon für die Gestaltung der Politik- und Themenfelder ein wesentlicher Akteur. Durch die Formulierung von grundlegenden 7 Dass

diese Begründung und das Vorgehen der Kommission nicht unumstritten sind, wurde ebenso in der Analyse des Policy-Makings dargestellt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von Ansatzpunkten für die Kommission, um auf EU-Ebene strengere Maßnahmen vorschlagen zu können.

9.2 Beantwortung der Leitfragen und Diskussion der Ergebnisse

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Deutungen und programmatischen Ideen in den Feldern, die Fokussierung auf bestimmte Maßnahmen und die Formulierung von Annahmen (u. a. zu Zielgruppen und Problemverständnissen) kann sie den Kontext des Policy-Makings gestalten. Zwar erfolgt die Schwerpunktsetzung in den Umweltaktionsprogrammen oder in den Programmen zur Gesundheitspolitik – also auf Ebene des Feldes – nicht durch die Kommission allein, sondern unter Berücksichtigung der Ratsposition und z. T. mit Berücksichtigung des Europäischen Parlaments, viele Deutungen gehen aber von der Kommission aus. Vor allem für die Ebene der Themenfelder ist dies der Fall. Die Schwerpunktsetzung in der EU-Umweltpolitik zur Rolle von Konsumenten und die Annahme, dass diese souveräne Marktakteure darstellten, wird durch die Kommission an vielen Stellen in den Diskurs eingebracht. Diese zentrale Storyline innerhalb des Themenfeldes nachhaltiger Konsum wird maßgeblich von der Kommission gestaltet und fortlaufend reproduziert. Durch die formale Stellung der Kommission im Policy-Making, v. a. durch die Möglichkeit Initiativen zu starten, besitzt die Kommission auch eine ideational power (Carstensen/Schmidt 2016). Die Analyse zeigt aber auch Konflikte innerhalb der Kommission im Fall der Maßnahmen zum nachhaltigen Konsum auf. Die beiden interviewten Experten der GD Umwelt betonten, dass die Generaldirektion von unterschiedlichen Konsumentengruppen mit unterschiedlichen Eigenschaften und einem unterschiedlichen Maß an Umweltbewusstsein ausgeht. Sie können sich mit diesen Perspektiven aber innerhalb der Kommission nicht durchsetzen. Ein Grund hierfür liegt in der Dominanz eines Diskurses, der auf eine ökologische Modernisierung abzielt (Machin 2019). In diesem sind andere Interpretationen zu Konsumenten und ihrem Verhalten nur schwer zu etablieren. Die zentrale Maßgabe in der EU Nachhaltigkeitspolitik – „working with the market“ – schließt hier alternative Deutungen zu Konsumenten nahezu aus. Diese zentrale Stellung der Kommission zeigt sich auch im zweiten Fall dieser Untersuchung. In beiden Überarbeitungen der Tabakkennzeichnung gelingt es der Kommission eine Storyline zu etablieren, die von den meisten Akteuren übernommen wird. Vor allem die Bezugnahme auf eine Denormalisierung des Rauchens stellt ein zentrales Element der Storyline neben der Adressatencharakterisierung dar. Nur wenige Akteure versuchen, andere Storylines zu etablieren. So beziehen sich EP-Ausschüsse auf die freie Entscheidung der Raucher, um weniger weitreichende Umgestaltungen des Instruments zu rechtfertigen. Insgesamt sind die Deutungen in diesem Fall innerhalb der Kommission weniger umkämpft als im Fall der Nachhaltigkeitspolitik. Hier konnte die Untersuchung keine konkurrierenden Annahmen innerhalb der Kommission identifizieren.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Mit Blick auf das Europäische Parlament stellt sich die Frage, ob das EP andere Ideen zum individuellen Verhalten formuliert als die Kommission. Da es als Vorreiter in diesem Politikfeld bezeichnet werden kann (Burns 2013), ist die Annahme zulässig, dass das EP weitreichendere Maßnahmen favorisiert und Storylines erstellt, die einen stärkeren Eingriff in Märkte rechtfertigen. Der zuständige EP-Ausschuss für Umweltfragen und öffentliche Gesundheit (ENVI) muss als wesentlich für die Politikgestaltung angesehen werden. Der Ausschuss spielt zum einen durch seine Zuständigkeit für beide Themen, zum anderen aber durch seine Positionierung eine wichtige Rolle. Die Analyse zeigt, dass der ENVI-Ausschuss durchaus auch auf eine schwache Adressatencharakterisierung Bezug nimmt. Vor allem bei der Überarbeitung des Ecolabels im Jahr 2009 setzt sich der Ausschuss mit dieser Perspektive ausführlicher auseinander als andere Ausschüsse oder die Kommission. Da der ENVI-Ausschuss bei diesem Thema berichterstattend war (und damit die Position des gesamten EP gegenüber den anderen Organen formulierte), musste er auch die Positionen der anderen Ausschüsse einbinden. Wie bereits in Kapitel vier dargestellt, ist gerade die innere Positionsbildung im EP wesentlich (u. a. Roger/Winzen 2015; Rittberger 2005). Andere Ausschüsse, bspw. der Industrieausschuss, betonen souveräne Konsumenten und stehen Markteingriffen zur Förderung eines nachhaltigen Konsums kritisch gegenüber. Die Position des Parlaments zum Ecolabel stellt so insgesamt einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen der Ausschüsse dar. Die Storyline, die auf Basis der einzelnen Positionen und als Kompromiss möglich ist, basiert auf der Idee souveräner Konsumenten. Im zweiten Fall, der Überarbeitung der Tabakkennzeichnung, stellt sich die Situation im Parlament ähnlich dar. Vor allem der Industrieausschuss kritisierte die Vorschläge des federführenden Ausschusses und der Kommission. Allerdings unterscheidet sich dieser Fall vom ersten, weil ENVI-Ausschuss und Kommission eine schwache Zielgruppencharakterisierung nutzen, um eine umfassende Umgestaltung des Instruments zu begründen. Hier stehen sich berichterstattender Ausschuss und Kommission also nicht gegenüber, sondern bilden eine Art Diskurskoalition. Gleiches gilt für die Erstellung zur Empfehlung rauchfreier Zonen. Damit ist die Kommission auch auf Ebene der konkreten Politiken und in deren Gestaltung ein wesentlicher Akteur, der in der Lage ist, die Instrumentenwahl, Probleminterpretationen und Zielgruppencharakterisierungen zu schlüssigen Policy-Paketen zu verknüpfen. Zum anderen stellen in beiden Fällen die Vorschläge der Kommission zur Überarbeitung der Instrumente den wichtigsten Bezugspunkt auch für andere Akteure dar. Alle Ausschüsse beziehen sich auf diese Vorschläge. Sie können zwar abweichende Deutungen oder Kombinationen aus Adressaten, Problem und Instrument formulieren, dies erfolgt aber in beiden Fällen immer unter Bezugnahme auf die Kommissionsvorschläge und ggf. in Abgrenzung zu

9.3 Zielgruppen und Instrumentenwahl – Erkenntnisse der Untersuchung …

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diesen. Somit kann eine maßgebliche Stellung der EU-Kommission für die PolicyGestaltung, v. a. im Hinblick auf die Etablierung von Deutungen und Storylines zur Instrumentenwahl, identifiziert werden. Das Europäische Parlament ist hier aufgrund der Notwendigkeit zur inneren Konsensbildung weniger in der Lage, konkurrierende Storylines zu etablieren. Die Fälle dieser Untersuchung deuten darauf hin, dass schon im Rahmen der Abstimmung zwischen den Ausschüssen konkurrierende Ideen und Storylines ausgehandelt werden, um einen Kompromiss aus den Interpretationen zu erstellen. Insgesamt wurde gezeigt, dass die Charakterisierung von Zielgruppen ein wichtiges Element im Prozess der Instrumentenwahl und -gestaltung darstellt. Das nachfolgende Kapitel reflektiert diese Erkenntnisse mit Bezug zum Forschungsstand, bevor offene Fragen und weiterführender Forschungsbedarf diskutiert werden.

9.3

Zielgruppen und Instrumentenwahl – Erkenntnisse der Untersuchung und Bezüge zur Policy-Forschung

Der Ausgangspunkt der Arbeit war die Frage nach der Relevanz von Adressaten für die Politikgestaltung. An die Literatur anknüpfend, ist die Arbeit der Annahme nachgegangen, dass Erwartungen zu Adressaten und ihrem Verhalten für die Politikgestaltung relevant sind (Ingram/Schneider 1991; Lascoumes/Le Gales 2007). Vor allem bei der Erstellung von Storylines, die eine Instrumentenwahl begründen, so die Annahme, ist die Konzeption der Zielgruppe und Erwartungen zu ihrem Verhalten von Bedeutung. Die empirische Analyse hat bereits dargestellt, dass Zielgruppen unterschiedlich charakterisiert werden und mit diesen Adressatenbildern auch unterschiedliche Verknüpfungen mit Instrumenten möglich sind. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse kann festgehalten werden, dass ein starkes Adressatenbild eher ein limitierender Faktor ist, der die Wahl von weitreichenden Interventionen durch harte Instrumente erschwert, da mit dieser Zielgruppencharakterisierung solche Instrumente nicht oder nur bedingt als schlüssige Reaktion auf Probleme konzipiert werden können. Umgekehrt ermöglicht die Annahme einer schwachen Zielgruppe Eingriffe, die über eine neutrale Bereitstellung von Informationen hinausgeht. Vor allem die Untersuchung der Einführung von Schockbildern auf Tabakprodukten zeigt hier, dass auch die Nutzung von verhaltensbasierten Instrumenten durch eine solche Zielgruppenkonzeption ermöglicht wird. Hingegen würde die neutrale Information von Adressaten eher eine unzureichende Maßnahme darstellen. Unterschiedliche Charakterisierungen von Adressaten können somit als limitierendes oder förderndes Element in der Instrumentenwahl verstanden werden.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Zudem zeigt die Untersuchung, dass Konsumenten in beiden analysierten Fällen häufig und eindeutig jeweils einer Konzeption von Verbrauchern zugeordnet werden. Hier wird also im Policy-Making mit vereinfachten Annahmen zu Adressaten gearbeitet. Den Akteuren soll hier kein holzschnittartiges Verständnis von Konsumenten unterstellt werden. Unter Bedingungen unvollständigen Wissens sind Vereinfachungen durch Akteure im Policy-Making durchaus erwartbar8 . Vor allem die Wirkung von programmatischen Ideen, wie Annahmen zu Zielgruppen, sind relevant für die Begründung von Policy-Ansätzen. Damit ergeben sich auch Erkenntnisse, die an die referierte Literatur zurückgekoppelt werden können. Zum einen gehen Ingram und Schneider (1991) von unterschiedlichen Zielgruppen aus, die politisch (bspw. als bedürftig) charakterisiert werden. Diese Annahme kann durch die Analyseergebnisse in der Arbeit unterstützt werden. Vor allem der Fall der EU-Tabakpolitik zeigt, dass unterschiedliche, sehr spezifische Gruppen in der Politikgestaltung adressiert werden, um die Wahl bestimmter Werkzeuge und den Policy-Ansatz in diesem Thema zu begründen und ihn als schlüssiges Vorgehen darzustellen. Die Erkenntnisse der Analyse schließen damit auch an die Perspektive an, die Vedung auf Politikinstrumente eröffnet: „Discourse on public policy instruments is a discourse on power. […] Public policy instruments are a set of techniques by which government authorities […] wield their power […]“ (2007: 50). Diese Ausübung von Macht benötigt eine legitime Basis, denn umso größer die eingesetzte Macht (in Form von Zwang durch Instrumente), desto notwendiger ist ein Mandat hierzu (Vedung 2007: 30 ff.). In der Arbeit konnte ich zeigen, wie diese Legitimation erzeugt wird, indem schlüssige Erzählungen erstellt werden, die darlegen, welche Adressaten wie zu einer Verhaltensänderung bewegt werden sollen. In den Fällen, in denen hierzu stärker in individuelle Freiheiten eingegriffen wird, müssen Storylines andere Elemente verbinden, als wenn Informationen bereitgestellt werden. Die Bezugnahme auf schwache und zu schützende Zielgruppen erleichtert so die Wahl von Instrumenten, die über die Bereitstellung von Informationen hinaus gehen. Damit liefert die Arbeit auch Ergebnisse, die helfen können, die Relevanz von Zielgruppen im Policy-Making zu verstehen. Rist konstatiert, dass „[…] there is […] a need to carefully assess who are the intended targets of the instruments, what is known of their attitudes, behavior […]“ (2007: 156). In der Arbeit konnte ich darlegen, dass das eigentliche individuelle Verhalten der Adressaten nur bedingt Einfluss auf die Wahl der Instrumente hat. Viel mehr spielen die Annahmen zu Zielgruppen eine Rolle. Diese Annahmen können auf unterschiedlichen Quellen beruhen 8 Gerade

die Literatur zu bounded rationality im Policy-Making liefert hier Anknüpfungspunkte, s. Jones 2003.

9.3 Zielgruppen und Instrumentenwahl – Erkenntnisse der Untersuchung …

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und stärker (wie im Fall der Politik zu nachhaltigem Konsum) oder weniger stark (wie in der Tabakpolitik) vereinfachte Perspektiven auf Zielgruppen umfassen. Im Policy-Making werden allgemeinere Erwartungen zum Verhalten formuliert und in die Policy-Lösungen eingepasst. Damit wird vor allem die Vielfalt und Komplexität von Verbraucherinnen und Konsumsituationen (McGregor 2017) reduziert, indem vereinfachte Vorstellungen genutzt werden, um Policy-Ansätze zu gestalten. Darüber hinaus zeigt vor allem die Analyse der TPD und der Einführung von Schockbildern und Warnhinweisen, wie die Bezugnahme auf Adressaten und ihre angenommenen Eigenschaften die Wahl bestimmter Instrumente und die Umgestaltung von Instrumenten ermöglicht. Die Ergänzung der Warnhinweise um Schockbilder kann hier als eine weitere Verschärfung des Instruments angesehen werden. Die Nutzung von Emotionen (die durch die Bilder transportiert werden) charakterisiert das Tabaklabel in seiner aktuellen Form als Informationsinstrument mit einem behavioural spin (Loer 2019). So können die Erkenntnisse hinsichtlich der Nutzung unterschiedlicher Zielgruppencharakterisierungen in der Instrumentengestaltung auch mit Blick auf die Forschung zu verhaltensbasierten Werkzeugen relevant sein. Die Nutzung von Schockbildern wird im Policy-Making eng an eine schwache Zielgruppe und die Abschreckung bestimmter Adressaten (v. a. Kinder und Jugendliche) geknüpft. Damit wird auch deutlich, dass die Identifikation von spezifischen Gruppen eine zentrale Bedeutung für die Instrumentenwahl im untersuchten Fall der Tabakpolitik hat. Bei diesem Thema erfolgt eine wesentlich intensivere Befassung mit Adressaten oder Konsumenten als im Fall der Nachhaltigkeitspolitik. Für die Analyse habe ich die Zielgruppencharakterisierungen als gegeben angesehen und nicht untersucht, wie diese im Vorfeld des eigentlichen Policy-Prozesses etabliert werden9 . Auf Basis der Untersuchung kann festgehalten werden, dass im Fall der Tabakpolitik andere bzw. detailliertere Deutungen zu Zielgruppen für die Erstellung von Storylines verfügbar waren. Zudem werden auch Unterschiede hinsichtlich der Instrumentenwahl zwischen den Akteuren deutlich, die auf unterschiedliche politische Prioritäten oder Ideologien hindeuten (Rist 2007: 156). So zeigen die geführten Interviews und die Analyse der Plenardebatten, dass nicht alle Fraktionen in gleichem Maß den Eingriff in individuelles Verhalten im Rahmen der Tabakpolitik unterstützen. Mitglieder der Liberalen im EP stehen diesem Vorgehen bspw. kritisch gegenüber, weil sie generell weniger staatliche Eingriffe befürworten als andere Fraktionen. Und auch innerhalb der Kommission zeigen sich unterschiedliche Überzeugungen dazu, wie weit in die 9 An

diesem Punkt besteht weiterer Forschungsbedarf. So kann vermutet werden, das medizinische Erkenntnisse zum Rauchen wesentlich stärker Eingang in die Politikgestaltung und das Zielgruppenverständnis gefunden haben als im Fall des nachhaltigen Konsums.

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

Konsumentenfreiheiten eingegriffen werden sollte. Diese Frage stand weder im Fokus der Arbeit noch kann sie durch diese Arbeit abschließend geklärt werden. Die Erkenntnisse hinsichtlich unterschiedlicher Positionen der Akteure knüpfen hier aber einerseits an bestehende Forschung an und deuten andererseits auf weiteren Forschungsbedarf hin. McElroy und Benoit (2012) verweisen auf die unterschiedlichen Positionen der Fraktionen im EP. Besonders relevant für die Unterscheidung der Positionen ist hier die Dimension Markt-Staat, bei der „[…] attitudes toward the regulation of markets […]“ entscheidend sind. Die Ergebnisse meiner Analyse schließen an diese Perspektive an. Deutlich wird vor allem, dass im Fall der Umweltpolitik häufiger von allen Fraktionen auf Marktmechanismen zur Erreichung eines nachhaltigen Konsums verwiesen wird, während im Fall der Tabakpolitik eher auf eine stärkere Regulierung gesetzt wird, um die formulierten Ziele zu erreichen. Die Erkenntnisse aus der Analyse in dieser Arbeit sollten hier aber in weiterer Forschung vertieft werden. Vor allem grundlegende programmatische und ideologische Differenzen der Fraktionen, die auch (implizit) Zielgruppencharakterisierungen einschließen, wären hier ein Anknüpfungspunkt.

9.4

Zielgruppen und Instrumentenwahl im Policy-Making der EU

Zu Beginn soll hier auf eine noch nicht abschließend besprochene Thematik eingegangen werden. Im Rahmen der Empfehlung zu rauchfreien Zonen auf EU-Ebene werden durch die Europäische Union bindende Verbote in den Mitgliedstaaten gefordert. Diese Forderung erfolgt aber rechtlich durch eine Empfehlung, die wiederum selber nicht bindend ist und als soft law bezeichnet werden kann. Dennoch messe ich dieser Empfehlung eine wichtige Bedeutung zu, da sie ein Instrument empfiehlt, dass letztlich den Tabakkonsum einschränkt, indem dieser in bestimmten Räumen verboten wird und darüber hinaus den Tabakkonsum unattraktiv machen will. Trotz des nicht-bindenden Charakters einer Empfehlung kann diese dennoch als wichtiges Werkzeug der EU gesehen werden, um einen Policy-Wandel in den Mitgliedstaaten zu erzeugen. So zeigt die Forschung, dass soft law durchaus in den Mitgliedstaaten implementiert wird. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn einem Thema eine hohe Salienz zugemessen wird (van Wolleghem 2017: 1139). Die Implementation auf nationaler Ebene kann dabei u. a. von der Zahl der Veto-Player abhängen (Treib 2014: 31). Dennoch entfalten auch nicht-bindende Maßnahmen eine Wirkung in den Mitgliedstaaten. Daneben muss im betrachteten Fall auch einkalkuliert werden, dass die EU-Mitgliedsländer die FCTC unterzeichnet haben und somit auch

9.4 Zielgruppen und Instrumentenwahl im Policy-Making der EU

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dadurch ihr Engagement verdeutlicht haben. Dennoch ergeben sich unterschiedliche Regelungen in den EU-Mitgliedstaaten. So haben einige Nationalstaaten bspw. weniger strikte Regelungen zu Rauchverbotszonen erlassen, als dies bspw. durch die Kommission oder das EP gefordert wird (Joossens/Raw 2016). Trotz des weichen Charakters der Empfehlung kann ihr also eine zentrale Bedeutung für die Tabakund Nichtraucherschutzpolitik in der EU zugemessen werden. Weiterhin zeigt die Untersuchung, dass vor allem die Europäische Kommission eine herausgehobene Position im Policy-Making, nicht nur durch ihre formalen Kompetenzen, sondern auch durch die Etablierung von Ideen, Interpretationen und Storylines einnimmt. Die Vorschläge der Kommission haben in beiden Fällen maßgeblichen Einfluss auf die Politik- und Instrumentengestaltung. Die Einführung von Schockbildern auf Tabakpackungen zeigt dabei auch die Relevanz der von der Kommission erstellten Storyline. Obwohl nur mit einer eingeschränkten Kompetenz für das Thema Gesundheitspolitik ausgestattet, gelang es der Kommission, ein Instrument der Verbraucherinformation zu einem Warnhinweis mit grafischen Elementen weiterzuentwickeln. Dabei wurde, das zeigt die Analyse in dieser Arbeit, sehr wohl ein genuin gesundheitspolitisches Ziel verfolgt. Die Kommission nimmt ausführlich Bezug auf EU-Bürger, ihren Schutz und besonders verletzliche gesellschaftliche Gruppen. Diese Konstruktion der relevanten Zielgruppen spielt eine wesentliche Rolle für die Politikgestaltung und rechtfertigt den weitreichenden Vorschlag zur Umgestaltung des Instruments. Auch das Europäische Parlament unterstützt diese Storyline und geht in seinen Forderungen sogar noch weiter. Beiden Akteuren gelingt es so, die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen zu begründen. Hingegen wird im Fall der Nachhaltigkeitspolitik vor allem auf Bürger als Konsumenten (und damit Marktakteure) Bezug genommen. In diesem Fall geht nur der Umweltausschuss des EP von einer differenzierteren Perspektive auf Verbraucher aus, kann sich damit aber nicht durchsetzen. Die Fokussierung auf Marktmechanismen innerhalb der Nachhaltigkeitspolitik und die Dominanz einer souveränen Zielgruppencharakterisierung, die auch von der Kommission immer wieder reproduziert wird, verhindern hier eher einen Policy-Wandel. Weiterhin lassen sich die Untersuchungsergebnisse in den Kontext der Forschung zur Positionsbildung der Kommission setzen. Vor allem die Analyse der Politik zu nachhaltigem Konsum deutet darauf hin, dass innerhalb der Kommission eine politische Schwerpunktsetzung erfolgt. Die Generaldirektion Umwelt ist offenbar nicht in der Lage, ihre Vorstellungen umfänglich durchzusetzen. Jüngere Forschung adressiert den Einfluss von politischen Schwerpunktsetzungen: Sowohl die horizontalen Aushandlungen zwischen den Generaldirektionen (Hartlapp et al. 2014) als auch

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9 Vergleichende Zusammenfassung der Fälle und Diskussion der …

die vertikalen Strukturen in der Kommission und innerhalb der GDs (Kassim et al. 2017) beeinflussen maßgeblich den Inhalt der Kommissionsvorschläge. An diese Perspektiven könnten weiterführende Forschungsvorhaben anschließen. Vor allem die Frage nach den Abläufen innerhalb der Kommission, den Einflussfaktoren auf die Positionsbildung und die Abläufe in den Generaldirektionen bieten hier Anknüpfungspunkte. Auch die Zusammenarbeit der Kommission, v. a. ihrer GDs, mit dem EP bietet hier weitere Perspektiven. Damit knüpfen die Ergebnisse meiner Untersuchung an die Erkenntnisse zum hohen legislativen Einfluss der Kommission an (Hartlapp et al. 2016). Trotz der Aufwertung der anderen Institutionen durch den Lissabon-Vertrag und einer vielfach identifizierten Beschränkung der zentralen Stellung der Kommission (u. a. Kassim/Menon 2010), weist vor allem die Instrumentengestaltung im Fall der Tabakpolitik auf die politischen Ambitionen der EU-Kommission hin. Becker et al. (2016) verweisen darauf, dass die Kommission nach Lissabon nicht weniger, sondern anders agiert: Der Lissabon-Vertrag „[…] made Commission policy entrepreneurship in the classic sense – i.e. formulating and pushing for hard law in the Community method – more difficult“ (Becker et al. 2016: 1014). Der Fall der Tabakpolitik unterstreicht dies. Hier wurde keine neue, verbindliche Regelung vorgeschlagen, sondern ein bestehendes Instrument der Binnenmarktregulierung mit Blick auf gesundheitspolitische Ziele weiterentwickelt. Hier kann also durchaus auch ein Vorgehen identifiziert werden, dass unter den Bedingungen des Lissabon-Vertrags einen Politikwandel im Sinne der Kommission ermöglicht. Durch die Betrachtung der beiden Fälle ist außerdem deutlich geworden, dass vor allem in der Gesundheitspolitik die EU über ihre genuine Kompetenz bezüglich des Binnenmarktes hinaus agiert. Dies wird auch von einigen Akteuren im Policy-Making, bspw. von den Ausschüssen und Abgeordneten im Parlament, angemerkt. Die Anpassung der TPD, hier vor allem die Einführung von grafischen Warnhinweisen, wird von der Kommission nicht nur mit der Harmonisierung unterschiedlicher Regelungen, sondern auch mit einer klaren gesundheitspolitischen Agenda begründet. Zunächst können hier Parallelen zur Entwicklung der EU-Umweltpolitik gezogen werden. Auch hier gelang es der Kommission mit Unterstützung des Parlaments, über unbedingt notwendige Harmonisierungen hinaus tätig zu werden und eine ambitionierte umweltpolitische Agenda zu verfolgen (Knill/Liefferink 2013). Vor allem über die Regulierung der Tabakverpackungen wurde ein Weg beschritten, der von der Information über bestimmte Inhaltsstoffe zur Verwendung emotionaler, abschreckender grafischer Warnhinweise führte. Damit, so mein Argument, kann auch hier davon gesprochen werden, dass die EU, vor allem die Kommission mit Unterstützung des Parlaments, über die unbedingt notwendigen Harmonisierungen hinaus tätig wird und politische Ziele verfolgt,

9.4 Zielgruppen und Instrumentenwahl im Policy-Making der EU

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die über die Förderung des freien Warenverkehrs hinausgehen. Wie oben besprochen, stellt die Bezugnahme auf schwache Zielgruppen ein wesentliches Element in der Storyline dar, die dieses Vorgehen begründet. Bereits bei der Regelung der Tabakwerbung 1997 waren Kommission und Parlament über die Notwendigkeit der Binnenmarktharmonisierung hinausgegangen und hatten genuin gesundheitspolitische Ziele verfolgt (Kurzer/Cooper 2016). Das Agieren von Kommission und EP im Fall der Einführung von Schockbildern entspricht hier also eher dem Trend innerhalb der EU-Tabakpolitik, als dass es eine Ausnahme darstellt. Neben Kommission und EP muss, gerade für den Fall der Tabakpolitik, aber auch auf die Mitgliedstaaten verwiesen werden. Im Fokus der Arbeit standen nicht die unterschiedlichen Ansätze in den EU-Ländern. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten kann hier kein abschließendes Urteil über deren Einfluss auf die Policy-Ansätze auf EU-Ebene gefällt werden. Es sei aber auf die Forschung zum Thema leadership verwiesen, die hier weitergehende Erkenntnisse liefern könnte. Die Analyse der Erstellung der EU-Empfehlung zu rauchfreien Zonen deutet hier schon auf die zentrale Bedeutung einzelner Mitgliedstaaten hin. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass einige Staaten durch sehr ambitionierte Policies, bspw. in Großbritannien oder Irland, als frontrunner in diesem Thema charakterisiert werden könnten. Hier wäre durchaus denkbar, dass eine Art leaderhip by example auch supranationale Schwerpunktsetzungen beeinflussen könnte (Liefferink, Skou Andersen 1998). Mit Blick auf den Fall der Politik zu nachhaltigem Konsum können hingegen keine besonders ambitionierten Mitgliedsländer identifiziert werden, deren nationale Politikansätze einen Wandel auf EU-Ebene fördern könnten. Trotz der zentralen Rolle der Kommission in den untersuchten Fällen kann also kein rein supranationaler Prozess angenommen werden. Vielmehr deutet diese Untersuchung auch an, dass die Mitgliedstaaten das PolicyMaking nicht nur über den Rat, sondern auch indirekt über ihre nationalen Policies beeinflussen.

Fazit

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In dieser Arbeit habe ich mich mit der Instrumentenwahl und -gestaltung im PolicyMaking der EU befasst. Dabei standen unterschiedliche Charakterisierungen von Adressaten und Zielgruppen der Politiken im Zentrum der Analyse. Der Ausgangspunkt hierfür war der Befund, dass vor dem Hintergrund einer hohen Relevanz des Konsums für eine nachhaltige Entwicklung vor allem neutrale, informierende Instrumente genutzt werden, um individuelle Entscheidungen zu adressieren und zu beeinflussen. Neben der Kritik an dieser Form der Verbrauchersteuerung aus wissenschaftlicher Perspektive (u. a. Di Giulio/Fuchs 2016) hat auch das United Nations Environmental Programme auf andere Formen der Steuerung verwiesen. So sei zu hinterfragen, warum nicht weitreichender in individuelle Konsumentscheidungen, bspw. mit Warnhinweisen oder emotionalen Ansprachen, eingegriffen würde, um eine Transformation zu nachhaltigen Konsummustern zu erreichen (UNEP 2015). Vor diesem Hintergrund wurden für die Arbeit zwei Fälle ausgewählt, in denen individuelles Verhalten adressiert wird, dabei aber unterschiedliche Instrumente genutzt werden. Zum einen habe ich mich auf das zentrale Instrument der europäischen Umweltpolitik, das Ecolabel, konzentriert, das mit neutralen Informationen Konsumenten bei einem nachhaltigen Konsum unterstützen soll. Zum anderen habe ich die Kennzeichnung von Tabakprodukten und die Maßnahmen zu rauchfreien Zonen in der EU betrachtet. Die Tabakkennzeichnung hat dabei, anders als das Ecolabel, einen Wandel in der Gestaltung erfahren. In einem ersten Schritt wurden neutrale Informationen über Inhaltsstoffe durch Warnhinweise erweitert und seit 2014 werden diese Warnungen durch sog. Schockbilder ergänzt. Das Ziel dieser Art der Kennzeichnung ist es, Raucher und potentielle Konsumenten vom Kauf und Konsum dieser Produkte abzuhalten. Im Rahmen der Analyse in dieser Arbeit konnte ich darstellen, dass in den beiden Politikbereichen sehr unterschiedliche Zielgruppencharakterisierungen genutzt werden. Während in der EU-Umweltpolitik fast ausschließlich von souveränen © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8_10

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Fazit

Konsumenten ausgegangen wird, die aufgrund von Informationen zu Produkteigenschaften Entscheidungen treffen, wird in der Gesundheitspolitik von schwachen, leicht zu verleitenden Adressaten ausgegangen. Daneben werden außerdem spezifische Zielgruppen und deren Schutz als besonders relevant angesehen. Wesentlich für die Fragestellung der Arbeit war die Untersuchung der Nutzung dieser Zielgruppencharakterisierung im Prozess der Politikgestaltung. Für die Analyse habe ich interpretative Ansätze der Politikfeldanalyse genutzt und bin davon ausgegangen, dass politische Maßnahmen nicht allein unter Bezugnahme auf Adressaten gewählt werden, dies aber ein wesentliches Element darstellt, um schlüssige Storylines zum politischen Handeln zu erstellen. So ist die Nutzung von neutralen Informationen zur Unterstützung souveräner Verbraucherinnen im Bereich der Umweltpolitik eine schlüssige Form der politischen Steuerung. Ebenso zeigt der Fall des Tabakkonsums, dass die Warnung und Abschreckung von schwachen Konsumenten als legitimes Vorgehen dargestellt werden kann. Umgekehrt würden die Warnung und Abschreckung souveräner Adressaten, die über die Folgen des Tabakkonsums informiert werden können (und darauf entsprechend reagieren), ein sehr weitreichendes und äußerst begründungswürdiges Intervenieren in individuelle Freiheiten darstellen. Ebenso gilt für die Politik zu nachhaltigem Konsum, dass die bloße Information schwacher Konsumenten, die eher auf Emotionen, Gruppendynamiken oder soziale Erwünschtheit reagierten, eine unzureichende Form der politischen Steuerung darstellen. Diese Kopplungen von Zielgruppencharakterisierungen und Instrumenten würde jeweils keinen schlüssigen Policy-Ansatz darstellen. Insgesamt stellen Zielgruppencharakterisierungen ein wesentliches Element für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl dar. Darüber hinaus habe ich zur Erklärung der Instrumentenwahl auch die Politikfelder als Kontext des Policy-Makings einbezogen. Die Annahme war hierbei, dass die Felder und Themengebiete einen Rahmen bilden, in dem Deutungen zu Zielgruppen oder Steuerungsansätzen etabliert werden. Im Fall der Umweltpolitik zeigt die Analyse, dass schon auf Feld- und auch auf Themenebene die Annahme souveräner Verbraucherinnen etabliert wird und das Politikfeld dominiert. Ebenso erfolgt eine Fokussierung von weichen, informierenden Instrumenten. Gerade unter der Maßgabe working with the market kommt es so einer Engführung auf starke Verbraucherinnen und deren Unterstützung mit neutralen Informationen, um ihnen die Wahl nachhaltiger Produkte zu erleichtern. Die Bezugnahme auf Nachfrage, Auswahl und souveräne Konsumenten entspricht hier Jannings Beschreibung einer „liberalen Marktideologie“ (2003: 154), in die politische Maßnahmen der Steuerung eingepasst werden. Hingegen zeigt der Fall der Tabakpolitik, dass schon auf Ebene des Feldes der europäischen Gesundheitspolitik vielfältig über unterschiedliche Kategorien von Instrumenten gesprochen wird. Auch hinsichtlich der

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Fazit

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Adressaten konnten Bezugnahmen auf starke und schwache Idealtypen nachgewiesen werden. Hier sind also weniger starre Vorstellungen auf Ebene des Feldes etabliert. Weiterhin wird auf Ebene des Themengebietes verstärkt auf schwache und spezifische Zielgruppen eingegangen. So stehen letztlich bei der Gestaltung der konkreten Maßnahmen zahlreiche unterschiedliche Interpretationen zur Verfügung, um damit schlüssige Storylines zu erstellen und so die Form der Steuerung zu begründen. Auch hinsichtlich der Interpretationen von Problemen unterscheiden sich beide Fälle. Während im Fall der Tabakpolitik Raucher als ‚Gefährder‘ des Gemeinwohls den Nichtrauchern (die davor zu schützen sind) gegenübergestellt werden, wird in der Politik zu nachhaltigem Konsum eher auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der nachhaltigen Entwicklung verwiesen. Besonders un-nachhaltige Gruppen werden hier nicht identifiziert. So wäre es durchaus denkbar, die häufige Nutzung von Flugverbindungen als eine unerwünschte Verhaltensweise zu beschreiben. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Probleme der Umweltverschmutzung oder des Klimawandels weniger durch ihre unmittelbaren Folgen beschrieben werden. Vielmehr wird auf globale Auswirkungen verwiesen. Dies wiederum schafft eher Distanz zwischen individuellem Verhalten und seinen Folgen für die Umwelt. Auch die Bezugnahme auf bestimmte Probleminterpretationen spielt, vor allem in Verbindung zu Zielgruppen der Policies, eine wichtige Rolle für die Erstellung von Storylines zur Instrumentenwahl. Mit Blick auf die Politikgestaltung in der EU bin ich in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, wie die Europäische Kommission Deutungen zu Zielgruppen und Politikansätzen etabliert und ob das Europäische Parlament konkurrierende Annahmen in das Policy-Making einbringen kann. Aufgrund der formal starken Stellung der Kommission kommt ihr auch bei der Etablierung von Deutungen und Storylines im Policy-Making eine zentrale Rolle zu. Die Analyse zeigt, dass Vorschläge der Kommission und ihre Storylines zur Begründung politischen Handelns von allen anderen betrachteten Akteuren aufgenommen werden. Dem Parlament hingegen gelingt es nur in begrenztem Maß konkurrierende Storylines einzubringen. Hierbei ist vor allem die Kompromissfindung innerhalb des Parlaments relevant. Anhand der Überarbeitung des Ecobales konnte gezeigt werden, dass der federführende Umweltausschuss auch die Positionen anderer Ausschüsse aufnehmen muss. Diese sind häufig weniger ambitioniert und tragen letztlich zu einer insgesamt weniger ambitionierten Position des Parlaments bei. Im Fall der Tabakpolitik kann sich der federführende Ausschuss im EP mit Verweis auf die ambitionierten Ziele der Kommission hingegen durchsetzen. Hier bietet die von der Kommission eingebrachte Storyline (die den Schutz bestimmter Gruppen in den Fokus stellt) einen Anknüpfungspunkt für das Parlament.

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Fazit

Neben dem Interagieren von Kommission und EP habe ich mich auch mit der begrenzten Kompetenz der EU in der Gesundheitspolitik befasst: Obwohl die EU bei der Kennzeichnung von Tabakprodukten aufgrund der Zuständigkeit für den freien Warenverkehr im Binnenmarkt agiert, nehmen Kommission und EP nur selten auf diesen Aspekt Bezug. Die Analyse in Kapitel acht hat deutlich gezeigt, dass die Harmonisierung unterschiedlicher nationaler Regeln zwar als Grund für das Tätigwerden, nicht aber als Grund für die Gestaltung des Instruments genutzt wird. Hingegen spielen hier Zielgruppen, v. a. schwache Adressaten und spezifische, besonders zu schützende Gruppen, eine zentrale Rolle für die Argumentation der Akteure im Policy-Making. So agieren hier EP und Kommission mit ähnlichen Storylines, die letztlich als Begründung für die weitreichenden Maßnahmen in diesem Fall dienen. Mit diesen Storylines begegnen die Befürworter der Instrumentengestaltung (v. a. hinsichtlich der Einführung von Schockbildern) auch der Kritik an einer potentiellen Überschreitung supranationaler Kompetenzen. Im Fall der Umweltpolitik hätte die Kommission durchaus genuin supranationale Kompetenzen, bleibt aber mit Bezug zur Konsumentenadressierung hinter ambitionierten Policies in anderen Bereichen zurück. Die Festlegungen von Grenzwerten zum Energieverbrauch oder CO2 -Ausstoß können hier als Beleg für eine engagierte Umweltschutzpolitik angeführt werden. Eine andere Art der Verbrauchersteuerung scheint im Lichte der Analyseergebnisse dieser Arbeit eher unwahrscheinlich, da hierfür zunächst differenzierte Annahmen zum Konsumentenverhalten etabliert werden müssten. Auf diese könnten sich Akteure im Policy-Making dann beziehen, um die Notwendigkeit der Warnung vor bestimmten Produkten oder Einschränkung des Konsums schlüssig zu begründen. Insgesamt wird so deutlich, dass die Analyse der Bezugnahme auf und die Einbindung von Zielgruppen das Verständnis der Instrumentenwahl erhöhen kann. Vor allem das vergleichende Vorgehen konnte helfen, die Relevanz von Zielgruppencharakterisierungen für die Instrumentenwahl und -gestaltung herauszustellen. Ebenso verdeutlicht der Vergleich, dass gerade die Politikfelder relevante Strukturen und Deutungen vorgeben, die zu erheblichen Unterschieden im Policy-Making führen können bzw. verfügbare Deutungen reduzieren und damit den Raum für mögliche Storylines verringern.

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© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Pollex, Zielgruppen im Policy-Making der Europäischen Union, Forschungen zur Europäischen Integration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31578-8

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