Videotherapie und Videosupervision: Praxishandbuch für Psychotherapie und Beratung online [1. Aufl.] 9783662620908, 9783662620915

Dieses Manual für Psychotherapeuten und Supervisoren zeigt, wie Sprechstunde und Supervision per Video gelingen – einem

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German Pages XIV, 143 [150] Year 2020

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Videotherapie und Videosupervision: Praxishandbuch für Psychotherapie und Beratung online [1. Aufl.]
 9783662620908, 9783662620915

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Front Matter ....Pages 1-1
Bevor es los geht: Einwände prüfen (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 3-10
Einführung (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 11-23
Grundlagen (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 25-35
Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 37-48
Front Matter ....Pages 49-49
Inhalt und Ablauf (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 51-68
Möglichkeiten und Grenzen von Videositzungen (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 69-88
Interventionen in Videotherapie und Videosupervision (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 89-129
Front Matter ....Pages 131-131
Selbstfürsorge (Susanna Hartmann-Strauss)....Pages 133-143

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Psychotherapie: Praxis

Susanna Hartmann-Strauss

Videotherapie und Videosupervision Praxishandbuch für Psychotherapie und Beratung online

Psychotherapie: Praxis

Die Reihe Psychotherapie: Praxis unterstützt Sie in Ihrer täglichen Arbeit – praxisorientiert, gut lesbar, mit klarem Konzept und auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13540

Susanna Hartmann-Strauss

Videotherapie und Videosupervision Praxishandbuch für Psychotherapie und Beratung online

Susanna Hartmann-Strauss Psychologische Praxis Calw, Deutschland

ISSN 2570-3285 ISSN 2570-3293  (electronic) Psychotherapie: Praxis ISBN 978-3-662-62090-8 ISBN 978-3-662-62091-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. © Fotonachweis Umschlag: © by-studio/stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell) Umschlaggestaltung: deblik Berlin Planung/Lektorat: Monika Radecki Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

„Onpa sitä maailmaa jonnekin päin“, sanoi akka kun kepillä saunan luukusta pisti. „Wie ist die Welt doch groß und weit“, sagte die Alte, als sie einen Stock zur Saunaluke herausstreckte. Finnisches Sprichwort aus Südösterbotten

Vorwort

Im März 2020 wurde ich, so wie viele andere Kolleginnen auch, pandemiebedingt von einem Tag zum anderen zur Videotherapeutin und Videosupervisorin. Während Einzelgespräche zum Teil noch in der Praxis möglich waren, konnten weder Paar- und Familiengespräche noch Supervisionssitzungen weiterhin stattfinden. Ich hatte bereits zuvor Videositzungen durchgeführt und auch gerne mit diesem Medium gearbeitet, es jedoch bislang vor allem als Verfahren zweiter Wahl verstanden: Es kam lediglich zum Einsatz, wenn das bevorzugte Face-to-FaceGespräch nicht möglich war. Grund hierfür war etwa, dass Klienten die Praxis mobilitäts- oder krankheitsbedingt nicht aufsuchen konnten oder sich Familienoder Supervisionsgruppenteilnehmer an verschiedenen Orten aufhielten und dennoch eine gemeinsame Sitzung durchführen wollten. Von den Videositzungen erwartete ich weniger als von den Sitzungen vor Ort. Intuitiv ging ich davon aus, dass die meisten Therapietechniken online nicht anwendbar seien: Imagination? Entspannung? Oder gar Stuhldialoge? Per Video doch wohl kaum möglich. Ebenso stellte ich mir ein systemisches Vorgehen mit mehreren Personen als durch die Technik erschwert vor und fragte mich, wie es möglich sein sollte, in einem Videosetting mit zirkulären Fragen oder reflektierenden Positionen zu arbeiten. Und: Wie konnte die Arbeit in großen Supervisionsgruppen weitergehen? Fallbesprechungen, der Einsatz von Organigrammen und Genogrammen: Das waren die Hürden, an die ich zunächst stieß. Mit einem Anteil von zeitweilig bis zu 100 % Videositzungen passierten mehrere interessante Dinge: Ich bemerkte, dass Veränderungen bei einigen Klienten schneller auftraten als im Face-to-Face-Kontakt und das veränderte Setting zu einem Mehr an Verantwortung und Selbstwirksamkeitserleben bei ihnen führte. Auch die Therapiebeziehung wurde nicht schlechter, sondern blieb stabil oder vertiefte sich sogar. Das galt nicht nur für die laufenden Prozesse, die lediglich von einem Face-to-Face- in ein Videosetting wechselten, sondern auch für Beziehungen, die direkt als Videokontakt begannen. Interessiert an diesem unerwarteten Phänomen, fing ich an zu recherchieren und entdeckte, dass längst eine eindeutige Studienlage existiert, die den Face-to-Face-Kontakt als einzige Möglichkeit, eine therapeutische Allianz zu etablieren, als Mythos entlarvt (Berger 2017; Simpson und Reid 2014).

VII

VIII

Vorwort

Nach und nach stimmte ich mein therapeutisches Inventar auf die Videoarbeit ab und stellte fest, dass auch dies nicht nur dazu führte, dass Therapien und Supervisionsprozesse in einer vergleichbaren Qualität weiterliefen, sondern dass in vielen Fällen Interventionen erst durch die Videotechnik möglich oder wirksamer wurden. Die Recherche erbrachte das Ergebnis, dass es vor allem im psychosozialen Beratungssektor eine vitale Onlinecommunity gibt, die bereits seit über 20 Jahren mit verschiedenen Onlinesettings experimentiert und längst in der Professionalisierung angekommen ist. Auch psychotherapeutische Forschung existiert, vorwiegend jedoch in den Ländern, in denen die Geografie zur Anwendung von Distanzbehandlungen einlädt (z. B. die USA, Kanada und Australien). Dass die deutsche Psychotherapieforschung sich bislang nur vereinzelt mit der Videotherapie beschäftigt, ist kein Wunder: Erst seit Oktober 2019 ist es überhaupt möglich, Videotherapie in der Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung anzubieten und abzurechnen. Wind und Kollegen (2020) beschreiben die Coronapandemie als „Black Swan“ für die Nutzung von internetbasierten Behandlungen im Bereich der psychischen Gesundheit: Plötzlich stellen sich weitgreifende Änderungen aufgrund eines unerwarteten Ereignisses ein. Eindeutig lässt sich der Schwarze Schwan an den Nutzungszahlen des bekanntesten Videokonferenzanbieters erkennen: Während Ende 2019 erst zehn Millionen Menschen bereits an Zoom-Meetings teilgenommen hatten, waren es nur vier Monate später mehr als 300 Millionen (Wiederhold 2020). Vor allem in der kassenärztlich zugelassenen psychotherapeutischen Tätigkeit sind viele Themen bislang nur unzureichend geklärt: Gruppentherapie und Akutbehandlung dürfen nicht per Video stattfinden. Die Möglichkeit zu videobegleiteten Übungen außerhalb, wie sie vor allem für Verhaltenstherapeuten z. B. für die Expositionsbehandlung wesentlich sind, sind zumindest im Rahmen der Vorgaben für die Videosprechstunde nicht möglich. Das gleiche gilt für das Verbot, Sitzungen aufzuzeichnen. Obwohl der Datenschutzgedanke nachvollziehbar ist, erschwert dieses Verbot sinnvolle, dem Patienten dienliche Interventionen, wie z. B. das wiederholte Anhören von Interventionen, und senkt potenziell die Qualität psychotherapeutischer Behandlungen, da die Supervisorin keinen Einblick in die laufende Therapie bekommt. Bereits jetzt ist jedoch vieles möglich. Dieses Buch möchte Ihnen vor allem Lust auf die Nutzung der Technik und ihrer Möglichkeiten in Therapie und Supervision machen! Um Ihnen die Anwendung der geschilderten Interventionen und Adaptionen zu erleichtern, finden Sie als Erweiterung des Buchs alle Materialien, Übungen und Vorlagen auf der virtuellen Buchpräsenz im Netz unter www.­ videotherapie-videosupervision.de (Stand: 01.08.2020). Sie werden beim Lesen feststellen, dass Ihnen weder Sternchen noch BinnenI-Wortkonstruktionen begegnen. Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, finden Sie stattdessen oft alleinstehende weibliche oder männliche Formen. Bitte fühlen Sie sich frei, die jeweils (un-)passende Form gedanklich hinzuzunehmen oder auch zu entfernen. Um den Lesefluss zu erleichtern, habe ich mir zudem erlaubt,

Vorwort

IX

abwechselnd von Therapie, Behandlung und Supervision zu sprechen. In vielen Fällen ist ein Austausch der Begriffe möglich. Gleiches gilt für die Klienten und Patienten, Supervisanden und Ratsuchenden, die Ihnen im Buch begegnen. Mein Dank geht in erster Linie an Monika Radecki, Amose Stanislaus und Jasmeen Kaur vom Springer-Verlag, die dieses Projekt in einem Tempo umgesetzt, unterstützt und begleitet haben, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Für Korrekturen, Hinweise und überdauernde Motivation danke ich Betina Schilling von Herzen. Ein abschließendes Dankeschön gebührt allen Patienten, Familien und Supervisionsgruppen, die sich, oft ebenfalls von einem Tag auf den anderen, mit mir auf das neue Medium einließen, geduldig technische Schwierigkeiten aus dem Weg räumten und ebenso geduldig die Entwicklung der videospezifischen Vorgehensweisen begleiteten, rückmeldeten und hierdurch verbesserten. Susanna Hartmann-Strauss

Literatur  Berger, T. (2017). The therapeutic alliance in internet interventions: A narrative review and suggestions for future research. Psychotherapy Research, 27(5), 511–524. Simpson, S. G., & Reid, C. L. (2014). Therapeutic alliance in videoconferencing psychotherapy: A review. Australian Journal of Rural Health, 22(6), 280–299. Wiederhold, B. K. (2020). Connecting Through Technology During the Coronavirus Disease 2019 Pandemic: Avoiding „Zoom Fatigue“. Cyberpsychology, Behavior and Social Networking, 23(7), 437–438. Wind, T. R., Rijkeboer, M., Andersson, G., & Riper, H. (2020). The COVID-19 pandemic: The ‚black swan‘ for mental health care and a turning point for e-health. Internet interventions, 20.

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Grundlagen und Vorbereitungen 1 Bevor es los geht: Einwände prüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Videositzungen erschweren den Zugang zu einer Behandlung. . . . . 4 1.2 Videositzungen verhindern den Beziehungsaufbau. . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Videositzungen erschweren die Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.4 Videositzungen sind virtuell, eine echte Begegnung findet nicht statt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.5 Videositzungen sind unbequemer als Gespräche vor Ort . . . . . . . . . 9 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Videositzungen in der Psychotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.2 Indikation und Kontraindikation von Videobehandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1.3 Blended-Ansätze in der Psychotherapie: Wann passt welches Setting?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2 Videositzungen in der Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.1 Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.2 Supervisionsformate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.1 Technische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.1 Kamera und Bildausschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.2 Mikrofon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.1.3 Beleuchtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.4 Anbieter von Videokommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.2 Rechtliche Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.1 Psychotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.2 Supervision und Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

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Inhaltsverzeichnis

4 Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.1 Arbeitsplatz und Hintergrund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.2 Vorbereitung der Videobehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.3 Um die Videositzung herum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.3.1 Homeoffice und Terminorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.3.2 E-Mail-Kommunikation und Internetauftritt. . . . . . . . . . . . 43 4.3.3 Gesundheitsinformationen und -anwendungen. . . . . . . . . . 45 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Teil II  Es geht los… 5 Inhalt und Ablauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5.1 Kommunikation in der Videositzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.1.1 Mimik und Gestik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.1.2 Stimme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5.1.3 Symboleinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.2 Die Beziehung in der Videositzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.2.1 Grenzen und Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5.2.2 Grenzverletzungen durch Berater und Therapeuten . . . . . . 57 5.3 Sitzungsregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.3.1 Klarheit über den Aufenthaltsort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.3.2 Privatsphäre, heimliche Zuhörer und Abbruchmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.3.3 Aufzeichnungen von Sitzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.3.4 Video-Netiquette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.4 Ablauf einer Videotherapiesitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.4.1 Gesprächseinstieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.4.2 Gesprächsverlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.4.3 Gesprächsabschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6 Möglichkeiten und Grenzen von Videositzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.1 Was nur in der Videositzung funktioniert: Vorteile nutzen . . . . . . . . 70 6.1.1 Distanzvorteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6.1.2 Psychologische Vorteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1.3 Einblicke in die Lebensrealität und Veränderungen vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6.1.4 Fremdanamnesen und Sitzungen mit Bezugspersonen. . . . 76 6.1.5 Kurz- und Mikrositzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.1.6 Integrierte Tools einsetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.1.7 Informationsselektion: Kanalreduktion nutzen. . . . . . . . . . 80 6.2 Was auch in der Videositzung funktioniert: Nachteile wettmachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.2.1 Grenzen der Videositzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.2.2 Das Herstellen von Nähe und Rapport. . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Inhaltsverzeichnis

XIII

6.2.3 6.2.4

Sitzungsabbruch, Notfall und Krise bewältigen. . . . . . . . . . 84 Aus der Not eine Tugend machen: Technische Barrieren überwinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 7 Interventionen in Videotherapie und Videosupervision . . . . . . . . . . . . 89 7.1 Verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und Interventionen. . . . 91 7.1.1 Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.1.2 Selbstbeobachtung und Protokollierung . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.1.3 Aktivitätsaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.1.4 Videoexposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 7.1.5 Spiegelexposition per Video. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 7.1.6 Cue Exposure per Video. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 7.1.7 Modelllernen, Soziale Kompetenz und Systematische Desensibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 7.1.8 Videorollenspiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.1.9 Stuhldialoge und Teilearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 7.1.10 Entspannung, Genuss und Achtsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 101 7.2 Systemische Vorgehensweisen und Interventionen. . . . . . . . . . . . . . 103 7.2.1 Auftragsklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 7.2.2 Unfreiwillige Klienten und mangelnde Kooperation. . . . . . 107 7.2.3 Fehlende Personen und Problemexternalisierung . . . . . . . . 108 7.2.4 Systemische Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.2.5 Narrativer Ansatz und Reflecting Team. . . . . . . . . . . . . . . . 111 7.2.6 Reframing und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7.2.7 Genogramm und Organigramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7.2.8 Skulpturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 7.3 Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen. . . . . 117 7.3.1 Vorbereitung und Vorabinformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7.3.2 Allgemeine Hinweise für das Gruppensetting. . . . . . . . . . . 119 7.3.3 Ankommen, Kennenlernen und Teamentwickeln . . . . . . . . 121 7.3.4 Themen- und Auftragssammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7.3.5 Zielklärung, Anliegen- und Fallbearbeitung . . . . . . . . . . . . 125 7.3.6 Feedback und Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.3.7 Ausbildungs- und Lehrsupervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Teil III  Nach der Videositzung 8 Selbstfürsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 8.1 Körperlich fit bleiben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.1.1 Übungen für Schulter, Nacken und Rücken. . . . . . . . . . . . . 134 8.1.2 Verbesserte Körperwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 8.1.3 Übungen für Augen und Atmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

XIV

Inhaltsverzeichnis

8.2 Ausgleich schaffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.2.1 Detachment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.2.2 Pausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8.2.3 Entspannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Teil I

Grundlagen und Vorbereitungen

1

Bevor es los geht: Einwände prüfen

Inhaltsverzeichnis 1.1 Videositzungen erschweren den Zugang zu einer Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.2 Videositzungen verhindern den Beziehungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Videositzungen erschweren die Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.4 Videositzungen sind virtuell, eine echte Begegnung findet nicht statt . . . . . . . . . . . . . . 7 1.5 Videositzungen sind unbequemer als Gespräche vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

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Zunächst setzen wir uns mit den häufigsten Einwänden gegen Videositzungen auseinander. Lehnen Klienten Videositzungen tatsächlich mehrheitlich ab (Abschn. 1.1)? Wie sehr leidet die Beziehung unter dem Medieneinsatz (Abschn. 1.2)? Und was ist dran an der Idee, dass das Fehlen von nonverbalen Signalen das Gespräch belastet (Abschn. 1.3)? Nutzen Sie die Informationen, um wahlweise sich oder andere vom Gegenteil zu überzeugen: Videositzungen sind effektiv und mehr als nur ein Ersatzverfahren für die Face-to-Face-Kommunikation. Sie bieten eine Begegnung, die anders, jedoch nicht weniger echt ist als das Gespräch vor Ort (Abschn. 1.4). Sie erhalten in diesem Kapitel eine erste Übersicht zu den wichtigsten Fragestellungen und Verweise auf die Stellen im Buch, in denen Sie einen vertieften Einblick gewinnen. Am Ende des Kapitels freuen Sie sich auf Ihre erste Videositzung!

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_1

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1  Bevor es los geht: Einwände prüfen

1.1 Videositzungen erschweren den Zugang zu einer Behandlung Videositzungen finden online statt. Ein Zugang zum Internet muss beim Klienten vorhanden sein, um das Angebot in Anspruch nehmen zu können. Im Jahr 2019 waren rund 95 % aller Haushalte in Deutschland mit einem Internetanschluss ausgestattet (Statistisches Bundesamt 2020). Neben dem Internetzugang wird ein Gerät mit Kamera und Mikrofon benötigt. In Deutschland liegt allein der Anteil der Smartphone-Nutzer bei Personen zwischen dem 14. und 49. Lebensjahr bei 95 % (Statistisches Bundesamt 2019). Während es bei der Verbindungsgeschwindigkeit, vor allem in ländlichen Gebieten, weiterhin zu Schwierigkeiten kommen kann, stellen Verfügbarkeit und technische Ausstattung dementsprechend kaum noch ein Zugangsproblem zur Videobehandlung dar. Klienten zögern beim Angebot von Videositzungen zuweilen, da sie Angst haben, die Technik nicht in den Griff zu bekommen. Die Videobehandlung bietet jedoch gerade für diese Personen die Möglichkeit, den Anschluss an moderne Kommunikationsmedien zu finden und mehr Unabhängigkeit zu erreichen. Ist die Technik dauerhaft nicht unter Kontrolle zu bekommen, muss die Videobehandlung natürlich kritisch hinterfragt werden. Oft reagieren jedoch vor allem selbstunsichere Klienten bei auftretenden Schwierigkeiten sehr früh mit dem Wunsch, das Setting zu wechseln, da die erforderlichen kommunikativen Klärungen, die etwa eine schlechte Verbindung nötig macht, Ängste auslösen und vermieden werden sollen. Die Lösung der Schwierigkeiten und das Gelingen der Kommunikation kann die Selbstwirksamkeit und das Kontrollerleben steigern. Gesprächspartner mit einer niedrigen Frustrationstoleranz verlangen bei technischen Problemen ebenfalls oft schnell einen Settingwechsel. Auch hier kann das Lösen der Schwierigkeiten die Frustrationstoleranz erhöhen und neurotische Haltungen wie „Es kann mir nur gut gehen, wenn alle Umstände perfekt sind“ reduzieren. Für Patienten, die zum Therapiebesuch auf andere Personen (Fahrer, Betreuer etc.) angewiesen sind, kann es eine Erleichterung darstellen, eigenverantwortlich Termine zu vereinbaren und wahrzunehmen. Auch steigt die Möglichkeit, eine Versorgung zu erhalten, ohne dass andere dies mitbekommen und Druck ausüben, Inhalte zu berichten oder auch „schnell fertig zu werden“. Stigmatisierende Effekte, wie sie etwa der Besuch einer psychiatrischen Einrichtung mit sich bringen kann, entfallen ebenso. Wenzel (2015) macht auf die Kommstruktur aufmerksam, die sich im Beratungssektor entwickelt hat und die den Menschen, der Hilfe sucht, aus seinem Alltag herausholt. Während die Fremdheit hilfreich sein könne, um neue Erfahrungen zu machen, könne sie auch eine Hürde darstellen, da neben der unsicheren Situation auch noch potenziell verunsichernde Räume betreten werden müssten. Der digitale Raum in der Videositzung kann hingegen als neutraler Boden gelten, den beide Teilnehmer gleichermaßen in Anspruch nehmen. Der Zugangswunsch zu Beratungsangeboten ist interindividuell unterschiedlich. Während der eine Klient nur face-to-face über seine Probleme sprechen möchte, versucht der andere genau dies um jeden Preis zu verhindern. Ein niedrigschwelliger Zugang kann also für jeden Ratsuchenden etwas anderes bedeuten

1.2  Videositzungen verhindern den Beziehungsaufbau

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(Wenzel 2015). Gerade Personen mit Gewalt- oder anderen grenzüberschreitenden physischen Erfahrungen profitieren von der Sicherheit, die der Onlineraum bietet, und können aufgrund der erhöhten Sicherheitsempfindung leichter sensible Themen ansprechen. Knaevelsrud und Kollegen (2016) vermuten, dass die Distanz in der Onlinebeziehung dazu führt, dass der Klient sich öffnet und Hemmungen abbaut. Obwohl in der Videobehandlung ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht stattfindet, verfügt der Klient über eine hohe Situationskontrolle, da er das Gespräch unmittelbar beenden kann. Die erhöhte Verantwortung und Kontrollmöglichkeit wurde bereits in frühen Untersuchungen zu Onlinebehandlungen als wesentlicher Vorteil belegt (Murphy und Mitchell 1998). Ebenfalls oft zu hören ist die Idee, dass „Klienten einfach keine Videositzungen wollen“. Untersuchungen kommen jedoch ganz überwiegend zu einem gegenteiligen Ergebnis: Beim Vergleich der Wünsche in einem gemischten („blended“) Setting, das sowohl Face-to-Face- als auch Videositzungen umfasste, äußerten lediglich die Therapeuten den Wunsch nach mehr Face-to-Face-Sitzungen. Die Patienten waren hingegen mit einem etwa hälftigen Anteil zufrieden (van der Vaart et al. 2014). Über die professionelle technische Ausstattung informiert Sie Kap. 3. Abhilfe bei inhaltlichen und technischen Problemen bietet Kap. 6 an. Über Indikation und Kontraindikation sowie über Blended-Formate klärt Kap. 2 auf.

1.2 Videositzungen verhindern den Beziehungsaufbau Die therapeutische Beziehung gilt schulenübergreifend als essenzieller Faktor hinsichtlich des Therapieerfolgs. Ihre Vorhersagekraft konnte in zahlreichen Studien belegt werden (Grawe et al. 1994; Lang 2003). Und: Nicht nur der Therapieerfolg, sondern auch der Therapieabbruch kann durch die Güte der therapeutischen Allianz vorhergesagt werden (Sharf et al. 2010). Es macht also Sinn, sich kritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Beziehungsaufbau mittels Videositzungen überhaupt möglich ist. Klasen und Kollegen (2013) legen einen systematischen Überblick randomisiert-kontrollierter Studien bzgl. der Qualität und Bedeutsamkeit der therapeutischen Beziehung in internetbasierten Therapien vor. Die Ergebnisse deuten nicht nur darauf hin, dass eine stabile Beziehung entsteht, sondern dass diese darüber hinaus vergleichbar bewertet wird, wie die Beziehung in der Face-toFace-Therapie – und zwar unabhängig vom jeweiligen Kommunikationsmedium. Auch Berger (2017) findet der Psychotherapie vor Ort vergleichbare Werte für die therapeutische Allianz, und zwar unabhängig vom Online-Kommunikationsmedium, der diagnostischen Gruppe und des Kontaktumfangs! Speziell zur Videobehandlung durchgeführte Studien unterstützen die Annahme, dass die therapeutische Beziehung sowohl hinsichtlich der Bindung als auch hinsichtlich der wahrgenommenen Präsenz vergleichbar der Vor-OrtBehandlung ist (Simpson und Reid 2014). Germain und Kollegen (2010) fanden in einer Studie zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung ebenfalls

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1  Bevor es los geht: Einwände prüfen

keine signifikanten Unterschiede in der Therapiebeziehung. Interessanterweise wurde die Behandlung von den Patienten jedoch besser eingeschätzt als von den Therapeuten selbst. Ein ähnliches Ergebnis erbrachte auch eine Studie von Steel und Kollegen (2011), die neben der hohen Patientenzufriedenheit mit der Videobehandlung, auch auf deren größere Akzeptanz für diese Behandlungsform, verglichen mit den Therapeuten, hinwies. Mehrere Metaanalysen erbrachten als wesentliche Einflussgröße für die Symptomverbesserung die Intensität des Kontakts mit dem Therapeuten (vgl. etwa Johansson und Andersson 2012). Je intensiver der Kontakt in der internetbasierten Therapie war, desto größer zeigte sich die Symptomreduzierung. Auch Andersson und Cuijpers (2009) konnten in einer Meta-Analyse onlinebasierter Therapien die Dichte des Therapeutenkontakts mit der Verbesserung der Symptome depressiver Patienten in Verbindung bringen. Die meisten Studien beziehen sich hierbei nicht einmal explizit auf Videobehandlungen, sondern ebenfalls auf asynchrone und nicht-visuelle Kommunikationsformen, wie etwa die E-Mail-Beratung. Die bisher durchgeführten Studien zu Onlinepsychotherapien widersprechen also der Idee, dass eine physische Kopräsenz von Therapeut und Patient im gleichen Raum gegeben sein muss, um eine therapeutische Allianz zu entwickeln. Der tatsächliche Kontakt zu einem echten Menschen scheint jedoch ein entscheidender Faktor in der Behandlung zu sein! Und: Auch wenn einige Studien aufzeigen, dass Therapeuten die Beziehung in der Videobehandlung als kritischer beurteilen, so spiegelt sich dies weder in der Beurteilung der Beziehung durch die Patienten noch in der Wirksamkeit der Behandlung selbst wider! So lässt sich vermuten, dass die physisch kopräsente Begegnung in ihrer Bedeutung überschätzt wird, wenn die Face-to-Face-Sitzung als einzige wirkungsvolle Beratungsmöglichkeit verstanden wird (Engelhardt 2014). Vertiefende Informationen zur Therapiebeziehung erhalten Sie in Kap. 5. Hier finden Sie auch Hinweise, die zu ihrer optimalen Gestaltung beitragen können und bekommen die Informationen, die notwendig sind, um professionell mit Beziehungsgrenzen und möglichen Grenzverletzungen im Videosetting umgehen zu können.

1.3 Videositzungen erschweren die Kommunikation Abhängig vom verwendeten digitalen Medium kommt es zu einer Kanalreduktion und die Übertragung bestimmter Informationen wird reduziert oder sogar völlig ausgeschlossen (z. B. die Weitergabe visueller Informationen in der E-MailKommunikation). Auch in der Videositzung findet eine Kanalreduktion statt: Raum- und Kontaktverhalten, Teile der Gestik, der globale Gesamteindruck und auch der olfaktorische Kanal entfallen. Die Kanalreduktion wird oft als Grund dafür genannt, dass die Videokommunikation der Face-to-Face-Behandlung unterlegen sei. Es lässt sich jedoch fragen, ob wir die Vielzahl an Informationen, die uns Faceto-Face-Sitzungen bringen, benötigen und welche der Informationen wir tatsächlich

1.4  Videositzungen sind virtuell, eine echte Begegnung …

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verwenden. Zu Videositzungen finden sich in vielen Veröffentlichungen vor allem zwei Hinweise, die immer wiederkehren: Der Patient, den man (nun nicht mehr) riechen kann, und der „wippende Fuß“, der in der Videoübertragung übersehen wird. Beide Hinweise sind natürlich korrekt. Aber es sei die Frage erlaubt, ob der Patient, der aufgrund seiner Angst schwitzt, nicht auch noch weitere (verbale und nonverbale) Hinweise aussendet – ebenso wie der Patient, der aufgrund seiner körperlichen Vernachlässigung einen unangenehmen olfaktorischen Stempel hinterlässt. Gleiches gilt für den Patienten, dessen Anspannung sich in einer erhöhten Psychomotorik zeigt. Viele Hinweise sind redundant und lassen sich kompensieren. Es mag Situationen geben, in denen die zusätzliche Information dienlich wäre. Genauso vorstellbar ist jedoch, dass sie den Prozess und/oder die Therapiebeziehung stört (gerade beim unangenehmen Körpergeruch ist die Wahrscheinlichkeit hierfür nicht niedrig). Oft ist eine Reduktion von Informationen auch gewollt und notwendig, um bei bestimmten Problemen effektiv zu helfen oder auch, um überhaupt erst einen Zugang zu einem anderen Menschen zu schaffen. Etwa weil dieser temporär oder dauerhaft auf bestimmte Kanäle beschränkt ist oder diese bevorzugt. Zu denken sei hierbei etwa an Menschen mit Autismus, die von einer Informationsselektion profitieren, oder an hypervigilante Patienten, die schnell eine Überstimulation erleben. Ähnliches gilt für Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndromen. Oft versuchen Therapeuten auch im Face-to-Face-Kontakt eine Komplexitätsreduktion durch eine Kanalreduktion zu erreichen, indem sie auf eine bestimmte Art Fragen stellen oder die Aufmerksamkeit fokussieren helfen (z. B. durch Imaginationsoder Achtsamkeitsübungen). Auch der bewusst unterbundene Augenkontakt in der klassischen Psychoanalyse kann als Kanalreduktion verstanden werden, ebenso wie die intendierte Unterlassung einer beruhigenden verbalen Reaktion auf ein Rückversicherungsverhalten in der Verhaltenstherapie. Wie Sie die Kommunikation in der Videobehandlung am besten gestalten, erfahren Sie in Kap. 5. Mit der Etablierung von Nähe und Rapport beschäftigt sich Kap. 6.

1.4 Videositzungen sind virtuell, eine echte Begegnung findet nicht statt Videositzungen wird nachgesagt, mittelbarer zu sein als das Gespräch in physischer Kopräsenz. “Ich möchte mit Menschen arbeiten, nicht mit Medien“, drückt die Ablehnung digitaler Kommunikation aus diesem Grund deutlich aus. Die Kommunikation über digitale Medien ist jedoch immer eine Kommunikation mit dem Menschen. Und jede Kommunikation ist medienvermittelt: Wenn nicht digital, dann doch zumindest mittels der verbalen und nonverbalen Signale unseres (Körper-)Sprachmediums. Auch für dieses ist immer eine Dekodierung vonnöten. Die Unmittelbarkeit der persönlichen Begegnung ist daher als Mythos verstehbar (Wenzel 2015). In Videositzungen kann zudem erfahren werden, dass die digitale Technik Menschen (z. B. trotz einer physischen Distanz) nah zueinander

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1  Bevor es los geht: Einwände prüfen

bringt und in den Kontext ihres Gegenübers eintauchen lässt: Die Begegnung wird so unmittelbarer. Videosupervision in New York – Erfahrungsbericht

In New York City scheint die Sonne. Meine Gesprächspartnerin sitzt im Central Park, an den Stamm einer Eiche gelehnt. Hin und wieder sieht man auf dem Weg hinter ihr Fußgänger und Radfahrer und einmal huscht ein Eichhörnchen den Stamm des Baumes hinunter, um dann erschreckt wieder umzudrehen. Die junge Frau hat ein Forschungsstipendium bekommen und verbringt ein Jahr in den USA. Als sie mir im vorhergehenden Winter freudestrahlend von dieser Entwicklung berichtete, drückte ich spontan mein Bedauern darüber aus, dass der Supervisionsprozess für diesen Zeitraum unterbrochen werden müsse. Hierauf reagierte sie, ebenso spontan, mit maximaler Irritation: „Naja, die Zeitverschiebung muss man halt einplanen, aber sechs Stunden sind doch machbar, oder?“. Das war der Beginn meiner Tätigkeit als Videosupervisorin (und darüber hinaus einer der ersten Momente, in denen ich mich wirklich alt fühlte). Meine Supervisandin reiste ab und wir führten den Prozess ohne Unterbrechung fort. Was mich direkt begeisterte, war das unmittelbare Eintauchen in die Erfahrungswelt meiner Klientin. Ich nahm ihre Wohnung in Augenschein, sah mir ihren Arbeitsplatz an und dann, als es langsam warm wurde, gewöhnte sie es sich an, „mich“ in den Central Park mitzunehmen. Für sie bedeuteten die Sitzungen eine Verbindung in die Heimat, die es ihr ermöglichte, einen anderen Zugang zu den Themen „Fremdheit“ und „Unabhängigkeit“ zu finden. Und wir beide empfanden die Begegnungen als „unmittelbarer“ als in der Praxis: Vieles musste nicht beschrieben und besprochen werden, es wurde geteilt. ◄ Ein weiterer Aspekt der Echtheit betrifft den Beratungs- oder Therapieanlass des Klienten. Dieser manifestiert sich zum größten Teil außerhalb des Therapieraums. Er spielt eine Rolle in der Begegnung mit anderen Menschen, am Arbeitsplatz, in der Erziehung der Kinder oder auch im Erleben von Einsamkeit oder dem Konsum von Suchtmitteln. In der Therapie berichtet der Patient von seinen Erfahrungen „außen“ und ein Teil der Therapie besteht darin, die Probleme nachzubilden oder zu simulieren. Hierzu nutzen wir Techniken wie das Rollenspiel, aber auch Aufstellungen, Genogramme oder Expositionen. Eingesetzte Technologien in Beratung und Therapie basieren oft darauf, die Realität in der Praxis echter zu gestalten – sie also der Realität außen anzupassen. Exemplarisch können hierfür Augmented-Reality-Anwendungen stehen, die z. B. Spinnen in den Praxisraum projizieren. In Videobehandlungen kann auf diese Simulationen jedoch oft verzichtet werden. Vor allem dann, wenn wir dorthin mitgenommen werden, wo das Problem in echt auftritt. Begleiten wir den Patienten an die entsprechenden Orte, sind wir tiefer im Geschehen, als das im Therapieraum möglich wäre. Ist also die Face-to-Face-Therapie in der Praxis der eigentliche virtuelle Raum? Wie Sie den Raum im Videosetting optimal nutzen, erfahren Sie in den Kap. 6 und 7.

1.5  Videositzungen sind unbequemer als Gespräche vor Ort

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1.5 Videositzungen sind unbequemer als Gespräche vor Ort Äußern Klienten, dass sie Videositzungen als unbequem empfinden, lohnt es sich, genau nachzufragen: Was genau macht den Praxisbesuch bequemer? Eine häufige Antwort ist, dass die gemeinsame Sitzung vor Ort eine Unterbrechung des Alltags darstellt, die eine ungestörtere Beschäftigung mit den eigenen Themen erlaubt, als das zu Hause möglich wäre. Die Gefahr liegt hierbei in der Entstehung einer therapeutischen Parallelwelt, die zwar eine hohe Anziehung aufweist, jedoch alle möglichen negativen Folgen von Nichtveränderung bis hin zur Therapieabhängigkeit bietet. Ein ähnliches Phänomen findet sich zuweilen bei Patienten, die nach einem stationären Aufenthalt berichten, dass sie die Klinik als (meist wohltuende) „Blase“ erlebten, nach der Rückkehr jedoch genau da weitermachten, wo sie vor der Klinik aufgehört hatten. Die Sicherheit des therapeutischen Raums und die Loslösung vom Alltag können, in bestimmten Phasen der Behandlung, wesentlich sein. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die Erkenntnis, dass die Veränderung ein aktiver Prozess ist, der zu Hause im eigenen Alltag umgesetzt werden muss. Hierbei kann die Videobehandlung helfen. Empfinden Patienten den Therapieraum als Schonraum, kann dies zur Aufrechterhaltung der Problematik beitragen und durch die punktuelle Entlastung das Problem stabilisieren. Oft profitieren Patienten gerade in diesen Fällen in besonderem Maße von einer Anwendung des Videosettings. Eine weitere Erklärung des Unbequemen ist die nicht zu bewerkstelligende Ungestörtheit zu Hause. Vor allem in Zeiten geschlossener Schulen und Kindergärten ein häufiges Argument gegen eine Videobehandlung. Prüfen Sie jedoch immer, ob es sich um ein tatsächliches Raumproblem, im Sinne fehlender privat nutzbarer Quadratmeter, handelt, oder ob sich hinter der Raumthematik nicht eigentlich eine mangelnde Abgrenzungsfähigkeit abbildet. Gibt es also möglicherweise den Raum – jedoch nicht den Willen, ihn für sich zu reklamieren? Dann könnte die Therapiesitzung die Möglichkeit bieten, der angemessenen Forderung nach Privatsphäre und eigenem Raum aus dem Weg zu gehen: „Ich muss zur Therapie“, statt „Ich fordere meinen Raum“. Auch in diesen Fällen könnte die Videositzung helfen, die eigenen Bedürfnisse angemessen durchzusetzen. Vergleichbar ist der Einwand, eine Störung durch Mann, Frau, Kind, Hund, Katze zu Hause nicht verhindern zu können. Auch hier ist zu klären, welche Bedeutung es hat, wenn keine Möglichkeit vorhanden ist, für eine eng begrenzte Zeit für sich zu sein. Ein solcher Umstand, eventuell über Jahre hinweg, hat weitreichende Implikationen für die Selbstfürsorge und spielt in der Regel nicht nur hinsichtlich einer Psychotherapie, sondern auch in anderen relevanten Lebensbereichen eine Rolle. Die spezifischen Vorteile der Videotherapie werden in Kap. 6 beleuchtet. Hinweise zu Ablauf und Struktur erhalten Sie in Kap. 5.

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Literatur Andersson, G., & Cuijpers, P. (2009). Internet-based and other computerized psychological treatments for adult depression: A meta-analysis. Cognitive Behaviour Therapy, 38(4), 196–205. Berger, T. (2017). The therapeutic alliance in internet interventions: A narrative review and suggestions for future research. Psychotherapy Research, 27(5), 511–524. Engelhardt, E. (2014). Update im system: Online-supervision. Systeme, 28, 129–146. Germain, V., Marchand, A., Bouchard, S., Guay, S., & Drouin, M. S. (2010). Assessment of the therapeutic alliance in face-to-face or videoconference treatment for posttraumatic stress disorder. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 13(1), 29–35. Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F., & Donati, R. (1994). Psychotherapie im Wandel: Von der Konfession zur Profession. Göttingen: Hogrefe. Johansson, R., & Andersson, G. (2012). Internet-based psychological treatments for depression. Expert Review of Neurotherapeutics, 12(7), 861–869. Klasen, M., Knaevelsrud, C., & Böttche, M. (2013). Die therapeutische Beziehung in internetbasierten Therapieverfahren. Der Nervenarzt, 84(7), 823–831. Knaevelsrud, C., Wagner, B., & Böttche, M. (2016). Online-Therapie und-Beratung: Ein Praxisleitfaden zur onlinebasierten Behandlung psychischer Störungen. Göttingen: Hogrefe. Lang, H. (Hrsg.). (2003). Wirkfaktoren der Psychotherapie: mit 32 Tabellen. Würzburg: Königshausen & Neumann. Murphy, L. J., & Mitchell, D. L. (1998). When writing helps to heal: E-mail as therapy. British Journal of Guidance and Counselling, 26(1), 21–32. Sharf, J., Primavera, L. H., & Diener, M. J. (2010). Dropout and therapeutic alliance: A metaanalysis of adult individual psychotherapy. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training, 47(4), 637. Simpson, S. G., & Reid, C. L. (2014). Therapeutic alliance in videoconferencing psychotherapy: A review. Australian Journal of Rural Health, 22(6), 280–299. Statistisches Bundesamt. (2019). Anzahl der Nutzer von Smartphones in Deutschland bis 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/198959/umfrage/anzahl-der-smartphonenutzer-indeutschland-seit-2010/. Zugegriffen: 16. Juli 2020. Statistisches Bundesamt. (2020). Anteil der Haushalte in Deutschland mit Internetzugang bis 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153257/umfrage/haushalte-mit-internetzugang-indeutschland-seit-2002/. Zugegriffen: 16. Juli 2020. Steel, K., Cox, D., & Garry, H. (2011). Therapeutic videoconferencing interventions for the treatment of long-term conditions. Journal of Telemedicine and Telecare, 17(3), 109–117. van der Vaart, R., Witting, M., Riper, H., Kooistra, L., Bohlmeijer, E. T., & van Gemert-Pijnen, L. J. (2014). Blending online therapy into regular face-to-face therapy for depression: Content, ratio and preconditions according to patients and therapists using a Delphi study. BMC Psychiatry, 14(1), 355. Wenzel, J. (2015). Mythos Unmittelbarkeit im Face-to-Face-Kontakt – Weiterentwicklung von Beratung und Therapie durch gezielte methodische Nutzung der Medien. E-beratungsjournal. net, 1(5).

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Einführung

Inhaltsverzeichnis 2.1 Videositzungen in der Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.2 Indikation und Kontraindikation von Videobehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1.3 Blended-Ansätze in der Psychotherapie: Wann passt welches Setting? . . . . . . . 16 2.2 Videositzungen in der Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.1 Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.2 Supervisionsformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

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Sie erfahren, wie Psychotherapeuten (Abschn. 2.1) und Supervisoren (Abschn. 2.2) Videositzungen nutzen und wie es um deren Wirksamkeit bestellt ist. Welche Konzepte für die Kombination von Offline- und Onlinesetting bereits existieren, ist anschließend Thema (BlendedAngebote, Abschn. 2.1.3). Sie lernen die wesentlichen Definitionen und Begrifflichkeiten im Online- und im Videosetting kennen (Abschn. 2.1.1 und 2.2.1) und setzen sich mit Indikationen und Kontraindikationen auseinander (Abschn. 2.1.2). Neben wesentlichen Studienergebnissen lernen Sie auch einen Fragebogen kennen, der Ihnen hilft, die Entscheidung für oder gegen eine Videobehandlung zu treffen.

2.1 Videositzungen in der Psychotherapie Im April 2020 führte die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) eine Mitgliederbefragung zu Videositzungen durch. Fast 4500 in der ambulanten Versorgung tätige Psychotherapeuten nahmen an ihr teil. 77 % der Befragten führten © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_2

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2 Einführung

zum Erhebungszeitpunkt (auch) Videositzungen durch. 95 % dieser Gruppe nutzten Videositzungen erst seit der Coronapandemie, also seit etwa einem Monat. Videosprechstunden haben dementsprechend innerhalb kürzester Zeit massiv an Bedeutung in der Psychotherapie gewonnen. Das gilt für Deutschland, aber auch für viele weitere Teile der Welt, die pandemiebedingt vor den gleichen Herausforderungen stehen (vgl. für die USA Mann et al. 2020). Die Wirksamkeit von Videositzungen wurde von 75 % der Teilnehmer der DPtV-Studie als „schlechter“ eingeschätzt als die Wirksamkeit traditioneller, physisch kopräsenter Sitzungen. Neben technischen Erschwernissen (aufgrund einer schlechten Internetverbindung, fehlender Ausstattung, Mangel an Computerkenntnissen) wurden vor allem die reduzierte nonverbale Interaktion sowie fehlende Sinneseindrücke als problematisch benannt. Die Hälfte der Befragten empfand Videositzungen als „anstrengender“ und 39 % stimmten der Aussage zu, dass das Fehlen des Blickkontakts das Gespräch erschwere. Dennoch konnten sich 57 % der Befragten vorstellen, auch nach der Coronapandemie weiter Videositzungen anzubieten. Warum arbeiten Psychotherapeuten mit einem Medium, das sie ganz überwiegend als defizitärer empfinden als das Face-to-Face-Gespräch? Der zentrale Grund während der zitierten Erhebung ist mit Sicherheit die erschwerte Vor-OrtTätigkeit aufgrund der Infektionsgefahr. Diese übt, vor allem für Angehörige der Risikogruppen, einen Zwang aus, auf Videobehandlungen umzusteigen. Auch Therapeuten, die selbst nicht zur Risikogruppe gehören, möchten Patienten, die in diese Gruppe fallen, eine Möglichkeit der Weiterbehandlung anbieten. Doch auch nach der Coronapandemie kann sich die Mehrheit der Therapeuten die Fortführung der Videositzungen vorstellen. Da nur 1 % der Befragten die Videotherapie als „eher besser“ einschätzt als Face-to-Face-Kontakte, liegen die Gründe hierfür kaum in wahrgenommenen Vorzügen des Mediums, sondern lediglich in spezifischen Nachteilen des Face-to-Face-Settings: Die Videobehandlung wird heute vor allem als „Ersatztherapie“ genutzt, wenn die präferierte Kommunikation vor Ort nicht möglich ist (z. B. aufgrund von Mobilitätsproblemen). Eine Haltung, die das digitale Medium lediglich als minderwertige Alternative anerkennt, wenn der „Goldstandard“ des persönlichen Kontakts (BPtK 2018, S. 6) nicht durchführbar ist, ist unter Psychotherapeuten weit verbreitet. Doch entspricht diese Priorisierung den Tatsachen? Studien, die sich bislang mit onlinebasierten Therapien befasst haben, kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis. Das ist umso erstaunlicher, wenn klar wird, dass die meisten Studien nicht Videotherapien, sondern schriftliche Interventionen und Therapie-Apps untersucht haben. Dass internetbasierte Interventionen die gleichen Behandlungseffekte aufweisen können wie Face-to-Face-Therapien, konnte bereits mehrfach nachgewiesen werden (Backhaus et al. 2012; Kiropoulos et al. 2008; Söderlund et al. 2009; Wagner et al. 2014). Bislang gibt es nur wenige kontrollierte Studien zum direkten Vergleich der Wirksamkeit von Videobehandlungen und Vor-Ort-Sitzungen. Eine aktuelle

2.1  Videositzungen in der Psychotherapie

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Nichtunterlegenheitsstudie (Norwood et al. 2018) bestätigt, dass videobasierte Behandlungen den Face-to-Face-Behandlungen ebenbürtig (nichtunterlegen) sind. Zwei Übersichtsarbeiten, die bisherige Studien zur Videobehandlung bei Depressionen und Angststörungen zusammenfassen, kommen zu dem Ergebnis, dass keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit feststellbar sind, wenn Videotherapie und Vor-Ort-Therapie verglichen werden (Berryhill et al. 2019a, b). Auch für weitere untersuchte Störungen wie z. B. Substanzmissbrauch (Lin et al. 2019) oder Essstörungen (Mitchell et al. 2008) gilt, dass Videobehandlungen wirksam und in der Effektstärke vergleichbar mit Vor-Ort-Behandlungen sind. Dass die therapeutische Beziehung ähnlich beurteilt wird, ist ebenfalls ein mittlerweile oft replizierter Befund (Preschl et al. 2011; Cook und Doyle 2002; Knaevelsrud und Maercker 2006). Insgesamt wird der Therapeutenkontakt in onlinebasierten Interventionen als „intensiv“ und „positiv“ bewertet (Klasen et al. 2013). Mehrere Studien weisen auf den interessanten Umstand hin, dass Behandlung und Beziehung von den Patienten besser eingeschätzt werden als von den Therapeuten (vgl. etwa Germain et al. 2010; Steel et al. 2011). Bereits im Eingangskapitel erwähnt wurde eine Studie zum Blended-Treatment (van der Vaart et al. 2014): Beim Vergleich der Wünsche an das Behandlungssetting äußerten die Therapeuten den Wunsch nach deutlich mehr Face-to-Face-Sitzungen als die Patienten! Geht der Wunsch nach der Face-to-Face-Behandlung etwa am tatsächlichen Bedarf der Patienten vorbei? Auch wenn es für uns als Psychotherapeuten vertraut und bequem ist, müssen wir uns fragen, ob unser Kernangebot in Form von regelmäßig stattfindenden 50-minütigen Vor-Ort-Sitzungen den Bedarf unserer Patienten bzw. bestimmter Patientengruppen tatsächlich deckt. Wenzel (2015, S. 45) fordert Berater und Therapeuten daher auf, selbstkritisch zu hinterfragen, ob sie ihre präferierten Medien lediglich deshalb einsetzen, weil diese ihre persönlichen Vorlieben abbilden. In der psychotherapeutischen Community ist die Umkehrung dieser Frage näher am Verhalten: Lehnen wir digitale Medien lediglich deshalb ab, weil das unseren eigenen Vorlieben entspricht? Halten wir unseren Patienten Möglichkeiten vor, die diese durchaus nutzen würden?

2.1.1 Begriffe und Definitionen Der Begriff E-Health kennzeichnet medizinische Informationen und Anwendungen, die via Internet abgerufen und erbracht werden. Für Angebote hinsichtlich der psychischen Gesundheit hat sich der Begriff E-Mental-Health etabliert. E-Mental-Health beschreibt damit die „Zusammenhänge von digitalen Medien und psychischer Gesundheit“ (Eichenberg und Kühne 2014, S. 19). Viele Onlineinterventionen finden schriftlich statt. Vor allem in der psychosozialen Beratung haben sich in den letzten 20 Jahren textbasierte Angebote etabliert (für einen Überblick Engelhardt 2018). Unterscheiden lassen sich asynchrone Angebote wie die E-Mail-Beratung von (quasi-)synchronen Angeboten wie der schnellen (und doch leicht zeitversetzten) Chat-Beratung.

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2 Einführung

Psychotherapeuten nutzen textbasierte Onlineangebote kaum. Der niedrigschwellige anonyme Zugang, den etwa Chat- und E-Mail-Beratung bieten, wird im psychosozialen Sektor sehr geschätzt, spielt in der traditionellen Psychotherapie jedoch kaum eine Rolle. Weder im Rahmen der gesetzlichen noch der privatversicherten Behandlung sind zudem Möglichkeiten vorgesehen, schriftliche Interventionen anzuwenden (oder abzurechnen). Schwerpunkt dieses Buches ist die nicht-textbasierte Kommunikation mittels Videoübertragung über das Internet. Weitere Onlineangebote (z. B. TherapieApps) werden erwähnt, wenn sie eine Videobehandlung wirkungsvoll unterstützen können. Sie werden jedoch nicht detailliert in ihren Einsatzmöglichkeiten und -grenzen besprochen. Während es viele Definitionen, Vorgehensweisen und Strategien für textbasierte Beratungssettings gibt, finden sich, vor allem im deutschsprachigen Raum, bislang kaum methodische Auseinandersetzungen mit der videobasierten Onlinebehandlung (Engelhardt 2018; Justen-Horsten und Paschen 2016). u Onlinebasierte Videotherapie ist eine dem physisch kopräsenten Gespräch nahestehende Kommunikationsform, in der eine (quasi-)synchrone audiovisuelle Übertragung via Internet stattfindet. Die Trennung zwischen Beratungs- und Therapieangeboten ist im Onlinesetting oft unscharf. Während eine Vielzahl von Beratungsformaten jedoch ausschließlich online, vor allem textbasiert, stattfinden, nutzen niedergelassene Psychotherapeuten Onlineformate in der Regel lediglich als Ergänzung ihrer Face-to-Face-Behandlung. Eine ausschließliche Onlinebehandlung ist nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen, zumindest in der Regelversorgung, nicht möglich (vgl. Muster-Berufsordnung, BPtK 2018). Eine psychotherapeutische Onlinebehandlung ist in den meisten Fällen demnach eine traditionelle Faceto-Face-Therapie, ergänzt um digitale Medien. Es handelt sich damit um einen Blended-Therapy bzw. einen Blended-Treatment-Ansatz. Bei den Ergänzungen kann es sich um die Face-to-Face-Therapie ersetzende Videositzungen handeln, aber auch um therapiebegleitende Internetanwendungen wie Stimmungstagebücher oder Protokolle zur Unterstützung der kognitiven Umstrukturierung (meist in der Form von Therapie-Apps). In der Sitzung können Augmented-RealityAnwendungen (virtuelle Realitätserweiterungen) eingesetzt werden oder therapieunabhängige Anwendungen, die z. B. Echtzeit-Informationen liefern (etwa ein Live-Tracker, der flugängstlichen Patienten grafisch aufzeigt, wie viel gerade am Himmel los ist). Auch der Einsatz von E-Mails oder Messengersystemen, beispielsweise zur Terminabsprache, kann als therapieergänzende Nutzung digitaler Medien verstanden werden. Zudem ist auch eine dem Therapeuten nicht bewusste Erweiterung um Onlineelemente denkbar, etwa indem der Patient parallel zur Psychotherapie Selbsthilfeforen aufsucht. Eine reine Onlinebehandlung psychischer Störungen findet sich jedoch bei internetbasierten Interventionsprogrammen, zum Teil ergänzt durch individuelle Rückmeldungen von Ärzten oder Psychotherapeuten. Die meisten dieser

2.1  Videositzungen in der Psychotherapie

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Programme orientieren sich an kognitiv-behavioralen Manualen (Eichenberg und Kühne 2014), oft werden sie von Krankenkassen zur Verfügung gestellt und finanziert. Online-Therapieprogramme wirken verlockend, da therapeutische Hilfe „auf Knopfdruck“ zur Verfügung steht, ohne hierfür physische Therapeutenkapazitäten zu binden. Ihre ökonomische Einsetzbarkeit verleitet jedoch dazu, den individuellen Bedarf des Anwenders zu übersehen. Die Individualisierung der Therapie ist jedoch auch und gerade in der Onlinebehandlung entscheidend (vgl. etwa Johansson et al. 2012). Gerade bei komplexen psychischen Problemen ist das individuelle Zuschneiden der Behandlung auf den Patienten essenziell (van der Vaart et al. 2014).

2.1.2 Indikation und Kontraindikation von Videobehandlungen Bislang sind keine expliziten Ausschlusskriterien für die Videobehandlung bekannt. Auch die American Psychiatric Association (APA, Shore et al. 2018) nennt keine absoluten Kontraindikationen in ihren Empfehlungen, setzt aber das Vorliegen standardisierter Abläufe für Notfälle wie Selbst- oder Fremdgefährdung voraus. Die Therapie von Patienten mit Wahnvorstellungen (vor allem wenn diese sich auf den Einsatz von Technik beziehen) wird immer wieder kritisch hinterfragt; es liegen jedoch auch Berichte über die erfolgreiche Behandlung dieser Patientengruppe vor (Yellowlees et al. 2008; Shore et al. 2018). Seh- und Hörminderungen seitens (älterer) Patienten werden oft als relative Kontraindikation bzw. zu prüfende Erschwernis von Videobehandlungen benannt. Erfahrungsgemäß entlastet die Videobehandlung jedoch genau diese Patienten, da sie Bildausschnitt und -größe ebenso wie die Lautstärke den eigenen Bedürfnissen entsprechend regulieren können. Zu Beginn der Forschung wurde zuweilen die Vermutung geäußert, internetbasierte Therapieformen wären lediglich für eine spezifische Patientengruppe geeignet (eher jung, gebildet und männlich). Weder in deutschen noch in internationalen Studien ließ sich diese Vermutung bestätigen (Wagner und Maercker 2011). Relative Kontraindikationen betreffen Patientengruppen, die zu Impulsivität (und damit möglicherweise zu unüberlegten Sitzungsabbrüchen) neigen, dissoziieren oder emotionale Aktivierungen durch das Videosetting zu vermeiden versuchen. Bedacht werden sollte zudem, ob der persönliche Kontakt notwendig für die kontinuierliche diagnostische Einschätzung sein könnte. Auch Patienten, die eher wenig verbale Rückmeldungen zeigen (z. B. bei einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung), profitieren oft zunächst eher von der im Face-to-FaceSetting erleichterten nonverbalen Kommunikation. Für wen kommt eine Videobehandlung besonders in Frage? Verschiedene Befunde sprechen dafür, dass Patienten mit Trauma- und Autismus-SpektrumStörungen in besonderem Maße von Videositzungen profitieren, da die physische Distanz zu einem Erleben von Sicherheit und Kontrolle beiträgt (Shore et al. 2006). Patienten mit Angst- und Zwangsstörungen können, genauso wie an

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Depressionen Erkrankte, davon profitieren, für die Behandlung zunächst das Haus nicht verlassen zu müssen. Patienten mit Aggressionsproblemen müssen sich in der Videobehandlung keine Sorgen machen, „auszurasten“ und hyperaktive Personen brauchen nicht zu befürchten, das Gegenüber mit der Eigenbewegung zu stören.

2.1.3 Blended-Ansätze in der Psychotherapie: Wann passt welches Setting? Wentzel und Kollegen (2016) fordern, dass Face-to-Face- und Online-Modalität aufeinander abgestimmt und das Resultat eines gemeinsamen Entscheidungsprozesses von Patient und Therapeutin sein sollten. Sie entwickelten einen Fragebogen, der Therapeuten eine Hilfestellung geben soll, zu entscheiden, ob bei einem Patienten prinzipiell ein Blended-Ansatz indiziert ist („Fit for Blended Care“, ebd.). Eine Auswahl der Fragen, die sich vor allem auf mögliche Grenzen der Videobehandlung beziehen, ist untenstehend abgebildet.

„Fit for Blended Care”-Fragebogen (nach Wentzel et al. 2016, Auswahl)

• Besteht eine Abwesenheit akuter Krisen (z.  B. Suizidalität oder psychotische Symptome)? • Wie hoch ist die Gefahr zukünftiger Krisen einzuschätzen? • Ist ein akuter medizinischer Unterstützungsbedarf gegeben, der eine eigenständige Teilnahme an der Behandlung verhindern könnte? • Verfügt der Patient über ausreichende Ausdrucksmöglichkeiten für die geplante Behandlung? • Wie sind seine Motivation und sein Vertrauen in die Behandlung einzuschätzen? • Bestehen kognitive oder psychosoziale Probleme, die die Behandlung erschweren könnten? • Ist eine stabile therapeutische Beziehung gegeben? • Gibt es praktische Gründe für eine Blended-Behandlung (z. B. Kostenund Zeitersparnis oder einen erhöhten Komfort)? • Bestehen Gründe für die Bevorzugung einer Blended-Behandlung, z. B. Stigmatisierung oder Sicherheitsprobleme (Scham, eine Klinik aufzusuchen; Angst, nach draußen zu gehen; notwendige Abstimmungen mit anderen wegen Vor-Ort-Terminen…)? • Wie wahrscheinlich ist es, dass der Patient sich in der Onlinekommunikation öffnen kann? • Verfügt der Patient über ein soziales Netzwerk, das ihn unterstützt?

2.1  Videositzungen in der Psychotherapie

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Eine (Weiter-)Arbeit im Face-to-Face-Setting sollte zudem erwogen werden, wenn die Situation des Patienten, z. B. unter Gefahrengesichtspunkten, die das häusliche Umfeld betreffen, unklar ist. Der Fragebogen verdeutlicht, dass Blended-Therapy-Angebote Fingerspitzengefühl und eine hohe Bereitschaft zur Meta-Kommunikation voraussetzen. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Settings muss mit dem Patienten besprochen werden. Die Einladung zur Vor-Ort-Sitzung kann sonst als Beleg dafür verstanden werden, dass die Symptomatik für ein Onlinesetting zu „schwer“ ist (Engelhardt und Reindl 2016) und als Rückschritt in der Behandlung attribuiert werden. Auch das Gegenteil ist denkbar, wenn die Therapeutin Onlinesitzungen vorschlägt und die Patientin sich hierdurch „abgeschoben“ fühlt (Eichenberg 2020). Eine der wenigen Studien zum optimalen Einsatz von Blended-CounselingAnsätzen (van der Vaart et al. 2014) erbrachte eine hohe Übereinstimmung bei Beratern und Klienten hinsichtlich der optimalen Gestaltung: Beide wünschten sich einen physisch kopräsenten Beginn der Behandlung und äußerten den Wunsch, das Face-to-Face-Setting darüber hinaus vor allem in reflexiven Therapiephasen (Gedanken und Gefühle im Mittelpunkt der Gespräche) oder bei auftretenden Problemen zu nutzen. Praxisnähere Elemente (etwa Hausaufgaben) seien hingegen online möglich. Eine Übersichtsarbeit zur internetbasierten Depressionsbehandlung (Johansson und Andersson 2012) unterstützt diese Aufteilung und erbringt Hinweise darauf, dass ein Face-to-Face-Kontakt vor Beginn der Maßnahme, etwa zu diagnostischen Zwecken, ebenso wie eine persönliche Nachbehandlung, deren Effektivität steigern kann. Die Befunde entsprechen den Vorgaben für Videobehandlungen in der Regelversorgung, die als Standard ebenfalls eine face-to-face durchgeführte Diagnostik vorsehen (vgl. Muster-Berufsordnung der BPtK 2018). Eine Rückkehr zur Face-to-Face-Behandlung sollte aus therapieinhärenten Gründen immer erwogen werden, wenn Hinweise auf Störungen in der therapeutischen Beziehung vorliegen, die eine Fokussierung der Interaktion notwendig machen, aber auch wenn Interventionen geplant sind, die vorwiegend auf der Beziehungsebene stattfinden (z. B. „Reparenting“ im Rahmen einer Schematherapie, vgl. Roediger 2016). Videositzungen üben anscheinend einen differenzierenden Effekt auf Beziehungsverhalten aus, indem die Aufmerksamkeit auf Aufgaben erhöht, die Aufmerksamkeit auf gefühlsbezogenes Verhalten jedoch reduziert wird (Johnson et al. 2009; Horowitz 2013). Hierzu passt, dass bereits mehrfach demonstriert wurde, dass sich vor allem kognitiv-behaviorale Vorgehensweisen in Onlinetherapien erfolgreich umsetzen lassen (vgl. z. B. Eichenberg und Kühne 2014). Die Fokussierung von Manualen und einem strukturierten Vorgehen lässt die Geschehnisse auf der Beziehungsebene in den Hintergrund treten. Durch die in der Videobehandlung reduzierten nonverbalen und kontextbezogenen Hinweise, die sich auf die Beziehung auswirken können, ist eine störungsfreie Gestaltung leichter zu erreichen.

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Liegt eine erwünschte Problemaktualisierung (Grawe 1994) hingegen nicht in einer Aufgabe, sondern in der therapeutischen Beziehung selbst, limitieren digitale Medien potenziell das Erleben des förderlichen menschlichen Kontakts. Oder anders formuliert: Weisen Patienten komplexe Störungsbilder auf, ist die „tiefergehende Beziehungsgestaltung“ in der Face-to-Face-Behandlung eher dazu in der Lage, korrigierende Erfahrungen zu ermöglichen (vgl. auch Knaevelsrud et al. 2016). Gerade bei zugrunde liegenden Isolations- oder Missbrauchserlebnissen kann der Versuch des Auslagerns bedeutsamer Empfindungen zu einer Wiederholung deprivierender Erfahrungen führen und so z. B. retraumatisch verarbeitet werden. In einer Interviewstudie, die in der medizinischen Grundversorgung durchgeführt wurde (Donaghy et  al. 2019), wurde zwar prinzipiell eine hohe Zufriedenheit mit der Videobehandlung geäußert, in emotional aufgeladenen und herausfordernden Situationen jedoch auch hier der physische Kontakt vorgezogen: Vor allem das Überbringen schwerer oder beunruhigender Nachrichten solle besser face-to-face geschehen. Treten Notfälle auf, hat der Therapeut aufgrund der geografischen Entfernung im Videosetting potenziell den Eindruck, weniger Kontrolle über die Situation zu haben. Die Videobehandlung reduziert so die Kontrollillusion des Therapeuten, die im Face-to-Face-Setting zur Regulation von Angst beiträgt (Shore 2013). Das kann auch eine Erklärung dafür sein, dass die therapeutische Allianz in der Videobehandlung von den Therapeuten oft als weniger tragfähig eingeschätzt wird, als von den Patienten (die diese Kontrollillusion nicht benötigen). Auch das Erleben reduzierten Komforts und einer erhöhten Anstrengung seitens der Therapeuten könnte durch Kompensationsbemühungen erklärbar sein, die darauf gerichtet sind, die Situationskontrolle zu erhöhen. Gleichzeitig ist es jedoch ebenfalls möglich, dass es der Therapeutin leichter fällt, ruhig zu bleiben und einen starken Gefühlsausdruck des Patienten zu tolerieren, da aufgrund der Distanz keine Gefahr besteht, physisch angegriffen zu werden (Shore 2013). Justen-Horsten und Paschen (2016) beschäftigen sich ausführlich mit der Frage, wie eine Online-Psychotherapie aussehen kann. Das ist bemerkenswert, da zum Erscheinungszeitpunkt ihres Buches die Videobehandlung noch Zukunftsmusik war. Neben dem Blended-Treatment sehen sie vor allem die Nachsorge oder Rezidivprophylaxe sowie den begleitenden Einsatz von Online-Tools im Sinne einer Media-Assisted Psychotherapy als sinnvolle Einsatzgebiete an. Der „kurze Weg ins Netz“ (ebd.) ermögliche Kurzkontakte und biete eine unkomplizierte Rückmeldungs- und Auffrischungsmöglichkeit. Auch Rückfälle könnten auf diese Art zeitnah besprochen, in ihrer Bedeutung bewertet und angemessene Interventionen ausgewählt werden. Eine reine Online-Diagnostik ebenso wie eine ausschließliche Online-Krisenintervention bewerten sie aufgrund der fehlenden Informationen und reduzierten Handlungsmöglichkeiten als kritisch. Sieht man sich die aktuellen Regelungen an (Richtlinienpsychotherapie und Rezidivpro-

2.2  Videositzungen in der Supervision

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phylaxe erlaubt, Sprechstunde, Probatorik und Akuttherapie nicht erlaubt), erweist sich diese Einschätzung als prophetisch. In den USA setzen Ärzte Videokonferenzen bereits zur psychiatrischen Diagnostik ein. Hyler und Kollegen (2005) wiesen metaanalytisch eine Äquivalenz in der Diagnosenvalidität von Offline- und Onlinesetting nach. Verglichen mit der Telefonbehandlung führt die Videobehandlung zu weniger Medikationsfehlern, einer größeren diagnostischen Genauigkeit und einer verbesserten Entscheidungsgüte (Rush et al. 2018). Knaevelsrud und Kollegen (2016) machen zudem darauf aufmerksam, dass der erste Onlinekontakt den Weg in die Face-to-Face-Behandlung bahnen kann. Der derzeitige Zwang zur Offline-Diagnostik verhindert so möglicherweise den Beginn einer Psychotherapie. Auch hinsichtlich der Niedrigschwelligkeit lässt sich daher der Diagnostikausschluss in der psychotherapeutischen Regelversorgung kritisch hinterfragen. Viele Kollegen machten während der pandemiebedingten Ausnahmeregelungen Erfahrungen mit Patienten, die explizit um eine Diagnostik per Video baten. Grund hierfür waren keine coronabezogenen Ängste, sondern schlicht, dass man erfahren hatte, dass dies „gerade möglich“ sei und man sich sonst „nie zu einer Kontaktaufnahme getraut hätte“. Nach den ersten Videogesprächen war die Schwellenangst in diesen Fällen meist abgebaut und ein Faceto-Face-Kontakt unproblematisch möglich.

2.2 Videositzungen in der Supervision 2.2.1 Begriffe und Definitionen Supervision ist eine Beratung im beruflichen Kontext. Sie bietet die Möglichkeit, die eigene Rolle zu reflektieren, wertzuschätzen und anzupassen, wo dies erforderlich scheint. Hierzu werden die Beziehungen zu Dienstleistungsempfängern (Patienten, Klienten, Kunden) betrachtet und Kompetenzen zu deren professioneller Gestaltung vermittelt. Abhängig vom Supervisionsmodell oder -verständnis kann hierbei auch die Vermittlung fachlicher Kompetenzen (z. B. in der Ausbildungssupervision) im Mittelpunkt stehen. Der Übergang zur Fachberatung ist dann fließend. Häufiger als mit Fachberatung ist Supervision jedoch mit einer reflektierenden Begleitung des oder der Supervisanden verbunden, die eher aus einer beobachtenden Perspektive stattfindet und die Wahrnehmungen, Wirklichkeiten und Interaktionen im geschilderten (Problem-)Kontext fokussiert. Meist ist hiermit eine systemisch-konstruktivistische Grundhaltung verbunden, die Beobachtungen zweiter Ordnung (also Beobachtungen von Beobachtungen) in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Über die Beziehung zum Klienten hinaus spielen auch die Beziehungen zu den (Team-)Kollegen eine Rolle sowie die Einbettung der eigenen Tätigkeit in der Organisation, etwa der Klinik. Steht die Betrachtung des Patienten oder Klienten im Fokus, wird meist von Fallsupervision gesprochen; stehen die Beziehungen

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untereinander und mit der Organisation im Mittelpunkt werden meist die Begriffe Gruppen- oder Teamsupervision gewählt. Mischformen sind aufgrund der Verschränkung der Themen der Regelfall.

2.2.2 Supervisionsformate Supervision findet auch im deutschsprachigen Raum vermehrt per Videoübertragung statt (Engelhardt und Gerner 2017). Sollen Vor-Ort- und Videosupervision im Wechsel stattfinden, kann von Blended-Supervision gesprochen werden. Wie auch für die Blended-Angebote in Therapie und Beratung gilt hier, dass ein Nutzen vor allem dann entsteht, wenn die verschiedenen Settings systematisch eingesetzt und kombiniert werden (Weiß und Engelhardt 2012). Für Supervisoren bedeutet das, sich für den Bereich der Videosupervision zu qualifizieren. Behandeln Therapeuten und Berater selbst via Onlinemedien, ist eine Reflexionsmöglichkeit sinnvoll, die im gleichen Setting stattfindet. Oder anders ausgedrückt: Supervision sollte in dem Medium stattfinden, indem die Fragestellung für sie entstanden ist (Klampfer 2005). Neben der erhöhten Nachvollziehbarkeit der Klientenposition ist davon auszugehen, dass sich Spiegelphänomene (vgl. Kutter 2016) so leichter abbilden lassen. Vorkommnisse wie z. B. technische Probleme, die genau dann auftreten, wenn es für einen selbst um etwas Wichtiges geht, können nützlich sein, um empathischer auf die Klienten einzugehen, die diese Schwierigkeiten während der Sitzung erleben. Neben der Betrachtung von Vorgehensweisen und Methoden nimmt der Supervisand so die Klientenrolle ein und erlebt sich auf der anderen Seite sitzend. Dass die Psychotherapiesupervision derzeit kaum über Video stattfindet, ist einerseits verständlich, da Videotherapie erst seit 2019 in der Regelversorgung möglich ist, andererseits aber auch verwunderlich, da etwa 77 % der niedergelassenen Psychotherapeuten, zumindest während der Coronapandemie, einen Blended-Therapy-Ansatz verfolgten (DPtV 2020). Wenn Therapeuten und Berater für sich selbst den Face-to-Face-Kontakt vorziehen, ihren Klienten jedoch die Arbeit per Video anbieten, lässt das die Frage nach den Gründen hierfür aufkommen. Supervisoren sollten ihre Supervisanden hier zu einer Selbstreflexion anregen: „Welche Faktoren verleiten mich dazu, nicht das Medium in Anspruch zu nehmen, das ich anderen selbst anbiete?“ Oft finden sich dieser Fragestellung nachgehend eigene Ängste bzgl. des Technikeinsatzes oder Vorurteile, die den Klienten andere Bedürfnisse oder Medien zuweisen als sich selbst. u Blended-Supervision: Distanzund Präsenzberatung im Wechsel  Arbeiten die Supervisanden mittels Onlinemedien mit ihren Klienten, ist ein Blended-Supervisions-Angebot von Vorteil, das neben Face-to-Face-Sitzungen ebenfalls Gespräche in dem Medium umfasst, das die Supervisanden in ihrer Tätigkeit nutzen. Ziel dieser Supervisionsform ist es, die Vorteile des jeweiligen Settings kennenzulernen,

Literatur

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um den Therapie- oder Beratungsprozess effektiv zu unterstützen. Das eigene Erfahren der Nachteile des Mediums soll dabei helfen, Wege zu deren Bewältigung zu finden. So wird die Blended-Supervision zu einem Modell für die Blended-Therapy bzw. das Blended-Counseling.

Einen Sonderfall stellt die Supervision in der Psychotherapieausbildung dar. Sie unterscheidet sich von der, in der Regel durch den Arbeitgeber finanzierten, Fall-, Team- oder Gruppensupervision, da sie neben der Unterstützung und Weiterentwicklung des Supervisanden auch als externe Kontrolle dient, die Schaden vom Patienten abwenden soll. Empfehlungen sind daher oft offensiver und haben zuweilen eher den Charakter von Arbeitsaufträgen als von Reflexionsangeboten (s. Abschn. 2.2.1). Die Ambivalenz, die mit der Ausbildungssupervision verbunden ist, muss der Supervisorin bewusst sein und sollte auch in der Videosupervision offen angesprochen werden. Dies ist umso wichtiger, da die Videosupervision oft als informeller wahrgenommen wird als das Treffen in der Praxis der Supervisorin (Abschn. 5.2).

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Grundlagen

Inhaltsverzeichnis 3.1 Technische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.1 Kamera und Bildausschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.2 Mikrofon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.1.3 Beleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.4 Anbieter von Videokommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.2 Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.1 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.2 Supervision und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

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Bevor es an die Inhalte der Videobehandlung geht, erhalten Sie in diesem Kapitel die hierfür notwendigen Grundlagen. Sie erfahren, worauf Sie bei der Wahl Ihrer technischen Ausstattung besonders achten sollten und wofür es sich lohnt, etwas (mehr) Geld auszugeben (Abschn. 3.1). Nach der Lektüre kennen Sie sich mit Kamera und Mikrofon sowie den Regeln für eine gute Beleuchtung Ihres Arbeitsplatzes aus. So ausgerüstet sind Sie bereit für die rechtlichen Grundlagen, die Sie brauchen, um sich in der Videobehandlung sicher zu fühlen und auch Ihrem Gegenüber einen rechtssicheren Rahmen zu bieten (Abschn. 3.2). Ein Exkurs beschäftigt sich mit Abrechnungsmöglichkeiten der Videosprechstunde in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_3

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3 Grundlagen

3.1 Technische Grundlagen 3.1.1 Kamera und Bildausschnitt Üben Sie mit der Kamera, bevor es losgeht. Am einfachsten ist es, die Kamera auf Augenhöhe zu positionieren. Dann fällt der Blick in die Linse leicht und die Körperhaltung bleibt gerade. Um die Kameraposition flexibel zu gestalten, lohnt sich die Anschaffung einer externen Webcam (statt der Nutzung der im Gerät verbauten Kamera). Ihr Rücken wird Ihnen dankbar sein! Die Anschaffung einer Full-HD-Webcam ist sinnvoll, wenn man auf ein gutes Bild Wert legt. Der Blick auf das eigene Bild oder das Bild des Gesprächspartners ist anziehender als der Blick in die Kameralinse. Doch vor allem durch diesen Blick entsteht der Eindruck von Augenkontakt. Nutzen Sie den „Linsenblick“, um Nähe herzustellen und in Kontakt zu gehen. Es ist nicht ratsam, ständig in die Kamera zu blicken: Auch Ihrem Face-to-Face-Gesprächspartner sehen Sie ja nicht kontinuierlich in die Augen. Setzen Sie den Blick eher gezielt ein, um zu Beginn des Gesprächs in Kontakt zu kommen und Nähe aufzubauen, wenn diese im Gespräch angebracht ist. Bondareva und Bouwhuis (2004) stellten fest, dass ein Videosystem, das in der Lage ist, einen direkten Augenkontakt zu vermitteln, eine signifikant höhere soziale Präsenz generiert. Sie konnten dies nicht nur mit subjektiven Aussagen belegen, sondern ebenfalls mit veränderten Verhaltensmaßen wie Körperbewegungen, Mimik, Blickfixierungen und Gesten. Versuchen Sie also den Augenkontakt zu erleichtern, indem der Blick in die Kamera leicht zu bewerkstelligen ist. Ein zusätzliches Manko der Nutzung von eingebauten Kameras ist, dass Sie, um einen guten Blick auf den Bildschirm zu haben, diesen in der Regel leicht schräg stellen müssen. Für Ihr Bild bedeutet das jedoch, dass Ihr Gesprächspartner den Eindruck hat, dass Sie von oben herab auf ihn sehen. Haben Sie keine externe Webcam, versuchen Sie daher, den Bildschirm gerade auszurichten und den Stuhl so zu positionieren, dass Ihre Augen auf der Höhe der Kamera sind. Abhängig von Tisch und Stuhl ergibt sich nun oft eine recht gewöhnungsbedürftige Position. Falls sie zu unbequem ist, hilft nur die externe Kamera. Sie haben eine Webcam gekauft? Dann geben Sie noch etwas mehr Geld aus und kaufen sich ein Stativ dazu. Das kann entweder ein klassisches Boden- oder auch ein Tischstativ sein. So können Sie die perfekte, wackelfreie Position für Ihre Webcam einrichten. Wenn Sie mit Mehrpersonensettings arbeiten und analoge Methoden wie ein echtes Flipchart oder die Metaplanwand einsetzen möchten, lohnt sich die Arbeit mit einer zweiten Kamera. Auf diese wechseln Sie, wenn Sie sich im Raum bewegen und möchten, dass die anderen Ihnen hierbei folgen. Für unter 100 € kaufen Sie sich ein Stativ mit Objektverfolgung, auf dem Sie Ihr Smartphone festklemmen und auf dem es sich frei drehen kann. Bewegen Sie sich nun, folgt die Kamera Ihnen nach. Auch für Sitzungen, in denen einige Personen vor Ort sind und andere per Video teilnehmen, ist das eine gute Lösung, da Sie so etwa mit Aufstellungen oder Skulpturen arbeiten können.

3.1  Technische Grundlagen

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Richtig fenstern  Die meisten Anbieter setzen das Videofenster, in dem Sie sich selbst sehen können, in den linken oberen Bildschirmbereich. Da wir uns selbst während des Gesprächs beobachten, geht der Blick (bei großen Bildschirmen sogar die Kopfbewegung) zu diesem Zweck weg vom Gesprächspartner und hin zu unserem eigenen Bild. Das kann zu Irritationen bei unserem Gegenüber und damit zu Störungen im Gesprächsverlauf führen. Oft erlaubt der Anbieter es jedoch, das eigene Bild zu verschieben. Setzen Sie es daher in die Mitte oberhalb des Bildes Ihres Gesprächspartners, sodass es unmittelbar unterhalb der Kamera liegt. Das begünstigt zudem den wichtigen Blick in die Linse.

Im Vor-Ort-Gespräch verwenden wir unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich darauf, unserem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, nehmen also vor allem seine Mimik wahr. Und wir achten darauf, unsere eigene Mimik sowie unseren Blick zu kontrollieren. Da Mimik und Blick stärker beeinflusst werden als andere Bereiche der nonverbalen Kommunikation, sind sie für die Entschlüsselung der Körpersprache vermutlich weniger nützlich (Ekman und Friesen 1974). Auch für die Ausbildung von Empathie scheint vor allem die Gestik einer Person hilfreich zu sein (Lhommet und Marsella 2014; Kendon 2014). Während der Unterkörper auch im Face-to-Face-Gespräch oft durch einen Tisch verdeckt ist, nehmen wir die Signale, die mit dem Oberkörper in Verbindung stehen, in der Regel sehr gut wahr. Neben Handgesten sind das etwa Haltungsund Distanzänderungen oder auch Wechsel in der Sitzposition. Während das Gespräch auf der verbalen Ebene meist diszipliniert und im stetigen SprecherZuhörer-Wechsel abläuft, passiert der nonverbale Austausch ungeordnet und simultan. Verstehen wir uns gut, beginnen wir unsere Gestik und vor allem unsere Haltung aufeinander abzustimmen und zu spiegeln. Gestik, Haltung und Distanz, ebenso wie deren Bezogenheit aufeinander, sind dementsprechend wichtig für ein Gespräch. Vor allem dann, wenn Empathie und ein exaktes Verstehen des anderen wichtig sind. Ist im übermittelten Bildausschnitt also nur der Kopf der Sprecher zu sehen, fehlen wesentliche nonverbale Gesprächssignale. Der Bildausschnitt sollte daher neben Mimik und Blick möglichst auch den Oberkörper, zumindest einen Teil von ihm, umfassen. So wird auch die Gestik sichtbar. Meistens sind hierfür, vor allem bei Desktop-PCs, höhere Distanzen zur Kamera notwendig, als wir sie einzunehmen gewohnt sind. Achten Sie bei der Bildeinstellung jedoch darauf, dass Ihre Mimik weiterhin gut für den anderen zu erkennen bleibt! In Mehrpersonensettings sind große Bildschirme notwendig, auf denen sowohl der Blick als auch der Oberkörper gut erkennbar sein müssen. Und: In längeren Gesprächssequenzen sollte von der Galerie- auf die Sprecheransicht (Abschn. 6.1.6) gewechselt werden, um die Qualität der Kommunikation zu steigern. Die Sitzungsteilnehmer sollten zu Beginn über die Möglichkeit der Ansichtswechsel informiert und gebeten werden, diese während des Gesprächs zu nutzen.

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Face-to-Face- oder Body-to-Body-Kommunikation?

Nguyen und Canny (2009) gingen in ihrer Studie der Frage nach, wie sich Videokommunikation auf empathisches Verhalten auswirkt. Unter anderem verwendeten sie hierfür das sogenannte „Pen-Drop“-Experiment. Nach einem Gespräch, das entweder vor Ort, per Videoübertragung mit Ansicht von Kopf und Schulterbereich oder per Videoübertragung mit Ansicht des gesamten Oberkörpers inklusive der Hände stattfand, wurde erhoben, wie hilfreich die Probanden auf eine Person reagierten, die scheinbar versehentlich mehrere Stifte fallen ließ. Wie vermutet, war die Empathie niedriger, wenn man das Vor-Ort-Gespräch mit der „Nur-Kopf“-Kommunikation verglich. Interessanterweise ließen sich jedoch keine Empathieunterschiede zwischen dem physisch kopräsenten Gespräch und der „Oberkörper“- Bedingung finden! Die Forscher vermuten, dass es vor allem der Ausdruck Face-to-Face-Gespräch ist, der dazu geführt hat, dass es heute üblich ist, die Kopfansicht als Standardeinstellung für die Kommunikation zu nutzen. Dieser Ausdruck ist ihrer Ansicht nach jedoch mehr als irreführend: schließlich gibt es zwischen Menschen, egal in welchem Setting, niemals eine „head-only“- Begegnung (ebd.). ◄

3.1.2 Mikrofon Das Mikrofon ist optimal eingestellt, wenn es Ihnen erlaubt, in einer normalen Lautstärke zu sprechen. Erhalten Sie oft die Rückmeldung, dass Sie zu leise sind oder Ihre Umgebungsgeräusche als störend wahrgenommen werden, ist das meist ein Hinweis auf eine mangelnde Mikrofonqualität. In diesen Fällen lohnt sich die Anschaffung eines externen Mikrofons (z. B. Clip-Mikrofon) oder Headsets. Obwohl viele externe Kameras über Mikrofone verfügen, ist die Nutzung dieser oft ähnlich problematisch wie die des im Gerät eingebauten Mikrofons, da sie weit entfernt sind und die Tastatur sich zwischen Sprecher und Kamera befindet. Sollten Sie während Ihrer Videositzung Notizen über die Tastatur des Computers eingeben, brauchen Sie sogar zwingend ein externes Mikrofon. Das Geräusch des mikrofonnahen Tastenanschlags ist für den Gesprächspartner sehr laut zu vernehmen. Ein externes Mikrofon lässt Sie parallel tippen, ohne dass dies eine Störung für Ihr Gegenüber darstellt. Eine Tastatur mit einem weichen Anschlag empfiehlt sich aber auch hier! Bei der Wahl des Mikrofons bzw. Headsets sollten Sie sich für ein kabelloses Produkt entscheiden. Der Vorteil liegt vor allem in der Auswirkung auf Mimik und Gestik: Sobald ein Kabel Sie mit Ihrem Gerät verbindet, verliert Ihre Gestik an Natürlichkeit und Intensität. Doch um per Video gelingend zu kommunizieren, brauchen Sie mehr nonverbale Signale – nicht weniger. Achten Sie also darauf, dass die Technik Ihnen Bewegungsfreiheit lässt. Experimentieren Sie mit dem richtigen Abstand des Mikrofons von Ihrem Mund: Zu nah werden Atemgeräusche und Plosive unangenehm laut und störend

3.1  Technische Grundlagen

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für Ihre Zuhörer. Ein zu weit entferntes Mikrofon hingegen überträgt Ihre Stimme oft nicht laut genug und kann Umgebungsgeräusche verstärken. Erfahrungsgemäß ist ein Abstand von drei bis fünf Zentimetern Entfernung zum Mund optimal. Sind Mikrofon und Lautsprecher zu nah beieinander oder falsch eingestellt, kann es zu Rückkopplungseffekten kommen. Erhöhen Sie in einem solchen Fall die Distanz zwischen beiden und reduzieren Sie die Lautstärke. Wenn Sie mit zwei parallelen Geräten arbeiten (siehe Abschn. 3.1.1), sollten Sie das Gerät, das Sie aktuell nicht nutzen, immer auf „lautlos“ stellen, um Pfeifkonzerte zu vermeiden. Können Sie Ihre eigene Stimme aus dem Lautsprecher Ihres Gegenübers als Echo hören, lässt sich das meist beheben, wenn Ihr Gesprächspartner seine Lautstärke nach unten regelt. Kommt es immer noch zum Echoeffekt, bitten Sie ihn, ein Headset zu verwenden. Das löst das Problem.

3.1.3 Beleuchtung Die Bildqualität verschlechtert sich sowohl bei zu viel Dunkelheit als auch bei zu viel Helligkeit. Wählen Sie daher einen Arbeitsplatz, der gut ausgeleuchtet ist. Achten Sie aber darauf, dass die wesentliche Lichtquelle sich nicht hinter Ihrem Rücken befindet. Sitzen Sie z. B. vor einem Fenster, durch das das Sonnenlicht scheint, wirken Sie schnell zu dunkel. Achten Sie darauf, dass einfallendes Licht Sie nicht blendet. Auch wenn Sie es nicht unbedingt als störend empfinden, kann es Ihren Gesprächspartner irritieren, wenn Sie häufig blinzeln müssen. Ohne zusätzliches Equipment ist vor allem gleichmäßig von oben und/oder vorne scheinendes Licht empfehlenswert, da es so zu keinen Schlagschatten kommt, die eine seitliche Beleuchtung, etwa durch eine Schreibtischlampe, bewirken kann. Sie möchten in die Profiliga aufsteigen? Investieren Sie in eine Ringleuchte oder einen Scheinwerfer. Diese sorgen für eine gleichmäßige Ausleuchtung und gewährleisten, dass Ihrem Gegenüber keine nonverbalen Hinweise verloren gehen. Auch wirft Ihr Gesicht keine Schatten, was sich ebenfalls positiv auf die Darstellung auswirkt.

Technische Ausstattung im Überblick

• Externe Webcam • Tisch- oder Bodenstativ (zur Fixierung der externen Webcam) • Externes Mikrofon (Clip oder Headset), am besten kabellos • Tastatur mit weichem Anschlag • Ringleuchte oder Scheinwerfer • Stativ mit beweglichem Stick zur Objektverfolgung (beim Einsatz einer zweiten Kamera)

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Sie sind schon jetzt genervt bei dem Gedanken an die Recherchearbeit, die nun auf Sie zukommt? Sie möchten eine Ready-to-Order-Liste mit Empfehlungen und direkter Verlinkung? Bekommen Sie unter https:// www.videotherapie-videosupervision.de/ (Stand August 2020).

3.1.4 Anbieter von Videokommunikation Sie sind niedergelassen oder angestellt und behandeln im Rahmen Ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit? Dann müssen Sie einen Anbieter wählen, der durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert wurde. Die Anbieter müssen für die Zertifizierung diverse Auflagen erfüllen (nachzulesen im Bundesmantelvertrag-Ärzte, Anlage 31b). So muss etwa die Übertragung verschlüsselt sein und direkt von einem Rechner zum anderen (peer-to-peer) erfolgen. Auch dürfen nur Server im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) genutzt und die Inhalte der Videosprechstunde vom Anbieter weder eingesehen noch gespeichert werden. Die aktuelle Liste (Stand 10. Oktober 2020) der zertifizierten Anbieter finden Sie hier: https://www.kbv.de/media/sp/Liste_zertifizierte-Videodienstanbieter.pdf. Sind Sie, etwa als Beraterin oder Supervisorin, frei von Auflagen, können Sie Ihren Anbieter auf dem freien Markt selbst wählen. Achten Sie hierbei auf jeden Fall darauf, Datenschutzanforderungen zu genügen! Darüber hinaus empfiehlt es sich, bei der Anbieterwahl die Internetverbindung im Auge zu behalten. Hierzu ermitteln Sie die Geschwindigkeit Ihrer Verbindung an den Arbeitsplätzen, an denen Sie konferieren, z. B. in der Praxis und im Homeoffice. Das bietet beispielsweise die Bundesnetzagentur unter https://breitbandmessung.de an. Haben Sie eine hohe Verbindungsgeschwindigkeit, können Sie frei nach Funktionsumfang der Anbieter wählen. Bei einer niedrigen Geschwindigkeit sollten Sie eine Software wählen, die dennoch in der Lage ist, Bild und Ton stabil zu generieren. Programmempfehlungen, auch hinsichtlich der Verbindungsstärke, finden Sie regelmäßig bei „Stiftung Warentest“. Achten Sie bei der Wahl Ihres Anbieters darauf, dass das Programm mit jedem Betriebssystem genutzt werden kann. Für professionelle Kontakte ist das eine Voraussetzung. In ländlichen Gegenden mit eher schwachen Internetverbindungen kann es zudem von Vorteil sein, wenn die Software als Fallbackoption die Einwahl mittels Telefon erlaubt. Hiermit ist nicht gemeint, lediglich die Kamera auszuschalten (das kann jedoch ebenfalls empfehlenswert sein, wenn die Verbindung schwächelt), sondern tatsächlich Teilnehmer mittels Telefonanrufs hinzuzuschalten. So kann sogar ohne Internetverbindung an der Sitzung teilgenommen werden.

3.2  Rechtliche Grundlagen

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Nützliche Videofunktionen im Überblick

• Kamera und Mikrofon sind getrennt voneinander abschaltbar. • Es besteht eine integrierte Möglichkeit zum Dateiaustausch. • Sie können den Bildschirm teilen (und so gemeinsam Vorlagen betrachten und bearbeiten). • Das Programm verfügt über ein Whiteboard (Abschn. 6.1.6). • Das Programm erlaubt eine Offline-Teilnahme (per Telefon). • Es gibt eine integrierte Chat-Möglichkeit. • Das Programm verfügt über ein Abstimmungstool (Mehrpersonensetting). • Es kann zwischen Galerie- und Sprecheransicht gewechselt werden (Mehrpersonensetting). • Die Bilder der Teilnehmer können nach den eigenen Vorstellungen angeordnet werden. • Das eigene Bild kann an einer anderen Stelle positioniert werden.

3.2 Rechtliche Grundlagen Übergreifend gilt für alle Tätigkeiten im Therapie- und Beratungssektor die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Neben vielen weiteren Punkten bedeutet das für Therapeuten und Berater, dass die Kommunikation mittels digitaler Medien zu Beratungs- und Therapiezwecken verschlüsselt werden muss, keine anderen Personen Einblick in die Kommunikation erhalten dürfen und die verwendeten Geräte sicher sein müssen (hierzu sind unter anderem Virenschutzprogramm, Firewall und aktualisierte Betriebssysteme vonnöten).

3.2.1 Psychotherapie Seit dem 01. Oktober 2019 dürfen Psychotherapeuten in der Regelversorgung online per Video therapieren und abrechnen. Da Videosprechstunden lediglich als Ergänzung zum Face-to-Face-Setting in der Praxis stattfinden dürfen, handelt es sich um einen Blended-Therapy-Ansatz (vgl. 2.1.3). Bereits 2018 wurde die Musterberufsordnung geändert, sodass berufsrechtlich der Weg für Videositzungen frei wurde. Anschließend folgte die Änderung der Psychotherapie-Vereinbarung (Anlage 1 BMV-Ä), die mit § 17 nun eine explizite Regelung für Videokonferenzen enthält. Neben Eingangsdiagnostik und Indikationsstellung, erfordere auch die Aufklärung den „unmittelbaren persönlichen Kontakt“ zum Patienten. Das individuelle Krankheitsgeschehen müsse, ebenso wie die Lebensumstände des

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3 Grundlagen

Patienten, bei der Entscheidung berücksichtigt werden, ob eine Leistung per Videokonferenz erbracht werden könne (vgl. Psychotherapie-Vereinbarung, Kassenärztliche Bundesvereinigung 2020). Prinzipiell gelten darüber hinaus die gleichen Standards und (Sorgfalts-)Pflichten, wie sie auch für das Face-to-FaceSetting bestehen.

Nicht als Videokonferenz zulässige psychotherapeutische Leistungen

Folgende Leistungen der Psychotherapie-Richtlinie (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020) erfordern nach § 17 der Psychotherapie-Vereinbarung den „unmittelbaren persönlichen Kontakt“ und sind daher nicht als Videokonferenz zulässig: • Psychotherapeutische Sprechstunde (§ 11 der Psychotherapie-Richtlinie) • Probatorische Sitzungen (§ 12 der Psychotherapie-Richtlinie) • Psychotherapeutische Akutbehandlung (§ 13 der PsychotherapieRichtlinie) • Gruppenpsychotherapie (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 der Psychotherapie-Richtlinie) • Hypnose (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 der Psychotherapie-Richtlinie) Bereits im März 2019 wurde durch den Deutschen Psychotherapeutentag gefordert, dass ausschließlich Psychotherapeutin und Patientin über Einsatz und Umfang von Videobehandlungen entscheiden sollten. Im zweiten Quartal 2020 wurde aufgrund der Coronapandemie durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) beschlossen, dass neben der Richtlinien-Psychotherapie im begründeten Einzelfall auch die Probatorik und die Psychotherapeutische Sprechstunde per Video erlaubt sind. Psychotherapeutische Behandlungen durften so das erste Mal ausschließlich online stattfinden. Ausgenommen von der Sonderregelung wurden lediglich die Akutbehandlung und die Gruppentherapie. Auch die 20 %-Regelung wurde gekippt, sodass, zumindest bis Ende 2020, eine unbegrenzte Anzahl von Patienten per Video behandelt werden durfte. Abrechnung der Videosprechstunde in der Gesetzlichen Krankenversicherung

Die mittels Video durchgeführten Sitzungen müssen mit dem Buchstaben „V“ gekennzeichnet werden. Findet neben der Videobehandlung ein persönlicher Kontakt während des Quartals statt, wird die reguläre Versicherten- oder Grundpauschale abgerechnet. Zudem können die Zuschläge für die fachärztliche Grundversorgung (PFG-Zuschläge) hinzugesetzt werden. Sucht der Patient die Praxis im Abrechnungsquartal nicht persönlich auf, wird von der KV ein Abschlag auf Pauschale und Zuschläge berechnet. Bei der Fachgruppe der Psychotherapeuten sind das 20 %. Der Patient muss in diesem Fall mit der Pseudo-GOP 88220 gekennzeichnet werden.

3.2  Rechtliche Grundlagen

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Mit der Ziffer 01450 wird ein Technikzuschlag von 4,33 € (40 Punkte) abgerechnet. Dieser soll die Kosten für den Videodienst abdecken. Der Zuschlag ist bei allen Videosprechstunden und Videofallkonferenzen anzugeben. Er ist pro Quartal auf maximal 1.899 Punkte (205,52 €) gedeckelt. Bis zum 30. September 2021 erfolgt zudem mit der Ziffer 01451 eine „Anschubfinanzierung“ für die Videosprechstunde in der Höhe von 9,95 € (92 Punkte), ebenfalls für maximal 50 Videobehandlungen im Quartal. Voraussetzung ist hierfür die Durchführung eines Minimums von 15 Videositzungen im entsprechenden Quartal. Die Ziffer sollte automatisch durch die KV zugesetzt werden, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Ein Zuschlag kann zudem für die Authentifizierung eines unbekannten Patienten (definiert als Patient, der noch nie oder nur noch nicht im laufenden Quartal oder im Vorquartal in der Praxis behandelt wurde) mittels der Ziffer 01444 (10 Punkte/1,08 €) abgerechnet werden. Auch dieser Zuschlag ist zeitlich bis zum dritten Quartal 2021 befristet.

Aufklärung und Dokumentation Klären Sie Ihren Patienten über die Rahmenbedingungen der Videobehandlung auf und dokumentieren Sie die Aufklärung in der Akte. Nutzen Sie die Aufklärung, um über Vor- und Nachteile zu sprechen und Befürchtungen zu klären. Die Pflicht zur Aufklärung ergibt sich bereits aus dem Patientenrechtegesetz („Aufklärungspflichten“, § 630e BGB). Die Videobehandlung ist freiwillig – das sollte dem Patienten klar sein! Zusätzlich sollten Sie dokumentieren, aus welchen Gründen Sie eine Videotherapie in diesem Fall für fachlich vertretbar halten. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Ihr Patient wünscht eine Videobehandlung, die Sie jedoch nicht für fachlich vertretbar halten. In diesem Fall müssten Sie die Behandlung ablehnen, um Ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Mögliche Gründe, die für und gegen eine Videobehandlung sprechen können, finden Sie in den Abschnitten 2.1.2 (Indikation und Kontraindikation) und 6.2.1 (Grenzen der Videositzung) zusammengefasst. Neben der dokumentierten Aufklärung benötigen Sie eine vom Patienten unterschriebene Einwilligungserklärung. Ihr Patient bestätigt hier den Erhalt der Informationen zur Videosprechstunde und gibt seine Einwilligung zur Datenerhebung, -nutzung und -verarbeitung. In diesem Zusammenhang wird er auch über das verwendete Programm und die erhobenen Daten informiert. Eine Widerrufmöglichkeit schließt die Einverständniserklärung ab. Eine Vorlage für die Einverständniserklärung, in der auch die erhobenen Daten spezifiziert werden, erhalten Sie zumeist von Ihrem Videodienstanbieter. Auch Verbände stellen in der Regel aktuelle, rechtlich geprüfte Erklärungen für ihre Mitglieder zur Verfügung. Wesentliche Punkte finden Sie in der untenstehenden Übersicht.

Patienteninformation und Aufklärung, wesentliche Punkte

• Freiwilligkeit: Patienten müssen Ihre Einwilligung schriftlich erklären. • Privatsphäre: Die Videosprechstunde findet in geschlossenen Räumen statt. • Vertraulichkeit: Die Videosprechstunde sollte störungsfrei und vertraulich sein. • Vorstellung: Zu Beginn der Sitzung findet eine Vorstellung aller im Raum befindlichen Personen statt.

3 Grundlagen

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• Aufzeichnungsverbot: Die Videosprechstunde darf nicht aufgezeichnet werden. • Technik: Es wird ein Endgerät mit einem ausreichend großen Bildschirm benötigt. Das Gerät muss eine Kamera, Mikrofon und Lautsprecher aufweisen. Der Internetbrowser sollte aktuell, ein Virenschutzprogramm installiert (und ebenfalls aktuell), die Firewall aktiviert sein. • Datensicherheit: Es sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass eine völlige Datensicherheit nicht garantiert werden kann und Schadprogramme möglicherweise fähig sind, Videoübertragungen aufzuzeichnen und/oder weiterzuleiten. Die technischen Anforderungen für Praxis und Anbieter, vor allem hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz, sind in der Anlage 31b zum BundesmantelvertragÄrzte geregelt (Stand Oktober 2020): https://www.kbv.de/media/sp/Anlage_31b_Videosprechstunde.pdf. Ablauf der Videosprechstunde Sie registrieren sich bei einem der zertifizierten Videodienstanbieter und weisen dies bei der für Sie zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung nach. Leistungen, die in der Videosprechstunde erbracht werden, dürfen Sie erst anschließend abrechnen. Vom Anbieter erhalten Sie die nötigen Informationen zum Einwahlund Sitzungsprozedere. Vor der ersten Videosprechstunde erklärt der Patient seine Einwilligung. Zum Beginn der Sitzung wählen Sie und Ihr Patient sich beim Anbieter ein – d. h. in der Regel, dass Sie einen Link aufrufen, der für diese Sitzung generiert wurde und den Sie zuvor Ihrem Patienten haben zukommen lassen. Am Ende der Sitzung melden Sie sich beim Anbieter ab („Gespräch beenden“ oder auch „Auflegen“). Sie dokumentieren die Behandlung wie gewohnt im Praxisverwaltungssystem. Private Krankenversicherung und Beihilfe Für Privatversicherte gab es bislang keine einheitliche Regelung bzgl. der Möglichkeit von Videobehandlungen. Obwohl Einschränkungen in dieser Hinsicht in den Verträgen in der Regel nicht definiert werden, sollte im Einzelfall eine Genehmigung durch den jeweiligen Versicherer eingeholt werden. Bezüglich Anbieter- und Datensicherheit sollte analog dem Vorgehen in der Regelversorgung verfahren werden.

3.2.2 Supervision und Beratung Auch wenn Sie nicht psychotherapeutisch tätig werden, sind rechtliche Vorgaben zu prüfen. Die Bestimmungen hinsichtlich Psychotherapie, Supervision und Beratung differieren in Abhängigkeit von der Berufsgruppe (Psychotherapeut, Heilpraktiker, Berater), dem Behandlungsrahmen (Regelversorgung, Privatversicherung,

Literatur

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öffentliches Beratungsangebot, privates Beratungs- oder Supervisionsangebot) und dem Ort der Berufsausübung. Für das eigene Tätigkeitsfeld gilt es, die jeweils gültigen Bestimmungen zu kennen und zu beachten. Die Verschlüsselung der Kommunikation, die Beratungszwecken dient, ist in jedem Fall geboten. Ebenso der Schutz der vertraulichen Daten des Klienten. Achten Sie daher unter anderem auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Unterliegen Sie in Ihrer Beratungstätigkeit der Verschwiegenheit nach § 203 StGB fordert dies eine rechtlich sichere Lösung zur Onlinekommunikation. Bereits seit 2018 müssen die Kommunikationsdienstleister (also etwa der Videodienstanbieter) zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Bequeme und frei verfügbare Videodienste erfüllen oft nicht die Anforderungen an eine sichere Kommunikation, die sich an Vorgaben des Datenschutzes hält. Viele der für Ärzte und Psychotherapeuten durch die Kassenärztliche Vereinigung zertifizierten Programme sind auch für andere Berufsgruppen zugänglich (vgl. Abschn. 3.1.4). Für sie gelten die durch die KBV angelegten hohen Standards hinsichtlich des Datenschutzes. Sollten Sie einen anderen Anbieter wählen, lohnt es sich, diesen anhand der Vorgaben der KBV zu prüfen. Es geht also los? Dann lassen Sie uns Ihren Arbeitsplatz organisieren!

Literatur Bondareva, Y., & Bouwhuis, D. (2004). Determinants of social presence in videoconferencing. In Proceedings of the Workshop on Environments for Personalized Information Access. Working Conference on Advanced Visual Interfaces (Gallipoli, Italy, May 25, 2004). AVI2004, S. 1–9. Ekman, P., & Friesen, W. V. (1974). Detecting deception from the body or face. Journal of Personality and Social Psychology, 29(3), 288. Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA). (2020). Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie) in der Fassung vom 19. Februar 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 58 (S. 1399) vom 17. April 2009, in Kraft getreten am 18. April 2009, zuletzt geändert am 22. November 2019, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 23.01.2020 B4) in Kraft getreten am 24. Januar 2020. https:// www.kbv.de/media/sp/2019_11_22_Psycho_RL.pdf. Zugegriffen: 27. Juli 2020 Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). (2020). Vereinbarung über die Anwendung von Psychotherapien in der vertragsärztlichen Versorgung (Psychotherapie-Vereinbarung) in der Fassung vom vom 2. Februar 2017. Zuletzt geändert am 27.02.2020. https://www.kbv.de/ media/sp/01_Psychotherapie_Aerzte.pdf. Zugegriffen: 17. Juli 2020 Kendon, A. (2014). On Gesture. In A. W. Siegman, & S. Feldstein (Hrsg.), Nonverbal behavior and communication (S. 65–98). New York: Psychology Press. Lhommet, M., & Marsella, S. C. (2014). Expressing emotion through posture. The Oxford Handbook Of Affective Computing, 273. Nguyen, D. T., & Canny, J. (2009). More than face-to-face: Empathy effects of video framing. In Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems (S. 423– 432).

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Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation

Inhaltsverzeichnis 4.1 Arbeitsplatz und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.2 Vorbereitung der Videobehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.3 Um die Videositzung herum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.3.1 Homeoffice und Terminorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.3.2 E-Mail-Kommunikation und Internetauftritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.3.3 Gesundheitsinformationen und -anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

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In diesem Kapitel setzen Sie sich mit Ihrem Arbeitsplatz auseinander. Sie besuchen sich selbst in einer Videositzung und lassen Ihr eigenes Erscheinungsbild und Umfeld auf sich wirken (Abschn. 4.1). Sie denken über das Thema Grenzen nach und gestalten einen passenden Hintergrund für Ihre Videositzungen. Weiter geht es mit konkreten Vorbereitungen: Informationen im Vorfeld stimmen Ihre Gesprächspartner auf die Sitzung ein und erleichtern ihnen den Einstieg (Abschn. 4.2). Im Folgeabschnitt (4.3) entfernen wir uns etwas vom Kernthema „Video“ und sehen uns an, welche digitalen Möglichkeiten für eine effiziente Sitzungsorganisation zur Verfügung stehen. Sie beschäftigen sich mit der Terminorganisation (Abschn. 4.3.1), die vor allem im Homeoffice Herausforderungen mit sich bringen kann. Danach wägen Sie ab, ob Sie Ihren Internetauftritt ausbauen und z. B. einen Downloadbereich einrichten (Abschn. 4.3.2), und freuen sich darauf, digitale Gesundheitsanwendungen zu empfehlen (Abschn. 4.3.3).

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_4

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4  Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation

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4.1 Arbeitsplatz und Hintergrund Besuchen Sie sich selbst, bevor Sie mit dem ersten Videogespräch starten. Hierzu wählen Sie sich über zwei verschiedene Geräte bei Ihrem Anbieter ein, indem Sie sich selbst zu einem Termin einladen. Nun können Sie sich und den Hintergrund Ihres Arbeitsplatzes so wahrnehmen, wie Ihre zukünftigen Gesprächspartner. Wenn Ihr Programm es gestattet, nehmen Sie eine Sequenz von sich selbst auf (alternativ filmen Sie mit einer externen Kamera den Monitor des Zweitgeräts ab) und prüfen untenstehende Punkte.

Prüfung von Technik und Hintergrund

• Sind Mimik, Blick und Gestik zu erkennen –die Entfernung zur Kamera also richtig gewählt? • Sind Bild- und Tonqualität ausreichend gut oder müssen Sie technisch aufrüsten (s. hierzu Abschn. 3.1)? • Gelingt Ihnen der Blick in die Kamera? Entsteht ein Eindruck von Augenkontakt? • Wie verändert sich Ihre Ansicht, wenn Sie Ihr eigenes Bild beobachten? • Wie wirkt es, wenn Sie während des Gesprächs in der Akte lesen oder sich etwas notieren? • Welche Geräusche verursacht paralleles Tippen auf der Tastatur? • Können Sie Hintergrundgeräusche wahrnehmen? • Wie wirkt Ihr optischer Hintergrund? Was kann Ihr Gesprächspartner sehen? Der Hintergrund des Arbeitsplatzes ist der Bereich, den Ihr Gesprächspartner während der Videositzung einsehen bzw. einhören kann. Der Hintergrund sollte so neutral sein, dass er weder als Ablenkung dient noch unerwünschte intime Einblicke bietet. Die bewusste Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Hintergrundes wirkt sich auf die Beziehungsgestaltung und auch auf das eigene Wohlbefinden aus (Justen-Horsten und Paschen 2016). Der Ausschnitt, den Ihr Gesprächspartner während der Sitzung von Ihrer Umgebung wahrnehmen kann, wird in der Bedeutung aufgewertet und verdient daher eine besondere Beachtung. Wechseln Video- und Face-to-Face-Termine sich ab, kann es von Vorteil sein, die Videotermine im üblichen Praxis-/Arbeitsraum stattfinden zu lassen. So ist Ihr Gesprächspartner auch virtuell in der vertrauten Umgebung und hat einen vergleichbaren visuellen Eindruck wie beim Vor-Ort-Gespräch. Gerade bei unsicheren oder „ungehaltenen“ Patienten (etwa, weil der präferierte Faceto-Face-Kontakt aus medizinischen Gründen nicht stattfinden kann), kann dies Sicherheit erzeugen und beruhigend wirken. Wenn Sie Ihren Aufenthaltsort von Gespräch zu Gespräch wechseln, sollten Sie Ihrem Patienten mitteilen, wo Sie sich aktuell befinden. Die Fantasien, die ein anderer Ort auslöst, können sich

4.1  Arbeitsplatz und Hintergrund

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störend auf die Beziehung auswirken (etwa, wenn Ihr Gegenüber vermutet, dass Sie sich nicht in der Praxis befinden, sondern privat unterwegs sind). Neben dem richtigen Mikrofon (s. Abschn. 3.1.2) ist auch der akustische Hintergrund für die Qualität des Gesprächs entscheidend. Optimalerweise sitzen Sie in einem Raum, der eine gute Akustik aufweist. Das bedeutet, dass es zu keinen Halleffekten kommt (diese treten vor allem in großen, leeren Räumen auf) und dass keine störenden Geräusche hörbar sind. Nebengeräusche können für Sie leise, für Ihr Gegenüber durch die technische Übertragung jedoch laut sein. Eliminieren Sie daher Geräuschquellen wie tickende Uhren, Ventilatoren oder Kopierer und schließen Sie die Fenster. Tatsächlich zwitschern Vögel in Lautstärken bis zu 90 Dezibel, das kann sich so laut anhören wie ein Presslufthammer. Die meisten Videodienstanbieter erlauben es Ihnen, während des Gesprächs Ihr Mikrofon auszuschalten. Das Gespräch läuft weiter und Sie hören Ihren Gesprächspartner – er Sie jedoch nicht mehr. Gewöhnen Sie sich an, das Mikrofon auszuschalten, wenn Sie husten oder niesen müssen, eine laute Tätigkeit vornehmen oder es zu einer Störung kommt (etwa einem klingelnden Telefon). Auch das Blättern in der Akte kann, vor allem wenn es unmittelbar vor dem im Computer integrierten Mikrofon stattfindet, als störend laut empfunden werden. Sollten Sie während des Gesprächs Ihre Notizen tippen, lohnt sich die Anschaffung einer Tastatur mit weichem Anschlag (vgl. Abschn. 3.1.2). Falls Sie keinen neutralen Hintergrund finden, erschaffen Sie einen. Die Mittel hierfür haben Sie auf jeden Fall in der Praxis oder zu Hause vorrätig. Als Hintergründe eignen sich portable Beamerleinwände ebenso wie Whiteboardtafeln und Metaplaner, auf die Sie beispielsweise weißes Flipchartpapier anbringen. Sind diese nicht vorhanden, tut es tatsächlich auch das weiße Bettlaken, das Sie über das Bücherregal werfen, um unmittelbar einen Studiocharakter zu erhalten. Achten Sie in jedem Fall darauf, dass der Hintergrund in einer hellen Farbe gestaltet ist. So wird das Licht besser reflektiert und Sie heben sich optisch ab! Oft findet sich zudem der Hinweis auf das Tragen neutraler, reizarmer Kleidung (vgl. etwa Engelhardt und Gerner 2017). Auch wenn es stimmt, dass (zu) grelle Farbtöne und Muster störend wirken können, schadet es nicht, Farbe zu tragen! Auch blickdiagnostisch sollte man sich nicht die Möglichkeit nehmen, die Kleidung des Gegenübers als Hinweis auf dessen Befinden zu verstehen und auch diese Ebene in die Gespräche miteinbeziehen zu können. Und: Achten Sie in jedem Fall darauf, dass keine Tür im Hintergrund zu sehen ist. Sollte doch einmal jemand unerwartet den Raum betreten, ist er nicht unmittelbar im Bild und die Situation lässt sich leichter auflösen. Arbeiten Sie im Homeoffice oder befinden sich Ihre Praxisräume in Ihrem Privathaus, sollten Sie sich in besonderem Maße mit Grenzen und möglichen Grenzverletzungen in Videositzungen auseinandersetzen. Aufgrund der physischen Distanz zum Gesprächspartner werden formale Regeln in Videositzungen oft weniger befolgt als im professionellen Umfeld der eigenen Praxis oder den Räumen eines Auftraggebers. Vor allem Videositzungen, die in den Privaträumen stattfinden, verleiten dazu, Grenzen zu übersehen oder zu übertreten (Abschn. 5.2,

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Beziehungsgestaltung). Wählen Sie also bewusst aus, was Sie von sich und Ihrer Umgebung (nicht) zeigen möchten.

4.2 Vorbereitung der Videobehandlung Vor Beginn der ersten Sitzung in einer psychotherapeutischen Behandlung muss Ihr Patient eine Einwilligung (s. Abschn. 3.2.1) unterzeichnet haben. Auch im Rahmen einer Supervision macht es Sinn, eine Einwilligung, ähnlich der in der Psychotherapie, einzuholen. Hier können neben den rechtlichen Vorgaben und Hinweisen zum Datenschutz auch weitere Rahmenbedingungen fixiert werden (z. B. Absprachen bzgl. Aufzeichnungen, Privatsphäre, Dokumentenaustausch etc.). Zudem müssen Sie zu Beginn der Sitzung über einige Punkte Klarheit haben oder diese möglichst schnell herstellen. Hierzu gehört in erster Linie das Verhalten von Ihnen und Ihrem Gesprächspartner, wenn die Verbindung unerwartet getrennt werden sollte. Das Vereinbaren einer Fallbackoption ist empfehlenswert. Meist ist diese das Telefon. Vereinbaren Sie also, wer wen unter welcher Nummer wann anruft, sollte die Videoverbindung abreißen (vgl. Abschn. 5.4.1 und untenstehende Beispielinformation). Auch die technischen Voraussetzungen sollten vor Beginn der Sitzung geklärt sein, sodass die notwendige Ausrüstung vorhanden ist. Eine schriftliche Information vor der ersten Sitzung bereitet Ihre Gesprächspartner vor und erleichtert die Arbeitsaufnahme. Ein Beispiel für eine Information vor Beginn einer Videotherapie finden Sie nachfolgend. Diese lässt sich leicht auf Beratungsprozesse anpassen. Eine Version, die sich speziell auf die Team- und Gruppensupervision bezieht, finden Sie unter Abschn. 7.3.1. Informationen zur Videotherapie (Beispiel)

Liebe Patientin, lieber Patient, Sie haben sich für eine psychotherapeutische Behandlung entschieden, die eine Videobehandlung umfasst. Mit dieser Information möchte ich Ihnen einige Hinweise und Empfehlungen geben, die zum Gelingen unserer Videositzungen beitragen. Vor jeder Sitzung maile ich Ihnen einen Link, mit dem Sie sich in das Videosystem einwählen können. Sie können den Link von jedem Gerät aus aufrufen und brauchen keine spezielle Software zu installieren. Das Gerät, mit dem Sie an der Videositzung teilnehmen, benötigt an technischen Voraussetzungen Kamera, Mikrofon und Lautsprecher. Natürlich ist auch eine Internetverbindung notwendig, die ausreichend schnell und stabil ist. Prüfen Sie vor der ersten Sitzung (und dann in regelmäßigen Abständen) zudem, ob Ihr Browser aktuell ist. Falls nicht, führen Sie die nötigen Updates aus – sonst kann es Probleme beim Starten des Programms geben. Genauso wie es mir das Gespräch erleichtert, wenn ich einen guten Blick auf Sie habe, macht es Ihnen das Gespräch leichter, wenn Sie mich klar

4.2  Vorbereitung der Videobehandlung

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sehen können. Hierzu brauchen Sie einen ausreichend großen Bildschirm. Smartphonedisplays sind meistens zu klein. Neben meinem Bild sehen Sie auch Ihr eigenes Bild auf Ihrem Display dargestellt. Das ist zunächst vielleicht etwas irritierend. Nach einigen Sitzungen tritt jedoch eine Gewöhnung ein. Je nach verwendetem Programm besteht auch die Möglichkeit, das eigene Bild abzuschalten. Natürlich dürfen Sie das tun, wenn Sie es möchten. Sollte unser Programm diese Funktion nicht aufweisen, dürfen Sie auch einen Zettel über Ihr Bild kleben. Die Videobehandlung funktioniert nur, wenn Sie sich während der Sitzung sicher fühlen und ohne Bedenken das Gespräch mit mir führen können. Achten Sie also darauf, dass Sie einen Raum für sich haben und niemand unser Gespräch mithören kann. Bedenken Sie bei der Wahl des Raumes ebenfalls, dass ich sehen kann, was sich hinter Ihnen befindet. Wählen Sie also eine Sitzposition, die mir keine Einblicke gestattet, die Ihnen unangenehm wären. Sie haben Probleme, einen Raum für sich allein zu finden? Sagen Sie mir Bescheid und wir überlegen uns, ob es eine Alternative gibt oder ob wir die Sitzung in die Praxis verlegen. Es kommt vor, dass die Verbindung „wackelt“ oder auch völlig abreißt. Für einen solchen Fall möchte ich folgende Vorgehensweise mit Ihnen vereinbaren, damit die Sitzung nicht ausfallen muss: Wählen Sie sich erneut mit dem aktuellen Link ein. Baut sich die Verbindung zu mir innerhalb einer Minute nicht wieder auf, gehen Sie zu Ihrem Telefon: Ich rufe Sie unter der vereinbarten Nummer an. Klappt der Verbindungsversuch zwar, reißt dann aber ein zweites Mal in der Sitzung ab: Wählen Sie sich nicht noch einmal ein. Ich rufe Sie dann direkt an! Kommt es lediglich zu einer leichten Verzögerung bei der Bild- oder Tonübertragung, bitte ich Sie, Ihre Hand zu heben, um zu signalisieren, dass Sie etwas sagen möchten. Ich werde es genauso machen. Dann fallen wir uns nicht ins Wort. Wenn die Tonübertragung schlecht ist, hilft es, (über-) deutlich zu sprechen und Fragen mit erhobener Stimme am Ende zu signalisieren. Die Kommunikation in der Videobehandlung ist neu und daher ungewohnt. Eine Routine stellt sich erst nach mehreren Sitzungen ein. Wir üben gemeinsam, wie das Gespräch online optimal funktioniert, und haben ausreichend Zeit, Fragen zur Technik zu klären und die Rahmenbedingungen zu optimieren. Nachfragen Ihrerseits sind ausdrücklich erwünscht! Wenn Sie schon vorher experimentieren möchten: Richten Sie Ihre Kamera so aus, dass sie auf einer Höhe mit Ihrem Gesicht ist, und achten Sie darauf, dass nicht nur Ihr Gesicht zu sehen ist, sondern auch etwas von Ihrem Oberkörper. Ich möchte neben Ihrer Mimik gerne auch Ihre Gestik sehen! Und: Testen Sie doch auch schon mal das Mikrofon, das Sie benutzen möchten, und vergleichen Sie dessen Qualität mit der von Kopfhörern und Headsets, die Sie wahrscheinlich als Zubehör für Ihr Smartphone bekommen haben. Haben Sie noch Fragen? Stellen Sie sie gerne zu Beginn der nächsten Sitzung. ◄

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4.3 Um die Videositzung herum Die folgenden Hinweise beziehen sich nicht auf die Videositzung selbst, sondern auf digitale Möglichkeiten, die den Einsatz der Videokommunikation begleiten und deren Vorzüge ergänzen können. Auch auf mögliche Auswirkungen der verstärkten Videotätigkeit, etwa hinsichtlich der Trennung von beruflicher und privater Rolle, wird hingewiesen.

4.3.1 Homeoffice und Terminorganisation Verstehen Sie Videositzungen als Möglichkeit, das eigene Angebot flexibler zu gestalten, und finden Gespräche oder Gesprächsplanungen auch außerhalb Ihrer beruflichen Räumlichkeiten (z. B. im Homeoffice) statt, besteht die Gefahr, dass die Selbstfürsorge vernachlässigt wird. Werden Klienten „mit nach Hause“ genommen, kann das zu einem ungewollten Erleben von Intimität führen (Eichenberg 2017) und das psychologisch wichtige Abschalten von der Arbeit („Detachment“) findet nicht ausreichend statt (vgl. hierzu auch Abschn. 8.2.1). Die Gefahr für eine mangelnde Abgrenzung ist im Videosetting höher als im Face-to-FaceKontakt, da eine aufwandsarme Möglichkeit gegeben ist, sich „mal schnell“ zu sehen. Das kann die Therapeutin dazu verleiten, auch in der Freizeit Kurzkontakte zuzulassen und Patienten dazu motivieren, solche Kontakte, da sie nun prinzipiell möglich sind, auch einzufordern. Finden Videogespräche zu ungewöhnlichen Uhrzeiten, etwa außerhalb der Praxisöffnungszeiten statt, muss die Interpretation durch den Patienten hinterfragt werden. Drum und Littleton (2014) geben in ihren „best practice“-Empfehlungen den Rat, die professionellen Sprechzeiten auch im Videosetting anzuwenden und die Zeit der Sitzungen genauso strikt einzuhalten, wie dies im Face-to-Face-Kontakt geschieht. Gerade in Psychotherapiepraxen führt es oft zu Unverständnis aufseiten der Patienten, dass die Therapeutin „so schwer erreichbar“ ist. Erwartet wird meist eine Sprechstundenstruktur, wie sie von Arztpraxen bekannt ist. Ohne Praxispersonal ist das jedoch nicht leistbar. Eine Möglichkeit, Patienten dennoch ein Zeitfenster zur schnellen Bearbeitung ihrer Anliegen zu bieten, ist die Einrichtung einer E-Mail-Sprechstunde. Im Gegensatz zur telefonischen Sprechstunde lässt sich diese leichter handhaben, da Zeitpunkt und Ausführlichkeit der Bearbeitung der Anfrage selbst gewählt werden können. Eine E-Mail-Sprechstunde könnte z. B. jeden Tag zwischen 17 und 18 Uhr stattfinden. Den Patienten wird dann mitgeteilt: „Wenn Sie ein Anliegen haben, das zeitnah geklärt werden soll, schreiben Sie mir bitte eine Mail vor 17 Uhr. Von Montag bis Freitag bearbeite ich jeden Tag zwischen 17 und 18 Uhr kurzfristige Anliegen, so dass Sie schnell eine Antwort von mir erwarten können“. Alternativ ist auch die Einrichtung einer Chat-Sprechstunde, etwa über gängige Messenger-Systeme denkbar. Achten Sie hier wieder besonders auf Anforderungen des Datenschutzes! Bereits zu Beginn der Therapie sollte geklärt werden, was unter einem zeitnah zu erledigendem Anliegen zu verstehen ist. Hierzu zählen in der Regel Terminverschiebungen, Settingabsprachen oder auch kurze Fragen bzgl. der Hausaufgaben. Für echte Notfälle sollte eine

4.3  Um die Videositzung herum

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Notfallvereinbarung getroffen worden sein. Eine zweiseitige Erzählung über einen Konflikt, bei der eine Einschätzung noch heute wünschenswert wäre, gehört in der Regel nicht in eine E-Mail-Sprechstunde. Ob es, wie etwa in einer Allgemeinarztpraxis, eine Erleichterung darstellt, wenn Patienten ihre Termine selbst online buchen können, hängt vom Arbeits- und Terminkonzept der jeweiligen Praxis ab. Bei Psychotherapeuten könnten etwa die Sprechstundentermine für neue Patienten online vergeben werden, während die regulären Patiententermine gemeinsam vereinbart werden. Ein großer Vorteil der Onlineterminvereinbarung ist, dass sie meist die Möglichkeit einschließt, Patienten über E-Mail oder Kurznachricht an die Termine erinnern zu lassen. So lässt sich die Ausfallquote deutlich reduzieren – was sich vor allem bei Psychotherapeuten mit 50-min-Zeitfenstern schnell rechnet! u

Homeoffice in der psychotherapeutischen Regelversorgung Die Videosprechstunde ist wie jede andere psychotherapeutische Leistung üblicherweise an den offiziellen Vertragsarztsitz gebunden und darf nicht in den Privaträumlichkeiten stattfinden. Sollen an anderen Orten als dem Vertragsarztsitz Leistungen erbracht werden, ist eine Abstimmung mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erforderlich. Neben der Zulassung von Nebenbetriebsstätten besteht zum Teil auch die Möglichkeit, Praxisräume auszulagern. Dies muss der KV oft lediglich angezeigt werden (vgl. etwa KV RLP 2020).

4.3.2 E-Mail-Kommunikation und Internetauftritt Die meisten Praxen nutzen heute E-Mails als selbstverständliche Ergänzung in der Klientenkommunikation, etwa zur Terminvereinbarung oder für andere vorwiegend organisatorische Absprachen. Es kann vorkommen, dass Klienten Mails darüber hinaus nutzen, um inhaltliche Themen zu besprechen oder akut Hilfe einzufordern. Um zu verhindern, dass sensible Informationen über unsichere Mailserver ausgetauscht werden, sollte ein E-Mail-Kodex Teil der Aufklärung zu Beginn der Psychotherapie oder auch Supervision sein (Eichenberg und Kühne 2014). Hierzu gehört neben der Definition der Funktion des E-Mail-Verkehrs auch die Verabredung zum Umgang mit Notfallsituationen und die Auswahl der für diese als sicher erachteten Medien (in der Regel das Telefon oder sichere und verschlüsselte Formen des E-Mail-Verkehrs). Von Drum und Littleton (2014) stammt die Empfehlung, übliche Antwortdauern zu Beginn der Behandlung zu definieren. Gerade wenn Sie keine E-MailSprechstunde haben (s. Abschn. 4.3.1), gibt dies dem Klienten Sicherheit und Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Behandlers. Eine Möglichkeit wäre etwa die Vereinbarung: „Wenn Sie kurzfristig etwas absprechen möchten, melden Sie sich direkt in der telefonischen Sprechstunde. Gerne können Sie mir auch eine E-Mail schreiben – erlauben Sie mir dann bitte bis zu zwei Tage Zeit für die Antwort.“

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Möchten Sie mit Ihren Patienten schriftlich therapiebezogene Informationen austauschen, sind die gängigen E-Mail- oder Messengersysteme nicht geeignet. In diesem Fall müssen Sie auf eine datensichere, verschlüsselte Kommunikation zurückgreifen und diese mit Ihrem Patienten etablieren. u

E-Mails mit persönlichen Inhalten von Klienten  Erhalten Sie unaufgefordert eine E-Mail, die persönliche Inhalte des Absenders preisgibt, achten Sie darauf, diese in Ihrer Antwortmail zu löschen. Und: Machen Sie Ihren E-Mail-Partner darauf aufmerksam, dass es sich um eine unsichere Kommunikation handelt. Bitten Sie ihn, keine persönlichen Informationen über dieses Medium mehr preiszugeben.

Während nahezu jede freiberuflich tätige Supervisorin eine eigene Webpräsenz hat, ist eine solche bei Psychotherapeuten, wie auch bei Ärzten, bis heute nicht selbstverständlich. Als Grund findet sich häufig, „keine Werbung nötig“ zu haben (vgl. z. B. Stiftung Gesundheit 2012). In Zeiten voller Praxen und langer Wartezeiten auf einen Therapieplatz mag das verständlich erscheinen, doch es gibt tatsächlich gute Gründe, die für die eigene Internetpräsenz sprechen: Der bevorzugte Weg von Patienten, nach Ärzten und Psychotherapeuten zu suchen, ist das Internet. In einer repräsentativen Umfrage gaben 77 % der Befragten an, Google für die Arztsuche zu nutzen (Jameda 2018). Eine Website erlaubt nicht nur, aufgefunden zu werden, sondern bietet auch Informationen, die über die bloße Berufsbezeichnung hinausgehen. So lassen sich Anfragen besser steuern und es kommt zu weniger Fehlanfragen bzw. sogar Fehlsitzungen, da Bedarf und Angebot nicht passen. Auch Spezialisierungen ziehen nun verstärkt Patienten an, die an diesen interessiert sind und so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Behandlung. Dieser Aspekt ist vor allem in der Kombination mit der Videotherapie bedeutsam, da nun auch Patienten, die weiter entfernt leben, den passenden Spezialisten kontaktieren können und nicht mit dem (möglicherweise unpassenden) Behandler vor Ort Vorlieb nehmen müssen. Auch Schwellenängste werden gesenkt, wenn Patienten Therapeutin und Angebot vor dem Kontakt online „beschnuppern“ können. Und schließlich: Die oft wiederholte Forderung nach dem informierten Patienten beginnt nicht erst mit dem Einsetzen der Behandlung. Er sollte bereits vor einer (eventuell als verpflichtend erlebten) persönlichen Begegnung die Möglichkeit haben, sich zu informieren und auszuwählen, ob das Angebot passt. Sie haben eine Webpräsenz? Dann können Sie diese zu Ihrer Entlastung nutzen, indem Sie einen Downloadbereich für Ihre Klienten einrichten. Das führt zu einer Ökonomisierung Ihrer Ressourcen sowohl in materieller als auch in zeitlicher Hinsicht. In den Downloadbereich können Sie Ihre Verwaltungsdokumente (Erstauskunftsfragebogen, Therapie- oder Supervisionsvertrag, Erklärungen etc.) und Praxisinformationen einstellen. Ihre Klienten können diese Dokumente online bearbeiten oder ausdrucken und ausgefüllt zu den Sitzungen mitbringen. Auch Hausaufgaben und sitzungsergänzende Materialien wie z. B. Protokolle können hier abgerufen werden. So müssen Sie diese weder ausdrucken noch E-Mails

4.3  Um die Videositzung herum

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schreiben und Anhänge auswählen. Ihr Downloadbereich sollte passwortgeschützt sein, um sicherzustellen, dass nur Ihre Klienten auf ihn Zugriff erhalten. Arbeiten Sie häufig mit Personen, die von häuslicher Gewalt oder anderen Übergriffen bedroht sind, lohnt es sich, für die eigene Webpräsenz einen „Exit“Button einzurichten, der von jeder Seite aus zentral angezeigt wird. Ein Klick auf diesen bewirkt, dass sich eine neutrale Seite (z. B. eine Suchmaschine) öffnet, ohne dass hierfür eine Adresse eingegeben werden muss oder mehrere Handlungen hintereinander erfolgen müssen. Unter Frauenhäusern und Beratungsstellen ist diese Technik weit verbreitet, um Hilfesuchende nicht durch den Seitenaufruf in Gefahr zu bringen. Wenn Sie als Psychotherapeutin tätig sind und einen Internetauftritt einrichten möchten, setzen Sie sich mit den rechtlichen Vorgaben auseinander. Einen guten Einstieg bietet die aktuelle Berufsordnung (erhältlich über die Psychotherapeutenkammer). Sie gibt Ihnen Auskunft bzgl. der erlaubten Form von Werbung für Ihre Praxis, weist auf gesetzliche Bestimmungen (v. a. Einhaltung des Telemediengesetzes, TMG) hinsichtlich der Internetpräsenz hin und informiert über Voraussetzungen, die für Eintragungen in Verzeichnisse gegeben sein müssen (vgl. Muster-Berufsordnung, BPtK 2018). Besondere Beachtung bei Ihrem Internetauftritt verdient das Impressum, das von jeder Seite aus zugänglich sein sollte und genau definierte Angaben beinhalten muss (z. B. Berufsbezeichnung und zuständige Kammer). Und ganz allgemein gilt: Je einfacher und übersichtlicher Ihre Seite ist, desto besser. Laut einer Umfrage zur Internetnutzung nach Endgeräten wurde im Jahr 2018 erstmals das Smartphone häufiger (87 %) als ein Laptop (65 %) oder Desktop-PC (62 %) zum Surfen im Internet genutzt (Statistisches Bundesamt 2018). Nutzerfreundlichkeit bedeutet heute daher vor allem, dass die Website von den verschiedenen Geräten aus gleichermaßen zugänglich ist und immer gut aussieht. Und: Denken Sie an Ihre Datenschutzerklärung nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie gibt über Ihren Umgang mit personenbezogenen Daten Auskunft. Achten Sie darüber hinaus auf mögliche Urheberrechtsverletzungen, wenn Sie Bilder auf Ihrer Website verwenden.

4.3.3 Gesundheitsinformationen und -anwendungen Patienten nutzen Gesundheitsinformationen im Internet, um sich über das eigene (vermutete) Störungsbild und therapeutische Möglichkeiten zu orientieren. Je nach Qualität der Informationen kann die Recherche des Patienten die Therapie unterstützen oder erschweren. Mehrere Studien (vgl. etwa Wald et al. 2007) kommen zu dem Ergebnis, dass die Compliance von Patienten, die Gesundheitsinformationen im Internet nutzen, steigt. Digitale Gesundheitsanwendungen, vor allem in Form Internet- und mobilbasierter Interventionen (IMI), können eine Psychotherapie ergänzen und sie um neue Möglichkeiten erweitern. Auch kann Psychotherapie mehr Menschen zugutekommen, da Apps potenziell eine größere Zielgruppe ansprechen als das

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4  Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation

traditionelle Psychotherapieklientel. Die Anwendungen müssen sich jedoch nicht nur auf eine psychische Störung oder Symptomatik beziehen. Auch im Bereich der Gesundheitspsychologie ist ein Einsatz, etwa zur Förderung gesundheitsbezogener Verhaltensweisen, denkbar (vgl. Domhardt et al. 2018). Werden Apps genutzt, um die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz zu überbrücken, können sie die Wirksamkeit der folgenden Psychotherapie, etwa bei depressiven Störungen, erhöhen (Grünzig et al. 2019). Forschung zu digitalen kognitivbehavioralen Therapieanwendungen finden deutliche Belege zu deren Wirksamkeit, wenn eine professionelle Fachkraft das Programm begleitet (Domhardt et al. 2019). Bei reinen Selbsthilfeprogrammen, die keine Interaktion mit Fachpersonen integrieren, finden sich niedrigere bis keine Wirksamkeitsnachweise (Wright et al. 2019). Die selbstbestimmte Form der Übungen und auch die Fokussierung eines manualisierten Vorgehens kann erklären, warum in onlinebasierten Behandlungen oft eine hohe Therapieadhärenz gefunden wird (Knaevelsrud et al. 2016). Das selbstinitiierte und therapeutenunabhängige Üben begünstigt hierbei die Entwicklung von Selbstmanagementfähigkeiten (Kanfer et al. 2006). Patienten erhalten Empfehlungen zur Nutzung bestimmter Gesundheitsanwendungen jedoch nicht nur von behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten, sondern ebenso von Bekannten, in Selbsthilfeforen oder auch durch die Krankenkassen. Die Anwendungen sollten jedoch immer kritisch hinterfragt werden. Patienten beginnen etwa motiviert mit der Nutzung, stellen diese jedoch ein, da sie die Anregungen oder Aufgaben als unpassend oder überfordernd erleben. Auch wenn die App selbst dem Patienten keinen Schaden zufügt, entsteht ein solcher dann potenziell durch eine selbstwertschädigende Attribution des erlebten Misserfolgs. Die Bundespsychotherapeutenkammer lehnt es grundsätzlich ab, Patienten in der Regelversorgung digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) anzubieten, bevor nicht deren Wirksamkeit nachgewiesen wurde (BPtK 2020). Generell gilt bei einer direkten Empfehlung von Apps durch medizinisches Fachpersonal, dass es auch in deren Verantwortung liegt, geltendes Recht hinsichtlich der Anwendung und ihres Einsatz zu prüfen (Hartz et al. 2016). Neben der Registrierung als Medizinprodukt (www.bfarm.de) sollte auch die Wirksamkeit gegeben sein, wenn eine Empfehlung ausgesprochen wird. Gesundheits-Apps: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) Im Mai 2020 veröffentlichte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Leitfaden zur Prüfung und Zulassung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA). Damit kann noch 2020 mit der Verordnung von Gesundheitsanwendungen begonnen werden. Im Verzeichnis der BfArM wird erkennbar sein, ob die Anwendung bereits auf ihre Wirksamkeit geprüft wurde oder die Zulassung zur Probe erfolgt ist. Auch die Studie, mit der die Wirkung einer Gesundheits-App geprüft wurde, kann eingesehen und in ihrer Güte beurteilt werden (Kontrollgruppenvergleich? Prä-Post-Messung?). Psychotherapeuten können so einsehen, welche Gesundheits-Apps sie verordnen können. Die Bundespsychotherapeutenkammer betont diesbezüglich die Bedeutung der fachlichen Qualifikation von Psychotherapeuten und Ärzten hinsichtlich der Auswahl der Anwendungen sowie die Schwierigkeit, bei den bisher bereits vorhandenen Medizinprodukten eine Wirksamkeitsbeurteilung durchzuführen (BPtK 2020).

Literatur

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass digitale Gesundheitsanwendungen durchaus einen Beitrag zur Psychotherapie leisten können, jedoch sorgfältig geprüft und nicht unbedarft empfohlen werden sollten. Eine allgemein ablehnende Haltung, wie man ihr in Psychotherapeutenkreisen weiterhin oft begegnet, entspricht jedoch nicht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch die Angst vor einer „Entmenschlichung“ der Therapie scheint unbegründet zu sein, denn: Es ist der Kontakt zu einem echten Menschen, der die Onlinebehandlung effektiver werden lässt (Johansson und Andersson 2012; Andersson und Cuijpers 2009).

Literatur Andersson, G., & Cuijpers, P. (2009). Internet-based and other computerized psychological treatments for adult depression: A meta-analysis. Cognitive behaviour therapy, 38(4), 196–205. Bundespsychotherapeutenkammer. (2020). Mitteilungen. Gesundheits-Apps in der Regelversorgung. Psychotherapeutenjournal, 2(2020), 155–160. Domhardt, M., Ebert, D. D., & Baumeister, H. (2018). Internet- und mobilebasierte Interventionen. In C.-W. Kohlmann, C. Salewski, & M. A. Wirtz (Hrsg.), Psychologie in der Gesundheitsförderung (S. 397–410). Bern: Hogrefe. Domhardt, M., Geißlein, H., von Renoir, R. E., & Baumeister, H. (2019). Internet-and mobilebased interventions for anxiety disorders: A meta-analytic review of intervention components. Depression and anxiety, 36(3), 213–224. Drum, K. B., & Littleton, H. L. (2014). Therapeutic boundaries in telepsychology: Unique issues and best practice recommendations. Professional Psychology: Research and Practice, 45(5), 309. Eichenberg, C. (2017). Potenzielle Grenzverletzungen. Deutsches Ärzteblatt, S. 12, 590–592. Eichenberg, C., & Kühne, S. (2014). Einführung Onlineberatung und-therapie: Grundlagen, Interventionen und Effekte der Internetnutzung (Bd. 7). Stuttgart: UTB. Engelhardt, E., & Gerner, V. (2017). Einführung in die Onlineberatung per Video. E-beratungsjournal, 13(1), 18–29. Grünzig, S. D., Bengel, J., Göhner, W., & Krämer, L. V. (2019). Niedrigintensive Interventionen zur Reduktion depressiver Symptome vor Beginn einer ambulanten Psychotherapie. PPmPPsychotherapie· Psychosomatik· Medizinische Psychologie, 69(06), 212–223. Hartz, T., von Jan, U., & Albrecht, U.-V. (2016). Kapitel 14. Orientierung für professionelle Anwender von Gesundheits-Apps. In: Albrecht, U.-V. (Hrsg.), Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA). Medizinische Hochschule Hannover, 2016, S. 302–319. https://www.digibib.tu-bs.de/?docid=60021 Jameda. (2018). Arztsuche im Internet. Pressemitteilung. https://www.jameda.de/presse/presseme ldungen/?meldung=206. Zugegriffen: 28. Juli 2020 Johansson, R., & Andersson, G. (2012). Internet-based psychological treatments for depression. Expert Review of Neurotherapeutics, 12(7), 861–869. Justen-Horsten, A., & Paschen, H. (2016). Online-Interventionen in Therapie und Beratung: ein Praxisleitfaden: mit E-Book inside. Weinheim: Beltz. Kanfer, F. H., Reinecker, H., & Schmelzer, D. (2006). Selbstmanagementtherapie. Berlin: Springer. Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP). (2020). Videosprechstunde. Häufige Fragen und Antworten. https://www.kv-rlp.de/praxis/qualitaet/genehmigungspflichtigeleistungen/uebersicht/videosprechstunde/allgemeinverfuegung-videosprechstunde-haeufigefragen-und-antworten/. Zugegriffen: 28. Juli 2020. Knaevelsrud, C., Wagner, B., & Böttche, M. (2016). Online-Therapie und-Beratung: Ein Praxisleitfaden zur onlinebasierten Behandlung psychischer Störungen. Hogrefe Verlag.

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4  Arbeitsplatz- und Sitzungsorganisation

Statistisches Bundesamt. (2018). 90% der Bevölkerung in Deutschland sind online. Pressemitteilung Nr. 330 vom 5. September 2018. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/09/PD18_330_634.html. Zugegriffen: 18. Juli 2020. Wald, H. S., Dube, C. E., & Anthony, D. C. (2007). Untangling the Web – The impact of Internet use on health care and the physician–patient relationship. Patient education and counseling, 68(3), 218–224. Wright, J. H., Mishkind, M., Ells, T. D., & Chan, S. R. (2019). Computer-assisted cognitivebehavior therapy and mobile apps for depression and anxiety. Current psychiatry reports, 21(7), 62.

Teil II

Es geht los…

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Inhalt und Ablauf

Inhaltsverzeichnis 5.1 Kommunikation in der Videositzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.1.1 Mimik und Gestik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.1.2 Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5.1.3 Symboleinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.2 Die Beziehung in der Videositzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.2.1 Grenzen und Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5.2.2 Grenzverletzungen durch Berater und Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.3 Sitzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.3.1 Klarheit über den Aufenthaltsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.3.2 Privatsphäre, heimliche Zuhörer und Abbruchmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.3.3 Aufzeichnungen von Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.3.4 Video-Netiquette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.4 Ablauf einer Videotherapiesitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.4.1 Gesprächseinstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.4.2 Gesprächsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.4.3 Gesprächsabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

u

Was unterscheidet die Kommunikation in der Videositzung von einem Gespräch vor Ort? Worauf Sie achten müssen und wie Sie fehlende nonverbale Signale optimal wettmachen, verrät Ihnen der erste Abschnitt des Kapitels (5.1). Weiter geht es mit der Beziehung: Nur wenn sie stabil ist, wirken Interventionen und vollziehen sich Änderungen. Was die Interaktion in der Videobehandlung auszeichnet und wo eine besondere Grenzsensibilität vonnöten ist, klärt Abschn. 5.2. Regeln braucht auch die Videositzung: Den organisierten Umgang mit Aufenthaltsort, Privatsphäre und Aufzeichnungen erleichtert Ihnen der

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_5

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5  Inhalt und Ablauf

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Folgeabschnitt (5.3). Abschließend sehen wir uns den Stundenablauf vor allem hinsichtlich der Frage an, an welchen Stellen die Videositzung vom Face-to-Face-Gespräch abweicht (5.4).

5.1 Kommunikation in der Videositzung Im Gegensatz zu textbasierten Angeboten bietet die Videositzung die Möglichkeit, Körpersignale wie Mimik und Gestik sowie Kontextinformationen zu übermitteln. Neben der Wahrnehmung von Interaktionspausen besteht die Möglichkeit einer schnellen, quasi-synchronen Interaktion, die Missverständnisse in der Kommunikation reduzieren kann (vgl. Engelhardt 2018). Die Media-Richness-Theorie (Daft und Lengel 1986) Die Theorie postuliert, dass sich an Informationen reichhaltige Medien insbesondere zur Bewältigung mehrdeutiger Aufgaben eignen, während informationsärmere Medien besser zur Übermittlung einfacher Fakten angemessen sind (Dennis und Kinney 1998). Die Reichhaltigkeit konstituiert sich aus der Anzahl der Kommunikationskanäle, der Rückmeldungsgeschwindigkeit, der Vielfalt der vermittelten Sprache sowie der Möglichkeit, als echte Person wahrgenommen zu werden („soziale Präsenz“). Die Videositzung müsste dementsprechend, verglichen mit anderen Formen der Onlinekommunikation, die höchste Reichhaltigkeit aufweisen und daher besonders gut für eine anspruchsvolle Aufgabe wie Beratung oder Therapie geeignet sein.

Dennoch fehlen in der Videobehandlung einige nonverbale Hinweise, die im Face-to-Face-Gespräch vorhanden sind: Der Gesprächspartner nimmt nur einen Ausschnitt unseres Körpers wahr und kann Haltung und Gesamteindruck schlechter einschätzen als im Vor-Ort-Gespräch. Auch das Raumverhalten und Bewegungseindrücke fehlen nun. Die vorhandenen Signale weisen übertragungsbedingt zudem oft eine schlechtere Qualität auf. Über die Unvollständigkeit der Information sollte man sich bewusst sein. Gerade dann, wenn die technische Verbindung gut ist, ist man leicht geneigt, sie zu vergessen.

5.1.1 Mimik und Gestik Die professionelle Handhabung von Videositzungen erfordert einen verstärkten Einsatz nonverbaler Signale. Unsere Mimik ist in der Videositzung deutlich erkennbar und der entscheidende nonverbale Hinweisgeber für unseren Gesprächspartner. An ihr erkennt er die Bedeutung unserer Worte. Durch die physische Distanz und die erhöhte Konzentration, die, vor allem zu Beginn, mit der Videobehandlung verbunden sind, kann unsere Mimik angespannt und starr werden. Hinzu kommen Verspannungen und Kopfschmerzen, oft durch die ungewohnte und eher steife Körperhaltung ausgelöst, die sich ebenfalls in der Mimik niederschlagen können. Gewöhnen Sie es sich daher an, Ihre Mimik kontinuierlich

5.1  Kommunikation in der Videositzung

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zu prüfen und darauf zu achten, sie gezielt einzusetzen, um den Klienten zu begleiten. Ein dezentes Nicken mit dem Kopf wird hierzu verlängert und in der Bewegung verstärkt: Das Kinn sinkt etwas weiter in Richtung Brust. Das kurze Lächeln wird etwas länger gehalten, um wahrgenommen zu werden. Versuchen Sie, bestätigend zu nicken, statt kurze verbale Rückmeldungen zu geben, oder das „Daumen hoch“-Zeichen zu zeigen, wenn etwas richtig ist. Ein Hochziehen der Stirn oder das Heben der Schultern kann eine Frage verdeutlichen. Verstärken Sie wichtige Aussagen durch unterstützende Gesten. Eine angemessene Gestik und Körperbewegung kann die Kommunikation dynamischer machen – ein zu viel davon kann ablenkend wirken. Um die richtige Dosis zu finden, sollte man sein eigenes Bild, vor allem zu Beginn der Videotätigkeit, kontinuierlich im Auge behalten. Und: Kompensieren Sie auch den fehlenden Handschlag am Abschluss des Gesprächs, indem Sie in die Kamera winken. Viele Gesprächspartner machen dies ganz intuitiv.

5.1.2 Stimme Setzen Sie auch Ihre Stimme bewusst ein. Eine klangvolle Stimme hört sich angenehmer an und erleichtert Ihrem Gesprächspartner, Ihnen zu folgen. Sitzen Sie hierfür aufrecht, atmen Sie ruhig und tief in den Bauch. Führen Sie eine kurze Dehnübung für die Brust- und Atemmuskulatur vor Beginn des Gesprächs ritualisiert aus (s. Abschn. 8.1.2). Oft findet sich für Videositzungen die Empfehlung, lauter als normal zu sprechen (s. z. B. Schwartzberg 2020). Obwohl das tatsächlich einen kurzfristigen Nutzen entfalten kann, funktioniert es erfahrungsgemäß jedoch nicht dauerhaft, da sich die gewohnheitsmäßige Art zu sprechen immer wieder einstellt und durch die überstarke Kontrolle der eigenen Lautstärke Sprachrhythmus und Intonation unnatürlich werden. Erleichtern Sie sich (und damit Ihrem Gesprächspartner) die Regulierung der Lautstärke lieber durch ein gutes Mikrofon (Abschn. 3.1.2). Versuchen Sie eindeutiger zu sprechen, als Sie es im physisch kopräsenten Gespräch tun: Betonen Sie Aussagen und sprechen Sie innerlich den Punkt mit. Setzen Sie Pausen nach wichtigen Aussagen gezielt ein. Trennen Sie paraverbal scharf zwischen Fragen (Stimme steigt an) und Aussagen (Stimme fällt ab). Aussagen mit nach oben gehender Stimme zu beenden passiert uns vor allem, wenn wir versuchen, vorsichtig und empathisch zu sprechen. Im Face-to-Face-Kontakt ist das meist nicht problematisch, weil zusätzliche Hinweise verdeutlichen, dass es sich um eine Aussage handelt und keine Antwort erwartet wird. In der Videositzung kann es zu Irritationen führen, da durch eine reduzierte Signalqualität Ihr Gesprächspartner antwortet und Ihnen so ins Wort fällt. Ist die Verbindungsqualität schlecht, ist es von Vorteil, langsamer als sonst zu sprechen und die einzelnen Worte stärker zu betonen.

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5  Inhalt und Ablauf

5.1.3 Symboleinsatz Prinzipiell ist auch der Einsatz von Symbolen (Icons) möglich, die, abhängig vom Anbieter, während des Gesprächs eingeblendet werden können. Meistens finden sich hier, neben klatschenden Händen, auch der erhobene Daumen oder gar Emojis, die eine ganze Palette von Gefühlen darstellen können. Problematisch hierbei ist, dass es im therapeutischen Kontakt oft auch darum geht, den Patienten zu befähigen, seine Emotionen nicht zu vermeiden, sondern sich ihnen zu stellen, sie zu reflektieren und über sie Auskunft zu geben (vgl. hierzu auch Knaevelsrud et al. 2016). Der schnelle Klick auf das Symbol kann so als emotionales Vermeidungsverhalten fungieren und darüber hinaus Missverständnisse begünstigen, denn: Was meint das Zwinkersmiley wirklich? In Mehrpersonensettings empfiehlt sich der Einsatz von Symbolen hingegen, um den Gesprächswunsch anzumelden. Meist findet sich ein Handsymbol, das eine Wortmeldung kennzeichnet. Das Gespräch mit mehreren Personen erfordert eine aktivere Führung durch die Gesprächsleitung. Vor allem dann, wenn die Teilnehmer an unterschiedlichen Computern sitzen, ist eine echte Moderation gefragt, die aufruft und die Sprecherreihenfolge explizit klärt. Sitzen die Teilnehmer vor derselben Kamera (etwa bei einer Paarbehandlung), ist es sinnvoller, dass die eigene (echte) Hand gehoben wird, um den Sprechwunsch zu verdeutlichen.

5.2 Die Beziehung in der Videositzung Da der Klient während der Sitzung in seinen eigenen Räumlichkeiten ist, kann die Beziehung als ausgeglichener wahrgenommen werden und die Unsicherheiten, die durch den Besuch der fremden Praxis entstehen, nehmen ab (Großmaß 2013). Videositzungen scheinen so zunächst mehr an Sicherheit und Begrenzung zu bringen: Durch die geografische Trennung kann es nicht zu physischen Übergriffen kommen und der schnelle Ausstieg aus der Sitzung garantiert eine hohe Kontrolle über die Situation. Doch die Annahme, Grenzverletzungen seien nun ausgeschlossen, kann zu genau diesen verleiten bzw. deren angemessene Reflexion verhindern. Das Treffen findet in der Intimität des eigenen Heims statt, das vom anderen virtuell betreten wird (Drum und Littleton 2014). Im Gegensatz zur gewohnten Kommstruktur, empfängt uns der Gesprächspartner ebenso bei sich, wie wir ihn bei uns. Die physische Distanz kann ihn dazu verleiten, uns mehr und intimere Einblicke zu gestatten als im gewohnten Gesprächssetting. Das wiederum kann Stress oder Scham auslösen und folgende Kontakte erschweren. Erlebt unser Gesprächspartner die Sitzung gar als Kontrolle und Begrenzung seiner Freiheit, wie dies etwa in Zwangskontexten denkbar ist, ist auch mit einem erhöhten Maß an Reaktanz zu rechnen.

5.2  Die Beziehung in der Videositzung

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Reaktanz Erleben Menschen die eigene Freiheit als bedroht, weil andere Personen versuchen, Kontrolle über sie auszuüben, kann das Widerstand auslösen. Als Reaktanz wird die Motivation bezeichnet, die eigene Freiheit wiederherzustellen (Brehm 1966). Möchte man Menschen zu einer Verhaltensänderung bewegen, z. B. zur Mitarbeit in einer Beratung oder Psychotherapie, sollte die Auslösung von Reaktanz naturgemäß möglichst gering sein.

5.2.1 Grenzen und Normen Knapp und Slattery (2004) machen auf die Grenzen aufmerksam, die die therapeutische Beziehung regeln und die sie von anderen Geschäfts- und sozialen Beziehungen unterscheiden. Während Grenzen und Normen meist klar und eindeutig sind, wenn ein Klient uns in unseren beruflichen Räumlichkeiten aufsucht, verschwimmen sie, sucht man Klienten in ihrer häuslichen Umgebung auf. Die Settingvariablen, die üblicherweise von der Therapeutin bestimmt werden, liegen in der Videositzung (auch) in der Hand des Klienten. Eine mögliche Folge ist nun, dass implizite Offline-Regeln im Onlinesetting aufgeweicht werden. Da der Klient zu Hause ist, benimmt er sich potenziell auch so, wie er es dort sonst tut. Das Verhalten während der Sitzungen kann also formloser oder ungezwungener werden: Wird das Haus nicht verlassen, ist Körperhygiene oft weniger bedeutsam und auch die Kleidung von nachgeordneter Bedeutung. Sitzhaltung und Wortwahl sind oft auch eher der häuslichen Umgebung angepasst. Und da prinzipiell die Möglichkeit besteht, das Gespräch an jedem beliebigen Ort durchzuführen – warum dann nicht im Lieblingscafé während eines Moccacinos? Einige Empfehlungen für die Videotherapie (vgl. z. B. Interessengruppe E-Health der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der DGPs 2020) regen daher an, zu Beginn wesentliche Rahmenbedingungen mit dem Patienten zu definieren. Hierzu gehört etwa, dass der Patient nicht im Schlaf- oder Jogginganzug erscheint, dass er nicht während der Sitzung isst und Familienangehörige oder Haustiere nicht während der Sitzung auftauchen. Es macht Sinn, sich intensiv mit diesen Punkten und ihrer Handhabung zu beschäftigen. Zum einen ist der Aspekt der Grenzsensibilität hierbei von Bedeutung, vor allem wenn es um den eigenen, evtl. zu nachlässigen Umgang mit Grenzen geht. Zum anderen sind es jedoch gerade die Abweichungen vom normierten Vor-Ort-Setting, die das Gespräch entscheidend verbessern können. Fallbeispiel: Kann ich meine Ratte holen?

Während eines eher stockenden Austauschs über ein emotional belastendes Thema unterbrach die Patientin das Gespräch und fragte, ob es okay für mich sei, dass sie jemanden dazu hole. Es handelte sich um die Hausratte. Diese, während des gesamten restlichen Gesprächs entweder in der Hand gehalten

5  Inhalt und Ablauf

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oder über Schultern und Kopf laufend, ermöglichte der Patientin die nötige Sicherheit, das Thema fortzuführen und erlaubte ihr, besser zwischen dem „Hier und Jetzt“ und dem „Dort und Damals“ zu unterscheiden. ◄ Die zusätzlichen Informationen, die wir in der Videositzung erhalten, können für den Beratungs- oder Therapieprozess relevant sein und etwa Verhaltensauszüge sichtbar werden lassen, die in der Praxis nicht (möglicherweise nie) offenbar geworden wären (s. auch Slattery und Knapp 2003). Hierbei sind gewollte Inszenierungen (vgl. Knatz 2007) ebenso interessant wie ungeplante Selbstoffenbarungen. Da diese jedoch meist einem Zustand erniedrigter Kontrolle geschuldet sind (nämlich dem Gefühl, zu Hause zu sein), ist eine besondere Sensibilität im Umgang mit ihnen notwendig. Fallbeispiel: Der überforderte Familienvater

Ein depressiver Patient berichtete während der Sitzungen oft von seiner Überforderung mit seinen Zwillingssöhnen. Obwohl erst achtjährig, nähmen sie ihn nicht ernst und tanzten ihm „auf der Nase herum“. Auch seine Frau nehme ihn nicht ernst und es gelinge ihm kaum, sich auch einmal gegen sie durchzusetzen. Während der Schilderung diverser häuslicher Szenen saß der Patient zusammengesunken auf dem Stuhl, den Kopf Richtung Kinn gesenkt, die Stimme so leise, dass ich mehrfach nachfragen musste, um einzelne Aussagen zu verstehen. Die durchgeführten Rollenspiele bestätigten den Eindruck eines selbstunsicheren Menschen, der Schwierigkeiten in der Äußerung eigener Bedürfnisse und Abgrenzung hat. Die erste gemeinsame Videositzung startete damit, dass, noch bevor der Patient ins Bild kam, eine Tür laut knallte und ich seine (nun gar nicht mehr leise) Stimme ein recht unflätiges Schimpfwort, das eindeutig eine Frau bezeichnete, rufen hörte. Kaum am Bildschirm sitzend, änderte sich das Verhalten und die mir bekannte selbstunsichere Körperhaltung wurde wieder sichtbar. ◄ Die eigene Haltung zu Normen und Grenzen sollte die Reflexion des Umgangs mit folgenden Punkten umfassen: • • • •

unangemessene Kleidung des Gesprächspartners (z. B. Schlafanzug) sichtbare intime Details (z. B. freizügige Fotos) auftauchende dritte Personen (Kinder, Angehörige, Mitbewohner) Fragen nach dem eigenen Hintergrund oder Aufenthaltsort („Wo wohnen Sie denn?“) • Einladungen zum virtuellen Wohnungsrundgang • Konsum von Getränken oder Verzehr von Speisen während der Videositzung Zu erwägen ist auch, ab welchem Punkt Kränkungen des Klienten in Kauf genommen werden, wenn man seinen Wünschen bzgl. des Settings nicht

5.2  Die Beziehung in der Videositzung

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nachkommt und er dies als Ablehnung oder mangelnden Respekt bewertet. Während es bei einem Hausbesuch noch klar und eindeutig erscheinen mag, beispielsweise eine Einladung zum Gespräch im Schlafzimmer abzulehnen, ist das in der Videositzung bereits schwerer zu begründen und zu kommunizieren. Doch es mag einen Unterschied für die Beziehung bedeuten, wenn während des Videogesprächs im Hintergrund ein Bett nebst intimen Fotografien zu erkennen ist. Inszenierungen treten im Videosetting, aufgrund der leichten Beeinflussbarkeit und des beschränkten sichtbaren Ausschnitts, häufiger auf als im Vor-OrtGespräch. Es empfiehlt sich, sie getreu der systemischen Vorgehensweise als kommunikative Botschaft zu verstehen: Was möchte mein Gesprächspartner mir mitteilen? Welche Wirkung soll die Inszenierung auslösen? Hilfreich ist zudem die Idee, dass jede (Selbst-)Darstellung eine Form der Inszenierung ist (vgl. Engelhardt und Storch 2013). Nützlicher als die Fragen nach der Wahrheit der Präsentation ist daher meist die Frage nach der Funktion, die die Inszenierung erfüllen soll (Knatz und Schumacher 2019). Anregend, vor allem bei skurrilen Inszenierungen, die im Videosetting wahrscheinlicher als vor Ort sind, ist auch eine klassische Haltung der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie: Je verrückter das Verhalten, desto besser muss der Grund sein (vgl. z. B. Berg 1992). Fallbeispiel: Videotherapie mit „Babys“

Ob wir die Sprechstunde „vielleicht auch per Video“ durchführen könnten, fragt der 25-jährige Patient telefonisch kurz vor Beginn der Sitzung an. Es gebe einen Notfall zu Hause, er könne seine Freundin nicht mit den Babys allein lassen. Das Gespräch beginnt mit einer Weitwinkelaufnahme: Der junge Mann sitzt breitbeinig auf einem großen Sessel. Links und rechts von ihm stehen die „Babys“: Zwei ausgewachsene Dobermänner, die auf sein Kommando „sitz“ machen und ebenfalls in die Kamera blicken. ◄

5.2.2 Grenzverletzungen durch Berater und Therapeuten Auf der anderen Seite der Videoverbindung sitzen wir als Berater und Therapeuten und müssen uns ebenfalls darüber Gedanken machen, was wir von uns offenbaren (vgl. Abschn. 4.1) und wie wir auch in einem privateren Umfeld (z. B. im Homeoffice) nicht aus der professionellen Rolle fallen. Auch auf unserer Seite des Gesprächs kann es zu ungewollten Selbstenthüllungen kommen, die die Beziehung erschweren. Das kann die Tür sein, die sich öffnet, wenn ein Familienmitglied versehentlich den Raum betritt, oder auch ein für den Gesprächspartner wahrnehmbares Hintergrundgeräusch, z. B. die streitenden Kinder. Auch wenn die Therapeutin nicht auf diese Störungen reagiert, besteht die Gefahr, dass das Wissen um die Nähe des Privaten die Sitzung beeinflusst. Um die professionelle Natur der Beziehung zu verdeutlichen, empfiehlt Eichenberg (2017), auch zu Hause auf Freizeitkleidung zu verzichten, wechselnde Umgebungen zu vermeiden und allzu persönliche Gegenstände aus dem sichtbaren Bereich zu ent-

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5  Inhalt und Ablauf

fernen. Von Schwartzberg (2020) stammt die umfassende Empfehlung, sich (auch im Homeoffice) nicht wie zu Hause, sondern wie auf der Arbeit zu fühlen. Das passende Verhalten folge dann ganz von selbst. Der unmittelbare Einblick in das Privatleben des Gegenübers verführt zudem möglicherweise dazu, Fragen nicht aus einem professionellen, sondern aus einem privaten Grund zu stellen (... tatsächlich ertappte ich mich unlängst selbst dabei, eine Supervisandin zu bitten, mir zu verraten, wo sie die Lampe erworben hatte, die man im Hintergrund sehen konnte). In den meisten Fällen wird solch eine Verhaltensweise keine dramatischen Konsequenzen nach sich ziehen und in bestimmten Abschnitten von Therapie und Supervision merkt man gerade durch das gemeinsame Abschweifen, dass eine Entwicklung eingetreten ist. Doch: Die Frage aus privatem Interesse verrät zumindest, dass wir mit unseren Gedanken mehr bei uns sind als bei unserem Gegenüber und damit aus dem professionellen Setting, zumindest vorübergehend, ausscheren. Ein anderer Aspekt unprofessioneller Neugier ist die Grenzverletzung, die auch hierdurch bereits geschehen kann. Unser Klient befindet sich während des Gesprächs meist an dem Ort seines Lebens, an dem er sich am sichersten fühlt. Grenzverletzungen, die hier auftreten, finden in einem geschützten Bereich statt, in den sonst kaum jemand vorgelassen wird. Wir sollten daher mit Fragen behutsam umgehen und dem sichtbaren Hintergrund eine besondere Form von Respekt entgegenbringen. Von Drum und Littleton (2014) stammen generelle „best practice“Empfehlungen für die Videobehandlung, die eine professionelle Beziehungsgestaltung unterstützen sollen.

Best Practice Recommendations (nach Drum und Littleton 2014, Auszug)

• Einhaltung der üblichen Sprechstundenzeiten und Stundendauer (s. auch Abschn. 4.3.1) • Privatsphäre von Nicht-Patienten (z. B. von Angehörigen) achten • Patienten vor ungeplanter Selbstoffenbarung schützen (z. B. indem man dazu auffordert, sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, was während der Sitzung sichtbar sein soll) • vertrauliches, konsistentes, professionelles und kultursensibles Setting anbieten • als Modell für eine angemessene Selbstfürsorge auftreten (z. B. indem während Krankheits- oder Urlaubsphasen nicht gearbeitet wird) • professioneller Sprachgebrauch Und abschließend: Eine professionelle Ausbildung sollte die Arbeit mit Onlinemedien im Allgemeinen und dem Medium Video im Speziellen umfassen. Nicht nur technisch und rechtlich, sondern auch in der Bedeutung für die professionelle Beziehungsgestaltung. Hierzu gehört eine Sensibilisierung hinsichtlich möglicher Grenzverletzungen seitens des Patienten und seitens der Therapeuten. Ein gutes Beispiel für eine mangelnde Sensibilisierung im Kontext digitaler Medien ist das

5.3 Sitzungsregeln

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„patient-targeted googling“ (PTG). Während 85 % der befragten Therapeuten in einer Studie (Eichenberg und Herzberg 2016) angaben, sich noch nie mit dieser Thematik beschäftigt zu haben, gaben 39 % der Befragten an, bereits online nach ihren Patienten gesucht zu haben. Nur 2 % der Studienteilnehmer berichteten, dass sie während ihrer Aus- oder Weiterbildung auf dieses Thema aufmerksam gemacht worden seien.

5.3 Sitzungsregeln Es folgt eine Auflistung der Punkte, die vor bzw. zu Beginn einer Videositzung geklärt sein sollten. Während in einer psychotherapeutischen Behandlung einige Regeln klar vorgegeben sind (z. B., dass die Videobehandlung nicht aufgezeichnet werden darf und in einem geschlossenen Raum stattfinden muss), sind Beratungsund Supervisionssettings weitgehend frei gestaltbar. Eine Klarheit über vereinbarte Rahmenbedingungen (und zusätzlich evtl. deren schriftliche Bestätigung) empfiehlt sich jedoch auch hier. Wesentliche Verhaltensregeln, vor allem im Gruppenkontext, sollten unmittelbar zu Beginn der ersten Sitzung besprochen werden, wenn sie nicht bereits im Vorfeld geklärt wurden. Eine schriftliche Fixierung kann parallel auf einer Folie oder dem Whiteboard erfolgen. Hierbei kann analog dem Face-to-Face-Setting verfahren werden (z. B. bzgl. Regeln hinsichtlich der Weitergabe von in der Sitzung erhaltenen Informationen, verspäteter Ankunft oder verfrühtem Verlassen). Wenn Sie in Ihren Gruppensitzungen vor Ort das Thema „Seitengespräche“ explizit klären, sollten Sie das auch in der Videositzung tun. Das Pendant zum Seitengespräch ist hier der Chat. Auch wenn ein Privatchat zwischen zwei Teilnehmern nicht direkt bemerkt wird (im Gegensatz zur geflüsterten Unterhaltung im Gruppenraum), hat er doch ähnliche Auswirkungen: Die Aufmerksamkeit verlässt das aktuelle Gruppengeschehen und im Privaten wird etwas geteilt, das die Gruppe nicht hören soll. Beziehen Sie also den Umgang mit dem Privatchat in die Absprache der Gruppenregeln mit ein. In den meisten Face-to-Face-Sitzungen sind Seitengespräche nicht erwünscht und erhalten getreu den TZI-Regeln (Cohn 2000) besondere Aufmerksamkeit. Auch in der Videosupervision empfehlen sich meist die Regeln: „Keine parallelen Kommunikationen“ und „Störungen haben Vorrang“ (ebd.).

5.3.1 Klarheit über den Aufenthaltsort Zu Beginn eines psychotherapeutischen Gesprächs sollte Ihr Patient Ihnen mitteilen, wo er sich gerade aufhält. Tritt ein medizinischer Notfall auf oder ergeben sich Hinweise auf Selbst- oder Fremdgefährdung, wissen Sie sofort, wohin Sie Rettungskräfte oder Polizei schicken müssen. Auch in einer Supervisionssitzung empfiehlt sich die Klärung des Ortes, sodass in einem Notfall gehandelt werden kann.

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5  Inhalt und Ablauf

5.3.2 Privatsphäre, heimliche Zuhörer und Abbruchmöglichkeiten Sowohl Sie als auch Ihr Gesprächspartner müssen sich darauf verlassen können, dass niemand die Sitzung mithören kann. Diese Regel sollte zu Beginn der Videobehandlung besprochen und, v. a. im Rahmen einer Psychotherapie, unterschrieben werden (s. Abschn. 3.2.1). Es finden sich Empfehlungen, zu Beginn jeder Sitzung mit der Kamera durch den Raum zu schwenken (vgl. etwa Haun et al. 2020), um sich wechselseitig zu demonstrieren, dass niemand sonst anwesend ist. Bei sensitiven oder paranoiden Gesprächspartnern mag das, vor allem zu Beginn einer Therapie, zur Beruhigung beitragen. Sollten Sie mit der Kamera schwenken: Prüfen Sie Ihren Raum hinsichtlich der Informationen, die nun an den Patienten rausgehen. Bei den meisten Gesprächspartnern kann die Frage nach anderen Anwesenden zu Beginn der Stunde, nach einer einmaligen Absprache diesbezüglich, getrost unterbleiben. Wenn Sie den Eindruck haben, dass aufseiten der Patientin jemand mithört und diese nicht frei antworten kann, klappt folgendes Vorgehen in den meisten Fällen: Bitten Sie die Patientin, etwa aufgrund einer reduzierten Audioqualität, ein Headset zu benutzen (als Smartphonezubehör ist dieses nahezu immer vorhanden). Ist das Headset angezogen, sagen Sie, dass Sie sich Sorgen gemacht haben, und bitten Sie die Patientin zu bestätigen, ob sich jemand in der Nähe befindet. Auf die gleiche Weise können Sie klären, ob Hilfe angefordert werden soll. Machen Sie sich prinzipiell Sorgen um die Sicherheit Ihrer Patientin, können Sie auch vor Beginn der Videositzungen einen Notfallsatz vereinbaren, den die Patientin sagt, wenn sie akut Hilfe benötigt. Ist von einer Gefahrensituation auszugehen, müssen Videositzungen (ebenso wie die Psychotherapie) natürlich prinzipiell bzgl. ihrer Sinnhaftigkeit geprüft werden. Die Vereinbarung eines Abbruchkennwortes kann ebenfalls sinnvoll sein, wenn Patienten nicht möchten, dass andere etwas von ihrer Behandlung mitbekommen. In solchen Fällen kann ein Prozedere vereinbart werden, das neben dem Kennwort für die Situation ebenfalls einen Modus für die erneute Kontaktaufnahme vorsieht (z. B. Patient meldet sich innerhalb der nächsten Minuten telefonisch zur Besprechung, wie und wann die Sitzung fortgeführt werden kann).

5.3.3 Aufzeichnungen von Sitzungen Ein großer Vorteil der Videositzungen besteht darin, dass sie in der Regel problemlos (zum Teil integriert in die jeweilige Software) mitgeschnitten werden können. Die Aufzeichnung kann selbst als Intervention genutzt werden (z. B. bei einem wiederholten Ansehen einer Traumaexposition). Es versteht sich jedoch von selbst, dass auf beiden Seiten absolute Klarheit darüber herrschen muss, wer, wann, was, wie und zu welchem Zweck aufzeichnet. Es macht Sinn, die gemeinsame Entscheidung zur Aufnahme zu dokumentieren. Das ist umso wichtiger, da die Kamera wegfällt, die in der Vor-Ort-Sitzung ausgerichtet, angestellt und meist

5.3 Sitzungsregeln

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von beiden angeblickt wird, um die richtige Einstellung zu fixieren. Zu Beginn der Aufnahme kann mittels einer Frage das mündliche Einverständnis eingeholt werden: „Ich beginne jetzt mit der Aufzeichnung unserer Sitzung. Können Sie bitte (alle reihum) bestätigen, dass das okay für Sie ist?“. Parallel sollte eine Notiz in der Akte erfolgen, dass die Sitzung mitgeschnitten wurde. Werden den Klienten in den Face-to-Face-Sitzungen schriftliche Einverständniserklärungen vorgelegt, so kann diese Vorgehensweise für die Videositzungen beibehalten werden.

Hinweis zum Aufzeichnungsverbot in der Regelversorgung der GKV

Das Mitschneiden von Sitzungen ist durch die Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (§ 3) derzeit ausdrücklich verboten. Da es sich um eine Regelung handelt, die dem Datenschutz dient und den Patienten vor Schaden bewahren soll, ist davon auszugehen, dass im Rahmen der gezielten therapeutischen Nutzung von Aufzeichnungen zukünftig Abweichungen von dieser Regelung möglich sein werden. Hierzu sollten die aktuellen Entwicklungen verfolgt und im Zweifelsfall Kontakt mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung aufgenommen werden.

5.3.4 Video-Netiquette Prinzipiell gelten in der Videositzung die gleichen Anstandsregeln wie in der Sitzung vor Ort. Sitzungen beginnen pünktlich, Verspätungen werden angezeigt, der Ton ist höflich, das Setting professionell. Ein paar zusätzliche Regeln haben sich darüber hinaus für Videokonferenzen, vor allem in Mehrpersonensettings, etabliert: • Ein längeres Verlassen der gemeinsamen Sitzung ohne Erklärung gilt hier ebenso als unhöflich wie im Face-to-Face-Setting. • Für kürzere Abwesenheiten, wie den Toilettengang oder die Auffüllung des Getränks, können Symbole (z. B. die Kaffeetasse) genutzt werden. Der Vorteil besteht vor allem darin, dass das laufende Gespräch nicht unterbrochen werden muss, weil sich jemand abmeldet. • Spätestens wenn man selbst Geräusche verursacht (auch das Blättern in Papieren zählt bereits hierzu) muss das eigene Mikrofon ausgeschaltet werden. Viele Netiquettes empfehlen das dauerhafte Abschalten aller Mikrofone der Nicht-Sprecher. Dies führt jedoch zu einer „toten“ akustischen Umgebung, die nicht geeignet ist, eine Gruppenstimmung aufkommen zu lassen. • Tauchen unvermittelt Personen auf, die nichts mit den Sitzungsinhalten zu tun haben, gebietet es die Höflichkeit, nicht nur die eigene Kamera auszuschalten, sondern zudem den Ton abzustellen, sodass die fremde Person keine Inhalte erfährt, die nicht für sie bestimmt sind. • Abhängig von der jeweiligen Sitzungskultur in den Face-to-Face-Sitzungen gilt auch in der Videokonferenz, dass Nebentätigkeiten unhöflich sind und der

5  Inhalt und Ablauf

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Gruppe demonstrieren, dass man etwas Wichtigeres zu tun hat. Das betrifft das „Phubbing“ (sich mit dem Smartphone statt mit dem Gesprächspartner beschäftigen) ebenso wie das Kind, das während der Bearbeitung eines Teamkonflikts auf den Knien geschaukelt wird. • Andere Programme als die Videoübertragung sollten während der Sitzung abgeschaltet werden – Benachrichtigungstöne sind für andere oft sehr laut zu hören. • Wortbeiträge müssen in Mehrpersonensettings in der Regel angekündigt werden. Hierzu kann die Hand gehoben oder das entsprechende Symbol genutzt werden.

5.4 Ablauf einer Videotherapiesitzung Ebenso wie in der Vor-Ort-Sitzung empfiehlt sich auch bei der Videotherapie das Vorgehen nach einer klaren Agenda. Einzelne Punkte sind auch für Supervisionssitzungen empfehlenswert, wobei hier in der Regel keine derart stringente Reihenfolge eingehalten wird.

Sitzungsablauf

• Prüfen der Kommunikationsgüte • Klärung des Aufenthaltsorts des Patienten • Themen und Informationen seitens des Patienten abfragen • (Prüfung der Hausaufgaben) • Rückfragen zur letzten Sitzung • Themen und Interventionen der aktuellen Sitzung • Ergebnissicherung • Absprachen (und neue Hausaufgaben) • Rückmeldungen (Metaebene zum Videoformat) • Organisatorisches (Termin- und Settingvereinbarung für die nächste Sitzung)

5.4.1 Gesprächseinstieg Bevor es los geht, prüfen Sie Ihre Checkliste.

Checkliste

• Sie haben den passenden Link zur Einwahl vorliegen? • Niemand betritt Ihren Raum, Mitarbeiter sind über die Videositzung informiert?

5.4  Ablauf einer Videotherapiesitzung

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• Alle für die Sitzung benötigten Materialien/Dokumente liegen bereit? • Alle nicht benötigten PC-Programme sind geschlossen? • Mikrofon an? Lautstärke okay? • Kamera an? Bildausschnitt okay (Gesicht, Oberkörper, Hintergrund)? • Beleuchtung okay (kein Gegenlicht, kein Schattenwurf)? • Andere Kommunikationsgeräte lautlos bzw. aus (Smartphone, Festnetztelefon, Tablet)? • Papier und Stift oder E-Notizmöglichkeit bereitliegend? • (E-)Akte geöffnet? • Wasser bereitstehend? Sollten Sie sich vor dem Videokontakt noch nie persönlich begegnet sein, legen Sie besonders viel Wert auf den Einstieg in das Gespräch: Der erste Eindruck ist auch hier entscheidend. Versuchen Sie, bereits vor Ihrem Gesprächspartner anwesend zu sein, entspannt und bereit für das Gespräch. Der virtuelle Warteraum kann Unsicherheiten auslösen, vor allem, wenn der Termin nicht zur vereinbarten Zeit beginnt. Im Gegensatz zum Warteraum vor Ort kann niemand gefragt werden, was die Verspätung verursacht oder mit welcher Wartedauer noch zu rechnen ist. Daher ist ein Standardvorgehen sinnvoll, das die nötige Sicherheit vermittelt (Donaghy et al. 2019). In der Psychotherapie beginnen die Termine in aller Regel sehr pünktlich. Vereinbaren lässt sich daher z. B, dass nach einer Wartezeit von fünf Minuten eine Kontaktaufnahme per Telefon erfolgt, um zu klären, ob ein Missverständnis oder ein technisches Problem den ausbleibenden Sitzungsbeginn verursacht. Bereits am Anfang der Stunde geschieht oft ein psychologisches Missgeschick: Die Gesprächspartner einigen sich darauf, dass das Gespräch „ja nicht so gut sein kann, wie in echt“. Beide reduzieren ihre Erwartungen an die Stunde und versuchen nun „gute Miene zum bösen Spiel“ zu machen. Oft sind Unsicherheiten bzgl. der Handhabung und ein unfreiwilliger Settingkontext (z. B. Videositzung als angeordneter Ersatz für die Vor-Ort-Sitzung, um eine Ansteckung zu verhindern) hierbei von Bedeutung. Um den Selbstwert zu schützen, wird eine vorgefertigte externale Erklärung für ein antizipiertes Scheitern der Videositzung genutzt („SelfHandicapping“, vgl. hierzu etwa Zuckerman und Tsai 2005). Hierdurch sinken jedoch Stimmung, Motivation und Änderungsbereitschaft, und die dem Video innewohnenden Möglichkeiten werden weder gesehen noch genutzt. Überprüfung der Kommunikationsgüte Ein ritualisierter Einstieg erleichtert nicht nur dem Klienten, sondern auch Ihnen den Beginn der Sitzung. Sobald sich die Videoverbindung aufgebaut hat, fragen Sie: „Können Sie mich gut sehen und hören?“. Die Antwort Ihres Gegenübers nutzen Sie, um Ihrerseits die Kommunikationsgüte zu überprüfen.

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5  Inhalt und Ablauf

Stimmt die Kameraeinstellung Ihres Gegenübers nicht, korrigieren Sie diese direkt zu Beginn des Gesprächs (vgl. Abschn. 3.1.1). Wenn der Patient das Gespräch zu Hause führt, empfiehlt sich die Verwendung eines Desktop-PCs oder Notebooks. In der Regel ist hier der Abstand besser regulierbar und es kommt zu weniger Bewegungen als bei der Smartphone- oder Tabletnutzung. Wenn Ihr Gesprächspartner draußen unterwegs ist (weil er etwa gerade einer Übung durchführt), tritt die Güte des nonverbalen Feedbacks hinter den Nutzen der begleiteten Übung zurück – hier dürfen Sie die Videoqualität also getrost vernachlässigen! Manchmal machen Sie die Erfahrung, dass Klienten im Laufe einer Sitzung zunehmend aus dem Bild verschwinden – scheinbar ohne das selbst zu bemerken. Hierfür gibt es zwei Gründe: Die Vertiefung in das Gespräch kann so ausgeprägt sein, dass der Klient aufhört, sein eigenes Bild zu beobachten. Sitzwechsel führen dann dazu, dass die optimale Kameraperspektive zunehmend verlassen wird. Ist das intensive Gespräch der Grund für die Bildproblematik, muss der Moment für eine erneute Korrektur gut abgepasst werden, um den Rapport nicht zu stören. Möglich ist jedoch auch ein deutlich profanerer Grund: Einige Patienten überkleben schlicht ihr eigenes Bild, da sie es unangenehm finden, sich selbst beständig sehen zu müssen. Einige Programme bieten mittlerweile auch die Option an, das eigene Bild abzuschalten. Therapeutisch ist die Verdeckung des eigenen Bildes oft bedeutsam und wird in der Regel selbst zum Gesprächsgegenstand. Bis es soweit ist, kann man sich damit begnügen, eine Geste zu vereinbaren, die den anderen darauf hinweist, dass er „aus dem Rahmen fällt“. Kommt die digitale Kommunikation nicht zustande oder reißt sie plötzlich ab, sodass man in ein „schwarzes Loch“ sieht, hat man es mit der sog. „blackhole experience“ (Suler 1997) zu tun. Sprechen Sie mit dem Patienten ab, wie Sie vorgehen, wenn technische Probleme auftreten oder die Verbindung verloren geht. Eine häufig getroffene Vereinbarung sieht vor, es beim ersten Abreißen der Verbindung noch einmal zu versuchen. Klappt auch dieser Versuch nicht, wird der Klient unter der zuvor vereinbarten Nummer telefonisch kontaktiert. Die Sitzung kann dann via Telefon beendet bzw. vertagt werden, bis die technischen Probleme gelöst sind. Sind die technischen Probleme durch den Anbieter oder die schlechte Verbindungsqualität verursacht, sollte dieses Vorgehen gewählt werden, um einen ständigen Neubeginn der Kommunikation, der eine inhaltliche Progression erschwert, zu vermeiden (vgl. Abschn. 4.2). Überprüfung des Aufenthaltsorts Ist die Kommunikation ausreichend, fragen Sie den Aufenthaltsort Ihres Patienten ab: „Wo befinden Sie sich gerade?“. Diese Frage erübrigt sich oft nach einigen Sitzungen, weil man den Ort zu Beginn des Gesprächs direkt wiedererkennt. In diesem Fall benennen Sie den Ort und notieren ihn in Ihrer Stundendokumentation. Ist der Klient an einem Ort, der Ihnen nicht bekannt ist, fragen Sie nach der Adresse und notieren diese.

5.4  Ablauf einer Videotherapiesitzung

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5.4.2 Gesprächsverlauf Hausaufgaben Ein in der Verhaltenstherapie vertrauter Anblick ist das „Fluchtgesicht“ des Patienten, das sich bei der Frage nach den Hausaufgaben zeigt. Diese wurden vergessen, verlegt, vom Hund (wahlweise Katze oder Kind) aufgegessen oder es fehlte einfach die Zeit zu ihrer Erledigung. Natürlich kann das „Vergessen“ der Hausaufgaben zu einer wichtigen Klärung von Vermeidungsverhalten, Verstärkerbedingungen oder Therapieverständnis führen, aber an irgendeinem Punkt ist die beste Lösung oft, dem Patienten zu sagen, dass eine Durchführung der Stunde unter diesen Voraussetzungen nicht sinnvoll erscheint. Die Videotherapie kann das erleichtern: Der Patient ist nicht einen langen Weg gefahren, hat im Wartezimmer gesessen und sich dann im Therapieraum niedergelassen. So erniedrigt sich die Hürde, die Sitzung zu beenden und zu vertagen. Tatsächlich kommt es im Rahmen der Videobehandlung jedoch deutlich seltener vor, dass Patienten Hausaufgaben nicht erledigen. Vielleicht liegt dies schlicht daran, dass ein „zu Hause vergessen“ kaum noch möglich ist. Vielleicht ist es aber auch mit einer erhöhten Therapieadhärenz zu erklären, die in mehreren Studien gefunden wurde (vgl. z. B. Knaevelsrud et al. 2016, S. 14). Themen und Interventionen Die meisten der bislang untersuchten onlinebasierten Therapien basierten auf kognitiv-behavioralen Vorgehensweisen. Vieles deutet darauf hin, dass sich manualbasiertes Arbeiten besonders gut in ein Onlinesetting verlegen lässt, da die therapeutische Beziehung hier weniger stark im Fokus steht als während einer Face-to-Face-Therapie. Ein strukturiertes, manualbasiertes Vorgehen wird so begünstigt (Wagner und Maercker 2011). Obwohl diese Befunde v. a. mit schriftbasierten und asynchronen Therapieformen in Zusammenhang stehen, lässt sich ein ähnlicher Effekt auch für das Videosetting denken, das die klassische Beziehungsorientierung etwas in den Hintergrund treten lässt. Ein Umstand, der vor allem manualfreundlichen Therapeuten entgegenkommen dürfte. Angebote wie Informationsseiten, Onlineforen oder auch GesundheitsApps können in der Therapie besprochen und gezielt, etwa als Hausaufgabe, eingesetzt werden. Parallele Offline- und Online-Therapie-Welten lassen sich so verhindern und es kann zu synergetischen Effekten kommen. Prozesse der kognitiven Umstrukturierung können wirkungsvoll durch elektronische Notizen ergänzt werden. Hierfür muss es keine App sein, die ein Mehrspaltenprotokoll darstellt. Es genügt, sein Smartphone dabei zu haben und die Notizfunktion zu nutzen. Auch Fotos von in der Präsenzsitzung erstellten Flipcharts sind so immer dabei und unterstützen die Therapie, wenn der Patient mit sich allein unterwegs ist. Bedeutsam beim zusätzlichen App-Einsatz ist die Frage nach der Passung von Intervention und Patient und dem richtigen Zeitpunkt der Anwendung. Der App-Einsatz sollte daher immer in der professionellen Entscheidung des

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Psychotherapeuten liegen und nicht durch die Krankenkasse oder die Anwendung selbst vorgegeben werden (s. auch Justen-Horsten und Paschen 2016, S. 42). Ausführlichere Informationen zu Gesundheitsanwendungen finden Sie in Abschn. 4.3.3. Sie möchten wissen, welche Interventionen Sie besonders gut in der Videositzung nutzen können? Kap. 7 dient ausschließlich diesem Thema!

5.4.3 Gesprächsabschluss Gerade zu Beginn einer Videobehandlung lohnt es sich, zum Ende der Sitzung auf die Meta-Ebene zu wechseln und explizit nach der Erfahrung mit dem neuen Format zu fragen. Shore und Kollegen (2007) machen darauf aufmerksam, sensibel für starke Emotionen zu sein, die am Stundenende bestehen. Während üblicherweise der Heimweg eine Möglichkeit zum „cool-down“ bietet, kann es bei der Videositzung vorkommen, dass Emotionen unmittelbar mit den anwesenden Familienmitgliedern ausagiert werden. Vor allem bei der Arbeit mit emotional-instabilen Patienten verdient dieser Aspekt Beachtung. Ergebnissicherung Wenn Sie bereits mit Videositzungen gearbeitet haben, kennen Sie folgendes Phänomen: Ihr Klient schreibt mit. Ohne Aufforderung, ohne Vereinbarung – einfach so. In der Praxis erfolgt das Aufnotieren von wesentlichen Punkten oft eher zögerlich. In der Videobehandlung scheint die Erleichterung darin zu bestehen, dass der Klient oft bereits in einer Arbeitshaltung an seinem Schreibtisch sitzt. Das begünstigt die stärkere Aufgabenorientierung, die bereits häufiger für Videosettings festgestellt wurde (Horowitz 2013). Ergebnissicherung können Sie auch betreiben, wenn Sie parallel zum Gespräch Stichworte, z. B. auf einer Folie oder auf dem Whiteboard, notieren (lassen). Terminvereinbarung Entscheiden Sie am Ende der Stunde, wie und wann Sie sich wiedersehen. Macht es Sinn, einen größeren Abstand zu haben, weil der Patient üben soll? Ist ein Frequenz- oder Settingwechsel angezeigt, weil wiederholt keine (oder sehr viel) Änderung zwischen den Sitzungen aufgetreten ist? Werden zu Beginn einer Therapie etwa alle 24 Termine der geplanten Kurzzeittherapie (oft im einwöchigen Abstand) vereinbart, nutzt dieses Vorgehen wahrscheinlich dem Therapeuten (bzw. dessen Bedürfnis nach Organisation oder einem gefüllten und planbaren Kalender). Ist es aber dem Patienten und seinen sich während der Therapie ändernden Bedürfnissen sowie der Therapiebeziehung, tatsächlich dienlich (vertiefend hierzu „setting limits“, Linehan 2001)? Und: Wie sollte die nächste Sitzung erfolgen: Vor Ort oder per Video? Bei dieser Entscheidung unterstützen Sie die Informationen aus Abschn. 2.1.3.

Literatur

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Nach der Verabschiedung Achten Sie darauf, Mikrofon und Kamera auszuschalten. Vorsicht ist angeraten, wenn Sie verschiedene Videoanbieter (etwa für Einzelkontakte und Gruppen) nutzen: Während viele 1:1-Programme ein „Auflegen“-Symbol verwenden, das die Verbindung trennt, bieten Konferenzanbieter oft das getrennte Ausschalten von Mikrofon und Kamera an. Wird die Sitzung nicht beendet, sondern lediglich unterbrochen oder die eigene Teilnahme ausgesetzt, sollten Sie darauf achten, beides auszuschalten. Sie möchten abschreckende Beispiele? Auf den gängigen Videoplattformen finden Sie unzählige Filme von Sitzungsteilnehmern, die unfreiwillige Einblicke in ihr Familienleben bieten, beim Toilettengang zwar die Kamera ausschalten, das Mikrofon jedoch vergessen, oder beim Aufstehen versehentlich offenbaren, dass sie nur obenherum angemessen gekleidet an der Videokonferenz teilgenommen haben.

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Möglichkeiten und Grenzen von Videositzungen

Inhaltsverzeichnis 6.1 Was nur in der Videositzung funktioniert: Vorteile nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6.1.1 Distanzvorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6.1.2 Psychologische Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1.3 Einblicke in die Lebensrealität und Veränderungen vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6.1.4 Fremdanamnesen und Sitzungen mit Bezugspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6.1.5 Kurz- und Mikrositzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.1.6 Integrierte Tools einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.1.7 Informationsselektion: Kanalreduktion nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.2 Was auch in der Videositzung funktioniert: Nachteile wettmachen . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.2.1 Grenzen der Videositzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.2.2 Das Herstellen von Nähe und Rapport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.2.3 Sitzungsabbruch, Notfall und Krise bewältigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.2.4 Aus der Not eine Tugend machen: Technische Barrieren überwinden . . . . . . . . 85 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Wir beleuchten zunächst die Vorteile, die sich durch Videositzungen ergeben (Abschn.  6.1): Neben der mühelosen Überbrückung von Distanzen (Abschn.  6.1.1) sind diese oft psychologischer Natur (Abschn. 6.1.2) und erleichtern den Zugang zu einer Behandlung. Auch ein verändertes Sicherheitserleben und die erhöhte Kontrolle über die Sitzung unterstützen oft den Kontakt (Abschn. 6.1.3). Spezifische, der Videositzung innewohnende Vorzüge folgen: Hierzu gehören der Einblick in die Lebensrealität und die Möglichkeit, eine Umsetzung von Interventionen vor Ort zu begleiten (Abschn. 6.1.4). Zudem werden die wesentlichen in die Software integrierten Tools nun vorgestellt (Abschn. 6.1.6). Nachteile der Videositzung und deren Überwindung

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_6

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folgen (Abschn. 6.2): Neben einer Betrachtung der Grenzen des Videosettings (Abschn. 6.2.1) erhalten Sie Empfehlungen zum Näheaufbau und gelungenem Rapport (Abschn. 6.2.2). Wie Sie Sitzungsabbrüche, Krisen und technische Barrieren überwinden, erfahren Sie abschließend (Abschn. 6.2.3 und 6.2.4).

6.1 Was nur in der Videositzung funktioniert: Vorteile nutzen Die Vorteile der Videobehandlung lassen sich auf einige Schlagworte komprimieren: Praxistransfer, Wiederholbarkeit, Flexibilität, Informationsselektion, Kontexteinbezug und Toolnutzung: Veränderungen lassen sich oft direkt umsetzen, da Ihr Gesprächspartner bereits vor Ort ist. Einblicke in seine Lebenssituation sind unmittelbar möglich. Die Aufnahme von Sitzungen erlaubt das wiederholte Ansehen und Erfahren der Inhalte, etwa zu Trainings- oder Habituationszwecken. Termine für Sitzungen lassen sich oft nur deshalb schwer finden, weil Entfernungen einkalkuliert werden müssen. Entfällt die Berücksichtigung dieser Faktoren, lässt sich eine Stunde, etwa zwischen Kinderbetreuung und Essenszubereitung, oft erstaunlich leicht finden. Zur Flexibilität gehört auch der geografische Vorteil, der sich auf größere Distanzen bezieht: Ihre Klientin absolviert ein Praktikum in London? Kein Problem: Die Gespräche laufen weiter. Die bewusste Entscheidung, abhängig von der Situation, Video- und/oder Audioübertragung zu- oder abzuschalten, erlaubt die Durchführung von Interventionen, die vor Ort nicht möglich sind. Auch die Kontextinformationen, die durch den Hintergrund generiert werden, können Vorteile in der Behandlung darstellen. Zu den speziellen Möglichkeiten, die die Videobehandlung bietet, gehört die Nutzung von in der Anbietersoftware integrierten Anwendungen (z. B. Whiteboard oder Chat-Funktion).

6.1.1 Distanzvorteile Eine begonnene Behandlung lässt sich fortsetzen, auch wenn die Voraussetzungen für Face-to-Face-Treffen nicht gegeben sind. Das ist der Fall bei dauerhaften Ortswechseln wie Umzügen, Auslandsaufenthalten oder entfernten Praktika, aber auch bei unterbrochenen Aufenthalten vor Ort z. B. bei einer Fernfahrer-, Außendienstoder Montagetätigkeit. Auch das Pendeln zwischen verschiedenen Wohnorten, z. B. bei Fernbeziehungen, führt nicht zu Pausen in der Behandlung. Mobilitätseingeschränkte Personen profitieren ebenso von Videositzungen, wie Menschen, die, z. B. aufgrund einer Pflege- oder Betreuungstätigkeit, an den eigenen Haushalt gebunden sind. Videobehandlungen ermöglichen ein effizienteres und kontinuierlicheres Arbeiten, da weniger Sitzungen mobilitäts- oder krankheitsbedingt ausfallen. Trotz einer bestehenden Quarantäne, Infektionsgefahr oder sogar eines akuten Krankheitsgeschehens können Gespräche stattfinden. Das betrifft neue Pandemien

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ebenso wie altbekannte Grippewellen. Auch Personen, die häufige Therapieunterbrechungen (z. B. wegen chronischer Erkrankungen) aufweisen, können Videositzungen wegen des geringeren Aufwands leichter wahrnehmen. Kurzfristige Verhinderungen des Sitzungsbesuchs (z. B. wegen der mangelnden Verfügbarkeit eines Fortbewegungsmittels oder einer geänderten Zeitplanung) können oft mittels Video kompensiert werden. Videobehandlungen reduzieren darüber hinaus Ausgaben durch den Wegfall von Wegstrecken (Auto- und Tankkosten, Kosten für den ÖPNV), Parkgebühren und Raumkosten (Miete und Nebenkosten). Begleit- oder Betreuungspersonen müssen nicht organisiert (und finanziert) werden und die Reduktion von Hausbesuchen führt zu weniger Zeit- und Organisationsaufwand. Die Versorgungslage, z. B in ländlichen Gebieten, erhöht sich durch ein Videoangebot, und der Klient kann auf Expertenwissen zurückgreifen, das in geografischer Nähe nicht verfügbar ist. Auch ein muttersprachliches oder kulturspezifisches Behandlungsangebot ist leichter zu erhalten. Der Therapeutin ermöglicht der Distanzvorteil die Spezialisierung auf eine „Exoten“-Störung, da auch in ländlichen Gebieten eine praktische Anwendung des eigenen Wissens möglich ist. Bei einem akuten Gesprächsbedarf kann die Videositzung eine kurzfristige Reaktionsmöglichkeit bieten. Kurzkontakte (z. B. in der Nachbehandlung, aber auch für klärende Nachfragen oder therapiebegleitend in Phasen, in denen eine höhere Anbindung von Vorteil ist) sind unaufwendig möglich. Auch in Mehrpersonensettings kann der Distanzvorteil hilfreich sein. Treffen alle Teilnehmer per Video zusammen, sind Beziehungen hierarchiefreier und somit ausgeglichener. Das trifft auf das Team mit Vorgesetzter in der Supervision ebenso zu wie auf die Paar- und Familientherapie. Fallbeispiel: Auswirkungen von Distanzen in der Familiensitzung

Ein 20-jähriger Student, der sich von seinem Studienort aus am Familiengespräch beteiligte, brachte die Auswirkung der Distanz auf den Punkt, indem er sagte: „Ich habe mich Euch schon seit vielen Jahren nicht mehr so nahe gefühlt wie mit den 300  Kilometern dazwischen.“ Die Distanz ermöglichte das angstfreie Ansprechen von Themen und erhöhte die Kontrollerwartung, da keine unmittelbaren Konsequenzen dem Gespräch folgten und der soziale Druck zur Teilnahme, allein schon aufgrund der Entfernung, als niedriger empfunden wurde. Um dem Sohn keine Sonderrolle zuzuweisen, verabredete die Familie darüber hinaus, dass alle Sitzungsteilnehmer sich einzeln per Video zuschalteten. Neben der Mediengleichheit im Gespräch erlebte es der Jugendliche als Wertschätzung, dass sich alle Familienmitglieder auf die Videositzung einließen. ◄ Ebenfalls vorteilhaft sind Videositzungen, wenn Helfer aus verschiedenen Einrichtungen (z. B. zu Fallkonferenzen) zusammentreffen. Die Terminkoordination ist meist schwierig und auch bei eiligeren Fragestellungen lassen sich kaum zeitnahe Termine finden. Videositzungen ermöglichen Treffen, bei denen alle Helfer und auch die Klienten vor Ort bleiben können. Es ist verwunderlich, dass dieses Mittel bei den sozialen Diensten nicht bereits häufiger angewendet wird.

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6.1.2 Psychologische Vorteile Psychologische Vorteile der Videobehandlung ergeben sich durch den Schutz der Intimsphäre der Klienten. Gesprächspartner, die sich z. B. wegen physischer Einschränkungen oder körperlicher Auffälligkeiten schämen, erhalten eine Behandlung, die ihnen mehr Schutz und Privatsphäre gewährt. Kann störungsbedingt das Haus nicht verlassen werden (bspw. bei einer Agoraphobie oder Zwangsstörung), bietet auch hier das Videosetting eine Kontakt- und Therapiemöglichkeit. Ähnliches gilt bei angst- oder schambesetzten Problemen wie Adipositas, Selbstverletzung, Trichotillomanie. Die Videotherapie ermöglicht einen niedrigschwelligeren Behandlungszugang, da Symptome leichter kaschiert und ausgeblendet werden können. So erhalten auch Patienten ein Versorgungsangebot, die sonst nie den Gang zum Psychotherapeuten gewagt hätten. Patienten, die an als stigmatisierend wahrgenommenen Symptomen leiden, erleben es zudem oft als entlastend, nicht von Angesicht zu Angesicht betrachtet zu werden und berichten von einer erleichterten Selbstöffnung. Die Entstigmatisierung betrifft hierbei ebenfalls die Möglichkeit, psychotherapeutische Hilfe zu erhalten, ohne eine (z. B. als beschämend empfundene) Einrichtung aufsuchen zu müssen (Shore 2013). Die Distanz, die durch das Medium und die geografische Entfernung gegeben ist, wirkt in Richtung einer erhöhten Öffnungsbereitschaft (Suler 2004). Der Disinhibitionseffekt (ebd.) erklärt einen Vorteil der schriftlichen und oft anonymen Form der Onlineberatung: Der im Vordergrund stehende Textaustausch lässt die Person in den Hintergrund treten und vereinfacht die Ansprache intimer, etwa schambezogener, Themen. Der distanziertere Kontakt in der Videobeziehung kann ebenfalls dazu führen, dass die Ansprache schwieriger Themen erleichtert bzw. „disinhibiert“ wird (Wenzel et al. 2020). Die Beziehung in der Videositzung ist ausgeglichener als in der Face-to-FaceBehandlung. Keiner hat einen Raumvorteil, alle nutzen die gleiche Technik und sind dieser, etwa bei Störungen, gleichermaßen ausgeliefert. Das Treffen findet auf neutralem digitalen Boden statt. Die Selbstwirksamkeit des Patienten oder, allgemeiner, seine Selbstmanagementfähigkeit (vgl. Kanfer et al. 2006) wird zudem durch die höhere Eigenbeteiligung im Videosetting gestärkt: Er stellt Raum und Technik bereit und ist durch den Down- und Upload von Informationen und Arbeitsmaterial sowie die gemeinsame Arbeit am geteilten Bildschirm intensiver in die Therapie eingebunden als im Vor-Ort-Kontakt. Insgesamt trägt er eine höhere Verantwortung für das Gelingen der Sitzung als im Face-to-Face-Setting. Begünstigend auf die Mitarbeit wirkt sich ebenfalls aus, dass es nicht mit einem hohen Aufwand verbunden ist, sich an Interventionen wie z. B. grafischen Darstellungen zu beteiligen. Während in der Praxis eine Beteiligung voraussetzt, aufzustehen, und das fremde Flipchart oder Whiteboard zu beschreiben, „gehören“ diese Tools in der Videositzung allen Beteiligten. Der Klient ist genauso nah dran wie die Therapeutin und kann ohne Vorbereitung Veränderungen vornehmen oder Ergänzungen hinzufügen.

6.1  Was nur in der Videositzung funktioniert: Vorteile nutzen

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Patienten schildern nicht selten, dass sie sich in einer Videotherapie als selbstständiger oder „gesünder“ empfinden, als wenn sie eine Praxis oder Klinik aufsuchen müssen. Dieser Umstand mag auch damit zusammenhängen, dass in der eigenen Umgebung eher die Rollen und Selbstbeschreibungen beibehalten werden, die (auch) mit dem Ort verknüpft sind, z. B. als Mutter oder Tochter, Angestellte, Freundin, Gastgeberin etc. Der Gang in die Klinik wechselt die Rolle hin zur Patientin, Leidenden, Ratsuchenden und verstärkt so die Eigenwahrnehmung als krank oder gestört. Während die Räume der Therapeutin also vorwiegend mit der Problematik verknüpft sind, bietet das Zuhause (zumindest auch) einen Zugang zu den anderen, gesunden Teilen der eigenen Persönlichkeit, an die nun leichter angeschlossen werden kann. Patienten mit grenzüberschreitenden Erfahrungen in der Vergangenheit profitieren von Onlineangeboten, da das Gespräch im eigenen Sicherheitsbereich stattfindet und Übergriffe (zumindest physischer Natur) sicher ausgeschlossen werden können. Gewaltopfern fällt es in der Videobehandlung leichter, traumabezogene Informationen mitzuteilen (Shore 2013). Auch der Therapeutin ermöglicht die Videositzung eine angstfreiere Interaktion, da physisch bedrohliche Patienten (etwa Sexual- oder Gewaltstraftäter) gefahrlos behandelt werden können. Die Videositzung erleichtert es dem Klienten, Kontrolle über die Situation zu gewinnen. So ist es etwa nur mit einem geringen Aufwand verbunden, das Gespräch zu verlassen. Die erhöhte Kontrolle begünstigt wiederum die Selbstöffnung (Reisinger 2011). Erleichternd wirkt sich ebenfalls der Vertrauensaufbau auf sichere Entfernung aus, bevor das physische Kennenlernen erfolgt (auch: „Door-Opener“-Wirkung, vgl. Abschn. 2.1.3).

6.1.3 Einblicke in die Lebensrealität und Veränderungen vor Ort Die audiovisuelle Begleitung von Klienten in bedeutsame Situationen kann als spezifischer Vorteil der Videobehandlung verstanden werden. Justen-Horsten und Paschen (2016, S.  81) sprechen diesbezüglich von der „Möglichkeit, therapeutische Ideen aus dem Praxisraum medial in den Alltag des Patienten zu integrieren“. Da der Patient während der Videositzung zu Hause ist, ergeben sich viele unmittelbare Umsetzungsmöglichkeiten, die face-to-face aufwendig vorbereitet werden müssen. Es lohnt sich, ausgiebig von diesen Gebrauch zu machen. Essgestörte Patientinnen können die Portionsgrößen ihrer Nahrungsrationen, Ordnungsfanatiker den Zustand ihres Arbeitsplatzes und Depressive das Ausmaß ihrer Antriebslosigkeit demonstrieren. Per Video lässt sich auf diese Weise vieles unmittelbar erkennen, das sonst mühsam erfragt werden müsste. Fallbeispiel: Zeigen Sie’s mir!

Eine antriebsgehemmte Patientin berichtete, dass sie es nicht schaffe, mit der Umsetzung ihres Tagesplanes zu beginnen. Den ganzen Tag „starre“ sie einen

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Korb mit Wäsche an, die zusammengelegt werden müsse, und schaffe es einfach nicht, mit der Arbeit zu beginnen. Ich fragte sie, ob sie mit mir weitersprechen könne, während sie die Wäsche zusammenlegte. Ohne Probleme faltete sie nun Wäschestück um Wäschestück, während wir das Gespräch fortsetzten. Neben dem „Durchbrechen“ der Blockade ergab das Gespräch eine Erklärung für diese: Die Anstrengung für die Aufgabe wurde falsch eingeschätzt. Sie erforderte keine absolute Aufmerksamkeit, sondern konnte nebenher geschehen. Diese Technik, Aufgaben zunächst neben anderen Tätigkeiten anzugehen, behielt sie weiterhin bei. ◄ Auch die Kontextinformationen, die durch den optischen und akustischen Hintergrund generiert werden, können spezielle Vorteile in der Behandlung darstellen. Die Arbeit mit Kontextinformationen setzt eine Beschäftigung mit Grenzen und möglichen Grenzverletzungen voraus, die auftreten können, wenn in die Privatsphäre des Gesprächspartners eingedrungen wird (vgl. Abschn. 5.2.1 und 5.2.2). Besteht eine Bewusstheit über diese Aspekte, kann gerade deren gezielter Einbezug in die Behandlung entscheidend sein, um Informationen zu erhalten, die im Gespräch vor Ort nicht generiert werden könnten. Zum einen kann dies daran liegen, dass Fragen, z. B. aus Scham, nicht beantwortet werden. Oft liegt es jedoch schlicht daran, dass sich eine Frage nicht stellt, weil sie außerhalb des erkannten (Problem-)Kontextes liegt. Fallbeispiel: Der Patient im Schlafanzug

Eine um 15 Uhr beginnende Sitzung zeigte meinen (im Vor-Ort-Setting sehr gepflegten) Patienten so, als sei er vor wenigen Minuten aus dem Bett gestiegen (Schlafanzug, ungekämmte Haare, Brötchenkrümel auf der Brust). Das Gespräch führte zu der Erkenntnis, dass der Patient prinzipiell nur Aufmerksamkeit auf seine Körperhygiene und sein Äußeres legte, wenn er die Wohnung verließ. Ein Umstand, der in der Therapie nie zur Sprache kam, da er die Normalität des Patienten abbildete und bislang weder problematisiert noch in Verbindung mit der depressiven Symptomatik gebracht wurde. Auch der kommunikative Aspekt dieses Verhaltens, sowohl mir als Therapeutin als auch seiner Familie gegenüber, lag bisher außerhalb der Wahrnehmung des Patienten. ◄ Während für diagnostische Zwecke meist ein „Zeigen Sie’s mir!“, die passende Aufforderung ist, eignet sich für den Einsatz von Interventionen meist das „Machen Sie’s jetzt!“. Statt nur in Möglichkeitsräumen zu verweilen, können Sie Klienten bitten, besprochene Interventionen unmittelbar umzusetzen bzw. den ersten Schritt hierzu zu tun. u

Bewegte Interventionen Bei allen Interventionen, die Bewegungen umfassen, sollten Sie mit Ihren Klienten die Teilnahme per Smartphone vereinbaren. Obwohl für den visuellen Kontakt die Bildschirmgröße

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suboptimal ist, ergeben sich viele Vorteile durch die unkomplizierte Möglichkeit, sich nun frei zu bewegen und die Kamera direkt auf etwas zu richten.

Klienten nehmen Videositzungen zudem oft intuitiv an ihrem Schreibtisch wahr. Obwohl das schlicht dem Umstand geschuldet sein mag, dass hier der Computer steht, führt es zur Einnahme einer eher konzentrierten und aktiven Haltung. Viele Therapieräume vor Ort laden hingegen in eine Wohlfühlatmosphäre ein, in der eher regressive Tendenzen als Arbeitshaltungen begünstigt werden. Bequeme Sessel und gedämpftes Licht verstärken den Effekt zusätzlich. Fallbeispiel: Machen Sie’s jetzt!

Eine Klientin antwortete spontan auf eine Version der Wunderfrage („Stellen Sie sich vor, heute Nacht geschieht ein Wunder und Ihr Problem ist einfach weg. Was wäre das Erste, was am nächsten Morgen anders wäre?“): „Das Erste, was anders wäre? Das ist einfach: Ich würde die Rollläden hochziehen und die Fenster öffnen.“ Die Antwort hierauf: „Machen Sie’s jetzt!“, führte zu einer sofortigen Umsetzung. Und zur Besprechung der Effekte, die diese Intervention hatte. Es fiel nun leicht, konkrete nächste Schritte zu benennen, die direkt nach der Stunde stattfinden sollten. Und wir konnten uns überlegen, was sie mir in der nächsten Sitzung an Veränderungen zeigen und woran ich konkret erkennen könnte, dass Veränderungen stattgefunden hatten. ◄ Patienten empfinden den Therapieraum zuweilen als „Schonraum“, in dem alles gedacht und gesagt werden darf, ohne dass dies zu konkreten Handlungen führt. Das kann die Veränderungsbereitschaft reduzieren und aus „Kunden“ zunehmend „Klagende“ werden lassen, die die Sitzung nutzen, um Leben und Umstände zu bedauern (vgl. de Shazer 1989). „Ich genieße es so sehr, einfach mal für eine Stunde aus meiner Welt draußen zu sein und alles auszukotzen, was mich so sehr belastet“, brachte es eine Patientin einmal auf den Punkt. Es mag Phasen geben, in denen es sinnvoll ist, dass Patienten einen Raum haben, in dem sie sich entlasten können, Vermutungen über Ursachen oder Zusammenhänge ihrer Probleme herstellen oder tatsächlich mal eine Auszeit nehmen. Ein Verharren auf dieser Position verhindert jedoch Veränderungen und führt potenziell in eine Abhängigkeit vom Therapeuten oder Therapiesetting. Videositzungen erleichtern die Änderungsorientierung durch die Nähe und Leichtigkeit der möglichen Umsetzung. Oft schildern Patienten, dass sie die Therapiesitzung motiviert verlassen und Änderungen fest eingeplant haben. Zuhause angekommen schwindet die Motivation jedoch schnell und die Umsetzung erfolgt nicht. „Wenn ich das hier bei Ihnen bespreche, fühlt es sich ganz leicht an, aber zu Hause schaffe ich es dann doch nicht“. Meistens fällt es schwer, zu erklären, was „es“ ist, das von der Veränderung abhält. Videositzungen ermöglichen die Analyse der Kognitionen, die unmittelbar in der Situation evoziert werden, und erlauben eine Bearbeitung vor Ort, ähnlich einer In-Vivo-Exposition.

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Fallbeispiel: Kochen und Fernsehen

Um besser für sich selbst zu sorgen, plante eine alleinstehende 28-jährige Patientin, abends frisch zu kochen und das Essen dann mit Zeit am schön gedeckten Küchentisch sitzend zu genießen. Frustriert schilderte sie, dass das Unterfangen an keinem der vereinbarten Tage funktioniert habe. Jeden Abend habe sie sich mit Chips oder Fast-Food auf dem Sofa vor dem Fernseher wiedergefunden. Es gelang ihr nicht, zu erklären, was der Grund hierfür war: Sie hatte sich Gerichte ausgesucht, die ihr schmeckten, alle Zutaten besorgt und bereit gelegt und auch Zeit war ausreichend vorhanden. Wir verabredeten die nächste Sitzung für die Abendessenszeit. Die Patientin sollte so tun, als ob sie sich entschieden hätte, den Kochplan heute umzusetzen und ihre Gedanken während der Essensvorbereitung laut aussprechen. Das Smartphone, über das die Sitzung lief, legte sie zur Seite, sodass sie nicht durch mein Bild abgelenkt wurde. Ich sah die Patientin nun zwar nicht, hörte aber ihren inneren Monolog. Zunächst beschäftigten ihre Gedanken sich mit dem geplanten Essen und der Freude auf dieses. Plötzlich tauchte der Gedanke auf: „Nur Erwachsene essen an einem schön gedeckten Küchentisch“. Anschließend wurde der Gedankenstrom negativer und wandelte sich hin zu Gefühlen von Überforderung mit der aktuellen Lebenssituation. In der gemeinsamen Auswertung wurde deutlich, dass für die Patientin „selbst gesund kochen und am Küchentisch essen“ vor allem bedeutete, nicht mehr „jugendlich“ zu sein – was starke Ängste auslöste. Die Änderung der Übung sah nun vor, bewusst kleine Schritte zu gehen und diese zu bewerten, bevor weitere Schritte Richtung „Erwachsensein“ folgen würden. Die Patientin kochte nun wie geplant und erlaubte es sich zunächst, mit Genuss auf dem Sofa vor dem Fernseher zu essen. ◄

6.1.4 Fremdanamnesen und Sitzungen mit Bezugspersonen Fremdanamnesen sind nützlich, aber meist nur mit viel Aufwand zu erhalten. Oft sind zudem nur wenige Punkte zu besprechen, die nicht die gesamte Stunde in Anspruch nehmen würden. Auch hierfür eignet sich die Videositzung. Unkompliziert lassen sich diagnostische Fragestellungen untersuchen oder auch Situationsschilderungen aus einer anderen Perspektive generieren. Verhaltensbeobachtungen sind einfacher möglich als vor Ort. Die Smartphonekamera kann leichter vergessen werden als die im Wohnzimmer sitzende Psychologin mit dem Klemmbrett auf dem Schoß. Vor allem für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten kann dieser Punkt interessant sein und neue Möglichkeiten bieten. Gerade Hausbesuche sind oft aufwendig in der Planung und nur schwer mit dem Praxiskalender zu vereinbaren. Mittels Videotechnik kann der Hausbesuch tatsächlich innerhalb einer Therapiesitzung stattfinden. Sitzungen mit Bezugspersonen sind auch in Videokonferenzen der psychotherapeutischen Regelversorgung ausdrücklich erlaubt (§  17 Abs  2, Psychotherapie-Vereinbarung, Anlage 1 BMV-Ä, KBV 2020). Auch hier ist nun

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prinzipiell alles möglich, was vor Ort durchgeführt werden kann. Doch die Videositzung bietet noch mehr: Nutzen Sie Kontexteffekte, indem Sie beispielsweise das Paar dort streiten lassen, wo es das sonst auch tut, und vereinbaren Sie Veränderungen dort, wo sie tatsächlich stattfinden sollen. Interessant ist zudem die Bezugspersonensitzung während des Auftretens des problematischen Verhaltens. So kann etwa während einer Expositionsübung der Partner beteiligt werden. Bei auftretendem Sicherheits- oder Rückversicherungsverhalten kann unmittelbar eine Anleitung erfolgen, wie effektiv mit diesem umzugehen ist. Ein Verfahren, das in Zusammenhang mit der ERP (Exposition mit Reaktionsverhinderung) bereits als erfolgreich beschrieben wurde (Goetter et al. 2013).

6.1.5 Kurz- und Mikrositzungen Videositzungen bieten die Möglichkeit, aufwandsarm Kurzkontakte zu gestalten. Gerade in Phasen, in denen Patienten aktiv üben, ihre Tagesstruktur ändern oder schwierige Aufgaben angehen, kann es helfen, Kurzkontakte zu vereinbaren. Auch in akuten Phasen, in denen Patienten mehr Unterstützung benötigen als üblicherweise, sind Kurz- oder Mikrositzungen (mit nur einigen Minuten Kontakt) eine Möglichkeit, ohne großen organisatorischen Aufwand in Kontakt zu bleiben. Im Gegensatz zum Telefonat bringen sie erweiterte diagnostische Möglichkeiten und validere Urteile über die Verfassung des Gesprächspartners (Rush et al. 2018). Oft sind Veränderungen schwer umzusetzen, weil die Zeit zwischen den Sitzungen lang ist und der Patient mit Rückfragen bis zum nächsten Treffen wartet. Gerade bei verhaltensaktivierenden Interventionen sorgen viele erfolglose Versuche zwischen zwei Sitzungen für enormen Frust und damit möglicherweise zu einer Aggravation der Symptomatik. Wird z. B. ein Wochenplan vereinbart, dessen Umsetzung an jedem Tag scheitert, bedeutet dies, dass der Patient viele Misserfolgserlebnisse hatte und sich defizitärer fühlt als vor Vereinbarung der Änderung. Videositzungen ermöglichen Kurzkontakte, die eine Kurskorrektur bewirken können und zudem einen Anreiz bieten, etwa um einen Tagesplan umzusetzen. Fallbeispiel: Ich schau nachher noch einmal rein!

Eine Patientin mit einer schweren depressiven Episode schaffte es kaum, sich ausreichend um ihre eigene Körperhygiene zu kümmern und ihre Wohnung in Ordnung zu halten. Die Umsetzung des vereinbarten Wochenplans gelang ihr nicht. Wir vereinbarten eine begleitete Umsetzung: Hatte Sie eine Aufgabe erledigt, schrieb sie mir eine E-Mail mit dem Betreff „erledigt“ und ich schrieb ihr zurück, wann die nächste Möglichkeit für ein Videogespräch war. So fanden zunächst fünf zehnminütige Kontakte an einem Tag statt. An nächsten Tag vereinbarten wir ein kurzes Videogespräch alle zwei Aufgaben und am dritten Tag sahen wir uns lediglich am Abend. Obwohl wir die Gespräche nutzten, um über Anpassungen des Plans und neu aufgetauchte Hindernisse

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zu sprechen, schilderte die Patientin später, dass es vor allem die Motivation des erneuten Kontakts gewesen sei, die sie angetrieben hätte, die Aufgaben zu erledigen. Interessanterweise empfand sie auch die Reduktion der Gespräche als belohnend, da die abnehmende Frequenz ihre zunehmende Selbstständigkeit verdeutlichte. ◄

6.1.6 Integrierte Tools einsetzen Zu den speziellen der Videobehandlung innewohnenden Vorteilen gehört die Nutzung von Werkzeugen („Tools“), die in die Anwendung integriert sind. Vorgestellt werden im Folgenden die Werkzeuge, die zur Standardausstattung der gängigen Videoanbieter gehören. Galerie- oder Sprecheransicht Die Galerieansicht ermöglicht Ihnen das fixierte Betrachten aller Teilnehmer. Die Sprecheransicht hingegen zeigt den jeweiligen Redner groß an, die anderen Teilnehmer klein. Hierdurch gelingt der Blickkontakt einfacher. Kommt es zu häufigen Sprecherwechseln, ist in der Regel jedoch die Galerieansicht vorzuziehen. Bildschirmfreigabe Über die Funktion „Bildschirm teilen“ können Sie Präsentationen, Videos, Fotos und auch alles andere zeigen, was Sie auf Ihrem Bildschirm generieren können. Schalten Sie Ihre Gesprächspartner frei, können diese ebenfalls – in der Regel eingeschränkt – mit Ihren Vorlagen arbeiten, indem sie Textfelder beschriften, malen, stempeln (kleine Symbole an eine gewünschte Stelle setzen), Worte oder Bilder umkreisen und markieren. Sollten Sie Filme mit Ton zeigen wollen, achten Sie darauf, dass Sie Ihr Computeraudio freigeben – sonst können die Teilnehmer nur Sie über Ihr Mikrofon hören, aber nicht den Ton des Videos! Whiteboard Machen Sie ausgiebig Gebrauch vom Whiteboard. Wie auf einem physischen Flipchart oder Whiteboard können Sie hier, während Themen bearbeitet oder Fälle in der Supervision vorgestellt werden, sichtbar für alle, wesentliche Punkte schriftlich fixieren. Auch die Zeichnung eines Organigramms oder Genogramms ist mit etwas Übung über die Zeichentools unproblematisch möglich. Und: Geben Sie das Whiteboard frei, können Ihre Teilnehmer selbst aktiv werden und schriftlich ergänzen, einkreisen, anmarkern oder auch gemeinsam etwas erstellen. Die meisten Programme erlauben es Ihnen, die erstellten Whiteboards direkt als Bilddatei zu speichern. So ist auch für die Ergebnissicherung gesorgt. Dokumentenaustausch Der Austausch von Dateien kann meist unmittelbar über das Programm geschehen. Oft bietet das Chat-Tool die Möglichkeit, Dateien direkt an alle oder einzelne Teilnehmer zu senden.

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Chat Der Chat kann zur Sammlung von Fragen genutzt werden, dient aber auch der Kommunikation einzelner Teilnehmer untereinander und stellt so eine Art Seitengespräch dar. Der Chat kann auch genutzt werden, um Links zu Artikeln oder Internetressourcen direkt zur Verfügung zu stellen. So entfällt das nachträgliche E-Mail-Schreiben. Icons oder Symbole Icons eignen sich zur Gabe eines unmittelbaren Feedbacks, das nicht den Weg über Meldung und Aufruf gehen muss. So kann der Teilnehmer per Icon etwa den Daumen heben oder klatschen. Alle Beteiligten sehen das jeweilige Icon beim entsprechenden Teilnehmer eingeblendet und können (müssen aber nicht) auf dieses reagieren. Meistens findet sich auch ein Hand-Hebe-Symbol, das eine Wortmeldung signalisiert und vom Sitzungsleiter nach der Wortvergabe ausgestellt werden kann. u

Vom Umgang mit der Kaffeetasse  Das Icon „Kaffeetasse“ führt immer wieder zu Verwirrungen in Sitzungen mit mehreren Personen. Für etwa die Hälfte der Teilnehmer bedeutet es: „Ich brauche jetzt eine Pause“ und ist damit eine Aufforderung, die Sitzung zu unterbrechen. Die andere Hälfte nutzt die Tasse, um anzuzeigen, dass man mal kurz weg ist, etwa um sich einen Kaffee zu holen. Ersparen Sie sich Diskussionen über die wahre Bedeutung des Symbols und einigen Sie sich stattdessen auf eine gemeinsame Auslegung.

Umfragen Umfragen aktivieren und machen neugierig. Viele Anbieter haben ein integriertes Umfragetool. Sollte Ihr Programm keine Umfragemöglichkeit anbieten, können Sie externe Anwendungen nutzen und diese über den geteilten Bildschirm einsetzen. Wenn Sie systemisch arbeiten (und fragen), sind Umfragetools eine enorme Erleichterung (vgl. Abschn. 7.2.4). Unterbrechungen und Kleingruppen (Breakout-Sitzungen) Wie in der Vor-Ort-Sitzung teilen Sie Ihre Teilnehmer in Kleingruppen ein. Für jede Kleingruppe öffnet sich dann ein eigener Raum, in der sie unter sich ist. Als Moderator bzw. Sitzungsleiter können Sie Ihre Teilnehmer dort besuchen und zum Rückkehren in den gemeinsamen Raum „zwingen“, wenn die Zeit für die Kleingruppentätigkeit abgelaufen ist. Application Sharing Es gibt eine Vielzahl von Anwendungen, die parallel zur Videositzung genutzt werden können. Neben Tools zur erleichterten Erstellung von Genogrammen und Organigrammen gibt es beispielsweise Mind-Map-Programme oder, für schnelle Entscheidungen oder systemische Interventionen, digitale Münzwürfe.

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6.1.7 Informationsselektion: Kanalreduktion nutzen Die Videotechnik erlaubt es Ihnen, bestimmte Kommunikationskanäle zu nutzen und andere außen vor zu lassen. So können Sie das Ton- oder Bildsignal getrennt voneinander oder auch gemeinsam ausschalten und hierdurch spezielle Interventionen durchführen, die offline kaum möglich sind. Vor allem im Rahmen von Rollenspielen ist diese Funktion sehr nützlich (Abschn. 7.1.8). Bei nonverbalen Interventionen kann es hilfreich sein, den Ton auszuschalten, um die Klienten daran zu hindern, verbale Informationen zu geben. In Trainings der sozialen Kompetenz kann die Arbeit an der Körpersprache oft leichter durchgeführt werden, wenn zusätzliche verbale Reize außen vor bleiben. Auch in Konfliktsituationen, etwa in der Paar- oder Familientherapie, profitieren die Partner davon, den Gesichtsausdruck des Gegenübers ohne Ton zu betrachten und diesem Bedeutungen zuzuweisen. Umgekehrt kann, etwa im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Kommunikationstrainings, das genaue Hinhören geschult werden, indem die visuellen Informationen außen vor bleiben. Eine wirkungsvolle Intervention (die zugegebenermaßen eine stabile Arbeitsbeziehung voraussetzt), ist das Stummschalten von Teilnehmern, die Gesprächsregeln verletzen. Bei hochstrittigen Paaren kann dies sehr schnell zu einer Änderung des Kommunikationsverhaltens führen (jedoch auch zum Abbruch der Sitzung). Schließlich profitieren ebenfalls bestimmte Patientengruppen von einer Informationsreduktion: Neben Patienten, die Probleme mit der Informationsverarbeitung haben und leicht überstimuliert werden (z. B. bei Autismus), können auch Patienten mit Entstellungen oder anderen Stigmata besser im Kontakt bleiben, wenn bestimmte Kanäle ausgeschaltet werden (Abschn. 2.1.2, Indikation und Kontraindikation). Sollen Sitzungen kurz unterbrochen werden (z. B., um Aufgaben auszuführen oder für Besprechungen in der Kleingruppe oder im Beraterteam), ist das in der Vor-Ort-Sitzung mit erheblichem Aufwand verbunden: Räume müssen zugewiesen, Zeiten vereinbart, Türen geöffnet und geschlossen werden. Sind nicht genügend Extraräume vorhanden, müssen sich Kleingruppen in die Ecken eines Raumes verteilen und ihre Lautstärke reduzieren. In der Videositzung weisen Sie Ihre Teilnehmer entweder Kleingruppen zu oder unterbrechen Sitzungen (z. B. für Reflexionspausen) einfach, indem kurz die audiovisuelle Verbindung getrennt wird und jeder Teilnehmer Zeit zum Nachdenken für sich selbst hat.

6.2 Was auch in der Videositzung funktioniert: Nachteile wettmachen Nahezu alle Techniken, die vor Ort durchgeführt werden können, lassen sich auch in der Videotherapie einsetzen. Die Hemmung, das zu tun, liegt meist am unvertrauten Format und nicht in Limitationen der Interventionen selbst. Die Nutzung der vertrauten Vorgehensweisen hat zudem einen haltgebenden Effekt,

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da die Fremdheit, die potenziell durch das neue Medium entsteht, nicht durch ungewohnte Umgangsweisen mit den eingebrachten Themen vergrößert wird (Eichenberg 2020).

6.2.1 Grenzen der Videositzung Die Videobehandlung schließt bestimmte Personengruppen von vorneherein aus, da sie nicht über die notwendige technische Ausstattung verfügen oder keine Kompetenz für deren Anwendung aufweisen. Das betrifft materiell und sozial benachteiligte Gruppen, ältere Personen und solche mit intellektuellen Beeinträchtigungen. Für die Erhebung von Stimmungen und emotionalem Erleben mittels Videokommunikation muss eine besondere Sensibilität vorhanden sein: Eine Untersuchung zur Reliabilität von Diagnosen mittels Video erbrachte, dass die Genauigkeit für internalisierte Störungen niedriger lag als für externalisierte Störungen (Shore et al. 2007). Auch störungs- oder situationsbedingt kann eine physisch kopräsente Sitzung adäquater sein (vgl. Abschn. 2.1.2). Krisen und Ausnahmezustände können vor Ort oft besser kontrolliert werden und es fällt leichter, in Kontakt zu bleiben. Menschen mit psychotischen Störungen können im Face-to-Face-Gespräch meist leichter eine Realitätsprüfung durchführen. Emotional instabile Patienten entziehen sich möglicherweise eher im Videosetting dem Kontakt oder dissoziieren. Selbstunsichere Personen trauen sich zuweilen nicht, nachzufragen, wenn Unklarheiten bestehen oder sprachliche Probleme vorliegen. Auch sind sie oft irritiert durch ihr eigenes Bild. Dass sie sich gedanklich stark mit diesem beschäftigen, kann zu Interferenzen im Gespräch führen. Intoxikationen, etwa durch Alkohol, sind schwerer feststellbar, da Hinweise wie Geruch, Gangbild oder schleppende Sprache weniger gut zu erkennen sind (vgl. Shore 2013). Besteht das Problem eines Patienten (auch) in einer dysfunktionalen Nutzung des Internets (z. B. in Form einer Internet-/ Spielsucht), muss eine onlinebasierte Behandlung kritisch hinterfragt werden. Wenn das Problemverhalten in einer Vermeidung der Auseinandersetzung mit der Außenwelt besteht, kann ein Onlineangebot es zusätzlich verstärken. Prinzipiell muss geklärt werden, ob die Videobehandlung Ängste reduzieren soll, sie also Vermeidungsverhalten, etwa bei sozialen, agoraphoben oder paranoiden Ängsten oder Zwangsverhaltensweisen begünstigt. Möglich ist auch, dass der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten in der Videobehandlung die Konfrontation mit schwierigen Emotionen bzw. erlebnisaktivierenden Übungen vermeidet („unheilige Allianz“, Roediger 2016, S. 179). Gerade die Distanz kann dabei helfen, einer intensiven Kommunikation aus dem Weg zu gehen und Emotionen nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Beim Therapeuten kann die Angst vor einem Kontrollverlust in der Therapiesituation (vgl. Abschn. 2.1.3) das Vermeidungsverhalten begünstigen.

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Der virtuelle Kontakt bietet eine erhöhte Autonomie für den Patienten. Das kann von Vorteil sein, da es durch die erlebte Situationskontrolle zu weniger Reaktanz kommt – aber auch von Nachteil, wenn die Verbindlichkeit und damit das Therapiecommitment sinken. Ablenkungen sind während der Videobehandlung wahrscheinlicher als im Face-to-Face-Setting. Die Teilnahme am eigenen Smartphone oder Computer ermöglicht etwa die parallele Beantwortung von Nachrichten in Messengersystemen oder das Bearbeiten von E-Mails. Der Vorteil, verschiedene Dinge „unter einen Hut“ zu bringen, kann zum Nachteil werden, wenn hierdurch die Therapie nebenher erfolgt und die Sitzungen so beispielsweise durch Kinder unterbrochen werden, die kurz mal etwas fragen möchten. Neben dem erschwerten Einlassen auf die therapeutischen Themen kann die Wertschätzung für die Therapie sinken, da Verpflichtung und Engagement abnehmen, die für sie aufzubringen sind. Die Verabredung in der Praxis, der Aufwand, der mitunter betrieben wird, um Termine möglich zu machen, ist zudem auch eine Form von Wertschätzung sich selbst gegenüber. Sobald die Videositzung in einem Kontext von „vor Ort darf ich mir das nicht gönnen“ oder „so viel Zeit habe ich nicht für meine Bedürfnisse verdient“, erscheint, sollte sie kritisch hinterfragt werden. Auch auftretende Konflikte können online schwerer zu bearbeiten sein – vor allem, weil es leicht fällt, den Videoraum zu verlassen, wenn es schwer wird im Gespräch. Und: Der Enthemmungseffekt in der Onlinebehandlung kann zu einer gesteigerten Selbstoffenbarung führen, die im Anschluss an die Sitzung jedoch bereut und schamhaft verarbeitet wird. Auch aufseiten der Behandler können der begrenzte Realitätsausschnitt und die reduzierte Kontextinformation für erhöhte Anstrengungen sorgen. Fehlende nonverbale Informationen erschweren die Kommunikation und die Einschätzung des Gegenübers. Die reduzierte Möglichkeit, Blickkontakt aufzunehmen, wird oft als Hindernis empfunden (DPtV 2020). Auch für Geist und Körper der Therapeutin ergeben sich potenzielle Nachteile: Ermüdung und Konzentrationsprobleme, Schulter-, Nacken- und Rückenbeschwerden sowie Kopfschmerzen können Folgen der Bildschirmtätigkeit und der wenig bewegten Kommunikationssituation sein (mehr zum Thema Videomüdigkeit und wie Sie hier Abhilfe schaffen, erfahren Sie in Kap. 8).

6.2.2 Das Herstellen von Nähe und Rapport Nutzen Sie die Entfernung, die Sie zur Kamera einnehmen, gezielt zur NäheDistanz-Regulation. Proben Sie zunächst allein: Achten Sie darauf, wie sich Ihre Ansicht, abhängig von Ihrer Entfernung zur Kamera, verändert. Und: Setzen Sie auch Ihren Oberkörper zur Kommunikation ein (vgl. Abschn. 3.1.1). Lehnen Sie sich nach vorne, um Interesse und Nähe zu signalisieren. Lehnen Sie sich zurück, um Ihrem Gegenüber Raum zu geben oder die Distanz zu erhöhen. Das Annähern an die Kamera führt zu einer vergrößerten Darstellung des Gesichts (und damit der Mimik und des Blickverhaltens), der Abstand lässt den Oberkörper erscheinen und vermittelt eher ein erhöhtes Raumerleben und Distanz vom Gegenüber. Achten Sie

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in jedem Fall darauf, dass nicht der gesamte Monitor von Ihrem Gesicht ausgefüllt wird: Das löst eher die Ausschüttung von Stresshormonen als Näheempfindungen aus (Reinach Wolf 2020). Ist der Rapport gut, beginnt auch in Videositzungen oft ein unbewusstes nonverbales Spiegeln! Der Blick in die Kameralinse bewirkt ein intensiveres Erleben von Augenkontakt als der Blick auf das Bild des Gesprächspartners. Nutzen Sie daher den bewussten Blick in die Kamera, um Nähe herzustellen. Diese Technik ist in Mehrpersonensettings wichtiger als in dyadischen Gesprächen. Sind Sie zu zweit, ist das Bild Ihres Gesprächspartners in der Regel mittig unter der Kamera platziert. Mit der richtigen Sitzposition (vgl. Abschn. 3.1.1) ist der Blick auf das Gegenüber kaum von dem in die Kamera zu unterscheiden. Bei mehreren Gesprächsteilnehmern geht der Blick, vor allem bei größeren Monitoren, jedoch von der Mitte weg nach links-oben, rechts-unten…. Hier empfiehlt sich daher der gezielte Blick in die Linse und der beiderseitige Wechsel in den Sprechermodus, um Kontakt aufzubauen. Um den Rapport zu bessern, kann zudem die Stimme in Lautstärke, Klang und Tonlage dem Gesprächspartner angepasst werden. Hierdurch lassen sich fehlende nonverbale Spiegelmöglichkeiten kompensieren (vgl. Sötemann 2018). Ist die visuelle Übertragung gestört, gewinnen Hinweise für Telefongespräche an Bedeutung: So kann etwa starker Stress oft an einer hörbar schnellen und unregelmäßigen Atmung erkennbar sein. Gemeinsam in eine tiefere Atmung zu wechseln kann für die Gesprächsbeziehung hilfreich sein (ebd.). Als Therapeuten sind wir es gewohnt, die Worte der Patienten empathisch „brummend“ zu begleiten. Meistens läuft diese halbverbale Rückmeldung automatisiert ab. In der Videobehandlung sollte auf die akustische Begleitung und Bestätigung des Gegenübers jedoch verzichtet werden, sobald die Bild- und Sprachqualität nicht absolut perfekt sind. In diesem Fall löst eine akustische Rückmeldung Irritationen aus und stört so den Gesprächsfluss, statt ihn zu fördern. Ist die Bild- und Tonübertragung jedoch perfekt, lohnt es sich, ähnlich wie beim Telefongespräch, mehr verbale und paraverbale Signale zu setzen, um fehlende nonverbale Eindrücke wettzumachen (vgl. hierzu Wenzel et al. 2020). Schweigt Ihr Gegenüber längere Zeit und Sie sind sich nicht sicher, ob dies an einem Übertragungsproblem liegt (und das Bild „eingefroren“ ist) oder ob Ihr Klient sich mit einem inneren Prozess auseinandersetzt, hilft ein einfacher Test: Statt zu fragen, ob er „noch da“ ist (was jeden aus einem inneren Prozess zwangsweise herausbringen muss), ändern Sie leicht, aber deutlich sichtbar Ihre Körperhaltung. Auch in einer Reflexionsphase erfolgt in einem guten Rapport nun meist eine nonverbal spiegelnde Antwort auf Ihre Bewegung hin. Irritationen in der Videokommunikation entstehen ebenfalls, wenn der Klient die Therapeutin zwar sieht, aber nicht erkennen kann, was sie tut. Das ist etwa der Fall, wenn sie am gleichen Bildschirm die Patientenakte geöffnet hat und in ihr liest oder Eintragungen vornimmt. Abhängig von der Bildschirmgröße entsteht nun der Eindruck, der Blick der Therapeutin gehe am Gegenüber vorbei oder sei auf etwas neben oder hinter dem Monitor gerichtet. Sollten Sie mit zwei Monitoren arbeiten, verstärkt dies den Effekt zusätzlich. Für das Gespräch

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bedeutet es, die eigenen Handlungen explizit kommentieren zu müssen: „Sie merken wahrscheinlich, dass ich an Ihnen vorbei sehe…“, “Sie bekommen bestimmt mit, dass ich gerade auf der Tastatur tippe, da ich mir Notizen zu dem mache, was Sie gerade gesagt haben…“. Hierdurch werden Fantasien abgebaut und (mögliche) Anfänge von Beziehungsstörungen entschärft. Vor allem in der Arbeit mit Patienten mit vorbestehenden Suchtdiagnosen sollte nicht gezögert werden, aktiv bzgl. des Konsumverhaltens nachzufragen (vgl. Shore 2013). Die offensive Frage nach einem möglichen Konsum kann mit der Videobehandlung authentisch begründet werden: „Wenn ich Sie bei mir in der Praxis sehe, vertraue ich meinem Urteil und denke, dass ich Ihre Situation gut einschätzen kann. Sehe ich Sie über Video, fühle ich mich weniger kompetent, da ich nur einen Ausschnitt mitbekomme. Bitte nehmen Sie es mir daher nicht übel, wenn ich Sie nun häufiger nach Ihrem Konsumverhalten frage…“. Äußern Patienten plötzlich den Wunsch nach einer Videobehandlung, sollte prinzipiell hinterfragt werden, was die Motive hierfür sind, um nicht etwa einen Rückfall zu übersehen oder ein Vermeidungsverhalten zu unterstützen. Und noch ein Hinweis: In einem Blended-Setting verlaufen Videositzungen meist besser, wenn zuvor eine physisch kopräsente Begegnung stattgefunden hat (Johansson und Andersson 2012). Wenn Sie also die Möglichkeit haben, den Start in einem Blended-Setting selbst zu bestimmen, wählen Sie für die erste Begegnung den Face-to-Face-Kontakt aus. Vor allem bei größeren Teams oder Gruppen gilt: Das Eis bricht hier schneller und einfacher als online. Über das Gespräch selbst zu kommunizieren, ist vor allem in den ersten Videositzungen wichtig. Wie hat der Klient das Gespräch erlebt? Gibt es Optimierungsbedarf? Eine kurze Metakommunikation zum Abschluss der Sitzung bringt oft Erschwernisse zu Tage, die sonst nicht bemerkt worden wären.

6.2.3 Sitzungsabbruch, Notfall und Krise bewältigen Der Routineablauf für einen unerwarteten Gesprächsabbruch, etwa aufgrund technischer Probleme, sollte allen Beteiligten klar sein (Abschn. 5.4.1). Initiiert ein Patient bewusst einen Gesprächsabbruch, sollte er wissen, welche Folgen das hat. Handelt es sich um eine Situation, in der, im Rahmen einer Psychotherapie, von Selbst- oder Fremdgefährdung ausgegangen werden muss, bezieht sich das zum einen auf die unmittelbare Folge eines potenziellen Rettungs- oder Polizeieinsatzes, aber auch auf die Folgen für die weitere therapeutische Beziehung: So wird zu klären sein, ob die Therapie nach einer solchen Krise fortgeführt werden kann und, falls ja, welche Modalität hierfür angemessen ist. u

Umgang mit Selbstgefährdung  Die Regeln für den Umgang mit einer potenziellen Selbstgefährdung sind abhängig von Beruf und Tätigkeit und können etwa abweichen, wenn keine Beschützergarantenstellung

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(wie sie u. a. bei Psychotherapeuten und Ärzten vorliegt) besteht! Es empfiehlt sich, die für die eigene Tätigkeit geltenden Gesetzte sicher zu kennen, um im Notfall unmittelbar rechtssicher handeln zu können!

Liegen keine Hinweise auf eine Gefährdungssituation vor, greifen im Prinzip die gleichen Vorgehensweisen, wie in der Vor-Ort-Sitzung: Beim nächsten Kontakt sollte daher etwa die Funktion des Abbruchs untersucht und in vorhergehende und nachfolgende Bedingungen verhaltensanalytisch eingebettet werden. Ein Onlineabbruch ist leichter zu bewerkstelligen als das Verlassen der Sitzung vor Ort. Patienten mit einer ausgeprägteren Impulsivität unterliegen zuweilen der Verführung, die von einem schnellen Sitzungsabbruch mittels Tastendruck ausgeht. Die Hürde ist hier niedriger als für das Verlassen des Behandlungsraums. Das Gegenteil dieses Verhaltens ist jedoch ebenfalls zu beobachten: Die Möglichkeit des (leichten) Abbruchs ermöglicht ein verbessertes Einlassen auf den therapeutischen Prozess (vgl. Abschn. 6.1.2). Das Fluchtverhalten unter Kontrolle zu bringen ist wesentlich für einen effektiven Videoeinsatz. Eine videospezifische Möglichkeit zum Umgang hiermit ist die Vereinbarung eines Ersatzverhaltens: Wird es dem Patienten zu viel, kann er das Mikrofon und/oder die Kamera ausschalten. Wenn der Patient die Verbindung nicht beendet (also auflegt), sieht der Therapeut, dass der Patient noch immer im Raum ist und versteht dieses Signal als Überforderungsanzeige und kann entsprechend reagieren. Der Patient lernt, auch in einer akuten Überforderungssituation nicht völlig aus dem Kontakt zu gehen. Fühlt er sich bereit, das Gespräch fortzuführen, schaltet er Bild und Ton wieder ein. Wurde diese Vorgehensweise zuvor besprochen, ist sie eine gute Möglichkeit für den Patienten, einen Zwischenschritt hin zu einer angemessenen verbalen Beziehungsgestaltung zu gehen. Der diesen Freiraum gewährende Therapeut, der die Rückkehr ins Gespräch (ebenso wie die Selbstfürsorge) verstärkt, ermöglicht so potenziell eine wesentliche korrigierende Beziehungserfahrung.

6.2.4 Aus der Not eine Tugend machen: Technische Barrieren überwinden Sorgen sich Klienten hinsichtlich der Handhabung der Technik, kann die Videobehandlung während eines Praxisbesuchs eingeübt werden. In getrennten Zimmern sitzend können potenziell auftauchende technische Probleme gemeinsam gelöst werden. Hierzu bringen die Klienten die Endgeräte mit, über die die Videotherapie in der Folge stattfinden soll. Ein häufig auftretendes Problem in Videositzungen ist die Übertragungsverzögerung. Bild und Ton sind hierbei nicht synchron. Oft kommt der Ton zeitversetzt an. Dies wirkt sich negativ auf die Kommunikation aus (s. auch Konradt und Hertel 2009). Liegt die Verzögerung bei unter 1,2 Sekunden, hat sie keine

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messbaren Auswirkungen auf die Qualität des Gesprächs. Überschreitet sie jedoch diesen Wert, erschwert sie die Kommunikation und bewirkt eine Veränderung des Gesprächsverlaufs (Schoenenberg et al. 2014). Entscheidend für diesen Effekt scheint zu sein, dass „divergierende Kommunikations-Realitäten“ (ebd.) bei den Gesprächspartnern entstehen, da getätigte Äußerungen an unterschiedlichen Stellen im Gespräch wahrgenommen werden. Da die Übertragungsproblematik von den Gesprächspartnern jedoch nicht eindeutig als eine solche zu erkennen ist, kommt es zu einer Fehlinterpretation im Gespräch, und getreu dem Fundamentalen Attributionsfehler (vgl. Hewstone und Fincham 1997) wird nicht die Situation, sondern die andere Person für das erschwerte Gespräch verantwortlich erklärt. Dieser wird nicht nur zugeschrieben, weniger aufmerksam, sondern zudem weniger extraviert und gewissenhaft zu sein (Schoenenberg 2016). Handelt es sich um eine leichte Verzögerung, kann man mit dem Patienten eine Geste vereinbaren, die signalisiert, dass man sprechen möchte. Hierzu eignet sich etwa die gehobene Hand. Mit etwas Übung reduziert diese Absprache das wechselseitige Ins-Wort-Fallen und führt zu einem flüssigerem Gesprächsablauf. Auch auf die akustische Begleitung des Gegenübers sollte beim Vorliegen von Übertagungsverzerrungen verzichtet werden (s. auch Abschn. 6.2.2). Ist die visuelle Übertragung ungenügend, kann dies ebenfalls zu Problemen in der Kommunikation führen, da etwa nicht erkannt wird, ob die verbalen und nonverbalen Signale kongruent sind oder auseinanderlaufen. Gibt es weder eine Möglichkeit, die Störungen zu beheben, noch das Gespräch face-to-face fortzuführen, empfiehlt es sich, aus der Not eine Tugend zu machen. Hierzu nutzen Sie die schlechte Übertragung, um explizit nachzufragen und die Bedeutung von verbalen und nonverbalen Eindrücken in den Mittelpunkt zu stellen: • „Ich bin mir nicht sicher, ob Sie eben gelächelt haben, während Sie … erzählt haben.“ • „Ich kann wegen der schlechten Bildqualität nicht erkennen, was das Thema bei Ihnen auslöst. Bitte beschreiben Sie mir Ihr Gefühl möglichst genau.“ • „Ich habe gerade nur einzelne Worte gehört… welche sind besonders wichtig, um xy zu beschreiben?“ Und: Sprechen Sie darüber, was es für eine Bedeutung hat, nur schwer kommunizieren zu können. Welche Gefühle löst es aus, dass der andere mich nicht einfach versteht? Wie gehe ich mit diesen um? Natürlich kann es kein Dauerzustand sein, sich nicht zu verstehen. Wenn es aber gerade keine mögliche Alternative gibt: Machen Sie das Beste daraus. Wackelt das Bild Ihres Gesprächspartners kontinuierlich, liegt das meist an der Verwendung eines Smartphones oder Tablets, das in der Hand gehalten wird. Bitten Sie darum (im Zweifelsfall bis zum nächsten Termin) eine stabile Abstellmöglichkeit zu finden und diese so einzurichten, dass Sie eine durchgängig klare Darstellung von Mimik und Gestik erhalten. Kann Ihr Gegenüber Sie nicht hören und lässt sich das Problem nicht beheben (etwa, indem das richtige Mikrofon in den Einstellungen ausgewählt wird),

Literatur

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können Sie die Videoverbindung aufrechterhalten während Sie ein klassisches Telefonat führen. Achten Sie aber darauf, dass sowohl Sie als auch Ihr Patient das Mikrofon am PC nun ausstellen – sonst kann es zu unangenehmen Hall- und Rückkopplungseffekten kommen. Der häufigste Grund für technische Probleme ist eine schlechte Internetverbindung. Im Gespräch hilft hier oft das Ausschalten der Kamera und die Weiterarbeit mit reiner Audioübertragung. Da der Teilnehmer weiterhin – nun jedoch als „Blackbox“ – angezeigt wird, ist diese Variante in Mehrpersonensettings der Telefoneinwahl vorzuziehen. Obwohl keine Ansicht möglich ist, kann der Teilnehmer weiterhin aktiv mitmachen, indem er sich etwa per Handzeichen meldet, an Abstimmungen teilnimmt, oder Aufgaben am Whiteboard bearbeitet. Versuchen Sie darüber hinaus, von WLAN auf LAN (mit Ethernet-Kabel) zu wechseln – Ihren PC also mit dem Router zu verkabeln. Das kann der Verbindungsqualität nutzen. Und: Schalten Sie mögliche Störquellen wie andere technische Geräte aus.

Mögliche Verursacher technischer Probleme und Abhilfemöglichkeiten

• Browserversion nicht aktuell: Viele Anbieter benötigen die neueste Version des verwendeten Browsers. Update durchführen. • Browser oder Videoanbieter können nicht auf Kamera oder Mikrofon zugreifen: Erlaubnis erteilen. Diese findet sich meist unter „Einstellungen“ oder „Privatsphäre“. • Ton und/oder Video funktionieren nicht: In den Einstellungen (von Gerät und Anbieter) prüfen, ob die richtigen (Zusatz-)Geräte als Überträger von Ton und Bild gewählt sind. • Internetverbindung zu langsam: Speedtest durchführen und alle nicht benötigten Programme schließen

Literatur de Shazer, S. (1989). Der Dreh. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag. DPtV – Deutsche Psychotherapeutenvereinigung. (2020). Umfrage Psychotherapeutische Videositzungen. https://tinyurl.com/dptvvideo2020. Zugegriffen: 27. Juli 2020. Eichenberg, C. (2020). Online-Psychotherapie in Zeiten der Corona-Krise. In R. Bering & C. Eichenberg (Hrsg.), Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Stuttgart: Klett-Cotta. Goetter, E. M., Herbert, J. D., Forman, E. M., Yuen, E. K., Gershkovich, M., Glassman, L. H., et al. (2013). Delivering exposure and ritual prevention for obsessive – Compulsive disorder via videoconference: Clinical considerations and recommendations. Journal of ObsessiveCompulsive and Related Disorders, 2(2), 137–145. Hewstone, M., & Fincham, F. (1997). Attributionstheorie und-forschung: Grundlegende Fragen und Anwendungen. In W. Stroebe, M. Hewstone, & G. M. Stephenson (Hrsg.), Sozialpsychologie (S. 177–217). Berlin: Springer. Johansson, R., & Andersson, G. (2012). Internet-based psychological treatments for depression. Expert Review of Neurotherapeutics, 12(7), 861–869.

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6  Möglichkeiten und Grenzen von Videositzungen

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Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

Inhaltsverzeichnis 7.1 Verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.1.1 Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.1.2 Selbstbeobachtung und Protokollierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.1.3 Aktivitätsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.1.4 Videoexposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 7.1.5 Spiegelexposition per  Video . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 7.1.6 Cue Exposure per Video . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 7.1.7 Modelllernen, Soziale Kompetenz und Systematische Desensibilisierung . . . . 97 7.1.8 Videorollenspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.1.9 Stuhldialoge und Teilearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 7.1.10 Entspannung, Genuss und Achtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 7.2 Systemische Vorgehensweisen und Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 7.2.1 Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 7.2.2 Unfreiwillige Klienten und mangelnde Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 7.2.3 Fehlende Personen und Problemexternalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.2.4 Systemische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.2.5 Narrativer Ansatz und Reflecting Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 7.2.6 Reframing und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7.2.7 Genogramm und Organigramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7.2.8 Skulpturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 7.3 Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7.3.1 Vorbereitung und Vorabinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7.3.2 Allgemeine Hinweise für das Gruppensetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7.3.3 Ankommen, Kennenlernen und Teamentwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.3.4 Themen- und Auftragssammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7.3.5 Zielklärung, Anliegen- und Fallbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.3.6 Feedback und Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.3.7 Ausbildungs- und Lehrsupervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_7

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Wie Sie die Vorteile der Videositzung in konkrete Interventionen umsetzen, erfahren Sie in diesem Kapitel. Den Anfang macht die Verhaltenstherapie (Abschn. 7.1). Welche Möglichkeiten bietet Ihnen das Videosetting unter anderem für Expositionen (Abschn. 7.1.4), Rollenspiele (Abschn. 7.1.8) und euthyme Verfahren (Abschn. 7.1.10)? Auch Stuhldialoge werden dargestellt (Abschn. 7.1.9). Von der Einzelsitzung geht es zum Mehrpersonensetting: Die Umsetzung systemischer Interventionen ist das Thema im nächsten Abschnitt (7.2). Erfahren Sie, wie Sie das digitale Medium nutzen, um Aufträge zu klären (Abschn. 7.2.1), fehlende Personen einzubinden (Abschn. 7.2.3), systemische Fragen zu stellen (Abschn.  7.2.4) oder ein Reflecting Team einzusetzen (Abschn. 7.2.5). Speziell auf Supervisionsprozesse bezogene Interventionen finden Sie im letzten Abschnitt (7.3). Aufgeteilt nach verschiedenen Sitzungsphasen (Abschn.  7.3.1 bis 7.3.4) erhalten Sie Anregungen, die sich besonders gut im Videosetting umsetzen lassen.

Vielleicht ist Ihnen bereits aufgefallen, dass die Vorteile der Videobehandlung meist als Nachteile der Face-to-Face-Behandlung beschrieben werden? Oder anders ausgedrückt: Es gibt meistens einen guten Grund, aus dem die bevorzugte Vor-Ort-Behandlung nicht stattfinden kann und auf die Videobehandlung zurückgegriffen werden muss. Das kann beispielsweise die geografische Entfernung oder auch eine Infektionsgefahr sein. Bislang gibt es kaum Versuche, zu definieren, welche Vorteile der Videobehandlung inhärent sind und warum es Sinn machen könnte, sie zu nutzen, selbst wenn die Face-to-Face-Behandlung möglich wäre. Vor allem um diese Vorteile soll es jetzt gehen.

Rechtliche Hinweise

Alle dargestellten Interventionen sind vor dem Hintergrund der beruflichen Profession mit den jeweiligen rechtlichen Vorgaben zu prüfen. Während in der psychotherapeutischen Videosprechstunde (vgl. Anlage 31b Bundesmantelvertrag-Ärzte, BMV-Ä) einige der geschilderten Vorgehensweisen derzeit ausgeschlossen sind (z. B. Aufzeichnungen anfertigen oder Videositzungen außerhalb geschlossener Räume durchführen, § 3 der Anlage 31b BMV-Ä), sind andere Interventionen, auch aufgrund der Neuheit der Videobehandlung, noch weitgehend ungeklärt. Hierzu gehört auch die Frage, ob eine „mobile“ Behandlung wie die Exposition als „Videosprechstunde“ im definierten Sinn verstanden werden kann. Hier bleiben die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Für Therapeuten, die auf der Basis des Heilpraktikergesetzes ihren Beruf ausüben, Privatpatienten behandeln, angestellt tätig sind oder mit Selbstzahlern arbeiten, können wiederum andere Regelungen greifen. Der Anwender tut also gut daran, zum einen die bindenden rechtlichen Vor-

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gaben zu prüfen und zum anderen eine Abwägung im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten zu treffen. Für niedergelassene Psychotherapeuten sind unter anderem die (Muster-)Berufsordnung, die Psychotherapie-Vereinbarung (§ 17 zu Videokonferenzen, Anlage 1 zum BMV-Ä) und die Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde (Anlage 31b zum BMV-Ä) von wesentlicher Bedeutung. Hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten sind insbesondere die Vorschriften wichtig, die sich aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie aus dem Fünften und Zehnten Sozialgesetzbuch (SGB V und SGB X) ergeben. Obwohl kurze Erklärungen den meisten Interventionen vorangestellt sind, versucht dieses Buch nicht, die Anwendung der Technik selbst zu lehren. Lediglich ihre mögliche Adaption im Videosetting wird dargestellt. Für die verantwortungsbewusste Anwendung ist in der Regel neben der beherrschten Technik das Verständnis des übergeordneten Therapiemodells und -rationals von entscheidender Bedeutung.

7.1 Verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und Interventionen Natürlich finden die im Folgenden dargestellten Interventionen weder ausschließlich in der Verhaltenstherapie statt, noch erheben sie einen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie finden jedoch alle zumindest auch oder vorwiegend in einem kognitiv-behavioralen Umfeld Anwendung, sodass der Titel als gemeinsamer Nenner passend erscheint. Ihre Gemeinsamkeit besteht vor allem darin, dass ihre für das Videosetting modifizierte Anwendung besondere Vorteile mit sich bringt.

7.1.1 Psychoedukation Vermitteln Sie Informationen, sofern Ihre Anwendung das erlaubt, am besten über den geteilten Bildschirm. Wenn Sie eine Präsentation zeigen, kann Ihr Patient diese verfolgen und Sie gleichzeitig sehen, während Sie zusätzliche Informationen geben und seine Fragen beantworten. Natürlich können Sie auch andere Materialien, die Sie sonst nutzen, mittels des geteilten Bildschirms zeigen. Können Sie die Unterlagen nicht mit Ihrem Patienten teilen, bearbeiten Sie sie am besten parallel. Hierzu können Sie ihm die entsprechenden Unterlagen vorab per E-Mail zusenden. Das bedeutet für Sie jedoch einen zusätzlichen Aufwand. Einfacher ist es, Sie richten auf Ihrer Webpräsenz einen Downloadbereich ein und der Patient organisiert sich hier eigenständig die benötigten Informationen (s. Abschn. 4.3.2). Auch die Zusendung eines Links per Chatfunktion, der direkt zum

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Material führt, ist effizient. Papiere in die Kamera zu halten ist zwar möglich, aber umständlich und wenig komfortabel. Verzichten Sie also besser hierauf. Vermitteln Sie Informationen nicht frei, sondern orientieren sich z. B. an einer vor Ihnen liegenden Zusammenstellung, ist es sinnvoll, dies dem Patienten mitzuteilen. Befindet sich Ihre Vorlage nicht auf dem gleichen Monitor, sehen Sie zwangsweise an Ihrem Gesprächspartner vorbei oder nach unten, was von diesem bemerkt wird. Da er jedoch nicht sehen kann, was Sie ansehen, klärt die kurze Information hierüber die Situation und entspannt das Gespräch. u

Whiteboard nutzen  Verwenden Sie das Whiteboard wie eine echte Tafel. Es erlaubt Ihrem Patienten, selbst aktiv zu werden und sich an der Informationsvermittlung direkt zu beteiligen. Das ist z. B. nützlich, um individuelle Angstkreisläufe aufzumalen, Kurvenverläufe bei Expositionen vorwegzunehmen oder auch gemeinsam Verhaltensanalysen zu erstellen.

7.1.2 Selbstbeobachtung und Protokollierung Während sich an der Selbstbeobachtungs- oder Protokollierungsaufgabe inhaltlich in einer Videobehandlung in der Regel nichts ändert, kann die Ergebnispräsentation und -bearbeitung vereinfacht werden. In der Vor-Ort-Situation liegt oft ein handschriftliches Protokoll auf dem Tisch und Therapeut und Patient bemühen sich gemeinsam um das Entziffern. Auch das Mehrspaltenprotokoll, das auf Flipchart oder Whiteboard übertragen wird, ist nicht selten. Nutzen Sie in der Videobehandlung die Möglichkeit, sich die Protokolle direkt über den Bildschirm anzeigen zu lassen. So ist eine unmittelbare gemeinsame Bearbeitung möglich und es wird keine Therapiezeit für Entzifferung und Übertragung benötigt. Die Erfassung der zu beobachtenden Verhaltensweisen oder Kognitionen kann mittels hierfür entwickelter Anwendungen erfolgen (vgl. Abschn. 4.3.3), auch die Erfassung in einem gängigen Schreib- oder Notizprogramm ist jedoch möglich.

7.1.3 Aktivitätsaufbau Eine Möglichkeit, zum Aktivitätsaufbau zu motivieren, ist es, die Sitzungen am Zielort der geplanten Aktivität stattfinden zu lassen. Aufgrund des Gebots, dass Sitzungen in der psychotherapeutischen Regelversorgung nur in geschlossenen Räumen stattfinden dürfen (vgl. rechtliche Hinweise zu Beginn des Kapitels), ist es hier derzeit leider nicht möglich, sich mit dem Patienten zu treffen, der z. B. gerade einen Spaziergang macht oder an seiner Lieblingsbank im Park angekommen ist. Möglich ist aber etwa die Sitzung am Freitag, die bereits im Ferienhaus stattfindet oder die Sitzung im eigenen Zimmer des Studentenwohnheims, das trotz der Antriebsprobleme aufgesucht wurde. Unterstützend lassen sich für den Aktivitätsaufbau Tages- und Wochenpläne einsetzen. Sind

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diese im Onlinekalender oder in Apps integriert, kann die Erinnerungsfunktion zur Umsetzung von Vorhaben motivieren (vgl. auch Abschn. 4.3.3). Auch die Kombination des Aktivitätsaufbaus mit Kurz- und Mikrositzungen ist oft hilfreich, um die Motivation zu fördern (vgl. Abschn. 6.1.5).

7.1.4 Videoexposition In der Exposition sollen mittels der Konfrontation mit angstauslösenden Reizen Vermeidungsverhalten sowie kognitive, emotionale und physiologische Reaktionen reduziert bzw. verändert werden (Hand 2015). Die Exposition kann in Gedanken (in-sensu) oder in der gefürchteten Situation (bzw. mit dem gefürchteten Objekt) selbst stattfinden (in-vivo). Vom Therapeuten begleitete Expositionen sind in der Regel effektiver als allein durch den Patienten durchgeführte Übungen (vgl. für Zwangsstörungen z. B. Abramowitz 1996). Wahrscheinlich haben auch Sie daher schon oft den Satz gehört: „Verhaltenstherapie findet draußen statt.“ Nur: Übungen außerhalb der Praxis sind nicht so einfach umzusetzen. Neben der zeitlichen Gebundenheit der Stunden (und der Notwendigkeit der Versorgung der übrigen Patienten) ist es oft schlicht nicht machbar, bei den Übungen dabei zu sein, da das Expositionsziel geografisch oder zeitlich nicht erreichbar ist. Das ist vor allem auf dem Land ein Problem, wenn sowohl der nächste Autobahnanschluss als auch die S-Bahn-Station eine halbe Stunde entfernt sind. Besteht keine Möglichkeit, gemeinsam zu üben, versucht man in der Regel, den Patienten zum eigenständigen Üben zu motivieren. Die Video- oder Audiobegleitung kann hier eine Brücke schlagen. Mittels Videobehandlung können die Patienten uns vor Ort mitnehmen und unmittelbar Anweisungen für die Exposition erhalten (vgl. rechtliche Hinweise zur Einführung des Kapitels). Praktisch zu beachten sind hierbei zwei Punkte: Oft befinden sich die Expositionsziele außerhalb der WLAN-Versorgung, sodass schnell große Datenmengen verbraucht werden und zudem ist die Bildqualität oft sehr bescheiden, wenn der Patient das Smartphone beim Laufen in der Hand hält. Beide Probleme lassen sich durch ein Umsteigen auf eine reine Audioübertragung lösen. Je nach Situation kann das Video zugeschaltet werden, z. B. wenn die Angst einen kritischen Punkt erreicht oder der Patient über einen Abbruch der Übung nachdenkt. Die restliche Zeit ist eine Begleitung per Audioverbindung möglich. Ein großer Vorteil dieser Form der Exposition ist, dass die Sitzung beginnen kann, wenn die Angst beginnt. Der Patient richtet seine eigene Anreise entsprechend der vereinbarten Therapiezeit so ein, dass er zu Stundenbeginn die vorbesprochene Übung starten kann. Abhängig vom Thema starten wir die Stunde so im Aufzug, am Flughafen, auf der Hängebrücke oder in der Fußgängerzone. Findet die Exposition an Orten statt, an denen auch andere Personen anwesend sind und potenziell mithören können, sollte der Patient ein Headset tragen, um eine möglichst hohe Anonymität sicherzustellen. Die Privatsphärenproblematik

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unterscheidet sich jedoch nicht von der therapeutisch begleiteten Vor-Ort-Übung: Auch hier sind andere Personen in der Nähe, wenn wir mit den Patienten üben und wir müssen uns überlegen, was das für Vorbereitung und Übung für Konsequenzen mit sich bringt. Tatsächlich ist die Video- oder Audiobegleitung diskreter und besser für den Patienten steuerbar. Unabhängig von der Therapeutin kann er sich entscheiden, ob er den Dialog kurz aussetzen möchte, weil z. B. Personen in unmittelbarer Nähe sind. Gerade in kleineren Orten ist es für Patienten oft unangenehm, mit der Therapeutin unterwegs zu sein. Da diese bekannt ist, ist meist klar, was es bedeutet, mit ihr gesehen zu werden. u

Signalwort für Privatsphäre  Abhängig vom verwendeten Programm kann für Situationen, in denen der Patient nicht antworten kann, weil z. B. Personen in der Nähe sind, ein Signalwort oder ein Icon verabredet werden, wenn das Gespräch kurz aus diesem Grund unterbrochen werden soll. Die Therapeutin wartet nach Nennung bzw. Sichtung des Signals, bis der Patient von sich aus wieder in Kontakt geht. Kritisch zu prüfen, vor allem wenn diese Möglichkeit oft genutzt wird, ist immer, ob es sich um eine Form der Vermeidung handelt, die eine kurze Auszeit von der Übung erlaubt.

Ein weiteres Problem der physisch begleiteten Expositionen ist die beruhigende Wirkung, die man selbst auf die Patienten ausübt. „Wenn Sie dabei sind, muss ich ja keine Tablette mitnehmen“, antwortete eine Patientin kurz vor der Exposition als ich sie nach der Anwesenheit von Sicherheitssignalen befragte. Dieses Dilemma umgehen Sie mit der Videoexposition. Durch die fehlende Anwesenheit des Therapeuten vor Ort steigt die Angst im Regelfall von Beginn an stärker an als bei begleiteten Übungen. Zudem bietet die Möglichkeit, die Verbindung auf Audio umzustellen oder ganz zu unterbrechen, eine höhere Steuerungsmöglichkeit als die Face-to-Face-Übung. Die Kommunikation findet dort statt, wo der Patient die relevante Erfahrung macht. Im Unterschied zur begleiteten Exposition ist der Patient jedoch physisch allein unterwegs und kann seine Erfolge so weniger auf den begleitenden Therapeuten attribuieren („Das hat ja nur funktioniert, weil Sie dabei waren.“). u Stundenaufteilung  Machen Sie mittels Videoexposition mehr aus einer Sitzung. Bei Patienten, die mit der Exposition vertraut sind und keine Vor-Ort- oder Videobegleitung mehr benötigen, können Sitzungen nach diesem Muster durchgeführt werden: • Erste Stundenhälfte: Planung der Exposition, Klärung von Fragen (25 min) • Patient übt allein (nach Absprache meist zwischen 60 und 240 min) • Zweite Stundenhälfte: Rückmeldung, Auswertung, Planung der nächsten Stunde (25 min)

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Der Vorteil der Stundenaufteilung liegt auf der Hand: Die Motivation des Patienten steigt, da es eine unmittelbar nachfolgende Rückmeldemöglichkeit gibt. Die Qualität der Auswertung verbessert sich, da das Ergebnis gerade erst erzielt wurde und die evozierten Kognitionen noch greifbar sind. Auch Ihr lobendes Feedback ist wertvoller, da es nun direkt erfolgt und nicht erst Tage oder gar Wochen später. Auch hier soll der Hinweis nicht fehlen, dass es durchaus Expositionsanlässe gibt, bei denen die therapeutische Begleitung essenziell für den Erfolg ist. Manchmal geht es um die erlebte Unterstützung und schlicht darum, die korrigierende (Beziehungs-)Erfahrung zu ermöglichen, dass der Patient es wert ist, den Aufwand für eine Exposition zu betreiben. Und dann gibt es die Patienten, die sich jedem Übungsversuch allein standhaft entziehen – ob videobegleitet oder nicht. Auch hier bahnt erst das gemeinsame Üben darauf aufbauende Folgeschritte. In vielen Fällen verzögert die Begleitung jedoch Habituation und kognitive Neubewertung und stellt so selbst eine Unterstützung für Vermeidung dar. In diesen Fällen ist die Videoexposition eine zielführende Möglichkeit. Virtuelle (VR) und augmentierte Realität (AR) in der Expositionsbehandlung Digital erzeugte Realitäten ersetzen oder erweitern den realen Raum bei der Nutzung von VR- bzw. AR-Anwendungen. Der Patient erlebt eine definierte Situation mit mehreren Sinnen (visuell, akustisch, taktil) und hat meist die Möglichkeit, mit dieser in Interaktion zu treten. Die virtuelle Realität lässt sich hierbei als Zwischenschritt von der Vorstellung zum Erleben verstehen (Eichenberg und Kühne 2014). Sie steht somit zwischen der Exposition in-vivo und der Exposition in-sensu. In mehreren Studien zu Phobien (etwa Flugangst, Tortella-Felliu et al. 2011) erwies sich die VR-Behandlung als wirksam. Während VR-Behandlungen in der ambulanten Praxis bislang kaum durchführbar sind, gibt es mittlerweile einen großen Markt an frei verfügbaren AR-Anwendungen, die von den Patienten z. B. therapieergänzend eingesetzt werden können. Studien wurden bislang unter anderem durchgeführt zur Exposition mit Höhenängsten (VR, Kuntze et al. 2003), Spinnen (AR, Juan et al. 2005) und auch Kakerlaken (AR, Botella et al. 2005). Auch das Erleben einer Panikattacke wurde bereits erfolgreich in einem VR-Setting induziert (Quero et al. 2014). Am Beispiel der VR-Technologie kann der Einsatz digitaler Technologien zum Abbau von Schwellenängsten demonstriert werden. Während 27 % der Probanden eine Exposition unter realen Bedingungen ablehnten, waren dies nur 3 % bei einer VR-Exposition (Garcia-Palacios et al. 2007). Der Schritt in die reale Konfrontation muss auch hier erfolgen – er wird aber durch den Technologieeinsatz gebahnt oder überhaupt erst ermöglicht.

Die Wirksamkeit der Videobehandlung in der Anwendung von In-SensuExpositionen wurde bislang vor allem hinsichtlich der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) untersucht. Die Studien kommen übereinstimmend zu der Erkenntnis, dass die Exposition (meist wurde die verlängerte „prolongierte“ Exposition untersucht) via Video der Exposition im Face-to-Face-Setting nicht unterlegen ist (vgl. z. B. Yuen et al. 2015; Acierno 2017). Sollen Audioaufnahmen der Konfrontation durch den Patienten wiederholt angehört werden, kann entweder die Sitzung mitgeschnitten oder parallel seitens des Patienten eine Audioaufnahme erstellt werden (vgl. rechtliche Hinweise zu Beginn des Kapitels und zum Aufnahmeverbot Abschn. 5.3.3).

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7.1.5 Spiegelexposition per Video Neben dem gestörten Essverhalten selbst ist die negative oder auch verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körperbildes eines der Hauptsymptome von Essstörungen wie Anorexia und Bulimia nervosa. Auch bei der Binge Eating Störung ist die negative Eigenwahrnehmung des Körpers oft von Bedeutung. Obwohl der Körper und dessen negative Wahrnehmung meist eine prominente Rolle im Denken der Patienten einnehmen, vermeiden sie oft die tatsächliche Auseinandersetzung mit ihm. Vor allem der Blick in den Spiegel löst negative Gefühle aus und wird daher umgangen. Die Figurkonfrontation ist ein effektives Verfahren zur Behandlung von Essstörungen, wird jedoch in der Praxis nur selten angewendet (Behrens et al. 2019). In der Spiegelexposition werden die Patienten gebeten, ihren eigenen Körper im Spiegel zu betrachten und detailliert zu beschreiben. Hierbei können einzelne Körperteile in den Fokus genommen, oder es kann gestuft entsprechend der Ablehnung einzelner Bereiche vorgegangen werden. Die Videobehandlung erleichtert die Spiegelexposition aus mehreren Gründen: Patienten schämen sich oft massiv für ihren Körper und müssen sich in der Übung nicht nur mit ihm, sondern auch mit dem Therapeuten auseinandersetzen, der die Übung begleitet. Die Videobehandlung gewährt hier einen Schutzraum, da der Spiegel so positioniert werden kann, dass der Therapeut nicht sieht, was der Patient sieht. Vor allem wenn es um intime Körperbereiche geht, ist auch die Abgrenzung des Patienten ein wichtiges Thema und es muss sorgfältig erwogen werden, bis zu welchem Punkt er bei der Figurkonfrontation begleitet werden kann. In der Videobehandlung bietet es sich an, den Patienten mit ausgeschalteter Kamera zu begleiten. Der Therapeut ist dabei, kann zur Exposition motivieren, Fragen stellen und sich mit den problematischen körperbezogenen Kognitionen seines Patienten auseinandersetzen. Er sieht ihn hierbei jedoch nicht und lässt ihm so seinen Privatbereich. Ein weiterer Vorteil besteht in der ausbleibenden Rückversicherungsmöglichkeit des Patienten. Oft nutzen diese die Figurkonfrontation zur kurzfristigen Reduktion aversiven Erlebens („Gucken Sie mal… finden Sie wirklich nicht, dass… unmöglich aussieht?“).

7.1.6 Cue Exposure per Video Obwohl auch Cue Exposure eine Form von Exposition ist, dient sie nicht dem Abbau von Vermeidungsverhalten, sondern der Änderung eines (pathologischen) Annäherungs- bzw. Konsumverhaltens, wie es vor allem bei Störungen mit Suchtcharakter vorkommt. Patienten werden hierbei mit den Reizen konfrontiert, die bei ihnen Verlangen nach Konsum auslösen. Die Konfrontation soll zur Löschung des Suchtverhaltens führen und die Wahrscheinlichkeit für dessen Ausübung senken (Lörch 2015). In der ambulanten therapeutischen Realität ist die Intervention oft schwer umzusetzen, da neben der nötigen Zeit auch der entsprechende Stoff vorhanden sein muss, um die Übung auszuführen. Ein vorbereitetes Cue Exposure

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setzt voraus, dass der Patient das Suchtmittel mit in die Sitzung bringt. Oft ist das Verhalten schambesetzt und das Mitbringen wird „vergessen“. Das größere Problem ist jedoch das fremde Setting des Therapieraums, in dem die Exposition stattfinden soll. Durch die veränderte Reizkonstellation fällt es den Patienten oft schwer, die Kognitionen und Emotionen zu generieren, die in der natürlichen Situation auftreten. Ebenfalls problematisch ist, dass viele Cues nicht oder nur schwer in der Therapiesituation erzeugt werden können. Vor allem bei nicht-stoffgebundenen Süchten bereitet es regelmäßig Schwierigkeiten, den PC oder die Spielekonsole mitzubringen. Zudem sind die Reizkonstellationen komplex und oft ist dem Patienten selbst nicht klar, was alles nötig ist, um ein bestimmtes Verhaltensmuster auszulösen. Beim Video-Cue-Exposure geschieht jedoch genau das: Sie bitten den Patienten an den Ort zu gehen, an dem er das Problemverhalten üblicherweise ausübt. Dort gestaltet er die Situation möglichst exakt nach. Achten Sie darauf, gezielt nach allen Modalitäten zu fragen: Passt die Beleuchtung? Der akustische und optische Hintergrund? Wo genau befindet sich der Cue? An welcher Stelle und in welcher Haltung befindet sich der Patient üblicherweise, wenn das Verhalten ausgelöst wird? Wenn Sie die Möglichkeit haben, planen Sie auch die Uhrzeit entsprechend ein.

7.1.7 Modelllernen, Soziale Kompetenz und Systematische Desensibilisierung Auch Modelllernen funktioniert im Videosetting. Wie in der Übung vor Ort demonstriert die Therapeutin angstbesetztes Verhalten, auf das die vermutete negative Konsequenz ausbleibt, um so Hemmungen abzubauen und Reaktionen zu verändern. Der angstfreie Umgang mit phobischen Objekten kann z. B. erfolgen, indem Patient und Therapeut eine Absprache hinsichtlich der Übungsobjekte treffen und diese beide zur Sitzung mitbringen. Das trifft auf den Umgang mit Spinnen ebenso zu, wie auf den Umgang mit als gefährlich eingeschätzten Gegenständen, z. B. im Rahmen einer Zwangsstörung. Da nicht nur der Patient, sondern auch die Therapeutin beweglich ist, können sich auch beide an den Ort begeben, an dem die Lerneinheit stattfinden soll. Modelllernen sollte möglichst in einer Umgebung stattfinden, die der Alltagssituation nah ist (vgl. Perry 2015). In der Videotherapie lässt sich diese Empfehlung optimal umsetzen. Fallbeispiel: Toilettensitzung

Eine Patientin mit Kontaminationsängsten brach zwei Konfrontationsversuche vor Ort noch vor Beginn ab: Die Vorstellung, eine komplette Therapiesitzung im Badezimmer sitzend zu verbringen, erlebte sie als überfordernd. Auch ein Hausbesuch von mir in ihrer Wohnung kam aufgrund deren keimfreien Zustands nicht infrage. Bereits der Aufenthalt im eigenen Badezimmer war eine große Herausforderung und nahm eine umfangreiche Vor- und Nachbereitung in Anspruch. Mit der Patientin wurde ein hierarchisches ­Vorgehen

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vereinbart: Die erste Sitzung verbrachte sie „sicher“ zu Hause in ihrem Arbeitszimmer und beobachtete währenddessen mich im Toilettenraum der Praxis sitzend. Während der Sitzung lehnte ich an der Wand, fasste wiederholt die Armaturen und die Toilettenschüssel an und demonstrierte ein adäquates Hygieneverhalten. In der zweiten Sitzung trafen wir uns wieder per Video zu einer Toilettensitzung: Dieses Mal saß die Patientin in ihrem und ich wiederum in meinem Toilettenraum. Erst in der dritten Sitzung folgte die eigentliche Exposition mit Reaktionsverhinderung: Die Patientin in ihrem Bad und ich in meinem Arbeitszimmer. Zur vierten Stunde verlegten wir die Exposition in die Praxis, bevor ich schließlich ihre Wohnung besuchte. ◄ Die Systematische Desensibilisierung (Hemmung der Angstreaktion durch Anwendung von Entspannung in ansteigenden Schwierigkeitsgraden) kann durch das Videosetting erleichtert werden. Die In-Sensu-Desensibilisierung läuft analog dem Vorgehen im Face-to-Face-Setting ab. Die Ausgestaltung der Angsthierarchie ist jedoch leichter, weil Bilder auf dem Monitor eingeblendet werden können, die die Auslösung von Angst unterstützen oder Objekte in die Sitzung mitgebracht werden können, ohne sie jedes Mal tatsächlich in die Praxis tragen zu müssen. Auch die Demonstration sozialer Fertigkeiten ist möglich. Werden hierzu Videos eingesetzt, ist eine effektive Vorgehensweise, die Videos über den geteilten Bildschirm anzusehen und parallel zum Video die Mimik des Patienten zu studieren. Diese bietet oft ein unmittelbares Feedback und zeigt an, welche Szenen besonders wichtig sind und daher wiederholt betrachtet werden sollten. Eine Möglichkeit, einen unmittelbaren Eindruck von Übungen zu gewinnen oder bestimmte Verhaltensweisen intensiv zu trainieren, ist die Videobegleitung des Klienten, z. B. bei Verhaltensproben im Rahmen sozialer Kompetenztrainings, aber auch in Coachings, die z. B. ein selbstsicheres Auftreten vermitteln. Der Klient lässt hierzu die Übertragung eingeschaltet, während er seine Aufgaben ausführt. So erhält man einen unmittelbaren Audioeindruck. Zusätzlich kann unmittelbares Feedback gegeben werden, wenn der Klient einen Kopfhörer (am besten drahtlos) im Ohr trägt. Auch Verhaltenskorrekturen können unmittelbar empfohlen, erprobt und in ihrer Wirkung gemeinsam analysiert werden. Dieses Vorgehen ist mit physischem Kontakt gut kombinierbar: Der Klient geht allein in die Situation und löst sie so, wie es auch in der Zukunft geschehen soll (ohne dass jemand mitläuft, danebensteht und interessiert zusieht). Wie auch bei Rollenspielen oder der Auswertung von Verhaltensproben ohne Begleitung gilt, dass Rückmeldungen angemessen gegeben, die Interferenzen, die durch die Begleitung selbst entstehen, berücksichtigt und auch immer die Interessen anderer, meist unwissentlich an der Übung beteiligter Personen, geprüft werden müssen (sowie, Sie wissen es schon, im Rahmen einer Tätigkeit im Geltungsbereich des BMV-Ä, die rechtliche Situation geprüft werden muss, s. Einführung des Kapitels).

7.1  Verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und Interventionen

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Fallbeispiel: Spaghettitraining

Eine Patientin mit sozialen Ängsten, die sich vor allem auf das Essen vor anderen Personen bezogen, kochte sich das gefürchtetste Essen für die Therapiesitzung: Spaghetti mit Tomatensauce. Während der Videositzung wendete sie die vermittelten Bewältigungsstrategien an und setzte sich bewusst mit den Erfahrungen auseinander, die durch die Beobachtung in dieser Situation ausgelöst wurden. ◄

7.1.8 Videorollenspiele Rollenspiele sind besonders effektiv, wenn sie aufgenommen und im Anschluss gemeinsam ausgewertet werden. Dieses Vorgehen hat jedoch mehrere Nachteile: Neben der Zeit, die es braucht, um die Technik einzurichten, wehren sich Patienten oft gegen den Einsatz der Kamera. Auch wenn diese im Stundenverlauf oft vergessen wird, übt sie doch einen Einfluss auf die Performance aus. Auch die Therapeutin ändert oft die Interaktion ab dem Zeitpunkt, ab dem die Kamera läuft. Im Videorollenspiel sieht die Patientin nicht nur die Therapeutin, sondern kontinuierlich ebenfalls sich selbst. Erlaubt der Anbieter es, bitte ich die Patienten während des Rollenspiels mein Bild kleiner zu ziehen und das eigene dafür größer. Nonverbale Signale sind so direkt während des Rollenspiels sicht- und korrigierbar. Auch in der Supervision ist das unmittelbare Eigenfeedback während des Spiels eine große Hilfe. Supervisanden erkennen problematische mimische Reaktionen auf ein gespieltes Patientenverhalten hin direkt in der Situation und testen Änderungen und deren Auswirkungen unmittelbar. Im Vergleich zur nachträglichen Videoansicht und der Korrektur im erneuten Spiel eine enorme Verbesserung! Ein weiterer großer Vorteil ist es, das Rollenspiel aufzuzeichnen (vgl. rechtliche Hinweise zu Beginn des Kapitels und zum Aufnahmeverbot, Abschn. 5.3.3). Viele Anbieter erlauben das Aufzeichnen aus der Software heraus. Hierfür muss keine gesonderte Technik eingesetzt werden, das Setting ändert sich nicht – hierdurch fällt der Wechsel in das Rollenspiel leichter. Mit den Aufnahmen selbst muss mit der gleichen Sorgfalt umgegangen werden, wie mit denen, die während der Vor-Ort-Sitzung entstehen. Wenn Ihr Anbieter keine integrierte Aufzeichnungsmöglichkeit bietet, verwenden Sie eine Screenrecording-Software bzw. den vom Betriebssystem bereitgestellten Screenrecorder. Achten Sie auch hier unbedingt auf den Datenschutz: Sie möchten nicht, dass Ihre Videos auf Servern, evtl. im Ausland stehend, gespeichert werden! Versichern Sie sich also, dass die Aufnahme auf Ihr Gerät -und nur dorthin – ihren Weg findet! Patienten haben oft Schwierigkeiten, in das Rollenspiel zu finden, weil der Therapeut gedanklich nur schwer den eigentlichen Interaktionspartner ersetzen kann. Auch kann es zu Problemen kommen, wenn der Therapeut dem Patienten

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

aggressive Verhaltensweisen zeigt und ihn mit diesen überfordert oder gar tatsächliche Aggressionen auslöst. Warschburger wies bereits 2009 darauf hin, dass eine Möglichkeit, das Videosetting effektiv zu nutzen, darin bestehe, dass die Therapeutin die Bildfunktion aktiviert, die Patientin jedoch nur die Audiofunktion. Diese Idee kann für Rollenspiele umgekehrt werden: Die Patientin sieht die Therapeutin nicht, wird aber von dieser gesehen und kann so auch hinsichtlich ihrer nonverbalen Signale eine Rückmeldung erhalten. Statt des Bildes der Therapeutin kann nun ein Foto des tatsächlichen Interaktionspartners als Fotodatei aufgerufen und angespielt werden. Natürlich ist auch das Aufkleben eines Fotos auf den Bildschirm möglich. Bestehen soziale Ängste, die das Sprechen vor größeren Gruppen betreffen, kann ein Video laufen gelassen werden, das eine Menge zeigt, die zur Patientin blickt.

7.1.9 Stuhldialoge und Teilearbeit Verschiedene Anteile zu definieren, kann nützlich sein, um zu neuen Lösungsmöglichkeiten zu gelangen und „zementierende“ Beschreibungen zu lösen. Durch die Aufsplittung in verschiedene Anteile können Klienten erkennen, dass sie nicht vollständig schwach (krank, schlecht, depressiv, verlogen…) sind, sondern noch viele weitere Facetten aufweisen. Je nach theoretischem Bezugsmodell kann nun vom „inneren Team“ (vgl. Schultz von Thun 2013), der „inneren Familienkonferenz“ (Simon et al. 2004) oder auch den Modi in der Schematherapie (vgl. Roediger 2013) die Sprache sein. Die einzelnen Teile können in ihren Funktionen für den Klienten erfragt und verstanden werden. Oft macht es Sinn, ihnen Namen zu geben. Kreative Klienten können sie zudem malen oder modellieren. Auch Accessoires können für die Kenntlichmachung von inneren Anteilen gut geeignet sein (ein Hammer für einen inneren Richter, ein Schal vor dem Gesicht für die Vermeidung…). Stuhldialoge können mit nur einer Kamera durchgeführt werden, wenn der Winkel entsprechend weit ist und die Ansicht der verschiedenen Stühle erlaubt. Meist benötigt der Klient hierfür jedoch ein kabelloses Headset, da die Lautstärke bei der Einnahme der entfernteren Stühle nicht ausreicht. Alternativ ist die Arbeit mit einem Smartphone oder Tablet möglich, das von Stuhl zu Stuhl getragen wird. Das Bild wackelt zwar, aber der Patient ist in Bewegung. Zu bevorzugen ist die Arbeit mit zwei Kameras, die jeweils auf verschiedene Stühle ausgerichtet werden. Hierzu kann der Klient sich mehrfach in die Videokonferenz einwählen (z. B. einmal per Computer und einmal per Smartphone). Die bewegliche Kamera kann dann auch für mehrere Stühle genutzt werden und muss lediglich anders positioniert werden. Natürlich kann auch der Therapeut mehrere Kameras nutzen, um den Patienten im Stuhldialog zu begleiten. Der Erfahrung nach macht dies jedoch keinen wesentlichen Unterschied, wenn Stimme und Ansprache verdeutlichen, welcher Modus/Anteil mit welcher Absicht gerade fokussiert wird (z. B. Nutzung des „Du“ für die Kind-Modi, das „Ihr“ für die Eltern-Modi in der Schematherapie). Roediger (2013) betont die Wichtigkeit des gemeinsamen Auf-

7.1  Verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen und Interventionen

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stehens, wenn die Perspektive des „gesunden Erwachsenen“ eingenommen wird. Neben dem Blick von oben herab, der die Beobachterperspektive begünstigt, fördert das gemeinsame Aufstehen das Teamgefühl mit dem Therapeuten und sorgt durch die äußerlich mögliche freiere Bewegung auch für eine innerlich erhöhte Beweglichkeit (ebd.). Das gemeinsame Aufstehen sollten Sie auch in der Videositzung praktizieren. Treten Sie hierfür von der Kamera weg und senken Sie den Monitor etwas ab. So entsteht tatsächlich der Eindruck, von oben herab auf etwas zu schauen. Wenn Sie nun Ihren Patienten bitten, die Kamera so auszurichten oder zu halten, dass die Anordnung der Stühle von oben gezeigt wird, haben Sie eine echte Vogelperspektive geschaffen! u Erlebnisaktivierung und Technikeinsatz Stuhldialoge sollen vor allem erlebnisaktivierend sein. Ist der Klient jedoch überwiegend damit beschäftigt, Kameras und Stühle so auszurichten, dass der Therapeut ihn sehen kann oder Richtung Mikrofon zu schreien, weil er sonst nicht hörbar ist, kommt es nicht zum emotionalen Erleben der verschiedenen Anteile. Es empfiehlt sich daher, die Technik mit Zeit so zu installieren, dass sie aufwandsarm in den Folgesitzungen reaktiviert werden kann. Hierzu können Markierungen auf dem Boden helfen aber auch technische Hilfsmittel, wie Abstellmöglichkeiten für Smartphone oder Tablet. Bevor Sie mit dem Stuhldialog starten, testen Sie Ton- und Bildqualität auf jedem einzelnen Stuhl.

7.1.10 Entspannung, Genuss und Achtsamkeit Entspannung Bitten Sie den Patienten für die Durchführung von Entspannungsübungen den Ort zu wechseln. Wenn möglich, sucht er den Ort auf, an dem die häuslichen Übungen tatsächlich stattfinden, wenn er allein ist. Dieser Ortswechsel hat mehrere Vorteile: Wenn Sie die Übung anleiten, ändern Sie Ihre therapeutische Haltung. Vor allem, wenn es sich um ein suggestives Verfahren wie etwa das Autogene Training handelt. Sie sprechen mit einer beruhigenden Schonstimme und senken die Kritikfähigkeit des Patienten. Der Ortswechsel hilft der Rollenklarheit und unterstützt die Unterscheidbarkeit der therapeutischen Gesprächssituation von der Entspannung fordernden Übungssituation. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Sie die Übungshaltung dort korrigieren können, wo die tatsächliche Übung stattfindet. Auch Übungserschwernisse können gemeinsam analysiert und direkt bearbeitet werden. So können z. B. Konzentrationshilfen zur Verfügung gestellt oder Indifferenzformeln für tickende Uhren oder hörbaren Straßenlärm entwickelt werden. Natürlich kann man auch gemeinsam auf die Suche nach einem passenden Übungsplatz gehen. Zu prüfen sind hierbei jedoch immer Aspekte, die mit Grenzen und Intimität in Zusammenhang stehen (vgl. Abschn. 5.2).

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

Während der Übung kann der Patient seine Kamera abschalten, sodass er nur Ihre Stimme hört. Für den Patienten ist es oft eine unangenehme Erfahrung, während der Übung beobachtet zu werden und selbst hierbei die Augen geschlossen zu halten. Das Ausschalten der Kamera gewährt Kontrolle und schützt die Privatsphäre. Wenn es sich um ein Entspannungsverfahren mit Bewegung handelt (z. B. die Progressive Relaxation nach Jacobson), sollten die Bewegungen jedoch zuvor in einem „Trockendurchgang“ kontrolliert werden. Sie vermitteln die Entspannung, damit Ihr Klient sie in Akutsituationen nutzen kann? Dann lassen Sie ihn genau diese Situationen aufsuchen. Gehen Sie die Übungsanleitung und mögliche Probleme in der jeweiligen Situation durch und bieten Sie Hilfestellungen und Adaptionen an (vgl. rechtliche Hinweise zur Einführung des Kapitels). Fallbeispiel: Entspannung in der S-Bahn

Die junge Patientin litt vor allem während der täglichen S-Bahn-Fahrt unter Unruhe und einer erhöhten Anspannung. Die Entspannungsübungen, die zu Hause gut funktionierten, wollten dort einfach nicht gelingen. Die Videositzung erbrachte die Kognition: „Man sollte sich nicht komplett entspannen, wenn man in der Bahn sitzt, es könnte ja wichtig sein, schnell zu reagieren.“ Wir vereinbarten daraufhin eine dosierte Übung mit der Idee, in der S-Bahn nur zu 70 % zu entspannen. Außerdem passten wir die Übungsposition an, da die Patientin das Anlehnen an die Polster als unangenehm empfand. Die angepasste Übung in der neuen Haltung leitete ich zunächst heterosuggestiv an, um die Übungseffekte zu verstärken, bevor die Übungsverantwortung in die Hände der Patientin übergeben wurde. ◄ Genusstherapie In der Genusstherapie soll durch eine Aufmerksamkeitslenkung auf positive Reize der Umgang mit diesen sowie, durch eine Ausdifferenzierung der einzelnen Sinne, das euthyme Erleben gefördert werden (vgl. Lutz 2011). Übergeordnetes Ziel ist hierbei die Entwicklung von Selbstfürsorge, auch durch die Anwendung hedonistischer Lebensregeln (Lutz 2015). Die Genusstherapie ist als Gruppenbehandlung konzipiert und findet in einer Vielzahl psychiatrischer und psychosomatischer Kliniken Anwendung. Einzelne Bausteine können jedoch ebenfalls gut in der Einzeltherapie genutzt werden (ebd.). Die Videobehandlung bietet mehrere Vorteile, wenn mit Genussaspekten gearbeitet wird: • Die für den Patienten entscheidenden Genussbringer finden sich vor Ort. Es bedeutet deutlich weniger Aufwand, sie zur Stunde parat zu haben. • Der Patient hat die Möglichkeit, spontanen Assoziationen zu folgen und so sein Erleben zu vertiefen.

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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• Die Nichtanwesenheit der Therapeutin zwingt den Patienten dazu, exakte Beschreibungen seines Erlebens auf den verschiedenen Ebenen zu produzieren und bewirkt eine intensivierte Erfahrung. • Genuss ist individuell. Patienten können ihren eigenen Genussvorlieben nachgehen, ohne die Sorge haben zu müssen, hierdurch andere zu stören. Bei Gerüchen ist das beispielsweise sehr leicht der Fall. Hierzu muss es nicht einmal der Knoblauch sein, der als besonders angenehm empfunden wird – das Duftöl genügt oft, um bei einem Freude und beim anderen Ablehnung hervorzurufen. Die Patienten müssen für die Genusssitzungen Vorarbeit leisten. Sie beschäftigen sich mit dem Thema und organisieren die Genüsse, die für sie Bedeutung haben. Allein der Einsatz, den sie so für sich selbst erbringen ist (ganz unabhängig vom erlebten Genuss) eine aktive Form der Selbstfürsorge. Auch der Kontexteffekt ist nicht zu unterschätzen: Das positive Erleben findet zu Hause statt und damit an dem Ort, an dem auch die negativen Gefühlszustände vorwiegend beheimatet sind. Neue, genussvolle Assoziationen und Selbstfürsorgestrategien werden also an dem Ort geschaffen und erlebt, an dem sie auch in Zukunft zentral sind. Achtsamkeitsübungen Während für die formalen Achtsamkeitsübungen die gleichen Vorteile und Hinweise wie für die Entspannungstherapie gelten, ergeben sich spezielle Vorteile für die informellen Übungen und den Alltagstransfer. Ein wesentliches Ziel in der Anwendung von Achtsamkeitsmeditationen ist deren Integration in das eigene Leben. In den informellen Übungen soll der Klient daher alltägliche Beschäftigungen achtsam ausführen. Hierzu eignen sich regelmäßig wiederkehrende und meist achtlos ausgeführte Tätigkeiten wie Treppensteigen, Kaffee kochen, Geschirr spülen oder auch Zähneputzen. Die Videobehandlung erlaubt es, bei den Übungen vor Ort dabei zu sein und unterstützt so den Patienten effektiv darin, aus negativen Gedankenmustern frühzeitig auszusteigen und Grübeln und Aufschaukelungsprozesse zu verhindern. Durch die unmittelbare Beteiligung fällt es in der Regel leichter, die Haltung zu erkennen, die der Patient seinen eigenen Gedanken gegenüber einnimmt. Diese kann vor Ort infrage gestellt und der Patient zum achtsamen Umgang ermutigt werden. Die Begleitung ist natürlich nur ein (meist kurzer) Zwischenschritt, der helfen soll, das eigenständige Üben zu etablieren.

7.2 Systemische Vorgehensweisen und Interventionen Auch für die folgenden Interventionen gilt: Sie finden weder ausschließlich in der Systemischen Therapie und Beratung statt, noch erheben sie einen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Vorgehensweisen sind jedoch eng mit systemisch-

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

konstruktivistischen Ideen verbunden, sodass sie hier am ehesten ihr zu Hause finden. Die meisten Interventionen sind sowohl für Therapie- als auch für Supervisionsprozesse nutzbar. In den Übungen und Beispielen finden sich daher Empfehlungen für beide Settings. Meist ist ein Übertrag möglich. Auch im Rahmen der systemischen Interventionen kommen die wesentlichen Vorzüge des Videosettings zur Anwendung: Mit den Klienten lässt es sich in vielen Fällen praxisnaher arbeiten und es entstehen realitätsgetreuere Einblicke in die Wirklichkeiten ihrer Systeme. Spezifische Vorteile bietet die über Video problemlose Aufteilung in Subsysteme, um etwa bestimmte Fragestellungen zu bearbeiten. Auch die Absprache eines therapeutischen Teams in einer Sitzungspause kann unkompliziert geschehen, indem Kamera und Ton vorübergehend ausgeschaltet werden bzw. (wenn die Therapeuten an unterschiedlichen Orten sind) kurz ein zusätzlicher virtueller Raum in Form einer Breakout-Sitzung aufgesucht wird. Werden Beobachtersysteme in die Arbeit eingebunden, gilt: Der Einwegspiegel ist durch die Videotechnik immer dabei! Ein Nachteil, der vor allem im Mehrpersonensetting von Bedeutung ist, darf nicht unerwähnt bleiben: Neben der verbalen Information wird im Gespräch viel an nonverbaler Information produziert. Jede gestellte Frage führt zu mimischen, gestischen und auch paraverbalen Äußerungen (seufzen, Luft anhalten, knurren…). Diese Signale gehen im Videosetting nicht vollständig verloren, aber es ist schwerer, sie aufzunehmen und zu verstehen. Oft ist nicht klar, wer zu wem blickt und welche Rückmeldung von wem, wann genau kam. Doch der Konstruktivist weiß: Die Wirklichkeit wird durch den subjektiven Wahrnehmungsprozess generiert und das trifft auf das zweidimensionale Bild auf dem Monitor ebenso zu, wie auf die dreidimensionale Begegnung im Therapieraum. Sich dessen in beiden Settings bewusst zu sein ist hilfreich im Beratungsprozess. Und: Aus systemisch-konstruktivistischer Perspektive geht es in Beratungsprozessen vor allem darum, Möglichkeiten zu erkunden. Etwas (noch) nicht wirklich Vorhandenes wird untersucht. Was könnte hierfür besser geeignet sein als ein virtueller Raum? u Keine Stummschaltung! In nahezu jedem Ratgeber zu Videokonferenzen finden Sie den Ratschlag, dass alle Teilnehmer, die gerade nicht sprechen, ihr Mikrofon auf „stumm“ schalten sollten. Das kann Sinn machen, wenn angeschaltete Mikrofone zu störenden Effekten (Rückkopplungen, Rauschen, Halleffekte etc.) führen. Ist die technische Verbindung jedoch allseitig gut, gewinnt Ihre Sitzung durch angeschaltete Mikrofone immens! Versuchen Sie daher immer Ihre Teilnehmer zunächst dazu zu motivieren, die Mikrofone angeschaltet zu lassen. Sie erhalten hierdurch eine realistischere Geräuschumgebung, die sich ändert, wenn etwas Bedeutsames im Gespräch passiert.

Sie werden schnell einen Vorteil in der Videositzung kennenlernen: Das Gespräch ist ausgewogener, die Beziehungen sind hierarchiefreier. Jeder Teilnehmer erhält

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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den gleichen Raum (auf dem Monitor), keiner sitzt näher am anderen dran. Auch die erhöhte oder bessere Sitzgelegenheit (die etwa der Vorgesetzte gerne für sich reklamiert) findet in der Videositzung keine Entsprechung. Diagnostisch können diese Punkte einen Nachteil darstellen, da sie verborgen bleiben und nicht ins Gespräch Eingang finden. Sind die Unterschiede jedoch wichtig, werden sie meist auf andere, oft offensichtlichere, Arten im Gespräch zu kompensieren versucht. Sind die Unterschiede nicht bedeutend genug, gelingt ein ausgewogenes Gespräch leichter und Einladungen, die Neutralität oder Allparteilichkeit zu verlassen finden seltener statt. Auch störendem Verhalten kann oft schnell der Boden entzogen werden, indem es keinen Raum bei den anderen Teilnehmern bekommt. Fallbeispiel: Durchsetzungsfähigkeit

Während einer Videositzung mit einem alleinerziehenden Vater und seinem elfjährigen Sohn, die sich in verschiedenen Räumen aufhielten, störte der Sohn durch laute Schmatzgeräusche jeden Wortbeitrag des Vaters. Hilfesuchend wandte er sich an mich: „Das macht er nur, um mich zu stören. Auch wenn ich direkt mit ihm spreche, fängt er immer damit an. Er weiß, dass ich das hasse und mich dann nicht gut auf das Gespräch konzentrieren kann. Können Sie nicht etwas dagegen unternehmen und ihm sagen, dass er das lassen soll?“ Ich erkundigte mich (während der Sohn weiter schmatzte), was der Vater üblicherweise täte. Er versuche, ruhig zu bleiben und sich „mit aller Kraft“ zu beherrschen. Irgendwann schreie er dann aber doch. Was der Sohn dann tue, wollte ich wissen. „Na, der hat sein Ziel erreicht und lacht mich aus!“, antwortete der Vater. Der Sohn schmatzte weiter. Schließlich fragte der Vater, ob ich ihm die Moderatorenfunktion übergeben könne. Er schaltete das Mikrofon des Sohnes ab. Auf einen möglichen Übertrag auf die Vor-Ort-Situation dieses Verhaltens befragt, antwortete er: „Es langt mir. Ich spiele dieses Spiel nicht mehr mit. Weder in der Therapiesitzung noch, wenn wir allein sind.“ Gebeten, dies dem Sohn zu sagen, formulierte er: „Ich möchte, dass wir respektvoll miteinander leben. Ich werde Dich nicht mehr anschreien, werde es aber nicht mehr tolerieren, dass Du Dich über mich lustig machst. In Zukunft werde ich das Gespräch mit Dir nur noch fortführen, wenn dieser Respekt gegeben ist.“ Obwohl das Mikrofon an war, schmatzte der Sohn nun nicht mehr. ◄

7.2.1 Auftragsklärung Die Auftragsklärung ist von besonderer Bedeutung für ein systemisches Vorgehen. Mit ihr verknüpft sich die Frage nach expliziten und impliziten Aufträgen und nach offenen und verdeckten Auftraggebern für Änderungen. Nach Schlippe und Schweitzer (2010, S. 19) beugen vor allem Erwartungsabklärungen, auch in gemeinsamen Treffen, Enttäuschungen vor und ersparen potenziell viel Arbeit.

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

Ein häufiges Ergebnis in Supervisionen ist, dass die anwesenden Familien- oder Teammitglieder sich darauf verständigen, dass sie entweder machtlos oder nicht verantwortlich für ein vorliegendes Problem sind. Der Schuldige wird oft schnell gefunden, ist jedoch nicht Teil des aktuellen Beratungs- oder Supervisionssystems. Eine Videositzung bietet die Möglichkeit, nicht nur zu spekulieren, sondern die gemeinsame Wirklichkeit mit der betreffenden Person abzugleichen, indem sie direkt zur Sitzung hinzu gebeten wird. Möglich ist nun, dass sich die entsprechende Person tatsächlich zum Videogespräch hinzuschaltet oder aber (und deutlich häufiger der Fall): Die Person kommt nicht zur Sitzung hinzu, weil das Team sich entscheidet, sie nicht dazu zu bitten. Was nun aber passiert, ist, dass bereits eine neue Möglichkeit geschaffen wurde und diese einen Einfluss auf das weitere Gespräch ausübt. Anders ausgedrückt: Die Chance, eine unmittelbare Anwesenheit anderer zu generieren wirkt sich auf den Prozess aus und eröffnet neue Möglichkeiten. Das Wissen darum, dass der Kreis erweitert werden kann, wirkt sich auf diese und die Folgesitzungen aus. Meist richtet sich die Perspektive nun verstärkt auf den eigenen Beitrag und Einfluss zum geschilderten Problem. Einschränkend sei diesbezüglich jedoch erwähnt, dass immer hinterfragt werden muss, ob eine „überrumpelte“ Teilnahme tatsächlich vertretbar ist. Und zwar sowohl für den unvorbereitet Teilnehmenden als auch für das Team und die Beratungsbeziehung. u Auftragsklärung  Liegen verschiedene (und oft unvereinbare) Aufträge vor, können diese erlebbar werden, indem sie durch die anderen Sitzungsteilnehmer explizit ausgesprochen werden. Hierzu nehmen die Teilnehmer die Rolle des jeweiligen Auftraggebers an und formulieren den tatsächlichen oder vermuteten Auftrag aus dessen Perspektive. Die Übung kann intensiviert werden, indem der jeweilige Auftraggeber mimische und gestische Anweisungen erhält und definiert wird, wie er sprechen soll (laut, leise, anklagend, bittend, befehlend). Zunächst können die Aufträge nacheinander in der Galerieansicht ausgesprochen werden. So wird ihre Vielzahl deutlich. Für die Auseinandersetzung mit den Einzelaufträgen ist der Wechsel in die Sprecheransicht sinnvoll: Es kommt zu einem Dialog mit den Einzelaufträgen, die nun angenommen, abgelehnt, delegiert oder modifiziert werden können. Spricht der Falleinbringer nun aus, wie er mit den verschiedenen Aufträgen umgehen möchte, kann er ebenfalls die Kamera zu Hilfe nehmen und so den Effekt intensivieren: Abgelehnte Aufträge (bzw. deren Darsteller) schalten die Kamera aus und verschwinden. Angenommene Aufträge können in den Hintergrund zurücktreten, während zu modifizierende oder ambivalente Aufträge in einen Dialog eintreten. Oft ist bei einer kamerabegleiteten Übung eine Anleitung durch die Supervisorin sinnvoll, die Anweisungen gibt, wann auf welche Sicht umgeschaltet wird, Kameras ab- oder zugeschaltet werden.

Warum mit der Auftragsklärung nicht bereits vor der Sitzung beginnen? Bitten Sie die Teilnehmer Ihnen vor der Sitzung Antworten auf definierte Fragen zukommen

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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zu lassen. Diese können Sie dann zu Sitzungsbeginn auswerten. Hierzu eignet es sich, die Antworten anonym einzublenden und die anderen Teilnehmer darüber spekulieren zu lassen, von wem die Antworten stammen und was wohl mit ihnen gemeint ist. u Drei-Wort-Intervention  Bitten Sie die Teilnehmer im Vorfeld der Sitzung darum, Ihnen eine E-Mail zu schreiben, in der nur drei Wörter enthalten sind. Bitten Sie explizit darum, auf alle Erklärungen zu diesen Wörtern zu verzichten und sich auch mit den anderen Sitzungsteilnehmern nicht über die eigenen drei Wörter auszutauschen. Die drei Wörter sollen die Antworten auf folgende drei Fragen sein: 1. Wenn Sie nur ein Ziel mit dieser Beratung erreichen könnten und dieses mit einem Wort beschreiben müssten, welches Wort wäre das dann? 2. Welches ist der wichtigste Beitrag, den Sie selbst derzeit leisten, um dieses Ziel zu erreichen? 3. Wer in der Familie (dem Team) trägt, außer Ihnen, derzeit am meisten dazu bei, das von Ihnen definierte Ziel zu erreichen? Je nach Problemstellung können diese Fragen variiert werden. Ihre Kraft ziehen Sie aus der Reflexion und der notwendigen Komplexitätsreduktion, die mit der Aufgabenstellung einhergeht. Auch hier lohnt es sich, die drei Wörter anonym einzublenden und die Teilnehmer zum Spekulieren einzuladen.

7.2.2 Unfreiwillige Klienten und mangelnde Kooperation Die bewusste Auswahl von Medien kann helfen, eine Kooperationsbeziehung zu etablieren. Ist der Klient an der Entscheidung hinsichtlich der Kommunikationsform beteiligt, steigen seine Selbstbestimmung und Freiheit an. So kann in einem Kontext der Unfreiwilligkeit aus einem „entweder-oder“ (Beratung vs. NichtBeratung) ein „sowohl–als-auch“ werden, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten erhöht. Kooperationsverweigerung kann so auch als Lösungsansatz genutzt werden.

Fragen zur Erhöhung der Kooperation

• Wie (über welches Medium) müssten wir uns sprechen, damit es am wenigsten unangenehm für Sie ist? • Mit welcher Kommunikationsform steigt die Wahrscheinlichkeit an, dass Sie mit mir im Kontakt bleiben können?

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• Wenn wir xy zum Gespräch dazu holen, auf welche Art sollten wir das tun? • Wenn Sie sich entscheiden würden, nur minimal in der Beratung mitzumachen: Wie genau könnte das aussehen? • Welche Kommunikationsform würde Ihnen am ehesten die Sicherheit bieten, das Gespräch zu jeder Zeit verlassen zu können?

7.2.3 Fehlende Personen und Problemexternalisierung In der Vor-Ort-Sitzung werden fehlende Personen oft durch einen leeren Stuhl symbolisiert und auf diese Weise mit in den Raum bzw. die Bearbeitung der Thematik genommen. Mittels dieses Vorgehens gelingt es zum einen leichter, sie in die Fragestellung zu integrieren und zum anderen bleiben sie den übrigen Anwesenden aufgrund der physischen Repräsentation im „Hinterkopf“. Nutzen Sie diese Möglichkeit auch in der Videokonferenz. Am einfachsten ist es, Sie wählen sich mit einem Zweitgerät parallel in die laufende Sitzung ein und geben diesem den Namen der abwesenden Person. Wenn Sie möchten, können Sie auch ein Bild, Foto oder Symbol für diese Person einblenden. Meistens genügt es jedoch, wenn der Name der Person oder Institution (z. B. „Jugendamt“ oder „Jobcenter“) zu lesen ist. Dieses Vorgehen können Sie ebenfalls nutzen, wenn Sie mit der Externalisierungstechnik arbeiten. Das schwarze Feld kann dann etwa die „Depression“ oder der „Tinnitus“ sein. Möglich ist ebenfalls, Bilder anfertigen zu lassen, die Probleme in einer Gestalt verdichten. Diese erhält dann das Extrafeld. Natürlich kann sich auch Ihr Patient zwei Mal einwählen – dann kann er, etwa in Stuhldialogen (vgl. auch Abschn. 7.1.9), sogar von der einen in die andere Rolle schlüpfen, indem er einen echten Platzwechsel vornimmt!

7.2.4 Systemische Fragen Getreu der systemischen Idee, dass Probleme weniger „sind“, als dass sie konstruiert und kommuniziert werden, dienen Fragen meist nicht dazu, zu verstehen, welche Faktoren ursächlich für die jetzige Misere sind, sondern dem Erwecken des Verständnisses der eigenen Beteiligung in diesem Prozess im Sinne eines problemstabilisierenden Handelns. Und: Gelingt es, durch das Befragen der Systemmitglieder die Ansicht hervorzurufen, das Problem sei gar nicht so schlimm, dann ist es das wirklich nicht mehr. Vor allem bei Problemen mit einer langen Historie, finden sich etablierte und automatisierte Verhaltensmuster, die eng aufeinander bezogen sind. In der Vor-Ort-Sitzung ist man als Therapeut oft irritiert, wie schnell ein Muster startet, ein Wort das andere gibt und man kaum so schnell „Stopp!“ rufen kann, wie man sich bereits mitten in der Eskalation

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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befindet. Auch hier kann die Videositzung nutzen, denn: Ihre Teilnehmer müssen sich disziplinieren, um Gehör zu finden. u Videotrennung  Auch wenn das Paar oder die Familie die Möglichkeit hätte, am gleichen Bildschirm zu sitzen: Sie sollten es nicht tun! Sitzt jeder an seinem eigenen Computer ist die Wahrscheinlichkeit für ein geordnetes Gespräch deutlich höher. Auch Muster werden so leichter und effektiver unterbrochen, da sie nicht automatisiert ablaufen können. Allein die Kommunikationsform sorgt so für eine „Verstörung“ des Systems. Vor allem zu diagnostischen Zwecken kann eine Sitzung vor dem gemeinsamen Bildschirm jedoch wertvoll sein.

Prinzipiell können Sie alle Fragen, die Sie vor Ort stellen, auch in der Videositzung nutzen. Ausnahmen, Unterschiede, Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen: Das alles funktioniert online. In der Videositzung lohnt es sich, wesentliche Fragen zusätzlich auf Folien zu scheiben und diese einzublenden, während Sie sie stellen. Sie reduzieren mit dieser Technik die Ratlosigkeit in den Gesichtern der Sitzungsteilnehmer, wenn Sie z. B. fragen: „Was glauben Sie, was es bei Ihrem Vater auslöst, wenn er hört, dass Ihre Mutter und Ihre Schwester sich wieder anschreien?“. Dieses Vorgehen ist prinzipiell auch in Face-to-Face-Gesprächen möglich. Erfahrungsgemäß unterbricht die Hinzunahme eines externen Mediums (z. B. eines Bildschirms oder Beamers) jedoch den Gesprächsfluss, da plötzlich ein neuer Fokus eröffnet wird. In der Videositzung stellt das Einblenden der Fragen jedoch lediglich eine erweiterte Nutzung des ohnehin verwendeten Mediums dar. Missverständnisse reduzieren sich hierdurch deutlich. Und: Gerade junge systemische Berater und Therapeuten fürchten diese Form der Fragen aufgrund ihrer Komplexität und der Verwirrung, die sie oft auslösen. Sie einzublenden ist dann nicht nur ein Dienst am Klienten, sondern auch so etwas wie ein legaler Spickzettel für die Berater. Auch das Befragen reihum, das schließlich die Muster im System deutlich werden lässt, funktioniert einfacher, wenn es eine visuelle Orientierung gibt. Hierzu können Sie parallel zum Befragen der Familie oder des Teams eine Grafik einblenden, in der alle Teilnehmer in Kreisform angeordnet sind. Stellen sie komplexe Fragen, können Sie parallel Pfeile einzeichnen, die die Frage verdeutlichen (z. B.: „Wie findet Ihr Vater wohl die Beziehung zwischen Ihrer Schwester und ihrem neuen Freund? Ein Pfeil, der vom Vater auf die Beziehungslinie zwischen Schwester und Freund gerichtet ist, erleichtert die Beantwortung der Frage). u

Was ich schon immer wissen wollte…  Jedes Familien- oder Teammitglied darf sich aus einer Übersicht die Frage aussuchen, die sie den anderen Teilnehmern am liebsten stellen möchte, z. B.:

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• Wen in diesem Team interessiert es am meisten, wenn… passiert? • Wie viel Prozent Hoffnung hat der andere, dass … passiert? • Wer ist wohl am wenigsten am Erfolg dieser Sitzung interessiert? Eine spannende Dynamik ergibt sich, wenn alle ihre Fragen anonym auswählen. Hierzu können die Teilnehmer ihre Lieblingsfrage einkreisen oder markieren. Nun lässt sich spekulieren, wer wohl warum welche Frage ausgewählt hat. Für diese Technik braucht es kein spezielles Tool, das integrierte Whiteboard genügt.

Wenn Sie möchten, dass alle Familienmitglieder gleichzeitig antworten (etwa um Anker- und Reaktionseffekte zu verhindern), können Sie die integrierte Chatfunktion des Videoanbieters innovativ nutzen. Bitten Sie hierfür die Teilnehmer, Ihre Antworten zu formulieren und erst auf Ihr Signal hin auf „senden“ zu drücken. So erscheinen alle Antworten zeitgleich bei allen. Fragestellungen können Sie auch parallel schriftlich am Whiteboard bearbeiten lassen. Jeder Teilnehmer nutzt hierfür eine andere Stiftfarbe. Wenn Sie die Stiftfarben „heimlich“ zuweisen (z. B. über die private Chatfunktion), sind anonyme Antworten möglich. Sie arbeiten gerne mit Skalierungsfragen? Nutzen Sie auch hierfür das Whiteboard. Einfache Skalierungsfragen müssen Sie nicht vorher vorbereitet haben, sondern können sie parallel zur Sitzung erstellen. Zeichnen Sie hierfür einfach einen Strich auf das Whiteboard und definieren Sie wahlweise links oder unten als „0“ und rechts oder oben als „100“ – oder welche Extremausprägungen auch immer Ihre Frage haben soll (weniger-mehr, keiner-alle, früher-später). Ihre Gesprächspartner können Ihre Antwort nun einfach stempeln oder einen Punkt an der passenden Stelle setzen. Die Übersicht erleichtert es, wenn jeder seinen eigenen Namen dazu schreibt. Alternativ erstellen Sie eine kleine Legende, auf der die Zuteilung der Farben erkennbar ist. Mit Unterschieden in der Skalierung zu arbeiten ist ebenfalls leicht möglich: Sie können z. B. die Skala nach unten bewegen und so alle Teilnehmer um eine Position nach oben korrigieren. Nun kann sich z. B. die Frage anschließen, was auf dieser Position anders oder bemerkbar wäre. Wahrscheinlich kennen Sie hypothetische Fragen, die die Systeme anregen sollen, eigene Ressourcen zu entdecken. Eine Frage wie „Was würden Sie tun, wenn es mich nicht mehr gäbe und auch keine anderen Berater?“, können Sie verstärken, indem Sie Ihre Kamera ausschalten und die Teilnehmer, nun plötzlich tatsächlich allein mit sich, diskutieren lassen. Bei den Fragen nach Ressourcen kann es helfen, dass Ihre Gesprächspartner zu Hause sind. Statt lediglich zu fragen: „Was in Ihrer Beziehung (Ihrer Familie, Ihrem Team) soll auf jeden Fall so bleiben, wie es ist?“, lassen Sie die Teilnehmer Gegenstände herbeiholen, die für das Funktionierende oder die Ressourcen in den Beziehungen stehen. Solch eine Frage lässt sich auch gut mit einer Aufgabe verbinden: „Sie haben nun genau drei Minuten Zeit. In diesen drei Minuten suchen Sie bitte drei Gegenstände, die etwas symbolisieren, das bei Ihnen richtig

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gut läuft oder das Sie an einem der anderen schätzen. Wählen Sie dann zunächst einen Gegenstand aus, den Sie in die Kamera halten“. Die anderen Teilnehmer spekulieren nun darüber, welche Ressource mittels der Gegenstände zum Ausdruck gebracht werden soll. In größeren Familien und in Teams können Sie auch die Abstimmungsfunktion nutzen. Das bedarf jedoch einiger Vorbereitung und ist als Ad-Hoc-Methode nur bedingt geeignet. Der Gewinn liegt vor allem in der anschaulichen Grafik, die Sie erhalten. Um den kommunikativen Aspekt von Fragen (und Antworten) zu verdeutlichen, kann man in der Videositzung ebenfalls Icons zur Unterstützung nutzen. Während ein Familien- oder Teammitglied befragt wird, geben die anderen eine kontinuierliche Rückmeldung über das, was der andere mit seinen Aussagen bei ihnen auslöst mittels zuvor vereinbarter Symbole. So können etwa Freude, Traurigkeit, Unverständnis oder Ärger ausgedrückt werden. Der Sprecher erhält auf diese Weise eine unmittelbare Rückmeldung über die Wirkung seiner Aussagen, welche den Anlass für weitere Fragen bilden kann. u

Etikettierungen sichtbar machen Machen Sie Etikettierungen wie pauschalisierende Pathologiezuschreibungen deutlich, indem Sie parallel zu deren Aussprache Etiketten beschriften. Hierzu können Sie eine Folie zeigen, auf die leere Etiketten gezeichnet sind. Diese füllen Sie, sobald Etikettierungen oder Pauschalisierungen hörbar sind. Sagt die Frau etwa über den Partner: „Er ist halt nicht ehrlich“, können Sie eine Etikette mit „Lügner“ versehen. Die Auswirkung der Etikettierung wird oft unmittelbar sichtbar und durch die Verschriftlichung „rudern“ die Beteiligten oft zurück und beginnen, das Angebot aufzunehmen, eher in Kontexten, Bedingungen und Möglichkeiten zu sprechen. Dass auch eine solche Intervention nur vor dem Hintergrund einer stabilen Therapiebeziehung gelingt, versteht sich von selbst.

Eine Abwandlung der Etikettierungs-Übung ist ebenso möglich, um Ressourcen während des Gesprächs unmittelbar zurückzumelden. Auch diese können alle oder ausgewählte Beteiligte auf das Whiteboard notieren, sobald sie sie hören.

7.2.5 Narrativer Ansatz und Reflecting Team Die Geschichten, die wir über uns erzählen, wirken auf uns zurück und nehmen Einfluss auf unser Erleben und Verhalten. Ändern wir die Geschichte, ändert sich in der Folge alles, was mit ihr in Verbindung steht. Ein Ansatz in der systemischen Beratung besteht daher schlicht darin, die Wahrnehmung von Menschen für die Geschichten, die sie erzählen, zu schärfen und ihnen Chancen zu bieten, aus ihren bisherigen Narrativen auszusteigen. Eine Möglichkeit bietet hierfür das Reflecting Team (RT).

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

Die Grundidee des RT ist einfach: Ein Beratungssystem (Ratsuchende und Beraterin) und ein Beobachtersystem werden getrennt und an unterschiedlichen Positionen im Raum untergebracht. Das Beobachtersystem hört dem Beratungssystem zu, während dieses sich, befragt durch die Beraterin, mit dem zu bearbeitenden Problem beschäftigt. Ist das Problem ausgiebig untersucht, beginnt das Beobachtersystem sich auszutauschen. Das Beratungssystem darf sich hieran nicht beteiligen, sondern hört lediglich zu, was das belauschte Gespräch an Ideen bei den Beobachtern hervorgebracht hat. Anschließend werden die Informationen des Beobachtersystems im Beratungssystem betrachtet und reflektiert. Natürlich sind viele Variationen des Vorgehens möglich: So können in Supervisionen etwa die besonders vom Thema oder Problem Betroffenen von den weniger Betroffenen getrennt werden, der Ratsuchende oder Falleinbringer selbst kann in die reflektierende Position geschickt werden etc. Das Videosetting ist für das RT außerordentlich gut geeignet. Während das Beratungssystem Kamera und Mikrofon in der Informationsphase angeschaltet lässt, hört das Beobachtersystem aus dem „Off“ zu. In der nächsten Phase erfolgt die Umkehrung: Das Beobachtersystem wird sichtbar und das Beratungssystem geht ins „Off“. Man weiß, dass sie da sind, unterliegt aber nicht der Versuchung, ihre Mimik zu deuten oder auf Reaktionen zu warten. Wird die Sitzung nur von einer Beraterin oder Supervisorin geleitet, kann es sinnvoll sein, dass diese die gesamte Zeit zugeschaltet ist. So fällt es leichter, die Zeit zu managen und auch unmittelbar einzugreifen, wenn etwa Regeln missachtet werden (und z. B. eine wertschätzende Kommunikation verlassen wird). Das Videosetting kompensiert auch ein Problem, das vor Ort immer wieder auftritt: Statt zu reflektieren, wenden sich die Teilnehmer des Beobachtersystems in direkter Ansprache oder auch nonverbal immer wieder dem Beratungssystem zu. Das kann der Hypothesenabstimmung („Sind wir auf dem richtigen Weg?“) oder der Rückversicherung dienen, keine Kränkungen zu verursachen („Ist es okay, dass ich das jetzt geäußert habe?“). Erfahrungsgemäß schwächt dieses Verhalten die Effektivität des RT, da es die reflektierende Position verlässt und eine Parallelkommunikation mit dem Beratungssystem aufbaut. Die Idee ist jedoch eher „zu lauschen“, als sich offen zu beteiligen (vgl. hierzu auch Schlippe und Schweitzer 2010, S. 85). Auch ohne einen komplexen RT-Aufbau ist es in der Videositzung möglich, die Teilnehmer zu einem Perspektivwechsel anzuregen: Für die Einnahme der Metaperspektive kann man sie auffordern, ihre Position bewusst zu verändern, indem sie sich etwas aufrichten, vom Monitor entfernen und diesen, bzw. die Kamera, leicht absenken. Das ergibt in der Bildansicht den Effekt, von oben nach unten zu blicken. Tun dies alle, die aufgefordert sind, die Metaperspektive einzunehmen, ergibt sich tatsächlich das Bild von Personen, die etwas aus der Vogel- (oder eben Meta-)Perspektive betrachten. Hinsichtlich der Geschichten, die Klienten über sich selbst erzählen, lohnt sich der Blick auf die von ihnen genutzten Medien und ihre Onlinebiografie. Vor allem,

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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wenn man es mit Digital Natives zu tun hat, weist die Nutzung und Gestaltung der sozialen Medien oft auf bedeutsame Narrative hin. Das in der Beratung früh kommunizierte Interesse an der Mediennutzung hilft darüber hinaus, parallele Offline- und Onlinewelten zu vermeiden. Gerade jugendliche Patienten freuen sich, wenn man sie zu Beginn der Behandlung fragt, ob sie bei Instagram, Facebook oder einer anderen Plattform aktiv sind. Meistens empfinden sie es als Wertschätzung, ihr dortiges Profil zu präsentieren und Interesse für dieses zu erfahren. Der Blick auf das Onlineprofil kann als joint referencing verstanden werden und so eine gemeinsame Beobachterperspektive generieren (vgl. Roediger 2013). Die im Internet gängigen (Selbst-) Inszenierungen können hierbei als Ausgangspunkt für die Konstruktion hilfreicher Narrative dienen (ausführlich zum Umgang mit Inszenierungen und Fakes: Knatz 2007 und Knatz und Schumacher 2019). Die interessante Frage lautet, welche Information der Klient mittels des Profils von sich übermitteln möchte. Wie stellt er sich dar? Statt nach der „Wahrheit“ zu suchen, geht es hierbei vielmehr um Bedeutungen und Möglichkeiten.

7.2.6 Reframing und Ressourcen Der Kontext definiert die Bedeutung einer Aussage. In welchem Kontext wäre das „Problem“ also sinnvoll oder nützlich? Und: Könnte ein Verhalten, das beklagt wird, auch eine andere Bedeutung haben? Welchen guten Grund könnte es für Verhaltensweisen geben, die zunächst sinnlos oder destruktiv wirken? Dies rauszuhören und zurückzumelden ist Reframing. Lassen Sie die Teilnehmer in der Videositzung passende Umdeutungen finden und notieren oder, falls mehrere zur Auswahl stehen, sogar über diese abstimmen! Eine Kombination dieses Vorgehens mit dem Reflecting Team (s. vorhergehender Abschnitt) ist oft nützlich. Fallbeispiel: Umdeutung von Kontrollverhalten

Ein Team erarbeitet, welche guten Gründe die neue Vorgesetzte haben könnte, Arbeitsergebnisse akribisch nachzukontrollieren. Es soll bewusst nach anderen Deutungen als der gesucht werden, auf die sich das (genervte) Team derzeit geeinigt hat: „Sie macht das, weil sie uns nicht vertraut und uns für inkompetent hält.“ Es wurden folgende Hypothesen aufgestellt: Die Vorgesetzte kontrolliert alle Arbeitsergebnisse, weil a) ihr das Team wichtig ist, b) sie sich trotz ihrer Führungsaufgaben einbringen möchte, c) sie einen Grund haben möchte, mit den Teammitgliedern in Kontakt zu kommen oder d) sie vermutet, dass das von ihrer Vorgesetzten erwartet wird. Über die gefundenen Alternativen diskutieren die Teammitglieder, bevor die beobachtende Vorgesetzte eine Möglichkeit erhält, Bezug zu nehmen. Das Gespräch wird durch diese Intervention lösungsorientierter und entfernt sich von einfachen Schuldzuweisungen. Die Auswertung ergab zudem ein „Mehr-Davon“ auf beiden Seiten, das das Problem verschlimmerte: Die Vorgesetzte hatte den Auftrag bekommen, mehr für das Team da zu sein als ihr Vorgänger, der das Team nicht

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

genug unterstützt habe. Dass das Team die mangelnde Unterstützung des Vorgängers als Vertrauen gedeutet hatte, war weder ihr noch ihrem Vorgesetzten in den Sinn gekommen. Die Unzufriedenheit im Team, die sie durchaus wahrgenommen hatte, führte zu mehr Kontrolle, denn: „Die brauchen wohl noch mehr Unterstützung“. ◄ Fällt es Menschen schwer, eigene Stärken, auch in misslichen Lagen, zu entdecken, bietet sich die Hinzunahme der anderen Teilnehmer an, um Ressourcen zu erkennen. Eine einfache Möglichkeit besteht in der Beschreibung des Problems, die durch lösungsorientierte Fragen bereits leichter Ressourcen erkennbar werden lässt („Wie haben Sie es geschafft, dass es nicht schlimmer wurde?“, „Was war Ihr Beitrag dazu, dass es nicht eskaliert ist?“, „Wenn der gute Ausgang doch etwas mit Ihnen zu tun hätte, was könnte das vielleicht sein?“). Während Sie Ihren Gesprächspartner auf diese Art befragen, notieren die anderen Teilnehmer die Ressourcen, die sie heraushören können. Diese werden direkt während der Befragung auf das Whiteboard geschrieben, sodass der Erzähler ein kontinuierliches „Ressourcen-Feedback“ erhält. Ist die Befragung beendet, können die Ressourcen besprochen und der Blick auf deren Ausbau gerichtet werden. Eine schöne Alternative für das Whiteboard ist das Zusenden der Ressourcen mittels Kurznachricht oder Messengersystem. Während über die Schwierigkeiten berichtet wird, geht so der Blick des Supervisanden immer wieder zum Smartphone und, obwohl es hierdurch zu kurzen Unterbrechungen kommt, wird meist das Lächeln breiter. Erfolgt eine Auswertung, muss der Supervisand allerdings eine aktivere Rolle einnehmen, da er die Botschaften für die anderen benennen und in Zusammenhang mit der Problemschilderung bringen muss. Stellt sich die Frage nach den Ressourcen im Rahmen einer Fallsupervision, kann die Gruppe auch aufgeteilt werden: Während ein Teil der Gruppe die Ressourcen der Supervisandin notiert, achtet der andere Teil der Gruppe auf die Ressourcen der Klienten und schreibt diese auf (hierzu kann das Whiteboard z. B. in zwei Spalten aufgeteilt werden). Auch in einem Familiensystem ist diese Intervention, leicht abgewandelt, durchführbar: Während zwei Familienmitglieder zu einem Konflikt befragt werden, sind die anderen dafür zuständig, die verborgenen Ressourcen zu ermitteln (auch hier können die Rollen aufgeteilt werden). u

Das Ressourcenfoto  Diese Übung eignet sich vor allem, wenn Teilnehmer gestresst, frustriert oder hoffnungslos sind und keine Lösungsperspektive aufbauen können. Bitten Sie die Teilnehmer zunächst an das vorherrschende negative Gefühl zu denken und sich einige Minuten völlig in dieses zu vertiefen („Geben Sie sich dem Gefühl ganz hin…“). Fragen Sie nach Körperempfindungen, Gedanken… Ist das Gefühl dann deutlich spürbar, bitten Sie die Teilnehmer, sich auf dem Monitor zu betrachten und ein Foto (z. B. mit dem Smartphone) von sich selbst („mit genau diesem Gesichtsausdruck und genau dieser Haltung“) aufzunehmen. Dann bitten Sie die Teilnehmer an eine

7.2  Systemische Vorgehensweisen und Interventionen

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Situation zu denken, in der sie über die Ressource (oder Anklänge von ihr) bereits verfügten. Die Situation können Sie dem Thema entsprechend spezifizieren (z. B. eine kompetente Handlung, Zuversicht, eine empathische Begegnung…). Sie leiten die Supervisanden dazu an, sich die Situation möglichst exakt auf allen Sinnesebenen zu vergegenwärtigen und lassen ihnen Zeit hierbei. Legen Sie besonders viel Wert auf die Wahrnehmung von Körperhaltung, Atmung und Mimik. Nun bitten Sie erneut darum, das eigene Bild zu betrachten und wiederum ein Foto zu machen. Die beiden Bilder können hinsichtlich ihrer Unterschiede analysiert und das Ressourcenfoto als Ausgangspunkt oder Anker für künftige Kompetenzerfahrungen genutzt werden.

Wenn keiner eine Idee hat, wie eine festgefahrene Situation, etwa ein chronifizierter Konflikt, gelöst werden kann, hilft oft eine Form der Paradoxen Intervention weiter: Die Teilnehmer setzen einen gemeinsamen „Scheitervertrag“ auf. Hierzu blenden Sie ein Whiteboard ein, auf dem z. B. steht: „Wir haben uns als Team (Paar, Familie) vorgenommen, ab jetzt auf allen möglichen Ebenen unbedingt und umfassend zu scheitern. Hierfür wollen wir uns dauerhaft schlecht fühlen und keine Hoffnung mehr auf eine Besserung haben. Um dieses Ziel zu erreichen, tun wir ab sofort folgendes: …“. Nun lassen Sie alle Teilnehmer parallel schreiben. Ihre Aufgabe als Beraterin kann hierbei vor allem darin bestehen, ähnliche Aussagen zu clustern oder Kategorien zuzuordnen. Im Anschluss drehen Sie die Aussagen um und sehen sich an, welche Bedürfnisse mit ihnen verbunden sind. Diese können Sie als Basis für die ressourcenorientierte Weiterarbeit verwenden. Wenn Sie den Radiergummi nutzen, können Sie zudem aus dem Scheitervertrag einen Lösungsvertrag machen und alle anfänglichen Problembeschreibungen, die nicht mehr benötigt werden, einfach entfernen.

7.2.7 Genogramm und Organigramm Systemzeichnungen wie Genogramm oder Organigramm können z. B. mit dem Whiteboard erstellt werden. Das hat den Vorteil, dass Ihre Klienten sich an der Zeichnung direkt beteiligen können. Natürlich gibt es auch professionelle Anwendungen, die zur Erstellung von Genogrammen entwickelt wurden. Auch diese können Sie während der Videositzung aufrufen und Familie oder Team dabei zusehen lassen, wie das Bild entsteht. Eine schöne Ergänzung, die Lebendigkeit in die Zeichnungen bringt, ist es, die Vierecke und Kreise mit den Fotos der betreffenden Personen zu füllen. In der Präsenzsitzung ist das meist schwierig, da Fotos organisiert, ausgedruckt oder aus Alben entnommen werden müssen. Auch sollen diese am Ende der Behandlung ihren Weg meist wieder dorthin zurückfinden, dürfen also nicht beschädigt werden. Online können Sie die Aufnahmen einfach als Bilddatei in das Genogramm einfügen.

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Organigramme liegen oft zu Beginn der Beratung bereits vor. Erhalten Sie das Organigramm als Bilddatei geliefert, können Sie es als Folienhintergrund nutzen. Das, was Sie nun gemeinsam mit den Klienten erstellen, ist die „Tiefenstruktur“ (vgl. Schlippe und Schweitzer 2010, S. 38), die sich vor dem Hintergrund der „Oberflächenstruktur“ abbilden lässt. Technisch lohnt es sich, die Vorlage so einzustellen, dass Sie die Oberflächen- und Tiefenstruktur abwechselnd aus- und übereinanderblenden können. Auch hier gilt: Meistens sind die Unterschiede am interessantesten!

7.2.8 Skulpturen Die Arbeit mit Skulpturen, einer symbolischen Präsentation von innerem Erleben oder Beziehungen, ist naturgemäß mittels Video nicht ganz einfach. Möglich ist es, die Nähe-Distanz-Darstellung über die Entfernung zur Kamera zu regulieren. Dies geschieht oft auch während der Videositzung intuitiv, etwa wenn die Mutter sich jedes Mal nach vorne, Richtung Kamera, lehnt, wenn der Sohn spricht, jedoch zurückweicht, wenn die Tochter an der Reihe ist. Auch in Teamsupervisionen kann dieser Effekt beobachtet werden: Oft erkennt man einen vergrößerten Abstand, wenn der Chef spricht oder das „schwarze Schaf“ der Gruppe das Wort ergreift. Es lohnt sich also, auch außerhalb formaler Interventionen auf Änderungen von Abständen zu achten. Natürlich kann auch in der Videositzung ein Teilnehmer gebeten werden, die Familien- oder Teammitglieder so zu positionieren, wie er sie gerade erlebt. Durch die Anweisungen zur Einnahme bestimmter Haltungen ergeben sich nun vielerlei Informationen und auch hier bekommen die Systemmitglieder Hinweise darüber, wie ein anderer sie und ihre Beziehung erlebt. Was auch online funktioniert, ist die Überprüfung, welche spürbaren Auswirkungen bestimmte Haltungen nach sich ziehen. Auch die Auswirkungen der Körperhaltungen auf andere, die diese beobachten, können benannt werden. Die tatsächliche Bezogenheit aufeinander im Raum fehlt jedoch. Wenn Sie die Möglichkeit haben: Bitten Sie die Teilnehmer für die Skulptur in einem Raum zusammenzukommen und die Kamera so auszurichten, dass Sie zusehen können. Wenn Sie viel per Video arbeiten und einen längeren Prozess mit einer Familie oder einem Team planen, lohnt sich hierzu die Investition in ein Stativ mit integrierter Objektverfolgung. Team oder Familie stellen dieses auf und es verfolgt automatisch die Bewegungen – so sind Sie tatsächlich live dabei, während Ihre Skulptur entsteht und keiner der Beteiligten muss den „Kameramann“ spielen. Wenn Sie Familie oder Team bitten möchten, eine Skulptur mittels Figuren zu stellen, bieten sich verschiedene Varianten an: Sie können der Familie in der vorhergehenden Sitzung verraten, dass Sie mit Symbolen arbeiten möchten. Dann bitten Sie die Familie, etwas zu organisieren, was eine solche Arbeit ermöglicht (z. B. alte Spielfiguren der Kinder). Natürlich können Sie Materialien vorab eben-

7.3  Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen

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falls per Post zusenden: Dann entsteht neben der digitalen auch eine analoge Verbindung zum Therapeuten.

7.3 Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen Die folgenden Hinweise beziehen sich hauptsächlich auf die supervisorische Tätigkeit in Teams und Gruppen, weniger auf das Einzelsetting. Viele der Interventionen sind jedoch leicht auf dieses übertragbar. Zum Abschluss finden Sie einige Empfehlungen für die Ausbildungs- und Lehrsupervision.

7.3.1 Vorbereitung und Vorabinformation Für die erste Sitzung sollten Sie den virtuellen Raum, wenn möglich, 15 min früher öffnen, sodass Teilnehmer mit technischen Unsicherheiten Zeit haben, sich mit der Anwendung vertraut zu machen und auftretende Probleme zu lösen. Analog der Vor-Ort-Sitzung, empfiehlt es sich auch bei der Videosupervision, bereits vor den Teilnehmern im Raum sein und jeden zu begrüßen, der eintritt. Wenn Sie den Computerton freigeben, können Sie eine Warteraumatmosphäre schaffen, indem Sie eine Hintergrundmusik laufen lassen. So fühlen Ihre Teilnehmer sich willkommen. Hierzu noch eine Empfehlung: Wenn Sie den Raum öffnen, selbst aber noch nicht teilnehmen, bieten die meisten Anbieter es an, ein Foto von sich selbst einzublenden. Das wirkt professionell und alle Ankommenden wissen, dass sie sich richtig eingewählt haben. Rufen Sie vor dem Start alle Folien oder andere Materialien auf, die Sie während der Sitzung benötigen. So können Sie sie über die Funktion „Bildschirm teilen“ direkt aufrufen und müssen nicht erst auf die Suche gehen. Schließen Sie alle anderen Programme. Eingehende Mails verursachen z. B. gerne ein lautes Geräusch, das alle Teilnehmer über Ihr Mikrofon hören können. Prüfen Sie vor Beginn der Sitzung • Ihr Videobild (Qualität okay? Beleuchtung okay?), • den Bildausschnitt (Hintergrund okay?), • Ihr Mikrofon (Funktion? Lautstärke passend?), • potenzielle Störungen (Telefon auf „lautlos“? Türklingel abgeschaltet?) und dass • Papier und Stift oder Tablet für die Aufnahme von Notizen bereitliegen. Auch für Supervisionsgruppen empfiehlt sich eine schriftliche Information, die Sie vor der ersten Sitzung z. B. per E-Mail, zur Verfügung stellen. Supervisanden, die noch nie an Videokonferenzen teilgenommen haben, können sich so bereits mental auf das Setting einstellen und Schwellenängste reduzieren. Möchten Sie Hinweise

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zu Mimik und Gestik geben, können Sie die Informationen aus dem Anschreiben für die Therapie übertragen (Abschn. 4.2). Eine mögliche Darstellung wesentlicher Informationen für Supervisionsgruppen folgt. Informationen vor der ersten Videosupervisionssitzung

Liebe Supervisanden, Einige von Ihnen werden bereits Erfahrungen mit Videokonferenzen gesammelt haben. Für die von Ihnen, für die es das erste Mal ist: Keine Sorge! Sie erhalten zu Beginn unserer Sitzung eine Einweisung, um alle Möglichkeiten dieses Formats kennenzulernen und nutzen zu können! Sie finden untenstehend einen Link, den Sie aufrufen, um der Supervision beizutreten. Es baut sich dann eine Verbindung zu unserem Treffen auf. Falls die Software noch nicht bei Ihnen vorhanden ist, werden Sie aufgefordert, die Installation vorzunehmen. Wenn Sie das Programm schon vorher testen möchten, es handelt sich um „xyz“. Achten Sie darauf, die Software auf dem Gerät zu installieren, das Sie nutzen, um an der Supervision teilzunehmen. Jedes Gerät mit Kamera und Mikrofon ist möglich – in der Regel gilt hierbei: Je neuer, desto besser. Auch ein größerer Bildschirm ist einem kleineren immer vorzuziehen. Sollten Sie mit Smartphone oder Tablet teilnehmen, achten Sie bitte darauf, das Ladegerät griffbereit und eine Abstellmöglichkeit zu haben. Der Akku leert sich bei einer Videoverbindung oft rasch und ein Smartphone oder Tablet mehrere Stunden ohne Bewegung in der Hand zu halten, ist kein Spaß. Richten Sie also vorneweg Ihr Equipment so ein, dass Sie ohne Verrenkungskünste der Sitzung folgen können. In der Regel reichen die integrierten Audiomöglichkeiten der Geräte für die Gespräche völlig aus. Wenn Sie sich wohler fühlen, können Sie natürlich auch ein Headset verwenden. Die Datensicherheit und der Schutz der Privatsphäre sind auch in der Videosupervision wichtig! Sollten wir während der Sitzung daher über echte Fälle von Ihnen sprechen, achten Sie bitte darauf, dass Sie anonymisieren, indem Sie beispielsweise von Frau „K.“ oder der „Gruppe S.“ berichten. Die beigefügte Erklärung zur Nutzung der Videosoftware senden Sie mir bitte unterschrieben zurück. Sie werden in dieser um Ihr Einverständnis bzgl. folgender Punkte gebeten: • Zur Gewährleistung von Datensicherheit und störungsfreiem Ablauf, findet die Videositzung in einem geschlossen Raum statt, der eine angemessene Privatsphäre bietet. • Zu Beginn der Videositzung erfolgt eine Vorstellung aller im Raum anwesenden Personen. Betreten Personen den Raum, die nicht zur Supervisionsgruppe gehören, unterbrechen Sie unmittelbar Ihre Audio- und Videoverbindung, bis Sie wieder ungestört sind. • Die technische Absicherung des für die Videositzung verwendeten Gerätes obliegt der Teilnehmerin selbst. Auf die Bedeutsamkeit eines aktuellen

7.3  Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen

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Betriebssystems, Virenschutzprogramms sowie einer aktivierten Firewall wird ausdrücklich hingewiesen. • Es besteht die Möglichkeit, dass Schadprogramme in der Lage sind, Videoübertragungen aufzuzeichnen und weiterzuleiten. Eine absolute Datensicherheit kann daher nicht garantiert werden. • Aufzeichnungen jeglicher Art sind während der Videosprechstunde nicht gestattet, es sei denn, es wird eine gemeinschaftliche Entscheidung für eine Aufzeichnung getroffen. Dieser muss schriftlich von allen Beteiligten zugestimmt werden. Zudem werden Sie gebeten, in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung Ihrer Daten im Rahmen der Videositzungen ausdrücklich einzuwilligen – die erhobenen Daten werden explizit benannt. Natürlich können Sie Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen. Sie erhalten alle gemeinsam erstellten Informationen zu den besprochenen Themen im Anschluss zur Verfügung gestellt (als Bilddatei im JPG-Format). Sie müssen also nicht mitschreiben. Erhalten Sie Leseempfehlungen, bekommen Sie die Links entweder direkt im Chat oder Sie können das Material im Anschluss an die Sitzung im Downloadbereich herunterladen. Das Kennwort hierfür lautet xy. Die Supervision beginnt um xx.xx Uhr. Ankommen im virtuellen Raum ab xx.xx Uhr. Sollten Sie noch unvertraut mit Videokonferenzen sein, melden Sie sich bitte bereits zur früheren Zeit an und nutzen Sie die 15 min, um sich schon etwas mit dem Programm vertraut zu machen und evtl. auftretende Schwierigkeiten (z. B. mit dem Ton) zu lösen. Nach Aufrufen des Links warten Sie, bis Sie in den Raum eintreten können. Vorher werden Sie gefragt, ob Sie mit Video beitreten möchten („ja“) und ob Sie über Internet-Audio anrufen möchten („ja“). Hier ist der Link: xxx. Sollten Sie vor Beginn der Supervision noch Fragen haben: Am einfachsten ist der Weg über E-Mail. Ich freue mich darauf, Sie online kennen zu lernen! ◄ Auch die Video-Netiquette (vgl. Abschn. 5.3.4) sollte Ihren Teilnehmern bekannt sein. Sie können Sie entweder der Vorabinformation beifügen, oder sie zu Beginn der ersten Sitzung gemeinsam durchgehen bzw. entwickeln.

7.3.2 Allgemeine Hinweise für das Gruppensetting Wenn Sie mit größeren Gruppen arbeiten, erleichtern Sie sich die Arbeit, wenn Sie den Teilnehmern direkt zu Beginn Nummern zuweisen. Das können Sie mündlich machen, es bietet sich aber auch an, eine Folie mit den Namen oder Fotos der Teilnehmer hierfür zu verwenden. Jedes Mal, wenn Sie eine Runde ankündigen, weiß nun jeder, wann er dran ist. Sie können sich mehr auf die Inhalte der Aussagen konzentrieren, da die Moderationsaufgabe in den Hintergrund tritt.

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Eine zweite Kamera bringt Lebendigkeit in Gruppensitzungen. Wenn Sie dazu noch über ein Bluetoothheadset verfügen, können Sie sich frei durch den Raum bewegen und beispielsweise Karteikarten nach Zurufen aus der Gruppe an die Metaplanwand vor Ort heften. Bei größeren Gruppen kann sich auch die Anschaffung eines zweiten Bildschirms für Sie lohnen. So können Sie auch hier jeden einzelnen Teilnehmer im Blick behalten. Wenn Sie mit einer Gruppe zusammen in einem Raum sitzen, fällt Ihnen schnell auf, welcher Teilnehmer viel spricht und von wem kaum etwas zu hören ist. In Videositzungen identifizieren Sie die Vielsprecher ebenso leicht, doch die stillen Teilnehmer verschwinden, vor allem bei größeren Gruppen, tatsächlich in den Hintergrund. Eine Technik, Aufmerksamkeit hierfür zu entwickeln, ist eine Strichliste, mit der Sie jede Wortmeldung dem jeweiligen Namen zuordnen. So erhalten Sie einen raschen Überblick über die (ausbleibende) Beteiligung. In der Regel lohnt sich dieses Vorgehen erst bei einer Gruppengröße über zehn Personen. Der digitale Raum ist hierarchiefreier und ausgeglichener als der Präsenzraum. Während vor Ort der Blick oft zum Vorgesetzten wandert und diesem der Vortritt gelassen wird, ist eine solche Abstimmung in der Regel virtuell nicht möglich. Das hat Vor- und Nachteile. Oft sind die Redeanteile ausgeglichener und Teamentscheidungen sind wirklich Teamentscheidungen. Durch Abstimmungstools finden Abstimmungen tatsächlich anonym statt und offenbaren Themen, die unter Transparenzbedingungen nicht auftreten oder explizit anders bewertet werden. Nachteilig ist jedoch, dass nonverbale Hinweise verloren gehen, die auf Hierarchien, Rollenverteilung oder auch Ängste hinweisen können. In der Videosupervision ist es aufgrund der fehlenden kontinuierlichen nonverbalen Rückmeldung zudem schwerer zu erkennen, ob Teilnehmer Absprachen tatsächlich zustimmen. Anders ausgedrückt: Für den Teilnehmer ist es leichter, verdeckt zu protestieren. Erst zum Abschluss der Gruppe wird die nur vermeintlich gemeinsam getroffene Entscheidung dann infrage gestellt. Achten Sie daher vor allem bei neuen Gruppen in Entscheidungsprozessen darauf, bewusst alle Teilnehmer abzufragen bzw. um eine explizite nonverbale Geste der Zustimmung zu bitten. Möglich ist auch die Nutzung eines Symbols, z. B. ein Haken oder der erhobene Daumen. u

Explizite „Ja, aber…“-Symbole  Die Supervisorin vereinbart mit der Gruppe explizit ein bestimmtes Icon, z. B. das „X“, um während einer Entscheidungsfindung, Diskussion oder auch eines Theorieinputs darauf hinzuweisen, dass es einen Einwand oder Widerstand gibt. Wird also ein „X“ bei einem Teilnehmer angezeigt, weist dies auf ein „ja… aber“ hin. Dieses kann nun notiert oder bearbeitet werden. Die Technik ist geeignet, um Widerstände zu entdecken, die sonst nicht zur Sprache kommen. Auch erhöht sie die Eigenverantwortung jedes Teilnehmers, sich einzubringen bzw. auch die Verantwortung für eine Nicht-Einbringung zu übernehmen.

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Denken Sie daran, auch im Videosetting Regeln und relevante Absprachen vor bzw. zu Beginn der Sitzung zu besprechen (vgl. Abschn. 5.3). Hierzu gehört die Beantwortung folgender Fragen: • Wie wird mit technischen Problemen umgegangen? Fallbackoption? • Wie werden Absprachen festgehalten? Gibt es einen Protokollanten? • Welche Melderegeln gelten? Icon, (echtes) Handheben oder (bei kleineren Gruppen evtl. möglich) ist Reinreden okay? • Welche Gruppenregeln gelten (analog zur Vor-Ort-Sitzung regelbar)? • Darf die Sitzung kurz verlassen werden? Muss dies angezeigt werden (wie)? • Darf parallel eine Kommunikation über den Chat erfolgen? Auch privat?

7.3.3 Ankommen, Kennenlernen und Teamentwickeln In diesem und den Folgeabschnitten erfolgt eine Zusammenstellung verschiedener Interventionen, die von den speziellen Möglichkeiten Gebrauch machen, die der Videosupervision innewohnen. Die Videositzung wird hier als Medium zur „Problemlösung“ begriffen, statt lediglich als Medium, das eine Unabhängigkeit von der Face-to-Face-Begegnung erlaubt (vgl. Geißler 2018). Während viele der Interventionen keiner bestimmten theoretischen Ausrichtung entspringen, folgen einige einem systemisch-lösungsorientiert geprägten Supervisionsverständnis, das den Fokus auf die Schnittstelle von Person, Profession und Organisation legt (Neumann-Wirsig 2016). Da sie nur stichwortartig umrissen sind, ist hier eine Grundidee bzgl. der Haltung und der Zielsetzung eines systemischen Vorgehens von Vorteil (vgl. Abschn. 7.2). Was siehst Du gerade? Eine schöne Übung zum Ankommen fragt schlicht nach dem Ausblick, den jeder Sitzungsteilnehmer gerade hat, und der den anderen Teilnehmern verborgen ist. Statt der bloßen Beschreibung ist es ebenfalls möglich, dass jeder einen Gegenstand auswählt, den er derzeit sehen kann und diesen auf das Whiteboard notiert oder malt. Variationen dieser Übung sehen vor, nach dem ungewöhnlichsten, größten oder kleinsten Gegenstand zu fragen, der erblickt werden kann. In technisch versierten Gruppen ist auch eine moderne Version des „Fensterns“ möglich: Jeder Teilnehmer nimmt per Smartphone ein Foto von seinem aktuellen Ausblick auf und teilt dieses mit den anderen Teilnehmern. Was hast Du in Deiner Nähe? Allgemeine Erheiterung erbringt immer die Aufforderung, einen Gegenstand, von dem keiner vermuten würde, dass er derzeit in Reichweite liegt, in die Kamera zu halten. Die Übung eignet sich auch zum gemeinsamen Spekulieren und abstimmen. Wer hat den ungewöhnlichsten Gegenstand? Und was könnte das sein?

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Sie können ebenfalls konkret danach fragen, wer wohl am meisten Stifte (Bücher, Fotos, Radiergummis) in seinem Schreibtisch hat, die meisten Notizzettel benutzt oder den Schreibtisch am ordentlichsten hält. Lassen Sie die Gruppe jeweils abstimmen, lernt sie so auch die Nutzung des Umfragetools kennen. Auch diese Übung führt meist zu einer gelockerten Stimmung, da in der Regel Beweise eingefordert werden und Kameras dann Berge von Bleistiften, Ansammlungen von Ü-Ei-Figuren oder unaufgeräumte Schubladen einfangen. Gemeinsames Bild Diese Methode ist aus Präsenzveranstaltungen bekannt. Entweder frei oder mit einer bestimmten Aufgabenstellung soll die Gruppe ein gemeinsames Bild erstellen. In der Videosupervision nutzen Sie hierfür das Whiteboard. Das kann simultan geschehen oder der Reihenfolge nach. Empfehlenswert ist eine Zeitvorgabe von ca. 30 s pro Teilnehmer. Variieren können Sie ebenfalls, ob die Teilnehmer sich während des Malens absprechen dürfen oder ob das Bild ohne verbalen Austausch entstehen soll. Wenn Sie der Empfehlung mit der Nummerierung der Teilnehmer gefolgt sind (s. Abschn. 7.3.2), weiß jeder immer, wann er an der Reihe ist. Unser Wald Mit dieser Übung vereinen Sie mehrere Effekte: Die Teilnehmer lernen die Zeichenwerkzeuge kennen, erstellen ein Bild und lachen gemeinsam über das künstlerisch meist fragliche Resultat der vereinten Bemühungen. Die Vorbereitung ist denkbar einfach: Sie rufen das Whiteboard auf und malen Baumstämme in der Anzahl der Teilnehmer auf. Jedem Teilnehmer weisen Sie einen der Stämme zu. Auf Ihr Zeichen beginnen alle, ihren eigenen Baum zu gestalten. Sie mögen keine Bäume? Alternativ funktionieren Häuser (ein Viereck für jeden), Blumen (ein senkrechter Strich) oder auch Gesichter (ein Kreis). Nutzen Sie die Gesichterversion, können Sie hiermit auch eine Abfrage nach der derzeitigen Stimmung (z. B. zum Supervisionsbeginn) verbinden. Entspannungsübung Auch in der Videosupervision können Sie die Sitzung mit einer Entspannungsübung beginnen. Unterstützend bietet es sich an, ein passendes Bild einzublenden oder Musik über die Audiofreigabe abzuspielen. Bieten Sie den Teilnehmern an, während der Übung Kamera und Mikrofon auszuschalten – das schafft mehr Privatsphäre (vgl. Abschn. 7.1.10). Kennenlernen Eine einfache Übung, um ein schnelles Kennenlernen zu initiieren, gestalten Sie, indem Sie auf dem Whiteboard die Namen aller Teilnehmer notieren. Am besten verteilen Sie die Namen willkürlich, mit möglichst viel Abstand voneinander. Dann bitten Sie jeden Teilnehmer, zwei oder drei Begriffe zu notieren, die mit ihm selbst zu tun haben. Das können Eigenschaften oder Hobbys sein, aber auch (frühere) Wohnorte oder das Lieblingsessen. Im nächsten Schritt ziehen die­

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Teilnehmer eine Linie zu allen Begriffen auf der Tafel, zu denen eine Verbindung besteht. So stellen Sie schnell Gemeinsamkeiten fest und finden Anknüpfungspunkte. Gemeinsamkeiten und Unterschiede erstempeln Blenden Sie eine Deutschlandkarte ein und lassen Sie Ihre Teilnehmer aktuelle und frühere Wohnorte oder auch den Geburtsort stempeln. Blenden Sie eine Weltkarte ein und lassen Sie in einer Farbe Lieblingsurlaubsorte und in einer anderen Farbe Wunschziele stempeln. Interessante Ergebnisse erbringt auch immer die Aufforderung: „Bitte setzen Sie einen Stempel in das Land oder das Gebiet, in das Sie auf keinen Fall einmal reisen möchten.“ Schön ist auch die Speisekarte, die es so niemals geben würde (da Gerichte aus allen möglichen Ländern, und auch Speisen darauf stehen, die generell nicht in einem Restaurant angeboten werden würden). Lassen Sie hier die Gerichte stempeln, die Ihre Teilnehmer bevorzugen oder ablehnen würden. Eine Vorlage für die „unmögliche Speisekarte“ finden Sie wie gewohnt auf der Website! Haben Sie es mit einem Arbeitsteam zu tun, das sich bislang nur wenig kennt, können Sie auch Raum- oder Lagepläne der Organisation einblenden. Die Teilnehmer können neben ihren Büros die Orte zeigen, an denen sie sich gerne aufhalten oder an denen sie noch nie waren. Gibt es ein Firmengelände, können Lieblingsplätze gestempelt werden. Auch der favorisierte Sitzplatz in der Cafeteria bietet sich als Stempelgrund an. Gebrauchsanleitung mit Troubleshooting In Videokonferenzen treten immer wieder technische Probleme auf: Mikrofone funktionieren nicht, die Verbindung ruckelt oder reißt sogar ganz ab. Die auftretenden Schwierigkeiten können analog der Probleme verstanden werden, die auch in Gruppen und Teams auftreten: Es kommt zu Missverständnissen in der Kommunikation, man versteht sich nicht gut und hin und wieder bricht der Kontakt auch vollständig ab. Bei technischen Geräten und Prozessen gibt es Mittel, die bei diesen Problemen Abhilfe schaffen sollen („Troubleshooting“). In dieser Intervention gilt es, diese Abhilfen zu reflektieren und zu benennen. Am Ende steht eine Gebrauchsanleitung für das Team oder/und das einzelne Teammitglied mit genauen Regeln, wie mit auftretenden Störungen umgegangen werden soll. Stellen Sie dem Team hierfür eine Vorlage für eine Gebrauchsanleitung zur Verfügung und unterstützen Sie es dabei, Probleme in technische Beschreibungen zu übersetzen. Das kann auch in der Kleingruppenarbeit passieren. Im nächsten Schritt übersetzen Sie auch mögliche Lösungen in die technische Anwendung: „Steigt die Lautstärke während der Teamsitzung auf ein bedenkliches Level an, sind sofort alle Lautsprecher und Mikrofone herunterzudrehen, um zusätzliche Rückkopplungs- und Aufschaukelungsprozesse zu verhindern“. Den meisten Gruppen macht diese Arbeit viel Spaß, da sie kreativ ist und über die technische Perspektive eine Distanzierung vom Problemgeschehen erleichtert. Neben der Gebrauchsanleitung für das Team ist auch die individuelle Anleitung für jedes

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

einzelne Teammitglied möglich: „Wenn mein Akku leer ist, ist es wichtig, vorsichtig mit mir umzugehen und mich eher langsam aufladen zu lassen. Ein voller Akku kann an folgenden Hinweisen erkannt werden:….“

7.3.4 Themen- und Auftragssammlung Wie in der Präsenzsupervision können Sie die Themensammlung visuell unterstützen, indem Sie eine hierfür vorbereitete Folie nutzen, die Sie mittels geteiltem Bildschirm der Gruppe zeigen. Sind alle Themen notiert, können Sie die Wichtigkeit der Bearbeitung skalieren lassen. Hierzu kann z. B. jeder Teilnehmer hinter das eigene Thema eine Ziffer zwischen 0 und 10 notieren. Alternativ ist auch die Nutzung des Chats für gemeinsame Skalierungen möglich. Alle Teilnehmer geben Ihre Ziffer ein und senden diese nach Aufforderung gleichzeitig ab. Die Supervisorin überträgt die Werte auf die Folie. Ein kreative Methode der Themensammlung, die für Neugier bei den anderen Teilnehmern sorgt, ist es, die Teilnehmer stellvertretend für ihr Thema ein Symbol benennen oder aufmalen zu lassen: Angenommen Ihr Thema (Ihr Fall) wäre… • • • • • •

ein Bauwerk, mit was hätten wir es dann zu tun? ein abstraktes Kunstwerk, wie würde es aussehen? eine Serie, welchen Titel hätte sie? ein Drama/eine Komödie, welchen Titel hätte es/sie? ein Möbelstück, wie würde es aussehen? ein Tier, welches wäre es?

Wenn Sie es mit einer zurückhaltenden Gruppe zu tun haben, in der nur wenige Themen benannt werden, können Sie Antworten forcieren, indem Sie Aktivität einfordern. Bitten Sie hierzu alle Teilnehmer aufzustehen. Sie erkennen am veränderten Bild, dass die Teilnehmer tatsächlich aufgestanden sind. Stellen Sie nun Ihre Frage, z. B.: „Denken Sie nun über ein Thema nach, dass Sie heute vielleicht ansprechen möchten, setzen Sie sich, sobald Sie eines gefunden haben.“ Oder: „Erinnern Sie sich bitte an eine schwierige/erfolgreiche Begegnung, die in der letzten Woche stattgefunden hat. Setzen Sie sich wieder, um zu signalisieren, dass Sie eine passende Erinnerung gefunden haben.“. Diese Intervention erzeugt etwas Druck, ist aber sehr effektiv und oft ein Eisbrecher, der die weitere Sitzung erleichtert. Wenn Sie die Teilnehmer nicht aufstehen lassen wollen, können Sie für die Reflexionsphase die Teilnehmer ebenfalls bitten, die Kameras auszuschalten und erst wieder anzuschalten, wenn eine Erinnerung oder ein Thema aufgetaucht ist. Da die Teilnehmer sehen können, dass sich die Kameras der anderen wieder einschalten, erzeugt auch diese Intervention Druck, kommt aber ohne körperliche Aktivität aus.

7.3  Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen

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7.3.5 Zielklärung, Anliegen- und Fallbearbeitung Bedienen Sie sich für diesen Bereich auch aus den Interventionen, die unter Abschn. 7.2 dargestellt sind! Auch die meisten der auf Familien bezogenen Vorschläge lassen sich gut auf das Supervisionssetting übertragen. Wie hätten Sie’s denn gerne? Die Idee für diese Intervention entstammt dem Solution View-Tool (Kirsch 2016). Dieses wird hier vereinfacht angewendet und auf das Videosetting übertragen. Um weg von einer Fokussierung des Problems und dem, was nicht funktioniert, zu kommen, eignet sich eine einfache Zweispaltentechnik auf dem Whiteboard: Hierzu zeichnen Sie schlicht einen senkrechten Strich in der Mitte und unterteilen so die Tafel in eine Problem- und eine Lösungsseite. Lassen Sie zunächst alle Facetten benennen, die derzeit als schwierig, belastend, überfordernd erlebt werden und notieren Sie die entsprechenden Stichwörter in die linke Spalte. Dieser Gesprächsteil dient auch der Wertschätzung des Problems, die für den Supervisanden oft nötig ist, um sich auf einen Blick Richtung Lösung einlassen zu können. Ist das Problem ausreichend beleuchtet, fragen Sie: „Wie hätten Sie’s denn gerne?“ oder, weniger formlos: „Wie wäre es besser?“. Sammeln Sie die Benennungen auf der rechten Seite. Hierdurch entsteht eine Lösungsorientierung, aus der sich im nächsten Schritt konkrete Handlungen ableiten lassen. Bevor Sie diesen nächsten Schritt gehen, machen Sie allerdings noch etwas Wichtiges: Radieren Sie, mit Einverständnis des Supervisanden, die linke Seite komplett weg. Noch besser: Wenn die Technik es erlaubt, lassen Sie Ihren Supervisanden die Problemseite wegradieren! So haben Sie tatsächlich nur noch die möglichen Lösungen im Fokus und konzentrieren sich auf das, was funktioniert. Brainstorming Nutzen Sie das Whiteboard für ein Brainstorming. Alle Teilnehmer notieren parallel ihre Ideen und verwenden hierfür die Textfunktion. Modalitätenwechsel Lassen Sie Ihre Supervisanden Ideen, Assoziationen oder auch Lösungsvorschläge mit verschiedenen Modalitäten vorbringen. Bereiten Sie hierzu eine Folie mit vier Feldern vor. Jedes Feld steht für eine Modalität (z. B. Pantomime, Malen, Sprechen, Schreiben). Die Teilnehmer wählen für Ihren Beitrag eine Modalität aus. Spickzettel und heimliche Empfehlungen Eine Supervisandin erhält „Spickzettel“ von den anderen Teilnehmern geschrieben. Diese beinhalten die wesentlichen Ergebnisse der Supervision und können auch als Mutmacher dienen oder Komplimente beinhalten. Die Spickzettel

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

werden im Anschluss an die Fallbearbeitung per Dateiaustausch zur Verfügung gestellt. Auch der Versand per E-Mail ist möglich. Für heimliche Empfehlungen nutzt jeder Teilnehmer eine andere Farbe, um seine Hinweise zu formulieren. Die Stiftfarbe können Sie z. B. über die private Chatfunktion zuweisen. Es kann darüber spekuliert werden, wer was wohl geschrieben hat. Die Empfehlungen können sich an einen Fall- oder Themeneinbringer richten, jedoch auch an das gesamte die Team oder die Organisation. Mind-Map Themen oder Fälle lassen sich mittels einer Mind-Map strukturieren. Setzen Sie hierfür in die Mitte des Whiteboards ein Textfeld mit dem Thema. Von diesem abgehend können die Teilnehmer Informationen, Hypothesen oder Empfehlungen ergänzen. Um das Ganze etwas strukturierter zu gestalten, können Sie auch Rollen verteilen: Ein Teilnehmer notiert alle Wortbeiträge, ein anderer Teilnehmer sortiert diese in die Mind-Map ein. Feldaufteilung Für diese Intervention bereiten Sie Folien mit verschiedenen Abschnitten vor (z. B. mit vier Feldern). Nun stellen Sie Fragen und Ihre Teilnehmer weisen sich selbst, z. B. mit der „Stempel“-Funktion, den Feldern zu. So können z. B. Standpunkte schnell ersichtlich werden oder ein Meinungsbild in der Gruppe entstehen. Auch Ja-Nein-Abfragen sind auf diese Art leicht möglich. Perspektivwechsel und Meta-Ebene Wahrscheinlich kennen Sie verschiedene Techniken, Ihre Teilnehmer dazu anzuregen, eine Meta-Perspektive einzunehmen. Ziel ist hierbei, das eigene Problem aus einer Vogelperspektive oder aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und über diese und die entstehende Distanz zu neuen Lösungen zu kommen. Soll gezielt die Perspektive einer anderen Person eingenommen werden, können hierfür Accessoires verwendet werden, die den Wechsel in die andere Rolle symbolisieren. Im Videosetting, in dem nur ein Ausschnitt der Gesamtperson gesehen wird, wirken die Accessoires oft sehr intensiv. Besonders effektiv ist die Übung, wenn alle Teilnehmer mitmachen und vorab definierte Perspektiven auf das geschilderte Problem übernehmen. Sichtweisen, die explizit eingenommen werden können, sind z. B. die eines Kindes, einer Großmutter, eines Philosophen, eines Skeptikers, eines Pessimisten, eines Optimisten… Schwierig für die Teilnehmer ist es oft, die Rollen mit Leben zu füllen und dem Falleinbringer Fragen aus der jeweiligen Rollenperspektive zu stellen. Das können Sie in einer Videosupervision jedoch leicht erreichen, wenn Sie den jeweiligen Rollenspielern einen Fragenkatalog zur Verfügung stellen, den diese parallel auf Ihrem Monitor einblenden können. Verteilen Sie also die Rollen und Fragenkataloge und geben Sie jedem Rollenspieler Zeit, um sich auf seine Rolle vorzubereiten. Hierzu werden die Fragen studiert und ergänzt sowie eine spezielle Rollenmimik und Körperhaltung eingenommen.

7.3  Supervisionsspezifische Vorgehensweisen und Interventionen

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7.3.6 Feedback und Abschluss Wenn Sie ein anonymes Feedback möchten, können Sie vorab Fragen über das Umfragetool erstellen oder Teilnehmer Rückmeldungen anonym in Skalen oder Grafiken eintragen lassen (z. B., indem pro Frage ein Punkt von allen in die jeweilige Grafik gesetzt wird). Die Grafiken müssen Sie einmalig vorbereiten, können sie dann aber immer wieder nutzen. Fünf-Finger-Feedback (nach Harnacke 2020) Nacheinander werden die Finger einer Hand in die Kamera gehalten. Der erhobene Daumen begleitet die Aussprache von Lob, der Zeigefinger macht auf wesentliche Erkenntnisse aufmerksam, der Mittelfinger zeigt an, was genervt oder gestört hat, der Ringfinger (der für Bindung steht) verdeutlicht, was mitgenommen werden soll und schließlich macht der kleine Finger aufmerksam auf das, was „zu kurz“ kam. Ihnen ist der Mittelfinger zu offensiv? Dann nutzen Sie ihn, um kenntlich zu machen, was in dieser Sitzung „im Mittelpunkt“ stand. Abschlussgeschenke und Komplimente Am Ende der Supervision bekommt jeder Teilnehmer eine Geschenknachricht von einem anderen Teilnehmer. Diese wird privat (z. B. über den Chat) versendet, der Inhalt ist also geheim. Alternativ ist auch ein anderer Versandweg denkbar, etwa per E-Mail, Kurznachricht oder Messengersystem. Wenn Sie ausschließlich mittels Videosupervision arbeiten und es mit einem Team zu tun haben, dass sich ebenfalls kaum face-to-face begegnet, ist eine schöne Variante, das Kompliment als Postkarte zu versenden. Wenn Sie mit Komplimenten abschließen möchten, notieren Sie Satzanfänge auf das Whiteboard: • • • • •

Wie Du heute… hat mich echt beeindruckt. Ganz ausgezeichnet fand ich es, als Du… Wunderbar! So möchte ich mit… auch umgehen können. Bemerkenswert fand ich, wie… Prima war es, dass Du vorhin…

Die Komplimente können entweder sich selbst gemacht werden, oder aber für eine bestimmte andere Person vervollständigt werden.

7.3.7 Ausbildungs- und Lehrsupervision In der Ausbildungssupervision per Video lohnt es sich, Rollenspiele durchzuführen, in denen der Therapeut in die Patientenrolle schlüpft und an sich selbst die Wirkung verschiedener Interventionen erleben kann. Arbeitet der Therapeut oder

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7  Interventionen in Videotherapie und Videosupervision

Supervisor selbst mit dem Videosetting, sollte auch ein Teil seiner Supervision in diesem Format stattfinden (vgl. Abschn. 2.2.2). Gestalten Sie einen Perspektivwechsel auch in der Ausbildungs- und Lehrsupervision mittels der Hinzunahme einer zweiten Kamera. So können Sie Ihre Supervisandin von der Supervisoren- oder Therapeuten- in die Klientenrolle wechseln lassen oder auch verschiedene definierte Perspektiven auf ihr eigenes Thema wahrnehmen lassen (Abschn. 7.3.5). Auch die Aufteilung in verschiedene Anteile, oft Verhaltenstendenzen und Emotionen dem Klienten gegenüber, können im Stuhldialog reflektiert werden (vgl. Abschn. 7.1.9). Neben der Fachberatung ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildungs- und Lehrsupervision, Supervisanden dabei zu helfen, ihre Reaktionen auf Klienten zu analysieren, eigene Anteile zu reflektieren und in den Prozessen bewusst mit ihnen umzugehen. Systemische Lehrsupervisionen betonen auch hier die Beobachtung zweiter Ordnung (in diesem Fall des Supervisionssystems der Supervisandin) als zentral. Videoaufzeichnungen von Therapie- oder Supervisionssitzungen sind hierzu in besonderem Maße hilfreich, da sie dem Supervisor unmittelbar Einblick geben in die Interaktion zwischen Therapeut und Patient bzw. Supervisorin und Supervisand. Auch der Vergleich der Reaktionen auf den gleichen Klienten ist oft aufschlussreich und hilft, das Verständnis für die eigenen Anteile zu erhöhen. Wenn Sie in der Ausbildungs- und Lehrsupervision Videomaterial nutzen (dürfen), spielen Sie es so über den geteilten Bildschirm ab, dass Sie Ihre Supervisandin sowohl in der Videoaufnahme sehen als auch Ihre unmittelbare Reaktion auf das Video erkennen können. Sie erhalten hier eine unmittelbare Rückmeldung darüber, welche Sequenzen Ihrer Supervisandin selbst als besprechungs- oder korrekturwürdig erscheinen.

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Teil III

Nach der Videositzung

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Selbstfürsorge

Inhaltsverzeichnis 8.1 Körperlich fit bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.1.1 Übungen für Schulter, Nacken und Rücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.1.2 Verbesserte Körperwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 8.1.3 Übungen für Augen und Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 8.2 Ausgleich schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.2.1 Detachment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.2.2 Pausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8.2.3 Entspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

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Wie Sie auch in der Videobehandlung gut für sich selbst sorgen können, verrät Ihnen dieses Kapitel. In Abschn. 8.1 erhalten Sie Übungsempfehlungen für die Körperbereiche, die in der Videotätigkeit besonders stark belastet sind (Schultern, Nacken, Rücken und Augen). Möglichkeiten, den Ausgleich zwischen beruflicher Tätigkeit und Privatleben zu optimieren, erhalten Sie im Folgeabschnitt (8.2.1). Wie Sie Pausen effektiver gestalten und sich auch per Video mit Kollegen treffen können, ist anschließend Thema (Abschn. 8.2.2). Kapitel und Buch schließen mit Entspannung ab (Abschn. 8.2.3): Lassen Sie sich auf eine erholsame Bildschirmreise mitnehmen.

Videobehandlungen können dazu verleiten, die Selbstfürsorge zu vernachlässigen, da sie es uns erlauben, auch zu arbeiten, wenn wir krank sind, unsere Freizeit zu Hause verbringen oder weit entfernt im Urlaub. Auch am Wochenende mal kurz den Computer anzumachen, ist einfacher und schneller getan, als den physischen Weg in die Praxis auf sich zu nehmen. Der Umgang mit der eigenen ­Gesundheit © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Hartmann-Strauss, Videotherapie und Videosupervision, Psychotherapie: Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62091-5_8

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8 Selbstfürsorge

und mit den eigenen Grenzen muss also gerade bei der Distanztherapie im Auge behalten werden. Auch körperlich ist die Videokommunikation belastend: In der Regel geht sie mit (noch) weniger Bewegung einher, als sie die vorwiegend sprechende Tätigkeit in Therapie und Supervision bereits im Vor-Ort-Setting mit sich bringt. Suchen Sie sich eine der folgenden Übungen oder Empfehlungen bewusst aus und nehmen Sie sich vor, diese in der nächsten Woche regelmäßig auszuführen. Intentionen sind wirksam: Ziele lassen sich mit klaren Vorsätzen deutlich besser erreichen als ohne (Gollwitzer 1999).

8.1 Körperlich fit bleiben In der Videobehandlung haben Sie durch das Sitzen vor dem Bildschirm weniger Bewegung als in Ihrer Tätigkeit vor Ort. Interventionen mit körperlicher Aktivität entfallen oder finden nur reduziert statt, größere Änderungen der Sitzhaltung müssen wegen der Kamerazentrierung unterbleiben. Bieten Sie viele Videositzungen an, brauchen Sie mehr Bewegungseinheiten und müssen Fehlhaltungen bewusster gegensteuern. Seien Sie daher sensibel für Ihre Körperhaltung und führen Sie häufiger Dehn- und Entspannungsübungen durch, als Sie es gewohnt sind. Versuchen Sie trotz des Videosettings Ihre Position regelmäßig zu verändern. Vielleicht nutzen Sie auch in der Vor-Ort-Sitzung bereits Sitzball und Stehtisch? Das können Sie auch in der Videobehandlung tun. Führen Sie bewusst Haltungswechsel und Bewegungseinheiten zwischen den Sitzungen durch oder richten Sie sich gleich zwei verschiedene Arbeitsplätze ein, zwischen denen Sie pendeln können. So ändert sich Ihre Haltung regelmäßig und Sie bewegen sich mehr. Wenn Sie während des Gesprächs Ihren Aufenthaltsort oder Ihre Position gravierend ändern, z. B. weil Sie aus Ihrem Schreibtisch einen Stehtisch machen, teilen Sie das Ihrem Gesprächspartner mit. Es kann sonst zu Irritationen führen, wenn Ihr Bild und der Hintergrund plötzlich wechseln. Wenn Sie Sitzbälle oder schwingende Stühle nutzen, achten Sie auf Ihr eigenes Bild und kontrollieren Sie, ob die durch den Stuhl(ersatz) ausgelösten Bewegungen stören können.

8.1.1 Übungen für Schulter, Nacken und Rücken Eine wirkungsvolle Übung für den Schulter-Nacken-Bereich dauert unter einer Minute: 1. Ziehen Sie Ihre Schultern nach oben in Richtung der Ohren. 2. Halten Sie sie dort für etwa 15 s. 3. Lassen Sie die Schultern mit einem Mal fallen. Für diese Übung werden Ihnen Rücken-, Schulter- und Nackenbereich dankbar sein:

8.1  Körperlich fit bleiben

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1. Stehen Sie auf und stellen Sie sich gerade hin. Achten Sie auf einen festen, etwa schulterbreiten Stand. 2. Nehmen Sie ein paar Atemzüge lang Ihre Atmung wahr und ziehen Sie dann, während des Einatmens, beide Armen nach oben und führen Sie sie an der höchsten Stelle über Ihrem Kopf zusammen. Wenn Sie möchten, können Sie die Finger verschränken. 3. Bewegen Sie Ihre Arme gemeinsam mit Ihrem Oberkörper beim nächsten Ausatmen nach links. Beugen Sie dabei den Oberkörper leicht. Beim Einatmen kehren Oberkörper und Arme wieder zurück in die aufgerichtete Stellung. 4. Nun das gleiche zur anderen Seite: Beim Ausatmen Arme und Oberkörper auf die rechte Seite bewegen, Oberkörper leicht beugen. 5. Beim Einatmen wieder in die aufgerichtete Stellung zurückkehren. 6. Beim nächsten Ausatmen Arme nach unten sinken lassen und parallel zum Körper ausschwingen. Auch die Drehübung hilft, den Rücken zu entspannen: 1. Sitzen Sie bequem auf dem Stuhl (Achtung: Stühle mit Rollen sind für diese Übung nicht geeignet). Beide Füße stehen angenehm fest auf dem Boden. 2. Richten Sie Ihren Rücken auf. Stellen Sie sich vor, Sie seien eine Marionette und von oben würde Ihre Schnur straffgezogen werden. 3. Überschlagen Sie nun Ihre Beine. Beginnen Sie damit, dass Sie das rechte Bein über das linke Bein legen. Der linke Fuß steht hierbei weiterhin fest und sicher, nun etwa mittig, auf dem Boden. 4. Legen Sie nun Ihre linke Hand auf Ihren rechten Oberschenkel. Legen Sie Ihre rechte Hand mit der Handinnenfläche dem Körper zugewandt auf Ihren unteren Rücken, die Finger kommen hierbei etwa auf dem Steißbein zum Liegen. So stützen Sie Ihren Rücken und verlieren die aufrechte Haltung während der Übung nicht. 5. Schieben Sie Ihre rechte Schulter nach hinten und drehen Sie dann Ihren Oberkörper nach rechts. Bewegen Sie auch Ihren Kopf nach rechts. Es dürfen keine Schmerzen auftreten, nur ein leichtes Spannungsgefühl. 6. Halten Sie diese Spannung etwas und bleiben Sie mit dem Oberkörper aufrecht. 7. Drehen Sie nun langsam zur Ausgangsposition zurück. Lösen Sie die Spannung in der Muskulatur und stellen Sie die Beine wieder nebeneinander fest auf den Boden. 8. Wiederholen Sie die Übung seitenverkehrt.

8.1.2 Verbesserte Körperwahrnehmung Ein Gespür für eine gute Haltung und dazu noch eine Dehnung der Brustmuskulatur ermöglicht Ihnen diese Übung, die Sie sowohl im Sitzen als auch im Stehen durchführen können.

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8 Selbstfürsorge

1. Überkreuzen Sie Ihre Arme vor der Brust so, dass die Hände auf der jeweils gegenüberliegenden Schulter zum Liegen kommen. 2. Drücken Sie mit den Schultern nach vorne, in Richtung der Hände. Halten Sie die Schultern etwa zehn Sekunden in dieser Stellung. Achten Sie darauf, ruhig weiter zu atmen. 3. Lösen Sie die Schulterspannung und strecken Sie die Arme nach unten und hinten, sodass die Schultern sich etwas nach hinten, die Brust sich etwas nach vorne bewegt. Atmen Sie während dieser Bewegung tief ein. 4. Nehmen Sie eine entspannte Körperhaltung ein, während Sie bewusst wieder ausatmen. Eine effektive Möglichkeit, die generelle Wahrnehmung für Spannungszustände zu schärfen, ist die Anwendung der Differenziellen Entspannung nach Jacobson, dem Gründer der Progressiven Relaxation (Jacobson 1929). Ziel ist es hierbei, körperliche Spannungszustände auch im Alltag spontan wahrzunehmen und aufzulösen. Zu diesem Zweck sollen bei jeder Tätigkeit ausschließlich die für diese notwendigen Muskeln angespannt werden. Kontinuierlich soll so die eigene Anspannung wahrgenommen, aufgelöst und (chronischen) Verspannungen vorgebeugt werden. Zum Erlernen der Technik nehmen Sie Positionen ein, die mit häufigen Tätigkeiten verbunden sind (z. B. ein Buch lesen, das Smartphone bedienen, am PC sitzen, telefonieren etc.). Während Sie die Position halten, überprüfen Sie, welche Muskeln Spannungen aufweisen und ob diese für die Tätigkeit notwendig sind. Sukzessive lösen Sie dann alle nicht erforderlichen Muskelspannungen. Hierfür können Sie die Muskelgruppen einzeln, z. B. von oben nach unten, durchgehen. Höhere Schwierigkeitsgrade weisen komplexere Tätigkeiten wie fernsehen, kochen oder Gespräche auf. Wurde die Übung über mehrere Wochen regelmäßig durchgeführt, kann die Lösung der Anspannung ebenfalls mithilfe eines Signalwortes geschehen, das gedacht wird, während die Muskulatur sich entspannt. Differenzielle Entspannung: Selbstversuch Neugierig geworden? Testen Sie diese Entspannungsform genau jetzt. Bleiben Sie dafür zunächst exakt so sitzen, wie Sie es gerade tun. Und nun beginnen Sie bei Ihrem Gesicht: Welche Muskeln spannen Sie an? Runzeln Sie Ihre Stirn? Kneifen Sie die Augen zusammen? Liegen Ihre Zähne locker aufeinander, ist der Kiefer entspannt? Lösen Sie alle Spannungen, die nicht benötigt werden. Wie sieht es mit Ihrem Schulter-Nacken-Bereich aus? Sind die Schultern locker? Wie ist die Haltung des Kopfes? Und: Wie fühlt sich Ihr Nacken an? Gibt es eine Position, die diesen Bereich entlastet? Wie fühlt sich Ihr Rücken an? Wie Ihr Gesäß? Prüfen Sie die Haltung Ihrer Beine. Ist es bequem so? Wie könnte die Haltung verändert werden, um die Beinmuskulatur zu entspannen? Liegen Ihre Arme auf oder halten Sie dieses Buch? Gibt es Muskeln, die Sie lösen können, während Sie die Haltung fortführen? Oder möchten Sie die Haltung korrigieren? Nehmen Sie nun noch einmal den Körper als Ganzes wahr: Wie fühlen Sie sich?

8.1  Körperlich fit bleiben

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8.1.3 Übungen für Augen und Atmung Eine Bildschirmtätigkeit stellt hohe Anforderungen an unser Sehvermögen. Ist dieses nicht ausreichend korrigiert, kann der ständige Blick auf den Monitor bestehende Beschwerden verschlimmern. Neben tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit der Ansicht oder Fixierung des Gesprächspartners zu tun haben, sollten auch vermehrt auftretende Kopfschmerzen an Sehstörungen denken lassen und eine Abklärung nach sich ziehen. Entspannen Sie Ihre Augen, indem Sie „kognitive Erholungsräume“ (Kühne und Hintenberger 2020) schaffen. Das können z. B. entspannende Bilder sein, die positive Assoziationen auslösen und die direkt neben dem Monitor aufgestellt sind oder an der Wand darüber hängen. Auch im Face-to-Face-Kontakt halten wir nicht ständig Blickkontakt, sondern lassen unsere Augen umherschweifen oder auf einem angenehmen Reiz ruhen. Nutzen Sie auch bei Videobehandlungen diese Möglichkeit und machen Sie Ihren Gesprächspartner darauf aufmerksam, dass auch er, etwa um nachzudenken, ruhig an Ihnen vorbeisehen darf. In gemeinsam genutzten Büros findet sich oft ein Fehler hinsichtlich der kognitiven Erholungsräume: Teilen Sie sich das Büro mit jemandem, sollten die Bilder, die für Sie wichtig sind, niemals hinter Ihnen hängen, sondern an der Wand, die Sie sehen, wenn Sie von Ihrer üblichen Arbeitsposition aufblicken. Das bedeutet in der klassischen Vis-a-vis-Anordnung, dass Ihre Bilder an der Wand hinter Ihrer Kollegin hängen sollten und deren Bilder entsprechend hinter Ihnen. Augenentspannung und Lichtauszeit Die Übung funktioniert am besten, wenn Sie die Möglichkeit haben, von Ihrem Arbeitsplatz aus durch ein Fenster zu blicken. Sehen Sie zunächst einige Sekunden bewusst auf Ihren Bildschirm. Suchen Sie nun einen Punkt, der einige Meter weiter weg (aber noch im selben Raum) ist und fixieren Sie auch diesen für einige Sekunden. Wählen Sie dann einen Punkt, der deutlich weiter entfernt liegt, z. B. ein Haus oder ein Auto, das Sie erkennen können, wenn Sie aus dem Fenster sehen. Und dann: Richten Sie Ihre Augen ganz in die Ferne, am besten in den Himmel. Entspannen Sie die Augen, lassen Sie sie frei schweifen, ohne bestimmten Fokus. Vielleicht möchten Sie sie kurz schließen. Kombinieren können Sie diese Übung mit einer „Lichtauszeit“. Legen Sie Ihre Handinnenflächen gewölbt über Ihre Augen und versuchen Sie den Raum so abzudichten, dass keinerlei Licht auf die Augen trifft. Dann öffnen Sie die Augen und entspannen sie bewusst, ohne etwas zu fixieren. Palmieren Vielleicht kennen Sie das sogenannte „Palmieren“ bereits? Eine kurze und wirkungsvolle Übung, mehrfach am Tag durchführbar. Reiben Sie Ihre Handinnenflächen aneinander, bis Sie spüren, dass diese warm geworden sind. Schließen Sie dann Ihre Augen und legen Sie Ihre Hände über sie. Die Handballen berühren die Wangenknochen, die Fingerspitzen die Stirn, die Daumen

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8 Selbstfürsorge

die Schläfen. Die Handinnenflächen berühren die Augenlider nicht, sondern sind über ihnen gewölbt. Achten Sie darauf, Schultern und Nackenbereich entspannt zu lassen. Lassen Sie nach 20 bis 40 s die Hände sinken und die Augen noch etwas geschlossen, bis Sie sich wieder Ihrer Tätigkeit zuwenden. Atmen Sie dabei ruhig ein und aus.

8.2 Ausgleich schaffen Sorgen Sie für sich, indem Sie Entspannungs- und Erholungsräume schaffen und regenerieren. Gehen Sie aktiv gegen Konzentrationsmangel und Ermüdungserscheinungen vor, indem Sie auf einen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit und auf eine erholsame Pausengestaltung achten. So entgehen Sie auch der ZoomMüdigkeit! Woher kommt die „Zoom“-Müdigkeit („Zoom Fatigue“)? Nach dem bekannten Konferenztool benannt, soll sich diese Müdigkeit als Folge von Videokonferenzen einstellen. Als Grund für die Müdigkeit wird vor allem die Anstrengung aufgrund der Kompensation fehlender nonverbaler Signale und der leichten Übertragungs- Asynchronität sowie das erschwerte Entschlüsseln der Körpersprache vermutet (Wiederhold 2020). Das häufig übergroß dargestellte Gesicht könne als Bedrohung wahrgenommen werden und so Stresshormone freisetzen (ebd.). Auch die Selbstbeobachtung, die parallel zum Gespräch stattfindet, kann zusätzliche Anstrengung bedeuten. Denkbar ist ebenfalls eine psychologische Erklärung: Vielleicht ist ein Teil der Ermüdung durch die Reaktanz verursacht, die es auslöst, mit einem Medium arbeiten zu müssen, das man nicht frei wählt. Gerade während der Coronapandemie wurden viele Therapeuten zur Videokonferenz gezwungen. Das allein mag dazu führen, das Medium abzulehnen, das einem verdeutlicht, keine Freiheit darüber zu haben, selbstständig die Form der Interaktion zu wählen.

8.2.1 Detachment Detachment bezieht sich auf den erlebten Abstand von der Arbeit und die Abwesenheit von Gedanken, die sich mit der Arbeit beschäftigen (Sonnentag und Fritz 2015). Neben der Entspannung, dem Meistern von Herausforderungen und der Kontrolle über die eigene Freizeit ist das Detachment wesentlich für den Erholungsprozess. Gelingt das Detachment nicht ausreichend, finden sich höhere berufsbezogene Belastungen und ein reduziertes Wohlbefinden, das unter anderem mit einer verringerten Lebenszufriedenheit einhergeht (ebd.). Wenn Sie vor allem im Homeoffice arbeiten, ist das bewusste Abschalten von der Arbeit sehr wichtig. Das liegt vor allem daran, dass natürliche Abgrenzungsund Abstandsprozesse im Homeoffice nicht stattfinden: Es gibt keine geografische Distanz, die den Arbeitsplatz vom Zuhause trennt, und die Klienten kommen über den Monitor in den Bereich herein, in dem auch das Privatleben stattfindet.

8.2  Ausgleich schaffen

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Um das Abschalten von der Arbeit zu ermöglichen, achten viele große Unternehmen heute verstärkt darauf, die arbeitsbezogene Kommunikation von Mitarbeitern in deren Freizeit zu unterbinden, etwa indem nach Arbeitsschluss keine E-Mails mehr empfangen werden können (Reif et al. 2018). Auch als Selbstständige können Sie diese Strategie gewinnbringend einsetzen. Unterstützen Sie das Detachment zusätzlich, indem Sie viele Reize jeweils spezifisch mit der Arbeits- oder der Privatzeit verbinden. Auch wenn Sie im Homeoffice arbeiten, achten Sie darauf, die Arbeits- von der Freizeitkleidung und auch die Zeiten für Arbeit und Nicht-Arbeit klar voneinander zu trennen. Empfehlenswert ist es auch, kleine Unterschiede bei Tätigkeiten einzuführen, die Sie sowohl beruflich als auch privat ausführen. Trinken Sie daher z. B. Ihren Kaffee während der Arbeitszeit konsequent aus einer anderen Tasse als den privaten Kaffee. Gewöhnen Sie es sich an, ein bewusstes Abschlussritual durchzuführen, wenn Ihr Arbeitstag endet. Das kann z. B. ein achtsames Aufräumen des Schreibtisches oder ein bewusstes Verlassen des Raumes oder Türenschließen sein.

8.2.2 Pausen Beschäftigen Sie sich zwischen den Gesprächen bewusst mit angenehmen Gedanken. Nutzen Sie Ihre Imagination und suchen Sie, evtl. unterstützt durch die Fotos an der Wand und auf dem Schreibtisch, einige Ihrer Lieblingsorte auf. Wenn Sie noch nicht müde vom Blick auf den Bildschirm geworden sind, beschäftigen Sie sich in den Pausen mit angenehmeren Dingen als schlechten Nachrichten und eingegangenen E-Mails. Mittlerweile gibt es mehrere Portale, die jeden Tag eine Auswahl guter Nachrichten bieten, die den Blick auf das richten helfen, was funktioniert. Sie sind ein Fan von süßen Katzenvideos? Wenn Ihre Entspannung hierdurch steigt, erfüllen sie ihren Zweck. In der Coronapandemie entstanden ist die Idee des Fenstertauschs (www.window-swap.com). Rufen Sie die Seite auf, blicken Sie durch ein zufällig ausgewähltes privates Fenster von einem Nutzer irgendwo in der Welt nach draußen. Mal landen Sie im Nachbarort, dann plötzlich über den Dächern von Chicago. Ein Treffen mit Kollegen ist auch über Video möglich. Hierzu empfiehlt es sich jedoch, Strukturen aufzubauen, wie man sie auch vor Ort hat. Sich also etwa gezielt für eine gemeinsame Kaffeepause zu treffen oder für einen Cocktail (falls Sie sich für das Rezept des „Videotinis“ oder des „Distanzos“ interessieren: Sie finden es in einer alkoholischen und alkoholfreien Version auf der Website). Genauso, wie Sie Ihren Arbeitshintergrund für die Sitzungen mit den Patienten wählen, sollten Sie das auch für das Gespräch mit den Kolleginnen tun: Meistens treffen wir diese weder in unserem Schlafzimmer noch in Arbeitshaltung am PC sitzend. Verlagern Sie den Genuss des gemeinsamen Cocktails also auf die Terrasse und die gemeinsame Kaffeepause dorthin, wo sie auch in der Klinik oder Praxis stattfindet: in der Nähe der Kaffeemaschine.

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8 Selbstfürsorge

8.2.3 Entspannung Fixieren Sie über viele Stunden hinweg den Bildschirm, können Konzentrationsprobleme und Ermüdung auftreten. Auch Kopfschmerzen, Verspannungen der Schulter-Nacken-Muskulatur, Rückenschmerzen und weitere Befindlichkeitsstörungen sind mit der Bildschirmtätigkeit verbunden (Plaumann et al. 2006). Sie bieten Ihren Klienten Entspannungs-, Achtsamkeits- oder Stabilisierungsübungen an? Nutzen Sie sie selbst, um Kräfte zu sammeln. Die beiden folgenden Atemübungen können in kurzen Pausen, z. B. zwischen zwei Sitzungen, durchgeführt werden. Ausatmungsverstärkung Die Fokussierung der eigenen Atmung beruhigt viele Menschen besonders effektiv. Eine Betonung der Ausatmung erweist sich zusätzlich als entspannungsfördernd. Hierzu wird die Ausatmung bewusst fokussiert oder auch gegenüber der Einatmung leicht verlängert. Zusätzlich lassen sich die Sekunden, die für Ein- und Ausatmung benötigt werden, zählen. Seufzeratmung Zu Beginn der Übung wird ein tiefer Atemzug genommen, die Luft kurz eingehalten und dann, zusammen mit einem lauten Seufzer, wieder ausgeatmet. Die Übung kann zwei- bis dreimal wiederholt werden und führt aufgrund der vorausgehenden Muskelkontraktion zu einer nachfolgenden Entspannung. Jeder Seufzer sollte von einer Pause gefolgt werden, die genutzt wird, um bewusst die nun einsetzende Entspannung wahrzunehmen und wirken zu lassen. Als 5-min-Entspannung zwischen zwei Videositzungen eignet sich die folgende Übung (als Audiofile auf der Website):

Bildschirmreise

Nehmen Sie eine bequeme Haltung auf Ihrem Stuhl ein. Die Füße berühren den Boden. Der Rücken kann leicht durch die Rückenlehne gestützt werden. Legen Sie Ihre Arme auf den Armlehnen oder den Oberschenkeln ab. Achten Sie darauf, möglichst aufrecht zu sitzen. Schließen Sie nun Ihre Augen und nehmen Sie Ihren Körper wahr. Versuchen Sie, das Gewicht Ihres Körpers zu erspüren. Registrieren Sie, dass der Körper vom Stuhl getragen wird. Es gibt nichts, was Sie dafür tun müssten. Es geschieht einfach so. In diesem Moment gibt es nichts zu tun. Alles, was Ihnen derzeit durch den Kopf geht, hat Zeit für später. Nichts müsste jetzt, in diesen Minuten, erledigt werden. Nehmen Sie einen tiefen Atemzug, beobachten Sie, wie sich Ihr Bauch nun hebt. Nehmen Sie nun wahr, wie sich die Atmung von selbst reguliert und Ihnen das Maß an Sauerstoff zuführt, das Ihr Körper gerade benötigt. Stellen

Literatur

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Sie sich nun Ihren Bildschirm vor. Wenn Ihnen das schwerfällt, öffnen Sie kurz Ihre Augen, sehen Sie ihn sich genau an und schließen Sie die Augen dann wieder. Stellen Sie sich nun vor, dass auf Ihrem Bildschirm ein schöner Ort zu sehen ist. Vielleicht kennen Sie diesen Ort aus dem Urlaub? Vielleicht ist es aber auch der Wald in der Nähe, in dem Sie gerne spazieren gehen. Manchmal wechseln die Bilder auch und es tauchen mehrere Orte hintereinander auf. Dann warten Sie einfach ab, bis der Ort auftaucht, der Sie am stärksten anzieht. Halten Sie dann das Bild an. Betrachten Sie das Bild des Ortes ganz genau. Welche Farben können Sie erkennen? Was an dem Bild ist für Ihren Ort besonders typisch? Erlauben Sie sich selbst, sich dem Ort ganz nahe zu fühlen und dann… stellen Sie sich vor, dass das Bild größer wird und Sie tatsächlich in diesen Ort eintreten können. Es ist nun kein Bild mehr, sondern Sie sind dort und nehmen den Ort nicht nur optisch, sondern auch akustisch und mit allen anderen Sinnen wahr. Was können Sie an Ihrem Ort hören? Welche Temperatur, welches Wetter weist der Ort auf? Gibt es spezielle Gerüche oder Empfindungen, die mit Ihrem Ort verbunden sind? Nehmen Sie all das wahr und erlauben Sie sich, die Erholung zu spüren, die mit diesem Erleben verbunden ist. Genießen Sie diesen kurzen Urlaub. Und dann: Entfernen Sie sich langsam wieder von Ihrem Ort. Lassen Sie ihn kleiner werden und bringen Sie ihn auf das Format Ihres Monitors zurück. Betrachten Sie ihn wieder von Ihrem Stuhl aus als Foto auf dem Bildschirm. Machen Sie sich bewusst, dass Sie jederzeit dorthin zurückkehren können. Werfen Sie einen letzten inneren Blick auf das Bild und lassen Sie dann den Monitor in Ihren Gedanken wieder dunkel werden. Spüren Sie Ihren Körper. Nehmen Sie den Kontakt der Füße mit dem Boden wahr. Spüren Sie die Stellen, an denen Ihr Körper den Stuhl berührt. Registrieren Sie die Entspannung Ihres Körpers. Und dann… kommen Sie ganz zurück… Atmen Sie noch einmal tief ein, füllen Sie die Lungen mit Luft. Recken und Strecken Sie Ihre Arme und Beine. Öffnen Sie Ihre Augen und begrüßen Sie den Bildschirm.

Literatur Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54(7), 493. Jacobson, E. (1929). Progressive Relaxation. Chicago: University of Chicago Press. Kühne, S., & Hintenberger, G. (2020). Onlineberatung und-therapie in Zeiten der Krise. Ein Überblick. e-beratungsjournal, 16(1), 33–44. Plaumann, M., Busse, A., & Walter, U. (2006). Arbeitsweltbezogene Risiken und Ressourcen. Weißbuch Prävention 2005/2006 (S. 131–140). Berlin: Springer. Reif, J., Spieß, E., & Stadler, P. (2018). Effektiver Umgang mit Stress. Heidelberg: Springer.

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Sonnentag, S., & Fritz, C. (2015). Recovery from job stress: The stressor-detachment model as an integrative framework. Journal of Organizational Behavior, 36(S1), 72–103. Wiederhold, B. K. (2020). Connecting through technology during the coronavirus disease 2019 pandemic: Avoiding „Zoom Fatigue“. Cyberpsychology, Behavior and Social Networking, 23(7), 437–438.