Verba prisca: die Anfänge des Archaisierens in der lateinischen Beredsamkeit und Geschichtsschreibung 3666251153, 9783666251153

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Verba prisca: die Anfänge des Archaisierens in der lateinischen Beredsamkeit und Geschichtsschreibung
 3666251153, 9783666251153

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HYPOMNEMATA

HEFT

25

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN UND

ZU

ZUR

IHREM

ANTIKE

NACHLEBEN

Herausgegeben von

Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Christian Habicht / Günther Patzig / Bruno Snell

HEFT

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& RUPRECHT

IN

GÖTTINGEN

WOLFGANG

VERBA Die Anfänge

DIETER

LEBEK

PRISCA des Archaisierens

in der lateinischen

Beredsamkeit und Geschichtsschreibung

VANDENHOECK

& RUPRECHT

IN GÖTTINGEN

© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1970. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung:

Hubert

&

Co.,

Göttingen

MEINER

MUTTER

Vorwort

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung prisca. Studien zu den Anfängen des Archaisierens keit und Geschichtsschreibung", Köln 1964. Herrn für die Stellung dieses Themas und für langjährige

meiner Dissertation ,, Verba in der römischen BeredsamProfessor A. Dihle bin ich Förderung sehr dankbar.

Den Herausgebern der Hypomnemata danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe und dem Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen für einen namhaften Druckkostenzuschuß. Mein Dank gilt auch Herrn Professor C. J. Classen für die kritische Lektüre eines Teiles des Manuskripts. Eine Hilfe,

die kaum groß genug zu veranschlagen ist, war mir der unermüdliche Beistand meiner Frau; sie hat auch die drei Indices verfaßt.

Kóln, im April 1970

Wolfgang Dieter Lebek

Inhaltsverzeichnis

I. Die Theorie in republikanischer Zeit

.................. Ln

1. Der Archaismus in der Theorie der Beredsamkeit ............... 2. Der Archaismus in der Theorie der Geschichtsschreibung .......... 3. Der Archaismus in der Theorie der Epistolographie ..............

II. Die Redekunst und die Schätzung älterer lateinischer Prosa in republikanischer Zeit........ llle 1. Die Beredsamkeit bis Cicero ............... l.l. a) Cato, der jüngere Scipio, Laelius ............. llle b)

Cotta tr.pl.103(?) a.Chr.,

Sisenna

...

oc

mn

nern

©) Catulus, Cicero ....... seen s d) Stilistisches Archaisieren? ............2l celles 2. Über Lektüre und Studium älteren Prosaschrifttums in der ausgehenden Republik ΝΥ ΞΕ ΕΕ

ΕΣ 4.

ΕΕΕΕ

b) Archaisieren bei Calvus, Brutus oder anderen Jungattikern? ....... Briefpartner Ciceros, die Redner Sallust und Q. Tubero ........... a) Ser. Sulpicius Rufus .. 2... 22 comme een. b) P. Cornelius Dolabella ............... rer rer c) P.Vatinius ... 2: oo onen rer tre sh d) L.Munatius Plancus .. . Co. oo o ον νιν νιν νιν νιν νι ννννινιν e) M.Caelius Rufus ............. eee es f) C.AsiniusPolio .................. cer

8) Allgemeines zur Sprache des ciceronischen Briefkorpus........... ἢ) C.Salustius Crispus ........ oo een rennen

6.

δ Q.Aelius Tubero . 2... 22: lille Thukydidesnachahmung und Sallustnachahmung ............... a) Das Problem... . 222: νὸν νιν νιν νιν νιν νιν εν νιν νιν νιν νιν κων b) Die Thucydidi Ciceros .............. lee €) T. Annius Cimber........ lle s d) Veranius Flaccus ......... lesen 6) M.Antonius ......... lee eee eee ehh Cato Censorius und andere antiqui in Ciceros Brutus... ...........

7.

Zusammenfassung

5.

ΠῚ.

............

esee

Die Geschichtsschreibung in republikanischer Zeit 1.

............

Die vorsallustische Historikersprache: Anschauungen, Methoden, Grundsätze

bei ihrer Erforschung

........

llle

2. Die Geschichtsschreibung von Cato bis Scaurus ......... νιν νων a) M.Porcius Cato... .... eee t tnn b) C.Casius Hemina ........... leen c)

L.Calpurnius Piso

...

..Ὁ.Ὁὐν

νιν

νειν

νιν εν

νειν

n

d) C.Fannius ........ νν νιν κεν εν e) Cn.Gelius........ leet f) L.Coelius Antipater ........ llle B Sempronius Asellio ........ 4. h)M.AemilusScaurus .......... lee 3.

Quadrigarius, Antias, Ps. Quadrigarius

a) 0. Claudius Quadrigarius b) c)

.........

............

th tn ne nn

llle

eee

Valerius Antias ........... ccce II Ps Quadrig. hist. 12 ....... llle

210 210 211 213

214 215 217 223 225 227

227 261 263

d) Die bisherigen Ergebnisse im Licht der antiken Zeugnisse ........ Sisenna und Licinius Macer ........ 2l a) L.Cornelius Sienna .. .. «τον νυν νιν enne Ὁ) C.Licinius Macer ........... eee 5. Zusammenfassung ......... eese eee n

264 267 267 287 289

IV. Archaisieren bei Sallust und in augusteischer Zeit.............

291

4.

1. Die Geschichtsschriften Sallusts a)

...........

Archaismen in den erhaltenen Texten

eee

291

b) Das Urteil der Zeitgenossen ......... leere c) Die Hauptmerkmale und die Ursachen des sallustischen Archaismen-

316

gebrauchs

........... cce eee] 9 tms

330

2. Über archaistische Tendenzen in augusteischer Zeit und Verwandtes. ... 3. Anhang: Die Epistulae ad Caesarem senem .. ... .. 22 lees

336 340

Abkürzungen und Literatur... Register (Auswahl)

.. 2... 222 llle

350

........ lessen

355

1. Namen und Sachen. . 2... 2 cc νὸν νειν essen nen 2. Wörter und Grammatik ............l eee ΕΟ ΕΕΕΕΥΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΕΞΕΈΕΕΕΕΕΞΕ

10

291

................ eee

355 360 369

Einführung

Archaistische Neigungen sind in der lateinischen Prosaliteratur schon unter dem beginnenden Prinzipat vorhanden. Das ergibt sich eindeutig aus verschiedenen antiken Zeugnissen und wird von niemandem bezweifelt. Weniger deutlich ist, wann und wie derartige Tendenzen erstmals aufgekommen sind. Das ist das Problem, dem

die vorliegende Arbeit gewidmet

ist. Dabei werden vor allem die zwei

wichtigsten Prosagenera in den Blick gefaßt, die Beredsamkeit und die Geschichtsschreibung. Umfassend ist das Thema noch nie behandelt worden. Die Literaturhinweise können hier in der Einführung knapp gehalten werden. Wichtige Anregungen verdanke ich den Darlegungen meines Lehrers A. Dihle, Rez., der in einer Skizze der von der lateinischen Kunstprosa durchlaufenen Entwicklung insbesondere die Sonderstellung Sallusts hervorhebt. Als Erörterungen jüngeren Datums mögen hier auch die Ausführungen von R. Marache Erwähnung finden. Marache befaßt sich mit den archaistischen Tendenzen in der lateinischen Literatur bis zu den Archaisten des 2. Jh.s und widmet dabei mehrere Seiten ebenfalls der Periode, die in diesem Buch behandelt werden soll! . Zu Einzelfragen unseres Themenkomplexes gibt es teilweise eine ziemlich große Anzahl von Äußerungen und Überlegungen, auf die ich bei der Erörterung des jeweiligen Problems hinweisen werde — soweit sie mir bekannt sind; denn

zweifellos ist mir bei der Verstreutheit der Literatur manches entgangen?. Es muß freilich gesagt werden, daß die Sekundárliteratur oft nur wenig förderlich ist. Das ist nicht zuletzt darin begründet, daß häufig nicht hinreichend präzise Vorstellungen mit Wörtern

wie „Archaisieren“,

,,Archaismus'* verknüpft wer-

den. Wir werden daher um einige terminologische Práliminarien nicht herumkommen?. Nun muf allerdings sofort davor gewarnt werden, den folgenden Ausführungen mit großen Erwartungen zu begegnen. Mit den uns beschäftigenden Termini hängen 1 2

3

derart vielfältige verwickelte Probleme

zusammen,

daß,

Zu dem gesamten Werk Maraches vgl. vor allem die Besprechung von Cousin, REL 30, 1952, 436 ff. Unerreichbar blieb L. Valmaggi, I precursori di Frontone,

Ivrea 1887; J.F. D’Alton,

Roman Literary Theory and Criticism, London 1931 war mir zu spät zugänglich geworden; die Berücksichtigung des Buches hätte aber an den folgenden Darlegungen nichts Wesentliches geändert. Verschiedene Literatur zu dem Problemkreis bei Hofmann-Szantyr 771. Völlig befriedigende Literatur dazu gibt es nicht. Für unsere Zwecke reichen auch nicht die an sich recht guten Ausführungen von Hofmann-Szantyr 768 ff, aus, denen es leider etwas an terminologischer Strenge fehlt. Nicht hinreichend klar Reichenkron 44 ff.

11

suchte ich sie alle völlig zu klären, ich mit meiner Arbeit leicht in die Lage des Tausendfüßlers der Parabel käme, der, nachdem

er über die Möglichkeit seiner

Fortbewegung so recht nachgedacht hatte, nicht mehr gehen konnte. Ich wer-

de mich deshalb lediglich darum bemühen, für die in diesem Buch vorzulegenden Untersuchungen ein einigermaßen brauchbares begriffliches Instrumentarium zu schaffen. Fragen, die sich darüber hinaus erstrecken, werden nur gelegentlich gestreift werden. Wir wollen zunächst unterscheiden zwischen zwei Bedeutungen des Wortes ,,Archaimus“. Unter „Archaismus‘ kann einmal eine bestimmte literarische Praxis verstanden sein. So sprechen wir etwa von dem Archaismus Frontos; Anhänger einer derartigen Praxis nennen wir Archaisten. ‚„Archaismus“ in diesem Sinne sei in den

folgenden Darlegungen durch den Terminus „Archaisieren“ ersetzt. „Archaismus‘ bezeichnet aber auch einen einzelnen, konkreten Ausdruck in einem Textstück. In dieser Bedeutung gebrauchen wir den Begriff, wenn wir ihn z.B. auf prosapia Cic.Tim.

39 anwenden; und in dieser Weise soll das Wort

,Archaismus'* weiterhin verwendet werden. Die Bezeichnungen „Archaismus‘ und ,,Archaisieren'* bedürfen noch einiger Erláuterungen. Zunächst zum Archaismus: Damit sei von jetzt an gemeint eine von einem Autor in reflektiertem Rückgriff wiederaufgenommene altertümliche Sprach-, Schreib- oder Stileigentümlichkeit. Ganz überwiegend werden wir uns mit sprachlichen Archaismen

zu beschäftigen haben; soweit daher in dieser Arbeit ohne

nähere Erläuterung von Archaismen oder Archaisieren die Rede ist, möge man diese Ausdrücke lediglich von rein sprachlichen Dingen verstehen. Den sprachlichen Archaismen sollen hier zunächst ausführlichere Überlegungen gewidmet werden. Der Begriff der Eigentümlichkeit umschließt im Bereich des Sprachlichen die Wörter, die Wortformen und die Syntax. Nach näherer Erklärung verlangt das Attribut ,,altertümlich**. Schlechthin Altertümliches gibt es nicht. In unserem Zusammenhang bedeutet das Wort — oder seine Synonyme —: geschwunden aus der zu Zeiten des betreffenden Schrift-

stellers gesprochenen Sprache*. Die Tatsache, daß verschiedene Personenkreise — wobei etwa an eine Differenzierung nach sozialen Gruppen, nach Landschaften, nach Altersstufen zu denken wäre — überkommene Idiome mit unterschiedlicher Zühigkeit beibehalten?, bleibt dabei, wie man sieht, ganz aufer Betracht. 4

Entsprechend faßt den Terminus Archaismus offenbar bereits Leumann, Dichterspr. 124; jetzt auch Hofmann-Szantyr 768. Zu allem noch Cordier 3 ff.; Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, hrsg. von 1. Knobloch, Lieferung 2, Heidelberg 1963, 156.

5

Daß neben Stilo einige senes novissimum in der Bedeutung von extremum mieden, nimium novum verbum quod esset, berichtet Varro ling. 6,59. Wie senes sich gegen

die Einführung neuen Sprachgutes wehren, so kónnen sie auch zurückweichende

12

Als veraltet werden wir nur solche sprachlichen Besonderheiten klassifizieren, die dem gesprochenen Latein zu Lebzeiten des sie anwendenden Autors bereits

vollständig fehlen $. Überflüssig könnte vielleicht in der Definition des Archaismus die Umstandsbestimmung „in reflektiertem Rückgriff“ scheinen, welche die Altertümlichkeit des Ausdruckes als dem Schriftsteller bewußt und — wenigstens bis zu einem gewissen Grade — von ihm intendiert kennzeichnet. Doch gibt es Fälle, in denen antiquiertes Sprachmaterial von einem Autor mehr zufällig oder gezwungenermafen gebraucht wird’. Es ist ratsam, von vornherein grundsätzlich derartiges Gut von veralteten Ausdrücken, hinter deren Verwendung ein gewisser auf das Altertümliche gerichteter Stilwille steht, zu sondern 8 obgleich in der Praxis eine reinliche Scheidung nicht immer móglich ist. In der Regel wird selbstverstándlich ein antiquiertes Idiom bei einem Schriftsteller bedenkenlos als Archaismus im Sinne unserer Definition angesehen werden kónnen. Aus dem Vorgetragenen ergibt sich, daß ein Archaismus, wie der Terminus in dieser Arbeit verstanden werden

soll, keineswegs essentiell etwas mit der Periode

des Lateins zu tun hat, die wir die archaische nennen. Zwar werden die Archaismen der behandelten Autoren durchweg solche Ausdrücke sein, die lediglich im Altlatein leben, aber nicht deshalb wird auf sie der Begriff des Archaismus angewendet werden. In mehreren Untersuchungen hat die übliche Kennzeichnung manchen Sprachgutes als archaisch und vulgär beträchtliche Verwirrung gestiftet; es mag so nicht unnütz sein, einiges über das Verháltnis von derartigen Spracheigentümlichkeiten und Archaismen zu bemerken. Als archaisch und vulgär pflegen bekanntermaßen Wörter, Formen, Konstruktionen charakterisiert zu werden, die, im Altlatein Sprachgewohnheiten ihrer jüngeren Jahre bewahren. Der alte Varro setzt sich wiederholt (Gell. 12,10,4; rust. 1,2,1; vgl. auch ling 7,12) für das zu seiner Zeit von aedituus verdrángte aeditumus ein — ut dicere didicimus a patribus — , das er ebenso wie Cicero durchweg zu gebrauchen pflegt. Thes. s.v. Der sprachliche Konservativismus älterer Leute ist eine psychologisch verstándliche Erscheinung. 6

Eine so rigorose Abgrenzung befriedigt nicht unbedingt. Etwa

dann nicht, wenn

ein

Autor von dem Weiterleben eines Idioms in seiner Zeit nichts weiß und es als antiquiert verwendet,

7

8

Zu der Móglichkeit dieses Falles 18 A. 22. Für unsere Darlegungen

sind aber derartige Probleme praktisch belanglos. Deshalb braucht nicht diskutiert zu werden, wie sie gelóst werden kónnten: Etwa durch eine Modifikation des Begriffes „veraltet“. Oder durch den in geeigneter Weise definierten Begriff des Pseudoarchaismus, Vgl. Quint. inst. 8,3,27: vetera... quaedam et necessario interim sumuntur ut ,nuncupare* et ‚fari‘. Es ist auch denkbar, daß ein Autor mit einem Neologismus unbewußt einen antiquierten Sprachzustand wiederherstellt, Vgl. 25 A. 14. Texte moderner Schriftsteller können das Phänomen verdeutlichen, Vgl. L. Spitzer, Stilstudien II, München 1928, 219 A. 1. Das Bewußtsein des Autors bringen auch Hofmann-Szantyr 768 bei der Erklärung des Begriffs Archaismus ins Spiel: „bewußtes literarisches Stilisierungsmittel“.

13

zu belegen, von der puristischen Literatur klassischer und in ihrem Gefolge den Autoren späterer Zeit gänzlich oder wenigstens in sehr starkem Maße gemieden werden, die aber zumindest in bestimmten Schichten der gesprochenen Sprache längere Zeit, z.T. bis in die romanischen Sprachen hinein, lebendig blei-

ben. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß derartiges Sprachmaterial, solange es nicht aus dem lebenden Latein geschwunden ist, nicht zu den Archaismen irgendeines Schriftstellers gerechnet werden kann. Allerdings ist mit dieser Feststellung noch nicht hinlänglich geklärt, welche Bedeutung archaische und vulgäre Sprachbesonderheiten für unsere Betrachtungen haben; nähere Aufschlüsse erhalten wir, wenn

wir die möglichen Gründe ins

Auge fassen, die hinter dem Gebrauch solcher Wörter und Wendungen stehen.

Es ist denkbar — und das ist die sich zunächst anbietende und gewiß in der Mehrzahl aller Fälle richtige Erklärung —, daß ein Autor den Gebrauch eines derartigen Ausdruckes der gesprochenen Sprache einfach nicht als anstößig emp-

findet. So wird etwa die Verwendung von circumcirca bei Ser. Sulpicius und dem

Verfasser des Bellum Hispaniense !? zu deuten sein. Etwas anders wird man über fabulari Liv. 45, 39,15 urteilen!!: et tu, centurio, miles, de imperatore Paulo quae senatus decrevit potius quam quid Servius Galba fabuletur, audi. fabulari klingt hier wegwerfend — verächtlich, eine Nuance, die

offenkundig eben auf dem vulgären Charakter des Verbs beruht. Gerade die vulgire Tónung, derentwegen Livius sonst ebenso wie andere Schriftsteller fabulari meidet, hat den Historiker dazu bestimmt, sich des Wortes an dieser Stelle zu bedienen; zweifellos aber ist es für Livius völlig belanglos, daß antiqui wie Plautus, Titinius vor ihm dasselbe Verb gebraucht haben. Wir müssen uns also vergegenwärtigen: Für uns, die wir das Latein ausschließlich aus der schriftlichen Überlieferung kennen, ist es freilich ein hervorstechendes Merkmal des archaisch-vulgären Sprachmaterials, daß es sich in der archaischen Literatur findet, nicht aber für den Rómer etwa der ausgehenden Re9

Vgl dazu Lófstedt, Synt. II 320 ff. Die Bezeichnung ‚‚vulgär‘ ist für diese unliterarischen Idiome nicht selten ziemlich unangebracht (vgl. auch Kroll, Sallust 280 A. 3; Schriftspr. 21); wenn der eingebürgerte Terminus im folgenden beibehalten wird, móge man ihn cum grano salis verstehen. Im übrigen machen auch antike Äußerungen auf das Phänomen vulgären und archaischen Sprachgutes aufmerksam. Vgl. 203 A.30. An sich ist bei dem Auftauchen eines lange Zeit unbezeugten Idioms in späterer (vermutlich) lebender Sprache auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Ausdruck durch die Literatur wiederbelebt wurde. Doch scheint — anders als das Fort-

leben — eine derartige Neubelebung eines Idioms noch nicht eindeutig nachgewiesen zu sein. Man darf daher im konkreten Falle das onus probandi wohl demjenigen auferlegen, der den letzteren Sprachvorgang annimmt.

10 11

vgl. 120. Zu fabulari als einem archaisch-vulgären Wort Thes. s.v.; Löfstedt, Synt.II 324 f., der ebenfalls, freilich in etwas anderem

Zusammenhang,

die Liviusstelle anführt. Daß

Text nicht ganz sicher ist, ist für uns ohne Belang, Vgl. im übrigen noch 203 f.

14

der

publik. Für ihn sind es zunáchst natürlich-unmittelbar aus der lebenden Sprache bekannte Idiome, die er, wofern er sie als Besonderheiten empfindet, niederen Sprachschichten zurechnet und als unliterarisch ansieht. Selten genug wird er sich dagegen bei solchen Ausdrücken daran erinnern, daß sie von älteren Autoren keineswegs verschmáht wurden. Im Hinblick auf die Assoziationen, die derartiges Sprachgut im allgemeinen bei einem Rómer weckt, wird das Charak-

teristikum „archaisch“ in der Regel nicht angebracht sein. Indessen ist es, wie angedeutet, auch móglich, daf ein Rómer, der mit dem archaischen Schrifttum in besonderer Weise vertraut ist, die Verwendung vulgärer Wörter und Wendungen bei veteres bemerkt ^. Von hier aus gewinnen wir den

Zugang zu einer dritten Gebrauchsweise von archaisch-vulgirem Sprachmaterial: Ein Schriftsteller kann es, in bewußtem Anschluß an den Sprachgebrauch alter, vom Purismus nicht oder geringfügig beeinflußter Literatur verwenden. Insofern der betreffende Ausdruck von antiqui im Gegensatz zu Späteren nicht verschmáht

wird, mag er in den Augen dieses Autors in gewisser Weise altertümlich wirken”. Der Terminus „altertümlich‘ ist hierbei bewußt anstatt des Wortes „archaisch“ gewählt. Das letztere Adj. bezeichnet, wofern man es nicht mit „antiquiert“ oder dessen Synonymen gleichsetzt '^, nicht anders als „klassisch“ ein bestimm-

tes, festes Stadium einer historischen Entwicklung: Archaisch werden deren urtümlich-rohe Anfánge genannt, klassisch ihr reif-vollendeter Hóhepunkt. Wir haben uns daran gewóhnt, in der lateinischen Literatur- und Sprachgeschichte die vorciceronische Periode als archaisch anzusehen. Selbstverstándlich aber kann man sich nicht von vornherein darauf verlassen, daß ein Römer einer bestimmten Zeit so etwas wie eine archaische Entwicklungsstufe des lateinischen 12

Ein hübsches Beispiel dafür sowie für das unmittelbar davor Ausgeführte bietet die Gell. 19,10 erzáhlte Anekdote: Ein Freund Frontos verwendet den umgangssprachlichen und in der uns erhaltenen Literatur kaum bezeugten Ausdruck praeterpropter. Von den Archaisten nach der Wendung befragt, meint er: non meum... hoc verbum est, sed multorum hominum quos loquentis id audias, und rát, sich an einen in der Nähe sitzenden Grammatiker zu wenden. Dieser vermag ebenfalls keine rechte Antwort zu geben und bezeichnet das Wort als praenimis plebeium. Fronto weist ihn darauf hin, daß der Ausdruck

von Cato, Varro

und den meisten

Älteren gebraucht wor-

den sei, und der gleichfalls anwesende Celsinus bringt einen Enniusbeleg bei. Also: Der Freund des Archaisten und der Grammatiker sehen in praeterpropter nichts als ein Alltagswort. Das ist zweifellos die allgemeine Einstellung gegenüber derartigem Sprachgut auch im 2. Jh. Erst Fronto erinnert daran, daß das Wort bei antiqui er-

13

14

scheint. Angemerkt mag werden, daß bei der zur Rede stehenden Verwendungsmöglichkeit archaisch-vulgárer Idiome die Wirkung auf einen Hórer oder Leser der Intention des Autors nicht unbedingt entsprechen muß. Der Leser, der mit vorpuristischem Schrifttum nicht vertraut ist, mag diese Idiome als bloß vulgär empfinden. Die Identifikation stünde kaum im Einklang mit dem allgemeinen deutschen Sprachgebrauch: Ihr zufolge könnte jeder Autor als archaisch bezeichnet werden. Sie wäre zudem unökonomisch: Wir besäßen dann mehrere Ausdrücke für ‚veraltet‘, aber keinen für das Phänomen, das im folgenden „archaisch“ genannt wird.

15

Schrifttums und der lateinischen Sprache kennt, und noch weniger darauf, daß

er sich unter dem archaischen Stadium dasselbe vorstellt wie wir ^. Es empfiehlt sich also, in Bezug auf das Bewußtsein der Römer einer Epoche — und das gilt gerade für den in dieser Arbeit behandelten Zeitraum — den Begriff des Archaischen vorsichtig zu handhaben, auch dann, wenn ein Schriftsteller sich „archaisch-vulgärer“ Idiome in Anlehnung an älteres Schrifttum bedient. Die Bezeichnung „Archaismus‘ ist, wofern man sie auf rein Sprachliches bezieht, natürlich auch in derartigen Fällen nicht am Platze. Ganz eindeutig nachweisen lassen wird sich im übrigen ein Sprachgebrauch wie der soeben skizzierte kaum jemals. Fraglos stellt er in der Prosa nicht die Regel, sondern eine Ausnahme dar, die wir mit einigem Recht lediglich in einem

Text vermuten dürfen, für den bereits andere Momente eine Rückwendung zu veralteten Sprach- oder Stilmerkmalen annehmen lassen!6. Mit dem Etikett ,, Archaismus' sind viele Gelehrte schnell bei der Hand; mit welchen Methoden die Altertümlichkeit eines Idioms festzustellen ist, ist aber háufig unklar. Einige grundsátzliche Bemerkungen dazu werden nicht unangebracht sein. Ein antiquierter Ausdruck in einem Prosastück wiesen muß somit stets werden, daß ein Wort ist, nicht, daß sie nicht veraltet ist. Prinzipiell der Verfasser des Stückes bereits als Liebhaber

ist etwas Ungewöhnliches. Eroder eine Wendung altertümlich gilt diese Forderung auch, wenn von Archaismen bekannt ist oder

das literarische Genos die Verwendung antiquierter Idiome besonders nahelegt", obschon man sich dann auch durch geringfügigere Indizien dazu bestimmen lassen wird, einen Ausdruck als altertümlich einzustufen.

Eine notwendige Voraussetzung für ein solches Urteil ist natürlich, daß die betreffende Spracheigentümlichkeit nachweisbar bereits geraume Zeit im Latein vorhanden war, bevor sie an der uns interessierenden Stelle verwendet wird. Daß ein Idiom zu einer bestimmten Zeit aus der lebenden Sprache geschwunden ist, ist nun nicht einfach dadurch erwiesen, daß es einen längeren Zeitraum zuvor nicht mehr in dem Schrifttum erscheint, das als Spiegel des lebenden Lateins 15

16

Zu der hier angerührten Problematik etwa E.R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern/München 1961", 256 ff. wo freilich einiges zu modifi-

zieren wäre, Bei der Verwendung archaisch-vulgärer Idiome kann auch eine Verbindung oder Nuancierung der angeführten Gründe im Spiel sein. Z.B. mag das Stilgefühl eines Autors durch intensive Lektüre archaischen Schrifttums abgestumpft sein, so daß er einen der-

artigen Ausdruck, ohne an bewußte Nachahmung der antiqui zu denken, gebraucht, weil er ihn nicht mehr als Besonderheit empfindet. Noch manches andere wäre zu erwägen. Doch dürften die mit dem Gebrauch archaisch-vulgären Sprachgutes zusammenhängenden Probleme,

17

16

soweit sie uns angehen, hinreichend geklärt sein.

Auch in diesem Falle dürften ja die nicht altertümlichen Idiome die altertümlichen in einem Text weit überwiegen: Die Wahrscheinlichkeit, daß ein beliebiger Ausdruck antiquiert ist, wird also auch hier geringer sein als die, daß er es nicht ist.

gelten kann ^. Die schriftliche Überlieferung würde, selbst vollständig erhalten, die Vielfalt der lebenden Sprache nicht adäquat wiedergeben; noch viel weniger

vermögen das die uns vorliegenden Trümmer des Schrifttums??. Die Hauptgründe seien kurz angedeutet. Erstens die bewußte Sprachgestaltung: Die Literatur ist, wovon schon die Rede war, in ihrer Ausdrucksweise weitgehend puristisch. Hinzu kommen individuelle Aversionen der Schriftsteller ??; das fällt desto mehr ins Gewicht, auf je weniger Autoren wir uns stützen. Zweitens das beschránkte Ausdrucksvermógen eines Autors: Auch dieser Gesichtspunkt gewinnt desto mehr an Bedeutung, je geringer die Anzahl der Schriftsteller ist, auf denen unsere Kenntnisse beruhen. Drittens der Mangel an Gelegenheit, einen bestimmten Ausdruck zu verwenden: Es ist damit zu rechnen — und zwar umso mehr, je weniger Textmenge auf uns gekommen

ist —, daß bestimmte

Wörter oder Wendungen

einfach deshalb

nicht in einer bestimmten Zeit nachzuweisen sind, weil in dem Schrifttum der

Periode zufällig nicht auf die mit ihnen bezeichneten Sachverhalte eingegangen ist. Der skizzierte Tatbestand hat zwei methodische Konsequenzen. Erstens ist immer zu prüfen, ob die jeweilige Spracheigentümlichkeit nicht in spáterem, das gesprochene Latein wiedergebenden Schrifttum oder in romanischen Sprachen wiederauftaucht; ist das der Fall, dann ist sie vermutlich auch

nach ihrem Verschwinden aus der uns vorliegenden Literatur in der lebenden Sprache erhalten geblieben. Untersucht man, ob ein Ausdruck zu irgendeiner Zeit veraltet ist, so hat man

also nicht nur seine Geschichte

davor, sondern auch

die danach in Betracht zu ziehen. Zweitens sind nach Móglichkeit die Synonyme

des zu behandelnden Idioms in

die Erörterung einzuschließen. Je zahlreicher, bei je mehr Autoren, in je ver-

schiedenartigeren Sprachbereichen während und je länger vor dem betreffenden Zeitpunkt sie das Idiom ersetzen, umso sicherer entspricht dessen Fehlen

im Schrifttum den Verhältnissen der lebenden Sprache?! 18

Zu diesem Schrifttum zählen vor allem nicht Epos und Tragödie mit ihrer Kunstsprache. Aber auch in anderer Überlieferung ist mit dem Vorkommen

rein literarischer

Idiome zu rechnen; das gilt in ganz besonders starkem Maße für die Kaiserzeit. Die ganze Problematik kann hier nur angedeutet werden. 19

20 21

Wenn

man

als Philologe nur zu leicht geneigt ist, den Variantenreichtum

des leben-

den Lateins zu gering einzuschätzen, so hat das auch einen soziologischen Grund: Der Philologe bewegt sich gewöhnlich in Kreisen, deren Sprache stark puristisch ist; die vielfältigen Möglichkeiten seiner Muttersprache — und damit anderer Sprachen — kommen ihm nicht lebendig zum Bewußtsein. Das ist gerade im Hinblick auf Cicero der antiken Sprachbeobachtung nicht entgangen: Gell. 10,21,1. Vereinzelt ist die Wichtigkeit der zwei Forderungen bereits früher erkannt worden. Auf die zweite macht F. Degel, Archaistische Bestandteile der Sprache des Tacitus,

17

Soweit das Allgemeine; im Einzelfalle sind natürlich vielfach noch besondere

Verhältnisse zu berücksichtigen 22. Kurz kónnen wir uns über den Archaismus als rein orthographische Besonder-

heit fassen. Für ihn gilt alles, was über den sprachlichen Archaismus ausgeführt worden ist, soweit es nicht spezifisch mit sprachlichen Gegebenheiten zusammenhängt. „Altertümlich‘ bedeutet, wenn wir von orthographischen Archaismen sprechen: vóllig geschwunden aus der zu Zeiten des betreffenden Schriftstellers gebrauchten Rechtschreibung. Nun wissen wir von der — z.T. recht uneinheitlichen — Orthographie, die in einer bestimmten Periode republikanischer Zeit verwendet wird, ziemlich wenig; außerdem wird sich in kaum einem Ein-

zelfalle mit Sicherheit behaupten lassen, daß die Überlieferung die Schreibweise des Autors bewahrt hat. Wir befinden uns also hier auf schwankendem Boden; es hat selten Sinn, die Antiquiertheit einer Schreibung zu diskutieren. Diss. Erlangen

1907, 6 aufmerksam;

auf die erste deutet Heusch

16 hin. Heusch

13 ff. tangiert auch sonst manches der auf den vorangegangenen Seiten behandelten Probleme. Seine Bemerkungen verunklären aber leider oft genug nur den Sachverhalt. Insbesondere ist Heusch weithin der Vieldeutigkeit des Wortes „archaisch“ erlegen

— all seinen Bemühungen gerade um diesen Begriff zum Trotz. — Im übrigen werden auch bei Erfüllung unserer zwei Postulate nicht selten Zweifel bleiben. Das liegt an der unvollkommenen Schárfe des Begriffs des gesprochenen Lateins, an der problematischen Ansetzung der Synonyme, vor allem aber an dem relativ geringen Umfang der uns zur Verfügung stehenden Daten. Wie sich eine Nachbarwissenschaft, die neuere Romanistik,

mit dem Phánomen

des Archaismus

auseinandersetzt, kann

man aus

S. Ullmann, Language and Style, Oxford 1964, 167 ff. ersehen. 22

Mit Vorsicht sind die direkten oder indirekten antiken Grammatikerzeugnisse

für die

Altertümlichkeit eines Idioms zu verwerten. Zwei Punkte verdienen eine kurze Erórterung.

Erstens die Bedeutung der Zeugnisse für die Kenntnis der vor diesen liegenden Sprachstadien: ,, Alt" bedeutet zunächst alt für den schreibenden Autor. Sen. epist, 108,32 gehórt schon Cicero zu den antiqui. Dieser letztere Begriff und verwandte Formulierungen meinen natürlich nicht ohne weiteres die von uns archaisch genannte Periode.

Leicht kann nun ein Kommentator nur auf seine Gegenwart als Vergleichspunkt blikken, wenn er altertümliches Sprachgut bei einem älteren Autor feststellt. So verhält es sich etwa Serv. Aen. 6, 544: ne saevi... antique dictum est; nam nunc ne saevias dicimus. Anders Porph. Hor. carm.

2,6,5. Nach

dem Zitat von Verg. Aen.

7, 672

Argiva iuventus wird zu dem horazischen Argeo.... colono bemerkt: ergo Argeo pro Argivo antique dicitur. Aus der ersten Bemerkung ergibt sich allein wegen des Vergleichspunktes nicht, daß wir es mit einem Archaismus

Vergils zu tun haben.

Bei der

zweiten Bemerkung ist zwar Horaz zeitgenóssische Sprache zum Vergleich herangezogen, aber weder in genügendem Umfang noch in beweiskräftiger Auswahl. An sich kónnte auch der vergilische Ausdruck anomal sein; überdies brauchte Argeus, falls

unüblich, deshalb nicht antiquiert zu sein. Zweitens die Bedeutung der Zeugnisse für die Kenntnis der zeitgenóssischen Sprache: Paul. Fest. p. 71 demagis pro minus (? ) dicebant antiqui. demagis ist nie ausgestorben; vgl. Löfstedt 15; Meyer-Lübke 2546, Anders, aber mit unzulänglicher Begründung A. Stefenelli, Die Volkssprache im Werk des Petron usw., Wien 1962, 18 f. Char. gramm. p. 229,20 ff. B. (ex Cominiano)

18

haec (audiebam

et nutriebam) veteres sine

Recht problematisch ist der Begriff des Archaismus als einer altertümlichen Stileigentümlichkeit. Schwierigkeiten bereitet schon die in der Definition implizierte Verschiedenheit von Sprache und Stil; daß es sich empfiehlt, beides auseinanderzuhalten, wird wohl jeder empfinden, schwer ist es jedoch, wirklich einwandfrei eine scharfe Grenze zu ziehen. Auf eine Diskussion der damit zusammenhängenden verwickelten Fragen können wir uns hier nicht einlassen??. Für unsere Zwecke dürfte folgende Bestimmung ausreichen: Stil ist Sprache, insoweit sie bewußt gestaltet ist. Von einer veralteten Stileigentümlichkeit werden wir dann sprechen, wenn ein Ausdrucksphänomen in der Sprache, insofern sie bewußt geformt ist, nicht mehr üblich ist, d.h. in der lateinischen Kunstprosa überhaupt oder wenigstens dem betreffenden Genos der lateinischen Prosa. Hatten wir die archaisch-vulgären Idiome, die ein Autor in bewufitem Anschluß an ältere Literatur aufgreift, nicht als sprachliche Archaismen einstufen wollen: zu den stilistischen Archaismen werden wir sie rechnen dürfen. Bei den archaisch-vulgären Ausdrücken ist in der uns erhaltenen Kunstprosa nicht selten über lange Zeit ein gänzliches Schwinden zu beobachten. Sonst aber dürfte es schwerlich stilistische Besonderheiten in älterem Schrifttum geben, die späterer literarischer Prosasprache gänzlich abe littera pronuntiabant audibam et nutribam dicentes; weitere ähnliche Grammatikerzeugnisse bei Neue-Wagener

III 316 f., wozu

noch Serv. Aen.

6, 468. Die den veteres

zugeschriebene Bildung ist dem lebenden Latein nie abhanden gekommen; vgl. etwa Sommer 522; Heusch 111 f.; Tránkle 33 f. Diom. gramm. I 383, 20 f. grunnit porcus dicimus, veteres grundire

dicebant. grundire ist im Romanischen

erhalten; Meyer-Lübke

3893. Prisc. gramm II 541, 15 campso . . . solebant vetustissimi dicere, danach Zitat von Enn. ann. 328. Das Verb ist nie ausgestorben; vgl. Löfstedt, Per. 109 f.; Thes.

s.v.; Meyer-Lübke

1562. Die Philologen kümmern sich im allgemeinen nicht um die

niedrigeren Schichten der lebenden Sprache; aufschlußreich auch Gell 19,10,8 f. Vielfach werden diese Männer, die in ihren Büchern leben und sich in räumlich

und sozial begrenzten Bevólkerungsschichten bewegen, überhaupt nur mit begrenzten Ausschnitten des gesprochenen Lateins ihrer Zeit vertraut sein. Selbstverständlich sind zeitgenóssische Aussagen über die Antiquiertheit von Ausdrücken

stets

sorgfältig zu berücksichtigen; aber diese Aussagen sind eben nicht durchweg eine alles entscheidende Instanz. Wenn die Latinität eines Idioms bezweifelt oder bestritten wird, so folgt daraus natürlich nicht die zeitgenössische Ungebräuchlichkeit des Idioms. So wird Numitor. antibuc, 2 das Adj. cuius als unlateinisch gekennzeichnet; im selben Gedanken wird es dem

sermo rusticus zugesprochen, und ausgestorben ist es nie; Hofmann-Szantyr

179. Gell, 8,2 quae (verba) ex medio communique usu Latine loquentium minime Latina sint neque in veterum libris reperiantur. Aufschlußreiche Antithese Gell, 16,7,13: (Laberius) eodem quidem quo vulgus, sed probe Latineque usus est Graeco vocabulo. Gell. 9,13,4. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf Char. gramm. p. 271, 10 ff B. (ex Romano):

23

Hadrian wirft die Frage auf, ob obiter lateinisch sei;

das Zeugnis des Augustus befriedigt ihn nicht recht, da dieser id adverbium ex usu potius quam lectione protulerit. Serv. Aen. 3, 466 zemas. . . vulgare est, non Latinum, Dazu W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, Bern/München 19606, 271 ff.; HofmannSzantyr 685 ff.

19

gehen. Ein auf dieser letzteren Vorstellung gründender Begriff des stilistischen Archaismus wäre praktisch kaum brauchbar. Daher in der Definition die weitere Formulierung „nicht mehr üblich“. Insoweit es sich bei den stilistischen Archaismen nicht um völlig geschwundene, sondern lediglich um nicht mehr gebräuch-

liche Eigentümlichkeiten handelt, vermögen wir selbstverständlich den einzelnen Archaismus erst dann zu erkennen, wenn er im Verein mit einer relativ grofien Anzahl gleichartiger anderer erscheint. Nun zum Archaisieren: Darunter sei verstanden die prinzipielle Verwendung von Archaismen dergestalt, daß diese nach der Intention des Autors einen oder den

charakteristischen Zug in der Ausdrucksweise des jeweiligen Textes darstellen". ,Archaisieren" — gelegentliches Synonym dafür ist ,,Altertümeln" — bedeutet in dieser Arbeit also nicht einfach Verwendung von Archaismen. Über die Intention des Schriftstellers kann man natürlich manchmal verschiedener Ansicht sein. Auf der anderen Seite gibt es aber Kriterien, die das Urteil darüber dem Bereich rein subjektiven Ermessens entziehen. Der erste Grundsatz, der für die Feststellung sprachlicher Archaismen aufgestellt wurde — und der natürlich ebenfalls für die sonstigen Arten von Archaismen gilt —, ist auch hier analog anzuwenden: Wofern das Archaisieren eines Schriftstellers nicht zweifelsfrei durch die Stilgesetze des Genos erfordert oder wenigstens nahegelegt sein sollte, stellt eine solche Praxis in dem uns bescháftigenden Zeitraum fraglos die Ausnahme dar; sie ist also eigens nachzuweisen. Beschränken wir uns hier auf das sprachliche Archaisieren, um das es uns in er-

ster Linie gehen wird. Die antike Stiltheorie handelt von Archaismen praktisch ausschließlich in Bezug auf den delectus verborum; daß sich ein Altertümeln vor allem in der Wortwahl äußert, ist ohnehin die natürlichste Annahme. Wenn die Ansicht, ein Schriftsteller archaisiere, nicht hauptsächlich mit Wortarchaismen

gestützt werden kann, liegt der Verdacht nahe, daß die sprachlich-stilistischen Neigungen des Autors falsch beurteilt werden. Es ist nun bei der Betrachtung

der Archaismen, also in erster Linie der antiquierten Wörter, nicht lediglich auf ihre absolute Häufigkeit zu achten. Wichtig ist auch, in welchem Verhältnis die Möglichkeit ihrer Verwendung zu ihrem tatsächlichen Vorkommen steht, d.h. in der Praxis, wie sich die Frequenz der Archaismen zu der ihrer Synonyme verhält. Zu berücksichtigen ist ferner die Art der Verteilung der Archaismen. Schließ24

Vielleicht sollte wenigstens anmerkungsweise auf ein wesentliches Merkmal hingewiesen werden,

das dem

stilistischen Archaisieren nach den Implikationen

des bisher Aus-

geführten eignet: Der Archaisierende sieht sich als Archaisierenden vor der Folie der lateinischen Kunstprosa. Wenn also z. B. ein Zeitgenosse Ciceros im Lateinischen Lysias nachahmt, ohne an die bisherige Entwicklung der lateinischen Kunstprosa zu denken, so kann wie

gesagt,

seine Praxis auf keinen Fall als stilistisches Archaisieren gelten, Das ist, eine

Konsequenz

des

im

Vorigen

entwickelten

Begriffssystems.

Doch

wäre, auch von diesem ganz abgesehen, ein so weiter Begriff des stilistischen Archaisierens, daß er auf den Lysianer des Beispiels angewendet werden könnte, wenig sinnvoll.

20

lich ist auch in Betracht zu ziehen, ob die Stellen, an denen jeweils die Archaismen begegnen, zur Anwendung von solchen Stilmitteln besonders einladen oder nicht; mit diesem letzten Aspekt kommt freilich wieder mehr das persónliche Empfinden des Interpreten ins Spiel. Je häufiger sich nun Archaismen in einem Text finden, je vollständiger sie ihre Synonyme ersetzen, je gleichmäßiger sie sich über den Text verteilen, je öfter sie an Stellen erscheinen, die wenig oder nicht zum Ge-

brauch antiquierter Idiome herausfordern, mit desto mehr Recht werden wir die Praxis des Schriftstellers als Archaisieren bezeichnen kónnen. Neben der Überprüfung der Texte des Autors kommt eine besondere Bedeutung den Stilurteilen zu, die Zeitgenossen über ihn fällen; die Bedeutung dieser Stilurteile wächst natürlich, je geringer die uns erhaltene Textmenge ist. Selbstverständlich sind weder in jedem Falle alle die genannten Gesichtspunkte von Bedeutung noch alle möglichen Aspekte angeführt; wie für die Feststellung des Archaismus können sich auch für die des Archaisierens aus dem speziellen Gegenstand manche individuellen Aspekte ergeben. Wie schon angedeutet, ist das sprachliche Altertümeln nur ein möglicher Modus einer archaistischen Praxis. Wie es verschiedene Arten von Archaismus gibt, so

gibt es verschiedene Arten des Archaisierens; ein Autor, der in einer Hinsicht archaisiert, braucht es nicht in jeder zu tun. Ein Beispiel: Wenn Redner der ausgehenden Republik sich im Anschluß an ältere römische Prosaiker der Klauseltechnik ganz verschlóssen, so dürften wir das als eine Art stilistischen Archaisierens bezeichnen; daß diese Redner auch sprachlich archaisieren, wäre damit nicht im-

pliziert. Das skizzierte Beispiel lehrt noch etwas anderes: Die entwickelten Kategorien reichen für ein präzises Erfassen der individuellen Verhältnisse nicht aus; der Ter-

minus „stilistisches Archaisieren‘ wäre für die angenommene Praxis zu weit. Entsprechendes gilt auch für den Begriff des Archaismus. Cicero verwendet Marcell.23 das Subst. suboles, ein Redner

des 2. nachchr. Jh.s. das Wort bovinator (Gell. 11,

7,7 ff.). Beide Autoren gebrauchen einen Archaismus; aber man spürt, daß dem Ausdruck zwei recht verschiedene Phänomene subsumiert werden. Was in dieser Einleitung geleistet wurde, ist: Das Feld, innerhalb dessen man sich zweckmäßigerweise bewegt, wenn man sich der Ausdrücke „Archaisieren‘ und

„Archaismus“ bedient, ist abgesteckt. Begnügen darf man sich, wenn die Überlieferungslage nicht geradezu dazu zwingt, mit diesen Etikettierungen nicht”. 25

Daß freilich mit der Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Archaismen viel gewonnen ist, auf die Hofmann-Szantyr 769 Gewicht legen (vgl. schon Kroll, Studien 254 ff.), darf bezweifelt werden. Unter direkten Archaismen sind Idiome verstanden, die ein Autor als in seiner Zeit veraltet aus einer älteren Quelle schöpft, für die sie noch nicht antiquiert sind (?); indirekte Archaismen sind Idiomce, die ein Autor als in seiner Zeit veraltet übernimmt von einem Autor, der seinerseits diese bereits als Archaismen verwendet hatte, Zunächst einmal ist die Distinktion offenbar nicht auf die Fálle anwendbar, in denen ein Schriftsteller einen ihm vertrauten altertümlichen

21

Zum Schluß noch zwei Bemerkungen zu den Daten, die die folgenden Darlegungen bringen: Die Auskunft, die über das Vorkommen oder Fehlen bestimmter

Sprachphänomene erteilt wird, basiert, wofern nicht besondere Quellen angegeben sind, auf den bekannten Indices und Lexika zu den betreffenden Autoren, auf dem unveróffentlichten Thesaurusmaterial und auf eigener Lektüre. Die Frequenz der Wortvorkommen ist für die meisten Texte durch Auszählen ermittelt

worden, für Sallusts Catilina und Iugurtha durch Berechnung; die über diese zwei Werke gemachten Angaben sind damit weniger genau als die übrigen. Ausdruck gebraucht, ohne über dessen Provenienz Rechenschaft ablegen zu kónnen. Aber auch dann, wenn er seinen Archaismus

einem bestimmten

älteren Autor ent-

lehnt, ist die Differenzierung wohl nur selten erhellend. Wenn etwa Vergil sich im Gebrauch des Gen. Sg. der 1.Dekl. auf -ai an Ennius anschließt, übernimmt er eine für ihn selbst altertümlich-feierliche Form; ob sie für Ennius seinerseits schon antiquiert war, hat ihn kaum interessiert. Die Unterscheidung direkter-indirekter Archaismus, die wir, die einzelnen Entwicklungsstadien der Sprache von außen überblickend, tref-

fen können, dürfte auch in vielen anderen Fällen von dem in der Sprache lebenden Autor nicht vollzogen werden und so für die Deutung

seiner Archaismen

im allgemei-

nen irrelevant sein. Am ehesten sinnvoll wäre der Terminus ‚„indirekter Archaismus ^ als Spezies des oben umrissenen Begriffes: Dann, wenn ein Autor A dem älteren Autor B einen Archaismus desselben entlehnt, den dieser seinerseits von einem älteren Autor C übernommen hat, und A intendiert, sich mit dem Gebrauch des Idioms an

C anzuschließen. Von einem „direkten Archaismus'* wäre dabei in allen sonstigen Fällen zu sprechen, in denen ein Schriftsteller seinen Archaismus einem älteren Autor entnimmt. Aber bei der zu vermutenden Seltenheit der so verstandenen indirekten Archaismen

22

wáre der Nutzen

dieser Terminologie gering.

I. 1.

Die Theorie in republikanischer Zeit

Der Archaismus

in der Theorie der Beredsamkeit

Die Rhetorik befaßt sich mit Archaismen praktisch ausschließlich innerhalb der Lehre vom delectus verborum. Allein Wortarchaismen sind es, mit denen wir es bei der Behandlung der Theorie zu tun haben werden. Nachweisbar ist eine rhetorische Doktrin, die sich auf die Archaismen

richtet, erst bei dem

Auctor ad

Herennium und Cicero; beide Schriftsteller richten dabei ihren Blick primàr auf die gerichtliche Beredsamkeit. In der Rhetorica kommt

als einzige Stelle 4,10,15

in Betracht:

gravis oratio

saepe inperitis videtur ea, quae turget ..., cum aut novis aut priscis verbis aut duriter aliunde translatis aut gravioribus, quam res postulat, aliquid dicitur, hoc modo: nam qui perduellionibus venditat patriam, non satis subplicii dederit, si praeceps in Neptunias depultus erit lacunas. poenite igitur istum, qui montis

belli fabricatus est, campos sustulit pacis. Die Worte über die nova aut prisca verba klingen so, als sei in der echten gravis figura jeder Neologismus und jeder Archaismus zu vermeiden. Das wäre indessen eine ganz isoliert dastehende Theorie!. Dem Autor wird ein übermäßiger Gebrauch derartiger Idiome vorschweben. Man hat nun in der Tat in den zwei Sätzen des Stilbeispiels nicht wenige Archaismen feststellen zu können geglaubt”.

subplicii (H: suplicii b: supplicii rell.): supplex, supplicare, supplicium wird sonst in der Rhetorica ad Herennium von sámtlichen Hss. einheitlich geboten,

häufig mit Haplographie des p. Daß H die ursprüngliche Schreibweise bewahrt, ist ungewi?. Sollte es der Fall sein, so ist doch ganz zweifelhaft, daß diese Orthographie für den Verfasser der Rhetorica veraltet war. 1

vgl. 26 ff. passim. — Über die Stellung, die die frühere griechische Rhetorik zum Archaismus einnimmt, gedenke ich an anderer Stelle zu handeln.

2

Marouzeau, RPh 45,1927,157£.; Traité 194; im Anschluß an Marouzeau Caplan in seiner Ausgabe der Rhetorica bei Loeb, London 1954 2. St. und Leeman, Ratio 30.

3

Die Caesarüberlieferung z. B. bietet, von der Haplographie des p abgesehen, überall einheitlich supplex, supplicare, supplicium. Gall, 1,27,2 hat jedoch der Paris. 5763 subpliciter; die gleiche Schreibweise auch Paul. Fest. p. 122. Mit unmotivierten Zu-

4

Das Problem, wie die in der Aussprache assimilierten Konsonanten solcher Vorsilben

fällen der Tradition muß

gerechnet werden.

geschrieben werden sollten, war bereits in der Zeit des Lucilius aktuell (Lucil. 374 ff.) und zur Zeit Quintilians immer noch nicht entschieden (Quint. inst. 1,7,7 f.). Die

sonstigen antiken Äußerungen zu dem Thema sammelt C. Heuer, De praeceptis Romanorum

euphonicis, Diss. Jena

1909,

29 ff. Vgl. im übrigen noch Niedermann

189;

Sommer 260 ff.

23

depultus (ld: depulsus rell.): Die ursprüngliche to-Bildung des Part? wird Thes. V 1,563,46 f. nur für diese Stelle nachgewiesen; auch sonst lassen sich anschei-

nend von pellere und den Komposita entsprechende Formen nicht mehr belegen. Wenn depultus an der vorliegenden Stelle richtig ist‘, dann handelt es sich wohl um einen Archaismus des Autors. Zwar findet sich depulsus vorher nur Pacuv. trag. 192, dann Rhet. Her. 4,32,43. Aber daneben stehen etwa: impul-

sus Ter. Andr. 99 und sonst bei Terenz; Lex agr. (CIL I? 585) 26; pulsus Enn. ann. 385; Titin. com. 182; Acc. trag. 365; Rhet. Her. 4,48,61; 4,54,68; repulsior Cato or. frg. 44. pultare, das noch bei Terenz — etwa Haut. 275 — erscheint, ist in der Rhetorica ganz von pulsare verdrängt. poenite (Orelli: p(a)enitet trad.): Trifft die Konjektur, wie wahrscheinlich,

das Richtige, so stellt sie einen der ältesten Belege für poenire (punire) wieder her. Das Verb, das in der Rhetorica sonst nicht mehr vorkommt, erscheint vorher nur Met. Num. or.frg. 58,6,7 Malc. im Jahre 107 in der Form punire, dann in Ciceros De inventione ab 1,18. poenite mit oe statt mit u soll in der Rhetorica nun einen Archaismus darstellen”. In der Tat erscheint Rhet.Her. 4,29,39; 4,39,51 impunite bzw. impunitum. Aber poenire ist ófter auch in Reden Cice-

ros anzuerkennen?. Offenbar hat sich poenire, durch den gewiß stets empfundenen semantischen Zusammenhang mit poena gestützt, neben punire noch längere

Zeit im 1. vorchr.Jh. gehalten?. montis (HP B : montes EC): Der alte Akk. der i-Stämme, der noch bei Cicero,

einigemal auch bei Caesar, bezeugt ist!9, wird erst in der Kaiserzeit eindeutig durch den Akk. der konsonantischen Stämme verdrángt!'. In der Rhetorica

findet sich freilich sonst anscheinend nur der Akk. auf -es??; als Beweis dafür, daß -is zur Entstehungszeit der Schrift antiquiert ist, wird man diese móglicherweise zufällige Tatsache nicht werten dürfen. fabricatus est: Bei diesem Verb ist, wenn die Belege nicht in die Irre führen, das Dep. das Ältere, die aktivische Bildung das Jüngere. Einen Archaismus des Verfassers in dem Dep. zu vermuten, ist aber gewiß nicht richtig. fabricare ist in passivischer Verwendung zuerst Varro frg. Non. p.83,18 und Sall. hist.frg.2,70,2; 4,59 bezeugt, aktiv findet sich das Verb erst Hor. sat.1,3,102. Das Dep. ist zudem noch längere Zeit danach nicht unüblich gewesen. Thes. VI 1,18 ff. Schließ-

lich begegnet das Verb noch an anderer Stelle in der Rhetorica deponentisch 5

Sommer

6 7

10

Dagegen Kroll, Philologus 89, 1934, 78. Der Lautwandel von oe zu monophthongischem u fällt im allgemeinen bereits in plautinische Zeit. Vgl. zu der Frage Sommer 76f.; Niedermann 70; Stolz-Leumann 78; Palmer 217. Z.B. Mil. 19; Balb. 19, Vgl auch Klotz PhW 40, 1920, 605. Mit den Formen moerorum und coerari, auf die Marouzeau als Parallelen zu poenire hinweist — ähnlich Bréguet 128 —, steht es anders. Material bei Neue-Wagener I 383 f.; vgl. auch Bómer, Emerita 21, 1953, 182ff.

11 12

Stolz-Leumann 278; Palmer 248. So Rhet. Her. 4,6,9 fontes (2 mal); 4,39,51

8 9

608; Stolz-Leumann

340.

dentes.

gebraucht (3,19,32). Überhaupt sollte man bei Besonderheiten der Genera verbi mit der Annahme eines Archaismus vorsichtig sein; es ist mit manchen Schwan-

kungen in der lebenden Sprache zu rechnen'?. Auch ist gelegentlich die Móglichkeit in Betracht zu ziehen, daß ein Autor, der bewußt neuernd, das zu seiner Zeit übliche Genus verschmäht, zufällig die Spracheigentümlichkeit einer älteren

Epoche restauriert!^. In unserem Falle brauchen freilich entsprechende Erwägungen nicht angestellt zu werden. Als Archaismus wird man in dem Stilbeispiel, mit dem die Parekbasis der gravis figura veranschaulicht wird, nur depultus deuten '°, also nur die antiquierte Partizipialbildung eines an sich geläufigen Verbs. Das für den Passus charakteristische Kakozelon besteht in den verba duriter aliunde translata. Anscheinend ist der Verfasser des Paradigmas nicht der Auffassung, daf bei derartigen stilistischen Entgleisungen die Neigung, sich besonders häufig veralteten Vokabulars zu bedienen oder ganz entlegene Archaismen zu affektieren, eine große Gefahr darstelle. Mit der Móglichkeit, zur Erhóhung des Pathos altertümliche Wórter zu verwenden, ist er jedoch vertraut. Wichtiger als die Bemerkungen in der Rhetorica sind für uns die Äußerungen Ciceros. Er legt Crassus de orat. 3,153 folgende Worte in den Mund: inusitata sunt prisca fere ac vetustate ab usu cotidiani sermonis iam diu intermissa, quae sunt poetarum licentiae liberiora quam nostrae; sed tamen raro habet etiam in oratione poeticum aliquod verbum dignitatem. Maßstab dafür, ob ein Wort veraltet ist oder nicht, ist demnach in Ciceros Augen die gesprochene Sprache; entsprechend ist de orat. 3,39 von Wörtern die Rede, 13 14

Zu Genusschwankungen allgemein Hofmann-Szantyr 292f. Manches auch in meinen folgenden Darlegungen passim. Quint. inst. 9,3,6 f. werden Vertauschungen der genera verbi unter einer bestimmten Art von σχήματα λέξεως aufgeführt, die loquendi rationem novat (9,3,2). Quintilian rechtfertigt einen derartigen Wechsel hier anscheinend mit der consuetudo, viel-

leicht auch einer ratio. Einem Autor kann freilich bei dem Gebrauch eines unüblichen Genus gleichfalls eine alte auctoritas oder überhaupt die vetustas vorschweben. Vgl.

15

Quint, inst. 9,3,3; dazu Gell, 15,13; 18,12. Im letzteren Falle wäre, vorausgesetzt, daß die betreffende Bildung tatsächlich aus der gesprochenen Sprache der Zeit geschwunden ist, unser Begriff des Archaismus auf das Phänomen applizierbar; er ist es nicht, solange für den Autor der Umstand, daß er faktisch einen antiquierten Sprachgebrauch repristiniert, belanglos ist. Vielleicht möchte man noch perduellionibus „den Landesfeinden‘ aufgrund von Paul.

Fest. p. 102 hinzunehmen: kann

qui nunc hostis, perduellio (apud antiquos dicebatur). Doch

perduellionibus auch gut „in Hochverratshandlungen“ heißen.

Möglicherweise

empfindet der Autor den Pl. des juristischen Abstraktums als verbum novum, das man in dem Paradigma gern ebenfalls vertreten sähe. Dann tauchten die einzelnen Wortarten in den Beispielsätzen in derselben Reihenfolge auf, in der sie in der vorausgeschickten Charakteristik erwähnt werden. Indessen könnte auch depultus -- freilich weniger naheliegend — als Neologismus gemeint sein. Vgl. dazu 13 A. 7. — Was die orthographischen Besonderheiten angeht, die manche Codd. gerade an dieser Stelle bieten: Will-

kür der Schreiber die das tumidum auch graphisch ausdrücken wollten?

25

quibus iam consuetudo nostra non utitur. Dieser Maßstab ist ganz selbstver-

ständlich, und Cicero hätte sich zweifellos für diese Erklärung nicht auf irgendwelche Vorlagen zu stützen brauchen. Doch kónnte ihm die consuetudo als Bezugspunkt bereits aus griechischen Quellen geläufig gewesen sein '". Den heiklen

Begriff der consuetudo

sucht er nicht näher zu präzisieren.

Im Anschluf an den bereits zitierten Satz einige Beispiele für antiquiertes Vokabular kann: neque enim illud fugerim dicere, ut Italiam venit', nec ‚prolem‘ aut ,subolem'

de orat. 3,153 führt Cicero-Crassus an, das in der Rede gebraucht werden Laelius: ,qua tempestate Poenus in aut ‚effari‘ aut ,nuncupare' aut ut tu

soles, Catule, ‚non rebar‘ aut ‚opinabar‘!?, Es wird nützlich sein, diese verba pris-

ca näher zu betrachten ??. 16

Etwas anderes als mit den verba prisca Ciceros ist mit den antiqua verba Varros ling.

5,9 gemeint. Da heißt es: non... videbatur consentaneum qua(e)re(re) me in eo verbo quod finxisset Ennius causam, neglegere quod ante rex Latinus finxisset, cum poeticis multis verbis magis delecter quam utar, antiquis magis utar quam delecter. an non potius mea verba illa quae hereditate a Romulo rege venerunt quam quae a poeta Livio relicta? verba antiqua sind hier die verba ab antiquis ficta ebenso wie verba poetica die verba a poetis ficta. Insofern die Wórter von uralten Namengebern wie dem rex Latinus oder Romulus gebildet sind, sind sie antiqua. Das bedeutet nicht, dab sie von

der consuetudo der Gegenwart nicht mehr gebraucht würden; im Gegenteil sind sie, wie

17

die

ἀντιμεταβολή

zeigt, im allgemeinen

noch

durchaus

üblich.

Über

den

Be-

griff der alten Wórter in Varros De lingua Latina weiteres bei Schróter in den Entretiens 86 ff. Ganz ähnlich zu verstehen sind die alten Wörter bei Plato Lg. 816 b 1. Ausdrücklich ist von der συνήθεια bei Galen Gloss. Hippocr. vol. 19,66 Kühn die Rede, wenn

die γλῶττα

definiert wird:

παλαιόν ἐστιν ὄνομα

τῆς: συνηθείας

ἐκ-

πεπτωκός. Ähnliche Formulierungen auch sonst in dieser galenischen Vorrede. Im selben Sinne schon Theon Rhet. Gr. II 81,18f. μὲν συνήθη, νῦν δὲ ἐκλελοιπότα.

18 19

Sp.:

ἀρχαῖα

(ὀνόματα) rà πάλαι

Vgl dazu — bei allerdings anderem Zusammenhang — Quint. inst. 1,6,43 ff. Einige Punkte der Textgestaltung erfordern eine nühere Diskussion. Der Freundlichkeit von Prof. K. Kumaniecki

verdanke

ich es, wenn

ich dabei den kritischen Apparat

der zu erwartenden Teubnerausgabe von De oratore verwenden kann; die Apparate der bisherigen Editionen sind ja durchaus unzulünglich. Die in der Teubneriana zugrundegelegten Hss. sind: A? (= zweite Hand im Abrincensis 238), H (= Harleianus 2736), O (= Ottobonianus 2057), P (= Palatinus Vaticanus 1469), R (=Palatinus

Vaticanus 1470), U (= Cornell-University B2), V € Vaticanus 2901). ΑἾἮ = M; OPRUV - L. Nun die einzelnen Punkte: Laelius ML: Coelius Cratander alii. Das überlieferte Laelius läßt sich ausgezeichnet halten. Das denke ich demnächst ausführlicher darzulegen. — effari MU: fari OPRV. effari scheint besser überliefert, ohne natürlich mit Sicherheit als richtig gelten zu kónnen. fari ist nicht mit Quint. inst, 8,3,27 (zitiert 13 A. 7) zu stützen. Da geht es um antiquierte Wörter, deren Gebrauch der Redner nicht ausweichen kann; bei Cicero offenbar um Wörter, die der Redner stilisierend wählt: Zwei ganz verschiedene Dinge. — nuncupari ML: nuncupare Schütz. Das Pass.

20

26

— an ein Dep. nuncupari dürfte kaum zu denken sein — scheint nicht sinnvoll. Die Verschreibung von -re zu -ri ist gerade nach effari gut erklärbar. Man wird die leichte Änderung wagen dürfen. — rebar M: verebar L. rebar zweifellos richtig. Zum Gebrauch des angeführten Vokabulars bei Cicero bereits Laurand 92 ff,

qua tempestate: Festus p. 363 bezeugt: tempestatem antiqui dicebant. Die Belege für diesen Sprachgebrauch 1,9 (Gell. 17,2,10) sol occasus suprema tempestas esto. paucas tempestates. Truc. 380 tempestas . . . fuit, cum

pro tempore frequenter bis Livius: Lex XII tab. Plaut. Most. 18 cis.... eqs. Decret. Paulli (CIL

I? 614)5 ea tempestate. Enn. frg.var. 109 ea tempestate ?!. Pacuv. trag. 319 quam ... post multis .. . tempestatibus. Trag. inc. 80 qua tempestate (Paris uxorem duxit) ... , ego tum gravida ... , per idem tempus eqs. Prol.Plaut.

Cas. 18 ea tempestate. Cato or.frg. 45 hac tempestate. Lael. or.frg. Cic. de orat. 3,153 qua tempestate. Lucil. 570 tempestate sua atque eodem uno tempore ... eandem ad quartam (horam febris remittit). 731 qua tempestate. Cic. div. 1,75

eadem .. . tempestate22. Catull. 64,73 illa tempestate. 66,11 qua .. . tempestate. Sall. Catil. 7,1 Ov. met. 1,183 Sonderstellung von Ilias 9,363 vielleicht auch

ea tempestate, und ófter bei Sallust. Prop. 4,9,1 qua tempestate. illa tempestate. Liv. 1,5,2, und öfter bei Livius. Eine gewisse nimmt Cic. carm.frg. 26 ein: tertia .. . tempestas, Übersetzung ἤματι... τριτάτῳ; die Bedeutung „Tag“ ist für das Subst. Plaut. Most. 18 anzunehmen25, Im Sinne von Sturm, Unwetter

erscheint tempestas bereits Elog. Scip. (CIL I? 9)6, dann 16mal bei Plautus, so Amph. 690, gelegentlich bildlich. ,Witterung"', „‚Wetter‘ ist das Subst. Enn.ann. 457; 527^, wohl auch Cato agr. 2,3 und sonst an den 5 Belegstellen der Schrift. Sturm" Ter. Hec. 423. Lucil. 38; 626, an der letzten Stelle übertragen. tempus erscheint bei Plautus über 50mal, über 30mal bei Terenz. Wichtiger für uns

als die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Subst. in der vorausgesetzten Bedeu-

tung dem gesprochenen Latein abhanden gekommen sein mag”, ist die Beobachtung, daß es in der Dichtersprache des 1.vorchr. Jh.s noch eine gewisse

Rolle spielt, ohne freilich ein eigentlich poetisches Wort zu sein. Ein Spezi21

Das Fragment aus dem Euhemerus. Die Bruchstücke aus diesem Werk werden im folgenden, soweit die Zitierweise des Laktanz es erlaubt, als ganz ennianisch behandelt. Über die damit verbundene

Problematik orientiert etwa E. Bolisani, Ennio

minore,

Padova 1935, 114 ff, Vgl. letzthin Ed. Fraenkel, Eranos 49, 1951, 50 ff. 22

Nicht hierhin gehórt trotz Bréguet 125 Cic. rep. 2,11 ita munita arx circuitu arduo . . . (nititur), ut etiam in illa tempestate horribili Gallici adventus incolumis... per-

manserit. Metaphorischer Gebrauch von tempestas „Sturm“, wie auch sonst mehrfach bei Cicero, z. B. Mur. 4. Sulla 40. dom. 108; vgl. schon Lucil. 626. Natürlich hat die Metapher — etwa „stürmische Zeit" — mit der für Cicero antiquierten Bedeutung von tempestas eine gewisse Verwandtschaft, aber man muß die beiden Verwendungen

des Wortes auseinanderhalten. 23

So Skutsch, Glotta 2, 1910, 377.

24

Enn.ann. 527 tonuit... tempestate serena (danach Varro Men. 103); die Verbindung tempestate

serena in diesem Zusammenhang

móglicherweise Terminus

Kultes, Vgl. Suet, Tit. 10,1 — oder hier Enniusnachklang? Latina Graeca, Bern 1958, 117. 25

Vermutlich hat schon Laelius das Wort als zumindest

technicus des

Zu serenus O. Hiltbrunner,

selteneres und damit gehobenes

Idiom verwendet. Vgl. noch Fraenkel 194; Heusch 153. 26

Bei Catull, Properz (dazu Tränkle 40 f.), Ovid soll es wohl besonders feierlich wirken; diese Färbung mag qua tempestate gegenüber quo tempore für antike Leser auch wegen

der größeren Anzahl und Länge der Silben haben. Vgl. Dion. Hal. op. rhet. I 210, 9 ff.

27

fikum der vorsallustischen Historikersprache ist es vermutlich nicht gewesen 27, Cic. div. 1,75 wird die Wahl des antiquierten Subst. durch Streben nach Varia-

tion des Ausdrucks veranlaßt sein 28, proles??:

Bis Livius an folgenden Stellen: Trag. inc. 121. Cic. Arat.frg. 20,1.

rep. 2,40 in einer etymologischen Erklärung von proletarius. 6,23 an feierlicherhabener Stelle des Somnium Scipionis. leg. 3,7 in der altertümlich gestalteten Sprache der Gesetze. Bei Lukrez 9mal ab 1,259. Sall. or. Lep. 3 praeclara Brutorum ... proles, geniti ad ea, quae maiores virtute peperere, subvortunda; ironisch, vielleicht erstrebte Alliteration. Bei Vergil etwa 30mal ab georg. 2,3 sonst noch etwa 70mal in der augusteischen Dichtung, davon über 50mal bei Ovid. Liv. 1,8,5; 1,9,1; 1,23,1; 4,6,2. Möglicherweise in die Republik gehórt Carm. inc. Char. gramm. p. 10,25 B.; der Titel der Rede De prole augenUs.-Rad.; Menander

Rhet. Gr. II 339,

15 ff. Sp. — Heusch

51 ff. erkennt in „tempus

mehr die „leere“, „reine“ Zeit im physikalischen Sinn“, in „tempestas mehr die psychisch erlebte oder inhaltlich bestimmte Zeitqualitát' (51). Auf dieser Differenzierung aufbauend deutet er Catull, 64,73 illa tempestate als „die allgemeine Situation", 66,11 qua tempestate als den wichtigen „Anlaß der Begebenheit“. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens: Allerdings eignet tempestas gegenüber tempus ein Moment des Qualitativen, aber nur insofern es das ,(Un-)wetter'* bedeutet. Vgl. dazu auch noch Benveniste, in:

Mélanges Ernout, Paris 1940, 11 ff. Daß es schlechthin ursprünglich mehr die erlebte Zeit bezeichnet

— also etwa die große, glückliche, schreckliche Zeit —, indiziert nichts.

Der 27 A. 22 kurz besprochene metaphorische Sprachgebrauch steht natürlich auf einem anderen Blatt, Was Heusch an Belegen für seine Auffassung beibringt, ist nicht beweiskrüftig. Trag. inc. 80 und Lucil, 570 ist die rein zeitliche Deutung von tempestas vóllig befriedigend; an der letzten Stelle: Zu dem ihm eigenen, natürlichen Zeitpunkt läßt das Fieber nach. Ein affektisches Element findet Heusch an sich mit Recht Pacuv. trag. 319 in der Wendung multis... tempestatibus; aber dieser Zug ist offenbar durch die pluralische Verwendung des Subst. bedingt. Vgl. 243. Daß Lael. or. frg. Cic. de orat. 3, 153 nach dem Empfinden des Laelius eine bedeutsame Zeit meint, ist wahrscheinlich. Die Bevorzugung dieses Ausdrucks versteht sich als Wahl des der lebenden Sprache zumindest weniger vertrauten, feierlicheren Idioms und beweist nichts für eine semantische Differenzierung im Sinne Heuschs. Zweitens: Gesetzt, die diskutierte Unterscheidung träfe an sich zu, so könnte sie doch Catulls Sprachgebrauch gar nicht erklä-

ren, Für den Dichter ist tempestas lebendig nur als ,,(Un-)wetter"", Nichts würde zu der Annahme berechtigen, er habe in dem toten tempestas „Zeit“ noch die ursprüngliche Nuancierung der Bedeutung empfunden. Offenkundig bedient sich Catull des Wortes als eines feierlichen verbum priscum; hinzukommen mag, was eingangs dieser A. angedeutet wurde. Durch ein Zusammenspiel * dieser Momente

haben die beiden Catullverse freilich ungefähr den Klang, den Heusch

aus ihnen heraushórt, nur hat das eben nichts mit der ursprünglichen Bedeutung zu tun, die Heusch für tempestas postuliert, 27 28

Anders Fraenkel 194; doch s. bei mir 307. Beobachtung von Laurand 92; 95 £.; Heusch

29

Nichts spricht dafür, daß dieses und die später genannten verba prisca ebenfalls auf Laelius zurückgehen. Man hat sie, unter Akzeptierung von Coelius, gelegentlich auf Antipater zurückgeführt, so Skard, Ennius 48; Kuntz 96.

28

53; vgl. dazu bei mir 30; 31; 295.

da Met. Mac. or.frg. 18,5 Malc. kónnte von Metellus Macedonicus stammen. Das Subst. ist jedenfalls schon in ciceronischer Zeit ausgesprochenes Eigentum der Dichtersprache. Der poetische Charakter des Wortes wird noch deutlicher durch einen Vergleich mit suboles. suboles: Bis Livius an folgenden Stellen: Plaut. Pseud. 892 im Senar. Varro Men. 375 ex subolibus parvuli . . . demittebantur sex cincinni: „Haarspros-

sen“ u.ä., vergleichbar Apul. met. 2,9. rust. 2,1,24 suboles (gregis). Cic. carm. frg. 32,1

B. Titanum

suboles, socia nostri sanguinis, Alliteration. Marcell. 23

revocanda fides, comprimendae libidines, propaganda suboles; beschwórende Worte, suboles ist in Verbindung mit propagare móglicherweise

weniger auf-

fällig °°. Phil. 2,54 magnam partem senatus, omnem subolem iuventutis unoque verbo rem publicam expulsam atque exterminatam suis sedibus; pathetisch, erstrebte Alliteration?

off. 1,54 propagatio et suboles origo est rerum publi-

carum; suboles nach propagatio erleichtert oder Selbstreminiszenz?

leg. 3,7

in der altertümelnden Sprache der Gesetze. Lucr. 4,1232. Pollio Cic. fam. 10, 33,1 robur et suboles militum interiit. Bei Vergil 5mal, in der Aeneis nur 4,328. Ciris 398 nach Verg. ecl. 4,49. Hor. carm. 3,13,8; 4,3,14; carm. saec. 17; proles paßte an diesen Stellen metrisch nicht. Prop. 4,1 b, 77. Ov. met. 1,251. Bei Livius 6mal ab 6,7,1. Das Subst. ist also in ciceronischer Zeit der Dichtung nicht fremd, aber entschieden weniger poetisch als proles. Das letztere gilt noch deutlicher für die augusteische Zeit; bezeichnend die Entwicklung

Vergils ?. Dementsprechend ist der Gebrauch von suboles nicht auf Stellen stark poetisch-altertümlicher Färbung beschränkt.Im Gegensatz zu proles meidet Cicero dieses Wort nicht in seinen Reden; aufschlußreich auch die Ent-

wicklung des Livius ?, Der besondere Sprachgebrauch Varro Men. 375 führt uns zu einem weiteren Aspekt. Mehrfach bei Columella findet sich ab 4,24,4 (2mal); 4,29,10, viel später noch Pallad. 3,25,1; 10,14,1; 12,7,14 suboles im Sinne ,,Baumtrieb",

„Schoß“ u.ä. Vor allem die Palladiusbelege weisen auf lebendige Verwendung des Wortes

in dieser

Bedeutung

hin, besonders

wohl

im ländlichen

Latein.

Bei

Varro handelt es sich anscheinend um eine übertragene Verwendung des bàuerlichen Ausdrucks; vielleicht gilt dasselbe auch für Pollio, der sich dann gar nicht eines antiquierten Idioms bediente: Kernholz und Schoß. Jedenfalls war das Subst. der lebenden Sprache ciceronischer Zeit wohl nur in der Bedeutung „Nachkommenschaft“ u.ä. abhanden gekommen.

effari??: Für das Wort liegt der Artikel im Thes. vor; es wird hauptsächlich der Dichter- und Auguralsprache zugewiesen. Wir kónnen uns auf wenige Be30 31 32 33

Vgl. die später zitierte Stelle Cic. off. 1,54; subolem propagare Val. Max. 5,4 pr. Colum. 3,9,5; 3,10,17; 9,3,4. Das ist wohl doch nicht einfach auf Cicero zurückzuführen. Verstechnische Gründe geben dabei nicht den Ausschlag. Dazu paßt ebenfalls in späterer Zeit Suetons Sprachgebrauch, der ab Suet. Aug. 46 4 mal suboles, nie proles verwendet. Suet. Aug. 89,6 ist natürlich auszuklammern. Kurz zur Variante fari. Das Wort gehört auch in ciceronischer Zeit der Dichtersprache

29

merkungen beschränken. Der Dichtersprache gehört das Verb seit Enn.ann. 47 an; an den Sprachgebrauch des Ennius knüpft Vergil an ab georg. 4,450. Wenn effari außer Lucr. 5,104 in der Dichtung ciceronischer Zeit fehlt, so

liegt das vermutlich daran, daß wir praktisch keine epischen Texte aus dieser Periode haben. Im Epos, wo Reden häufig vorkommen,

konnte

das Verb erst

reichlich gebraucht werden; die zahlreichen Belege bei Vergil finden sich mit Ausnahme der zitierten Stelle nur in der Aeneis. Als Terminus der Auguralsprache wird effari Varro ling. 6,53 gekennzeichnet. Cicero verwendet das

Verb in seiner Rede dom. 141 als Bezeichnung für das Aussprechen von Kultformeln: (non) verbum ullum solemne potuit effari. rep. 5,1 gewissermaßen als Kultterminus: ille (Ennius) versum

. .. tamquam

ex oraculo . . . esse effatus

videtur; in ähnlichem Zusammenhang in der Gesetzessprache leg. 2,20, noch näher steht div. 1,81 ex oraclo ecfatam esse Pythiam.leg. 2,21in der Gesetzessprache in einer der von Varro erwähnten Wendungen: agros templa liberata et effata habento (augures); ganz ähnlich Att. 13,42,3. ac. 2,95; 2,97 ecfatum oder effari als Übersetzung von ἀξίωμα oder ἀξιοῦν.

nuncupare: Bis Livius an folgenden Stellen: Lex XII tab. 6,1 (Cic. de orat. 1,245. Fest. p. 171) uti lingua nuncupassit. Pacuv. trag. 141; 239. Trag. inc. 1. Varro Men. 213 in einem jambischen Senar, für die Benennung eines Gottes. ling. 6,60 in

etymologischen Erklärungen: ab eo (novo) nuncupare quod tunc (pro) civitate vota nova suscipiuntur. nuncupare nominare valere apparet in legibus, ubi nuncupatae pecuniae* sunt scriptae. 7,8 in der Wiedergabe eines alten Weihgebets: quoad ... lingua nuncupavero. Cic. Verr. II 5,34; Phil. 3,11; 5,24 vota nun-

cupare. rep. 2,14 bei der Behandlung der rómischen Vorzeit. 6,16 im Somnium Scipionis bei der Bezeichnung eines kosmischen Phünomens, des orbis lacteus. nat. deor. 1,38; 2,60; 2,65; 2,71 überall im Zusammenhang

mit Góttern und

ihren Namen; an den zwei vorletzten zitierten Stellen und rep.2,14 kann auch Streben nach Ausdrucksvariation im Spiel sein”. Caes.civ. 1,6,6 votis nuncupatis.

Sall. hist.frg. 3,70, vermutlich auch wegen der sprachlichen Abwechslung. Ov. met. 14,608; fast. 1,246 für die Benennung eines Gottes und nach einem Gotte. Bei

Livius ófter ab 1,3,2 meistenteils in der Verbindung vota nuncupare. Jedenfalls in dieser Wendung ist nuncupare in ciceronischer Zeit und später noch durchaus geläufig; dazu auch Santra gramm. frg. 384,1 Fun. Denkbar, daß das Verb ebenfalls noch in der Gesetzes- vielleicht auch der Kultsprache der ausgehenden Republik

heimisch war?5. In der Dichtersprache ciceronischer Zeit hat das Wort offenbar eine ganz untergeordnete Rolle gespielt; metrische Gründe kónnen, wenigstens

an. Cicero verwendet es — in einem wohl redensartlichen Ausdruck — einmal in einer Rede, Quinct. 71: (postulatio) ne fando quidem audita; so auch nat. deor, 1,82; sonst

34 35

30

noch Tim. 40 deus. . . fatur. Zu allem Thes. s. v.; Tránkle 44. Laurand 95 f.; ähnliche Variation auch viel später Macr. Sat. 1,9,6. An nuncupare in bestimmten Kult- oder Rechtsformeln denkt wohl auch Quintilian inst. 8,3,27 (zitiert 13 A. 7).

was die hexametrische Dichtung angeht, dabei mitwirken. Nach Ovid taucht das Verb in Dichtung erst wieder Mart. 9,13,1 auf. non rebar: reri? schwindet in der Zeit von Plautus bis Cicero aus dem gesproche-

nen Latein?" scheint sich in Dichtung aber darüber hinaus gehalten zu haben; bemerkenswert ist hier in ciceronischer Zeit das 19malige Vorkommen des Verbs

bei Lukrez, freilich nur in präsentischen Formen ἃ. Die Belege für das Verb bei republikanischen Prosaikern: Varro ling.5,184 sumus rati; rust.3,11,4; 3,16,32 sum

ratus, immer in der angegebenen Wortfolge, der an allen drei Stellen der Inf. pertinere vorausgeht. Cic. Tusc. 1,94 reor. off. 2,32 remur. 2,43; t0p.78 rentur. de orat. 3,82 im Munde des Catulus; div.2,5; 2,35; Att. 14,6,1 rebar. Att. 14,8,1 re-

bare. ac. 1,26; Att.7,3,10 rebatur. ac. 1,39, wohl wegen der Variation?*; nat. deor. 3,15 rebantur. Tim.10,18 ratus est. Tusc.3,11 rati sunt. Der Gebrauch des Verbs unterliegt bei Varro und Cicero verschiedenartigen Beschränkungen. Bei Varro er-

scheint es nur in einer bestimmten Junktur und lediglich als Perf. Cicero meidet das Verb in Reden ganz. In Briefen verwendet er es nur in der Korrespondenz mit AtticusὉ, und hier einmal 50 a.Chr. (Att. 7,3,10), die beiden anderen Male 44 a.Chr. In philosophishen und rhetorischen Schriften Ciceros begegnet reri erst ab 45 a.Chr., ausgenommen den Catulus charakterisierenden Gebrauch des Verbs de

orat. 3,82*!. Cicero und möglicherweise auch Varro gestatten sich mit der Verwendung des Wortes eine sprachliche Extravaganz, jedenfalls Cicero erst im Alter. Als stark antiquiert wird er das Verb, das er verhältnismäßig oft verwendet,

nicht empfunden haben *. opinabar: Die zahlreichen Belege der republikanischen Literatur für opinari hier vorzulegen, ist weder notwendig noch móglich. Für uns genügt die Feststellung, daß das Verb in einer Reihe von Formen für Ciceros Zeit durchaus lebender Sprach36

37

Der Inf. ist hier nur aus praktischen Gründen gesetzt; jedenfalls in den von Yon berücksichtigten Texten ist er nicht belegt. Yon 1 A.1. Das Part. Perf. in passiver Bedeutung bleibt außer Betracht; es hat eine eigene Geschichte. Yon 13; 59 ff. Yon 23ff.; dazu Kroll, Glotta 24, 1936, 105; Heusch 79. Die folgenden Angaben im wesentlichen nach Yon 14 ff. passim; hier auch weitere Einzelheiten. Vielleicht haben Perf. und Part. Perf, in aktiver Bedeutung aber doch ein zäheres Leben gehabt, Außer an den gleich zu nennenden Stellen tauchen derartige Formen im 1. vorchr. Jh. noch bei Nepos auf, so Alc. 4,4; Dion. 5,4; Them. 7,4. Das sieht nicht nach Antiquiertheit

38 39 40

41

42

dieser Formen aus — oder sollte Nepos in diesem Punkt unter Sallusts Einfluß stehen? Vglauch Yon 24; Axelson 64. Daß das Verb in den Enniusfragmenten fehlt, kann Zufall sein. Vgl. Norden zu Verg. Aen. 6,690, Hinweis von Yon 51. Daß man sich in familiärer Unterhaltung leichter antiquierte Ausdrücke gestatten kann, zeigt Cic. leg. 2,18: quoniam et locus et sermo familiaris est, legum leges voce proponam. Anscheinend hat es sich um eine nicht nur Cicero bekannte Eigenart der Sprache des Catulus gehandelt; Cicero setzt voraus, daß die Leser seine CharakterisierungsabSicht erkennen, Noch Quintilian beurteilt inst, 8,3,26 reor als tolerabile. Er selbst verwendet das Verb inst. 2,16,9. Zu all dem noch Heusch 80, wenig fórderlich.

31

gebrauch gewesen sein muß. Das gilt zunächst für opinor, das über 200mal bei

Cicero nachzuweisen ist, auch in Reden *. Es gilt aber ebenfalls für andere Bildungen; beschränken wir uns auf die Belege in Reden^. Cic. Mur.61; 63. Arch. 8; dom. 105; Caes. or.frg. 121,42 Malc. opinari. Cic.Mur. 62; Pis.45 opinatur. Cael.

4 opinemur. Wenn Cicero-Crassus freilich opinabar zu den antiquierten Idiomen rechnet, so stimmt dazu die Bezeugung der Form: Nach Plaut.Persa 257 erst wie-

der Quint.inst. praef. 1. Spezifisch dichterisch war das Verb nach unseren Kennt-

nissen nie”. Es ist recht verschiedenartiges antiquiertes Sprachgut, das nach Cicero-Crassus für die oratio geeignet ist. Gemeinsam aber ist all den genannten verba prisca, daß sie in irgendeiner Weise wohl jedem Römer vertraut sind, sei es daß es

sich bei ihnen um die nicht mehr gebrauchte Form oder Bedeutung eines sonst in manchem der lebenden Sprache angehörigen Wortes handelt, sei es, daß die-

ses Vokabular in der Sondersprache des Kultus und des Rechtes oder der der Dichtung bewahrt wird. Die Dichtung ist dabei von ganz besonderer Bedeutung. Cicero-Crassus bemerkt de orat. 3,153, veraltete Wörter seien der poetarum licentia eher erlaubt als

den Rednern ^$; gleich darauf spricht er von dem priscum verbum als einem poeticum verbum. Er unterscheidet also nicht scharf zwischen veraltetem und dichterischem Wortmaterial^" und denkt bei jenem vor allem an in der Dichtung

gebrauchte Ausdrücke. Aufer opinabar?* finden wir in der Tat alle von ihm angeführten altertümlichen Wórter mehr oder weniger oft in der Dichtung cice-

ronischer Zeit verwendet; jedenfalls proles ist für diese Periode ein entschieden poetisches Wort. Das für den Redner geeignete antiquierte Vokabular, das Cicero vorschwebt, 43

Nach Yon 53; hier auch 52f. weitere allerdings nicht immer zuverlässige Angaben über die Verbreitung des Verbs.

44

Häufig in den Philosophica, gelegentlich auch in Reden

45 46

scher Ausdruck für das von den Stoikern verworfene Wahrscheinlichkeitsurteil. Laurand 97; vgl, auch Yon 54. So schon Yon 54; Axelson 64. Wenn antiquiertes Vokabular gerade der Dichtung zugewiesen wird, so kann diese

dient das Verb als techni-

Lehre durchaus unmittelbar von der Praxis rómischer Dichtung abgelesen sein. Dane-

ben kommt aber auch Anregung durch eine entsprechende griechische Theorie in Betracht, deren Existenz, wie anderenorts dargelegt werden soll, mancherlei Spuren vermuten lassen.

47

Über das Verhältnis der Dichtersprache augusteischer und späterer Zeit zu antiquier-

48

jedem Falle auch für das Empfinden Ciceros und seiner Altersgenossen Geltung haben müssen, opinabar wird Cicero-Crassus wohl nur deshalb erwähnen, weil der hier apostrophier-

ten Sprachelementen vor allem Axelson

24 ff., dessen Bemerkungen

te Dialogpartner Catulus für das Wort eine Schwäche

hat. Denn

freilich nicht in

der Nebensatz

ut tu

soles ist am besten sowohl auf non rebar als auf opinabar zu beziehen. So auch Münzer RE XIII (1927) 2081; Cousin 416 A.5.

32

hat also noch eine gewisse Beziehung zur Gegenwart?. Dementsprechend soll nach der Äußerung des Crassus de orat. 3,170 das vetustum verbum, in welchem

unter anderen er die singulorum verborum virtus atque laus verwirklicht findet, eines sein, quod tamen consuetudo ferre possit. Der Gedanke fügt sich in Ciceros Auffassung, daß in der Beredsamkeit das vitium vel maximum sei, a vulgari genere orationis atque a consuetudine communis sensus abhorrere so, Sehen wir, was Cicero sonst über die mögliche Wirkung und den Gebrauch von

verba prisca in der Rede lehrt. Zunächst zur Wirkung: Cicero rechnet die antiquierten Wörter, wie bereits be-

merkt, zu dem in den verba singula bestehenden ornatus elocutionis. dignitas schreibt Crassus de orat. 3,153 dem dichterischen Wort in der oratio zu; kurz

darauf bemerkt er, derartige verba prisca pflegten, an der rechten Stelle gebraucht, die Rede grandior atque antiquior erscheinen zu lassen'. Der Effekt des Archaismus, wie Cicero ihn an dieser Stelle versteht, läßt sich demnach mit Ausdrücken wie Großartigkeit, Altehrwürdigkeit umschreiben. Das ist nicht weit von der σεμνότης

entfernt, die den altertümlichen Ausdrücken

auch

in

griechischen Rhetoriktraktaten zugesprochen gewesen sein kónnte ??, 49

orat, 80 werden die inusitata ac prisca zu den propria gerechnet nisi quod raro uti-

mur. Man könnte meinen, daß Cicero mit der Bemerkung über den seltenen Gebrauch derartiger Wörter auf ihr Fortleben in gewissen Sondersprachen hindeutet; doch wird er eher an die seltene Verwendung der prisca als ornamenta orationis denken — wenn er nicht deshalb von ihrem seltenen, anstatt des gánzlich abhandenen Gebrauchs spricht, um einen krassen Widerspruch zu vermeiden; er hatte ja kurz zuvor den Aus-

druck propria usitataque verwendet, 50

de orat. 1,12, zustimmend

51

trios (? ) de el. 91; Cic. orat. 30. So ist die Bemerkung zu verstehen, mit der Crassus Cic. de orat. 3,153 die Beispiel reihe angemessener verba prisca beschließt: aut alia multa, quibus loco positis gran-

zitiert Quint, inst. 8 pr. 25. Vergleichbar sind etwa Deme-

dior atque antiquior oratio saepe videri solet. saepe solet heißt kaum

etwas anderes

als solet; zu dem Typ der pleonastischen Ausdrucksweise Hofmann-Szantyr 797. quibus loco positis hat kondizionalen Sinn: quibus, si loco posita sunt. Mit saepe... solet ist also nichts über die Häufigkeit der verba prisca in der Rede gesagt. Auch das multa ist nicht in diesem Sinne auszulegen. Es meint lediglich die Vielfalt der zu Gebote stehenden brauchbaren

52

antiquierten Wörter, ist übrigens wohl auch nicht ganz streng

zu nehmen. Über die Sparsamkeit, mit der verba prisca verwendet werden sollen, vgl. 35. Die beste mir bekannte griechische Parallele zu der Cicerostelle ist die allerdings viel spätere Äußerung, die Prokopios von Gaza epist. 116 an den Sophisten Hieronymos richtet: πόθεν ἡμῖν... σεμνὸς εἶναι δοκεῖς, εἴτι priua φθ γξαιο τῶν 'ArrC κῶν κτλ. (übernommen aus Norden, Kp. 368). Dion. Hal. op. rhet. I 409, 16 ff. Us.-Rad. und Menander Rhet. Gr. III 339, 14 ff. Sp. geht es weder ausschließlich um antiquiertes Vokabular noch allein um die σεμνότης. Aber die Verbindung von Altertümlichem und

σεμνὸν ist ófter nachzuweisen. Schon Aischines Tim. 183 ὁ δὲ Σόλων... γέγραφεν ἀρχαίως καὶ σεμνῶς κτλ. (spezifisch an den delectus verborum ist hier kaum gedacht). Vgl. auch Ps. Demosthenes 59,78; Aristeides rhet. 6,10 Schmid. Altertümliche Synthesis heißt mehrfach σεμνή bei Dionys; P. Geigenmüller, Quaestiones Dionysianae de vocabulis artis criticae, Diss. Leipzig 1908, 57; 73; dazu Longinos (?) Rhet. Gr. 1 306, 18 ff. Sp.

33

Auf einen etwas anderen Aspekt

der Wirkung,

die ein Archaismus haben kann,

werden wir durch Worte Ciceros leg. 2,18 hingewiesen. Er bemerkt, bevor er die einzelnen Gesetze formuliert, zu seinem Bruder: sunt certa legum verba, Quinte, neque ita prisca ut in veteribus XII sacratisque legibus et tamen, quo plus auctoritatis habeant, paulo antiquiora quam hic sermo est. eum morem igitur cum brevitate si potuero consequar. auctoritas ist bekanntlich ein eigen-

tümlich rómischer Begriff, kaum in eine andere Sprache zu übertragen und auch im Griechischen ohne eigentliches Pendant: die Fähigkeit, die Entscheidungen anderer, die sich diesem Einfluß freiwillig unterordnen, maßgebend zu bestim-

men ?*. Diese Eigenschaft verleiht nicht zuletzt das Alter. Den maiores in ihrer verpflichtenden und richtunggebenden Beispielhaftigkeit, an der sich Cicero und seine Zeitgenossen orientieren, ist sie in hóchstem Maße zu eigen 55 Von einer derartigen herrscherlichen Kraft verspürt Cicero etwas am altertümlichen

Wort. Mit dem Empfinden, das verbum priscum sei Tráger einer gewissen auctoritas, tritt eine spezifisch rómische Einstellung gegenüber solchem Vokabular hervor; sie steht zwar mit dem Gefühlsbereich der σεμνότης in einer gewissen Verbindung, ist aber doch nicht mit ihm identisch. Es verdient Beachtung, daß Cicero in der rhetorischen Schrift, in der er ex professo über die Wirkung des Archaismus handelt, den Begriff der auctoritas nicht verwendet. Das ist vielleicht mehr als ein Zufall. Cicero mag hier noch zu sehr im Denken der griechischen Techne befangen sein, als daf er einem eigentümlich rómischen Empfinden sprachlichen Ausdruck zu verleihen vermóchte. Gewif nicht zufällig ist es jedenfalls, daß ihm gerade bei der Formulierung seiner leges die verba prisca eignende auctoritas zum Bewußtsein kommt: Er tritt in

die Tradition römischer Gesetzes- und Amtssprache”, deren altertümliche Elemente nicht einfach lediglich das Ergebnis eines bürokratischen Konservativismus sind, sondern etwas von der gebieterischen Kraft der Bestimmungen auch im Sprachlichen verkórpern. Ebensowenig wie von auctoritas spricht Cicero bei der technisch-systematischen Behandlung der verba prisca von ihren möglichen negativen Eigenschaften. Daß ihm aber solche Eigenschaften nicht unbekannt sind, lassen zwei Stellen im Brutus erkennen. Brut. 68 legt Cicero den Attizisten, denen er die Nachahmung

der Reden des alten Cato empfiehlt, folgenden Einwand gegen seinen Vorschlag in den Mund: antiquior est huius sermo et quaedam horridiora verba. Cicero repliziert entschuldigend: ita enim tum loquebantur. Daß der Anstoß, den die Jungattiker an den nunmehr antiquierten Idiomen Catos nehmen, un53

Zu auctoritas die berühmte Untersuchung Heinzes, Hermes 60, 1925, 348 ff.; auch etwa Ernst Meyer, Röm. Staat und Staatsgedanke, Stuttgart 1964 3 260ff.; K.-H. Lütcke

54

Dazu Kroli, Kultur 44; Vogt 4ff.; H. Roloff, Maiores bei Cicero, Diss. Góttingen 1938, besonders 57 ff.; Meyer a. O. 269, wo auch weitere Literatur. Man denke etwa daran, wie sich das gewiß schon für Ennius antiquierte ollus in der

Auctoritas" bei Augustin, Stuttgart 1968,

55

Gesetzessprache hält. Einzelheiten. demnáchst Thes. s.v.

34

ter dem Aspekt der gegenwärtigen Sprachgestaltung berechtigt ist, wird implizit anerkannt; daher die Aufforderung: id muta, quod tum ille non potuit. Auch für Ciceros Empfinden ist offenbar manches von dem antiquior .. . sermo Catos horridius. Und wenn Laelius als Redner Brut. 83 multo . . . vetustior et horridior ... quam Scipio genannt wird, so wird das nicht zuletzt mit den verba paulo magis prisca zusammenhängen, für die er nach Cicero eine Vorliebe hat. horridum, das Garstige, Struppige, als stilkritischer Terminus der Gegensatz zum niti-

dum, laetum? — so kann also gleichfalls die Vorstellung gekennzeichnet werden, die altertümliche Wórter in Cicero wachrufen.

Der Begriff des horridum wird auch sonst öfter Antiquiertem appliziert??. Algemein hat das seine Ursache in dem Bewußtsein einer immer stärkeren Kulti-

vierung des rómischen Lebens; das ist ein Moment, das der soeben hervorgehobenen Vorstellung von der Musterhaftigkeit der Altvorderen entgegenwirkt.

Spezifisch im Bezirk der Sprache ist als Ursache dafür wirksam die durch den Purismus verstärkte Sensibilität des sprachlichen Empfindens?*. Daß altertümliche Wörter der Erklärung bedürftig sein können, deutet Cicero Balb.36 an: quasi vero priscum aliquod aut insolitum verbum interpretaretur. In den rhetorischen Schriften läßt er freilich die mögliche Unverständlichkeit der verba

prisca unerwähnt. Nun zur Crassus mit der falls de

Verwendung der verba prisca: Gebraucht werden sollen nach Cicerode orat. 3,39 veraltete Wörter nur ornandi causa parce. Die Sparsamkeit, man sich derartigen Vokabulars in der oratio bedienen soll, wird ebenorat. 3,153 hervorgehoben. Mit besonderer Deutlichkeit wird auf diesen

Gesichtspunkt de orat. 3,201 aufmerksam gemacht: (vos) admonendos puto, ne quid esse aliud oratoris putetis quod quidem sit egregium atque mirabile nisi in singulis verbis illa tria tenere, ut translatis utamur frequenter, interdum factis, raro autem etiam pervetustis. Hier wird den Archaismen unter den ornamenta der geringste Platz eingeräumt; sie sollen mit noch größerer Zurückhaltung gebraucht werden als die Neologismen. Abgesehen aber von diesem Hinweis gibt Cicero keine die Anwendung der altertümlichen Wörter spezifisch betreffenden Präzepte. Die verba prisca sind für

ihn lediglich ein ornamentum unter anderen. Wie die übrigen Mittel des ornatus so sind Archaismen dem genus tenue sehr wenig angemessen: ille tenuis orator ... nec in faciendis verbis erit audax et in transferendis verecundus et parcus [et] in priscis (in) reliquisque ornamentis et verborum et sententiarum de56 57

Vgl auch Jahn-Kroll zu Cic. Brut. 68. Zur entsprechenden Verwendung des Adj. im Bereich sonst z.B. Varro Men.

58

des Stils Thes. VI 2993,60 ff.;

326; Cic. Cael. 33; de orat. 3,98; Hor. epist. 2,1,157; Tac. ann.

4,16. Vgl. die Bezeichnung eines altertümlichen Wortes als velut rubigine infectum Tac. dial. 22,5 oder den Ausdruck reconditorum verborum fetores Suet. Aug. 86,1. S. noch Gudeman

zu Tac. dial. 20,8.

35

missior (orat. 81). Eine háufige Anwendung der ornamenta dicendi, unter ihnen

gleichfalls der veralteten Wórter, ist dagegen eine Eigentümlichkeit epideiktischer Reden: utendum erit in eis (ornata? oratione et singulorum verborum insignibus, quae habent plurimum suavitatis — id fit, si factis verbis aut vetustis aut translatis frequenter utamur —, et ipsa constructione verborum eqs. (part.

72). Für den Gebrauch antiquierten Vokabulars in bestimmten partes orationis werden in den rhetorischen Schriften Ciceros keine besonderen Anweisungen erteilt. Wenn orat. 124 principia verecunda, nondum elatis incensa verbis verlangt werden??, für die narrationes ein prope cotidianus sermo empfohlen wird, so

involviert das immerhin, daß verba prisca in diesen Redeteilen wenig angebracht sind. Am ehesten kónnte man in der peroratio, für die eine starke Ver-

wendung von ornatus zugestanden wird, den Platz auch der Archaismen vermuten; ausdrücklich freilich äußert Cicero sich nicht in diesem Sinne $9.

Bisher haben wir die bei Cicero begegnende Theorie im wesentlichen für sich erörtert. Sie tritt in ihrer Eigenart schärfer umrissen hervor, wenn wir sie vor der Folie thematisch verwandter Äußerungen betrachten. Beginnen wir mit einem Blick auf die Poetik. Cicero zeitlich nahe stehen die bekannten Ausführungen des Horaz über den Gebrauch altertümlichen Vokabulars durch den Dichter epist. 2,2,115 ff.: obscurata diu populo bonus eruet atque

proferet in lucem speciosa vocabula rerum, quae priscis memorata Catonibus atque Cethegis nunc situs informis premit et deserta vetustas; adsciscet nova, quae genitor produxerit usus. Horaz hat bei der Behandlung der Dichtersprache eine etwas andere Art von ver-

ba prisca vor Augen als sie Cicero für den Redner angemessen erscheinen. Die Vorstellung des Rücksichtnahme bewußter Suche im Hinblick auf

ZutagefórdernsÓ! läßt nicht nur nichts von der ciceronischen auf die consuetudo verspüren, sondern impliziert auch eine Art des Dichters nach den speciosa verba, ein Gedanke, der Cicero den Redner ganz fern liegt.

Mehr Aufschlüsse über die Besonderheit der bei Cicero begegnenden Lehre gibt

uns ein Vergleich mit Quintilian. 59

Rhet. Her. 1,7,11 wird für das exordium

60

part. 53, wo die Wortwahl in der amplificatio der peroratio behandelt wird, heißt es:

die usitata verborum

consuetudo gefordert,

verba ponenda sunt, quae vim habeant inlustrandi nec ab usu sint abhorrentia, gravia plena sonantia, iuncta facta cognominata, non vulgaria supralata in primisque trans-

61

lata. prisca werden merkwürdigerweise hier nicht expressis verbis erwähnt; sie dürften also ebenfalls in der peroratio für Cicero eine recht untergeordnete Rolle spielen. Kiessling-Heinze z. St. ziehen dazu bereits Lukian Lex. 17 als Parallele heran; vgl. auch Fronto p. 58,1 ἔν. d. H. (7 p. 63 £. N.).

36

Quintilian verwendet einen großen Teil der Darlegungen, die er über das altertümliche Wort als Element des ornatus inst. 8,3,24 ff. vortrágt, dazu, vor stilistisch bedenklichen antiquierten Wórtern zu warnen: utendum modo nec ex ultimis tenebris repetenda. satis est vetus ‚quaeso‘: quid necesse est ‚quaiso‘ dicere? ,oppido' quamquam usi sunt paulum tempore nostro superiores, vereor ut iam nos ferat quisquam:

certe

,antegerio', cuius eadem

significatio est, nemo

nisi ambitiosus utetur. ,erumna' quid opus est, tamquam parum si dicatur per ‚ae‘ horridum? ‚reor‘ tolerabile, ‚autumo‘ tragicum, ,prolem* dicendi versu est

ius, ‚prosapia‘ insulsum. quid multa? inst. 8,3,25 £.)9?.

totus prope mutatus est sermo (Quint.

Hier wird auf mehrere Móglichkeiten aufmerksam gemacht, bei der Verwendung

altertümlichen Vokabulars das Rechte zu verfehlen δ᾿, Cicero läßt Crassus zwar de orat. 3,170 in einem Nebensatz anmerken, das als wendete vetustum verbum müsse von der consuetudo an der Hauptstelle de orat. 3,152 ff. fehlt es jedoch Bemerkung. Warnungen vor dem Gebrauch stilistisch gibt es bei Cicero nirgends. Noch zwei Einzelheiten:

ornamentum dicendi verertragen werden kónnen; an einer entsprechenden bedenklicher Archaismen

Selbst, daß der Archaismus eines Redners den Eindruck des horridum erwecken könnte, erwähnt Cicero im Gegensatz zu Quintilian nie bei der systematischen

Behandlung des delectus verborum; dabei ist ihm ein derartiges Empfinden gegenüber antiquierten Idiomen an sich nicht fremd. Wenn Quintilian proles als rein poetisches Wort charakterisiert, stellt er sich in Gegensatz zur ciceronischen Theorie; Quintilians Urteil stimmt jedoch zur Praxis des Redners Cicero wie auch anderer Prosaiker. Die Feststellung des jüngeren Theoretikers erweist sich als wirklichkeitsnáher als die seines Vorgängers. Unter den antiquierten Wórtern, gegen deren Gebrauch Quintilian sich wendet, sind die nicht mehr verständlichen Wörter von besonderer Bedeutung. Die Erórterung des vitium der sprachlich-stilistischen obscuritas beginnt er inst. 8,2,12 mit folgenden Bemerkungen: at obscuritas fit verbis iam ab usu remotis, ut si 62

Text nach Radermacher; nur der Satz erumna — horridum nach Stroux, Philologus 91,

1936, 233 ff. Der gebotene Text ist in vielen Punkten unsicher. Das braucht hier nicht diskutiert zu werden, von einer Ausnahme abgesehen: Den Satz prolem — ius móchte Kennedy, HSPh 62, 1957, 145 athetieren, „The ,prolem dicendi versu etc,‘ of the MSS

is a result of the marginal comment ,(Cicero) de Universo: prosapiam‘ referring to Timaeus 11. To this was then added ‚Problem (lies: Prolem) dicendum est.‘ M has inserted the second comment into the text, while A, G, and S (lies: PV? ) have inserted

both.'* Radermachers Apparat gibt über die Überlieferung des Satzes in den hier benutzten Hss. AGMPV

folgende Auskunft:

versum

AG

(dicendam)

universam

(-so) M, PV

est ius] eius PV ei AGM, Die Annahme zweier Glossen wird also in Wahrheit keineswegs durch die Hss. gestützt. Ausgesprochen gegen diese Annahme spricht ihre Kompliziertheit und die Unwahrscheinlichkeit der Bezeichnung „De universo“ statt ‚In Timaeo" Der Satz prolem — ius, wie er bei Radermacher steht, ist, wenn auch vielleicht

nicht in jeder Kleinigkeit der Formulierung, so doch im wesentlichen quintilianisch. 63

Z.T. anderes Quint. inst. 1,6,40.

37

commentarios quis pontificum et vetustissima foedera et exoletos scrutatus auctores id ipsum petat ex his, quae inde contraxerit, quod non intelleguntur. hinc enim aliqui famam eruditionis adfectant, ut quaedam soli scire videantur.

Auch an anderer Stelle hebt Quintilian hervor, daf die perspicuitas durch die Verwendung zu entlegener Archaismen bedroht wird, inst. 1,6,39 ff. wohl auch 4,2,36°*. Wenn er auf diese Gefahr inst. 8,3,24 ff., dem zentralen Passus für die Archaismen, nicht zu sprechen kommt, so wohl deshalb, weil er sich kurz zuvor über sie geäußert hat. Cicero weiß, daß veraltete Wörter unverständlich

sein Können; er stellt jedoch an keiner Stelle fest, daß Archaismen die Deutlichkeit des Ausdrucks zu beeinträchtigen drohen. Er unterläßt einen entsprechenden Hinweis selbst part. 19, wo er die möglichen Ursachen der obscuritas aus-

führlich aufzählt: dilucidum fiet usitatis verbis proprüs dispositis [aut] circumscriptione conclusa aut intermissione aut concisione verborum; obscurum

autem

aut longitudine aut contractione orationis aut ambiguitate aut inflexione atque immutatione verborum. Als Antithese zu den usitata verba propria mußte hier die Erwähnung der verba prisca besonders naheliegen. Quintilian rät nicht nur vom

Gebrauch

stilistisch anstößiger oder unverständ-

licher Archaismen ab; er warnt auch vor einer auffälligen

Präsentierung oder

häufigen Verwendung veralteten Wortgutes: opus est modo, ut neque crebra sint haec nec manifesta, quia nihil est odiosius adfectatione (inst. 1,6,40); und an anderer Stelle: multa alia etiam audentius inseri possunt, sed ita demum, si non appareat adfectatio; ... odiosa cura: nam et cuilibet facilis et hoc pessima, quod eius studiosus non verba rebus aptabit, sed res extrinsecus arcesset, quibus

haec verba conveniant (inst. 8,3,27 ff.). Cicero gibt zwar mehrfach den positiven Hinweis, man müsse sich der verba prisca in der oratio sparsam bedienen; eine Warnung vor der adfectatio antiquierter Wörter findet sich jedoch bei ihm

nicht ®. Die einzelnen Unterschiede zwischen den Darlegungen Quintilians und Ciceros, die wir bisher herausgearbeitet haben, lassen sich zu einer prinzipiellen Diffe-

renz verdichten: Das negativ-apotreptische Element, dem in den Ausführungen Quintilians über Archaismen eine hervorragende Bedeutung zukommt, fehlt in den entsprechenden Abschnitten der ciceronischen Rhetorica vollständig. Es 64

Im Bereich des Lateinischen vgl. Gell. 1,10, wozu

noch Macr,

Sat, 1,5,1 ff.; Gell. 11,7;

Fortun, rhet. 3,4 p. 123,11 f.; 3,6, p. 124,11 ff.; nichts damit zu tun hat Sen. contr. 9, 2,26 wozu 209 ff. Im Griechischen vgl. etwa Theon Rhet. Gr. II 81,7 ff. Sp.; Aristeides rhet. 64,17 ff. Schmid; auch Anth. Pal. 11,144.

65

Als solche Warnung wird man auch de orat, 3,39 nicht verstehen dürfen, wo Crassus, nachdem er auf die Bedeutung der Lektüre alter Redner und Dichter für die loquendi elegantia hingewiesen hat, sagt: neque tamen

erit utendum

verbis eis, quibus iam consue-

tudo nostra non utitur, nisi quando ornandi causa parce, quod ostendam. Mit der einschránkenden

Bemerkung, die sich ganz ungezwungen

aus dem Zusammenhang

ergibt,

wil! Cicero-Crassus lediglich dem Mißverständnis vorbeugen, er halte eine Beeinflussung der Sprache durch das Latein der vetera scripta in jeder Hinsicht für richtig. Im übrigen zu dem

38

Passus 77 ff.

lassen sich jedoch auch andere Merkmale entdecken, durch die die Äußerungen Quintilians von denen seines Vorgängers abweichen. Quint. inst. 1,6,39 heißt es: verba a vetustate repetita . . . adferunt orationi maiestatem aliquam non sine delectatione; nam et auctoritatem antiquitatis habent et, quia intermissa sunt, gratiam novitati similem parant. Mit den letzten Worten wird der Effekt der Neuartigkeit oder der Überraschung hervorgehoben, der sich mit dem Archaismus verbindet‘®, Bei Cicero gibt es keinen entsprechenden Hinweis. Denn wenn er de orat. 3,152 f. das verbum priscum als verbum inusitatum einführt und orat. 80 vom verbum priscum et inusitatum spricht, so hat das teils technisch-rhetorische, teils stilistische Gründe 67, über die Wirkung, die Cicero einem Archaismus zubilligt, besagt das nichts. de orat.3,153,

wo Crassus sich über den Effekt des verbum priscum äußert, wird derartigen Wörtern keine Eigenschaft zugeschrieben, die mit einer gratia novitati similis auch nur entfernte Ähnlichkeit hätte. Verständlich: Cicero schweben bei der Erörterung des verbum priscum altertümliche Wörter vor, die insbesondere wegen ihrer Erhaltung in der Dichtersprache zur Gegenwartssprache noch in einem gewissen Kontakt stehen; das Moment

des Ungewöhnlichen

und Neuartig-Über-

raschenden kann bei derartigen Archaismen nicht weiter von Belang sein. In den

Vordergrund kann es erst rücken bei der Verwendung mehr fremdartigen und entlegenen antiquierten Vokabulars.

Freilich ist etwas sonderbar,

daß

Quintilian

die Wirkung des Neuartigen beim Archaismus erwähnt; er ist ja — kaum anders als Cicero — durchaus kein Befürworter der Verwendung entlegener veralteter Wörter. ut novorum

optima erunt maxime vetera, ita veterum maxime

nova,

meint er zugespitzt inst. 1,6,41 und betont inst. 8,3,25 die Wichtigkeit des mo-

dus$*. Mit dem Eindruck der novitas verbindet sich bei den verba a vetustate repetita nach Quint. inst. 1,6,39 ein anderes Stimmungselement, die auctoritas antiqui-

tatis?. Sonst schwer miteinander zu vereinende Eigenschaften finden sich so in dem altertümlichen Wort zusammen ”. Von der auctoritas der Archaismen ist auch Quint. inst. 8,3,25 die Rede: 66,

67 68

69

adspergunt illam, quae etiam in picturis est

Ebenso spüter Fronto p.57,20 ff. v.d.H. (Ξ p.63 N.); Gell. 11,7,1. Über die Theorie des Archaismus bei diesen beiden Autoren Marache 138 ff.; 218ff.; man könnte freilich

tiefer eindringen. Vgl. noch Don. Ter. Ad. 259; Markellinos vita Thuc. 52. Der Punkt soll an anderer Stelle näher beleuchtet werden. Ähnlich Mart. Cap. 5,509. Übrigens ist in dem wichtigsten Passus Quintilians über den Archaismus, inst. 8,3,24 ff., ein Hinweis auf die novitas des antiquierten Wortes unterblieben. auctoritas ist hier entgegen Marache 18 natürlich nicht der Kanon der Latinitas. Der nam-Satz erklárt und begründet die zuvor beschriebene Stilwirkung der verba a vetustate repetita, Die gratia novitati similis ist Ursache

der delectatio, die auctoritas antiqui-

tatis die der maiestas: Ein als gut lateinisch verbürgtes Wort braucht der Rede nicht maiestas zu verleihen.

70

Um

den Kanon

auctoritas geht es erst Quint.

inst.

1,6,42.

Plin. nat. praef. 15: res ardua vetustis novitatem dare, novis auctoritatem.

39

gratissima, vetustatis inimitabilem arti auctoritatem. Cicero spricht im Zusammenhang mit den verba prisca ebenfalls von auctoritas, doch fehlt ein Hinweis

auf diesen von rómischem Empfinden zeugenden Eindruck gerade in den rhetorischen Schriften. Quintilian warnt in verschiedenen Hinsichten vor dem Gebrauch von antiquier-

ten Wörtern. Auf der anderen Seite findet sich bei ihm eine Bemerkung wie inst. 8,3,27: multa alia etiam audentius inseri possunt. Eine vergleichbare Konzession wird man bei Cicero vergeblich suchen. Bei náherem Hinsehen zeigen sich in der Behandlung der Archaismen mannig-

faltige Unterschiede zwischen Cicero und Quintilian ". Welche Gründe hat das? Vielleicht meint man: Einfach die Tatsache, daß Quintilian Stil und Sprachgebrauch viel ausführlicher erórtert als sein Vorgánger. Aber es hátte vielfach nur weniger Sätze mehr bedurft — part. 17 nur weniger Wörter —, hätte Cicero sich in ähnlicher Weise wie Quintilian äußern wollen. Oder wollte Quintilian Cicero in einem Punkt ergänzen, in dem ihm die Lehre seines Vorgängers ergänzungsbedürftig erschien? Dann stellte sich die neue Frage, weshalb ihn Ciceros Darstellung nicht befriedigte. Erwägen könnte man schließlich auch, daß Quintilian aus einer besonders ergiebigen griechischen Quelle schópfte. Dabei operierte man mit einer Unbekannten. Ganz passende Parallelen sind für die meisten her-

vorgehobenen Eigentümlichkeiten der quintilianischen Lehre in der griechischen Literatur überdies schwerlich nachzuweisen 7; ein Urteil wie das über die stili-

stisch bedenklichen antiquierten Wórter und der Hinweis auf den Eindruck der 71

Quintilian gebraucht übrigens auch keinen der üblichen Termini Ciceros für das antiquierte Wort, Natürlich gibt es nicht nur Unterschiede zwischen den beiden Autoren. Außer dem bereits Bemerkten kann etwa darauf hingewiesen werden, daß Quintilian inst. 8,3,24 ühnlich wie Cicero dem

altertümlichen Wort dignitas zuschreibt. Ebenso

Plin. dub. serm. frg. 254, 26 Mazz.; Gell. 17,2,19, wozu 229 A. 7. Ein weniger belangvoller Unterschied ist es, wenn Quintilian anders als Cicero ausdrücklich zu einer besonderen Zurückhaltung wie bei anderen ornamenta so bei veralteten Wörtern im exordium

(inst. 4,1,58 f.) rát und inst, 11,1,6 zusammenfassend meint: nec vetera aut tralata aut ficta verba in incipiendo, narrando, argumentando

tractabimus. Hier tauchen die Archa-

ismen lediglich als ein Element bei der Entfaltung des ornatus auf, um den es geht, ganz wie Cic. part. 72; eine ihnen besonders anhaftende Eigenschaft wird nicht in den

Blick gefaßt. 72

Eine Übereinstimmung griechischer und quintilianischer Lehre, wie sie 38 A. 64 angemerkt worden ist, läßt sich auch zwanglos mit der Ähnlichkeit der Stilsituationen erklären, die gleichartige Bemerkungen veranlassen; irgendwelche Abhängigkeitsverhältnisse

brauchen nicht vorzuliegen. Die vorgeschlagene Erklärung dürfte auch bei auffallenderen Kongruenzen befriedigen. Wenn z.B. bei Sulp. Vict. rhet, 15 p. 321,5 ff. ebenso wie bei Aristeides rhet, 103,18 ff. Schmid dazu aufgefordert wird, das Vokabular nur aus Büchern zu schópfen, so ist die Übereinstimmung der Vorschriften wohl lediglich Ergebnis einer ähnlichen Entwicklung im Latein wie im Griechischen. — Die durch nichts nahegelegte Möglichkeit, daß Quintilian, soweit er von Cicero abweicht, einer besonderen lateinischen Quelle folgt, braucht wohl nicht erórtert zu werden; ohnehin bliebe

in diesem Falle die Problematik prinzipiell die gleiche, ebenso die Lósung.

40

auctoritas, den ein Archaismus erweckt, kónnen in dieser Form ohnehin nicht griechischer Doktrin entnommen sein. Bei den skizzierten Begründungen kann man sich nicht beruhigen. Auf eine einleuchtende Erklärung führt Quint. inst. 8,2,12: An die Warnung vor dem Ge-

brauch entlegen-unverstándlicher Archaismen knüpft sich der Hinweis auf eine derartige Sprachpraxis einiger Zeitgenossen. Quintilian wird auch sonst durch ihm bekannte archaistische Neigungen auf die Móglichkeiten und Gefahren, die der Gebrauch von Archaismen in sich birgt, aufmerksam gemacht worden sein. So erklárt sich die Verwerfung mannigfaltiger antiquierter Ausdrücke und dabei ein einzelner Zug wie das sichere Urteil über den Stilcharakter von proles, so vor allem überhaupt das stark apotreptische Element seiner Ausführungen, so vielleicht auch die Tatsache, daß Quintilian in der rhetorischen Schrift von einem genuin rómischen Empfindungselement spricht, das sich mit den Archaismen verbindet, der auctoritas. Wenn

Quintilian in einer Weise, die mit seiner Kon-

zeption der zu verwendenden altertümlichen Wórter nicht recht harmoniert, den Effekt des Neuartigen bei den Archaismen hervorhebt, so zeigt er sich beeinflußt von der Anschauung moderner Prosaiker, die auf diesen Effekt besonderen Wert legen, qui etiam, cum optima sunt reperta, quaerunt aliquid, quod sit magis antiquom,

remotum,

inopinatum (Quint. inst. 8 pr. 31); Einfluß zeitge-

nóssischer Neigungen wird sich auch darin verraten, daß Quintilian einen kühneren Gebrauch von Archaismen zugesteht. Wenn der ciceronischen Lehre manche Züge abgehen, die sich bei dem spáteren Theoretiker finden, so würde sich umgekehrt das am einfachsten mit der Annahme erklären, daß archaistische Ten-

denzen jedenfalls in der Beredsamkeit ciceronischer Zeit keine Rolle spielen. So würde insbesondere das Fehlen irgendeines eindeutig apotreptischen Elements in Ciceros Ausführungen begreiflich. Bei Cicero ist anders als bei Quintilian von

einer Beziehung auf aktuelle Probleme nichts zu verspüren^. Auch dieser Tatbestand paßte zu der vorgeschlagenen Erklärung. Sie wird freilich, bis die republikanische Redekunst von allen Seiten auf archaistische Tendenzen durchleuchtet worden ist, provisorischen Charakter haben. 73

Vretska I 43 folgert, nicht ganz klar formulierend, allerdings gerade aus Cic. de orat. 3,153, daß „Archaismus als Stilmerkmal“ damals nicht ganz ungewöhnlich gewesen sei, so daß Cicero dagegen habe Stellung nehmen müssen. In erkennbar auf Aktuelles ge-

richteter Polemik wendet sich Cicero-Crassus jedoch weder gegen ein Archaisieren noch gegen die Verwendung von Archaismen.

Daß

er überhaupt auf das verbum

priscum zu

sprechen kommt, hängt mit dem überkommenen rhetorischen Schema zusammen und besagt nichts für eine Aktualität des Themas verbum priscum. Zu Vretskas Bemerkung auch 152 A. 136. -- Was De oratore angeht, so mag man vielleicht geltend machen: In dem Gespräch, das in das Jahr 91 a.Chr. verlegt ist, könnte nicht auf später aufgekommene Tendenzen Bezug genommen werden. Aber auch in den anderen Rhetorica Ciceros ist eben bei einer Behandlung des verbum priscum von einer besonderen Rücksicht auf gegenwärtige Strömungen nichts zu merken. Dem erwähnten chronologischen Moment wird man da keine entscheidende Bedeutung zumessen. Cicero hätte in De oratore, ohne die Gesprächschronologie zu verletzen, wenigstens in allgemeiner Form auf eine irgendwie extravagante Verwendung von Archaismen eingehen können.

41

Die Tatsache, daß in Ciceros Behandlung des verbum priscum nicht kritisch auf die Verwendung von Archaismen durch zeitgenóssische Redner eingegangen

wird, läßt leicht vergessen: Über Verwendung und Wirkung antiquierter Idiome konnte man in derselben Zeit verschiedener Ansicht sein. Die Autoren, die nach Quint. inst. 8,2,12 mit dem Gebrauch entlegener Archaismen famam eruditionis adfectant, haben diese Praxis im Gegensatz zu Quintilian eben durchaus gutgeheißen. Die Männer, deren stilistische Neigungen früher der Kaiser Augustus mit seinem Wort von den reconditorum verborum fetores zu treffen sucht

(Suet. Aug. 86,1), haben bei den von ihnen verwendeten recondita verba fraglos nicht die Assoziation von üblen Gerüchen gehabt. Pollio verleiht mit dem Vorwurf der nimia priscorum verborum affectatio (Suet. gramm. 10,2) schwer-

lich dem Empfinden Ausdruck, das sich für Sallust mit seiner Sprach- und Stilpraxis verbindet.

42

2. Der Archaismus in der Theorie der Geschichtsschreibung

Cicero kennt im Jahre 55 a.Chr. keine vor 91 a.Chr. veróffentlichten — wahrscheinlich aber überhaupt keine — umfassenden Rhetorenpräzepte, die sich spezifisch auf die Historiographie beziehen. Cic. de orat.2,62 bemerkt Antonius: neque eam (historiam) reperio usquam separatim instructam rhetorum praeceptis; sita sunt enim ante oculos. Noch deutlicher sagt er am Abschluß seiner Erórterungen über die Geschichtsschreibung de orat. 2,64, unmittelbar nach der Behandlung des Stils: harum tot tantarumque rerum videtisne nulla esse praecepta, quae in artibus rhetorum reperiantur? Aus den zitierten Worten folgt nicht mit Sicherheit, daß es in dieser Zeit, also wahrscheinlich noch 55 a.Chr.,

keine ausführlicheren rhetorischen Anweisungen für die Abfassung von Geschichtswerken gegeben hat; man darf ihnen jedoch entnehmen, daß in Rom von derartigen Lehren damals weithin noch nichts bekannt ist. Die rómische GeschichtsSchreibung dürfte somit bis zu diesem Zeitpunkt, aufs Ganze gesehen, nicht unter dem unmittelbaren Einfluf eigens auf die Historiographie gerichteter Vor-

schriften stehen!. Die systematische normative Behandlung der Geschichts-

schreibung ist wohl Ciceros eigene Leistung?. 1

Die zitierten Stellen verwenden in verschiedenem Sinn schon etwa Scheller 70; Rambaud 15f.; Avenarius 172f. — Walbank, Gnomon 29, 1957, 418 trägt drei Überlegungen vor, die, falls richtig, den zuletzt gezogenen Schluß erschüttern würden. Erstens: Cicero-Antonius leugne nicht die Existenz normativer Monographien über die Geschichtsschreibung. Er meine lediglich, innerhalb der rhetorischen Handbücher fehle eine von den allgemeinen rhetorischen Vorschriften getrennte Erórterung dieses Genos. Vgl. auch Leeman,

Ratio 171. Zweitens: Antonius

„in accordance with his welFknown

affectation of ignorance of Greek things ... is here posing as a plain, blunt, man“. Drittens: ,,Cicero's sketch of how

to write history ... will make

its best impression

if its novelty is stressed." Die Argumente sind aber kaum stichhaltig. Zum ersten: Was über die Vernachlässigung der historia durch die artes bemerkt wird, wäre recht irreführend, wenn es sogar — mit keinem Wort erwähnte — ganze Monographien über die Erfordernisse der Geschichtsschreibung gäbe. Ausgesprochen unangebracht wäre dann die Begründung für die Lücke der rhetorum praecepta: Die Vorschriften für die Historiographie seien ante oculos gelegen. Welcher Art sollten überhaupt die Monographien sein, die eindeutig nicht unter den Begriff der rhetorum praecepta fielen? — Zum zweiten: Schwerlich hätte Cicero absichtlich eine Dialogfigur einen verkehrten Gedanken äußern lassen, ohne ihn irgendwie zu korrigieren. Denn ein derartiger Irrtum hätte jedem Leser als Irrtum Ciceros selbst erscheinen müssen. Ferner kommt es Cicero gerade darauf an, gegenüber der landläufigen Meinung über Antonius (vgl. de orat. 2,1) diesen Redner als Mann von durchaus gründlicher Bildung darzustellen (vgl. z.B. de orat. 2,3ff.); dieser Intention widerspräche ein dem Antonius

bewußt in den Mund gelegter Fehler. — Zum dritten: Cicero legt offenbar auf den Anschein der Neuartigkeit seiner Theorien keinen Wert, wenn er betont: sita sunt

43

Über den Stil eines Geschichtswerks äußert sich Antonius nur in einem Satz, de orat.2,64; die Wortwahl bleibt dabei aber ganz unberücksichtigt. Das sieht nicht

danach aus, daß Cicero hinsichtlich des Vokabulars dem Historiker irgendwelche auffallenden Eigentümlichkeiten zuzubilligen geneigt wäre. Für unsere Frage ist vor allem interessant, daß de orat.3,153 antiquierte Wörter als poetarum licentiae liberiora quam nostrae — der des Redners — gekennzeichnet werden, ein Hinweis auf eine besondere Freiheit des Historikers in der Verwendung alter-

tümlichen Wortmaterials aber fehlt. Später setzt Cicero die historia in unmittelbare Nachbarschaft der epideiktischen Beredsamkeit?. Ist in seinen Augen daher für die Historiographie eine Wortwahl angemessen, wie er sie part. 72 für laudationes und vituperationes empfiehlt?

Wenn die Frage zu bejahen wäre, wäre doch der Archaismus nur eines unter den singulorum verborum insignia. Er spielte nicht eine besondere Rolle in der Geschichtsschreibung, etwa in dem Sinne, daß er die Ehrfurcht gebietende Größe

der Vergangenheit zu verdeutlichen hätte. Indessen ist ganz ungewiß, ob Cicero sich über diesen Punkt des Verhältnisses Geschichtsschreibung — Epideiktik Gedanken gemacht hat. Er sagt nichts darüber. Auch die Anschauung, daß die Geschichtsschreibung stilistisch der Dichtung nahesteht, läßt sich bei Cicero nicht nachweisen. Ein derartiger Gedanke taucht anscheinend erst bei Dionys von Halikarnaß auf. Zu seiner Zeit wird in bestimmten Kreisen die Ansicht vertreten, der von Thuky-

dides geschaffene Stil sei der der Historiographie gemäße: τοῖς δὲ τὰς ἱστορικὰς πραγματείας ἐκφέρουσιν, αἷς μεγαλοπρεπείας τε δεῖ Kai σεμνολογίας καὶ καταπλήξεως, παντὸς μάλιστα προσήκει ταύτην ἀσκεῖν τὴν φράσιν τὴν 'yAcorrRματικὴν τε καὶ ἀπηρχαιωμένην καὶ τροπικὴν καὶ ἐξηλλαγμένην τῶν ἐν ἔθει σχημάτων ἐπὶ τὸ ξένον καὶ περιττόν (Dion. Hal. op. rhet. 1409, 16 ff. Us.-Rad.). In dieser an Thukydides orientierten Stilkonzeption der Geschichtsschreibung wird auf die Ungewóhnlichkeit der Lexis starker Wert gelegt. Entsprechend dem auch durch ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα gekennzeichneten Stil des Thukydides spielt dabei die Verwendung von Archaismen eine Rolle. Es hat den Anschein, daß diese Theorie kurze Zeit, bevor Dionys die zitierten Worte niederschrieb, aufgekommen ist; er führt sie mit der Bemerkung ein: ἐπιχειροῦσι δέ τινες οὐκ ἄδοξοι σοφισταὶ λέγεν. (praecepta) ante oculos. Übrigens würde bei diesem Argument — anders als beim zwei ten — Cicero sein Publikum als recht unwissend taxieren. — Über die hellenistischen Schriften περὶ ἱστορίας informiert

2 3

letzthin H. Homeyer,

Lukian. Wie man

Geschichte

schreiben soll, München 1965, 45 ff.; an der Darstellung ist vieles hypothetisch. Die von Leeman, Ratio 171ff. gesammelten Anklänge ciceronischer Doktrin an griechische Äußerungen sprechen nicht dagegen. Besonders orat. 65f.; 207; Henze

19ff. — Eine Sammlung

von lateinischen Urteilen,

die den Stil der Geschichtsschreibung betreffen, findet man Thes. s.v. historia und Ableitungen.

Selbst wünscht Dionys in der Auseinandersetzung mit der Ansicht der οὐκ ἄδοξοι σοφισταί die Geschichtsschreibung ἔχουσάν rt καὶ ποιητικόν (Dion. Hal. op.rhet. I 411,9 Us.-Rad.), fügt jedoch einschränkend hinzu: οὔτε παντάπασι ποιητικήν, ἀλλ᾽ ἐπ᾽ ὀλίγον ἐκβεβηκυῖαν τῆς ἐν ἔθει (πραγματείας), Immerhin erkennt er gewisse dichterische Züge im Stil eines Geschichtswerkes als berechtigt an. Bei Quintilian heißt es dann bekanntlich inst. 10,1,31: historia ... sic est legenda, ut sciamus plerasque eius virtutes oratori esse vitandas. est enim proxima poetis et quodam modo carmen solutum est et scribitur ad narrandum, non ad probandum totumque opus non ad actum rei pugnamque praesentem, sed ad memoriam posteritatis et ingenii famam componitur; ideoque et verbis remoti-

oribus et liberioribus figuris narrandi taedium evitat?. An anderer Stelle stellt Quintilian Dichter und Historiker gemeinsam den Rednern gegenüber: id quoque vitandum ..., ne in oratione poetas nobis et historicos, in illis operibus oratores aut declamatores imitandos putemus (inst. 10,2,21). Bei einer solchen Auf-

fassung von der Geschichtsschreibung sind für die historische Lexis auch altertümliche Wórter angemessen; an sie dürfte Quintilian zumindest in erster Linie denken, wenn er von den verba remotiora spricht‘.

Die Affinität von Dichtung und Historiographie gerade im Hinblick auf die Wortwahl kommt besonders deutlich in einer freilich späten Äußerung zum Ausdruck. Fortunatian bezeichnet rhet.3,4 p. 123,4 ff. als aliena verba die Wór-

ter, quae non sunt oratori accomodata sed historico aut poetae, ut si genitorem et genetricem et gnatum dicamus et satorem et altricem.

Eine so entschiedene Gleichsetzung historiographischen und poetischen Vokabulars kann indessen kaum als symptomatisch für die Auffassung früherer Kaiserzeit gelten. Dionys und Quintilian verwischen nicht den Unterschied zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung. Noch deutlicher ist Plin. epist.2,5,5: descriptiones locorum ... non historice tantum, sed prope poetice prosequi fas est. Und Gell. 13,29 wird Quadrigarius von einem haud sane vir indoctus getadelt, weil er mul-

ti mortales statt multi homines geschrieben habe inepte frigideque in historia

nimisque ... poetice ΄. 4

Verwandtes ebenfalls bei Lukian, wozu Avenarius

5

in denen die Geschichtsschreibung in die Nähe der Dichtung gerückt wird, stellt Norden, Kp.92 zusammen; die Zeugnisse betreffen nicht durchweg den Stil. Daß die Charakteristik der historia als proxima poetis et quodammodo carmen solu-

6 7

tum auf Theophrast zurückgeht (so nach Norden, 64f.) ist eine unbeweisbare Vermutung. Vgl. auch remotum für antiquierte Wórter Quint. inst. 8 pr. vgl. ferner Fronto p.58,5 v.d.H. (= p. 64 N.). Gell. Darüber 255 f. zu Quadrig. hist. 76.

61ff. Verschiedene andere Passagen,

Kp. 92, Henze 18 wieder Avenarius Walbank, Gnomon 29, 1957, 418. 31; 8,2,12; wohl auch inst. 4,2,36; 16,9,2; 18,4,6.

45

J. Der Archaismus in der Theorie der Epistolographie

Spezifisch den Gebrauch von Archaismen betreffende Äußerungen, die man auf die Epistolographie republikanischer Zeit anwenden könnte, kennen wir nicht.

Trotzdem können wir wenigstens gewissermaßen das in der Theorie für den Gebrauch von Archaismen geóffnete Móglichkeitsfeld abstecken. Demetrios (?) de 61.234 gibt folgende Anweisung: ἐπεὶ δὲ καὶ πόλεσίν more καὶ βασιλεῦσιν γράφομεν, ἔστωσαν τοιαῦται αἱ ἐπιστολαὶ (οἷαὺ μικρὸν ἐξηρμέναι πως. στοχαστέον γὰρ καὶ τοῦ προσώπου, ᾧ γράφεται " ἐξηρμένη μέντοι [καὶ] οὐχ ὥστε σύγγραμμα évat ἀντ᾽ ἐπιστολῆς, ὥσπερ αἱ Ἀριστοτέλους πρὸς Ἀλε-

ἕανδρον καὶ πρὸς τοὺς Δίωνος οἰκείους

ἡ Πλάτωνος. Der Stil von Briefen, die an

einen Staat oder einen Kónig gerichtet sind, soll demnach ein wenig über dem

stilistischen Niveau eines Privatbriefes liegen; dabei muß aber der Charakter des ἐπιοτολικόν gewahrt bleiben. Berücksichtigt Demetrios (?) das πρέπον lediglich im Hinblick auf den Adressaten, so äußert sich Quintilian über das Verhältnis von Briefstil und behandeltem Gegenstand: est igitur ante omnia oratio alia vincta atque contexta, soluta alia, qualis in sermone et epistulis, nisi cum aliquid supra naturam suam tractant ut

de philosophia, de re publica similibusque (inst. 9,4,19). Dabei geht es freilich nur um die compositio. Doch wird man den Analogieschluß wagen dürfen, daß

in Quintilians Augen wie die geformte Synthesis so auch — wenigstens bis zu ei1

Wenn später gelegentlich ein mäßiges Archaisieren für Briefe überhaupt empfohlen wird (vgl. etwa die Angaben von Sykutris, RE SuppL.V (1931) 193; Symm. epist. 3,44,1), so rührt das von den allgemeinen archaistischen Neigungen

der Spätzeit her

und besagt natürlich nichts für die Anschauungen in der Republik. Fernzuhalten sind die freudigen Worte

Ciceros über den πίνος, den er in den Briefen seines in Athen

studierenden Sohnes findet: Att.14,7,2; 15,164; 15,17,2. Cicero würde sich fraglos nicht über einen Reichtum sprachlicher und stilistischer Archaismen in solchen Briefen freuen. Das umso weniger, als diese Eigentümlichkeiten von der gewachsenen doctrina des Briefschreibers zeugen (Att. 14,7,2) und somit ziemlich abseitiger Art sein müßten. Es kommt hinzu, daß der junge Cicero in Athen gewiß nicht alte rómische Literatur studieren sollte, sondern griechische (illustrativ Prop. 3,21,25ff.); lateinische Archaismen kónnte der Vater also schwerlich als Indiz für Studienfortschritte werten wie er es mit dem πίνος tut. An altertümelnde griechische Briefe ist kaum zu denken: Wir wissen nur von lateinischen Schreiben des Sohnes aus Athen, und Cicero hätte in seinem Vaterstolz kaum

unterlassen, auf die Fremdsprachigkeit der Briefe

hinzuweisen. Entweder ist mit πίνος die einwandfreie lateinische Stilisierung gemeint, in der die Redeübungen des jungen Cicero Frucht tragen. Oder — besser — der Ausdruck bezieht sich auf gelehrte Reminiszenzen u. à. aus alten griechischen Schriftstellern, womit

46

der Briefschreiber seine Schreiben geschmückt

haben mag.

nem gewissen Grade — andere oratorische Kunstmittel in Briefen am Platze waren, die aliquid supra naturam suam tractant. Die Präzepte, die uns die besten Aufschlüsse geben, gehören leider in die spä-

teste Zeit. Iul. Vict. rhet. 27 p. 447,37 ff. heißt es: negotiales (epistulae) sunt argumento negotioso et gravi. in hoc genere et sententiarum pondera et verborum lumina et figurarum insignia conpendii opera requiruntur atque omnia denique oratoria praecepta una modo exceptione, ut aliquid de summis copiis detrahamus et orationem proprius sermo explicet. si quid historicum epistola conprehenderis, declinari oportet a plena formula historiae, ne recedat ab epistolae gratia. si quid etiam eruditius scribas, sic disputa, ut ne modum epistolae corrumpas. Hier werden für epistolae negotiales ausdrücklich verborum lumina zugelassen,

unter denen man wohl auch verba prisca wird verstehen dürfen. Ist das richtig, dann ist die Lehre der Spätantike nicht einheitlich. Denn Rhet. min. p. 589,22f., in einem am ehesten spátantiken Traktat, werden für Briefe allgemein empfohlen: verba simplicia, verum minime antiqua nec tamen vulgaria ac sordida. Wenn

wir annehmen,

in dem

Rom

ciceronischer Zeit sei bereits eine Theorie

des

Briefes bekannt gewesen?, so braucht sie die Verwendung altertümlicher Wörter als eines der ornamenta, die die verba singula bieten, nicht ausgeschlossen zu haben.

Doch dürfte es kaum an der Mahnung gefehlt haben, ut aliquid de summis copiis detrahamus. 2

Darüber Peter, Brief 21ff.; H. Koskenniemi, Studien zur Idee und Phraseologie des griech. Briefes bis 400 n.Chr., Helsinki 1956, 33.

47

II. Die Redekunst und die Schátzung

älterer lateinischer Prosa in republikanischer Zeit 1. Die Beredsamkeit bis Cicero

a) Cato, der jüngere Scipio, Laelius Die Darlegungen dieses Kapitels' gelten zunächst der sprachlichen Seite der Problematik, die uns beschäftigt. Als den ältesten noch lesenswerten römischen Redner bezeichnet Cicero Brut.61 den alten Cato. Mit der Erörterung eines catonischen Idioms, das den Eindruck eines Archaismus machen könnte, soll hier begonnen werden.

In das 7. Buch der Origines hat Cato seine Rede gegen Ser. Galba aus dem Jahre 149 aufgenommen. Wohl die Eingangsworte sind orig. 108 erhalten: multa me dehortata sunt huc prodire: anni, aetas, vox, vires, senectus. verum enim vero cum tantam rem peragier arbitrarer ...

Der Inf. Pass. auf -ier fällt auf?. Wenn Plautus und Terenz den paragogischen Inf.

gebrauchen, so sind metrische Gründe im Spiel; ob und in welchem Maße das Vorkommen solcher Bildungen lebendem Sprachgebrauch entspricht, bleibt ungewiß?. Aufschlußreich ist dagegen, daß in den Fragmenten der catonischen Reden und des Geschichtswerkes sonst lediglich die Bildung auf -i erscheint ^. Der Inf. Pass. auf Jer ist also für den Censorius gewiß eine entlegene Bildung gewesen. Die Indizi-

en reichen jedoch nicht aus, die Bildung dem gesprochenen Latein catonischer Zeit ganz abzusprechen. Auf eine gewisse Verankerung der Form in der lebenden

Sprache noch dieser Periode deutet Cato agr. 154 opturarier hin?. In die gleiche 1.

2 3

4

Von jüngerer Literatur zu dem Thema konnte ich mir F. Sbordone, L’eloquenza in Roma durante l'età repubblicana, Napoli 1962 nicht verschaffen. L. Illuminati, L'eloquenza romana prima di Cicerone, Messina 1948 ist wertlos. — In der Datierung von Reden und Rednern folge ich im allgemeinen Malcovati. Über dehortari mit Inf. 305. Wenn die Formen bevorzugt am Versschluf oder vor der Dihärese erscheinen, so beweist das andererseits nicht, daß es sich um antiquierte Idiome handelt. Vgl. Jachmann, Glotta 7, 1916, 50ff. Im übrigen letzthin zum Inf. auf -ier Tränkle 167.

17mal in den Reden Catos, abgesehen von der Rhodierrede, die zu den Origines gerechnet ist; 8 mal in den Origines. Über De agricultura die nächste A.

5

Der Beleg bei Till 4. Wenn sonst in der Schrift nur der Inf. Pass. auf -i vorkommt — nach Heusch 110, der allerdings auch das angeführte opturarier übersieht —, so besagt das nichts: Es ist mit späteren sprachlichen Modernisierungen der catonischen Ausdrucksweise zu rechnen. Dazu Helm, RE XXII (1953) 147ff. Modernisierungen der

Formen sind auch im Euhemerus des Ennius sehr gut denkbar.

48

Richtung weist das zweimalige arbitrarier Hemina hist. 37°. Vielleicht dient die Wahl der weniger gebräuchlichen Endung Cato orig. 108 der größeren Emphase des Einleitungssatzes”. Im übrigen dürften auch sonst Archaismen in Catos Reden schwerlich nachzuweisen sein?.

Den jüngeren Scipio stellt Cicero Brut. 83 ausdrücklich dem archaistischer Neigungen verdächtigten Laelius gegenüber. Das würde indessen nichts gegen die Mög-

lichkeit gelegentlichen stilisierenden Archaismengebrauchs durch Scipio besagen. Wieder handelt es sich um den Inf. Pass. auf -ier. Er steht in einer Rede des Jah-

res 129, Scip. min. or. frg. 21,30 Malc.: (virgines puerique ingenui) docentur praestigias inhonestas....., discunt cantare quae maiores ingenuis probro ducier voluerunt.

In diesem Text ist der paragogische Inf. zweifellos auffälliger als in der 20 Jahre früheren catonischen Rede?, zumal Scipio, der fast 50 Jahre jünger ist als Cato,

mit seiner Lebenszeit in viel weniger alte Sprachschichten hineinreicht. Daß die

Bildung einen Archaismus Scipios darstellt, ist aber nicht gewiß '®. Freilich wäre die Form auch als Archaismus verständlich: Sie sollte dann vermutlich die Hal-

tung der maiores als eine autoritativ-amtliche erscheinen lassen '!. Das wäre eine Art des Archaismengebrauchs, die durchaus vereinbar wäre mit den Lehren, die Cicero über die Verwendung des verbum priscum gibt.

Etwas anders scheint es sich auf den ersten Blick dagegen mit Laelius, dem älteren Freunde des Scipio Aemilianus, zu verhalten. Cicero urteilt Brut. 83: ora6 7 8

Dazu 212f. Ähnlich schon Till 3f., ohne aber sich über die Lebensdauer der Bildung klar zu äußern; Heusch 109f. Palmer 122 hält anscheinend siet und impoene am Schluß eines längeren Fragments aus De sumptu suo Cato or.frg.2 für antiquiert. Aber der Censorius verwendet siet und sit nebeneinander; zu seiner Zeit war wohl beides lebender Sprachgebrauch. impoene

kann durchaus die für Cato übliche Schreibweise sein. Till 2. Über poetisches Sprachgut in Catos Reden

9

210 A.4.

Das Scipiofragment bietet den letzten Beleg für den Inf. Pass. auf -ier in der republikanischen Beredsamkeit. Die Konkurrenz auf -i findet sich in den Redefragmenten des 2. vorchr. Jh.s außer bei Cato noch: Met. Mac. or. frg. 18,6 Malc.; Lael. or frg. 20,22 Malc. (2 mal); Scip. min. or.frg. 21,14 Malc.; Gracch. or.frg. 48,19; 48,48 (2 mal); 48,49 (2 mal); 48,50 Malc.; Titius or. frg. 51,2 Malc. In der Historiographie begegnet der

10

11

paragogische Inf. nicht mehr nach Hemina. Die letzten CIL I? p. 820 angeführten Belege aus Prosainschriften stehen Lex. repetund. (CIL I? 583) 71 im Jahre 123 oder 122 a.Chr. Bei einer eingehenden Behandlung des Fragenkomplexes wäre übrigens die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß der paragogische Inf. nur oder bevorzugt bei bestimmten Verben oder Verbtypen verwendet wird; er fehlt z.B. bei fieri. Bei meinen Ausführungen ist dieser Gesichtspunkt vernachlässigt. Immerhin ragt Scipio noch weit in catonische Zeit hinein. Daher wird man auch siem(?) Scip. min. or. frg. 21,16 Malc. aus dem Jahre 142 ungern als Archaismus bezeichnen. S. oben A. 8. Zu potestur Scip. min. or. frg. 21,27 Malc. s. 218f. zu Coel. hist. 7. Vielleicht ist für die Beurteilung des scipionischen Ausdrucks auch von Belang, daß ein senex spricht. Dasselbe Moment kónnte ebenfalls bei Cato von Bedeutung sein.

49

tio Laeli de collegiis non melior quam de multis quam voles Scipionis; non quo illa Laeli quicquam sit dulcius aut quo de religione dici possit augustius, sed

multo tamen vetustior et horridior ille quam Scipio; et cum sint in dicendo variae voluntates, delectari mihi magis antiquitate videtur et lubenter verbis etiam uti paulo magis priscis Laelius. Das allgemeine Urteil über den Redner Laelius, das Cicero im letzten Satz ausspricht, gründet sich offenkundig allein auf die Kollegienrede. Mit ihr hatte Laelius 145 a. Chr. den Antrag des Volkstribunen C. Licinius Crassus zu Fall

gebracht, die Priesterkollegien statt durch Kooptation durch Volkswahl zu ergänzen. Die Verteidigung der religio deorum immortalium (Cic. Lael. 96), die Ausführungen über uralte Kulteinrichtungen (Cic. nat deor. 3,43) mußten den Gebrauch antiquierter Idiome gerade in diesem Prosastück für Laelius notwendig

oder naheliegend erscheinen lassen. Die Oratio de collegiis kann also mit ihren verba prisca durchaus eine thematisch bedingte Sonderstellung unter den laelianischen Reden gehabt haben. Und sie hat sie wohl tatsächlich gehabt. Sonst wäre kaum zu erklären, wie in der bereits von Cicero übernommenen alten Tra-

dition die elegantia als Charakteristikum der laelianischen Ausdrucksweise gelten konnte. Denn nach Rhet. Her. 4,12,17, dem ältesten Beleg für elegantia als

Terminus der Sprach- und Stilkritik, sind gerade die usitata verba ein Ingrediens

dieser Eigenschaft '?. Aber weshalb hat Cicero selbst nicht die sprachlich-stilistische Sonderstellung der Kollegienrede bemerkt?

Vermutlich ist die Oratio de collegiis die einzige

Laeliusrede, mit der Cicero zur Entstehungszeit des Brutus aus genauerer Lektüre vertraut ist — wenn nicht überhaupt die einzige, die er jemals gelesen hat". 12

Zu elegantia Thes. V 2,338,24ff. Aus dem Jahre 50 stammt Ciceros Bemerkung Att. . 7,3,10: cuius (Terentii) fabellae propter elegantiam sermonis putabantur a C. Laelio scribi. Tradition: putabantur. Die elegantia spezifisch der laelianischen Beredsamkeit hebt Cicero Brut. 86 hervor. Das kónnte auf Rutilius Rufus zurückgehen, dessen Bericht Cicero hier in indirekter Rede referiert. Jedenfalls aber reicht Cicero auch an dieser Stelle ein übernommenes Stilurteil weiter: Aufgrund eigenen Eindrucks urteilt er Brut. 83 über Laelius ganz anders. Daß die von Cicero übernommene Einschätzung des Redners Laelius letztlich auf wirklicher Kenntnis laelianischer Beredsamkeit beruht, dürfte die nächstliegende Annahme sein. Die Charakteristik verdankt Cicero vielleicht unmittelbar Männern, die selbst Laelius noch hatten hören können. Neben Rutilius

Rufus kommt vor allem der Augur Scaevola in Frage. Im übrigen geben auch die — freilich geringfügigen — Relikte von Laelius’ rednerischer Hinterlassenschaft Keinen Anlaß, in ihm mit Cousin 411

einen Archaisten zu vermuten.

— Wenn

sich nach der

vorgetragenen Auffassung Cicero Brut. 83ff. auf relativ geringem Raum einen Widerspruch in der sprachlich-stilistischen Beurteilung des Laelius zuschulden kommen läßt,

so ist das unbedenklich. Es sei nur als besonders auffälliges Analogon Cic. orat. 80 angeführt. Hier werden die verba prisca zunächst als Gruppe der verba aliena eindeutig abgehoben,

13

50

dann aber diesen subsumiert.

Die Kollegienrede hat sich am stärksten von allen Reden des Laelius im Gedächtnis der republikanischen Zeit gehalten, offenbar wegen ihres Inhalts. Vgl. Cic. nat. deor. 3,5; 3,43. Das ist nicht zufällig: Die von Crassus tr.pl. 145 a.Chr. angerührte Frage

Daß er unter diesen Umständen falsch extrapoliert, kann nicht verwundern. In dem Jahrhundert, das zwischen der Kollegienrede und dem Urteil Ciceros liegt, hat sich nicht allein die lateinische Sprache gewandelt, sondern vor allem der

in der Beredsamkeit wirksame Purismus bedeutend verschärft. Laelius wird sich, wenn er die religio verteidigte, einen auffälligeren Gebrauch antiquierter Ausdrücke gestattet haben, als es Cicero an seiner Stelle getan hätte. Cicero

kann sein Stilgefühl nicht abstreifen und sich auf den Standpunkt des alten Redners stellen; er kann sich nur als Ausdruck einer prinzipiellen Affektation erkláren, was für Laelius okkasionelle Sprachgestaltung war. Die kärglichen Fragmente der vorciceronischen Beredsamkeit geben keinen wei-

teren Anlaß, bei irgendeinem Redner archaistische Neigungen zu vermuten '*.

b) Cotta tr.pl. 103 (7) a. Chr., Sisenna Nicht ohne weiteres klar sind die Dinge allerdings bei L. Aurelius Cotta tr. pl.

103 (? ) a. Chr. . Einige ciceronische Äußerungen könnten leicht dazu verankam mehrere Dezennien nicht zur Ruhe. Sie war auch gerade wieder in Ciceros Konsulatsjahr aktuell. Die Einzelheiten bei Th. Mommsen, Rómisches Staatsrecht II, Leipzig, 18873, 28ff. So ist verständlich, daß Cicero mit der Oratio de collegiis schon rep. 6,2,2 vertraut ist. Demgegenüber gibt es keine stichhaltigen Indizien für die Annahme, Cicero habe andere Laeliusreden gelesen. Kurz zu einigen Stellen, die scheinbar das

Gegenteil bezeugen: Cic. Mur. 75 wird sinngemäß ein Dictum aus der Laudatio funebris auf den jüngeren Scipio wiedergegeben, die Laelius geschrieben, Q. Fabius Maximus Allobrogicus vorgetragen hat. Zur Problematik der Rede Malcovati S. 121; unglücklich Bardon I 65. Die Autorschaft des Laelius wird Cic. Mur. 75 nicht erwähnt, obschon sie aus der Überschrift der Rede hervorgegangen sein dürfte. Vgl. Schol. Cic. Bob.p. 118,11 ff. Denkbar, daß Cicero die Rede

selbst nicht

eingesehen

hat. Daß

er

mit ihr jedenfalls nicht gut vertraut war, zeigt Cic. de orat. 2,341, wo er sie fälschlich für Q. Aelius Tubero geschrieben sein läßt. — Das Laeliuszitat Cic. de orat. 3,153 kann, wenn es aus unmittelbarer Lektüre einer Laeliusrede stammt, gerade der Oratio de

collegiis entlehnt sein. — Cic. Brut. 82 indiziert nicht, daß Cicero von Laelius allein mehrere Reden kannte. — Cic. Brut. 94 wird in der Gegenüberstellung Laelius-Galba von den scripta des ersteren gesprochen, lediglich eine ungezwungene Formulierung: Dem Gedanken nach gehórt in scriptis auch in den Satz Galbae-occidisse, und von Galba schweben Cicero tatsächlich mehrere Reden vor. — Cic. Lael. 96 wird auffälligerweise nur das schriftliche Vorliegen der scipionischen Rede hervorgehoben. Ohnehin bewiese die spätere Stelle nichts für den Brutus. 14

Das heißt nicht, daß sich in den Bruchstücken nicht manches findet, was sich vor der

Folie ciceronischen Lateins merkwürdig ausnimmt: Hauptsáchlich Besonderheiten in Flexion und Genus von Verben und Subst., aber auch anderes Ungewóhnliche; derartigen Idiomen verdanken nicht wenige Fragmente überhaupt ihre Erhaltung. Als Archais-

men der betreffenden Redner hat diese Phánomene aber anscheinend noch niemand klassifiziert. In der Tat dürfte es sich bei all dem um Zeugnisse des lebenden Lateins der jeweiligen Zeit handeln; jedenfalls wird ein Beweis für die Antiquiertheit eines Ausdruckes kaum jemals zu erbringen sein. Zu einem Einzelpunkt 218 f. zu Coel. hist. 7.

15

Die Datierung nach T. R. S. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic I, New York

1951, 563 f. Bei Malcovati ist Cotta nicht erwáhnt.

51

lassen,

in ihm

einen

Archaisten

zu

sehen.

Erhalten

ist von

Cottas

Reden

nichts!6, Cic. de orat. 3,42 bemerkt Crassus zu Catulus, manche Aussprachefehler würden

von jedermann gemieden: est autem vitium, quod nonnulli de industria consectantur: rustica vox et agrestis quosdam delectat, quo magis antiquitatem, si ita Sonet, eorum sermo retinere videatur; ut tuus, Catule, sodalis, L. Cotta, gaudere

mihi videtur gravitate linguae sonoque vocis agresti et illud, quod loquitur, priscum visum iri putat, si plane fuerit rusticanum. Cotta will also, daß sein sermo altertümlich wirkt; persequebatur atque imitabatur antiquitatem, sagt Cicero Brut. 137 von ihm. Dieses Ziel sucht er durch eine ländliche Aussprache zu erreichen, die derjenigen des für die Feinheit und Eleganz seines sermo berühmten Catulus!" gerade entgegengesetzt ist: sonabat . . . contrarium Catulo subagreste quiddam planeque subrusticum (Brut. 259). Der sonus subrusticus besteht vor allem in einer breiteren Aussprache der Vokale: dilatandis litteris

(Brut. 259). Genaueres ergibt sich aus de orat. 3,46, wo sich Crassus tadelnd an Sulpicius wendet: Cotta noster, cuius tu illa lata, Sulpici, nonnumquam imitaris, ut iota litteram tollas et e plenissimum dicas, non mihi oratores antiquos,

sed messores videtur imitari. Zur Illustrierung unserer Stellen ist schon immer auf Varro rust. 1,2,14; 1,48,2

hingewiesen worden. Danach sagten die rustici statt via veha, statt villa vella. Spica[m] autem, quam rustici, ut acceperunt antiquitus, vocant specam, a spe videtur nominata (Varro rust. 1,48,2). Bei speca erkennt also Varro in dem e,

das dem sermo rusticus statt des i eignet, die ältere Vokalisation'?. In verallgemeinerter Form wird eine derartige Auffassung der Sprachpraxis Cottas zugrunde liegen5; der Zusammenhang zwischen seinem Streben nach antiquitas und der rusticitas wird ihm bewußt gewesen sein.

Das Bemühen um Altertümlichkeit beschränkt sich bei Cotta aber nicht auf die

Aussprache ?°. Cicero berichtet Brut. 137, er habe die antiquitas erstrebt cum 16

Schon Cicero sagt nichts von einer schriftlichen Hinterlassenschaft dieses Redners, hat

also von ihr vermutlich auch nichts gewußt. Möglicherweise hat Cotta seine Reden überhaupt nicht veróffentlicht wie so mancher seiner Zeitgenossen: Crassus hat nur als adulescens Reden publiziert, Antonius nie. Cic. de orat. 2,8.

17 18

Dazu Büttner 160ff. Wie diese Erscheinung wirklich sprachhistorisch zu deuten ist, ist für uns von untergeordneter Bedeutung. Vgl. immerhin etwa Sommer dermann 67; Palmer 217; Väänänen 23.

19

63; Marouzeau, Aspects

14; Nie-

Als Kennzeichen der alten Sprache wird e statt i auch Paul. Fest. p. 15 und Quint. inst. 1,4,17 angesehen. Nichts mit der Beobachtung dieses Lautwandels hat Lucil. 358ff. zu tun; hier handelt es sich um eine stoische Spekulation über die πάϑη λέξεων. Sommer, Hermes 44, 1909, 70ff.; Krenkel 276f.; Barwick, Probleme 56 f. Diese Auffassung

20

52

wird auch Nigid. gramm. frg. 165,10; 166,12 Fun. zugrunde liegen; das würde jedenfalis gut zu der Vorstellung von der ὀρϑότης τῶν ὀνομάτων Nigid. gramm. frg. 169,23 Fun. passen. Die zu e tendierende Aussprache des i mag nicht die einzige Eigentümlichkeit in dem

verbis tum etiam ipso sono quasi subrustico. Das Attribut subrustico gehórt dem

Sinne nach auch zu verbis. Diese Deutung entspricht dem Sprachgebrauch Ciceros, und so faßt die Stelle Quintilian inst. 11,3,10 auf?! Daf$ Sprachgut, das aus dem urbanen Latein geschwunden ist, sich gelegent-

lich auf dem Land hält, bemerkt die republikanische Sprachbetrachtung?". Varro ling. 5,162: ubi cenabant, cenaculum vocitabant, ut etiam nunc Lanuvi

apud aedem Iunonis et in cetero Latio ac Faleris et Cordubae dicuntur". Varro ling. 5,177: olim + unum dicebant multae; itaque cum (in) dolium aut culleum vinum addunt rustici, prima urna addita dicunt etiam nunc.

Varro ling. 7,74 über das Sternbild des Wagens: (vocant) nostri eas septem stellas (r(Dones et temonem et prope eas axem. triones enim et boves appel. lantur a bubulcis etiam nunc, maxime cum arant terram. Nigid. gramm. frg. 171,27 Fun.: φορβὴή (herba). sed antea fibra dicta est, ut nunc etiam rustici dicunt.

Der sermo rusticus Bewahrer von Sprachgut, das aus der stüdtischen Sprache geschwunden ist: Das ist die Auffassung, von der aus Cotta imitabatur antiquitatem mit dem Gebrauch von verba subrustica. Wenn der Redner solches Vokabular verwendet, so macht das vollends die Annahme unglaubhaft, ihm sei der Zusammenhang seiner Redeweise mit dem sermo rusticus nicht bewußt. Freilich spielt der delectus verborum in dem Streben Cottas nach altertümlicher Sprache offenbar nur eine sehr geringe Rolle: Von den verba wird lediglich Cic.

Brut. 137 gesprochen; und auch hier wird das Hauptgewicht auf die Eigenart von Cottas Aussprache gelegt. Von ihrer Betrachtung ist also in erster Linie näherer sonus rusticus Cottas gewesen sein; vgl. etwa die gravitas linguae Cic. de orat. 3,42. Daß unter der latitudo bei Cotta auch monophthongische Aussprache des ae zu fassen sei, meint E. Frank

21

67; fraglich.

Wenn bei Cicero von zwei mit cum—tum aneinandergereihten Subst. dem ersten ein Attribut ganz fehlt, das zweite ein Adj. oder Possessivpronomen als Attribut hinter sich hat, so gehórt dieses Attribut gedanklich auch zum ersten Subst. Cic. inv. 2,51 hi (loci communes

tractantur) ... gravius et ornatius et cum verbis tum

etiam sententiis

excellentibus. 2,166 multa quae nos cum dignitate tum quoque fructu suo ducunt. Att. 2,1,3; 14,16,4; fam. 2,16,5; ad Q. fr. 1,3,4. Bei scheinbaren Ausnahmen

sind be-

sondere Umstánde im Spiel. Verr. II 1,31 cum iudicibus tum populo Romano: populus Romanus

ist ein fester Terminus.

ad Q. fr. 2,14 (13),2

cursu corrigam tarditatem

cum

equis tum vero — quoniam tu scribis poema ab eo nostrum probari — quadrigis poeticis: Das cum-tum-Gefüge ist durch die Parenthese aufgelockert; überdies dürfte poeticis bei equis doch wenigstens mitschwingen. Undurchsichtig und jedenfalls keine Gegeninstanz Brut. 77. Quint. inst. 11,3,10 ist 57 zitiert. Douglas übersetzt Ciceros Be-

22

merkung über Cotta Brut. 137 richtig. Zu solchem Sprachgut vgl. auch E. Norden, in: Index scholarum, Greifswald 1895 X Α.4; Aus altróm. Priesterbüchern,

23

Lund

1937,

22ff.; Marouzeau,

Traité 181ff.

Unter Latium wird man in erster Linie das Latium rus verstehen dürfen. Vgl. E. Frank 64; Marouzeau, Aspects 10. Die Feststellung über den Sprachgebrauch Cordubas geht offensichtlich auf eine eigene Beobachtung Varros zurück.

53

Aufschluß über die Sprachtendenzen des Redners zu erhoffen. Welche Intentio-

nen hinter Cottas eigentümlicher Aussprache stehen, dafür gibt nun eine ähnliche Praxis Ciceros einen gewissen Hinweis.

Seit der Wende des 1.Jh.s. läßt sich bei den Römern die Neigung zur Aspiration von Tenues in echtlateinischen wie entlehnten Wórtern feststellen. Es handelt sich wohl um einen Hyperurbanismus, der unter griechischem Einfluß aufgekommen ist?^, Cicero berichtet über seine Reaktion auf diese Tendenzen orat. 160: quin ego ipse, cum scirem ita maiores locutos esse, ut nusquam nisi in vocali aspiratione uterentur, loquebar sic, ut pulcros, Cetegos, triumpos, Cartaginem dice-

rem. aliquando idque sero, convicio aurium cum extorta mihi veritas esset, usum loquendi populo concessi, scientiam mihi reservavi. Wie Cotta hält sich Cicero an die Alten, und wie Cicero wird Cotta mit der Nachahmung der Alten die rich-

tige unverfülschte Aussprache des Lateins gebrauchen wollen”. Daß Cicero sich bei seiner Praxis auf den sermo rusticus berufen hat, darf man

aber bezweifeln 26, Vermutlich unterscheidet sich Cotta darin gerade von Cicero, daß er die nachahmenswerte, gute alte Aussprache bei der Landbevölkerung erhalten glaubt. Dieser Punkt läßt sich noch etwas heller beleuchten. Cic. de orat. 3,42 ff. widerlegt Crassus die Meinung, in der rustica vox habe man

noch die unverfälschte antiquitas vor sich. Unter Hinweis auf die Aussprache des Catulus empfiehlt er zunächst die certa vox Romani

generis urbisque propria,

die frei ist sowohl von der rustica asperitas als auch von der peregrina insolentia (de orat. 3,44) ?. Dieses Ideal der urbanitas ist, wie Cicero-Crassus deutlich zu

verstehen gibt, in Analogie zu dem ἀττικισμός im Griechischen aufgestellt ?5. Im Anschluß an die Forderung nach urbanitas weist Crassus auf die Aussprache seiner Schwiegermutter Laelia hin (Cic. de orat. 3,45): Die Frauen bewahren wegen ihrer zurückgezogenen Lebensweise die incorrupta antiquitas leichter ??. 24

25 26

Dazu etwa Sommer 199 f.; Niedermann 92 ff.; Stolz-Leumann 131; Marouzeau, Traité 9ff.; Collart 95 ff.; Ramage, CPh 54, 1959, 44f. Die Äußerungen der antiken Grammatiker über ch bespricht J. Weber, Quaestionum grammaticarum specimen, Diss. Jena

1914, 43 ff. Eine in diese Richtung zielende Bemerkung auch bei Della Corte 56 A.1. Faktisch scheint sich freilich Cicero in diesem Punkte bäuerlicher Aussprache genähert zu haben. Vgl. die Anekdote Quint. inst. 12,10,57. Wenn

es Nigid. gramm. frg. 168,21

Fun. heißt: rusticus fit sermo, si adspires perperam, so bedeutet das nicht, daß im 27

ländlichen Latein besonders stark aspiriert wurde. Dazu E. Frank 70£.; Collart 96. Vgl. Quint. inst. 11,3,30: os... urbanum, id est, in quo nulla neque rusticitas neque

28

Die Subst.

peregrinitas resonet. tauchen hier nicht auf; urbanitas Cic. Brut.

170. Über urbanitas

rusticitas peregrinitas im allgemeinen E. Frank 51f.; Marouzeau, Aspects 7 ff.; Ramage,

AJPh

84,

1963,

390ff.

Die

Dissertation von

Ramage,

Urbanitas,

rusti-

citas, peregrinitas. The Roman View of Proper Latin, Univ. of Cincinnati 1957 29

war mir nicht erreichbar. Ähnlich Platon Kratylos 418 b 7 ff., eine Parallele, auf die schon öfter hingewiesen worden

54

ist, — Zu bedenken

ist, daß es bei Cicero nur um die Aussprache

(Laelia) sono ipso vocis ita recto et simplici est, ut nihil ostentationis aut imitationis adferre videatur; ex quo sic locutum esse eius patrem iudico, sic maiores; non aspere ut ille, quem dixi ... , sed presse et aequabiliter et leniter. quare Cotta noster ... non mihi oratores antiquos, sed messores videtur imitari.

Crassus kennzeichnet den echten altrómischen sonus Laelias nicht ausdrücklich als urbanus; aber nach dem ganzen Sinnduktus muß die von Laelia bewahrte anti-

quitas als den Erfordernissen der urbanitas entsprechend gedacht sein. Hier sind urbanitas und antiquitas vereint, rusticitas und antiquitas getrennt. Cotta widersetzt sich also dem dem ἀττικισμός entsprechenden Ideal einer urbanen

Aussprache, die auch für die Alten in Anspruch genommen wird. Wenn er mit seiner bäuerlichen Aussprache — und wohl auch dem bäuerlichen Vokabular — das gute alte Latein zu sprechen glaubt, ist er auf sprachlichem Gebiete Vertre-

ter einer Richtung, die gerade im ländlichen Element die Verkörperung echt altrömischen Wesens erblickt??. Damit ist jedoch erst ein Aspekt an Cottas Sprachpraxis erfaßt. Auf einen anderen Aspekt führen zwei bereits teilweise zitierte Stellen. Cic. Brut. 259 lautet vollständig: Cotta, qui se valde dilatandis litteris a similitudine Graecae locutionis abstraxerat sonabatque contrarium Catulo subagreste quiddam planeque subrusticum, alia quidem quasi inculta et silvestri via ad eandem laudem (bene loquendi) pervenerat. Nach Cic. de orat 3,46 versucht Sulpicius den Cotta nach-

zuahmen, indem er iota litteram (tollit) et e plenissimum (dicit). Offenbar glaubt Cotta, die städtische Aussprache des lateinischen i habe sich unter dem Einfluß

des griechischen Itazismus herausgebildet?', Das ausländische Element will er geht. Daß

Vokabular

und Syntax bei den römischen Frauen

im allgemeinen er-

heblich altertümlicher gewesen sind als bei den Männern, ergibt sich daraus nicht; eine Einzelheit Varro ling. 9,22. Wenn

Plinius sich epist.

1,16,6 durch

Briefe, die angeblich die Gattin des Pompeius Saturninus geschrieben hat, an Plautus und Terenz erinnert fühlt, so hat das entgegen Sykutris, RE Suppl. V (1931) 215 mit der altertümlichen Sprechweise der Frauen nichts zu tun: Die Sprachgestalt dieser Briefe wird ja ausdrücklich als Ergebnis der Erziehung und

Bildung aufgefaßt, die Saturninus seiner Gattin hat angedeihen lassen. Im übrigen ist sprachlicher Konservativismus bei Frauen auch

sonst zu beobachten.

Vgl

W. v. Wartburg, Évolution et structure de la langue frangaise, Bern 195 85, 25; Reichenkron 48 A. 9. 30

Dazu Cato agr. praef.

31

tur 28 ff. Ähnlich schon Büttner 160ff, Ob diese Meinung Cottas zutrifft, ist für unsere Ausführungen nicht weiter von Belang; verständlich ist sie jedenfalls. Früh sind

2; Varro rust. 2 praef.1; Hor.

carm.

3,6,37 ff.; Kroll, Kur

ja in das Lateinische Grázismen eingedrungen; dazu etwa A. Meillet, Esquisse d' une histoire de la langue latine, Paris 1928, 108 ff.; Kroll, Studien 5 ff.; Marouzeau, Traité 7 ff.; Aspects 125 ff.; P. Oksala, Die griech. Lehnwórter in den Pro-

saschriften Ciceros, Helsinki 1953. Andere Literatur bei Wenger 38 A. 12; wieder andere bei Hofmann-Szantyr 88*. Polemik gegen die Verwendung griechischer Fremdwörter

schon

Lucil

15 £, wozu Krenkel

263 ff.; Lucilius seinerseits ist

55

durch Breitziehen des Vokals in seiner Aussprache beseitigen. In diesem Punkte

steht also hinter seiner Sprachpraxis eine puristische Haltung. Demgemäß fällt Cottas Name gerade in den Kapiteln des Brutus, in denen im Zusammenhang mit Caesars grammatisch-puristischen Tendenzen von der Verschlechterung der lateinischen Sprache und den verschiedenen Móglichkeiten gesprochen wird, die echte Latinität zu bewahren oder wiederherzustellen (Cic. Brut. 258 ff.). Nur hier auch erklárt Cicero-Atticus die Affektation des Redners als

bewußte Entfernung a similitudine Graecae locutionis, offenbar um die puristische Richtung Cottas näher zu charakterisieren ??. Als Archaisieren wird man die behandelte Sprachpraxis Cottas nicht gut be-

zeichnen können: Der Redner, der hauptsächlich in seiner Aussprache sich des richtigen alten Lateins bedienen möchte, findet es in einem Bereich der lebenden Sprache bewahrt. Über das Ansehen, das Cotta als Redner genossen hat, urteilt Cicero Brut. 137 nicht günstig: in mediocrium oratorum numero dicendi non ita multum laude processerat. Aber die etwas abseitigen puristischen Bestrebungen des Mannes fanden dennoch die Anerkennung seiner Zeitgenossen. Sein Latein galt als gut

(Brut. 259). Selbstverständlich waren es nicht alle Römer, denen die Aussprache Cottas behagte, und nicht dieselben Kreise, in denen des Catulus suavitas vocis et lenis appellatio litterarum als vorbildlich anerkannt wurde. Immerhin stand Cotta mit seiner Sprachpraxis offenbar nicht ganz allein. Cicero-Crassus bemerkt Zu der rustica vox, sie sei ein vitium, quod nonnulli de industria consectantur: rustica vox et agrestis quosdam delectat (de orat. 3,42). Lassen sich noch bestimmte Namen nennen? Vielleicht C.Flavius Fimbria oder der sonst kaum bekannte L.Fufius? Antonius bemerkt Cic. de orat. 2,91 über Fufius: C. Fimbriae ... oris pravitatem et verbo-

rum latitudinem imitatur. Indessen gibt es kein Indiz dafür, daß hinter der verborum latitudo des Fimbria oder des Fufius sich die Absicht verberge, bäurisch-

altertümlich zu sprechen. P.Sulpicius Rufus, der Mitunterredner in De oratore, ahmt, wie ihm Crassus de orat. 3,46 vorwirft, die breite Aussprache Cottas biseinem entsprechenden Tadel von Horaz nicht entgangen

(sat.

1,10,20 ff.). Ganz

betont puristisch ist in dieser Hinsicht der Kaiser Tiberius (Suet. Tib. 71), viel leicht unter dem Einfluß Messallas (Suet. Tib. 70,1; Sen. contr. 2,4,8; Schol Hor. sat, 1,10,28); Val Max. 2,2,2 f. wird auf den Purismus des Tiberius deutlich Rück-

sicht genommen. Was spezifisch die Aussprache angeht, so ist bei der außerordentlichen Vertrautheit der guten Gesellschaft mit dem Griechischen (sehr aufschlußreich Plutarch Caesar 66,8; vgl. auch Plutarch Brutus 40,2), mit unbewußter griechischer Tónung zu rechnen; ausdrücklich weist Quintilian inst. 1,1,13 auf diese Gefahr hin. Philhellenen wie Albucius würde man auch eine bewußt gräzisierende

32

Aussprache zutrauen. Zu allem noch Boyencé, REL 34, 1956, 111 ff. Daß der Redner sich auch gegen manche stilistischen Importe aus Griechenland ablehnend verhält, ist denkbar. Bezeugt ist es aber nicht; das verkennen Guillemin 91; Marache

56

18.

weilen nach ?. Wahrscheinlich aber stehen hinter dieser Eigenart des Sulpicius andere Motive als hinter der gleichen Besonderheit Cottas. Cicero erwähnt an keiner Stelle etwas von einer Affektation von Rustizismen oder einer imitatio antiquitatis bei ihm. Sulpicius hat eine angenehme und wohlklingende Stimme* und ist ein grandis et tragicus orator??. Man darf vermuten, daß er mit einem

gewissen Breitziehen der Vokale, besonders des i, sein wohlklingendes Organ richtig zur Geltung zu bringen und durch diese Aussprache zugleich seiner Rede einen feierlich-erhabenen Klang zu verleihen versucht. Die letztere Annahme findet auch eine Stütze in gewissen antiken Äußerungen δ, Vielleicht ist die la-

titudo verborum bei Fimbria und Fufius auf ein áhnliches Bestreben zurückzuführen. Falls unter den nonnulli, von denen Crassus spricht, Redner zu verstehen sind, muß es sich bei ihnen wohl um völlig bedeutungslose Redner handeln.

Wie lange die ganze Richtung existierte, ist nicht mehr sicher festzustellen. Cicero deutet nirgends an, daß die Tendenzen Cottas eine Fortsetzung erfahren hätten oder gar noch in der Gegenwart wirksam seien. So mag es eine ziemlich

kurzlebige Strömung gewesen sein ?”, Quintilian freilich weiß inst. 11,3,10 wieder von ganz ähnlichen Bestrebungen einiger Zeitgenossen zu berichten: sunt ... qui rudem illam et qualem impetus cuiusque animi tulit actionem iudicent fortiorem et solam viris dignam, sed non alii fere, quam qui etiam in dicendo curam et artem et nitorem et quidquid studio paratur ut adfectata et parum naturalia solent inprobare, vel qui verborum atque ipsius etiam soni rusticitate, ut L. Cottam dicit Cicero fecisse, imitationem antiquitatis adfectant. Aber schon die Größe der zeitlichen Distanz

rät davon ab, Cotta mit seinen späten Nachfolgern durch eine kontinuierliche Tradition verbunden zu glauben. Überdies sind die Zeitgenossen Quintilians durch andere Motive als Cotta zu ihrer Sprachpraxis bewogen. Während Cottas Intentionen auf rein sprachlichem Gebiet zu suchen sind, es ihm um die Reinigung der lateinischen Aussprache von fremden Einflüssen und den Gebrauch des guten alten Latein zu tun ist, muß die bei Quintilian genannte Strömung im Zusammenhang mit dem mannigfaltigen Widerstand gegen die sich auch in der pronuntiatio äußernde Verweichlichung der modernen corrupta eloquentia ge33

Die Stelle fehlt in den bei Malcovati zusammengestellten Testimonien.

34

Cic. de orat.

35 36

Cic. Brut. 203; vgl auch de orat. 3,31; har. resp. 41. Vgl. Demetrios (? ) de el. 177: τὸ δὲ ὀγκηρὸν ἐν τρισί πλάτει, μήκει, πλάσματι . πλατέα λαλοῦσι γὰρ πάντα ot Δωριεῖς. Noch deutlicher Hermogenes de id.

37

1,132; 3,31; Brut.

203.

247, 12 f. Rabe: λέξις δὲ σεμνὴ πᾶσα μὲν fj πλατεῖα kal διογκοῦσα κατὰ τὴν προφορὰν τὸ στόμα. So schon E. Frank 69. — Für die literarhistorische Einordnung von Sallusts archa-

istischer Sprachgestaltung ist allein wegen der zeitlichen Entfernung dieser Strómung zu Sallusts literarischer Tátigkeit nicht viel gewonnen. Überdies ist aber Cottas ,,Archaisieren" ganz anders geartet als die Praxis des Geschichtsschreibers,

Das gegen Steidle 97.

57

sehen werden. Die virilitas, die diese Redner in einer rudis actio finden, dürften

sie mit der altertümlichen rusticitas ihrer Sprache zu verwirklichen trachten ®. Daß der Gedanke der Sprachreinheit überhaupt für sie eine Rolle spielt, ist zwei-

felhaft, zumindest ist er für die Zeitgenossen Quintilians weder das einzige noch das wichtigste Motiv.

Eine gewisse Vorliebe für Archaismen hat man auch für die Beredsamkeit des

L.Cornelius Sisenna vermutet”. Sisenna scheint als Redner — nur insoweit interessiert er uns hier — nicht besonders hervorgetreten zu sein. Atticus äußert über ihn zu Cicero Cic.leg. 1,7: is...

neque orator in numero vestro umquam est habitus et in historia puerile quiddam consectatur. Immerhin hat er gewiß eine größere Bedeutung gehabt als Cotta. Nach

Cic. Brut. 228 hat Sisenna als Redner den älteren Sulpicius nicht erreichen kónnen und dem jüngeren Hortensius weichen müssen: Allein die Zusammenstellung des Historikers mit diesen Sternen erster Ordnung zeigt, daß er nicht zu den ora-

tóres de faece zählte. Erhalten ist von den Reden Sisennas so gut wie nichts9. Wahrscheinlich hatte

er seine Reden überhaupt nicht ediert*'. Wir sind jedenfalls für ein Urteil über sie praktisch allein auf die Äußerungen Ciceros angewiesen. 38

virilitas ist eines der Schlagworte, das die Anhänger archaischer oder sonstiger älterer Beredsamkeit zur Zeit Quintilians mit deutlicher Spitze gegen die effeminata eloquentia der Gegenwart

im Munde

führen; ein anderes Schlagwort ist Natürlich-

keit (gegen das fucatum, die calamistri der corrupta eloquentia). Einiges Material bei Marache 41 ff.; hierzu auch Sidon.

epist.

8,16,2. Besonders bei der Natürlich-

39 40

keit ist mit dem Einfluß philosophischer Anschauungen zu rechnen. Vgl. auch Ps. Dion. Hal. op. rhet. II 365, 3ff. Us.-Rad., wozu Smiley, Univ. of Wisc, Stud, 3,1919,51, wenig glücklich. Marache 18; Candiloro, SCO 12, 1963, 212. Das bekannte adsentio Sisennas (Varro gramm. frg, 192, 12 Fun.; Quint. inst. 1,5,

41

13) ist bei Malcovati vergessen. Cicero sagt nichts von schriftlich vorliegenden Reden Sisennas, bemerkt vielmehr

Brut. 228: huius omnis facultas ex historia ipsius perspici potest. Der ausdrückliche Hinweis bloß auf das historische Werk in dieser Geschichte der römischen Beredsamkeit wäre sehr sonderbar, wenn Cicero auch Reden

Sisennas vorlágen.

(So ist bei P. Scipio, dem Sohn des Africanus maior Brut. 77, Piso Brut. 106, Scaurus Brut. 112, Catulus Brut. 132, deren historische bzw. autobiographische Schriften erwähnt werden, ein Hinweis auf die erhaltenen Reden nicht unterblie-

ben. Dagegen heißt es über Fannius M. f. wie über Sisenna Brut. 101: eius omnis in dicendo facultas (ex? historia ipsius non ineleganter scripta perspici potest; von diesem Fannius glaubt Cicero offenbar ebenfalls keine Reden zu kennen. In diesem Sinne schon Münzer,

Hermes 49, 1914,

210 £.). Daß Cicero die Reden Sisen-

nas, falls veróffentlicht, unbekannt geblieben sind, ist wohl ausgeschlossen. Da der Historiker nach Brut. 228 auf seine Beredsamkeit nicht viel Mühe verwandte (vgl auch die Äußerung des Atticus leg. 1,7), darf man annehmen, daß er zu den Rednern gehörte, die ihre gehaltenen Reden aus Trägheit nicht edierten (vgl. dazu 52 A. 16), ne domesticus etiam labor accederet ad forensem (Brut. 91). Das

adsentio verdanken wir gewiß einer persönlichen Erinnerung entweder des Varro

58

Die Ansicht, Sisenna habe in seinen Reden zu einem Gebrauch von Archaismen geneigt, kónnte in Bemerkungen des Atticus Cic. Brut. 259 f. eine Stütze zu finden scheinen. Hier wird dem Redner die Verwendung von verba inusitata nachgesagt; und im gleichen Zusammenhang heißt es: ille .. . familiaris meus recte loqui putabat esse inusitate loqui. Aber ungewóhnliche Idiome sind nicht unbe-

dingt Archaismen 2, Eher ist das inusitatum von Sisennas Sprache als die besondere Verwendung von Neologismen aufzufassen?. Denn Sisennas ungebräuchliche Wörter werden Cic..Brut. 260 mit dem Adj. sputatilicus exemplifiziert;und

das ist vermutlich, wie man seit jeher annimmt, eine nach karámrvoroc neugebildete Form. Im übrigen darf man sich von den Extravaganzen des Redners Sisenna keine übertriebenen Vorstellungen machen. Wo Cicero im Laufe der chronologisch

fortschreitenden Schilderung der rómischen Beredsamkeit auf ihn zu sprechen kommt, sagt er nicht nur nichts von irgendwelchen sprachlichen Besonderhei-

ten, sondern nennt ihn sogar bene Latine loquens (Brut. 228).

c) Catulus, Cicero Während es also in der vorciceronischen Beredsamkeit archaistische Tendenzen wohl gar nicht gegeben hat, ist das verbum priscum als ornamentum dicendi auch von den der Tradition gemäß durch die elegantia ihrer Reden ausgezeichneten puristischen Rednern wie Laelius und vielleicht Scipio nicht verschmäht worden. Auch Q.Lutatius Catulus hat — offenbar in seinen Reden — rebar und opinabar gesagt, Formen,

die wohl bereits zu seiner Zeit einen altertümlichen

Klang hatten ^5. Dabei scheint es sich um eine persönliche Eigenart zu handeln“. Aus dem Gebrauch dieser Formen kann keine Vorliebe des Catulus für antiquierte Wórter gefolgert werden. Im Gegenteil: Die beiden Formen fielen wohl als Kuriositáten, die sich von dem sonstigen Sprachgebrauch des Redners abhoben,

auf. oder seines Quellenautors (dazu R. Reitzenstein 53 A. 1). Tac. dial 23,2 geht natürlich auf den Geschichtsschreiber, nicht auf den Redner Sisenna, wie Bardon I

251 A. 2 versehentlich meint. 42

Daß Cicero bei der Behandlung der ornamenta dicendi in den rhetorischen Schriften verba inusitata und verba prisca verknüpft, besagt nicht, daß sonst die verba

inusitata mit den verba prisca zu identifizieren sind. Neubildungen bezeichnet der Ausdruck Cic. fin. 3,5; ebenso später Apul apoL 38. 43 44

Hierbei ist vermutlich vor allem an analogetische Bildungen zu denken. Zum Verháltnis zwischen grammatischer Analogie und archaistischen Neigungen vgl. 267 f. Was hier von dem Redner Sisenna gesagt worden ist, gilt, wie sich zeigen wird,

45

Cic. de orat, 3,153,

im Prinzip auch von dem Historiker Sisenna. Vgl. besonders 286. 46

wozu

31 f. Bei Malcovati fehlt die Stelle merkwürdigerweise.

Áhnlich dürften die Dinge bei Messallas cognomentum (or. frg. 176,23 Malc.) liegen. Vgl. ferner 31; 286.

59

Einen Begriff von der Häufigkeit von Archaismen in der Beredsamkeit vermag

natürlich allein die Praxis Ciceros zu vermitteln7. Von den Wörtern, die Cicero durch den Mund des Crassus ausdrücklich für in der Rede anwendbare prisca verba erklärt (de orat. 3,153), kommen in seinen Reden überhaupt nicht vor

proles, tempestas in der Bedeutung von tempus, rebar, opinabar. nuncupare begegnet nur in der Formel vota nuncupare, wo es kein Archaismus ist. In kulti-

Schem Zusammenhang erscheint effari (dom. 141), ist also hier eher als Kultterminus denn als Archaismus Ciceros einzuschätzen. Ein Sicherer Archaismus Ciceros ist nur suboles Marcell. 23; Phil. 2,54. Wenn

man

sich den Umfang

der red-

nerischen Hinterlassenschaft Ciceros vergegenwártigt, dann wird man die Zurückhaltung, die er gegenüber der Anwendung veralteten Vokabulars als eines ornamentum dicendi walten läßt, als außerordentlich stark bezeichnen. Wesentlich großzügiger als in seinen Reden verwendet Cicero altertümliches Vo-

kabular in den philosophischen Schriften ?. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. In manchen Fällen sind Archaismen dem erhabenen Gegenstand durchaus ange-

messen; so im Somníum Scipionis?. Bisweilen mochte auch der Ton des vertrauten sermo eher getroffen werden, wenn der Schriftsteller, die in den Reden geübte Zurückhaltung aufgebend, sich gewisse sprachliche Lizenzen gestattete. Die Verwendung antiquierten Sprachgutes lag natürlich dann besonders nahe, wenn die philosophischen Ausführungen lüngst verstorbenen Personen in den Mund gelegt wurden. Man darf ferner nicht außer Acht lassen, daß Cicero besonders in den Philosophica sich mit den Griechen und ihrer copia verborum

mißt°®. Da nutzt er die ihm zur Verfügung stehenden Sprachmöglichkeiten in weiterem Umfange als er es in Reden tut; veraltete Idiome werden dabei eben-

falls dem Streben nach Fülle zunutze gemacht. Auch wird man nicht übersehen dürfen, in welch kurzer Zeitspanne der allergrößte Teil der ciceronischen Philosophica entstanden ist; allein die Geschwindigkeit der Produktion wird es mit sich gebracht haben, daß der Autor sich häufig genug einfach mit den Wörtern 47

Dazu und zum Folgenden I. Matkowsky, De archaismis Ciceronianis, Diss. Wien

48

Zum Folgenden 27 ff. Befriedigende Literatur zu diesem Thema kenne ich nicht.

1922, mir nicht erreichbar. Ein wenig bei Ronconi, Maia 9, 1957, 25f. Zu De re publica Bréguet; wenig glücklich die Ansicht der Autorin 130, Cicero habe in dieser Schrift die in De ora-

tore vorgetragene Theorie praktisch exemplifizieren wollen: In De oratore geht es um den Redner.

Unzugänglich war mir J. W. Wilhelms, The

Language of Cice-

ro's De legibus, Minnesota 1942. 49

50

Zur Sprache des Somnium A. Traglia, Sulle fonti e sulla lingua del Somnium Scipionis, Roma 1947, 26 ff.; Ronconi, in: Studi in onore di Gino Funaioli, Roma

1955, 394 ff.; Bréguet passim. Cic. fin. 1,10 wird den Verächtern lateinisch geschriebener philosophischer Werke versichert Latinam

linguam non modo

non inopem, ut vulgo putarent, sed locu-

pletiorem etiam esse quam Graecam. Stellenmaterial zu diesem Gedanken bei M. A. Trouard, Cicero's Attitude towards the Greeks, Chicago, Illinois 1942.

51

60

Zum Wortreichtum der ciceronischen Philosophica Laurand 76 ff.

zufriedengab, die ihm sofort zur Hand waren, selbst wenn es sich dabei um ver-

ba prisca handelte, die er bei sorgfältigerer Ausarbeitung vermieden hätte. Schließlich aber war die philosophische Schriftstellerei nicht wie die Beredsamkeit durch eine lange Tradition, die auch die Anwendung von verba inusitata einschränkte, sprachlich-stilistisch fixiert. Solche Gründe, die natürlich nicht überall gleichermaßen von Bedeutung sind, erklären den relativ starken Gebrauch veralteten Wortguts in den philosophischen Schriften. In diesem Zusammenhang von einem

Archaisieren Ciceros zu sprechen, besteht jedoch kaum

ein hinrei-

chender Anlaß.

d) Stilistisches Archaisieren?

Die Entwicklung der römischen Beredsamkeit bis auf Cicero ist selbstverständlich nicht einheitlich gewesen. Gegen die Übertragung der Kunstmittel der hellenischen Eloquenz auf die rómische Beredsamkeit, gegen deren Modernisierung und Verfeinerung gab es Widerstánde, die keineswegs auf Gegner alles Helle-

nischen beschränkt waren. Selbst ein Mann wie Catulus, den man nicht als Verächter der Griechen wird bezeichnen wollen, hat nicht jede Neuerung der Kunstprosa mitgemacht: Cic. de orat.3,172 erklärt Crassus, man müsse die Wörter so aufeinanderfolgen lassen, ut neve aspere concurrant neve vastius diducantur; darauf fährt er fort: hanc diligentiam subsequitur modus etiam et forma verborum, quod iam vereor, ne huic Catulo videatur esse puerile; versus enim veteres illi in hac soluta oratione propemodum, hoc est numeros quosdam nobis esse adhibendos putaverunt.

Crassus befürchtet also, mit seinen Ausführungen über den Prosarhythmus bei Catulus Anstoß zu erregen. Das legt den Schluß nahe, daß Catulus — anders als Crassus — den oratorischen Numerus verschmähte. Cicero hatte nämlich Catulus (gest. 87 a.Chr.) nicht nur noch persónlich erlebt, sondern kannte auch dessen Reden und Memoiren offenkundig aus eigener Lektüre (Brut. 132 ff.), und er hátte schwerlich dem Crassus die zitierte Au&erung in den Mund legen können, wenn er

etwas von einer Verwendung der Klauseln durch Catulus gewußt hátte*?, Catulus 52

Piderit-Harnecker im Kommentar, Leipzig 18865 freilich meinen z. St., Crassus wende sich deshalb entschuldigend an Catulus, weil Catulus „Dichter ist und at

so diese elementaren Dinge über den Rhythmus und den Vers weit hinter sich hat". Die Erklärung stößt auf Schwierigkeiten. Erstens geht es in dem Zusammenhang nicht eigentlich um Verse, sondern um den oratorischen Numerus, von dem doch ein Dichter nicht notwendig mehr verstehen muß als ein Redner. Zwei

tens — und das ist der entscheidende Punkt — wendet sich Crassus im gleichen Zusammenhang noch einmal entschuldigend an Catulus (de orat. 3,187 f.), Da beruft er sich auf die Peripatetiker, um auctoribus laudandis dem ineptiarum crimen

(vgL oben puerile) zu entgehen. Welchen Sinn sollte diese Bemerkung haben, wenn er mit dem puerile, den ineptiae darauf anspielte, daß Catulus alles längst kenne,

61

hat sich somit, aus nicht näher zu bestimmenden Gründen, der Anwendung eines hellenistischen Kunstmittels verschlossen, das der nur 10 Jahre jüngere Crassus durchaus zu schätzen wußte. Der Altersunterschied spielt in diesem Falle keine entscheidende Rolle für die un-

terschiedliche Einstellung des Crassus und Catulus. Selbstverständlich aber sind größere Altersunterschiede nicht selten mit starken Divergenzen in der Beurteilung literarischer Erscheinungen verbunden: Die senes sind es, die die moderne Beredsamkeit des jungen Hortensius ablehnen, von der Jugend wird sie bewundert

(Cic. Brut.326)°°. Die überaus rasche Entwicklung der römischen Eloquenz bringt es mit sich, daß zur gleichen Zeit mehrere Stilstadien nebeneinander existieren. So spricht denn auch Cicero einigemal von altertümlichen Rednern. L.Mummius Achaicus ist simplex ... et antiquus (Cic. Brut. 94). Dieser wenig gebildete Römer°*hatte auf eine kunstvolle Ausgestaltung seiner Reden nach griechischem Muster offenbar keinen Wert gelegt. Ähnlich wird es mit Sex. Pompeius, dem Großvater des Magnus, stehen, von dem wir Brut.97 erfahren: Sex.Pompei sunt scripta non nimis extenuata, quamquam

veterum est similis, et plena prudentiae. Die Formulierung Ciceros erweckt den Anschein, daß Pompeius eigentlich nicht zu den veteres zähle, und seine Ahnlichkeit mit ihnen etwas Besonderes sei. Aber gewiß handelt es sich bei ihm ebenfalls nur um einen gewissen Konservativismus, der ihn in Ciceros Augen den Alten

nähert. Den Zeitgenossen des Pompeius erschien seine Schreibweise vielleicht gar nicht antiquiert; jedenfalls spricht nichts für ein bewußtes Streben nach antiquitas.

Den M. Aemilius Scaurus cos. 115 a. Chr. kónnte Ciceros selbst noch gehórt haben. Wenigstens ist er durch jüngere Zeitgenossen des princeps senatus über dessen Beredsamkeit unterrichtet. Auch Scaurus wird von Cicero Brut. 116 zu den antiqui oratores gerechnet. Er verschmäht einen schönen

Stil, die Kunstmittel

des Vortrags,

kümmert sich nicht um die Regeln der rhetorischen Techne und wirkt allein durch

die Klugheit und gravitas seiner Worte (Cic. Brut. 110 ff.; de orat. 1,214). Scaurus ist Cicero oder seinen Gewährsleuten lediglich als alter Mann bekannt; daß seine Beredsamkeit, die zweifellos vor dem Auftreten des fast eine Generation jüngeren

Crassus eine feste Form gefunden hatte, Cicero altertümlich erscheinen mochte, ist so nicht unverstándlich. Freilich scheint Scaurus die kunstlose Gradlinigkeit seiner Eloquenz auch bewußt kultiviert zu haben, um den Eindruck einer gewissen und nicht darauf, daß Catulus sachlich an dem Vorgetragenen Anstoß nehme? Im

53

54

62

nächsten Abschnitt (de orat. 3,188) kommt vollends mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck, daß Crassus gerade nicht dem Catulus und den anderen bekannte Dinge vorträgt. Ganz entsprechend Hor. epist. 2,1,80 ff.; die ältere Generation ist es, die an der ihr vertrauten alten Dichtung hängt und sich gegen die neue Dichtung sträubt.

Vell 1,13,4 f. Sein Bruder erat . . . odio quodam rhetorum imbutus (Cic. rep. 5, 11).

altertümlichen gravitas zu erwecken??. Von einem stilistischen Archaisieren des Redners wird man aber in einer Periode, in der mehrere Entwicklungsstufen der

Prosa nebeneinanderstehen und noch kein einheitliches Stilempfinden ausgebildet ist, kaum sprechen kónnen. Und jedenfalls hat Scaurus sich nicht für die Eigenart seiner Eloquenz auf ältere römische Redner berufen — davon sagt Cicero nichts —, geschweige denn ältere Beredsamkeit oder überhaupt Prosa studiert, um an ihrem altertümlichen Stil den seinen zu schulen. Im übrigen ist er der letzte Redner, den Cicero im Brutus als antiquus bezeichnet.

(Scauri) dicendi genus ad patrocinia mediocriter aptum videbatur, heißt es Cic. Brut. 112. Das galt natürlich in weit höherem Maße, wenn ein Redner nicht mit der Autoritát sprechen konnte, die dem princeps senatus eignete. So kann es nicht verwundern, daß die Redeweise des Scaurus in der forensischen Beredsamkeit, die das wichtigste Feld eines Redners war, keine Nachahmung fand. 55

Vielleicht hängt es auch mit dem betonten Streben nach gravitas zusammen,

wenn

Scaurus or. frg. 43,7 Malc. sagt: milites triumphavere. Mit dem Gebrauch der Verbform auf -ere hebt sich Scaurus deutlich aus der rómischen Beredsamkeit bis Cicero einschließlich heraus, wenn wir einmal vom alten Cato absehen, Vgl die (un vollständige) Sammlung von Muller 362.

63

2. Über Lektüre und Studium älteren Prosaschrifttums in der ausgehenden Republik Inwieweit überhaupt in der uns interessierenden Periode mit der sprachlichen oder stilistischen imitatio alter lateinischer Prosaautoren zu rechnen ist, wird sich erst ermessen lassen, wenn Klarheit darüber besteht, ob und unter welchen

Gesichtspunkten diese Autoren gelesen oder studiert werden. Wir wollen zunächst die Zeugnisse prüfen, die sich außerhalb des grammatischen Schrifttums finden. Was lehren sie, dies sei die erste Frage, die wir uns vorlegen, für die Einschätzung älterer römischer Beredsamkeit? In die älteste Zeit führen Ausführungen des Crassus Cic. de orat. 1,154: in cotidianis . .. commentationibus equidem mihi adulescentulus proponere solebam

illam exercitationem maxime, qua C.Carbonem (cos. 120 a.Chr.) nostrum illum inimicum solitum esse uti sciebam, ut aut versibus propositis quam maxime gravibus aut oratione aliqua lecta ... eam rem ipsam quam legissem verbis aliis

quam maxime possem lectis pronuntiarem; sed post animadverti hoc esse in hoc viti, quod ea verba, quae maxime cuiusque rei propria quaeque essent ornatissima atque optima, occupasset aut Ennius, si ad eius versus me exercerem, aut

Gracchus, si eius orationem mihi forte proposuissem. Daß der Name des Ennius und des C.Gracchus in diesem Zusammenhang fällt, läßt vermuten, daß die beiden Autoren entweder tatsächlich oder zumindest nach Ciceros Vorstellung in

der Jugend des Crassus bei derartigen Übungen die wichtigste Rolle spielen. Während nach der zitierten Äußerung also der junge Crassus von den Dichtern einen Autor bevorzugt, der bereits mehrere Dezennien tot ist, hält er sich unter

den Rednern hauptsächlich an einen Zeitgenossen, der ihn selbst an Alter um wenig mehr als ein Jahrzehnt übertrifft. Mehr Aufschlüsse liefert uns die Art, in der die römischen Redner in der Rherorica ad Herennium behandelt werden. Rhet. Her. 4,1,1 ff. legt der Verfasser dar, weshalb er entgegen der allgemeinen Auffassung der Griechen, man müsse die Beispiele für die einzelnen Stilmittel ab oratore aut poeta probato nehmen,

die Beispiele selbst bilde. Für die bekämpfte griechische

Ansicht, so wird Rhet.

Her. 4,2,2 erwogen, kónnte folgendes Argument vorgetragen werden: quid?

ipsa auctoritas antiquorum non cum res probabiliores tum hominum studia ad imitandum alacriora reddit? Man würde erwarten, daß der Autor das ἀξίωμα τῶν ἀρχαίων einem Redner wie dem alten Cato zubilligte. Er fáhrt indessen

fort: immo erigit omnium cupiditates et acuit industriam cum spes iniecta est posse imitando Gracci aut Crassi consequi facultatem. Als antiqui, die mit auctoritas begabt sind, figurieren rómische Redner, von denen der eine zur Entstehungszeit der Schrift rund 40 Jahre tot ist, der andere — besonders bemer-

64

kenswert — nur ungefähr 10 Jahre. Jedenfalls der vorgracchischen Beredsamkeit kommt nach der Vorstellung des Verfassers der Rhetorica also keine beson-

dere Wertschätzung zu !. Dementsprechend bietet die Schrift auch kein Beispiel für rednerische Kunstgriffe, das auf eine vorgracchische Rede zurückzuführen wáre?. Ja, selbst von Reden des C.Gracchus gibt es in dem Werk keinen klaren Reflex. Wenn gerade Gracchus Rhet. Her. 4,1,2 als mógliche Quelle eines Stilisierungsbeispiels genannt wird, so ist das vielleicht ebenso wie die zitierte Äußerung Rhet. Her. 4,2,2

hauptsächlich auf den traditionellen Ruhm der gracchischen Redekunst zurückzuführen; ihm braucht das wirkliche Studium gracchischer Reden im Rhetorik-

unterricht des beginnenden 1.vorchr.Jh.s nicht mehr ganz entsprochen zu haben. Soweit sich Einfluß römischer Eloquenz in der Rhetorica nachweisen läßt, handelt es sich um Reden aus spáterer Zeit. Rhet. Her. 2,20,33 steht ein Satz aus der 114/113 a.Chr. gehaltenen Rede des C.Scribonius Curio Pro Ser. Fulvio

de incestu?. Rhet. Her. 4,35,47 entstammt das dritte Beispiel für die Distributio wohl der Verteidigungsrede, die Crassus 114/113 a.Chr. für die Vestalin Licinia gehalten hat^. Rhet. Her. 4,3,5 wird das Homoioteleuton mit einem Satzstück exemplifiziert, das der Crassusrede für die Lex Servilia aus dem Jahre 106 a.Chr. 1

Aber wie steht es mit Rhet.

Her. 4,5,7?

Der Schriftsteller legt hier in Auseinander-

setzung mit der oben referierten griechischen Auffassung dar, die Stilisierungsbeispiele seien einem einzigen Autor zu entnehmen, wenn man sie schon aus fremder Quelle schópfe. Die Begründung: allatis . . . exemplis a Catone, a Graccis, a Laelio, a Scipione, Galba, Porcina, Crasso, Antonio, ceteris, item sumptis aliis a poetis et

historiarum scriptoribus necesse erit eum, qui discet, putare ab omnibus omnia ab uno pauca vix potuisse sumi. Es kónnte danach scheinen, als ob auch noch die Reden des alten Cato im rhetorischen Unterricht des beginnenden

1. Jh. s. eine Rolle

spielten. Aber in dem zitierten Passus werden einfach Namen gehäuft, damit die Konsequenz

2

ab uno pauca vix potuisse sumi möglichst einleuchtet.

Bei dieser Ten-

denz ist der Aufzählung nichts darüber zu entnehmen, ob und wie der einzelne der Genannten gelesen und verwertet wurde. Daß die Reihe von Cato bis Scipio eine traditionelle Gruppierung ist, zeigt Cic, inv. 1,4,5. Rhet. Her. 4,16,23 steht ziemlich am Anfang des Beispiels für die Ratiocinatio: (maiores nostri) quam

inpudicam

iudicarant, ea veneficii quoque

damnata

existi-

mabatur. Damit ist ein Urteil Catos wiedergegeben. Aber es ist hier nicht als sol ches zitiert. Dem Schriftsteller braucht der markante Gedanke eben nur als Urteil der maiores vertraut gewesen zu sein. Doch kann er ihm auch als isoliertes catonisches Dictum geläufig gewesen sein. Denn der Ausspruch war wohl recht bekannt. Er erscheint noch Sen. contr. 7,3,6 anonym, Quint. inst. 5,11,39 unter dem Namen Catos, Die Parallelen bei F. Marx in seinen Ausgaben der Rhetorica. 3

Das Zitat ist hier anonym, findet sich aber mit genauer Quellenangabe Cic. inv. 1,80 (= Curio avus or. frg. 47,8 Malc.). Es stand also schon in der lateinischen Schrift, die der Herenniusrhetorik und De inventione zugrundeliegt. Vgl. Matthes, Lustrum 3, 1958, 81ff.;J. Adamietz, Ciceros de inventione und die Rhetorik ad Herennium, Diss. (masch.) Marburg 1960. Der Satz Curios fungiert als

4

Den

Beispiel für eine vitiosa expositio. anonymen

Passus(=

L. Crass. or. frg. 66,19 Malc.) hat F. Marx

in seinen Aus

gaben der Herenniusrhetorik dieser Rede zugewiesen.

65

entnommen ist?; das ist anscheinend die letzte größere Rede, die Crassus in einigermaßen ausgearbeiteter Form publiziert hat. Der Zusammenhang, in dem das Crassuszitat

Rhet. Her. 4,3,5 erscheint, zeigt, daß dieser Redner für den Auc-

tor ad Herennium ein orator probatissimus ist. Schon Rhet. Her. 4,2,2 war ja der überragende Rang des Crassus hervorgehoben worden‘, Die an der Herenniusrhetorik gewonnenen Ergebnisse werden durch Cicero recht gut bestátigt. Über die curionische Rede für Ser. Fulvius sagt er Brut. 122: nobis quidem pueris haec omnium optima putabatur". Brut. 164 schreibt Cicero eine besondere Bedeutung für seine rednerische Jugendausbildung der Rede des

Crassus für die Lex Servilia zu: mihi quidem a pueritia quasi magistra fuit. Brut. 298 meint er über dieselbe Rede: adulescentes quid in Latinis potius imitaremur non habebamus. Cicero erwáhnt im Brutus noch andere rómische Reden, mit denen er in seiner Jugend bekannt gemacht wurde. Keine von ihnen ist wesent-

lich älter als die bereits genannten. Es handelt sich um die Rede des C. Fannius

De sociis et nomine Latino contra C. Gracchum 122 a.Chr. (Brut. 99 £.)®, den Epilog der Rede des C.Sulpicius Galba Pro se 109 a.Chr., den Cicero in seiner Jugend sogar auswendig lernte (Brut. 127)", die Reden des C. Flavius Fimbria cos. 104 a.Chr. (Brut. 129). Es sei dahingestellt, ob Cicero schon im rhetorischen

Unterricht seiner Jugend Reden des C. Gracchus kennengelernt hat, dessen Be-

redsamkeit er später hohe Anerkennung zollt?. Jedenfalls haben die gracchischen Reden in der damals von Cicero studierten rómischen Redekunst nicht

mehr an erster Stelle gestanden. Nichts spricht dafür, daß der junge Cicero mit noch älterer Beredsamkeit in Berührung gekommen wäre. [n seinen eigenen

GC

Reden rekurriert er denn auch nicht auf vorgracchische Reden". 6

L. Crass. or. frg. 66,24,4 Malc. Der Bevorzugung junger römischer Eloquenz steht der Rekurs auf die alten Dichter Plautus, Ennius, Pacuvius gegenüber. Allerdings werden mit den ihnen ent-

-

lehnten Beispielen durchweg Fehler veranschaulicht. Vor allem Ennius, daneben Pacuvius sind die Dichter, die stilistische exempla liefern kónnen: Rhet. Her. 4,

8

9

10

11

66

1,2; 4,4,7. Kritik an der curionischen Rede hat offenbar schon früh eingesetzt. Vgl. 65 A.3. Den Anfang dieser Rede zitiert Cicero de orat. 3, 183 (= Fann.

or. frg. 32,2

Malc.). Daß das Auswendiglernen zumindest mancher Passagen aus der einen oder anderen älteren römischen Rede um 70 a. Chr. nicht als Besonderheit galt, indiziert Cic. div. in Caec. 43: si quid ex vetere aliqua oratione ,Iovem ego Optimum Maximum‘ aut ,vellem, si fieri potuisset, iudices! aut aliquid eiusmodi ediscere potueris. An Reden welchen Alters dabei gedacht ist, ist nicht auszumachen. Möglich, daß mit dem ersten Beispiel auf C. Gracchus angespielt ist. Vgl. Häpke 96. Vgl

etwa Cic. Font.

39; dies ist auch die älteste Äußerung Ciceros, die unmit-

telbare Kenntnis einer Gracchusrede verrät. In Cic. Mur. 88 pflegt man Nachahmung von Gracch. or. frg. 48,61 Malc. zu erkennen. Dazu noch Häpke 31 f. Beobachtung von Padberg 15 f., der auch schon die soeben besprochenen Brutusstellen ausgewertet hat. Cic. Mur. 58 (= Scip. min. or. frg. 21,23 Malc.) wird

Schon im ausgehenden 2. und beginnenden 1.vorchr.Jh. nehmen in der Bewertung rómischer Eloquenz Reden aus jeweils jüngerer Zeit den ersten Platz ein.

Dem entspricht auch die Lektüre in der rhetorischen Ausbildung. Die Tendenz setzt sich spáter fort. Rund 50 Jahre nach Ciceros Lehrzeit sind die Reden, die für den jüngeren Cicero von Bedeutung waren, ihrerseits in der allgemeinen Wertschätzung stark zurück-

getreten!?. Ausdrücklich sagt Cicero Brut. 122, daß Curios Rede für Ser. Fulvius kaum noch aufzutreiben ist; im gleichen Sinn äußert er sich Brut. 129 über die

Reden Fimbrias. Atticus — der jüngere Brutus schweigt zu diesem Thema bemerkenswerterweise vollstindig — bezeichnet die Urheberschaft der Fanniusrede Cic. Brut. 99 als ein pueris nobis ventiliertes Problem; offenbar ist das Interesse

an dieser Frage zur Abfassungszeit des Brutus längst erloschen. Das vermittelt

immerhin den Eindruck, daß überhaupt die Rede, mag sie auch noch nicht ganz vergessen sein, nicht mehr auf besonderes Interesse stößt. Der Epilog Galbas

wird zu dieser Zeit schwerlich noch Leser finden: Cicero gibt Brut. 127 nicht nur deutlich zu erkennen, daß der Ruhm, der einst zum Auswendiglernen die-

ses Redestückes veranlaßte, der Vergangenheit angehört. Er glaubt anscheinend nicht einmal, daß der Epilog der Allgemeinheit des römischen Publikums jeallerdings auf Scipios Anklage gegen

L. Aurelius Cotta aus dem Jahre

138 a. Chr.

angespielt; vgl. auch div. in Caec. 69; die Stellen lassen jedoch nicht erkennen, daß Cicero diese Reden

wirklich gelesen hat. Bis zu den Vorstudien,

die Cicero

für den Brutus getrieben hat, braucht man wohl überhaupt nicht bei Cicero mit einer Lektüre scipionischer Reden zu rechnen. Cic. de orat. 2,258 (= or. frg. 21, 21 Malc.) ist ein Witzwort, das Scipio als Zensor beim census equitum geäußert hat. Vgl. Hiltbrunner, in: Thesaurismata, Festschrift für Ida Kapp, München 1954, 58ff.; danach A. E. Astin, Scipio Aemilianus, Oxford 1967, 256. Das Cic. de orat. 2,268 überlieferte Dictum (Ξ or. frg. 21,22 Malc.) kann sehr gut aus Luck

lius stammen; Marx zu Lucil. dergelegter Passus einer Rede Gracchum iure caesum videri Cic. de orat. 2,106; Mil 8 (=

396. Ohnehin braucht es nicht ein schriftlich nie gewesen zu sein. Der scipionische Ausspruch Ti ist gewiß recht bekannt gewesen; seine Erwähnung or. frg. 21,29 Malc.) kann für Ciceros Lektüre der

Rede gegen die Lex Papiria nichts beweisen. Zu dem Scipionenwort noch Astin, CQ N. S. 10, 1960, 135 ff. Da$ Cicero im allgemeinen wenigstens im Jahre 55

noch nicht weit über seine Jugendkenntnisse hinsichtlich der älteren römischen Beredsamkeit hinausgelangt ist, legt de orat. 2,92 nahe: Es sei nicht leicht zu beurteilen, meint hier Antonius,

12

wie die einzelnen genera dicendi in Rom

aufeinan-

dergefolgt seien, quia (nostri oratores) scripta, ex quibus iudicium fieri posset, non multa sane reliquerunt. Wenn Cicero Brut. 83 von den vielen Reden Scipios spricht — multis --, dann deutet das demgegenüber auf eine ausgebreitetere Kenntnis der scipionischen Beredsamkeit; man wird zu diesem Zeitpunkt Cicero eine intimere Bekanntschaft wenigstens mit einigen Reden Scipios zutrauen dürfen. 1,86], 96 weiß denn Cicero auch, daß die scipionische Rede gegen die Lex Papiria schriftlich niedergelegt worden ist. Eine gewisse Parallele hat das in der Entwicklung, die die Kenntnis der XII Tafeln in der gleichen Zeitspanne nimmt. Cicero und Atticus haben diese Gesetze als pueri noch auswendig gelernt ut carmen necessarium; zur Abfassungszeit von De le gibus lernt sie niemand mehr. Cic, leg. 2,59.

67

mals vor die Augen gekommen ist, wenn er bemerkt: exstat. Man muß bei einer

solchen Formulierung berücksichtigen, daß sie in einem Werk steht, welches für eine gerade an der Beredsamkeit interessierte Leserschaft bestimmt ist. Überhaupt ist in den letzten Jahren der Republik eine wirkliche Kenntnis der

vorciceronischen Beredsamkeit kaum noch vorhanden. Die Reden des Ser. Galba cos. 144 a.Chr. und des C. Carbo cos. 120 a. Chr. müssen schon ganz verschollen sein: Er schreibe, bemerkt Cicero de orat. 2,9, nicht de Ser. Galbae aut

C. Carbonis eloquentia . . . aliquid, in quo liceat mihi fingere si quid velim, nullius memoria iam me refellente. Cicero kónnte diese Móglichkeit unumschránkter Erfindung fraglos nicht derart hervorheben, wenn er auch nur ein

wenig Vertrautheit mit den Reden Galbas oder Carbos bei dem rómischen Publikum in Rechnung zu stellen hátte. In der Tat sagt er jedenfalls von den Re-

den Galbas Brut. 82: exaruerunt, vix iam ut appareant"?. Noch entschiedener meint er Brut. 106 über die Reden des Annalisten Piso cos. 133 a.Chr.: iam

evanuerunt. Selbst die rednerische Hinterlassenschaft von Männern wie Laelius und dem jüngeren Scipio kennt man in dieser Zeit offenbar nicht mehr aus eigener Lektüre: Auch bei der Behandlung dieser zwei Redner betont Cicero Brut. 82 — ebenso übrigens Brut. 94 noch von L. Mummius cos. 146 a.Chr. und dessen Bruder Spurius — in verráterischer Weise: orationes exstant. Brut. 295 läßt er Atticus über die laelianische Rede De collegiis äußern: ne ista . . . oratio ita sit abiecta, ut eam aspicere nemo velit, eine Bemerkung deren historische Glaubwürdigkeit durch die Tendenz der Atticuspassage kaum gemindert

wird ^, Ganz allgemein stellt Cicero schließlich Brut.69 fest: maiore honore in omnibus artibus quam in hac una arte dicendi versatur antiquitas. Derselbe Tenor Ciceros Brut. 123: nocuimus fortasse, quod veteres orationes post nostras a plerisque legi sunt desitae. Es ist sehr aufschlufreich, wenn Brutus, ein Mann von betráchtlicher Bildung,

darauf antwortet: me numera in plerisque, kurz danach gesteht er, fast als ein-

zigen der älteren Redner C. Gracchus zu lesen (Brut. 125) ^. Eine sich in dieses Bild einfügende bemerkenswerte Einzelheit ist es, da& Brutus nach Brut. 147 f.

auch die rednerische Bedeutung des Q. Scaevola cos. 95 a.Chr. nicht kennt'®, 13

Nichts dergleichen bemerkt Cicero im Brutus über Carbos Reden,

14 15

dargelegt, nicht viel besser stehen kann. Wenn Cicero nicht ausdrücklich einen Redner als vernachlässigt kennzeichnet, ist daraus also nicht zu folgern, daß dieser Redner noch Leser findet. Die Schlußfolgerung aus Cic. de orat, 2,9 zieht schon Gudeman 307. Dazu 184 ff. Über die Kollegienrede im übrigen 50f. Daß Brutus in der älteren Beredsamkeit wenig bewandert ist, heben etwa schon JahnKroll, Einleitung Brutus

16

68

16; Barwick, Einleitung Brutus 9 f. hervor.

mit denen es, wie

Bezeichnender-

weise äußert sich Brutus im Brutus über einen älteren Redner durchweg aufgrund der vorher von Cicero gegebenen Charakteristik: Brut. 91; 118; 150; 204; 219; 279. Dazu paßt freilich nicht recht, was Cicero Brutus Brut. 163 in den Mund legt: Scaevolae dicendi elegantiam satis ex iis orationibus, quas reliquit, habemus cognitam. Das macht ganz den Eindruck, als sei Brutus mit den Reden Scaevolas ver-

über den er sonst gut Bescheid zu wissen glaubt. Cicero erhebt auch deutlich genug im Brutus den Anspruch, das Interesse seines Freundes für ältere lateini-

sche Prosa überhaupt erst geweckt zu haben. Dieser bekennt Brut. 123: video mihi multa legenda iam te auctore, quae antea contemnebam. Die Memoirenwerke des Catulus und des Scaurus sind ihm nicht bekannt: nunc autem et a te sumam et conquiram ista posthac curiosius (Brut. 133). Am Ende des Dialoges

richtet Brutus schließlich an Cicero die bittende Frage: τὰ... orationes nobis veteres explicabis (Brut. 300)? Daß es sich bei all dem nicht um Äußerungen des realen Brutus, sondern der Dialogfigur handelt, erhóht ihren Zeugniswert: Wie wenig muß es üblich sein, sich der Lektüre der alten römischen Eloquenz zu Widmen, wenn Cicero mit derartigen Bemerkungen seinen jüngeren Freund in

keiner Weise bloßzustellen glaubt; und wie groß muß dessen wirkliche Unkenntnis sein. Einen Redner wie C.Gracchus, dessen oratorische Begabung auch von Cicero bewundernd anerkannt wird᾽7, liest Brutus immerhin noch. Das Gleiche gilt für

die Suasio legis Serviliae des Crassus '*. Daß Brutus in dieser Hinsicht als Repräsentant seiner Generation gelten kann, ist zweifelhaft!?. Jedenfalls ist für diese

Lektüre nicht die Freude an altertümlicher Sprache oder antiquiertem Stil die Triebfeder 29, vielmehr handelt es sich hier um eine Art der Beredsamkeit, die gerade der zeitgenóssischen Redekunst nahesteht. Im allgemeinen aber konzentrieren sich, soweit man zurückblicken kann, Hochschätzung und Studium römischer Eloquenz auf jüngere und jüngste Reden. Ein in ferner Vergangenheit liegendes Stadium vorbildlicher rómischer Redekunst kennt man in der Republik nicht. Jede Generation glaubt anscheinend auf einer

höheren Entwicklungsstufe der Beredsamkeit zu stehen als die Vorfahren?!. traut. Eher hat Cicero aber an dieser Stelle einen zu günstigen Eindruck von den Kenntnissen seines Freundes erweckt als Brut. 147 einen wahrheitswidrig ungünstigen. Brut. 147 verdient also mehr Vertrauen.

17

Vgl 66 A. 10. Sonstige Zeugnisse über den Nachruhm des Redners C. Gracchus schon bei Häpke 29 ff. Redner, die sich prinzipiell C. Gracchus als Muster erkoren hätten, sind aber übrigens für die Republik nicht bezeugt.

18

Nach Cic. Brut.

19

20

161

hat Brutus dieses Stück Beredsamkeit häufig gelesen; die

Kenntnis der Suasio setzt Cicero bei ihm offenbar parad. 41 voraus. Was C. Gracchus angeht, so nehmen seine Reden schon in der rednerischen Aus bildung Ciceros nicht die bedeutendste Stelle ein. Vgl. 66. Denkbar, daß sie in den 50er Jahren zumindest von der Jugend nur noch wenig gelesen werden. Ciceros Bemerkung Brut. 126: legendus . . . est hic orator... iuventuti, würde sich dem einfügen. Wenigstens eine Andeutung davon würde man bei Cicero erwarten. Umgekehrt sind nach Cic. Brut. 82 die Reden Galbas gerade, weil sie einen so altertümlichen Eindruck machen, kaum noch aufzutreiben. Daß selbst Cicero bei all seinem Verständnis für ältere Beredsamkeit die Stilelemente, die ihm antiquiert erscheinen,

21

nicht goutieren kann, wird 190f. ausgeführt werden. Für veraltete Sprache hatte Brutus kaum mehr übrig als Cicero. Vgl. 101. Wenn Cicero selbst Brut. 123 in seiner eigenen Beredsamkeit den Grund für die

69

Wenden wir uns nun den Historikern zu. Der Crassus Ciceros wählt für seine Paraphrasen Gracchus oder Ennius; in der Rhetorica werden oratores und poetae

als die Autoren genannt, von denen man seine exempla nimmt"; legendis oratoribus et poetis wird nach Crassus Cic. de orat. 3,39 die loquendi elegantia ver-

mehrt. Von Historikern hören wir in diesem Zusammenhang nichts?. Die Geschichtsschreibung gilt anscheinend nicht als eine literarische Gattung, die zur

sprachlichen oder stilistischen Schulung des Redners beitragen kónnte?^. Die Folgerung ex silentio stimmt zu den Urteilen, die über die Historiographie republikanischer Zeit ausgesprochen werden. Die Bemerkung, daß ista res adhuc nostra lingua inlustrata non est, legt Cicero de orat.2,55 Antonius in den Mund. Cic.leg. 1,2,5 meint Atticus, zu Cicero gewandt: abest . . . historia litteris nostris, ut et ipse intellego et ex te persaepe

audio. Daß gar die Schilderungen der römischen Urgeschichte so geschrieben sind, ut ne legantur quidem, läßt Cicero leg. 1,8 seinen Bruder Quintus aus-

drücklich bemerken”. Dieselbe Meinung wie Cicero und Atticus vertritt Cornelius Nepos nach dem Tode des großen Redners: non ignorare debes unum hoc genus Latinarum litterarum adhuc non modo non respondere Graeciae sed omnino rude atque inchoatum morte Ciceronis relictum (frg. 57 Malcovati). Daß die Geringschátzung der rómischen Geschichtsschreibung nicht auf den Kreis um

Cicero beschränkt ist, zeigt schon die offenkundige Mißachtung, der dieses ProVernachlässigung der veteres orationes sucht, so stellt er den Sachverhalt ein we-

nig einseitig dar. Gewiß wird Ciceros glänzende Redekunst zu dem Desinteresse an älteren Reden sehr viel beigetragen haben; aber die Tendenz ist eben bereits vor seinem Wirken vorhanden und hátte sich wohl auch spáter ohne sein Wirken bemerkbar gemacht.

Begünstigt waren

die jüngeren Reden gegenüber den älteren

auch durch ihre größere politische Aktualität, ohne daß doch der vorgelegte Befund damit befriedigend erklärt wäre. Der Gedanke eines Fortschrittes, wie Cicero ihn im Brutus zum Ausdruck

bringt, wird im wesentlichen repräsentativ für seine

Zeitgenossen sein; für die ganze Vorstellung von den einzelnen Entwicklungsstadien und die Beziehung der gesamten Entwicklung auf Cicero als Telos ist das natürlich durchaus nicht sicher. Dazu 176 f. 22

4,1,2; 4,5,5 f. Nur an einer einzigen Stelle wird in der Rhetorica ein römischer Historiker zitiert, nämlich L. Coelius Antipater (4,12,18). Bezeichnenderweise wird ihm ein Beispiel für die fehlerhafte verborum transiectio entlehnt, quo in vitio est Caelius adsiduus. Wenn 4,5,7 von historiarum scriptores die Rede ist,

24

so erklärt sich das aus der Tendenz des Satzes. Vgl. 65 A. 1. Ähnliche Äußerungen sind vielleicht auch im Hortensius gefallen. Vgl. M. Ruch, L'Hortensius de Cicéron, Paris 1958, 79f. Zu allem noch Cic. fin. 1,10: quando enim nobis, vel dicam aut oratoribus bonis aut poetis postea quidem quam fuit quem imitarentur, ullus orationis vel copiosae vel elegantis ornatus defuit? Charakteristischerweise fehlen auch hier die historici. Das ist spáter anders; vgl Quint. inst. 2,5,1; 10,1,31 ff.

25

Dazu

23

noch Cic. Cael. 40. Nachdem von der Zucht der Camilli, Fabricii, Curii

die Rede war, heißt es: verum haec genera virtutum . . . vix jam in libris reperiuntur. chartae quoque, quae illam pristinam severitatem continebant, obsoleverunt, Die Intention von Ciceros Ausführungen mindert freilich das Gewicht dieses Zeugnisses.

70

sagenus in der Rhetorica ad Herennium unterliegt. Unzufriedenheit mit den Leistungen der nationalen Historiographie spricht sich zudem auch bei Sallust Catil. 8,1 ff. aus. Im allgemeinen sind jedoch die älteren Geschichtswerke trotz allem wohl noch in stärkerem Maße gelesen worden als ältere Reden. So nennt Cicero Brut. 106 die Reden des L. Piso verschollen, ohne doch dasselbe von den Annalen zu behaupten, deren Kenntnis er fam. 9,22,2 offenkundig bei seinem Korrespondenten Paetus voraussetzt. Das hat einen einfachen Grund: Reden werden vorwiegend studiert worden sein, weil man den Stil an ihnen schulen wollte; bei den historischen Werken ist es der Stoff gewesen, der interessierte. Dieses sachliche

Interesse veranlaßt Brutus zur Epitomierung des Antipater (Cic. Att. 13,8) und

des Fannius (Cic. Att. 12,5,3)?5. Eine gesonderte Behandlung verdient in unserem Zusammenhang ein Autor, den wir hier bisher fast ganz vernachlässigt haben, der alte Cato?" nicht nur weil

seine literarische Hinterlassenschaft für das lateinische Archaisieren eine große Rolle spielt, sondern auch weil sich in der Geschichte seiner Einschátzung manche der bisher herausgearbeiteten Momente besonders deutlich zeigen. Zu Lebzeiten gilt der Censorius als hochbedeutender Redner. „Demosthenes“ ist der Ehrenname, der für ihn nach Zeugnissen griechischer Autoren schon in

den früheren Stadien seiner politischen Laufbahn volkstümlich wurde ?*, In der lateinischen Literatur gibt es anscheinend nirgends einen Reflex der Ein-

stufung Catos als eines römischen Demosthenes. Die Hochschätzung, die dem gesprochenen Wort des Redners galt, ist seiner schriftlichen Hinterlassenschaft nicht erhalten geblieben. Der einzige republikanische Redner, bei dem wir über26

Varro frg. Char. gramm. p. 154,21 B. (ex Romano) eclogas ex annalei descriptas kónnen gut ebenfalls Exzerpte historisch-antiquarischer Art gemeint sein. Im übrigen fand Coelius, der die größte Zeit Roms schilderte und im Vergleich mit den meisten älteren Historikern noch ein erträglicher Stilist war (vgl. 265), wohl noch am ehesten Leser. Außer Brutus kennt ihn auch Atticus (vgl. Cic. Brut. 102), und Cicero zitiert ihn relativ häufig, benutzt aber vielleicht mehr den Auszug des Brutus als das Originalwerk — wie es auch mit Fannius der Fall ist: Aufschluß-

reich Cic. Att. 12,5,3. Vgl auch Münzer 380. Die von Rambaud 25 ff. gesammelt ten Stellen beweisen nicht durchweg etwas für Ciceros Lektüre. Wenn

27

28

im Jahre

46 niemand mehr — auch Brutus nicht (Brut. 133) — die Memoirenwerke des Scaurus (Brut. 133) und des Catulus (Brut, 132) liest, ist das wohl in ihrem Inhalt wie in ihrem Stil begründet: Sie waren nicht anziehend genug geschrieben und zu persónlich-tendenziós, Zu den folgenden Ausführungen über Cato vgl. die Dissertationen von Baumgart — an ihn schließt sich weithin Leo 284 an — , Padberg, Gnauk. In diesen Arber ten ist das Richtige bereits ausgeführt; ich ergänze es in einigen Punkten. So im wesentlichen übereinstimmend Plutarch Cato maior 4,1; Appian Iberica 39,. 160. Poseidonios FGrHist 87 F 112,3 (=Exc. de virt. [ 310,22) erwähnt den Beinamen Demosthenes im Zusammenhang mit Catos Eintreten für die Zerstórung Karthagos, Die letzte Stelle verdanke ich einem Hinweis von Prof. A. Dihle.

71

haupt mit der Nachahmung des Censorius rechnen dürfen, ist sein Enkel M.Cato cos. 118 a.Chr.; dessen Reden werden Gell. 13,20,10 ad exemplum avi scriptae

genannt??. Wie sich der Anschluß an den alten Cato in der Beredsamkeit seines Nachfolgers im einzelnen äußerte, muß ungewiß bleiben. Klar ist aber, daß diese

Anlehnung des Enkels an seinen bedeutenden Großvater keinen Schluß auf die

allgemeine Schätzung der catonischen Eloquenz zuläßt”. In der oratorischen Ausbildung um die Jahrhundertwende, vielleicht aber schon einige Dezennien früher, sind, wie sich aus den voranstehenden Darlegungen ergibt, die Reden

des Censorius ohne Belang?!. Für die Bedeutung, die die Reden und überhaupt die literarische Hinterlassen-

Schaft Catos dann im 1.vorchr.Jh. bis zum Ende der Republik haben, sind die Kenntnisse Ciceros und ihre Entwicklung aufschlufireich. Bis zum Jahre 55 läßt

sich die Lektüre eines der bedeutenden catonischen Werke für Cicero nicht nachweisen. Vielleicht kennt er in dieser Zeit schon eine Sammlung juristischer

Responsen ? und eine Sammlung von Apophthegmen des Censorius??. Erstmals de orat. 1,227 f. werden die Origines genannt, aus denen Cicero Catos im berühmten Prozeß gegen Galba zitiert. Auf eigener Lektüre die Kritik des catonischen Hauptwerkes de orat. 2,51; leg. 1,6?^. Mit Origines nicht aufgenommenen Reden hat sich Cicero in dieser Zeit

die Rede gründet den in die anscheinend

noch nicht bescháftigt?*. Es ist charakteristisch, daß Cicero wohl zuerst das Ge29

Cicero erwähnt diesen Cato nicht im Brutus, weiß also nichts von seinen Reden; vgl. 152.

30

Nicht dasselbe, aber vergleichbar ist es, wenn der junge Caesar in der Divinatio des Dolabeliaprozesses 77 a. Chr. einiges wórtlich aus der Sardenrede 103 a. Chr. des Caesar Strabo entlehnt (Suet, Iul, 55,2). Für die allgemeine Einschätzung des Red-

31

ners Strabo (gest. 87 a. Chr.) und seiner genannten Rede in dieser Zeit besagt das ebenfalls nichts. Ähnliches auch Sen. suas. 7,14; Philostratos vit. sophist. 2,19 p. 102,18 ff. Kayser (ed. min.). Livius 39,43,1 wirft dem Valerius Antias die Unkenntnis von Catos Rede gegen Quinctius Flamininus vor, in der der Annalist sich über eine historische Einzelheit

hátte informieren kónnen. Diese Unkenntnis fügt sich gut in das 64 ff. gezeichnete Bild. Der Hinweis

schon bei Baumgart

17. Nach A. Klotz, Livius und seine Vor-

gänger I, Neue Wege zur Antike 2. R. ἢ. 9, Leipzig/Berlin 1940, 34 ff. passim hätte demgegenüber Quadrigarius mehrfach catonische Reden historisch ausgewertet. Das wäre mit unseren Darlegungen nicht unvereinbar. Indessen gründet die Annahme von Klotz allein in einer quellenanalytischen Untersuchung

des Livius, in der die

naheliegende Möglichkeit, daß Livius selbst unmittelbar auf Catos Reden rekurriert, nicht widerlegt wird. Dazu 337, bes. A. 9. Ein Einzelproblem diskutiert K. Gast, Die zensorischen Bauberichte bei Livius und die römischen Bauinschriften,

32 33 34 35

Catos damals offenbar noch nichts gewußt hat. Vgl. Cic. de orat.

67 A. 11.

72

Diss.

(masch.) Göttingen 1965, 136. Über die Bedeutung des catonischen Geschichtswerkes für die vorsallustischen Historiker bei mir 211. Dazu Padberg 19 f.; über Ciceros Unkenntnis des catonischen Werkes Padberg 15 f. Padberg 22ff. Padberg 20 ff. Baumgart 22; Padberg 36 f. Dazu stimmt, daß Cicero von der großen Zahl der Reden 2,92, bei mir

schichtswerk kennenlernt, das wegen des sachlich-historischen Interesses, das man an ihm nimmt, noch nicht so wie die Reden Catos in Vergessenheit geraten ist. Erst die Vorstudien zum Brutus veranlassen Cicero zur Lektüre auch der Reden

dieses bedeutenden Altrómers ?9. Brut. 65 bemerkt er, er habe bereits 150 Reden des Censorius gefunden und gelesen. Die Reden des alten Cato hat Cicero also

erst in den letzten Jahren seines Lebens entdeckt und studiert?". Eine geordnete Sammlung der catonischen Reden gibt es in dieser Zeit nicht. Das invenerim Ciceros setzt ein Suchen voraus??. Cicero lernt die Werke des alten Cato allmählich kennen, und befaßt sich mit den Reden, soweit sie nicht in den Origines standen, erst gegen Ende seines Lebens, und zwar aus durchaus persónlichen Motiven. Dies alles sieht nicht so aus,

als sei die Lektüre catonischer Schriften — gar wegen ihres Stils — zu seiner Zeit weit verbreitet gewesen. Cicero stellt denn auch Brut. 64 f. die rhetorische Frage: Catonem ... quis nostrorum oratorum, qui quidem nunc sunt, legit?

aut quis novit omnino??? Was wir bisher über die Einschätzung älterer Prosaautoren durch die Betrachtung besonders der rhetorischen Literatur ermittelt haben, wollen wir von einer

ganz anderen Seite noch zu festigen suchen: von der republikanischen Grammatik her. Daß gerade bei dieser Untersuchung die geringe Menge des Überlieferten ein starkes Moment der Unsicherheit ins Spiel bringt, möge man stets im Auge behalten. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß bei den Grammatikern dieser Zeit Dichterzitate sehr viel häufiger sind als Zitate aus Prosaautoren. Soweit die Grammatik der Erklärung von Texten dient, ist die Exegese poetischer Literatur ihre eigentliche Domäne. Andererseits zeigt ein Werk wie die Schrift des Verrius

Flaccus De obscuris Catonis, daß an sich die Beschäftigung mit der Prosa von den Grammatikern keineswegs abgelehnt wird ^). 36 37 38 39

Es mag noch manch anderes mitspielen; vgl. Padberg 62; Gnauk 103f., zu dem einschránkend Kammer 90 ff. Baumgart 22; Leo 284; Padberg 36 f. Baumgart 24, mit der Modifikation Leos 284 A. 1. Hier spricht Cicero gemäß dem Zusammenhang lediglich von den oratores, Aber hinter seiner Äußerung steht zweifellos wart überhaupt nicht um die Prosa des gemein gehaltene Bemerkung Brut. 66: auch ein deutlicher Hinweis Ciceros zu

40

der Gedanke, daß man sich in der Gegen Censorius kümmert. Dazu stimmt die all amatores huic (Catoni) desunt, Sonst wäre erwarten, daß die Redner mit ihrem Mangel

an Catokenntnissen eine unrühmliche Ausnahme darstellen. Eine andere in gleiche Richtung zielende Erwägung bei Padberg 36 f. Übrigens scheint auch Ciceros Lektire catonischer Reden nicht sehr intensiv gewesen zu sein; Padberg 60; 64. Cic. Cato 42 ist offenkundig Catos Rede gegen Flamininus nicht gegenwártig; kaum richtig Kammer 139 f. Zu allem noch 100. In diesem Zusammenhang ist besonders interessant die varronische Definition der

Grammatik gramm. frg. 265,234 Fun.: ars grammatica . . . scientia est (eorum? 73

Man darf also erwarten, von einem etwaigen Interesse an älterem Prosaschrifttum in der ausgehenden Republik wenigstens einige Reflexe in den Bruchstücken der zeitgenóssischen Grammatik wahrnehmen zu kónnen. Daf den republikanischen Grammatikern alte Prosaliteratur in sprachlicher und sachlicher Hinsicht manche exegetische Aufgabe bieten konnte, indiziert schon die soeben erwähnte verrianische Schrift über Cato, die nur wenig jünger ist. In die gleiche Richtung deutet auch die an Cicero gerichtete Aufforderung des Brutus Cic. Brut. 300:

tu ... orationes nobis veteres explicabis?

Gerade diese auffordernde Frage er-

weckt indessen auch den Verdacht, daf es an Schriften fehlt, in denen sich Brutus leicht über sachliche und sprachliche Probleme der orationes veteres unterrichten kónnte.

In den Bruchstücken der republikanischen Grammatik^! findet sich tatsächlich ebensowenig eine Spur der Behandlung rómischer Redner wie in Varros De lingua Latina, abgesehen von einigen noch zu besprechenden Catozitaten. Dieser

Befund ordnet sich trefflich in unsere bisherigen Ergebnisse ein: Da die antiqui der rómischen Redner in dieser Periode im allgemeinen umso weniger gelesen werden, je älter sie sind, besteht auch kein Bedürfnis nach Erklärungen alter Reden *. Glossare oder Kommentare zu veteres oratores sind überflüssig; so gibt es

—anders als bei den Dichtern — keine Materialsammlungen, aus denen etwa Var-

ro hätte schöpfen können®. quae a poetis historicis oratoribusque dicuntur ex parte maiore. Das συγγραφεῦσιν des Dionysios Thrax ars p. 5,2 Uhlig wird hier noch besonders mit historici und

oratores entfaltet. So also die Theorie. Parallelen zu der zitierten Definition sammeln etwa Funaioli z. St., Uhlig zur angeführten Dionysiosstelle, Eine sprachliche Erschließung älterer lateinischer Kunstprosa hätte auch durch gewisse entsprechen

41

de Bemühungen griechischer Grammatik um griechische Prosa angeregt werden können. Zu dem letzteren Punkt Pfeiffer 197; 224 f.; 278. Ein wenig zu dem Thema bei Kroll, Studien 105 A. 43. Die folgenden Ausführungen basieren auf der Sammlung Funaiolis, der sicher mit Recht gegenüber den Ergebnissen álterer Quellenforschung Zurückhaltung bewahrt. Auf die angebliche Berücksichtigung ülterer rómischer Prosa bei Nigidius Figulus und Sinnius Capito werde ich an anderer Stelle eingehen.

42

Häpke vermutet, einige Gracchusfragmente seien letztlich Stilo und Varro zu verdanken.

43

Die Hypothese

findet nirgends eine Stütze.

Das undurchsichtige commentarium . . . vetus anquisitionis M. Sergii Varro ling. 6,90 ff. kann außer Betracht"bleiben.

Über die Sache Gundel,

RE

XXIV

(1963)

1103,46 ff. Zu den Varro vorliegenden Dichterkommentaren und -glossaren Schróter 837 f£. Aufschlußreich dafür, wie Varro ältere lateinische Beredsamkeit vernachlässigt, ist auch folgendes; Varro exemplifiziert die drei genera dicendi im Lateinischen GelL 6,14,6 (= gramm. frg. 330,322 Fun.) durch Dichter. Römische Prosaiker werden in dem Gelliuskapitel in diesem Zusammenhang nicht erwáhnt; falls der Quellenautor Varro überhaupt auf sie eingegangen ist, dann wohl nur ne

benbei. Das ist besonders bemerkenswert, weil das Gelliuskapitel vermutlich den Inhalt von Varros Schrift περὶ χαρακτήρων

wiedergibt,

in der die Stilarten eine prin-

zipielle Behandlung erfahren hatten. Dazu Dahlmann, Entretiens 6 ff.; Studien 667 ff.

74

Historiker werden in Varros De lingua Latina angeführt. Aber wenn der Annalist Piso ling. 5,148 f., 165, Lutatius Catulus ling. 5,150, Procilius ling. 5,148, 154, Cornelius ling. 5,148, 150 erwähnt werden, so geht es Varro um historisch-antiquarische Fragen oder von den genannten Autoren vorgebrachte Ety-

mologien, nicht um den Sprachgebrauch dieser Schriftsteller. Ebensowenig ist Varro am lateinischen Ausdruck interessiert, wenn er anderwürts Valerius An-

tias anführt^. Sonstige ältere Geschichtsschreiber erwähnt Varro in seinen grammatischen Schriften, soweit sie uns erhalten sind, überhaupt nicht. Der Grammatiker Varro scheint sich also mit der Sprache der älteren Historiographie nicht befaßt zu haben*. Bei den übrigen Grammatikern der Republik läßt sich eine derartige Beschäftigung ebenfalls nicht nachweisen. Für die Geschichtsschreibung ergibt sich insofern ein etwas anderes Bild als für die Beredsamkeit, als hier ein gewisses inhaltliches Interesse der Grammatik spürbar ist. Ausgespart haben wir bisher die Behandlung der Schriften des alten Cato in

der republikanischen Grammatik ^. Der Name des Censorius fällt lediglich einigemal bei Varro?*. In De lingua Latina werden aus Catos Werken drei Stellen angeführt: ling. 7,58 Ξ Cato mil. frg. 8: accensos ministratores Cato esse scribit. 44

Daß

es eigentlich historische Werke

sind, auf die sich Varro hier bezieht, ist je

denfalls für Cornelius fraglich. Zu dem Problem J. Collart, Varron, De lingua Latina livre V, Paris 1954, 241. 45

gramm. frg. 229,114; 324,308; 332,324 Fun, Daß in jedem dieser Fälle das Antiaszitat Varro zuzuschreiben ist, ist keineswegs gewiß. Das Sisennazitat ling. 8,73, wozu H. Dahlmann, Varro de lingua Latina Buch VIII, Hermes Einzelschr. 7,

Berlin 1940, 171f., bezieht sich nicht auf den Sprachgebrauch Sisennas in den Historien, sondern gibt die Äußerung Sisennas zu einer grammatischen der. Dazu auch 285 zu Sisenna hist. 141.

46

Frage wie-

Dem widerspricht nicht, daß er sich nach dem Sprachgebrauch eines alten Historikers richten kann. Quint, inst.

1,6,12:

Varro

in eo libro, quo

initia urbis [Ro-

manae] enarrat, lupum feminam dicit Ennium Pictoremque Fabium secutus, Fraglos ist der Polyhistor, wenn er sich tatsächlich auf den Sprachgebrauch des Pictor berufen hat (dazu 80 A. 67), im Zuge seiner historisch-antiquarischen Forschung

auf die betreffende Stelle gestoßen, nicht deshalb weil er die Sprache des Ge-

47

schichtswerkes studiert hátte. Gegenüber dem Schweigen in den grammatischen Werken kann einer derartigen gelegentlichen Notiz keine Bedeutung beigemessen werden. Das gilt auch für die Beobachtung Ciceros zum Sprachgebrauch des Annalisten Piso fam. 9,22,2. Etwas über die Reden Catos in der voraugusteischen römischen Grammatik bei

Baumgart 18 ff., der aber noch nicht die Sammlung Funaiolis benutzen konnte. Kammer 18 ff. glaubt, daß römische Antiquare in den 50 er Jahren catonische Prosa stilistisch untersucht hátten; die Ausführungen des Autors sind jedoch ganz of-

fenkundig mößglückt. 48

]InDe re rustica werden natürlich oft Bemerkungen aus Catos Schrift über den Ackerbau wiedergegeben, 3 mal werden die Origines zitiert. Von einem Interesse für die Sprache des Censorius ist, wie kaum anders zu erwarten, in diesen Büchern nichts

zu merken.

75

ling. 9,107 Ξ Cato inc.libr. frg. 54: (oportet) dici ,solui', ut Cato et Ennius scribit, non

. . . ,solitus sum‘.

gramm. frg. 198,31

Fun. Ξ Cato orig. 122; behandelt wird die Bedeutung von

alae. Das Catozitat ist, wie auch seine Umgebung, lückenhaft. Daß es tatsáchlich bereits von Varro angeführt worden ist, ist ganz unsicher”. Nur die letzten beiden Stellen haben es mit Eigentümlichkeiten der catonischen

Ausdrucksweise zu tun. Sonst wird der Censorius in folgenden Fragmenten grammatischer Schriften Varros erwühnt: gramm. frg. 201,36 Fun. (de serm. Lat. IIT) = Cato inc. libr. frg. 62: (Varro) M. Catonem et ceteros aetatis eius feneratorem sine a littera pronuntiasse tradit. Die

Äußerung Varros ist vermutlich spätestens im Frühjahr 45 niedergeschrieben ??. gramm. frg. 310,294 Fun.; in Jordans Sammlung

der Catofragmente

XCVII

zi-

tiert: structurae qualitates variis vocabulis traduntur . .. si paenultimus fuerit tribrachys .. . et paeones successerint primus et novissimus, erit antiqua structura, quae dicitur confragosa, qua usus est Cato. si in paenultimo tribrachys fuerit ... et successerit . . . tribrachys .. . , eritstructura, quae ... delumbis... dicitur, qua usus dicitur Antonius maior. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der für Varro nicht ausdrücklich bezeugte Passus im wesentlichen varronisch ist. Eine Einzelheit wie die Erwähnung Catos braucht deshalb aber nicht von Varro zu

stammen !, Stammt sie von ihm, so kann sie leicht erst augusteischer Zeit angehören: Cicero weiß Brut. 68 offenbar nichts von einer Anwendung des Prosarhythmus bei Cato. Ohnehin wäre aus dem Abschnitt nichts Sicheres dafür zu entnehmen, daß Varro sich tatsächlich mit der rhythmischen Gestaltung catonischer Prosa befaßt hat. Es lag ja sehr nahe, die structura confragosa dem ältesten nennenswerten rómischen Prosaschriftsteller zuzuschreiben. gramm. frg. 360,423 Fun. = Cato or. frg. 37,3; agr. 151,3: Cato habe in diesen

Passagen richtig dimidiatus anstelle von dimidius geschrieben. Das Ganze ist Gell. 3,14 überliefert. Es ist gut möglich, daß die Catozitate erst von Gellius beigebracht worden sind. Falls varronisch, wären diese Ausführungen Catos vielleicht erst frühaugusteischer Zeit zuzuweisen ”. 49

Varro seinerseits könnte es von dem im gleichen Zusammenhang erwähnten Stilo gramm. frg. 59,5 Fun. übernommen haben; es ist aber alles ganz zweifelhaft. Die Erwähnung Catos Fest. p. 234 braucht ebenfalls nicht auf den vorher erwähnten Stilo zurückzugehen; sie wird ihm denn auch nicht gramm. frg. 65,30 Fun.

zuge

schrieben. 50

Zur Entstehungszeit von De sermone

Latino, letzthin Della Corte und Dahlmann,

Entretiens 143 bzw. 168. 51

Daß

der Wortlaut Varros nicht gewahrt

ist, läßt etwa der terminologische

Gebrauch

von structura vermuten. Dazu Norden, Kp. 953; vor allem Lieberg, Hermes 84, 1956, 462 ff. 52

Das Fragment wird — so Funaioli z. St. — allgemein dem 5. Buch der Disciplinae zugeschrieben, die anscheinend in Varros Spätzeit gehören. Zu dieser Datierung

Dahlmann, RE Suppl. VI (1935), 1255 f.

76

Also: Das Interesse jedenfalls für die Sprache des alten Cato wird bei den republikanischen Grammatikern ziemlich gering gewesen sein. So gibt es aus dieser Zeit kein sicheres Indiz für irgendeine sprachlich-grammatische Bescháftigung

mit den catonischen Reden oder den Origines??. Welche geringe Rolle Cato überhaupt in der Grammatik spielt, wird dann klar, wenn man die große Anzahl von Zitaten aus Dichtern wie Naevius, Pacuvius, Ennius, Plautus etwa in De lingua Latina den drei Zitaten aus Cato gegenüberstellt. Dabei soll nicht verkannt werden, daß der Censorius der einzige Prosaautor ist, dessen Sprache von der Grammatik dieser Zeit überhaupt beachtet wird. Varro nennt ihn neben ungenannten ceteri gramm. frg. 201,36 Fun.als Vertreter älteren Sprachgebrauchs, mit Ennius zusammen auch ling. 9,107. Jedoch selbst die unsicheren Catozitate mitgerechnet, wird Cato von Varro nicht häufig genug erwähnt, daß man von einer umfassenden und systematischen Erforschung der Sprache des Censorius reden könnte. Die sporadischen Ausführungen gehen gewiß nur auf gelegentlich gemachte Notizen zurück. Nichts deutet auf die Existenz von Glossaren oder Kommentaren zu Werken Catos oder sonstigen Spezialschriften zur Sprache des Censorius hin, aus denen Varro hátte schópfen kónnen. Der Befund, der sich für De lingua Latina ergeben hat, gewinnt ein besonderes Interesse durch die Entstehungszeit der einigermaßen erhaltenen Bücher. Das erste von ihnen, das 5. Buch des Gesamtwerkes, ist jedenfalls erst nach dem September 46 a.Chr. abgeschlossen worden; das ganze Werk dürfte vor Ciceros Tod fertig gewesen sein?^. Das Interesse an älterer römischer Prosa, insbesondere an den Reden Catos, das Cicero im Brutus an den Tag legt, hat also gerade in genau gleichzeitiger Grammatik keine Entsprechung, Indiz für die besondere Stellung, die Cicero in dieser Hinsicht einnimmt. Die Durchmusterung der grammatischen Literatur einerseits, der nichtgrammatischen andrerseits hat uns ein im wesentlichen einheitliches Bild vermittelt.

Wenn ältere Prosa in der Republik unter sprachlichem und stilistischem Aspekt so wenig gelesen oder studiert wird, so steht das in einem gewissen Gegensatz zu der allgemeinen Neigung der Rómer, die maiores und ihre Leistungen für vorbildlich zu halten. Es gibt aber auch Äußerungen, die in etwas andere Richtung deuten als die bisher vorgelegten Ergebnisse. Das gilt insbesondere für Cic. de orat. 3,39. Bei der Erórterung der ersten ἀρετὴ τῆς λέξεως, der Latinitas, führt Crassus hier folgendes aus: omnis loquendi elegantia, quamquam expolitur scientia litterarum, tamen augetur legendis oratoribus et poetis; sunt enim illi veteres, qui ornare nondum poterant ea quae dicebant, omnes prope praeclare locuti; quo53

54

Für seine historisch-antiquarische Forschung mag Varro auch Reden des Censorius herangezogen haben. Vgl. F. Münzer, Beiträge zur Quellenkritik der NaturgeSchichte des Plinius, Berlin 1897, 190 ff. Barwick, Philologus 101, 1957, 303 ff.

T]

rum sermone adsuefacti qui erunt, ne cupientes quidem poterunt loqui nisi Latine. neque tamen erit utendum verbis eis, quibus iam consuetudo nostra non utitur, nisi quando ornandi causa parce, quod ostendam; sed usitatis ita poterit uti, lectissimis ut utatur is, qui in veteribus erit scriptis studiose et multum volutatus. Während die stilistische Inferiorität der veteres durchaus anerkannt wird — da-

bei kann nur an die oratores gedacht sein?? —, wird ihre Sprachreinheit hervorgehoben. Wenn aufgrund dieses Vorzuges die intensive Lektüre der Alten empfohlen wird?$, so braucht das nur ein Ratschlag zu sein, dem nicht eine wirklich geübte Praxis entspricht. In der Tat hat man in republikanischer Zeit offensichtlich nicht alte Redner ihres guten Lateins wegen studiert.

Erstens: Bei den Grammatikern, den custodes Latini sermonis (Sen. epist. 95,65) müßte sonst das Interesse für ältere Beredsamkeit sehr viel größer sein als es

tatsáchlich zu sein scheint. Zweitens: Der Kreis der sprachlich vorbildlichen veteres wird mit der Formulierung omnes prope eingeschränkt. Welche der Alten zu diesem Kreise gehören, welche nicht, wird dabei nicht gesagt. Cic. Brut. 258 werden aber von Atticus im Zusammenhang mit der laus tamquam innocentiae sic Latine loquendi, die den älteren Römern eigne, Laelius und Scipio genannt; ihnen werden Caecilius und Pacuvius als male locuti gegenüber gestellt. Das gute alte Latein wird so den Vertretern des Scipionenkreises zugesprochen, die sich in ihrer Sprachgestaltung von

grammatischen Gesichtspunkten bestimmen ließen’. Gewiß ist auch bei den von Crassus empfohlenen oratores in erster Linie an Scipio und Laelius zu denken. Wenn alte Redner zur Zeit Ciceros ihres mustergültigen Lateins wegen studiert würden, so sollte man jedenfalls diese zwei Autoren unter ihnen finden. In

Wahrheit haben Redner wie Cicero und Brutus, die keine schlechten Repräsen-

tanten ihrer Generation sind"δ, ihr Latein sicher nicht an Scipio und Laelius geschult. Cicero ist noch zur Abfassungszeit des Brutus von den laelianischen Reden wohl nur die Oratio de collegiis gut bekannt. Von Scipios Reden hat er, während er De oratore schreibt, vielleicht noch keine, gewiß nicht viele gelesen; das zu einem Zeitpunkt, an dem er auf fast drei Jahrzehnte rednerischen Wirkens zurückschauen kann??. Wenn Cicero spáter mit mehreren Reden Scipios vertraut ist, so nicht, weil er sein Latein an ihnen geschult hätte; für Laelius

gilt Analoges: Bezeichnenderweise sagt Cicero Brut. 83, wo er nicht einfach die traditionellen Stilurteile über die beiden antiqui reproduziert, sondern eine eigenSS 56 57 58 59

78

Vgl. 80f. Auf die lectio veterum oratorum et poetarum als Weg zu einem guten Latein weist Crassus noch einmal zusammenfassend de orat, 3,48 hin. Dazu Dihle, Analogie 183. Brutus scheint gerade auf die elegantia seiner Reden Wert gelegt zu haben. Vgl. 101. Zu Laelius 50f.; zu Scipio 66 A. 11.

ständige Meinung äußert, von ihrem guten Latein kein Wort°®. Brutus ist bei seiner geringen Belesenheit in der älteren Beredsamkeit schwerlich mit scipionischer und laelianischer Eloquenz vertraut"; Cicero hätte auch kaum unterlassen, auf derartige erlesene Kenntnisse seines Freundes anzuspielen. Zu all dem paßt, daß jedenfalls im Jahre 46 das römische Publikum

die Reden

der zwei

antiqui kaum noch liest ®?. Drittens: Cicero tritt an verschiedenen Stellen des Brutus für ältere Prosaiker ein. Nirgends aber mit dem Argument, diese antiqui fórderten, gelesen, mit

ihrem guten Latein das bene loqui des Lesers??. Das müßte ein kardinaler Gesichtspunkt in den Überlegungen Ciceros sein, wenn man tatsächlich in dieser Zeit die eigene Latinitàt durch die Lektüre der veteres oratores zu verbessern pflegte. Viertens: Cicero-Crassus spricht in dem behandelten Passus ohne jeglichen Ver-

such der Differenzierung von Rednern und Dichtern, deren Studium der loquendi elegantia dienlich sei. Nun vermag poetische Literatur mit ihren mannigfaltigen sprachlichen Besonderheiten und Lizenzen im großen ganzen fraglos sehr

viel weniger zur Ausbildung einer reinen Sprache beizutragen als Prosa $^. Dem trágt spáter etwa Quintilian inst. 1,6,2 Rechnung: 60

auctoritas ab oratoribus vel

In den kárglichen Bruchstücken der laelianischen und scipionischen Reden finden sich mancherlei Ausdrücke,

die in Ciceros Reden

fehlen.

Laelius:

obsidium

20,17

Malc. oreae 20,18 Malc. quiapropter 20,22 Malc. Scipio: millus 21,15 Malc. re eapse, siem 21,16 Malc. unguentatus, subvello, chiridotus, vinosus, virosus, cinaedus 21,17 Malc. expolitissimus, gruma, roborarium 21,20 Malc. potestur 21,27 Malc. cinaedulus, sambuca, ducier, bullatus, crotalum 21,30 Malc. Einiges davon

61

ist zu Ciceros Zeit antiquiert, aber fraglos nicht alles. Über die geringen Kenntnisse des Brutus 68 f. Wenn er die Reden des C. Gracchus und die Crassusrede für die Lex Servilia liest, so gewiß nicht wegen ihres guten Lateins. Nirgends ist bezeugt, daß man den Reden des C. Gracchus in ciceronischer Zeit elegantia der Sprache nachgesagt hat. Plutarch Ti. Gracchus 2,2 stellt später — wohl nach älteren Stilurteilen — die Redekunst des Ti, Gracchus mit der Reinheit ihrer Lexis der Beredsamkeit seines Bruders geradezu gegenüber. Gellius 10,3,4 findet dann

in einem Passus des C. Gracchus mundities orationis, aber das

ist in unserem Zusammenhang ohne Belang. An Crassus wird allerdings Brut. 143 auch die Latine loquendi... elegantia gerühmt. Doch spezifisch der von Brutus oft gelesenen Rede für die Lex Servilia wird, obschon sie Brut. 164 ausführlich charakterisiert wird, derartiges nicht zugeschrieben. Cicero hätte wohl auf die Erlesenheit ihrer Sprache aufmerksam gemacht, wäre die Suasio von Brutus deshalb studiert worden.

62

Dazu 68.

63

Vgl. Brut. 63 ff. zu Cato, Brut.

64

Am ehesten könnte unter den Dichtern Terenz, der puri sermonis amator, wegen seines guten Lateins studiert werden. Auf seinen Sprachgebrauch beruft sich

112 zu Scaurus, Brut.

Cicero tatsächlich einmal in einer grammatischen

125 f. zu C. Gracchus.

Frage (Att.

7,3,10); daß

man

damals sein Latein an Terenz geradezu schulte, folgt daraus nicht. Die Sprache auch dieses Dichters konnte in vielen Punkten für Zeitgenossen Ciceros nicht vorbildlich sein. Vgl. Wahrmann, WS 30, 1908, 76 ff.

79

historicis peti solet; nam poetas metri necessitas excusat5, Bei einer wirklichen Schulung der eigenen Sprache durch alte Literatur hátte ein entsprechender Hinweis auch Cic. de orat. 3,39 kaum unterbleiben kónnen. Offenbar fehlt es gerade an einer Praxis, die Cicero-Crassus eine derartige Differenzierung aufge-

drängt hätte. Wenn das Streben nach reinem Latein nicht zu einer Beschäftigung mit älterer Beredsamkeit führt, so kann dieses Motiv nach dem Dargelegten auch nicht bestimmend für das Studium alter Dichtung sein. Die besprochene Äußerung zeigt besonders deutlich: Das römische Empfinden,

die Altvorderen seien verpflichtende Vorbilder für ihre Nachkommen, bleibt für die rein sprachliche Einschätzung der römischen antiqui nicht ohne Konsequenzen‘®, Auch alte oratores können so als vorbildliche Lateiner gelten; die für Cicero offenbar schon traditionelle Auffassung, Mitglieder des Scipionenkreises seien durch einen purus sermo ausgezeichnet gewesen, ist geeignet, diese Ansicht zu stützen und historisch zu konkretisieren. Die anerkannte Vorbildlichkeit der Alten oder sogar spezifisch der alten Redner ist dabei gelegentlich durchaus ein tatsächlich wirksames Regulativ sprachlicher Praxis“. Aber — und das ist entscheidend — sie wirkt sich nicht in der Weise aus, daß sie eine reale Lektüre oder ein reales Studium älterer römischer Prosa veranlaßte. Hier hat die sprachliche Hochschätzung der veteres die Grenzen ihrer praktischen Bedeutung.

Daß es sich mit der Kenntnis der alten römischen Dichtung anders verhält als mit der Prosa, ist in den vorausgegangenen Darlegungen verschiedentlich angedeutet worden. Dem Phänomen sei noch etwas genauer nachgegangen. Nicht 65

Von den sprachlichen Lizenzen der Dichtung ist auch Quint. inst. 1,8,14 die Rede. Bei der Erörterung der auctoritas Quint. inst. 1,6,42 werden nur Beispiele aus Rednern angeführt; dazu noch Quint. inst. 1,6,11; 17; Char. gramm p. 63,2 ff. B. An

sich weiß auch Cicero, daß die Dichter sich manche Freiheiten in der Sprachgestat tung nehmen:

Tusc.

3,20 zu Accius. Nur denkt Cicero eben an der behandelten

Stelle nicht daran. 66

Zu der Vorbildlichkeit der maiores

34 A. 54. In unserem

Zusammenhang

kann

noch die stoische Lehre mitspielen, daß die ursprüngliche Sprachreinheit im Laufe der Zeit verdorben ist. Dazu Dihle, Analogie 184. Überhaupt ist es eine für antikes Denken charakteristische Vorstellung, daß Entwicklung Entartung bedeutet. 67

Dazu Dörrie, RLAC 4, 1963, 480 ff, Dazu 52ff. Nach Quint. inst. 1,5,63 (= Caes. gramm. frg. 154,20 Fun.)

hätte so-

gar Caesar den Akk. Calypsonem wie Iunonem gebraucht secutus antiquos. Vgl Liv. Andr. carm. frg. 15; Pacuv. trag. 403. Doch wird in diesem Falle die Berufung auf die antiqui von sekundärer Bedeutung gewesen sein, der entscheidende Grund die Analogie — wenn nicht überhaupt das secutus antiquos erst spätere In-

terpretation ist, Ein derartiger Fall Gell. 19,8,6. Besonders lehrreich Macr. Sat. 1,5,5; 10:

Varro und Cicero sollen mit dem Gebrauch

des Subst.

mille die Auto-

ritäten Quadrigarius und Lucilius nachgeahmt haben. Deutung des Macrobius: In der Quelle Gell. 1,16 steht nichts dergleichen.

80

nur Cicero ist mit den älteren Dichtern, die er sehr häufig zitiert, genau ver-

traut. Ähnliche Kenntnisse darf man auch bei Pollio und anderen Rednern dieser Epoche voraussetzen. Quintilian bemerkt inst. 1,8,11: praecipue quidem apud Ciceronem, frequenter tamen apud Asinium etiam et ceteros qui sunt proximi videmus Enni, Acci, Pacuvi, Lucili, Terenti, Caecili et aliorum inseri versus. Besonders in den Annalen des Ennius muß auch das römische Publikum weithin bewandert gewesen sein, wie eine Quint. inst. 6,3,86 erzählte Anekdote zeigt: Cicero wird von den Vertretern der gegnerischen Partei mit den Worten »dic ... de Sexto Annali aufgefordert, sich zu der für seinen Mandanten ungünstigen Zeugenaussage des Sex. Annalis zu äußern; da beginnt er, die Bemerkung bewußt mißverstehend, aus dem 6. Buch der ennianischen Annalen zu zitieren. Er rechnet also mit einer intimen Kenntnis des Epos bei Hórern und Richtern, die ja den Witz verstehen mußten. Wenn sich die zeitgenössische Grammatik mit der altrómischen Dichtung stark befaßt, so ist das als Ausdruck auch des allgemeinen Interesses zu werten. Der entscheidende Grund für das skizzierte Phänomen ist: In den römischen

Dichtern hauptsáchlich des 2.vorchr. Jh.s. glaubt man weithin bis wenigstens in frühaugusteische Zeit hinein schon die Vollender des jeweiligen Genos zu beSitzen, die man den griechischen Klassikern entgegenhalten kann. Pacuvius und Accius sind die klassischen rómischen

Tragiker 6° Afranius für die Togata, Plau-

tus, Caecilius oder Terenz für die Palliata die klassischen römischen Komiker ”. Ennius gilt Lucilius 1118, Cicero orat. 109, den Grammatikern zur Zeit des Ho-

raz (Hor. epist. 2,1,50 ff.) als der römische Homer?'. Was die ältere Prosa angeht, ist man in der Republik von derartigen Auffassungen wenigstens vom Be-

ginn des 1. Jh.s. an weit entfernt”. 68

Darüber eingehend W. Zillinger, Cicero und die altrómischen

Dichter, Diss. Erlar

gen, Würzburg 1911. 69

Zu Accius Marx, RE I (1894) wozu noch Suet. Iul. 84,2.

70 71

Vgl. etwa die Hinweise von Kiessling-Heinze zu Hor. epist. 2,1,57 ff. Über die Hochschätzung des Ennius etwa Skutsch, RE V (1905) 2613ff. Über das Fortleben

144; zu Pacuvius

Helm,

RE

XVIII A (1942)

2173,

speziell der ennianischen Tragódien jetzt H. D. Jocelyn, The Trage-

dies of Ennius, Cambridge 1967, 47 ff. Bei der Kanonisierung der alten Dichtung spielt Varro eine bedeutende Rolle. Vgl. in den Entretiens Dahlmann bes. 17ff., Brink 179ff., die Diskussion 27 ff.; 201f.; Dahlmann, De poetis 602f. Zu allem noch F. Leo, Plautinische Forschungen, Berlin 19127, 24 f. Die rückwärts gerichtete Einstellung, die in der Bewunderung der klassischen antiqui eingcschlossen ist, bringt es mit sich, daß auch Naevius, der im 1. vorchr. Jh. kaum als Klassiker gilt, in dieser Zeit noch einigermaßen geschätzt und studiert wird. Ein Analogon 177

72

A. 5. Die Vorliebe des römischen Publikums für die altlateinische Dichtung, gegen die Horaz im Augustusbrief angeht, wäre nach dem Dargelegten nicht einfach auf er ne Stufe zu stellen mit einer etwaigen hohen Schätzung oder gar Nachahmung ak ter rómischer Beredsamkeit durch republikanische Redner. Womit Horaz es zu tun hat, ist im wesentlichen ein konservatives Festhalten an der Bewunderung der in

81

In diesem Kapitel ist ein sehr einheitliches Bild von der Vernachlässigung älterer lateinischer Prosa entworfen worden. Sollte es aber nicht wenigstens vereinzelt rómische Redner gegeben haben, die — vielleicht erst nach der Abfassung des Brutus — in irgendeiner Hinsicht die Alten nachgeahmt hátten? der Schule gelesenen (vgl Hor. epist. 2,1,69 ff. und Kiessling-Heinze z. St.) und traditionell als bedeutendste römische Dichter geltenden antiqui Es ist eine ungebrochene Tradition, gegen die der moderne Dichter angehen muß. Eine entsprechende Tradition hat es hinsichtlich der republikanischen Prosa, soweit man

sehen kann,

nie gegeben. In der Beredsamkeit sind es im großen ganzen die jüngsten Stadien der Entwicklung, die den meisten Anklang finden; das ist hier die traditionelle Einstellung. Bewunderung

der antiqui ist, was die Dichtung angeht, das Hergebrachte,

in der Prosa wáre es etwas Neues. Verkannt ist das alles etwa von Guillemin 91.

82

3. Die attizistischen Nachahmer attischer Beredsamkeit

Altertümelnde Redner hat man nicht selten in den rómischen Jungattikern im allgemeinen oder in einzelnen von ihnen erkennen wollen. Der Begründer dieser Anschauung ist Norden, der Kp. 258 erklärt hatte, „daß diese lateinischen Attizisten der Republik ... die alten lateinischen Autoren sich zur μίμησις in der

Komposition erkoren hatten“. Besonders den alten Cato hätten die Jungattiker als stilistisches Vorbild betrachtet; Cic. Brut. 63 ff. werde mit der Parallele Cato-

Lysias ihre Ansicht referiert!. Es hat Norden an Nachfolgern nicht gefehlt?, die, seine These in verschiedener Weise aufgreifend, teilweise auch sprachliche archaistische Tendenzen bei diesen Rednern wirksam sahen. Andrerseits stieß die These auch auf Widerspruch; gerade aus Cic. Brut. 65, so wurde von verschiedener Seite betont, ergebe sich eindeutig, daß kein Redner der Gegenwart sich mit

dem Censorius befasse?. Das ist zweifellos ein richtiger Einwand. Doch ist mit ihm die Ansicht Nordens, die nicht allein mit der erwähnten Cicerostelle gestützt worden ist, nur zum Teil getroffen. So wird es nicht überflüssig sein, einmal das Problem in seinem ganzen Umfange zu erörtern‘. Zunächst aber muß noch einiges Allgemeinere zu der jungattischen Bewegung bemerkt werden. Denn trotz der umfangreichen und vielfältigen Literatur, in der der rómische Attizismus bisher erórtert worden ist, sind manche wichtige Tatsachen anscheinend noch nicht klar gesehen worden; sie müssen, wie sich zeigen wird, auch bei Überlegungen über etwaige archaistische Tendenzen im rómischen Attizismus beachtet werden. 1

Eine verwandte Anschauung hatte kurz zuvor schon J. Poirot vertreten, die unter Berufung auf Tac. dial 21 und Cic. orat. 168 über die Attizisten meinte: „cette école prétendait se rapprocher le plus de la primitive éloquence romaine, qui d&

daignait les artifices de style" (95, ähnlich vorher 93). Unter den Vertretern der primitiven Beredsamkeit waren bei dieser Meinung die Gracchen und die Scipionen verstanden,

deren aristokratische Eloquenz die Attici wiederaufleben

lassen

wollten. Die wenig beachtete Theorie ist bald von Krüger 1 A. 2 zurückgewiesen worden. In jüngerer Zeit hat sich Desmouliez 169 ff. gegen sie gewandt. 2

Z.B. Peter, Wahrheit

345 f.; Leo 286 A. 1; Schanz-Hosius I 390; Kroll, Sallust

305; RE VII A (1939) 1098; André 113; Dietz 174: Syme 55; 323. 3

4

Z.B. von Stroux 83; Krüger 27; Guillemin 92; Desmouliez 172 £.; Leeman, Genre 202; Marache 25 f.; Dihle, Analogie 200; Rez. 599; ausführlich, aber in vielem un-

glücklich letzthin von Kammer 116 A. 3. Stroux scheint übrigens später seine Mei nung geändert zu haben; vgl. seine Bemerkungen in: Das Problem des Klassischen und die Antike, hrsg. von W. Jaeger, Stuttgart 1933, 10. Ein Versuch dazu bereits bei Marache 24 ff.; Maraches Argumente bei mir 83; 98; 102 A. 77.

83

a) Calvus, Demosthenes und die Uneinheitlichkeit der attizistischen Bewegung Als communis opinio kann man etwa folgende Auffassung bezeichnen?: Die Attizisten haben, soweit sie attische Redner nachgeahmt haben, sich als stilistisches Vorbild vor allem den schlichtesten der Attiker, Lysias, gewählt; Demosthenes haben sie verschmäht®. Ihre durch weitestgehenden Verzicht auf die ornamenta dicendi gekennzeichneten Reden entbehren insbesondere der emotionalen Momente und sind durch Sachlichkeit charakterisiert’. Diese Ansicht bedarf einiger Modifikationen.

Der wohl bedeutendste jungattische Redner ist C. Licinius Macer Calvus?. Über seine Redekunst werden wir nicht nur durch Cicero, sondern auch durch den ülteren Seneca, Quintilian, Tacitus, Plinius unterrichtet. Es empfiehlt sich, von den Bemerkungen und Hinweisen der zuletzt genannten Autoren auszugehen, nicht von den Äußerungen Ciceros, des Antagonisten Macers. Zur compositio des Calvus: Sen. contr. 7,4,8: compositio . . . eius in bus ad exemplum Demosthenis riget: nihil in illa placidum, nihil lene nia excitata et fluctuantia. Der Attizist hat also auf die Ausgestaltung thesis Wert gelegt und ihr im Anschluß an Demosthenes eine Art

actioniest, omder Synerregter

Schroffheit verliehen. In einen Zusammenhang mit dieser Notiz bei Seneca muß die Kritik gebracht

werden, die Calvus und Brutus in ihrer Korrespondenz mit Cicero an dessen Redestil übten. Diese Kritik hat überwiegend oder ausschließlich die compositio betroffen. Kein Gedanke, der ausdrücklich für die Briefe der zwei Attizisten be5

Vgl

z.B. Jahn-Kroll, Einleitung Brutus

10 ff.; Kroll, Einleitung Orator

10ff.; Zie-

linski 32 £.; Schanz-Hosius I 390; J. W. H. Atkins, Literary Criticism in Antiquity, London 1952, 80 f.; Clarke 80 ff.; Douglas, Brutus XII f£. Daß mit den summarischen Bemerkungen im Text die Anschauungen der zitierten Autoren nicht vollstündig wiedergegeben sind, versteht sich. Die Literaturangaben ließen sich im übrigen beträchtlich vermehren. Manche Ansätze zu einer angemessenen Betrachtung der Attici bei Leeman, Ratio 136 ff. Zu den sprachlich-grammatischen Tendenzen der 6

Attici Dihle, Analogie. So auch etwa Norden, Kp.

221; Reitzenstein, NGG

1914, 203; Guillemin 92; Bar-

wick, Einleitung Brutus 15. 7

So auch etwa Krüger 27; T. Frank 163; Voit 112; Humbert, REL 16, 1938, 280; E. Bignone, Storia della letteratura latina III, Firenze 1950, 607; Barwick a. O.

8

Über Calvus gibt es einige Monographien, die Malcovati 165 verzeichnet; in ihnen hat man bereits einiges von dem, was ich darlegen werde, gesehen, ist aber kaum je über das ausdrücklich in den antiken Zeugnissen Mitgeteilte hinausgekommen. Andeutungen

9

ganz richtiger Tendenz

auch bei Bonner

136 f. Nicht zugänglich

waren mir die bei Malcovati angeführten Arbeiten von Curcio und Migliazza. Die vermutlichen Überreste dieses Briefwechsels sind jetzt bequem in der Oxfordausgabe der ciceronischen Briefe vol II] 1958, 168 ff. von Watt zusammengestellt; vielleicht sollte man noch Quint. inst. 10, 2,15 hinzufügen. Die Kombinationen, mit denen Humbert, REL 16, 1938, 279 ff. den Fragmentbestand zu bereichern sucht, überzeugen nicht.

84

zeugt ist, führt darüber hinaus. Quintilian inst. 12,1,22 sagt, obwohl der Zusammenhang eine solche Einengung keineswegs erfordert, expressis verbis, daß Brutus und Calvus die compositio Ciceros in ihren Briefen getadelt haben; über die Kritik der Asinii an Ciceros Eloquenz bemerkt er dagegen allgemein: vitia orationis eius .. . insecuntur. Auch die Vorwürfe des Calvus und des Brutus, die Aper Tac. dial. 18,5 referiert, sind wohl auf die ciceronische Synthesis zu be-

ziehen '?: Ciceronem a Calvo quidem male audisse tamquam solutum et enervem, a Bruto autem, ut ipsius verbis utar, tamquam fractum atque elumbem !!. Das geht gegen die Schlaffheit von Ciceros compositio . Gegen sie polemisiert Calvus offenbar, weil sie nicht mit seiner Hochschátzung einer demosthenischen

rigens compositio in Einklang steht ?. Daß Cicero in diesem Punkte sich von 10

VgL auch Gudeman z. St. Im Sinne des Dargelegten schon Hendrickson 242 f.; 257. Er glaubt freilich, daß nur die auf die Synthesis bezüglichen Episteln Quintilian und Tacitus bekannt gewesen seien; die Diskussion habe sich, wie Brutus und Orator lehrten, auf alle stilistischen Fragen erstreckt. Aber die spátere Kon-

troverse beweist nichts für den Briefwechsel Überdies würe es ein sonderbarer Zufall, wenn sowohl von Brutus als auch von Calvus nur die sich hauptsächlich mit der compositio befassenden Briefe Quintilian und Tacitus vorgelegen hätten. Ganz besondere Bedenken muß Hendricksons Vermutung hervorrufen, Calvus habe auch die Sprache Ciceros, seine Wortwahl u.ä. getadelt (256f.): Es gibt keinen Beweis

für zeitgenössische Angriffe auf Ciceros Sprachbehandlung. Vgl noch Laurand 29 f, Auch Quintilian, der inst. 12,10,12 die hauptsächlich attizistische zeitgenössische Polemik und ihre einzelnen Punkte referiert, erwähnt nichts von einer derartigen

Kritik. Die Sprachbehandlung Ciceros hat in der Attizistenkontroverse ganz gewiß eine völlig untergeordnete Rolle gespielt, falls sie überhaupt Gegenstand polemi scher Bemerkungen war. — Übrigens ist die Tatsache, daß die Briefe des Calvus und Brutus, jedenfalls soweit sie Tacitus und Quintilian vorlagen, allein die ciceronische Synthesis behandeln, ein Indiz für die Echtheit der Schreiben. Ein späterer Fälscher hätte kaum versäumt, auch die übrigen attizistischen Vorwürfe, wie sie etwa Quint. inst. 12,10,12 zusammengestellt sind, in den Episteln der beiden

11

Attici gebührend zu berücksichtigen. Daß die diesbezüglichen Briefe später verloren gegangen seien, wäre auch in diesem Falle nicht einleuchtend. Hendrickson 255 vermutet in orat. 229 enervetur oratio eine Anspielung auf den Vorwurf des Calvus, zu Unrecht. Erstens zitiert Tacitus-Aper die Kritik des Calvus offenbar nicht wörtlich; der Ähnlichkeit der Formulierungen

kann mithin

keine Bedeutung beigemessen werden. Zweitens hat Calvus keineswegs die Klauseln verschmáht (vgl. 86), wie es die hier angesprochenen Redner tun, qui non claudunt numeris sententias. Drittens stimmt die Charakteristik, die Cicero seinen

Kontrahenten angedeihen läßt, qui hoc aut magistrorum inopia aut ingeni tarditate aut laboris fuga non sunt adsecuti, überhaupt

nicht zu dem

Urteil, das er

Brut, 278 ff., fam. 15,21,4 über Calvus fällt. 12

Von einer effeminata et enervis compositio spricht Quintilian inst. 9,4,142 (Gegensatz: dura atque aspera compositio). Der Vorwurf des Calvus liegt also in

der Náhe der attizistischen Behauptung, Cicero sei in compositione viro mollior (Quint. inst. 12,10,12). So scharf aber wird Calvus seine Ansicht nicht formuliert haben, sonst hátte Tacitus dem Aper ein entsprechendes Zitat in den Mund gelegt. 13

Cicero scheint seinerseits, sich verteidigend, Demosthenes

attackiert zu haben.

Plutarch Cic. 24,6; Quint. inst. 12,1,22.

85

Demosthenes entfernt, konzediert später Quintilian inst. 9,4,145 f.: non...

mirabor Latinos magis indulsisse compositioni quam Atticos, quo minus in verbis habeant venustatis et gratiae, nec vitium duxerim, si Cicero

a Demosthene

paulum in hac parte descivit!^. Ein Doktrinär, der in allen Fällen dieselbe compositio verwendet hätte, war Calvus nicht. Seneca fährt nach dem zitierten Satz contr. 7,4,8 fort: hic tamen in epilogo quem pro Messio tunc tertio causam dicente habuit, non tantum leniter componit, sed etiam dicit: credite mihi, non est turpe misereri; et omnia in

illo epilogo fere non tantum emollitae compositionis sunt, sed infractae. Calvus will mit der weichlichen Synthesis die Richter weich stimmen 15. Ebenfalls die

Anwendung der Klauseln lehnt der große Attizist nicht ab. Zu den figurae bei Calvus: Plin.epist. 1,2,2f. temptavi . . . imitari Demosthenem semper tuum, Calvum (βγ : om.a) nuper meum, dumtaxat figuris orationis:

nam vim tantorum virorum pauci ... adsequi possunt. nec materia ipsa huic ... aemulationi repugnavit: erat enim prope tota in contentione dicendi. Calvus wird von Plinius hinsichtlich der figurae orationis in einem Atem mit Demosthenes genannt. Weshalb Plinius gerade die figurae orationis als Gegenstand seiner Demosthenes-Calvusnachahmung hervorhebt, wird klar, wenn wir uns daran erin-

nern, daß wenigstens nach manchen antiken Kritikern die häufige Verwendung der σχήματα διανοίας die Beredsamkeit des Demosthenes über die anderer Red-

ner erhebt", Calvus wird wie in der compositio, so auch im Gebrauch besonders der Sinnfiguren eine Ähnlichkeit mit dem großen griechischen Redner er-

Strebt haben. Die Annahme ist bei dem geringen Umfang der aus den Reden Macers erhaltenen Textmasse nicht mehr zu verifizieren. Auf ein σχῆμα λέξεως sei aber noch hingewiesen, die ausgeklügelte gradatio'® Calv. or. frg. 165,25 Malc.: non ergo 14

Daß es der lateinischen Sprache an Charis fehle, und der Römer deshalb nicht ohne weiteres dieselben Stilmittel anwenden kónne wie der Grieche, ist ein Gedanke, den Cicero noch nicht gedacht zu haben scheint. Er trägt ihn auch nicht in der Attizistenkontroverse vor, ganz anders als Quintilian, der in der Auseinan-

dersetzung mit den rómischen Attici auf diesen Gedanken das entscheidende Gewicht legt. Quintilian zeigt hier ein gereifteres Verstándnis für die Eigenart der lateinischen Sprache gegenüber dem älteren Schrifsteller. Vgl. noch Quint. inst. 10,1,107; 12,10,27 ff., wozu bei mir 110ff. 15

Eine solche compositio entspricht den Anforderungen,

die die Theorie an den

Epilog stellt. Vgl Sen. contr. 7,4,6; Quint. inst. 9,4,137 f. 16

"Vgl Bardon I 225 f. Merkwürdigerweise hat der Attizist auch den Dichoreus, die notorisch asianische Klausel (vgl. 140 A. 96), nicht verschmäht. Vgl. Calv. or. frg.

165,23; 165,28 Malc. Aber eine besondere Rolle wird diese conclusio nicht bei ihm gespielt haben. Immerhin kann man daraus entnehmen, daß Calvus nicht ein verbohrter und fanatischer Gegner der asianischen Beredsamkeit war. Auf den Ditrocháus bei Calvus hat, wenn

17 18

86

ich mich recht erinnere, bereits Krüger hingewiesen,

dessen Arbeit mir nur zeitweise zur Verfügung stand. VgL Cic. Brut. 140f.; orat. 136. Vgl Quint. inst. 9,3,54: (climax) apertiorem habet artem et magis adfectatam.

pecuniarum magis repetundarum quam maiestatis, neque maiestatis magis quam

Plautiae legis, neque Plautiae legis magis quam ambitus, neque ambitus magis quam omnium legum omnia iudicia perierunt. Jeder Rómer, der nur ein wenig Unterricht in der Rhetorik genossen hatte, dürfte da an den berühmten Passus der Kranzrede gedacht haben, der regelmäßig in den Handbüchern als Muster-

beispiel einer Klimax fungiert ^; vermutlich sollte auch jeder an diese Stelle denken. Die Wortfigur stammt aus den Reden gegen Vatinius, denen selbst Aper, der Tadler der antiqui, Tac. dial. 21,2 seine Billigung nicht versagt; die zweite Vatiniana rühmt er sogar als verbis ornata et sententiis, auribus iudicum accommodata. Wahrscheinlich hat auch Plinius diese berühmtesten und am meisten gele-

senen Reden des Calvus vor Augen”. Zur actio des Calvus: Sen. contr. 7,4,7: solebat .. . excedere subsellia sua et inpetu latus usque in adversariorum partem transcurrere. Also eine sehr schwungvolle Art des Vortrags?'. Gerade das gesprochene Wort des Calvus muß mitreifiend gewirkt haben. Das bezeugt Sen. contr. 7,4,6: Calvus ... usque eo violentus actor et concitatus fuit, ut in media eius actione surgeret Vatinius reus et exclamaret: rogo vos, iudices: num, si iste disertus est, ideo me damnari oportet? In die gleiche Richtung deutet der Ausruf eines Hórers bei einer Rede gegen Vatinius: salaputium disertum (Catull. 53,5). Die zwei Anekdoten sprechen gewiß nicht dafür, daß die Beredsamkeit des Attizisten allein durch die actio wirksam war, aber doch dafür, da& der Vortrag seine Redekunst eindrucksvoll

zur Geltung kommen ließ. Das paßt zur Demosthenesnachahmung. Demosthenes hat ja durch die Art seiner Hypokrisis die Zeitgenossen besonders bewegt?”

und auf diesen Teil der Beredsamkeit das größte Gewicht gelegt ?. 19

Demosthenes 18,179. Vgl Aquila rhet. 40 p. 34,19: est autem figura perquam decora et a Demosthene commendata. Rhet. Her. 4,25,34; Quint. inst. 9,3,55; in der Literatur de figuris Rhet. Gr. III Sp.: 31,10 ff.; 55,21 ff.; 72,6 ff.; 99,26 ff.; Demetrios (?) de el. 270; Hermogenes de id. 304,19ff. Rabe. Daß Demosthenes überhaupt in der rómischen Beredsamkeit eine bedeutende Stellung einnimmt, ist bekannt. Fann. or. frg. 32, 2 Malc. ist, wie man lángst gesehen hat, nach dem Eingang der Kranzrede rhythmisch ge-

staltet. Vgl. auch Cic. ac. 1,10: oratores quidem laudari video, si qui e nostris Hyperidem sint aut Demosthenem

20

imitati.

Zum Nachruhm der Reden gegen Vatinius vgl Tac. dial 21,2; 39,5; von den 7 wörtlichen Fragmenten,

die sich bestimmten

Reden des Calvus zuweisen lassen,

stammen 6 aus den Anklagen des Vatinius. 21

Quintilian nennt ein Verhalten wie das des Calvus inst.

11,3,133

parum verecun-

dum. Aus seiner Bemerkung ergibt sich auch, daß derartiges nicht ganz unüblich gewesen ist. 22 23

Selbst Aischines hat in Rhodos den machtvollen Eindruck der demosthenischen Vortragskunst anerkannt. Cic. de orat. 3,213. Cic. de orat. 3,213; Brut. 142; orat. 56; Val. Max. 8,10 ext. 1; bei griechischen

Rhetoren etwa Rhet. Gr. VI 35,25 ff. Walz. Vgl. noch E. Drerup, Demosthenes im Urteile des Altertums, Würzburg,

1923,

171; 208.

87

Zur vis des Calvus: Plin. epist. 1,2,2 werden Demosthenes und Calvus in Bezug auf die vis zusammengestellt. Quintilian bemerkt inst. 10,1,115 über Calvus, Ciceros Urteil korrigierend: inveni, qui [Ciceronem] crederent eum nimia contra se calumnia verum sanguinem perdidisse; sed est et sancta et gravis oratio et castigata et frequenter vehemens quoque. vis und vehementia, Eigenschaften, die Calvus gewiß erstrebt hat und die auch den Lesern seiner Reden auffielen:

Das stimmt zur Gefolgschaft des Demosthenes. Demosthenes hat für Calvus offenbar eine große Rolle gespielt. Aber der Attizist hat sich nicht an ein Vorbild gebunden. Quint. inst 10, 1, 115 heißt er all-

gemein imitator . . . Atticorum ^, Zum Erfolg des Calvus: Besonders die Vatinianae haben zeitgenóssische Hórer und spätere Leser beeindruckt. Aber weiter: Sen. contr. 7,4,6: Calvus .. . diu cum Cicerone iniquissimam litem de principatu eloquentiae habuit. Wenn ein derart jugendlicher Redner lange — also wohl bis zu seinem frühen Tode — ei-

nem Cicero den principatus eloquentiae streitig machen konnte, so hat das kaum nur drei glänzende Anklagereden zur Ursache. Überhaupt muß der Attizist in den Augen seiner Zeitgenossen ein sehr wirkungsvoller Redner gewesen sein?*. Calvus, der führende Jungattiker, ist, so scheint es, sehr wenig attizistisch. Daß hier gewisse Schwierigkeiten liegen, hat man, obgleich nicht ganz scharf, gelegentlich schon gesehen; verschiedene Auswege sind vorgeschlagen worden. Man hat geglaubt, Calvus sei durch sein Temperament über die Grenzen des ge-

nus tenue, das allein er als berechtigt anerkannt habe, hinausgeführt worden “5, Die Erklärung überzeugt nicht. Es sind ja gerade die geschriebenen Reden des Calvus, die sich mit ihrer vehementia, mit ihren figurae nicht in das genus tenue einfügen wollen?’. Daß der Redner während seines Vortrags seine stilistischen

Grundsätze vergit, ist glaubhaft; sorgfältig, wie er war”*, hätte er aber bei der schriftlichen Ausarbeitung seiner Reden?? doch wohl alles seiner Stildoktrin Widersprechende ausgemerzt. 24

Castorina 72 kennzeichnet unter Berufung auf Sen. contr. 7,4,8 Calvus einfach

25

Demzufolge war Calvus ein vielbeschäftigter Patronus. Tacitus-Aper spricht von

26

weniger als 10 Jahren seiner oratorischen Tätigkeit. So oder ähnlich behelfen sich etwa Norden, Kp. 218; Krüger 35; Douglas, CQ 48, 1955, 244.

als Demosthenesnachahmer,

etwas einseitig,

einer rednerischen Hinterlassenschaft von 21 Büchern «dial. 21,1) aus den gewiß

27

Wenn Castorina 53 A. 57 meint, der Stil der Calvusreden sei ohne lebhaften Vortrag von geringer Wirkung gewesen, so stimmt das nicht zu den 84 ff. passim an-

geführten Zeugnissen. Überdies gibt es im 1. nachchr. Jh. Leute, die in Calvus den größten römischen Redner sehen.

Quint.

inst. 10,1,115.

Bei den Klassizisten

dieser Zeit spielt er eine bedeutende Rolle: Aper Tac. dial 18,1 spricht von Cal 28

vus vester. Vgl Cic. Brut.

29

Die Reden pflegten erst, nachdem sie gehalten waren, im einzelnen schriftlich

283; fam.

fixiert zu werden.

88

15,21,4; auch Quint.

inst. 10,2,25.

Vgl. Laurand 4; dazu noch Cic. Tusc. 4,55; Plin. epist. 1,20,

Ein anderer Versuch, das Problem zu lósen, besteht in der Annahme eines Stilwechsels bei Calvus; die Charakteristik Senecas, das Lob Quintilians gälten ge-

wissermaßen dem vorattizistischen Calvus®®. Für diese Deutung spricht nichts. Nirgends ist etwas von einem Stilwechsel des Calvus erwähnt; gerade Cicero wäre

schwerlich über eine derartige stilistische Wendung Macers hinweggegangen. In den zwei kritisierten Auffassungen wird versucht, die Merkmale der Eloquenz Macers, die nicht zur allgemeinen Vorstellung von attizistischer Beredsamkeit passen, von seinem Attizismus zu trennen. Auch der umgekehrte Weg ist beschritten worden: Leidenschaft, wenn auch verhalten, heftiger Rhythmus, gele-

gentliche pathetische Figuren fänden sich durchaus bei den Jungattikern?'. Hier wird ein Bild der attizistischen Rede gerade nach der Beredsamkeit des Calvus gezeichnet. Die Charakteristik paßt aber nicht recht zu den offenbar an Lysias orientierten Ausführungen Ciceros über den Atticus orat. 75 ff. Diese Ausführungen stellen wenigstens im großen ganzen die Anschauungen der hier ange-

sprochenen Jungattiker gewiß richtig dar. Wenn sich Cicero wirklich grobe und handgreifliche Entstellungen zuschulden kommen ließe, würde seine Argumentation ganz an seinen Gegnern vorbeizielen und seine Position nur geschwächt. Seine Darlegungen über die Eigenart attizistischer Beredsamkeit berühren sich

außerdem eng mit der allgemeinen Auffassung über die stilistischen Charakte-

ristika des Lysias??, die wir gewiß ebenfalls den Lysias nachahmenden Attici vindizieren dürfen. Den drei Versuchen, Calvus in den rómischen Attizismus einzuordnen, war eine —freilich nicht ausgesprochene — Prámisse gemeinsam: Die Jungattiker stellen 6 ff. Natürlich wird bei der endgültigen Festlegung der Rede gegenüber den tatsáchlich gesprochenen Worten oft mancherlei geándert. Vgl auch Sen. suas. 6,14. 30

Guillemin

95, die sich für diese Ansicht auch auf Cic. Brut.

283 beruft; kurz zu-

vor hatte die Autorin den gleichen Passus auf den Jungattiker Calvus bezogen. Ein Lob des Calvus wird man an dieser Cicerostelle übrigens kaum mit Guillemin; Schanz-Hosius I 392; Castorina

70 A.

180 finden.

Das devorabatur kann wohl nur

bedeuten: Die Rede des Calvus wurde a foro, cui nata eloquentia est, unverstanden hingenommen; richtig Douglas z. St., der aber Cic. Tusc. 2,3 hätte fernhalten sollen. Wollte man

wie Castorina ponderieren, ,,ascoltato avidamente,

anche

senza

essere sempre capito", so würde der deperditus sanguis so gut wie gar keine nachteiligen Folgen haben. Im Gegenteil: Cicero würde durch den Relativsatz wi... est gerade hervorheben,

31 32

daß es Calvus auch in der eigentlichen Domäne

der Elo-

quenz nicht an Erfolg fehlte. Voit 114. Das zeigt schon ein grober Vergleich der Beurteilung des Lysias bei Dionys von Halikarnaß mit dem Bild des tenuis orator im Orator. Zuerst der Abschnitt aus dem Orator, dann die entsprechende Stelle bei Dionys von Halikarnaß, op. rhet. I Us.-Rad.: 76 ^ 11,17 ff.; 16,3ff. (hierzu auch Ps. Plutarch vit. X oratt. 836 b); 77 ^ 15,21 ff.; 79 7 9,11 £.; 10,61; 12,1111; 81 ^" 10,6 ff; 84 ^ 23,16 ff.; 87 ^" 19,21 ff.; 98 — 23,12 ff.; 131,11. Dionys gibt die communis opinio wieder. Vgl. op. rhet. I p. 17,12 ff. Us.-Rad.

89

eine in ihren stilistischen Eigenarten und Anschauungen homogene Richtung dar.

Diese Annahme ist nicht gerechtfertigt”. Die Attizisten, mit denen Cicero im Jahre 46 es hauptsáchlich zu tun hat, sind Nachahmer des Lysias?*, Die besondere Liebe des Calvus gilt Demosthenes.

Daß Lysias für Calvus eine hervorragende Rolle gespielt hat, wird durch nichts nahegelegt. Die Anhänger des Lysias scheinen wie ihr Vorbild auf das probare, das docere das Hauptgewicht zu legen. Das ist für Calvus nicht bezeugt. Er verzichtet durch-

aus nicht auf die Erregung der Affekte ?5. Die Ausdrucksweise der Lysianer steht dem Umgangstone nahe. Ihre Synthesis ist durch scheinbare neglegentia gekennzeichnet, durch Verzicht auf die Klauseln; weitgehend verschmähen sie den Redeschmuck, vor allem auffällige ornamenta?6.

Für die Nachahmung des Calvus wie auch des Demosthenes eignet sich gerade ein Stoff, der in contentione dicendi liegt. Dieser Attizist feilt die Synthesis seiner Reden spürbar aus, lehnt durchaus nicht die Klauseln ab; jedenfalls in der zweiten Vatiniana läßt er es nicht an ornamenta dicendi fehlen, er meidet auch nicht sehr auffällige Künsteleien. Calvus ist gewif auch nicht mit den Imitatoren des Hyperides, die wohl den Lysianern recht nahestehen °”, zusammenzubringen, natürlich ebenfalls nicht

mit den Thukydideern oder dem einen Nachahmer des Xenophon, von dem Cicero orat.32 spricht. Daß sich der römische Attizismus keineswegs der Nachahmung des Demosthe-

nes verschlossen hat, zeigt das Beispiel des Calvus. Auch Brutus” hat Demo33

Die Uneinheitlichkeit der Richtung hat man schon gelegentlich hervorgehoben — z.B. Radermacher

34 35

373; Barwick, Einleitung Brutus

14f.

—, ohne diese Tatsache

freilich bei der Einordnung des Calvus in den rómischen Attizismus zu berücksichtigen. Cic. Brut. 64; 67f. orat. 29f. Die Klimax, wozu 86 f., ist ein Pathosmittel; vgl. Ps. Longin de subL 23,1. Zu den Lysianern Cic. orat. 20; 69 zusammen mit orat. 75 ff. Wenn man das probare als Sachlichkeit deutet, so ist das zumindest mißverständlich. Um die Sache an sich ist es gewiß keinem Attizisten gegangen, sondern um den Sieg im Prozeß. Der Anschein der Sachlichkeit ist es freilich, den ein Nachahmer des Lysias erstreben dürfte. Vgl. Dion. Hal op. rhet. I 30,5 ff.; 131,8 ff. Us.-Rad.

Auch deshalb ist es verfehlt, die jungattische Bewegung mit der Stoa in Zusammenhang zu bringen. Gegen diese Auffassung bereits Kroll, RhM 62, 1907, 87. 36

37 38

Cic. orat. 29; 76 ff. passim.

Unter den Gegnern des oratorischen Numerus,

die

Cic. orat. 168ff.; 234 angegriffen werden, befinden sich vermutlich auch die Lysiasnachahmer. Dazu auch bei mir 103 f. Cicero nennt sie Brut. 67 f. zusammen mit den Lysiasimitatoren als Verehrer der subtilitas. Daß

Brutus sich als Attizisten betrachtete, wird manchmal

bestritten, z.B. von

Hendrickson 238; Barwick, Einleitung Brutus 15; ausführlich F. Portalupi, Bruto e i neoatticisti, Torino

90

1955, mir nur aus Rezensionen

bekannt.

Daf

er nicht ei-

sthenes jedenfalls sehr geschátzt??. Es wáre aber verwunderlich, wenn die Demosthenesbegeisterung Macers, dessen großen Einfluß auf die attizistische Be-

wegung Cicero Brut. 284 bezeugt, sonst keinerlei Spuren bei den Jungattikern hinterlassen hátte. In Wirklichkeit existieren solche Spuren. Noch im Jahre 46 muf es Attici gegeben haben, für die Demosthenes als Vorbild von Bedeutung ist. Die Stelle des Brutus, aus der dies zu entnehmen ist, scheint freilich noch nie in diesem Sinne gedeutet worden zu sein®. Sie soll deshalb eingehender be-

sprochen werden. Cicero fragt die Jungattiker, nachdem er auf die Vielfalt und Verschiedenheit der attischen Redner hingewiesen hat, wen eigentlich sie sich als Vorbild für ihre imitatio zu wählen gedächten. Thukydides lehnt er ab, weil dieser Autor Historiker, in seinen contiones aber zu altertümlich sei. Darauf erwidern die Attici Brut. 288: Demosthenem igitur imitemur. Cicero repliziert Brut. 289 mit einer längeren Polemik: o di boni; quid, quaeso, nos aliud agimus aut quid aliud optamus? at non adsequimur. isti enim videlicet Attici nostri quod volunt adsequuntur. ne illud quidem intellegunt non modo ita memoriae proditum esse sed ita necesse fuisse, cum Demosthenes dicturus esset, ut concursus audiendi causa ex tota Graecia fierent. at cum isti Attici dicunt, non modo a corona, quod est ipsum miserabile, sed etiam ab advocatis relinquuntur. Also: Die Attici sagen: „Dann laßt uns den Demosthenes nachahmen!'* Das kónnte — und so scheint man diese Bemerkung bisher auch in der Regel aufgefaßt zu haben — an sich ein rein fiktives, widerstrebend gemachtes Zugeständnis der von Cicero gewissermaßen in die Enge getriebenen Attizisten sein. Allerdings würde der Schriftsteller die Konzession seinen Gegnern verfrüht und ganz

unmotiviert in den Mund legen. Sie haben erst Thukydides, der freilich leicht abgetan werden konnte, aber keineswegs schon Lysias oder Hyperides als nachahmenswerte Stilmuster ins Feld geführt. Wenn die Attiker dagegen wirklich Demosthenes nachahmen

sollten, hätte es nichts Erstaunliches, daß sie jetzt schon

seine Nachahmung vorschlagen. Cicero reagiert recht merkwürdig auf die Bemerkung der Attizisten: „Guter Gott! Das ist ja gerade das ersehnte Ziel, auf das ich“ — betont — „hinarbeite. Jedoch ich erreiche es nicht.^ Was ist mit quid aliud gemeint? Offensichtlich ner der von Cicero unmittelbar angegriffenen Richtungen angehórt hat, ist natürlich anzunehmen. Aber die Bemerkungen Ciceros an Atticus Att. 15,1 a, 2 deuten jedenfalls stark darauf hin, daß er bestrebt war, ein attischer Redner zu sein. Vgl. auch Dihle, Analogie 198.

39

Er hat Demosthenes bei Pammenes studiert und pflegt ihn eifrig zu lesen; Cic. orat. 105, wozu Brut. 332; die Büste des groben Redners hat er unter seinen imagines

aufgestellt; orat. 110. Daß er ein fanatischer Bewunderer des Demosthenes gewesen sei — so Blass 139 —, ist freilich übertrieben. Nach Quint. inst. 9,4,63 f. findet allein

Brutus an Demosthenes 9,17 keinen Gefallen; das paßt nicht gut zu einer fanatischen Demosthenesbegeisterung.

40

Unklar die Auffassung von Leeman, Ratio 144;424 A. 33.

91

das, was die Attizisten mit ihrer Bemerkung als das Ziel ihrer stilistischen Be-

mühungen andeuteten: So reden zu können wie Demosthenes?'. Wäre diese Bemerkung eine fiktive Konzession, dann wäre es wenig sinnvoll, wenn der Autor darauf hinwiese, daß er sich selbst um Demosthenesnachahmung bemüht, ohne sein Ziel zu erreichen. Das müßte die Attiker gerade entmutigen, wäre also eine ganz unpassende Antwort auf das soeben ihnen abgerungene Zugeständnis. Sie paßt hingegen, wenn die Attici wirklich Demosthenes nachahmen, aber

auf eine von Cicero nicht zu billigende Weise. Der Schriftsteller stellt sich, wie vor allem das betonte nos indiziert, in einen gewissen Gegensatz zu der Demosthenesnachahmung der Attizisten; sie muß dann aber tatsächlich existieren. Cicero fährt fort: „Unsere Attiker da erreichen selbstverständlich, was sie wollen." Wenn das mit quod volunt bezeichnete Ziel attizistischer Bemühungen gerade nicht darin bestünde, wie Demosthenes zu reden, sondern etwa in einer möglichst großen Annäherung an Lysias, dann wäre in diesem ganzen Satz die Illusion des Zugeständnisses durchbrochen. Hätte aber der Schriftsteller diese Illusion durchbrechen wollen, dann hätte er es doch wohl sofort nach der fingierten Konzession getan, nicht erst, nachdem er das nicht nur überflüssige, sondern der Werbung für die Demosthenesnachahmung entschieden abträgliche Bekenntnis gemacht hat, er selbst erreiche den griechischen Redner nicht! Es emp-

fiehlt sich demnach nicht, hinter dem quod volunt etwas anderes zu suchen als die Verwirklichung demosthenischer Beredsamkeit. Diese Deutung gibt einen ausgezeichneten Sinn. Cicero stellt das Mißlingen seiner eigenen Bemühungen, Demosthenes nahe zu kommen, dem geglückten Streben der Attici gegen-

über; die Antithese, angedeutet schon durch den Gegensatz nos — isti .. . Attici nostri, wird sinnfällig zum Ausdruck gebracht durch die Wiederholung desselben Verbs: non adsequimur — adsequuntur. Die Bemerkung, die Attizisten erreichten ihr Ziel, ist ironisch gemeint, — videlicet —: Den Attici gelingt es freilich, ihrem Vorbild Demosthenes ganz nahe zu kommen — weil sie sich ein ganz falsches Bild von dem großen Redner und der ihm angemessenen Nachahmung machen?. Der Unterschied, auf den es Cicero hier ankommt, ist also: Cicero selbst kennt die wahre demosthenische Beredsamkeit und ist sich deshalb bewußt, sie nicht verwirklichen zu können; die Attici vermögen dagegen allerdings ihre Vorstellungen von der Eloquenz des Demosthenes — quod vo41

Man könnte sich zu agimus und optamus auch ergänzt denken: ut Demosthenem imitemini

42

5011, ken Als vom

1,7; orat.

43

Daraus ergäbe sich gerade das Gegenteil dessen, was bewiesen werden

Daß diese Ergänzung nicht gut angeht, wird 93 A. 44 gezeigt. — Zum Gedanvgl Cic. orat. 105. „erreichen“ wird das assequimur auch Thes. II 861,79 aufgefaßt. Zu assequi Erreichen eines literarischen Vorbildes oder Ideals vgl. Cic. de orat. 2,91; leg. 3;97;103£.; Gell. 2,23,22.

Der Gedanke, daß die Attizisten gerade eine solche falsche Vorstellung der attischen Beredsamkeit entwickeln,

daß sie diese zu erreichen sich zutrauen Können,

findet sich auch sonst. Cic. orat. 23f.; Tusc. 2,3.

92

lunt — in die Tat umzusetzen; denn ihre Demostheneskonzeption

ist der demo-

sthenischen Beredsamkeit nicht adäquat. Schließlich geht es weiter: „Nicht einmal das sehen sie ein, daß Demosthenes zwangsläufig eine große Zuhörerzahl anziehen mußte, während diese Attiker selbst von allen Zuhörern verlassen werden.“ Der Gedanke ist: Da Demosthenes notwendigerweise mit seiner Beredsamkeit ein gewaltiges Publikum anzog, muß ein Redner, der Demosthenes richtig nachahmt, einen ähnlichen Zulauf haben. Der Redner, dem die Zuhörer davonlaufen, kann also Demosthenes nicht richtig nachahmen. Die Jungattiker erkennen nicht einmal das und die sich daraus ergebende Konsequenz: Erfolglos wie sie sind, ahmen sie Demosthenes falsch nach. So verstanden, stellen Ciceros Ausführungen eine schlagende Argumentation gegen die unzulänglichen attizistischen Demosthenesimitatoren dar. Dagegen wären die ciceronischen Bemerkungen ein zumindest wenig glücklicher Angriff gegen Jungattiker, die das Vorbild des Demosthenes verschmähen, etwa Lysianer. Sie könnten

sich darauf berufen, daß Demosthenes

sie nichts angehe; sie woll-

ten wie Lysias reden und nicht auf die Masse, sondern auf die docti wirken. Jeder einzelne Satz des besprochenen Passus setzt also notwendig voraus oder legt sehr nahe, daß Cicero bei seiner Polemik wirkliche attizistische Nachah-

mer des Demosthenes vorschweben. 44

Noch

einmal zu einem

Einzelproblem.

Die Ergänzung

quid aliud agimus,

nisi ut

Demosthenem imitemini ist, wenn man at non assequimur für eine Äußerung Ci ceros hält, aus folgenden Gründen nicht angebracht: Erstens: Die Konzession der Attiker wäre unmotiviert.

Zweitens:

Die Betonung

tens: Das assequi hätte zwei inkongruente Ausdruck, daß es Cicero nicht gelingt, die sthenes zu bewegen, ein andermal, daß es stellungen zu verwirklichen. Viertens: Die und Trachten

des nos wäre überflüssig. Drit-

Inhalte. Das Verb brächte einmal zum Attizisten zur Nachahmung des Demoden Attici gelingt, ihre stilistischen VorBehauptung Ciceros, sein ganzes Sinnen

sei darauf gerichtet, die Attici zur Nachahmung

des Demosthenes

zu

bewegen, wäre eine starke Übertreibung. -- Es könnte freilich daran gedacht werden, at non assequimur für einen Einwand der Attizisten zu halten: Aber wir erreichen ihn (Demosthenes)

nicht. Bei dieser Annahme

würde das dritte meiner Argumente

nicht mehr gelten. Dafür würde aber die Reaktion Ciceros jedenfalls ab ne illud quidem

intellegunt unverständlich.

Wieder eine andere Interpretation schlägt E. Castorina, L'atticismo nell’evoluzione del pensiero di Cicerone, Catania 1952, 212 A. 1 vor: „Il testo dice: at non assequimur, al che Cicerone spazientito replica: Isti enim assequuntur. Ma assequor qui non ha il senso di ,,conseguire" bensi quello figurato di... “ capire". Diese Deutung glaubt Castorina durch den folgenden Satz Ciceros bestätigt: „’non capiscono neanche questo, che quando parlava Demostene, ecc.‘ Ora, il ,neanche' ὁ la miglior conferma,

che assequor li equivale a intellego.

Isti Attici, allora, non solo

non riuscivano ad imitare Demostene, ma non volevano neanche farlo. Akzeptiert man die Erklärung, so muß man verstehen: quid aliud agimus, nisi ut Demosthenem imitemini. Die dritte aufgewiesene Schwierigkeit wäre dabei behoben. Dafür gibt aber die Interpretation Castorinas keinen faßbaren Sinn. Was könnten die

93

Zwei Einwände erheben sich. Erstens: Weshalb hören wir, wenn es wirklich unter den rómischen Jungattikern des Jahres 46 Nachahmer des Demosthenes

gibt, an keiner anderen Stelle von ihnen? Demosthenes gegen die Attizisten aus?

Zweitens: Spielt nicht Cicero gerade

Der erste Einwand läßt sich leicht entkräften. Cicero schreibt nicht, um die Nachwelt über den Attizismus seiner Zeit zu informieren. Bei seiner Auseinan-

dersetzung mit den Jungattikern erwähnt er häufig namentlich allein die wichtigsten Gruppen, zu denen die Demosthenesnachahmer in dieser Zeit nicht gehören werden9^. Daß es Verehrer des Hyperides gibt, erfahren wir ebenfalls nur an einer einzigen Stelle ( Cic. Brut. 67 £.).

Gravierender ist der zweite Einwand. Ihm gegenüber ist zu beachten: Nirgends gibt es ein direktes Zeugnis für eine grundsätzliche Ablehnung des Demosthenes durch rómische Jungattiker der ausgehenden Republik. Die Art, in der Cicero Demosthenes gegen die Attici ausspielt, zeigt deutlich, daß er glaubt, mit

einer unbestrittenen und unbestreitbaren Größe zu operieren. Beim Anonymus Cic. opt. gen. 6 lesen wir sogar^: nemo est orator qui Demostheni se similem nolit esse. Man wird diesen Satz nicht auf die Goldwaage legen. Immerhin: Anscheinend weiß der Autor der kleinen Schrift nichts von einer ausgesprochenen Demosthenesfeindlichkeit bei irgendeiner rednerischen Richtung, auch nicht bei den Attizisten. Entkräftet aber ist der Einwand mit dieser Bemerkung noch

nicht. Die Lösung der Schwierigkeit erfordert umfänglichere Darlegungen. Die Zeugnisse Ciceros über Calvus haben wir bisher vernachlässigt. Zwar wird man sich, wie angedeutet, das gelegentlich nachweisbar einseitige Urteil Ciceros?" über seinen Rivalen nicht unbesehen zu eigen machen. Aber an dem Vor-

wurf der exilitas, auf den Ciceros Bemerkungen Brut. 283 hinauslaufen, darf man nicht vorbeigehen. Denn Brutus erkennt Cic. Brut. 284 die ciceronische

Charakteristik als an sich zutreffend an: Atticum se... Calvus noster dici oratorem volebat. inde erat ista exilitas, quam ille de industria consequebatur. Diese exilitas hängt eng mit der Demosthenesimitation des Calvus zusammen.

45

Attici konkret mit dem Einwurf meinen: Wir begreifen (es? ihn?) nicht? Unmóglich: Wir kónnen Demosthenes nicht übersetzen. Unmóglich: Wir haben eine falsche Vorstellung von Demosthenes. Unmöglich: Wir begreifen nicht, welche stilistischen Mittel Demosthenes anwendet. Dazu auch unten 96 f.

46

Daß

die kleine Schrift nicht von Cicero stammt, weist Dihle, Hermes 83, 1955,

303 ff. nach. Vgl. auch bei mir 157 A. 11. Die Einwände von Bickel, RhM 98, 1955, 288; Reiff 39 A. 47; Stark, RhM 107, 1964, 58 A.5 überzeugen nicht. 47

Gerade

die actio des Calvus war auffällig, aber eben auch eindrucksvoll

Cicero

pflegt im Brutus auf Besonderheiten im Vortrag der behandelten Redner durchaus einzugehen, von der actio Macers sagt er aber nichts, vermutlich, weil er dann

hätte zugeben müssen, daß sein Rivale damit seine Wirkung auf die Zuhörer durchaus nicht verfehlte. Auch etwa von den Erfolgen, die Calvus doch gehabt haben muß, erfahren wir bei Cicero nichts,

94

Quintilian meint inst. 10,1,106, nachdem er die weitgehende Ähnlichkeit zwischen Cicero und Demosthenes hervorgehoben hat: in eloquendo est aliqua di-

versitas: densior ille, hic copiosior; ille concludit adstrictius, hic latius; pugnat ille acumine semper, hic frequenter et pondere; illic nihil detrahi potest, hic

nihil adici; curae plus in illo, in hoc naturae. In die gleiche Richtung zielt die Synkrisis Cicero — Demosthenes bei Ps. Longin de subl. 12,45. Knappheit

und Dichte wird auch Calvus als besondere und Cicero gerade fehlende Merk-

male demosthenischer Beredsamkeit beurteilt haben”. Wenn er nach Messalla Tac. dial. 25,4 adstrictior ist, seine Reden offenbar überwiegend kurz gewe-

sen sind?9, so sind das sehr wahrscheinlich Folgen seiner anticiceronischen Demosthenesnachahmung. Dementsprechend wird Cicero Plin. epist. 1,2,4 mit seinen λήκυθοι, ausschmückenden Bemerkungen oder Darlegungen, die gleichsam auf einen Seitenweg führen?', von Demosthenes und Calvus abgehoben. Für Cicero wird die Redekunst erst eigentlich durch die copia konstituiert, mit der vis, vehementia, gravitas in seinen Augen eng verbunden sind. Die oratoris vis... divina virtusque besteht Cic. de orat. 2,120 im ornate copiose varieque dicere. Besonders der Vertreter des genus grande zeichnet sich durch copia aus. Er ist Cic. orat. 97 der copiosus, gravis, ornatus, dessen ornatum dicendi et copiam alle bewundern; orat. 99 heißt er einfach: hic ... copiosissimus. Demosthenes als der größte Redner und Beherrscher auch des genus grande (Cic. Brut. 35; orat. 23) muß für Cicero weithin copiosus, ornatus sein. So steht denn Cic. orat. 29: ornate ... et graviter et copiose dicere aut Atticorum sit aut ne sit Aeschines neve Demosthenes Atticus.

Bei Ciceros Hochschätzung der copia ist klar: Der Liebhaber des adstrictum ist für ihn nur zu leicht ein orator exilis. Aber auch etwas anderes ist deutlich: Ciceros Demosthenesbild hat andere Farben als das des Calvus. Dessen Kon-

zeption eines straffen Demosthenes dürfte mit der anderer attizistischer Demo48

Seit langem vermutet man, daß Ps. Longins Quelle hier Kaikilios von Kaleakte sei. Die ältere Literatur bei E. Ofenloch, Caecilii Calactini fragmenta, Leipzig 1907 zu frg. 154; Kroll, Studien 16. Skeptisch H. Mutschmann, Tendenz, Aufbau und Quellen der Schrift über das Erhabene,

Leipzig

1913, 96 f.; D. A. Russell, ,Longi-

nus‘ on the Sublime, Oxford 1964 2. St. Jedenfalls zeigt die Übereinstimmung des Anonymus

und Quintilians in dem Grundgedanken,

daß dieser Grundgedanke

ihnen

bereits vorgegeben war. 49

Ebenso über Demosthenes Quint. inst. 10,1,76: tanta vis in eo, tam densa omnia, ita quibusdam nervis intenta sunt, tam nihil otiosum, is dicendi modus, ut nec

quod desit in eo nec quod redundet invenias. Vgl. auch Quint. inst. 12,10,52. Diese Vorstellung von Demosthenes war offenbar recht verbreitet; Dion. Hal. op. rhet. I 14,9 ff. Us.-Rad.; Philostratos vit, sophist. 1,17,1 p. 20,2 ff. Kayser (ed. min.).

50

Die nimia gen zu der Aper Tac. Deminutiv

religio des Calvus (Cic. Brut. 283; Quint. inst. 10,1,115) paßt im übricura seines wichtigsten Vorbildes. dial. 21,1: Calvus. . . vix in una et altera oratiuncula satis facit. Das nicht verüchtlich, wie Gudeman z. St. will: Es geht gerade um Reden,

die Aper befriedigen. Vgl. noch Reitzenstein, NGG 51

Zu dem Ausdruck

λήκυϑοι auch Quadlbauer, WS

1914, 215 A. 3. 71, 1958, 71 A. 134.

95

sthenesnachahmer so ziemlich übereinstimmen. Daher kann Cicero Brut. 289 den Vorwurf erheben, die Jungattiker gingen mit der Art ihrer Demosthenesimitation in die Irre; daher kann er in dieser Polemik äußern: quare si anguste et exiliter dicere est Atticorum,

sint sane Attici”.

Um zu der Einrede, von der wir ausgegangen sind, zurückzukehren: Cicero kann durchaus zu einer Zeit, zu der es attizistische Demostheniker gibt, die

Jungattiker auf das Vorbild des Demosthenes verweisen. Er meint ja einen Demosthenes, der durchaus nicht im wesentlichen durch densitas ausgezeichnet ist.

Bei dieser Erwägung ist noch nicht berücksichtigt, daß die Aufforderung, Demosthenes zu bewundern, sich erst Cic. orat. 23 f. findet??. Zum Zeitpunkt der Äußerung können die Demosthenesimitatoren unter den Jungattikern gegenüber der Abfassungszeit

des Brutus an Boden verloren haben; sie kónnen

auch schon

ganz von einer anderen Richtung verdrängt sein. Die Gründe: 52

Zur Demosthenesnachahmung des Calvus paßt, wie man sieht, auch, daß Cicero fam. 15,21,4 bei dem Attizisten das Fehlen der vis konstatiert. Ergänzend dazu noch folgendes: Cicero hebt orat. 130 in der Darstellung des vehemens . . . incr tatum, quo causae eripiuntur (orat. 128) seine eigenen Leistungen in der misera tio hervor. Demosthenes übt, wie Quintilian inst. 10,1,107 feststellt, im Gebrauch

dieses Redemittels größere Zurückhaltung als Cicero: salibus certe et commiseratione, quae duo plurimum in adfectibus valent, vincimus, Calvus hat auf die Erregung von Affekten nicht verzichtet. Aber in den miserationes dürfte er sich doch, Demosthenes folgend, stárkere Reserve auferlegt haben als Cicero; dasselbe ist von

den übrigen attizistischen Demosthenesimitatoren anzunehmen. Vgl in dem Zusammenhang auch Quint. inst. 12,10,26.

Cicero wird auch in dieser Zurückhaltung

einen Mangel an vis gesehen haben. — Weshalb sagt aber Cicero selbst nie etwas von der Demosthenesnachahmung Macers? Calvus paßt mit seiner Demostheneskonzeption,

die Ciceros Vorstellungen

fernsteht, aber erfolgreich ist, sehr schlecht

in die ciceronische Stilauffassung. Cicero zieht es vor, den heiklen Punkt mit schweigen zu übergehen — ein argumentatorischer Kunstgriff, den er de orat. selbst für derartige Situationen empfiehlt. Auf derselben Linie liegt es, wenn über manches andere Moment der Beredsamkeit des Calvus schweigt. Vgl. 94

Still2,294 er A. 47.

Auf derselben Linie liegt es auch, wenn Cicero überhaupt seinen Konkurrenten

um

den principatus eloquentiae merkwürdig knapp behandelt. Ganz anders den Calidius Brut. 274 ff. Er pabt eben ausgezeichnet in Ciceros Konzeption. Auf die Demosthenesnachahmung der Attizisten nach Calvus kann Cicero unbesorgt eingehen. Sie sind, im Gegensatz zu Calvus, sehr wenig eindrucksvoll; die Verkehrtheit ihres Demosthenesbildes läßt sich leicht verdeutlichen. 53

Ob und in welcher Weise Ciceros Bemerkung

Brut. 66, Demosthenes habe der An-

erkennung des Lysias im Wege gestanden wie der Catos die exaggerata altius oratio der Gegenwart,

in unmittelbarem Zusammenhang

mit der Attizistenkontroverse

steht, ist ungewiß. Schwerlich wird man der Äußerung ein Argument gegen die dargelegte Vermutung entnehmen können. Daß übrigens Cicero Brut. 61ff. von der attizistischen Demosthenesnachahmung schweigt, hat nichts Verwunderliches: Es ging natürlich nicht an, den Censorius neben Demosthenes zu stellen. Auch hätte

Cicero bei einer Parallelisierung Demosthenes-Cato die Vernachlässigung Catos nicht mehr als einen spezifisch den Attizisten anzulastenden Fehler hinstellen kónnen. Dazu 182.

96

Der hochbegabte Calvus war kein Doktrinár gewesen. Er hatte die ornamenta dicendi durchaus nicht verschmäht, obschon seine Redeweise straffer als die ciceronische gewesen war. Seine fraglos weniger begabten und weniger geschul-

ten Nachfolger in der Demosthenesnachahmung mochten in betonter Abwehr asianischen Schwulstes noch mehr Gewicht auf Schlichtheit und Knappheit gelegt haben. Ihre Redepraxis ist vielleicht von der der Lysianer wenig oder gar nicht unterschieden gewesen. Die Lysianer aber hatten ihnen gegenüber noch den Vorzug, als Vorbild den entschiedensten Vertreter der subtilitas gewählt zu haben. Wenn Cicero im Orator als einzige attizistische Nachahmer attischer Beredsamkeit die Lysiasanhänger erwähnt, so ist gut denkbar, daß die auch im

Hinblick auf das Vorbild radikalste Gruppe die in der Praxis ihr sehr naheste-

henden Gruppen weitgehend oder ganz aufgesogen hat ἢ. Wie es aber auch mit dieser Entwicklungshypothese bestellt sein mag: die Existenz von jungattischen Demosthenesnachahmern ist mit der Rolle, die Demosthenes in der ciceronischen Polemik spielt, zu vereinen 5*. Calvus und die Lysiasnachahmer sind also nicht Vertreter derselben stilistischen Richtung. Das muß bei der Erörterung möglicher archaistischer Neigungen dieser Redner berücksichtigt werden. Überhaupt hat die Untersuchung bei der offensichtlichen Mannigfaltigkeit der attizistischen Bestrebungen möglichst differenziert und umfassend zu sein.

b) Archaisieren bei Calvus, Brutus oder anderen Jungattikern? Wir beginnen mit Calvus. Daß er sich an die ältere römische

Eloquenz ange-

schlossen hat, geht, so hat man gemeint, aus Tac. dial. 18,1 hervor“δ. Diese wie die anderen zu behandelnden Dialogusstellen entstammen der zweiten Rede Apers, des Verteidigers der modernen und Gegners der klassischen Beredsamkeit. Aper beginnt seine Darlegungen mit einer Kritik des Begriffes der antiqui, den die Bewunderer der Alten verwenden: Bei den Griechen verstehe man darunter Demosthenes und Hyperides; das sei unberechtigt, da Demosthenes noch demselben Monat des Weltjahres angehóre wie der Sprecher und seine Zeitgenossen. Bei den Rómern stellten Cicero und die Rómer seiner Zeit antiqui dar; das sei eine unangemessene Art des Ausdrucks, da diese Redner kaum eine Generation von der Gegenwart getrennt seien (dial. 16,4 ff.). Die 54

Auch von Hyperides als Vorbild attizistischer Beredsamkeit

wird im Orator nichts

mehr erwähnt: Möglich, daß er gleichfalls der Konkurrenz des noch eindeutiger schlichten Lysias erlegen ist. Daß die Attici zur Zeit Quintilians sich auf die Imitation des

55

letzteren beschränken und auch Hyperides als Muster verschmähen, scheint aus Quint. inst. 12,10,21 f. hervorzugehen. Im Hinblick auf Calvus ist das ohne weiteres klar. Calvus ist zu der Zeit, in der CH

56

cero Demosthenes gegen die Jungattiker ins Spiel bringt, ja bereits tot. ἴῃ dem angedeuteten Sinne ausgelegt von Norden, Kp. 259; skeptisch Gudemann z.St.

97

Polemik Apers gegen den Begriff der antiqui zielt an der eigentlichen Proble-

matik der von Messalla dial. 15,2 f. aufgeworfenen Frage vorbei?". Der Versuch, die griechischen Klassiker noch für die Gegenwart zu beanspruchen, trágt vollends spielerischen Charakter. Die Intention der Aperrede und ihre schon in den ersten Sátzen zutagetreten-

de Rabulistik verbieten es, Behauptungen dieser Dialogfigur unbesehen als histo-

risch anzunehmen. Es wird gut sein, die Eigentümlichkeit von Apers Ausführungen nicht aus dem Auge zu verlieren.

Aper fährt nach den skizzierten Bemerkungen dial. 18,1 fort: haec ideo praedixi, ut si qua ex horum oratorum fama gloriaque laus temporibus acquiritur, eam docerem in medio sitam et propiorem nobis quam Servio Galbae aut C. Carboni quosque alios merito antiquos vocaverimus; sunt enim horridi et impoliti

et rudes et informes et quos utinam nulla parte imitatus esset Calvus vester aut Caelius aut ipse Cicero.

Cicero ist gewiß nicht als Nachahmer der Alten” zu kennzeichnen °°. Das stimmt mißtrauisch gegen die Andeutung Apers, auch, soweit sie sich auf Calvus bezieht?!. Ein genaueres Hinsehen erweist dieses Mißtrauen als gerechtfertigt. Erstens: Aper nennt als wahre antiqui namentlich Ser. Galba und C. Carbo;

doch gerade um diese Redner kümmerte sich spätestens im Jahre 55 a. Chr., wahrscheinlich aber bereits viel früher, niemand mehr‘?. Von den bei Tacitus erwähnten drei Klassikern hat sie also gewiß keiner nachgeahmt, schon gar nicht 57 58

Messalla tut denn auch dial. 25,1, f. die nominis controversia als belanglos ab. Aufschlußreich auch die Reaktion des Maternus dial. 24,2, f., der die ganzen Aus-

führungen Apers als unernst beiseite schiebt. Gudeman weist mehrfach auf Verfälschungen und Verdrehungen Apers hin (zusammenfassend 69). Aber an den zu besprechenden Stellen läßt er außer Acht, daß nicht Tacitus spricht, sondern der taciteische Aper. Die Ausführungen Gudemans zu unserem Problem befriedigen daher nicht. Wenig

59

förderlich auch Michel

Vielleicht richtig hält Michel Tac.

dial

18,4

das überlieferte antiquus, Vgl. bei mir 107 A. 85. Mit imitari kann eine bewußte Nachahmung oder eine unbewußte Ähnlichkeit bezeichnet werden. Die zweite Deutung empfiehlt für diese Stelle Marache 24. Aber in einem

Zusammenhang,

in dem es urn Dinge der Literaturkritik geht, ist die er-

ste Deutung die natürliche. Vgl. Thes. VII 433, 65 ff.; auch 430,61 ff. Richtig ΜῈ chel z. St. Der hinter Apers Bemerkung

stehende Vorstellungskreis ist die toposar-

tige Verbindung von vitium und imitari. Dazu Reiff 62 A. 96. Im übrigen zu Caelius 132 ff. Gelegentlich wird er für einen Attizisten gehalten, grundlos Dazu etwa Kroll, Einleitung Orator

11 A.

1; Voit

114; Douglas, CQ

48, 1955,

245. Ein etwa-

iges Archaisieren des Caelius würde also für die Jungattiker nichts besagen. So schon Marache 24. 60

Seneca Gell. 12,2,6 ff. findet Ennianismen

in De re publica. Derartige Anspielungen

auf den größten Dichter Roms in der staatsphilosophischen Schrift stehen auf einem anderen Blatt als ein etwaiger Anschluß des Redners Cicero an ältere römische Beredsamkeit. Vgl. 60 f., 80f.

61

Ähnlich Marache 24.

62

Vgl. bei mir 68.

98

Calvus; Cicero kónnte

sonst die beiden

archaischen Autoren

de orat. 2,9 nicht

als so gut wie vergessen hinstellen: Calvus steht gerade in dieser Zeit im Zenit seines Kónnens. Aper nennt nicht nur keine bestimmten archaischen Vorbilder des Calvus, sondern er erwáhnt namentlich gerade die zwei Redner, an die sich Calvus ganz gewif nicht gehalten hat. Wenn tatsáchlich etwas von der

Nachahmung bestimmter antiqui bei dem Jungattiker oder den anderen genannten klassischen Rednern bekannt wäre, wären die Namen der archaischen Exemplaria zu erwarten, durch deren Nennung die Verbindung klassischer Beredsam-

keit mit archaischer Roheit sinnfällig würde. Tacitus-Aper weiß also jedenfalls nichts Genaues über eine Imitation archaischer Autoren bei Calvus. Zweitens: dial. 21,1 f. hebt Aper die unterschiedliche Qualität der Reden Macers hervor, von denen ihn kaum eine zufriedenstelle; die Vatinianae, besonders die zweite, seien freilich hervorragend ‚ut scias ipsum quoque Calvum intellexisse quid melius esset, nec voluntatem ei, quo (minus sublimius et cultius diceret, sed ingenium ac vires defuisse. Gesetzt, von Aper als vitia eingeschátzte Eigenarten der Eloquenz des Attizisten beruhten tatsächlich wenigstens zum Teil auf einer wirklichen und bewußten Nachahmung archaischer Beredsamkeit: dann, sollte man denken, würde Aper die Mangelhaftigkeit der meisten Reden

dieses Klassikers mit der imitatio antiquorum erklären. In Wirklichkeit wird bei der gesonderten Erörterung der Reden Macers vpn einer Nachahmung archaischer Autoren überhaupt nicht mehr gesprochen. Im Gegenteil: Aus der Praxis des Attizisten wird sogar geschlossen, daß es ihm an der rechten Ein-

sicht und dem rechten Willen keineswegs gefehlt habe. Diese Folgerung könnte Tacitus Aper nicht gut in den Mund legen, wenn bekannt wäre, daß Calvus sich um eine Imitation der antiqui bemüht hat.

Drittens: In die gleiche Richtung deutet die Replik Messallas dial. 25,7: quod

ad Servium Galbam et C. Laelium 55 attinet, et si quos alios antiquiorum agitare non destitit, non exigit defensorem, cum fatear quaedam eloquentiae eorum ut nascenti adhuc nec satis adultae defuisse. Messalla gibt ohne weiteres zu, dafs die archaische Beredsamkeit durchaus ihre Mängel gehabt habe. Auf die Äußerung, in der eine Nachahmung gerade solcher Mängel den klassischen Rednern unterstellt wurde, geht er mit keinem Wort ein. Wenn wirklich eine Nach-

ahmung älterer Redner durch Calvus, Caelius, Cicero bekannt wäre, müßte Messalla zu zeigen versuchen, entweder, daß die archaischen Redner bereits einen hohen Grad stilistischer Vollendung erreicht hätten, oder jedenfalls, daß die Klassiker lediglich die bona archaischer Beredsamkeit nachahmten. Offenbar ist die Andeutung Apers nicht ernst zu nehmen; Tacitus braucht daher Messalla eine Antwort auf sie nicht in den Mund zu legen. Daß Calvus gar den alten Cato nachgeahmt hat, ist ganz unwahrscheinlich. Gegen Ende des Brutus wendet sich Atticus gegen die hohe Einschätzung des Pro63

Die Ungenauigkeit ist beabsichtigt. Der Charakter eines improvisierten Gesprächs soll gewahrt bleiben. Gudeman zu dial. 18,1.

99

saikers Cato durch Cicero: Origines ... cum omnibus oratoris laudibus refer-

tas diceres et Catonem cum Philisto et Thucydide comparares, Brutone te id censebas an mihi probaturum? (Brut. 294) Gerade auch Brutus muf also das Lob, das Cicero den Origines des Censorius hat zuteilwerden lassen, befremden. Dasselbe gilt zweifellos für das Lob der catonischen Reden, die Brutus bei seiner Vernachlässigung älterer römischer Beredsamkeit^* gewiß einer Lektüre noch

nicht für wert befunden hatte; schwerlich würde Cicero, wenn sein jüngerer Freund mit den Reden des Censorius vertraut wäre oder sie besonders schätzte, das hervorzuheben unterlassen. Die geringe Meinung, die Brutus von der stilistischen Leistung Catos hat, wäre nicht verständlich, wenn Calvus, zu dem er in einem engen freundschaftlichen Verhältnis stand 5, und dessen stilistische Anschauungen er wohl größtenteils billigte, jedenfalls aber vollständig kannte,

ein großer Verehrer Catos gewesen wäre°®. Überhaupt läßt die Tatsache, daß Cicero ganz offensichtlich das Interesse des Brutus an der älteren römischen Be-

redsamkeit geweckt zu haben beansprucht, die Folgerung zu, daß Calvus den Brutus nicht auf die römischen antiqui aufmerksam gemacht hat; das paßt nicht zu der Annahme, Calvus sei ein Imitator archaischer Redner. Genug: Es ist

ausgeschlossen, daß der bedeutendste Jungattiker die Vorbilder seiner Eloquenz in älteren römischen Rednern gefunden hat. Welchen der römischen antiqui hätte er auch seinem hauptsächlichen Vorbild Demosthenes an die Seite stellen kónnen? Daß aus Tac. dial. 18,1 nicht folgt, daß Calvus im Sprachlichen archaisiert, braucht kaum festgestellt zu werden. Wie der gesamte Sinnduktus zeigt, ist bei der Bemerkung Apers an stilistische Altertümlichkeiten der klassischen Redner gedacht. Nicht nur, daß eine affectatio priscorum verborum für Calvus nirgends bezeugt ist: sie lieBe sich auch nicht mit dem von Cicero anerkannten sicheren Geschmack des Attizisten und der übergroßen Sorgfalt vereinen, die er metuens ... ne vitiosum (sanguinem) colligeret (Brut. 283) seinen Reden an-

gedeihen lief 9/5, 64 65

Dazu 68f. Nachdem Cicero Brut. 283 die Beredsamkeit Macers kritisiert hat, legt er Brutus eine Verteidigung des Attizisten in den Mund, und läßt ihn dabei seine enge per-

66

Wenn Cicero Brut. 65 die mangelnden Catokenntnisse bei den Rednern beklagt qui

sónliche Bindung an Calvus betonen: quidem

Calvus noster (Brut. 284).

nunc sunt, bedeutet das also gewiß nicht, daß der jüngst verstorbene Cal-

vus die Werke des Censorius beachtet hätte. Dazu auch 182 A. 21. 67/8 Aus den spárlichen Redefragmenten sei nur eine Kleinigkeit kurz besprochen, die vielleicht in die Irre führen kónnte. Quintilian überliefert inst. 1,6,42 von Calvus

die zu seiner Zeit offenkundig nicht mehr übliche Form collos (= Calv. or. frg. 165, 35 Maic.). Uns mag collus ungewöhnlich

erscheinen; in Wahrheit

ist das in der Re

publik wohl ein normales Genus des Subst. Als Neutr. ist das Wort erst nachweisbar Catull. 64,38, dann Cic. Brut. tyr 11.

100

313. Vgl. Thes III 1658, 74 ff.; Hofmann-Szan-

Apers irreführende Bemerkungen Tac. dial. 18,1 entspringen offenbar dem Bestreben, die klassische römische Beredsamkeit als noch unzulänglich hinzustellen. Betrachtet müssen sie werden vor dem Hintergrund der stiltheoretischen

Anschauungen, für die Aper im Dialogus steht: Er vertritt die Rhetorenschule

und die durch sie geprägte Redekunst‘”. laetitia und nitor gelten bei dieser Konzeption als die Haupterfordernisse und die Haupterrungenschaften moderner Eloquenz ”°, Die von der Sache bestimmte Beredsamkeit der Klassiker muß da

unzeitgemäß scheinen ". Verständlich, daß man unter solchen Voraussetzungen zu der Behauptung kommen kann, die klassischen Redner hätten die ar-

chaischen Redner nachgeahmt 72, Ebenfalls in Brutus hat man einen Archaisten sehen wollen ?. Grundlos. Es gibt keine Stelle, aus der man irgendwelche archaistischen Tendenzen dieses Attizisten erschließen könnte. Im Gegenteil: Brutus ist in der älteren römischen

Prosa sehr wenig bewandert ”*, wenigstens in stilistischer Hinsicht wird er da kaum Altertümler sein. Doch sind derartige Neigungen bei ihm auch auf sprach-

lichem Gebiete unwahrscheinlich ^. Der nach den Iden des März 44 gehaltenen Rede

des Brutus

rühmt Cicero Att. 15,1 2,2 elegantia nach, die nach Rhet. Her.

4,12,17 durch verba usitata erreicht wird.

Es war also gewiß verkehrt, bei Brutus und Calvus archaistische Tendenzen zu suchen. Dieses Ergebnis gilt aber nicht unbedingt für die übrigen attizistischen Nachahmer attischer Redner. Vier Stellen, so könnte es scheinen, deuten gera69

Vgl die Worte Messallas Tac. dial. 14,4. Der Dialogus schließt mit einem versóhnenden Geplänkel: Maternus. . . Aprum complexus, ego, inquit, te poetis, Messalla autem antiquariis criminabimur. at ego vos rhetoribus et scholasticis, inquit. Hier tritt

umribartig noch einmal die Position jeder Dialogfigur zutage: Wie Maternus die Dichtkunst verteidigt und Messalla die Überlegenheit der klassischen rómischen Beredsamkeit vertreten hat, so Aper

die Vorstellungen

der kaiserzeitlichen Rhetoren-

schule. — rhetores sind hier nicht einfach oratores, wie Gudeman z. St. will. Damit wäre der Unterschied zu den antiquarii verwischt, unter denen sich oratores befinden. Tac. dial

70 71

23,1.

VgL Tac. dial 20,2 f.; 20,5 f.; 21,9; 23,6. Als vitia antiquitatis an Ciceros Frühreden erweisen sich Tac. dial 22,3 die aus führlich-sorgfältige Darlegung und der Mangel an lumina. Vgl. auch 19,2 f.; 20,1 f. Umgekehrt wird in Deklamationen und in der Redekunst, die aus den scholae her-

vorgegangen ist, gleich auf die lenocinia zugesteuert, die Argumentation vernachlässigt. Montanus bei Sen. contr. 9 praef. If.; Quint. inst. 5,12,17£.; 5,12,21. Zu allem noch Norden, Kp. 273ff.; K. Barwick, Der Dialogus de oratoribus des Tac tus, Berlin

72 73 74 75

1954,

9.

Ein anderer für die Deutung von Apers Bemerkungen wichtiger Gesichtspunkt 109. Z.B. Hendrickson 253, der aber Brutus nicht für einen Jungattiker hält; Gelzer, RE X (1919) 974. Dazu 68f. Nach Mar. Victorin. gramm.

VI 9,5 hat Brutus anstelle der Verbform

sumus

simus

geschrieben; er ist also, soweit man urteilen kann, auch in seiner Orthographie at les andere als ein Altertümler. Auch in den Briefen des Brutus weist nichts auf archaistische Neigungen des Autors hin.

101

dezu in andere Richtung: Cic. orat. 168 ff.; Tac. dial. 18,4; 22,1: Quint. inst.

12,10,39. Cic. orat. 168 ff. Die Stelle wird freilich sehr verschieden gedeutet. Nach der

einen Auffassung ergibt sich aus dem Passus, daß Attizisten sich für die Ablehnung des Prosarhythmus auf das Vorbild älterer römischer Prosaikerberufen.Einer anderen Ansicht zufolge sind hier den Jungattikern nicht zuzurechnende Nachahmer archaischer rómischer Prosa gemeint. Nach einer dritten Meinung

geht es in dem Abschnitt um Attizisten, die gerade nicht für Anhänger altla-

teinischer Eloquenz zu halten seien "6. Sicher ist zunächst einmal: Cicero setzt sich in dem Passus mit einer Gruppe von Rednern auseinander, die im Gefolge der antiqui den oratorischen Nume-

rus verschmáhen und die gegenteilige Praxis kritisieren 77, Fraglich aber ist: Wer sind die veteres, die antiqui, von denen dabei die Rede ist? Sind es Griechen? Römer? Oder haben wir es gleichermaßen mit hellenischen wie lateinischen Autoren zu tun? Merkwürdigerweise hat man sich diese Frage, die für das Ver-

ständnis des Abschnittes entscheidend ist, kaum jemals vorgelegt ”® und anscheinend nie mit Gründen beantwortet. Versuchen wir uns also an der Lósung des aufgeworfenen Problems. Schon ein Kapitel vor unserem Abschnitt hatte Cicero von antiqui gesprochen:

hoc genere (numeri oratorii contrariis referendis effecti) antiqui iam ante Isocratem delectabantur et maxime Gorgias (orat. 167). Hier handelt es sich eindeutig allein um griechische antiqui. Wenn Cicero orat. 168 die Kontroverse

über die apta oratio eróffnet, indem er den Opponenten den Einwurf unterstellt: non erat hoc apud antiquos, so liegt immerhin der Gedanke nahe, daß ebenfalls hier griechische antiqui gemeint sind. Die Vermutung wird bestätigt durch eine Äußerung Ciceros orat. 169. Nachdem er die Vorzüge und Mängel der veteres, der antiqui erörtert hat, bemerkt er: post inventa conclusio est, qua credo usuros veteres illos fuisse si iam nota atque usurpata res esset; qua inventa omnis usos magnos oratores videmus. Der

oratorische Numerus ist ein griechisches Heurema. Während Cicero freilich in 76

Die erste Auffassung

71

Knapp 150, vgl. auch S. Jannacone, Studi Gelliani, Milano 1947, 25; die dritte Anschauung bei Desmouliez 184. Marache 27 f. allerdings führt in nicht ganz widerspruchsfreien Darlegungen aus, daß

bei Poirot 93; die zweite bei Guillemin

Cicero lediglich einen móglichen Einwand

91, ähnlich bereits

gegen die rhythmische Prosa fingiere:

,Cicéron ne nous apprend rien sur I’ existence réelle de cette opposition". Man lese aber orat. 169 nominibus veterum gloriantur; orat, 170 isti et ipsi... amputata Joquuntur et eos vituperant, qui apta. . . pronuntiant. Das gloriari, loqui, vituperare setzt ja doch wohl die Existenz einer solchen Richtung voraus. Unter dieser Voraussetzung allein ist es auch sinnvoll, wenn orat. 171 isti imitatores mit ihren Vorbil78

102

dern kontrastiert werden. Kroll z. St. tut es; er entscheidet sich zógernd keit.

für die zuletzt angeführte Móglich-

seinen früheren Schriften der durch den Isokratesschüler Naukrates begründeten Ansicht folgt, Isokrates sei der Erfinder (de orat. 3,173; Brut. 32), modifiziert er diese Anschauung im Orator: Isokrates hat zwar den Prosarhythmus am vollendetsten angewandt, sein Erfinder aber ist Thrasymachos (orat. 174 £.)”. Mit den veteres, die vor der Entdeckung der conclusio geschrieben haben, sind notwendig die von der thrasymacheisch-isokrateischen Errungenschaft noch unberührten griechischen Autoren gemeint, und zwar sie allein. Nun bezieht sich

veteres illos fraglos auf die veteres und antiqui, von denen vorher die Rede ist, und mit deren Namen sich die stilistischen Gegner Ciceros rühmen. Folg-

lich müssen auch unter ihnen ausschließlich alte hellenische Schriftsteller und Redner verstanden werden. Cic. orat. 170 heißt es: hic ... invidiosus numerus nihil adfert aliud nisi ut sit apte verbis comprehensa sententia; quod fit etiam ab antiquis, sed plerumque casu, saepe natura. Das erinnert an die Äußerung,

die Cicero Brut. 33 über die

Vorisokrateer macht: conclusio nulla erat aut si quando erat non apparebat eam dedita opera esse quaesitam, quae forsitan laus sit, verum tamen natura magis casuque non numquam (quam aut ratione aliqua aut ulla observatione fiebat. Ganz ähnlich meint er über Thukydides, Herodot und ihre Zeitgenossen orat. 219: si quae veteres illi, Herodotum dico et Thucydidem totamque eam aetatem, apte numeroseque dixerunt, ea non numero quaesito, sed verborum conlocatione ceciderunt®®. Die nahe Verwandtschaft vor allem von Brut. 33 zu

unserer Oratorstelle legt es nahe, auch an dieser unter den antiqui Griechen zu verstehen. Daß orat. 168-170 einschließlich lediglich hellenische Autoren mit den Alten gemeint sind, indiziert ebenfalls der Schlußsatz, mit dem Cicero orat. 171 von den Griechen zu den Rómern überleitet: et apud Graecos quidem iam anni prope quadringenti sunt cum hoc probatur; nos nuper agnovimus®". Wir kónnen von Cicero praxis und erster Linie

schon an diesem Punkte unserer Überlegungen feststellen: Die hier befehdeten Gegner sind rómische Redner, die sich für ihre Klauselfür die Vermeidung der Periode auf die vorisokrateische Prosa, in wohl auf Thukydides berufen.

Auf die letztere Vermutung führen, abgesehen von der Tatsache, da& Thukydides einer von den veteres vor Isokrates ist, gewisse Parallelen der Polemik unserer Stelle zu der Auseinandersetzung mit den Thucydidii. orat. 169 hebt Cicero hervor, daß das frühe Stadium der Prosa, auf das sich seine Opponenten 79 80 81

Hier greifen wir eine Frucht der Studien, die Cicero nach der Fertigstellung des Brutus für die Darstellung des Numerus im Orator getrieben hat. Vgl. noch orat. 186; alte hellenische Autoren sind sicherlich auch orat, 177 mit den veteres gemeint, Eine ganz ähnlich strukturierte Überleitung von Griechen zu Römern orat. 152: sed Graeci viderint; nobis ne si cupiamus quidem distrahere voces conceditur. Cic. Tusc. 1,74 sed haec et vetera et a Graecis; Cato autem eqs.

Vgl

auch

103

stützen, überwunden sei, ein Gedanke, der auch in der Argumentation gegen die Thukydideer eine Rolle spielt. Wenn Cicero orat. 170 über seine Kritiker bemerkt: ipsi infracta et amputata loquuntur, so ist das derselbe Fehler, den er

den Nachahmern des griechischen Historikers orat.32 vorwirft®?. Die Behauptung schließlich, die Bewunderer der Alten ahmten lediglich die vitia, nicht die bona ihrer Vorbilder nach (orat. 171), findet sich in der Kritik an den

Thukydidesimitatoren in ganz ähnlicher Form 9. Doch wäre die Annahme nicht richtig, die an unserer Stelle bekämpfte Gruppe sei mit den Thucydidii schlechthin identisch: Ihre Vertreter berufen sich auf ei-

ne Mehrzahl alter Schriftsteller. Cicero werden hier mehrere attizistische Sekten

vorschweben **, orat. 171, nach dem bereits zitierten Überleitungssatz, spricht Cicero nun unzweifelhaft von den rómischen antiqui. Das ergibt sich, von der Überleitung abgesehen, schon aus der Parallele, die der Schriftsteller zwischen dem durch

seine Klauselpraxis in der Beredsamkeit erzielten Fortschritt und der Neuerung des ennianischen hexametrischen Epos zieht. Ganz deutlich wird es durch die Bemerkung Ciceros, er behaupte nicht, den Anfang mit der apta conclusio ge-

macht zu haben: legi enim audivique non nullos, quorum prope modum absolute concluderetur oratio. Die non nulli gehören zu den soeben erwähnten antiqui, die danach Römer sein müssen; denn die griechischen ἀρχαΐοι konnte Ci-

cero selbstverständlich nicht mehr hören. Die Beantwortung der Frage, was es mit den ciceronischen Bemerkungen über die rómischen Alten auf sich hat, wollen wir noch ein wenig aufschieben. Hingewiesen sei jedoch darauf, daß der zuletzt angeführte Satz ein weiteres Indiz dafür bietet, daß es bis orat. 171 tatsächlich nur um die griechischen veteres geht: Am Ende von orat. 170 hatte der Autor bemerkt, die antiqui brächten 82

Auch Radermacher

269 glaubt, es müsse sich orat.

170 vor allem um Thucydidii han-

deln; der Hinweis auf orat. 40: Thucydides . . . praefractior nec satis ... rotundus, ist allerdings nicht geeignet, diese Anschauung zu bestätigen, da der in den Hss. über-

lieferte Name an dieser Stelle kaum richtig ist. Theodectes hat die Nebenüberlieferung Non

83

p. 60,12.

orat. 32;235. Diese beiden Vorwürfe — das mutila loqui und die Übernahme allein der Mängel — finden sich noch nicht in der Auseinandersetzung mit den Thucydidii im Brutus. Die erste Replik bietet sich bei einem Angriff auf die apta conclusio geradezu an. Vermutlich hatten sich also die Thucydidii, bevor der Brutus erschienen

war, allenfalls in gemäßigter Form gegen Ciceros Klauselpraxis gewandt, danach aber ihre Polemik erheblich verschärft. Damit wäre auch erklärt, weshalb Ciceros Ton gegenüber diesen Gegnern orat. 30ff. überhaupt erheblich schroffer ist (imperiti; perversitas; sie sprechen quae vel sine magistro facere potuerunt) als Brut. 287 f. 84

Welche attizistische Gruppe

sonst gemeint sein könnte, ist schwer zu sagen, Passen

würden Ciceros Vorwürfe ungefáhr auch auf Nachahmer phon. Daß Attizisten vor Quintilian die Tendenz hatten, ner zum Vorbild zu nehmen, ergibt sich aus Quint. inst. ist sehr fraglich, ob man diese Äußerung Quintilians mit re 46 a. Chr. in Verbindung bringen darf.

104

des Lysias und des Xenosich besonders alte Red12,10,21; aber natürlich den Verhältnissen im Jah-

ebenfalls eine durch den Numerus apte verbis comprehensa sententia zustande: et quae valde laudantur apud illos, ea fere quia sunt conclusa laudantur. Hätte Cicero mit dieser Bemerkung auch die einheimischen antiqui gemeint, so würde er sich orat. 171, wenige Sätze später, überflüssigerweise wiederholen. Nach dem erórterten Satz fáhrt Cicero fort: quod qui non possunt non est eis satis non contemni: laudari etiam volunt. ego autem illos ipsos laudo idque merito quorum se isti imitatores esse dicunt, etsi in eis aliquid desidero, hos vero minime, qui nihil illorum nisi vitium sequuntur, cum a bonis absint longissime. Damit werden in einer conclusio die gesamten Darlegungen orat. 168-170 kurz zusammengefaßt, bevor mit orat. 172 ein neuer Abschnitt der Argumentation beginnt. Die einzelnen Punkte der Zusammenfassung: Die imitatores sind die Leute, denen der Schriftsteller die Bemerkung in den Mund legt: non erat hoc apud antiquos, die nominibus veterum gloriantur (orat. 168 f.). Ihre Vorbilder hat Cicero in der Auseinandersetzung mit ihnen gelobt, aber zugleich betont, daß den Vorbildern etwas fehle: et verba eligebant et sententias gravis et suavis reperiebant, sed eas aut vinciebant aut explebant parum; und bald darauf: nec ego id, quod deest antiquitati, flagito potius quam laudo, quod est (orat. 168 f.). Die illi ipsi sind dieselben hellenischen veteres wie die orat. 168-170 be handelten. Ist das Dargelegte richtig, so steht in der gesamten Passage kein Wort über die Nachahmung alter rómischer Prosaiker: Auf die Behandlung der archaischen griechischen Schriftsteller und ihrer Bewunderer (orat. 168-171) folgt ein Einschub über die apta conclusio bei den álteren rómischen Autoren und Ciceros Einstellung zu ihnen (orat. 171: nos nuper-concluderetur oratio); schließlich kehrt Cicero mit einer überleitenden Bemerkung zur urspünglichen Polemik zurück und faßt sein Urteil über die alten hellenischen Prosaiker und ihre rómischen Nachahmer prágnant zusammen (orat. 171: quod qui - absint longissime). Dieses Ergebnis läßt sich noch durch folgende Überlegung sichern. Gerade der Brutus Ciceros erweckt den Anschein, daß allgemein ein äußerst geringes Inter-

esse an der älteren Beredsamkeit besteht. Es wäre ungewöhnlich, wenn sich bestimmte Redner auf alte römische Prosaiker — doch wohl dann Redner — beriefen. Zur Entstehungszeit des Orator müßte die Richtung, die offenbar erst nach der Abfassung des Brutus aufgekommen sein könnte, noch jüngsten Datums sein.

Unglaubhaft, daß Cicero über das Unerhörte eines solchen novum imperitorum et inauditum genus geschwiegen hätte. Nun ist noch eine Frage offen geblieben: Was soll der Einschub über die römischen antiqui orat. 171? Die von Cicero befehdeten

Redner meinen, wenn

sie die veteres, die antiqui im

Munde führen, lediglich die ἀρχαῖοι der Heilenen. Aber die lateinischen Wörter sind zweideutig; mit ihnen können ebensogut wie die griechischen auch die römischen Alten bezeichnet werden. Den Doppelsinn der Begriffe macht Cicero sich zunutze, indem er auf die römischen Autoren überspielt. Das Hinüberglei105

ten zu den alten rómischen Schriftstellern ist jedoch, wie gleich zu Beginn von orat. 171 verdeutlicht wird, auch sachlich berechtigt: Da der oratorische Numerus in Rom etwas ganz Neues ist, befinden sich die älteren Lateiner im Hinblick

auf die mangelnde rhythmische Ausgestaltung ihrer Prosa in demselben Stadium wie die rein zeitlich viel weiter entfernten griechischen ἀρχαῖοι. Wenn Cicero

fragt, ob er nicht auf die antiqui herabblicken dürfe, tritt die Unhaltbarkeit der gegnerischen Position zutage: Daß die Anwendung eines neuen Stilmittels wie des Prosarhythmus gegenüber den gering geschätzten römischen Alten einen Fortschritt darstellt, möchte man zugeben; dann aber geht es nicht an, unter Berufung auf die hellenischen antiqui, die sich in diesem Punkte überhaupt nicht von den rómischen veteres unterscheiden, gegen Ciceros Technik zu polemisieren. Hat Cicero das Recht, sich gegenüber den rómischen Alten und ihrer Praxis überlegen zu fühlen, so hat er — und das deutet er an, in dem er einfach von

antiqui, nicht von nostri antiqui spricht — das gleiche Recht hinsichtlich der griechischen Alten und damit ebenfalls ihrer rómischen Nachahmer. Cicero begnügt sich nicht mit diesem Argument. Es sei, so fährt er fort, an seiner Einstellung umso weniger Anstof zu nehmen, als er anders als Ennius gar nicht beanspruche, der Bahnbrecher zu sein; kenne er doch einige alte Autoren, quorum prope modum absolute concluderetur oratio: Die Gegner Ciceros, die die antiqui der Hellenen im Munde führen und sich an sie anschließen, fallen also auf eine Entwicklungsstufe zurück, die von einigen der verachteten rómischen antiqui bereits überwunden war. Es ist vernichtend, wenn Cicero nach dem Hinweis auf den Prosarhythmus bei einigen der rómischen Alten über die

gegnerische Richtung bemerkt: Die Leute, die das nicht kónnen — wohlgemerkt: kónnen — wollen auch noch gelobt werden. Der Einschub ist also ein argumentatorischer Kunstgriff: Die Tendenzen der befehdeten Redner und ihre Schlagworte werden überraschenderweise von der

Entwicklung der lateinischen Kunstprosa her betrachtet. Der Einschub gewinnt seinen rechten Sinn überhaupt erst unter der Voraussetzung, daß die angegriffenen Bewunderer der Vorisokrateer die ältere lateinische Prosa gering schätzen. Tac. dial. 18,4: Aper legt dial. 18,2 unter Anführung einiger Beispiele dar mutari cum temporibus . . . genera dicendi. Er fährt fort: hoc ... probasse contentus sum ... in illis quoque, quos vocatis antiquos, plures species deprehendi, nec statim deterius esse, quod diversum est, vitio autem malignitatis humanae vetera semper in laude, praesentia in fastidio esse. num dubitamus inventos, qui pro Catone Appium Caecum magis mirarentur? satis constat ne Ciceroni quidem obtrectatores defuisse, quibus inflatus et tumens nec satis pressus, sed supra modum exsultans et superfluens et parum antiquus videretur. Darauf folgt ein Skizze der brieflichen Kontroverse zwischen Calvus und Brutus auf der einen Seite und Cicero auf der anderen.

Die Kritik an dem ciceronischen tumor stammt offenbar von Attizisten der ausgehenden Republik. Wenn man sich an Aper hält, wird man für die Jungatti-

106

ker dieser Epoche auch den Vorwurf in Anspruch nehmen, Cicero sei zu wenig altertümlich. Ob dieser Vorwurf in der Bewunderung nur altattischer oder auch altrómischer Beredsamkeit gründen soll, ist aus Apers Bemerkung nicht recht zu ersehen; nach dem Duktus von Apers Argumentation läge die zweite Deutung

vielleicht doch näher. Der Historizität einer derartigen Kritik darf man jedoch skeptisch gegenüberstehen. Erstens: Von Bemerkungen Apers abgesehen, gibt es keinen Hinweis dafür, daß Cicero von Zeitgenossen eine zu weite Entfernung von älterer römischer Eloquenz vorgeworfen wurde. Dabei sind wir gerade über die verschiedenen An-

griffe attizistischer Gruppen sowohl durch Ciceros antiattizistische Schriften als auch durch Quintilian — besonders inst. 12,10,12 ff. — gut informiert. Zweitens: Der Gemeinplatz, das Alte werde geschátzt, das Neue verachtet, ist mit der auf eine unbeweisbare Behauptung hinauslaufenden Frage num dubitamus unzulánglich exemplifiziert worden. Darauf deuten auch die ersten Worte des nächsten Satzes hin, die ihn von dem Vorhergehenden abheben: satis constat. Man erwartet nach dieser Wendung, daß ganz deutliche und sichere Beispiele für die Richtigkeit des Gemeinplatzes angeführt werden. Aber Aper nennt keine bestimmten älteren römischen Redner, die man Cicero vorgezogen hätte. Er läßt überdies merkwürdig im Unbestimmten, ob der Vorwurf mangelnder Altertümlichkeit auf der Bewunderung altrömischer oder altattischer Redekunst beruht. Tac. dial. 18,5, wo schließlich eine bestimmte Kontroverse verhältnismäßig breit dargestellt wird, ist von einem solchen Vorwurf überhaupt nicht mehr die Rede. Hier geht es nur noch darum, daß die großen Redner gegenseitig einander kritisieren; einen anderen Gedanken findet auch’ Messalla Tac. dial. 25,5 nicht in diesem Passus. Die Eigentümlichkeit von Apers Argumentation indiziert: Aper — und damit wohl auch Tacitus — kann nichts Handgreifliches für die These vorbringen, man habe Cicero römische antiqui entgegengehalten. Der taciteische Aper scheint sich an dieser Stelle ähnlich wie Cicero orat. 171 die Zweideutigkeit des Begriffes antiquus zunutze zu machen: parum antiquus braucht nicht mehr zu bedeuten als parum Atticus, zu wenig altattischer Beredsamkeit entsprechend. Doch legt der Ausdruck auch die historisch falsche Vorstellung nahe, man habe Cicero auf die Vorbildlichkeit rómischer antiqui

hingewiesen. Eine wohl intendierte Insinuation ®®. 85

Man könnte sich das antiquus in Apers Mund

als die zu des

wohl auch anders erklären; aber nicht

Anspielung auf Cic. orat. 168ff.: Da wäre an der Dialogusstelle ein Hinweis auf Kritik nicht am ciceronischen tumor, sondern an der ciceronischen Klauselpraxis erwarten. Im übrigen ist nicht undenkbar, daß die häufig akzeptierte Konjektur Ursinus Atticus statt des überlieferten antiquus das Richtige trifft. Zwingend

ist die Vermutung

aber nicht —

trotz Güngerich, Gnomon

23, 1951, 47 f. (ebenso

Gnomon 37, 1965, 172), dessen Argumentation der Eigentümlichkeit der Aperrede im allgemeinen wie auch der Intention von Apers Ausführungen an der vorliegenden Stelle nicht Rechnung trágt. Ein Verdacht: Der Kenner der Literatur-

107

Tac. dial. 22,1 f. Aper spricht: ad Ciceronem venio, cui eadem pugna cum aequalibus suis fuit, quae mihi vobiscum est. illi enim antiquos mirabantur, ipse su-

orum temporum eloquentiam anteponebat. nec ulla re magis eiusdem aetatis oratores praecurrit quam iudicio, primus enim excoluit orationem, primus et

verbis delectum adhibuit et compositioni artem eqs. Aper will unter den antiqui dieser Ausführungen zumindest auch, wenn nicht ausschließlich, römische antiqui verstanden wissen: Cicero hat denselben Kampf auszufechten gehabt wie Aper. So hat man denn aus dem Passus teils gefolgert,

daß Jungattiker sich auf altrómische Eloquenz berufen hätten; teils hat man ihm entnommen, daß allgemein unter den Zeitgenossen Ciceros die Bewunderung

älterer römischer Beredsamkeit einigermaßen verbreitet gewesen sei”. Keine der beiden Ansichten ist wahrscheinlich.

Gesetzt, Aper deute auf die Attizistenkontroverse hin: Cicero hat nicht durchweg gegenüber den Jungattikern, die sich auf die alte attische Prosa beriefen, die Eloquenz der Gegenwart ausgespielt; jedenfalls in der Theorie erkennt er die Vorbildlichkeit altattischer Redner, obzwar mit Abstufungen, durchaus an oder betont sie sogar. Aper gäbe also die Position Ciceros verzerrt wieder?" Mit aequales sui würde die zeitlich und personell begrenzte attizistische Richtung sehr unscharf bezeichnet; die Wendung kann durchaus den Eindruck hervorrufen, daf es sich um Ciceros Zeitgenossen im allgemeinen handelt. Die verdrehende oder irreführende Darstellungsweise Apers gäbe der Möglichkeit Raum: Die in der Formulierung eadem pugna beschlossene Andeutung, die Attizisten hátten rómische antiqui hochgeschátzt, entstellt den historischen Sachverhalt. Nach dem, was zu Tac. dial. 18,4 bemerkt worden ist, wáre mit dem Aufgreifen dieser Möglichkeit die vorliegende Äußerung Apers am besten gedeutet. Doch ist recht unwahrscheinlich, daß Tacitus Aper hier auf Ciceros Auseinandersetzung mit den Jungattikern anspielen läßt. Die pugna, wie sie beschrieben wird, stimmt in mehreren Hinsichten nicht genau mit der Attizistenkontroverse überein. Sollte der taciteische Aper diese Kontroverse in irreführender Form darstellen, so wäre doch ein in entsprechender Richtung zielender Hinweis des

Autors zu erwarten, der es dem Leser ermóglichte, die Verdrehungskünste dieser Dialogfigur zu durchschauen. Nichts davon. Aper will also wohl nichts anderes sagen als: „Ciceros Zeitgenossen waren allgemein Bewunderer der nationalen ülteren Beredsamkeit. Anders Cicero." Dementsprechend wird Cicero in den

folgenden Ausführungen Apers als erster Vertreter und Bahnbrecher der mogeschichte erwartet Atticus statt antiquus; der ähnliche Klang der Adj. legt es besonders nahe, an Atticus zu denken. Will Tacitus dem

Leser die Insinuation

Apers so durchschaubar machen? 86

Die erste Auffassung bei Norden, Kp.

87

Traité 180. Daß bei der Bemerkung Apers spezifisch an Cic. orat. 168 ff. gedacht ist, wird durch nichts indiziert.

108

259; die zweite

bei Knapp

150; Marouzeau,

dernen Beredsamkeit geschildert, der sich mit seinem iudicium über die Redner seiner Zeit weit erhoben habe; sie sind — so soll man vermutlich denken — infolge ihrer traditionellen Hochschátzung der antiqui auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehen geblieben. Wenn Aper den Zeitgenossen Ciceros allgemein Bewunderung für ältere rómische Beredsamkeit zuschreibt, so kann es sich dabei nur um eine ganz will-

kürliche Behauptung handeln. Erstens: Lágen Tacitus-Aper wirklich entsprechende Nachrichten vor, dann würde Tac. dial. 18,4 der Gedanke kaum auf die Attizistenkontroverse hin umge-

bogen 95. Zweitens: Die Betrachtung der grammatischen wie der außergrammatischen

Literatur ciceronischer Zeit lehrt eindeutig: Die ältere Beredsamkeit wird sehr geringgeschätzt.

Aper hatte dial. 18,4 aus der Einsicht in die menschliche malignitas, die stets nur das Alte, nie das Neue und Gegenwärtige anerkenne, eine bestimmte hi-

storische Sachlage in grauer Vorzeit erschlossen. Das gleiche Axiom °? dürfte hinter seiner verkehrten Äußerung über die literargeschichtliche Situation cice-

ronischer Zeit stehen ?9. Die Entstellungen der historischen Wahrheit in der zweiten Aperrede?!, die zu-

gleich advokatorisch-geschickten und fadenscheinigen Argumente, mit denen hier die moderne Eloquenz vertreten und die klassische Beredsamkeit angegriffen wird, enthüllen die Unhaltbarkeit von Apers Position. Eine Sache, die auf eine solche Weise verteidigt werden muß, ist verloren. Das ist der Eindruck, den Tacitus bei dem sachkundigen Leser seiner Zeit hervorrufen wollte. Quint. inst. 12,10,39: non Scipio, Laelius, Cato in loquendo velut Attici Romanorum fuerunt? Die Frage ist, so könnte es scheinen, ein Indiz dafür, daß die genannten Altrómer für rómische Jungattiker als Vorbilder neben attische Au88

Weshalb legt Tacitus dem Aper die zur Rede stehende Äußerung dial 22,1 aber nichts bereits dial. 18,4 in den Mund? Brüchte Aper diese Bemerkung nach der Vermutung, zur Zeit des alten Cato sei App. Caecus dem Censorius von manchen

vorgezogen worden, so folgte auf eine unbeweisbare Annahme eine evident falsche Behauptung: Eine ungeschickte Häufung deutlicher Argumentationsschwä89 90

chen. Es findet sich in mannigfaltigen Variationen allenthalben. Besonders deutlich Demosthenes 18,317. Anderes bei Gudeman 288; Kroll, Studien 125 A. 19. Vergleichbar Mart. 5,10. Die invidiae mores, aufgrund deren die Alten immer den

Modernen vorgezogen würden, werden an Vergil, Homer, Menander, Ovid exemplifiziert. Um die Historizität des Gesagten kümmert sich der Dichter nicht. 91

Übrigens dürfte auch die Tac. dial 22,2f. für den Redner Cicero behauptete Entwicklung eine bloße Konstruktion sein. Diese Konstruktion dient dem Beweis, daß der Klassiker auf die Beredsamkeit der Gegenwart hinsteuerte, und gibt zu-

dem Gelegenheit, die angeblichen vitia antiquitatis an der vor den Altersreden liegenden Beredsamkeit Ciceros zu tadeln.

109

toren getreten sind 52, Indessen belehrt der Satz, wie er dasteht, nur über die Auffassung Quintilians. Auf republikanisch-attizistische Anschauungen kónnte die Frage erst bezogen werden, nachdem gesichert wäre, daß diese Attizisten Scipio, Laelius, Cato bewunderten. Jede der erwogenen literarhistorischen Folgerungen aus dem zitierten Satz wird man sich aber versagen, wenn man ihn als Interpolation erkannt hat. Quintilian setzt sich inst. 12,10,27-39 mit den römischen Attizisten auseinander, die nur die tenuitas gelten lassen würden. Er beginnt seine Argumentation mit folgenden Bemerkungen: in hac tamen opinione perseverantis Graecos magis tulerim. Latina mihi facundia ut inventione, dispositione, consilio, ceteris huius generis artibus similis Graecae ac prosus discipula eius videtur, ita circa rationem eloquendi vix habere imitationis Jocum. Die Gründe dafür: Das Griechische klingt viel angenehmer (inst. 12,10,27-33) und, was noch wichtiger ist,

dem Latein fehlt der griechische Reichtum an verba propria (inst. 12,10,34)?*. Quint. inst. 12,10,35 f. wird aus der Unterschiedlichkeit der beiden Sprachen gefolgert: quare qui a Latinis exiget illam gratiam sermonis Attici, det mihi in loquendo eandem iucunditatem et parem copiam. quod si negatum est, sententias aptabimus iis vocibus, quas habemus . . .; nam quo minus adiuvat sermo, rerum inventione pugnandum est. sensus sublimes variique eruantur, permoven-

di omnes adfectus erunt eqs. Zu der Eigentümlichkeit der lateinischen Sprache paßt also eine Art der Beredsamkeit, die dem genus grave zuzurechnen wäre. Die Argumentation Quintilians ist auf den Gedanken gebaut, infolge der grundlegenden Verschiedenheit des griechischen und des lateinischen sermo kónne es

für den Rómer attische tenuitas in der elocutio praktisch nicht geben. Diese prinzipielle Auffassung muß auch den Abschnitt, in dem Quintilian von der rómischen Verwirklichung der tenuitas spricht, beherrschen; in der Tat unterstreicht Quintilian in dem Passus den Grundgedanken aufs neue. Quint. inst.

12,10,38 ff.: neque enim, si tenuiora haec ac pressiora Graeci melius in eoque vincimur solo et ideo in comoediis non contendimus?*, prosus tamen omittenda pars haec orationis, sed exigenda ut optime possumus. possumus autem rerum et modo et iudicio esse similes: verborum gratia quam in ipsis non habemus extrinsecus condienda est. an non in privatiset acutuset in (. . ) distinctus et non super modum elatus M. Tullius? non in M. Calidio insignis haec virtus? non Scipio, Laelius, Cato in loquendo velut Attici Romanorum fuerunt? cui

porro non satis est, quo nihil esse melius potest? 92 93

So deutet Norden, Kp. 259 die Frage. Betonung der copia und venustas griechischer Rede spáter Gell 14,1,32; das Latein steht gegenüber dem Griechischen in der proprietas verborum zurück: Gell 10,22,3.

94

Vgl

Quint.

inst.

10,1,99f. Quintilian findet hier den Unterschied zwischen grie-

chischer und lateinischer Komödie so groß, daß, wie er sagt, mihi sermo ipse Romanus non recipere videatur illam solis concessam Atticis venerem. Dazu auch GelL 2,23.

110

Die Charis muß im römischen genus subtile den Wörtern von außen würzend

hinzugefügt werden”: durch eine dieser Redeweise angemessene Behandlung der res”. Der empfohlenen römischen Verwirklichung des tenue haben sich die folgenden Beispiele einzufügen, zumindest dürfen sie ihr nicht widerspre-

chen. Bei Cicero und Calidius ist die Forderung erfüllt?" Aber Attici in loquendo. Es ist schon nicht recht zu sehen, weshalb in loquendo in einem

Zusammenhang hervorgehoben wird, in dem

es um

die subtilitas

in dicendo geht. Nun soll diese subtilitas überdies rerum et modo et iudicio erreicht werden. Sie kann dann nicht durch Rómer exemplifiziert werden, de-

ren Attikertum wenigstens primär im Sprachlichen, im sermo gründet”. Darüber hinaus ist der Satz über die rómischen Attiker in loquendo überhaupt unvereinbar mit dem Axiom, auf dem Quintilians Argumentation seit inst. 12,10, 95

Das muß der Sinn sein. gratiam condire ist freilich sonderbar. Was die Kommentatoren Spalding und Austin z. St. bemerken,

hilft nicht weiter. Vielleicht erklärt

sich Quintilians Ausdruck am ehesten als Kontamination zweier Vorstellungen: verborum gratia extrinsecus arcessenda est und verba condienda

sunt. Die merk-

würdige Formulierung steht in einer Umgebung, die durch eine leichte Nachlässigkeit der Ausdrucksweise gekennzeichnet ist. VgL die Sparsamkeitsellipse si . ... pressiora Graeci melius. 96

Wenn die verba wie in dem Text den res gegenübergestellt werden, dann dürften sie nicht nur den delectus verborum bezeichnen, sondern überhaupt den ganzen

τόπος λεκτικός im Gegensatz zum τόπος πραγματικός. Ist das richtig, dann kann extrinsecus nicht einen Teil der elocutio meinen. (Man móchte da wohl am ehesten an die compositio denken. Vgl Quint. inst. 9,4,145). Spalding erklärt extrinsecus, unter Hinweis auf Quint. inst. 11,3,182, mit der Bemerkung: „actione potissimum". Gegen diese Deutung spricht aber: Erstens wird in dem ganzen Gedan-

kenkomplex vorher nirgens auf die actio auch den Sinnduktus nicht auf diese Interpretation der an Cicero hervorgehobenen Charakteristika ein Teil von ihnen auf die Behandlung der res.

nur angespielt; der Leser wird durch hingeführt. Zweitens deutet keines positiv auf die actio, zumindest Dazu die folgende A. Austin z. St.

glaubt: „extrinsecus implies the various aids to expression mentioned in ὃ 36“; Unklar oder falsch. Die inst. 12,10,36 empfohlenen rednerischen Mittel führen

zu der nach Quintilians Vorstellung prinzipiell der römischen Sprache angemessenen Beredsamkeit,

97

die durch pondus und copia ausgezeichnet ist; dieselben Mit-

tel kónnen der subtilitas nicht dienlich sein. Die Merkmale der subtilitas des Calidius werden nicht näher genannt. Bei Cicero geht acutus sicher nur auf die Behandlung der res, non super modum clatus nicht sicher darüber hinaus; hiermit kónnte etwa die Vermeidung von sensus sublimes

gemeint sein. distinctus erklärt Austin z. St. als ,,logically precise", gewiß richtig. Zwischen in und distinctus vermutet Radermacher einleuchtend eine Lücke. Was hat in ihr gestanden? distinctus kann auch auf den Stil bezogen werden, und da die reichliche Anwendung der ornamenta bezeichnen. Thes. V 1531, 6lff. Man erwartet, daß Quintilian an unserer Stelle einem derartigen Verständnis des Wor-

tes vorbeugt. Also z. B.: in (disputando? distinctus 98

Es ginge nicht an, für das loqui in der Wendung in loquendo inst. 12,10,39 einen anderen Sinn anzunehmen als inst. 12,10,35 (zitiert 110). Hier meint loqui rein Sprachliches.

111

27 basiert: Der rómische sermo ist von dem griechisch-attischen in wesentlichen Punkten unterschieden, in einem Maße, daß es für die lateinische Beredsamkeit

circa rationem eloquendi kaum eine Móglichkeit der Nachahmung gibt. Die erste der aufgewiesenen Schwierigkeiten wäre beseitigt, wenn man die Änderung in

(eu loquendo akzeptierte””; aber die anderen Schwierigkeiten wären, leicht modifiziert, keineswegs geringer geworden. Die Wendung in loquendo bzw. in (e)lo-

quendo kann nicht quintilianisch sein. Doch auch ohne sie ist der uns interessierende Satz anstößig. Quintilian rechnet die Laelii, Africani, Catones kurz zuvor inst. 12,10,10 zu den genera dicendi

condicione temporum horridiora, alioquin magnam iam ingenii vim prae se ferentia. Sehr den Römer ihnen sogar Schlußsatz

sonderbar, wenn er gerade bei diesen archaischen so schwierige subtilitas (inst. 10,5,2) verwirklicht velut Attici Romanorum sáhe !9. Sehr sonderbar die autoritative Maßgeblichkeit vor allem der drei

Rednern die für glaubte und in auch, wenn in dem archaischen Red-

ner vorausgesetzt würde !9': Das porro indiziert, daß bereits ein Argument vorgetragen worden ist, aufgrund dessen man sich mit der von Quintilian emp-

fohlenen rómischen Verwirklichung des subtile bescheiden müsse. Das Argument ist nicht explizit angeführt. Es ist in der Anführung der rómischen Redner impliziert, die die rómische Form der subtilitas exemplifizieren. Diese bedeutenden Redner haben sich der von Quintilian propagierten rómischen Form der tenuitas bedient; sie muß also auch den Rednern der Gegenwart genügen !”. Bei unseren Überlegungen ist die Móglichkeit aufer Acht gelassen worden, Quintilian kónnte den rómischen Attizisten seiner Zeit Scipio, Laelius, Cato ironisch

als Attici Romanorum in (e)loquendo entgegenhalten. Wer — das etwa wäre dann der Sinn des Satzes — bei der Durchführung des genus tenue das Hauptgewicht auf die Schlichtheit der Sprache lege, falle auf eine längst überwundene 99 100

So wieder Austin z. St. fuerunt könnte nicht bedeuten,

daß Quintilian die rein historische Bedeutung

drei alten Redner für ihre Zeitgenossen oder die unmittelbare

101

der

Nach welt im Auge hat.

Denn dabei bliebe gerade die im Gedankengang entscheidende Frage unbeantwortet, inwieweit es Scipio, Laelius, Cato tatsáchlich gelungen ist, die subtilitas zu realisieren. Zumindest mitschwingen müßte der Gedanke, daß diese drei Redner auch für Quintilian und seine Zeitgenossen Attici Romanorum sind. Quintilian käme damit nicht etwa den Neigungen der zeitgenössischen Attizisten

entgegen. Daß zu dieser Zeit die Bewunderer und Nachahmer der archaischen römischen Beredsamkeit — und nicht anders die der klassischen — eine von den Jungattikern deutlich unterschiedene Gruppe sind, ergibt sich etwa aus Quint. inst. 10,1,43 ff.; 10,2,17. Es wäre sonst auch zu erwarten, daß Quintilian inst. 12,10, 20ff. ein Wort über die attizistische Vorliebe für ältere römische Eloquenz verlöre. In der Sache richtig, wennschon in der Begründung nicht immer glücklich Marache 48 ff. 102

112

Bei dieser Interpretation ist angenommen, daß das quo sich auf die von Quintilian aufgewiesene Möglichkeit römischer subtilitas bezieht. Kaum wahrscheinlich ist, daß es die Beredsamkeit der vorher genannten Römer meint.

Entwicklungsstufe zurück55, Mit dieser Interpretation wären die hervorgehobenen Schwierigkeiten aufgelóst!9^. Aber sie ist nicht akzeptabel. Erstens paßt zu ihr nicht recht, daß mit velut die Behauptung des Attikertums für die drei archaischen Redner abgeschwácht wird. Bei einer solchen ironischen

Gleichung wäre eine uneingeschränkte Gleichsetzung am Platze. Zweitens: Unser Fragesatz steht inmitten von Fragen, die durchaus ernst zu nehmen sind. Da geht es nicht an, ihm eine ironische Bedeutung zu unterlegen. Ein derartiger durch nichts vorbereiteter Wechsel Ernst — Ironie — Ernst ist umso weniger glaubhaft, als Quintilians Darlegungen in dem ganzen Abschnitt

überhaupt durch eine ruhige Argumentationsweise bestimmt sind, nicht durch eine erregte Auseinandersetzung mit den Attizisten. Am besten wird man also den ganzen behandelten Satz athetieren. Er erklärt sich gut als die in den Text geratene Bemerkung eines Bewunderers der archaischen lateinischen Literatur, der gegen Quintilians Auffassung, der rómische sermo sei von dem attisch-griechischen stark unterschieden, protestiert: non Scipio, Laelius, Cato in loquendo velut Attici Romanorum fuerunt 5?

Bisher haben sich keinerlei Indizien für irgendwelche archaistischen Bestrebungen unter den republikanischen attizistischen Anhängern attischer Eloquenz gefunden. Daß die Lysianer und Hyperideer im Jahre 46 den alten Cato ganz gewiß nicht nachahmen, geht, wie làngst bemerkt, aus Cic. Brut. 64 ff. klar hervor. Brut. 68 legt ihnen Cicero nach seinem Hinweis auf den Censorius den Einwand in den Mund: antiquior est huius sermo et quaedam horridiora verba. Er erwartet somit, daf die angesprochenen Jungattiker nicht zuletzt an dem jetzt altertümlichen Sprachgebrauch Catos Anstoß nehmen. Mit den als ornamenta dicendi zu verwendenden antiquierten Wórtern geht ferner gerade der tenuis orator sparsam um (Cic. orat. 81). Die Lysianer und Hyperideer entsprechen zweifel-

los dieser Vorschrift; denn eine priscorum verborum affectatio hätte Cicero nicht schweigend übergangen. Überhaupt wird man bei den Attizisten Liebhaber von Archaismen zuletzt su-

chen. Über die Athener sagt Cicero im Zusammenhang mit der Charakteristik der attischen Beredsamkeit: eorum religioni cum serviret orator bum insolens, nullum odiosum ponere audebat (orat. 25). Diese darf man umso mehr für das tatsächliche Regulativ jungattischer halten, als Cicero bei den Attici seiner Zeit kein Abweichen von schen Einstellung notiert. 103

nullum verAuffassung Redepraxis der echt atti-

Annähernd so faßt Marache 51 den Satz auf. Marache hat freilich dabei nicht den Zusammenhang,

in dem

die Frage steht, vor Augen.

Er glaubt vielmehr,

Quintilr

an ahme an unserer Stelle die ironische Synkrisis Lysias Cato Cic. Brut. 63ff. nach. Eine schon an sich willkürliche Annahme. Überdies hat der ciceronische Vergleich Lysias-Cato schwerlich den von Marache

unterstellten Sinn. Dazu

178 ff.

104

Vielleicht käme man dabei auch ohne dic Änderung (e)loquendo aus.

105

Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, den Einschub zu erklären; eine wer tere Erörterung dieses Punktes wäre aber kaum lohnend.

113

Die Jungattiker hatten ihre griechischen Vorbilder, auf die sie sich ausdrücklich beriefen. Es ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde sie, der allgemeinen Einstellung entgegen, sich besonders um die römischen Alten hätten kümmern sollen; viel probabler ist es, daß sie sich mit ihnen noch weniger befaßten, als

es ohnehin üblich war !96. Das alles dürfte nicht nur für all die Attizisten gelten, die sich attische Redner als Exempla gewählt hatten. Auch bei dem einen Nachahmer des Xenophon, von dem Cicero orat. 32 spricht, wird man nicht altertümelnde Neigungen vermuten, welcher Art auch immer.

Nicht ganz so klar ist die Sache freilich bei den Thukydidesnachahmern. Bevor wir jedoch auf sie zu sprechen kommen, wollen wir. noch die sprachlich-stilistischen Tendenzen einiger anderer Zeitgenossen Ciceros betrachten. 106

Insoweit wird man Barwick, Einleitung Brutus 9 f. zustimmen, wenn er die Mißachtung der älteren Prosa mit der jungattischen Bewegung in Zusammenhang

bringt. Die eigentliche Ursache dieser Mißachtung ist jedoch der Attizismus nicht. Vgl. 64 ff.

114

4. Briefpartner Ciceros, die Redner Sallust und Q. Tubero

Um die Jahrhundertwende ist das Latein von Ciceros Korrespondenten ein recht beliebter Untersuchungsgegenstand gewesen. Die Autoren der Untersuchungen haben bei den Briefschreibern manche altertümlichen Sprachelemente gefunden.

Ihre Ergebnisse blieben unwidersprochen. So konnte denn vor einigen Jahren Dietz in einer nicht wirkungslos gebliebenen Dissertation hauptsächlich aufgrund dieser alten Abhandlungen die Auffassung vertreten, „daß unter den Zeitgenossen Ciceros eine ganze Reihe einen Stil schrieb, der — wie nicht anders zu er-

warten — mit altertümlichen Ausdrücken jeglicher Art aufwartete'* (179). Sind die Ergebnisse, die dieser Meinung zugrundeliegen, wirklich unanfechtbar? Das

gilt es zu prüfen !. Verschiedene Untersuchungen von Schmalz werden uns dabei

in erster Linie beschäftigen ?. a) Ser. Sulpicius Rufus Schmalz widmet Briefe 87ff. dem Latein des Juristen Ser. Sulpicius Rufus aus-

führliche Betrachtungen. Zunächst sucht er durch antikeTestimonien zu belegen, daß Servius eine besondere Vorliebe für eine antiquierte Ausdrucksweise gehabt habe?. 1

2

Daß in den alten Arbeiten häufig nicht hinreichend zwischen dem lebenden, mehr unliterarischen Sprachgut und antiquierten Idiomen unterschieden wird, sei hier lediglich summarisch festgestellt; implizit wird diese Unklarheit im folgenden mehr-

fach kritisiert. Von Schmalz zeigen sich, was die Feststellung antiquierten Sprachgutes angeht, auch die verschiedenen Kommentare zu dem ciceronischen Briefkorpus oder ausgewühF ten Briefen mehr oder weniger stark beeinflußt, etwa Tyrrell-Purser, Süpfle-Böckel, Heidelberg 1908!!, How-Clark, Oxford 1926.

3

Auf Schmalz beruft sich H. Haffter, Untersuchungen zur altlateinischen DichterspraChe, Problemata

10, Berlin 1934, 79 ff., wenn er in dem recht häufigen Vorkommen

tautologischer Doppelausdrücke bei den angeblich altertümlich schreibenden Servius und Vatinius eine Bestätigung seiner These sieht: „um

die Mitte des 1. Jhdts. galten

die erschópfenden Doppelungen für veraltet; nur bei vereinzelten Nachzüglern stehen sie noch in Gunst". Im wesentlichen danach Hofmann-Szantyr 787 f. Wie es mit den antiquierten Elementen in der Sprache der zwei Briefschreiber steht, wird sich noch

zeigen. Spricht sonst im Hinblick auf die Prosa viel für Haffters These? ro in den Frühreden in großem

Umfange

Wenn Cice-

Doppelausdrücke verwendet, von dieser Ma-

nier aber später abkommt, ist das in erster Linie als persönliches Abrücken des Redners von der iuvenilis redundantia zu deuten; inwieweit diese Entwicklung

der cice-

ronischen Beredsamkeit symptomatisch für die Entwicklung der Eloquenz schlechthin oder überhaupt der Prosa ist, ist von vornherein fraglich. Natürlich geht es nicht an, von den Verhältnissen in der Dichtung auf die Prosa zu schließen, In manchen Textstücken des mittleren 1. Jh.s spielen auch Synonymendoppelungen eine beträcht-

liche Rolle. Genannt seien von Ciceros Bruder das Commentariolum petitionis —

115

Quintilian sagt inst. 10,5,4, nachdem er die Übersetzung griechischer Reden ins Latein als wertvolle Stilübung hervorgehoben hat: sed et illa ex Latinis conversio multum et ipsa contulerit. ac de carminibus quidem neminem credo dubitare, quo solo genere exercitationis dicitur usus esse Sulpicius. Schmalz, der die Notiz auf den Freund Ciceros bezieht, folgert Briefe 92, daß Servius sich durch

diese Übungsweise „eine gründliche Kenntnis der alten römischen Dichter erwarb ... und ... sich Redewendungen angewóhnte, die eigentlich nur der Poe-

sie angehörten“; bei den herangezogenen Dichtern sei zunächst an Ennius, Plautus, Terenz zu denken, ,,weil ihre Stoffe eine Übertragung in Prosa am leichtesten gestatteten, ferner, weil sie die angesehensten und zugleich auch die populärsten waren“.

Quintilian meint wohl mit seiner Bemerkung tatsächlich den Juristen. Mit dem dicitur aber kennzeichnet er die Nachricht als nicht zweifelsfrei bezeugt, als Gerücht. Wirklich ist sie, soweit man urteilen kann, nicht gerade wahrscheinlich‘.

Nehmen wir indes einmal an, die Notiz sei historisch richtig: Welche Dichter sind es dann gewesen, durch deren conversio Servius sich schulte? Die referierten Argumente helfen offenbar kaum weiter: Daß die drei genannten Autoren sich leichter paraphrasieren ließen als andere Dichter, ist unbeweisbar; und zumindest fraglich ist, ob Plautus und Terenz soviel mehr geschätzt waren zur Fälschungshypothese letzthin umfassend Balsdon, CQ 13, 1963, 242ff. -- von Cicero selbst fam. 4,7; 5,13, von seinem Sohn fam. 16,21,2. Danach hat der Gebrauch derartiger Ausdrücke bei Vatinius und Ser. Sulpicius nichts Besonderes. Unter diesen Umständen scheint auch die von Haffter 81 A.1 vertretene Ansicht zweifelhaft, das häufige Vorkommen derartiger Tautologien bei Hirtius und dem Verfasser des Bellum Alexandrinum sei „für die Fortdauer altlateinischer Historiographentradition charakteristisch", besage aber nichts über ,,die Entwicklung der lebenden Prosa“. Diese Interpretation des Tatbestandes ist ebenfalls unter anderen Aspekten nicht recht glaubhaft:

Ein Mann

wie Hirtius, der bei Cicero deklamierte,

wird sich für die als stilistisch unzulänglich geltende ältere Geschichtsschreiburig (dazu 70£.) nicht sehr erwärmt haben; wenn er Caesar fortsetzte, brauchte er obendrein keinen Blick in ein altlateinisches Geschichtswerk

zu werfen,

ebensowenig

der

Autor des Bellum Alexandrinum. Was den beiden Schriftstellern als Vorbild ihrer Bella vorschwebte,

4

waren Caesars Kommentare.

Cicero berichtet Brut. 151 über die rednerische Ausbildung des Ser. Rufus: non... facile quem

dixerim plus studii quam

illum et ad dicendum

et ad omnis

bonarum

rerum disciplinas adhibuisse. nam . . . in isdem exercitationibus ineunte aetate fuimus. Das klingt nicht danach,

daß der Jurist die Redeübungen

seiner Jugend auf

die Paraphrasierung von Dichtern beschränkt hat, so daß insofern die bei Quintilian überlieferte Nachricht nicht ganz zutreffen kann. Daß der Jurist in späteren Jahren sich ausschließlich auf diese zu Ciceros Zeit anscheinend einer frühen Stufe der oratorischen Ausbildung angehörige exercitatio — die Crassus als adulescen-

tulus betreibt — verlegt haben soll, Klingt nicht sehr wahrscheinlich, abgesehen davon, daß der Gewährsmann Quintilians eine entsprechende Einschränkung offenbar nicht gemacht hatte. Teuffel-Kroll 355 erwägen auch eine Beziehung der Stelle auf

P. Sulpicius Rufus tr. pL 88 a. Chr.; dann kónnte es mit der Notiz freilich schon gar nicht seine Richtigkeit haben, da Cicero de orat.

ganz andere Übungen bezeugt. 116

1,148 f. für diesen Sulpicius

als etwa Accius und Pacuvius, daß gerade ihre Bevorzugung bei den beschriebenen Übungen nahelag. Einen Fingerzeig zur Beantwortung unserer Frage gibt Quintilian inst. 10,5,4, der unmittelbar nach den zitierten Sátzen begründend fort-

fährt: nam et sublimis spiritus adtollere orationem potest et verba poetica libertate audaciora non praesumunt eadem proprie dicendi facultatem. Offenkundig denkt der Schriftsteller, wenn er von dem sublimis spiritus, den verba poetica

libertate audaciora spricht, an hóhere Dichtung als Gegenstand der Paraphrase, nicht an Werke der Komiker, apud quos nisi quod versiculi sunt nihil est aliud cotidiani dissimile sermonis (Cic. orat. 67)?. Entsprechend bemerkt Crassus Cic. de orat. 1,154, wo er von diesen seinen in der Jugend gepflegten Übungen

spricht, er habe versus quam maxime graves gewählt, und nennt bald darauf den Namen des Ennius. Mit der Paraphrasierung des Ennius würde man zweifellos gleichfalls bei Servius in erster Linie zu rechnen haben, keineswegs aber mit der conversio des Plautus und Terenz. Wie sich eine solche Art der Schulung auf die Diktion auswirkte, wissen wir nicht; daf sie zu einer poetischen Ausdrucksweise führte, ist durchaus nicht not-

wendig$. Wenn jedoch diese Übung in den Briefen des Servius ihre Spuren in Form von Anklángen an die paraphrasierten Muster hinterlassen haben sollte, dann vor allem Reminiszenzen aus dem ennianischen Epos. In Wirklichkeit, um

das bereits an dieser Stelle zu bemerken, lassen sich derartige Anklänge in den Schreiben des Rechtsgelehrten nirgends nachweisen; plautinisches oder terenzi-

sches Sprachmaterial dagegen glaubt Schmalz hier vielfach aufspüren zu können. Und damit sind wir wohl auf den wahren Grund gestoßen, der ihn dazu veranlaßt, gerade auch in den beiden Komikern bevorzugte Vorlagen der Paraphrasie-

rung zu vermuten. Daß Servius „eine besondere Vorliebe für alles Altertümliche‘ hatte, geht nach Schmalz, Briefe 92 ferner aus Cic. Phil. 9,13 hervor: mirifice . .. Servius maio-

rum continentiam diligebat, huius saeculi insolentiam vituperabat. An dieser Stelle steht: continentia maiorum, nicht: „alles Altertümliche" ^; wer die Mäßigkeit der Altvorderen liebt, braucht nicht veraltete Wórter und Ausdrücke zu schatzen. Überdies muf Ciceros A ufierung aus der Situation begriffen werden und kann deshalb nichts Sicheres über die Einstellung des Juristen lehren. 5

Ähnlich Cic. orat. 184; Hor. sat. 1,4,45 ff.

G

Weder Crassus Cic. de orat. 1,154 erwühnt bei seiner Kritik an solcher exercitatio diese Folgeerscheinung, noch scheint man sie, nach Quint. inst. 10,5,4 zu urteilen,

zu Quintilians Zeit gegen eine derartige Übung ins Feld geführt zu haben; Quintilian selbst tut es ebenfalls nicht. Unter diesen Umständen

wird man

nicht annehmen,

die Dichterparaphrasen hátten bei den Rednern eine besondere Neigung zu dichterischer Ausdrucksweise im Gefolge gehabt; es kommt ja bei dieser Übung auch ge7

rade darauf an, anders als die Vorlage zu formulieren. Die Neigung des Rechtsgelehrten dazu erhellt, wie Schmalz a. O. ohne nähere Stel lenangabe meint, ebenfalls aus Cicero, Pro L. Murena; nichts in der Rede läßt sich

in diesem Sinne deuten.

117

Schließlich hat nach der Ansicht von Schmalz, Briefe 92f. jene Vorliebe für alles

Altertümliche eine starke Steigerung durch die juristische Tätigkeit des Servius erfahren, durch die er „lehrend und lernend fortwährend mit dem Altlateinischen beschäftigt war (Gell. VILS,1. II,10) alte Wörter, die entweder außer Gebrauch oder unverständlich waren, zu erklären versuchte (Cic. Top.8,36) und so auch

wohl manches annahm, was seine Zeit an Sprachlichem bereits verschmáhte". Aber wenn Servius sich bei Varro nach der Bedeutung des Begriffes favisae Capitolinae erkundigt, den er in censoris libris gefunden hat (Gell.2,10,1), wenn er postliminium etymologisch erklärt (Cic. top. 36) oder sonst gelegentlich alte Aus-

drücke der Rechtssprache deutet?, so beweist das ziemlich wenig für eine fortwährende Beschäftigung mit älteren Denkmälern. Nichts beweist es dafür, daß der Jurist bewußt oder unbewußt sich altertümliche Idiome angeeignet hat”. Es erübrigt sich zu bemerken, daß derartige Interpretationen juristisch belang-

voller Begriffe nicht im geringsten darauf hindeuten, daß Serviusin seiner Sprache von alten Dichtern beeinflußt ist.

Mit den Bemerkungen von Schmalz läßt sich eine bewußte oder unbewußte altertümliche Sprachgestaltung für Servius nicht wahrscheinlich machen!®. Allenfalls kónnten sie, in variierter Form, bei der Deutung bereits nachgewiesener antiquierter Sprachelemente erhellend sein.

Wirklichen Aufschluf über die Sprache des Servius geben uns zwei Äußerungen Ciceros. Brut. 153 erwähnt er loquendi elegantiam, quae ex scriptis eius (Servii), quorum similia nulla sunt, facillime perspici potest. Mit den scripta sind anscheinend gerade die rechtswissenschaftlichen Schriften des Servius gemeint, die

sich durch ihre sprachliche elegantia wohl von denen der anderen Juristen vorteilhaft unterschieden. Die elegantia hebt Cicero auch an anderer Stelle hervor.

Der Freund hatte ihm mehrfach Briefe gleichen Wortlautes geschickt und sich dafür u.a. mit seiner orationis paupertas entschuldigt, der er die ciceronischen divitiae orationis gegenüberstellte. Cicero antwortet fam. 4,4,1: me non esse 8

Vgl Sulp. Ruf. gramm. frg. 422,1 ff. Fun. Daß Alfenus von seinem Lehrer zum Studium alter Urkunden

angeleitet wurde (Schmalz, Briefe 93), ist nicht aus Gell

7,5,1

ersichtlich; für die Sprachgestaltung des Sulpicius wäre ohnehin daraus nichts zu entnehmen.

9

Solche Worterklärungen sind in juristischem Zusammenhang nicht unüblich. Vgl z.B. Gaius dig. 50,16,30 pr.; inst. 4,18; Hyg. lim. grom. p. 132,20f.; Frontin. grom. p. 13,2 f. Doch sind deshalb derartige Schriften nicht durch antiquierte Sprache

gekennzeichnet. Vgl. auch 150 A.129, Für das geringe Interesse der Juristen an altertümlichen Wörtern aufschlußreich Gell. 16,10,7 f. Über die relativ geringe Rok le, die die Interpretation von Rechtstexten in der republikanischen Jurisprudenz 10

spielt, Schulz 71 f. Mit derartigen Argumenten

ließe sich überhaupt so ziemlich für jeden

Autor,

von dem

wir einiges wissen, eine ungewöhnliche Anwendung veralteter Idiome ,, beweisen". Z. B. Cicero: Er kennt die alten Dichter, mit denen er sich intensiv bescháftigt hat, ganz genau, in den spáteren Lebensjahren auch die alten Redner, allen voran Cato, für den er eifrig wirbt; er ist für die maiores von tiefer Bewunderung erfüllt usw.

118

verborum admodum inopem agnosco ..., sed tamen idem . . . facile cedo tuorum scriptorum subtilitati et elegantiae; er gibt also seinem Briefpartner nicht einfach das Kompliment zurück, das dieser ihm gemacht hatte, sondern hebt die den servianischen Schriften eigentümlichen sprachlich-stilistischen vir-

tutes hervor: subtilitas und elegantia !!. Danach dürfte der Rechtsgelehrte vornehmlich auf die Erlesenheit der Sprache einen gewissen Wert gelegt haben; diese Tatsache rät jedenfalls von der Vermutung ab, er habe absichtlich häufiger verba inusitata verwendet 2, Wir werden also in den Briefen des Servius nicht von vornherein eine archaistische Sprachgestaltung erwarten dürfen. Schmalz hat das Latein dieser Schreiben sehr ausführlich behandelt. Hier kann

nicht auf sämtliche veralteten oder poetischen Idiome eingegangen werden, die er in den Briefen finden zu kónnen glaubt. Glücklicherweise ist das auch nicht notwendig. Nicht selten lehrt bereits ein Blick auf das von Schmalz selbst beigebrachte Material, daß das Urteil des Autors verkehrt oder wenigstens durchaus zweifelhaft ist. Zwei Beispiele: Adv.coram (fam.4,5,1): Aus der Beobachtung, daß coram „in der alten Sprache“ immer Adv. sei, folgert Schmalz, Briefe 98, Servius schließe sich im Gebrauch dieses Wortes ‚an die Alten‘ an. Unmittelbar danach stellt er aber fest, daß adverbielles coram ebenfalls bei Livius und Cicero häufig sei. Unter solchen

Umständen besteht nicht der mindeste Anlaß, hinter dem Sprachgebrauch des Juristen eine Anlehnung an ,,die Alten“ zu vermuten. Vgl. noch Thes. IV 943 ff. confieri (fam.4,5,1): Servius hat das Verb, wollen wir Schmalz, Briefe 96 folgen, „sicher . .. den früheren Dichtern entlehnt". Zur Begründung der Anschauung wird auf je eine Stelle bei Plautus, Pacuvius, Lukrez verwiesen. Dann erfahren wir jedoch, daß das Wort noch 1mal bei Caesar, 2mal bei Korrespondenten Ciceros, spáter bei Arnobius begegnet. Bei diesem Befund wáre das confieri des Juristen am ehesten als — vielleicht mehr umgangssprachliches — Wort der lebenden Sprache zu deuten. In der Tat ist das Verb nie aus dem gesprochenen Latein geschwunden und schließlich in das Romanische eingegangen. Thes. s.v. Die folgende Diskussion beschränkt sich auf Sprachphänomene, deren Beurteilung durch Schmalz richtig scheinen kónnte. quid est quod ... te commoveat .. . dolor (fam. 4,5,2; vgl. auch 4,5,3): Nach Schmalz, Briefe 102 ist quid est quod „eine beliebte Wendung der Komiker“. Sie ist aber gleichfalls etwa Cicero geläufig; Sull. 7; Arch.10 und sonst. qui non in illis rebus exercitatus animus callere iam debet (fam. 4,5,2) : Schmalz,

Briefe 98 scheint sich, obschon schwankend, für die Deutung von qui als quomodo 11

Schmalz, Briefe 91 glaubt, subtilitas sei hier „Gedankenschärfe‘‘. Aber eher ist der feine Ausdruck mit diesem Subst. bezeichnet; denn um sprachlich-stilistische Din-

ge geht es eben in dem Passus. Nebeneinander stehen subtilitas und elegantia auch z. B. Cic. de orat. 2,28. 12

Über den Begriff der elegantia Rhet. Her. 4,12,17. Kalb

rus angeblich nachzuweisende Archaismen als Eine nichtige Hypothese; vgl Schulze, ZRG

35 ff. will bei Alfenus Va-

Übernahmen aus Sulpicius erklären. 12, 1892,

107 ff.

119

zu entscheiden, mit der Begründung, daß dieser Sprachgebrauch „bei den alten Dichtern in ausgedehntestem Gebrauche“ gewesen sei. Es ist ein Zirkelschluß,

wenn man auf diese Art den Anschluß des Sulpicius an alte Poesie nachweisen will. Davon abgesehen, ist die von Schmalz empfohlene Auffassung des qui der Briefstelle aber vielleicht wirklich richtig. Das wäre eine Ausdrucksweise, die auch recht oft bei Cicero zu belegen ist: Phil. 7,4; 13,27 und sonst; Caes. civ. 2,32,9 9.

at vero malum est liberos amittere. malum; nisi hoc peius sit eqs. (fam. 4,5,3): Mit dem adversativen nisi stehe, meint Schmalz, Briefe 102, der Rechtsgelehrte „vollständig auf den Schultern von Plautus und Terenz“. Der Sprachgebrauch

wird in ciceronischer Zeit mehr dem Umgangslatein angehóren. Cic. Att. 11,23,1

tuas litteras expectabam; nisi illud quidem mutari . . . non video posse !^. cum ab Aegina Megaram versus navigarem (fam. 4,5,4) ; cum ab Epidauro Piraeum ... advectus essem eqs. ut ab Athenis in Boeotiam irem (fam. 4,12,1); ab Athenis proficisci (fam. 4,12,2 kurz nach dem zuvor zitierten Finalsatz) :

Nach Schmalz, Briefe 100 wären die Verbindungen von Städtenamen mit der Präpos. eine vorzugsweise ,,den alten Dichtern* eigentümliche Ausdrucksweise; sie finde sich später „namentlich in der Volkssprache ... und bei Livius" wieder. Schon nach diesen Angaben wäre es nicht nötig, an den angeführten Stellen mit Nachahmung alter poetischer Literatur zu rechnen. In Wahrheit tritt aber auch im klassischen Latein in der Regel eine Prüpos. zu dem Abl. des Stádtenamens,

falls Anfangs- und Endpunkt der Reise zugleich angegeben werden ^. Das ist an den drei ersten der zitierten Stellen der Fall. fam. 4,12,2 dürfte noch der Gedanke des vorangegangenen Satzes mitschwingen. Im übrigen ist die prápositionale Wendung durchaus nicht eine Eigenart des Altlateins, das sich in diesem Punkte nicht

sonderlich von der klassischen Sprache unterscheidet '6. circumcirca (fam. 4,5,4) : „Auch im Gebrauche dieses Wortes schließt sich Sulp. an Plautus an“, meint Schmalz, Briefe 105; er belegt es außer bei dem Komiker noch Bell. Hisp. 41,4. Fraglos ist circumcirca zur Zeit des Servius lebendes Latein;

es gehórt im allgemeinen wohl niedereren Sprachschichten an 17, Im Spätlatein

taucht das Adv. wieder in der Schriftsprache auf. Thes. s.v. coepiegomet mecum sic cogitare (fam.4,5,4):sic cogitare willSchmalz, Briefe 106

„auf Nachahmung einer bei 13

Nach

Hofmann-Szantyr

den Komikern beliebten Wendung zurückführen“ 15

459 ist qui in der vorausgesetzten Weise bei Cicero „sel-

ten": Eine etwas irreführende Angabe, wie ein Blick in die Cicerolexika und -indices lehrt.

14 15 16

Weiteres bei Hofmann-Szantyr 668 f. Darüber Hofmann-Szantyr 102. Hofmann-Szantyr

102. Zu erwähnen

wäre auch, daß ein so entschiedener Gegner

des zeitgenóssischen Archaisierens wie der Kaiser Augustus nach Suet. Aug. 86,1 praepositiones urbibus addere 227

... (non) dubitavit.

17

Hofmann-Szantyr

„eine volkstümliche abundante

18

Nachwirkung des Terenz möchte auch G. Luck, Über einige Interjektionen der lateinischen Umgangssprache,

nen.

120

Heidelberg

1964,

Zusammenrückung““.

39 in dem ganzen Abschnitt erken-

Bei Cicero findet sich die Verbindung nach Schmalz lediglich Quinct. 77. Zu ver-

gleichen wäre immerhin noch Cic. har. resp. 7: hoc sic moderetur et cogitet . . . esse (se) iam consecratum Miloni. An Komikerimitation oder gar einen Archaismus braucht man jedenfalls nicht zu denken. Denn daß zu einem verbum dicendi oder sentiendi das Adv. sic tritt (sic arbitrari, considerare, dicere usw.), wobei der Inhalt des Gesagten bzw. Gedachten durch einen a.c.i. oder — wie an unserer Serviusstelle — durch einen unabhängigen Hauptsatz wiedergegeben wird, ist an sich ein etwa ebenfalls Cicero geläufiger Sprachgebrauch. Auch bei secum cogitare wird man, anders als Schmalz, keine besondere Beziehung zu den alten Dichtern annehmen. Schon die von Schmalz selbst beigebrachten Parallelen lassen erkennen, daß die Wendung bei Servius wohl natürliche lebende Ausdrucksweise ist. Weiteres Thes. HI 1461, 51ff., vgl. auch 1460, 20ff. Ähnliches wie secum agitare, z.B. Cic. Att. 10,12,3, secum reputare, z.B. Nep. Alc. 4,4, ist ja allenthalben gebräuchlich. Einiges andere bei Schmalz a.O. oppidum cadavera (fam. 4,5,4) : Den Gen. Pl. oppidum führt Schmalz, Briefe 95 unter den dichterischen Idiomen des Servius auf. Wührend sich oppidorum oft etwa bei Cicero findet, wird das Pendant oppidum von Neue -Wagener I 181 allein in dem vorliegenden Passus belegt. Die lebende Sprache ciceronischer Zeit beschränkt, soweit ersichtlich, den Gen. Pl. -um der 2. Dekl. auf bestimmte Son-

derfälle, die keine echten Parallelen zu oppidum darstellen^. Ungewóhnlich also ist die von dem Briefschreiber gewählte Form, und man mag sie wohl als antiquiert einstufen. Die gehobene Wortbildung ist an der Stelle nicht funktionslos: Gegenüber der geringen Bedeutung der Menschen, der homunculi — pejoratives

Deminutiv??—, wird die große Bedeutung der oppida hervorgehoben. visne tu te, Servi, cohibere (fam. 4,5,4): Schmalz, Briefe 106 vergleicht Ter. Haut. 919, wo Menedemus zu Chremes sagt: non tu te cohibes? non te respicis? Die Terenzstelle sei ,,das genaue Vorbild der unsrigen". Belege für se cohibere sind durch die ganze Latinität verstreut. Thes. III 1547,15 ff. Veraltet ist die Wen-

dung für Servius schwerlich. Wenngleich seine Formulierung der des Komikers ähnelt, kann sie doch unabhängig von ihr und spontan zustandegekommen sein; es ist sogar eher unwahrscheinlich, daß die in ganz anderem Zusammenhang stehende, an einen Zweiten gerichtete Aufforderung bei Terenz auf die Selbstanrede des Servius eingewirkt hat. si... non diem suum obisset (fam.4,5,4); Marcellum diem suum obisse (fam. 4,12,2): Auch die Verbindung diem suum obire faßt Schmalz, Briefe 105f. als Entlehnung aus älterer Dichtung auf. Er führt Belege aus Plautus, Fronto, Apuleius an. Die Wendung fehlt bei den Zeitgenossen des Servius, und das nicht aus

Mangel an Gelegenheit. Das Material Thes. V 1,1049,34ff. Bei dem Juristen 19

20

Die Einzelheiten bei Sommer

348 f.; Stolz- Leumann

rium Pomp. Cic. Att. 8,12, D 2 meiden; vgl die Genitivformen Ganz entsprechend kurz darauf mit Schmalz, Briefe 107 ff. auf

279. Der Gen.

PL adversa-

soll wohl die enge Aufeinanderfolge zweier r verbarbarum, liberum. unius mulierculae animula; das ist natürlich nicht die Nachahmung der alten Dichter zurückzuführen.

121

dürfte diem suum obire ein Ausdruck der juristischen Sondersprache sein. Denn

gerade bei den Rechtsschriftstellern ist die Verbindung seit Pompon. dig. 1,2,2,52

recht häufig bezeugt. VIR II 260,39ff.?!. noli te oblivisci Ciceronem esse et eum, qui aliis consueris praecipere et dare consilium, neque imitare (MGR: imitari M^) malos medicos, qui ... ipsi se curare non possunt, sed potius, quae aliis tute praecipere soles, ea tute tibi subiace eqs. (fam. 4,5,5): imitare sollte man nicht antasten. Aber ist die Form Inf. oder Imp. ?

Schmalz, Briefe 126 erkennt in imitare einen mit oblivisci parallelen Inf., syntaktisch einwandfrei. Aktivformen von imitari sind im lebenden Latein ciceronischer

Zeit zweifellos ungebräuchlich, ohne ihm ganz sicher zu fehlen: Die einzigen sonstigen Zeugnisse vor spátem Latein sind Liv. Andr. trag. 1; Varro frg. (epistula Latina lib. II) Non. p. 473,18 imitare; deponentisches imitari ist auch in

der republikanischen Periode recht häufig. Thes. s.v. Für als Imp. klassifiziertes neque imitare läßt sich aus der Literatur der Republik anscheinend nur eine einzige einigermaßen passende Parallele beibringen, Catull. 8,9ff.: tu quoque impote(ns noli) nec, quae fugit, sectare nec miser vive, sed ... perfer, obdura??. Auch hier folgt auf den negativen ein positiver Imp. Der um Klarheit bemühte Jurist würde nicht grundlos mit noli oblivisci den negierten Imp. neque imitare verbinden. Denn ein imitari kónnte als mit esse oder — noch eher — mit praecipere et dare paralleler Inf. mißverstanden werden. Die besprochene Form ist wohl

am besten als Imp. aufzufassen ?. Mag sie aber auch ein Inf. sein, so ist doch unwahrscheinlich, daß Servius den Inf. gerade dort als Archaismus gebraucht, wo er nur zu leicht mit einem Imp. des üblichen Dep. verwechselt werden kann. vidimus aliquotiens secundam pulcherrime te ferre fortunam magnamque ex ea

re te laudem apisci (M: adipisci GR) (fam. 4,5,6): apisci verdient den Vorzug. Schmalz, Briefe 104f. glaubt, daß Servius das Simplex unter dem Einfluß älterer Dichtersprache gewählt habe. Vielleicht ist apisci, das bei Plautus noch über adipisci dominiert, schon im 2. vorchr. Th. gegenüber dem konkurrierenden Kom-

positum zurückgetreten”? Es ist freilich nicht recht deutlich, in welchem Maße; 21 22

Vgl schon Kalb 106. Die Parallele ist insofern nicht exakt, als bei Catull ein affirmativer Imp. voraus geht. Anders als die zwei zitierten Stellen sind folgende Briefpassagen: Cic. Att. 12,22,3 habe tuum negotium nec quid res mea familiaris postulet . . ., sed quid velim . . . existima. Brut. et Cass. Cic. fam.

11,3,4 vide quid suscipias.

.. neque

quam diu vixerit Caesar, sed quam diu non regnarit fac cogites. Durch nec (neque)

23 24

122

— sed werden die dem Imp. vorausgehenden

indirekten Fragesátze geglie-

dert; der Imp. ist affirmativ. Die angeführten Stellen sind die einzigen, die K. Wenglein, Neve und Neque im álteren Latein, Tübingen 1911 aus dem Schrifttum der Republik für den Imp. nach neque anführt. Vgl ferner Hofmann-Szantyr 340, deren Darlegungen nunmehr zu korrigieren sind. Dies vielleicht auch die Deutung des Thes. s.v., wo die Serviusstelle unter den Belegen für Aktivbildungen nicht erscheint. Ein wenig darüber bei Heusch 65 f. der im apisci des Servius ein Wort der lebenden Sprache erkennen möchte. Wenigstens erwähnt werden soll noch die Möglichkeit,

andererseits ist Cic. Att. 8,14,3 apiscendi

(adipiscendi var. trad.) — Ausdruck

des Lepidus? — ein etwas unsicheres Zeugnis für ein Fortleben des Verbs im Sprechlatein der Mitte des 1. vorchr. Jh.s. Es wäre nicht undenkbar, daß Servius dem zitierten Satz durch ein entlegen-feierliches Idiom Nachdruck ver-

leihen wollte. Aber eher ist apisci, das seit Iavol. (Labeo? ) dig. 41,2,51 mehrfach bei Juristen nachzuweisen ist, bei dem Rechtsgelehrten als Wort der juristischen Sondersprache zu deuten. Die Belege Thes. s.v.; VIR s.v.?. a P. Magio Cilone, familiare eius. (fam.4,12,2): Schmalz, Briefe 95f. will den

Abl. familiare auf „Nachahmung der Dichter“ zurückführen. Die Überlieferung der Hss. bietet für ein Urteil über die Ablativendung der 3. Dekl. kein sicheres

Fundament6. Immerhin gibt die Überlieferung keinen Anlaß, familiare als antiquiert oder poetisch zu diagnostizieren. Die Form ist sonst Rut. Ruf. hist.9; Varro frg. Char. gramm. p. 166,1 B.; Cic. nat. deor. 1,58 (ACPN: familiari B); Ascon. Mil. arg. p. 31,11 bezeugt. Thes. VI 246,35 ff. Marcellum . . . (vulnus) accepisse .. . in capite secundum aurem (fam. 4,12,2): Nach Schmalz, Briefe 100 liegt hier plautinischer Gebrauch von secundum vor; die zitierte Stelle sei neben Plaut. Carb. frg. 3 die einzige, „wo secundum die Ortsruhe bedeutet". Als lokale Präpos., die auf die Frage ,,wo?" steht, begegnet secundum wie anderwärts so auch in Servius zeitgenössischer Literatur. Caes. Gall. 2,18,3 in aperto loco secundum flumen paucae stationes equitum videbantur ?". in nobilissimo orbi (M: orbis GR) terrarum gymnasio Academiae (fam. 4,12,3): Schmalz, Briefe 118 tritt für den Lok. orbi ein, vielleicht zu Recht. An einen Archaismus oder Poetismus des Briefschreibers ist bei der Bildung schwerlich zu denken. Sie ist auch etwa in ciceronischen Reden anzuerkennen, dom.24; Sest.66. Weiteres bei Neue-Wagner I 342. Was haben unsere Überlegungen ergeben? In den Serviusbriefen ist nur der Gen. Pl. oppidum mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Archaismus anzusprechen. Die Form dient der Stilisierung der Einzelstelle und ist kein Indiz für einen prinzipiellen Archaismengebrauch??. Gewif werden die juristischfachsprachlichen Ausdrücke des Servius allenfalls in geringfügigen Spuren im Sprechlatein seiner Zeit vorhanden sein; aber sie sind eben nicht bei dem Juristen in bewußtern Rückgriff wiederaufgenommene Spracheigentümlichkeiten.

25

daß ursprüngliches apisci gelegentlich in unseren Texten zanz durch das trivialere adipisci verdrángt worden ist. Cic. leg. 1,52 apiscendi (Stephanus: ascindi V) ist als ganz unsichere Konjektur außer Betracht zu lassen. Mit der „Nachahmung der altertümlichen Gesetzessprache“ (Heusch

66) hätte dieser Ausdruck

des Dialogs nichts zu tun.

26

So Sommer 376; hier Weiteres zu der Frage.

27

Vgl Varro ling. 6,17; rust.

28

1,13,4;

1,13,5; 3,11,2; Bell

Afr.

1,1; 7,2. Nicht richtig

über Caesars Sprachgebrauch Kühner-Stegmann 536; Hofmann-Szantyr 248. Der betreffende Brief des Servius umfaßt mehr als 700 Belege für Einzelwörter. Auch unter rein numerischem Aspekt könnte der eine Archaismus kaum als Ausdruck prinzipiellen Archaismengebrauchs gelten. Als Folie vgl. 310; 344.

123

Die anderen von Schmalz hervorgehobenen Spracherscheinungen sind entweder keine Besonderheiten oder lassen sich gut als Ausdrücke des Umgangslatein

interpretieren ??. Überhaupt zielt das Bemühen von Schmalz, Wórter und Wendungen

dieser Briefe —

wie auch anderer — nach Móglichkeit auf áltere literarische Vorbilder zurück-

zuführen, in die falsche Richtung. Denn dabei wird ganz vergessen, daß Latein für Servius und seine Zeitgenossen die lebende Muttersprache ist, die nicht pri-

mär aus Büchern erlernt wird. Und um abschließend auf die Möglichkeit eines bewußten Anschlusses an die Komiker in den Serviusbriefen einzugehen: In dem einen der Briefe sucht Servius seinen Freund Cicero über den Tod der Tullia zu trósten, in dem anderen berichtet er vom Tod des Marcellus. Er müßte schon einen

sonderbaren Humor haben, wollte er derartige Schreiben ausgerechnet mit Komikerreminiszenzen ausstaffieren. Von der Beredsamkeit des Juristen wissen wir leider nicht viel; jedenfalls haben

wir keinen Grund zu der Vermutung, sie sei in auffallender Weise durch sprachliche Archaismen oder überhaupt antiquierte Sprachelemente gekennzeichnet gewesen. Quintilian, dem noch drei Reden des Servius vorliegen, bemerkt inst. 10,1,116: Servius Sulpicius insignem non inmerito famam tribus orationibus meruit; zu

den drei rühmlich erwähnten Reden des Rechtsgelehrten gehört ebenfalls die 44 oder 43 a.Chr. gehaltene Rede Pro Aufidia (or. frg. 118,7 ff. Malc.). Als Stilist

dürfte demnach Servius auch in seinen letzten Lebensjahren einigermaßen auf der Hóhe seiner Zeit gewesen sein.

b) P. Cornelius Dolabella Eine „Art von Liebhaberei für altertümliche Wendungen" entdeckt Schmalz, Brie-

fe 131 ebenfalls bei Dolabella, dem Schwiegersohn Ciceros. Im folgenden wird alles besprochen, was Schmalz an veralteten Ausdrücken in dem einen Schreiben Dolabellas nachweisen zu kónnen glaubt. s.v.g. (fam. 9,9,1): Die den Brief einleitende Formel si vales gaudeo hält Schmalz, Briefe 132 für „die in alten Zeiten übliche". In der Tat lautet die entsprechende Floskel bei Cicero und seinen Korrespondenten in der Regel: s.v.b.e. — si vales (valetis) bene est, wohingegen es, worauf Schmalz aufmerksam macht, zu Beginn des Briefes Plaut. Persa 502 ff. heißt: si valetis gaudeo. Nun weist aber Schmalz selbst gleichfalls darauf hin, daß der Brief des Cn. Pompeius an die Ur-

saonenser Bell. Hisp. 26,3 nicht anders anfängt als das Schreiben Dolabellas. Es ist schon sehr wenig wahrscheinlich, daß der junge Pompeius den Ursaonensern gerade die „alte plautinische Form“ des Briefeinganges bieten wollte; noch unglaubhafter wird diese Ansicht durch den Umstand, daß Pompeius wie Dolabel29

124

Wobei der Geschmack des Servius mit dem Ciceros nicht ganz konform ist. Ein Analogon bei Áxelson 36.

la die Formel abkürzt, wenn wir der Überlieferung trauen dürfen. Die Verwendung allein der Anfangsbuchstaben erklärt sich doch wohl am natürlichsten damit, daß es sich um eine dieser Zeit recht geläufige Formel handelt, mag sie

auch nicht so üblich wie die sonst im ciceronischen Briefkorpus begegnende

Phrase sein ^. animum adverte (fam. 9,9,2): Schmalz, Briefe 132 führt die Schreibweise unter den Altertümlichkeiten des Dolabellabriefes an, bemerkt jedoch selbst, daß

die gleiche Schreibung ebenfalls bei Cicero, Caesar, Nepos begegnet. Für den Epistolographen ist animum adverte somit keine Besonderheit, soweit wir in diesem Punkte uns überhaupt auf die Tradition verlassen kónnen. illud autem te peto (fam. 9,9,2): So die Überlieferung, die man häufig verbessert zu: illud autem (a) te peto. Denkbar, daß mit der Ergänzung das Richtige getroffen ist. Vielleicht aber sollte man doch den tradierten Text beibehalten ?'; für ihn setzt sich Schmalz, Briefe 132 f. ein, freilich mit unzulänglicher Begrün-

dung: Mit der angeblichen Altertümelei des Dolabella hat die Konstruktion nämlich gewiß nichts zu tun. Im Altlatein kommt petere alm. ‚jmd. bitten" nur Plaut. Curc. 148 vor: vos peto atque obsecro; hier ist jedoch „die Konstruktion durch

das letzte Verbum erleichtert'*??. petere alm. ald. ist vor dem Briefschreiber überhaupt nicht nachzuweisen ?. Was die Wendung Dolabellas erklären kann, sind sprachpsychologische Erwágungen: Die Verwendungsweise sinnverwandter Verben

wie orare, rogare hat hier einmal auf petere übergegriffen; das ist im Spätlatein ein häufiger Vorgang”, der aber prinzipiell wohl zu allen Zeiteri möglich ist. reliquum est, ubi nunc est res p., ibi simus (fam. 9,9,3): „Dolabella hat... in der Beibehaltung der Parataxe seine Vorliebe für das Altertümliche bethätigt‘,

glaubt Schmalz, Briefe 133, belegt jedoch den blofen Konj. nach reliquum est nur mit Cic. fam. 15,21,5. Derartige parataktische Wendungen sind die ganze

Latinitát hindurch besonders in zwangloser Rede üblich ?5. rusus (M: rursus HD) (fam.9,9,3): Schmalz, Briefe 131 f. tritt für rusus ein. Er hält die Schreibweise für einen Archaismus Dolabellas. rusus bietet der Mediceus 49,9 auch in Briefen anderer Autoren: Cael. Cic. fam. 8,8,3, hier zusammen mit GR; Cic. fam. 10,5,2 (M); Brut. Cic. fam. 11,10,4; vgl. auch Planc. Cic. fam. 10,15,4. Sonst scheinen Spuren von rusus in dem Schrifttum ciceronischer Zeit nur ganz schwach zu sein. Ob die verhältnismäßig starke Bezeugung von rusus 30

Eine ühnliche Verbindung mit gaudere leitet Sen. epist. 20,1 ein; Hinweis von

31

einstuft. Vgl noch zu dem Problem Sjógren in der Teubneriana z. St.

Schmalz a. O., der die senecanische Wendung

gewiß

unzutreffend

als archaistisch

32

Löfstedt, Per.

33

Schmalz bringt denn auch keinen vorciceronischen Beleg für die Ausdrucksweise. Statt dessen verweist er auf poscere mit doppeltem Akk. und eine Formulierung wie id tu me rogas bei Plautus; beides ist ebenfalls klassischer Sprachgebrauch. Darüber Lófstedt, Per. 236 ff. Vgl Hofmann-Szantyr 528 ff., die 531 für den bloßen Koni. nach reliquum est

34 35

238.

keinen Beleg vor der zitierten Cicerostelle anführen.

125

in den Epistulae ad familiares der originalen Orthographie entspricht oder nicht, muß offenbleiben. In keinem Falle ist hier mit einem Archaismus Dolabellas zu rechnen. Daß die Aussprache rusus in nachrepublikanischer Zeit nicht tot ist, läßt Vel. gramm. VII 79,5 f. (nach Nisus? ) annehmen: tota r littera sublata est in eo quod est rusum et retrosum ®. In dem Brief Dolabellas ist kein einziger sprachlicher Archaismus aufzuspüren.

Daf der Briefschreiber als Redner in irgendeiner Hinsicht archaisiert hat, ist nicht bezeugt, und es ist bei dem Schüler Ciceros auch nicht eben wahrschein-

lich. c) P. Vatinius Eine eigene Abhandlung hat Schmalz dem Sprachgebrauch in den Episteln des P. Vatinius gewidmet; ebenfalls bei diesem Briefschreiber konstatiert er eine be-

sondere Tendenz, antiquiertes Sprachgut zu verwenden”. Es soll hier auf alle bedeutsameren Einzelheiten eingegangen werden. si tuam consuetudinem in patrociniis tuendis servas, P. Vatinius cliens advenit,

qui pro se causam dicier volt (fam. 5,9,1): Schmalz, Vat. 34 f. stellt nicht mit genügender Klarheit das Wesentliche für die Erklárung des paragogischen Inf.

heraus. Es ist so: Der Inf. auf -ier ist in dieser Zeit ohne Zweifel im gesprochenen Latein nicht mehr vorhanden; gehalten hat er sich u.a. in bestimmten Wendungen der Amts- und Gesetzessprache. Vatinius sucht mit der Form dem Einleitungssatz gewissermaßen eine juristisch-amtliche Färbung zu geben??. Wenn er von sich selbst in der dritten Person spricht, sein Praenomen und das Nomen gentile nennt, sich schlie&lich als cliens Ciceros bezeichnet, so ist das eine gespreiztformelle Ausdrucksweise, die offenkundig demselben Zwecke dient. Das antiquierte dicier, das des amtlich-kurialen Klanges wegen gewählt worden ist, ist vielleicht besser nicht als Archaismus zu klassifizieren; doch soll auf den Terminus hier nichts ankommen. Jedenfalls ist soviel klar, daf$ es nichts für archaistische Neigungen des Briefschreibers beweist, wenn der paragogische Inf. in einem Zusammenhang wie dem vorliegenden verwendet wird. Nach Schmalz, Vat. 34 könnte man volt für eine veraltete Form halten; in Wirklichkeit ist der Lautwandel von o zu u bei vorausgehendem u/v und 36

Auf die Stelle weisen schon Neue-Wagener II 749 f. hin; hier auch die anderen Materialien. Ferner zu rusus und verwandten Erscheinungen Sommer 258; Stolz— Leumann 162; Nelson 51f.; H. Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik I, Mürchen 1953? ὃ 609. Es ist gut denkbar, daß die handschriftliche Überlieferung das Verháltnis von rursus (-um) und rusus (-um) zuungunsten der letzteren Schreibweise verfälscht. Lehrreich Bell. Afr. 85,7, wo S rursus statt des richtigen Rufus

37 38

126

hat. Die Ansichten, die Schmalz über die Ausdrucksweise des Vatinius äußert, haben Eingang in den Artikel von Gundel, RE VIII A (1955) 517 gefunden. So schon Neue-Wagener Ill 225.

folgendem 1+Konsonant erst in das Ende der Republik zu setzen”, volt also bei Vatinius ganz unanstößig. tuus servus anagnostes fugitivus (fam. 5,9,2): Die „Zusammenstellung von servus mit anagnostes“ hebt Schmalz, Vat. 44 als bemerkenswert hervor; ,,die Ver-

bindung von servus mit anderen Personenbezeichnungen" sei nämlich ,,vorzugsweise der alten Sprache eigen“. Der Sprachgebrauch ist aber gerade im Altlatein weitgehend auf die Verbindung des Subst. servus mit abundierendem homo beschränkt. Diese auch ciceronische Ausdrucksweise etwa bei Plautus Asin. 470 und sonst. Thes. VI 3,2885,78 ff. Anders ist vor Cicero nur Plaut. Cas. 290 f. caelibem .... liberum an maritum servum. Falls servus hier adjektivisches Attribut ist, dann ist der Anlaß dafür die Konzinnität. Ebenso der Sachverhalt auch an der einzigen Stelle vor Cicero, an der servus als adjektivisches Attribut zu Sachen tritt: Plaut. Persa 280?. Konzinnität gleichfalls bei dem einzigen anderen republikanischen Beleg für den letzteren Sprachgebrauch: Cic. leg. agr. 3,9; die Verwendung von adjektivischem servus erklärt sich aber hier wohl primär

ais Gebrauch eines juristischen Fachausdruckes?. Als mögliche Parallele zur Formulierung des Vatinius wäre aus der Republik nur noch Cic. fam. 5,20,2 zu

erwähnen: a meo servo scriba; servo ist jedoch angefochten*. Am besten wird an unserer Stelle anagnostes fugitivus als Apposition zu servus aufgefaßt. Mag aber auch servus Adj. sein, ein Archaismus ist in dem Ausdruck des Vatinius keinesfalls zu sehen. Die Häufung der Nomina soll nur sinnfällig machen, mit welcher Sorgfalt der Briefschreiber Ciceros Angelegenheiten nach-

geht?. non desistam quin illum aliquando eruam (fam. 5,10a,1): Schmalz, Vat. 37 f. führt Plaut. Rud. 228 an, die einzige bekannte Parallele zu dem bei Vatinius begegnenden Sprachgebrauch: neque, si vivit, eam viva umquam quin inveniam desistam. Der quin-Satz nach desisto, meint Schmalz — und das ist auch die allgemeine Auffassung —, habe sich im Laufe der Sprachentwicklung ganz zugunsten des Inf. verloren?. Aber Infinitivkonstruktion und quin-Konstruktion sind offensichtlich nicht synonym; man kann nicht sagen: non desistam illum aliquando eruere (invenire). Bei unserer Wendung handelt es sich um einen elliptischen Ausdruck: Das Verb des Suchens, das im Inf. stehen müßte, fällt weg, weil der Gedanke des Suchens in der im quin-Satz ausgedrückten Vorstellung des Findens, auf die der Gefühlsnachdruck gelegt wird, enthalten ist. 39

Sommer

67; 143;

Stolz

Leumann

61; vgl. noch

Väänänen

28; bolt Pap. Corp.

252,

8. Übrigens setzen die Herausgeber fast durchweg vult in den Text, und zwar, ohne etwas im Apparat dazu zu bemerken. Schmalz a.O. geht demgegenüber ohne weiteres von volt als überlieferter Form

aus.

40

Er ist danach anscheinend erst wieder Cels. dig. 8,6,6,1 b zu belegen. Das Dargeleg-

41 42

te im wesentlichen schon bei Hofmann-Szantyr 155; hier 795 f. Bemerkungen abundierendes homo. Letzthin wieder von Shackleton Bailey, Gnomon 37, 1965, 50. So bereits Weiske, zitiert von Schmalz a. O.

43

So letzthin noch Hofmann-Szantyr 678.

über

Natürlich kann nicht die Rede davon sein, daß diese Ausdrucksweise von der infinitivischen verdrängt worden ist. Daß die quin-Konstruktion nur je 1mal

bei Plautus und Vatinius belegt werden kann, besagt nicht, daß sie für den Epistolographen veraltet ist. Eine archaistische Konstruktion des Vatinius móchte Schmalz, Vat. 40 eben-

falls in einer Quint. inst. 6,3,60 überlieferten Äußerung erkennen: quamvis reus sum, et panem item candidum edo. Es handelt sich dabei wohl wie Sen. contr. 7,4,6 und Macr. Sat.2,3,5 um eine schlagfertige Augenblicksbemerkung des als

scurra et venustus ac dicax (Sen. dial. 2,17,3) bekannten Mannes. Daß Vatinius in einem solchen improvisierten Zwischenruf vor Gericht sich einer archaistischen Wendung bedient, würe selbst dann eine wenig akzeptable Vermutung, wenn er als Archaist strengster Observanz erwiesen wáre; unter den bestehenden Umständen aber ist eine derartige Annahme ganz unglaubhaft. Wirklich

erscheint die Konstruktion, um die es uns hier geht, quamvis mit Ind., in der Dichtung denn auch erst seit Lucr. 4,426, in der Prosa, von unserer Stelle ab-

gesehen, gesichert erst seit Sen. suas. 1,12^5. Es ist demnach ganz falsch, die Sprache des Vatinius durch archaistische Tendenzen gekennzeichnet zu glauben. Das einzige antiquierte Idiom in den Briefen und sonstigen Äußerungen dieses Korrespondenten Ciceros ist dicier. Der paragogische Inf. dient der besonderen Stilisierung eines Briefeinganges; sym-

ptomatisch für die sprachlichen Tendenzen des Vatinius schlechthin ist der Gebrauch dieser Form keineswegs“. Eher zustimmen kann man Schmalz, wenn er in der Ausdrucksweise des Briefschreibers gewisse volksprachliche Elemente feststellt; mit archaistischen Neigungen haben derartige Idiome bei dem Epi-

stolographen nichts zu tun. d) L.Munatius Plancus Auch Plancus nennt Dietz 178 unter den Vertretern altertümelnder Sprachgestaltung. Aber Bergmüller, auf den er sich dafür beruft, führt in der Zusammen44 45

46

47

128

Kaum um ein Fragment aus einer Rede, wie Gundel, RE VII A (1955) 516 will Hofmann-Szantyr 604, die aber den älteren Prosabelegen — ältester Cic. Rab.

Post. 4 — doch zu skeptisch gegenüber stehen. Das gilt besonders für Nep. Milt. 2,3. Wenn man mit Hofmann-Szantyr 602 den Konj. bei quamquam Nep. Att. 13,6 als Beeinflussungsergebnis von quamvis anerkennt, kann man die Beeinflussung von quamvis durch quamquam bei Nepos nicht gut bestreiten, Auch rein zahlenmäßig wäre der eine altertümliche Ausdruck in den drei Vatiniusbriefen ein etwas schwacher Beweis für archaistische Neigungen: Die Briefe umfassen insgesamt immerhin mehr als 500 Belege für Einzelwórter. Als Folie vgl. 310; 346. Auch was Schmalz, Vat. 31 über die Demagogensprache darlegt, bleibt besser aus dem Spiel

fassung 95 aus den 12 z. T. recht umfangreichen Plancusbriefen nur zwei veraltete Ausdrücke an. Sie seien hier kurz besprochen. deum benignitate (fam. 10,8,6; 10,23,3): Der Gen. Pl. deum ist in dieser Periode, obgleich wohl nicht gerade die überwiegend verwendete Form, in manchen Wendungen

nicht ungebräuchlich.

mer 349. deum

Neue-Wagener

I 172 ff.; Thes. V 1,886,25 ff.; Som-

benignitate steht ebenfalls Cic. Rosc. com. 33; Weiteres dazu bei

Neue-Wagener I 173.

Lepidus . . . fecit ut Apellam ad me mitteret, quo obside fide (MD?: fidei HD') illius et societatis in re p. administranda uterer (fam. 10,17,3): Bergmüller 3 tritt für den Gen. fide ein. Aber selbst auf einhellige Überlieferung kónnte man bei der Wortfolge fide(i) illius nicht vertrauen. Überdies wäre der Gen. fide schwerlich als altertümlicher Ausdruck des Plancus zu erweisen. Zweisilbig scheint dieser Gen. bisweilen ebenfalls bei Cicero gelautet zu haben. Vgl. Thes. VI 1,662, 44 ff. Caesar gramm. frg. 149,9 Fun. hat die Gen. die und specie befürwortet. Gerade bei dem Gen. der 5. Dekl. ist mit mancherlei Schwankungen und Unsicherheiten des Sprachgebrauchs noch in der ausgehenden Republik und spä-

ter zu rechnen ®. Es besteht somit kein rechter Grund, in den erórterten Bildungen für Plancus antiquierte Idiome zu erkennen. Ebensowenig lassen sich bei dem Briefschreiber Poetismen nachweisen. Zwar stellt Bergmüller 95 einige als dichterisch qualifizierte Ausdrücke aus den Plancusbriefen zusammen, aber sein Urteil ist in der Regel sehr anfechtbar. Verdächtigerweise sind die angeblichen Poetismen des Plancus fast durchweg bestimmte Wendungen oder Konstruktionen; im delectus verborum würde sich doch die Tendenz zu poetischer Ausdrucksweise vermut-

lich am ehesten äußern müssen ?. Es lohnt sich wohl nur, auf einen der ver-

meintlichen Poetismen näher einzugehen °°. 48

Darüber Weiteres

49

Vgl. das 20 über die Wortarchaismen Bemerkte.

bei Sommer

396 ff.;

Stolz -Leumann

247.

50

Die anderen seien hier kurz anmerkungsweise behandelt. praeteritum tempus (fam. 10,4,1; Bergmüller 39) in Dichtung bis zum Ende der augusteischen Zeit nur Ov.

fast. 5,681, in Prosa häufig bei Cicero und im Bellum Hispaniense. Die Verbindung kann, wie auch

immer

man

sie bei Plancus deutet, hier nicht als Poetismus

gelten. trahere in (fam. 10,4,2; Bergmüller 35) in dem übertragenen Gebrauch in der Dichtung republikanischer

Cic. ManiL

Zeit überhaupt

nicht zu belegen,

in der Prosa z. B.

19. Die nächste Parallele für den Sprachgebrauch des Plancus in die-

ser Zeit Caes. civ. 1,21,6. sua occasio (fam. 10,4,4; Bergmüller 34), das Attribut wegen der Antithese: ne... nostra mala suam putent occasionem. res monet

(fam, 10,11,2; Bergmüller 36) in Prosa häufig genug vertreten, Thes. VIII 1411, 64 ff, abstrahere „abtrünnig machen‘ (fam. 10,18,3; Bergmüller 37) aufgrund von Ter. Andr.

243;519

— Tac.

ann.

2,5,1

ist anders — nicht als Poctismus des Plan-

cus zu bezeichnen; vgl noch das allerdings etwa heterogene Material Thes, I 190, 65 ff. fidem

solvere (fam.

10,21,3; Bergmüller 56) gehórt dem

Laterensis,

für den

es sich mit den wenigen Belegen Thes. VI 699, 77 ff, (Ter. Andr. 643; Ov. epist. 10,78; fast. 1,642) kaum als poctisch erweisen läßt, fidem exsolvere list überwiegend prosaisch, Thes. V 1878, 59 ff. exigere cum (fam.

ab Liv. 3,19, 10,24,7;

129

Laterensis . .. non ullam rem aliam extimescens quam eandem, quae mihi

quoque facit timorem (fam. 10,18,2): Den nicht anaphorischen Gebrauch der

Verbindung non ullus?! scheint Bergmüller 34 f. für dichterisch zu halten. Die Dinge liegen so. Nicht anaphorisches non ullus wird vermutlich wegen der móglichen Verwechs-

lung mit non nullus gemieden; in der Anapher ist die Verwechslungsgefahr gering. Außerhalb

der Anapher

findet sich non ullus noch an folgenden Stellen im

Schrifttum republikanischer Zeit??: Cic. Brut. 312: prima causa ... tantum commendationis habuit, ut non ulla esset, quae non digna nostro patrocinio videretur. Cic. fin. 3,50: quam (differentiam rerum) si non ullam esse diceremus, confunderetur omnis vita. Cic. fam. 6,9,1: (Caecinam) sic semper dilexi ut non ullo (R: ut non nullo MG: nullo ut T) cum homine coniunctius viverem. Catull. 66,72f. sagt die Locke: namque

ego non ullo vera timore tegam,

nec si me infestis discerpent sidera dictis eqs. Bei den Cicerobelegen ist zu beachten, daß dem non bestimmte Konjunktionen

vorausgehen. Nach der vielleicht als semantische Einheit aufgefaßten Zusammenrückung ut non oder si non mag man gegenüber einem folgenden ullus weniger empfindlich gewesen sein. Zumindest aber Cic. Brut. 312 und fam. 6,9,1 dürfte bei der Verwendung von non ullus auch das Streben nach Emphase im Spiel

sein. Ganz offensichtlich ist das an der Catullstelle der Fall 5?. Nachdrücklicher als nullus soll non ullus auch bei Plancus wirken; der Briefschreiber betont um-

ständlich, daß er ganz dieselbe Furcht hegt wie Laterensis?*. Der Wunsch nach Ausdrucksverstárkung läßt also Prosaiker und Dichter dieselbe Formulierung wählen: Daß der Sprachgebrauch des Plancus aus der Dichtersprache herrührt, erweist sich als überflüssige Annahme. Sie leuchtet noch weniger ein angesichts der Tatsache,

daß non ullus in der Dichtung republikanischer Zeit nur an einer

Stelle belegt ist, und da eben noch nicht als bloßer Ersatz von nullus. In dieser Verwendung erscheint die Junktur erst in augusteischer Dichtung. Hier begegnet Bergmüller 38) Thes. V 1463, 48ff.;63ff.; noch 3mal in Dichtung, 3mal in Prosa.

51 52

53 54

130

1464, 11 ff. hier zuerst belegt, sonst

Belege für die anaphorische Verwendung bei Cicero gibt G. Landgraf, Kommentar zu Ciceros Rede pro Sex. Roscio Amerino, Leipzig/Berlin 1914?, 238. Enn. scaen. 236 ist Konjektur von G. Hermann. Die Prosastellen sind schon von Madvig zu Cic. fin. 3,50 gesammelt: spáter die Verbindung nicht anaphorisch z. B. Tert. nat. 1,8,9. S. ferner unten A. 54. Wenn Kroll zu Catull. 66,72 nur von „metrischen Gründen" spricht, so ist der Ausdruck des Dichters zumindest einseitig beurteilt. Vergleichbar in der Formulierung ist Sen. epist. 29,1 (Marcellinus) raro ad nos venit, non ulla alia ex causa quam quod . . . timet.

non ullus ab Verg. ecl. 5,24. Erleichtert war die Aufnahme der ausdrucksstarken Zusammenrückung in die poetische Sprache dadurch, daß die Dichter jedenfalls

seit Lukrez non nullus mieden°”. Ein bisher nicht erkanntes dichterisch-antiquiertes Idiom bei Plancus will Dietz 156 f. feststellen. Laterensis . . mittit mihi litteras nimisque (HD: miisque M) desperans de se, de exercitu, de Lepidi fide querensque se destitutum, in quibus aperte denuntiat,

videam ne fallar (fam. 10,21,3): Nach Dietz, der die Lesart von HD akzeptiert, gebraucht der Briefschreiber das „doppelte korrespondierende (poetische) -que -que stilisierend‘, Beweis dafür, „daß damals im Gebrauch dieses „poetischen Archaismus“ einiges auch in der Prosa gewagt wurde". Weshalb aber sollte Plancus entgegen seinem sonstigen Sprachgebrauch ausgerech-

net diese Stelle poetisch-altertümlich stilisiert haben °°? Andere Erklärungen dürften vorzuziehen sein. Entweder ist nimisque lediglich die Verbesserung einer

von M bewahrten alten Korruptel?", oder Plancus ist in dem unter prekären Umständen geschriebenen Brief sprachlich ein wenig entgleist5?. Der zitierte Satz ist ja offenbar nicht mit rechter Überlegung formuliert: Die Wiedergabe des Laterensisbriefes ist ungeschickt auf die mittit untergeordneten Part. desperans und querens und den spät folgenden Relativsatz verteilt; besser wäre eine Verbindung der beiden Part.mit denuntiat. Möglicherweise wollte der Autor mit dem ersten

-que ein weiteres Prädikat an mittit anschließen, also parataktisch fortfahren, verlor aber nach dem zweiten mit a.c.i. verbunden Part. den Faden und bog den 55

Über non nullus Axelson 74. Zu non ullus in der augusteischen Dichtung sei noch ergänzend bemerkt, daß die Verbindung bei metrischer Gleichwertigkeit in der

Regel der Konkurrenz haud ullus vorgezogen wird. So Verg, ecl. 5,24; georg. 1, 506; 2,205; Aen. 6,103; 6,352; 8,376; 10,715; Lydia 24 (illa trad.); Prop. 1,4, 25; 2,29,35; Ov. met. 2,762; 3,585, hier allerdings in der Anapher; 8,228. An-

ders Verg. georg. 2,265; Prop. 3,5,13; 3,7,35. Ahnlich wie bei non ullus liegen die Dinge im übrigen auch etwa bei non umquam. In Prosa wohl erst Liv. 2,9,5 — dagegen haud umquam Cic. Tim 52 — , in Dichtung seit Catull. 23,23; Verg. ecl 1,35, und zwar recht häufig. Gegenüber non numquam ist die Dichtung zurückhaltend. Der Ausdruck bei Lukrez nur 2,789; 3,149; 6,1257, nie bei Vergil

und Horaz. 56

In der hier vorauszusetzenden

Bedeutung

„sehr‘‘ kommt

nimis in der uns erhal-

tenen epischen Dichtung nicht vor. Housman in seinem Lucan zu 8,157. Eher gehórt es so zur Umgangssprache, vielleicht sogar zu volkstümlichem

Latein. Kroll

zu Catull. 43,4; Hofmann, Umgangsspr. 192; 201; Hofmann-Szantyr

163. Hat

Plancus nimisque geschrieben, dann deutet das nicht auf Streben nach poetisch gehobener Ausdrucksweise. Über -que -que Hofmann-Szantyr 515.

57

Einen geglátteten Text bieten HD gegenüber M auch Planc. Cic. fam. 10,21,5. Die Verbesserung nimis quam empfiehlt sich an unserer Stelle freilich nicht. Der Ausdruck

58

ist nach Hofmann,

Umgangsspr.

,,altl u. archaistisch",

d. h. von den

Archaisten des 2, Jh. 5, wiederaufgenommen; dazu noch Apul met. 1,7; apol. 48. Eine nicht ganz geglückte Konstruktion auch Planc. Cic. fam. 10,18,2 sciebam enim eqs.

131

Satz mit dem Relativsatz hypotaktisch um. Gewiß ist das nur eine Möglichkeit; aber sie wird doch den Umständen, unter denen der Brief entstanden ist, besser

gerecht als die Annahme einer stilistischen Extravaganz. Von dem Stil, den Plancus in seinen Reden anwandte, vermag vielleicht der an

Senat und Volk gerichtete Brief fam. 10,8 am ehesten einen gewissen Eindruck zu vermitteln. Danach besteht kein Anlaß, bei dem Redner irgendwelche archaistischen Neigungen zu vermuten, eine Annahme, zu der auch seine Schülerschaft bei Cicero nicht eben rät.

e) M.Caelius Rufus

Neben Cicero und Calvus wird Caelius von Aper Tac. dial. 18,1 unter den Nachahmern der antiqui angeführt. Der Passus besagt aber weder bei Cicero noch bei

Calvus etwas für eine derartige Nachahmung. Im Hinblick auf Caelius liegen die

Dinge fraglos nicht anders°”. Jedoch Aper hebt die Altertümlichkeit seiner Reden noch an anderer Stelle hervor, Tac. dial. 21,3 f.: ex Caelianis orationibus nempe eae placent sive universae (sive) partes earum, in quibus nitorem et altitudinem horum temporum agnoscimus. sordes autem illae verborum et hians compositio et inconditi sensus redolent antiquitatem; nec quemquam adeo antiquarium puto, ut Caelium ex ea par-

te laudet qua antiquus est. Aus diesen Worten meint man manchmal auf ein Altertümeln des Redners schließen zu kónnen$'. Von einer Erörterung der zitierten Sätze sei jedoch einiges zu der sprachlich-stilistischen Eigenart des Caelius bemerkt. Cicero rühmt Brut. 273 seine Rede als splendida et grandis et eadem in primis faceta et perurbana. Von einer Vorliebe für Archaismen in Sprache und Stil sagt

er bei der Schilderung seiner Beredsamkeit nichts. Auch der Terminus elegantia fällt aber an der Stelle nicht, obschon Cicero sonst gerade mit diesem Lob nicht sparsam umgeht. Anscheinend ist es nicht eben diese Qualität, durch die die Reden des Caelius besonders ausgezeichnet sind. Darauf führt auch anderes. Quintilian erwähnt als Charakteristikum des Redners das ingenium (inst. 10,1,115), die indoles (inst. 12,10,11); dem antiken Leser dürfte eine solche Betonung der φύσις die Vorstellung insinuiert haben, daß von ars und exercitatio in den Reden des Mannes relativ wenig zu spüren sei. Vell. 2,68,1 wird er vir eloquio animoque Curioni simillimus, sed in utroque perfec59 60 61

132

Dazu 97 ff. Der Text ist nicht ganz sicher; für uns ist das aber ohne Belang. Z.B. Gudeman z. St.; vorher etwa F. Becher, Über den Sprachgebrauch des Caelius, Progr. Nordhausen 1888, 7, dem Dietz 177 folgt. Für einen Liebhaber von Archaismen halten Caelius ferner auch Cousin 411; Austin, Cic. Cael. XIV; Syme 55.

tior genannt; über Curio urteilt Cicero Brut. 280: hic parum

ἃ mágistris insti-

tutus naturam habuit admirabilem ad dicendum, industriam non sum expertus, studium certe fuit. Das eloquium des Caelius weist also mit dem eines Redners, dem es sowohl an einer gründlichen Ausbildung als auch an Fleiß mangelte, eine starke Verwandtschaft auf. Caelius hat nach all dem eine feilende Sprach- und Stilgestaltung wohl nicht sonderlich am Herzen gelegen. Über die Grenzen eines puristischen delectus verborum mag den Redner neben seinem heftigen Temperament“? seine Vorlie-

be für facetiae leicht hinausgeführt haben ?. Die aus den antiken Zeugnissen gezogenen Schlüsse werden durch Sprache und Stil der Briefe des Caelius bestátigtÓ*. Selbstverständlich darf man nicht glauben, in ihnen die Diktion seiner Reden

zu fassen; in den Reden hat er zweifellos

mehr Sorgfalt auf die sprachliche und stilistische Durcharbeitung verwendet als

in solchen privaten Schreiben. Jedoch scheinen die Lizenzen des Briefschreibers, der in dem Streben nach nachdrücklicher, anschaulicher oder sarkastisch-witziger Ausdrucksweise auch das Gut niederer Sprachschichten nicht verschmäht, über das sonst im familiären sermo der guten Gesellschaft Übliche bisweilen hinaus-

zugehen‘. In Analogie dazu darf man vermuten, daß sich auch der Redner manchmal im Sprachlichen gehen lief. Mit Sicherheit als antiquiert zu klassifizierende Idiome wird man jedoch in den Briefen des Caelius kaum finden. Kurz nur zu zwei Besonderheiten. quae maxime confidentiam attulerunt hominibus (fam. 8,8,9): Auffallend ist confidentia in positiver Bedeutung; daf wir es dabei mit einem Archaismus des

Caelius zu tun haben, ist nicht erweislich. Im 2. vorchr.Jh. stehen 8 Belegen für die Verwendung des Verbs in bonam partem ab Naev. trag. 5 etwa doppelt soviele mit peiorativem Sinn ab Naev. com. 88 gegenüber, im 1. vorchr. Jh. stehen bis zur vorliegenden Briefstelle den 2 Belegen in positiver Bedeutung Quadrig. hist. 8; Cic. rep. 3,42 lediglich 5 Zeugnisse für das in malam partem gebrauchte Subst. gegenüber: Rhet. Her, 2,5,8 und 4 Stellen bei Cicero ab Caecin. 2. Danach ist freilich das Wort in positivem Sinn erst wieder ab Apul.apol. 2,5 sicher nach62

Vgl. Cic. Cael.

63

Vgl. Cic. Brut. 273; dazu Quint. inst. 8,3,22, wo vulgäre Ausdrücke gratus ... iocis decor bezeichnet werden.

76; Sen.

64

Darüber Burg, der unter vernünftiger Handhabung des Begriffes vulgär-archaisch den umgangssprachlichen, gelegentlich vielleicht geradezu vulgären Charakter der Ausdrucksweise in den Briefen herausarbeitet. Natürlich lie&en sich heute leicht in manchen Punkten Korrekturen anbringen. Vgl. noch F. Antoine, Lettres de Caelius à Cicéron,

65

dial. 5,8,6. als Ursache eines

Paris 1894, mir nicht erreichbar,

Einige Wörter mögen das ein wenig veranschaulichen. Die angeführten Wörter erscheinen nicht bei Cicero, Caesar, sonst im ciceronischen Briefkorpus: susurratores, subrostrani, embaenetica (? fam. 8,1,4), otiolum, cursitare (fam. 8,3,1), sca-

turire (fam. 8,4,2), incile (fam. 8,5,3), cohorticula (fam. 8,6,4), moechus (fam. 8,7,2), columnarii, contristare (fam. discupere (fam. 8,15,2).

8,9,5), lomentum,

nitrum (fam.

8,14,4),

133

gewiesen ©. Thes. s.v. Ob die späteren Belege in einer Fortdauer der meliorati-

ven Bedeutung gründen" oder in einer erneuten Sinnverschiebung, sei dahingestellt. Zur Zeit des Caelius braucht jedenfalls das Subst. noch nicht eindeutig abwertenden Klang gehabt zu haben. Dafür spricht auch nicht Cic. Tusc. 3,14: confidens mala consuetudine loquendi in vitio ponitur, ductum verbum a con-

fidendo, quod laudis est“. Der Gebrauch des Subst. in meliorem partem war durch die Bedeutung des Verbs gestützt, und so nicht fernliegend. hoc quo modo acciperent homines . . . vereor etiam nunc neque ... desinam formidare (fam. 8,10,1): Die absolute Verwendung von formidare wird Thes. VI 1094, 35 ff. vor Caelius nur an 6 Plautusstellen nachgewiesen; sie haben aber durchweg ihre Besonderheiten, die den absoluten Sprachgebrauch mildern

dürften”. Die Belege nach Caelius sind Publil. U 10; Ov. epist. 15,261; Colum. 4,9,1 (? ); Gell. 1,11,18, und spätere Stellen auch mehr volkssprachlicher Texte. Die transitive Verwendung, ab Naev. trag.3 bezeugt, ist von Plautus an bis Caelius herrschend. Thes. VI 1094, 70 ff. Das Verb findet sich in dieser Zeitspanne

jedoch nicht háufig. Ob der absolute Gebrauch von formidare für den Briefschreiber antiquiert war, ist bei diesem Befund sehr zweifelhaft. Überdies schwingt

bei dem das vereor aufnehmenden formidare wohl der indirekte Fragesatz mit; Caelius hat vermutlich das Fehlen eines Objektes bei dem Verb gar nicht empfunden. Die Briefe lassen also in Caelius einen Mann erkennen, der unbekümmert formu-

liert. Den gleichen Eindruck gewinnen wir aus den Fragmenten seiner Reden; auch hier zeigt es sich, daf Caelius seine sprachlichen Mittel nicht einer sehr

strengen Auslese unterwirft ”°. Archaismen des Redners wird man in den Bruchstücken nicht aufspüren können’. 66

Möglicherweise

67

Mit der Móglichkeit, da& scheinbar ganz ausgestorbene Bedeutungen in bestimmten Schichten der lebenden Sprache erhalten bleiben, muß gerechnet werden. Vgl. Lófstedt, Per. 58 zu parere „erscheinen“; 190 A. 1 zu sinere „loslassen“, spernere „fortstoßen“. Zu parere auch Svennung 546 A. 3; Meyer-Lübke 6235. Über einen anderen Fall bei mir 250 zu Quadrig. hist. 46. Nicht in genügendem Umfange zitiert von Burg 46, der confidentia „Zuversicht“ für einen Archaismus des Caelius zu halten scheint. Asin. 462,638; Mil 893; 1011: ne formida. Man kann sich fragen, ob der knappe Imp. den absoluten Gebrauch des Verbs nicht begünstigt. Vgl. auch Hofmann—

68 69

70

meliorativ, jedenfalls nicht eindeutig peiorativ auch Bell Alex. 52,4.

Szantyr 339. Cist. 688 et intus paveo et foris formido: Parallelismus; Most. 514 nihil ego formido. In den Überresten erscheinen folgende Wörter, die sich bei Cicero, Caesar, im c

ceronischen Briefkorpus nicht sicher nachweisen lassen: sopor, ructuosus, sponda, noscitare (162,17

Malc.), parricidatus (162,38

Maic.); zwei Neologismen begeg-

nen anscheinend in der Beschimpfung der Clodia: in triclinio coam, in cubiculo 71

134

nolam (162,27 Malc.). Zu dem letzten Fragment auch Bardon I 230. Austin, Cic. Cael. XIV A. 8 meint, Quintilian inst. 1,6,42 weise auf parricidatus bei Caelius hin „instancing his archaisms". Aber Quintilian geht es nicht um Archaismen der angeführten Redner, sondern um von diesen verwendetes Sprachgut,

Von der compositio seiner Reden kónnen wir uns aus den Fragmenten kaum ein Bild machen. Was spezifisch die Klauseln angeht, so spielen sie Cael. or. frg. 162, 17 Malc., der einzigen längeren erhaltenen Passage eine untergeordnete Rolle; systematisch werden sie nicht gebraucht 72, Daß ein Redner wie Caelius auf

die Acıörns der σύνθεσις durchweg sorgfältig achtete, ist nicht anzunehmen, Zurück nun zu den Worten Apers Tac. dial. 21,3. Drei vitia sind es, die an den

Reden des Rufus als Zeichen der antiquitas hervorgehoben werden: die sordes verborum,

die hians compositio, die inconditi sensus.

Der erste Vorwurf bezieht sich darauf, daß er zu wenig das Vokabular niederer Sprachschichten verschmäht, das in gefeilter Prosa nicht am Platze ist. Diese Deutung

stimmt zu den Erkenntnissen über die Wortwahl

des Caelius, die sich

auf anderen Wegen gewinnen lassen; sie stimmt ebenso zu der sonstigen Verwendung des Ausdruckes sordes im Hinblick auf die ἐκλογὴ τῶν ὀνομάτων 75, Über die hians compositio brauchen wir keine weiteren Worte zu machen. Schwer zu sagen ist, was die inconditi sensus bedeuten. Vielleicht sind sie mit

der Bitterkeit und Rauheit "^ des orator iracundissimus in Verbindung zu bringen, der wohl selbst vor Gedanken sordidioris notae nicht zurückschreckte. Eher das sich bei den folgenden Generationen nicht hat durchsetzen kónnen. Daf sich darunter Archaismen der erwähnten Autoren befinden, wäre an sich selbstverständlich móglich, ist jedoch nicht notwendig; und parricidatus, das Hapaxlegomenon

72 73

ist, als Archaismus des Caelius zu klassifizieren, haben wir gar keinen Anlaß. Dazu Bardon I 231. Seit dem älteren Seneca werden als sordida, sordes durchweg die in gehobener Sprechweise verpönten Wörter „abstoßend-vulgärer Gebrauchssphäre“ bezeichnet. Die Formulierung von H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960 & 1074,2. Das Adj. (Subst.) sordidum in diesem Zusammenhang z.B. Sen. contr. 4 praef. 9; 7 praef. 4; Sen. epist. 100,5; Quint. inst. 4,2,36; 8,2,2; Sulp. Vict. rhet. 15 p. 321,3ff. sordes Sen. contr. 7 praef. 4; Sen. epist. 114,13; Tac. dial 21,4; Fronto p. 152, 4 v. d. H. (= p.158 N.), wozu übrigens GelL 12,2,1. sordide Suet. rhet. 30,3; Apul apol. 33f. sordens Gell. 11,7,1; 19,13,3. Die Belege lieben sich leicht vermehren. Einiges aus spáterem Schrifttum bei H. Bruhn, Specimen vocabularii rhetorici ad inferioris aetatis Latinitatem pertinens, Diss. Marburg 1911, 23. Zur Veranschaulichung einige Beispiele für Vokabular, das zu

verschiedenen Zeiten für „schmutzig“ gehalten wurde: acetum, puleium, lanternae, spongiae Sen. contr. 7 praef. 3 (nach dem Text von H. 1. Müller, doch vgl auch die Textgestaltung bei Bornecque

1932).

serracum Quint.

inst. 8,3,21, wo-

zu auch Fortun. rhet. 3,4 p. 22,25. sculna Gell 20,11. arrabo Gell. 17,2,21, wozu 203. nanus Gell. 19,13,2. curculio Porph. Hor. ars 47. Char. gramm. p. 101, 18 f. B. secus illum sedi, hoc est secundum illum, et novum et sordidum est. p. 253, 18 ff. B. (ex Romano) abhinc (? Über die Stelle S. Lundstróm, Abhinc und ante, Lund 1961, 36). Die Kritik an den sordes verborum entspricht einer Ein-

stellung wie sie für die scholae typisch ist. Sen. contr. 4 pr.10; Quint. inst. 2,10, 74

9; 8,3,23. Unscharf Gudeman z. St. Zur Bitterkeit des Caelius Tac. dial. 25,4; Quint. inst. 6,3,69. Die inconditi sensus bezieht Gudeman z. St. auf den mangelhaften oratorischen Numerus; mir nicht

überzeugend.

135

aber mag mit dem von Aper erhobenen Vorwurf angedeutet sein, daß von einer Zuspitzung der sensus in pointierte sententiae in Reden des Caelius wenig zu merken ist.

All die erwähnten Mängel sind es, durch die die Beredsamkeit dieses Mannes den Anforderungen, die Aper und seine Zeitgenossen an die Eloquenz stellen, nicht

mehr entspricht; insofern kann Aper von solchen Charakteristika sagen: redo-

lent antiquitatem 75. Was jedoch mit den Worten dieser Dialogfigur nicht zum Ausdruck gebracht wird, ist der Gedanke, die Redekunst des Caelius habe zu Lebzeiten des Redners in irgendeiner Hinsicht altertümlich gewirkt oder wirken sollen. Von archaistischen Tendenzen, welcher Art auch immer, steht in der

erörterten Passage nichts "6. Was über die Beredsamkeit des Caelius ausgeführt ge der Intention der vorausstehenden Darlegungen nennt Brut. 273 seine oratio splendida et grandis; Reden dieses Mannes oder wenigstens Teilen von

worden ist, ist freilich infolein wenig einseitig. Cicero selbst Aper erkennt dial. 21,3 ihnen den nitor und die alti-

tudo der Gegenwart zu. Man wird also gut daran tun, sich von der rednerischen Ungeschliffenheit des Caelius und den volkssprachlichen Elementen seiner Ausdrucksweise keine übertriebenen Vorstellungen zu machen.

f) C. Asinius Pollio

Für einen Archaisten hält man häufig Asinius Pollio", der im allgemeinen den römischen Jungattikern zugerechnet wird ^^, bisweilen einer bestimmten Gruppe unter ihnen, den von Cicero bekämpften Thucydidii?. Pollio ist einer der bedeu-

tendsten römischen Redner; es ist deshalb angebracht, seine sprachlich-stilistischen Tendenzen eingehend zu behandeln. Zunächst über das Verhältnis Pollios zur jungattischen Beredsamkeit. Wir haben ihn nicht unter die Attizisten eingereiht; das bedarf einer Rechtfertigung. Die Zugehórigkeit Pollios zu den Jungattikern ist an keiner Stelle ausdrücklich bezeugt. Aber einige Merkmale der pollionischen Beredsamkeit kónnten für den Attizismus des Redners zu sprechen scheinen. 75 76

77

Dazu auch 101. Ungefähr richtig versteht übrigens schon Burg 9 die behandelten Äußerungen A pers. Er hátte die Merkmale der Beredsamkeit des Caelius freilich nicht auf die Nachahmung alter Redner zurückführen sollen. 2.8. Blass 142 ἴ,; Schmalz, Pollio 2ff.; Knapp

150; Tyrrell- Purser VI (1933?)

XCIV; Schanz-Hosius II 30; Marouzeau, Traité 180; Cousin 409 A.8; Dietz 178; Steidle 98 f. 78

Z.B. von Blass 142f.;

Norden, Kp.

261; Kroll, Einleitung Orator

11; Hendrick-

son, CPh 1, 1906, 104; AJPh 47, 1926, 158; André 106 f.; Bardon II 80. 79

Z.B. von Radermacher

280; Ratio 160 ff.

136

370; Kroll a. O.; Zielinski 377; André a. O.; Leeman,

Genre

Erstens: Die auffallende Hárte und Schmucklosigkeit seiner Ausdrucksweise (Tac. dial. 21,7; Quint. inst. 10,1,113) erinnern an den Vorwurf der ieiunitas,

den Cicero den Jungattikern macht °®. Zweitens: Die diligentia, die den Redner Pollio auszeichnet (Quint. inst. 10,1, 113; 10,2,25; 12,10,11), mag man mit dem Bemühen attizistischer Kreise um

elegantia und ausgefeilten Stil in Zusammenhang bringen?!. Drittens: Die von Pollio bevorzugte Synthesis, die Sen. epist. 100,7 als salebrosa et exiliens et ubi minime exspectes relictura gekennzeichnet wird, scheint von der compositio der Thucydidii kaum unterschieden”. Viertens: Nach Quint. inst. 12,1,22; Tac. dial. 25,6 hat der Redner an Ciceros oratio Kritik geübt; diese Kritik würde sich in die attizistische Polemik gegen Cicero gut einfügen. Das alles reicht jedoch nicht aus, Pollio zu den Jungattikern zu rechnen. Zum ersten: Der Mangel an iucunditas und nitor, das durum et siccum des pol-

lionischen Stils sind an sich kein hinreichender Grund, Pollio für einen Jungattiker zu halten; die Anhängerschaft

an den Attizismus ist nicht die einzig

mógliche Ursache einer derartigen Ausdrucksweise. So berichtet Quintilian inst. 11,3,10 von zeitgenóssischen Rednern, die in dicendo curam et artem et nitorem et quidquid studio paratur ut adfectata et parum naturalia solent improbare, eine Richtung, die er inst. 12,10,40 deutlich von den Attici seiner Zeit trennt; und doch scheint diese Strómung mit den gleichzeitigen Attizisten, die carent cultu atque sententiis (Quint. inst. 10,2,17), in der Ablehnung des red-

nerischen Schmuckes eine starke Ähnlichkeit zu haben. Zum zweiten: Was es mit der diligentia Pollios auf sich hat, ist Quint. inst. 10, 2,25; 12,10,11 nicht ersichtlich. Quint. inst. 10,1,113 heifst es: multa in Asinio Pollione inventio, summa

diligentia adeo:ut quibusdam

etiam nimia videa-

tur, et consilii et animi satis: a nitore et iucunditate Ciceronis ... . longe abest. inventio, consilium, animus haben es nicht mit den verba, sondern den res zu tun; das legt die Auffassung nahe, daß auch die diligentia allein mit dem τόπος πραγματικός zu verknüpfen ist, daß diligentia hier die sorgfältige Erfassung und Durchdringung der causa meint? Über den Stil des Redners äußert sich

Quintilian anscheinend erst von a nitore an. Daß für Asinius eine sorgfältige $prach80

Vgl Leeman, Ratio 161.

81

So etwa André

82 83

So Leeman, Genre 199f.; Ratio 162. Von der rerum diligentia ist etwa Quint. inst. 8 pr. 18 die Rede; im gleichen Zusammenhang

110; Leeman,

Genre

200; Ratio

steht diligens z.B. Cic. Brut.

238.

161.

Selbstverständlich kann

diligen-

tia an sich ebenfalls die sorgfältige Stilgestaltung bezeichnen, so Quint. inst. 8 pr. 23. Zu diligentia in der Rhetorik

G. Kuhlmann,

Diligentia, Diss. (masch.)

Münster

1958, 187 ff.

137

und Stilgestaltung bezeugt ist, darf somit wenigstens bezweifelt werden ?*. Aber angenommen auch, Pollio habe auf derartige Qualitäten besonderen Wert gelegt,

80 braucht doch eine derartige Einstellung nicht mit einer Nachahmung der Attiker verbunden zu sein. Zum dritten: Es gibt etwa zur Zeit Senecas Liebhaber einer aspera compositio, die clausulas abrumpant, ne ad exspectatum respondeant, ohne daß wir eine

Handhabe hätten, diese Prosaiker als Attizisten zu bezeichnen °®. In Pollio spezifisch einen Vertreter der von Cicero befehdeten Thukydidesnachahmer zu vermuten, ist gerade wegen der Besonderheiten der pollionischen Synthesis nicht ratsam. Die Thucydidii scheinen die Klauseltechnik prinzipiell abzu-

lehnen, und das ist bei Pollio durchaus nicht der Fall®®. Überdies erweckt die Annahme chronologische Bedenken: Aus den Jahren zwischen der Anfangsrede gegen C.Cato 54 a.Chr. und der Rede für Aelius Lamia

43/42 a.Chr.?" ist uns von einer prozeßrednerischen Tätigkeit Pollios nichts bekannt. Dabei handelt es sich wohl nicht um eine zufällige Lücke in unserem Wissen. Zumindest nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges ist Pollio fast stándig

an militárischen Unternehmungen Caesars auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen beteiligt®®. Nach der Eroberung Italiens vertreibt er Cato aus Sizilien, geht 49 mit Curio nach Afrika, kämpft dann in Griechenland. Erst Anfang 47

finden wir ihn als Gegner Dolabellas in Rom, wohin er freilich schon einige Zeit vorher gekommen sein mag. Im November/Dezember desselben Jahres

folgt er Caesar nach Afrika und 45 nach Spanien. Nach Rom im gleichen Jahr zurückgekehrt, wird er zum Prátor ernannt, geht aber bald wieder nach Spanien,

wo er sich zur Zeit von Caesars Ermordung befindet. Nun ist die Thukydidesimitation in der prozessualen Beredsamkeit anscheinend nicht allzu lange vor 84

Andié

73f. versteht diligentia so, wie oben vorgeschlagen,

deutet das Wort aber

110 auch auf die „recherche d' une latinité élégante et raffinée'", Unwahrscheinlich, daß Quintilian beides unter dem

einen Wort

diligentia begreift; da hätte er

sich doch wohl deutlicher ausgedrückt. Als Indiz für die stilistische diligentia Pol lios móchte man vielleicht Sen. contr. 4 pr. 3 auswerten; aber der Text ist hier nicht hinreichend

85

sicher.

Sen. epist. 100,6; vgl auch 114,15. Cestius Pius bedient sich nach Sen. contr. 3 praef. 18 in seinen Deklamationen einer compositio aspera et quae vitaret compositionem. Ähnliches berichtet Quintilian inst. 9,4,31 von seinem Lehrer Domi

tius Afer, der solebat . . . traicere in clausulas verba tantum asperandae compositionis gratia . . . ut currentibus per se numeris, quod eos inhiberet, obiceret. Hier verrät sich dieselbe Einstellung wie bei Brutus, der versus... . ipso conpo-

86

nendi durius studio saepissime facit (Quint. inst. 9,4,76); aber nichts spricht dafür, daß Cestius und Afer Nachahmer der attischen Redner sind. Zu den Thukydideern 159 f. Über Pollio Sen. epist. 100,7: omnia apud Ciceronem

desinunt, apud Pollionem cadunt exceptis paucissimis quae ad certum modum et ad unum exemplar adstricta sunt. Die Klauseln bei Pollio werden jedenfalls nicht ganz geleugnet; vgl dazu noch

87 88

138

140.

Datierung der Rede bei André 69. Darüber Groebe, RE II (1896) 1590; André 13 ff.

46 aufgekommen ??. Daß es bereits Thucydidii gab, als Pollio im Prozeß gegen Cato debutierte, ist jedenfalls zweifelhaft; zweifelhaft ist gleichfalls, daß die

Richtung noch 42 existiert??. Es ist somit fraglich, ob der Redner überhaupt die Möglichkeit hatte, mit dieser Thukydidesimitation in so enge Berührung zu kommen, daß seine Eloquenz dadurch für alle Zeit ihre Prägung erhielt.

Wenn Cicero 46 gegen die gegenwärtigen Thukydidesimitatoren polemisiert, denkt er schwerlich besonders an Pollio, der zumindest nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges bis etwa 43 als Gerichtsredner kaum in Erscheinung getreten sein kann. Schließlich werden Quint. inst. 10,2,17 die obscuri, die Sallustium atque Thucydidem superant, neben die tristes ac ieiuni gestellt, die Pollionem aemulantur; Pollio scheint demnach anders als Sallust von seinen Nachahmern quintilianischer Zeit nicht mit Thukydides in Verbindung gebracht zu werden. Es wird so das Beste sein, die Verknüpfung des Redners mit den Thucydidii fal-

len zu lassen. Zum vierten: Die Kritik Pollios an Cicero braucht durchaus nicht in unmittelbarer Verbindung mit der Attizistenkontroverse zu stehen. Quintilian unterscheidet inst. 12,10,12 f. zwischen den Angriffen der Zeitgenossen, die Cicero als tu-

midiorem et Asianum et redundantem et in repetitionibus nimium et in salibus aliquando frigidum et in compositione fractum, exultantem ac paene . . . viro molliorem

bezeichnen, und der Kritik nach

dem

Tode Ciceros, als den großen

Redner passim qui oderant qui invidebant qui aemulabantur adulatores etiam praesentis potentiae non responsurum invaserunt. Während die zeitgenössische Polemik gegen Cicero offenbar hauptsächlich von den Attizisten ausgeht, ist das Gleiche nicht von den Angriffen zu sagen, die in augusteischer Zeit gegen den Toten gerichtet werden. In diese Angriffe ist am ehesten die feindselige Kritik des selbstbewußten Pollio einzuordnen, ein Versuch, durch die Herabsetzung des

überragenden Vorgängers die eigene rednerische Bedeutung aufzuwerten?". 89 90 91

Vgl. 154 f. Daß sich die Thukydideer als Prozeßredner betätigten, lehrt Cic. Brut. 287; orat. 30. S. auch opt. gen. 15 f. Dazu 166. Auch die stilistischen Übereinstimmungen, die André 108 f. zwischen Thukydides und Pollio findet, sind nicht sehr beweiskrüftig. Da& in dem Geschichtswerk des

Asinius Thukydidesreminiszenzen vorgekommen sein mögen, ist im übrigen gewiß denkbar; für einen stilistischen Anschluß

Pollios an den großen griechischen Histo-

riker besagt das ebensowenig wie etwa Demosthenesreminiszenzen bei Sallust beweisen, daß

sich der römische Geschichtsschreiber den hellenischen Redner als

Stilmuster gewählt hat. 92

Aufschlußreich die Anekdote Sen. suas. 6,27. Asinius Gallus hat de comparatione patris et Ciceronis geschrieben, wobei natürlich der Beredsamkeit Pollios die Palme zuerkannt wurde. Plin. epist. 7,4,6; Suet. Claud. 41,3; Gell. 17,1,1. Die Kritik des Gallus unterscheidet sich insofern von der der Attizisten, als er sich auch mit rein sprachlichen Fehlern Ciceros befaßt, was die Jungattiker, soviel man sehen kann,

139

Durchschlagende Gründe für die durch antike Zeugnisse unmittelbar nicht zu belegende Zugehórigkeit Pollios zu dem rómischen Attizismus lassen sich also nicht beibringen. Im Gegenteil gibt es manches, was von einer solchen Auffassung abrät. Quintilian bezeichnet in seiner Charakteristik der bedeutendsten rómischen Redner zwar Calvus als imitator Atticorum (inst. 10,1,115), sagt aber von Pollio

nichts dergleichen (inst. 10,1,113)9*; und in derselben Zeit sind die Nachahmer der attischen Redner und die Pollios, nach Quint. inst. 10,2,17 zu urteilen, zwei

voneinander verschiedene Gruppen”. Es sieht somit nicht danach aus, daß man Pollio in jener Epoche als einen imitator Atticorum kennt. Vor allem aber spricht gegen eine derartige Ansicht die Tatsache, dafs die Überreste der pollionischen Prosa, in denen weithin der oratorische Numerus ange-

wendet ist, den Ditrochäus als bevorzugte Klausel aufweisen”°; das ist aber gerade die für die asianische Beredsamkeit charakteristische conclusio ?5. Gewiß mußte ein Attizist einem Dichoreus nicht in jedem Falle aus dem Wege gehen, aber eine hervorragende Rolle kann diese Klausel in der Prosa der Jungattiker nicht gut gespielt haben. Móglich ist natürlich, da& Pollio, obwohl nicht Attizist, in manchem mittelbar oder unmittelbar von jungattischen Stilvorstellungen beeinflußt ist.

Für die archaistischen Neigungen des Redners pflegt man hauptsächlich zwei Stellen ins Feld zu führen: Tac. dial. 21,7 f., wo Aper bemerkt: Asinius quoque,

93

nicht getan haben. Vgl. 85 A. 10. Quint. inst. 12,1,22 wird die Polemik der Asinii zusammengenannt; móglich also, daf gleichfalls die Kritik Pollios in diesem Punkt von der der Attici abweicht. Calvus ist überhaupt der einzige in diesem Zusammenhang genannte Redner, der als Attizist gekennzeichnet wird; auf Brutus, der hier gar nicht erwühnt wird, sind da-

raus keine Rückschlüsse zu ziehen. 94 95

Darauf macht im gleichen Zusammenhang schon Groebe, RE II (1896) 1594 aufmerksam. Dazu de Groot 81f.; 108; André 111 f. Besonders bemerkenswert ist die Anwen-

dung der hellenistischen Klauselpraxis in dem einzigen längeren Historienfragment; Pollio nimmt in diesem Punkte deutlich eine Sonderstellung gegenüber Sallust und Livius ein. Darüber de Groot a. O.; zum Gebrauch der Klauseln in der Geschichtsschreibung noch Quint. inst. 9,4,18; 129. Die Hervorhebung der Eintönigkeit von Pollios Klauseltechnik Sen. epist. 100,7 (zitiert 138 A. 86) kónnte, wie André 112

meint, auf die Bevorzugung des Ditrochäus gehen. Freilich erweckt die Äußerung Senecas den Eindruck, daß die pollionische Prosa weithin unrhythmisch sei. Möglich, daß Seneca in dieser Hinsicht übertrieben hat, um

den Unterschied

zwischen

Cicero und Pollio stark hervorzuheben, Vielleicht aber denkt er allein an die philosophischen Schriften des letzteren; denn daß sich Pollio auch auf diesem Gebiete schriftstellerisch betätigt hat, ist nach Sen. epist. 100,9 trotz André 82 nicht zu bezweifeln. 96

Vgl

Cic. orat. 212; Quint. inst. 9,4,103; Rufin. gramm.

VI 566,29. André

112 über-

sieht, daß der asianische Charakter dieser Klausel durch antike Äußerungen bezeugt ist.

140

quamquam propioribus temporibus natus sit, videtur mihi inter Menenios et Appios studuisse. Pacuvium certe et Accium non solum tragoediis sed etiam orationibus suis expressit; adeo durus et siccus est. oratio autem sicut corpus hominis ea demum pulchra est, in qua non eminent venae nec ossa numeran-

tur, sed temperatus ac bonus sanguis implet membra ... et decor commendat. Quint. inst. 10,1,113, wo es über Pollio heißt: a nitore et iucunditate Ciceronis ita longe abest ut videri possit saeculo prior. Aber in beiden Passagen steht kein Wort von der Anwendung antiquierten Sprachgutes oder spezifisch dem Gebrauch altertümlichen Vokabulars bei Pol-

lio?"; wovon hier allein die Rede ist, sind die Schmucklosigkeit, die Schlichtheit, die Härte des pollionischen Stils. Das sind dieselben Eigenarten seines Stils, auf die auch die Bemerkung des älteren Seneca contr.4 pr.3 über Pol-

lio deutet: floridior erat aliquanto in declamando quam in agendo; es sind dieselben Besonderheiten, durch deren Nachahmung die spáteren Imitatoren Pollios tristes ac ieiuni werden (Quint. inst. 10,2,17). Die anderen Zeugnisse, die für Pollios archaistische Neigungen geltend gemacht

worden sind, haben womöglich noch geringere Beweiskraft?*. Keinesfalls wird man an die Überreste der pollionischen Prosa von vornherein mit der Erwartung herantreten dürfen, sie seien durch eine altertümelnde Sprache gekennzeich-

net”. 97

Das hat anscheinend erst André 106f. klar ausgesprochen.

98

André 105 weist auf Pollio gramm. frg. 499,6 Fun. hin, wonach Asinius anders als Varro glaubte, in Nelei carmine sei das Fem. puer, nicht puera gebraucht worden,

André meint, in dieser Entscheidung ein Indiz für Pollios ,,tendance à I’ archaisme“ zu finden. Die Auffassung Pollios über den Sprachgebrauch in einem alten carmen besagt aber nichts für seine sprachlich-stilistischen Tendenzen. Dietz 178 schreibt in seinem Referat von Schmalz, Pollio: ,,Sehr hoch schátzte er (Pollio) den Varro (Plin. N.H. 7,30), der dem Grundsatz huldigte ,antiquis verbis utor' (Ling, Lat. 5,9), welchen Grundsatz Schmalz auch für Pollio vindiziert". Der varronische Ausspruch wird hier verfälschend referiert; in dem Zusammenhang, in den er gehört, beweist er nichts für ein Archaisieren Varros. Dazu auch 26 A. 16. Über die Möglichkeit ar-

chaistischer Tendenzen bei Varro noch 331 A.96. Gesetzt jedoch, Varro wäre Archaist, so wáre die Annahme ganz ungerechtfertigt, Asinius habe die gleichen sprachlich-stilistischen Neigungen wie der Mann, dessen Bild als einzigen lebenden Autors er in seiner Öffentlichen Bibliothek aufstellte. Denn daß diese Ehrung der Sprache und dem Stil Varros galt, ist unbeweisbar und wenig wahrscheinlich; vermutlich wart es die wissenschaftliche Leistung Varros, die auf solche Weise anerkannt wurde.

99

Es muß jedoch gesagt werden, daß es ebenfalls keine antike Äußerung gibt, die der Annahme,

Pollio sei Archaist, geradezu widersprüche.

Das gilt auch für Suet. gramm.

10,2, eine Stelle die gern gegen diese Annahme ins Feld geführt wird; z. B. von Marache 39; Leeman,

Ratio

165, vgL

auch

162; Syme

55. Pollio hat nach der Sueton-

notiz in einem Buch Sallustii scripta getadelt ut nimia priscorum verborum affectatione oblita. Daraus ist lediglich zu folgern, daß Pollio nicht gut in derselben Weise wie Sallust verba prisca affektiert haben kann; sonst hátte er sich mit seiner Pole-

mik vor dem römischen Publikum nur lächerlich gemacht. Mit etwas andersartigen sprachlich-archaistischen Neigungen aber würe die Kritik an einer nimia affectatio

141

Von der umfangreichen literarischen Hinterlassenschaft Pollios ist wenig erhalten. Die größte Textmasse bieten die drei Briefe Cic. fam. 10,31-33. Ein anti-

quiert poetisches Idiom ist hier vielleicht suboles fam. 10,33,1 199, Sonst findet sich in den Briefen zwar mancherlei, was man von Cicero nicht gewohnt ist, aber nichts davon ist mit hinreichender Sicherheit als Archaismus oder Poetis-

mus Pollios zu klassifizieren !°'. Nur zu einer Kleinigkeit. neque desse neque superesse rei p. volo (fam. 10,33,5): superesse ali. „jmd. überleben“ ist nach André 105 ein für den Briefschreiber antiquiertes Idiom. Hingewiesen wird dafür auf Plaut. Asin. 17, eine schon Gell. 1,22,20 verglichene Stelle. Das ist aber überhaupt der einzige sicher vorpollionische Beleg, und da heißt es: tuum vis unicum gnatum tuae superesse vitae sospitem et super-

stitem. Offenkundig ist der Beleg nicht einwandfrei: Die Verbindung von superesse mit dem Dat. ist durch das prádikative superstitem erleichtert. Pollios Ausdrucksweise ist aus der intendierten Gegenüberstellung der Komposita von esse zu verstehen, eine überhaupt beliebte Antithese. Diese Verknüpfung von superesse mit rei p. ist nach deesse, auf das sich der Dat. ebenso bezieht, nicht auffällig. Ohne daß erleichternde Momente im Spiel sind, begegnet der behandelte Sprachgebrauch bei Livius ab 1,34,2 und dann Vell. 2,119,4. Es ist also eine erst in der Kaiserzeit sich durchsetzende Sprachgewohnheit; sie kündigt

sich in den erleichterten Verwendungsweisen bei Plautus und Pollio bereits an!9?. durchaus zu vereinen. Eine Analogie zu dieser Móglichkeit: Gellius legt 1,10 fraglos zustimmend Favorinus eine Kritik gegen Auswüchse des Archaisierens in den Mund; 11,7 äußert er sich persönlich ganz im gleichen Sinne wie Favorinus. Über den pollionischen liber im übrigen 316 ff. Auch wenn die Schreibweise einer pollionischen

Memoirenschrift von Fronto p. 120,7 ff. v. d. H. (= p.126 N.) ungünstig beurteilt wird, läßt das kaum

den Schluß zu, Pollio könne nicht Archaist gewesen

sein; schon

deshalb nicht, weil diese Schrift nicht unbedingt für die pollionische Prosa repräsentativ zu sein braucht. 100 Dazu 29. Schmalz, Pollio und André ist das entgangen. 101

Schmalz,

Pollio hat sich bemüht,

in den drei Briefen altertümliches oder poetisches

Sprachgut aufzuspüren. Viel ist es nicht, was Schmalz zusammenträgt; schon die Parallelen, die er selbst vorlegt, oder ein Blick in den Thes. lehren im allgemeinen, daß die Einordnung

des Ausdruckes als dichterisch oder antiquiert wenigstens bedenklich

ist. Bei Pollio Cic. fam. 10,33,2 palparer (Victorius: palmarer M: palma rerum HD) wäre das Fortleben

des Verbs im Romanischen

zu berücksichtigen. Vgl.

Meyer-Lüb-

ke 6175. Gelegentliche phraseologische Übereinstimmungen Pollios mit den Kom kern dürften von dem umgangssprachlichen Charakter der betreffenden Wendungen rühren. Zutreffender als Schmalz urteilt über die Ausdrucksweise der Briefe André 103. 102 Übrigens hat sich nach Gell. 1,22,19 dieser Sprachgebrauch auch in libro epistularum M. Ciceronis ad L. Plancum gefunden. In den erhaltenen Briefen ist er nicht nachweisbar. Irrt Gellius oder kennen wir nicht den gesamten Briefwechsel Ciceros mit Plancus? nactus statt nanctus (Pollio Cic. fam. 10,31,1; 32,5; or. frg. 174, 47 Malc.; vgL noch gramm. frg. 499,7 Fun.) ist natürlich nicht mit André 105 als pol lionischer Archaismus

anzusehen.

nactus ist zwar älter als nanctus, aber für Pollio

gewiß eine normale Form. Vgl. schon Schmalz, Pollio 13; Sommer 600.

142

Den Reden Pollios werden

13 kurze wórtliche Fragmente zugewiesen, manche

nicht sicher. Zwei Bruchstücke bieten sprachliche Besonderheiten. si, Caesar, ex omnibus mortalibus, qui sunt ac fuerunt, posset huic causae

disceptator legi, non quisquam te potius optandus nobis fuit (or. frg. 174,43 Malc.): André 105 scheint in der Verwendung von mortales ein Indiz für Pollios archaistische Neigungen zu sehen. Aber in der Verbindung omnes mortales ist das substantivierte Adj. dem Redner Cicero bis Phil. 10,22 geläufig; anderes Thes. VIII 1510, 54 ff. Die Junktur wird auch in der Rhetorenschule des beginnenden Prinzipats verwendet: Sen. contr. 7,1,13: 10,1,6. Es besteht kein Anlaß, für diesen pollionischen Gebrauch von mortales eine Tendenz zum Altertümeln verantwortlich zu machen. Vielleicht hat die Wendung leicht feier-

lich geklungen; sie fügte sich dann gut in den etwas feierlichen Satz Pollios '? ein. sed cum ob ea quae speraveram dolebam, consolabar ob ea quae timui (or. frg. 174,46 Malc.): Nicht für eine Rede bezeugt. Das Mediopass. consolabar fallt auf. Thes. IV 481, 17 ff. wird der Gebrauch nur noch Met. Num. epist. frg. Gell. 15,13,6 nachgewiesen; er ist aber auch Brut. Cic. fam. 11,11,2 anzuerkennen. Aktives consolare begegnet im übrigen ab Varro Men.347, passives con-

solari ab Tert.fug.9. Thes. s.v.'. Wir haben keinen Grund, in dem pollionischen Mediopass. einen Archaismus des Autors zu erkennen ', Wenn Pollio sich dieser Móglichkeit, die die lebende Sprache hat, bedient, so offenbar, um den Chiasmus konzinn zu gestalten. Damit dürfte alles der Antiquiertheit verdáchtige

Sprachgut der Redefragmente

erórtert sein. Fraglos geben die Reste der pollicnischen Prosa, soweit sie bisher behandelt worden sind, keine Handhabe, Pollio zu einem Archaisten zu stempeln. Das längste Bruchstück der Kunstprosa Pollios stammt aus den Historien (Sen. suas. 6,24 = hist. 5). Mit der Betrachtung dieses Fragments wollen wir den bisher gewonnenen Eindruck vervollständigen.

in omne aevum: André 106 hält aevum für eine pollionische Entlehnung aus älterer Prosa; zur Wahl dieses Subst. habe

den Schriftsteller nicht der dichteri-

sche Klang, sondern die Altertümlichkeit des Wortes bestimmt. Die Vermutung ist kaum richtig. aevum (aevus) erscheint seit Plaut. Poen. 1187 — hier in einem Gebet, und zwar als Mask. — und Enn. ann. 115 recht oft in Dichtung republikanischer Zeit; die frühesten Prosabelege sind Cic. rep. 6,13; phil. frg. V 50; Varro 103 So auch Bardon II 81. 104 Die Belege sind hier sehr vermehrungsfähig; z. B. Aug. doctr. christ. 3,17 G; Hist Apoll

105

rec. A. 28; Sacr. Greg.

191,1; Vita Roman.

rec. (BHL

7306)

p.181,29.

Wenn

Gellius 15,13,1 f.; 6 den behandelten Sprachgebrauch für ungewöhnlich erklärt, so wird er nur die consuetudo eruditorum vor Augen haben. Dazu 18 A. 22. Für die Freiheiten, die die lebende Sprache pollionischer Zeit im passivischen Gebrauch der Dep. hatte, aufschlußreich die Passivformen adgrederer und aspernatur Cic. epist. frg. II 2.3 M, Beim letzteren Beleg ist übrigens ähnlich wie bei Pollio Kor zinnität im Spiel,

143

ling.6,11 in einer etymologischen Erklärung; Sall.Iug.1,1. Für Pollio dürfte aevum

danach durchaus vorwiegend dichterischen Charakter gehabt haben !96, Es ist auch recht mißlich für die diskutierte Annahme, daß das Subst. in der Bedeu-

tung „Zeit“, in der es in dem Historikerfragment gebraucht wird, überhaupt erst Lucr. 1,460; Catull. 1,6 nachzuweisen ist. Vgl.auch Thes. s.v.

priscam severitatem: Über priscus urteilt André 106 in der gleichen Weise wie über aevum. Aber auch Cicero verwendet das Adj. in Reden, philosophischen und rhetorischen Schriften. Danach kann das Wort, mag es schon im ciceronischen Briefkorpus fehlen, gegen Ende der Republik aus dem gesprochenen Latein nicht gut bereits geschwunden sein; dann ist es ebenfalls für Pollio nicht eigentlich antiquiert. Gerade im Zusammenhang mit altertümlicher Strenge wird

priscus gern gebraucht !?", und die Verbindung des Adj. mit severitas ist beliebt: Cic. har. resp. 27; Liv. 22,60,5; Vell. 2,92,2; 125,4; Tac. ann. 6,13,8; 11,25,13. Auf der Formelhaftigkeit der Wendung beruht der Reiz einer Variation wie Vell.

2,127,4: (vir) severitatis laetissimae, hilaritatis priscae. magna munera deum: Der Gen.Pl. deum ist in Pollios Zeit zweifellos nicht eine sehr ungewöhnliche Form gewesen !9, In Verbindung mit munus wird er von Neue-Wagener I 173 einigemal bei Tacitus nachgewiesen; hinzufügen ließe sich etwa Plin. paneg. 4,7; Apul. apol. 4. Mehr als eine vielleicht etwas gehobene Bildung wird man in der Form bei Pollio nicht sehen dürfen. rebatur: In rebatur wird man tatsächlich mit André 105 ein altertümliches Idiom erkennen dürfen; besonders antiquiert ist das Wort für Pollio wohl nicht!®.

mortalium nulli virtus perfecta contigit: Mit dem substantivierten Adj. mortales verknüpft sich hier die Vorstellung der menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit. Diese Verwendung von mortales begegnet auch sonst in Prosa:

Rhet. Her. 4,6,9; Cic. har. resp. 32 Gegensatz mortales — di immortales; Nep. Con. 5,1; Vitr. 8 pr.3. Das behandelte Bruchstück weist in der Tat gewisse antiquierte oder poetische Sprachelemente auf. Beweis für archaistische Neigungen des Prosaikers oder gar des Redners Pollio?

Es handelt sich um ein Stück historiographischer Prosa augusteischer Zeit. Die Möglichkeit, daß Pollio in seinem Geschichtswerk sich dem sprachlich-stilisti-

106

Richtig schon Schmalz, Pollio 36; vgl. über aevum noch Leumann, Dichterspr. 134.

107

Vgl Kroll zu Catull. 64,159, der auf Cic. Cael 33 hinweist: severe et graviter et prisce agere. Noch aufschlußreicher ist aber, worauf Austin, Cic. Cael. zu Cicero

a. O. aufmerksam macht, Cic. or. frg. A 14,20: primum homo durus ac priscus invectus est in eos. . . quid cum hoc homine nobis tam tristi ac severo? Die Variation der Attribute zeigt, wie nahe das priscum und das severum einander ste108

hen. Vgl. auch Copa 34. Vgl. 129; aus den Historien ungefähr gleichzeitiger Literatur sei auf deum

109

Nep. Ages. 2,5 verwiesen. Vgl. 31.

144

numen

schen Einfluß des Historikers Sallust nicht ganz hat entziehen können !', ist schwerlich abzuweisen. Auch ist in Anrechnung zu bringen, daß gerade in dieser Periode in Rom Theorien über die Verwandtschaft von dichterischer und

historiographischer Lexis bekannt werden '''. Auf die sprachliche Praxis des Redners Pollio wären aus den beobachteten Lizenzen in dem Geschichtsfragment keine Rückschlüsse zu ziehen. Darüber hinaus kann das Bruchstück aber auch

nicht als charakteristisch für Sprache und Stil des Historikers Pollio gelten. Die Passage ist gewissermaßen die laudatio funebris Ciceros. Pollio hat auf diese abschließende Würdigung besonderes Gewicht gelegt. Darauf deutet ihr Umfang: Sie ist länger und ausführlicher als die entsprechenden Würdigungen anderer

Historiker, die Sen. suas. 6, 22 ff. zusammengestellt sind. Dementsprechend hat, wie Seneca suas. 6,25 bezeugt, Pollio in ihr ungewóhnliche stilistische Brillanz an den Tag gelegt: adfirmare vobis possum nihil esse in historiis eius hoc quem retuli loco disertius, ut mihi tunc non laudasse Ciceronem, sed certasse cum Cicerone videatur. Die Verwendung eines altertümlichen und eines poetischen Wortes ist unter diesen Umständen nicht auffällig; sie erklärt sich hinlänglich

aus dem individuellen Charakter des Fragments !!?. Also: Nichts berechtigt dazu, eine prinzipielle Verwendung veralteten Sprachgutes für ein Merkmal der Reden Pollios oder überhaupt seiner Prosa zu halten. Sollte aber nicht wenigstens die Härte und Dürre, die für den Stil offenbar nicht

nur der pollionischen Beredsamkeit charakteristisch waren !!?, dem Bestreben entspringen, ältere römische Prosa stilistisch zu kopieren ''*? Die Antwort ist mit hoher Wahrscheinlichkeit verneinend. Schon für Quintilian hätte es inst. 10,1,113 nahe gelegen, den archaischen Mangel an nitor und iucunditas bei Pollio mit dem Hinweis auf die pollionische 110 Das Geschichtswerk Pollios ist erst nach dem Tode Sallusts entstanden; nach 31

111

a. Chr., vermuten Kiessling-Heinze zu Hor. listischen Einfluß Sallusts 336 f. Dazu 44f.

carm.

2,1 ansprechend.

Über den sti-

112 André 103 ff. macht sich die dargelegten Momente, durch die das Fragment wenig über die sonstige Prosa Pollios lehrt, nicht bewußt. Die ,,solennité du passage" empfindet aber auch er. 113

Daß es mit dem Geschichtswerk im ganzen nicht anders gestanden haben kann, indiziert die oben zitierte sarkastische Äußerung des Rhetors Seneca; aus ihr wie aus den ihr folgenden Worten ergibt sich, daß die Söhne des Rhetors die Historien nicht

mehr aus eigener Lektüre kannten. Offensichtlich ist das Werk, mag es auch aus sachlichen Gründen von

spáteren Historikern benutzt worden

sein (dazu André

64 ff.),

bald wenig gelesen worden; das lag zweifellos an dem wenig anziehenden Stil Pollios.

114

Quint. inst.10,1,101 ff. wird Pollio nicht unter den rómischen Geschichtsschreibern erwühnt. Auf diese Ansicht will vielleicht André 106 ff. hinaus. Marache 39 f. glaubt, Pollio

gehöre zu einer Gruppe von Rednern, die „pratiquent un genre sobre qui se réclame de la tradition antique . . . ils n'hésitent pas au besoin à se réclamer des anciens, mais de facon anonyme et surtout morale, niant l'éloquence de leur temps sans réellement connaitre l'éloquence ancienne."

145

Imitation altlateinischer Prosa zu erklären, falls er etwas von einer derartigen

Praxis gewußt hätte. Noch gravierender ist das Fehlen eines solchen Hinweises bei Tacitus-Aper im Dialogus. In Ausführungen, in denen unhistorisch Calvus, Caelius, Cicero als Nachahmer der archaischen Redner hingestellt werden, kónnte kaum der einzige geschichtliche Fall einer Nachahmung archaischer Prosaiker durch einen Klassiker übergangen werden. Bemerkenswert ist Tac. dial. 21,7. Hier soll die Rückständigkeit der pollionischen Beredsamkeit nachdrücklich her-

ausgearbeitet werden. Und auch an dieser Stelle sagt Aper weder etwas davon, daß Pollio sich an ältere römische Prosa gehalten habe, noch nennt er gar bestimmte Prosaautoren mit Namen: Pacuvium certe et Accium non solum tra-

goediis sed etiam orationibus sui expressit 5. Vermutlich Quintilian, sehr wahrscheinlich Tacitus ist somit von einer Anlehnung Pollios an ältere römische

Prosa nichts bekannt !!6, Als Ergebnis einer bestimmten literarischen Abhängigkeit oder der Zugehórigkeit zu einer bestimmten Strómung in der zeitgenóssischen Prosa wird Pollios

ungefälliger Stil in keinem ernsthaften antiken Zeugnis begriffen. Mag Pollio auch von attizistischen Anschauungen und manchen anderen Eindrücken nicht unbeeinflufit gewesen

sein, in erster Linie ist in den Eigenheiten seines Stils der

— vielleicht bewußt kultivierte — Ausdruck des schroffen und rauhen Wesens zu sehen, das diesen Mann auszeichnete. 115

Die Nähe der pollionischen Tragödien zu denen des Accius und Pacuvius gestattet selbstverständlich keinen Analogieschluß auf die Nachahmung archaischer Prosa. Vgl.

801. Übrigens ist Pollio, was die Dichtung angeht, bekanntlich keineswegs ein

sich dem Neuen verschließender fautor veterum. 116

Alle Erkenntnisse über Pollios Redekunst,

soweit sie aus kaiserzeitlichen Zeugnis-

sen zu gewinnen sind, unterliegen allerdings einer gewissen Einschränkung: Die Zeugnisse sind wahrscheinlich

in erster Linie, wenn

nicht ausschließlich, an pollionischen

Reden augusteischer Zeit orientiert. Denn dieser Epoche wird Pollio als Redner durchweg zugerechnet. So Vell. 2,36,2: quis. . . ignorat diremptos gradibus aetatis floruisse hoc tempore

. . . Brutum, Calidium, Caelium, Calvum

et proximum

Cice-

roni Caesarem eorumque velut alumnos Corvinum ac Pollionem Asinium. Pollio (geb. 76) wird mit dem erheblich jüngeren Messalla (geb. ungef. 64), der erst 44/ 43 als Redner debütiert zu haben scheint,'in einem Atem genannt, nicht mit Cat vus (geb. 82), Caelius (geb. 82), Brutus (nach Vell. 2,72,1 geb. 78), die ihm hinsichtlich sowohl des Alters als auch des ersten rednerischen Auftretens näherstehen. Auf derselben Vorstellung beruht es, wenn Pollio Tac. dial 21,7 ais propioribus temporibus natus gekennzeichnet wird, nachdem Calvus, Caelius, Caesar, Brutus kritisiert worden sind. Quintilian schließlich erwähnt inst. 12,6,1 kurz die Erst-

lingsrede Pollios aus dem Jahre 54, das nächste datierbare Polliozitat bei ihm stammt aus der Zeit nach 29 (Quint. inst. 6,1,21 = or. frg. 174,20 Malc.); die übrigen genannten oder zitierten Reden sind, soweit datierbar, jünger. Ebenfalls Quinti-

lian dürfte somit Pollio als Augusteer vor Augen stehen. Vgl. zu allem noch 138 f.

146

8) Allgemeines zur Sprache des ciceronischen Briefkorpus Wir haben es in diesem Kapitel bisher in besonderem Maße mit der Sprache zu tun gehabt, die Korrespondenten Ciceros in ihren noch einige abschließende Bemerkungen.

Briefen verwenden.

Dazu

Den Männern, die mit Cicero Briefe wechseln, kommt es hauptsächlich auf den Inhalt ihrer Schreiben an, nicht so sehr — obwohl es dabei natürlich mancherlei Abstufungen gibt — auf die Form. Diese Schriftstücke sind keine Stil-

übungen. Sprachliche Finessen, literarische Anspielungen, Ostentation stilistischen Kónnens, all das ist hier im allgemeinen von durchaus untergeordneter Bedeutung. Die Schreiben von Ciceros Briefpartnern darf man nicht lesen, als handelte es sich um die epistolographischen Produkte von Autoren wie Symmachus, Sidonius Apollinaris, Ennodius.

Die Texte des ciceronischen Briefkorpus stehen auf sehr verschiedenem stilistischem Niveau. Wenigstens in den mehr familiären Schreiben bekommen wir, wenn irgendwo, den sermo zu Gesicht, wie er in der guten Gesellschaft der ausgehenden

Republik üblich ist: epistulas . . . cotidianis verbis texere solemus,

schreibt Cicero fam. 9,21,1. Ciceronisch sieht das Latein dieser Briefe nicht immer aus. Die gesprochene Sprache auch der Kreise, denen die Briefschreiber angehóren, ist eben durchaus nicht normiert. Bei befremdenden Idiomen ist zunächst mit uns weniger bekannten Eigentümlichkeiten des lebenden Lateins zu rechnen. Auf der anderen Seite bieten gerade familiäre Schreiben sprachlichen Lizenzen einen gewissen Raum. Die Annahme eines extravaganten Ausdruckes

ist also hier nicht immer abzuweisen; nur ist sie die erst in zweiter Linie in Betracht zu ziehende Móglichkeit. So kann man gelegentlich in einem mehr familiären Brief ein antiquiertes oder poetisches Idiom finden; charakteri-

stisch für die Sprachgestaltung solcher Briefe sind derartige Besonderheiten nicht. Die letztere Feststellung gilt vielleicht noch mehr für distanziertere Schriftstücke, denen in der Praxis eher eine vorsichtigere Ausdrucksweise eignet. Auch nach der Theorie wáren Archaismen und Poetismen hier nicht in besonderem

Maße zu erwartende Ingredienzien der Sprachgestaltung !!". Für die Personen, deren Sprache und Stil bisher in dem vorliegenden Kapitel behandelt wurden, waren irgendwelche archaistische Neigungen überhaupt nicht bezeugt. Etwas anders steht es mit den zwei folgenden Autoren.

h) C. Sallustius Crispus Daß Sallust bereits als Redner Nachahmer Catos und ein besonderer Liebhaber von Archaismen gewesen sei, ist eine jüngst geäußerte Annahme. Sie ist indes117

Vgl. 46f. Aligemein über die Sprache

des Briefkorpus Büchner,

RE VII A (1939)

1232 f.

147

sen nicht nur nicht zwingend !5, sondern geradezu unwahrscheinlich. Die entscheidenden Sachverhalte sind in den vorangegangenen Ausführungen zum Teil bereits hervorgehoben worden. Erstens: Im Orator Ciceros findet sich an den Stellen, an denen von verba prisca gehandelt wird (orat. 80 f.; 201 f.), nicht das mindeste Indiz für die Existenz ar-

chaistischer Neigungen in der rómischen Beredsamkeit. Das stimmt wenigstens skeptisch gegen die Vermutung, Sallust habe vor 46 a.Chr. in seinen Reden archaisiert. Zweitens: Der Hinweis Ciceros Brut. 65, kein gegenwärtiger Redner kenne überhaupt den alten Cato, wäre nicht verständlich, hätte der Redner Sallust vor 46

a.Chr. seine Ausdrucksweise mit Catonismen ausstaffiert — selbst wenn er seit seinem Tribunat 52 a.Chr. nicht mehr oratorisch tätig gewesen wäre. Das sallustische Archaisieren erscheint, soweit es uns kenntlich ist, stets in Verbindung

mit der Nachahmung Catos; da empfiehlt sich auch nicht die Annahme eines

archaistischen Redners Sallust, der kein catonisches Sprachgut verwendet”. Drittens: Cassius Severus äußert Sen. contr. 3 praef. 8: orationes Sallustii in ho-

norem historiarum leguntur. Bereits wohl vor 5 p.Chr. sind demnach die Reden, die Sallust selbst gehalten oder anderen geschrieben hatte, nicht mehr um ihrer

selbst willen gelesen worden '?®, Wenige Dezennien später waren sie anscheinend 118

Die Annahme bei Leeman, Ratio 163 ff.; sie wird gestützt mit den Epistulae ad Caesarem, die Leeman für sallustisch zu halten geneigt ist und „as specimens of deliberative oratory“ ansieht. Aber die Echtheit der Briefe einmal angenommen,

nichts zwingt zu der Auffassung, daß sie Sallusts Redestil vertreten. Wenn man in der Antike die Invektive, die keinerlei archaistische Züge aufweist, für sallustisch

halten konnte, so zeigt das, welche sprachliche Spannweite man einem Prosaiker wie Sallust zutraute. Wie können

wir dann die Möglichkeit ausschließen,

Ausdrucksweise sallustischer Reden ganz anders war als die der Briefe? G. Jachmann,

119

Die Invektive gegen Cicero, Berlin

1950,

daß die

Vgl noch

243 ἔ, und bei mir die fol-

gende A. Leeman, Ratio 165 meint, die sallustische Sprachpraxis habe Cicero entgehen kön nen. Höchst unwahrscheinlich, daß Cicero von einer derartigen, wie wir schon jetzt sagen können, ziemlich spektakulären Form der Stilisierung nichts, auch nicht durch

seine zahlreichen Bekannten, gehört hätte. Ganz ausgeschlossen ist das jedenfalls bei den Tribunatsreden Sallusts. Vgl auch Cic. Mil 47 mit der Erklärung Ascon. MiL p.42,19 ff. Zumindest diese Reden kónnen nach dem Dargelegten nicht gut durch die Verwendung von Catonismen und Archaismen charakterisiert gewesen sein. Das könnte allenfalls für sonstige Reden Sallusts gelten. Von deren Existenz ist jedoch nichts bekannt, wenn man von der Rede absieht, die Sallust dem Ventidius für dessen Triumph 38 a. Chr. geschrieben haben soll. Gesetzt aber, es habe noch andere Reden Sallusts gegeben: hält man sie für gekennzeichnet durch den Gebrauch catonischen und antiquierten Sprachgutes, so kommt man offenbar ohne die Voraussetzung einer starken sprachlich-stilistischen Vielfalt des sallustischen Redewerkes kaum aus, Wie kann man aber unter dieser Voraussetzung von den Epistulae auf die Reden Sallusts schließen? 120 Die Datierung der Äußerung: In ihr wird Sen. contr. 3 praef. 14 Pollio noch als lebend erwähnt.

148

Bei diesem Argument

ist allerdings vorausgesetzt,

daß alles, was Se-

ganz verschollen; denn Asconius Pedianus bezieht Mil.p. 42,5 ff. seine Kenntnisse über die Reden des Tribunen Sallust offenbar allein aus den acta. Spátere

Autoren erwähnen Sallusts Reden wohl überhaupt nicht mehr ?'. Als Redner hat Sallust die Nachwelt wenig beeindruckt ??, Nun ist der Ruhm der sallustischen Geschichtswerke vorwiegend in ihrer Sprache und ihrem Stil begründet. Wenn Sallusts Reden so schnell in Vergessenheit geraten sind, so sind sie vermutlich anders stilisiert gewesen als die historischen Schriften, und damit kaum durch Catoimitation und priscorum verborum affectatio gekennzeichnet. i) Q. Aelius Tubero

Von Tubero heißt es Pompon. dig. 1,2,2,46 125: fuit autem patronus (Mommsen: patricius trad.) et transiit a causis agendis ad ius civile, maxime postquam Quintum Ligarium accusavit nec optinuit apud Gaium Caesarem ... Tubero ...

complures utriusque operis (iuris publici et privati) libros reliquit; sermone neca hier dem Severus in den Mund legt, entweder einem einzigen Gesprách stammt oder mehreren Gesprächen aus derselben Zeit. Jedenfalls gehört die rung aber in augusteische Zeit: Cassius Severus ist unter Augustus verbannt und wenigstens, daß Severus die angeführte Bemerkung getan hat, wird man ca glauben dürfen. 121

entÄußeworden; Sene-

Es kónnte freilich so aussehen, als werde Sallust von Fronto p.56,25 ff. v. d. H. (7 p.62 N.), (zitiert 266) zu den Rednern gerechnet. Doch ist der Gen. oratorum

wohl ebensowenig noch auf Sallust zu beziehen wie gleich darauf der Gen. poetarum auf Antipater: Fronto p. 131,13 ff. v. d. H. (= p.113 f. N.) werden verschiedene Autoren nach den Literaturgattungen,

die sie vertreten, angeführt; Sallust er-

scheint hier lediglich unter den Historikern, Cato auch unter den Rednern. Das Zitat bei Fronto p. 143,20 f. v. d. H. (= p.149 N.) gehört trotz Hauler, WS 40, 1918, 177 nicht sicher Sallust. Sollte es jedoch, wie Hauler will, aus einer sallustischen Rede stammen, dann indiziert es, daß die wirklichen Reden Sallusts gerade

im delectus verborum sich erheblich von den Geschichtsschriften unterschieden haben müssen.

Die Stelle: multi murmurantium voculis in luco eloquentiae oblectantur.

In den sicher echten wie den angefochtenen Sallustiana kommen von den Wörtern des Satzes nur multi, in, eloquentia vor. Es finden sich als ungefähre Synonyme

der fehlenden Wörter mussare or. PhiL 3; or. Macri 8; nemus hist, frg. 2,81; gaudere Tug. 64,5. Für eloquentia bevorzugt Sallust außerdem in den historischen Werken das altertümliche facundia. Vgl. 292. Wenn La Penna, SIFC 35, 1963, 21 f. das Bruchstück

dem Proómium

der Historien zuweisen

möchte,

so ist das schon aus

sprachlichen Gründen sehr wenig empfehlenswert. Zur rednerischen Hinterlassenschaft Sallusts im übrigen noch Syme 297. 122 Damit ist noch nichts Sicheres darüber gesagt, wie die Zeitgenossen die sallustische Redekunst einschätzten. Wenn nach Fronto p. 117,6 ff. v. d. H. (= p.123 N.) Sallust für Ventidius 38 a. Chr. eine Rede verfaßt hat, so ist das allerdings nicht unbedingt ein Indiz dafür, daß Sallust als Redner hohes Ansehen genoß.

123

Möglicherweise

hat

Sich der alte Caesarianer Ventidius vornehmlich deshalb gerade an Sallust gewandt, weil er ihm persónlich nahestand. Anders Büchner 357. Auf die Stelle weist schon Norden, Kp. 259 A.1 hin, der Tubero „der Partei der Alten" zurechnet. Della Corte 80 A.1 hält Tubero ohne Grund für einen Asianer.

149

etiam (? ) antiquo usus affectavit scribere et ideo parum libri eius grati habentur.

Pomponius und seine Zeitgenossen glauben also, es mit einem Archaisieren Tu-

beros zu tun haben. Dieses Urteil wird jedoch nur im Hinblick auf die Fachschriften des Juristen geäußert; auf die in der Republik und unter Caesar gehaltenen Reden Tuberos ist daraus kein Rückschluß zu ziehen. Das schon, weil

es sich um zwei verschiedene Gattungen handelt^^. Überdies gehören aber die juristischen Werke Tuberos ganz oder zum weitaus überwiegenden Teil augusteischer Zeit an: Vorher kann der Autor, dessen Geburt kaum vor 75 a.Chr. zu setzen ist, als Kenner der Jurisprudenz nicht in besonderem Umfange literarisch

tätig gewesen sein '^^. Wir haben soeben, den Digesten folgend, von Reden Tuberos gesprochen. Aber sein Geburtsdatum stimmt auch mißtrauisch gegenüber dem Pl. causae agendae. Aus Ciceros Ligariana ergibt sich zudem, daß Tubero 46 a.Chr. kein Routinier

auf dem Forum war 6. Die Anklage des Ligarius kann durchaus seine erste Prozeßrede gewesen sein. Zu ihr ist Tubero durch sehr persönliche Umstände veranlaßt worden; ein weiteres oratorisches Wirken braucht er nicht beabsichtigt zu haben. Die Angaben des Pomponius über den Werdegang Tuberos wären eine leicht zu

durchschauende Konstruktion!?”: Tubero ist in einem bekannten Prozeß gescheitert, später hat er sich als Jurist einen Namen gemacht; also hat ihn die Niederlage vor Gericht entscheidend dazu bestimmt, die bereits begonnene rednerische Laufbahn zu beenden und sich endgültig der Rechtswissenschaft zuzuwenden.

Jedenfalls ist die Rede in dem Ligariusprozeß die einzige Rede Tuberos, von der uns etwas bekannt ist. Daf er in ihr einen sermo antiquus affektiert hat, ist durch nichts indiziert und für eine vor Caesar gehaltene Rede eher unwahr-

scheinlich 25, Es ist durchaus denkbar, daf die augusteischer Zeit zuzuweisenden Rechts-

schriften Tuberos durch eine archaistische Sprache gekennzeichnet waren ?. 124

125

Das verkennt Marache 27, der irrtümlich unseren Q. Aelius Tubero für den gleichnamigen Zeitgenossen der Gracchen hält. Auf diesen älteren Tubero bezieht sich natürlich das Cicerozitat Gell 1,22,7; or. frg. 175,1 Malc, ist es falsch eingeordnet.

Cicero nennt ihn Lig. 8; 9 noch 46 a. Chr. ausdrücklich adulescens, Tubero selbst verteidigt seine Parteinahme im Bürgerkrieg mit der Unselbstándigkeit

126 127 128 129

150

seiner

Jugend:

juvenem se patri haesisse (or. frg. 175,4 Mailc.). Die Zeit des Bürgerkriegs fällt ohnehin für die Abfassung juristischer Schriften aus. Schwerlich könnte sich Cicero sonst wie Lig. 10 äußern: in hac causa non nihil equidem, Tubero, etiam tuam sed multo magis patris tui prudentiam desidero. Ohne weiteres werden sie akzeptiert etwa noch von Wenger 485; Schulz 50 f. Die 346f. vorgetragenen Argumente gelten mutatis mutandis auch für Tuberos Ligariana. Im übrigen beweist, wie längst gesehen, die Digestennotiz, daß gerade die Juristen in ihren Fachschriften keine archaistischen Tendenzen verfolgten, weder zur Zeit Tuberos noch zur Zeit des Pomponius. Über die sachliche, von Extravaganzen freie Ausdrucksweise der Juristen auch in Reden Schulz 63 ff.; 115 f.

Sicher ist es nicht. Wenn Pomponius, der in der Blütezeit des Archaisierens lebt, sprachliche Merkwürdigkeiten Tuberos als Symptome einer affectatio deutet, überträgt er möglicherweise zu Unrecht die ihm aus seiner Zeit geläufigen sprachlich-stilistischen Neigungen auf den alten Juristen. Vielleicht war Tubero lediglich zu bequem, die aus älterer Literatur übernommenen Aufzeichnungen sprachlich zu modernisieren. Zu dieser Vermutung würde der Eindruck passen, den

Tubero hist. 9, das einzige längere Buchstück der tuberonischen Historiae '?9, von dem Autor vermittelt. Die Marter des Regulus wird in einem eintónigen Satzgebilde geschildert, in dem Wichtiges und Unwichtiges, Früheres und Spáteres parataktisch aneinandergereiht werden. Das ist stilistisch wenig gewandt und

wenig bemüht”. Für das Geschichtswerk

Tuberos hat man eine archaistische Sprachgestaltung

angenommen P; ob mit Recht, ist zweifelhaft. Die Beurteilung der republikanischen Prosa bleibt tum Tuberos läßt es blik zu setzen. Dazu aus dem Anfang des

jedenfalls davon unberührt. Das mutmafMiche Geburtsdakaum zu, die Entstehung der Historiae noch in die Repustimmt, daß Tubero hist.3 (=Dion. Hal. ant. 1,80,2), ein Werkes stammender Passus, die Einrichtung der luperci

Iulii vorauszusetzen scheint '?, Bis jetzt haben wir einer Kritik standhaltende Indizien für ein sprachliches oder stilistisches Altertümeln in der republikanischen Beredsamkeit nicht aufspüren 130

Die Identität des Historikers und des Juristen Tubero läßt Liv. 4,23,1 annehmen; hier heißt der Historiker — bei allerdings nicht ganz einhelliger Überlieferung — Q. Tube-

IO. In jüngerer Zeit halten an dem Geschichtsschreiber Q. Tubero fest z. B. BardonI 261 A.1; Walsh 115 und sonst; Ogilvie 16 f. Für die Identifizierung des Historikers mit L. Tubero, dem Vater des Juristen, dagegen M. Gelzer, Gnomon 18, 1942, 228 f. 7 KL Schr. III, Wiesbaden 1964, 278 f.; Badian 22; entschieden Werner, Gymnasium

131

75, 1968, 509f. Die Stilisierung des Fragments läßt im übrigen die Vermutung Ogilvies 16 unglaubhaft erscheinen, Tubero sei als Historiker Thukydidesnachahmer gewesen. Die Vermutung findet auch darin keine Stütze, da& der Q. Aelius Tubero, dem Dionys von Halikarnaf seine Schrift über Thukydides widmet, offenbar ein Verehrer des Thu-

kydides ist. Denn die Identität dieses Tubero mit dem Geschichtsschreiber ist ganz ungewiß, eher sogar unwahrscheinlich: Dionys spielt nie auch nur darauf an, daß der Adressat aktiver Historiker ist oder zu werden plant. 132 So Peter, HRR r, CCCLXXI; Bardon I 263. Aber Pompon. dig. 1,2,2,46 ist für die Annahme eines archaisierenden Historikers Tubero keine ausreichende Basis. Die Fragmente bieten ebenfalls nichts Beweiskráftiges. Das Adv. inimiciter Tubero hist. 5 kann durchaus noch zu Lebzeiten des Autors mit inimice konkurriert haben. Vgl. 246 zu Quadrig. hist. 41. Für delinquere statt deficere Tubero hist. 13 gilt das freilich kaum. Vgl. Thes. V 1,459,20 ff. Aber das Fragment ist erstens nicht für das Geschichtswerk bezeugt: Serv. auct. Aen. 4,390 Tubero: nam delinquat aut superet aliquid tibi, id est deficiat aut superet. Zweitens kónnte die ganze ausgeschriebene Partie tuberonisch sein; dann würde Tubero das delinquat eines álteren Schriftstükkes erklären. 133 G. Binder, Die Aussetzung des Kónigskindes Kyros und Romulus, Beiträge zur Klas sischen Philologie 10, Meisenheim am Glan 1964, 105.

151

kónnen. Der Befund ist nicht einfach mit Lücken in unseren Kenntnissen zu erklären. Dank dem Brutus, in

dem Cicero nach seinem eigenen Zeugnis die

römischen Redner in möglichst vollständiger Zahl aufzuführen sucht^, sind wir über recht gut lediglich Offenbar

die lateinische Eloquenz ungefähr bis zur Mitte des 1. informiert. Cicero erwähnt so etwas wie archaistische bei zwei Rednern, bei Laelius und bei dem gewesenen weiß er nichts von derartigen Neigungen bei anderen

vorchr. Jh.s Tendenzen Prátor Cotta Rednern der

135

Vergangenheit; also hat es bei ihnen solche Tendenzen wohl auch nicht gege-

ben P6, Zu diesem Schluß passen sowohl die ciceronischen Äußerungen über das verbum priscum in ihrer Eigenart als auch die allgemeine Einstellung jener Epoche zur älteren Eloquenz wie überhaupt zur älteren Prosaliteratur. 134

Brut. 244; 181 praeclare intellego . . . praeteriri. .. a me aliquot ex veteribus commemoratione aut laude dignos, sed hoc quidem ignoratione . . . de his autem, quos ipsi vidimus, neminem fere praetermittimus eorum, quos aliquando dicentis audivi mus. Ciceros Behauptung hält einer Prüfung stand. Von den in Malcovatis Samm-

lung aufgenommenen Rednern, die zu Ciceros Lebzeiten tätig waren, werden nur folgende im Brutus nicht erwähnt, obschon sie zur Abfasssungszeit der Schrift siCher bereits tot sind: M. Aemilius Lepidus (95 Malc.), L. Sergius Catilina (112 Malc.), P. Clodius Pulcher (137 Malc.), T. Annius Milo (138 Malc.). Für Lepidus, Catilina, Milo ist jedoch kein rednerisches Auftreten vor Gericht bezeugt; Cicero, dessen eigentliches Interesse der forensischen Beredsamkeit gilt, schweigt vielleicht daher von ihnen. Was Catilina angeht, so könnte Cicero ihn auch wegen seiner al

ten Feindschaft bewußt übergangen haben. Das wird jedenfalls das Motiv sein, weshalb er Clodius nicht nennt. Und damit wird noch ein móglicher Grund für das Übergehen Milos faßbar: Bei seiner Erwähnung wäre ein Hinweis auf Clodius schlecht zu umgehen

gewesen.

Redner wie M, Duronius (68 Malc.), Helvius Mancia (71 Malc.)

und manche andere kónnten zur Entstehungszeit des Brutus noch gelebt haben. Ganz ühnliche Darlegungen bereits bei Douglas, Brutus LIII f. 135

Darauf weist ähnlich schon Dihle, Analogie 183; 199f. hin.

136

Ganz unerklärlich wäre das Schweigen Ciceros, wenn er, wie Vretska I 43 mefnt, de orat. 3,153 gegen „Archaismus als Stilmerkmal“ hätte Stellung nehmen müssen. Daß ausgerechnet sámtliche Vertreter dieser Praxis die Abfassungszeit des Brutus überlebten, wäre ja nicht gut anzunehmen. Zu Vretskas Ansicht auch 41 A. 73.

152

5. Thukydidesnachahmung und Sallustnachahmung

a) Das Problem Das zweite unter Vergils Namen überlieferte Gedicht des Katalepton lautet: Corinthiorum amator iste verborum iste iste rhetor; namque,

quatenus

totus

Thucydides, tyrannus Atticae febris tau Gallicum min et sphin et — male illi sit,

ita omnia ista verba miscuit fratri. Die Textgestaltung? und die Interpretation dieser Choliamben sind, wie man weiß, mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpft. Der Gesamtsinn ist aber heute ziemlich klar. Kurz die bekannten Tatsachen: Angegriffen wird in den Versen ein gewisser Titus Annius Cimber, wie aus Quint. inst. 8,3,28 f. in Verbindung mit 1

Die Literatur zu dem

Gedicht,

soweit sie vor 1949

erschienen ist, verzeichnet

Westendorp 18f. Danach sind E. Marmorale, Pertinenze e impertinenze, Napoli 1960, 97 ff. und A. Salvatore, Appendix Vergiliana, Epigrammata et Priapea, Napoli 1963, 12ff. ausführlicher auf das Gedicht eingegangen, aber wenig fórderlich. Vgl dazu Kenney, CR 76, 1962, 242; Buchheit, Gnomon 37, 1965, 691. Unerreichbar waren mir E. Bolisani, Dall'Appendix

Vergiliana. Il Catalepton e le Dirae, Padova

1958; C.

Soltero González, ΕἸ Apéndice virgiliano. Tesis Univ. Cat. del Ecuador Quito Publ.

del Inst.Sup. de Humanidades cläs. II 1958. 2

Sie nach E. Reitzenstein. Am Anfang der 5. Zeile ist jedoch die Überlieferung ita statt des gleichfalls überlieferten ista vorzuziehen. Morel, RhM 79, 1936, 411 f. Dagegen freilich Westendorp 28; er glaubt, mit dem wiederholten ista werde auf einen dem Keltischen eigentümlichen Konsonanten, einen st-Laut angespielt, den der aus Massalia oder Umgebung stammende Cimber auch im Lateinischen oder Griechischen nicht habe unterdrücken kónnen. Aber Westendorps Hypothese über Cimbers Herkunft steht schon an sich auf schwachen Füßen; und geradezu gegen sie spricht folgendes: Die Politik des Antonius, dessen entschiedener Parteigánger Cimber und sein Bruder Extitius (Cic. Phil. 13,28) sind, ist ausgerechnet gegenüber Massalia aus naheliegenden Gründen sehr unfreundlich (Cic. Phil 13,32); unwahrscheinlich, daß Cicero, der sich auch sonst für Massalia ereifert (z.B. off. 2,28), kein Wort darüber verloren hät-

te, wenn die beiden Brüder als Massalioten auf der Seite des Gegners ihrer Landsleute stünden. Es deutet auch nichts darauf hin, daß in dem Pasquill ein Aussprachefehler verspottet wird: Der Tenor der Verse ist durch das Stichwort der Corinthia verba bezeichnet; in diese Affektation

fügt sich der Gebrauch von min, sphin ein, und auch

die Bemerkung über das Tau geht gewiß auf eine antiquicrte Spracheigentümlichkeit, den Gebrauch des attischen Doppel-Tau statt des Doppel-Sigma der Koine. Diese Auffassung wird durch das 167 zitierte Lukilliosgedicht gestützt. Gallicum tritt παρὰ προσδοκίαν

für Atticum

ein, wie schon E. Reitzenstein

78 f. bemerkt; ob sonst noch

irgendeine persönliche Anspielung damit verbunden ist, sei dahingestellt. Die Befürwortung des ista durch Westendorp

gründet also auf Voraussetzungen,

die nicht akzepta-

bel sind.

153

Cic.Phil. 11,14; 13,26 zu entnehmen ist. Cimber hat einem Gerücht zufolge, auf das auch Cicero anspielt, seinen eigenen Bruder umgebracht. Aus dem vorliegen-

den Gedichtchen geht hervor, daß er als führendes Mitglied? einer attizistischen Sekte mit großem

Eifer Thukydides nachahmt — quatenus totus Thucydides. Als

Thukydideer affektiert er Archaismen wie das Doppel-Tau anstelle des DoppelSigma der Koine, min, sphin^. Der Verfasser des kleinen Pasquills verquickt die

Fama vom Brudermord witzig mit den archaistischen Neigungen Cimbers, indem er unterstellt, diese antiquierten Spracheigentümlichkeiten seien es, die Cimber seinem Bruder als tódlichen Gifttrank gemischt habe. Nun erfahren wir Suet. Aug. 86,3, daß Cimber, auch im Lateinischen archaisierend, eine Vorliebe für catonisches Vokabular hat. Dieses Altertümeln des Thukydideers Cimber hat man mit dem Stil der Thukydideer in Verbindung gebracht, mit denen sich Cicero Brut. 287 f. und orat. 30 ff. auseinandersetzt. Bei den Thucydidii, deren einer Cimber sei, verbinde sich, so wird angenommen, die Imitation des Thukydides mit archaistischer Sprachgestaltung?. Vor einigen Jahren ist demgegenüber die Ansicht vertreten worden, die von Cicero bekümpften Thucydidii seien im Gegensatz zu Cimber gerade keine Archai-

sten®. Die Ansicht ist richtig. Aber sie bedarf einer eingehenderen Begründung als sie gegeben worden ist. Vor allem kann und muß das Verhältnis der verschie-

denen Stilstrómungen zueinander noch schärfer erfaßt werden. b) Die Thucydidii Ciceros Die Nachahmung des Thukydides ist in der rómischen Beredsamkeit anscheinend erst ziemlich kurz vor 46 aufgekommen ^. orat. 30 spricht Cicero von den Thucy3

Zu tyrannus vergleicht Westendorp 33 Ausdrücke wie regnare in foro, regnum loquendi

Eher ist an ein Wort wie σχολαρχεῖν zu denken, vielleicht noch besser an

den Namen des Tyrannion, den dieser Grammatiker erhalten haben soll, ὡς κατατρέχων τῶν ὁμοσχόλων πρότερον καλούμενος Θεόφραστος (Suda IV 607, 19f. Adler). — Daß

Cimber tatsächlich Redelehrer war, ist nicht z.B. mit Westendorp

23,

Bardon 1 306 aus dem rhetor der zweiten Zeile zu folgern. Als rhetor wird auch in spóttischem oder betont abfälligen Sinne jemand bezeichnet, der sich überhaupt besonders der Beredsamkeit widmet, z. B. Cic. de orat. 2,10; Nep. Epam. 6,3. Das scheint mir mit E. Reitzenstein die bessere Deutung der Stelle. Mit dem zweimaligen iste sucht der Autor des Gedichts nach einem auf Cimber so recht passenden Ausdruck:

4 5

6 7

Dieser, dieser — ja, was?

Hier gehört ein Wort hin, das Cimber

trifft

und ihn lächerlich macht. Die bloße Berufsbezeichnung wäre matt; gut paßt dagegen die boshafte Ausdeutung der intensiven literarischen Betätigung Cimbers. Zu diesen sprachlichen Besonderheiten vgl. 167 f.; über das tau Gallicum auch oben A. 2. In diesem Sinne äußern sich Birt 53ff.; E. Reitzenstein

70ff.; Westendorp

24;

Dietz 174 f.; Steidle 97; Della Corte 83 A.2 hält Cimber für einen Asianer. So Leeman, Genre; in etwas modifizierter Form wiederholt werden diese Darlegungen von Leeman, Ratio 159 ff. Seine Argumente bei mir 160. So bereits Leeman, Genre 201. Vgl auch Syme 52; 54.

154

didii als einem novum ... imperitorum et inauditum genus. So würde er sich Schwerlich ausdrücken, wenn es seit dem Beginn des rómischen Attizismus, also doch wohl seit wenigstens

10 Jahren, unter den rómischen

Rednern

Nachahmer

des griechischen Geschichtsschreibers gäbe. Zum erstenmal hören wir von der Richtung Brut. 287 f., Cicero operiert hier gegen sie mit zwei Árgumenten:

Erstens: Thukydidesist als Vorbild für forensische Redner ungeeignet, weil er Historiker ist. Also es handelt sich bei ihm um ein anderes Genos. Zweitens: Die Reden in dem thukydideischen Geschichtswerk sind zu altertüm-

lich. Mit dieser Bemerkung will Cicero offenbar einem Einwand vorbeugen, der sich gegen das erste Argument erheben ließe: Thukydides habe doch auch Reden in sein historisches Werk eingelegt, an die man sich halten kónne. Allerdings spricht Cicero von der Altertümlichkeit der thukydideischen Reden nicht ganz so direkt wie wir es getan haben; sie ist eher die als bekannt vorausgesetzte Prámisse seiner Argumentation. Cicero gebraucht einen Vergleich, der zwar nicht streng durchgeführt ist, dessen Intention aber klar ist; auf seinen gedanklichen Kern reduziert, lautet er: Der Liebhaber eines Falernerweines wird

sich an ein gewisses mittleres Alter halten. sic ego istis censuerim et novam istam quasi de musto ac lacu fervidam orationem fugiendam nec illam praeclaram Thu-

cydidi nimis veteram tamquam Anicianam notam persequendam. ipse enim Thucydides, hat also des wie wenn er und die

si posterius fuisset, multo maturior fuisset et mitior (Brut. 288). Cicero nicht sprachliche, sondern stilistische Eigentümlichkeiten bei Thukydibei den ihn nachahmenden rómischen Attizisten vor Augen. Was sollte, an sprachliche Dinge dächte, die Warnung vor der nova oratio bedeuten Aufforderung, sich an ein gewisses mittleres Alter zu halten?

Ganz ühnlich sind die Gedanken, die Cicero orat. 30f. gegen die Thukydidesimitation der Attizisten ins Feld führt: Erstens: Thukydides ist Historiker, nicht Redner. Zweitens: Die in das Geschichtswerk eingelegten contiones sind kaum verständlich. Drittens: quae est autem in hominibus tanta perversitas, ut inventis frugibus glande vescantur? an victus hominum Atheniensium beneficio excoli potuit, oratio non potuit?

Das letzte Argument, vor das sich hier noch eine Bemerkung über die obscuritas der contiones einschiebt, bezieht sich wieder auf die Altertümlichkeit des thu-

kydideischen Stiles. Was es mit dieser Altertümlichkeit auf sich hat, und weshalb Cicero auf sie sowohl im Orator als auch im Brutus im Anschluf an die Erwäh-

nung der in das thukydideische Geschichtswerk eingefügten Reden hinweist, läßt sich ein wenig besser begreifen, wenn wir die dahinterstehende Geschichtskonzeption Ciceros kennen. 155

Antonius gibt de orat. 2,93-95 folgenden Abriß der Entwicklung der hellenischen Eloquenz: antiquissimi ... sunt, quorum quidem scripta constent, Pericles atque Alcibiades et eadem aetate Thucydides, subtiles, acuti, breves sententiisque magis quam verbis abundantes. consecuti sunt hos Critias, Theramenes, Lysias; . . .omnes etiam tum retinebant illum Pericli sucum, sed erant paulo uberiore filo. ecce tibi est exortus Isocrates . . ., cuius e ludo tamquam

ex equo Troiano

meri principes exierunt; sed eorum partim in pompa, partim in acie inlustres esse voluerunt. Zu den ersteren gehören Theopomp, Philistos, Ephoros, Naukrates, zu

den zweiten Demosthenes, Hyperides, Lykurg, Aeschines, Dinarch. Von diesen Gerichtsrednern heißt es: omnes sunt in eodem veritatis imitandae genere versati. postea ... alia quaedam dicendi molliora ac remissiora genera viguerunt. inde Demochares . . . tum Phalereus ille Demetrius omnium istorum mea sententia politissimus. Die Geschichte der griechischen Beredsamkeit wird auch im Brutus skizziert. Die wichtigsten Punkte: Welcher Stil zur Zeit der Redner Perikles, Kleon, Alkibiades, Kritias, Theramenes in der Beredsamkeit herrschte, ex Thucydidi scriptis, qui ipse tum fuit, intellegi maxime potest. grandes erant verbis, crebri sententiis, compressione re-

rum breves et ob eam ipsam causam interdum subobscuri (Brut. 28 £.). exstitit . . . Isocrates, cuius domus cunctae Graeciae quasi ludus quidam patuit atque officina dicendi. Lysias, Demosthenes, Hyperides, Aischines, Lykurg, Dinarch, Demades werden genannt, freilich nicht als Isokratesschüler: sucus ille et sanguis incorruptus usque ad hanc aetatem oratorum fuit, in qua naturalis inesset non fucatus nitor (Brut. 32ff.). Phalereus enim successit eis senibus adulescens ... hic primus inflexit orationem et eam mollem teneramque reddidit (Brut. 37).

Die Geschichtsdarstellungen in der Schrift über den Redner und im Brutus haben mehrere bemerkenswerte Gemeinsamkeiten?, die sich nicht einfach damit 8

Die Verwandtschaft dieser Passagen ist bereits Münzer, Hermes 40,

1905, 78 ff.

aufgefallen, dessen Ausführungen sich aber in anderer Richtung bewegen als die meinen. — Es gibt gleichfalls mancherlei Differenzen zwischen den zwei Abschnitten, was mehrere Gründe haben

wird: Cicero ist im Jahre 46 über viele Einzelher

ten besser informiert als rund ein Jahrzehnt vorher. Dazu Münzer a. O. Der Schriftsteller verfolgt in den zwei Passagen auch sehr verschiedene Intentionen. In De oratore geht es um

den Nachweis,

daß es die imitatio sei, infolge deren aetates extule-

rint singulae singula prope genera dicendi gezeigt werden, wie langsam und über wie keit sich entwickelt hat (Brut. 25 ff.; 138) Fortschrittes — jedenfalls bis zur Zeit des werden (vgl. Brut. 29 f.; 32534 £.).

156

(de orat. 2,92). Im Brutus soll vor allem viele Stationen die griechische Beredsamund zugleich der Gedanke eines stetigen Demosthenes — scharf herausgearbeitet

erklären lassen, daß beiden Schilderungen derselbe Gegenstand zugrunde liegt: Das älteste Stadium der Stilentwicklung, dem Thukydides angehört, ist durch Knappheit des Ausdrucks und Gedankenreichtum gekennzeichnet. Der ungekünstelte Stil, der nach der bedeutenden Lehrtätigkeit des Isokrates noch von Demosthenes und seinen Zeitgenossen gepflegt wird, findet in der Zeit des Demetrios von Phaleron oder durch ihn ein Ende; nun gelangt das molle in der Beredsamkeit zur Herrschaft. Mit Demetrios wird die Darstellung jeweils beschlossen.

Cicero hält sich in beiden rhetorischen Schriften offenkundig im Prinzip an dieselbe Geschichtskonstruktion. Ihr eignet ein Element der Wertung. Besonders deutlich ist das im Brutus, wo gegen Ende des Passus ausdrücklich betont wird, bis zu der soeben behandelten aetas oratorum, in qua naturalis inesset non fucatus nitor, habe der sanguis incorruptus gereicht; es ist aber auch erkennbar in De oratore, wenn es von Demosthenes und seinen Zeitgenossen heißt, sie alle hätten eine und dieselbe Art gehabt, die natürliche Redeweise nachzuahmen?. Nach diesem Stadium beginnen, so erwartet man, in der Epoche des Demetrios von

Phaleron die Unnatur und der Schwulst. In eben diesem Zeitpunkt, ohne freilich daß der Name des Demetrios fiele, fängt auch nach Dionys von Halikarnaß

der Verfall der griechischen Eloquenz an (op. rhet. 1 3,10 ff. Us.-Rad): ἐν yàp δὴ τοῖς πρὸ ἡμῶν χρόνοις ἡ μὲν ἀρχαία καὶ φιλόσοφος ῥητορικὴ προπηλακιζομένη καὶ δεινὰς ὕβρεις ὑπομένουσα κατελύετο, ἀρξαμένη μὲν ἀπὸ τῆς ᾿Αλεξάνδρου τοῦ Μακεδόνος τελευτῆς ἐκπνεῖν kai μαραίνεσθαι κατ᾽ ὀλίγον krA9.

Nun zurück zu Thukydides. Es ist jetzt klar, weshalb Cicero gerade im Anschluß an die thukydideischen Reden die Altertümlichkeit des thukydideischen Stiles

gegen die Thucydidii ausspielt!': Thukydides vertritt gemäß der literarhistori9

So sollte man am besten de orat. 2,94 verstehen:

tandae genere versati. in his omnibus (Crassi Jahn-Kroll. Vgl. noch turalis . . . nitor Brut.

omnes

weise und echt attischer Beredsamkeit führt orat. 231:

10

sunt in eodem veritatis imi-

„Natürliche Redeweise" bedeutet veritas auch Cic. Brut. 162 orationibus) inest quidam sine ullo fuco veritatis color; dazu orat. 191. Diese Interpretation stimmt ebenfalls zu dem na36. Auf den Zusammenhang zwischen natürlicher Ausdrucks (Hierocles et Menecles) ...

a forma veritatis et ab Atticorum regula absunt. Hier geht Kroll in die Irre. Es sei noch daran erinnert, daß nach Philostratos vit. sophist. 1, pr.p. 2,26 ff. Kayser (ed. min.); 1,19,1 p.21,26 ff. Kayser (ed. min.) in der gleichen Zeit die zweite Sophistik beginnt — allerdings mit Aischines; den Demetrios von Phaleron erwähnt Philostratos nie. Zusammenhünge? — Die Auffassung, in der sich Dionys mit der bei Cicero vorliegenden Geschichtskonstruktion

trifft, daß nämlich die unverdorbene, gesun-

de griechische Beredsamkeit nur bis zum Ende des 4. Jh. s. gereicht habe, wird man auch für die römischen Attizisten ciceronischer Zeit in Anspruch nehmen können. Insoweit ist es wohl richtig, wenn, freilich mit anderer Begründung, H. Heck, Zur Entstehung des rhetorischen Attizismus, Diss. München 1917, 62 annimmt, Cic. de

orat, 2,93 ff. spiegele die Auffassung der Attizisten. Im übrigen aber basieren Hecks Darlegungen hier und sonst auf einer verkehrten Ansicht vom Attizismus und sind auch in anderer Hinsicht anfechtbar. 11

Dieses Argument,

auf das Cicero in Brutus und Orator starkes Gewicht

legt, fehlt in

der Polemik gegen die Thukydideer beim Imitator Cic. opt. gen. 15 f. vollständig.

157

schen Konstruktion, der Cicero ganz unverkennbar in De oratore und im Brutus

folgt, das älteste noch faßbare Stadium in der griechischen Eloquenz"?. Das zweite und das dritte Argument der Polemik im Orator gehóren zusammen: Die multae obscuräe abditaeque sententiae der thukydideischen contiones sind charakteri-

stisch für diese älteste Stufe der Beredsamkeit. Selbstverständlich aber bedeutet das alles keineswegs, daß nach Ciceros Anschauung die Nachahmung des griechischen Geschichtsschreibers zur Anwendung altertümlicher Wórter oder anderer antiquierter Spracheigentümlichkeiten führen müsse. Allerdings gibt es eine Theorie, derzufolge die thukydideische Lexis auch durch den Gebrauch von ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα gekennzeichnet ist, also von Vokabu-

lar, das bereits für Thukydides nicht lebt'?. Dionys von Halikarnaf trägt sie als eine offenbar seinen Zeitgenossen geläufige Lehre vor. Doch scheint die Theorie vor Dionys nicht bezeugt zu sein. Cicero verrát auch in seinen um etwa 20 Jahre früheren rhetorischen Spátschriften, wie sich gezeigt hat, (noch? ) keinerlei Kenntnis von ihr. Und zur Zeit des Dionys ist die Theorie nicht unbestritten. In der

Schrift über Thukydides referiert Dionys die Meinung einiger neuerer Literarkritiker, die Historiker müßten vor allem den Stil des Thukydides — ταύτην ... τὴν φράσιν τὴν γλωττηματικὴν re καὶ ἀπηρχαιωμένην — (op. rhet. I 409,18f. Us.-Rad.) verwenden. Dann berichtet er op. rhet. I 409,26 ff. Us.-Rad. von einer anderen zeitgenössischen Ansicht über die Ausdrucksweise des Thukydides: ἤδη δέ τες ἐπεχείρησαν λέγειν, ὡς οὐ τῶν μεθ᾽ ἑαυτὸν ἐσομένων oroxaζόμενος 6 συγγραφεὺς

οὕτως ἔγραψε τὰς ἱστορίας, ἀλλὰ

τῶν καθ᾽

ἑαυτὸν

ὄντων, οἷς ἣν ἡ διάλεκτος (αὕτη συνήθης) ^. Dionys lehnt diese Auffassung ab. Er macht geltend, daß Thukydides unter den zahlreichen Rednern und Philosophen aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges mit seiner Sprachgestaltung durchaus isoliert dastehe ^. Eigens von ἀπηρχαιωμένα ἐνόματα ist in der Kontroverse, soweit wir von ihr Kenntnis erhalten, nicht die Rede. Aber die von Dionys be-

kämpfte Ansicht, die Ciceros Anschauung sehr ähnlich ist!$, kann nicht gut die Annahme eingeschlossen haben, Thukydides habe eine Vorliebe für antiquierte Wórter gehabt. 12

Eine ganz andere Stelle nimmt Thukydides Cic. de orat. 2,56; orat. 39 in der Ent-

13

wicklung der griechischen Historiographie ein. Dazu 183 A. 25. Das ist natürlich mit den ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα des Thukydides bei Dionys von Halikarnaß

gemeint; sonst müßte

der Rhetor bei jedem

der ἀρχαΐοι von ἀπηρχαίω-

μένα ὀνόματα sprechen. Vgl. dazu noch Markellinos vita Thuc. 52. 14

Der Text bei Dionys ist leider am Ende verstümmelt.

Es ist aber zweifellos, daß er

in der angedeuteten Weise weitergegangen ist; gewiß ist auch das Adj. συνήϑης — oder ein Synonym

15

— in diesem Zusammenhang

gebraucht worden.

Vgl

op. rhet.

I 410, 19 £.; 418, 7 ff. Us.-Rad. Daß in den Augen des Dionys auch der thukydideische Archaismengebrauch ein Stilmerkmal darstellt, das die Lexis des Historikers von der seiner Zeitgenossen

unterscheidet, ist schon nach dem vorgelegten Zusammenhang nicht zweifelhaft. Überdies äußert sich Dionys ausdrücklich in diesem Sinne op. rhet. I 361, 4ff. Us.-

Rad. 16

158

Zu diesem Punkt auch Reitzenstein, NGG

1914,

201.

Den Thucydidii Ciceros braucht also eine Theorie, derzufolge die Sprache ihres Vorbildes durch Archaismen gekennzeichnet ist, nicht einmal bekannt zu sein.

Noch weniger müssen sie gerade dieser jedenfalls nicht allein herrschenden Ansicht praktische Folge leisten. Im Gegenteil ist sogar sehr wahrscheinlich, daß

diese Thukydideer nicht archaisieren. Recht bemerkenswert ist schon, dafs Cicero im Orator, wo er auf den Gebrauch von verba prisca zu sprechen kommt, in keiner Weise andeutet, daß es in der zeitgenóssischen Beredsamkeit archaistische Tendenzen gibt. Noch viel auffälliger ist es aber, daß Cicero in seiner Polemik gegen die Thukydidesnachahmer nicht mit einem einzigen Wort darauf hinweist, da& die Reden seiner Widersacher durch eine auffallend-häufige Verwendung antiquierter Spracheigentümlichkeiten gekennzeichnet sind. Es ist wohl ausgeschlossen, daß Cicero,

wo er sich mit den Stiltendenzen seiner Gegner auseinandersetzt, eine Affektation veralteter Wórter und Wendungen vóllig überginge: Sie stellte doch ein Novum bei den Rednern dar, sie wäre Cicero zweifellos nicht sympathisch, sie böte ihm ferner eine treffliche Gelegenheit, die Thukydidesnachahmung in ihrer Verkehrtheit zu brandmarken und auch vor Brutus und den übrigen Jungattikern lächerlich zu machen. . Schließlich sagt Cicero expressis verbis, worin sich die Imitation des großen Geschichtsschreibers bei der ganzen Richtung äußert und worin nicht: huius (Thucydidi) ... nemo neque verborum neque sententiarum gravitatem imitatur, sed cum mutila quaedam et hiantia locuti sunt, quae vel sine magistro facere potuerunt", germanos se putant esse Thucydidas (orat.32). An anderer Stelle bemerkt er anscheinend ebenfalls über die Thucydidii: in Thucydide orbem modo orationis desidero, ornamenta comparent. isti autem cum dissolvunt orationem, in qua

nec res nec verbum ullum est nisi abiectum, ... scopas ut ita dicam mihi viden-

tur dissolvere (orat. 234 f.)5. Die Thukydideer glauben demnach, ihrem Vorbilde nahe zu kommen, wenn sie auf eine den Hiat meidende collocatio verborum? und den oratorischen Numerus, 17

Dazu Quint. inst. 8,6,62 fit enim

der einen Satz gewissermaßen

abrundet??, und

frequentissime aspera et dura et dissoluta et hians

Oratio, si... ut quodque (verbum) oritur, ita proximis, etiam si vinciri non potest, 18 19

adligetur. Auf die Thucydidii bezieht den Passus ebenfalls Kroll z. St. Darauf, daß Thukydides Hiaten nicht aus dem Wege geht, macht Cicero orat.

20

aufmerksam. Zu hians Thes. VI 3,2812,5 ff. Das Adj. mutilus ist in rhetorischen Abhandlungen selten. Vgl Thes. VIII 1721, 33 ff.

150

Quint. inst. 9,4,123 ist das Wort durch eine Konjektur Christs hergestellt. Bei Cicero

begegnet es noch einmal orat. 178, wo untersucht wird, welche causa zur apta oratio geführt hat: (animus) mutila sentit quaedam et quasi decurtata, quibus tamquam debito fraudetur offenditur, productiora alia et quasi immoderatius excurrentia, quae magis etiam aspernantur aures. So ist man zu der Einsicht gekommen esse quosdam certos cursus conclusionesque verborum. Als mutila werden also diejenigen Satzgebilde bezeichnet, die nicht apte in einer conclusio auslaufen, sondern unvermittelt abbrechen; dafür gebraucht Cicero auch die Termini decurtata (a. O.), curta (orat. 168; 173), amputata (orat. 170). Zum Fehlen der conclusio bei Thukydides vgl. auch 103 f.

159

damit zugleich auf die Periode verzichten: Das ist ihre Art, den griechischen Historiker nachzuahmen. Sie machen jedoch keinerlei Anstrengungen im Bereich des delectus verborum, um die σεμνότης und den κόσμος des thukydideischen Stils zu erreichen. Sie werden also wohl auch nicht in besonderer Weise Archais-

men verwenden ?!. Catonisches Vokabular spielt bei den Thucydidii gewiß keine Rolle. Cicero kónnte sonst nicht Brut. 65 behaupten, kein Redner der Gegenwart lese, kenne über-

haupt den Censorius??. Außer den Archaismen scheint Ciceros Thukydideern noch ein anderes Stilmerkmal gefehlt zu haben, das man gern Nachahmern des griechischen Historikers zuschreiben möchte: die Dunkelheit. Nur so erklärt es sich ungezwungen, daß Ci-

cero nirgends den naheliegenden Vorwurf erhebt, die Thukydidii spráchen unverständlich ?. Brut. 29 und 66 hebt Cicero hervor, daß Dunkelheit ein Charakteristikum des Thukydides ist. Brut. 287 f. aber, wo er sich mit den Imitatoren des Historikers auseinandersetzt, sagt er nichts von der obscuritas ihrer eigenen Ausdrucksweise oder der ihres Musters. Ganz áhnliche Divergenzen bietet der

Orator. Cicero betont orat. 31, daß die thukydideischen contiones wegen ihrer Unverständlichkeit keine geeigneten Vorbilder für die oratio civilis darstellen. Nichts steht dagegen von obscuritas orat. 32, wo Cicero den Stil der Thucydidii charakterisiert und kritisiert.

c) T. Annius Cimber

Es geht offenbar nicht an, die für Cimber bezeugte Affektation von Archaismen in unmittelbaren Zusammenhang mit der Thukydidesimitation zu bringen, gegen die Cicero polemisiert. Cimber muß einen anderen Platz in den stilistischen Strómungen des 1.vorchr. Jh.s zugewiesen bekommen. Wir beginnen mit einer Betrachtung des zweiten Kataleptongedichtes, und zwar zunüchst unter chronologischem Aspekt. Die archaistischen Neigungen Cimbers, die in den Choliamben verspottet werden, gehóren bereits in die ausgehende Republik, nicht etwa erst in augusteische Zeit. Dafür sprechen zwei Gründe. Erstens: Der Autor des Pasquills kann sich bei der boshaften Fiktion, Cimber

habe seinen Bruder mit dem Giftgebráu der Corinthia verba umgebracht, doch wohl nur auf Archaismen beziehen, deren sich der Angegriffene bereits vor dem

Tode seines Bruders bedient hat. Würden der Pointe der Choliamben Stiltendenzen zugrundegelegt, denen Cimber erst nach dem angeblichen Brudermord zu 21 22

Das scheint auch Leeman, Genre 199 aus orat. 32 zu entnehmen. So bereits Leeman, Genre 202; ähnlich Ratio 182; ein anderes Argument

23

A. 16. Man halte dagegen Dion. Hal. op. rhet. I 307, 25 ff. Us.-Rad. Da handelt es sich um eine ganz andere Árt der Thukydidesimitation.

160

bei mir 180

huldigen begonnen hat, so wäre das ein grober Anachronismus, den man dem Dichter nicht ohne Not wird zutrauen dürfen. Cicero kennt schon Phil. 11,14 das Gerücht vom Brudermord; Mitte Márz 43 ist also der Bruder Cimbers tot.

Zweitens?*: Cimber befindet sich nach Cic. Phil. 11,14 Mitte März 43 im Feldlager des Antonius vor Mutina. Das Pasquill kann nicht gut in dieser Zeit entstanden sein. Die Verse erwecken den Eindruck, daß die Thukydidesnachahmung und die rege Beteiligung Cimbers an ihr gerade zur Entstehungszeit des

Gedichtes aktuell waren; im Feldlager gab es gewiß keine Attica febris. Ohnehin ist kaum anzunehmen, daf in dieser Bürgerkriegssituation das Interesse an den literarischen Capricen Cimbers noch besonders rege war. Schließlich könnte man wohl in derartigen Schmähversen gegen den Staatsfeind einen schärferen

Ton erwarten. Ganz áhnliche Gründe machen eine spátere Abfassung des Gedichts bis zum zweiten Triumvirat unwahrscheinlich. In die Zeit der Proskriptionen wird man das Pasquill gegen einen Parteigänger des Antonius noch weniger gern setzen; überdies dürften auch in dieser Zeit sprachlich-stilistische Extravaganzen eines Autors kaum besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.

Eine noch spätere Entstehung des Gedichts erscheint aber aufgrund folgender Erwágung nicht akzeptabel: In den Choliamben wird auf das Gerücht von der Ermordung des Bruders nur angespielt. Offenbar wird die allgemeine Bekanntheit des Gerüchts vorausgesetzt. Das Gerede, das schon Mitte Márz im Umlauf ist, ist schwerlich nach den turbulenten politisch-militärischen Ereignissen des Jahres 43 und nach den furchtbaren Proskriptionen so allgemein geläufig gewesen, daß die Anspielung hätte genügen können. Alles spricht so dafür, daß das Spottgedicht jedenfalls vor Mitte Márz 43 niedergeschrieben worden ist.

Doch ist der Terminus ante quem wahrscheinlich noch in frühere Zeit zu rücken. Mag Cimber auch nicht schon am 29. November 44 mit Antonius Rom verlassen haben, sondern erst während der Belagerung Mutinas zu ihm gestoßen sein:

immerhin wird er sich nicht mehr mit auffallendem Eifer seinen archaistischen Neigungen gewidmet haben, als sein Parteihaupt mit militärischen Operationen begonnen hatte und die Lage in Rom für einen prononcierten Anhänger des Antonius nicht mehr eben angenehm war. Zudem würde auch in dieser gespannten Lage der Autor der Hinkjamben kaum noch auf Aufmerksamkeit für sein Gedicht haben rechnen kónnen. Das Pasquill wird vor Ende November 44 verfaßt sein. Bemerkenswerterweise steht in diesen Versen nichts davon, daß Cimber auch im Lateinischen archaisiert. Wir erfahren lediglich, daß er bei seiner Thukydidesimitation griechische antiquierte Spracheigentümlichkeiten verwendet. 24

Manches von dem Folgenden schon bei E. Reitzenstein 72 f.

25

Etwas anderes ist es, wenn Antonius und Octavian

während

des Mutinensischen

Krie-

ges ihre Deklamationsübungen beibehalten. Suet. gramm. 25,4; Aug. 84,1. Das ist eine Vorbereitung auf zukünftige politische Auseinandersetzungen, die griechische Thukydidesimitation Cimbers demgegenüber l'art pour l'art. Zu dem Komplex noch Quint.

inst. 10,7,27.

!

161

Das ist mit der Annahme erklärt worden, daß dem Verfasser des Pasquills eine

griechische Vorlage vor Augen gestanden habe °; denn es gibt einige griechische Gedichte, die den Choliamben in manchem ähneln. Nun ist zwar wohl richtig, daß die Anführung von min, sphin und dem Doppel-

Tau der Attizisten in derartigem Zusammenhang bereits vor dem Pasquill nicht unüblich gewesen ist; dessen Autor hält sich in dieser Hinsicht, wenn man

so

will, an eine Spottopik. Daß aber mehr in unseren Choliamben übernommenes Gut sein kónnte, darauf führen die Parallelgedichte keineswegs. Lassen wir es auf sich beruhen, daß für die Formulierung tau Gallicum ein Vorbild nicht zu finden ist. Gerade was den eigentlichen Witz des Pasquills angeht, die Verquickung der Affektation Cimbers mit dem Gerücht vom Brudermord, so entspringt der offenkundig aus der individuellen, einmaligen Situation und kann nicht aus einer bestimmten griechischen literarischen Quelle geschöpft sein”. Eine Vorlage, aus der sich das Spottgedicht ganz ableiten ließe, hat es also nicht gegeben. Der Dichter hat im Entscheidenden frei formuliert, nur von den Gegebenheiten der Situation geleitet.

Wenn man voraussetzt, daf? Cimber lediglich im Griechischen archaisiert hat, kann es nicht weiter verwundern, daß der Autor der Hinkiamben sich der schon

von anderen vorgebrachten Hinweise auf min, sphin, Doppel-Tau bedient. Das ist ohne Belang für die Aggressivität des Spottgedichtes und die Zuspitzung der Pointe. Wenn freilich der Angegriffene gleichfalls lateinische verba prisca oder gar catonisches Vokabular affektiert haben sollte, dann wáre es überaus merkwürdig, daß wir davon in dem Pasquill nichts erfahren. Einem römischen Pamphletisten mußte schon an sich ein Archaisieren im Lateinischen als Zielscheibe des Spottes näher liegen als entsprechende Neigungen im Griechischen. Noch sonderbarer aber erscheint das Schweigen des Dichters, wenn man sich die stilistische Situation in der Beredsamkeit der ausgehenden Republik vergegenwärtigt.

Ein lateinisches Altertümeln wäre in dieser Zeit etwas Neues und fiele erst recht auf, wenn

es sich mit dem Gebrauch catonischen Vokabulars verbinden

sollte ?*.

Zudem mußte die Pointe, auf die das Schmähgedicht hinausläuft, es besonders nahelegen, aufer auf die griechischen Archaismen auch auf die lateinischen Archaismen anzuspielen: So hátte das Mischen des Giftes eine viel deutlichere Entsprechung finden kónnen. Aus den Hinkiamben geht also nicht nur nicht hervor, daß Cimber im Lateinischen archaisiert; aus ihnen läßt sich sogar mit einiger Wahrscheinlichkeit entnehmen, daß der „rhetor‘ eben nicht lateinische Archaismen affektiert und erst recht nicht Catonismen, daß sich vielmehr seine archaistischen Neigungen auf das Grie26 27

28

162

So E. Reitzenstein 73£.; die Schwierigkeit ist schon Birt 56 aufgefallen. Was Birt 58 vergleicht, ist nur entfernt analog. Zu dem hinter der Pointe stehenden Vorstellungskomplex V. Buchheit, Studien zum Corpus Priapeorum, Zetemata 28, München 1962, 99 A. 1; Gnomon 37, 1965, Dazu auch meine Bemerkungen 71 ff.; 160.

691.

chische beschránken. Der Schluf hat allerdings lediglich bis zum Tode des angeblich ermordeten Bruders Gültigkeit. Für die griechische Thukydidesnachahmung, die in dem Kataleptongedicht verspottet wird, läßt sich nun noch ein Terminus post quem gewinnen: In der Polemik gegen die Thucydidii stellt Cicero orat. 31 die rhetorische Frage: quis ... umquam Graecorum rhetorum a Thucydide quicquam duxit? Zum Zeitpunkt dieser Äußerung weiß Cicero also noch nichts von griechischen Rhetoren, die Sich den Geschichtsschreiber zum Vorbild nehmen. Das bedeutet zwar nicht un-

bedingt, daß es derartige Rhetoren damals nicht gibt??, aber doch, daß man in Rom noch nichts von ihnen gehört hat. Nun ist nicht zu bezweifeln, daß die griechische Thukydidesnachahmung, der der ,,rhetor'* Cimber anhängt, zuerst von griechischen Rhetoren praktiziert und nach Rom eingeführt wird; man wird ebenfalls nicht fehlgehen in der Annahme, daß, solange diese offenbar zeitweise sehr elanvolle Stilrichtung Bestand hat, griechische Rhetoren in ihr eine gewisse Rolle spielen. Die im Katalepton gegeibelte Art der griechischen Thukydidesnachahmung kann mithin erst nach der zweiten Hälfte des Jahres 46 in

Rom aufgekommen sein. Hóchstwahrscheinlich erst nach diesem Zeitpunkt also hat Cimber mit dem griechischen Archaisieren als Imitator des Geschichtsschrei-

bers begonnen ?9. Wir wenden uns jetzt der Notiz über die stilistischen Tendenzen Cimbers zu, die Suet. Aug. 86,3 erhalten ist. Sueton berichtet Aug. 86,1, daß es Octavian in seiner Ausdrucksweise in erster Linie um das sensum animi quam apertissime exprimere gegangen sei. Er fáhrt Aug. 86,2 f. fort: M. quidem Antonium ut insanum increpat quasi ea scribentem quae mirentur potius homines quam intellegant; deinde ludens malum et inconstans in eligendo genere dicendi ingenium eius addit haec: tuque dubitas Cimberne Annius an Veranius Flaccus imitandi sint tibi, ita ut verbis, quae Crispus Sallustius excerpsit ex Originibus Catonis, utaris, an potius Asiaticorum oratorum inani[bu]s sententiis verborum volubilitas in nostrum sermonem transferenda. Daß der hier erwähnte Annius Cimber mit der in den Schmähversen verspotteten Person identisch ist, scheint allgemein für sicher gehalten zu werden, gewiß zu Recht. Was geht aber aus den Worten Octavians über ihn hervor? 29

Aus dem verstümmelten Passus bei Philodem rhet. 4 col 7,14 ff. (I p. 151 Sudh.) ist freilich nicht zu ersehen, daß schon vorher griechische Redner Thukydides nachahmten.

30

Nicht völlig auszuschließen ist allerdings, daß Cimber bereits vor 46 außerhalb Roms als Thukydidesnachahmer archaisierte und Cicero von dieser ganzen Richtung noch keine Kenntnis hatte. Die einfachere und damit probablere Annahme ist die im Text ausgesprochene,

— Falls der ermittelte Terminus post quem

für Cimbers griechisches

Archaisieren zutrifft, kann die ohnehin unbegründete Vermutung von Westendorp 26 fratrem miserum

iam anno 46 occisum

esse nicht gut richtig sein. Die spóttische

Be-

merkung Ciceros orat. 32, die Thukydidesnachahmer hielten sich für germanos Thukydidas, als Anspielung auf den Brudermord des Thukydideers Cimber zu deuten, wáre Willkür.

163

Der junge Caesar hält Antonius sarkastisch vor, er zweifle, ob er den Cimber

nachahmen solle dergestalt, daß er die Wörter gebrauche, die Sallust aus den

Origines Catos exzerpiert habe?!. Cimber hat offenbar eben das getan, was Octavian für die Folge hält, die sich aus der Nachahmung Cimbers durch Antonius

für den letzteren ergeben müßte: Er hat sich der Wörter bedient, quae . . . Sallustius excerpsit ex Originibus Catonis?. Sallust muß also die Priorität in der Verwendung catonischer Wörter vor Cimber haben; es wäre sonst zu erwarten, daß

nicht Cimber die Wörter, die der Historiker, sondern dieser die Wörter, die der

„Thetor“ aus den Origines exzerpierte, gebraucht. Darüber hinaus indiziert die Bemerkung des Briefschreibers auch, daß Sallust überhaupt als erster auf den Gedanken gekommen ist, zu Catos zu entlehnen. Wäre es einzusehen, weshalb Cimber, falls Antonius sich nicht an

literarischen Zwecken Vokabeln aus den Schriften ein unbekannter Dritter gewesen, so wäre nicht Flaccus und — nach Octavians Ansicht — ebendiesen Urheber der Catonachahmung hätten halten

sollen. Cimber bedient sich also, im Gefolge Sallusts und überhaupt erst durch diesen dazu angeregt, catonischer Wörter. Zu welchem Zeitpunkt kann er damit begonnen haben? Die Reden Sallusts haben sich sehr wahrscheinlich nicht durch Catonachahmung ausgezeichnet??, Die zwei Epistulae ad Caesarem senem sind, Sallusts Verfasserschaft einmal vorausgesetzt, anscheinend nicht für die Öffentlichkeit bestimmt

gewesen und dürften erst aus Sallusts Nachlaß publiziert worden sein?*. Ohne31

Die Formulierung

Octavians Cimberne Annius an Veranius Flaccus stark disjunktiv

aufzufassen (also: Du schwankst zwischen Cimber auf der einen und dem eine andere Stilrichtung vertretenden Veranius auf der anderen Seite; so anscheinend TeuffelKroll 503 £.), verbietet sich hauptsächlich deshalb, weil mit dem pluralischen Prádikat beide Autoren offenbar als zusammengehórig gekennzeichnet werden. Bentley hat das überlieferte an in ac geändert; gut möglich, daß die häufig akzeptierte Konjektur

das Richtige trifft. Vielleicht aber darf man das an als einen nicht ganz präzisen Aus druck Octavians doch im Text belassen. Jedenfalls werden Annius und Flaccus in dem Satz als Vertreter derselben Stiltendenzen angesehen. 32

So schon, aber ohne die Konsequenzen zu sehen, E. Reitzenstein 71; Westendorp

33 34

sie greifen allerdings Bentleys ac anstatt des ersten an auf. Vgl 148f. Daß die Briefe nicht gut öffentlich gewesen sein können, führt — freilich nicht mit jedem Argument überzeugend — Vretska I 60ff. aus; vgl noch Syme 346 A. 101. An-

24;

ders letzthin wieder Büchner, Gymnasium 70, 1963, 447. Hat aber Sallust diese Schrei ben nicht veróffentlicht, solange sie noch aktuell waren, so doch wohl erst recht nicht,

als sie durch den Gang der Ereignisse längst überholt waren. Überdies dürften jedenfalls zu Lebzeiten Caesars die scharf kritischen Bemerkungen über Anhünger Caesars (rep.

1,2,5 £.; 1,3,3£.; 1,6,1) und über die römische Plebs (rep. 2,5,6 ff.; 1,7,2) von

dem Caesarianer nicht laut geäußert worden sein. Auch an der Publikation der negativen Bewertung Catos rep. 2,4,2; 2,9,3 kann Sallust nichts gelegen haben, nachdem sich sein Catobild spátestens bei der Arbeit an der ersten Monographie so sehr gewandelit hatte. Vgl. noch Vretska I 39 A. 6. Mit der Möglichkeit, daß Cimber auf irgendwelchen Schleichwegen zur Kenntnis der Sendschreiben gelangt ist, wird man kaum operieren dürfen.

164

— Aber wie, wenn

doch eine der Episteln oder beide für die Öffent-

hin würde man nicht gern annehmen, daß allein durch diese zwei kurzen, der Tagespolitik dienenden und kaum viel eindeutig catonisches Sprachgut enthaltenden Sendschreiben 5 eine Richtung inauguriert worden ist, deren Anhänger Wörter gebrauchten, quae . . . Sallustius excerpsit ex Originibus Catonis. Wenn man sich an das hält, was von Sallusts Schriftstellerei bekannt ist, wird man also den Beginn der durch Cimber vertretenen stilistischen Strómung frühestens nach der Publikation des Catilina ansetzen *. Sallust hat diese seine erste historische Schrift jedenfalls erst nach Caesars Ermordung veróffentlicht?". Cimber hat, nachdem er sich einmal den militärischen Operationen des Antonius angeschlossen hatte, vor der Einigung zwischen Antonius und Octavian schwerlich Gelegenheit gefunden, sich einer Sallust-Catoimita-

tion zu widmen. Mit ihr kónnte er vor dem zweiten Triumvirat also wohl allenfalls zwischen Mitte Márz 44 und Mitte Márz 43 angefangen haben. Doch ist auch diese Móglichkeit kaum akzeptabel. Als entschiedener und prominenter Gefolgsmann des Antonius dürfte Cimber sich nach Caesars Tod sehr aktiv in die

Politik eingeschaltet haben *; schwerlich hat er in dieser Zeit auf literarische Novitüten geachtet und ihnen folgend, ein neues Stilexperiment unternommen.

Der Anfang der Sallust-Catonachahmung bei Cimber gehórt somitam wahrscheinlichsten erst der Zeit nach dem zweiten Triumvirat an. Bei der Sachlage kann das Kataleptongedicht, das gewiß vor diesem Zeitpunkt

verfaßt worden ist, nicht gut auf die Suet. Aug. 86,3 erwähnten Stiltendenzen bezogen werden. Eine derartige Beziehung wäre auch unter einem anderen Aspekt wenig einleuchtend. Unter der Voraussetzung einer solchen Anspielung müßten zwischen den Iden des März 44 und Ende November 44, dem mutmaßlichen Terminus ante quem für die Entstehung der Choliamben, folgende Ereignisse vermutet werden: Erscheinen des Catilina, Beginn von Cimbers Catonismengebrauch, ,,Brudermord"', Entstehung des Spottgedichts. Das Erscheinen der ersten sallustischen Monographie würde damit sehr nahe an Caesars Tod heranlichkeit bestimmt waren? Dann ist noch viel weniger als im diskutierten Fall wahrScheinlich, daß

sie eine Catonismen gebrauchende

Stilrichtung angeregt haben.

Der jün-

gere Brief ist wohl kurz nach Pharsalos zu setzen. Wistrand, Eranos 60, 1962, 160 ff.; Syme 318f. Weder er noch der ältere Brief könnte bis zum Jahre 46 eine Verwendung catonischen Sprachgutes in der Beredsamkeit veranlaßt haben. Dazu 73; 160. Haben die Schriften der Publizistik aber in einem guten Jahr nicht in dieser Weise gewirkt, so haben sie es noch später gewiß nicht getan; dazu würde passen, daß ihnen Cic. Att. 12,40,2 keinerlei Beachtung geschenkt wird.

35 36

Vgl. dazu 341. Das Catilinaprooemium, in dem Sallust seine Hinwendung zur Geschichtsschreibung rechtfertigt, erweckt auch durchaus den Eindruck, daß der Autor zuvor schriftstellerisch nicht besonders hervorgetreten ist.

37

Manches

38

spricht für eine Datierung des Catilina nach 43. a. Chr. Broughton,

TAPhA

67, 1934, 44 ff.; Syme

127 ff. Doch vgl auch letzthin K. Büchner, Sallustinterpreta-

tionen, Stuttgart

11 ff.

1967,

Anscheinend ist er 44 a. Chr. Praetor gewesen. T. R. S. Broughton, The Magistrates of the Roman

Republic Il, New

York

1952,

319

165

rücken: Eine zumindest wenig einladende Datierung?". Das Ergebnis dieser Erwägungen stimmt ausgezeichnet zu der Auffassung, die die Betrachtung des Kataleptongedichts nahelegte. Fassen wir die Deutung, die den Zeugnissen über Cimbers stilistische Extravaganzen am ehesten gerecht zu werden schien, noch einmal zusammen: Nach der

Niederschrift von Ciceros Orator und vor Ende November 44 hat Cimber als Thukydidesimitator im Griechischen zu archaisieren begonnen, und zwar vor dem

Tode

seines Bruders, der wáhrend

dieser Zeit ums Leben kam; einzig und

allein mit dieser literarischen Tätigkeit des ,,rhetor haben es die Choliamben zu tun. Nach dem Tode seines Bruders hat Cimber im Gefolge Sallusts seine Sprache mit Wórtern Catos ausstaffiert; dieser modernen Richtung der lateini-

schen Kunstprosa wird er sich erst haben widmen kónnen, nachdem sich die Lage für Antonius und seine Anhängerschaft konsolidiert hatte. Die griechische mit dem Gebrauch von Corinthia verba verbundene Thukydidesnachahmung ist also einige Zeit spáter in Rom aufgekommen als die lateinische Thukydidesimitation, die sich gerade nicht mit einer archaistischen Sprachgestaltung verknüpft. Überhaupt hat die Attica febris, die im Katalepton angegriffen wird, nichts unmittelbar mit dem rómischen Attizismus zu tun, mit dem Cicero sich auseinandersetzt. Die griechische archaistische Nachahmung des großen Historikers steht denn wohl auch gerade zu einem Zeitpunkt in Blüte, zu dem das von Cicero bekämpfte Attikertum bereits beträchtlich an Bedeutung verloren hat. Tusc. 2,3, also im Jahre 45, bemerkt Cicero über seine attizistischen Gegner: reperiebantur non nulli qui nihil laudarent, nisi quod se imitari

posse confiderent ... et... ieiunitatem et famem se malle quam ubertatem et copiam dicerent, unde erat exortum genus Atticorum iis ipsis qui id sequi se profitebantur ignotum, qui iam conticuerunt paene ab ipso foro inrisi. Hier sieht der Schriftsteller die ganze Richtung offensichtlich als abgetan an. Gewiß darf man die Worte, die Cicero in der Auseinandersetzung mit den Jungattikern äußert, nicht durchweg für bare Münze nehmen; aber zweifellos könnte er sich nicht in dieser Weise äußern, wenn die Attici auf dem Forum noch eine hervorragende Rolle spielten. Anscheinend ist es tatsáchlich in dieser Zeit um die

Attizisten, die Cicero wenig vorher so heftig bekämpft hatte, merklich stiller ge-

worden^, Zu dem Verhältnis von griechischem Archaisieren und Archaismengebrauch Cimbers muß noch einiges ergänzend bemerkt werden. Was wir von der Thukydides39 40

166

Sallust hat der Überlieferung zufolge bedacht und langsam geschrieben. Quint. inst. 10,3,5 ff. Das wird auch für die Thucydidii gelten. Sie scheinen sich zwar nicht ausdrücklich als Attici bezeichnet zu haben, aber Cicero pflegt sie im Zusammenhang mit den sonstigen Jungattikern zu behandeln. So Brut. 284 ff.; orat. 28ff.; 234 f. Er betrachtet sie demnach gewiß als Teil der ganzen Strömung; da dürften sie auch Tusc. 2,3 nicht ausgenommen sein.

nachahmung Cimbers im Katalepton erfahren, ist sonderbar. Die Pronomina uw und ou, die der Ias, dem Epos usw. angehören, das Doppel-Tau statt des Doppel-

Sigma kommen, wie man längst bemerkt hat, bei Thukydides gar nicht vor?'. Wie können diese sprachlichen Besonderheiten gerade für den Thukydidesimitator in Anspruch genommen werden? Liegt die Erklärung darin, daß die Nachahmer ihr Vorbild allgemein in seiner Technik der ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα zu imitieren

und zu übertrumpfen suchen*”? Das hört sich zunächst plausibel an, ist aber doch wohl nicht richtig. Zunächst ist zweifelhaft, daß Cimber die Theorie, für ἀπηρχαιωμένη λέξις charakteristisch, in dieser Zeit Geradezu unwahrscheinlich aber wird die Erklärung gleichen Praxis wie sie Cimber zugeschrieben wird, in dem von Thukydidesnachahmung nicht die Rede

Thukydides sei auch eine überhaupt kennen konnte ?. dadurch: Wir hören von der in einem Zusammenhang, ist. Aus neronischer Zeit

stammt dies Gedicht des Lukillios (Anth. Pal. 11,142)^: »πολλοῦ dei“ Kal „obiv“ καὶ τρὶς map ἕκαστα, δικασταὶ ἄνδρες“ καὶ «λέγε δὴ τὸν νόμον ἐνθάδε uoc* καὶ («ταυτὶ καὶ μῶν“ Kal ,rTerrapákovra kai ἅττα" σκεψάμενος καί τοι νὴ Δία“ καὶ „na Δία" ῥήτωρ ἐστὶ Κρίτων καὶ παιδία πολλὰ διδάσκει" προσθήσει δ᾽ αὐτοῖς ,,yp0^, ,,(φαθτ" καὶ „uw“ ἔτι. Vermutlich ist Kriton keine historische Persónlichkeit. Wie wohl auch sonst bei

Lukillios steht der Eigenname für den Typ?. In den Versen dürften Wörter und Wendungen verspottet sein, wie sie allgemein in der griechischen Rhetorenschule dieser Zeit gelehrt werden. Es handelt sich dabei offenbar um Ausdrücke, die man

für Charakteristika der alten attischen Beredsamkeit hált. Dazu passen freilich pw und σφιν ebensowenig wie zu der Nachahmung des Thukydides. Aber eine Überlegung, wie die diskutierte, hilft in diesem Falle nicht weiter. Die Erklárung

dafür, daß die Rhetoren eine Vorliebe für die genannten Pronomina haben, wird hier darin zu finden sein, daf diese Idiome eben als Merkmale des guten alten Attischen gelten ^; man bedient sich ihrer, ohne weiter zu prüfen, ob sie tatsächlich bei den altattischen Rednern nachzuweisen sind. Dieselbe Erwägung dürfte dasselbe Phánomen bei Cimber und der durch ihn vertretenen Attica febris recht deuten. 41 42 43

Daß Thukydides gerade Doppel-Sigma statt Doppel-Tau schreibt, ist schon in der Antike aufgefallen. Schol Thuc. ed. Hude, Leipzig 1927, 7. E. Reitzenstein 74. Vgl. 158f.

44 45

Auf das Gedicht weist schon Bücheler, RhM 36, 1883, 509 hin. Dazu Geffcken, RE XIII (1927) 1777 ff. passim.

46

Zur Erklärung darf an die Bedeutung

erinnert werden,

die Aristarch dem

Attischen

in Homers Sprache beigemessen hat. Nach Diom. gramm I 335, 1ff. ist Homer geradezu Atticae linguae cultor. Vgl

auch noch Radermacher,

Studien

371; Brecht

28.

167

Ihr Vorbild ist auch der beste Kanon der Atthis (Dion. Hal. op. rhet. II 239,8 ff. Us.-Rad.), und so wird diese Richtung bei dem großen Geschichtsschreiber das unverfälschte Attisch zu finden glauben. Thukydides ist bereits der ausgehenden

Republik ein sehr schwer verständlicher Autor*’, die Anhänger der zur Rede stehenden Thukydidesmode werden der Sprache und dem Stil des Historikers kaum langdauernde und intensive Studien gewidmet haben und mógen mit manchen Eigentümlichkeiten seines Griechisch gar nicht vertraut gewesen sein. Da ihnen ihr Muster aber als der beste Vertreter echter Atthis vor Augen steht, wen-

den sie bei seiner Nachahmung die Idiome an, die ihnen als die bezeichnenden Eigentümlichkeiten der reinen altattischen Ausdrucksweise vertraut sind, uw,

σφιν, das doppelte Tau*. Diesen zu vermutenden griechischen Sprachtendenzen gegenüber entspringt die Verwendung catonischen Vokabulars im Gefolge Sallusts schwerlich dem Stre-

ben, sich des guten alten Lateins zu bedienen”. Die Praxis, der Cimber im Griechischen, und die, der er im Lateinischen huldigt, stehen also einander sachlich wohl nicht nahe; der „‚rhetor“ wird denn auch durch seine griechische Thukydi-

desnachahmung offensichtlich nicht auf den Einfall gebracht, catonisches Wortgut zu verwenden. Zudem berühren das griechische Archaisieren und der Gebrauch von Catonismen bei Cimber einander möglicherweise nicht einmal rein zeitlich: Im Feldlager vor Mutina hat sich Cimber gewiß nicht mehr seiner Thukydidesnachfolge

gewidmet. Mit der Aufnahme seiner literarischen Tätigkeit wird man kaum vor dem zweiten Triumvirat rechnen dürfen. Erst nach diesem Zeitpunkt beginnt er wahrscheinlich mit der Sallust-Catoimitation. Daß er jetzt auch seinen griechischen Attizismus fortsetzt, ist keineswegs sicher; es ist denkbar, daß dieser grie-

chische Thukydideismus nur eine kurzlebige Modeerscheinung darstellt, die die politischen Wirren nach den Iden des März nicht überdauert°”. Das literarische Verhältnis Cimbers zu Sallust läßt sich etwas genauer bestimmen, als wir es bisher getan haben. Mit Octavians Bemerkung bei Sueton wird 47 48

VgL die Bemerkungen Ciceros bei mir 155 f.; ferner Dion. Hal op. rhet. I 394, 8 ff.; 410, 15 ff.; 417, 22 ff. Us.-Rad. Man könnte allerdings auch meinen, daß der Autor des Gedichts es lediglich darauf abgesehen habe, die archaistischen Tendenzen Cimbers als solche zu brandmarken; er bediene sich dazu einfach der üblichen Vorwürfe, ohne die Einzelheiten des von dem

,Thetor'* tatsächlich gepflegten Sprachgebrauchs zu berücksichtigen. Doch verdient wohl eine Deutung

49 50

den Vorzug, bei der nicht mit einer solchen Ungenauigkeit des

Dichters gerechnet wird. Vgl. 334 A. 103. Damit soll selbstverständlich nicht bestritten sein, daß Thukydidesnachahmung gibt. Vgl. etwa Dion. Hal. op. aus ergibt sich aber nicht das Fortbestehen spezifisch hier befassen: Die Bewunderung des Thukydides und

es noch weiterhin griechische rhet. I 307,25 ff. Us.-Rad. Darder Richtung, mit der wir uns seine Einschátzung als Vorbild

kann sehr verschiedene Formen haben. Vgl. z. B. Dion. Hal. op. rhet. I 409, 7 ff. Us.Rad.

168

Reitzenstein, NGG

1914, 201 f.

das inconstans in eligendo genere dicendi des Antonius verspottet. Man muß danach annehmen, daß die zwei Stilarten, zwischen denen zu schwanken dem Angeredeten vorgeworfen wird, scharf voneinander unterschiedene Extreme sind. Als Merkmal der von den Asiatici oratores gepflegten Beredsamkeit wird die ge-

dankenlose, geschwätzige Zungenfertigkeit genannt'. Der Gebrauch catonischen Vokabulars aber, der als Charakteristikum der dem Cimber eigenen Ausdrucks-

weise angeführt wird, impliziert, für sich genommen, nicht unbedingt einen Unterschied zwischen dem genus dicendi Cimbers und dem der Asiaten. Offensichtlich steht hinter der Bemerkung des jungen Caesar die Vorstellung, daß die Verwendung der Wórter Catos eng zusammengehórt mit dem Bemühen, wortkarg und gedankenschwer zu sprechen oder zu schreiben; dann handelt es sich allerdings bei der Redeweise der Asiatici oratores und der Cimbers um zwei

nicht miteinander zu vereinbarende Extreme. Mit dieser Überlegung sind für Cimber die Stilmerkmale erschlossen, die als charakteristisch für Sallust zu gelten pflegen: die parsimonia verborum und die immortalis velocitas. Wenn wir bedenken, daß Cimber die Wörter Catos gebraucht, die der Historiker aus den Origines exzerpiert hat, werden wir nicht zógern, ebenfalls sein Streben nach Gedankenschwere und Wortkargheit auf die Anlehnung an Sallust zurückzuführen. Dank einem Hinweis Senecas läßt sich die Sallustnachahmung Cimbers in einen größeren Zusammenhang einordnen. Der Philosoph schreibt epist. 114,17 bei

der Erórterung einiger stilistischer vitia: haec vitia unus aliquis inducit, sub quo tunc eloquentia est, ceteri imitantur et alter alteri tradunt. sic Sallustio vigente anputatae sententiae et verba ante exspectatum cadentia et obscura brevitas

fuere pro cultu. L. Arruntius, vir rarae frugalitatis, qui historias belli Punici scripsit, fuit Sallustianus et in illud genus nitens. est apud Sallustium: exercitum argento fecit, id est, pecunia paravit. hoc Arruntius amare coepit: posuit illud omnibus paginis. Es folgen noch andere Beispiele, die zeigen, wie Arruntius sich

in der Wortwahl an Sallust anschließt. Sallust hat also zu Lebzeiten mit seiner abrupten und dunklen Schreibweise eine ganze Stilmode ausgelöst, und zwar gewiß erst durch seine historischen

Schriften??, Die Stilrichtung hat jedenfalls vor dem Publikationsbeginn der sallustischen Historien nicht ihr Ende gefundenὁ, Wie die Praxis des Arruntius lehrt, 51

Octavian denkt hier offenbar an die Art asiatischer Beredsamkeit, die Cicero Brut. 325

als zweites genus der Asiatica dictio bespricht, wie es im Jahre 46 est Asia tota. 52

So schon Latte, JRS

53

Arruntius kennt nach Sen. epist. 114, 19 bei der Abfassung seines Geschichtswerkes die Historien.

27,

1937,

301.

Dazu noch Wells, Philologus 92, 1937, 459 ff. — Eine Bemerkung

noch

zur Identifizierung des L. Arruntius mit dem Konsul 22 a. Chr. Die gemeinhin dafür angeführten Gründe (vgl. etwa Schanz—Hosius II 328) sind schwach; berechtigte Skepsis bei Klebs, PIR! A 928. Das entscheidende Argument pflegt übersehen zu werden; angedeutet hat es nur K. Nipperdey, Opuscula, Berlin 1877, 409. L. Arruntius, cos. ord. 6 p. Chr., der allein neben dem gleichnamigen Konsul 22 a. Chr. als Autor des Geschichtswerkes in Frage käme, ist sehr wahrscheinlich erst nach Sallusts Tod gebo-

169

erstreckt sich die Imitation der Sallustnachahmer auch auf das Vokabular. Die Modestrómung hat, wenn wir Senecas einleitender Formulierung sub quo tunc eloquentia est trauen dürfen, die Prosa allgemein, nicht lediglich die Geschichts-

schreibung erfaßt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Octavian auf den Redner Cimber^^als einen hervorragenden Vertreter der gerade grassierenden Sallustmode hinweist, von der wir bei Seneca erfahren. Die Zeit, die sich für die Äußerung des jungen Caesar und damit zugleich die Sallustimitation Cimbers erschließen läßt, stimmt aufs trefflichste zu dieser Ansicht: Cimber hat mit der zur Rede stehenden Praxis nicht vor Veröffentlichung des sallustischen Catilina begonnen. Octavians Bemerkung ist also nach Ende 43 a.Chr., dem Zeitpunkt seiner Einigung mit Antonius, zu datieren. Der Terminus ante quem ist für sie 32 a. Chr.,

das Jahr des endgültigen Bruchs zwischen den zwei Männern”. Man wird sich selbstverständlich die stilistische Richtung, die wir jetzt kennengelernt haben, nicht unbedingt als ganz einheitlich vorzustellen haben. Auch die

Archaismen und das catonische Vokabular Sallusts werden nicht alle Nachahmer des Historikers in gleichem Maße verwendet haben, obwohl schwerlich einer von ihnen auf dieses besonders auffällige Merkmal der sallustischen Ausdrucksweise vóllig verzichtet hat. Dadurch wohl und durch die obscura brevitas unterscheiden sich diese Sallustimitatoren eindeutig von den Thucydidii, gegen die Cicero polemisiert. Überhaupt ist nirgendwo bezeugt, daß die Sallust zeitgenössischen

Gefolgsleute des rómischen Geschichtsschreibers oder einige unter ihnen zugleich

Bewunderer und Nachahmer des Thukydides sind. Ob und wie lange nach Sallusts Tod die ganze Richtung noch floriert hat, wissen wir nicht. Vielleicht war der Mode, die Seneca mit der Lebenszeit des Historikers verknüpft, nicht eine sehr lange Dauer beschieden; jedenfalls spricht Se-

neca von ihr als einer der Vergangenheit angehórigen Erscheinung”. ren (dazu Lebek, Hermes 94, 1966, 364 ff.) und 37 p. Chr. durch Selbstmord gestorben. Undenkbar, daß Seneca diesen seinen älteren Zeitgenossen in einem Atem mit einer Sallustio vigente existierenden Richtung erwähnt; nur L. Arruntius cos. 22 a. Chr. kann in diesem Zusammenhang gemeint sein.

54

Daß Octavian die Redekunst — nicht unbedingt die praktische Beredsamkeit — Cimbers vorschwebt, wird dadurch nahegelegt, daß er ihn den Asiatici oratores gegenüberstellt.

55

Η. Bardon,

Les Empereurs

et les lettres latines d'Auguste à Hadrien,

Paris 1940,

35

will den betreffenden Brief noch genauer zwischen 41 und 35 verfaßt wissen. 56

Die Quint. inst. 10,2,17

57

der frühaugusteischen Sallustnachahmung zu tun, die kaum lange Bestand hatte. Vgl. die folgenden Darlegungen. Über eine rednerische Richtung, in der Sallusts Einfluß möglicherweise die Regierungs-

erwähnten

zeit des Tiberius überdauert

doch nicht zu handeln.

170

Sallust-Thukydidesimitatoren

201 ff. Um

bewußte

haben

nichts mit

Sallustiani scheint es sich dabei je-

d) Veranius Flaccus Neben T. Annius Cimber wird von Octavian Suet. Aug. 86,3 noch ein zweiter Archaist beim Namen genannt: Veranius Flaccus. Er ist nach weit verbreiteter Auffassung Pontifikalrechtsschriftsteller. Also hätte unter den Archaisten frühaugusteischer Zeit auch ein solcher Rechtsgelehrter eine Rolle gespielt. Das wäre interessant. Aber die referierte Auffassung ist nicht akzeptabel. Sie gründet in folgender Kombination. Macr.Sat. 1,15,21 steht: Verrium Flaccum iuris pontificii peritissimum dicere solitum refert Varro etc. Es ist unglaubhaft, daß der mindestens 40 Jahre jüngere Verrius Flaccus hier von Varro als Autorität — dicere solitum! — zitiert ist. Nun kennen wir einen bereits von Verrius benutzten

Schriftsteller Veranius, der auf dem Gebiete

des Pontifikalrechts tätig

ist. Der Name des Verrius wird an der Macrobiusstelle aus Veranius geändert oder verschrieben sein. Das Kognomen Flaccus aber ist für Veranius Suet. Aug. 86,3 bezeugt. Die Identität des hier erwähnten Veranius Flaccus mit dem Rechtskenner wird durch die Erwägung erhärtet, daß die Schriften des Pontifikalrechtsautors sicherlich eine ergiebige Fundgrube für altertümelnde Schriftsteller gewe-

sen sind?*. Soweit die Kombination. Sie ist schon deshalb Zweifeln unterworfen, weil die dem konjekturalen

Eingriff

zugrundeliegende Annahme, unter dem von Macrobius erwähnten Verrius Flaccus kónne

nur der berühmte

Grammatiker verstanden werden, durchaus nicht

zwingend ist. Immerhin mag das Alternativpostulat, es habe in varronischer oder vorvarronischer Zeit einen gleichnamigen sonst ganz verschollenen Pontifikalrechtskenner gegeben??, unbefriedigend erscheinen. Setzen wir also einmal vor-

aus, die Änderung Verrius in Veranius treffe das Richtige ^. Daß der iuris pontificii peritissimus das Kognomen Flaccus gehabt hat, ist auch unter dieser Prämisse nicht gewiß. Bei Macrobius Könnte der Beiname ein Zusatz sein, der zu dem in Verrius verwandelten Veranius nachträglich hinzugetreten ist?'. Eine sichere Namensgleichheit zwischen dem Pontifikalrechtsautor Veranius und dem Suet. Aug. 86,3 erwähnten Veranius Flaccus bestünde also jedenfalls nur im Gentilnamen. 58

Dies die Argumentation von O. Hirschfeld, WS 3, 1881, 110 Ξ KL Schr., Berlin 1913, 798 f. Die weiteren Äußerungen dazu bei Gordon, RE VIII A (1955) 937, der sich ganz Hirschfeld anschließt; dazu noch, ebenfalls zustimmend, Bardon I 310. Zurückhaltend Syme, CQ 51, 1957, 123.

59

Man hat an den — sonst unbekannten — Freilasser des Grammatikers gedacht. Vgl. Gundel, RE VIH A (1958) 1636.

60

In der Tat machen die Altersverhältnisse recht unwahrscheinlich, daß Varro einen Aus spruch des Grammatikers Verrius angeführt hat. Vgl z.B. Gell. 2,10,3; (Varro) Q. Vale-

rium Soranum solitum dicere ait eqs. Valerius Soranus ist 82 a. Chr. gestorben. Auf

61

Varro ist vermutlich auch zurückzuführen Gell 12,4,5: L. Aelium Stilonem dicere solitum ferunt eqs. Norden, Ennius 132. Vor Macr. Sat. 1,15,21 ist mehrfach von Verrius Flaccus die Rede, zuletzt 1,12,15. Da wäre besonders verständlich, wenn etwa Macrobius aus einem ihm überlieferten Ver-

rius ein Verrius Flaccus gemacht hätte. Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten.

171

Und wie steht es mit dem Argument, die Schriften des Rechtskenners seien eine ergiebige Fundgrube für Archaisten gewesen? Gewif werden Abhandlungen über Pontifikalrecht manchen altertümlichen Ausdruck enthalten. Aber aus der Bemerkung des Octavian geht nicht einfach hervor, daß sich in den Schriften des Flac-

cus antiquiertes Sprachgut findet, sondern daß er das Vokabular gebraucht, das Sallust aus den Origines exzerpiert hat. Diese Eigentümlichkeit in der Ausdrucksweise des Veranius hat mit pontifikalrechtlicher Schriftstellerei als solcher über-

haupt nichts zu tun. Es gibt somit nicht das geringste Anzeichen dafür, daß Octavian bei seiner Äußerung derartige Schriften des Flaccus vorschweben. Im Gegenteil ist sogar wahrscheinlich, daß er gerade nicht an solche Abhandlungen

denkt. Denn was über Cimber ausgeführt worden ist, gilt ebenfalls für Veranius Flaccus: Er ist ein Vertreter der durch die historischen Schriften Sallusts ins Leben gerufenen Stilmode und sucht neben der sallustischen Wortwahl die Gedankenschwere des Historikers zu imitieren. Vermutlich stehen Octavian bei Veranius Flaccus nicht anders als bei Cimber mit sallustisch-catonischem Vokabular

ausstaffierte Reden vor Augen. Der Pontifikalrechtskenner Veranius und der Sallustnachahmer Veranius Flaccus haben, soviel dürfte jetzt bereits erwiesen sein, kaum sichere Gemeinsamkeiten. Es kommt aber noch folgendes hinzu: Die referierte Kombination geht davon aus, daf$ der bekannte Verrius Flaccus viel zu jung sei,um von Varro als Autorität zitiert werden zu können. In der Tat könnte der iuris pontificii peritissimus bei Macrobius allenfalls wenige Jahre jünger sein als Varro selbst; wesentlich plausibler ist jedoch die Vermutung, daß er Varro an Alter um einiges übertrifft. Der Catonismengebrauch im Gefolge Sallusts kommt frühestens unmittelbar nach der Veröffentlichung des Catilina auf, möglicherweise noch etwas später. Zum Zeitpunkt des Beginns der Mode müßte der Pontifikalrechtsschriftstel-

ler also wenigstens ungefähr 60 Jahre alt sein. Es ist ziemlich unglaubhaft, daß ein solcher senex, der in diesem Alter doch wohl schon einen Namen als iuris pontificii peritus hat, sich einer neu aufkommenden Stilmode anschließt und dabei einen erheblich jüngeren Autor zu imitieren sucht. Bei unseren Überlegungen haben wir die Richtigkeit der Annahme vorausgesetzt, Macr. Sat. 1,15,21 stehe Verrius Flaccus fälschlich für den Namen des Pontifikalrechtskenners Veranius. Gerade unter dieser Prämisse, so hat sich gezeigt, ist die Identität des Sallustianers Veranius Flaccus mit dem iuris pontificii Veranius eher unwahrscheinlich. Lehnt man die Vermutung ab, dann bleiben als Grundlage für eine Identifikation der beiden Männer lediglich die Gleichheit des Namens Veranius und die Möglichkeit, daß der Kenner des ius pontificium, der noch nach 89 a.Chr. geschrieben hat (Fest.p. 289) und schon von Verrius benutzt wird, mit Veranius Flaccus gleichaltrig ist. Das ist ein schwaches Fundament. Man wird somit in jedem Falle gut daran tun, den Pontifikalrechtsschriftsteller Veranius und den Suet. Aug. 86,3 erwähnten Sallustnachahmer Veranius Flaccus auseinanderzuhalten. 172

e) M.Antonius Von der Verwendung catonischen Vokabulars bei Cimber und Veranius spricht Octavian Suet. Aug. 86,3 im Zusammenhang mit einer Kritik an listischen Eigenarten des Antonius. Bevor wir überlegen, inwieweit man lich mit dem Gebrauch von Catonismen bei dem Triumvirn rechnen kann, wir einen Blick auf die sonst für ihn bezeugten Stilmerkmale werfen.

Flaccus den stitatsáchwollen

Antonius ist nach Plutarch Ant. 2,7 Anhänger des ᾿Ασιανὸς ζῆλος τῶν λόγων. Ciceros Vorwurf, er spreche quod nemo intellegat (Phil. 3,22) wird von Octavian Suet. Aug. 86,2 wiederholt: Er schreibe quae mirentur potius homines quam intellegant. Antonius neigt also zu einer exzentrischen Ausdrucksweise. Es wäre

immerhin denkbar, daß er bei dieser Neigung eher als andere Redner zur Ver-

wendung auch von Archaismen tendierte 9". Leider ist von den Reden des Triumvirn so gut wie nichts mehr erhalten. In seinen kurzen Briefen, die uns innerhalb des ciceronischen Briefkorpus überlie-

fert sind, finden sich keine sprachlichen Besonderheiten. Einige Überreste der Prosa des Antonius begegnen aber auch in den philippischen Reden Ciceros. Und diese Fragmente bieten manches auffällige Idiom. nulla contumelia est, quam facit dignus — nec timor, quem denuntiat inimicus (Phil. 3,22): Eine der sententiolae edicti cuiusdam; Ciceros Kommentar: quid est .. .,facere contumeliam"? quis sic loquitur? In der Bedeutung „Schimpf antun‘ ist die von Cicero kritisierte Wendung im archaischen Latein nachzuweisen,

zuletzt Met. Num.or.frg. 58,7 Malc., sie taucht, von unserer Stelle abgesehen, dann wieder Liv. 8,23,7 auf, ist recht háufig bei Seneca. Thes. IV 802,72 ff. Die Verteilung der Belege ist am einfachsten mit der Annahme gedeutet, daß dieser Ausdruck wenigstens in bestimmten Schichten der lebenden Sprache auch die Zeit Ciceros hindurch bewahrt blieb. Sollte es sich dabei um niedrigere Schichten handeln, so wären die ciceronischen Bemerkungen zu der Wendung wohl

nicht unverständlich 9). Eine andere Interpretation des Ausdruckes als die soeben vorausgesetzte findet sich Quint. inst. 9,3,13. Hier wird der Tadel Ciceros mit der Erklärung versehen: ‚adfici‘ enim ,contumelia* dicebant. Quintilian versteht das contumeliam facere des Zitats als „Schimpf erleiden“. In dieser Weise muß der Ausdruck im gesproche62

63

Eine Verbindung zwischen Asianismus und archaistischen Neigungen glaubt Della Corte 80 ff. passim feststellen zu können; er stützt sich dabei auf reichlich willkür-

liche Vermutungen. S. bei mir 149 A. 123; 154 A.5. Archaisieren und Asianismus werden nur Suet. Aug. 86,2 in eine gewisse Beziehung zueinander gesetzt. Aus der Stelle ist aber eher noch die Unvereinbarkeit der beiden Stilpraktiken zu folgern, gewiß nicht das Gegenteil. Bekanntlich werden in puristischer Ausdrucksweise die Verbindungen mit facere gemieden. Vgl etwa Hofmann-Szantyr 755.

173

nen Latein der Zeit Quintilians lebendig gewesen sein, anscheinend ohne daß der Sprachgebrauch irgendwo zu belegen wäre **. Welche Deutung richtig ist, läßt sich nicht entscheiden. In keinem Falle brauchen

wir mit einem Archaismus des Antonius zu rechnen. Theopompum ... confugere Alexandream neglexistis (Phil. 13,33): Dies der

früheste Beleg für neglegere mit a.c.i.®. nihil moror eos (milites) salvos esse (Phil. 13,35): nil (nec usw.) moror erscheint vor Antonius häufig bei Plautus, außerdem Ter. Eun. 184, Acc. trag. 9, hier ebenfalls wie auch einigemal bei Plautus mit a.c.i. Danach begegnet der Aus druck Hor. sat. 1,4,13; epist. 1,15,16: 2,1,264; Verg. Aen. 5,400; 11,365, hier wieder mit a.c.i. Die noch späteren Belege sind wenig zahlreich und auch für uns nicht interessant. Angaben nach Thes. VIII 1499, 70 ff. Daß das in plautinischer Zeit umgangssprachliche Idiom für Antonius antiquiert ist, ist aufgrund der Zeugnisse

denkbar; andererseits ist auch nicht die Móglichkeit von der Hand

zu weisen, daß es noch für Horaz eine lebende Wendung ungezwungeneren Lateins ist.

rectissimum facinus (Phil. 13,36): Die ausgewählten Belege Thes. VI 77,59 ff. für facinus als vox media vermitteln keinen zutreffenden Eindruck von der Ver-

breitung dieses Sprachgebrauchs. Das Subst. erscheint so im 1. vorchr. Jh. vor Sallust noch Rhet. Her. 4,55,68; Cic. Rab. perd. 19; Att. 7,13,1; Catull. 66,27; wohl auch Brut. (? ) Cic. ad Brut. 1,16,6. Das Subst. ist in der lebenden Sprache ciceronischer Zeit offenbar noch nicht eindeutig auf die peiorative Bedeutung festgelegt, obschon diese Verwendung des Wortes bei weitem üblicher ist.

odivit (Phil. 13,42): Für Antonius fraglos lebende Ausdrucksweise. Die Form und verwandte Bildungen sind häufig in späterem dem gesprochenen Latein nahe-

stehenden Schrifttum $5. piissimi hominis (Phil. 13,43): Superlative wie strenuissimus, egregiissimus und entsprechende Komparative gibt es im altlateinischen Schrifttum. Neue-Wagener II 202 ff. Für piissimus aber liefert unsere Stelle den frühesten Beleg. quod verbum omnino nullum in lingua Latina est, id propter tuam divinam pietatem novum inducis, kommentiert Cicero die Bildung. Es ist wohl nicht zufällig, daß er in dieser Form, die leicht als Ergebnis bewußter analogetischer Sprachgestaltung

gedeutet werden kann, eine Neuerung des Antonius sieht; denn zwischen Asianis-

mus und grammatischer Analogie besteht ein gewisser Konnex °”. piissimus gehört wohl noch lange nach Antonius dem lebenden Latein an$?. 64

Die Wendung wird Quint. inst. 9,3,13 zu den Ausdrücken gerechnet, bei denen etiam vulgo auctore contenti sumus. Das im gleichen Atem angeführte rebus agenti-

65 66

bus ist übrigens ebenfalls sonst nicht bezeugt. Thes. I 1385,53. Hofmann-Szantyr 356, wo auch Weiteres. Neue-Wagener III 642 ff. Die Form bei Antonius ein Ausdruck der Volkssprache

67

nach Landgraf, ALL 12, 1902, Dihle, Analogie bes. 191.

68

Das Material bei Neue-Wagener II 204 £.; Harrod, Latin Terms of Endearment and

174

150; nach

ihm Laurand

28.

In der erhaltenen Prosa des Antonius fehlt, so kónnen wir zusammenfassend bemerken, ein sicherer Archaismus. Von Bedeutung ist, daß Cicero, der die Ausdrucksweise seines Widersachers verspottet, nichts von einer priscorum verborum affectatio bei ihm sagt. Statt dessen macht er ihm einen Neologismus zum Vorwurf: Derartig waren vermutlich die Extravaganzen, für die Antonius bekannt war, und bei deren Kritik Cicero von vornherein auf das Verstándnis seiner Zuhórer rechnen konnte. Das alles bedeutet noch nicht, daß der Triumvir sich nicht nach dem Erscheinen des sallustischen Catilina wie Cimber und Flaccus an der neuaufgekommenen Sallustmode beteiligt und wenigstens eine Zeitlang seine Prosa mit catonischem Vokabular ausstaffiert hat 9. Indessen bemerkt Sueton, an dessen Zeugnis wir uns wohl oder übel halten müssen, vor dem

wörtlichen Zitat aus Octa-

vians Brief: ludens ... inconstans . . . ingenium eius addit haec. Der Begriff ludere ist nur recht verständlich, wenn die Bemerkung des Briefschreibers nicht einfach den wirklichen Sachverhalt wiedergibt. Octavian greift zwei stilistische Extreme auf und unterstellt dem Adressaten spottend, er wisse nicht, ob er dem

einen oder dem

anderen folgen solle; denn

Deutlichkeit halber ergänzend hinzufügen ne er nicht. Daf der Getadelte tatsáchlich setzten Stilrichtungen schwankt, ist einer men, eher das Gegenteil. Octavians Worte fassung, Antonius sei zeitweise Anhänger

— so dürfen wir vielleicht der

— einen vernünftigen Mittelweg kengerade zwischen diesen entgegengesolchen Äußerung nicht zu entnehberechtigen somit nicht zu der Aufder durch Sallust inaugurierten stili-

stischen Mode ”. of Family Relationship, Princeton 1909, 13ff. Für einen volkssprachlichen Aus69

druck des Antonius hält die Bildung Landgraf, ALL 12, 1902, 150. E. Reitzenstein 71 und Dietz 179 schreiben die Praxis des Cimber und des Flaccus auch Antonius zu.

70

An der Beredsamkeit der Asiaten hat Antonius freilich wohl tatsächlich Gefallen gefunden; das bedeutet jedoch nicht, daß er auch der anderen von Octavian genannten

Stilrichtung anhängt.

175

6. Cato Censorius und andere antiqui in Ciceros Brutus

Die Darstellung, die im Brutus von der Geschichte der rómischen Eloquenz gegeben wird, ist von der Vorstellung eines stetigen Fortschritts beherrscht!. Cicero

markiert deutlich die einzelnen Stadien der Aufwärtsentwicklung: Zur Zeit des C. Sulpicius Galus cos. 166 a. Chr., qui maxime omnium nobilium Graecis litteris studuit, herrscht bereits unctior quaedam splendidiorque consuetudo loquendi (Brut. 78). Von Ser. Sulpicius Galba cos. 144 a. Chr. erfahren wir: is princeps ex Latinis illa oratorum propria et quasi legitima opera tractavit, ut egrederetur a proposito ... , ut delectaret animos, ut permoveret, ut augeret rem, ut mise-

rationibus, ut communibus locis uteretur (Brut. 82). Geht es hier um die res, so ist eine weitere Stufe der elocutio mit der Beredsamkeit des M. Aemilius Lepi-

dus Porcina cos. 137 a. Chr. erklommen: hoc in oratore Latino primum mihi videtur et levitas apparuisse illa Graecorum et verborum comprehensio et iam artifex ut ita dicam stilus (Brut. 96)?. Ein Stadium feinerer Bildung ist bei Catulus erreicht: iam Q. Catulus non antiquo illo more, sed hoc nostro vel, si quid fieri potest perfectius, eruditus (Brut. 132). Schritt für Schritt gewinnen die Rómer den Griechen an Terrain ab; in der Redekunst des Antonius und des Crassus tritt die lateinische Eloquenz der hellenischen zum ersten Mal ebenbürtig an die Seite (Brut. 138). Über diese beiden Redner hinaus vermochte, wie Cicero Brut. 161 betont, nur jemand zu gelangen, qui a philosophia, a iure civili, ab historia fuisset instructior. Daß Cicero selbst diesen höchsten Gipfel erklommen zu haben glaubt, sagt er zwar nicht ausdrücklich, deutet es aber mehrfach kaum verhohlen an?, vor allem bei der Schilderung seines Studienganges: nihil de me dicam; dicam de ceteris, quorum nemo erat qui videretur exquisitius quam volgus hominum studuisse litteris — die Errungenschaft des Catulus (vgl. auch Brut. 308 f.); nemo qui philosophiam complexus esset ... nemo qui ius civile didicisset .. . nemo qui memoriam rerum Romanarum teneret — die Disziplinen, durch deren besondere Kenntnis allein es noch gelingen konnte, die Redekunst des Crassus und des Antonius zu übertreffen; nemo 1

qui .. . laxaret iudicum animos

...,

Dazu etwa — nicht durchweg richtig - Norden, Kp. 258; Haenni 17 ff.; Vogt 42 ff.; Kroll, RE

VII A (1939)

1098; Desmouliez

172 ff. Unerreichbar war mir I. Cazzaniga,

Il Brutus di Cicerone, Milano 1947 (1960??).

2

Daß

die veteres, d.h. hier: ältere römische Redner, keine Perioden bauen Können,

be-

merkt Crassus Cic. de orat. 3,198. 3

Vgl. dazu Jahn-Kroll, Einleitung Brutus 7 f£., die in diesem Zusammenhang u. a. eben falls auf Brut. 303 ff. hinweisen; J. Graff, Ciceros Selbstauffassung, Heidelberg 1963,

63 ff.

176

nemo qui ... ἃ propria .. . disputatione hominis ac temporis (ad) communem

quaestionem universi generis (posset) orationem traducere, nemo qui delectandi gratia digredi parumper a causa, nemo qui... iudicem . . . ad fletum posset adducere, nemo qui animum eius .. . quocumque res postularet impellere — die eigentlichen opera oratoris, denen sich als erster Rómer Galba einigermaßen gewachsen zeigt (Brut. 322). In unmißverständlicher Weise beansprucht Cicero hier, nicht nur die bereits älteren Rednern eignenden Vorzüge, sondern vor allem die Bildung in sich zu vereinigen, durch die die rómische Eloquenz erst ihre eigentliche Vollkommenheit zu erreichen imstande ist; daß dieser Gedanke

in verhüllt indirekter Form vorgetragen wird, nimmt ihm kaum etwas an Eindeutigkeit. Die Ansicht, daß das gegenwärtige Stadium der Redekunst älteren Stufen überlegen ist, wird wenigstens im 1.vorchr. Jh. bis zum Ende der Republik jede Generation erfüllt haben 5; bei Cicero erhält die allgemeine Anschauung insofern eine ganz persönliche Akzentuierung, als der große Redner in sich selbst gleichsam das Telos erblickt, auf das die ganze bisherige lateinische Beredsamkeit zugesteuert ist. Wie überlegen Cicero sich in diesem Bewußtsein auch gegenüber seinen bedeutendsten Vorgängern fühlt, äußert sich gelegentlich im Orator. Aufschlußreich orat. 233: videsne ut... si alicuius inconditi arripias dissipatam aliquam sententiam eamque ordine verborum paululum commutato in quadrum redigas, efficiatur aptum illud, quod fuerit antea diffluens ac solutum. Der inconditus, von dem er daraufhin einen Satz anführt und korrigiert, ist C. Gracchus?. Im Brutus wird man derart abfällige Bemerkungen in Ciceros Mund vergeblich suchen. Eine ganz besondere Würdigung wird Brut. 61 ff. der Stilkunst des alten Cato zuteil, der in einer Synkrisis neben Lysias gestellt und den Lysianern und Hyperideern als Stilmuster empfohlen wird.

4 5.

Darüber 64 ff. Dasselbe Selbstbewußtsein verrät die schulmeisterliche Korrektur einer Klausel des Crassus orat. 222. Man

halte dem gegenüber, wie Quintilian inst. 9,4,15 über den cice-

ronischen Eingriff in die sententia des Gracchus urteilt: idem (Cicero) corrigit quae a Graccho composita durius putat. illum decet; nos hac sumus probatione contenti, quod in scribendo quae se nobis solutiora obtulerunt

componimus

Im Gegensatz zu Cicero

hat Quintilian eben nicht mehr das unbefangene Gefühl absoluter Überlegenheit über die älteren lateinischen Redner. Zwar steht auch für ihn Gracchus, ungeschlacht und roh, auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe rednerischen Kónnens (vgl z. B. Quint. inst. 12,10,10); aber die klassische römische Eloquenz,

zu der er aufblickt,

flößt ihm

einen gewissen Respekt vor dem aus der Vergangenheit Überlieferten schlechthin ein. Geringschätzung älterer römischer Beredsamkeit auch orat. 152. Bemerkenswert orat. 132, wo Cicero nicht daran denkt, exempla domestica für das παϑητικόν der Rede in der lateinischen Eloquenz vor Crassus und Antonius zu suchen,

177

Über die Deutung gerade dieser Stelle gehen allerdings die Meinungen weit auseinander. Während man gelegentlich Ciceros Äußerungen in dem Passus ernst nehmen

zu können

glaubt”, findet die meisten Verfechter die Annahme,

Cice-

ro rate den angesprochenen Attizisten ironisch zur Nachahmung des Censorius, sei es, um die Stiltendenzen dieser rednerischen Richtung ins Lächerliche zu ziehen, sei es, um den Jungattikern die logischen Konsequenzen ihrer Neigun-

gen vor Augen zu führen‘. Es fehlt an einer durchgehenden Interpretation des gesamten Abschnittes. Durch sie kann Klarheit gewonnen werden. Cato, schon erste heißt quam

so beginnt Cicero Brut. 61 seine Ausführungen über den Censorius, ist, ober lediglich 86 Jahre vor Ciceros Konsulat gestorben ist, als Redner der erträgliche Stilist?. Nach einer Digression über die mortuorum laudationes es dann Brut. 63: Catonis autem orationes non minus multae fere sunt Attici Lysiae, cuius arbitror plurimas esse ... et quodam modo est non-

nulla in iis etiam inter ipsos similitudo. acuti sunt, elegantes, faceti, breves. Die

Synkrisis nimmt von einer Äußerlichkeit ihren Ausgang, die uns belanglos scheinen könnte, der hohen Zahl der von Cato verfaßten Reden. Was hat den Schriftsteller zu diesem Beginn bewogen? 6

S.F. Bonner schreibt in dem Sammelwerk Fifty Years of Classical Scholarship, Oxford 1968?, 419

(Stand von

1954), es bestehe noch keine Sicherheit über „the significance

of Cicero's use of Cato in the Asianist-Atticist controversy". Die Darlegungen von Knapp 138 ff., auf die Bonner verweist, sind nicht sehr tiefgehend.

7

So Ribbeck, RhM 32, 1876, 399, der aber die Passage versehentlich dem Brutus in den Mund legt; Clarke 40f., doch s. bei ihm auch 173 A.10; Gnauk 90ff., der einige ganz richtige Bemerkungen macht, aber die Frage nicht eindringlich genug erórtert; Barwick, Einleitung Brutus 10; Till, Gnomon 31, 1951, 62 nimmt an, Cicero wolle eine literarhistorische Gleichung aufstellen: Lysias: Demosthenes Ξ Cato: Cicero; Kammer 111 ff.,

mit dessen Ausführungen meine folgenden Darlegungen sich in manchen Punkten getroffen haben. Das wird nicht im einzelnen kenntlich gemacht; wirklich klar geworden ist auch Kammer das Argumentationsgefüge der zu behandelnden Passagen nicht. So oder ähnlich etwa Haenni 59f.; F. Nassal, Aesthetisch-rhetorische Beziehungen

8

zwischen Dionys von Halikarnaß und Cicero, Diss. Tübingen 1910, 151; Stroux 83; Guillemin 92; T. Frank 142; F. Della Corte, Catone Censore, Torino 1949, 118; Ma-

rache 25 f., 51; Desmouliez 172f.; Leeman, Genre 202; Dihle, Analogie 200; vgl. auch Syme 55 f. Die spezifisch auf Nordens Attizistenhypothese beruhenden Deutungen kónnen außer Betracht bleiben.

9

Cato gilt, wie Cicero a. Ὁ. hervorhebt, den Römern dieser Zeit als pervetus. Im gleichen Sinne Hor.

carm.

2,15,10 ff.; 3,21,11; epist. 2,2,117.

Cato rückt im Bewußtsein

der spä-

teren Generationen sehr schnell in zeitlich weite Entfernung. Die allgemeine Ursache für dieses Phänomen liegt wohl darin, daß die rasche Verfeinerung des römischen Le bens den Rómern der Republik die zeitliche Distanz zu jeweiligen antiqui gleichsam durch ein Vergrößerungsglas erscheinen ließ; bei Cato wird dieses Moment dadurch

verstärkt, daß er betont ein konservatives Rómertum zur Schau trug. Wenn Cicero hervorhebt, daß es rein chronologisch mit der vetustas Catos nicht so weit her sei, tut er es, um auf die Jugend der rómischen Kunstprosa hinzudeuten.

178

Nicht 10 Jahre vor der Abfassung des Brutus ist Cicero der Meinung, die rómi-

schen Redner hätten nicht viel Geschriebenes hinterlassen!9; gerade von Catos Reden ist in dieser Zeit kaum etwas bekannt'!. Es ist also für die Leser des Bru-

tus, die im allgemeinen eher schlechter denn besser über solche Dinge informiert sind als Cicero bei der Niederschrift von De oratore, gewiß überraschend, in Cato einen Redner kennenzulernen, der es an schriftstellerischer Produktivität mit den fruchtbarsten Griechen aufnehmen kann. Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, daß Cicero die Zusammenstellung Catos mit Lysias an den Hinweis auf die ähnlich hohe Menge der von beiden Autoren verfaßten Reden knüpft,

den Hinweis auf eine zwar äußerliche, aber frappant- unerwartete Áhnlichkeit "^; durch ihn wird die in vorsichtig abschwächender Formulierung geäußerte Be-

hauptung vorbereitet, zwischen der Beredsamkeit des Rómers und der des Hellenen bestehe auch eine innere VerwandtschaftP^. Cicero führt Brut. 64 aus, daß die tenuitas, die subtilitas des Lysias Bewunderer finde, wohingegen Cato völlig vernachlässigt werde, und beginnt darauf Brut. 65 die rednerischen Vorzüge des Censorius in helles Licht zu rücken. Man erwartet nun, daf an Cato besonders für das genus tenue charakteristische Qualitáten

hervorgehoben werden. Cicero legt indessen auf etwas ganz anderes Gewicht: quis illo gravior in laudando? acerbior in vituperando? in sententiis argutior? in docendo edisserendoque subtilior? Die beiden letzten Eigenschaften passen immerhin zum genus subtile; die ersten beiden lassen sich mit dem angeblichen Λυσιακὸς χαρακτήρ der catonischen Beredsamkeit nur schwer vereinen '*, In der Tat hat Cicero ganz offenkundig die Vorstellung, Cato sei wie Lysias Vertreter der tenuitas, aufgegeben, wenn er fortfährt: refertae sunt orationes (Catonis) ... et verbis et rebus illustribus .. . omnes oratoriae virtutes in eis reperientur. iam vero Origines eius

quem florem aut quod lumen eloquentiae non habent?

Sollte man die Prosa

des Censorius nach diesen Äußerungen Ciceros in ein bestimmtes der drei genera dicendi einordnen, so würde man 10 11 12

Vgl. Vgl Auf lich

zunáchst das genus grave, vielleicht noch

67 A. 11. 71ff. die große Zahl catonischer Reden macht Cicero ebenfalls Brut. 65 nachdrückaufmerksam: orationes amplius centum quinquaginta quas quidem adhuc inve-

nerim et legerim eqs. In diesem Zusammenhang

sei auf orat.

108 verwiesen, wo der

Autor mit unverhohlenem Stolz von dem Umfang seiner oratorischen Produktion spricht. Vgl. auch leg. 1,9. So etwas macht in dieser Zeit Eindruck. 13

Gegen die Gleichsetzung catonischer und lysianischer Beredsamkeit wendet sich Plutarch Cato maior 7,2. Wen er mit den φάμενοι meint, wissen wir nicht; vielleicht am

ehesten zeitgenössische Catoliebhaber. Vgl. dazu Plin. epist. 1,20,4, wo es allerdings lediglich um den Umfang

14

der Reden geht. Zu Quint.

inst. 12,10,39,

worauf in diesem

Zusammenhang verwiesen werden kónnte, vgl. 109 ff. laudatio und vituperatio sind die hervorragenden Mittel der amplificatio (Cic. de orat. 3,105; vgl. auch Brut. 47), die besonders in der peroratio die Affekte der Zuhörer erregen soll (vgL etwa Cic. part. 52 ff.).

179

das medium, auf keinen Fall das subtile wählen. Am ehesten erscheint Cato hier

aber als Beherrscher aller genera dicendi. Brut. 66 führt Cicero weiter aus: Cato fehlen die Liebhaber; denn wie der Knappheit des Thukydides und Philistos Theopomp mit seiner Erhabenheit, wie dem Lysias Demosthenes im Wege steht, sic Catonis luminibus obstruxit haec posteriorum quasi exaggerata altius oratio. Hier ist zwar noch von den lumina des catonischen Stils die Rede, aber sie sind b2i dem Censorius, der ein frühes Sta-

dium der stilistischen Entwicklung verkörpert, nicht so auffallend und deutlich wie man es in der Prosa der Gegenwart gewohnt ist.

Mit diesem Gedanken, der mit dem kurz vorher den Origines und den Reden Catos gespendeten Lob nicht recht harmoniert, findet der Schriftsteller wieder zu der Anschauung zurück, die Ausdrucksweise des Censorius sei besonders durch subtilitas gekennzeichnet; von dieser Anschauung ist die Klage über die mangelnde Kenntnis beherrscht, die die Anhänger des Lysias und Hyperides von

Cato haben: Brut. 67-68 (ignoretur Cato). Gegenüber dem Einwand: antiquior est huius sermo et quaedem horridiora verba führt Cicero Brut. 68f. aus: ita enim tum loquebantur. id muta, quod tum ille non potuit, et adde numeros et, (ut aptior sit oratio, ipsa verba compone et quasi coagmenta, quod ne Graeci quidem veteres factitaverunt: iam neminem antepones Catoni.ornari orationem Graeci putant, si verborum immutationibus utan-

tur quos appellant τρόπους et sententiarum orationisque formis quae vocant σχήματα: non veri simile est quam sit in utroque genere et creber et distinc-

tus Cato!5, Wenn Cicero so nachdrücklich auf den catonischen Reichtum an ornamenta hinweist, so hat er den Gedanken, bei dem Censorius finde sich die lysianische subtilitas, offenbar wieder völlig aus den Augen verloren. Was aus der Prosa Catos, wie sie an dieser Stelle charakterisiert wird, nach den von Cicero befürworteten modernisierenden Eingriffen’ geworden wäre, stellte zweifellos nicht ein Muster des genus humile dar, wie der Schriftsteller es orat. 76 ff. beschreibt, sondern eine Art der Rede, die Ciceros eigenem stilistischen Geschmack entspricht. Das Verständnis der gesamten erórterten Passage wird stark erschwert durch die Uneinheitlichkeit des ciceronischen Urteils über Cato. Catos Stil scheint einmal wie der des Lysias vor allem durch Merkmale des genus subtile gekennzeichnet, 15 16

Ganz ähnlich über die christlichen Autoren Aug. doctr. christ. 4,115 G. Reminiszenz? Nebenbei bemerkt: Daß der antiquior sermo Catos zur Lektüre und Nachahmung des Altrómers reizen könnte, kommt

Cicero anscheinend gar nicht in den Sinn; er erwägt

lediglich, daß diese Eigentümlichkeit der catonischen Prosa Anstoß zu erregen vermöchte, und sucht diesen Anstoß zu beseitigen. Geradezu zu einer Warnung vor dem Gebrauch alter catonischer Wörter sieht er sich offenbar überhaupt nicht veranlaßt; und eine solche Warnung wäre doch, falls es entsprechende Neigungen gäbe, eben an dieser Stelle sehr angebracht, um den von ihm empfohlenen Anschluß an Cato aus

drücklich von dieser Praxis zu scheiden. Allem Anschein nach weiß Cicero nichts von einer Affektation veralteter Wörter Catos in der gegenwärtigen Literatur.

180

ein andermal werden an ihm Charakteristika hervorgehoben, nach denen er bei einer Klassifizierung nach bestimmten genera dicendi am ehesten in das genus grave, auf keinen Fall aber in das humile einzuordnen wäre. Die Uneinheitlichkeit des Abschnittes erklärt sich damit, daß Cicero hier zwei verschiedene Intentionen verfolgt. Erstens: Wie längst erkannt, geht es Cicero im Brutus vor allem darum, die Be-

deutung der römischen Beredsamkeit kräftig herauszuarbeiten !". Cato ist der älteste nennenswerte Redner Roms. Es hätte auch für einen anderen Autor als Cicero nahegelegen, die Ansätze der künftigen Vollendung gerade bei diesen An-

fängen der nationalen Eloquenz besonders hervorzuheben. Cicero hat dazu aber noch sehr persönliche Gründe: Die Gestalt des Censorius macht seit langem einen besonde-

ren Eindruck auf ihn '®, Die Reden Catos hat erst Cicero neu entdeckt. Es ist unter diesen Umständen verständlich, daß er seinen Fund vor seinen Lesern in möglichst helles Licht zu rücken sucht. Die virtutes, die Cicero in diesem Bestreben an der catonischen Prosa aufzuweisen trachtet, sind natürlich die Eigenschaften, die ihm persönlich als Vorzüge der Lexis erscheinen, vor allem also der Reichtum an verschiedenem Schmuck. Und

er braucht bei einem entsprechenden Lob nicht die Unwahrheit zu sagen; in Catos Reden gibt es Passagen, denen es an flores, an lumina durchaus nicht fehlt’. Es mag so nicht allein die Absicht sein, den Zeitgenossen von den schriftstellerischen Qualitäten

des Censorius ein möglichst vorteilhaftes Bild zu vermitteln, die

Cicero zu seiner rühmenden Charakteristik veranlaßt; vielleicht äußert sich in ihr auch ein wenig sein eigenes Erstaunen über die reichen ornamenta bei diesem

Redner Ὁ, Das alles erklärt aber gerade nicht, wie Cicero dazu kommt, Cato als Vertreter des genus tenue hinzustellen. Zweitens: Brut. 112 beklagt Cicero, daß niemand das Memoirenwerk des Scaurus lese: at Cyri vitam et disciplinam legunt, praeclaram illam quidem, sed ne-

que tam nostris rebus aptam nec tamen Scauri laudibus anteponendam. Cicero stellt sich hier als Verteidiger der nationalen Literatur in bewußten Gegensatz

zu den Liebhabern allein griechischen Schrifttums. Spezifisch auf die Jungattiker wird die zitierte Bemerkung nicht gemünzt sein. Es wäre jedoch seltsam, wenn Cicero es völlig unterließe, eigens ihnen ihre einseitige Vorliebe für griechische Autoren zum Vorwurf zu machen. Gerade die Passage, mit der die Behandlung der rómischen Eloquenz eigentlich beginnt, ist dazu geeignet; gerade hier vermag sich Cicero, der sich mit der catonischen Beredsamkeit ungewóhn17

Dazu

18

114. Auf diesen Punkt macht schon Gnauk 90 ff. aufmerksam. Cicero hebt seine enge Be

Haenni 52 ff.; Harder,

in: Hermeneia,

Festschrift Regenbogen,

Heidelberg

1945,

19

ziehung zu Cato leg. 1,6; Brut. 294 hervor. Sehr aufschlußreich der Vergleich von Passagen aus Reden

des Gracchus, Ciceros, Ca-

tos GelL 10,3; vgl auch die Besprechung catonischer Sätze Gell 13,25,12ff. Vgl. noch Clarke 40 f. 20

Dazu

noch die Folie der Theorie

183.

181

lich intensiv bescháftigt hat, ganz scharf von dem einseitigen Philhellenismus attizistischer Kreise abzusetzen.

Dabei stößt Cicero aber auf eine Schwierigkeit: Catos Prosa wird ganz allgemein zu Ciceros Zeit vernachlässigt. Die Jungattiker würden mit einem entsprechenden Vorwurf also gar nicht spezifisch getroffen werden kónnen; sie kónnten sich überdies darauf berufen, daß der Censorius nicht ihren stilistischen Idealen entspreche. Die Lösung: Cato muß, indem nur die attizistische Hauptgruppe, die Lysianer und die ihnen wohl sehr ähnlichen Hyperideer zur Zielscheibe des An-

griffs genommen werden, als Vertreter des genus tenue charakterisiert werden. Dann ist allerdings die völlige Vernachlässigung Catos durch diese Jungattiker

als Symptom eines spezifisch ihnen eignenden Mangels an nationaler Gesinnung und eines übertriebenen Philhellenismus zu werten. In der Tat hat sich Cicero die Gelegenheit nicht entgehen lassen, der wichtig-

sten Richtung der Attizisten die Mißachtung des Censorius als unnationale Einstellung vorzurücken. Angedeutet ist dieser Tadel von Cicero bereits Brut. 63 ff.; nachdem er von der inneren Verwandtschaft der catonischen und der lysianischen Beredsamkeit gesprochen hat, meint er: sed ille Graecus ab omni laude felicior, habet enim certos sui studiosos ... quos .. . tenuitas ipsa delectat, . . . laudatores, qui hac ipsa eius subtilitate admodum gaudeant. Catonem vero quis nostrorum oratorum

qui quidem nunc sunt .. . novit omnino ?!? Unmißverständlich heißt es dann Brut. 67: sed ea in nostris inscitia est, quod hi ipsi qui in Graecis antiquitate delectantur eaque subtilitate quam Atticam appel-

lant, hanc in Catone ne noverunt quidem 22. Die geschickt eingeleitete Synkrisis Cato — Lysias, der Gedanke der catonischen

subtilitas ist, so dürfen wir jetzt folgern, eingeführt worden, um die dargestellte Kritik zu ermóglichen. Einen unmittelbaren Angriff gegen das Stilideal der Lysianer und Hyperideer

richtet Cicero in der behandelten Passage nicht. Im Gegenteil äußert er sich über die stilistischen Ziele seiner Gegner anerkennend 25, Das ist verständlich. Würde Cicero diese Ziele verwerfen, so kónnte er den Jungattikern die Vernachlássigung Catos nur insofern zum Vorwurf machen, als sie von ihrer falschen Stilkonzeption her die durch subtilitas gekennzeichnete catonische Beredsamkeit eigentlich hochschätzen müßten. Den Attizisten die Beschäftigung mit dem tenuis orator Cato schlechthin nahezulegen, hätte Cicero keinen Anlaß. Das wäre 21

Mit der Einschränkung oratores, qui quidem nunc sunt, insinuiert Cicero, daß es sich bei der Mißachtung Catos um eine neue — der Leser soll wohl denken: durch die Atti-

22

zisten wenigstens geförderte — Erscheinung handelt. Historisch richtig wäre diese Ansicht nicht. Cicero spricht sie denn auch nicht klar aus. Richtig verstehen den Satz bereits Jahn-K roll z. St.; die sonstigen Bemerkungen des

23

Kommentars zur Struktur und Bedeutung Brut. 68; ähnlich später Brut. 291.

182

des Abschnittes befriedigen nicht.

ein schlechter Ausgangspunkt, um die attizistische Mißachtung des Censorius als Mangel an nationalrómischer Gesinnung hinzustellen?".

Daß Cicero Cato auch als Vertreter der subtilitas kennzeichnet, mag als reichlich gewaltsamer Kunstgriff erscheinen. Aber eine derartige Charakteristik lag vermutlich nicht so fern. Cic. de orat. 2,93 werden die Redner der ersten Periode der griechischen Eloquenz subtiles, acuti, breves genannt; das sind fast dieselben Charakteristika wie die, die er an Lysias und Cato findet, die ihm

acuti . . . ele-

gantes, faceti, breves scheinen. Cicero übertrágt wohl die Eigenschaften, die den hellenischen Rednern

eignen, auf den ältesten lesenswerten römischen Redner;

dementsprechend nennt er Brut. 67 antiquitas und subtilitas in einem Atem. Die catonischen Reden, die man sich nicht als einheitlich in der Höhenlage wird vorstellen dürfen, mögen sich in der Tat nicht selten gut in das genus subtile haben einordnen lassen. Die zwei verschiedenen

Intentionen Ciceros also, die wir herausgearbeitet haben,

erklären die Widersprüchlichkeit in seiner Beurteilung des Censorius; nahegelegt mag sich diese Uneinheitlichkeit haben auch durch starke Unterschiede innerhalb der umfangreichen rednerischen Hinterlassenschaft Catos. Cicero gelingt es, durch eine mehrfache Verlagerung und Verschlingung seiner Gedanken zu verwischen, wie inkohärent die vorgetragene Konzeption der catonischen Stilkunst ist. Bei der vorgetragenen Erklärung brauchte nicht angenommen zu werden, den angesprochenen Jungattikern werde die Nachahmung des Censorius in irgendeiner Hinsicht ironisch empfohlen. Diese Annahme scheint aus folgenden Gründen auch wenig plausibel. Erstens: Cicero behauptet zunächst Brut. 63 die Lysias in zurückhaltender Weise: quodam modo te Cato den Jungattikern hóhnisch vorgehalten Anfang eher eine uneingeschránkte und betonte

Ähnlichkeit zwischen Cato und est nonnulla ... similitudo. Sollwerden, so wäre auch gleich am Gleichsetzung Cato-Lysias zu er-

warten.

Zweitens: In den Abschnitten des behandelten Passus, in denen die catonischen ornamenta hervorgehoben werden und Cato als Vertreter nicht zuletzt des genus grave hingestellt wird, wird ein sehr vorteilhaftes Bild von der Prosa und besonders von der Redekunst Catos entworfen. Nichts weist darauf hin, daß diese Charakteristik nicht ernst gemeint ist. Im Gegenteil. Brut. 69 — ähnlich schon 24

Wenn der einseitige Philhellenismus der Jungattiker hervorgehoben wird, so sollen gewiß letztlich auch

ihre stilistischen Vorstellungen suspekt erscheinen. Daß aber dem ser nebenbei ein entsprechendes Empfinden suggeriert werden soll, hat mit der dem

Le-

Passus immanenten logischen Struktur nichts zu tun. 25

Vergleichbar ist Cic. de orat. 2,53f., wo Cicero-Antonius, unter Übernahme eines von Theophrast geformten Geschichtsschemas, die stilistischen Charakteristika der griechi-

schen Logographen auf die ältesten römischen Geschichtsschreiber überträgt. Dazu vor allem Wehrli in: Eumusia, Festgabe Howald, Zürich 1947, 60 ff.; ferner E. Norden, Agnostos Theos, Darmstadt 1956 376 A.1; Padberg 21 f.; Gelzer, Hermes 64, 1934, 53.

183

Brut. 68 — bemerkt Cicero: nec ... ignoro nondum esse satis politum hunc oratorem et quaerendum esse aliquid perfectius, quippe cum ita sit ad nostorum temporum rationem vetus, ut nullius scriptum exstet dignum quidem lectione, quod

sit antiquius. Eine solche Kautel ist zwanglos doch nur unter der Voraussetzung zu verstehen, daß zumindest das unmittelbar zuvor Brut. 69 ausgesprochene Lob Catos vom Leser ernst genommen werden soll. Ernst zu nehmen ist dann aber auch die ganz ähnliche, günstige Charakteristik Brut. 65. Wenn Cicero den Atti-

zisten den tenuis orator Cato spóttisch vorhielte, dann läge dem eine entschieden ungünstige Beurteilung des Redners Cato zugrunde. Diese negative Einschätzung Catos hätte sich der Leser, der ja die Ironie verstehen sollte, nach der Intention Ciceros klar zu machen. Cicero würde dem Leser also einen mehrfachen Wechsel zwischen positiver und negativer Bewertung der catonischen Eloquenz zu-

muten, ohne auf die letztere irgendwie verdeutlichend hinzuweisen. Drittens: Cicero hat in den letzten Lebensjahren ein enges Verhältnis zu „seinem“ Cato gewonnen, das gerade Brut. 65 deutlichen Ausdruck erhält. Natürlich braucht er, wenn er den Censorius als Menschen und Staatsmann bewundert, gegenüber den Mängeln von Catos literarischer Leistung nicht blind zu sein; und er ist es in Tat nicht. Aber daß Cicero die Prosa des Altrömers so entschieden

ungünstig beurteilt, daß er sie seinen attizistischen Gegnern hóhnisch als Vorbild empfehlen kónnte, das ist keine einladende Vermutung. Ein Problem taucht nun auf: Wirft nicht Atticus Brut. 292 ff. seinem Gesprächs-

partner Cicero gerade im Hinblick auf Brut. 63 ff. Ironie vor?

Wie vereint sich

das mit der vorgetragenen Auffassung? Atticus beginnt seine Kritik an den Ausführungen des Freundes Brut. 292 mit einem Hinweis auf die sokratische Ironie: est... et minime inepti hominis et eiusdem etiam faceti, cum de sapientia disceptetur hanc sibi ipsum detrahere,

eis tribuere inludentem qui eam sibi adrogant; ut apud Platonem Socrates in caelum effert laudibus Protagoram . .. ceteros, se autem omnium rerum inscium fingit et rudem. Von solcher Ironie glaubt Atticus etwas gleichfalls in der von Cicero gegebenen Geschichte der rómischen Eloquenz wahrnehmen zu kónnen, quia ... ita laudavisti quosdam oratores ut imperitos posses in errorem inducere

(Brut. 293). Atticus unterstellt also seinem Freunde, er habe im Verlaufe des Dialogs unter

Verschweigen des eigenen oratorischen Kónnens einige Redner mit einem nicht ernst gemeinten Lob bedacht; diese Redner wären es, gegen die sich der Bemerkung des Gesprächspartners zufolge Ciceros Ironie wendet, ganz wie die Ironie des Sokrates gegen die Sophisten gezielt ist, denen der Philosoph Weisheit zuerkennt, seine eigene Weisheit in Abrede stellend. In der von Cato handelnden Passage wäre die ciceronische Ironie demnach gegen den Censorius gerichtet, der in spóttischer Übertreibung als bedeutender Stilist hingestellt würde. Der 26

184

Vgl. die 181 A. 18 angeführten Cicerostellen.

Vorwurf, Ciceros Darstellung sei von Ironie durchtränkt, spricht gerade dagegen, daß — nach Atticus — Lysias und mit ihm die stilistischen Vorstellungen der Lysianer spöttisch herabgesetzt worden seien?". Überdies soll eine spóttische Einstellung Ciceros Urteil bei einer größeren Anzahl von Rednern bestimmt haben,

nicht allein bei Cato; die Cicero unterstellte Ironie kann also nicht mit den spezifischen Gegebenheiten des Catoabschnittes und der hier hereinspielenden Gegnerschaft zu den Jungattikern zusammenhängen.

Atticus begründet den Vorwurf, den er gegenüber seinem Freund erhebt, in längeren Ausführungen, die er Brut. 293 f. mit einer eingehenden Kritik der von Cicero über den Censorius vorgetragenen Ansichten beginnt. Von der Intention, die wir als eigentlichen Beweggrund für die Zusammenstellung Catos mit Lysias erkannt haben, hören wir hier freilich nichts; es wäre auch recht verwunderlich, wenn Cicero an dieser Stelle gewissermaßen seine Karten auf den Tisch legte. Atticus hebt, wenn er die Lächerlichkeit und Unglaubhaftigkeit der Synkrisis

betont, lediglich hervor, daß der Vergleich für Cato viel zu hoch gegriffen und der Censorius so unangemessen günstig beurteilt worden sei; demgegenüber meint

er: orationes . . . eius ut illis temporibus valde laudo. significant enim formam quandam ingeni, sed admodum impolitam et plane rudem. Neben der Bezeichnung der Origines als omnibus orationis laudibus refertae wird vor allem der Vergleich Catos mit Thukydides und Philistos angegriffen: quos enim ne e Graecis quidem quisquam imitari potest, his tu comparas hominem Tusculanum nondum suspicantem quale esset copiose et ornate dicere. Wenn wir allein aus den zitierten kritischen Worten des Atticus die von Cicero geäußerte Auffassung zu rekonstruieren hätten, müßten wir annehmen, Cicero habe dem Censorius die gleichen in copia und besonderem ornatus bestehenden stilistischen Qualitäten zuerkannt wie den beiden griechischen Historikern. In Wahrheit ist das durchaus nicht der Fall. Cicero ist es Brut. 66 allein um die Darstel27

Zur Verdeutlichung: Das illudere könnte innerhalb der Synkrisis Cato— Lysias in zwei verschiedene Richtungen gehen. Einmal wäre es denkbar, daß durch diese Gleichung das stilistische Vorbild der Lysianer verspottet werden

sollte, indem es als ebenso min-

derwertiger Stilist wie der Censorius hingestellt würde. Diese Richtung des illudere wä re zu erwarten, wenn die Hauptgruppe der Attici und ihre Stilkonzeption verächtlich gemacht werden sollte. Zum anderen wäre es möglich, daß der Spott gegen Cato ziel te, indem

dieser übertreibend-ironisch als ebenso bedeutender Redner

wie Lysias be-

zeichnet würde. Dann bliebe die Bedeutung des attischen Redners unangetastet; eine solche Art der Ironie wäre somit nicht gegen das Stilideal der Lysianer gerichtet. Die beiden Fälle schließen einander aus: Bei der ersten Art des Spottes ist es die niedrige Einschätzung des Censorius, die von vornherein feststeht, und

Lysias der Autor,

des-

sen Bedeutung durch die Synkrisis auf das richtige geringe Maß zurückgeführt wird. Bei der zweiten Art der Ironie ist es die hohe Bewertung des attischen Redners, die feststeht und zu der der Censorius emporgehoben wird, um eben durch diese übertriebene Einschátzung als Stilist geringen Grades entlarvt zu werden. Die Ironie, die Atti cus meint, müßte sich, wie bemerkt, gegen Cato richten. Die ironische Färbung, die Atticus an dem Vergleich Cato-Lysias findet, kann somit nicht auf die Herabsetzung des Stilmusters der Lysianer abzielen.

185

lung der Tatsache zu tun, daß die virtutes einer älteren Entwicklungsstufe der Kunstprosa von den stärkeren und auffälligeren Künsten eines späteren Stadiums überstrahlt werden. Das ist nach der Auffassung des Autors auch Cato widerfahren. Daß die Prosa des Censorius die gleichen Qualitäten hat wie die des Thuky-

dides und des Philistos, hatte Cicero an dieser Stelle aber nicht gemeint”, noch weniger, daf diese námlichen Vorzüge in besonderer copia oder besonderem Reich-

tum an ornamenta bestehen. Die Intention des ciceronischen Vergleiches läßt Atticus also völlig außer Acht; er legt den Nachdruck auf die nur indirekt in dieser Synkrisis implizierte Aufwertung des Schriftstellers Cato und weist, ihr

widersprechend, darauf hin, daß sich in dem Censorius ein anfänglich-rohes Stadium der Stilentwicklung verkórpere.

Nun hatte Cicero selbst bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß die catonische Prosa noch in vielem mangelhaft sei. Atticus trágt somit keinen neuen Gedanken vor, sondern betont nur einen bestimmten Aspekt des von Cicero schon Ausgeführten.

Wie Atticus Catos Reden lediglich ut illis temporibus lobt, so läßt er Brut. 295 Galba allein ut illius aetatis principem gelten, dessen tatsáchlich vorliegende Re-

den in ihm keinen schlechthin bedeutenden Redner erkennen liefen. Mit dieser von dem Kritiker zum Teil nur angedeuteten Auffassung wird indessen eine bereits von Cicero Brut. 82 ausgesprochene Erkenntnis wiederaufgenommen: nescio quo modo huius (Galbae), quem constat eloquentia praestitisse, exiliores orationes sunt et redolentes magis antiquitatem quam aut Laeli (aut Scipionis aut etiam ipsius Catonis. Daß die erhaltenen Reden des Porcina dessen Ruf unter den Maßstäben der Gegenwart nicht mehr zu rechtfertigen vermógen, hatte Cicero Brut. 95 zu verstehen gegeben: summus orator est habitus et fuit, ut apparet ex orationibus, scriptor

sane bonus. Nichts anderes als eine Verdeutlichung dieses Urteils stellt die Ansicht des Atticus Brut. 295 dar: probas Lepidi orationes; paulum hic tibi adsentior, modo ita laudes ut antiquas. Er fährt fort: quod item de Africano,

de Laelio, cuius tu oratione negas fieri

quicquam posse dulcius, addis etiam nescio quid augustius. nomine nos capis summi viri . .. remove haec; ne ista dulcis oratio ita sit abiecta, ut eam aspicere nemo velit. Über die Reden Scipios hatte Cicero Brut. 83 nichts besonders Rühmendes geäußert; im Gegenteil hatte er sie wie gleichfalls die Reden Catos und des Laelius in der soeben zitierten Bemerkung über die Beredsamkeit Galbas hinreichend als altertümlich-unvollkommen gekennzeichnet; Atticus geht denn auch nicht weiter kritisch auf das Bild ein, das Cicero von der scipioni-

schen Eloquenz entwirft. Umso ausführlicher beschäftigt er sich mit dem Urteil über Laelius. Nun hatte zwar Cicero Brut. 83 die Rede de collegiis in der Tat mit den von Atticus angeführten lobenden Epitheta bedacht, aber — und 28

186

Genaueres

dazu

333 A. 101.

das wird von dem Freund Ciceros überhaupt nicht erwähnt — im übrigen eben aufgrund dieser Rede Laelius vetustior et horridior ... quam Scipio genannt und

den traditionell dem Laelius vor dem Africanus minor zuerkannten rednerischen Vorrang bestritten. Atticus verschärft hier also nur das ungünstige Urteil Ciceros. Carbonem in summis oratoribus habitum scio, meint er weiter Brut. 296; aber

gerade in der Beredsamkeit gelte: quo iam nihil est melius, id laudari qualecum: que est solet. Dasselbe gelte für die Gracchen, obwohl, wie der Kritiker zu CiceIO bemerkt, de eis ea sunt a te dicta, quibus ego adsentior. Cicero hatte zwar Brut. 103 von Carbo und Ti. Gracchus gesagt: fuit uterque summus orator, jedoch einschränkend hinzugefügt: atque hoc memoria patrum teste dicimus; nam et Carbonis et Gracchi habemus orationes nondum satis splendidas verbis, sed

acutas. Auch C. Gracchus war von Cicero kein ungeteiltes Lob zuteil geworden: manus extrema non accessit operibus eius; praeclare inchoata multa, perfecta non plane (Brut. 126). In diesen Fällen bringt der Kritiker an Ciceros Äußerun-

gen gleichfalls keine grundsätzlichen Korrekturen an, sondern betont lediglich entschiedener die Unvollkommenheit der genannten Redner. Daß die Beredsamkeit des Antonius und Crassus, in denen Cicero die Eloquenz schon für vollendet halte, bedeutend sei, gibt Atticus Brut. 296 zu: de horum laudibus tibi prorsus adsentior, sed tamen non isto modo: ut Polycliti Doryphorum sibi Lysippus aiebat, sic tu suasionem legis Serviliae tibi magistram fuisse:

haec germana ironia est??. cur ita sentiam non dicam, ne me tibi adsentari putes. Wie Atticus übertreibend von dem Rang spricht, den Cicero den zwei großen

Rednern zuerkannt hatte — ist mit ihnen doch nach Brut. 161 nur die erste Reife und fast die hóchste Stufe der rómischen Eloquenz erreicht —, so übertreibt er auch die Bedeutung, die Cicero Brut. 164 der Suasio des Crassus zugestanden hatte: mihi quidem a pueritia quasi magistra fuit . . . illa . . . oratio. Ciceros Bemerkung ist schon durch den Zusatz quasi um eine Nuance vorsichtiger als die seines Freundes; vor allem aber stellt Cicero nicht die Rede des Crassus neben den Doryphoros des Polyklet, eine Parallelisierung des Atticus, durch die die

Leistung des Redners als klassisch-exemplarisches Kunstwerk charakterisiert wird. Die letztere Verzerrung erlaubt es dem Kritiker, in Ciceros Äußerung germana ironia zu finden. Die Begründung will er zwar verschweigen, damit sein Freund nicht glaube, er schmeichle ihm, aber die in diesem Finalsatz enthaltene 29

ich interpungiere wie etwa Wilkins in der Oxfordausgabe; ebenso Malcovati in der neuen Teubneriana 1965. Aus aiebat läßt sich zwanglos aiebas als Prädikat zu tu ergänzen; mit isto modo wird zusammenfassend auf die Anschauung hingedeutet, die Atticus dem Cicero unterstellt (ut Polycleti — fuisse). Jahn-Kroll — so ebenfalls Bar-

wick — interpungieren stark nach assentior und setzen hinter isto modo lediglich ein Komma; sie erklären dazu: „sic nimmt isto modo nach ut wieder auf". Diese Auffassung läßt es nicht zu, aiebas als Prädikat zu tu hinzuzudenken (wie Jahn-Kroll

empfehlen), man muß dann schon mit Fuchs in: Navicula Chiloniensis, Festschrift Jacoby, Leiden 1956, 142 schreiben: . . . magistram fuisse (dicere debuisti? oder Ähnliches. Das Überlieferte ist indessen auch ohne Konjektur zu verstehen.

187

Andeutung ist unmißverständlich: Cicero ist der wahre Vollender und Klassiker der römischen Beredsamkeit, und deshalb wäre es pure Ironie, wenn er die Rede

eines anderen an die Stelle setzte, die nur seinen eigenen Reden gebührt. Daß in der von Atticus unterdrückten assentatio tatsächlich derartiges hätte gesagt

werden müssen, zeigt die ihren Inhalt andeutend umschreibende Replik Ciceros Brut. 298: tu melius existumare videris de ea si quam nunc habemus facul-

tate Ὁ, An dem ciceronischen Urteil über Cotta, Sulpicius, Caelius, deren rednerische

Mängel Cicero Brut. 203 f., 273 durchaus nicht übergangen hatte, kann Atticus Brut. 297 anscheinend konkret nichts aussetzen. Er konzediert Cicero, daß diese Männer wirkliche Redner gewesen seiert: quanti autem et quales, tu videris. Die Meinung, die Atticus von der Beredsamkeit all der genannten Redner hat, ist somit keineswegs grundsätzlich von den Anschauungen verschieden, die Cicero im Laufe des Dialogs vorgetragen hatte. Atticus vermag sich denn auch im allgemeinen die Gelegenheit, Ciceros Ausführungen durch den Hinweis auf die Zeitbedingtheit und Unvollkommenheit des oratorischen Könnens der erwähnten Römer zu kritisieren, nur dadurch zu verschaffen, daß er das Lob, das sein Freund diesen Rednern hatte zuteilwerden lassen, übertreibend wiedergibt, schweigend darüber hinweggeht, daß Cicero selbst bereits mehr oder weniger

deutlich auf die faktischen Mängel an der Eloquenz der behandelten Redner hingewiesen hatte, oder die Ausführungen des Gesprächspartners sonstwie verzerrt. Atticus hat in Wahrheit keine Position gegen Ciceros Darlegungen bezogen; er verdeutlicht lediglich zusammenfassend, was dieser immer wieder hinreichend

prügnant zum Ausdruck gebracht hatte: Die Eloquenz auch der namhafteren behandelten Redner ist mit teilweise erheblichen Schwächen behaftet, keiner von ihnen kann als Vollender der römischen Beredsamkeit, keiner als der perfectus orator gelten. Wir werden annehmen dürfen, daß es Cicero hier eben um nichts anderes geht als um die Verdeutlichung dessen, was sein Atticus verdeutlicht.

Daß es darauf dem Autor gerade an dieser Stelle ankommt, hat seinen guten Grund: Im Anschluß an die Ausführungen des Atticus und einige sich aus ihnen ergebende Bemerkungen wird Brut. 301 ff. der rednerische Entwicklungsgang des

Hortensius und in Verbindung mit ihm vor allem der Ciceros dargestellt. Jetzt gelangt also die Geschichte der lateinischen Redekunst zu ihremin Cicero gipfelnden Hóhepunkt, zur Vollendung; sie — und das wird eben von Atticus zum Ausdruck gebracht — ist im Laufe der Aufwärtsentwicklung der römischen Eloquenz

von keinem Redner erreicht worden”. Die kritischen Worte des Atticus machen abschlieBend die Sonderstellung Ciceros sichtbar. 30

31

188

Der wahre Grund dafür, daß der angedeutete Gedanke nicht ausgesprochen wird, ist natürlich der, daß er in der unverhüllten Form auch im Munde des Atticus von

den Lesern als starke Anmaßung Ciceros empfunden worden wäre, Daß es in diesem Zusammenhang — was ja auch sehr verwunderlich wäre — nicht

Es erweist sich als überaus geschickter Kunstgriff des Schriftstellers, daß er dem Kritiker den Vorwurf der Ironie in den Mund legt.

Man erwäge einmal, welchen Weg Cicero sonst hätte einschlagen können, um an unserer Stelle dem Leser die Mangelhaftigkeit aller bisherigen rómischen Redekunst besten selbst hatte,

zu vergegenwärtigen: Das Einfachste wäre gewesen, eine Dialogfigur, am Atticus, resümierend auf die Abstriche hinweisen zu lassen, die Cicero bereits an der Geltung der zur Sprache gekommenen Redner vorgenommen und dem Sprechenden die unverhohlene Äußerung in den Mund zu legen,

daß jedenfalls die vollkommene Beredsamkeit unter den Genannten keiner erreicht habe; die Intentionen eines solchen Passus, der sich kaum zwanglos in den Dialog eingefügt hätte, wären nur zu deutlich gewesen. Verhüllen ließe sich die hinter dem Abschnitt stehende Absicht, wenn Atticus das Lob, das Cicero der Eloquenz der erwähnten Römer zugeteilt hatte, offen als übertrieben kennzeichnete und in Ausführung dieser Ansicht die Mängel der Redner herausarbeitete; die eigentliche Intention dieses Abschnittes, die Betonung der Mangelhaftigkeit aller bisherigen

oratorischen Leistungen, erschiene hier nicht mehr plump als Selbstzweck. Aber wie sollte Cicero auf eine derartige Kritik reagieren? Zuzugestehen vermóchte er ihre Berechtigung nicht; denn es ginge nicht gut an, daf der Autor gegen En-

de der Schrift die bislang hier von ihm vertretenen Auffassungen großenteils als unrichtig erklärte. Ebenfalls nicht könnte er die Darlegungen des Freundes einfach zurückweisen; würde er damit doch gerade der Absicht entgegenarbeiten, die er mit der Einfügung des Abschnittes verfolgt. Genug: Der Absicht des Schriftstellers stellten sich mancherlei Schwierigkeiten entgegen.

Die Vorteile von Ciceros Kunstgriff: Der ungezwungen eingeführte Vorwurf des Atticus wird von dem Gesprächspartner Cicero Brut. 293 zunächst nicht verstanden; dadurch erhält der Kritiker einen Anlaß, seine Auffassung eingehend zu erläutern. Dem Autor gelingt es auf diese Weise, seinem Leser nebenbei zu Bewußtsein zu bringen, daß auch die bedeutenderen der bisher genannten Redner von der vollkommenen Beredsamkeit mehr oder weniger weit entfernt sind. Die spóttische Einstellung, die Atticus in der Geschichtsdarstellung seines Freundes wirksam glaubt, kann der Cicero des Dialogs Brut. 297 ff. mit Recht leugnen; er

braucht also die im Gesprách dargelegten Auffassungen nicht zu widerrufen. Auf die Ausführungen des Atticus Brut. 293-297, durch die scheinbar der Vorwurf unangebrachten Spottes lediglich expliziert wird, ist Cicero ausführlicher einzugehen nicht genótigt. Er greift Brut. 298 nur die beiden Autoren heraus, bei denen Atticus noch einmal das Stichwort ironia gegeben hatte, um das in dem ganzen Abschnitt alles zu gehen scheint. Dabei widerspricht er zwar dem Vorgeben nach dem Urteil, das sein Kritiker über diese Redner gefällt hatte, wiederholt es aber in Wirklichkeit lediglich mit anderen Worten. allein um die álteren Redner geht, zeigt die Erwáhnung des Caelius. Hortensius kann hier natürlich nicht genannt werden; später gibt Cicero zu erkennen, daß er zwar ein bedeutender,

aber mit mancherlei Mángeln behafteter Redner

ist.

189

Kehren wir wieder zurück zu dem Lob, mit dem Cicero Catos Prosa bedacht hatte, und der Synkrisis Cato-Lysias: Sie bieten Atticus einen günstigen Ausgangs-

punkt, Ciceros Behandlung der älteren Beredsamkeit als ironisch zu deuten. Über die Motive, die Cicero tatsächlich zu seiner Würdigung Catos bestimmt

haben, lernen wir aus der Bemerkung des Atticus aber nichts”. Auch wenn Cicero Brut. 298 auf die — freilich mit vielen Unvollkommenheiten verbundenen — Vorzüge der catonischen Prosa hinweist, ohne die Parallele CatoLysias zu erwähnen, soll damit nicht etwa ein Widerruf des Vergleiches angedeutet sein. Vielmehr geht es in dieser abschließenden Bemerkung lediglich generell um die Bedeutung des Prosaikers Cato; es wird nicht pedantisch auf die einzelnen Punkte von Atticus' Ausführungen eingegangen. Was Cicero an Catos Eloquenz gelobt hat, ist besonders der Reichtum an ornamenta, sind, wie bemerkt, allgemein die Eigenschaften, in denen sich die catonische mit der modernen ciceronischen Beredsamkeit berührt. Die schon vorhan-

denen Charakteristika dieser modernen Redekunst sind es auch sonst, aufgrund

deren Cicero der Beredsamkeit älterer Römer seine Anerkennung gibt°?. Die Besonderheiten der veteres aber, das impolitum etwa, der geringe ornatus, sind in seinen Augen nur Mängel”. Positive Stilqualitäten, die spezifisch mit der antiquitas verbunden wären, kennt Cicero im Brutus ebensowenig wie anderwárts?; die Zeitgenossen Ciceros dürften diese Einstellung gegenüber älterer Prosa teilen. Spätere Jahrhunderte zeigen eine andere Haltung. Zu Quintilians Zeit gelten wenigstens in manchen Kreisen als die Eigenschaften, die die Redekunst der Vergangenheit auszeichnen und von der corrupta eloquentia der Gegenwart abheben, vor allem Männlichkeit und Natürlichkeit. Gellius liebt später wie sein Idol Fronto die Einfachheit; Reinheit, Unverdorbenheit der Alten: suavitas und venu32

Es wäre auch ein merkwürdiges Verfahren,

wenn Cicero, nachdem

er im Catoab-

schnitt ironisch gesprochen hatte, auf diesen Umstand über 200 Kapitel spáter noch einmal aufmerksam machen ließe. Entweder — und das wäre das Natürliche — glaubte er, seine Ironie sei jedem Leser verstündlich; dann würde es der Wirkung dieser

Ironie einigen Abbruch tun, wenn er sie spáter ausdrücklich als Ironie kennzeichnete. Oder aber, was freilich recht seltsam wáre, er fürchtete, einige Leser kónnten

33

34 35

36

190

seine

Ausführungen für Ernst halten; dann folgte das Interpretament entschieden zu spät. Vgl etwa Brut. 126: C. Gracchus ist grandis verbis; 140f.: Antonius zeichnet sich durch die sententiarum ornamenta aus; 162: Bei Crassus findet sich eine Art des ambitus verborum. Vgl. ferner 176. Ein Vorzug der antiqui besteht nach Cicero allerdings in ihrem reinen Latein; dazu 77 ft. Von ὥρα und χάρις, die Dionys op. rhet. I 331,11 ff. Us-Rad. den alten Logographen zuerkennt, findet Cicero in dem entsprechenden lateinischen Stadium der Historiogra-

phie (dazu 183 A.25) nichts; leg. 1,6 spricht Atticus in seinem Überblick über die rómische Geschichtsschreibung von antiquorum languor et inscitia; vgl. auch etwa Brut. 69; 82. In der Malerei hat dagegen das horridum und obsoletum der antiquae tabulae für den Rómer der ausgehenden Republik einen besonderen Reiz. Cic. de orat. 3,98. Vgl. 58 A.38.

stas, das amoenum und dulce sind die geschätzten Charakteristika vorklassischer

Ausdrucksweise ?". Daß Cicero eine derartige Betrachtungsweise ganz fremd ist, ist in besonderem

Mafe verstándlich. Er sieht ja die Entwicklung der lateinischen Beredsamkeit durch einen steten in ihm selbst gipfelnden Fortschritt gekennzeichnet*. Die Bedeutung, die Cicero für sich in der rómischen Redekunst in Anspruch nimmt, ist aber auch in anderer Hinsicht für das Verständnis des Brutus wichtig. Wenn Cicero selbst das Telos der Entwicklung bedeutet, kann die Zukunft allein

den Verfall bringen. Cic. Tusc. 2,5 heißt es auch in aller Deutlichkeit: oratorum ... laus ita ducta ab humili venit ad summum, ut iam, quod natura fert in omnibus fere rebus, senescat brevique tempore ad nihilum ventura videatur. Im Brutus

findet sich eine so scharfe Äußerung nicht ?*; vielleicht aus Rücksicht auf BrutusὉ, vielleicht weil Cicero sich diese Konsequenz noch nicht in aller Schárfe zum Be-

wußtsein gebracht hat oder bringen will. Aber das natürlich durch die politischen Verhältnisse genährte Empfinden, daß die große Zeit der lateinischen Eloquenz

vorüber sei, beseelt ihn doch auch schon in dieser Schrift?'. Unter dem skizzierten Aspekt erweist sich der Brutus als ein Werk, das mit Ciceros Selbstverständnis eng verbunden ist: Der große Redner ist gedrängt, die einzelnen Stationen der emporsteigenden römischen Beredsamkeit noch einmal im Geiste zu durch-

wandern, im Gefühl, Gipfel und Ende des Aufstiegs erreicht zu haben". Ein besonderes Gewicht gewinnt für Cicero seine rednerische Leistung nach dem

Scheitern seiner Politik?. Ein je höherer Rang der römischen Redekunst überhaupt zukommt, desto mehr Bedeutung hat ihr Meister. Man wird auch in dem Streben, die nationale rómische Beredsamkeit der Vergangenheit besonders zu würdigen, ein sehr persónliches Element nicht übersehen dürfen.

37

Einiges dazu bei Hache

1 ff.; Marache

138 ff. passim.

Bei den Griechen gibt es eine

entsprechende Einstellung schon früher; vgl Dion. Hal op. rhet. I 211, 20; oben A.35. 38

Bemerkenswerterweise zeigt auch Gellius sich gelegentlich von dieser Ansicht beeinflu&t. Vgl. besonders die Polemik GelL 10,3,15 f., wo betont wird Catonem conten-

tum eloquentia aetatis suae non fuisse et id iam tum facere voluisse, quod Cicero po39 40

41 42

stea perfecit. Dazu Gell 13,25,12. Dabei muß man sich natürlich bewußt ist. Freilich sind ihm auch die Tusculanen

gewidmet,

des Dialogs nicht erhalten

aber von seiner Beredsamkeit

wird

in dieser Schrift eben nichts gesagt. Demgegenüber wird Brutus in dem nach ihm benannten Dialog recht deutlich als Ciceros Nachfolger im Primat der Beredsamkeit hingestellt. Brut. 22; 331 f. Vgl etwa die resignierten Bemerkungen Brut. 6ff., 20f.; F. Leo, Die griechisch-rómi sche Biographie, Leipzig 1901, 220. Die äußere Anregung zur Abfassung des Brutus könnte von Varros De poetis ausgegangen sein. Dahlmann,

43

sein, daß das Ende

De poetis 654.

Vgl seine Äußerungen Brut. 253 ff.; Caesar berechnet seine Komplimente sehr fein. Ferner zu dem

Gesichtspunkt K. Büchner, Cicero, Heidelberg

1964,

324 ff.

191

Es ist so kein Zufall, daß gerade Cicero es ist, der eine Geschichte der lateinischen Redekunst zu geben sucht und dabei auch die Errungenschaften älterer

Redner sieht, die seine Zeitgenossen so gering achten. Dauernder Besitz scheint diese Sichtweise freilich nicht für ihn geworden zu sein; wo er im Orator von

älterer römischer Beredsamkeit spricht, erkennt er an ihr vornehmlich Mängel

und Unvollkommenheiten^*. 44

192

Mit einer etwas unsicheren Haltung Ciceros zu rechnen, dürfte angemessener sein als die eine oder andere Äußerung als Hinweis auf seine „eigentliche“ Einstellung zu werten. Übrigens ist bei der Aufwertung des Demosthenes und der mit ihr verbundenen Abwertung der Latini orat. 22f. zu berücksichtigen, daß Cicero hier Brutus, den er gewinnen móchte, entgegenkommt. Andererseits ist eine Bemerkung Ciceros wie orat, 233 kaum aus einem derartigen Entgegenkommen abzuleiten.

7. Zusammenfassung

Archaismen waren für die rómischen Redner seit alters eines der ornamenta dicendi. Zum Stilprinzip aber hat sehr wahrscheinlich kein republikanischer Orator jemals den Gebrauch derartiger Idiome erhoben. Ebensowenig kennen die Redner der Periode ein stilistisches Altertümeln. Solange die Redekunst eine eminent

politische Bedeutung hat, sind ja auch die Bedingungen für Künsteleien ungünstig. Der rómischen Beredsamkeit unter Caesars Alleinherrschaft liegen, soweit die Zeugnisse reichen, ebenfalls jegliche archaistischen Tendenzen fern. Die herrschende negative Einstellung gegenüber älterer römischer Prosa erfährt zwar in Ciceros Brutus eine gewisse Korrektur. Aber diese Korrektur erklärt sich hin-

reichend aus persönlichen Motiven Ciceros. Wirkungslos braucht sie deshalb freilich nicht gewesen zu sein.

193

III. Die Geschichtsschreibung

in republikanischer Zeit 1. Die vorsallustische Historikersprache: Anschauungen, Methoden, Grundsátze bei ihrer Erforschung

Es ist eine alte Annahme, daß die republikanische Geschichtsschreibung sich sprachlich an die Dichtung, vor allem an das ennianische Epos angeschlossen

habe. Jünger ist die gelegentlich in extremer Formulierung vorgetragene Ansicht, Archaismen hátten in der Sprache der vorsallustischen Historiographie eine besondere Rolle gespielt?. Die zwei Auffassungen tangieren einander: Dichtwerke kónnen Fundgruben antiquierter Idiome sein. Die altertümlichen Ausdrücke dissoziieren sich für den Prosaiker nicht scharf von den poetischen?. Den beiden Hypothesen ist gemeinsam, daß sie im allgemeinen mehr beiläufig geäußert oder jedenfalls nicht mit umfassender und eindringlicher Diskussion gestützt worden sind^; kritische Bemerkungen sind nicht ausgeblieben?. In einer materialreichen Untersuchung und mit einer neuen Methode hat vor einigen Jahren Skard, Vorgánger unsere Kenntnisse von der vorsallustischen Hi1

Zarncke 274 scheint noch kaum Sprache und Stil im engeren Sinne vor Augen zu haben. So aber dann Norden, Ennius 157 f.; áhnlich auch Komm. Aen. 6 S. 371; vgl auch noch S. 193; 327. Cavallin 97 ff.; McDonald, JRS 47, 1957, 166; Bardon I 156 A.2; Kuntz 9f.; Syme 259. Weiteres bei der Behandlung der einzelnen Historiker. — Tränkle, WS N. F. 2, 1968, 103 ff. konnte nicht mehr berücksichtigt werden.

2

Fraenkel 193 sieht in Sallusts Archaisieren „a heritage from his forerunners in Roman

C

oU

historiography"; in der 2. Hälfte des 2. vorchr. Jhs. sei es in der Geschichtsschreibung modern geworden, in mehr oder weniger großem Umfange Archaismen anzuwenden, Ausdruck der Idealisierung von Roms goldenen Tagen. Marache 19, freilich nur von den Historikern sullanischer Zeit; Sallust gehe, äußert er 22, über die „lois du genre" hinaus. Bardon I 266; 365; I 266 A.1 meint er sogar, Sallust sci in seinem Stil viel konformistischer als Caesar. Syme 49; 323; Badian 14 ff. passim.

Vgl. 32. Am umfassendsten von den genannten Gelehrten noch Bardon, Cavallin und Badian. Leeman, Ratio 76 bezweifelt, „that there was a Roman tradition of ,poetical' histo-

riography before Sallust". Gegen Fraenkel wendet sich Steidle 98 unter Hinweis auf die Kritik, der Sallusts Archaisieren begegnet ist: „Schwerlich hätten diese Kritiker

etwas gegen Sallust zu bemerken gehabt, wenn sich sein Archaismus in nichts von dem anderer Historiographen unterschieden hätte“. Ähnlich schon Leeman, Genre 204, der jedoch nicht behaupten móchte, ,,que les historiens romains n'aient pas pratiqué l’archaisme“; vgl auch Leeman, Ratio 182. Mit seinem Argument nähert sich Steidle der Ansicht von Dihle, Rez. 596 ff., der in dem entschiedenen Archaisieren Sallusts

etwas grundsätzlich Neues in der Geschichte der lateinischen Kunstprosa sieht.

194

storiographensprache zu erweitern gesucht. Livius und Sallust sei — so bemüht sich Skard nachzuweisen — in weitem Umfange charakteristisches Sprachmate-

rial gemeinsam, das ihre Sprache von der Prosa Ciceros und Caesars unterscheide. Livius kónne nicht in nennenswertem Umfange von Sallust, den er abgelehnt habe, beeinflußt sein. In den sallustisch-livianischen Spracheigentümlichkeiten müsse daher im wesentlichen das Sprachgut älterer Historiographie erkannt werden. Die Ergebnisse Skards wären auch für unsere Problematik von Bedeutung, sollten sie sich als zuverlässig erweisen. Ihre Zuverlässigkeit soll nun überprüft werden.

Nehmen wir zunächst die Prämisse an, Livius müsse von Sallust unabhängig sein. Kann das von Skard vorgelegte Material dann tatsächlich im allgemeinen nur Sprachgut älterer Geschichtsschreibung sein? Es ist nicht möglich, jedem der mehreren hundert Idiome nachzugehen, die

Skard für die vorsallustische Historiographie in Anspruch nimmt. Wir greifen einen Komplex heraus, der bei dem Thema unserer Arbeit von besonderem Interesse ist: die einzelnen Vokabeln, die „eine gewisse archaische, feierliche oder gar poetische Färbung haben“ (Skard, Vorgänger 39). Vor dem Doppelpunkt werden dabei die von Skard a.O. gebotenen Erläuterungen wiedergegeben. Mit

Sallust" sind in unseren Darlegungen nur die unbestritten genuinen Sallustiana gemeint, wofern sich nichts anderes aus dem Text ergibt‘. Einen Teil des zusammengestellten Sprachmaterials verwenden Sallust oder Livius oder beide Autoren in der gleichen Weise wie der Prosaiker Cicero oder andere Prosaiker der Zeit. Einmal handelt es sich hierbei um Vokabular, das wenigstens von Cicero bis Livius normales Ausdrucksgut lateinischer Prosa ist. Zum anderen haben wir es mit gehobenen Idiomen zu tun, die in dieser Periode jedem Prosaiker, der sich eines hóheren Stils bedienen will, zur Verfügung stehen. Im letzteren Falle sind die sallustisch-livianischen Kongruenzen tatsächlich

in einer bestimmten Tradition gegründet: Es gibt einen bestimmten Wortschatz gehobener Prosarede. Wenn die zwei Historiker in áhnlichem Zusammenhang zu

demselben ungewöhnlichen Idiom greifen, so erklärt sich das hinreichend aus ihren verwandten stilistischen Intentionen, die durchaus nicht die älterer Geschichtsschreibung zu sein brauchen. aerumna: In der Prosa Ciceros fast 20 mal ab inv. 2, 102; prov. 17; p. red. in sen. 34. Bei Sallust 6 mal ab Catil. 51,20; bei Livius allein 29,16,7. arvum: In der Prosa Ciceros Scaur. 25; rep, 3,25; nat. deor. 1,122. Varro rust.

1,7,2 und noch einigemal im gleichen Buch dieser Schrift. Bei Sallust lug. 90,1; hist. frg. 1,14; bei Livius 2,14,3; 9,36,11, beidemal Etruriae arva. benefactum: In der Prosa Ciceros de orat. 2,208; parad. 22; Tusc. 2,64; Cato 9. Bei Sallust Catil. 8,5; Iug. 85,5; or. Phil. 4; 6; bei Livius 25,29,7; 25,31,4; 37,

1,2; 43,7,7; 45,24,7. 6

Das im folgenden vorgelegte Material findet sich teilweise bereits im Thes. oder bei Skard, Ennius; das wird in der Regel nicht besonders angemerkt.

195

crescere = oriri (Sall. Catil. 10,3; Iug. 4,6; Liv. 2,14,2; vgl. Thes. IV 1176): Im Thes. werden aus der Prosa des 2. und 1. vorchr. Jh.s nur Varro rust. 1,12,2 und 1,45,3 für crescere in der vorausgesetzten Bedeutung angeführt. Die drei

Historikerstellen fehlen hier, wenigstens die Sallusts, vermutlich aber auch die des Livius zu Recht. Sall. Catil. 10,3. Nach der Vernichtung Karthagos beginnt primo pecuniae, deinde imperi cupido crevit. Dazu Catil. des Umbruchs minuma avaritia erat; Habgier gab es also imperi cupido ist in der rómischen cupido gloriae (Catil.

Roms Verfall. igitur 9,1: Vor dieser Zeit von Anfang an. Die 7,4), die Catil. 7,6 ge-

schildert wird, schon angelegt. Aufschlußreiche Zusammenstellung der Begriffe Catil. 11,2: gloriam honorem imperium bonus et ignavus aeque sibi exoptant.

crescere meint Sall. Catil. 10,3 am ehesten die Entfaltung des keimhaft Vorhandenen; dementsprechend ist die Stelle auch Thes.IV 1181, 60 eingeordnet.

Sall. Iug.4,6. Worte des Fabius Cunctator und des älteren Scipio: cum maiorum imagines intuerentur, vehementissime

sibi animum

ad virtutem adcendi. Dazu

Sallust: memoria rerum gestarum eam flammam egregiis viris in pectore crescere neque ... sedari. Sollten die großen Männer ohne diese memoria nach Sallust überhaupt keinen Drang zur virtus in sich verspüren? Liv. 2,14,2. Über den althergebrachten Brauch bona Porsennae regis vendendi:

originem moris necesse est aut inter bellum natam esse neque aut a mitiore crevisse principio, quam hic prae se ferat titulus vendendi. Der schon bei omissam verbla&te Gedanke der origo ganz in den Hintergrund getreten; gedankliches Subjekt ist der

omissam in pace bona hostiliter ist bei crevisse mos. Er hat sich

von einem friedlicheren Anfang aus entwickelt. Gegensatz zu der zuvor angedeuteten Alternative, der Brauch sei sich von Anfang an gleich geblieben. formido: In der Rhetorica ad Herennium 3 mal ab 2, 3,4. Bei dem Prosaiker Cicero rund 30 mal in Reden, philosophischen Schriften, Briefen ab S. Rosc. 5. Bei Sallust 19 mal ab Catil. 20,7, bei Livius sicher Amal ab 7,37,16 (5 mal in der 1. Dekade). Von den livianischen Belegen entfallen 4 auf die Doppelung fuga—formido (formido—fuga) ab 7,37,16; die Verbindung vorher Cic. Att. 8,14, 1; Sall. Iug. 55,7; vgl. auch Cic. dom. 17; Phil. 2,88. Sonstige Berührungen mit

sallustischem Sprachgebrauch zeigt die livianische Verwendung von formido nicht. Das Subst. taucht auch in vorsallustischer Geschichtsschreibung bei Sisenna hist. 67; 79 auf. Daraus folgt aber natürlich nicht, daß der stark divergierende Gebrauch, den Sallust und Livius von formido machen, seine gemeinsame Wurzel in der älteren Historiographie hat. pestis: In Ciceros Prosa, auf verschiedene Weise verwendet, weit über 50mal

ab Verr.IH 1,96. Bei Sallust 5 mal ab Iug. 14,10, bei Livius 21 mal ab 2,49,4. proles: Dazu 18. sons: Alle Belege bis Sallust: Plaut. Capt. 476; Cic.leg. 3,6 in einem Gesetz;

off. 1,82; Tusc. 2,41; Phil. 2,18. Sall. Catil. 16,3. Bei Livius 5 mal ab 3,58,11. Andere der von Skard gesammelten Spracheigentümlichkeiten tauchen zum

196

erstenmal bei Sallust auf. Das kónnen Idiome sein, die erst unter der Herrschaft Caesars im Latein aufgekommen sind. incertus passivisch (wie griech. ἄδηλος: Sall. Iug. 49,5; Livius öfters): Passivisch das Adj. auch etwa Cic. nat. deor. 1,1. Wirklich auffallend und hier zuerst belegt das Hinzutreten eines indirekten Fragesatzes an der Salluststelle: inter virgulta .. . Numidae . . consederant . . . incerti quidnam esset. Ähnliches 5 mal bei Livius ab 27,37,5. Dann Sen. clem. 1,3,5, sporadisch bei späteren Prosaikern. incultus (Subst.): Sall. Catil. 55,4; Iug. 2,4 incultu atque socordia. Liv. 42,

12,7 per incultum ac neglegentiam. Tac. ann. 4,46,1, sporadisch bei spáteren Prosaikern. Bei folgenden Belegen Skards ist die Übereinstimmung des livianischen Sprachgebrauchs mit dem Sallusts mindestens zweifelhaft.

insomnium: Bei Sallust käme für insomnium, ἐνύπνιον, nur Sall. (?) rep. 2,12,6 in Frage: neque tibi nox neque dies curam animi sedaverit, quin insomniis exer-

citus furibundus . . . feraris. Die Authentizität des Briefes angenommen, wäre dies der früheste Nachweis für das Wort; danach Verg. Aen. 4,9; 6,896; Ov. trist. 3,8,27. Bei Livius nur 25,38,5. Es wäre schon gewagt, von einer einmaligen Über-

einstimmung zwischen Livius und einem Stück sallustischer Publizistik auf den Sprachgebrauch vorsallustischer Geschichtsschreibung zu schließen’. Überdies aber ist unwahrscheinlich, daß insomniis an der Epistelstelle die vorausgesetzte Bedeutung hat°. Der Abi. wird vielmehr zu dem Fem. insomnia, Schlaflosigkeit, gehören, das — vielleicht als Catonismus?— Sall. Catil. 27,2; epist. Mithr. 7 erscheint. Livius verwendet das Fem. insomnia nicht. servus als Adj. verwendet: Vermutlich ist bei Sallust epist. Mithr. 17 gemeint: omnia ... non serva et maxime regna hostilia (ducunt Romani). Der substantivische Ausdruck non serva hat weder vor Sallust noch bei Livius eine Parallele; eine Analogie Sall. hist. frg. 1,103 das Subst. ignara, wozu Thes. VII 1,276,7 ff. Als Adj. erscheint servus bei Livius wohl 8 mal ab 6,41,2; im allgemeinen ist

dabei entweder Konzinnitát im Spiel oder der Sprachgebrauch durch ein hinzutretendes synonymes Adj. erleichtert. Die adjektivische Verwendung von servus bei Livius mag freier sein als in der republikanischen Literatur9. 7

Skard, Vorgänger

63 ff. führt insomnium

bei Sallust (? ) und

Livius auf ein altrómi-

sches Atridendrama zurück. Wozu zur Erklärung der sallustisch (? )-livianischen Kongruenz dann der Umweg über die vorsallustische Historiographie? 8

Über das Problem ist in den letzten Jahren manches geschrieben worden. auf Vretska II 175f. und Thes. VII 1, 1935, 75 ff. möge genügen.

9

Das Subst. ist einigemal im 2. vorchr. Jh. von Plaut. Merc. 25 bis Pacuv. trag, 9 bezeugt. Freilich nicht bei Cato. Aber Cicero gebraucht das Wort nur Cato 44; da legt er es dem Censorius in den Mund. Für Cicero wird insomnia nicht mehr lebendig sein. Vgl Thes. s. v.; das ungefähre Synonym vigilia ist recht häufig im 1. vorchr. Jh. Cicero mag das antiquierte Wort Cato entlehnt haben.

10

Ein Hinweis

Dazu 127 zu Vatin. Cic. fam. 5,9,2. Zur Kontrolle die sonstigen Liviusbelege: 25, 31,5; 26,35,5; 29,29,3; 34,58,9; 37,53,28; 37,54,6; 42,46,4. Wenigstens unsicher Liv.

8,15,7; 32,26,14; 34,41,4.

197

Der überprüfte Komplex der von Skard als archaisch, feierlich oder poetisch eingestuften Vokabeln umfaßt 42 Idiome !!. Bei jedenfalls 11 von ihnen ist der

Rückschluß auf den Sprachgebrauch älterer Geschichtsschreibung unsicher oder unwahrscheinlich. Das heißt nicht, daß dieser Schluß bei den übrigen 31 Ausdrücken zweifelsfrei ist. Bei genauer semantischer Differenzierung, Beachtung der Besonderheiten in der Verwendungsweise, Beobachtung der Frequenzen, Berücksichtigung der Synonyme — Punkte, die überhaupt in Skards Arbeit allen-

falls sporadisch beleuchtet werden — erscheint hier noch manches fraglich ^. Skards Sammlungen bieten auch sonst manches Sprachmaterial, dessen Rück-

führung auf vorsallustische Historiographie nicht überzeugen kann "^. Ergebnisse von Stichproben: Skard, Vorgänger 20: caedes — rapinae (Cic. S. Rosc. 139; Catil. 2,10; und sonst).

22: caecus avaritia (Cic. Quinct. 83). amentia, contagio, remedium (in dem geforderten Sinne mehrfach bei Cicero). 25/38: fortis — strenuus (Planc. 10,8,5; Nep. Epam. 7,3). 28/37: os (ora) — oculi (Cic. Verr. II 2,81; II 8,20; Catull. 9,9; und sonst). 35/48 proelium nox diremit (Bell. Alex. 46,7). 38: vis — virtus (Cic. Verr. I 1,57; IL 5,25; har. resp. 49; de orat. 40: bellum facere (Cic. Verr. ἢ 1,79; und oft). 41: opes crescunt (Cic. opes augere (Cic. rep. 3,24; Caes. civ. 1,85,5; Bell. Afr. 25,1). magnifice

Cic. fam. 3,5; Phil. 11,5; 2,120). Manil. 45). loqui

(Cic. Cael. 40). Skards Material ist recht großzügig zusammengestellt. Allein aus diesem Grunde

wäre es als Basis für eine partielle oder umfassende Untersuchung der vorsallustischen Historikersprache allenfalls von beschränktem Wert. Praktisch wäre

dieses Material erst nach eingehender Sichtung zu verwenden. Ein großer Teil des von Skard gesammelten Sprachgutes würde jedoch vermutlich einer Prüfung, wie wir sie bisher erprobt haben, standhalten. Nehmen wir ein Subst. wie cupido (Skard, Vorgänger 39): In Prosa vor Sallust nur Cato or.

frg. 17,3. Jedenfalls zur Zeit Ciceros entschieden dichterisch. Bei Sallust steht 20 mal cupido ab Catil. 3,5 nur 3 Belegen für cupiditas ab Catil. 2,1 gegenüber. Bei Livius ist das Verhältnis von cupido (ab 1,6,3) zu cupiditas (ab praef. 12) 19 zu 59, in der 1. Dekade 8 zu 26. Ein Blick auf die Tabelle Thes. IV 1411, 75 ff. lehrt: Das relativ häufige Vorkommen von cupido ist mit den Erklárungs11

12

Skard führt unter dieser Rubrik 43 Idiome an. Davon habe ich res im Sinne von res publica nicht kontrolliert: Die Betrachtung hätte sich hier auf mchrere tausend Belege für res erstrecken müssen. So erweist sich der livianische Gebrauch von pollere als nicht wesentlich unterschieden von dem

Ciceros und

seiner Zeitgenossen; anders der Gebrauch

Sallusts.

Dazu

300.

Zu occipere 307 A. 29. 13

Daß das zusammenstellte Material nicht immer beweiskräftig ist, deutet Skard, Vorgänger gelegentlich selbst an: 25; 33f.; 36 A.1; 37. Ein halber Verzicht auf die Vorführung derartigen Sprachgutes 19 A.1. Eine Einzelheit noch bei Martin, JRS 47,

1957, 285. Das alles bleibt im folgenden außer Betracht. Prinzipiclle Bemerkungen zu dem angesprochenen Aspekt bei Dihle, Rez. 595.

198

móglichkeiten, die wir bisher für sallustisch-livianische Übereinstimmungen aufgewiesen haben, nicht befriedigend zu deuten. Also ein Sprachmerkmal vorsallustischer Geschichtsschreibung, auf die Livius und Sallust gleicherweise zurückgreifen? Es gibt einen áhnlichen Fall, bei dem sich auch diese Interpretation nicht empfiehlt. Bei der 3. Ps. Pl. Perf. Akt. ist es bekanntermaßen so, daß die Prosaschriftsteller

der Republik ausschließlich oder so gut wie ausschließlich die Endung -erunt gebrauchen "^. Sallust verwendet dagegen fast nur -ere, Livius in den ersten 6 Bü-

chern in durchschnittlich über 50 % aller Fálle ^. Nach Skards Argumentationsweise müßten wir in dem Sprachgebrauch der beiden Autoren das Erbe der Tradition älterer Geschichtsschreibung sehen. In Wirklichkeit findet sich in den Historikerfragmenten keinmal -ere, aber 27 mal -erunt bzw. -arunt: Bei Hemina 4 mal; Fabius Pictor 1 mal; Piso 1 mal; Gellius 2 mal; Quadrigarius 10 mal; Antias

1 mal; Sisenna 8 mal 6. Cato ist bei diesen Angaben ausgespart. Er bedient sich in den Origines 11 mal der Bildungen auf -ere, 3 mal der Formen auf -erunt; in den nicht in das Geschichtswerk aufgenommenen Reden verhalten sich die Frequenzen der beiden Endungen auch nicht viel anders zueinander”. Die Bildungen auf -ere sind in der catonischen Prosa keineswegs ein besonderes Merkmal der Historiographie. Ri

Sallust bevorzugt, wie längst gesehen, -ere offenbar im Anschluß an den Censo-

rius'®. Und Livius? Fraglos kannte er Sallusts Werk, bevor er selbst Geschichte zu schreiben begann. Mindestens hat es Livius nicht behelligt, daß er in der Bevorzugung von -ere mit der Neuerung seines Vorgängers zusammentraf. Mit welchem Argument kann bei dieser Sachlage die natürlichste und einfachste Erklärung des dargelegten Tatbestandes abgewiesen werden: Livius ist von Sallust angeregt? Die gleiche Deutung läßt sich dann auch für den livianischen Gebrauch von cupido nicht gut ausschließen. Die für Skards Darlegungen grundlegende

Prämisse, Livius könne von Sallust kaum beeinflußt sein, wird hier fragwürdig”. 14

Dazu

15 16

Pliniana, Uppsala 1956, 54 ff. Einzelheiten dazu bei Löfstedt, Synt. II 259 ff. Zusammengestellt hat diese Verbformen aus den Bruchstücken schon Muller 361.

Muller 329 ff. Über -ere und -erunt mit weiterer Literatur letzthin A. Önnerfors,

Seine Angaben stimmen natürlich im wesentlichen mit den obigen überein, sind aber in einigen Einzelheiten unzuverlässig. Manches hat Muller übersehen; nicht mitrech-

nen durfte er Scaurus or. frg. 2 HRR = 43,7 Malc.; Macer or. frg. 26 HRR = 110,5 Malc. Mein Antiasbeleg ist hist. 59; hist. 45, das Muller statt dessen anführt, ist durch-

17

aus livianischer Wortlaut. Der Beleg für -erunt, den Tubero bietet, ist von mir nicht mitgezählt, da Tubero anscheinend erst nach Sallust geschrieben hat. Vgl. 151. Einzelheiten bei Muller 346 f.

18

So etwa schon Schultze 81 ff.; Bruennert

19

ge fecere in den Bruchstücken, die Sen. epist. 114,17 von dem Werk des Sallustianus Arruntius erhalten sind, ist natürlich Folge der Sallustimitation. Vielfach mit sprachlicher Abhängigkeit des Livius von Sallust rechnet schon Kroll,

8; Fighiera 29; Muller 349. Das zweimali-

199

Skard, Vorgänger 7 f. begründet seine Auffassung so: „daß er (Livius) der Sprache und dem Stil seines Vorgängers kritisch gegenüberstand, ist zweifellos: „er

war ein ebenso erklärter Gegner Sallusts wie Anhänger Ciceros", sagt Eduard Norden (. . . vgl. Sen.contr. IX. 1. 13-14; Quint. VIII. 2.18; Sen. contr. IX. 2.26). Im großen Ganzen bilden die lactea ubertas und der clarissimus candor, die den livianischen Stil charakterisieren . .. , zu der brevitas und obscuritas des Sallust einen so scharfen Gegensatz, daß eine umfassende Nachahmung, die doch

eine gewisse Anerkennung und Sympathie voraussetzen müßte, unannehmbar ist." Lassen wir es auf sich beruhen, daß Skard schon mit der mildernden Formulierung „umfassende

Nachahmung“

in seine Ausführungen

ein Moment

der Unsicherheit

hineinträgt, dessen Wirkungen schwer zu begrenzen sind ?°. Wie steht es mit der Beweiskraft der drei antiken Zeugnisse? Sallust 281 A.1; 285 A.1; 288 A.1; 298; 302 A.1; eine Einzelheit bei Tränkle, Hermes 93, 1965, 330 A.1. An der Unabhängigkeit des Livius von Sallust zweifelt Leeman, Mnemosyne IV 10, 1957, 182. Daß Livius zwar nicht direkt, aber auf dem Umwege über

die Prosa augusteischer Zeit von Sallust sprachlich-stilistisch beeinflußt sei, glaubt Walsh 45. Skard zieht diese Möglichkeit, die einen weiteren Unsicherheitsfaktor in

20

seine Darlegungen bringt, nicht in Betracht. Allerdings darf man sich das sallustische Sprachgut, das sich die augusteische Prosa bis zu den beginnenden 30er Jahren derart assimiliert hatte, daß seine Provenienz nicht mehr empfunden wurde, vielleicht nicht als besonders umfangreich vorstellen. So könnten in das Werk des Livius ohne dessen Wissen und Wollen kaum sehr viele Sallustianismen eingedrungen sein. Bei Skard, Vorgänger 1f., 43 weitere Äußerungen von gefährlicher Konzilianz. Sie scheinen veranlaßt durch eine von Skard akzeptierte Beobachtung Amundsens, SO 25, 1947, 31 ff., zu der letzthin Ogilvie 23 ff.: Livius hat unter Verwendung sallustischen Sprachgutes in der Vorrede des Gesamtwerkes auf die Einleitung der sallustischen Hr storien Bezug genommen. Das sei aber, schwächt Skard, Vorgänger 1 ab, eine polemische Anspielung; Livius habe „von dem Pessimismus des sallustischen Spätwerkes bestimmt Abstand genommen“. Nur begrenzt richtig: Im Gegensatz zum Sallust der Hi storien sieht Livius in dem sittlichen Verfall Roms eine relativ späte Erscheinung. Über Gegenwart und jüngste Vergangenheit urteilt er jedoch im Proómium kaum anders als sein Vorgänger — s. auch Klingner, Antike 13, 1937, 18 — , und das mit der an Sallust erinnernden Wendung per luxum atque libidinem; luxus ist bei Livius sehr

selten, vgl. 293. Dazu kommt noch dies. Sall hist. frg. 1,8 steht a primordio (principio var. trad.) urbis ad bellum Persi Macedonicum; schon Skard, Ennius 74 A.2 setzt sich für die Überlieferung primordio ein, in der Sache vermutlich mit Recht. Liv. praef. 1 steht a primordio urbis; praef. 7 primordia urbium. Die Junktur primordium urbis (primordiaurbium) kommt in der lateinischen Literatur wenigstens bis zum Ende der augusteischen Zeit nur an den zitierten Stellen vor; das Gleiche gilt hinsichtlich der beiden Historiker auch für primordium, während bei beiden principium häufig erscheint. Also eine sehr auffällige Übereinstimmung zwischen Sallust und Livius. Skard, Vorgänger 39 denkt an gemeinsames Erbe aus älterer Historiographie.

Aber es liegt viel

näher, hier mit einer direkten Beeinflussung des Livius durch Sallust zu rechnen, da eben Livius bei seiner Vorrede die der Historien vor Augen hat. Die am meisten exponierte Stelle des livianischen Werkes ist danach Sallust sprachlich verpflichtet. Das läßt die Annahme, Livius sei sonst von Sallust sprachlich weitestgehend unabhängig, wenig einleuchten.

200

Sen. contr. 9,1,13 1.2}, Sallust hat eine Sentenz des Thukydides — in Wahrheit vielleicht des Demosthenes —, die griechische Formulierung an Knappheit noch überbietend, aufs glücklichste ins Lateinische übertragen. T. autem Livius tam iniquus Sallustio fuit, ut hanc ipsam sententiam et tamquam translatam et tamquam corruptam dum transfertur obiceret Sallustio.

Livius urteilt in einem einzelnen Fall unbillig über die Leistung seines Vorgängers. Was es mit dieser iniquitas des Livius auf sich hat, erklärt Seneca so: nec hoc

amore Thucydidis facit, ut illum praeferat, sed laudat quem non timet et facilius putat posse a se Sallustium vinci, si ante a Thucydide vincatur. Zwei Motive werden also in Erwägung gezogen: der amor Thucydidis und der Wunsch, Sallust zu ,besiegen"', nach Seneca die eigentliche Ursache für das scharfe Urteil. Von

einer prinzipiellen Ablehnung Sallusts oder speziell seiner Ausdrucksweise durch Livius wird dabei nichts angedeutet. Wäre dem Zeitgenossen Seneca etwas von einer derartigen Gegnerschaft bekannt gewesen, so hátte er sich ihm als Erklàrung geradezu aufdrángen müssen". Der Passus spricht so eher gegen als für die Annahme, Livius sei allgemein von Aversion gegen seinen Vorgänger und dessen

Sprachgestaltung erfüllt gewesen. Die senecanische Deutung des livianischen Verhaltens verdient nicht nur wegen

des Gewährsmannes volles Vertrauen. Die Bedeutung Sallusts ist schon in augusteischer Zeit gerade auf sprachlich-stilistischem Gebiet weithin anerkannt 25, Verständlich, daß Livius in Sallust seinen gefährlichsten Konkurrenten auf dem Felde der Historiographie sieht. Verständlich auch, daß er gerade eine bewunderte Glanzstelle seines Vorgängers kritisiert. Wie läßt sich aber daraus folgern, Livius kónne von Sallust nicht viele Wórter und Wendungen übernommen ha-

ben ^? Quint. inst. 8,2,18. Livius berichtet von dem unangebrachten Ratschlag eines Redelehrers: σκότισον. Nach Quintilians Darstellung schweben Livius dabei Leute vor, die circumeunt omnia copiosa loquacitate (Quint. inst. 8,2,17). Es geht

hier geradezu um Antipoden Sallusts. Sen.contr.9,2,26. Die Stelle bedarf längerer Ausführungen. Zunächst der Text:

Livius de oratoribus, qui verba antiqua et sordida consectantur et orationis ob21

23

Ähnlich wie Skard deutet Klotz, RE XIII (1927) 846 die Stelle. Als Indiz für die Feindschaft des Livius gegenüber Sallust wertet den Passus auch etwa Funaioli, RE I A (1920) 1947. Vgl. die Erklärung der pollionischen Würdigung Ciceros Sen. suas. 6,14: (Pollio) in festissimus famae Ciceronis permansit. Für die senecanische Beurteilung des Verhältnisses Livius-Sallust ist noch Sen. suas. 6,21 aufschlußreich. Zugrunde liegt hier offenbar die Vorstellung: Livius hat eine historiographische Darstellungseigentümlichkeit, die consummatio totius vitae, die Sallust in Thukydidesnachfolge in die römr sche Literatur eingeführt hat, von Sallust übernommen. Darüber zusammenfassend 336 f.

24

Die livianische Kritik an Sallust Sen.

22

contr. 9, 1,14 ist kaum

anders zu beurteilen,

als die Kritik des Pompeius Trogus an Sallust und Livius. Dazu 336 A.4.

201

scuritatem severitatem putant, aiebat Miltiaden rhetorem eleganter dixisse: ἐπὶ τὸ δεξιὸν μαίνονται. tamen in his etiamsi minus est insaniae, minus spei est; illi qui tument, illi qui abundantia laborant plus habent furoris, sed plus et corporis; semper autem ad sanitatem proclivius est quod potest detractione curari; illi succurri non potest, qui simul et insanit et deficit. Livius äußert sich über oratores. Man wird dabei zunächst an Redner denken, die praktisch auf dem Forum tätig sind; ob und inwieweit die erwähnte Richtung in den scholae Vertreter findet, ist nicht auszumachen2. Der ältere Seneca

setzt bei der Abfassung seines Werkes die Strömung offenbar noch als bestehend voraus. Nach dem ausdrücklichen Hinweis Senecas zeichnen sich die Redner durch zwei Eigenarten aus: das Haschen nach verba antiqua et sordida und die orationis obscuritas, durch die der Anschein von severitas erweckt werden soll. Aus der mit tamen eingeleiteten Gruppe von Sätzen ist ferner mit Sicherheit zu erschlie-

Ben: Es handelt sich um Gegner jeglicher abundantia, die simul insaniunt et deficiunt. Allein dieses erschlossene Charakteristikum ist es, dessen Wert oder

Unwert Senecas Stellungnahme gilt?6. Es ist unwahrscheinlich, daß Seneca gerade dieses Charakteristikum in der allgemeinen anfänglichen Beschreibung der rednerischen Richtung übergangen hat. Offensichtlich ist es die obscuritas, mit

der bereits das deficere bezeichnet war. Der zeitgenössische Leser, der die Beredsamkeit der Gegenwart kannte, wird den Hinweis auf die obscuritas ohne

weiteres als Hinweis auf die übergroße Knappheit aufgefaßt haben ?". Ob es bei den verba antiqua et sordida um eine einzige Spezies von verba singula geht oder um

zwei Wortarten, die verba antiqua und die verba sordida, läßt

sich nicht entscheiden. Auch im letzteren Falle müßten die verba sordida, die von Seneca in einem Atem mit den verba antiqua — dann wohl altertümlichen Wörtern— genannt würden, eine gewisse Verbindung zur antiquitas haben. Es 25

Vgl. dazu unten 204 A. 35.

26

Ähnlich wie Seneca Cic. de orat. 2,88, danach Quint.

27

Seneca der für Cicero entscheidende Gedanke einer Rücksichtnahme auf das Lebens alter. Prosaiker oder Redner, die durch übermäßige Kürze ihre Ausdrucksweise bewußt

28

Dies die Bedeutung der (verba) antiqua Sen. contr. 4 praef. 9. Dieser gesamte Pas

dunkel gestalten, werden

später Sen. epist.

sus verdient eine kurze Diskussion.

114,11

inst. 2,4,3 ff. Doch

und Quint.

Er lautet: (Haterius) non

fehlt bei

inst. 8,2,19 erwähnt. dirigebat se ad declama-

toriam legem. nec verba custodiebat. quaedam enim scholae iam quasi obscena refugiunt nec, si qua sordidiora sunt aut ex cotidiano usu repetita, possunt pati ille in hoc scholasticis morem gerebat, ne verbis calcatis et obsoletis uteretur; sed quaedam antiqua et a Cicerone dicta a ceteris deinde deserta dicebat . .. hoc exempto nemo

erat scholasticis nec aptior nec similior; sed dum nihil vult nisi culte, nisi splendide dicere eqs. Der Satz quaedam

enim eqs. kann

auf zwei Arten gedeutet werden.

Er-

stens: Der Teil quaedam — refugiunt meint in unbestimmterer Form dasselbe wie der Teil nec — pati; in dieser zweiten Satzhälfte ist zwischen den sordidiora und den ex cotidiano usu repetita gewiß

202

nicht zu unterscheiden. Dann

wäre in dem ganzen Satz

handelt sich bei den verba sordida um in guter Rede gemiedenes, vulgär-absto-

fendes Vokabular?°. Derartige Wörter affektieren die Redner offenbar bewußt im Gefolge älterer Autoren, die, von puristischen Tendenzen unbeeinflußt, sich

solchen später verschmähten Sprachgutes noch unreflektiert bedienen Ὁ, Die Verwendung von verba sordida scheint auch mit dem Streben nach severitas zusammenzuhängen. Gellius bemerkt 17,2,21 zu dem Subst. arrabo, das Quadrigarius hist. 20. benutzt: id maluit quam pignus dicere, quoniam vis huius vocabuli in ea sententia gravior acriorque est. sed nunc arrabo in sordidis verbis

haberi coeptus?'. In dem Hinweis auf die Gewichtigkeit und Strenge der Wortwirkung äußert sich das Sprachempfinden des Gellius selbst, das auf Claudius

übertragen wird ?. Da für dieses Sprachgefühl arrabo auch ein verbum sordidum ist, wird in Wirklichkeit der Eindruck, den das Subst. als ein ,,schmutziges"

Wort macht, mit der größeren vis der Vokabel in Verbindung stehen. In der Tat bemerkt Quintilian inst. 8, 3,21 ausdrücklich: vim rebus aliquando verborum ipsa humilitas adfert. an cum dicit in Pisonem Cicero ,cum tibi tota cognatio nur von der Ablehnung der sordidiora die Rede. Zweitens: Der Teil quaedam — refugiunt meint andere Wortarten als die zweite Satzhälfte. Nun muß der Satz quae dam enim eqs. jedenfalls auch diejenigen Wórter bezeichnen, durch deren Verwendung Haterius sich von der Praxis der scholae unterscheidet. Das erweist die zweite Lósung als richtig: Die antiqua kónnen bei Haterius, der nihil vult nisi culte, nisi

splendide dicere, nicht gut sordidiora sein. Bei dem Satzteil quaedam — refugiunt denkt Seneca also zumindest auch an antiquierte Ausdrücke; die scholae seiner Zeit sind demnach dem Gebrauch von Archaismen nicht günstig gewesen. Die antiqua et a Cicerone dicta, a ceteris deinde deserta, die Haterius gebraucht, sind entweder zur Zeit dieses Rhetors bereits veraltete, von Cicero noch als lebend verwendete Wörter —

29 30

so Laurand 100 A.1 — oder aber es sind ciceronische Archaismen. Weiteres 135 A. 73. Daß man für das Vorkommen unpuristischer Ausdrücke bei älteren Autoren nicht blind war, lehren Stellen wie Quint,

inst. 8,6,15:

Hier wird unter dem

Stichwort

humiles translationes . . . et sordidae eine von Quintilian nicht gebilligte krasse Metapher eines vetus orator angeführt. Gell.

17,2,21; 19,10, wozu

15 A.12.

Char.

gramm. p.67,23 ff. B.; Caper gramm. VII 103,9 f. Sonst werden verba sordida und Verwandtes den antiquierten Ausdrücken geradezu gegenübergestellt. So z. B. Sen. contr. 4 praef.

9; Sen. epist. 114,13; Quint. inst. 4,2,36; Gell.

18,4,6; Mart.Cap.

5,

509; Rhet. min. p. 589,23. Das ist jedoch kein hinreichender Grund, sordida Sen. contr. 9,2,26 mit Leeman

31 32

für eine Glosse (Genre

206 A.2) bzw. für korrupt (Ra-

tio 191) zu halten. Nach den Belegen Thes. s,v. würde man, um die gängige Ausdrucksweise zu verwenden, das Subst. als archaisch und vulgär klassifizieren. Für die historisch-tatsáchlichen Intentionen des Quadrigarius ist daraus natürlich nichts Verbindliches zu entnehmen. Diese Feststellung gilt auch für andere Fälle. In den mannigfachen kommentierenden Äußerungen zu Eigentümlichkeiten vor allem der Sprache des Claudius 17,2 etwa bleibt Gellius durchaus Vorstellungen seiner Zeit verhaftet, wenn

er bei dem Annalisten besondere

Raffinessen des Ausdrucks,

Feinheiten eines erlesen-lateinischen Sprachgebrauches entdeckt; der Archaist projiziert in den archaischen Autor die sprachlich-stilistischen Auffassungen und Absichten der Gegenwart hinein.

203

serraco advehatur‘, incidisse videtur in sordidum nomen, non eo contemptum hominis, quem destructum volebat, auxisse 332

Gerade also vulgär-krasses, ver-

pöntes Vokabular kann besonders nachdrücklich wirken; es kann der Formulierung eine gewisse Schärfe verleihen und ist daher nicht zuletzt in polemisch-verüchtlicher Redeweise am Platze. Eine solche Verwendung der verba sordida paßt gut zu einer Art von Beredsamkeit, mit der der Eindruck der severitas intendiert wird. Die rednerische Richtung, von der der Vater Seneca spricht, weist verschiedene

Merkmale auf, die in mehr oder weniger großem Umfange auch der sallustischen Sprache und Darstellungsweise eignen: die Knappheit des Ausdrucks, die Gebärde der severitas, den Gebrauch unpuristischen lebenden Sprachmaterials im

Anschluß an ältere Literatur ?*, vielleicht auch die Verwendung von Archaismen ?*. Der Gedanke liegt nahe, daß all diese Charakteristika der oratores letztlich auf Sallusts Einfluß zurückgehen?*. Doch braucht dieser Einfluß nur mittelbar zu sein. Nichts deutet darauf hin, daß in den Rednern bewußte Sallustimitatoren zu sehen wären. Ob und in welchem Grade eine livianische Bemerkung über diese Redner (!) auf

eine negative Einstellung gegenüber Sallusts Vokabular schließen lassen könnte,ist prinzipiell fraglich. Der Zweifel wächst, wenn man bedenkt, welcher Art die

Äußerung des Livius ist. Livius zitiert offenbar zustimmend — eleganter dixisse — einen Ausspruch des Miltiades. Was Miltiades gesagt hat, ergibt sich aus den Worten Senecas, die dem Dictum folgen; sie sollen es korrigieren. Seneca hebt den Vorzug des tumere ge-

genüber dem deficere hervor. Also hat es auch der Ausspruch des Miltiades mit der Breite oder Kürze des Stils zu tun, und zwar, bei dem geringen Umfang des Ausspruchs, ausschließlich und so, daß in dem Extrem des deficere ein gewisser 33 34 35

Ähnlich später Fortun. rhet. 3,4 p. 122,25 ff.; Mart. Cap. 5,509. Dazu 302. Bei Seneca pater erfahren wir übrigens von keinem Rhetor, der derartigen Tendenzen gehuldigt hätte. Von Vibius Rufus heißt es contr. 9,2,25, unmittelbar vor der

36

behandelten Passage: Rufus Vibius erat qui antiquo genere diceret; belle cessit illi sententia sordidioris notae. Die sordes der darauf zitierten Sentenzen dürften indessen in den sensus, nicht in den verba liegen; so auch in der Sentenz des Vibius Rufus contr. 1,2,21. Von Knappheit als Stileigentümlichkeit des Rufus sagt Seneca nichts. contr. 9,2,26 ist mit contr. 9,2,25 nur assoziativ über die Wörter antiquum und sordidum verbunden. Man hat gemeint, daß die Bemerkung des Livius auf Asinius Pollio ziele. So z.B. Tyrrell-Purser Vi (19337), XCVHI A.95; Amundsen, SO 25, 1947, 33f. Das ist eine unhaltbare Annahme. Von den stilistischen Merkmalen der oratores, die Li vius meint, findet sich keines bei Pollio. Zu dessen Beredsamkeit 136 ff. Obendrein hätte Seneca schwerlich eine erläuternde Anmerkung unterlassen, wenn er gewußt hätte, daß die Äußerung des Livius einem der bedeutendsten römischen

Redner gilt. Anscheinend weiß Seneca nichts dergleichen; und er wird Livius nicht mißverstanden haben.

204

Vorzug entdeckt wird. Es geht daher nicht an, den griechischen Satz in der Form herzustellen: ἐπὶ τὸ λεξικὸν μαίνονται37. Zwar ist μαίνονται, durch insaniae und bald darauf insanit bestätigt, richtig; aber λεξικόν paßt überhaupt nicht zu der

korrigierenden Entgegnung Senecas. Viel besser ist: ἐπὶ τὸ δεξιὸν μαίνονται ὅ, Ein Oxymoron: In Richtung auf das Rechte hin — nämlich die knappe Ausdrucksweise — sind sie verrückt, übertreiben sie. Allerdings ist die Herstellung sprach-

lich nicht ohne Bedenken”. Wenn Livius sich das Dictum des Miltiades zu eigen macht, äußert er sich demnach nicht über die Wortwahl der Redner, sondern über die Knappheit ihrer Redeweise, und er tut es mit einer gewissen Anerkennung; zumindest ist ihm dieses Extrem sympathischer als der tumor. Es ist nicht zu sehen, wie sich dar-

aus erschließen lassen sollte, daß Livius Sallusts Vokabular und Phraseologie abgelehnt habe. Wenn der Passus überhaupt ein Indiz für Sallusts Einschätzung durch Livius an die Hand gibt, dann dies: Livius kann wenigstens zeitweise die sallustische brevitas durchaus bis zu einem gewissen Grade gebilligt haben; das umso mehr, als in der Beredsamkeit Kürze weniger angebracht ist, als in der Geschichtsschreibung (Quint. inst. 4,2,45; 10,1,32). Keines der drei besprochenen Zeugnisse beweist, daß die Sprache des Livius nicht weitgehend von Sallust beeinflußt sein könne. Und wie steht es mit den Konsequenzen der livianischen lactea ubertas und des livianischen Ciceronianismus? Natürlich hat Livius seine ubertas für eine angemessenere historiographische Darstellungsart gehalten als die brevitas Sallusts; sonst hätte er nicht in dieser Weise geschrieben. Doch mußte er deshalb nicht die Ausdrucksweise seines Vorgängers in Bausch und Bogen ablehnen. Wörter, Formen, Wendungen, die Sallust in die Geschichtsschreibung eingeführt hatte, konnte Livius durchaus als übernehmenswerte Errungenschaften seines Vorgängers einschätzen. Und was die entschiedene Anhängerschaft des Livius an Cicero angeht: Wenn Livius sich in vielerlei Spracheigentümlichkeiten von Cicero unterscheidet und mit Sallust in die Geschichtsschreibung eingeführt hatte, konnte Livius durchaus lich kann bei solchen Idiomen der livianische Ciceronianismus gegen eine Beein-

flussung des Livius durch Sallust sprechen. 37

Von Bursian vorgeschlagen, in Kiesslings Ausgabe

38

Der Vorschlag von Hertz und Madvig, von H.J. Müller in den Text aufgenommen, ebenso von Bornecque (1932), der frei, aber sinngemäß übersetzt: ,,C'est une folie raisonnable". Ähnlich Bonner 147, dessen Bemerkungen zur Stelle es aber im übri-

angenommen.

39

μαίνεσϑαι ἐπί τι ist anscheinend nicht zu belegen. Die letztere Schwierigkeit gilt

gen an Präzision fehlt. aber natürlich ebenso für Bursians Vorschlag und zwar wohl in noch höherem

Maße,

da ἐπί mit Akk. sich dabei auch durch den Sinn nicht gut rechtfertigen läßt. An dem Akk. τὸ λεξικόν hat sich schon M. Haupt, Opuscula III, Leipzig 1876, 598 gestoßen; Haupts eigener Vorschlag — ἐπὶ τῶν λέξεων — ist nicht sehr glücklich. Ob emöekiws μαίνονται ?

205

Die Möglichkeit, daß Livius über Sallusts Sprache und Stil durchaus differenzierend geurteilt hat, wird durch antike Stilurteile und Nachahmungspraxis erhär-

tet". Die Annahme derartigen Differenzierens ist ja eben auch bei der Hypothese nicht zu umgehen, die sallustischen Spracheigentümlichkeiten des Livius seien direkte Entlehnungen aus vorsallustischer Geschichtsschreibung. Livius kann gerade als Ciceronianer die stilistischen Leistungen der 2) nicht mit allgemeiner Sympathie und Anerkennung er von Vorgüngern Sallusts Vokabular entlehnt haben, kenntnis ihrer sprachlich-stilistischen Unzulänglichkeit,

rudis vetustas (Liv. praef. betrachtet haben. Sollte so weil er, bei aller Ermanches an ihrem Wort-

schatz für gut und passend hielt. Ist es aber überhaupt nicht eher wahrscheinlich, daß die älteren Historiker recht wenig Livius befriedigendes Ausdrucksmaterial boten? Und daß sich für Livius ein Anschluß an Sallust schon deshalb nahelegte?' ? Genug: Die Prämisse, die Skard seiner Argumentation zugrundegelegt hat, läßt sich in keiner Weise rechtfertigen.

Wenn Skard das Sprachmaterial, das er zusammengestellt hat, im wesentlichen auf die vorsallustische Historiographie zurückführt, so ist das eine unzulässig einseitige Deutung. Dieses Sprachgut ist nicht einmal hinreichend sicher auch nur einheitlicher Provenienz. Für einen Großteil der Sammlung aber steht nichts

der Annahme im Wege, daß Livius unmittelbar von Sallust abhängt^. Selbstverständlich ist deshalb nicht nichts von dem, was sich bei Skard findet,

bei Geschichtsschreibern vor Sallust vorgekommen?. Um die Möglichkeit mehr 40

So hält Cicero orat. 168ff. die Leistungen der Alten für anerkennenswert, was den delectus verborum und die sententiae angeht, für mangelhaft, was das Fehlen der

conclusio angeht. Tacitus, Anhänger der brevitas, verschmáht nicht ausgesprochene Entlehnungen von Livius. R. Syme, Tacitus, Oxford 1958, 733 f. 41 42

Ähnlich schon Leeman, Mnemosyne IV 10, 1957, 182. Damit fällt auch Skards Urteil Vorgänger 108 dahin, „daß

Sallusts Stil und Sprache

in der Tradition fest eingebettet‘ seien, daß Sallust habe „im Bekannten groß“ sein wollen. Dieses Urteil steht ja auch in krassem Gegensatz zu den Beobachtungen der Antike (Quint. inst. 9,3,12; 9,3,17; Suet. gramm. 10,2; 10,7; Gell. 1,15,18; 4,15,1) und zu den Beobachtungen der modernen

Forschung (Kroll, Sallust 299; Latte

10;

Bolaffi 68; Büchner 276 f.; Syme 263): Ihnen zufolge strebt Sallust danach, das Gewóhnliche, Bekannte

43

zu vermeiden.

Von

besonderer Bedeutung

ist es, daß Fronto

p.56,23 v. d. H. (7 p.62 N.) ihn zu den sehr wenigen alten Schriftstellern rechnet, die in laborem . . . verba industriosius quaerendi sese commisere. Fronto kennt einiges von der vorsallustischen Geschichtsschreibung. Skard, Vorgänger macht nicht den Versuch, das für die vorsallustische Historikersprache erschlossene Sprachmaterial in den Fragmenten

der älteren Historiographie

wiederzufinden. Eine Prüfung ergibt, daß sich bei Ausschluß Catos 15 der gesammelt ten Idiome so belegen lassen. Davon entfällt jedenfalls ein Drittel auf gemeinlateinische Ausdrücke.

Die anderen Fälle haben

mancherlei Besonderheiten; einiges davon

kommt noch zur Sprache. Eine Kleinigkeit: Die Schilderung des Kampfgeschreis (Skard, Vorgánger

34) bezeugt für die Annalistik Gell.

1,11,9. Im übrigen beweisen

solche Treffer natürlich nichts für die Richtigkeit von Skards Methode.

206

gemeinlateinischen Sprachgutes oder zufälliger Übereinstimmungen außer Acht zu lassen: Manches kann Livius durch Sallust vermittelt sein, anderes kann Livius unabhängig von seinem Vorgänger aus älterer Historiographie übernommen haben.

Entscheidend ist jedoch: Es gibt keine sicheren Kriterien, um bei dem Fehlen der Quelle derartige Übernahmen zu erkennen. Skards Darlegungen können uns bei unseren kommenden Untersuchungen nichts nützen. Wir wollen, wenn wir nach den Archaismen und Poetismen — zwei in Prosa teils identischen, teils verwandten

Erscheinungen

— bei den vorsallustischen Hi-

storikern fragen, die einfachsten und wohl auch allein Erfolg versprechenden Methoden wählen, die Überprüfung der Sprache der wörtlich erhaltenen Fragmente und die Auswertung der antiken Stilurteile. Um einen Eindruck von dem Textquantum zu vermitteln, dessen Sprache untersucht werden wird: Nach grober Berechnung würden die Bruchstücke der vorsallustischen Geschichtsschreibung

ohne die Catofragmente gut 12 Druckseiten vom Format der Oxfordausgaben umfassen, mit den Catofragmenten etwa 17. Nun noch einige einführende Worte zu poetischem Sprachgut bei den republikanischen Geschichtsschreibern. Gern wird, wie bereits bemerkt, angenommen, daß die Historiographie dieser Epoche sich in Stil und Sprache weitgehend Ennius

angeschlossen habe. Aber der einzige Historiker, für den sprachliche Affinität zu Ennius bezeugt ist, ist Coelius Antipater; das Zeugnis beweist — soviel darf ohne weiteres gesagt werden — nicht, daß sich andere Geschichtsschreiber an _ dem Epiker orientiert haben. Eine besondere Beziehung der historischen Prosa zu Ennius läßt sich auch nicht mit allgemeinen Überlegungen wahrscheinlich machen.

Den Historiographen standen immerhin die mannigfaltigen prosaischen Ausdrucksmöglichkeiten zu Gebote, wie sie sich in der prozessualen und politischen Beredsamkeit entwickelt hatten: Ein Rekurs auf ennianisches Sprachmaterial brauchte durchaus nicht nahezuliegen. Gerade bei dem sozialen Abstand zwischen Ennius und zumindest den vorsallustischen Geschichtsschreibern schiene es verständlich,

wenn der Epiker diese Autoren wenig oder gar nicht beeinflußt hátte^. Man wird an die Historikerfragmente also nicht von vornherein mit der Erwartung herantreten dürfen, sie seien besonders reich an dichterischen oder ennianischen Sprachelementen. Der unprosaische Spracheinschlag in der Geschichtsprosa ist vielmehr anhand der wórtlichen Bruchstücke erst nachzuweisen. Sprachgut der Fragmente,

das sowohl unpoetisch als auch poetisch sein kann, ist bei dieser Sachlage keinesfalls auf die Klassifizierung „poetisch“ festzulegen. 44

Nicht nur aus diesem Grunde ginge es nicht an, eine Parallele zwischen

Homers

sprachlichem Einfluß auf Herodot und dem sprachlichen Einfluß des Ennius auf die ältere römische

Historiographie zu ziehen. Die homerische

Sprache,

die etwa in

der Elegie Instrument politischen Wirkens gewesen war, war doch wohl in ganz arr derer Weise im griechischen Sprachbewußtsein verwurzelt als etwa die ennianische Sprache im rómischen. Anders als die frühe griechische Geschichtsschreibung hat auch die römische ein außerpoetisches Vorbild: die griechische Historiographie.

207

Nunmehr kann der Begriff des Poetismus, der die Methode der folgenden Unter-

suchungen bestimmen wird, so umrissen werden: Poetismus eines Geschichtsschreibers, also Ausdruck, den der Schriftsteller bewußt als dichterisch verwendet, ist ein Sprachidiom, das sich für die Zeit dieses Autors als Eigentümlichkeit der Dichtersprache erweisen läßt. Als Dichtung gilt dabei nur die metrisch gestaltete Literatur, die ihrem ganzen Habitus nach sich von üblicher Sprechweise abheben dürfte; die Komódie kann hóchstens mit bestimmten Langverspassagen diesem Begriff

der Dichtung subsumiert werden^s. Die dichterische Eigentümlichkeit eines Ausdrucks und ihre Gleichzeitigkeit mit dem betreffenden Schriftsteller sind zwei Momente in der Definition des Poetismus, die sich voneinander nicht trennen lassen. Wenn die praktischen Auswirkungen der beiden Postulate skizziert werden, so kann es sich nur darum handeln, daß das jeweils behandelte mehr in den Vordergrund rückt. Erstens zum Postulat der Gleichzeitigkeit: Als zeitgenössische dichterische Spezifika werden auch die Idiome betrachtet werden dürfen, die vorher poetisches Sonder-

gut gewesen sind. Dagegen kónnen die Ausdrücke, die erst in spáterer Zeit als besonderes Eigentum der Dichtung nachweisbar sind, nicht als Poetismus eines früheren Schriftstellers angesehen werden. Denn es ist immer leicht möglich, daß Wörter und Wendungen, die für einen älteren Autor noch der normalen Sprache angehören, später aus dem lebenden Latein geschwunden und nur noch in dichterischer Ausdrucksweise erhalten sind. Zweitens zum Postulat der dichterischen Eigentümlichkeit: Das Postulat ist nur bei dem Zusammentreffen dreier Voraussetzungen erfüllt. Zunächst muß der Ausdruck in einem geeigneten Zeitraum überhaupt bei Dichtern bezeugt sein, und

zwar möglichst oft. Dann darf der Ausdruck zur Zeit des betreffenden Autors und nach ihm außerhalb der Dichtung allenfalls in solcher Literatur erscheinen, in der poetische Sprachbesonderheiten bedenkenlos anzuerkennen sind; noch bes-

ser ist er natürlich sonst auf die Dichtung beschränkt. Schließlich muß das Idiom in der Periode, für die es als eigentümlich dichterisch erwiesen werden soll, auch in außerpoetischer Literatur vorkommen können, und das am besten häufig, in mannigfaltigem Schrifttum und bei verschiedenen Autoren. Fehlt es außerhalb der Dichtung ganz oder weitgehend an der Gelegenheit, den betreffenden Ausdruck

zu verwenden, so ist mit der Möglichkeit zu rechnen: Prosaiker würden ihn ohne weiteres gebrauchen,wenn sie von den mit ihm zu bezeichnenden Sachverhalten sprächen“. Daß die einseitig poetische Bezeugung eines Wortes oder einer Wendung tatsächlich auf spezifisch dichterischen Sprachgebrauch zurückzuführen ist, läßt sich praktisch allein durch den Nachweis möglichst vieler Synonyme in außerpoe-

tischem Schrifttum der Zeit dartun. Beiden Postulaten muß völlig entsprochen werden, wenn das Charakteristikum 45 46

208

Ganz ähnlich Leumann, Dichterspr. 118. Vgl. auch bei mir 117. Verwandte Bemerkungen bei Leumann, Dichterspr. 132.

„Poetismus“ für einen Ausdruck historischer Prosa wirklich gerechtfertigt sein

soli. Nur ganz besonders gelagerte Fälle lassen Ausnahmen zu”. In den nächsten drei Kapiteln wird sämtliches Sprachgut behandelt, das in der bisherigen Forschung als antiquiert oder poetisch charakterisiert worden ist. Daneben werden noch mancherlei andere Idiome erórtert, bei denen sich eine derartige Charakteristik vielleicht nahelegen kónnte. Der letzteren Kategorie gehört in dem Kapitel, das die vorsullanische Historiographie umfaßt, verhältnismäßig wenig Material an, erheblich mehr dagegen in den zwei Kapiteln, die der nachsullanischen Geschichtsschreibung gewidmet sind. Die ungleichmäßige

Behandlung der verschiedenen Epochen ist nicht Willkür. Für die ältere Zeit steht so wenig Vergleichsmaterial zu Verfügung, daß die Aussichten, Genaueres über ein Idiom auszumachen, von vornherein durchweg wenig günstig erschei-

nen; die Dinge liegen in der nachsullanischen Periode besser. In sie gehören auch die Historiker, von deren Geschichtswerken nächst den Origines am meisten wörtliche Fragmente erhalten sind: Quadrigarius und Sisenna; bei diesen Autoren ist man dem Zufall der Überlieferung verhältnismäßig am wenigsten aus-

gesetzt. Schließlich dürfen die nachsullanischen Historiographen als die unmittelbaren Vorgänger Sallusts ein besonderes Interesse beanspruchen. 47

Dabei ist an die Fälle gedacht, in denen eindeutig Zitate aus lateinischer Dichtung vorliegen oder die lateinische Formulierung nach griechischer dichterischer Aus drucksweise modelliert ist. — Der entwickelte Begriff des Poetismus ist, wie man sieht, ausschließlich an der sprachlichen Tradition orientiert, in der das jeweils zu

untersuchende Schriftstück steht. Vielleicht ist der Begriff etwas eng, aber nur innerhalb seiner Grenzen sind Beweise móglich.

209

2. Die Geschichtsschreibung von Cato bis Scaurus

a) M.Porcius Cato Cato ist der älteste römische Historiker, von dem feststeht, daß er lateinisch

geschrieben hat!. Ein gewisses Streben, den Ausdruck des Geschichtswerks über die Alltagsrede hinauszuheben, zeigt der häufige Gebrauch von atque. Aber die gleiche sprachliche Besonderheit findet sich in den Reden; sie ist also nicht der historiographischen Prosa Catos eigentümlich, sondern überhaupt seiner gehobenen Redeweise?. Ließen sich in den Origines Archaismen oder Poetismen auf-

spüren, so wären sie kaum sicher als spezifisch historiographische Idiome anzusehen. Doch dürften Archaismen in dem Geschichtswerk ohnehin schwer nachzuweisen sein?. Mit poetischem Sprachgut verhält es sich ebenso. Denn soweit Poetismen mit einiger Wahrscheinlichkeit in den Resten der catonischen Prosa vermutet worden sind, ist die Zugehörigkeit der Fragmente zu den Origines ungewif ^. 1

Den ennianischen Euhemerus können wir bei der Betrachtung der römischen Historiographie unberücksichtigt lassen: Cicero, der ihn jedenfalls nat. deor. 1,119 kennt, bezieht ihn nie in seine Darlegungen über die áltere nationale Geschichtsschreibung

2

ein. Übrigens würde die Berücksichtigung des Euhemerus, wozu folgenden Ausführungen auch nur geringfügige Modifikationen Über Catos atque Leo 286; Hofmann--Szantyr 476. Hier wird daß atque schon für Cato gewählt ist. Das Gleiche mag für die

27 A. 21, für die ergeben. auch verdeutlicht, 3. Ps, Pi. Perf. Akt.

Ind. auf -ere gelten, die in Catos Kunstprosa dominiert. Freilich kann die Argumentation, mit der Lófstedt, Per. 37 — ebenso Synt. II 301 A.2 — den hóheren Klang von

-ere bereits bei Cato nachzuweisen sucht, nicht befriedigen: Das Fehlen von -ere in De agricultura spricht erst dann für die Gewähltheit

dieser Bildung, wenn

in der Schrift

uU

die Konkurrenz -erunt einigermaßen oft belegt ist; dabei ist noch zu berücksichtigen, daß das Werk, wie es vorliegt, nicht rein catonisch ist. 4

Über peragier orig. 108 vgl. 48f. Es handelt sich um Cato or. frg. 1,8, womit Norden, Ennius 157 nicht den Stil der Annalisten hätte illustrieren dürfen; inc. libr. frg. 12, übrigens wohl Fronto p. 210,1 v. d. H. (Ξ p. 221 N.) und Gell. 15,18,2 nachgeahmt; inc. libr. frg. 17. In diesen Fragmenten

scheint Till 17 f£., der Darlegungen Nordens, Kp.

168 ausbaut, ennianischer

Einfluß sicher. Eine sorgfältige Nachprüfung, die unter Beachtung der 208 f. angedeuteten Gesichtspunkte alle Deutungsmóglichkeiten in Betracht zóge, würde die Sicherheit vielleicht schwinden lassen. Jedenfalls aber ist von den sonstigen Idiomen, in denen Till 16 ff. Poetismen oder Ennianismen erkennen möchte, mindestens keines hin-

reichend gewiß in dieser Weise aufzufassen. Das gilt auch für die Perfektform -ere statt -erunt. Mag die Endung -ere für Cato auch bereits gehobener Sprechweise angehört haben, so kann der Schriftsteller die Bildung doch durchaus unabhängig von Ennius aufgegriffen haben. Eine Parallele bietet die catonische Bevorzugung des ge-

210

Auf die Sprache der republikanischen Historiker nach Cato läßt sich freilich aus dem Befund kaum ein Schluß ziehen. Zwar übernehmen die Historiker dieser Zeit gewiß leicht Formulierungen des Censorius in den Passagen, für die er ihr unmittelbarer Gewährsmann ist?. Aber für einen weiterreichenden sprachlich-

stilistischen Einfluß des Geschichtsschreibers Cato auf seine Nachfolger gibt es kein Indiz‘. Eher für das Gegenteil: Anders als in den Origines wird in der späteren Historiographie ausschlieflich die Perfektendung -erunt (-arunt) statt -ere

verwendet”, b) C.Cassius Hemina

In den 23 kurzen wörtlichen Fragmenten, die von den um 150 a. Chr. entstandenen, wenigstens 4 Büchern Annales des Cassius Hemina?* erhalten sind, finden

sich manche Idiome, die einer spáteren Zeit als Raritáten erschienen; für Hemina waren sie es nicht unbedingt. Herausgegriffen seien als Archaismus oder Poetismus verdächtige oder verdáchtigte Besonderheiten. si plebs nostra fremere imperia coepisset (hist. 22): fremere ist in Dichtung häufiger als in Prosa. Ungefähr zur Zeit Heminas erscheint das Verb in Dichtung Enn. ann. 497; 586; Pacuv. trag. 113; Acc. trag. 288; nach ihm Catull 63,86 und spáterhin in verschiedenen Bedeutungen. Das alles beweist nicht unbedingt den wühlten atque, wo an ennianischen Einfluf nicht zu denken ist. Über multi mortales bei Cato 255 zu Quadrig. hist. 76. Noch zu zwei von Till nicht erwähnten Wör-

tern, die man vielleicht für Poetismen Catos halten möchte, ensis orig 71 ist zwar in späterer Zeit mehr dichterisch, nicht aber unbedingt für den Censorius; s. die lehrreiche vergleichende Statistik von ensis und gladius Thes. V 2,608. In den Fragmenten der vorsallustischen Historiographie heißt „Schwert“ sonst nur gladius; Quadrig. hist. 10b (3mal); Sisenna hist. 70. inclutus orig. 83 ist ebenfalls für Cato nicht sicher poetisch; Synonyme

wie clarus, illustris, praeclarus sind in dieser Periode nur selten

zu belegen. Zu den Adj. außer praeclarus Thes. s vv. 5

Hemina hist. 29 ist wohl eine Übernahme von Cato orig. 57; dazu aber auch Peter, HRR Ü, CXLVIII A.2. Coel hist. 25 ist nach Cato orig. 86 formuliert. Diese Bezie-

hungen sind bereits der antiken Literarkritik aufgefallen. Im übrigen zeigt sich gerade in der Formulierung Antipaters auch ein gewisses Ungenügen an Catos Ausdrucks weise. Antipater bildet die unverbunden nebeneinander stehenden Hauptsätze seines Vorgängers in ein einziges konditionales Satzgefüge um. Möglicherweise schien ihm die catonische Formulierung zu stark umgangssprachlich; vgl. dazu Hofmann, Umgangsspr. 109 f. Sonst über die Stelle bereits Gilbert 382; jetzt Leeman, Ratio 75.

Sehr aufschlußreich auch dann die Wiedergabe des Dictums Liv. 22,51,2: die quinti wird durch die quinto ersetzt; cena sit cocta durch das dezentere epulaberis. Die Konstruktion curabo mit bloßem Konj. wird fallengelassen, vielleicht als zu familiär; vgl. Thes. IV 1499,

6

7 8

16 ff.

Gilbert 389 möchte einen allgemeineren sprachlichen Einfluß Catos auf Coelius annehmen; wirkliche Beweise fehlen. Über einen bei Quadrigarius vermuteten Catonismus vgl. 241 Α. 54. Einzelheiten 199. Die Datierung etwa bei Peter, HRR 1, CLXV.

211

poetischen Charakter von fremere: In der Dichtung mag von Sachverhalten, auf die sich das Wort anwenden läßt, einfach öfters die Rede sein als in Prosa. Auf Verankerung von fremere in der lebenden Sprache deuten Belege wie Cic. Verr. II 3,132 und Att. 2,7,3 und das Fortleben des Verbs im Romanischen. Transitiv ist das Wort mit gleichem Sinn wie bei dem Historiker noch Val. Fl. 4,234 und spáter; doch kann auch eine derartige Transitivierung eines Intransitivums nicht als spezifisches Poeticum gelten?. Die Angaben nach Thes. s.v. bellum Punicum posterior (hist. 31): Das Neutr. posterior findet seine Entspre-

chung in dem Neutr. prior !°: Quadrig. hist. 73 foedus prior Pompeianum; hist. 74 prior bellum; Val. Ant. hist. 16 hoc

senatus

consultum

prior factum

est. Das

nicht ursprüngliche r ist in diesen Fállen vermutlich in Analogie zu den anderen Kasus in den Nom. eingedrungen !'. Die Synonyme prius und posterius erscheinen zwar schon wenigstens seit Plautus recht häufig als Adv.'?, ziemlich selten aber als neutrales Adj. oder Subst. prius so in der Literatur republikanischer Zeit erstmals Ter. Eun. 246, dann deutlich erst wieder Varro ling. 10,55. poste-

rius in der Republik nur Cic. inv. 1,33 (?); 1,86; 2,105;

Pis. 66 (proterbius V);

ac. 2,44; off. 1,34; fin. 3,74; Varro ling. 10,55. Bei dieser Sachlage kann das behandelte Idiom nicht einmal bei Quadrigarius und Antias als Archaismus gelten. ille (Cn. Terentius scriba) ita rationem reddebat: lapidem fuisse quadratum circiter in media arca evinctum candelis quoquoversus (hist. 37): Dies der äl-

teste — nicht ganz

sicher überlieferte

— Beleg für evincire. Danach

das

verhältnismäßig selten erscheinende Verb überwiegend in Dichtung seit Verg. ecl. 7,32; Aen. 5,269, aber in etwas anderer Verwendungsweise: evincire bezeich-

net hier das Umwinden von Menschen oder menschlichen Körperteilen. Thes.

s. v. Welchen Charakter das Verb bei Hemina hat, ist ungewiß ^. in eo lapide insuper libros III sitos fuisse;propterea arbitrarier non computuisse. et. libros citratos fuisse; propterea arbitrarier tineas non tetigisse (hist. 37): Der Inf. Pass. auf -ier ist in Heminas Zeit gewiß eine abseitige Form, aber schwerlich dem lebenden Latein der Periode ganz fremd gewesen. Vgl. die Diskussion 48 f. Der Gebrauch eines antiquierten Idioms erschiene in den zitierten Sätzen auch ziemlich unmotiviert. In ihnen geht es um die Auffindung der Bücher Numas im Jahre 181, doch wohl zu Lebzeiten des Historikers. Als spezifisch historiographische Spracheigentümlichkeit kann der paragogische Inf. auch nicht 9 10

Vgl. etwa Svennung 445 ff.; weiteres über die Spracherscheinung bei Hofmann-Szantyr 31f. Sümtliche bekannten Beispiele für die Erscheinung stammen aus Priscian, der gramm. II 347, 2 f. einleitend bemerkt:

vetustissimi etiam neutrum

in -or finiebant et erat

eadem terminatio communis trium generum. Varro ling. 5,18 ist kaum richtig überliefert. 11

Sommer

12 13

prius in der vorsallustischen Historiographie vielleicht Quadrig. hist. 32. Kuntz 72ff. schließt von dem Sprachgebrauch Heminas und Vergils auf das Vorkommen von evincire bei Ennius. Dabei wird vorausgesetzt, daß Hemina in diesem Punkte von Ennius beeinflußt ist: Das ist eben erst zu beweisen.

212

380;

Stolz- Leumann

259.

gelten. Hemina selbst schreibt hist. 24 denasci, und insgesamt kommt der Inf. auf -i in der vorsallustischen Geschichtsschreibung 33 mal vor: Bei Cato Hemina 1 mal, Fabius Maximus 2 mal, Piso 1 mal, Coelius 5 mal, Asellio Quadrigarius 6 mal, Ps.Quadrigarius 1 mal "^, Sisenna 7 mal. Den Inf. auf verwendet von den Geschichtsschreibern nur noch Cato orig. 108, in der gegen Galba.

8 mal, 2 mal, -ier Rede

Die diskutierten Spracherscheinungen drángen nicht dazu, in Hemina einen Vertreter archaisierender oder poetisierender Ausdrucksweise zu vermuten.

c) L.Calpurnius Piso Noch weniger wird man zu einer derartigen Annahme bei L.Calpurnius Piso Frugi cos. 133 a. Chr. neigen. Zwei längere wörtliche Fragmente, die aus den wenigstens 7 Büchern pisonischer Annalen gerettet sind, zeigen vóllige sprach14

So oder als Ps. Quadrig.

hist. 12 wird in dieser Arbeit die Gell. 9,11,3 ff. erhaltene. Er-

zählung von dem Zweikampf des Valerius Corvinus mit einem Gallier bezeichnet. Daß das Stück im Gegensatz zu Peters Annahme nicht von Quadrigarius stammt, haben fast gleichzeitig gesehen Marouzeau, RPh 45, 1921, 164 f£. und Sypniewska, in: Cha-

risteria Morawski septuagenario oblata, Krakau/Leipzig 1922, 149 ff. Die letztere Arbeit ist mir nur aus Referaten bekannt; das ausführlichste

bietet Hache, JAW

CCXXXI,

1931, 18f. Von der Zuweisung des Textes an Quadrigarius raten auch gewisse sprachliche Besonderheiten

ab. Bis Sisenna wird, soweit man

sehen kann,

in der Geschichts-

schreibung vor Konsonanten wie vor Vokalen durchweg atque verwendet. So stehen in Catos Origines, die in das Geschichtswerk aufgenommenen Reden eingeschlossen, 23 atque, davon 7 vor Konsonanten (ohne Reden: 13 atque, davon 3 vor Konsonanten); nicht anders ist es bei Claudius, bei dem 17 mal atque erscheint, davon 8 mal vor Konsonanten. Bei Ps. Quadrigarius finden sich 6 atque vor Vokalen, 1 ac vor einem

Konsonanten. Dazu noch 286 A.50. Bemerkenswert ist in dem Stück ferner die relative Häufigkeit von -que. Die Partikel findet sich hier 7 mal, also ebenso oft wie atque (ac). Dem stehen in den genuinen Claudiusfragmenten, die ungefáhr das Vierfache der

Textmenge von Ps. Quadrig. hist. 12 umfassen, lediglich 5 -que gegenüber. Man kann sich überhaupt fragen, ob Ps. Quadrig. hist. 12 seine sprachliche Formung nicht Gellius verdankt; so anscheinend Sypniewska. Die Bemerkung, mit der Gellius 9,11,2 die Erzählung einleitet, wäre damit zu vereinen: ea res . . . sic profecto est in libris annalibus memorata. Die Schlußworte Gell. 9,11,10 stimmten sogar sehr gut

zu der Annahme: rei pugnaeque, quam diximus, monimentum. Vgl. noch 263 A. 122. Mindestens aber mit ganz freier Gestaltung des Gellius ist kaum zu rechnen. Das Bruchstück setzt ganz selbstverständlich Bemerkungen über die Familie des Corvinus voraus, von denen bei Gellius nichts steht; es beginnt: adulescens tali genere editus. Der abrupte Beginn rührt offenbar daher, daß das Stück entweder wörtlich aus einem anderen Text, dann doch wohl den libri annales, übernommen oder wenigstens in

engem Anschluß an diesen Text formuliert ist. Der sprachlich-stilistische Habitus der Erzählung

läßt am ehesten an einen Historiker etwa sullanischer Zeit denken;

mehr als eine Vermutung ist das natürlich nicht. Man móge sich diese Unsicherheiten bewußt

halten, wenn

das Textstück

im folgenden als wórtliches Fragment eines

ungefähr sullanischer Zeit zuzurechnenden Geschichtswerkes behandelt wird.

213

lich-stilistische Anspruchslosigkeit: Calp. hist. 8 und 27. Kurz nur zu einem Wort, das auch in der spáteren Historiographie eine gewisse Rolle spielt. Roma condita anno DC septimum occipit (Scaliger: accipit trad.: coipit

Mommsen) saeculum his consulibus (hist. 36): occipere, falls richtig, kónnte auffallend scheinen. Zunächst das Verhältnis zu seinen Synonymen in der nicht historischen Literatur; die Zahlen bedeuten die Belegfrequenzen bei dem betref-

fenden Autor in der Reihenfolge occipere, coepisse (coepere), incipere: Plautus 86,25,19; Ennius 0,8,1; Caecilius 1,2,0; Cato 3,13,14; Pacuvius 0,1,2; Terenz 13,33,25; Lex repetund. (CIL I? 583) 0,1,0; Turpilius 1,1,0; Lucilius 0,12; Accius 0,0,2; Afranius 0,2,1; Novius 0,2,0; Pomponius 0,1,1; Rhetorica ad Herennium 0,11,9. Von da an herrschen in republikanischer Prosa allein die sehr häufigen Synonyme von occipere. Die Geschichtsschreibung: Cato 0,1,0; Hemina 0, 1,0; Piso 1,0,0; Asellio 0,1,0; Quadrigarius 0,6, 1; Ps. Quadrigarius 0,0,1; Sisenna 2,2,0. Danach in Prosa erst Sall. hist. frg. 2, 87 A; 3,25, bei Liviuseinigemal ab 1,7,6;

Tac. hist. 2,16,2. occipere beginnt also bereits in der 1.Hälfte des 2. vorchr. Jh.s zurückzutreten. Für Piso, dessen Lebenszeit sich doch wohl mit der des Terenz überschneidet, dürfte das Verb aber noch gelebt haben. Bei Sisenna ist occipere schon ein sehr entlegenes Idiom. Altertümlich ist das Wort dann jedenfalls für Sallust und die Spáteren6. Die Übereinstimmung zwischen Piso und Sisenna im Gebrauch von occipere ist nicht als Ausdruck einer historiographischen Sondersprache der Republik zu werten: Für Piso ist eben vermutlich das Verb noch ein einfacher Ausdruck des lebenden Lateins. Mit der zweimaligen Verwendung von occipere hebt sich Sisenna auch deutlich von dem Sprachgebrauch seines Zeitgenossen Quadrigarius ab.

d) C.Fannius Die Annalen des C. Fannius cos. 122 a. Chr. (?) haben wenigstens 8 Bücher umfaßt; der Sprachgebrauch des Historikers ist aber nur noch in 4 kurzen Fragmenten fafibar. In Fannius vermutet Badian 14 den ersten Geschichtsschreiber, , who deliberately uses an archaic manner, to achieve dignitas and perhaps to evoke Cato". Badian stützt 32 A.63 seine Auffassung mit einem exemplifizierenden Hinweis auf biber Fann.hist. 2. Sehen wir zu. 15

Über die Schlichtheit der pisonischen Ausdrucksweise

auch etwa Eden, Glotta 40,

1962, 81 ἢ; Leeman, Ratio 73 f. Unergiebig A. M. Schmidt, Zum Sprachgebrauche des Fabius, Piso, Claudius und Antias, Progr. St. Pólten 1896. 16

So schon

Hofmann,

in: Mélanges

de philologie,

de littérature et d'histoire ancien-

nes offerts à Alfred Ernout, Paris 1940, 191. Gegen dicse Auffassung spricht kaum Itala II Macc. Vorkommens leg schwerlich wird vielmehr

nen sein.

214

12,37 (cod. P) (Iudas) occoepit . . . hymnos. Angesichts des reichlichen von coepisse auch in niederen Schichten des Lateins ist dieser Einzelbeais Indiz für ein Fortleben von occipere zu werten. An der Italastelle ein Eindringen künstlich-historiographischer Ausdrucksweise anzuerken-

domina eius, ubi ad villam venerat, iubebat biber dari (hist. 2): Das Bruch-

stück steht Char. gramm.p. 158, 1ff. B. (ex Romano) unter dem Lemma biber τὸ πιεῖν. Hier auch die anderen Belege aus republikanischer Zeit: Cato orig. 121, wovon der Wortlaut nicht überliefert ist; Titin. com. 78 date illi biber. Gegenüber bibere ist biber eine abgeschliffene und keineswegs die ältere Bildung".

Die Verteilung der Belege kann die Annahme schwerlich rechtfertigen, die Form sei für Fannius,der noch in Catos Zeit hineinreicht, bereits wieder antiquiert gewesen. Das gilt umso mehr, als die Verbindung von dare mit dem Inf. bibere in der Vergleichszeit sehr selten nachzuweisen

ist; und wohl nur in dieser Junktur

ist bibere der gekürzten Bildung gegenüberzustellen, die bei Titinius und Fannius auf die Verknüpfung mit dare beschränkt ist. Die 4 ältesten Belege für bibere dare sind nach Thes. V 1, 1688,59 ff. Plaut. Persa 821; Ter. Andr. 484; Lucil.

222; Liv. 40,47,5. Überdies deutet ein Zeugnis wie Bened. reg. 35,12 singulas (singulos var. trad.) biberes, das kaum rein literarischem Latein zuzuweisen ist,

auf ein langes Fortleben von biber; das Genus des aus der Verbindung mit dare gelösten Wortes vielleicht nach potio. Weiteres Thes. II 1954,61 ff. Bei dieser Sachlage braucht Fannius biber nicht von Cato entlehnt zu haben. Erst recht beweist das Wort nichts für archaistische Neigungen des Fannius. Für sie lassen sich auch sonst keinerlei Indizien gewinnen. Im Gegenteil. Wenn Cicero Brut. 101 die Annalen historia ... non ineleganter scripta nennt, so war für sein Empfinden das Geschichtswerk anscheinend gerade nicht durch den Gebrauch von verba inusitata gekennzeichnet; denn nach Rhet. Her. 4,12,17 gehört zur elegantia der Gebrauch von verba usitata.

e) Cn.Gellius

Nach 146 a. Chr. und vor dem Geschichtswerk des Coelius Antipater sind die An-

nalen des Cn. Gellius entstanden, ein Werk von wenigstens 97 (? ) Büchern "°. Erhalten sind davon nur ganz geringfügige Überreste. Doch kónnen wir an ihnen nicht vorbeigehen. Denn nach dem Urteil Fraenkels 193 deuten die in den Fragmenten erkennbaren Sprachtendenzen auf archaistische Neigungen der vorsallustischen Geschichtsschreibung. Der Sachverhalt, auf den sich diese Auffassung stützt, ist folgender. In den Gelliusfragmenten erscheint mehrfach ein Dat. oder Abl. Pl. der 1. Dekl. auf -abus: deabus (hist. 12), raptabus (hist. 13), paucabus (hist. 14), puellabus (hist. 22), duabus pudicabus (hist. 23), portabus, oleabus (hist. 29). Sprachgeschichtlich ist diese Endung „eine Neubildung zur Unterscheidung zusammenge17

18

Dazu Sommer 591 f.; Stolz- Leumann 328. Bei den entsprechenden inschriftlich bezeugten Formen wie tanger usw. sind durchweg graphische oder phonetische Umstände im Spiel, die sie nicht als vollgültige Parallelen zu biber erscheinen lassen.

Über das Datum und die Anzahl der Bücher Peter, HRR I^, CCV f.

215

höriger Feminina und Maskulina, und daher hauptsächlich bei Motionsfemininen

neben der Endung auf -is gebräuchlich“ ?. Wenigstens die zwei zuletzt zitierten Formen können aber nicht aus dem Streben nach Genusunterscheidung erwach-

sen sein. In ihnen erkennt Fraenkel Pseudoarchaismen. In der Tat findet sich lange vor Cn. Gellius eine vergleichbare Erscheinung Liv. Andr. carm. frg. 37 manibus dextrabus.

Aber dem Historiker braucht keine derartige alte Ausdrucksweise vorgeschwebt zu haben. Bei Motionsfemininen begegnet die Endung -abus noch in spátester

Zeit; der Sprachgebrauch ist für Cn. Gellius gewiß nicht schon tot??. portabus und oleabus lassen sich von hier aus als Formen interpretieren, bei denen aufgrund bewußter Affektation oder unbewußter Entgleisung ein lebender Sprach-

gebrauch weiter wuchert?!. Gesetzt jedoch, es handelte sich bei den zwei Bildungen um Pseudoarchaismen des Annalisten: diese Extravaganzen wären nicht unbedingt symptomatisch für die vorsallustische Historiographie. In ihr sind derartige Formen sonst nicht nachzuweisen. Angesichts der Intensitit, mit der Quadrigarius und Sisenna ex-

zerpiert worden sind, darf das Vorkommen solcher Bildungen jedenfalls bei diesen zwei Geschichtsschreibern als geradezu unwahrscheinlich gelten. Kurz noch zu den übrigen Besonderheiten des Cn. Gellius. ossum (hist. 26): So statt os „Knochen“ noch Accius, der Zeitgenosse des Annalisten, carm. frg.4. Im Spätlatein taucht die Form dann etwa in der Itala auf; Einzelheiten bei Neue-Wagener I 843 f., wozu noch Plac. med. 1,14, rec. B. ossum ist auch in die romanischen Sprachen eingegangen; Meyer-Lübke 6114.

Die Konkurrenzbildung bereits Lex. XII tab. 8,3 (Coll. Mos. 2,5,5) (? ), bei Plautus z.B. Mil. 30. Zur Zeit des Cn. Gellius wie auch später war die lebende Spra-

che in diesem Punkte nicht fixiert”. tempestas sedavit (hist. 30): Der intransitiv-reflexive Gebrauch von sedare ist sonst noch nicht belegt. Derartige Intransitivierungserscheinungen sind, mögen sie auch gelegentlich künstlich sein, besonders in niedrigeren Schichten des

gesprochenen Lateins zuhause ”°. 19

Stolz-Leumann

20

Vgl. die Belege bei Neue-Wagener I 36 ff., die aus dem Thes. s vv. vermehrt wer-

281; s. auch Sommer

331 f£.

den kónnen; mulabus noch Anon. de taxone 1.36 rec. a. Zum Fortleben der Bildungen auch Sommer 332, der freilich von raptabus, paucabus usw. als „künstlichen Ar-

chaismen . . . des Cn. Gellius" spricht, kaum konsequent; ferner Kroll, Schriftspr. 6; Nelson 81 ff. Wenn Formen auf -abus Char. gramm. p. 67,26 B. sordide . . . dicta genannt werden,

21

so bezeugt das die Volkstümlichkeit der Endung.

Bei der Beurteilung derartiger Phänomene ist der doch wohl sehr große Umfang des Annalenwerkes zu berücksichtigen; mancherlei sprachliche Besonderheiten kónnen da leicht unfreiwillige Lapsus sein. Leo 332 sieht demgegenüber hinter den erörterten

Bildungen eine „barocke Eigenmächtigkeit des Stils“. 22 23

216

Ganz ähnlich Kroll, Schriftspr. Vgl Hofmann-Szantyr 395 f.

6.

regerum und lapiderum (hist. 31): Wohl Analogiebildungen zum Gen. Pl. der 1. Dekl. auf -arum **, von Neue-Wagener I 430 nur hier nachgewiesen. regum steht schon etwa Plaut. Capt. 825, lapidum erst Cic. Verr. II 4,118; Lucr. 3,198. fora navium (hist. 32): Zu fora: Das recht seltene Subst. als Neutr. nur hier; die Stelle ist der älteste Beleg, bei dem sich das Genus des Wortes festlegen läßt. Thes. s.v. forus statt forum „Markt“ erscheint öfter. Thes. VI 1,1198, 32

ff. fora „Schiffsgänge“ statt fori ist ein naheliegender Genuswechsel, der der lebenden Sprache kaum fremd gewesen ist.

deliquium solis und deliquionem (hist. 33): Für deliquium dies der früheste Beleg; deliquio steht nur noch Plaut. Capt. 626, aber in der Bedeutung „Vergessen“. Thes. s. vv. Die Synonyme defectio bzw. defectus tauchen nach Thes. s. vv. erst bei Cicero Cato 49 bzw. nat. deor. 2,50 auf; deficere ‚‚(ver) schwinden‘ kommt

nach Thes. V 1,332,64 ff. erst ab Lucil. 200 vor. Bei dieser Sachlage kann deliquium solis oder deliquio solis zur Zeit des Historikers durchaus der normale Ausdruck

für ,,Sonnenfinsternis'* gewesen

sein^.

In den Fragmenten der Annales des Cn.Gellius ist kein Ausdruck als antiquiert — oder poetisch — zu erweisen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß es sich wohl um ein sehr umfangreiches Werk gehandelt hat. Selbst wenn sämtliche erórterten Idiome Archaismen des Geschichtsschreibers gewesen wáren: mit ihrer vergleichsweise geringen Frequenz kónnten sie, deren Erhaltung durchweg dem

Interesse spáterer Grammatiker an solchen Raritüten verdankt wird, keineswegs als repräsentativ für die Sprache des Autors gelten.

f) L.Coelius Antipater L.Coelius Antipater des C. Gracchus und — viel mehr werden laut erhalten. Es ist

hat sein vor 91 es nicht bezeugt,

Werk über den 2. Punischen Krieg nach dem Tode a. Chr. beendet”®. Von den wenigstens 7 Büchern gewesen sein — sind 40 kurze Fragmente im Wortda& Coelius sich in der Wortwahl an Ennius orien-

tiert hat. eum (Ennium) . . . studiose aemulatus L. Coelius, sagt Fronto p. 57,2 f. v.d. H. (= p. 62 N.), wo er über den delectus verborum der alten Schriftsteller

spricht. Ullmann 62 f. sammelt aus den Fragmenten recht viele Idiome, die charakteristisch für die poetisch-ennianische Ausdrucksweise des Historikers sein sollen?". Andere Gelehrte betonen mehr den Gebrauch von Archaismen bei An24

Sommer

25

Nach Kroll, Schriftspr.

384; Stolz -Leumann

279 f.

5 A.5 wären die Wörter Verlegenheitsübersetzungen von

ἔκλειψις.

26

Der erste Zeitpunkt ergibt sich aus Coel, hist. 50. Das ist schon längst gesehen; vgl etwa Peter, HRR

27

I? CCXV.

Zum

zweiten Zeitpunkt:

Cic. de orat.

2,54 kennt Anto-

nius das Geschichtswerk des Antipater. Leeman, Ratio 76 bestreitet demgegenüber das Vorkommen von Poetismen in den Coeliusfragmenten, ohne aber sich auf Einzelheiten einzulassen.

217

tipater?*. Die sprachlichen Besonderheiten, auf die man verwiesen hat, sollen nun geprüft werden”. eos alii modi esse (hist. 3): alii rei causa (hist. 4): alii findet sich in der Verbindung alii modi, die als

Einheit zu betrachten ist?9, nach Thes. 1 1623, 1 ff. noch Cato or. frg. 21 und Macer hist. 20. Die Konkurrenz alius modi steht nach Thes. a.O. Fann. hist. 1 und Caes. Anticat. frg. Prisc. gramm. II 227,3, alterius modi nach Thes. VIII 1275,58 Quint. inst. 9,2,2. alii modi kann bei dieser Sachlage auch für Macer nicht als Besonderheit gelten. Der Gen. des Fem. alii ist nach Thes. I 1623,6 sonst nicht nachzuweisen; alii rei vielleicht in Anlehnung an alii modi gesagt. Nichts rät dazu, Poetismen oder Archaismen in den erörterten Erscheinungen zu erkennen.

Der gleiche Befund ergibt sich bei dem folgenden Fragment (Ullmann 63). bellosum genus (hist. 5): Nicht sicher dem Coelius gehórig; mit der Zuweisung Caecil. com. 293/4 kann das Richtige getroffen sein. bellosus Thes. s.v. nur

hier belegt; bellicosus steht nach Thes. s.v. erst ab Porc. Lic. carm. frg. 1. bellum geri poteratur (hist. 7): Die Genusangleichung von posse ist nach den

vorliegenden Belegen jedenfalls in republikanischer Zeit auf die 3. Ps. Sg. des Prä-

sensstammes von posse beschrünkt?!. Die Zeugnisse schon bei Neue-Wagener III 614:

Enn. ann. 611; Pacuv. trag. 100; Cato agr. 154; Scip. min. or. frg. 21,27 Malc.

136 a. Chr.; Gracch. or. frg. 48,35 Malc. 123 a. Chr.; Lex repetund. (CIL I? 583) 28

Schon Gilbert 382 erkennt, unter Hinweis auf Coel

hist. 25 die quinti, bei Antipater

„eine entschieden archaisierende Tendenz“. Cavallin 98 verweist auf Coel hist. 9 dedicare „kundtun“, Coel. hist. 58 delinquere ,,schwinden", tempestas „Zeit“ in dem Fragment

Cic. de orat. 3,153; auf diese letztere Stelle beruft sich auch Fraenkel 194.

Der Passus gehört jedoch Laelius, nicht Coelius. Dazu 26 A. 19. Archaistische Tendenzen nimmt auch Badian 17 bei Coelius an. Doch wird nicht recht klar, inwieweit Badian die Ausdrücke, die er 33 A.77 zusammenstellt, für Archaismen des Historikers hält. Es ist daher darauf verzichtet worden, das von diesem Gelehrten gesammelte

Sprachmaterial zu diskutieren, soweit es nicht von Ullmann 62 f. angeführt wird. Die einschlägigen Hilfsmittel, insbesondere der Thes. s. vv., lassen ohnehin fast in jedem der restlichen Fälle leicht erkennen, daß die Annahme eines Archaismus grundlos oder zweifelhaft wäre. Eine Ausnahme könnte vielleicht paucie(n)s zu machen scheinen. Das Adv., von Grammatikerbemerkungen und Glossen abgesehen, nur Titin. com. 40; 41; Coel. hist. 43; Boeth. elench. soph. 2,4. Aber zwischen der auch nicht

genau zu fixierenden Zeit des Titinius und Coelius gibt es nicht hinreichend Belege für die nüchstliegenden Ersatzwörter rare, rarenter, raro. Coel hist. 57 pedetemtim ist überhaupt nichts Besonderes. Das Adv. etwa Cic. Cluent. 118 und sonst noch mehrfach bei Cicero. Die Schreibung -temt- ist offenbar eine Eigentümlichkeit des Nonius, bei dem das Coeliusfragment erhalten ist, oder seiner Überlieferung. Vgl zu allem

29

noch Neue-Wagener II 569. Der Hinweis auf Ullmann bedeutet, daß dieser Gelehrte das betreffende Idiom zu den exemples bien caractéristiques du style poétique en prose, qui a eu son origine. . . d'Ennius'

(62) rechnet. Unergiebig ist A. M. Schmidt,

in:Serta Harteliana, Wien

1896,

205 ff. 30

Dazu F. Leo,

31

Genauer, auf potestur, poteratur, possitur, possetur. Daß * poteritur nicht bezeugt ist, wird bei den folgenden Darlegungen nicht berücksichtigt.

218

Plautinische Forschungen,

Berlin

1912?,

320f.

66 im Jahre 123 oder 122; Coel. hist. 7; Scaur. hist. 4 poteratur und possitur; Quadrig. hist. 33; 47; Lucr. 3,1010. Nun zu den nicht angeglichenen entsprechenden Formen. Die Zahlen bedeuten die Anzahl der Belege, und zwar die vor der Klammer stehenden Zahlen unter Ausschluß von Junkturen mit fieri, die in der Klammer stehenden mit Einschluß; fieri ist, soweit mehr medial empfunden, nicht sicher geeignet, passivische Formen des Hilfsverbs nach sich zu ziehenὦ

Plautus 47 (62); Ennius 3; Cato 4 (12); S.C. de Bacchanalibus (CIL 17581) und Caecilius je 1; Terenz 25 (35); Accius und Lucilius je 2; Cornelia epist. 1 (3); Metellus Macedonicus, Laelius, L.Crassus, Afranius, Sulla und Quadrigarius je 1; Sisenna 2; Rhetorica ad Herennium 32 (44); Cicero, De inventione 46 (60). Daraus ergibt sich: Der Sprachgebrauch etwa Ciceros ist, soweit man zurück-

blicken kann, stets der übliche ?. Doch dürfte die Genusangleichung zu Catos Zeit ebenfalls leben. Vielleicht als die selteneren lebenden Bildungen werden die Passivformen von posse in der hohen Dichtung der Periode benutzt. Unge-

fähr zur Gracchenzeit gewinnen diese Formen in der Literatur an Boden, doch wohl als lebendes Sprachgut: Jedenfalls den Rednern wird man nicht ohne Not den Gebrauch altertümlicher oder altertümlich-poetischer Ausdrücke zutrauen. In den ersten Dezennien des 1.vorchr. Jh.s wird die Erscheinung dann wieder aus der Prosa und vermutlich auch aus dem gesprochenen Latein gedrängt; ihre letzten lebenden Ausläufer mag sie bei Quadrigarius haben. Bei Coelius

ist die Genusangleichung von posse nicht sehr auffällig und braucht nicht als

Ennianismus (Ullmann 62) erklärt zu werden **. legati .... dedicant mandata (hist.9): dedicare in der allgemeinen Bedeutung „kundtun“ wird Thes. V 1, 258,21 ff. noch belegt Acc. trag. 78; Lucr. 1,367; 1, 422; 3,208; Vitr. 1,7,1; 2 praef. 5; 8,3,27 und in später Prosa. Die vier ersten Stellen erweisen das Verb in der vorausgesetzten Bedeutung schwerlich als Poetismus bereits des Coelius (Ullmann 63), gewiß nicht als Archaismus: Acc. trag. 78 kann durchaus später als das Coeliusfragment sein. Lucr. 1,422 und 3,208 spielen bei der Wahl des Wortes vielleicht auch metrische Gründe eine Rolle. Das nächstliegende Synonym indicare würde die Stelle von dedicare hier nicht einnehmen kónnen. Sonst ist dedicare überhaupt in daktylischer Dich32 33

Vgl Lófstedt, Synt. II 122f. Bei der Beurteilung des vorgelegten Materials ist zweierlei zu berücksichtigen. Einerseits sind die Zeugnisse für Genusangleichung zu einem großen Teil dem Interesse der späteren Grammatik an eben diesem sprachlichen Phänomen zu verdanken: Ein Moment, das das Sprachbild zugunsten der Passivformen verzerrt. Andrerseits fügen Sich die kürzeren Aktivbildungen vermutlich oft besser in Verse ein: Hier vielleicht Verzerrung zugunsten der Aktivformen. In welchem Mafe sich die zwei Faktoren gegenseitig kompensieren, läßt sich freilich nicht sagen.

34

Zwei Belege, die auf langdauernde Verwurzelung mancher Genusangleichungen im lebenden Latein deuten, scheint man bisher übersehen zu haben: Pap. Corp. 307,

8f. soletur dici und debetur credi, 1. oder 2. nachchr. Jh. Im allgemeinen zu der Erscheinung Hofmann--Szantyr 288.

219

tung selten, nie etwa bei Vergil. Thes. V 1,257, 82 ff. Jedenfalls den ennianischen Annalen würde man das Verb nur ungern zuschreiben.

Sempronius . .. celocem in Africam mittit visere locum (hist. 12): mittere mit finalem Inf. vorher Plaut. Cas. 688 im bakcheischen Tetrameter; Plaut. Curc.

206 und Pseud. 642 in trochäischen Septenaren; Ter. Eun. 528 im Senar; seit Prop. 2,16,17 einigemal in hóherer Dichtung. In Prosa vor Tertullian nur noch Liv. 24,13,2. Das im wesentlichen nach Thes. VIII 1189,71 ff. Da& die Kon-

struktion ein Poetismus Antipaters ist (Ullmann 62), scheint wenigstens zweifelhaft®, illis facilius est bellum tractare (hist. 16): Macr.exc. gramm. V 651,33 f., wo das Fragment erhalten ist, wird tractare als diu trahere erklärt. Das Verb ist so

in übertragener Bedeutung jedenfalls vor Coelius nicht mehr nachzuweisen ?6. Die ältesten Belege für bellum tractare „Krieg führen“ sind nach Thes. II 1840, 35 ff. Ov. ars1,182; Manil. 3,632. bellum trahere erscheint nach Thes. II 1840, 4] ff. seit Cic. Att. 10,8,2. Über den Charakter der Ausdrucksweise läßt sich — entgegen Ullmann 63 — nichts sagen.

die quinti Romae . . . curabo tibi cena sit cocta (hist. 25): Die Formulierung ist mit dem Lokativ quinti von Cato orig. 86 übernommen, der Quelle des Coe-

lius für den Ausspruch. Schon deshalb wäre der Ausdruck ein etwas zweifelhaftes Zeugnis für Antipaters Neigung zu ungewöhnlicher Sprachgestaltung. Die Parallelen Thes. V 1,1022,27 ff., deren letzte sichere Pompon. Atell. 77 ist?”, lassen überdies durchaus Raum für ein Leben derartiger Idiome noch nach Antipater. In der Tat wird Gell. 10,24,2 bezeugt: Augustus . . . in epistulis plurifa-

riam significatione ista dierum non aliter usus estδ, non dubitatim (hist. 30): Das Adv. nur noch Sisenna hist. 75, und zwar in derselben Junktur. Thes. s.v. Das Synonym dubitanter erscheint nach Thes. V 1,2103, 17 f. erst Cic. inv. 2,10; Brut. 87. Es gibt keinen Grund, in dem dubi-

35 36

Über die Spracherscheinung allgemein Hofmann-Szantyr 344 f.; von hier ist die Terenzstelle übernommen. Ullmann 63 verweist ohne nähere Stellenangabe auf eine Parallele bei Ennius; gemeint ist wohl das nach dem Coeliusfragment Macr. exc. gramm.

V 651,34 überlie-

ferte Bruchstück Enn.ann. 137 tractatus per aequora campi Aber hier geht es um ein veritables Schleifen; der ennianische Ausdruck ist sehr weit von dem Antipaters entfernt. 37

Hinzufügen ließe sich Gell. 2,29,7 die crastini (crastina P: crastini rell).

38

S. noch zu dem Lok. Stolz-Leumann 273. Ullmann 62 hält versehentlich die Coel, hist, 25 für einen Gen. Daf

Coelius von dies den Gen.

dii oder dies gebildet hat,

könnte man dagegen aufgrund von Coel. hist. 24 A annehmen. Aber die Sache ist nicht gewiß; wenn

Peter im Apparat 2. St. bemerkt „certum est Coelium forma dii

usum esse", so ist das ein Versehen. Bei der mangelnden Ausbildung des Gen. der 5. DekL wären hier dem Antipater manche uns ungewöhnlich scheinende Formen an sich durchaus zuzutrauen. Vgl. 129. Zu verschiedenen Formen des Gen. von dies Thes. V 1,1022, 13ff.; zum Gen. die wäre Varro frg. Non. p. 144,3 nachzutra-

gen.

220

tatim der beiden Historiker einen poetischen Ausdruck (Ullmann 63) oder sonst eine Besonderheit zu vermuten.

aliquam ... finem (hist. 38): Das Mask. finis, belegt seit Plaut. Trin. 2, ist ursprünglich. Das Fem. erscheint, von Coel. hist. 38, móglicherweise dem frühesten Beleg, abgesehen, Acc. trag. 577; Sisenna hist. 59; vielfach bei Lukrez ab 1,107; Cic.leg. 2,55; fam. 12,1,1 und bei anderen Autoren. Thes. VI 1,787, 33 ff. Das

Fem. hat sich wohl aus der falsch gedeuteten Verbindung von Pronominaladv. und Präpos. ea fine u.ä. entwickelt; ob und in welchem Maße diese Entwicklung in grammatischer Theorie oder in lebender Sprache gründet, bleibt ungewiß ??. Daß aliquam ... finem bei Coelius poetisch ist, ließe sich jedenfalls nicht behaupten; für Ennius würde man das Fem. finis sehr ungern in Anspruch nehmen. (equus) congenuclat percussus (hist. 44): Sisenna hist. 33 ist überliefert multi ...icti et congenulati; das letzte Wort pflegt man zu congenuclati zu verbessern, vielleicht mit Recht?. Das nach Thes. s.v. die einzigen Belege für congenuclare. Das Simplex geniculare (-ri) und die Komposita aggeniculare und ingeniculare erscheinen erst nach congenuclare, teils in Schrifttum, das auf lebenden Sprach-

gebrauch hindeutet; ingeniculare ist auch ins Romanische eingegangen. Thes. s.vv. Nichts berechtigt dazu, congenuclare bei einem der beiden Historiker für dichterisch (Ullmann 63) oder antiquiert zu halten. qui (fasces) ductoribus hostium ante soluerint ferri (hist. 45): ductor findet Sich, von der zitierten Stelle abgesehen, wohl Acc. trag. 522 (Io. Sarisb.: auctor

trad.)*, an einer Stelle, die nicht unbedingt früher ist als das Antipaterfragment; Cic. Font. frg. 23; Tusc. 1,89; Lucr. 1,86; Varro ling. 6,62 in einer etymologischen

Erklärung. Häufig ist das Subst. bei Vergil. Thes. V 1,2167,75 ff. Die ältesten Belege für dux sind Plaut. Pseud. 447; Enn. ann. V 1, 2317,1 ff. Hinzuzufügen ist, daß ductores Aen. 2,14 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nius erschließen läßt*?. Der Befund zwingt aber

441; Rhet. Her. 1,15,25. Danaum Lucr. 1,86 und diese Verbindung auch nicht zu der Annahme,

Thes. Verg. für Endaß

ductor für Antipater ein Poetismus ist. Die Tmesis ante . . . ferri ist bemerkenswert. Derartige Erscheinungen begegnen

gerade im ennianischen Epos. Aber für die Tmesis bei anteferre ist Coel. hist. 45 Thes. H 128,42 der einzige Beleg. Außerdem ist anteferre ein in Dichtung 39

40

41

Über das Genusproblem

im einzelnen Bauer, Glotta

10, 1920,

122 ff.; Weiteres bei

Hofmann-Szantyr 11. Allerdings lautet das Lemma Non. p.57,23, unter dem das Fragment steht: congenulare est genu replicato cadere. Über die aktive Bedeutung des Part. auf - to HofmannSzantyr 290 f. Es handelt sich in vielen Fällen um eine langlebige volkstümliche Erscheinung. Vgl auch Norberg 152 f. Zweifellos ist die Richtigkeit der Konjektur nicht; ganz unsicher ist in dem verstümmelten Fragment Quadrig.

hist. 32 das ductoribus von Lipsius anstatt des überliefer-

ten auctoribus. 42

So Leumann,

Dichterspr.

137 A.30; die Annahme

Leumanns,

ductor sei eine Neu-

schópfung des Ennius, ist viel weniger zwingend. Zu ductor noch Tränkle 39; Kuntz 106 f.

221

nicht sehr beliebtes Wort; nach der Coeliusstelle, an der das Verb überhaupt erstmals bezeugt ist, begegnet das Verb vor Ausonius nur Verg. Aen. 4,371; Hor. epist. 2,1,19; 2,1,65; Ov. epist. 15,206. Vgl. Thes. s.v. Ohnehin hat das Präverb ante wohl eine gewisse Selbständigkeit, die die Tmesis anscheinend

auch in Prosa gestattet: Cic. off. 3,71 malitia . . . mala bonis ponit ante *. Das Perf. solui (Ullmann 62) wird von Neue-Wagener III 109 aufer Coel.hist.

45 nur noch Enn. frg. inc. 26 und Cato frg. inc. 54 belegt. Das Zeugnis für den Sprachgebrauch der beiden letzten Autoren steht Varro ling. 9, 107; hier wird

solitus sum als die gewóhnliche Bildung der Periode gekennzeichnet: ut dicit volgus. Diese Bildung des Perf. bereits Plaut. Amph. 261 und sonst noch über 10 mal

bei Plautus; Caecil. com. 128; Titin.

com. 28; Enn. ann. 105 soliti sunt,

metrisch gleichwertig mit soluerunt; sat. 70; Lex. agr. (CIL I? 585) 82. Im 1. vorchr. Jh. die Normalform dann ófter bei Varro seit Men. 166; Rhet. Her. 4,9, 13; rund 40 mal in Ciceros Prosa seit inv. 1,4; in anderem auch republikanischem Schrifttum. Mit einem Leben von solui ist im 1. vorchr. Jh. kaum noch zu rechnen. Dagegen scheint ein gewisses Schwanken zwischen solitus sum und solui

für den lebenden Sprachgebrauch der Zeit Antipaters móglich. Ein ennianischer oder allgemein poetischer Einschlag ist in der Sprache von Coel. hist. 45 also nicht strikt nachzuweisen. Aber es fällt doch auf, daß in dem Satz

gleich bei zwei Idiomen ennianische Provenienz immerhin nicht fernliegt. Von der bisher untersuchten Hinterlassenschaft Antipaters bietet dieses Fragment der Annahme ennianischen Einflusses die beste Handhabe.

exfundato ... oppido (hist. 46): exfundare nur hier nach Thes. s.v. Über den Charakter des Verbs läßt sich — entgegen Ullmann 63 — nichts sagen.

eadem re gesta, topper nihilo minore negotio acto (hist. 47): Sämtliche Nachweise von topper werden Fest.p. 352 verdankt. Aufer der Coeliusstelle Carm. Nelei Fest. p. 352; Liv. Andr. carm. frg. 20; 26; 27; 39; Enn. scaen. 428; Pacuv.

trag. 424; Acc. trag. 387. In dem topper Antipaters ist ein Poetismus (Ullmann

63) zu erkennen: Es ist kaum zufällig, daß in der Sammlung des Festus den 8 Dichterbelegen nur Coel hist. 47 als Prosabeleg gegenübersteht^. Daß das Wort

schon früh kein Ausdruck der lebenden Sprache war, indiziert auch sein Fehlen bei Plautus und Terenz. Partiell mit topper synonyme Wörter wie z. B. continuo, extemplo, fortasse sind hier vielfach vertreten. 233 zu Quadrig. hist. 100. Thes. s. vv.

indulgitate liberum (hist. 48): indulgitas (Ullmann 62) wird Thes. s.v sonst nur Sisenna hist. 46 nachgewiesen. Noch für diesen kann das Subst. eine normale 43

Der letztere Beleg nach Löfstedt, Per.

44

einhellig; doch ist das konkurrierende anteponit deutlich eine in der Überlieferung spät auftauchende Normalisierung. Zu dem Fragenkomplex noch Hofmann-Szantyr 217; B. Lófstedt, Studien über die Sprache der langobardischen Gesetze, Uppsala 1961, 278. Allerdings fragt sich, ob diese Verteilung der Belege nicht bis zu einem gewissen Gra-

187. Die Überlieferung ist hier freilich nicht

de auf die einseitige Bevorzugung der Dichtung durch die republikanische Grammatik

zurückzuführen ist. Dazu 73 ff.

222

Bildung gewesen sein. Das Synonym indulgentia taucht nach Thes. s.v erst Cic. Verr. II 1,112 auf5. delinquere frumentum (hist. 58): delinquere „ausgehen“, „fehlen“ ist entsprechend nur noch bei Tubero hist. 13 belegt^9. Thes. V 1,459,20 ff. Das nächstliegende Ersatzwort deficere begegnet nach Thes. V 1,332, 64 ff. erst ab Lucil.

200. Daß delinquere in der vorauszusetzenden Bedeutung für Antipater antiquiert oder überhaupt ungewóhnlich gewesen ist, scheint nicht erweislich. tertio (consul) und quarto consul (hist. 59): Das ist der älteste Beleg für diese Verwendungsweise des Abl. Der entsprechende Gebrauch des Akk. ist bereits

vorher Enn. ann. 295 nachzuweisen ^", und er ist in unseren Texten das Normale. Vgl. Thes. IV 569,67 ff. Wie jedoch aus Gell. 10,1,6 ff. hervorgeht, ist man sich auch in ciceronischer Zeit durchaus nicht sicher, ob es richtig tertio cos. oder tertium cos. heißen müsse; Bell. Hisp. 2,1 steht: dictator tertio, designatus dictator quarto*?. Poetisch oder altertümlich ist die.nach unseren spärlichen Belegen

jüngere Sprachgewohnheit für Antipater bestimmt nicht. ocissime (F teste Ursino: -mi vel -mu F teste Loewio) (hist. 64): Von dem Wort ist sonst als Superlativbildung nur ocissime bezeugt, bis zum Ende der augusteischen Zeit Plaut. Nerv. frg. 3 im jambischen Septenar; Ter. Haut. 868 im Senar; Sall. Iug. 25,5. ocius begegnet bis zum Ende des 2. vorchr. Jh.s Liv. Andr. trag. 16; Pacuv. trag. 352; Acc. trag. 382; sonst nur bei Komikern,

und zwar

26 mal, häufig genug hier auch in Senaren. Andere als die erwähnten Formen des Wortes kommen in dieser Periode nicht vor. Als Poetismus (Ullmann 63) ist das ocissime (? ) Antipaters bei diesem Befund kaum anzusehen. Bei nicht wenigen Ausdrücken, die man als Poetismen oder Archaismen Antipaters klassifiziert hat, ist ein derartiges Urteil unberechtigt oder wenigstens recht bedenklich. Als poetisch und wohl auch antiquiert anzuerkennen ist jedoch topper Coel. hist. 47. Spezifisch ennianische Sprachelemente darf man vielleicht Coel. hist. 45 vermuten. Das Vorkommen solcher sprachlicher Besonderheiten in den Coeliusfragmenten stimmt zu dem Eindruck, den Fronto von Antipaters Wortwahl vermittelt. 8) Sempronius Asellio Sempronius Asellio scheint sein Geschichtswerk zwischen 90 und 80 a. Chr. in

hohem Alter verfaßt zu haben ?. Das Werk hat aus wenigstens 14 Büchern be45

46 47 48

49

Daß indulgitas eine Augenblicksbildung Antipaters ist, nimmt Kroll, Schriftspr. 5 an. Die Vermutung impliziert, daß Sisenna entweder in diesem Punkte von Coelius abhängt oder das Subst. nach Antipater noch einmal geschaffen worden ist. Zu der Stelle 151 A. 132. Vgl noch Cato orig. 84. Der Sprachgebrauch auch späterer Inschriften schwankt. S. die Hinweise im Indexband der Inscr. Dessau III 800 f.

Peter, HRR 12. CCXLIII.

223

standen. Davon liegen noch 14 Bruchstücke im Wortlaut vor, darunter zwei etwas längere, hist. 1 und 2. Die letzteren Fragmente zeigen Asellio nicht als einen Autor, der zu sprachlich-stilistischen Extravaganzen neigte 9. Zwingen Einzelheiten dazu, diesen Eindruck zu revidieren? ut maior invidia Lepido glisceretur (hist. 4): glisceretur ist für einen Poetis-

mus des Historikers gehalten worden?!, gliscere erscheint als Intransitivum Plaut. Asin. 912 und Capt. 558, in trochäischen Septenaren; Pacuv. trag. 294; Acc. praet.

13; Cic. phil. frg. V 74; bei Lukrez 5 mal ab 1,474. In augusteischer Dichtung fehlt das Verb, abgesehen von Verg. Aen. 12,9 und Dirae 6. Das Mediopass.(?)glis-

ci steht nur noch Turpil. com. 191. Im wesentlichen nach Thes. s.v. Daß gliscere bereits in der Zeit Asellios poetisch ist, erweist der skizzierte Sachverhalt kaum. Die Plautusbelege, mógen sie auch Langversen entstammen, sind nicht eigentlich beweiskräftig in dieser Richtung. Daß die beiden anderen Stellen vor Cicero sich in höherer Dichtung finden, kann bloßer Zufall sein: In unpoetischen erhaltenen Texten ist nur selten von Sachverhalten die Rede, auf die das Verb angewendet werden kónnte. Denn in Prosa und Senaren, die im wesentlichen

vielleicht auch als Beispiel unpoetisch-prosaischer Lexis gelten kónnen, finden Sich, ungefáhr synonym gebraucht, im 2. vorchr. Jh. wohl nur augescere Ter.

Haut. 423; Cato orig. 95 a und crescere Cato orig. 95 a. Ohnehin deutet das ungewöhnliche Mediopass.(?) nicht auf einen engen Anschluß Asellios an die hóhere Dichtung, in der nur das Intransitivum gliscere erscheint. summa necessitudo aut summa occasio (hist. 5): Indirekte Rede, ein von Scipio berichtetes Wort seines Vaters Aemilius Paullus. necessitudo ,,Notwendigkeit‘ hier zuerst, dann Sisenna hist. 98; Varro Men. 316; Rhet. Her. 1,1424 und an wenigstens 9 weiteren Stellen dieser Schrift; Cic. inv. 1,59, später in dem Werk noch über 20 mal; danach erst bei Sallust ab Catil. 17,2. necessitudo

„Freundschaftsbindung“ u.ä. erstmals Lex. repetund. (CIL 12583) 24; Rhet. Her. 3,6,11; 4,39,51; bei Cicero über 100 mal wenigstens seit Quinct. 16, auch

sonst bei Zeitgenossen Ciceros, etwa: Cael. Cic. fam. 8,6,1; 8,14,1; Planc.Cic. fam. 10,4,1; 10,24,1; bei Caesar 5 mal ab Gall. 1,43,6. necessitas ,,Notwendigkeit“ schon bei Plautus etwa Epid. 731, dann Ter. Hec. 492; Varro Men. 532;

ling. 8,31; Rhet. Her. 1,14,24; Cic. inv. 1,15; 1,41; 2,172; Quinct. 51 und danach noch über 100 mal bei Cicero, ófter auch bei seinen Zeitgenossen, z.B.: Caecin. Cic. fam. 6,7,5; Cael. Cic. fam. 8,10,1; bei Caesar 7 mal ab Gall. 2,22,1, mehrfach bei seinen Nachfolgern. necessitas ,,Freundschaftsbindung" u.ä. Caes. or. frg. 121, 50

Daß Asellio der stilistischen Tradition des Genos gefolgt sei, nimmt Badian 33 A.80 an, unter Hinweis auf hist. 10 facundiosa; hist. 13 artificiose; hist. 14 pilatim, Als Archaismus des Historikers läßt sich jedenfalls keines dieser Wörter erweisen. Zu den ber den ersten Thes. s. vv., woraus sich auch ergibt, daß gewiß artificiose kein Spezifikum der Historikersprache ist. pilatim ist sonst nur noch belegt Scaur. hist. 6, also bei ei-

51

Von Kuntz 74 f. Zur Bedeutung des Verbs im übrigen F. Sommer, Kritische Erläuterungen usw., Heidelberg 1914, 56 ff.

nem

224

Zeitgenossen Asellios; Vitr. 6,8,4, hier in anderer Bedeutung.

Neue-Wagener

II 558.

27; 121,44 Malc.; die Reden stammen aus den Jahren 70 bzw. 73 (? ) ἃ. Chr. necessitudo, den Belegen nach jünger als necessitas, konkurriert also in der Bedeutung „Notwendigkeit“ jedenfalls noch in den ersten zwei Dezennien des

1.vorchr. Jh.s mit synonymem necessitas. Möglicherweise aber länger; noch der Sprachgebrauch des Redners Caesar läßt einen gewissen Mangel an Differenzie-

rung zwischen den zwei Subst. erkennen. Wenigstens im letzten Jahrzehnt der Republik scheint die Unterscheidung, wie sie der Redner Cicero beachtet, allgemein zu sein.

(Gracchus) eum quem virile secus . . . habebat, produci iussit (hist. 7): Die Belege für indeklinables secus bis einschließlich Livius: Enn. var. frg. 70 virile (sexum, sexus var. trad.); Sisenna hist. 80 virile ac muliebre; Varro frg. Gell. 3, 10,7 virile; Sall. hist. frg. 2,70 virile et muliebre; Liv. 26,47,1 virile (virilis sim. sexus var. trad.). sexus im gleichen Zeitraum nur Plaut. Rud. 107 virile sexus; Pacuv. trag 68 virili sexu; Afran. com. 240 virili sexu; Cic. inv. 1,35; Varro ling. 8,46; Nep. Ages. 1,3 virilem sexum; Liv. 26, 34,5 puberes virilis sexus; 27,11,4; 31,12,6. Parallelen zu der Junktur virile (muliebre) secus, auf die der Gebrauch

von secus in dieser Zeit beschränkt ist°”, sind allein die ausgeschriebenen Belege. Eine Wendung wie virile secus ist bei dieser Sachlage nicht einmal für Sallust auffällig, zumal die Wortwahl der Dichter wohl metrisch bedingt ist. Wenn die

Verbindung mit secus hauptsáchlich in Geschichtsschreibung erscheint, so vielleicht nur deshalb:

In der erhaltenen Literatur ist von Sachverhalten, auf die

sich ein.derartiger Ausdruck anwenden ließe, sonst nicht die Rede. Im übrigen ist mit Ungenauigkeiten der Überlieferung zu rechnen, die vermutlich eher zu Ungunsten von secus verzerrt ist.

Von den behandelten drei Ausdrücken Asellios ist keiner hinreichend sicher altertümlich oder dichterisch.

h) M. Aemilius Scaurus Nicht besser steht es mit den Archaismen, die Bardon I 109f. in den Memoirenfragmenten des M. Aemilius Scaurus erkennen möchte. Scaurus, geb. 162 a.Chr., hat wohl im 1.Jahrzehnt des 1.vorchr. Jh.s 3 Bücher De vita sua verfaßt’, von denen 5 Bruchstücke ganz geringen Umfanges erhalten sind. 3 Idiome sprechen nach Bardon für archaistische Neigungen des Scaurus°“. 52

53 54

Wahrscheinlich nicht nur in dieser, sondern noch in späterer Zeit. Vgl

die Belege bei

Müller 163 f. Ein methodisch lehrreicher Irrtum ist es, wenn Müller von dem „gewöhnlichen virilis sexus oder virili sexu'' spricht. In der Schrift war wohl noch auf das Jahr 102 a. Chr. Bezug genommen. So nach anderen Münzer 389. Badian 37 A.124 hebt noch pilatim als spezifisch historiographische Spracheigentümlichkeit des Scaurus hervor. Die Charakteristik wáre wohl schwer als richtig zu erweisen. Von vornherein klar ist, daß pilatim nicht als Archaismus des Scaurus gelten kann. 224 A. 50.

225

proelium non sivi (B: sini A edd. vett.: sibi M et codex Scioppii) fieri (hist. 3): Das Ganze Diom. gramm. I 374, 13ff. unter dem Lemma sino sivi (trad.: sini

edd. vett.). Selbstverständlich ist nicht das — ohne ersichtlichen Grund — als

Archaismus klassifizierte sini, sondern sivi aufzugreifenὉ. poteratur und possitur (hist. 4): Die Formen kónnten für den Altersgenossen des C.Gracchus durchaus lebendig gewesen sein. 218 f. zu Coel. hist. 7.

sagittis . . . confictus (hist. 5): Das Part. fixus ist eine jüngere Analogiebildung zum aktiven Perf. fixi; ursprünglich ist fictus?. Vor Scaurus erscheinen, soweit ein Perfektpart. von figere und den Komposita in diesem Zeitraum überhaupt begegnet, ausschließlich die Analogieformen. Während confictus nach Thes. IV 211,18 lediglich an der zitierten Stelle zu belegen ist, findet sich fictus nach

Thes.VI 1,710,26 ff. Lucr. 3,4; Varro rust. 3,7,4; 3 mal bei Gregor von Tours; Not. Tir.66,34; defictus nach Thes. V 1,339,35 ff. Varro rust. 3,7,7; infictus nach Thes. VII 1,1420,5 ff. vielleicht Call. dig.47,9,7. Daß es sich bei all diesen Bildungen um Archaismen der betreffenden Autoren handelt?", ist nicht wahrscheinlich. Vielmehr wird die ganze Latinität hindurch der lebende Sprachgebrauch nicht ganz fest gewesen sein. Dementsprechend ist das Part. fictus auch in einigen romanischen Sprachen erhalten. Meyer-Lübke 3280. 55 56 57

So auch Neue- Wagener III 349 f. Darüber Sommer 607; Stolz-Leumann 341. Sehr gut denkbar wäre das an sich natürlich Lucr. 3,4; auf der anderen Seite ist der Lukrezbeleg kein Beweis für die Antiquiertheit der Bildung.

226

3. Quadrigarius, Antias, Ps. Quadrigarius

a) Q. Claudius Quadrigarius In die Wende zwischen 80er und 70er Jahren mag der Abschluß der Annalen

des Q. Claudius Quadrigarius gehóren!. Das Werk hat wenigstens 23 Bücher umfaßt, vermutlich nicht viel mehr?. Wörtliche Fragmente sind davon über 70 erhalten. Sie bieten insgesamt rund 1120 Belege einzelner Wörter, eine Textmasse, die ungefähr 4 Seiten einer Oxfordausgabe füllen würde. Die Sprache des Annalisten ist bereits Gegenstand ausgedehnterer Untersuchun-

gen gewesen. Wölfflin will vor allem poetische Sprachelemente bei Claudius nachweisen?. Zimmerer 101, die sich 88 ff. besonders ausführlich mit der Sprache des Geschichtsschreibers befaßt, erkennt diese Auffassung nur bedingt an: Der Sprachgebrauch des Quadrigarius sei gekennzeichnet — das ungefähr scheint die Autorin zu meinen — einerseits durch sprachliche Neuerungen, zu denen auch die Poetismen gehörten, andrerseits durch bewußt oder unbewußt verwendete al-

tertümliche Idiome. Daß der Gebrauch von Archaismen das bestimmende Moment in der Sprache des Historikers sei, ist eine Auffassung, die gelegentlich ganz entschieden vertreten wird; einen detaillierten Beweis dafür hat man nicht

versucht“. 1

Peter, HRR I? CCLXXXV; danach Zimmerer 4.

2 3

Zimmerer 5. Ein Vorstoß in dieser Richtung vorher schon bei Maas 545 f. Nach Norden zu Aen. 6,813 f. ist Quadrigarius ,,in seiner Sprache stark durch Ennius" beeinflußt. Poetismen

findet in der Ausdrucksweise

des Geschichtsschreibers gleichfalls Cavallin; er

verweist auf pectus haurire hist. 10 b, provolare hist. 19, multi mortales hist. 76. Andere Urteile über Sprache und Stil des Annalisten stellt Zimmerer 89 zusammen. 4

So meint Peter, HRR I? CCCVII — ähnlich Wahrheit 305 — , Claudius sei Archaist. Er beruft sich auf das günstige Urteil, das Fronto p. 131,15 ff. v. d. H. (2 p. 114 N.)

über den Annalisten fällt: historiam ... scripsere Sallustius structe, Pictor incondite, Claudius lepide, Antias invenuste, Seisenna longinque, verbis Cato multiiugis, Coelius singulis. Die Stelle hat schwerlich Beweiskraft. Erstens ist sehr zweifelhaft, daf

Fronto bei seiner günstigen Beurteilung des Quadrigarius davon geleitet ist, daß dessen Ausdrucksweise

auf ihn altertümlich wirkt:

Pictor, bei dem

doch das Gleiche

gelten müßte, erhält von Fronto eine schlechte Zensur. Zweitens ist spezifisch an den delectus verborum offenbar erst bei Cato gedacht; dementsprechend fällt auch kein Wort über die elegantia des sallustischen Sprachgebrauchs.

Nichts berechtigt

also dazu, das allgemeine Charakteristikum lepide mit Besonderheiten in der Wortwahl des Claudius in Verbindung zu bringen. Drittens: Wenn Fronto manches an der Sprache

des Quadrigarius antiquiert erschiene, so bedeutete

das durchaus nicht,

daß dieselben Idiome rund 200 Jahre früher zu Lebzeiten des Annalisten so gewirkt haben.

Marache

19 glaubt, die Sprache des Quadrigarius und des Sisenna unterscher

227

Wie es mit den poetischen oder antiquierten Spracheigentümlichkeiten bei Quadrigarius steht, soll nun durch eine Betrachtung der Fragmente ermittelt werden. Dabei werden alle Idiome, die Wölfflin und Zimmerer entsprechend klassifiziert haben, erórtert werden. Es kommen

einige andere Ausdrücke, die viel-

leicht als Archaismus oder Poetismus des Historikers erscheinen kónnten, hinzu und gelegentlich Idiome, die den sprachlichen Habitus des Annalisten etwas beleuchten.

ut pugnatum esset in Gallos (hist. 1): Für Gellius 17,1,12 wären die Verbindungen pugnare cum Gallis oder contra Gallos die normalen: in Gallos mundius subtiliusque est. Die an erster Stelle genannte Konstruktion ist die älteste: Plaut. Rud. 1042; Cato orig. 99; Pompon. Atell. 73; bei Cicero ab Quinct. 29. pugnare contra alm. erscheint Sulla hist. 3 pro vobis potius quam contra vos; bei Cicero ab Verr. 1,33; Varro ling. 9,33. Der Sprachgebrauch des Quadrigarius ist erst-

mals Quadrig. hist. 1 zu belegen. Ferner Ps. Quadrig. hist. 12 impetrato ... a consulibus, ut in Gallum . .. pugnare sese permitterent. In Formeln, die sich auf Kampferlaubnis oder -verbot beziehen, steht die Konstruktion öfter, ohne auf sie beschränkt zu sein. Vgl. etwa die ältesten Liviusbelege 3,12,3 pugnasse in hostem; 6,39,7 in leges suas pugnatum esse; außerdem z. B. Liv. 9,3,2 Romano in perfidum Samnitem pugnanti; 23,29,10 velut in circumventos pugnant. Der älteste Dichterbeleg ist Ov. am. 3,1,38°. An einen Archaismus oder Poetismus

des Claudius ist bei dem erórterten Ausdruck gewiß nicht zu denken. tanta sanctitudo fani est, ut numquam quisquam violare sit ausus (hist. 2): sanctitudo taucht zuerst in der Komödie Turpil. com. 114 und ungefähr gleich-

zeitig Afran. com. 326 auf, in der Tragódie Acc. trag. 593; 646, dann Cic. rep. 4,8. sanctimonia erstmals Rhet. Her. 4,33,44, dann Cic. Quinct. 55; 93; Rab. perd. 30; wie Gell. 17,2,19 zeigt, war dieses Subst. bis ins 2. Jh. jedenfalls recht üblich. Stürker ist freilich sanctitas verwendet worden, nachzuweisen erst Caes. or. frg. 121,29 Malc. im Jahre 69, der älteste ciceronische Beleg für das Wort

ist p. red.in sen. 34. Später findet sich das Subst. außer bei Cicero auch etwa de sich stärker von der Ciceros als diese von der des Livius oder sogar Tacitus; die

zwei republikanischen Historiker müßten daher archaisiert haben. Doch wäre der Schluß auch dann zweifelhaft, wenn die aufgestellte Gleichung bewiesen wäre. Denn die weithin wegen sprachlicher Kuriositäten erhaltenen Fragmente geben in ihrer Gesamtheit keinen repräsentativen Querschnitt durch die Sprache der zwei alten Geschichtsschreiber; auch erschöpft Cicero nicht die Möglichkeiten,

die das lebende

Latein in der ausgehenden Republik hat. Andeutungen über archaistische Neigungen des Claudius auch bei Fraenkel Antiquiertes Sprachgut findet ebenfalls Badian 20 bei dem Historiker, ohne aber andere Materialien anzuführen als Zimmerer; nur möchte Badian noch Quadrig. hist. 92 pedetemtim mit dem Vorbild Antipaters erklären.

Dazu bei mir 218 A. 28. 5

In der Verbindung in hostem pugnare Sall Catil. 9,4; 52,30; bei Livius z.B. 7,12,12; 8,6,16; 8,7,15; vielfach mit dem Zusatz extra ordinem; Gell. 17,21,17. Dabei geht

es nicht durchweg um Zweikämpfe. Nicht ganz glücklich Wólfflin 13 f. 6

Ein dichterisches Experiment mit der Konstruktion von pugnare ungefähr zur gleichen Zeit Prop. 2,24 b, 25 pugnet ad hydras.

228

Sall. hist. frg. 5,3; Nep. Lys. 4,1; Liv. 21,7,3 und sonst. Also: sanctitudo, das bis zum Ende des 2. vorchr. Jh.s dominieren mag, tritt, wie es scheint, zu Beginn des 1.vorchr. Jh.s gegenüber den — neu aufgekommenen? — Synonymen sanctimonia, dann sanctitas zurück. Zweifellos ein Prozeß, der sich über mehrere De-

zennien erstreckt; es ist damit zu rechnen, daß die verschiedenen Bildungen im 1.vorchr. Jh. noch längere Zeit miteinander konkurrieren. Für den Annalisten bereits antiquiert braucht das Wort nicht zu sein”. Daß fani — ausus einen Hexameter ergibt?, ist auffällig, aber vielleicht zufällig.

Die Wortstellung violare sit ausus ist kaum ein Gegenbeweis. Sie hat eine Analogie hist. 81 satis sunt diu conati, wo metrische Rücksichten nicht anzunehmen sind. sole occaso (hist. 3): sol occasus erstmals Lex XII tab. 1,9 (Gell. 17,2,10? ), die gleiche Stelle aber nach Varro ling. 7,51 und der sonstigen Überlieferung solis occasus; dann überliefert oder sicher verbessert in den trochäischen Septena-

ren Plaut. Epid. 144; Men. 437; 1022, in der Formel ante solem occasum; Lucil. 68 sole occaso?. Die konkurrierende Formulierung solis occasus, von der bereits erwähnten Stelle abgesehen, nur Pacuv. trag. 88 in der Antithese solis . . . exortu ... occasu; Rhet. Her. 3,22,36 solis exortus, cursus, occasus (Akk.PI.); 4,33,44 solis ortu atque occasu; mehrfach bei Caesar ab Gall. 1,1,7; Bell. Afr. 19,4 und spáter. sol occidens nur Pacuv. trag. 411; Cato dict. 76 nec orientem

... solem

.. . nec

occidentem, nicht sicher catonischer Wortlaut; Caes. Gall. 5,13,2, wo vorher ad orientem solem, und später; jedenfalls die zwei ältesten Belege sind sol occasus nicht ganz synonym. Der Befund gestattet durchaus die Annahme, daß sol occasus zu Lebzeiten des Quadrigarius noch lebendig ist. Man

braucht nicht mit

Wölfflin 30 hinter dem Ausdruck des Annalisten ein poetisches Vorbild zu su-

chen '°. inter se commutationes et consilia facere (hist. 5): Dazu wird Gell. 17,2,26 erklárt: commutationes, id est conlationes communicationesque, non usitate

dixit. Eine sichere Parallele zu diesem Sprachgebrauch fehlt". cum iis consermonabatur (hist. 6): Dazu Gell. 17,2,17: sermonari rusticius videtur, sed rectius est; sermocinari tritius est, sed corruptius. Zu dem 7

8 9 10

11

Urteil

sanctitudo ist für Gellius 17,2,19 im Vergleich mit den Synonymen maioris dign+ tatis, weil es in seiner Zeit die ungewóhnliche, wohl altertümliche Bildung ist. Dazu

auch 40 A.71. Dieses Empfinden darf man nicht für Quadrigarius voraussetzen, für den sanctitudo vielleicht kaum anders klingt als die Konkurrenzwórter. Der Archaist vermag sich nicht auf den sprachlichen Standpunkt des Historikers zurückzuversetzen. Zimmerer 110 macht sich das nicht klar. Bemerkt von Maas 546. Daß die präpositionalen Verbindungen mit sol occasus Gell 3,2,3; 3,2,4; 14,7,8 varronisch sind, ist gut denkbar, aber nicht sicher. Die Belege nach Hache 5. Dagegen auch Zimmerer 94, freilich mit etwas irreführenden Angaben. Über die ak-

tive Bedeutung des Part. Perf. auf -to im allgemeinen 221 A. 40. Zweifelhaft die Stelle Hier. psalt. sec. Hebr. 99,8, die Thes. III 1987, 40 ff. neben Quadrig. hist. 5 gestellt wird.

229

rusticius stimmen die Belege. nec loqui nec sermonare steht CIL I? 1012,3; 6, in einer dem 1.vorchr. Jh. zugewiesenen Verwünschung; sermonari erscheint, abgesehen von Gloss. LII Abav. SE 50, Itala prov. 5,19 (Priscill. tract. 1,31). Das singuläre consermonari mag ebenfalls nur vom Purismus unterdrückt worden sein. Manlius, quem Capitolium servasse a Gallis supra ostendi, cuiusque operam... apud Gallos cumprime fortem atque exsuperabilem res p. sensit, is . . . virtute bellica nemini concedebat (hist. 7): Für servare a vermutet Zimmerer 99 ein poetisches Vorbild, unter Hinweis auf Verg. Aen. 5,699 servatae a peste carinae. Wirklich findet sich die Ausdrucksweise sonst bei keinem republikanischen Prosaiker. Cicero geht ihr Verr. II 1,68 anscheinend aus dem Wege: pudicitiam ... servare ab . . . libidine tutam; ebenso Verr. II 5,1; später begegnet die Konstruktion häufig noch in der juristischen Literatur und Pallad. 5,7,6 7 Von der zitier-

ten Vergilstelle abgesehen, gibt es auch in der Dichtung bis wenigstens Ovid ein-

schließlich keinen sicheren Beleg für servare a'?. Es handelt sich bei dieser Ausdrucksweise also keineswegs um ein Poeticum. Nichts spricht dafür, daß Vergils einmalige Formulierung Aen. 5,699 auf den Einfluß eines poetischen Textes zurückzuführen ist, der spätestens mit Quadrigarius zeitgenössisch wäre. Gellius 17,2,14 kommentiert die Stelle: adprime crebrius est, cumprime rarius. cumprime wird Thes. s.v. nur noch Cass. Fel. 57 p. 146 nachgewiesen, in der Bedeutung „zunächst“. Der Beleg bei dem Mediziner indiziert doch wohl ein langes Fortleben des Adv. wenigstens in manchen Sprachschichten. Die republikanische Beredsamkeit und die durch sie geformte puristische Ausdrucksweise

scheint das Wort aber zu meiden. Darauf deutet das Vorkommen der nächstliegenden Konkurrenten. cumprimis bei einem Adj. steht nach Thes. IV 1380, 46 ff. seit L. Crass. or. frg. 66,45,19 Malc; Cic. inv. 2,1; imprimis bei einem Adj. nach Thes. VII

1,678, 55 ff. seit Cic. inv. 2,107; Q. Rosc. 9.

exsuperabilis nach Thes. s.v. nur noch Verg. georg. 3,39; Iuvenc. 3,281; Claud.

5,127; an all diesen Stellen in passivischer Bedeutung ,bezwingbar'*!^. Das Adj. 12

Nach Krebs-Schmalz, Antibarbarus usw., Basel 1905, αν. Weitere Juristenbelege im VIR s.v. Krebs-Schmalz weisen die Konstruktion außerdem noch Plin. nat. 7, 103 nach: (Manlius) Capitolium summamque rem . . . a Gallis servaverat. Das geht vermutlich auf dem Umweg

13

über eine Exemplasammlung

auf Quadrigarius zurück.

Livius und Valerius Maximus formulieren ganz anders. Hor. sat. 1,6,82ff. (pater me) pudicum . . . servavit ab omni . . . facto. Kiessling— Heinze z. St. verbinden servavit ab . . . facto, doch wohl zweifelhaft; vgl Plaut. Curc. 51 tam a me pudica est quasi soror mea sit. Durch pudicum ist servare a zumindest erleichtert. Ahnlich Catull 15,5 f. conserves puerum mihi pudice, non dico a populo. Wenn Kroll z. St. für conservare a auf Cic. fam. 13,50,2 verweist, so ist auch hier die Konstruktion durch prädikative Zusätze wenigstens gemildert: Curium .. ab ... incommodo ... sincerum integrumque conserves. Ebenso Cic. Verr. 1,14 con-

14

iuges ... integras ab istius petulantia conservare. Verg. georg. 3,39 non exsuperabile saxum (Sisyphi) wird Thes. V 2,1953, 73 aktivisch gedeutet,

im Anschluß an Serv. ad L: quod

exsuperare non valet summum

montis

cacumen. Die Interpretation liegt doch wohl ferner für cin Epitheton des Adas ἀναιδής.

230

ist mit diesem Befund nicht als Poetismus des Annalisten erwiesen, zumal es

hier aktiv in der Bedeutung „siegreich“ steht 5. acrimonia, confidentia pariter praecellebat, ut facile intellegeretur magnum viaticum ex se atque in se ad rem publicam evertendam habere (hist. 8): acrimonia ist für Claudius gewiß weder antiquiert noch — entgegen der Andeutung Wölfflins 21 — dichterisch. Vgl. Thes. s.v., wo etwa Cic. Verr. 1,52. Über confidentia in positiver Bedeutung

133 f. zu Cael. Cic. fam. 8,89.

magnum viaticum pro magna facultate et paratu magno nove dictum est, erklärt Gellius 17,2,13; wenn er in dem übertragenen Gebrauch einen Gräzismus nach ἐφόδιον vermutet, so ist das natürlich keine verbindliche Auslegung. deteriores sunt incolumiores neque optimum quemquam inter nos (di) sinunt diurnare (hist.9): Der Komparativ incolumior erscheint nach Thes. VII 1,978, 78 f. nur bei Quadrigarius; das vorhergehende

deteriores wirkt ein.

Zu diurnare Gell. 17,2,16 inusitate ... dixit pro diu vivere; das Verb wird Thes. s.v., abgesehen von den abhängigen Stellen, nur hier nachgewiesen. Quadrig. hist. 10 b ist das längste im Wortlaut erhaltene Fragment der Annales. In ihm wird der bekannte Zweikampf des T.Manlius Torquatus mit einem gal-

lischen Riesen geschildert. Das Thema legte eine epische Darstellungsweise nahe'®. Sollte der Annalist Sprache und Stil bewußt am ennianischen Epos orientieren, so wären gerade in diesem Bruchstück sichere Spuren derartiger Tendenzen zu

erwarten. Wie steht es damit? qui (Gallus) et viribus et magnitudine et adulescentia simulque virtute ceteris

antistabat (hist. 10 b): Für die drei letzten Wörter nimmt Wólfflin 21 poetische Provenienz an, unter Hinweis auf Enn. scaen. 228 in hoc regi antistat. Dies der einzige dichterische Beleg für antistare vor Quadrigarius; sonst Cato agr. 156,1 quae (brassica) omnibus holeribus antistat; Met. Num. or. frg. 58,7 Malc. qua in re... me unum antistatis eqs. Ungefähr zeitgenössisch ist Cic. inv. 2,2 Crotoniatae

... omnibus (Dat.) corporum viribus (Abl.) ... antisteterunt, eine genaue Parallele zu dem Ausdruck des Claudius; in Dichtung wird antistare ali. ala. re Thes. II 186,67 ff. nicht belegt. Weder antistare noch die Konstruktion, in der das

15

16

Die Möglichkeit ennianischer Provenienz erwägt Wölfflin 21. Eine Entsprechung hat die Verbindung operam . . . exsuperabilem in dem trochäischen Septenar Plaut. Mil. 1144 date operam adiutabilem. Hinweis von M. Leumann, Die lateinischen Adjektiva auf -lis, Strabburg 1917, 111. Der Verfasser des Bellum Hispaniense erinnert 25,4 bei der Erzählung vom Zweikampf des Antistius Turpio und des Pompeius Niger an den Achillis Memnonisque congressus; er empfindet das Epische der Situation. Zu epischen Zügen in solchen Zweikampfschilderungen Kroll, Studien 305 A.47. Nichts mehr davon Greg. Tur. Franc. 2,2. Die ältere Literatur zu Quadrig, hist. 10 b bei Zimmerer 123 A.141; ferner K. Büchner, Rómische Literaturgeschichte, Stuttgart 1957, 360 ff.; McDonald, JRS 47, 1957, 158 1.167f.; Eden, Glotta 40, 1962, 78 f.; Leeman, Ratio 78 ff.

Für unsere Zwecke ist die Literatur nicht ergiebig.

231

Verb verwendet wird, ist ein Poetismus des Claudius. Richtig Zimmerer 97 A. 43°", is... manu significare coepit utrisque, quiescerent (hist. 10b): Bemerkenswert die Vorliebe des Autors für coepisse. In diesem Fragment 2mal, in beiden Fällen wohl pleonastisch; sonst noch hist. 46; 72; 92; 95, in nicht sicher zu deutenden Verwendungsweisen. Die Häufigkeit wie auch der phraseologische

Gebrauch von coepisse haben eine Parallele im Bellum Hispaniense und bei späteren Vulgärschriftstellern'®. Schon ungefähr zur Zeit des Claudius hat man

derartiges als umgangssprachlich empfunden: Rhet. Her. 4,10,14 steht 2mal phraseologisches coepit; hier wird das adtenuatum genus exemplifiziert, quod ad infimum et cottidianum sermonem demissum est.

Der Konj. ohne ut ist zu allen Zeiten der Umgangssprache eigen '?. Was speziell significare angeht: Das Verb wird hier erstmals mit Finalsatz verbunden; dann Cic. Att. 3,12,3, aber in diesem wie den sonstigen republikanischen Zeugnissen nur mit ut. Wenn Zimmerer 94 von dem ‚altertümlichen“ Finalsatz ohne ut spricht, so wenigstens irreführend. pugnae facta pausa est (hist. 10 b): pausa vor Quadrigarius überliefert im Senar Plaut. Poen. 459 ego pausam feci, in verschiedenen anderen Versmaßen Plaut. Persa 818; Rud. 1205 pausam fieri; Truc. 731 pausam fecit; Enn. ann. 586 pausam fecere fremendi; frg. var. 10; Acc. trag. 290 nobis datur bona pausa lo-

quendi; Lucil. 18 pausam facit ore loquendi, Enniusparodie; Cornelia epist.

frg. 2?*. Nach dem Annalisten begegnet das Subst. mehrfach bei Lukrez ab 1,747, dann Gell. 19,5,4 und später. Der Befund erhält stärkeres Relief, wenn finis „zeitliches Ende“ zum Vergleich

herangezogen wird. Dieses Subst. bietet sich nicht nur aus semantischen sondern auch aus metrischen Gründen an: Ausgenommen Plaut. Merc. 652, kónnte an sämtlichen Dichterstellen vor Quadrigarius finis in der vorausgesetzten Bedeu-

tung metrisch durch pausa vertreten werden; außer Acc. trag. 577 handelt es Sich bei den metrisch gleichwertigen Belegen durchweg um den Akk. finem. Die Belege wenigstens bis Quadrigarius sind vollstindig Thes.VI 1,791,20ff. zusammengestellt. Mit f.f. wird im folgenden die Verwendung der Junktur finem facere bezeichnet. finis im geforderten Sinn ist überliefert im Senar Plaut.

Trin. 2, in sonstigen Versmaßen bei Plautus Merc. 652 und in der Form f. f. noch 3mal. Bei Terenz in Senaren Andr. 151 und in der Verbindung f.f. an 4 weiteren Stellen; in trochäischen Septenaren bei Terenz Andr. 821 f. f.; Ad.997

f.f. Bei Accius 4mal. Coel. hist. 38. Dies alle sicher vor Claudius zu datierenden Belege. Cic. inv. 1,33 f. f. 17 Weiteres Thes. s. v.; Heusch 64 f. 18 Zu der phraseologischen Verwendung solcher Hilfsverben allgemein Hofmann—Szantyr 796; zu coepisse besonders Lófstedt, Per. 209.

19 20

Vgl Hofmann-Szantyr 530 f. Enn. ann, 344 quae... causa (causam trad.: pausa Bergk) pugnandi fieret ist pausa keine sichere Verbesserung.

232

Die Schlußfolgerungen: Bei Plautus gehört pausa nicht sichtlich höherer Rede — weise an und darf als lebendes Sprachgut gelten; wenn das Subst. — ebenso wie ähnlich gebrauchtes finis — überwiegend außerhalb der Senare erscheint, so vermutlich aus inhaltlichen Gründen. Auch Ennius dürfte da das Wort aus der lebenden Sprache aufgreifen; vielleicht schon in den Anapästen des Accius, sicher bei Lukrez ist es Ennianismus, parodischer Ennianismus wohl bei Lucilius. Auf Fortleben von pausa in familiärer Sprache der Gracchenzeit deutet

der Beleg in dem sehr persönlichen Brief der Cornelia?'. Daß das Subst. für Quadrigarius bereits nicht mehr gelebt hat, ist nicht erweislich. Wenn Terenz das Wort meidet, dann vielleicht, weil es zu seiner Zeit als lebendes Idiom in niedrigere Sprachschichten gedrängt war. Aus einem ähnlichen Sprachgefühl heraus

mögen auch die Dichter nach Lukrez pausa verschmäht haben. Bei Quadrigarius kann facta pausa est durchaus ein Ennianismus sein (Wólfflin 22); doch steht daneben die Möglichkeit, daß pausa und die Verbindung des Wortes mit facere unmittelbar aus niedrigerer lebender Sprache stammt. extemplo silentio facto (hist. 10b): extemplo vor Quadrigarius im Senar Naev. com. 98; über 70 mal bei Plautus, davon rund 30mal

in Senaren; Enn. ann. 384;

scaen. 231; 420; im Senar Caecil. com. 160; bei Terenz in den trochäischen Septenaren Andr. 518 und Hec. 373; Pacuv. trag. 140;

Acc. trag. 385; Lucil. 129. Nach

Quadrigarius Cic. Arat. 351; Q. Rosc. 8 (codd. nonnulli, Beroaldus: exemplo codd.

plures); Varro frg. Non. p. 263,5 im trochäischen Septenar; ling. 7,13 extemplo ... est continuo; häufig in Dichtung seit Lucr. 2,763; Lieblingswort des Livius. Von den Ausdrücken ungefáhr gleicher Bedeutung sei continuo verglichen. Das Adv. bei Plautus knapp 50mal, etwa ein Drittel der Belege in Senaren; im Senar Caecil. com. 171; bei Terenz 24mal, davon 11mal in Senaren; Cato agr. 3,2; 66,1; 71; Acc. trag. 130; Lucil. 998; im trocháischen Septenar Pompon. Atell. 153; Quadrig. hist. 10 b; Rhet. Her. 3,10,18 und später. extemplo tritt also wohl gerade in der Umgangssprache im Laufe des 2. vorchr. Jh.s zunehmend zurück. Ungefáhr in der Mitte des 1.vorchr. Jh.s ist das Wort nur noch in dichterischer Sprache heimisch; wohl als Poeticum wird es von Livius aufgegriffen. Die Belege gestatten kein sicheres Urteil darüber, in welchem Stadium sich der skizzierte Prozeß zu Lebzeiten des Quadrigarius befindet. Immerhin: Wenn Cicero das Adv. in einem Passus wie Q. Rosc. 8 verwendet, so doch vermutlich als Ausdruck

gesprochenen Lateins22, propter ... inmanitatem facies (hist. 10 b): Der Gen. facies kann für Claudius nicht als Besonderheit gelten. 244 zu hist. 30. 21

Auf Umgangssprachliches in dem Latein des Bruchstücks weist Hanslik, WS 79, 1966, 304 ff. hin, der auch die Authentizität des Brieffragments untermauert. Über mógliches Fortleben von pausa im Romanischen vgl. die Meyer-Lübke 6308 modifizierenden Bemerkungen

22

von J. Corominas,

Diccionario crítico etimológico

de la lengua

castellana III, Bern 1954 s.v. posar. Zu dem Dargelegten und überhaupt zu den Bezeichnungen der Unmittelbarkeit einer Handlung Hofmann, Umgangsspr. 82 ff.

233

deinde Gallus inridere coepit atque linguam exertare (hist. 10 b): Zu coepit 232 zu hist. 10b. Dies der älteste Beleg für exsertare; danach das seltene Wort Verg. Aen. 3,425; Sen. Med. 687, und später besonders bei Dichtern. Thes. s.v. Daß das Verb für Claudius dichterisch ist, ergibt sich aus diesem Befund nicht, zumal exserere erst Caes. Gall. 7,50,2 erscheint. Thes. s.v. Der Inhalt des Satzes legt die Annah-

me poetischer Sprachgestaltung auch nicht eben nahe. Livius schreibt 7,10,5 in der gleichen Zweikampferzählung, die er doch wohl in unmittelbarem An-

schluß an Quadrigarius vorträgt”°, linguam exserere. Ihm hat das Intensivum also nicht gefallen. id subito perdolitum est cuidam Tito Manlio summo genere gnato (hist. 10 b): Zimmerer 97 will hier einen Dat. auctoris erkennen. Das wáre für den Geschichtsschreiber nicht eine antiquierte Konstruktion. Aber viel näher liegt es, perdolitum est als Konkurrenz zu unpersónlichem perdoluit Ter. Eun. 154

aufzufassen ?^, gnatus fällt auf. natus scheint sich bei dem verbal gebrauchten Part. schon zur Zeit des Terenz im lebenden Latein durchgesetzt zu haben? Aber in der alliterierenden Formulierung genere gnatus hat die alte Form wohl größere Wiaerstandskraft gehabt. Darauf deutet der Befund in der Plautusüberlieferung: Während natus hier im allgemeinen über gnatus weit überwiegt, dominiert gnatus in der Verbindung mit genere”°. Vor Quadrigarius findet sich sonst genere gnatus noch 2mal Cato or. frg. 927. Die Konkurrenz genere natus ist, von Plautus abgesehen, vor dem Annalisten überhaupt nicht mehr zu belegen, nach ihm erst Cic. Verr. II 3,62 eodem genere ac loco nati; II 5,180 qui nobili genere nati sunt. Vgl. Thes. VI 2,1888,35 ff. Die Möglichkeit, daß sich genere gnatus noch bis Claudius im lebenden Latein gehalten hat, ist nicht abzuweisen ?*.

in ipso ponti (ponte QNX: ponti rell.) (hist. 10b): Der Abl. ponti wird bei Neue23

Dagegen Zimmerer jedenfalls nicht.

24 25

So bereits Neue-Wagener III 38; zum Dat. auctoris bei mir 254 zu hist. 71. Nach Kóhm 128ff. Ergänzend kann hingewiesen werden etwa auf natus Lael or. frg. 20,22 Malc.; Scip. min. or.frg. 21,12; 21,14 Malc.; Hemina hist. 24; Calp. hist. 27. Ein gewisses Fortleben von gnatus noch nach Terenz läßt freilich Afran. com. 364 vermuten.

26 27

142 A.37; die von der Autorin vorgebrachte Begründung überzeugt

Es ist auch zu berücksichtigen, daf

die Überlieferung der Hss. zu Ungun-

sten von gnatus verzerren dürfte. Vgl die Angaben von Kóhm 129 ff. Allerdings ist, wie sich aus dem Apparat der Gelliusausgabe von Hertz, Bd. Il, Berlin 1885, ergibt, an der zweiten Stelle gnatos nur in πὶ überliefert; aber die ungewöhnliche

Form verdient vielleicht trotz der schwachen Bezeugung den Vorzug vor dem trivialen 28

29

234

natos. Von fern vergleichbar ist Ter. Ad. 297 talem, tali genere atque animo, natum ex tanta

familia. Daß bei dem gnatus des Quadrigarius die Alliteration eine Rolle spielt, nimmt übrigens schon Wölfflin 14 an.

Wagener I 365 nur hier nachgewiesen. ponte steht erst Varro Men. 494 (Iunius:

fonte trad.); Cic. S. Rosc. 100. Im übrigen 123 zu Sulp. Ruf. Cic. fam. 4,12,2. cunctabundus (7: cautabundus «: cantabundus rell.) (hist. 10 b): cunctabundus ist Liv. 6,7,2 und später belegt, cantabundus noch Petron. 62 in der Erzählung des Niceros, cautabundus nirgends. Thes. s.v. Das Part. cunctans erstmals Cic. de orat. 3,36; cantans in der Republik nur Plaut. Most. 934 und Varro Men. 348; cautare ist nicht bezeugt. Ebensowenig wie die Verteilung der Belege gibt das Suffix -bundus an sich Anlaß, an einen Archaismus des Historikers oder sonst eine Besonderheit zu denken ??.

(Manlius Gallo) ei sub Gallicum gladium successit atque Hispanico pectus hausit (hist. 10 b): Zimmerer 96 erwähnt den Dat. sympatheticus unter den

„Spuren altertümlicher Redeweise“. Eine mindestens einseitige Charakteristik”. Der Dat. sympatheticus ist gerade in der lebenden Volkssprache aller Zeiten zuhause. In der puristischen Prosa Ciceros und Caesars tritt er gegenüber dem

Gen. possessivus zurück ??. haurire in dieser Weise erstmals hier. Sonst bis einschließlich Ovid:

Lucr. 5,1324

(tauri) latera ac ventres hauribant subter equorum cornibus; Verg. Aen. 2,600 quos (propinquos) .. . hauserit ensis; 10,314 (Aeneas Theroni virorum maximo) gladio . . . latus haurit apertum; Ov. met. 5,126 (Cinyphio) haerenti latus hausit Abas; 8,371 (aper Eurytidae) rostro femur hausit adunco; 8,439 f. (Me-

leager) hausit . .. pectora Plexippi . . . ferro; 9,412 (donec) latus . . . hauserit ensis. Den nächsten Prosabeleg bietet, gewiß im Anschluß an Claudius, Liv.

7,10,10 (Manlius) mucrone subrecto cum ... insinuasset se inter corpus armaque (Galli), . . . ictu ventrem atque inguina hausit. Die späteren Belege vorwiegend in Dichtung, gelegentlich in solcher Prosa, in der dichterische Sprach-

elemente nicht befremden. Angaben nach Thes. VI 3,2573,61 ff. ?. haurire bezeichnet in den ausgeschriebenen Stücken vor allem einen seitlichen oder bzw. und von unten aufwärts geführten Stoß eines mit einer Stichwaffe Vorgehen-

den: eine Schöpfbewegung. Nur an zwei Stellen dringt der Stoß in den Bauch, 30

1. Marouzeau, L'emploi du participe présent Latin a l'époque républicaine, Paris 1910, 78 bezeichnet die Bildungen auf - bundus als tot für die gesprochene Sprache, ohne freilich den gemeinten Zeitpunkt zu verdeutlichen. Weder für die ausgehende Republik noch auch für spátere Zeit ist das Urteil in dieser Allgemeinheit gerechtfertigt. Man durchmustere

die Sammlung von Langlois, REL

39,

1961,

132 ff. Etwa flammabundus,

* foetibundus, palpabundus leben im Romanischen weiter; Meyer-Lübke s vv. Im Prinzip richtig Pianezzola 79 ff. und sonst; manche Einzelheiten bedürfen allerdings der Korrektur.

31

Pianezzola behandelt

31 ff. das cunctabundus

(? ) des Quadrigarius

ausführlich, aber für unsere Zwecke nicht sehr ergiebig. Etwas besser die Autorin 107, wo das gleiche Sprachphänomen zu den Erscheinungen gerechnet wird, „die sonst... an umgangssprachliche Züge erinnern".

32

Zu alldem insbesondere Lófstedt, Synt. I^ 225 ff. mit sehr aufschlußreichen tungen; Weiteres bei Hofmann- Szantyr 94 ff.

Beobach-

33

Thes. VI 3,2573,83 ff. werden aus frühkaiserzeitlicher Dichtung noch Verg. catal 9, 31, diese Stelle vermutungsweise, und Verg. georg. 3,105 (= Aen. 5,137) mit haurire in der vorauszusetzenden Bedeutung verknüpft. Zwingend ist das nicht.

235

nur an einer werden ausdrücklich Weichteile genannt, die als herausgerissen gedacht werden kónnten. In den Bauch dringt aber gerade das Erz, wenn es in Homers Kampfszenen

die ἔντερα herausquellen läßt, διαφύσσει:

Ilias 13,507 £.;

14,517 £5; 17,314 f. Anders Odyssee 19,450, wo der Eber viel Fleisch aus Odysseus’ Schenkel herausreißt. An eine besondere Führung des Stoßes ist bei

διαφύσσειν nicht gedacht. Weshalb entfernt sich die Gebrauchsweise von hau: rire in der lateinischen Dichtung so weit von dem διαφύσσειν Homers? Vermutlich, weil die Verwendung

des lateinischen Verbs durch einen vorpoetischen

Sprachgebrauch fixiert ist. Zu der Annahme paßt ein lang bekanntes Zeugnis. Serv. auct. Aen. 10,314 wird zu haurire erklärt: quidam militarem (Schóll: ita-

licam trad.) elocutionem putant; cum enim a latere quis aliquem adortus gladio occidit, haurit illum dicunt. Diese Redeweise werden sich die Dichter zunutze gemacht haben, um für das διαφύσσειν Homers ein lateinisches Analogon zu schaffen. Nichts nótigt dazu, den Prozeß vor Lukrez zu setzen. Bei Quadriga-

rius kann pectus hausit entgegen der Auffassung Zimmerers 113 und anderer Gelehrter durchaus unpoetisch-normale Ausdrucksweise sein. Bezeichnend die

Fortbildung der Formulierung bei Livius: Der Stoß geht nicht in das pectus, sondern in ventrem atque inguina. Homerisierende Umnuancierung**. (Manlius Gallo) humerum dextrum eodem concessu (consensu 6: concussu «: concessu rell.: congressu Gronov: conisu Mommsen) incidit neque recessit um-

quam (hist. 10 b): concessus — so die beste Überlieferung” — müßte hier etwa den Zusammenprall, das Aneinandergeraten bezeichnen. Zimmerer 103 f. verteidigt diesen Sprachgebrauch als Kunstgriff des Autors, ein etymologisierendes Zurückgehen auf die Grundbedeutung des Wortes. Aber es gibt kein sicheres Indiz dafür, daß der Annalist zu derartigen Künsteleien geneigt hätte*. Etwas

anderes kommt hinzu. Bell. Hisp. 25,7 ist einhellig überliefert: propter equitum concessum, ut supra demonstravimus. Der Kontext ist lückenhaft, doch scheint mit dem concessus hier das Gleiche gemeint zu sein wie an der Claudiusstelle;

vgl. Bell. Hisp. 25,2: equitum copiae concursus facere coeperunt. Wenn man concessus „Zusarnmenprall“ bei Quadrigarius akzeptiert, muß man das Subst. in derselben Bedeutung ebenfalls im Bellum Hispaniense anerkennen ?". Der Sprach34

Wenig ergiebig die Thes. VI 3,2573,61 ff. zu dem Thema

35

fügen läßt sich Heraeus 153. Auf sie führt auch das sinnlose consensu, Die Verwechslung von concessu mit consen-

angeführte Literatur; hinzu-

su ebenfalls Tac. dial. 25,3.

36 37

Zu delectare „ablenken“, was Zimmerer zum Vergleich heranzieht, bei mir 250 zu hist. 46. Die beiden Stellen verbindet schon Heubner 17 A.30; nach ihm A. Klotz, Kommen tar zum Bellum Hisp., Leipzig/Berlin 1927, 87. concessus „Erlaubnis“ taucht übrigens erst Cic. Cael 28 auf und bleibt, von späterer Zeit abgesehen, wie viele derartige Verbalsubst.

stets auf den AbL

beschränkt.

Thes. s. v. Erwähnung verdient in unserem

Zusammenhang noch Apul. met. 9,2,6, wo überliefert ist: sine ullo concessionis suae periculo. Hier müßte concessio einen ähnlichen Sinn haben wie unser concessus. Herausgeber pflegen, Lipsius folgend, in congressionis zu ändern. Richtig?

236

Die

gebrauch des Annalisten wáre also nicht singulár, und auch daher nicht gut als

individuelle etymologische Spielerei aufzufassen; denn eine Beeinflussung des jüngeren Autors durch den älteren kommt kaum in Betracht. Am ehesten würde man in concessus ,,Zusammenprall

ein zumindest nach Quadrigarius mehr

niedersprachliches Idiom zu erkennen haben; damit wäre auch das sonstige

Fehlen des Ausdruckes in der Literatur hinlänglich erklárt??. Allerdings hat der angenommene

Sprachgebrauch an concedere, soweit feststell-

bar, keine semantische Stütze. Vgl. Thes. s.v. Die Möglichkeit, daß beide erórterten Stellen korrupt sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Die in den Text passenden Formen von congressus bóten sich dann am ehesten als Verbesserung

an??, ne Gallus impetum icti (in ictu Q: istius ß: icti rell.: ictuis Lipsius) haberet (hist. 10 b): Der Gen. icti ist anderwärts nicht belegt. Thes. VII 1,163,80. Wenigstens bis zum Ende der Republik ist ein Gen. von ictus sonst nicht nachzuwei-

sen. (Manlius Gallum) subvertit . . .; ubi eum evertit eqs. (hist. 10 b): subvertere vorher nur Ter. Ad. 837, übertragen, nachher Lucr. 5,1136; bei Sallust ófter ab Catil. 10,4. In Dichtung gelegentlich seit Verg. georg. 3,241 (? ); Hor. epist. 1, 10,43. Auf zähes Fortleben des Verbs deutet eine Stelle wie Oribas. syn. 4, 28,10 Aa (ähnlich La) ut (serus lactis) .. . non subbertat stomacum (gr. χωρὶς ἀνατροπῆῖς στομάχου). evertere, das offenbar praktisch synonym mit dem subvertere des Annalisten wäre, vorher bei Plautus; Enn. ann. 258; Ter. Haut. 372; Acc. trag. 366; 400; dann Quadrig. hist. 8; Rhet. Her. 4,27, 37; 4,28,38; bei Cicero in verschiedener Verwendung über 100mal ab Quinct. 74; 95; S. Rosc. 115; div. in Caec.7; außerdem Cael. Cic. fam. 8,16,5 (= Att. 10,9a,5); Bell. Afr. 26,3.

Weiteres Thes.s.v. Auch dieser Befund rechtfertigt nicht die Annahme, daß subvertere bereits für Quadrigarius altertümlich ist. Anscheinend aber wird das Verb jedenfalls in urbaner Sprache schon seit Ciceros Erstlingsreden gemieden.

eam (torquem). . . sanguinulentam (hist. 10 b): torques (torquis) ist als Fem. hier erstmals sicher bezeugt; denn die Datierung von Naev. Iun. Cypr. Il. frg. 1 ist unbestimmt. Die nächsten Belege sind Varro frg. Non. p. 228, 15; Prop. 4, 10,44. Als Mask. steht das Subst. Lucil. 409; dann erst wieder Cic. fin. 1,23. Das Genus von torques ist zur Zeit des Claudius wohl noch nicht fixiert.

Zimmerer 113 deutet an, sanguinulentus sei für den Geschichtsschreiber poe38

39

Sprachliche Bande zwischen Quadrigarius und dem Bellum Hispaniense gibt es auch sonst. 232 zu coepisse hist. 10 b und sonst; 256 zu tempore magno hist. 81; 257 zu septimo hist. 82; 260 zu (de)populare hist. 95. Daß congressus, nach Thes. s. v. zum erstenmal Cic. Sull 16 zu belegen, in der vorausgesetzten Bedeutung erst Cic. de orat. 2,317 auftaucht, macht kaum besondere Schwierigkeiten.

Vgl

congressio in ähnlicher Bedeutung Quadrig.

hist. 10b. In den

Codd. werden gelegentlich incessus und ingressus verwechselt. Thes. VII 1576,60. conisus ist nicht belegt.

237

tisch^. Eine ungerechtfertigte Vermutung. Das Wort erscheint in Dichtung zuerst Tib. 2,6,40*, dann 15mal bei Ovid ab am. 1,12,12; Epiced. Drusi 320; Sen. Ag. 82. Vorher aber und sonst ist es in Prosa nachzuweisen: Von der Claudiusstelle abgesehen, Rhet. Her. 4,39,51; Varro frg. Non.p. 117,23; Non. p. 465,25; und später. Die poetischen Belege entstammen außer Sen. Ag. 82 elegischer Dichtung. Hier leitet das Adj. durchweg das zweite Hemiepes des Pentameters ein; ein bequemes Mittel^^, diesen Versteil vor dem zweisilbigen Endwort aus-

zufüllen. Nichts gibt dazu Anlaß, die Verwendung von sanguinulentus der Dichtung vor oder zu der Zeit des Quadrigarius zu vindizieren; für den epischen

Sprachgebrauch wird man das Adj. erst recht nicht in Anspruch nehmen dürfen: Selbst Ovid meidet es in epischer Dichtung vollständig. Die Verbreitung des metrisch gleichwertigen pulverulentus bietet eine gute Folie zu dem vorgelegten Befund. In Prosa erst Cic. Att. 5,14,1 und Varro rust. 3,16,20 bezeugt, erscheint es in Dichtung Cic. Arat. 25; Lucr. 5,742; Verg. georg. 1,66; Aen. 4,155; 7,625;

12,463 und einigemal später am Hexameteranfang?. In Quadrig.hist. 10 b hat sich kein einziger Archaismus oder Poetismus des Anna-

listen verläßlich nachweisen lassen^*. Manche Idiome sind dagegen mit einiger Wahrscheinlichkeit bestimmten Bezirken der Claudius zeitgenóssischen Sprache

zuzuteilen: Das 2 malige pleonastische coepit und subvertere sind wohl schon in dieser Zeit familiäre oder niedersprachliche Ausdrücke; möglich ist eine derartige Einstufung auch bei anderen Idiomen des Fragments. Gellius meint 9,13,4

über den Passus: (pugnam) Claudius ... purissime atque inlustrissime simplicique et incompta orationis antiquae suavitate descripsit. Auch Gellius hat da-

nach anscheinend nicht die Verwendung poetisch-ennianischen Sprachmaterials als Merkmal des Bruchstücks empfunden. Das Urteil des Archaisten, das in diesem Punkt durchaus von Gewicht ist, stimmt zu dem Ergebnis unserer Untersuchung. Die Darstellung des Zweikampfs war, wie ausgeführt, für epische Gestaltung besonders offen. Unter diesem Aspekt mahnt der vorgelegte Befund zu ziemlicher 40

Aber

41

rismus. Lucr. 2,631

121

A.136

42

Ovid bemüht sich niemals um einen anderen entsprechenden Ausdruck an dieser

Marouzeaus Ansicht, das Adj. sei ein Vulga-

ist sanguinolenti eine Konjektur

Versstelle, wenn 43 44

zitiert sie zustimmend

Bentleys.

sanguinulentus (-a) metrisch und

semantisch paßt; am.

3,8,10

i

sanguine pastus ist nicht ganz äquivalent. An gleicher Versstelle wie sanguinulentus verschiedentlich ab Ov. am. 1,15,4. Ein eingehender Vergleich mit der wohl unmittelbar abhängigen Erzählung Liv. 7,9,8 ff. würde dieser Feststellung noch schärfere Konturen geben. Hier soll nur auf einige Kleinigkeiten hingewiesen werden: Liv. 7,10,9 constitere steht Quadrig. hist. 10b constiterunt gegenüber; dazu 199. Liv. 7,10,9 ensis, wozu 210 Α. 4, steht

3maligem gladius Quadrig hist. 10 b gegenüber. Liv. 7,10,10 wird das haurire des Claudius homerisierend umnuanciert; darüber

235 f. zu hist. 10b.

Über das rein

Sprachliche hinaus weist überhaupt die livianische Darstellung mancherlei epische Züge auf; man halte etwa Liv. 7,10,1 neben Ilias 7,92 f. Weiteres bei Zarncke 279. Solche Züge fehlen in der Schilderung des Claudius.

238

Skepsis gegenüber der Auffassung, die Sprache des Quadrigarius sei weitgehend

vom Anschluß an Ennius oder die Dichtung überhaupt beherrscht. per sexennium vagati Apuliam ... expolabantur (vulgo: expolabatur LBA: expoliabatur AA: spolabatur CA) (hist. 11): Das Bruchstück überliefert Nonius p.480,9 unter dem Lemma spolor pro spolio. Hier gleichfalls Afran. com. 42: quos impune depopulatur [et] despolatur dedecus. Enn. ann. 619 steht spolian-

tur eos. Sonst begegnet vor Claudius lediglich exspoliare nach Thes. V 2, 1905, 51, despoliare nach Thes.V 1,7499 ff., spoliare sicher z. B. Plaut. Bacch. 1094;

Pseud. 583, Das Simplex passivisch Quadrig. hist. 10b. Der Sprachgebrauch des Schriftstellers ist schwer zu beurteilen. Man muß in diesem Falle wie auch sonst bei uns weniger vertrauten genera verbi, die Quadrigarius verwendet, wohl mit einem großen Dublettenreichtum in dem gesprochenen Latein dieser Zeit

rechnen^. Latini subnixo animo ex victoria inerti consilium ineunt (hist. 13): Zu dem Attribut in der Wendung subnixo animo bemerkt Gellius 17,2,4: quasi sublimi et supra nixo, verbum bene significans et non fortuitum. Die Verbindung scheint ihm

danach nicht geläufig zu sein. Sie findet indessen ihre Parallele Liv. 4,42,5:

subnixus et fidens innocentiae animus. Vor Quadrigarius begegnet subniti im übrigen lediglich im jambischen Septenar Plaut. Persa 307 subnixis alis me inferam, danach erst Cic. de orat. 1,246; rep. 6,21, in áhnlichem Zusammenhang wie

bei dem Annalisten, freilich anderer Konstruktion rep. 2,45: rex . . . victoriis divitiisque subnixus; vgl. auch Liv. 25,41,1; 26,13,15. In Dichtung ist das Wort selten, nach Plautus zuerst Verg. Catal. 3,1. An einen Archaismus oder Poetis-

mus des Claudius wird man nach all dem hier nicht denken. qui (adulescens) adprime summo genere gnatus erat (hist. 15): Über genere gnatus 234 zu hist. 10b. adprime bezeichnet Gellius 17,2,14 als crebrius gegenüber cumprime. adprime erscheint vor Quadrigarius Plaut. Cist. 125 (? ) im Senar, Plaut. Rud. 735 und Trin. 373 in trochäischen Septenaren, Ter. Andr. 61 im Senar, Ter. Hec. 247 im jambischen,

Eun. 952 im trochäischen Septenar; nachher Varro rust. 3,2,17; Nep.

Att. 13,3; Gell. 5,21, 1. In der Verbindung mit einem Superlativ ist das Adv. nur noch Schol. Cic. Bob. p. 158,12 belegt. Thes. s.v. Gewiß hat adprime weit 45

Zimmerer 111f. deutet in verklausulierter Formulierung an, daß die ungewöhnlichen Genera des Verbs und manche

andere auffällige Spracherscheinung bei Claudius Er-

gebnis bewußter grammatisch-analogetischer Sprachgestaltung seien. Aber bei vielen dieser Idiome sind irgendwelche Móglichkeiten einer Beziehung zur analogetischen Grammatik

nicht ersichtlich.

Und

davon ganz abgesehen:

Die Analogie ist eines der

wichtigsten in der Sprache wirksamen Prinzipien. Wenn sich bei einem Autor Formen finden, die mit diesem Prinzip zu erklären sind, so beweist das zunächst nichts für einen Anschluß

an analogetische Grammatik.

Einen derartigen Anschluß

würde

man dann erst aus einem Text entnehmen dürfen, wenn dessen Sprache in auffäk liger Weise durchweg

oder weitgehend

im Sinne der Analogie normiert wäre.

Das

ist bei Claudius nicht der Fall. 46

Über parallele Erscheinungen

Hofmann-Szantyr

167.

239

über Quadrigarius hinaus gelebt, in puristischer Prosa früh gemieden. Vgl. 230 zu hist. 7 cumprime. sibi (Lucanis) per fallacias verba data esse (hist. 16): per fallacias ist sonst nur im trochäischen Septenar Ter. Haut. 1041 nachgewiesen, wo per fallaciam metrisch nicht paßt, und Amm. 28,1,7. Der Pl. fallaciae, der etwa bei Cicero

ausschließlich steht, ist aber nichts Besonderes. Das Gleiche gilt für per fallaciam, belegt im Senar Plaut. Asin. 69, im trocháischen Septenar Ter. Phorm. 1038, dann Bell. Hisp. 22,6 und gelegentlich in kaiserzeitlicher Prosa; vielleicht ist die Verbindung wenigstens in der Republik mehr familiär. Das Material Thes.

VI 1,176,40 ff. ne id quoque (hist. 17): Dazu Gell. 17,2,18: ne id quoque dixit pro ne id quidem, infrequens nunc in loquendo, sed in libris veterum creberrimum! Lebendig ist ne — quoque also noch im 2. nachchr. Jh., wennschon Gellius nicht recht geläufig. Gewiß als Gut des gesprochenen Lateins taucht die Wendung

etwa noch Chiron. 450 auf*”. Die Konkurrenz ne — quidem bereits Plaut. Asin. 149; in Prosa seit Cato or. frg. 18,1; or. frg. 56; Cornelia epist. frg. 2; Met. Num.

or. frg. 58,6 Malc.; L. Crass. or. frg. 66,45,41; 66,45,49 Malc.; Rhet. Her. 1,16, 26. Gerade auch der anspruchsvollen Prosa scheint ne — quoque von Anfang an fremd gewesen zu sein. Wenn Zimmerer 102 die Verbindung unter dem Stichwort ,,Archaismus' erwähnt, so führt das zumindest in die Irre. parentes ... capillo passo in viam provolarunt (hist. 19): Zimmerer 100 erkennt anscheinend in capillo passo einen poetischen Sg... Nach den Belegen Thes. III 314,68 ff. wird in Dichtung, anders als in Prosa gerade der Pl. capilli bevorzugt^?; der kollektive Sg. ist etwa bei Cicero durchaus die Regel, wie Thes. III 314,70 hervorgehoben wird. capillus passus steht vor Quadrigarius in den Senaren Ter. Haut. 290 (? ) und Phorm. 106; der nächste Beleg für die Junktur ist Caes. Gall. 7,48,3 passum (a: sparsum β) capillum. Weiteres Thes. ΠῚ 315,27

ff.°°, Der Ausdruck ist für Quadrigarius fraglos nichts Besonderes?!. 47

Der Beleg bei Hofmann-Szantyr

448; hier auch Literatur. Liv. 10,14,13 ist frei-

lich doch sehr verdächtig; quando — proficeret möglicherweise in den Text gedrungene Bemerkung eines Lesers. Gell. 1,2,5; 11,5,4; 20,1,15 in Nachahmung archaischer Literatur. Hache 6.

48

steht die Verbindung wohl

Dagegen lehnt es die Autorin ab, den kollektiven Sg. von Völkernamen und Waffengattungen mit Wölfflin 18 ff. als Poetismus des Annalisten zu deuten, gewiß richtig, Derlei ist auch in der lebenden, besonders in der volkstümlichen Sprache verwur-

zelt. Darüber besonders Lófstedt, Synt. τ 12 ff.; zusammenfassend Hofmann-Szantyr 13 f. Übrigens ist Poenus Quadrig. hist. 60 nicht sicher kollektiver Sg.; und wenn Wólfflin 19 diese Spracherscheinung Sen. benef. 3,23,2 (= Quadrig. hist. 80) auf Claudius zurückführt, so ist das nicht mehr als eine Móglichkeit.

49

Jedenfalls seit Catull tritt das Subst. im übrigen in der hohen Dichtung zurück. Thes. HI

50

313, 14 ff.; Axelson 51. Nach Gell 15,15,3 ist capillo passo wie passis manibus und velis passis eine im 2.

51

nachchr. Jh. noch gebrauchte Phrase. Varro gramm. frg. 263, 229 Fun. hált nur den Gebrauch des Sg. capillus für erlaubt. Zu allem noch Bruch, WS

240

70, 1957,44 f.

Wolfflin 21 scheint provolare für dichterisch zu halten, kaum zutreffend. Das Verb, hier zum erstenmal bezeugt, begegnet in Dichtung 2mal bei Lukrez, dann

ebenso oft bei Ovid; bei beiden Dichtern lediglich die

Form provolat, eine der

wenigen Formen, in denen das Wort für den Daktyliker brauchbar ist. In Prosa ist es nach Claudius zuerst Caes. Gall. 2,19,6 zu belegen, danach häufiger bei Livius. Es ist in etwas veränderter Bedeutung im Romanischen erhalten. Meyer-

Lübke 6793 c. arrabo (hist. 20): nunc arrabo in sordidis verbis haberi coeptus, sagt Gellius 17,2,21. Noch zu dieser Zeit ist das Subst. also lebendig, freilich als verbum sordidum. Weiteres 203. plerique ... inlatebrant sese (hist. 22): inlatebrare Thes. s.v. nur hier und an abhängigen Stellen belegt. Gellius kommentiert (17,2,3): verbum poeticum visum est. Das braucht nicht mehr als eine Vermutung zu sein. Über den Charakter, den das Verb zur Zeit des Claudius hat, ist daraus kaum etwas zu ersehen. Zimmerer 105 ist mit Recht skeptisch gegenüber dem Urteil des Archaisten. sua omnia frunisci (hist. 23): Das Verb, dessen Verbindung mit dem Akk. ganz geläufig ist, erscheint seit Plaut. Rud. 1022, in Literatur aus der Zeit des Quadrigarius Novius Atell. 77, danach erst wieder im Munde verschiedener Freigelassener Petron. 43,6; 44,16; 75,3 und später. Thes. s.v. frunisci hat in der Volkssprache offenbar ein sehr zähes Leben gehabt. Die gehobene Sprache spätestens des 1.vorchr. Jh.s hat das Verb aber gemieden“2, frui erscheint in der Prosa dieser Periode seit Scaur. hist. 2; Cic. S. Rosc. 44. Weiteres Thes. s.v. Zu

dem lexikalischen Befund stimmt Gell. 17,2,5: (frunisci) rarius quidem fuit in aetate M. Tulli ac deinceps infra rarissimum, dubitatumque est ab inperitis antiquitatis an Latinum foret. Die Ausführungen des Gellius geben ein Indiz für die Verbreitung des Verbs im weitgehend puristischen Schrifttum. Über die Verwendung des Verbs in der lebenden Sprache vor Gellius kónnen sie dagegen nichts lehren und sollen es auch nicht. Der Zweifel an der Latinität des Wortes,

den die imperiti antiquitatis gehegt haben, gründet darin, daß sie es nicht bei Autoritäten finden konnten; für ein Schwinden des Wortes aus dem gesproche-

nen Latein besagt dieser Zweifel nichts ?. Romani

... praeda ... ingenti copiantur (hist. 24): copiari, von — abhängi-

gen? — Glossen abgesehen, nur hier. Thes.

s.v. Gellius bemerkt

17,2,9 zu dem

Verb: verbum castrense est nec facile id reperias apud civilium causarum oratores.

nos in medium relinquemus (hist. 25): Die Ausdrucksweise gilt im 2. nachchr. Jh. als grammatisch inkorrekt (Gell. 17,2,11), auch uns ist fast ausschließlich in

medio relinquere bekannt°*. Diese Konstruktion aber nach Thes. VIII 591,67 ff. 52

Zu dem

53

Dem fügt sich auch Paul. Fest. p. 92 ein. Vgl. 18 A.22. Die Gelliusstelle mißdeuten

54

Die bei dem Annalisten begegnende Ausdrucksweise ist, abgesehen von der Claudius-

Zimmerer

Verb auch Heraeus 64, der es richtig als „archaisch und vulgür'* einstuft. 101; Nelson

129.

imitation Gell. 7,14,9, ebenfalls Tac. Germ.

46,4 überliefert. Zimmerer vermutet

125

241

erst Cic. Cael. 48. In der Periode des Annalisten mag der Sprachgebrauch nicht fixiert sein. miserrimas vitas (vias NQ: vitas rell.) exegerunt (hist. 27): hic nimiis (Lambecius: mimis Q: mimus NO: minus(s) rell.) in otiis consumptus est (hist. 28): Zimmerer 100 meint wie manche andere Gelehrte, bei den Pl.

der Subst. mit Sicherheit dichterischen Einfluß feststellen zu können°”. Sehen wir Zu: Gellius hebt 17,2,23 keineswegs den poetischen Charakter der beiden Ausdrücke hervor, derentwegen er die Fragmente zitiert; er bemerkt lediglich: elegantia

utrobique ex multitudine numeri quaesita est^. Die Mehrzahl von vita ist bisher von dem Quadrigariusbruchstück abgesehen, an folgenden Stellen nachgewie-

sen?*: Ter. Ad. 415 im Senar; Cic. inv. 1,3; div. 1,17 im Hexameter; 2,95; Lael. 87; nat. deor. 1,52; Sall. (? ) rep. 2, 5,6; Verg. georg. 4,224; Aen. 6,292; 6,433; 6,728; Quint. inst. 12,11,20; Tac. dial. 41,5; Aug. conf. 3,6,10; serm. 196,2,2. Die

Sammlung ist gewiß nicht vollständig. Immerhin zeigen die vorgeführten Belege mit hinreichender Deutlichkeit, daß der Pl. von vita an sich keineswegs der Dichtung eigentümlich ist. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, daß mit den vitae sehr Verschiedenes gemeint ist. Am nächsten kommen dem Sprachgebrauch des Annalisten Ter. Ad. 415; Cic. div. 2,95; Lael. 87; nat deor. 1,52; Verg. Aen 6,433; an den Stellen schweben ungefähr die einzelnen Lebensläufe mehrerer

Personen vor. Auch in dieser Verwendung stellt der Pl. offenkundig kein spezi-

fisches Poeticum dar. An sämtlichen angeführten Stellen hat die Mehrzahl durchaus pluralischen Sinn. Quadrigarius mag seine Formulierung, für die das zusammengestellte Material wirklich schlagende Parallelen nicht bietet, gewählt haben, weil es mehrere Personen sind, von deren Leben die Rede ist: Unbekümmerte Handhabung der

Sprache 55, A. 151, Quadrigarius und Tacitus — letzterer durch Vermittlung Sallusts — seien in

diesem Punkt von Cato abhángig. Die Hypothese wird durch Sall. Catil. 19,5 nicht eben empfohlen:

in medio relinquemus.

Über den gesamten Komplex,

dem

der er-

örterte Sprachgebrauch angehört, Hofmann-Szantyr 276 ff. 55 56

57 58

Nach Maas 545; Wölfflin 58. nimiis in otiis hält auch Landgraf, ALL 14, 1906, 73 für dichterisch; ennianischen Einfluß vermutet hier Norden zu Verg. Aen. 6,813. Schon vorher ist die Zulässigkeit des PL vitae diskutiert worden. Plin. dub. serm. frg. 244,12 Mazz. vitas antiqui cuiuscumque nostrum dixerunt; sed grammatici pluralem numerum non putaverunt habere vitam.

Die meisten der Belege bereits bei Neue—Wagener I 630. Denkbar noch, daß vitae durch Pl. in der Nachbarschaft gestützt wäre. Eine andere Móglichkeit soll hier wenigstens angedeutet sein, obschon sie etwas gesucht ist: Das gute Latein verlangt Kongruenz

der Numeri (Cic. de orat.

3,40; vgl part.

18). Von

dieser Forderung her verstehen sich Äußerungen wie die Sisennas hist. 140 oder des Porcellus Sen. suas. 2,13. Es ist zu erwägen,

ob nicht Claudius mit seiner merkwürd+

gen Ausdrucksweise den Erfordernissen der Latinitas besonders sorgfáltig Genüge tun wollte. Damit wäre für ihn nicht eine gründliche sprachlich-grammatische Ausbildung vorausgesetzt; im Gegenteil wäre gerade bei ihrem Mangel der Wunsch verständlich,

242

Etwas anders liegen die Dinge bei nimiis in otiis. Wie die bei Neue-Wagener I 632 zusammengestellten Belege zeigen, ist der Pl. von otium spezifisch in der

Dichtung sehr häufig. Aber er erscheint hier zum erstenmal Catull. 68,104; Cic. carm. frg. 11 (de consul.), 72; Lucr. 5,1387. Daß die Mehrzahl schon in der poetischen Literatur vor Claudius eine Rolle gespielt hat, ist nicht mehr als eine Möglichkeit. Ein entsprechender Rückschluß von dem Sprachgebrauch des Annalisten würde das erst nachzuweisende poetische Element in dessen Ausdrucksweise bereits voraussetzen. Was jedoch für die zu erórternde Auffassung viel mißlicher ist: Durchaus nicht alle Pluralformen von otium sind der Dichtung eigentümlich, sondern jedenfalls bis zum Ende der augusteischen Zeit allein Nom.und Akk. otia. Die Verwendung dieser Bildungen in daktylischem Metrum hat rein verstechnische Gründe??. In Lyrik gebraucht Catull nur Singularformen von otium, ebenso in den nichtdaktylischen Versmaßen Horaz. Die Annahme, der Geschichtsschreiber habe den Abl. otiis als poetischen Ausdruck empfunden und verwenden wollen, ist ungerechtfertigt. Andere Überlegungen machen die Formulierung des Schriftstellers eher begreiflich. In Dichtung wird, wie gesagt, die Mehrzahl otia aus verstechnischen Gründen verwendet; einen begrifflichen oder empfindungsmäßigen Unterschied zwischen diesem PI. und dem sonst üblichen Sg. otium wird man hier kaum je konstatie-

ren mögen. Anders bei Quadrigarius. Erstens: Die Anwendung des Pl. dient bis-

weilen der Steigerung des Ausdruckes°®. Eben diese Nuance mag der Numerus in der Wendung des Annalisten haben, der ja von den nimia otia spricht. Zweitens: Colum. 1,8,2 ist otiis der umfassende Ausdruck für die verschiedenen Äuße-

rungen des Müßigganges, die darauf mit campo, circo, theatris usw. entfaltet werden. Es ist zu erwägen, ob nicht dem Geschichtsschreiber eine ganz ähnliche Vorstellung vorschwebt9?. Vielleicht sind beide vorgeschlagenen Deutunin einem auffallenden Einzelfalle die bekannte Regel der Techne zur Anwendung zu bringen.

59

Vgl Lófstedt, Synt. Ü 46; für den Gebrauch des PL statt des Sg. sei überhaupt auf

60

Lófstedt a. O. 27 f£. verwiesen; zusammenfassend Hofmann-Szantyr 15 ff. Vgl. etwa Rhet. Her. 4,33,45; Ps. Longin de subl. 23,2ff.; Hofmann- Szantyr 18. Ein be-

achtenswertes Beispiel für dic amplifizierende Kraft des Pl. auch Rhet. Her. 4,10,14: iste

61 62

clamare voce ista quae perfacile cuivis rubores (PBCbI: robores H: ruborem d: rumore 7) eicere potest. Die Einzahl rubor ist in Prosa wie in Dichtung, in der die Mehrzahl biscinschließlich Ovid lediglich Verg. georg. 3,307 auftaucht, durchaus das Übliche; mit Poctismen ist in dem adtenuatum genus, aus dessen Exemplifizierung der angeführte Satz stammt, ohnehin nicht zu rechnen. Der Pl. ist eben nachdrücklicher: „Dunkle Röte“. Das Adj. tritt zu otium auch Ter. Haut. 109; Cic. de orat. 3,57. Das würde bei Lófstedt, Synt. 1? 34 unter die Rubrik fallen: „Abstrakta, die wieder

holte Vorgänge, Handlungen, Zustände oder Arten bezeichnen“, Ähnlich wie die Aus drucksweise an der Columellastelle ist wohl auch Tac. ann. 14,20,4 zu deuten, die Jugend entarte gymnasia et otia et turpes amores exercendo. Verwandt ebenfalls Quint. inst. 6,2,30: inter otia animorum et spes inanes et velut somnia quaedam vi gilantium ... nos... imagines prosecuntur. Der Pl. von otium ist in beiden Passus durch die in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden Mehrzahlformen erleichtert, was

auch bei Quadrigarius der Fall gewesen sein kónnte.

243

gen richtig; sie schließen einander schwerlich aus. Auch bei dieser Betrachtungsweise gibt es Beziehungen zwischen dem in der daktylischen Dichtung üblichen Sprachgebrauch und der Formulierung des Claudius; nur sind diese Beziehungen anderer Art als man gemeinhin annimmt: Die Ausdrucksweise des Annalisten läßt uns einen Blick tun auf das natürliche sprachliche Substrat, auf dem die Anwendung des Pl. in der poetischen Kunstsprache beruht. arboreta (hist. 29): Von Glossen abgesehen, nur hier belegt, aber im Roma-

nischen erhalten. Thes. s.v. Vgl. auch Meyer-Lübke 607. arboreta ignobilius verbum est, arbusta celebratius, kommentiert Gellius 17,2,25. arbustum, das im Romanischen nicht fortgesetzt ist, begegnet seit Naev. trag. 26, in Prosa verschiedentlich seit Cato agr. 7,1; Cic. Cato 54. Thes. s.v.

Gen. facies und facii (hist. 30): Der Gen. facies steht Quadrig. hist. 10 b $9, facii ist nirgends nachgewiesen. Die Konkurrenzbildung faciei erscheint zuerst Ov. medic. tit., ist dann wenigstens bis zum Ende des 1. nachchr. Jh.s nicht mehr nachzuweisen *. Vermutlich nicht nur zur Zeit des Annalisten, sondern

noch später stehen verschiedene Formen des Gen. miteinander im Wettbewerb 55. cum non possetur decerni, utrius putaretur victoria esse (hist. 33): Nach Zimmerer 91 wären die Passivformen von posse Archaismen des Claudius. Nicht notwendig. 218 f. zu Coel. hist. 7. possetur ist vielleicht durch das folgende puta-

retur assoziiert96. non ignaviter potando (hist. 37): ignaviter nach Thes. VII 1,282,16ff. vor dieser Stelle Lucil. 537, nachher Hirt. Cic. Att. 15,6,2; Bell. Afr. 81,1, hier in der Verbindung non ignaviter. Das konkurrierende ignave nach Rhet. Her. 3,8,15 erst Cic. Tusc. 2,55. Thes. VII 1,281,82 ff.Die von Quadrigarius gebrauchte Form lebt fraglos; vielleicht ist sie schon in dieser Zeit mehr umgangssprach-

lich “7. desubito (hist. 38): Zimmerer 113 vermutet, wohl im Anschluß an Wólfflin 63

Plin. dub. serm. frg. 255,27 Mazz. ist — in plinianischem Wortlaut?

64

überliefert. Man sollte facies nicht antasten. Vgl. auch unten A. 65. Nach Thes. VII 1,44 ff. erst wieder Tert. adv. Marc. 5,11 p. 612,1; vgl

65

— os... facies aber schon

Gell. 9,14,2. Noch der ältere Plinius scheint sich über die korrekte Form nicht im klaren zu sein; nat. 35,90 geht er dem Gen. von facies bewußt aus dem Wege, indem er schreibt: partem e facie. Der aufschlußreiche Hinweis bei Sommer 396. (Plin. nat. 35,176 ist faciei nicht einwandfrei überliefert und obendrein móglicherweise

Dat.). Sehr lehr-

reich in diesem Zusammenhang Hofmann-Szantyr 68. Zu dem Gen. der 5. DekL. auf -es im allgemeinen auch die — lückenhafte — Sammlung bei Neue-Wagener 1 572. Bemerkenswert ist das Vorkommen derartiger Bildungen bei Vitruv: materies 2,9,13;

66

67

2,9,16; notities 6 praef. 5, doch wohl lebendes Latein. Zu dem Gen. auf -i Gell. 9, 14. Zu allem noch Sommer 396. Ähnliche Reimassoziationen spielen wohl auch sonst bei Claudius eine Rolle. Mit bewußter Kunst wird man in solchen Fällen kaum rechnen. Vergleichbares aus niedersprachlichem Spätlatein bei Bieler, C&M, 12, 1951, 150; 170. Zu den Adv.

auf -ter im allgemeinen Löfstedt, Per.

Svennung 537; Heusch 90 f.

244

:

278 mit Literatur; weiteres bei

21, bei dem Adv. dichterische Provenienz. In der Tat ist desubito vor Quadrigarius nur in Dichtung bezeugt. Aber das Gleiche gilt pente, subito; derepente erscheint in der Prosa der relativ oft in Dichtung. Außerdem entstammen die überwiegend Komikern, darunter auch Zeitgenossen

von den Synonymen rePeriode nur Cato orig. 95 c, Dichterbelege für desubito des Annalisten: z.B. Pom-

pon. Atell. 102; Novius Atell. 89 9, Der Befund läßt in desubito nicht einen Poetismus des Quadrigarius vermuten. Auch hat das Wort, das im Romanischen erhalten ist, offenbar immer in bestimmten Sprachschichten gelebt. Der Purismus hat das Wort verschmäht. Es gibt zahlreiche Belege etwa für subito in der Prosa seit Quadrig. hist. 10 b; Sisenna hist. 45; 104; Rhet. Her. 4,34,45; 4,52,65; Cic. inv. 1,3; 2,96; 2,97: desubito steht in republikanischer Prosa nur noch Cic. rep. 6,2, hier wohl in Nachahmung der unpuristischen Ausdrucksweise der Alten. Das Material Thes. s.v.

comprehensare suos quisque, saviare, amplexare (hist. 39): In dem Thes. s.v. nur hier nachgewiesenen comprehensare vermutet Zimmerer

106 eine dichte-

rische Form, da das Simplex prehensare am frühesten und häufigsten bei Dichtern, dann bei poetisierenden Prosaikern erscheine. Es ist mißlich, ein nirgends in Dichtung bezeugtes Wort als poetisch einzustufen. Der Hinweis auf das zu dem Kompositum gehórige poetische Simplex macht diese Einordnung nicht

besser; die Beliebtheit eines Simplex in der Dichtung bedeutet durchaus nicht, daß ein von ihm abgeleitetes Kompositum der poetischen Ausdrucksweise an-

gehört ®. Obendrein ist jedoch nicht zu erweisen, daß pre(he)nsare in der Zeit des Quadrigarius in der Dichtersprache heimisch ist. Das: Verb begegnet zuerst Cic. de orat. 1,112; Att. 1,1,1 (2mal) als Bezeichnung für das Bitten um Stimmen bei der Ämterbewerbung. Nur so oder ähnlich verwendet Livius das Wort, bei dem es sich insgesamt 12mal findet, davon 11mal in der 1.Dekade; die einzige Ausnahme Liv. 4,60,1, wo pre(he)nsare das dankbare Ergreifen von Händen meint. An den Stellen, an denen das Wort bei Vergil erscheint (georg. 4,501; Aen. 2,444; 6,360; 12,404), hat es nicht die mehr übertragene Bedeutung wie bei Cicero und normalerweise

Livius, sondern durchaus konkreten Sinn. Nach

Vergil wird das Verb noch ófter in Dichtung verwendet. Bei der Unterschied-

lichkeit des Gebrauches, den Vergil und Livius von pre(he)nsare machen, geht es nicht an, das häufigere Vorkommen des Wortes bei beiden Autoren auf den Einfluß älterer Poesie zurückzuführen; nichts steht der Annahme im Wege, daß

erst Vergil das Verb in die Dichtung eingeführt hat Ὁ, 68

desubito ist freilich in Senaren

den genannten Synonymen. 69

sehr selten; aber nicht viel anders verhält es sich mit

Hier sind offenbar inhaltliche Momente im Spiel.

Z.B. wird caedere in Dichtung gern verwendet, occidere in der gehobenen Dichtersprache gemieden, rogare ist in poetischer Literatur nicht unüblich, interrogare ver-

pónt. Axelson 65 ff.; über den Gebrauch von Simplicia statt Komposita in der Dichtung Leumann,

70

Dichterspr.

133, Weiteres bei Hofmann-Szantyr

298 ff.

Das gegen Norden zu Verg. Aen. 6,360. Im Gegensatz zu Nordens und Zimmerers

245

Von saviare (-ri) sind vor Claudius weder die deponentischen noch die aktivischen Bildungen nachzuweisen. Bei den ungefähren Zeitgenossen des Annalisten Pomponius Atell. 84 und Novius Atell. 81/2 je einmal die aktivische Form. NeueWagener ΠῚ 88”'. Das Dep. erst Catull. 9,9; 45,12; Cic. Sest. 111.

Was amplexare (-ri) angeht, so ist auch im Latein vor Quadrigarius das Dep. durchaus die Regel. Die aktivische Form in dieser Periode im Senar Acc. trag. 70, danach Petron. 63,8 im Munde Trimalchios, häufiger im Spätlatein. Thes. 11995, 10ff. An unserer Stelle ist die Verwendung des Akt. wohl durch die vorausgehenden Aktivinf. nahegelegt worden (Reimassoziation). Quadrig. hist. 41 ist ein Brief, in dem die Konsuln Pyrrhus über den Giftanschlag des Nicias informieren. Gellius, der das Fragment erhalten hat, leitet es 3,8,7 mit den Worten ein: litteras, quas ad regem Pyrrum (consules) . .. miserunt, Claudius Quadrigarius scripsit fuisse hoc exemplo. Der Annalist hat anscheinend vorgegeben, das vor 200 Jahren verfaßte Schreiben getreu zu reproduzieren. Natürlich ist in Wahrheit Quadrigarius selbst der Autor. Hätte er archaistische Neigungen, so würde er ihnen doch wohl in einem solchen Brief besonders nach-

geben 72. Wir prüfen die verdächtigen Einzelheiten. inimiciter (hist. 41): Die Bildung vorher Acc. carm. frg. 7, nachher Tubero hist.

5. Das Synonym

inimice steht erst Cic. Phil. 2,34; nat. deor. 1,5; Plancus

Cic. fam. 10, 24,6; Publil. I 19, dann einigemal bei Livius. Alles nach Thes. VII 1,1634,4 ff. inimiciter kann noch zu Tuberos Zeit lebende Konkurrenz von inimice gewesen sein und ist bei Claudius keine Besonderheit.

communis exempli et fidei ergo visum, ut te salvum velimus (hist. 41): Die Prápos. ergo ist, soweit ersichtlich, ursprünglich auf juristisch-amtliche oder sakrale Ausdrucksweise beschránkt. Auf den amtlichen Ton in dem Brief der hóchsten Beamten

kommt

es wohl auch Quadrigarius bei dem

Gebrauch

der Prápos.

ergo an; sie ist eher als sondersprachlicher Terminus denn als Archaismus aufzufassen ”°. victoriae ergo schreibt etwa später Nepos Paus. 1,3,wo er den Inhalt eines Weiheepigramms referiert; dahinter steht ein vergleichbares Motiv. Das Material Thes. s.v. id nos negavimus velle, neve ob eam rem quicquam commodi expectaret, et simul visum est, ut te certiorem faceremus, ne quid eius modi, si accidisset, nostro consilio civitates putarent factum, et quod nobis non placet pretio aut Bemerkungen

71 72

schungsfrage

73

246

gibt es bei Horaz keinen sicheren Beleg für pre(he)nsare; sat. 1,9,64

konkurriert es in der Überlieferung mit pressare. Eine zweifelhafte Konjektur Büchelers ist saviavit Pompon. Atell. 18. Welche Konsequenzen das haben könnte, illustriert die Duiliusinschrift. Zu der FálLeumann,

Glotta

27, 1939,

77 £., von wo aus man

die ältere Literatur

findet. Wie ein offizieller Brief ungefáhr zur Zeit des Quadrigarius aussieht, verdeutlicht die Epist. praet. ad Tiburt. (CIL D 586). Ein ganz ähnlicher Sprachgestus bei dem dicier Vatin. Cic. fam. 5,9,1. Dazu 126. Kaum richtig Zimmerer, wenn sie 99 die Prápos. ergo unter den für die Sprachgestaltung des Claudius symptomatischen Idiomen erwáhnt.

praemio aut dolis pugnare (hist. 41): Für Zimmerer 124 sind quicquam commodi und quid eius modi „archaische Erscheinungen“. Der partitive Gen. nach quicquam läßt sich im ciceronischen Briefkorpus fast 30 mal belegen. Häufigere Verbindungen sind: quicquam certi z.B. Cic. Att. 3,8,1; fam. 12,18,1; Cael. Cic. fam. 8,1,4. quicquam novi z.B. Cic. Att. 8,14,1; fam. 7,1,3; Cael. Cic. fam. 8,4,4. Daneben gibt es Formulierungen wie quicquam oneris Cic. Att. 9,15,5; fam. 3,5,4; quicquam firmitudinis Cic. Att. 11,14,2. Relativ oft derartige Junk-

turen auch in Ciceros Philosophica. Verhältnismäßig viel seltener ist die Ausdrucksweise in Ciceros Reden und der sonstigen Prosa, ohne doch hier zu feh-

len. So etwa Cic. Font. 11 quicquam negotii; Caes. Gall. 5,41,5 quicquam prae-

sidii ^. Der qualitative Gen. eius modi ist weit verbreitet und auch Cicero ganz geläufig. Beispiele Thes. VII 2,483,6 ff. Eine Parallele zur Annalisten Cic. Sull. 31 si quid eius modi facis. dolis wäre nach Wölfflin

Formulierung des

17 als poetischer Pl. zu werten; denn der Ausdruck

sei nur auf den Giftanschlag zu beziehen. Das überzeugt nicht ?. Der Brief ist sehr auf das Grundsätzliche abgestimmt; auch in dem uns interessierenden Satz geht es wohl um die prinzipielle Einstellung der Rómer, die natürlich auch für den konkreten Einzelfall gilt. Mit dolis werden zusammenfassend die Móglich-

keiten hinterhältiger Kampfweise umkreist; der Ausdruck ist durchaus pluralisch zu verstehen. Auch der Pl. doli als solcher ist für Quadrigarius nicht erweislich poetisch. Der Pl. kommt zwar vor Claudius ausschließlich in Dichtung vor, und hier häufiger als der Sg. Aber die poetischen Belege für doli finden sich in dieser Periode außer Naev. trag. 37 lediglich bei den Komikern; und bei ihnen ist das zahlenmäßige Verhältnis des Pl. zum Sg. in den Senaren praktisch dasselbe wie in der Gesamtheit der anderen Versmaße. Pluralisches doli liegt also der Umgangssprache plautinischer und terenzischer Zeit durchaus nicht fern. Die stereotype singularische Wendung dolus malus ist in den angegebenen Relationen nicht eingeschlossen; die Wendung bleibt auch im folgenden außer Betracht. Der Sg. steht sonst in republikanischer Literatur nur Enn. scaen. 252; Cato or. frg. 10,1; Acc. trag. 535; Rhet. Her. 3,2,3 (2mal), wo die Pluralbildung des Subst. kaum adäquat wäre; bei Cicero 5mal ab Tull. 34 statt dolus malus; ferner Verr. Il 5, 31; Lucr. 2,557 und spáter einigemal. Der Pl. erscheint in der Republik noch Rhet. Her. 4,53,66; Catull. 23,10; Cic. nat. deor. 3,73; Bell. Afr. 73,2, an all diesen Stellen in engem Zusammenhang oder in Korrespondenz mit anderen pluralischen Ausdrücken.

Recht häufig steht der Pl. bei Sallust ab Catil. 11,2, nie

dagegen bei Livius. In Dichtung ist die pluralische Ausdrucksweise beliebt seit 74 75

Die Ausführlichkeit der Darlegung, weil Hofmann-Szantyr 52 f. leicht einen falschen Eindruck von der Verbreitung des Phánomens erwecken kónnten. Gegen Wölfflins Auffassung auch Zimmerer 100. Die Autorin erklärt den PL aus der Technik

des Annalisten,

das letzte Glied zu variieren.

Die Belege, die Zimmerer

115

für dieses Stilprinzip zusammenstellt, sind zu heterogen, um beweiskräftig zu sein.

247

Verg. georg. 4,346; auf Quadrigarius läßt die seit augusteischer Zeit zu beobach-

tende Sprachpraxis keine Rückschlüsse zu. tu nisi caves iacebis (hist. 41): iacere wohl „tot daliegen", fast „tot sein". Die nächsten Belege, die Thes. VII 1,8,28 ff. nach dieser ältesten Stelle für den Sprachgebrauch angeführt werden, sind Ov. met. 13,495; Sen. contr. 9,4,2 (verba

Musae) und späteres aus der Dichtung Stammendes. Doch ergibt sich jedenfalls vor Sen. Phoen. 652 die spezifische Nuancierung des iacere wesentlich ungezwun-

gener aus dem Zusammenhang als bei Claudius. Der Befund genügt nicht, hier für Quadrigarius einen Poetismus zu postulieren. Eher ist der zitierte Schlußsatz so abrupt gehalten, weil er ein knappes vale ersetzen soll. Ausdrücke, die für Quadrigarius dichterisch wáren, lassen sich in dem behan-

delten Text nicht aufspüren. Das ist nicht verwunderlich. Recht auffällig aber ist, daß in dem angeblich so alten Brief auch keine Archaismen des Annalisten

nachzuweisen sind. Dieses Ergebnis läßt die Ansicht, Claudius archaisiere, nicht als ratsam erscheinen. hostium copias ibi (AV: copia sibi P: copia tibi R) occupatas futurum (hist.

43)/5: Der indeklinable Inf. des Fut. auf -urum ist einigemal bei Plautus zu belegen, dann Cato orig. 104; Lucil. 538; Gracch. or. frg. 48,34 Malc. im Jahre 123; Sulla hist. 20 rem perventurum esse; Val. Ant. hist. 59 omnia ... processurum esse; Cic. Verr. II 5,167 rem . . . futurum (codd. recc., Gell. 1,7,2 diserte: futu-

ram PH: esse futurum Q); Laber. mim. 51; CIL I? 2520,13, auf einer vor 40 a. Chr. datierten Verfluchungstafel. Ein sicheres späteres Zeugnis bietet etwa noch Varro rust. 1,68. Die Spracherscheinung ist zweifellos bis über die sullanische

Zeit hinaus lebendig gewesen"". Die rednerische Prosa und die an ihr orientierte Ausdrucksweise meidet aber allgemein den Inf. auf -urum wenigstens in den letzten etwa 40 Jahren der Republik: In der Rhetorica ad Herennium gibt es sicher 13 Fälle, in denen sich bei Inf. Fut. das Part. Fut. nach dem Bezugswort

richtet; in Ciceros De inventione 8 Fälle”®. Die Bildung des Inf. Fut. Pass. mit 76

Der Apparat in Anlehnung an den der Hertzschen Gelliusausgabe, Bd. I, Berlin 1883. Zimmerer 97 schlägt statt dessen copias sibi occupatas futurum vor. Möglich, aber

77

unnótig. Vielleicht noch viel länger. Vgl. Bulhart, WS

78

Text gebotenen Stellen gesammelt sind. Wenn man aus der Frequenz der Belege auf die Verbreitung der Erscheinung schließt, so wird man zu berücksichtigen haben: Ein Großteil der Belege entstammt Sammlungen der antiken Grammatiker. Andrerseits ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß den Normalisierungstendenzen der Hss. mancher Inf. auf -urum ganz zum Opfer gefallen ist. Allgemein über die Spracherscheinung letzthin noch Palmer 279; Calboli 127ff.; Hofmann-Szantyr 343. Bei diesen Angaben war der Akk. Mask. bzw. Neutr. -urum natürlich außer Betracht zu lassen. Die uns vertraute Ausdrucksweise

70, 1957, 80 ff,, wo auch schon die im

sonst schon Plaut. Asin.

363; Ter. Andr.

174 (beide Angaben nach Sommer 595); Fann. or. frg. 32,3 Malc. im Jahre 122; Lucil. 640; in den Historikerfragmenten anscheinend erst Sisenna hist. 99. Cic. Verr. II 5,167 befremdet der Inf. auf -urum etwas. Vielleicht gesetzt, weil die Erwartung

von homines tenues obscuro Joco nati wiedergegeben?

248

Hilfe des indeklinablen -urum ist außer Quadrig. hist. 43 noch nicht nachgewie-

sen. Doch lag die Ausdrucksweise als Pendant zu dem Typ -tum fore recht nahe; vielleicht zufällig erscheint sie nur bei dem Annalisten ^. ibi occiditur mille hominum (hist. 44): Der Sg. mille ist als Adj. vielleicht

erst Cic. Verr. II 4,37; Catull. 5,7 anzuerkennen. Als Subst. mit abhángigem Gen. ist mille in der Republik nicht unüblich und findet sich auch später noch. Die ältesten Belege für pluralisches Prädikat u.ä. bei derletzteren Ausdrucksweise sind Plaut. Trin. 425; Cic. rep. 6,2; Caes. civ. 3,84,4; singularisches Prädikat nach

Quadrigarius etwa noch Varro frg. Gell. 3,14,2 (=gramm. frg. 358,423 Fun.); Cic. Mil. 53 hominum mille versabatur (Z M Gell. 1,16,15: versabantur H β); Nep. Dat. 8,3 cum ... hominum mille cecidisset. Thes. VIII 975,41 ff.; 982,8 ff. Mit der

Formulierung des Annalisten ist offenbar eine der Möglichkeiten gewählt, die die lebende Sprache dieser Zeit bietet. Den Begriff des Archaismus (Zimmerer

102) sollte man hier aus dem Spiel lasssen. senatus ... noctu multà domum dimitti (hist. 45): Zimmerer 111 spricht von der „alten Lokativform noctu“ bei Claudius. noctu ist auch bei Cicero und CaeSar ganz üblich. Beachtung verdient aber die Verbindung von noctu mit adjektivischem Attribut. hac noctu steht bei Plautus sicher 5mal in trochäischen Septenaren wie Amph. 272 neben dem häufigeren temporalen Abl. hac, ea, illa usw. nocte; ferner Enn. ann. 152 hac noctu, ann. 164 noctu

... concubia; im Senar

Afran. com. 105 intempesta noctu; Laber. mim. 69 hac noctu, eine wahrschein-

liche Konjektur von Quicherat. Der Sprachgebrauch nachklassisch etwa bei Cel-

sus und in mehr umgangssprachlichem Spätlatein wie Itala lev. 6,9 (Lugd.)°®. Der Abl. temporis nocte mit entsprechendem Attribut außer bei Plautus nur Ter. Ad. 26 hac; Hec. 136 illa prima; 822 prima; Haut. 491 hac; Acc. praet. 41 intempesta; Sisenna hist. 93 concubia; Varro Men. 489 nigra; Rhet. Her. 4,41,53 multa; Cic. Arat. 82 extrema;

104 serena; 401

una;

S. Rosc. 97 una, und später

Die Verbindung des Abl. temporis nocte mit Attribut ist zwischen Plautus und

Claudius nicht so häufig zu belegen, daß sie den Konkurrenzausdruck mit noctu sicher aus der lebenden Sprache der Periode gedrängt haben müßte. Auf lan-

79

Für bewußte Sprachgestaltung des Claudius (Zimmerer 94 f.; 97) beweist die Erscheinung kaum etwas; sollte der Annalist das Part. mehr adjektivisch empfunden haben, so wäre der Ausdruck überhaupt nicht mehr auffällig. Zur Verbindung des Part. Perf. Pass mit fore Hofmann-Szantyr 395. Der Typ -tum iri begegnet bereits Plaut. Curc. 491 (nach Sommer 596); Ter. Hec. 39 f. (nach Hofmann-Szantyr 381). Mehrfach

80

dieser Inf. in De inventione: 1,68; 2,27; 115; 117; 131. In der Rhetorica ad Herennium scheint er dagegen ganz zu fehlen. Will der junge Cicero mit dem häufigeren Gebrauch derartiger Bildungen seine gute Sprachbeherrschung zeigen? Die Belege aus republikanischer Zeit stellt bereits Skutsch, Glotta 32, 1953, 307 ff. zusammen. Nach Skutsch würde das plautinische hac noctu die Nächtlichkeit der Handlung hervorheben. Aber die Stellen sind nicht so eindeutig; wenigstens weitgehend darf man wohl noctu und nocte als Synonyme behandeln. Die Angaben über den kaiserzeitlichen Sprachgebrauch

nach

Hofmann- Szantyr

147.

249

ges Fortleben der letzteren Ausdrucksweise deutet ihre nachklassische Verwen-

dung". Fabius .. . coepit hostibus castra simulare obpugnare, eum hostem delectare

(hist. 46): Über den Dat. sympatheticus 235 zu hist. 10b. Der bloße Inf. nach simulare fällt auf. Die Konstruktion verschiedentlich bei Plautus, so Aul. 463; dann erst wieder Tib. 1,5,73; Ov. met. 2,697. Auch der Akk.

des Reflexivpronomens wird mehrfach bei Plautus hinzugesetzt, so Men. 125; dann bei Terenz etwa Hec. 184, und sonst vor Claudius noch gelegentlich. Die Ausdrucksweise des Geschichtsschreibers ist aber gewif weder altertümlich noch poetisch. Das im Akk. stehende pronominale Subjekt kann zu allen Zeiten in ungezwungenerer Redeweise nach verba dicendi und sentiendi fehlen‘; mehr als eine etwas laxe Formulierung wird man in simulare mit Inf. nicht sehen dürfen. Auch mag der Gedanke des coepisse noch bei dem von simulare abhängigen Verb obpugnare mitspielen und die Verwendung des bloßen Inf. besonders nahelegen. delectare heißt hier „täuschen“, „ablenken“. Ähnlich und wie die Claudiusstelle Non.p. 97,29 unter dem Lemma delectare, inlicere, adtrahere angeführt ist Enn. scaen. 361 me Apollo ipse delectat, ductat Delphicus. Das Wort ist vor dem

Historiker noch ófter zu belegen, aber in der uns vertrauten Bedeutung. Zimmerer 103 konstatiert an der Claudiusstelie „ein gewaltsames Zurückgreifen“ auf den längst vergessenen, ursprünglichen Sinn des Verbs. Aber Itala Iudith 13,20 (Corb.); Ier. 20,7 (Wirc.) ist delectare „täuschen“ ebenfalls zweifelsfrei nachzuweisen, außerdern delectatio „Betrug“ deutlich Itala Iudith 12,16 (Corb.). Zimmerer deutet diesen Tatbestand an, ohne ihm jedoch irgendein Gewicht beizumessen. Die Kontinuität zwischen der ennianischen und der späten doch wohl

volkstümlichen Ausdrucksweise legt indessen die Annahme nahe, daß delectare „täuschen“ sich in bestimmten Schichten der lebenden Sprache seit den ältesten Zeiten gehalten hat. Daß volkstümliches Latein einen bestimmten Wort-

sinn, der jahrhundertelang aus dem uns vorliegenden Schrifttum geschwunden

ist, zäh bewahrt, kommt auch sonst vor??. adeo memorari vix potestur, ut omnes simul suum quisque negotium adorti essent (hist. 47): memorare, vielfach bei Plautus zu belegen, ist wie die Tabelle Thes. II 1830,5 ff. lehrt, jedenfalls zu Beginn des 1. vorchr. Jh.s in der Literatur gegenüber commemorare entschieden zurückgetreten. In der Rhetorica ad Herennium steht 3 mal commemorare, in De inventione 9 mal; das Simplex fehlt in beiden Schriften. Eine Ausnahme von der angedeuteten Entwicklung macht die höhere Dichtung, wo memorare seit Enn. ann. 2 in republikanischer wie in augusteischer Zeit zahlreich erscheint. Daneben hat sich das Verb anscheinend im81

Dagegen spricht nicht, daß diese Ausdrucksweise: Macr. Sat. 1,4,2 ff.; 1,4,17 ff. nach Gell. 8,1 als Besonderheit behandelt wird. Dazu

82 83

250

18 A.22.

Dazu im allgemeinen Hofmann-Szantyr 362; zu simulare im. besonderen Norberg 54 f. Vgl. 134 bes. A.67.

mer in bestimmten Bezirken der lebenden Sprache gehalten: Es ist ins Romanische eingegangen. Meyer-Lübke 5489. In Prosa steht das Wort vor Sallust Cato or. frg. 2; Quadrig. hist. 47; bei Cicero nur an Stellen mehr gehobener

Sprechweise: Verr. II 4,10755; leg. 2,62; Tim. 39; so wohl auch Att. 8,7,2 (Ausdruck des Atticus? )°®. In den sicher echten Sallustiana das Simplex 21 mal ab Catil. 3,2, das Kompositum nur Catil. 59,6. Bei Livius überwiegt memorare besonders in der 1. Dekade (28 mal ab 1,7,4) über commemorare (2 mal: 3,56,9; 6,20,7). Das Verhältnis von Simplex zu Kompositum ist in den späteren Dekaden 24 zu 27. Den erwähnten Belegen für memorare in der vorsallustischen Geschichtsschreibung steht commemorare Quadrig. hist. 73 und Macer hist. 6 gegenüber. Claudius kann natürlich memorare im Anschluß an Ennius gebraucht, er kann das Verb aber auch unreflektiert als Wort des lebenden Lateins aufgegriffen haben. Bei Sallust und Livius kommt die letztere Interpretationsmóglichkeit weniger in Betracht; doch das beweist nichts für Claudius. Im übrigen besteht kein Anlaß zur Annahme,

daß memorare

bei Claudius oder überhaupt

in der vorsallustischen Geschichtsschreibung im gleichen Maße gegenüber commemorare bevorzugt worden ist wie bei Sallust oder Livius in der 1. Dekade. potestur braucht entgegen Zimmerer 91 kein Archaismus des Annalisten zu sein. 218f. zu Coel. hist. 7. praeclariter (hist48): Die Bildung, abgesehen von Prisc. gramm. HI 71,4, von Neue-Wagener II 732 nur hier nachgewiesen. praeclare erscheint erstmals Cic. S. Rosc. 37. clare demgegenüber schon bei Plautus, clariter erst im Spätlatein. Thes. s.v. quod verminatum ne ad cancer pervenerit (hist. 49): verminatum, wohl Subst. ,Würmerkrankheit", scheint sich lange gehalten zu haben. Das Wort wird als erklärende Glosse Gloss. II 434,33 gebraucht: σκωληκίασις verminatum (e: vermiculatum a). Dies die einzigen Belege. Selten verminatio, erstmals Sen. epist. 78,9, in etwas anderer

Bedeutung.

Mit dem Fragment wird Prisc. gramm.II 232,14 ff. das Neutr. cancer belegt, unter der Bemerkung: quod neutrum etiam invenitur, sed quando morbum significat. Die übrigen antiken Äußerungen zur Genusfrage Thes. III 228,26 ff. Das Neutr. ist hier zuerst nachzuweisen, sicheres Mask. vorher Cato agr. 157,3. Weitere Nachweise für das Neutr. bei Neue-Wagener I 977. 84

85

86

Hier wird als Bedeutung für das Verb, soweit es dem Romanischen zugrundeliegt, „erinnern“ angegeben. Doch ist kaum angebracht, deshalb das Fortleben des Verbs über Quadrigarius hinaus streng auf die Bedeutung „erinnern“ zu beschränken: Begriffskomplexe wie „erinnern“, „berichten“, „darlegen“ stehen einander viel zu nahe. Nelson 107 f. möchte das recht häufige Vorkommen von memorare bei kaiserzeitlichen Autoren vorwiegend als umgangssprachlich deuten; in dieser Allgemeinheit wohl übertrieben, etwa für Celsus aber möglicherweise richtig. Dazu Verr. II 4,109 iamdudum vereor, ne oratio mea aliena ab iudiciorum ratione et cotidiana dicendi consuetudine esse videatur.

fin. 2,15 scheint Zitat zu sein; vgl etwa 1, S. Reid in seinem Kommentar, Cambridge 1925 z. St.

25]

alternatim (hist. 50): Für das Adv. vermutet Zimmerer 113 dichterische Provenienz. Das Wort ist in Dichtung nicht zu belegen. Die Claudiusstelle bietet das erste Zeugnis, danach alternatim erst wieder Amm. 29,2,28. Von den Synonymen findet sich zuerst alternis ab Lucr. 1,524. Thes. s.vv. et dicerent castra facta esse atque hos cohortarent, uti maturarent (hist. 54): Auch vor Quadrigarius ist der deponentische Gebrauch von hortari und Komposita das Normale. Von der ciceronischen Sprachgewohnheit wird lediglich beim Part. Perf. abgewichen. Passivisches cohortatum steht Cato orig. 101; so begegnet das

Part. öfter ebenfalls in später Zeit. Thes. III 1561, 40ff. adhortatus mit passivischem Sinn zuerst Hemina hist. 40, dann einigemal bei Livius und im Spätlatein. Thes. I 652,57 ff. Der aktivische Gebrauch von hortare oder Komposita ist vor dem Annalisten nicht zu belegen, nach ihm sporadisch; so exhortavit Petron. 76,10 im Munde Trimalchios. Es ist mit einer Unsicherheit des lebenden Sprachgebrauchs zu rechnen. Bei der Wahl des Aktivs werden an unserer Stelle die in der Umgebung des Wortes verwendeten Aktivverben eingewirkt

haben. is ubi Dacium cognovit et patria eum recordavit (hist. 55): Der Sinn des Fragments ist nicht klar; vielleicht ist es nicht richtig überliefert?". Bereits vor Quadrigarius ist das Dep. recordari bezeugt Plaut.

Men. 972; Most. 84; Pacuv. trag. 36;

Acc. trag. 346, das Akt. erst hier, danach Varro ling. 6,46 und, von unsicheren

Zeugnissen abgesehen, in der Itala und sonstiger später christlicher Literatur °®. Artorius Taureae dextrum umerum sauciat (hist. 56): Taureae vielleicht Dat.

sympatheticus®?. Bei Quadrigarius nicht auffällig. 235 zu hist. 10b. paene factum est, quin castra relinquerent atque cederent hosti (hist. 58): Romam venit; vix superat, quin triumphus decernatur (hist. 70): Gellius bemerkt 17,13,5, quin sei an diesen Stellen obscurissime gebraucht. Er erwartet offenbar ein ut statt eines quin, versteht also: „Fast geschah es, daß sie das Lager verließen‘; und: ,,Mit Mühe setzt er durch, daß ein Triumph beschlossen

wird“. Die Deutung ist bei hist. 58 wahrscheinlich, bei hist. 70 gewiß richtig”. Die Ausdrucksweise des Annalisten hat keine genaue ältere Parallele. quin ver87

88

89

90

252

Den verschiedenen Heilungsversuchen fügt Zimmerer 96 hinzu: patriam recordavit. Faktitive Bedeutung wird für recordavit Neue-Wagener III 17 angenommen; dazu auch die folgende A. * Varro ling. 6,46 recordare rursus in cor revocare; das Akt. soll die Etymologie móglichst evident erscheinen lassen. Homer. 626 ist recordat Variante zu recordans; Synon. Cic. p. 443,5 retineo. recordo. respicio ist Haplographie des r denkbar. Wenn das Schwanken zwischen recordo und recordor Prisc. gramm. II 396, 10 ff. den antiqui zugeschrieben wird, so gibt das natürlich keinerlei Handhabe, den Sprachgebrauch des Annalisten für antiquiert zu halten. Entschieden dafür Zimmerer 96 A.36 mit der Begründung, der possessive Gen. werde bei dem Annalisten „gewöhnlich nachgestellt“. Ein schwaches Argument angesichts des geringen Umfanges der Textmenge, aus der die Regel herausgelesen wird. Eine auffallende Parallele Cic. inv. 2,111 tu postulat.

(Crassus) Romam

redit; triumphum

ab sena-

bindet sich jedenfalls vor Claudius nur dann mit einem durch vix eingeschränkten Verb, wenn es sich um ein Verb des Hinderns, Anhaltens handelt; so z.B.

Plaut. Cas. 239 vix teneor quin . . . dicam. Eine entsprechende Verbindung von paene und quin ist in dieser Periode nicht belegt. Immerhin ließe sich die Konstruktion hist. 58 vielleicht als Ergebnis analogetischer Sprachentwicklung deu-

ten. hist. 58 paene factum est quin könnte aus fieri non potest quin (Ter. Hec. 397) entwickelt sein; das Muster wäre etwa das Verhältnis von nequeo contineri quin (Plaut. Men. 253) zu vix me contineo quin (Ter. Eun. 859). Natürlich braucht der Annalist dabei nicht bestimmte Textstellen im Auge zu haben

oder überhaupt die Sprache bewußt zu gestalten. Die Formulierung hist. 70

bleibt sonderbar?'. Jedenfalls aber veranlaßt nichts zu der Annahme von Archaismen ??, ne nos ad certationem censeas haec incepisse (hist. 59): certatio ist für Quadrigarius keine Besonderheit. Vgl. Thes. s.v., wo etwa Rhet. Her. 4,30,41; Cic. Quinct. 68; fin. 2,44. aliquantisper pugnato nihil promovet Poenus (hist. 60): In aliquantisper vermutet Zimmerer 113 einenPoetismus. Die einzigen Dichterbelege und überhaupt die einzigen Belege vor Quadrigarius bieten die Senare Plaut. Pseud. 571; Caecil. com. 45; Ter. Ad. 639; außerdem

der trochäische Oktonar

Ter. Haut. 572. Danach

das

Adv. erst Flor. epit. 2,18,14. Thes.s.v. Die Konkurrenz aliquamdiu steht nach Thes. s.v. ab Cic. Verr. II 1,139. aliquantisper kann für den Annalisten fraglos gelebt haben; dichterisch war das Wort nie. promovere hat vermutlich den Sinn von proficere. So alle Belege vor Claudius. Ter. Andr. 640 recht deutlich als Ausdruck der lebenden Sprache: aliquis dicat: nil promoveris; in den Senaren Ter. Hec. 703 promoveo parum und Eun. 913 nil promoves, hier wohl doppelsinnig auch „sich vorwärtsbewegen“. Dann der Sprachgebrauch aufer bei Claudius erst wieder Fronto p. 49,3 v.d.H. (7p. 53 N.); Gell. 5,10,7; vielleicht nur künstlich. Wenn promovere in der vorausgesetzten Bedeutung jedenfalls aus der Schriftsprache schwindet, so vermutlich durch proficere verdrángt. Dieses Verb erscheint seit Lucil. 1021; Rhet. Her. 4,26,35. Zu Lebzeiten des Quadrigarius kann die behandelte Verwendung von promovere

durchaus im gesprochenen Latein heimisch gewesen sein”. 91

Als Folie sei noch erwähnt Plaut. Men. 192 superas facile, ut superior sis. Ein Finalsatz nach durch vix eingeschränktem Verb des Bewirkens Plaut. Cist. 541 vix exscul-

92

Zimmerer 94 spricht im Zusammenhang mit den behandelten Ausdrücken vage von „einer Anlehnung an die Freiheiten der archaischen Sprache“. Der Gebrauch von quin erfährt auch bei Cicero, Caesar und Späteren noch mannigfache Erweiterungen.

93

Denkbar wäre auch, daß promovere hier konkret „sich vorwärts bewegen“ heißt. Für diese intransitive Bedeutung wäre die Stelle der älteste Beleg, abgesehen von Ter. Eun. 913; sie findet sich dann wohl Cels. 7,26,2 N.; etwas anders nuanciert etwa Itala exod.

si, ut diceret.

Hofmann-Szantyr

14,19 (Cypr.

testim.

678.

2,5); weitere Italastellen bei H. Rónsch,

Semasiologische

Beiträge

usw., III. Heft: Verba, Leipzig 1889, 68. Die Intransitivierung transitiver Bewegungs-

253

animos eorum habentia inflarat (hist. 61): Zu habentia wird Non.p. 119,31 erklärt: ab eo quod est habere. Das Subst. nur hier. Thes. s.v. Flacco ospicatur (hist. 71): Zimmerer 91 deutet die Verbform als Pass. und faßt 97 Flacco als Dat. auctoris auf. Die erste Annahme ist akzeptabel. Das Dep. auspicari?* erscheint erst Varro ling. 6,16; Cic. nat. deor. 2,11; das Akt., das noch bei Atta com. 9 begegnet, ist vor dem Annalisten recht häufig zu belegen. Thes. s.v. Die zweite Annahme muß bei dem Fehlen des Zusammenhanges zweifelhaft bleiben. Ohnehin ist der Dat. auctoris durchaus nicht im vorciceronischen Schrift-

tum besonders üblich”, Er ist im Gegenteil im Altlatein auch in Verbindung mit dem Part. Pass. nicht häufig zu belegen ”, ausgesprochen selten bei finiten Verb-

formen”, populus murmurari coepit (hist. 72): Dies der älteste Beleg für das Dep.; murmurare schon etwa Plaut. Aul. 52. Thes. s.v. commemorant Graccho foedus prior Pompeianum non esse servatum (hist. 73): Zimmerer 97 Α. 43 rechnet mit dichterischer Beeinflussung des Fragments; es sei der einzige Fall, in dem der Dat. der Person neben den a.c.i. zu commemorare trete. In der Tat hat sich die Spracherscheinung bisher an keiner anderen Stelle finden lassen. Neben nominalem Akkusativobj. oder seinem Ersatz steht der Dat. sonst nur Lucr. 1,400; Caes. civ. 1,8,4; Sulp. Ruf. Cic. fam. 4,5,4 und spáter gelegentlich. Thes. III 1832,23 ff. Der Befund gibt keine Handhabe, in dem Claudiusfragment poetische Züge anzunehmen. Über das Neutr. prior in diesem und dem folgenden Fragment 212 zu Hemina

hist. 31. prior bellum . . . meminissent (hist. 74): In meminisse mit Akk. erkennt Zimmerer 95 f. eine „gewisse Anlehnung an den Gebrauch des alten Lateins". Die Konstruktion ist weit über Quadrigarius hinaus üblich. Thes. VIII 647,43 ff., wo etwa Cic. Phil. 1,34. vesperi Numantinis incidit (hist. 75): incidere mit Dat. hàlt Zimmerer 97 für ein „erstes Beispiel einer poetischen Konstruktion“. Die Autorin begründet die

Ansicht mit wenig überzeugenden Darlegungen. Die Belege Thes. VII 1,902,609 ff., deren nach dem zitierten Fragment ältester Cic. Verr. II 2,182 ist, geben keinen verben ist keine seltene Erscheinung.

94 95

Dazu Hofmann-Szantyr

35; zu intransitivem mo-

vere Thes. VIII 1546, 11 ff. ospicari statt auspicari nur bei Quadrigarius. Über o statt au Bruch, Glotta 26, 1938, 145 ff. Das scheint Zimmerer 96f. zu denken, die den Dat. auctoris als ,,altertümliche Verwendung des Dativs" kennzeichnet. Die anderen Belege, die die Autorin für diese Konstruk-

tion bei dem Geschichtsschreiber aufspüren zu kónnen glaubt, kónnen noch weniger anerkannt werden. Vgl. 234 zu hist. 10b; 248 A. 76 zu hist. 43.

96 97

Dazu Tillmann, Act. sem. ErL 2, 1881, 77 £.; vgl. auch die Darstellung von HofmannSzantyr 96 f. C.E. Bennett, Syntax of Early Latin II, Boston 1914, 170 führt einen einzigen sicheren Beleg aus dem archaischen Latein an: Acc. trag. 284; denn Plaut. Rud. 956 a; 958 gehóren natürlich nicht hierher. Belege aus Cicero bei Tillmann

254

a.O.

79 ff.

hinreichenden Anlaß, die Ausdrucksweise als Poetismus des Annalisten einzustufen. Metellus ... venit cum mortalibus multis (hist. 76): Gellius, der 13,29,1 die

Stelle zitiert, knüpft an sie eine vielleicht wahre Anekdote: cum ... cuidam haut sane viro indocto videretur mortalibus multis pro hominibus multis inepte frigideque in historia nimisque id poetice dixisse, tum Fronto illi, cui hoc videbatur: ‚mil... arbitrare causae fuisse, quod vir modesti atque puri ac prope cotidiani sermonis mortalibus maluit quam hominibus dicere? Fronto legt dann dar,

daß cum multis mortalibus bei Claudius besonders emphatisch sei, und schließt mit der Warnung: videte . . ., ne existimetis semper atque in omni loco mortales multos pro multis hominibus dicendum (13,292 ff.). Die Interpretation von Gellius-Fronto ist nur dann sinnvoll, wenn mortales bei Quadrigarius ziemlich selten war. Überdies indiziert die Charakteristik, die Fronto in Abwehr des Vorwurfes nimis... poetice dem sermo des Annalisten zuteilwerden läßt: Jedenfalls im 2. nachchr.Jh. fand man in der Sprache des Claudius wenig poetisches Gut. Das sind wich-

tige Aufschlüsse. Die Deutung aber, mit der mehr als 200 Jahre später die Stilintention des alten Autors erfaßt werden soll, kann als solche für uns nicht verbindlich sein.

multi mortales findet sich in verschiedenen Kasus noch bei Cicero div. in Caec.

5; Pis. 77; hinzu kommt plurimisque mortalibus Cluent. 202. Weit verbreitet ist bei Cicero die Verbindung omnes mortales; Thes. VIII 1510,53 ff. In diesen

Junkturen ist mortales praktisch synonym mit homines. Verwendet Cicero das Subst. mortalis sonst, dann mit dem sehr deutlichen Nebensinn menschlicher

Vergänglichkeit und Beschránktheit??, Der ciceronische Sprachgebrauch legt nahe, die Wendung multi mortales als besonderes Phänomen von mortalis zu

trennen. Die übrigen Belege für die Verbindung bieten in der Republik Naev. carm. frg. 5,1; der Senar Plaut. Men. 30; Cato or. frg. 9 (2 mal); Varro Men. 28 im Senar. Die Junktur ist also durchaus nicht ein spezifisches Poeticum, wie sie denn auch wenigstens bis zum Ende der augusteischen Zeit in Dichtung sonst

ganz fehlt. Die Konkurrenz multi homines: Plaut. Capt. 326; 554; Mil. 170; 733; Truc. 74 multis (mulier trad.) hominibus; dann in republikanischer Zeit nicht ganz 15 mal bei Cicero seit Verr. 1,19, hinzu kommt Q. Cic. pet. 29. Be-

rücksichtigt man jedoch, daß die republikanischen Belege für multi mortales ebenso wie jedenfalls noch die sallustischen - nie ein weiteres Attribut haben,

dann reduzieren sich die republikanischen Prosabelege für die synonyme Junktur anscheinend auf Cic. Arch. 15; Font. 4. multi mortales muß unter diesen Umständen bei Quadrigarius als normaler Prosaausdruck für „viele Menschen“ gelten. mortalis statt homo findet sich außerhalb der ciceronischen Verbindungen etwa Plaut. Aul. 314 mortalem ... parcum; Bacch. 293 mortalis malos; Pseud. 519

mortalem graphicum. Der republikanischen Prosa ist dieser Sprachgebrauch fremd, nicht aber der Dichtung. Überhaupt ist mortalis gerade in hóherer Dich98

Etwas anders nur Cic. div. 2,30 über Demokrit: o mortalem beatum. Ein ironischer Ausruf von bewußt übertriebenem Pathos. Gleich danach wird mit huncine hominem auf die vorherige Stilhöhe zurückgekehrt,

255

tung als Adj. oder Subst. weit verbreitet; hier etwa schon Enn. scaen. 5, weite-

res Thes. s.v. passim. Dieser reichliche poetische Gebrauch des Wortes wird das Urteil nimis ... poetice über multi mortales hervorgerufen haben. grundibat graviter pecus suillum (hist. 77): Das Impf. auf -ibam ist weder

zur Zeit des Schriftstellers noch überhaupt jemals aus dem gesprochenen Latein geschwunden; in puristischer Prosa wird die Bildung gemieden”. Daß das

Fragment einen Phalaeceus ergibt 9, ist wohl Zufall. equae (eque L! : equae rell.) hinnibundae (hinnibunde FH! L! ?: hinnibundae: rell.) inter se spargentes terram calcibus (hist. 78)!?!: hinnibundus nach Thes. s.v. nur hier und in abhängigen Glossen'”. Das Part. hinniens zuerst Laev. carm. frg. 27; Quint. inst. 7,3,3. spargere verdient einige Bemerkungen. Zwar ist das Verb an sich keine Besonderheit. Es steht verschiedentlich in Reden Ciceros, so Phil. 3,16 nummos ... de rostris spargere. Es lebt auch im Romanischen fort; Meyer-Lübke 8120. Aber in der hier anzunehmenden Verwendungsweise „(die Erde) aufwirbeln“ kommt spargere mindestens bis zum Ende der augusteischen Zeit nur in Dichtung vor: Verg. ecl. 3,87 (= Aen. 9,629); georg. 3,234 (=Aen. 12,106); Ov. trist. 4,9,29. In Prosa Sen. dial. 3,1,6. Bei all diesen Belegen handelt es sich um denselben Vorgang und dieselbe Junktur: Ein Stier spargit (pedibus) harenam. Es ist sehr gut denkbar, daß erst Vergil Sache und Ausdruck in die Dichtung eingeführt hat.

Als Eigentümlichkeit der republikanischen Dichtung kann spargere terram auch deshalb nicht gelten, weil ein außerpoetisches Pendant in der Periode zu fehlen scheint: Jedenfalls ist bei den Komikern und in Prosa die Verknüpfung von harena, pulvis, sabulum, terra mit einem Verb, das spargere entspräche, nicht nachzuweisen. est quod speremus deos bonis bene facturum (hist. 79): Der indeklinable Inf. Fut. auf -urum hat für Claudius noch gelebt. Einzelheiten 248 zu hist. 43. cum Sylla conatus esset tempore magno (hist. 81): tempus magnum „lange Zeit" hier erstmals, dann Bell. Hisp. 12,4; Manil. 3,638; spáter nur in Prosa.

Thes. VIII 125,54 ff.!9? 99

S. 18 A.22; ferner die Darlegungen des Aufustius gramm.

frg. 492,

1 Fun.

100 Bemerkt von Maas 546. 101 Die textkritischen Angaben nach der Noniusausgabe von Onions, Oxford 1895. Zimmerer 112 will wie L. Müller equei hinnibundei lesen; dahinter vermutet sie ein poetisches Vorbild. Nun wäre für Quadrigarius die Schreibweise -ei statt -i in der Tat durchaus denkbar, ohne freilich etwas mit der Einwirkung dichterischer Literatur zu tun zu haben. Vgl. etwa Sommer 73; Pap. Corp. 246. Aber an unserer Stelle ist die Schreibung

-ei nicht akzeptabel. Sie wird im Gegensatz zur Schreibung -ae nicht im mindesten durch die Hss. gestützt. Zimmerer 112 f£. macht sich noch manche anderen Gedanken über die Orthographie der Quadrigariusfragmente. Es scheint mir nicht lohnend, darauf einzugehen.

102

Zu den Bildungen auf -bundus 235 A.30. Zu dem vorliegenden Fragment noch Pianezzola 97 ff., der hier poetischen

103 Vgl. noch Heraeus 117.

256

Stil findet;cinen exakten

Beweis versucht der Autor

nicht.

Claudium ... Marium creatum septimo consulem dixisse (hist. 82): Zimmerer 93 móchte septimo mit dem Konservativismus der Historiographensprache er-

klären und verweist auf Coel.hist. 59. In Wahrheit schwankt der lebende Sprachgebrauch. 223 zu Coel. hist. 59.

ecquando te nostrum et rei publicae miserebitur (hist. 83): Bei unpersónlichem Gebrauch des Verbs ist auch vor Claudius das Akt. normal. Thes. VIII 1120, 20 ff. Das Pass. ist vor allem durch den Perfektstamm vertreten. Thes. VIIT 1120,66 ff. Indessen begegnen bei der unpersónlichen Verwendung des Wortes Passivbildungen des Präsensstammes auch etwa L. Crass. or. frg. 66,25 Malc. im Jahre 106, spáter sogar noch Cic. Verr. II 1,77. Thes. VIII 1120,73 ff. Die Aus-

drucksweise des Geschichtsschreibers ist somit im Gegensatz zur Meinung Zimmerers 91 nicht ungewóhnlich.

sagittarius cum funditore utrimque summo studio spargunt fortissime (hist. 85): spargere ist bei Quadrigarius an sich nicht auffallend; vgl. 256 zu hist. 78. Bemerkenswert wird das Verb durch den hier anzunehmenden Sinn „schießen“. Die nächsten Parallelen bieten Enn. ann. 153 postquam defessi sunt .. . spargere sese hastis; mit dem Geschoß

als Objekt Enn. ann. 284 hastati spargunt hastas;

frg. var. 14 sparsis hastis longis; Verg. Aen. 7,687 pars ... glandes ... plumbi spargit; 8,695 und weitere Stellen augusteischer Dichtung. Hinzu kommt Paul. Fest.p. 331 spara ... a spargendo dicta. Bei den Prosaikern republikanischer Zeit, Sallust und Livius fehlt das Verb in dieser Verwendungsweise. Vor Claudius transitives iacere vom Versenden von Geschossen nur Lex XII tab. 8,24 a (Cic. top. 64 al.); Plaut. Trin. 668; Enn. ann. 408; scaen. 33; Lucil. 361; Thes. VH

1,33,74 ff. iactare in dieser Weise nur Enn. ann, 74; Lucil. 776; Thes. VII

1,49,38 ff. iaculari in dieser Weise nie; Thes. VH 1,72,22 ff. mittere nur Enn. ann. 172; 364; 544; Quadrig. hist. 85; Thes. VIII

1163,56 ff. Wenn

spargere tran-

sitiv „schießen“ vor dem Annalisten lediglich in der durch Ennius vertretenen hóheren

Dichtung erscheint, so also móglicherweise

allein deshalb, weil in

nicht poetischer erhaltener Literatur der Periode kaum Gelegenheit besteht, einen derartigen Ausdruck zu verwenden. In augusteischer Zeit ist dieser Sprachgebrauch allerdings poetisch; aber das besagt nichts für Quadrigarius. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß spargere ‚schießen‘ bei dem Annalisten absolut steht; dafür bietet die Dichtung jedenfalls bis einschließlich Ovid keine Parallele. Für absolutes iacere, iactare, iaculari, mittere „schießen“ wird im Thes. kein sicher vor Claudius zu datierender Beleg verzeichnet. Unter diesen Umständen muß offen bleiben, ob spargere Quadrig.hist.85 ein Poetismus ist. Durch die ganze Art seiner sprachlich-stilistischen Gestaltung legt das Fragment die Annahme eines dichterischen Idioms jedenfalls nicht nahe. a pinnis hostis defendebant (hist. 85): „Sie hielten die Feinde von den Zinnen fern." In der von dem Historiker gebrauchten Konstruktion erkennt Zimmerer 99 „deutliche Spuren poetischer Vorbilder", unter Berufung auf Ov. rem. 625 proximus a tectis ignis defenditur aegre. Hier gehört a tectis doch wohl ebensosehr zu proximus wie zu defenditur. Die beiden einander entgegengesetzten Be-

257

griffe werden besonders miteinander verklammert. Hinter der ovidischen Konstruktion des defendere steht also eine ganz individuelle Stilisierungsintention. Dementsprechend ist der Ovidpassus der einzige Dichterbeleg, der Thes. V 1,294,

69ff. für die Ausdrucksweise angeführt wird. Daneben wird auf Rut.Lup.2,7; Gell.5,8 tit.; 17,11,6 verwiesen; hinzufügen läßt sich Pallad. 10,18. Für die Beurteilung der bei Claudius begegnenden Formulierungen ist es gleichgültig, daß derselbe Sprachgebrauch rund 80 Jahre spáter in der skizzierten Weise an einer Stelle der Dichtung verwendet wird, zumal es sich nicht einmal um hohe Dichtung handelt. enim cum partim copiis (corpus Q: copiis rell.) hominum adulescentium (adu-

lescentü X: adholescenciü Q: adulescentium rell.) placentem sibi ... (hist. 87): Dies das ganze Fragment, wie es Gell. 10,13,4 erhalten ist!''. Die Voranstellung von enim findet Wölfflin 21 bei „den Dramatikern" parallelisiert;Zimmerer 102 denkt zógernd an einen Archaismus des Annalisten.Mit affirmativer Bedeutung steht

enim verschiedentlich bei Plautus und Terenz an der ersten Stelle des Satzes; Thes. V 2,572,19ff. passim. Für enim mit kausaler Bedeutung ist diese Stellung zu sichern Lucr. 6,1277 (?); Varro ling. 7,11; Vitr. 4,1,11 und später; Thes. V 2,575, 1 ff. Der genaue Sinn von enim in dem Quadrigariusfragment ist nicht festzustellen. Der Befund macht die Annahme eines Archaismus jedenfalls nicht positiv wahrscheinlich. Überdies ist nicht undenkbar, daß das Fragment auch am Anfang verstümmelt ist. Gellius führt 10,13,2 vor dem Bruchstück Cato or. frg. 57,2 cum partim illorum an „mit einem Teil von jenen“. Zu dem Claudiusfragment bemerkt er 10,13,4: Claudius ... insolentius paulo hac figura est . . . usus. Wirklich ist der syntaktisch durchsichtige catonische Gebrauch des substantivierten Adv. von der Ausdrucksweise

des Quadrigarius recht weit entfernt; denn bei ihr handelt es sich

jedenfalls nicht einfach um ein substantivisch aufgefaßtes Adv. mit abhängigem Gen. Über diese negative Feststellung hinaus läßt sich das Claudiusfragment nicht sicher deuten; nicht einmal der prápositionale Charakter des cum ist zwei-

felsfrei. Nahe läge es wohl, partim in cum (Präpos.) partim copiis als Übertragung des erstarrten Akk. des Ganzen und des Teils auf einen anderen Kasus zu interpretieren 5, Von einem Archaismus des Annalisten wird man jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht sprechen.

homo adulescens steht noch etwa Cic. Phil. 2,26; weiteres Thes. 104

105

1794,83 ff.!%.

Der Apparat nach der Gelliusausgabe von Hertz, Bd. H, Berlin 1885. Zimmerer 92 empfiehlt, einen Vorschlag Lions etwas variierend, adulescentum placentum sibi, Móglich, mehr nicht. Zu allem Hofmann-Szantyr

46f., wo allerdings auf Quadrig.

hist. 87 und

89 nicht

eingegangen wird; dasselbe gilt von Schaffner-Rimann 12f. Wenig förderlich Zimmerer 98, die auch nicht Lucil. 143 als Beispiel für die Verbindung der Prapos cum mit 106

258

Adv. aus Thes. IV 1343,45 f. hätte übernehmen dürfen. Über abundierendes homo vgl. noch 127 zu Vatin.Cic.fam. 5,9,2.

crudeliter ille, nos misericorditer; avariter ille, nos largimur (hist. 88): avariter wird Thes. II 1187, 82f., von dem Annalisten abgesehen, bei Plautus in

den Anapästen Curc. 126 und im Senar Rud. 1238, ferner Cato or. frg. 70,3 nachgewiesen. avare taucht nach 48 (? - Hec. 49) auf, dann Cic. rius kann avariter sehr gut noch schichten mit avare konkurriert

Thes. a.O. erstmals in den Senaren Ter. Haut. S. Rosc. 118; rep. 2,63. Zur Zeit des Quadrigaals lebende Form vielleicht niedrigerer Sprachhaben. Bei der Wahl von avariter haben frag-

los die vorangehenden Bildungen auf -ter eine Rolle gespielt; vielleicht sind Homoioteleuta und Isokolie eıstrebt. quod utrum neglegentia partim magistratum (magistratuum Q: magistratum rell.) an avaritia an calamitate populi Romani evenisse dicam, nescio (hist. 89): Gell. 10,13,4 nach Quadrig. hist. 87 zitiert. Wie an der letzteren Stelle kónnte man gleichfalls in dem vorliegenden Bruchstück in partim eine Apposition erkennen, hier zu magistratum. Vielleicht sind noch eher appositionale und adverbiale

Verwendungsweise kontaminiert. Als Archaismus ist auch das partim dieses Frag-

ments nicht zu klassifizieren !". Der Gen. magistratum ist gelegentlich noch bei Cicero, bei ihm freilich schlecht, und Späteren überliefert. Thes. VIII 92,10f. magistratuum steht erstmals Cic. Verr. Tl 1,34 195, velim doceas nos, cur pluria sive compluria - nihil enim differt - .. . dixerint M.Cato, Q.Claudius, Valerius Antias, L. Aelius, P. Nigidius, M. Varro (hist. 90): complura wird Thes. III 2107,11 erst Cic. Verr. II 2,47 belegt. compluria könnte für Claudius durchaus eine normale Bildung sein. Das würde dadurch bestätigt, daß nach dem Zeugnis des Gellius compluria von mehreren älteren oder jüngeren Zeitgenossen des Annalisten verwendet würde. Dieser letzte Umstand ließe auch pluria bei Quadrigarius als unanstößig erscheinen. Indessen ist das Zeugnis kaum zuverlässig. Gell. 5,21,6, wo die zitierten Worte stehen, wird pluria verteidigt. Wenn dafür auf pluria sive compluria unter Betonung der Gleichwertigkeit der beiden Formen verwiesen wird, so legt das den Verdacht nahe: Die Belege für pluria sind in Wirklichkeit ausschlie&lich Belege für compluria. Aber auch für das Vorkommen von compluria bei den einzelnen Schriftstellern hat die summarische

Notiz kaum hinreichende Beweiskraft '®, congermanescere (hist. 93): Thes. s.v. nur noch Apul. met. 2,10 belegt; die von Nonius abhängigen Glossen können außer Betracht bleiben.

pluvia (trad.: pluvio Anonymus) imbri (trad.: inibi L. Müller) lutus erat multus (hist. 94): Das Fem. imber wäre, falls richtig, singulär. Thes. s.v. Das Neutr.lutum „Schmutz“ seit Plaut. Persa 406, in Prosa Cato agr. 14,3; 129; Cic. Pis. 62; auch in spáterer Literatur ist, soweit das Genus

feststellbar ist, das

107

Eine spätere Parallele (Imitation? ) Fronto p. 48,21 f. v. d. H. (2 p. 53 N.): ingenia partim hominum ac praecipue adulescentium. 108 Im allgemeinen zum Gen. Pl. -um der 4. Dekl. Sommer 393; Stolz-Leumann 278. Zimmerer 92 A.16 hält den Gen. magistratum bei Quadrigarius für „sehr gesucht". 109 Ich gedenke den Gelliuspassus demnächst ausführlicher zu behandeln.

259

Neutr. normal. Das Mask. lutus erscheint hier erstmals, dann in der pompeianischen Wandinschrift CE 955, 2; ferner CE 982,1 und in der Spätzeit, auch hier sel-

ten ! 9, agrum Nolanum populare (hist. 95): Aktivformen des ziemlich seltenen Verbs vor dem Historiker Plaut. Faen. frg. 2,1; Pacuv. trag. 79; Acc. trag. 164; nach ihm Prop. 3,18,29 und sonst; Neue-Wagener III 80. Das Dep. ist bereits Naev. carm. frg. 39 bezeugt, taucht dann aber erst wieder Cic. Verr. II 3,130 auf. Das Part. Perf. verwendet auch Cicero passivisch, z.B.div.in Caec.2; 7!!!. populare konkurriert zur Zeit des Annalisten gewiß im lebenden Latein mit dem Dep. Ganz ähnliche Verhältnisse herrschen bei den Komposita depopulare und depopulari. Nach Thes. V 1,585

f. findet sich das erstere am frühesten Enn. scaen. 369, dann aber

auch noch etwa Bell. Hisp. 42,6, das letztere erscheint nach Afran. com. 42 erst wieder Cic. div. in Caec. 11. multis utrimque interitis (hist. 96): interitus „umgekommen“ wird Thes. VH 2188,74 lediglich hier nachgewiesen. Das Idiom hat sich aber bis ins Romani-

sche ganz ähnlich gehalten. Meyer-Lübke 9676. Soweit über die Spracheigentümlichkeiten, die in den wörtlichen Fragmenten

der Annalen des Q. Claudius Quadrigarius auffallen. In der gesamten Textmasse ist weder ein Poetismus noch ein Archaismus nachzuweisen. Das gilt auch für Fragmente wie hist. 10 b und 41, von denen das erste zu poetisierender, das zweite zu archaisierender Sprachgestaltung reizen mußte: Eine Tatsache, die es

besonders unglaubhaft erscheinen läßt, daß antiquierte oder dichterische Idiome bei Claudius eine große Rolle gespielt hätten. Auch die Kenner der vorciceronischen Literatur im 2. nachchr. Jh. haben in der Sprache des Annalisten allenfalls geringfügige Spuren poetischer Ausdrucksweise entdeckt. Gellius 17,2 zitiert und erklärt sprachlich 20 Claudiusfragmente; doch nur an einer einzigen Stelle meint er, nicht ohne Vorsicht: inlatebrant verbum

poeticum visum est (17,2,3). Noch beweiskräftiger ist, daß Quadrigarius Gell. 13,29,2 von Fronto in einem Zusammenhang als vir modesti atque puri ac prope cotidiani sermonis gekennzeichnet wird, in dem diese Charakteristik ein mög-

liches Poetisieren einigermaßen ausschließt !!?. Daß bei Quadrigarius dichterisches oder gar spezifisch ennianisches Sprachgut entweder überhaupt keine oder eine ganz untergeordnete Rolle gespielt hat, darf also als sehr wahrscheinlich gelten. Darin liegt bei dem leicht sich ergebenden Zusammenhang zwischen archaisierender und poetisierender Sprachgestaltung auch ein gewisses zusätzliches Indiz gegen die ohnehin unwahrscheinliche Annahme, Quadrigarius sei Archaist gewesen. 110

Zu lutus letzthin Hofmann-Szantyr 11; Väänänen 82. Was die mögliche Einwirkung des Mask. limus ,,Schlamm" auf lutus angeht, so ist zu berücksichtigen: limus ist als Mask.

erst Lucr. 5,496 gesichert.

111 S. auch die Angaben Tränkles 63. 112 Darüber 255 zu hist. 76.

260

1,

Die bisherigen Feststellungen dieser Zusammenfassung waren negativ. Als positives Merkmal der Sprache der Claudiusfragmente ergibt sich ein Reichtum an lebenden Idiomen, die in puristischer Ausdrucksweise gemieden werden !?. Das Material, das in den Einzeluntersuchungen vorgelegt worden ist, läßt in vielen derartigen Fällen nicht erkennen, ob der betreffende Ausdruck bereits zur Zeit des Claudius mehr unpuristisches Gepräge gehabt hat; so beispielsweise bei dem Dat. sympatheticus hist. 10 b und sonst; arrabo hist.20; copiari hist. 24; arboretum hist. 29; ignaviter hist. 37; delectare „täuschen“ hist. 46; aliquantisper hist. 60; -ibam hist. 77; dem Part. interitus hist. 96. Aber es bleibt doch genug Material, das mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits in dieser Periode wesentlich auf

die umgangssprachliche, familiäre oder vulgäre Ausdruckssphäre beschränkt ist. Das gilt für cumprime hist. 7; phraseologisches und häufiges coepisse; subvertere hist. 10 b; adprime hist. 15; ne - quoque hist. 17; frunisci hist. 23; desubito hist. 38; den Inf. Fut. auf -urum hist. 43; hist. 79. Hier fassen wir das Sprachcharakteristikum der Annalen, das den gebildeten Zeitgenossen des Claudius besonders

aufgefallen sein muß. Der Annalist ist nach seinem erkennbaren sprachlichen

Habitus nicht mit Livius sondern eher mit dem Verfasser des Bellum Hispaniense auf eine Stufe zu stellen^. Wenn wir uns bei Ausdrücken des Quadrigarius, die er sowohl aus niedrigeren Bezirken des lebenden Lateins als auch der Dichtersprache übernommen haben kann, nicht auf die letztere Deutung festgelegt haben, so

kann der dargelegte Befund uns in dieser Haltung nur bestärken'"®. b) Valerius Antias

Valerius Antias ist sehr wahrscheinlich in sullanische Zeit zu setzen 116. Aus seinem mindestens 75 Bücher umfassenden Geschichtswerk sind nur 9 wörtliche 113

Ganz ist das Vorkommen dieser Idiome auch Wölfflin 11, der sporadische Andeutungen des Gellius zusammenstellt, und Zimmerer, etwa 107, nicht entgangen. Das Aus

maß der Erscheinung haben die beiden Autoren aber nicht erkannt; ebensowenig haben sie sich die Frage vorgelegt, ob und in welchem Maße solche Ausdrücke schon zur Zeit des Annalisten aus der gehobenen Sprache gedrüngt waren. Überhaupt kommen Wölfflin und Zimmerer mit ihren Betrachtungen, denen es weithin an historischer Per-

114

115

spektive fehlt, über die Anschauungsweise des Gellius kaum hinaus. Das Bellum und die Annalen des Claudius haben tatsüchlich auch mancherlei sprachliche Berührungspunkte. Dazu 236 f. zu hist. 10b, vor allem A. 38. Natürlich ist nicht anzunehmen, daß der Annalist absichtlich niedersprachlich geschrieben hat: Er hat es eben nicht besser gekonnt. Recht unglücklich Wólfflin 11. Im übrigen liegt der Verdacht nahe, daß noch manche Idiome des Annalisten, die keinerlei Parallele haben, der so schlecht bekannten nicht unbedingt stadtrómischen Um-

gangs- oder Volkssprache seiner Zeit entstammen. Dabei wäre auch mit Modeausdrücken Zu rechnen, die nicht sehr lange über die Zeit ihrer Anwendung durch Quadrigarius gelebt haben. Auf die Möglichkeit, daß manche Wörter und Formen bei dem Historiker Konservativismen eines alten Mannes sind, sei nur eben hingewiesen.

116

Die Datierung wird eingehend von Volkmann, RE VII A (1948) 2313 ff. diskutiert; s. außerdem Syme 47.

261

Fragmente erhalten. Ob das geradezu ein Indiz dafür ist, daß die gewaltige Textmasse ausgesprochen wenige unklassische Idiome bot !!", sei dahingestellt. Jedenfalls rát nichts dazu, von vornherein in den Bruchstücken Archaismen oder Poetismen zu erwarten.

hoc senatus consultum prior factum est (hist. 16): Das Neutr. prior braucht für Antias keine Besonderheit zu sein; 212 zu Hemina hist. 31.

speponderant (hist. 57): peposcit (hist. 60): In den Hss. sind die Spuren derartiger ursprünglicher Re-

duplikationen gering''?. Immerhin wird Gell. 6,9, wo auch die beiden Antiasfragmente erhalten sind, bei Laberius und Nigidius memordi nachgewiesen; Gell.

6,9,15 werden für Cicero und Caesar memordi, pepugi, spepondi bezeugt. poposci vor Antias Plaut. Stich. 556; Truc. 240; Caecil. com. 134; spopondi in der glei-

chen Zeit Plaut. Trin. 427. omnia ... processurum esse (hist. 59): Der indeklinable Inf. Fut. auf -urum

lebt in dieser Zeit gewiß noch, wird aber in puristischer Prosa gemieden. Die Erweiterung dieses Inf. durch esse findet ihre zeitgenössische Parallele Sulla hist.

20. Einzelheiten 248 zu Quadrig. hist. 43. descendidit (hist. 62): Eine erstmals hier auftauchende Analogiebildung zum Perf. -didi der Komposita von dare. Ungefähr gleichzeitig eine solche Form wohl auch Laber. mim. 20. Im späten Vulgárlatein sind diese Analogiebildungen häu-

fig!^: in puristischer Ausdrucksweise sind sie wohl von Anfang an gemieden worden. Das Perf. descendi steht Quadrig.hist.4;

Rhet. Her. 4,3,4; 4,9,13; Cic. Verr.

II 3,6 und später. pluria und compluria (hist. 65): Über diese Gell. 5,21,6 für Antias bezeugten Formen

259 zu Quadrig. hist. 90.

Die Sprache der Fragmente gibt keinen Anlaß, Antias eine Ausdrucksweise zuzuschreiben, die durch den Gebrauch von Archaismen oder Poetismen gekennzeichnet wäre. Dagegen lassen sich in den Bruchstücken lebende Idiome nachweisen, die zur Zeit des Historikers vermutlich niedrigeren Sprachbezirken angehört haben: der Inf. Fut. auf -urum, das Perf. descendidit. 117

In diesem Sinne Volkmann a. O. 2322; ähnlich Leeman, Ratio 82. Doch könnte der große Umfang des Werkes die Grammatiker davon abgeschreckt haben, sich mit der Sprache des Antias zu befassen. Badian nimmt 36 A.111 bei Antias archaistische Neigungen an; er verweist auf die gleich zu behandelnden Idiome hist. 16; 57; 60; 62.

118

Nach Sommer

119

Material etwa bei Neue—Wagener III 352; vgl. ferner insbesondere Lófstedt, Per. 300; F.G. Banta, Abweichende spät- und vulgärlateinische Perfektbildungen, Diss. Bern, Freiburg (Schw.) 1952, 24 ff. Dazu noch obtendidit Lib. iubil. 26,9; entsprechende

547; zu der Bildung auch Stolz—Leumann

330.

Bildungen von spondere im Index der Ausgabe der Tablettes Albertini, Paris 1952, 337 s.v. Im allgemeinen zu den Formen Sommer 549; Stoiz—Leumann 330.

262

c) Ps. Quadrig. hist. 12 Das Fragment Ps. Quadrig. hist. 12, in dem der Zweikampf des Valerius Corvinus mit einem riesenhaften Gallier geschildert wird, dürfte am ehesten ungefähr in die Zeit des Quadrigarius gehóren. Eine genauere Datierung des auch sonst pro-

blematischen Textes ist nicht móglich"9. Bei dieser Unsicherheit wäre es kaum fruchtbar, seine sprachlichen Besonderheiten umfassend zu erórtern. Es soll nur zur Sprache kommen,

was Wölfflin in dem

Bruchstück als Poetismus klassifiziert.

adulescens tali genere editus: Der Beginn des Fragments. tali genere editus wäre nach Wólfflin 21 dichterisch. Die zeitlich nächste genauere Parallele Cic. carm. frg. 33,5 (Tusc. 2,20); dies und Spáteres Thes. V 2,84,7 ff. Ob tali genere

editus bereits für den Autor des historischen Fragments poetisch war, bleibt besser offen. (dux Gallorum) grandia ingrediens et manu telum reciprocans incedebat: Die Verbindung grandia ingrediens nur hier; Thes. VII 1,1573,52. Sie ist mit Wölfflin 20 und anderen als Umsetzung des homerischen μακρὰ βιβάς !?! anzusehen. Genauer:

Ilias 7,213

scheint das Muster; Aias schreitet zum Zweikampf gegen

Hektor: ἤιε μακρὰ βιβάς, κραδάων δολιχόσκιον ἔγχος 122. Der ganze Partizipial ausdruck ist danach episch-poetisch. Es ist ungewiß, ob er unmittelbar nach dem griechischen Vorbild formuliert ist oder schon nach einer lateinischen Prä-

gung. reciprocans hat jedenfalls nicht im Hexameter gestanden !?. Im Gegensatz zu dem inhaltlich ganz ähnlichen Bruchstück Quadrig. hist. 10 Ὁ bietet

das besprochene Fragment jedenfalls in einem Satz poetische Formulierung '?^. Bei der epischen Thematik des Textes kann der dichterische Einschlag nicht 120 121

Zu all dem 213 A.14. Zuerst anscheinend von Maas 546 bemerkt.

122

Gellius erweist sich 13,25,18f. und 15,6

mit Homers Zweikampfszene als sehr vertraut.

Daß gerade die epische Wendung der lateinischen Erzählung auf ihn zurückgeht, ist unter diesem Gesichtspunkt immerhin zu erwägen. 123 Wölfflin 20 kennzeichnet reciprocare als ennianisches Verb. Der einzige Enniusbeleg ist scaen. 116: rursus prorsus reciprocat fluctus feram. Hier ist das Verb in ganz anderem Zusammenhang als Ps. Quadrig. hist. 12 verwendet. Die sonstigen ältesten Belege

für reciprocare Plaut. Astr. frg. 3(? ) im trochäischen Septenar; Pacuv. trag. 334. Dann erscheint das Wort überwiegend in Prosa seit der etymologischen Erklärung Varro ling. 7,80; Cic. div. 1,10; nat. deor. 3,24; in Dichtung erst wieder gelegentlich seit SiL 15,226. Das Fragment Non. p. 165,9 ist außer Betracht geblieben. Wenn die 3

sicher dem 2. vorchr. Jh. zuzuweisenden Belege Versen entstammen, so móglicherweise nur, weil in der erhaltenen Prosa dieser Periode eine Gelegenheit zur Verwendung von reciprocare fehlt. 124 Die beiden Bruchstücke áhneln einander im Gebrauch bestimmter Wendungen: Quadrig. hist. 10 b si quis secum depugnare vellet ^" Ps. Quadrig. hist. 12 si quis pugnare secum . . . auderet; Quadrig. hist. 10 b utroque exercitu inspectante (vgl Val. Max. 3,2,24 inspectante utroque exercitu) ^ Ps Quadrig. hist. 12 spectante utroque exercitu (vgl. Val. Max. 3,2,21 utroque exercitu spectante). Keine dieser Formulierungen in den beiden entsprechenden Erzählungen bei Livius, der die stereotypen Phrasen

wohl bewußt vermeidet.

263

verwundern 5; eher war der andersartige Befund Quadrig. hist. 10 b auffällig. Hinzu kommt, daß in den libri annales, denen Ps. Quadrig. hist. 12 entstammt, die Valerii anscheinend in besonders helles Licht gerückt worden

sind; der Hel-

dentat des Corvinus kam hier wohl eine besondere Bedeutung zu ^, Unter diesen Umständen wird man aus dem Passus nicht eine prinzipielle dichterische Sprachfärbung des historischen Werkes erschließen dürfen, dem er entnommen

ist

27,

d) Die bisherigen Ergebnisse im Licht der antiken Zeugnisse Ziehen wir ein vorläufiges Fazit: Viele Idiome der wörtlichen Historikerfragmen-

te haben sich nicht in bestimmte Sprachbezirke einordnen lassen. Soweit eine genauere Klassifizierung gelungen ist, erweisen sich die sprachlichen Besonderheiten im allgemeinen als lebende Ausdrücke, die in der zeitgenóssischen puristischen Beredsamkeit und der ihr nahestehenden Prosa gemieden werden. Kei-

neswegslassen die Bruchstücke oder sonstige Momente vermuten, daß der Gebrauch von Archaismen oder Poetismen für die vorsallustische Historikersprache charakteristisch gewesen sei. Eine derartige Annahme ist geradezu unwahr-

scheinlich im Hinblick auf Quadrigarius, den Annalisten, dessen sprachliche Konturen am klarsten erkennbar sind. Für Coelius Antipater gilt das Gesagte nicht so ganz. In den Überresten seines

Geschichtswerkes findet sich dichterisches, vielleicht auch spezifisch ennianisches Sprachgut, ohne daß sich das mit dem Inhalt der jeweiligen Stelle motivieren lie&e. Wenigstens in einem Falle ist das poetische Idiom zugleich auch antiquiert. Archaist braucht Antipater deshalb nicht gewesen zu sein. Anzuerkennen ist aber bei ihm eine gewisse Neigung zu dichterischen oder ennianischen Ausdrücken, wie sie bei den anderen behandelten Historikern nicht in Erscheinung getreten 125 126

Vgl. 231 zu Quadrig. hist. 10b. Unmittelbar vor dem Fragment muß von dem Genus des Valerius die Rede gewesen sein, und zwar rühmend: tali. Der Held steht von vornherein im Mittelpunkt des Berichts, die historische Situation wird nachgetragen: atque in eo tempore eqs. Gerade umgekehrt ist es etwa in der gleichen oder vergleichbaren Erzählung Quadrig. hist. 10 b; Liv. 7,9,8 ff.; 7,26,1 ff.; Dion. Hal. ant. 15,1,1. Sollte entgegen dem Anschein der An-

fang von Ps. Quadrig. hist. 12 bei Gellius nicht wenigstens im engen Anschluß an die libri annales wiedergegeben werden, dann wären diese und andere Kombinationen hinfällig; in diesem Falle hätte das Textstück überhaupt aus unseren Betrachtungen auszuscheiden. Nebenbei bemerkt: Valerius Antias wäre als Autor von Ps. Quadrig.

127

hist. 12 — so Cavallin 98 A.3 — natürlich sehr gut denkbar, mehr aber nicht. Bei einem sprachlichen Vergleich zwischen Ps Quadrig. hist. 12 und der gleichen Erzählung Liv. 7,26,1ff. wäre die verschiedene Funktion zu berücksichtigen, die den

Berichten jeweils in ihrem Geschichtswerk zukommt. Ps. Quadrig. hist. 12 hat, wie gesagt, in den libri annales wahrscheinlich eine recht bedeutende Rolle gespielt.

Nichts deutet darauf hin, daß der Zweikampf des Corvinus nur als Dublette zu dem des Torquatus aufgefaßt worden wäre. Das ist ganz deutlich bei Livius der Fall, der daher auch den Kampf des Corvinus verhältnismäßig kurz abmacht.

264

ist. Das Ergebnis einer derartigen Sonderstellung Antipaters wird gerechtfertigt und bekráftigt durch antike Zeugnisse. Antonius führt Cic. de orat. 2,51 ff. über die stilistischen Qualitáten der alten rómischen Historiographie aus, die einfache annalium confectio durch den pontifex maximus habe am Anfang gestanden: hanc similitudinem scribendi multi secuti sunt, qui sine ullis ornamentis monumenta solum temporum . .. gestarumque rerum reliquerunt; itaque qualis apud Graecos Pherecydes, Hellanicus, Acusilas fuit .. . talis noster Cato et Pictor et Piso, qui neque tenent quibus rebus ornetur oratio .. . et, dum intellegatur quid dicant, unam dicendi laudem putant esse brevitatem. paulum se erexit et addidit maiorem historiae sonum vocis ... Antipater. Die Ausführungen sind von einem griechischen Geschichtsschema

beeinflußt ?*, Zweifel an ihrer Richtigkeit wären da möglich. Doch wird man den Zweifeln nur noch geringen Platz einräumen, wenn man sich Cic.leg. vergegenwártigt.

1,6

Atticus meint hier, indem er sich Ciceros Auffassung aneignet, die Geschichts-

schreibung sei opus... unum hoc oratorium maxime. Und kurz darauf: si aut ad Fabium aut δά... Catonem aut ad Pisonem aut ad Fannium aut ad Vennonium venias, quamquam ex his alius alio plus habet virium, tamen quid tam

exile quam isti omnes? Fannii autem aetati coniunctus (Ant)pater paulo inflavit vehementius, habuitque vires agrestis ille quidem . .., sed tamen admonere reliquos potuit, ut adcuratius scriberent. ecce autem successere huic Gellius (Passerat: belli trad.), Clodius, Asellio (Stephanus: asilio trad.), nihil ad Coelium, sed potius ad antiquorum languorem et inscitiam. Wenn die namentlich erwähnten Nachfolger des Coelius nach der Darstellung des ciceronischen Atticus wieder an den antiquus languor anknüpfen, so hat das kein Vorbild in einem griechischen Geschichtsschema: Das Urteil ist offenbar tatsächlich an den Nachfolgern Antipaters gebildet. Auch die Beurteilung seiner Vorgánger dürfte dann

einigermaßen an den historischen Gegebenheiten orientiert sein !??. Ciceros Zeugnisläßt also erkennen: Coelius hat sich durch seine besonderen sprachlich-stilistischen Anstrengungen nicht nur von den Historikern vor ihm abgehoben; er hat auch bei seinen Nachfolgern Gellius, Clodius, Asellio keine Schule ge-

macht "9, Es ist nicht erlaubt, von dem Poetismen- oder Archaismengebrauch An128 129

130

Dazu 183 A.25. In einigem Widerspruch zu der Eingliederung des Historikers Cato unter die Vertreter einer schmucklosen und dürren Geschichtsschreibung steht Cic. Brut. 66; hier werden an Catos Origines gerade flores und lumina eloquentiae hervorgehoben. Doch wird man dieses Urteil nicht zu wórtlich nehmen, wenn man die Intentionen berücksichtigt, die Cicero in dem Passus verfolgt. Dazu 177ff. In diesem Sinn wertet schon Leeman, Ratio 76 die Cicerostellen aus. — Clodius wird meistens mit Quadrigarius identifiziert. So etwa von Zimmerer 2f., hier auch weitere Literaturhinweise. Sehr entschieden für die Identifikation Leeman, Ratio

78. Die Gleichsetzung würde gut dazu passen, daß eindeutige Poetismen in den Quadrigariusfragmenten fehlen. Anders Badian 20,

265

tipaters auf eine entsprechende Praxis der sonstigen vorsallustischen Historiker zu

schließen. Daß Coelius tatsächlich gerade mit seiner Nähe zu Ennius unter den vorsallustischen Historikern isoliert gewesen sein muß, ist Frontos Bemerkung p.56,23 ff. v.d.

H. (7 p. 62 N.) zu entnehmen: rari admodum veterum scriptorum in ... laborem studiumque et periculum verba industriosius quaerendi sese commisere, oratorum post homines natos unus omnium M. Porcius eiusque frequens sectator C. Sallustius; poetarum maxime Plautus, multo maxime Q. Ennius eumque studiose aemulatus L. Coelius. Wenn die Enniusnachfolge Antipaters in diesem Zusammenhang hervorgehoben wird, so hat das nur Sinn, wenn Fronto dergleichen nicht überhaupt als typisches Merkmal republikanischer Geschichtsschreibung kennt. Bei der skizzierten Sachlage wird man an die folgenden Historiker nicht mit der Erwartung archaisierender oder poetisierender Sprachgestaltung herantreten dürfen; gegenüber der Annahme ausgesprochener Ennianismen wird beson-

dere Vorsicht am Platze sein.

266

4. Sisenna und Licinius Macer

a) L. Cornelius Sisenna

Die wenigstens 12 Bücher Historiae, die L. Cornelius Sisenna praet. 78 a. Chr. einige Jahre vor seinem Tode (67 a. Chr.) veröffentlichte!, stellten in stilistischer Hinsicht die ältere Historiographie in den Schatten. Dem Historiker Sisenna werden von vielen Gelehrten archaistische Neigungen zugeschrieben?. Bisweilen werden diese bei dem Geschichtsschreiber vermuteten Tendenzen aus seiner grammatisch-analogetischen Anschauung abgeleitet?. Die einzige Stelle, die dafür ins Feld geführt werden kónnte, ist Varro ling. 9,19. Doch bei der Repristinierung altertümlichen Vokabulars, die Varro — in einem verstümmelten Zusammenhang? -- andeutend befürwortet, kann eben nur an analogetische Bildungen gedacht sein: quae (verba) ratione dicta sunt tum (apud

antiquos), nunc perperam dicuntur, wie Varro kurz vorher formuliert (ling. 9, 17). Überdies schwebt ling. 9,19 vielleicht die Wiederbelebung veralteten Sprachgutes allein für solche Fälle vor, in denen ein älterer analogetischer Sprachgebrauch durch einen jüngeren anomalen verdrängt worden ist. Dazu würde die zitierte varronische Formulierung passen; dementsprechend wird auch in den Vergleichen, die ling. 9,20ff. die Einführung analogetischer Neologismen rechtfertigen sollen, Altes von Neuem aus dem Felde geschlagen. Ist das richtig, dann ist die Bedeutung der bei Varro belegten Theorie auf ziemlich wenige Fälle beschränkt. Auch wäre es für den Analogetiker, der gemäß dieser Lehre seine Sprache gestaltet, belanglos, ob der von ihm gebrauchte Ausdruck veraltet ist oder

nicht. Entscheidend wäre für ihn, daß die Bildung der ratio entspräche. Der Terminus Archaismus wäre da nicht am Platze. Von all dem aber abgesehen: Die zur Rede stehende Theorie könnte leicht erst von Varro erfunden sein. Und selbst wenn sie älter sein sollte, brauchte sie Si1 2

3

Ganz

sicher nach

87 a. Chr.; Sisenna hist.

später; vgL Peter HRR

1, CCCXL.

Z.B. von Peter, HRR

ι2 CCCXLII;

129. Wahrscheinlich jedoch mehrere Jahre

Teuffel- Kroll 294; Ullmann

66 f.; Marache

19;

Bardon I 255 f.; Badian 26; vgl auch Leeman, Ratio 85. Die Ansicht geht von R. Reitzenstein 62 aus, der im Zusammenhang mit Sisenna von einem „analogetischen Archaismus" spricht. An R. Reitzenstein schließt sich etwa de Groot 75f. an, ihm folgt wiederum Ullmann 66 f. In entgegengesetzte Richtung zielen die Ausführungen Maraches, die REL 29, 1951, 50 resumiert sind; auf die sogleich zu besprechende Varrostelle wird in der Zusammenfassung nicht eingegangen. Die jüngsten ausführlichen Erórterungen von Sisennas Verháltnis zur analogetischen Gramma-

tik finden sich bei Calboli 217 ff., aber sie tangieren unsere Problematik nicht.

267

senna durchaus nicht bekannt zu sein. Gesetzt jedoch, die Theorie sei dem Historiker bekannt, so wäre sie deshalb nicht sicher Regulativ seiner Sprachgestaltung. Denn zumindest soviel ist gewiß: Sisenna hält sich in der Praxis nicht durchweg an die Prinzipien der Analogie?. Es ist gut denkbar, daß er die Sprache nur gelegentlich und systemlos analogetisch gestaltet, um seiner Ausdrucksweise den Zug

des Ungewóhnlichen zu verleihen. Unter diesen Umständen ist es nicht angebracht, von den grammatischen Anschauungen Sisennas auf archaistische Neigungen zu schließen. Einen derartigen Schluß widerrät geradezu die Art der antiken Äußerungen über die Historiae°. Cicero geht Brut. 228 knapp, leg. 1,7 recht ausführlich auf das Geschichtswerk ein. Von einer priscorum verborum affectatio bemerkt er dabei nichts; ein Schweigen, das offenbar nicht mit der Annahme

erklärt werden kann, eine archaistische Sprach-

gestaltung finde sich überhaupt in der Historiographie der Zeit. Insbesondere einen auffallenden sprachlichen Anschluß Sisennas an Cato oder Ennius wird man

nur ungern annehmen: Fronto p.56,23 ff. v.d.H. (7 p.62 N.) hebt neben anderen Autoren gleichfalls Sisenna von Sallust, dem sectator Catos, und Antipater, dem Ennium aemulatus, ab. Die Gruppierung darf schwerlich, mag sie auch etwas gekünstelt sein, einfach beiseite geschoben werden. Ohne auf die angeführten Indizien Rücksicht zu nehmen, hat man aus der Sprache der wörtlichen Fragmente Sisenna als Archaisten zu erweisen versucht. Insbesondere Bardon I 255 f. hat eine beträchtliche Anzahl ,,de formes et de tours archaiques“ zu diesem Zweck

gesammelt;

daneben stehen auch mehrere

,,em-

plois hardis, quelquefois poétiques". Die Listen Bardons sollen nun einer Prüfung unterzogen werden. Dazu noch eine erläuternde Anmerkung: Wenn der poetische Charakter eines Idioms untersucht wird, bedeutet der Hinweis auf Bardon, daß der Ausdruck in der zuletzt zitierten Rubrik Bardons erscheint‘. Außer den bei Bardon vorgeführten Wörtern und Wendungen werden auch alle sonstigen

Spracherscheinungen betrachtet, die mit einem Anschein von Berechtigung als Poetismus oder Archaismus Sisennas verdächtigt werden könnten”. 4

5

Er schwankt anscheinend zwischen senati und senatus;

271

zu hist. 17; sicher zwischen

dem Gen. Pl. -orum und -um 280 zu hist. 112. Gerade die letztere stimmt schlecht zur strengen Befolgung analogetischer Grundsätze. Quint. inst. 1,6,18. S. übrigens schon Kroll, Schriftspr. 7. Wenn Cic. Brut. 259 f. Sisenna ein inusitate loqui nachgesagt wird, diz für eine altertümelnde Sprachgestaltung in den Historiae, Dazu CCCXL paraphrasiert das longinque, mit dem Fronto p. 132,2 v. d. Sisennas Schreibweise kennzeichnet,

Uneinheitlichkeit Vgl. Cic. orat. 155; so ist das kein Im 59. Peter, HRR 12, H. (7 p. 114 N.)

durch antiquitus arcessitis verbis. Gewiß verkehrt:

Fronto denkt gerade nicht an Sisennas Wortwahl; 227 A.4. Gemeint ist wohl die weit ausholende Art der Darstellung. Vgl. noch Teuffel-Kroll 294; Syme 259. 6

Bardon I 256 teilt die Ausdrücke,

7

einem Gedankenstrich in zwei Gruppen. Soll nur die zweite Gruppe die Poetismen umfassen? Eine Liste von „mots rares ou spécialement poétiques" Sisennas hat vor Bardon schon Ullmann

67 vorgelegt.

die er unter diesem Lemma

Behandelt werden alle von Ullmann

zusammenstellt, mit

erwähnten Idiome, eine

Auseinandersetzung mit seiner vagen Klassifizierung ist nicht móglich. Ebenso werden

268

Die sprachlichen Relikte Sisennas, mit denen wir uns befassen werden, umfas-

sen rund 1180 einzelne Wórter, und damit ungeführ 5 Seiten einer Oxfordausgabe. Die Textmenge verteilt sich auf über 130 kurze Fragmente. iuxtim Numicium flumen obtruncatur (hist.3): Bardon I 255 rechnet die Präpos. iuxtim, die er allerdings versehentlich für ein Adv. hält, zu den Archais-

men Sisennas. Das Wort ist in präpositionaler Verwendung vor dem Geschichtsschreiber nicht nachzuweisen,

nach ihm

erst wieder Apul. met. 2,13. Als Adv.

steht iuxtim vor Sisenna allein Liv. Andr. trag. 11, nach ihm erst Lucr. 4,501; 4,1213; Suet. Tib.33. Weiteres bei Neue-Wagener II 527. Das Synonym iuxta ist als Prápos. zuerst bezeugt Coel. hist.55; Varro frg. Prob. Verg. ecl. praef. p. 326,3; frg. Aug. civ. 7,34 p. 317,7 D; Caes. civ. 1,16,4. Die ältesten Belege für adverbiales iuxta bieten Plaut. Aul. 682 und 6 weitere Plautusstellen; Quadrig. hist. 57; Varro Men. 376; Cic. p. red. in sen. 20. Daß die Präpos. iuxtim zu Sisennas Zeit antiquiert ist, läßt sich nicht erweisen. obtruncare, vor Sisenna bei Plautus im Senar Bacch. 918, und weitere 6mal in trocháischen Septenaren

oder iambischen

Octonaren; Trag. inc. 167, danach

in Prosa öfter bei Sallust ab Iug. 66,3, bei Livius ab 1,5,7, überhaupt ganz über-

wiegend in der Historiographie?. In Dichtung gelegentlich ab Verg. georg. 3, 374; Aen.

2,663. Über

den Charakter

des Wortes bei Sisenna ist schwer zu ur-

teilen; vielleicht könnte eine umfassende Untersuchung über die Verben des Tötens náheren Aufschluf verschaffen.

certatim (hist. 7): Für den Historiker gewiß keine Besonderheit oder, wie Bardon I 255 will, gar antiquiert. Vgl. Thes. s. v., wo etwa Cic. Sest. 74. Daß Sisenna eine gewisse Vorliebe

für die Adv. auf -im hat, deutet schon Gellius 12,

15,1 an. Deshalb ist aber nicht von vornherein in jedem dieser Wórter eine Be-

sonderheit zu sehen?. vetus atque ingens erat arbor ilex (hist. 8): Bardon I 255 erwähnt arbor ilex unter den ,,raretés désuétes", kaum mit Recht. Die Wortzusammenstellung hat nichts Auffälliges. Vgl. Thes. II 426,32 ff., wo Varro rust. 1,2,20 und spätere Prosaparallelen. ilex ist zwar in Dichtung häufiger bezeugt als in Prosa; aber fraglos ist das in den romanischen Sprachen erhaltene Wort nicht spezifisch dichterisch oder in anderer Hinsicht ungewöhnlich. Thes. s.v. nolitote mirari (mirare CA: mirari rell.) (hist. 10): Es ist jedenfalls nicht

sicher, daß Sisenna mirare geschrieben hat'?, Ein Archaismus des Historikers sämtliche von Badian 26 und 38 A.145 ff. genannten Spracherscheinungen diskutiert. Ausdrücklich

als Archaismus Sisennas rubriziert Badian

26 nur congenuclare

hist.

33;

indulgitas hist. 48. 8

9

10

Ziemlich abseits steht Colum.

4,29,13

superficies insitae vitis usque ad receptum

surcu-

lum obtruncatur. Fachsprache? Nach Calboli 217 f. wären die Bildungen Beweise für Sisennas analogetische Doktrin. Kaum. Im allgemeinen zu diesen Formen Schaffner-Rimann. Für die uns beschüfti gende Problematik ergibt die Arbeit nichts. Das Fragment steht unter dem Lemma Non. p.480,27 nolitote pro nolite. Nach Qui cherat gehörte es unter das vorausgehende

Lemma

miras pro miraris. Nicht notwendig.

269

wáre auch diese Form nicht. Aktivformen des Verbs stehen zweifelsfrei im trochäischen Septenar Pompon. Atell. 108 und in den varronischen Hexametern Men. 128; 129. Im Latein vor Sisenna begegnet allein das Dep., so Plaut. Capt. 799; Cato or. frg. 1,2; 71. Thes. VIII 1063, 25 ff. Doch mógen zu allen Zeiten in der lebenden Sprache solche Genusschwankungen weit ófter vorgekommen

sein, als die Überlieferung vermuten läßt. In der Beredsamkeit und ihr nahestehender Prosa scheinen die Aktivformen jedoch seit jeher gemieden zu sein. Belege für das Dep. stehen in derartigen Texten nach Cato Rhet. Her. 3,22,36; Cic. inv. 2,2 und spáter. dissipatis imbricum fragminibus (hist. 11): Dies der älteste Beleg für fragmen, danach das Subst., von spáterer Zeit abgesehen, vorwiegend bei Dichtern, sicher seit Lucr. 1,284; 5,1284; Verg. Aen. 9,569. Das Wort ist im Romanischen erhalten. Die frühesten Zeugnisse für fragmentum: Lucil. 1157; Cic. Sest. 79; nat. deor. 2,82; Sall. hist. frg. 3,54; Verg. georg. 4,304; 3 Stellen bei Livius ab 23,24,10. Thes.

S. vv. Es ist nicht beweisbar, daß fragmen zur Zeit Sisennas der Dichtersprache eigentümlich (Bardon I 256) gewesen ist. mulierem missa fide ac pietate propter amoris nefarii lubidinem obstitisse

(hist. 13): Dazu gehórt Non. p. 348,19 das Lemma mittere est excludere. Die Belege, die Thes. VIII 1177,15 ff. für mittere in der übertragenen Bedeutung „fahren lassen‘, ,,mifachten^* angeführt werden, drängen nicht dazu, in dem mittere Sisennas einen Poetismus (Bardon 1 256) zu erkennen. Die vor den Historiker zu datierenden Stellen entstammen Komódien, und zwar oft genug Senaren. In sonstiger Dichtung wird mittere mit sáchlichem Objekt in der vorausgesetzten Weise erst Lucr.

3,961!!, dann Verg. Aen. 1,203 sicher nachgewiesen. Diesen Zeugnissen steht etwa ein Prosabeleg wie Cic. Att. 10,8,5 misso officio gegenüber '?. agilem dari facilemque victoriam (hist. 14): agilis hier zuerst, dann Hor. epist. 1,1,16; 1,3,21

und danach ófter in Dichtung; in Prosa wieder Liv. 30,10,3

und

spáter. Auf feste Verankerung des Wortes in der gesprochenen Sprache deutet sein Fortleben im Romanischen.

Thes. s. v.; ferner Meyer—Lübke

280. Man kann

sich nicht darauf festlegen, agilis als Poetismus Sisennas (Bardon I 256) zu klassifizieren. frumento adeso (hist. 16): Dazu das Lemma Non. p. 70,24 adesum consumptum. Die Sisennastelle bietet den ältesten oder zweitältesten Beleg für das recht

selten nachzuweisende adedere. Ungefähr gleichzeitig Cic. Quinct. 40 adesa . . . 11

Daf die entsprechende Verbindung von mittere mit Inf. mindestens in ciceronischer Zeit kein ausgesprochenes Poeticum ist, lehrt ein Blick auf Thes. VIII 1177, 16 £f., wo etwa Cic. Sull 22.

12

Catull. 96,4 ist als unsicher ausgeschieden; zu der Stelle letzthin Tránkle, MH 24, 1967, 93 ff. Thes. VIII 1177, 49 ff. wird die Sisennastelle unter die Rubrik c (renuntiando dimittere) gestellt, Aber diese Deutung hat nichts Zwingendes. Der Aus-

druck des Historikers ließe sich ebenso gut in den Abschnitten a und b des generatim Thes. VIII 1177, 15 ff. unterbringen, soweit mittere mit sächlichem Objekt verbunden ist.

270

pecunia. Die nächsten Belege entstammen der Dichtung: Lucr. 5,994; Cic. carm. frg. 32,16 B. (Tusc. 2,23); Verg. georg. 4,242; in der augusteischen Dichtung ist das Verb an 5 weiteren Stellen bezeugt. In Prosa adedere gelegentlich wieder seit Liv. 1,7,13. Thes. s. v. Ob das Wort für Sisenna ein Poeticum gewesen ist (Bar-

don I 256), bleibt ungewiß. ex senati consulto (hist. 17): Das Lemma dazu Non. p. 484,14 senati vel sena-

tuis (senatus AA: om. DA: senatuis rell.). senati ist entgegen Bardons Meinung (1 255) kein Archaismus Sisennas. senati, seit etwa Plaut. Cas. 536 zu belegen,

ist gerade in der Verbindung mit consultum, auf die sich die Form bei Sisenna beschránkt, noch lange nach dem Historiker üblich. Vgl. Thes. IV 587,43 ff., wo etwa Cic. fam. 5,2,9 (M: senatus GR). Der Gen. senatus ist in keiner sicher vor Sisenna zu datierenden Inschrift bezeugt; in den Hss. erscheint er erst Sisenna

hist. 12 (? ); Val. Ant. hist. 16 senatus consultum; Rhet. Her. 4,35,47 P. Antias bietet überhaupt den ältesten Beleg für senatus consultum. Thes. IV 587,57 ff. senatuis!* wäre trotz Bardon I 255 ebenfalls für Sisenna nicht antiquiert. Der

ülteste Beleg für die Bildung ist Fann. or. frg. 32,4 Malc. Nach Gell. 4,16,1 haben senatuis auch Varro und Nigidius Figulus gesprochen und geschrieben. Dies die einzigen bisher bekannten Zeugnisse für die Form, abgesehen von allgemei-

nen Grammatikerbemerkungen "*. manualis lapides dispertit (hist. 23): manualis hier erstmals. len sind Calp. ecl. 3,85, der einzige Dichterbeleg, und Plin. nat. s.v. Auf keinen Fall wird man das Adj. als Poetismus Sisennas einstufen. occulte tacitique advenientium (trad.: advenientiam Popma:

Die nächsten Stel18,297. Thes. (Bardon I 256) adventum Iuni-

us) cohortium praestolari occipiunt (Passerat: accipiunt trad.) (hist. 25): Dies das ganze Fragment. praestolari nach Sisenna etwa noch Cic. Catil. 1,24; Att. 2,15,3; Caes. civ. 2,23,3 adventum . . . praestolans. occipere ist für Sisenna recht entlegen oder veraltet. 214 zu Calp. hist. 36. Das überlieferte

advenientium

bleibt besser unangetastet;

der

Satz

Sisennas

braucht nicht vollstándig erhalten zu sein. Erst recht nicht empfiehlt es sich,

das sonst nicht bezeugte advenientiam durch Konjektur einzuführen. Gesetzt aber, das Subst. sei akzeptabel hergestellt: nichts riete dazu, hinter ihm eine „allure archaisante'* (Bardon I 255) zu vermuten '*.

Abl. sonu (hist. 26): Die Form braucht entgegen Bardons Auffassung (I 255) kein Archaismus Sisennas zu sein. Nach der 4. Dekl. wird das Subst., soweit 13 14

15 16

Auf den Wortlaut von Scaur. or. frg. 43,11 Malc. ist kein Verlaß, Im Apparat von Lindsays Noniusausgabe Leipzig 1903 wird zu dem Sisennafragment Non. p.484,19 senatis als Überlieferung angegeben. Wohl ein Versehen. In den Ausgaben von Quicherat, Paris 1872, und L. Mueller, Leipzig 1888, wird diese Überlieferung eindeutig dem folgenden Bruchstück Sisenna hist. 136 zugewiesen. Mancherlei Material zu dem Ganzen bei Neue-Wagener I 536 ff.; über senati auch etwa Sommer 403 f. Über die Produktivität des Suffixes -entia auch nach Sisenna vgl Hofmann-Szantyr

744.

271

bisher nachgewiesen, nur noch Apul. met. 8,30 und Amm.

14,6,18 gebeugt.

Neue— Wagener I 786. Vor Sisenna steht sonus erkennbar als Subst. der 2. Dekl. Pacuv. trag. 4. Etwa gleichzeitig Rhet. Her. 3,14,25; Cic. progn. frg. 5; leg. agr. 2, 13. Ob eine bestimmte Ratio hinter der Bildung Sisennas steht 17, bleibt am

besten offen. Romanos inpetu suo protelant. (hist. 27): Das unter dem Lemma Non. p. 363, 1 protelare est percutere, perturbare. Sämtliche anderen Belege für protelare, die das erhaltene Schrifttum der Republik bietet, sind auf derselben Noniusseite zusammengestellt. Unter demselben Lemma wie das Sisennafragment der trochäische Septenar Ter. Phorm. 213 ne te iratus suis saevidicis dictus protelet. Nach der Bemerkung Non. p. 363,17 protelare etiam excludere der Senar Turpil. com. 91 in-

dignissime patria protelatum esse saevitia patris, Sisenna hist. 69. Nach der Erklärung protelare rursus adiuvare Varro frg. Non. p. 363,16 delectatio protelo * ad discedunt; ein sehr zweifelhafter Beleg. Paul. Fest. p. 235 protelare longe propellere eqs. Der zeitlich nächste Beleg ist dann Fronto p.37,23 v. d. H. (7p. 42N.) protelarei conviciis talem a me virum. Der Gebrauch des Wortes in dieser und

späteren Passagen ist vielleicht nur künstlich. Sicheres percutere ist bei Plautus Most. 516 und an 3 weiteren Stellen nachzuweisen; Ter. Andr. 125; Cato or. frg. 40,7; Lucil. 337; Coel. hist. 44; Quadrig. hist. 10b (2mal); Rhet. Her. 4,55,68

und später. Das Verb ist an keiner der erwähnten Stellen dem protelare Sisennas ganz synonym. perturbare Plaut. Amph. 1044; Most. 656; Ter. Andr. 601; Hec. 213; 633; Cornelia epist. frg. 2; Acc. trag. 135; Afran. com. 65; Sisenna hist. 68

agmen perturbatum; 71 perturbant agmen; 96 terrore perturbatam multitudi-

nem; Rhet. Her. 4,32,44 und später. Dem protelare Sisennas ist perturbare nur an den ausgeschriebenen Sisennastellen synonym, Zweifel bleiben allerdings Sisenna hist. 96. Die ältesten Belege für propellere sind Plaut. Rud. 672; Lucil. 259 nobilitate . . . propellere iniquos; Cic. Sulla 64. Daß protelare zur Zeit Si-

sennas der lebenden Sprache bereits gefehlt haben müsse (Bardon I 255), läßt sich nicht behaupten.

certatim (hist. 28): 269 zu hist. 7. multi, plagis adversis icti et congenulati, Romanis praecipitatis ipsis supra vol-

vit (trad.: voluti Bentinus: volvi Passerat) in caput (hist. 33): congenulare oder, mit der üblichen Berichtigung, congenuclare ist entgegen Bardon I 255 nicht als Archaismus Sisennas zu erweisen. 221 zu Coel. hist. 44.

Die Wendung volvere in caput wird man in irgendeiner Form erhalten, wie auch immer man den Text herstellt. volvere vor und zu der Zeit Sisennas fast ausschließlich in Dichtung. Um nur die ältesten und sichersten Belege zu nennen: Naev. carm. frg. 41; Enn. ann. 531; Acc. trag. 393; 395; 633. In Prosa, aufer bei Sisenna, erstmals Varro Men. 471; ling. 5,114 in einer etymologischen Erklárung;

bei Cicero einigemal in philosophischen und rhetorischen Schriften seit de orat. 17

272

Skeptisch dagegen Kroll, Schriftspr. 7, der jedoch hier gleichfalls nicht mit einem Archaismus Sisennas zu rechnen scheint.

3,182; rep. 6, 17. Auch später begegnet das Verb sehr häufig bei Dichtern. Auf feste Verankerung des Wortes in der gesprochenen Sprache deutet aber sein Fort-

leben im Romanischen; vgl. Meyer-Lübke 9443. Dichterische Provenienz von volvere läßt sich für Sisenna mit dem vorgelegten Befund nicht erweisen. Merkwürdig ist freilich, daß die Wendung volvere in caput Verg. Aen. 1,116 wiederkehrt; ähnlich noch Verg. Aen. 12,292 involvitur . . . in caput inque umeros; dies überhaupt die drei ältesten Belege für in caput in der vorausgesetzten Verwendungs-

weise. Doch sind auch daraus kaum Rückschlüsse auf die dichterische Herkunft von Sisennas Formulierung zu ziehen. Von Stürzen auf den Kopf wird in der lateinischen Literatur der Republik wie auch der Kaiserzeit nur selten gesprochen. Das Fehlen der Wendung in republikanischer und späterer Prosa kann durchaus

auf einem Mangel an Gelegenheit beruhen und erst Vergil volvere in caput in die Dichtung eingeführt haben. Die Materialien Thes. III 396,41 ff. ??.

dispalati ab signis, digressi omnes ac dissipati (hist. 35): Dies der älteste Beleg für dispalari. Die náchsten sind Sisenna hist. 134; Sall. (? ) rep. 2,5,6; Nep. Hann. 5,2; Lys. 1,2; das Verb erscheint nie in Dichtung. Mit einem Poetismus (Bardon

I 256)? oder Archaismus Sisennas ist hier keinesfalls zu rechnen. omnia . . . loca statim potitus (hist. 42): potiri mit Akk. ist entgegen Bardons Auffassung (I 255) fraglos kein Archaismus Sisennas. Die Konstruktion wohl auch in den Redebeispielen Rhet. Her. 4,39,51 palmam (M: palma CE)...

po-

titi; 4,44,57 potitus est gloriam (gloria Hld: gloriam rell.); sicher dann z.B. noch

im Bellum Africum 36,4 und sonst; Bell. Hisp. 16,329, quem (Memmium) Marci Livi consiliarium fuisse callebant (hist. 44): Der a.c. i. nach callere wird Thes. III 166,81 ff. nur noch Apul. met. 1,3 belegt. Wenn Bar-

don I 256 „calleo et l'infinitif" zu den „emplois hardis, quelquefois poétiques" rechnet, so wäre jedenfalls die letztere Klassifizierung hier nicht brauchbar. tum subito tacuit atque . . . propriam capere non potuerat quietem (hist. 45):

Das Fragment beginnt daktylisch: Zufall oder beabsichtigtes episches Anheben?!? An der Wortwahl des Satzbeginns ist nichts Besonderes: subito steht auch Sisenna hist. 104 2 18

19

taciti Sisenna hist. 25, tum Sisenna hist. 80; 95. Das Adv. in den bei-

Wendungen mit praeceps und praecipitare sind in der republikanischen Prosa, auch wo sie in konkretem Sinne verwendet werden, doch schon abgeblaßt und bezeichnen hier kaum jemals ganz deutlich einen Sturz auf den Kopf. Bardon führt allerdings wenige Zeilen, nachdem er dispalari Sisenna hist. 35 und 134 den ,,emplois hardis, quelquefois poétiques" subsumiert hat, dispalari Sisenna hist. 35 unter den ,,mots ou emplois techniques‘

an, die er offenbar von den ersteren Verwer

dungsweisen unterscheidet. 20

Weiteres zu der Konstruktion

21 22

Offenbar im letzteren Sinn Norden, Kp. 177. repente Sisenna hist. 103. Den Gebrauch von repente und subito in der Dichtung klärt Axeison 32f.: Im allgemeinen dominiert subito eindeutig. Eine auffallende Ausnahme ist Lukrez,

bei Kroll, Schriftspr.

26; Hofmann-Szantyr

122.

der repente entschieden bevorzugt, das auch von Silius und Vergil ver-

gleichsweise háufig gebraucht wird. Einzelheiten bei Axelson 32f. Interessant die Verwendung der beiden Adv. in den Annalen des Ennius: 5 mal repente, nie subito. Das

273

den Fällen, in denen daktylischer Rhythmus nicht erstrebt ist, ebenfalls am Satzanfang. Wenn Sisenna die nächstliegenden lateinischen Wörter wählte und ungekünstelt anordnete, war ein daktylisches Anheben des Satzes nicht vermeidbar. Mehr

als einen Zufall braucht man in der rhythmischen Wortfolge nicht zu sehen”. Überdies ist zwar die Wortfolge cum subito in daktylischer Dichtung mehrfach bezeugt, so Catull. 84,10; Lucr. 6,124; Hor. sat. 2,6,111, öfter bei Vergil, Properz, Ovid. tum subito begegnet aber wenigstens bis in die augusteische Zeit einschließ-

lich bei den Daktylikern an keiner Stelle?^. Das Ganze unter dem Lemma Non. p. 361,20 proprium diuturnum. Bei Cicero ist diese Nuancierung des Adj. erleichtert: Manil. 48 proprium ac perpetuum; p. red. in sen. 9 perenne ac proprium manere. Dem Sprachgebrauch des Fragments, falls auf die Interpretation bei Nonius Verlaß ist, entspricht genauer Bell. Afr. 61,5 quod proprium gaudium bellantibus fortuna tribuere non decrevit eqs. Nep.

Thras. 4,2 parva munera diutina, locupletia non propria esse. Bassus assiduitate, indulgitate victus (hist. 46): indulgitas ist nicht mit Bardon I 255 als Archaismus Sisennas zu bezeichnen. 222 f. zu Coel. hist. 48. Die Wahl des Subst. nach assiduitate hat sich vielleicht durch Reimassoziation nahegelegt. vicatim (hist. 47): Das Adv. hier zuerst, dann auch bei Cicero, etwa Sest. 34; gewiß nicht mit Bardon I 255 als Archaismus Sisennas anzuerkennen.

inperitum concitat vulgum (hist. 48): Das Subst. ist als Neutr., abgesehen von Com. pall. inc. 83, nachzuweisen Ter. Haut. 386; Lucil. 461; Cic. S. Rosc. 3 und öfter. Als Mask. erscheint es außer an der zitierten Stelle Acc. trag. 288; 348; Varro Men. 81 in Prosa; 359 im Vers; Lucr. 2,920. Überliefert ist das Mask. auch Caes. Gall. 6,14,4. Hier wird gern das Neutr. eingesetzt. Ein nicht ganz unbedenk-

liches Verfahren angesichts der Tatsache, daß das Neutr. bei Caesar überhaupt nur Gall. 1,46,4; civ. 3,29,3

erscheint. Die nächsten Zeugnisse

für das Mask. vul-

gus bieten Sall. Iug. 69,2 und 73,5, beide Stellen nicht ganz einhellig; Nep. Alc. 8,6. Für die Periode Sisennas ist jedenfalls noch mit einem Schwanken des

Sprachgebrauchs zu rechnen. S. auch Neue—Wagener 1 972 f. wird doch wohl ungefähr den tatsächlichen Sprachgebrauch des Ennius widerspiegeln. Insbesondere Lukrez steht also mit seiner Praxis unter dem Einfluß des ennianischen Epos. Ist das richtig, dann ist subito für Sisenna gerade das weniger episch klingende

23

24

Synonym. Nach Cic. de orat. 3,182 wäre ein daktylisches Anheben des Satzes freilich durchaus erstrebenswert. Aber das ist vielleicht nur Theorie. Cicero vermeidet Satzanfänge mit tum subito, beginnt dagegen häufig mit tum repente: Wil! er dem daktylischen Beginn aus dem Wege gehen? Dann wären Cic. inv. 2,96 und Verr. II 1,46 als Versehen zu buchen. Die daktylisch fallenden Satzteile der Sisennafragmente haben de Groot 76 und {0 mann 64 gesammelt. Man kann zweifeln, ob eine derartige Rhythmisierung von Sisenna erstrebt worden ist. Ausgesprochen bedenklich wird es, wenn Ullmann als Belege für den ,,caractére fort épique du rythme" Stellen aus den Bruchstücken der Milesi-

aca anführt. Weshalb sollte sich die Prosa dieser schlüpfrigen Geschichten durch epr schen Rhythmus

274

ausgezeichnet haben?

quod fortassean . . . summa cum claritudine celeriter confecisset (hist. 49): fortassean vorher nur Acc. trag. 121, dann ófter bei Varro seit ling. 5,34; Cic.

ad Q. fr. 1,2,5 (fortasse var. trad.). Daß die früher zu belegenden Ausdrücke forsan, forsitan, fortasse, fortassis den spáter auftauchenden Konkurrenten zu Sisennas Zeit bereits aus der lebenden Sprache verdrángt hatten, ist unwahrscheinlich, zumindest unbeweisbar. Die Materialien Thes. s. vv. Als Archaismus Sisennas (Bardon I 255) ist fortassean also nicht zu bezeichnen. Ebenso ist über claritudo zu urteilen, das vor Sisenna nur Cato orig. 63; 83 steht.

claritas begegnet erstmals 55 a. Chr. bei Mancia or. frg. 71, 1 Malc., wenn es sich hier tatsächlich um ein wörtliches Fragment handelt. Thes. s. vv.

procedundo (hist. 51): Für Gerundium oder Gerundivum ist bei Sisenna sonst durchweg -end- bezeugt: hist. 10;31; 127; 128; 139. Wäre procedundo ein Archa-

ismus Sisennas (Bardon I 255), so wäre die isolierte Form doch noch ein etwas zweifelhaftes Indiz für archaistische Neigungen des Historikers. Aber derartige Bildungen sind auch gelegentlich bei Cicero einhellig oder sehr gut überliefert, z. B. Verr. 115,25 in re gerunda; leg. agr. 2,93 ferundum. Noch in ciceronischer Zeit ist die Aussprache oder zumindest die Schreibweise -end- nicht vóllig durchge-

drungen””. inter duas fluvias (hist. 53): transgressus fluviam (hist. 54): Das Fem. fluvia nach Thes. s.v. sonst nur Acc. trag. 505, abgesehen von der Augenblicksbildung in der etymologischen Erklärung Isid. orig. 13,10,2. fluvius, etwa schon Plaut. Bacch. 85 belegt, ist im Altlatein üblich. Thes. VI 1,978,52 ff. Die jüngere Bildung braucht durchaus nicht für Sisenna

bereits antiquiert (Bardon I 255) zu sein. Vielleicht spielen bei ihrer Wahl analogetische Erwägungen eine Rolle: pluere — pluvia, fluere — fluvia. Denkbar auch, daß für Sisenna das Beispiel seines älteren Zeitgenossen Accius von Bedeutung gewesen ist; das wáre mit der ersteren Vermutung nicht unvereinbar. populabundus agros (hist. 55): agros populabundus (hist. 56): populabundus an diesen Stellen erstmals, spáter nur noch einigemal bei Livius ab 1,15,1. Das Part. populans erst Ov. met. 2,319; Liv. 2,43,1. Die beiden Sisennafragmente bieten auch die ältesten Belege für die

Verbindung eines Adj. auf -bundus mit einem Objekt; es folgen Sall. hist. frg. 3,37 und Liv. 3,47,2, aber mit anderen Wórtern?^. Die Annahme, populabundus mit ΑΚΚ. sei ein Archaismus Sisennas (Bardon I 255), läßt sich nicht rechtfertigen.

mediam ad finem (hist. 59): Über das Fem. finis 221 zu Coel. hist. 38. Hinter Sisennas Sprachgebrauch könnte analogetische Theorie stehen". festinatim (hist. 65): Das Wort wird Thes. s. v. nur noch Pompon. Atell. 13 bezeugt; festinanter, das sonst älteste von festinare abgeleitete Adv., Thes. VI 1,620, 25 26

Das Problem wird von Sommer 616 ff. diskutiert, von dem ich die Cicerobelege übernommen habe. Dazu etwa Müller 158 f.; Langlois, REL 39, 1961, 125 f. Gedanken über das popula-

27

bundus Sisennas bei Pianezzola 99 ff. Im übrigen zu -bundus bei mir 235 A.30. Nähere Ausführungen darüber bei Bauer, Glotta 10, 1920, 124 f.

275

38 erstmals Cic. Scaur. 37. Nichts rät dazu, festinatim für einen Archaismus Si-

sennas (Bardon I 255) zu halten. victoribus proprie spem, victis adversae fortunae maiorem formidinem obiecit (hist. 67): Zu dem Fragment gehört Non. p. 361,27 das Lemma proprium rursum significat perpetuum. Ob die Deutung richtig ist, läßt sich schwer sagen; der Sinn des Bruchstücks ist nicht ganz klar. proprie (? ) wäre in dem bei Nonius unterstellten Sinne wohl lebender Sprachgebrauch. 274 zu hist. 45.

duae cohortes . . . equites protelant (hist. 69): Über protelare 272 zu hist. 27. ad gladios certationem revocaverunt (hist. 70): certatio ist keine Besonderheit

Sisennas. 253 zu Quadrig. hist. 59. Abl. sonu (Roth: sona trad.) (hist. 72): 271 f. zu hist. 26. non dubitatim (hist. 75): Das Adv. ist entgegen der Meinung Bardons I 255 nicht als Archaismus Sisennas zu erweisen. 220f. zu Coel. hist. 30. iumenta, pecuda . . . trepidare (hist. 76): pecuda sonst nur Acc. trag. 409; Cic.

rep. 4,1. Die ältesten Belege für die konkurrierenden Formen: pecora ist überliefert Naev. trag. 44, aber kaum richtig; das Lemma Non. p. 159,5, unter dem das Fragment erscheint, lautet: pecua et pecuda ita ut pecora veteres dixerunt. Anzuerkennen ist pecora erst Catull. 63,13 (Avantius: pectora trad.); Caes. Gall. 5,19,1. pecua in republikanischer Zeit sicher nur Naev. com. 56; Plaut. Truc. 956; Cato agr. 141,3 im Gebet; Acc. trag. 178; 271. pecudes Plaut. Pseud. 825; 834; 835;

Enn. ann. 186; Lex agr. (CIL 1? 585) 14; 26; Acc. trag. 211; Varro Men. 489; Cic. Catil. 2,20 und später; die Zeugnisse sind bis zur Cicerostelle vollständig. Das anscheinend recht junge pecuda braucht entgegen der Auffassung Bardons I 255

zur Zeit Sisennas nicht bereits antiquiert gewesen zu sein”. Eher ist mit einem gewissen Schwanken in der lebenden Sprache der Periode zu rechnen.

virile ac muliebre secus (hist. 80): secus ist keine Besonderheit. 225 zu Asell. hist. 7. neque porta neque ullum foramen erat (hist. 86): foramen, ein auch im Romanischen erhaltenes Subst., ist weder ein Poetismus (Bardon I 256) noch überhaupt ein besonderer Ausdruck Sisennas. Vgl. Thes. s. v., wo etwa auch Caes. civ. 3,53,4.

integrant . . . caedem (hist. 89): integrare ist ein selten zu belegendes Verb, aber nicht als Archaismus oder Poetismus Sisennas einzustufen. Bis Vergil einschließlich begegnet es ab Pacuv. trag. 111 nur an 7 Stellen, darunter Cic. inv. 1,17,25. Es ist in veränderter Bedeutung im Romanischen erhalten. Bemerkenswert das Auftauchen der Junktur caedem integrare Liv. 9,43,17. Alles nach Thes. S.v. redintegrare erst Rhet. Her. 2,30,47; 4,28,38; Cic. inv. 1,99. simul et tormenta contenduntur (hist. 90): Das Lemma Non. p. 258,34 dazu: contendere, adstringere, intorquere. Der Ausdruck

Sisennas wird Thes. IV 662,

79 ff. als Metonymie zusammengestellt etwa mit Verg. Aen. 10,521 infensam con28

Ernout, RPh

33, 1959, 40 äußert Zweifel an der Richtigkeit von pecuda bei Sisenna

und Cicero, gefolgt von Bréguet 127. Wirkliche Gründe fehlen. Bei Ernout auch einige der spáteren Belege für pecua.

276

tenderat hastam. Aber bei dem Historiker dürfte das Verb durchaus in eigentlichem Wortsinn gebraucht sein: Die Wurfmaschinen werden gespannt. contendere ganz im gleichen Sinn Cic. Tusc. 2,57, wo der Thes. merkwürdigerweise eben-

falls metonymischen Gebrauch annimmt: ballistae lapidum et reliqua tormenta telorum eo graviores emissiones habent, quo sunt contenta atque adducta vehe-

mentius?”. Die Annahme, contendere sei ein Poetismus Sisennas (Bardon I 256), ist nicht ratsam. concubia nocte (hist. 933): Dies der älteste sichere Beleg für die Verbindung. Enn. ann. 164 f. steht noctu . . . concubia. Die nächsten Zeugnisse für concubia nocte sind Cic. div. 1,57; Liv. 25,9,8. Außerhalb der Verbindung mit nox ist das Adj. nicht nachzuweisen. Thes. IV 100,76 ff. Nichts nótigt dazu, einen Archais-

mus oder Poetismus Sisennas anzunehmen.

legatos . . . apiscitur (hist. 94): Über apisci 122f. zu Sulp. Ruf. Cic. fam. 4,5,6. apud Iguvinos . . . eius facti mentionem proiecit (hist. 95): mentionem proicere ist Thes. VIII 776,57 nur bei Sisenna bezeugt. calamitatis necessitudine (hist. 98): Über necessitudo ,,Not(lage) 224f. zu Asell. hist. 5. voto damnati (hist. 100): Dies der älteste Beleg für voto damnare; das nächste Zeugnis ist Verg. ecl. 5,80. voti damnare taucht erst Nep. Timol. 5,3 auf. Thes. V 1,20,32 ff. Daf die Wendung Sisennas für den Historiker antiquiert (Bardon I 255) oder sonst ungewöhnlich gewesen ist, läßt sich nicht beweisen. usi magnum pondus auri (hist. 101): uti steht etwa bei Plautus und Terenz wohl nur mit Abl.,

abgesehen von der Gerundivkonstruktion und der Verbin-

dung mit neutralen Pronominalformen. Außerhalb der beiden letzteren Ausdrucksweisen findet sich uti mit Akk. erst Titin. com. 98 (? ) und in Catos De agricultura, so 142 und sonst gelegentlich neben häufigerem uti mit Abl.; dann Lucil. 471;

Turpil. com. 164; Pompon. Atell. 169; Novius Atell. 43; 69; 98; bei Varro jedenfalls Men. 409; rust. 3,16,23. Das Normale

ist aber auch bei Varro uti mit Abl.;

so von Anfang die Beredsamkeit und die ihr nahestehende Prosa: Cato or. inc. frg. 19; Gracch. or. frg. 48,44,1 f. Malc.; häufig in der Rhetorica ad Herennium

ab 1,4,6; und sonst. uti mit Akk. ist zu Sisennas Zeit entgegen Bardons Ansicht (I 255) gewiß nicht antiquiert?*; es handelt sich um eine niedrigeren

Sprachbezirken angehórige Ausdrucksweise”. opinione frustrata (hist. 102): Dies der älteste sichere Beleg für passivische Verwendung von frustrari. Ungefáhr zur gleichen Zeit taucht erstmals aktivisch

verwendetes frustrare auf: Pompon. Atell. 79, danach Caes. or. frg. 121,43 Malc. Der aktivische Gebrauch des Dep. ist etwa Plaut. Curc. 331 und sonst vor Si29

Dazu vgl Hier. adv. Iovin. 1,3 ballista quanto plus retrahitur, tanto fortius mittit. Ähnlich etwa auch Veg. mil 4,22 ballista funibus nervinis tenditur, quae, quanto ora brachiola habuerit, . . . tanto spicula longius mittit.

30

Auch Kroll, Schriftspr. 22 scheint nicht mit derartigem zu rechnen.

31

Das Dargelegte zu einem großen Teil bereits bei Langen, ALL jetzt Hofmann- Szantyr 123, wo auch Weiteres.

3, 1886,

prolixi-

329 ff.; vgL

277

senna bezeugt. Thes. VI 1,1437,19 ff. An einen Archaismus des Historikers

(Bardon I 258) ist nicht zu denken. innoxios (Aldina: innoxos trad.) trementibus artubus repente extrahis atque in labro summo fluminis, caelo albente (Aldina: alvente trad.) (hist. 103): innoxus ist sonst nicht belegt; dennoch ist die Korrektur vielleicht nicht ganz sicher. innoxius vorher 6mal bei Plautus, etwa Aul. 221, meistens im Senar; Enn. scaen. 301; Cato or. frg. 10,2, hier in etwas andrer Bedeutung. Nach Sisenna Lucr. 6,394; bei Sallust 4mal ab Catil. 40,6 in derselben Bedeutung wie bei Sisenna, anders Catil. 39,2; Nep. Milt. 8,4 und sonst gelegentlich. Die Synonyme immerens Plaut. Curc. 185 im Wortspiel mit mereri; Ter. Hec. 740; Catull. 44,8 und spáter. innocens Naev. trag. 10; ófter bei Plautus; Enn. scaen. 122; 226; Ter. Ad.

155; Varro Men. 24 Antithese innocentes — noxios; 264; frg. Char. gramm.p. 170,19 B.; 4 mal in der Rhetorica ad Herennium ab 2,3,5; háufig bei Cicero ab S. Rosc. 6. Zu insons 294. Thes. s. vv. Daß innoxius für Sisenna bereits antiquiert war, ist mit dem vorgelegten Befund nicht zu erweisen. Ein entlegeneres Idiom aber mag das Adj. für den Historiker immerhin dargestellt haben. Zu labrum summum fluminis vgl. Caes. Gall. 7,72,1 summae fossae labra. Ähnliches vorher Cato agr. 26; 107,1; 107,2; spáter etwa Liv. 37,37,11; Plin. nat. 31,28;

Sulp. Sev. dial. 3,4”, caelo albente kónnte dichterisch scheinen. Die sonstigen Belege für caelo albente: Caes. civ. 1,68,1; Bell. Afr. 11,1; 80,3; Cypr. Gall. exod. 1053; Symm. epist. 1,13,2. Die Stellen bei Sisenna und in dem Corpus Caesarianum sind überhaupt die ältesten Zeugnisse für albere. Danach Verg. Aen. 12,36 campi . . . ossibus albent; Ov. epist. 13,161 canis albere capillis (caput). Offenbar dringt albere erst mit Ovid in größerem Umfange in die Dichtung ein. Dieser spätere Sprachgebrauch der Dichtung ist für die Beurteilung von albere in republikanischer Prosa nicht maßge-

bend, erst recht nicht für die feste Verbindung caelo albente??. Das Material Thes. s.v. Außerdem soll nach Caecilius Quint. inst. 8,3,35 Sisenna als erster albenti caelo gesagt haben. Dem Grammatiker?* war also ein älterer Beleg nicht bekannt; das spricht einigermaßen gegen das Vorkommen der Wendung in der Dichtung des 2. vorchr. Jh. s. subito mare persubhorrescere (Non.p. 449,7: subhorrere Non. p. 423,8) caecosque fluctus in se provolvere leniter occepit (hist. 104): Weder persubhorrescere noch subhorrere ist anderwärts bezeugt. Nach Bardon (I 255) wäre das erste Verb — er schreibt wohl versehentlich postsubhorrescere

— „d’une allure archaisante“.

Ein Beweis dürfte schwerfallen. horrere, horrescere, inhorrescere sind Verben, die 32

Zum übertragenen Gebrauch von Bezeichnungen menschlicher Kórperteile im allgemeinen Koehler, Act. sem. phil. Erl. 1, 1878, 468 ff.; Löfstedt, Synt. II 354.

33 34

albescere gehört in ganz ähnlicher Verwendungsweise späterer Volkssprache an. Vgl. Svennung 274. Vielleicht Caecilius Epirota. Zu der Frage Barwick, Philologus 91, 1936,

bleme 82 A.1; Radermacher, WS 54, 1936, 159f.

278

101 ff.; Pro-

öfter auf die stürmisch bewegte See angewendet werden. Sehr nahe steht Sisennas Formulierung Cic. rep. 1,63 cum subito mare coepit horrescere. Die einzigen bekannten

Belege, die vor oder in die Lebenszeit

des Historikers fallen, entstammen

der Dichtung: Pacuv. trag. 411 interea . . . inhorrescit mare; Acc. trag. 413 mare cum horreret fluctibus. Doch besagt das kaum etwas für Sisennas persubhorrescere (subhorrere). All die angeführten Stellen bereits Non. p. 422,23 ff. Späteres Thes. VH 1,1601,6 ff. Dichterisch (Bardon 1 256) braucht noch weniger caecus fluctus zu sein. caecus „dunkel“ ist zwar vorwiegend in Dichtung belegt; aber die Thes. III 44,70 ff. passim registrierten Zeugnisse bis ungefähr einschließlich zur Zeit Sisennas sind lediglich Plaut. Pseud. 301, ein trochäischer

Septenar; Acc. trag. 32; Atta com. 21, ein

iambischer Septenar; Cic. Arat. 338 und ófter in den Aratea. Der Befund kónnte caecus „dunkel“ nicht unbedingt als Poetismus Sisennas sichern. Spezifisch die Verbindung caecus fluctus (caeci fluctus) ist nun aber überhaupt nie in hóherer Dichtung nachgewiesen. Die außer der Sisennastelle einzigen Belege: Suet. πε Pe 244 caecus fluctus, tumens necdum tamen canus, de quo Atta (com.21) . . . sic ait: pro populo fluctus caecos faciunt per discordiam; et Augustus: nos venimus Neapolim fluctu quidem caeco ??. Hinzu kommt Liv. frg. 60 iactationem navis caeco volvente fluctu pati. occipere ist für Sisenna entlegen oder sogar antiquiert. 214 zu Calp. hist. 36. prores actuariae tragi grandes ac faseli primo (hist. 105): prores ,,Buge" scheint vom Sinn her nicht recht zu passen; es sind mancherlei Änderungen versucht worden. Die Form des Subst. würde dagegen konjekturale Eingriffe nicht recht-

fertigen. Vgl. Acc. trag. 575 prorim (V: proram FHL?E: prorem L')?5, Lucr. 2, 554 prorem (prosem Q: proram O?J:

prorem rell.). Dies die einzigen Belege, die

bei Neue—Wagener I 310 für * proris angeführt werden. Die offenbar nach puppis gebildete Form kann entgegen Bardons Auffassung (I 255) zu Sisennas Zeit durchaus mit dem anscheinend álteren prora lebendig konkurriert haben. Die frühesten Belege für prora sind nicht häufig genug: Plaut. Merc. 187 (?); Lucil. 578; Cic. Arat. 128;

135; de orat. 3,180; fam.

16,24,1; Caes.Gall. 3,13,2.

puppis . . . centonibus integuntur, quos supra . . . cilicia obtenduntur (hist. 107): Nach Bardon (I 255) gehörte quos supra zu den „tours archatques^ Sisennas. Aber supra wird auch vor Sisenna durchweg dem Nomen vorangestellt: Plaut. Curc. 477; Persa 819; Enn. frg. var. 21; Cato agr. 14,4 und weitere

7 mal in dieser

Schrift. Als Poetismus des Historikers ist die Anastrophe ebenfalls nicht zu erweisen. Die ältesten dichterischen Zeugnisse finden sich erst in augusteischer Zeit: Verg. georg. 4,236; Aen. 4,240 (?); 11,510; Prop. 1,20,35; 2,6,38; Ov. epist. Sapph. 159. Sisenna hatte für die perversio (Rhet. Her. 4,32,44) quos supra ein lateini35

Das Augustusfragment fehlt sowohl Thes. 1, 946, 11ff. unter fluctus.

III 46,1 ff. unter caecus, als auch Thes.

36

Der Apparat nach der Noniusausgabe von Onions, Oxford 1895.

VI

279

sches Vorbild schwerlich nótig?". Sie fügt sich in seine sonstige Neigung zu preziöser Wortstellung ein, hinter der vielleicht Kleitarchnachahmung steht. Vgl.

FGrHist 137 F 3; 35. de virtute eorum accusanda proloqui (proliqui L: proloqui rell.) supersederunt (hist. 108): proloqui ist den Komikern seit etwa dem Senar Plaut. Capt. 703 geläufig; das Verb hier auch noch z.B. Afran. com. 213. In höherer Dichtung proloqui vor Sisenna Enn. scaen. 257; 337; nach ihm Prop. 3,13,59, an der

einzigen Daktylikerstelle vor Comm. apol. 630. In Prosa steht das Wort zuerst bei Sisenna, dann, von der grammatischen Erläuterung Varro ling. 6,56 abgesehen, erst wieder Bell. Afr. 35,3; 44,4. Auf langes Fortleben des Verbs in nie-

deren Sprachschichten deutet ein Zeugnis wie Ps. Musa herb. Vett.1. 28. An einen Archaismus oder Poetismus Sisennas ist hier nicht zu denken. Das Fragment unter dem Lemma Non. p. 40,5 f. supersedere, manere, perseverare etc. Unter der gleichen Rubrik aber auch Plaut. Epid. 39, wo diese Erklä-

rung gewiß falsch ist. Man wird ebenfalls für das supersedere Sisennas die übliche Bedeutung anzunehmen haben. So das Verb z. B. noch Caes. Gall. 2,8,1.

supersedere mit Inf. nach Sisenna hist. 108, dem ältesten Beleg, erst wieder Liv. 4,7,8; 21,40,1. enixim (hist. 110): Nur hier. enixe Plaut. Trin. 652; Cic. Sest. 38; Caes. civ. 3,35,2. Thes. s. vv. enixim braucht entgegen der Annahme Bardons I 255 kein Archaismus des Geschichtsschreibers zu sein.

foedera maiorum suum (hist. 112): Sisenna gebraucht beim Gen. Pl. der 2. Dekl. normalerweise die Endung -orum: hist. 26 (2mal); 51; 73 sine ullo suorum vulnere; 83; 91; 108; 109;

139. Die einzige Ausnahme

ist hist. 36 binum

milium. Der Gen. auf -um ist aber bei bini wie bei den übrigen Distributivzah-

len weit über Sisenna hinab üblich8, In all diesen Fällen gestattet sich der Historiker also keinerlei Extravaganz. Es nótigt auch nichts dazu, den Gen. suum als Archaismus Sisennas (Bardon I 255) oder überhaupt als Besonderheit zu deuten. Anscheinend haben die Possessivpronomina bei Verwandschaftsbezeichnun-

gen wie liberi, maiores, parentes den Gen. Pl. auf -um (-om) recht zäh bewahrt. In diese Richtung deutet Cicero, wenn er orat. 155 bei der Behandlung derartiger Bildungen gerade zu Pacuv. trag. 80 maiorum meum bemerkt: erat usitatum. Die Verteilung der Belege erhártet die Ansicht. Im folgenden werden die Possessivpronomina mit dem ersten Buchstaben abgekürzt. 37

38

280

Übrigens findet sich Sisenna hist. 83 supra vallum. Die Anastrophe liegt beim Relativpronomen näher als beim Subst. Vgl. auch Neue-Wagener II 946 ff.; Kühner—Stegmann 885 f. Nach Hofmann-Szantyr 216. wären die etwa bei Cicero hàufigeren Anastrophen Archaismen. Das Urteil basiert auf der Beobachtung, daß Terenz anders als Plautus zweisilbige Präpos. nur vor das Relativ setzt. Daß mit der Beobachtung eine später sich gradlinig fortsetzende Entwicklung der lebenden Sprache erfaßt ist, wird aber eben durch Ciceros Sprachgebrauch zweifelhaft. Die Belege bei Neue-Wagener II 329 ff. binorum Cic. p. red. in sen. 36 ist hier zu streichen: Eine wenig überzeugende Konjektur Madvigs. Von den folgenden Aus führungen einiges schon bei Stolz —Leumann 279.

Zunächst neben den drei genannten Subst. die Gen.Pl. der Possessivpronomina

auf-um (-om). liberum: Ter. Ad. 793 n.; Acc. trag. 424 (2) m. maiorum: Plaut. Aul. 166 n.; Capt. 324 n.; Cas. 418 m. (edd.: meorum trad.); Pseud. 581 m.(A: meorum P); Stich. 303 m.; Trin. 656 m.; Ter. Ad. 411 s.; Pacuv. trag. 80 m.; Sisenna hist. 112 s.; CIL I? 727,3 (?) s.; Cic.leg. agr. 2,69 (?) v. (E €: vestrorum rell.); Met. Cel. Cic. fam. 5,1,2 (?) n. (R: firi M: nostrorum G); Varro rust.3, 3,6 n. parentum: Plaut. Epid. 637 m.; Merc. 834 m.; Poen. 1062 t.??. Jetzt die frühesten Belege für die Gen. Pl. auf - orum. liberum (liberorum): Acc. trag. 79 (?) m. (Vossius: eorum trad.); Cic. Verr. II, 1,77 t.; II 3,91;und später. maiorum: Sulla hist. 3 n.; Cic. inv. 2,106 tum: Cic. Verr. II 5,138 s.; Cael. 79 v. maiorum

suum

s.; Verr. II 2,122 s.; und spáter. paren-

kann, wie bemerkt, zu Sisennas Zeit durchaus neben maiorum

suorum gelebt haben. Wenn der erstere Sprachgebrauch noch bei dem spáten Varro eine Parallele findet, so mag sich darin der sprachliche Konservativismus

eines alten Mannes äußern, der Sprachgewohnheiten jüngerer Jahre bewahrt.

aetatis granditatem (hist. 115): granditas hat nach Bardon I 255 eine altertümliche Fárbung. Aber das seltene Subst. ist vor dem Historiker gar nicht zu belegen, nach ihm Cic. Brut. 121 und vereinzelt spáter; in der gleichen Weise wie bei Sisenna überhaupt nie, abgesehen von Glossen. Thes. s. v. Doch

wird der

Sprachgebrauch des Geschichtsschreibers nicht fern gelegen haben. Das Adj. grandis wird seit Plaut.

Au]. 191 recht häufig auf das Alter bezogen. Thes. VI,2,

2180,29 ff. praefestinatim (hist. 117): Das Adv. nur hier, also nicht als Arcbaismus Sisennas (Bardon I 255) erweisbar, zumal das Synonym praefestinanter nur Itala

Esth. 6,14 p. 656,24 Motzo (cod. C) bezeugt ist. Neue—Wagener II 558; 722.

senati (F? H? PV: sentis H! : sati L': satis Εὖ L?: sena E) consulto (hist. 119): Über senati und senatuis 271 zu hist. 17. milites, ut lex Calpurnia concesserat, virtutis ergo civitate donari (hist. 120): Die Verbindung virtutis ergo verwendet Sisenna gewiß als Terminus der Gesetzessprache. Die Belege für die juristische Formel Thes. V 2,759,56 ff. Vielleicht handelt es sich überhaupt um ein Zitat aus der Lex Calpurnia. Von einem Archaismus Sisennas wird man im Gegensatz zu Bardons Andeutungen (I 255) hier besser nicht sprechen. clandestina celeriter (trad.: crebritudine Faber) transigi . . . decet (hist. 122): Das zu dem Fragment gestellte Lemma Non. p. 91,27 lautet: crebritudinem pro crebritatem. crebritudo außer in einer Glosse nur hier. Thes. s. v. crebritas erst Cic. fam. 3,1,1. Thes. s. v. utrumne divi (Iunius: viri trad.) cultu erga se mortalium laetiscant an superne 39

40

Wenn die Szeniker die Bildungen auf -um gebrauchen, so könnte das auch mit metrischen Gründen zusammenhängen, aber kaum ausschließlich. Übrigens mögen manche Bildungen auf -um der normalisierenden Überlieferung zum Opfer gefallen sein. Apparat der Noniusausgabe von Onions, Oxford 1895.

281

agentes (Leo: supernae egentes trad.: superna agentes Aldina) humana neglegant (hist. 123): Die Korrektur divi ist wohl richtig. Bei Plautus stehen den 8 sicheren

Belegen für divus (diva) über 400 für deus (dea) gegenüber. Die einzelnen Formen von divus treten dabei nicht in jeweils gleichem Maße hinter den konkurrierenden Bildungen von deus zurück. Der Nom. Pl. divi ist nur Aul. 50 zu sichern, di (dei, dii) etwa 200mal; die Frequenzen

für den Gen. Pl. divom und die entsprechende

Form von deus sind, bei Vernachlássigung zweifelhafter Stellen, 4 — Amph. 1121 und weitere 3mal divom atque hominum — und 25. Bei Terenz ist dann das Verhältnis 1 — Ad. 746 divom (Gen. PI. !) — zu rund 120; der Nom.Pl. von deus erscheint hier etwa 60mal. Der Befund legt die Ansicht nahe, daß jedenfalls der Nom. Pl. divi schon für Terenz nicht mehr lebt. Die aus spáterer Literatur zu gewinnenden Daten widersprechen dem nicht. Für Sisenna ist also divi wahrscheinlich antiquiert. Zugleich ist das Wort für ihn poetisch; vgl. etwa Naev. carm. frg.

24; Enn. ann. 208 divi (Iunius: diu trad.). Auch aus feierlicher Gebetssprache mag es dem Historiker bekannt gewesen sein; vgl. z. B. Cato agr. 141,1. Ein spezifisch historiographisches Idiom aber verwendet Sisenna mit dem Subst. wohl nicht. Denn divus begegnet sonst nicht mehr in den Fragmenten der republikanischen Geschichtsschreibung; dagegen findet sich Cato orig. 83 dii immortales; Quadrig. hist. 9 deorum; 79 deos *', Vielleicht verwendet Sisenna den altertümlich-poetischen Ausdruck nicht zufällig dort, wo er statt geschichtlicher Tatsachen eine zentrale theologische Frage behandelt.

mortales ist nach divi nicht auffüllig. 144 zu Pollio hist. 5. laetiscere ist, von Nonius und zeugt. Das Verb ist, wie schon nicht üblich gewesen. Vgl. als Thes. s. v. Genaueres läßt sich

Glossen abgesehen, nur noch Not. Tir. 62,5 a beBardon I 256 bemerkt, zu Sisennas Zeit gewiß Folie etwa die Verbreitung von gaudere, wozu nicht sagen.

Wenn die Herstellung superne agentes richtig ist^, dann bietet die Stelle den ältesten Beleg für superne. Danach das Adv. oft bei Lukrez tung erst wieder Verg.

Aen. 6,658; Hor. sat. 2,7,64;

ab

1,496, in Dich-

carm. 2,20,11; ars 4. Bei den

augusteischen Dichtern ist superne nur an den 4 letzten Stellen sicher nachzuweisen. In Prosa ist das Adv.

recht häufig seit Liv. 1,25,12. Jedenfalls in Sisen-

nas Periode braucht superne nicht ein Poeticum gewesen zu sein. Denn wenn nach dem Historiker als einziger republikanischer Dichter Lukrez vielfach das Adv. verwendet, so ist das eine individuell lukrezische Praxis, die für Sisenna nichts besagt. 41

42

Zu der Annahme stimmt auch das späte vereinzelte Auftauchen des antiquierten Wortes bei Sallust in der Peroratio or. Lep. 27: bene iuvantibus divis (wohl nachgeahmt Liv. 31,7,14); deus findet sich mehrfach ab Catil 1,2. Weitere Matcrialien Thes. s. v. Bei allem ist natürlich zu berücksichtigen, daß Überlieferung dazu tendiert, Formen von divus durch Formen von deus zu ersetzen. Z. B. ist Ter. Ad. 746, wo divom durch das Metrum gesichert ist, auch deum überliefert. Leo begründet seinen Vorschlag mit teils zu korrigierenden Argumenten ALL 10,

1898, 435.

282

Die Dinge lágen nicht wesentlich anders bei superna agentes. Das Adj. super-

nus wäre bei Sisenna erstmals bezeugt. Die nächsten Belege Lucr. 5,647 inferna supernis; 6,192 (trad.: superne Bentley); 6,942 (trad.: superne Lachmann); Hor. epod. 1,29 (superne var. trad.); Ov. met. 15,128. Marius . . . suos continuatur (hist. 125): Das seltene Verb hier erstmals, dann

erst Apul. met. 1,24. Thes. s.v. Ein Archaismus des Historikers (Bardon I 255) ist in dem Wort nicht zu erkennen. celatim (hist. 126): Nicht mit Bardon I 255 als antiquiert zu klassifizieren. Das Adv. wird Thes. s. v. nur hier nachgewiesen. vellicatim aut saltuatim (hist. 127): Das erste Adv., von Glossen abgesehen, nur bei Sisenna. Das zweite vorher nie, nachher erst wieder Gell. 9,4,9. S. etwa Neue—Wagener II 563; 559. Die Annahme, die Bildungen seien für Sisenna altertümlich — so Bardon Y 255 über vellicatim — ist unerweislich. inferendae pernicii causa (hist. 128): Der Gen. von pernicies wenigstens bis zum Ende der Republik nur noch Acc. trag. 434 permiti; Cic. S. Rosc. 131 per-

nicii?. Nichts berechtigt dazu, in Sisennas pernicii einen Archaismus (Bardon I 255) oder überhaupt eine Besonderheit zu sehen. caelum caligine stat (hist. 130): caligo steht gelegentlich schon vor Sisenna in höherer Dichtung, so Enn. ann. 21, aber auch in Prosa: Cato orig. 77. Öfter

das Subst. auch etwa in ciceronischer Prosa, meist allerdings metaphorisch,

so

noch Cic. Phil. 12,3; in konkretem Sinn deutlich Cic. leg. agr. 2,44. Der Befund rát nicht dazu, in caligo einen Poetismus Sisennas zu vermuten. Überdies deutet das Fortleben des Wortes im Romanischen auf feste Verankerung in der lebenden Sprache. Vgl. Meyer—Lübke 1516. Die sicheren Belege für stare ala.re sind in republikanischem Schrifttum und bei Vergil und Horaz: Enn. ann. 608 stant pulvere campi; Caecil. com. 219, im trochäischen Septenar, ager . . . stet sentibus; Titin. com. 144, im iambischen 1301

Oktonar,

stat sentibus

fundi

stabunt

fundus;

sentibus;

Sisenna

Lucil. 213

stat sentibus

hist. 130; Verg. Aen. 6,300

pectus;

stant lumina

flamma; 12,407 f. iam pulvere caelum stare vident. Bereits dieser Befund läßt Zweifel an der Möglichkeit aufkommen, Sisennas Ausdruck als Poetismus zu klassifizieren. Der Zweifel wüchst, wenn die am ehesten synonyme Verwendung von plenum esse und horrere herangezogen wird. stare ala.re wird hauptsächlich oder, wenn caelum flächig aufgefaßt werden darf, ausschließlich von Flächen gesagt; auf die Verbindung von plenum esse mit Fláchen, caelum eingeschlossen, beschrünkt sich die folgende bis zur letzten Cicerostelle vollstándige Belegsammlung: Plaut. Merc. 880 caelum ut est splendore plenum; Mil. 513 plenumst undarum mare; Cic. Sull. 28 plenum forum est... hominum; Flacc. 57 est forum . . . plenum optimorum virorum. 43

Nach Gell 9,14,19; die Form pflegen die Herausgeber gegenüber dem pernicie der Cicerohss. mit Recht vorzuziehen. Die Stelle ist, wie nach anderen etwa Sommer

396 hervorhebt, ein lehrreiches Beispiel für die geringe Zuverlässigkeit der Codd, in solchen Dingen.

283

horrere ala.re wird in konkreter Bedeutung Thes. VI 3,2976,70 ff. für republikanische Zeit nur Enn. frg. var. 14, in der Parodie Lucil. 1190 und Acc.

trag. 413 belegt. stare ala.re kann in prosaischer Ausdrucksweise vor und zur Zeit Sisennas gut mangels Anwendungsgelegenheit fehlen^. Abl. sibilu (hist. 131): sibilus ist als Subst. der 4. Dekl. bei Neue—Wagener I 786 nur an dieser Stelle nachgewiesen. Vor dem Geschichtsschreiber

taucht das Wort lediglich Pacuv. trag. 336 und Lucil. 1293 auf, und zwar als Nom. Sg. Als Subst. kennen.

Die Ansicht,

der 2. Dekl.

Sisenna

ist sibilus erst Cic. Q. Rosc. 30 zu er-

bediene

sich einer

antiquierten

Form

(Bardon

1 255), ist nicht zu rechtfertigen. S. auch 271f. zu hist. 26. dictaturam . . . suffragaverunt (hist. 132): suffragare ist nicht als Archaismus Sisennas (Bardon 1 255) zu klassifizieren. Die aktive Form im Senar

Pompon. Atell. 106 und später einigemal ab Itala deut. 28,29 (Lugd.). Das Dep. suffragari erscheint zuerst Cic. Verr. II 5,178. tanto plures passim dispalantur (hist. 134): Über dispalari 273 zu hist. 35. hostis loca superiora potiti (hist. 135): Über potiri mit Akk. 273 zu hist. 42. senati (Guyet: senatis trad.: senatuis Mercier) consultis (hist. 136): Über senati und senatuis 271 zu hist. 17. cursim, properatim, celatim, vellicatim, saltuatim (hist. 137): Die Wórter Gell. 12,15,1, wo hinzugefügt wird: ex quibus duo prima, quia sunt notiora, exemplis non indigebant. cursim ist keine Besonderheit. Thes. s. v., wo etwa Cic. Att. 16,1,2. properatim nach Neue—Wagener I 558 noch Caecil. com. 167 im Senar; Pompon. Atell. 26; im Hexameter CIL VI 25703,2. Die zitierte Bemerkung des

Gellius läßt annehmen, daß das Adv. häufiger vorkam. Das Synonym properanter

steht erst Lucr. 5,300,

properato

Tac. ann. 13,1,3,

noch

später properate.

Über celatim 283 zu hist. 126, vellicatim und saltuatim 283 zu hist. 127. vitam cum dolore et insigni cruciatu carnificatus amisit (hist. 138): Dies der älteste Beleg für carnificare, danach erst wieder Liv. 24,15,5. Thes. s. v. Als Archaismus Sisennas (Bardon I 255) kann das Verb nicht gelten. a navibus semionustis (hist. 139): semionustus ist sonst nicht nachgewiesen. Das ungefähr synonyme semiplenus erstmals Cic. Verr. II 5,63 navibus . . . semiplenis. Über die Bildung, die bei Sisenna erscheint, läßt sich nichts sagen”. 44

caligine caelum

ist Versschluß Verg. Aen.

11,187, und man

könnte aus dem

Satz Si-

sennas mit leichten Veränderungen ein Hexameterende gewinnen: stat caligine caelum. Aber was ist damit bewiesen? Dem

45

Historiker ist es hier offenbar gerade nicht

auf daktylischen Epenklang angekommen. Bardon I 256 erblickt in dem Adj. einen Beweis für Sisennas Neigung zu extravaganter Sprachgestaltung. Die Deutung wáre selbst dann fraglich, wenn das Wort ein sicherer Neologismus des Historikers wáre. Unter den oft vereinzelten Belegen für Zusammensetzungen

mit semi- mógen

sich manche

spontane Bildungen befinden; gerade zu

derartigen Neuschópfungen mag die Sprache leicht bereit gewesen sein. Analogien wohl die Zusammensetzungen

284

mit ner.

mediterream melius quam mediterraneam Sisenna dici putat (hist. 141 Ξ gramm. frg. 128,2 Fun.):

Äußerung Sisennas. mediterraneus,

von

Anscheinend

der Reflex einer sprachtheoretischen

Die von ihm befürwortete Form ist sonst nicht bezeugt, der zitierten

Stelle

abgesehen,

zuerst Cic. Verr. II 3,85.

Thes. s. vv. Móglicherweise stehen hinter Sisennas Vorschlag analogetische Vorstellungen: terreus — mediterreus; denn terraneus, das nirgends nachzuweisen

ist, hat vielleicht weder

zur Zeit

Sisennas

stiert^".

noch

sonst jemals

exi-

|

apud Sallustium et Sisennam invenitur die in dativo; faciebant et genitivum in ies, huius dies (hist. 142): Den Dat. die rechnet Bardon I 255 zu den Archaismen Sisennas. Der Text steht im Aeneiskommentar des Humanisten Pietro Leoni, bekannt als Cynthius Cenetensis; Cynthius gehórt dem

15. Jh. an. Die angeführte Notiz zu Verg. Aen. 1,636 ist offensichtlich eine ungenaue Wiedergabe von Gell. 9,14 und hätte nicht den Sisennafragmenten

zugewiesen werden dürfen ^*. Adv. false (hist. 143):

Dies neben dem gewiß ebenfalls anzuerkennenden

Beleg Cic. inv. 2,36 (falso var. trad.) das älteste Zeugnis für die Form. Danach

erst Lucif. Athan. 2,4 p. 154,9.

Thes.

s. v.

Soweit über die Historiae Sisennas. Werten wir den vorgelegten Befund aus: Als Archaismen Sisennas dürfen allenfalls gelten occipere hist. 25 und 104, divi hist. 123; der letztere Ausdruck ist zugleich auch dichterisch. Danach fände sich je ein Archaismus in einem Text von etwa 390 Wörtern. Ist Sisenna deshalb ein Archaist ? Mit der Bejahung der Frage wird zögern, wer bedenkt, daß die Fragmente Sisennas mehr noch als die anderer republikanischer Geschichtsschreiber wegen sprachlicher Merkwürdigkeiten erhalten sind. Archaismen sind in der Gesamtheit der zahlreichen Historienbruchstücke also mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, als in einem gleich umfangreichen kontinuierlichen Textquantum. Hinzu kommt, daß der Gebrauch von divi gut mit der Thematik der Stelle zusammenhängen kann. Und das Erscheinen des ohnehin nicht

46

Eine andere Äußerung des Historikers zur Grammatik 75 A.45. Als Indiz für ungewóhnliche Sprachgestaltung des Historikers Sisenna (Bardon I 256) ist die zitierte Stelle kaum mit Zuversicht zu verwenden.

47

Allerdings erscheint terreus erst scit Varro ling. 5,48. Für die dargelegte Deutungsmöglichkeit von Sisennas mediterreus entschieden bereits Calboli 222; Badian 26.

48

Ein ganz áhnliches Problem übrigens bei Varro gramm. frg. 258, 216 Fun. Über Cynthius informiert R. Sabbadini, Le scoperte dei codici Latini e Greci nei secoli XIV e XV,

Firenze

1905,

167 f. Der Aeneiskommentar des Humanisten

bietet

übrigens noch andere „Sisennafragmente“. So wird zu Verg. Aen. 1,242 ein längerer Passus mit den Worten eingeleitet: Sisenna sic scribit. Es folgt eine Mischung aus Dictys, Servius auctus und

Vergil. Peter unterläßt jede Erwähnung

dieser „Fragmen-

te", die ebensoviel oder -wenig Beachtung verdienen wie die im Text behandelte Stelle.

285

prinzipiell verwendeten occipere beruht móglicherweise auf einer marottenhaften Vorliebe für eben nur dieses Wort; das hátte Parallelen bei Autoren,

die archaistischer Neigungen unverdächtig sind^". Vor allem aber fügt sich die unmotivierte Verwendung vereinzelter Archaismen bei dem Geschichtsschreiber Sisenna in eine allgemeine Neigung zu ungewóhnlichem Prosaausdruck ein, wie sie nach Cic. Brut. 259f. auch an dem

Redner auffiel. In dem historischen Werk wird die Neigung durch die Einwirkung Kleitarchs (Cic. leg. 1,7) verstärkt worden sein, der anscheinend pompóse Wörter

liebte; vgl. FGrHist

137

T 9;

10. Wenn

Cicero

Brut. 260

Sisennas

Hang zum inusitate loqui mit dem wohl als Neologismus zu diagnostizieren-

den sputatilicus veranschaulicht, so darf man unter den singuláren Ausdrücken der Historiae insbesondere Neubildungen vermuten. Es ist dabei etwa an die Hapaxlegomena unter den von Sisenna geschätzten Adv. auf -im zu denken. Bei diesen Formen kann auch eine bewußte Anwendung analogetischer Grundsátze im Spiel sein. Die letztere Annahme mag auch für fluvia hist. 53 und 54 oder das Fem. finis hist. 59 gelten. Daneben ist zur Erklärung gerade dieser

Bildungen der Einfluf des Accius in Betracht zu ziehen. Auch bei anderen

Accius und Sisenna gemeinsamen Sprachbesonderheiten?? ist eine Einwirkung des Tragikers auf seinen jüngeren Zeitgenossen, der wohl rhetorice et tragice (Cic. Brut. 43) Geschichte schreiben wollte, nicht ausgeschlossen. Das hieße nicht, daß gemeinpoetisches Sprachgut bei Sisenna von großer Bedeutung sein müßte; von

divi abgesehen,

ist bei Sisenna kein derartiger Poetismus nachzu-

weisen. Der Gebrauch von Archaismen kann schwerlich als beherrschender Grundzug

in der Sprs 91^ "^

jisennafragmente gelten. Zu diesem Eindruck paßt Ciceros

bereits besprochenes Urteil über die Historiae. Wenn

in den Bruchstücken kei-

ne Beziehungen zum ennianischen Epos deutlich wahrnehmbar sind, bestätigt sich die Einordnung Sisennas durch Fronto.

Mit der Neigung zum exquisiten Ausdruck verbindet sich bei Sisenna die Vermeidung von Umgangs- oder Vulgärsprachlichem. Das einzige Idiom, das nach den vorgelegten Materialien zu Sisennas Zeit hinlänglich sicher niedrigeren Sprachbezirken angehórt hat, ist uti mit dem Akk. hist. 101. Der Befund ge-

winnt besonderes Relief vor der Folie von Quadrigarius' Sprachgebrauch?!. Unter diesem Aspekt erweist sich Sisenna auch in den Historien als bene La-

tine loquens (Cic. Brut. 228). 49 50

Vgl. 59 und bes. A. 46. fortassean hist. 49; pecuda hist. 76. Vgl auch proris (? ) hist. 105.

51

Dazu 261. Noch eine Kleinigkeit, in der die Ausdrucksweise Sisennas von der anderer Historiker abweicht. In der Geschichtsschreibung vor Sisenna und noch bei Quadrigarius steht atque vor Konsonanten wie Vokalen. Dazu 213 A.14. Sisenna schreibt

gleichmäßig vor Konsonanten ac (20 mal), vor Vokalen atque (10 mal). Dieselbe Technik auch bei Tubero

286

und dem Autor von Ps, Quadrig.

hist.

12.

b) C. Licinius Macer Wenigstens

16 Bücher haben

die Annalen

des C. Licinius Macer, gest. 67 a. Chr.,

umfafit??. Von dem Werk sind höchstens 7 kurze Fragmente im Wortlaut erhalten. Auch bei Macer findet Bardon I 259 „le goüt de l'archaisme". Als Redner hat Macer schwerlich archaisiert: Cicero hätte derartige Neigungen Brut. 238 gewiß nicht verschwiegen. Über den Historiker Macer legt Cicero leg. 1,7 dem Atticus ein in Einzelheiten gehendes Urteil in den Mund, das recht ungünstig ist. Von einer archaistischen Sprachgestaltung wird nichts gesagt. Das rát davon ab, in den Annalen viele Archaismen zu vermuten. In die gleiche Richtung deutet

das offenbar geringe Interesse der spáten Grammatiker am Werk des Geschichtsschreibers. Und nun die Besonderheiten der Fragmente. non minimo opere milites quietes volebant esse (hist. 7): Die Wendung minimo opere ist jedenfalls in republikanischer Zeit nicht mehr bezeugt. Das Fragment steht Prisc. gramm. H 243,2 f. als Beispiel für dreigeschlechtiges quies. Im gleichen Zusammenhang wird Naev. carm. frg.22 zitiert: mentem fortuna fecerat quietem. Außer an diesen Stellen ist das Adj. quies nur noch Apul. Plat. 2,5 nachgewiesen. Neue—Wagener II 169. Die ältesten sicheren Belege für das Subst. quies sind Plaut. Curc. 272; Rud. 916; Acc. praet. 17; Afran. com. 76; Sisenna hist. 45; Cic. Manil. 40. quietus bereits Plaut. Curc. 492 und öfter bei

Plautus; dann Ter. Phorm. 713; Eun. 277; Lucil. 391 (?); 459; Varro Men. 357; Cic. inv. 1,4 und später mehrfach. quies „ruhig“ ist, wie schon Bardon 1259 A.2

annimmt, für Macer sehr wahrscheinlich antiquiert gewesen??. alii modi (hist. 20): Für Macer wohl keine Besonderheit. 218 zu Coel. hist. 3.

nequaquam sui lavandi (lavadi FH! L: lanuandi P! : lavandi rell.) reluant arma

lue (luae H! : lue rell.) (hist. 21)°*: Das nicht einhellig überlieferte Lemma Non. p. 52,6 dazu: lues a rebus solvendis proposita. Der Sinn des Fragments ist nicht deutlich. Nach Bardon I 259 A.2 wären reluere und lues ,,au sens de: chose en liquéfaction" Archaismen Macers. reluere ist vorher nur Caecil. com. 105 bezeugt, wozu Fest. p. 281 richtig kommentiert wird: reluere resolvere, repignerare; danach wohl die Glossen. Im gleichen Sinn reluere Ps. Cic. in Sall. 19. Der einzige sonstige Beleg steht Priscill. tract. 4,80 in der Bedeutung „zurückfließen‘“. Das unklare reluere braucht bei diesem Befund nicht für Macer veraltet gewesen zu sein. Ganz dasselbe gilt für lues. Das Subst. vor Macer allein Carm. Arv. (CIL I? 2) 2, nach ihm Cic. har. resp. 24; Verg. Aen. 3,139 und später. An den zitierten Stellen 52

Münzer, RE XXV (1926) 421 f. bestreitet die Zuverlässigkeit dieser überlieferten Buchzahl

53

Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, daß quies auch in dem Macerfragment „Ruhe“ heißt. quietes wäre dann der Akk. cines a. c. i.; der Pl. hätte eine Entsprechung etwa in vitae Quadrig. hist. 27. Die bei Priscian vertretene Deutung ist nicht absolut verbind-

lich. Welche sprachlichen Mißdeutungen antike Kommentatoren vortragen können, veranschaulichen Stellen wie Caesell

54

Gell. 6,2,4 f.; Serv. Aen.

9,484.

Der Apparat nach der Noniusausgabe von Onions, Oxford 1895.

287

und sonst normalerweise

bedeutet lues die Seuche; das kónnte auch der Sinn des

Wortes in dem Macerfragment sein. In der Bedeutung „Flüssigkeit“ taucht lues erst nach Macer auf, etwa Petron. 123 v. 192.

neglegerit (hist. 22): Das Bruchstück Prisc. gramm. II 525,3 ff. Das Perf. neglegi hier erstmals als Beispiel für die zitierte Form; die späteren Belege wie Sall. Catil. 51,24; Iug. 40,1 sind nicht einwandfrei überliefert. neglexi vor Ciceros Verrinen lediglich Plaut. Amph. 586; Merc. 86; Ter. Hec. 670; Phorm. 54; Cic. inv. 1,80;

Quinct. 75; S. Rosc. 113. Der Sprachgebrauch mag zu Macers Lebzeiten nicht fest che der legi III

gewesen sein. Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß in der lebenden SpraPerfektbildungen wie collegi, elegi auf der einen Seite, intellexi, neglexi auf anderen sich gegenseitig beeinflußt haben. So erklärt sich sporadisches intelseit Lucr. 6,17, wozu Thes. VII 1,2069,68 ff. Das Pendant dazu collexi Thes. 1606,17 ff., wozu noch Pap. Corp. 254,12 f.; elexi Thes. V 2,375,59 f. Als Ar-

chaismus Macers (Bardon I 259 A.2) ist das neglegerit kaum am besten gedeutet. clipea portant (hist. 24): Das Neutr. clipeum ist entgegen Bardon I 259 A2 kein Archaismus Macers. Der älteste Beleg für das Neutr. ist Pompon. Atell. 29; später clipeum etwa Vitr. 5,10,5. clipeus ist anscheinend älter, schon etwa Plaut.

Curc. 574. In ciceronischer Zeit wie auch in der beginnenden Kaiserzeit ist nach unseren Belegen clipeum mit clipeus wenigstens ziemlich gleichberechtigt. Thes.

IH 1351,35 ff. per forum se in Capitolium contendit (hist. 25): Die Verbindung von contendere mit Reflexivpronomen wird Thes. IV 666,14 nur hier belegt.

Wer Macers Gebrauch des altertümlichen quies ,,ruhig" erklären will, kann nur mit Möglichkeiten operieren. Etwa der, daß der Satz einem Feldherrn der Vorzeit in den Mund gelegt war. Jedenfalls ist aber das vereinzelte antiquierte Idiom, das die spätere Grammatik als Rarität erhalten hat, ein viel zu schwaches Fundament für den Schluß, die Annales seien archaistisch gewesen. Und es gibt eben mancherlei Umstände, die von einem solchen Schluß einigermaßen abraten.

Damit ist die Betrachtung der republikanischen Historiographie abgeschlossen 55

Die Commentarii Caesars müssen ganz aus dem Spiel bleiben. Sie sind ja keine historiographischen Werke im antiken Sinne. Deshalb kann Cicero noch Brut. 22 über die Unzulänglichkeit der bisherigen römischen Geschichtsschreibung klagen. Die im Gefolge der Commentarii entstandenen Bella dürften ebenso wie diese zu beurteilen sein. Ohnehin wird man schwerlich in den Bella — von Caesars Schriften natürlich ganz zu schweigen — archaistische Tendenzen nachweisen können, Die Untersuchungen, die mehr oder weni ger deutlich in diese Richtung zielen, reichen nicht aus. Genannt

seien G. Landgraf, Un-

tersuchungen zu Caesar und seinen Fortsetzern, Erlangen 1888 (Pollio Verfasser des BelIum Alexandrinum); Heubner; H. Pótter, Untersuchungen zum Bellum Al. und zum Bellum Afr., Diss. Münster, Leipzig 1932, 77 ff. (Sallust Verfasser des Bellum Africum).

G. Pascucci stellt in dem Index seiner kommentierten Ausgabe des Bellum Hispaniense, Firenze

1965, 401 unter der Rubrik

„arcaismo“ eine stattliche Anzahl von Belegen aus

der Schrift zusammen. Meistens sind aber deutlich Ausdrücke gemeint, die leben, nur hauptsüchlich in vorciceronischer Literatur belegt sind. Wo das nicht der Fall ist, sollte man nicht zu gläubig sein. Ein Beispiel: Nach den Angaben Pascuccis zu Bell Hisp. 31,7 kónnte praepedire als Archaismus des Anonymus erscheinen. Aber praepedire taucht

288

5. Zusammenfassung

Den vorausgegangenen Untersuchungen liegt eine in mehrfacher Hinsicht schmale Materialbasis zugrunde. Dieser Tatbestand läßt Vorsicht bei der Formulierung des Gesamtergebnisses als ratsam erscheinen, aber er zwingt nicht dazu, auf jede Aussage zu verzichten. Nach allem Anschein haben manche vorsallustischen Geschichtsschreiber Archaismen verwendet. Aber auch ihr Archaismengebrauch war wohl nicht prinzipiell

und hat ihren Stil nicht beherrschend geprágt. Im Hinblick auf die Móglichkeit grundsätzlich poetisierender Ausdrucksweise scheint das gleiche negative Ergebnis zu gelten, ohne daß damit das Vorkommen einzelner Poetismen geleugnet

wäre. Eine auffälligere Verwendung antiquiert-poetischen Vokabulars ist allerdings für Coelius Antipater anzunehmen. Er ist wahrscheinlich der einzige republikanische Historikez, dessen Vokabular mit Ennius zusammenhängt. Aber auch hinsichtlich Antipaters ist ungewiß, ob archaistische Tendenzen zu konstatieren sind. Dem soeben entworfenen Gesamtbild entspricht es, wenn Cicero de orat. 2,64 bei der Behandlung des historiographischen Stils auf die Wortwahl nicht ein-

geht. Offenbar wird er weder durch irgendwelche Theorien noch durch die Praxis der Geschichtsschreibung dazu veranlaßt, dem Genös in diesem Punkt Besonderheiten zuzugestehen, die der Redekunst fremd wären. Als deutlichste — freilich nicht durchweg gleichermaßen festzustellende — Dif-

ferenz zwischen historischer und oratorischer Sprachpraxis drängt sich auf: Die Historiographie gestattet sich öfter in der Beredsamkeit verschmähte Idiome, die niedrigeren Schichten der lebenden Sprache zu entstammen scheinen ὦ, Es sind eben im allgemeinen die sprachlich-stilistisch weniger geschulten Männer,

die sich der Geschichtsschreibung zuwenden. Schon Cicero beobachtet de orat. 2,55: nemo . . . studet eloquentiae nostrorum hominum, nisi ut in causis atque in foro eluceat. auch noch Chiron. 961 auf, was auf ein gewisses Fortleben des Wortes im gesprochenen

Latein deutet.

— Mancherlei Passagen,

die man

der Geschichtsschreibung zurechnen

kónnte, enthált auch das Werk Ciceros. Am wichtigsten ist die Darstellung der rómischen Frühgeschichte, Cic. rep. 2,4 ff. Aber natürlich kónnten etwaige antiquierte Ausdrücke im Munde Scipios nichts Sicheres für die Sprache der Geschichtsschreibung lehren, Auch

in mancher anderen Hinsicht wären

die historischen Passagen Ciceros von zwei

felhafter Relevanz für unsere Problematik, 1

Dazu 43.

2

Ganz

ähnlich schon Dihle, Rez. 597 f.

289

Wenn unter den republikanischen Historikern kein wirklich überragender Stilist ist, der sprachprägend hätte wirken können’, so läßt das vermuten: Einen Sprachbereich, der als besonderes Eigentum der Geschichtsschreibung empfunden worden wäre, hat es in dieser Zeit nicht gegeben*. Das schließt die Weitergabe bestimmter Floskeln nicht aus?. Wie dem aber auch sein mag; jedenfalls sind Ausdrücke, die als antiquierte Idiome Sondergut der Historiographie gewesen wáren,

vor Sallust nicht nachzuweisen. 3

4

Das gilt ebenfalls von Cato, wenn die verfeinerten Maßstäbe nachcatonischer Zeit zugrunde gelegt werden. Ob die Annales des Hortensius ein prosaisches Werk waren, ist trotz Bardon I 249f. wenigstens zweifelhaft. Waren sie es, dann waren sie als ParerEon des großen Redners, der als Schriftsteller überdies nicht recht eindrucksvoll gewesen zu sein scheint, schwerlich eine bedeutende stilistische Leistung. Damit wäre auch erklärt, weshalb Cicero im Brutus von ihnen schweigt. Badian 33 A.80 und sonst hält etwa Adj. auf -osus, Adv. auf -im für traditionelle

Charakteristika der Historikersprache. Aber man vermißt einen Beweis dafür, daß diese Sprachmerkmale gerade der Geschichtsschreibung eigentümlich sind. Die geringen Mengen

3

des erhaltenen Vergleichsmaterials lassen von vornherein

die Aussich-

ten für einen derartigen Beweis als wenig günstig erscheinen. Zu Einzelnem vgl. meine Darlegungen passim. Vgl. 263 A.124.

290

ΙΝ. Archaisieren bei Sallust und in augusteischer Zeit 1. Die Geschichtsschriften Sallusts a) Archaismen in den erhaltenen Texten

Über die Archaismen und die mit ihnen zusammenhängenden Sprach- und Stileigentümlichkeiten des Historikers Sallust ist schon mehrfach gehandelt worden, gewi nicht ohne Nutzen!. Befriedigen kann das bisher Geleistete nicht. Der Nachweis, daß ein Idiom für Sallust antiquiert ist, wird vielfach nicht mit hinreichender Intensität geführt; willkürliche Annahmen sind nicht selten. Nie ist der entschiedene Versuch gemacht worden, wirklich sämtliche Archaismen Sallusts zusammenzustellen; verhältnismäßig wenig ist auf die Frequenzen der sallustischen Archaismen geachtet worden, ihre Verteilung und ihr Verhältnis zu den Synonymen bei Sallust: Voraussetzungen, mit deren Erfüllung erst der Umfang des sal-

lustischen Archaismengebrauchs sichtbar würde. Auch etwa die Frage, welcher Art und welcher Provenienz

die Archaismen

Sallusts sind, und manches andere

mit den Archaismen Sallusts verknüpfte Problem sind noch nicht systematisch und allseitig erörtert worden. Eine derartige umfassende Arbeit würde freilich eine eigene Monographie ausfüllen. Diese Monographie kann hier nicht vorgelegt werden. Was hier geleistet werden kann und soll, ist eine Skizze des zu erstellenden Gesamtbildes. Das gebotene Sprachmaterial wird dabei nur eine — wennschon umfangreiche —

exemplifizierende Auslese darstellen”. In stárkerem Maße wird Fülle bei den 1

Eine Sammlung der bisherigen Arbeiten über Sallusts Sprache und Stil gibt Leeman, Bibliography Nr. 471—564 A. Fast alle wichtige Literatur zu dem Thema auch bei Hofmann-Szantyr

LXXXIV f. Unter den Arbeiten über Sallusts Archaismen

seien

hervorgehoben die Darstellung von Fighiera passim, der die ältere Literatur verarber tet; Kroll, Sallust; Latte 11 ΓΕ aus neuerer Zeit Bolaffi 79 ff.; Skard, Vorgänger passim; Syme 261 ff. Die letzten umfassenderen Arbeiten über Sallust: E. Pasoli, Le Hr

storiae e le opere minori di Sallustio, Bologna 19672. Das Werk bietet außer dem Bekannten nichts, was für unsere Darlegung von Belang wäre. Das Gleiche gilt von

2

G. M. Paul, Sallust, in:. Latin Historians, Chapters by E. A. Thompson etc., edited by T. A. Dorey, London 1966, 85 ff. Für den antiquierten Charakter eines Idioms wird in der Regel nicht einfach auf die Sekundárliteratur verwiesen, teils, weil die Erórterung hier eben nicht hinreichend ist, teils, weil dem Leser das Urteil erleichtert werden soll; manches ist bisher auch überschen worden. Wenn einige der als sallustische Archaismen klassifizierten Besonderheiten ófter in der nachsallustischen Prosa nachzuweisen sind,

so in erster Linie deshalb: Die spátere Kunstprosa steht in Vokabular und Phraseologie weitgehend

unter dem unmittelbaren oder mittelbaren Einfluß Sailusts

Das gilt

291

Aspekten erstrebt, unter denen dieses Sprachmaterial betrachtet wird; auf die Darbietung manches bereits von anderen Gesagten kann dabei im Interesse dieser Vielseitigkeit nicht verzichtet werden. Wir lassen uns von zwei Hauptfragen leiten: Welcher Art sind die antiquierten Idiome, die Sallust verwendet? Wie werden sie von dem Historiker verwendet? Zuerst über das erste Problem. Mit den sprachlichen Archaismen sei begonnen. Die Ausführungen zu dem jeweiligen Idiom folgen meistens einem bestimmten Schema. Zuerst wird Sal-

lusts Sprachgebrauch beschrieben: Dazu werden erstens alle Sallustbelege für den Archaismus gegeben, zweitens der sallustische Gebrauch von einigen oder allen — annähernden — Synonymen, die nicht als veraltet gelten können, dargestellt. Dann wird die Antiquiertheit des betreffenden Idioms für Sallust erwiesen: Dazu werden erstens die in entsprechende Richtung zielenden zeitgenössischen Äußerungen angeführt. Zweitens wird das Vorkommen des Ausdrucks bis wenigstens Sallust skizziert. Drittens wird gezeigt, daß das Idiom in dem Schrifttum vor und während Sallusts Lebzeiten durchaus hinreichend oft hätte vorkommen können; das geschieht im allgemeinen durch einen Hinweis auf die Verbreitung der Ersatzausdrücke in dieser Periode.

Sallust gebraucht Wörter, die zu seiner Zeit der lebenden Sprache ganz abhanden gekommen sind. Beispiele für Subst.: cupido: Catil. 3,5; 7,3; 10,3; 13,3; Iug. 1,4; 6,3; 19,1; 20,6; 25,7; 37,4; 42,2; 63,2; 64,1; 64,5; 89,6; 93,3; in den Historien 4mal ab or. Phil. 7. cupiditas Catil. 2,1; 5,4; 21,4. Weiteres 198 f. facundia: Catil. 53,3; Iug. 30,4; 63,3; 102,4; or. Cottae 4; hist. frg. 4,54. eloquentia Catil. 5,4; 54,1. facundia vor Sallust nur Ter. Haut. 13, nach ihm verschiedentlich in Dichtung ab Hor. carm. 4,7,23, in Prosa bei Livius — aber nur 3,11,6, dagegen 10mal eloquentia ab 10,15,12 — , häufiger seit Valerius Maximus ab 1 praef. eloquentia seit Crassus or. frg. 66,45,43

Malc.; Varro Men. 336; Rhet. Her.

3,6,11, sehr häufig bei Cicero. Thes. s. vv. insomnia: Catil. 27,2; epist. Mithr. 7. Annähernd synonymes vigilia Catil. 5,3; 15,4. Weiteres

197.

luxus: Catil. 13,3; 53,5 luxu atque desidia; Iug. 2,4 per luxum et ignaviam; 6,1; hist. frg. 1,16; or. Phil. 11; nur im Dat., Akk. und Abl. Sg.; luxuria insgesamt nicht nur für die Geschichtsschreibung oder ihr nahestehende Texte, obschon für sie in besonderem Maße.

Ein Umstand,

der, nebenbei bemerkt,

für den heutigen

Leser

verschleiert, wie kühn Sallusts Sprache in seiner Zeit gewirkt haben muß. Die Verwendung solcher sallustischer Ausdrücke in nachsallustischer Prosa ist im allgemeinen etwas an-

deres als das Wiederauftauchen von Idiomen vorsallustischer Historiographen in späterem Schrifttum. Bei dem letzteren Phänomen handelt es sich in der Regel um das Heraufsteigen unterdrückten lebenden Sprachgutes; es erscheint in sprachlich niedrigen Texten, oft im Romanischen. Die sallustischen Archaismen sind überwiegend oder ausschließlich in sprachlich anspruchsvoller Prosa zu finden; obgleich teilweise hier recht häufig, fehlen sie dann im Romanischen.

292

12mal ab Catil. 5,8, und zwar in den entsprechenden Kasus Catil. 24,3; 25,4; 52,7; 52,22; Iug. 61,3; 89,8. Nie in den Historien. luxus vor Sallust Ter. Ad. 760; im Hexameter

Varro Men. 252 wahrscheinliche Konjektur; Lucr. 5,48 luxus de-

sidiaeque?. Nach Sallust selten in augusteischer Dichtung, ferner Liv. praef. 12 per luxum atque libidinem; 1,57,9; 7,29,5 fluentes luxu, ähnlich 7,32,7. Weiter in Prosa Sen.contr. 1 praef. 7 Variation luxu temporum — luxuria. 2,5,7 (Papirius Fabianus) luxu fluente; einigemal beim Philosophen Seneca, gelegentlich in deutlichem Anschluß an Ältere, z.B. nat. 1,17,5 libidinem luxumque; epist. 78,25

luxu fluentibus; ähnlich auch vereinzelt bei späteren Prosaikern, Lieb-

lingswort des Tacitus. luxuria (-es) seit Plaut. Asin. 819, dann etwa Quadrig. hist. 15, Rhet. Her. 1,5,8, vielfach bei Cicero ab Quinct. 92; Caes. civ. 3,96,1 f.; gelegentlich bei Varro — z. B. rust. 1,13,6 — und Nepos, z. B. Dion. 6,2; hinreichend auch in den Kasus, auf die sich luxus bei Sallust beschränkt, so an

allen zitierten Stellen. proles: or. Lep.3 praeclara Brutorum . . . proles, geniti ad ea, quae maiores virtute peperere, subvortunda. Das náchstliegende Ersatzwort progenies Iug. 14,6. Dieses letztere Subst. ófter bei Cicero ab Cael. 34, bei Varro ab ling. 10, 4]; rust. 1,17,2;

Nep. Cim. 1,4; Ages. 1,2. Zu proles 28 f.

prosapia: Iug. 85,10 Mariusrede: si quem ex illo globo nobilitatis . . . mittatis, hominem veteris prosapiae ac multarum imaginum et nullius stipendi. genus in gleicher Bedeutung verschiedentlich ab Catil. 5,1. Plaut. Curc. 393; Merc. 634; Cato orig. 29 veteres prosapia. Cic. Tim.

39 eorum, ut utamur vetere verbo, pro-

sapiam. Als zu antiquiert abgelehnt Quint. inst. 1,6,40; 8,3,26. Mehrfach in der Republik etwa synonymes genus. Thes. s. v. socordia: (Catil.4,1 socordia atque desidia); Catil. 52,29 socordiae . . . atque ignaviae; 58,4 socordia atque ignavia; Tug. 1,4; 2,4 incultu atque socordia; 31,2 ignavia atque socordia; 36,3; 55,1; 70,5 mollitiam socordiamque; 79,5; 85,22; or. Lep. 20; or. Phil. 11; 21; or. Cottae 8; hist. frg. inc. 23. Die ungefähren Syno-

nyme, außerhalb der ausgeschriebenen Stellen: desidia Catil. 2,5; 53,5. ignavia 19 mal in allen Schriften ab Catil. 27,4. inertia 5 mal in den zwei Monographien

ab Catil. 52,22. mollitia Catil. 52,28; or. Phil. 3. neglegentia Catil. 52,9; hist. frg. 4,53. languor, pigritia, torpor fehlen. Zu torpedo 297 f. socordia von Plautus — etwa Asin. 254 — an mehrmals, auch Cato orig. 117, aber hier Paul. Fest. p. 293

zufolge in der unsallustischen Bedeutung stultitia. Vor Sallust zuletzt Rhet. Her. 2,23,35 socordiam atque desidiam — vermutlich eine erstarrte Formel — , dann erst wieder 6mal bei Livius ab 7,35,5, spáter wohl rein literarisch, preziós vermutlich auch etwa Colum. 6,36,2.

Lieblingswort des Tacitus. Zur weiten Ver-

breitung der Ersatzwórter Thes. s. vv. languor seit Plaut. Asin. 574, in republikanischer Prosa verschiedentlich bei Cicero ab leg. 1,6; Q. Cic. Cic. fam. 16,27,1. neglegentia im 3

1. vorchr. Jh. seit Quadrig. hist. 89; Rhet. Her. 3,3,6; 4,20,28; 4,36,

Duronius or. frg. 68,1 Malc. Valerius Maximus.

(= Val. Max.

2,9,5)

luxu

perire

ist wohl

Formulierung

des

293

48; häufig bei Cicero ab inv. 1,22, auch Cael. Cic. fam. 8,3,1; 8,10,2; Bell. Afr. 46, 4; 66,1. pigritia nach Plaut. Merc. 113 gelegentlich bei Cicero seit ad Q. fr. 1,3,2. vecordia: Catil. 15,5; Iug. 5,2; 72,2; 94,4; 99,3. insania, vesania fehlen; dementia Catil. 42,2; 58,16. Iug. 3,3; or. Phil. 12. vecordia vorher sicher nur Ter. Andr. 626; Novius Atell. 40 b; die späteren Belege bis Tacitus: Sen. contr. 10 praef. 6 Variation dementissimi homines — vecordia; Ov. met. 12,227; Sil. 5,627. Zur Verbreitung von insania, dementia Thes. s. vv.

Beispiele für Adj.: inclitus: hist. frg. 1,101 (?); 2,64; 2,81; epist. Mithr. 19. clarus in den ersten beiden Monographien 19 mal ab Catil. 1,4; dann nur or. Lep. 1; epist. Pomp. 6. illustris Iug. 5,3; or. Lep. 17. praeclarus in den beiden Monographien 12mal, dann

nur or. Lep. 3. inclitus seit Naev. carm. frg. 30, in Prosa vor Sallust nur Cato orig. 83 claritudinis inclutissimae. Háufig in der Prosa der Republik clarus, illustris. Zu allem Thes. s. vv. Auch praeclarus im 1. vorchr. Jh. ab Rhet. Her. 3,5,9; Varro Men. 361 sehr geläufig. insons: Catil. 16,3 insontis sicuti sontis; or. Macri 10. innocens Catil. 51,40; 54, 6; or. Macri 3. innoxius in ähnlicher Bedeutung Catil. 40,6; Iug. 85,43; or. Lep. 12;

17; insons vor Sallust nur einigemal bei Plautus, etwa Amph. 869, dann verschiedentlich in augusteischer Dichtung ab Hor. sat. 1,6,69; Verg. Aen. 2,84 und in Prosa mehrfach bei Livius ab 1,51,2. innocens ist zur Zeit Sallusts in Prosa üblich. 278 zu Sisenna hist. 103.

intestabilis: Iug. 67,3 quia illi (Turpilio) . . . turpis vita integra fama potior fuit, inprobus intestabilisque videtur; or. Lep. 1 peior atque intestabilior. Das ungefähre Synonym detestabilis fehlt. intestabilis vor Sallust Lex XII tab. 8,22 (Gell. 15,13,11) improbus intestabilisque; Plaut. Curc. 30; Mil. 1417; nach Sallust in Pro-

sa Liv. 37,57,14^. detestabilis gelegentlich bei Cicero ab Phil. 1,33. Thes. s. vv. Trotz der ziemlichen Seltenheit und dem relativ späten Auftreten des nächst-

liegenden Ersatzwortes ist wohl anzunehmen, daß intestabilis zur Zeit Sallusts kein Wort der lebenden Sprache war: In der Literatur der Periode finden sich sehr häufig negative Äußerungen und Invektiven gegen verschiedene Persönlichkeiten; für die Anwendung eines Adj. wie intestabilis bestanden da zahlreiche

Möglichkeiten. senectus: hist. frg. 4,21 senecto corpore. senilis fehlt; morbo atque aetate con-

fectus Iug. 9,4. senectus vorher bei Plautus etwa Amph. 1032 in der Junktur senecta aetate; Lucr. 3,772 membris . . . senectis; 5,886 aetate senecta, ebenso 5, 896. senilis nach Naev. com. 127; Trag. inc. 70 vor Sallust 11 mal bei Cicero ab Verr. II 2,87; Sest. 50 senile corpus. aetate confectus u.à. in republikanischer Prosa verschiedentlich seit Cic. Rab. perd. 21. Thes. IV 202,50 ff. 4

intestabiles invisosque findet sich Gell. 6,18,11 in einem Referat aus Nepos. Ob Gellius diese Formulierung aus seiner Quelle übernommen hat, ist mindestens ungewiß.

Der Doppelausdruck paßt gut zur Ausdrucksweise des Gellius; überhaupt ist das Kapitel, das wohl ganz auf Nepos basiert, gerade mit der Häufung derartiger Doppelungen durchaus in der sonstigen Art des Gellius stilisiert.

294

Beispiele für Verben: calvere: hist. frg. 3,109 ille calvi ratus eqs. Die ungefáhren Synonyme decipere or. Macri 20; frustrari Tug.58,3;

101,3; or. Macri

19. Pass. calvi nur noch Pacuv.

trag. 240; das Dep. reicht vor Sallust nicht über Acc. trag. 382 hinab und ist nach Sallust aus der Literatur praktisch geschwunden. decipere in der republikanischen Prosa des 1. vorchr. Jh. s. recht häufig seit Cic. inv. 1,71, seltener frustrare (-ri) seit Cic. Att. 12,18,3. Thes. s. vv.

coeptare: or. Phil. 16 an Lepidus gerichtete Apostrophe: perge qua coeptas. coepisse häufig in den zwei jüngeren Geschichtsschriften ab Catil. 2,2, ebenso incipere ab Catil. 1,6; in den Historien coepisse nur 4mal

ab hist. frg. 3,96, in-

cipere nur or. Cottae 8, or. Macri3. coeptare bei Plautus etwa Merc. 648 und sonst; vor Sallust nur in Dichtung aufer Cic. fin. 5,24; Cicero gestattet sich, nachdem

er coepit und incipit kurz vorher verwendet hat, dem Ausdruckswech-

sel zuliebe ein antiquiertes Wort, eine ja auch sonst gelegentlich bei ihm zu beobachtende Technik. coepisse, incipere natürlich weit verbreitet. Thes. 3. vv. defensare: lug. 26,1 moenia defensabantur; 60,3 moenia defensabant; 97,5

alios ab hostibus defensabant. Sollte der sallustische Gebrauch von defensare Sich nicht zufällig auf das Impf. beschränken, und das in der Bedeutung militärischen Verteidigens, dann fehlt bei Sallust ein wirkliches Synonym. Das Impf. von defendere nur hist. frg. 1,12 praesentia defendebat. Sonst defendere, dabei die Belege, die nicht sicher die Verteidigung in der Schlacht bezeichnen, eingeklammert: (Catil.35,6 Brief Catilinas; 38,3); Catil. 45,4; (52,15); lug. 38,6; 49, 2; 54,8; 56,2; (in den Historien sicher 7 mal ab hist. frg. 1,12). defensare vor Sallust nur Plaut. Bacch. 443; Rud. 692, hier dem

sallustischen Sprachgebrauch

recht nahestehend. defendere insgesamt in republikanischer Prosa sehr häufig, hinreichend oft auch hier in militärischer Bedeutung. Dazu Thes. V 1,299,62 ff. imperitare:

Iug. 19,7; 76,1; 79,2; 81,1; 102,6; or. Lep. 10. Dem

Verb,

das

„herrschen“, ,,befehligen" bedeutet, entspricht dominari Catil. 2,2; 8,1; 33,3; 51,3; Iug. 31,23; or. Macri 10; moderari Catil. 51,25; imperare Catil. 20,17; Ing. 13,2; 18,12; 85,11; 98,1; hist. frg. 1,88. imperitare vor Sallust nur in Dichtung

seit Plaut. Capt. 244, nachher verschiedentlich in Prosa seit Liv. 1,2,3. Synonyme wie dominari, moderari, imperare häufig. Thes. s. vv. occipere: hist. frg. 2,87 A; 3,25. Weiteres 214 zu Calp. hist. 36 und oben zu coeptare.

palari: Iug. 18,2; 44,5 vagabantur et palantes agros vastare; 54,9; 66,3. Ungefähr synonymes errare fehlt; vagari Catil. 6,1; Iug. 44,5; 98,1; hist. frg. 5,17. pa-

lari aufgrund einer wahrscheinlichen Konjektur schon Plaut. Bacch. 1136, überliefert dann bei Lukrez 4mal ab 2,10. Nach Sallust ófter in Dichtung seit Hor. sat. 2,3,49; Verg. Aen. 5,265; Lieblingswort des Livius ab 1,11,1. vagari (-re) bei Varro Men. 215; 438; ling. 6,17; sehr häufig in ciceronischer Prosa ab inv. 1,2, auch bei Caesar, im Bellum Africum. Einige Beispiele für gleichbedeutendes errare aus dem gleichen Zeitraum Thes. V 2,806,81 ff. pollicitari: Catil. 38,1 Abl. largiundo atque pollicitando; lug. 8,1 Abl. polli295

citando. polliceri

19 mal im Catilina und Iugurtha ab Catil. 21,2, Abl. des Gerun-

diums Catil. 26,3 multa; lug. 16,3 multa; Iug. 23,2 multa; 46,4 multa; 49,4. pollicitari vor Sallust 4mal bei Plautus, z. B. Mil. 879; Ter. Andr. 912; Phorm. 521; dann erst wieder Vell. 2,111,1 und viel später. polliceri überwiegt schon bei Plau-

tus und ist in der Prosa der Republik allenthalben verbreitet. quaesere statt quaerere; die Formen quaeso und quaesumus bleiben außer Betracht: hist. frg. 1,153 quaesere; epist. Mithr. 1 quaesitur. Entsprechende Verwendung von quaerere

19 mal im Catilina und Iugurtha ab Catil. 1,3; außerdem

or.

Phil.6; 15; or. Cottae 14; or. Macri 18; hist. frg. 3,109. Fest. p. 258 quaesere ponitur ab antiquis pro quaerere; danach die Enniusbelege ann. 145 quaesentibus; scaen. 120 liberum quaesendum causa; 129 liberorum . . . quaesendum gratia. Die sonstigen sicheren Belege vor Sallust Plaut. Bacch. 178 quaesere; Lucr. 5,

1229 quaesit. Der Inf. quaesere stand nach Phoc. gramm. V 436,5 f. bei Cicero; ungreifbar. Weiteres bei Neue—Wagener III 390 f. quaerere bis Sallust überaus háufig. rogitare: Catil. 31,3 mulieres . . . miserari parvos liberos, rogitare omnia, pavere. interrogare nur Catil. 18,2; 31,4; 47,1, doch an den zwei ersten Stellen im Sinne „belangen“. quaerere „fragen“ Iug. 85,16; 109,2; hist. frg. 3,67; 3,109. rogare Catil. 35,6 im Brief Catilinas; 50,4; 50,5; 52,1 in dem technischen Ausdruck Sententiam rogare; 59,5; dann nur im Iugurtha 7mal ab 29,7; in der untechnischen Bedeutung

‚‚fragen“ bei Sallust insgesamt lediglich Tug. 29,7; 40,4; 73,7. ro-

gitare mehrfach bei Plautus, etwa Amph. 1029 — hier schon ohne erkennbare frequentativ-intensive Nuance — , und Terenz, etwa Andr. 84, außerdem Trag. inc. 158; dann erst wieder CIL I? 2185

in einem vulgáren Hexameter,

der anschei-

nend etwa zur Zeit Ciceros niedergeschrieben ist, und — von Sallust abgesehen— Verg. Aen. 1,750; 10,838; Prop. 1,8,23; häufig bei Livius ab 1,7,9. inierrogare,

wozu Thes. s. v., aber auch rogare in der vorausgesetzten Bedeutung hinreichend häufig in der Prosa der ausgehenden Republik. Ein Beispiel für Adv.: diu „tags“:

fug. 38,3 diu noctuque, ebenso 44,5 und hist. frg. 4,34;

hist. frg.

2,89 noctu diuque. Entsprechende Verwendung der obliquen Kasus von dies: Catil. 27,2 dies noctisque, ebenso Tug. 23,1 und 94,4; Iug. 70,1

die noctuque.

diu in der vorausgesetzten Bedeutung vor Sallust nur Plaut. Aul. frg. 4; Cas. 822; Titin. com. 27, nach ihm selten. Thes. s. v. Belege für entsprechenden Gebrauch von die u.ä. vor und während Sallusts Lebzeiten Thes. V 1,1038,13 ff. passim. Neben diesen ganz aus der Sprache geschwundenen Wórtern stehen Bedeutungs-

archaismen. Beispiele für Subst.: consultor „Ratgeber“: Iug. 64,5 cupidine atque ira, pessumis consultoribus; 85,47; 103,7; hist. frg. 1,74 (talia incepta) in consultorem vertissent; or. Phil. 1 prava incepta consultoribus noxae esse; or. Macri 15. Die ungefáhren Synonyme auctor, suasor fehlen, ebenso consultor „Ratsuchender“. consultor „Ratgeber“ vor Sallust nur Annal. max. Varro rust. 3,2,1 (Gell. 4,5,5) malum consilium con-

296

sultori est pessimum. consultor ,,Ratsuchender** Afran. com. 332 (7), einigemal bei Cicero ab Mur. 22. Weiteres Thes. s. v. Zu Sallusts Zeit und vorher öfter belegt auctor, wozu

Thes. s.v. suasor verschiedentlich bei Cicero ab Deiot. 29 in

ühnlicher Bedeutung. mortalis „Mensch“: Catil. 1,5; 20,11; 33,4; 36,4; 51,11 quoiquam mortalium; Tug. 1,3; 6,3; 10,2; 17,7; 41,1; 72,2 neque loco neque mortali quoiquam . . . satis credere; hist. frg. 1,100; 2,64. Außer

Iug. 72,2 Pl., bei keinem

ein adjektivisches Attribut?. Synonymes homo:

der Belege

Catil. 2,1; 2,7; 11,1; 31,2 ne-

que loco neque homini quoiquam satis credere. Iug. 2,1; 74,1. Weiteres über das Vorkommen von mortalis „Mensch“ 255 f. zu Quadrig. hist. 76. Entsprechend gebrauchtes homo ist in der Vergleichszeit weit verbreitet. Thes. s. v. passim, bes. VI 3,2880,65 ff. tempestas „Zeit“: Der Sprachgebrauch beschränkt auf einige prápositionale Wendungen und den Abl. temporis, meistens in der Form ea tempestate; um sie handelt es sich immer, wenn allein die Stelle angegeben ist; nie tritt zu dem Subst. ein Gen.: Catil. 7,1; 17,7; 20,3 multis et magnis (?); 22,1; 24,3; 36,4; 53,5 multis; lug. 3,1 hac; 8,1; 13,7; 30,4; 32,5; 35,1; 37,1; 40,5; 65,5; 73,7 post multas tempestates; 79,2 qua; 90,1; 96,1 in paucis tempestatibus; 108,2 multis ante tempestatibus;

114,4; or. Lep. 10 hac; hist. frg. 3,66 qua; epist. Mithr. 10; hist.

frg. 5,23. Nun von tempus die analogen präpositionalen Verbindungen oder der

Abl. temporis; die Belege, zu denen der Gebrauch von tempestas kein genaues Pendant bietet, sind eingeklammert; bloße Stellenangabe bezeichnet die Ver-

bindung eo tempore: (Catil. 18,4 eodem; 38,3 post illa tempora; 39,6 isdem; 42,1 isdem; 48,5 in tali tempore); Catil. 48,7; (49,1 isdem); 50,4; (51,35 his; 51,36 alio; 51,39 eodem illo); (Iug. 4,4 quibus); Iug. 14,5 quo; 55,8; (56,2 in tempore; 60,1 eodem); 64,4; (74,1 eodem); 80,1; (85,33 eodem; 100,5 illo-

que aliisque temporibus); (hist. frg. 1,32 in tempore; 3,106 eodem; epist. Mithr. 18 in tempore). tempestas eindeutig „Unwetter“ nur Iug. 78,2; 79,6. Weiteres 27 f.

torpedo „Schlaffheit‘: or. Phil. 19; or. Macri 20; 26. torpedo „Zitterrochen“

fehlt. torpedo in gleicher Bedeutung wie bei Sallust vorher nur Cato mor. frg. 3 inertia atque torpedo, nachher erst wieder Tac. hist. 3,63,2. Das nächstliegen-

de Ersatzwort torpor ist bis Sallust ein ungewóhnlich-poetischer Ausdruck; die Belege:

Lucil. 391;

1306; Catull. 76,21

— alles Stellen, an denen die Bevorzu-

gung von torpor gegenüber torpedo móglicherweise auch nur metrische Gründe hat; Cic. nat. deor. 2,127 torpore torpedines (se tutantur) — etymologischer Bezug. Ein Vergleich torpedo — torpor kann so nicht lehren, daß das erstere Subst. in sallustischer Bedeutung für den Historiker tot war. Aber es gibt doch manche anderen nahestehenden

Wörter, deren Verbreitung

dies wahrscheinlich macht.

Darüber 293 f. zu socordia, hier auch über das Vorkommen 5

omnes,

der ungefähren Syno-

multi, plerique mortales sind also nicht unter die Archaismen Sallusts aufgenom-

men. Die folgenden Belege für synonymes homo umfassen dementsprechend, mit Aus nahme der ausgeschriebenen Stelle, nur den attributlosen PL

297

nyme bei Sallust. torpedo „Zitterrochen“ in der Republik noch Varro ling. 5,77, dann Scrib. Larg. 11 und später. Beispiele für Verben: agitare „leben“, „sein“ u.à.; es werden alle Sallustbelege für intransitives agitare gegeben, diejenigen, die sich von der vorausgesetzten Bedeutung entschieden absetzen, in Klammern: (Catil. 23,3); (Tug. 11,1 animo); Ing. 18,9; 19,5; (30, 1 de facto); 41,7 paucorum arbitrio belli domique agitabatur; (54,2 ubi gentium aut quid agitaret); 59,1; 63,5; 74,1; hist. frg. 1,11 modesto iure agitatum. or. Lep.

11 populus . . . agitandi inops; or. Phil. 10; epist. Pomp. 9 (Gallia) malis fructibus ipsa vix agitat. An den nicht eingeklammerten Stellen, die nicht ausgeschrieben sind, könnte statt agitare einigermaßen gut esse stehen. Im folgenden wird aber nur auf annähernd synonymes intransitives agere, die Junkturen aetatem agere, vitam agitare und auf vivere eingegangen. agere intransitiv, nach denselben Prinzipien angeführt wie agitare: (Catil. 21,3; 51,43 cum populo; 52,6 de vectigalibus; 52,29); (Iug. 29,3 cum eis de . . . pactionibus); Iug. 55,2; (55,7; 60,1; 60, 5); 85,35; 89,7; (98,6); 100,1; (101,6); 108,1; in den Historien 10mal ab frg. hist. 1,7 in der Bedeutung „leben“ u.ä., anders in verschiedener Verwendung

3mal ab or. Lep. 7. aetatem agere 5mal im Catilina ab 4,1; 7mal im Iugurtha ab 2,4; (or. Cottae 2 acta iam aetate). vitam agitare Catil. 2,1. vivere Catil. 2,9; 6,2; 17,6; 52,10; Iug. 14,24; 31,26; 85,19; 110,4; hist. frg. 3,74 rapto vivere. agitare „leben“ vor Sallust nur Porc. Licin. 3,10. Weiteres Thes. I 1338,23 ff. Von

den

Synonymen ist, von esse einmal abgesehen, besonders vivere vor und zu der Zeit Sallusts weit verbreitet. Im 1. vorchr. Jh. etwa vielfach bei Varro, z.B. Men. 321; in der Rhetorica ad Herennium ab 3,5,9, bei Cicero seit etwa inv. 1,109, bei Caesar und anderen. ductare vom Führen eines Heeres u.ä.: Catil. 11,5; 17,7; 19,3; Iug. 38,1; 70,2. Entsprechende Verbindungen mit ducere Iug. 55,5; 106,3; or. Phil. 22; hist. frg. 3,96 D. ductare vor Sallust in verschiedenen Bedeutungen bei Plautus, etwa Most. 844; Enn. scaen. 361; Ter. Ad. 752; Phorm. 500, freilich nicht in der spezifisch sallustischen Verwendungsweise. Nach Sallust erst Tac. hist. 2,100, und zwar ganz

in der Art Sallusts. Thes. s. v. ducere natürlich weit verbreitet, vom Führen eines Heeres u.ä. in republikanischer Prosa häufig seit Cato mil. frg. 9; Quadrig. hist. 92. Weiteres Thes. V 1,2140,68 ff. ductare muß als verbum obscenum weitergelebt haben. Quint. inst. 8,3,44 mala consuetudine in obscenum intellectum sermo detortus est ut ,ductare exercitus' et ‚patrare bella‘ apud Sallustium dicta sancte et antique ridentibus. Bezeugt ist das Verb in dieser obszónen Bedeutung anscheinend

nicht. 6

Nach Thes. V 1,2167,29 ff., wo auch die sonstigen antiken Äußerungen dazu gesammelt sind, wäre diese Bedeutung einigemal bei Plaufus und Terenz belegt: Hier meint ductare gelegentlich das Mieten einer Hetäre. Man wird sich wohl aber etwas Drastischeres unter dem verbum obscenum vorzustellen haben. Vgl unten patrare. Móglich aber,

daß der plautinisch-terenzische Sprachgebrauch den Ausgangspunkt der Entwicklung zeigt, durch die das Verb einen ausgesprochen obszónen Sinn erhielt.

298

nuncupare „benennen“: hist. frg. 3,70 (Bithynia) multis antea nominibus appellata. nam prius Bebrycia dicta, deinde Mygdonia, mox a Bithyno rege Bithynia nuncupata. appellare so öfter ab Catil. 6,6; nominare so nur lug. 78,3. Weiteres 30f. patrare ,,vollbringen": Catil. 18,8; 53,4; 56,4; Iug. 13,5; 21,2; 43,4; 70,5; 75, 2; 88,4; hist. frg. Pap. Corp. 28,17. Synonymes conficere Sall. Catil. 46,1; 51,5; 61,1; im Iugurtha 6 mal ab 12,4; epist. Mithr. 16. peragere überliefert nur Iug. 92,1. perficere Iug. 11,9; 16,3; hist. frg. 1,46. patrare vor Sallust Plaut. Asin. 114; Tab. triumph. Aemil. 10; Cato agr. 54,1; Lucr. 5,385; Cic.leg. 2,19 in der Geset-

zessprache. Att. 1,14,7 promissa patravit, eine scherzhaft feierliche Formulierung, vielleicht nicht zufállig daktylisch; Zeichen sprachlicher Lizenz auch kurz darauf petiturire, vermutlich Gelegenheitsbildung. Danach selten bei Livius ab 1,24,6 — hier etymologisierend; 23,8,11; recht häufig etwa bei Velleius ab 2,11,2. Zahl-

reiche Prosabelege für conficere, perficere in und vor Sallusts Zeit. Selten ist peragere, belegt seit Enn. ann. 519, in republikanischer Prosa des 1. vorchr. Jh. s. gele-

gentlich seit Cic. Sest. 87. patrare hat als verbum obscenum weitergelebt. Vgl. Quint. inst. 8,3,44, zitiert zu ductare; illustriert wird das etwa durch Porph. Hor. sat. 1,5,84. prodigere „verschwenden“: or. Lep. 17 nisi Vettius Picens et scriba Cornelius aliena bene parata prodegerint. consumere in áhnlicher Bedeutung Catil. 12,2; perdere hist. frg. 3,3; dissipare fehlt ganz. Vor Sallust prodigere in der vorausgesetzten Bedeutung Naev. com. 84 qui . . . ante parta. . . prodigunt (Alliteration wie bei Sallust); bei Plautus etwa Aul. 380; Caecil. com. 74; Pompon. Atell. 162; nach Sallust erst wieder Sil. 15,496; Tac. ann. 3,52,1;

16,3,1; Suet. Nero 30,1.

Fest. p. 229 wird erklárt prodegeris, consumpseris, perdideris, danach wird u. a. die Caeciliusstelle zitiert. Anders prodigere — konkret ,,hinaustreiben" — Varro rust. 2,4,8; 2,7,11; 3,9,14. Synonymes consumere in republikanischer Prosa öfter seit Quadrig. hist. 15; Cic. S. Rosc.6; weiteres Thes. IV 612,3 ff. dissipare hier öfter so seit L. Crass. or. frg. 66,45,40 Malc.; Cic. leg. agr. 1,2; weiteres Thes. V 1,1491,35 ff. perdere so in republikanischer Prosa gelegentlich seit Scip. min. or. frg. 21,19 Malc.

Schließlich finden sich bei Sallust Wörter, die zumindest in einer bestimmten Form

oder in einer bestimmten Junktur, in der sie bei dem

Historiker vorkom-

men, antiquiert sind. Verschiedene Beispiele: nequitur: lug. 31,8 quicquid sine sanguine civium ulcisci nequitur. nequire mit Inf. Pass. fehlt sonst. Negiertes posse in der 3. Ps. Sg. präsentischer oder imperfektischer Formen 7 mal ab Catil. 15,4 mit Inf. Pass. Fest.p. 162 nequitum et nequitur pro non posse dicebant; danach Anführung von Plaut. Sat. frg. 2 retrahi nequitur; Cato orig. 24 id (fanum) nequitum exaugurari; Pacuv. trag. 390 contendi nequitum. Der einzige sonstige Beleg vor Sallust Plaut. Rud. 1064. Dies und Spätes bei Neue—Wagener ΠῚ 626 f. nequire ist ein ziemlich seltenes Wort: Sallusts Formulierung findet nur Cic. Ac. 1,27 in vorsallustischer Prosa ein Pendant mit aktiver Form. Häufig hier analoger Gebrauch von negiertem posse mit Inf. Pass. 299

Singularformen von plerique: Catil. 17,6 iuventus pleraque; 23,6 pleraque nobilitas, ebenso 38,2; lug. 18,12 Africae pars inferior pleraque; 21,2 plerumque noctis; 54,9 exercitum plerumque; 79,2 pleraque Africa; 85,21 pleraque oratione; 98,6 plerumque

noctis, ebenso

109,4. Am

ehesten ersetzbar durch Junktu-

ren wie pars maior, pars maxima mit dem Gen. Sg. des betreffenden Nomens; sie finden sich bei Sallust nicht. Verbindungen mit magna pars: Catil. 53,1 senatus, ebenso Tug. 15,2; 76,1 pecuniae; 85,46 eius (exercitus); vgl. noch Iug. 98,3 (collis) magna parte editus". Der sallustische Gebrauch des Sg. pleraque und ähn-

licher Formen vorher sicher belegt nur Cato orig. 34 pleraque Gallia?. Gleichwertige Verbindungen pars maior (maxima) im 1. vorchr. Jh. vor Sallust etwa Varro frg. Non. p. 494,14; ling. 9,45; Cic. S. Rosc. 149; Verr. II 2,151; II 3, 108 und

sonst gelegentlich bei Cicero; Caes. Gall. 3,27,1 maxima pars Aquitaniae; civ. 1, 18,6; Bell. Afr. 30,1; Bell. Hisp. 28,2. Vgl. auch die analogen Junkturen mit bene magna pars Bell. Hisp. 13,4; 16,2. pollens:

Catil. 6,3; lug. 1,3 pollens potensque; 6,1; 30,4. Das ungefähr synony-

me Adj. potens Catil. 38,1; lug. 1,3; 8,1; 14,7; 16,2. Das Part. pollens erscheint

— und zwar wie bei Sallust adjektivisch erstarrt — in Dichtung Naev. carm. frg. 30 M.; frg. 61 B.; Plaut. Capt. 278 in einem gravitätischen trochäischen Septenar; bei Lukrez ab 1,574; auch später gelegentlich, z.B. Ov. met. 5,508; in Prosa erst

bei Sallust. Der nächste Prosabeleg Liv. 5,54,5 — wenn das Part. hier nicht verbale Kraft hat; verbaler Sinn des Part. auch Vell. 1,2,3. Die sonstigen Formen

von pollere tauchen nach Carm. Sal. (Fest. p. 205) 4,8 und verschiedenen Dichterbelegen in Prosa erst in der laudatio funebris Caes. or. frg. 121,29 Malc. auf, ins-

gesamt zu Sallusts Lebzeiten 12mal, jedoch nicht in Reden Ciceros oder im ciceronischen Briefkorpus. Öfter dabei die — bei Sallust fehlende — alliterierende

Wendung plurimum (plus) pollere, auf die auch ein Großteil der Liviusbelege ab 1,23,8 entfällt. Das mit adjektivischem pollens konkurrierende Adj. potens schon etwa Plaut. Epid. 153, im

1. vorchr. Jh., dann etwa Rhet. Her. 2,26,40; häufig bei

Cicero ab inv. 2,169, ófter bei Caesar, auch Vatin. Cic. fam. 5,9,1. -que - que: Catil. 9,3; 36,4; lug. 10,2; 21,4; 79,9; 85,26 (?); 85,36; 85,47; 100,

5; 110,8; nie in den Historien”. 7

Außer Iug. 76,1 müßte an den angeführten Stellen bei Verwendung

des Archaismus

der Nom. Sg. Mask. plerusque stehen. Die Form gibt es móglicherweise nicht; eine Analogie nicht vorhandenes ceterus. Bei der folgenden Sammlung von Ersatzverbindungen ist darauf Rücksicht genommen. 8

Kroll, Sallust 303 verweist noch auf VaL Ant. hist. 21 und Varro ling. 9,68. Val

Ant. hist. 21 pleraque Italia ist wohl Formulierung des Gellius 3,8,1. Varro ling. 9,68 kommt man vielleicht mit dem überlieferten Text durch: non esse reprehendendum, quod scalae et aquac caldae, pleraque, quae cum causa, multitudinis vocabulis sint appellata. Es sei nicht zu tadeln, daß scalae und aquae caldae, (über-

haupt) sehr vieles, was mit Grund (pluralisch bezeichnet werde), mit pluralischen Wörtern benannt sei. Gewöhnlich wird quae athetiert. Doch nicht einmal bei An nahme der Athetese ist die Beziehung von pleraque auf causa vóllig sicher. 9

Über -que -que Hofmann-Szantyr 515; Diskussion eines Belegs in republikanischer Prosa bei mir 131 f. zu Planc. Cic. fam. 10,21,3.

300

rebatur: Iug. 26,2 (Adherbal) omnia potiora fide Iugurthae rebatur. Dazu 31. soluerat: hist. frg. 2,102 neque

subsidiis, uti soluerat, compositis. solitus est

u.ä. vorher in Catilina und Iugurtha 8mal ab Catil. 23,3; hist. frg. 5,20. Weiteres 222 zu Coel. hist. 45.

Antiquiertes erscheint auch außerhalb des delectus verborum bei Sallust in Grammatik und Syntax. Beispiele: festinare transitiv: (Catil. 42,2 festinando, agitando omnia); Iug. 64,6 nihil; 73, 1 cuncta parat festinatque; 77,1

id; hist. frg. 1,81

profectionem; frg. inc. 20 so-

leas. Das ungefáhre Synonym maturare so Catil. 15,3 facinoris maturandi; 32,2 insidias; hist. frg. 1,80 fugam. festinare transitiv vor Sallust nur Enn. scaen. 426 festivum festinant diem (Wortspiel!), nach ihm in Prosa erst wieder Tac. hist. 1,

76. festinare an sich auch ciceronisch. In republikanischer Prosa verschiedentlich transitives maturare seit Cic. Cluent. 171, ganz selten accelerare, celerare. Thes. s. vv. In die Betrachtung einzubeziehen wären noch die entsprechenden

Verbalverbindungen mit den Adv. für „schnell(er)“. insuescere intransitiv mit Inf.: Catil. 11,6; Iug. 8,2. assuescere fehlt ganz; nicht entsprechend das Perf. Praes. consuevisse mit Inf. Catil. 22,2; Iug. 47,1. insuescere in der vorausgesetzten Verwendungsweise vor Sallust Plaut. Capt. 306; Ter. Ad. 55 (?); Lucr. 4,880; nach Sallust erst wieder Tac. ann. 2,45,2. Thes. s.v. Entsprechender Gebrauch von assuescere in republikanischer Prosa einige wenige Male ab Cic. inv. 1,3; Thes. II 908,17 ff. Ófter so consuescere ab Cic. inv. 2,128; Thes. IV 550,33 ff. passim. subigere mit Inf.: Catil. 10,5; 51,18; Iug. 31,4; 44,4. cogere mit Inf., in Klam-

mern die Konstruktion bei Passivformen, die beim entsprechenden Gebrauch von subigere keine Parallele haben: (Iug. 14,4); Iug. 44,3; (54,8); 55,1; 84,2; epist.

Pomp. 8; (hist. frg. 3,74; epist. Mithr. 14? ). subigere mit Inf. vor Sallust Plaut. Amph. 1143; Truc. 783; Lucil. 1044; Lucr. 5,1028; 6,737; nach ihm in Dichtung öfter seit Verg. georg. 3,218, in Prosa seit Liv. 9,41,5. cogere mit Inf. schon etwa Plaut. Epid. 586, im

1. vorchr. Jh. bei Cicero und seinen Briefpartnern, Caesar und

seinen Fortsetzern; häufig genug dabei die Aktivformen von cogere. Einiges Thes.

TII 1529,62 ff. quippe qui (cuius usw.) mit Ind.: Catil. 48,2; Iug. 7,6; 14,10; 20,6; 28,1; 48,1; 76,1; 85,32; 86,3; hist. frg. 2,64; epist. Pomp.4. quippe qui mit Konj. fehlt. quippe qui mit Ind. vor Sallust nur bei Plautus — etwa Amph. 22; 745

— , nach Sal-

lust verschiedentlich bei Livius ab 3,6,6. quippe qui mit Konj. bereits Plaut. Persa 699, dann Titius or. frg.51,2 Malc., sehr oft bei Cicero seit inv. 2,131; Bell. Afr.

19,3 (2); Nep. Dion. 2,3; öfter auch bei Livius ab praef. 2; 1,9,1!!. 10

Die Perfektformen von (reri) haben sich möglicherweise — gewiß ist das durchaus nicht — bis in Sallusts Zeit gehalten. Dazu 31 A.37. Wegen dieser Unsicherheit ist darauf verzichtet worden, dem Vorkommen der Synonyme bei Sallust nachzuge-

11

hen. Dazu noch Hofmann-Szantyr 560.

301

Dies also eine Auswahl sallustischer Ausdrücke, die mit einiger Wahrscheinlichkeit oder mit Sicherheit als sprachliche Archaismen zu diagnostizieren sind; ihre Zuordnung zu den verschiedenen angewendeten Kategorien ist natürlich in Einzelfällen diskutabel. Nun stilistische Archaismen des Historikers. Zu ihnen gehören in erster Linie lebende, aber von der Prosa seiner Zeit gemiedene Ausdrücke, so-

weit sie im bewußten Anschluß an ältere Literatur aufgegriffen werden'?. WahrScheinlich darf man dazu rechnen z. B.:

memorare: Darüber 250 f. zu Quadrig. hist. 47. subvertere: Catil. 10,4; 13,1; Iug. 30,1; 94,4; or. Lep.3; or. Phil.8; 10; epist.

Mithr. 15. evertere nur or. Lep. 23. Weiteres 237 zu Quadrig. hist. 10b. Auch ein verbum obscenum wie penis Catil. 14,2 ist wohl als stilistischer Archaismus aufzufassen’. In einen Zusammenhang mit den sprachlichen und stilistischen Archaismen ^ sind auch die sallustischen Idiome zu rücken, die allgemein in der lebenden Spra-

che zur Zeit Sallusts entschieden zurückgetreten sind; vereinzelt weniger auffällig, erinnern diese Idiome durch die Häufigkeit ihrer Verwendung an ältere Literatur. Zu diesen Spracheigentümlichkeiten wird man rechnen dürfen: Präpos. advorsum: 17mal im Iugurtha ab 43,5; 4mal in den Historien ab or. Lep. 1. Freilich sind nicht alle Belege sicher. advorsus einhellig überliefert nur Iug. 13,5; or. Phil. 17 (?); epist. Pomp. 1; hist. frg. 2,114. Weiteres Thes. I 850,59 ff. 12

Daß die unliterarischen, in der prosaischen Hochsprache gemiedenen lebenden Idiome

der Sprache Sallusts in dieser Weise zu erklären sind, ist bekanntlich die An-

sicht, der Kroll, Sallust zum Sieg verholfen hat. Nun war Kroll fraglos im Recht, wenn er — wie übrigens auch schon Reitzenstein, NGG 194, 202 A.1 — die These von Sallusts ,,Demokratenlatein'* zurück wies; dazu letzthin noch Syme 260 f. Kroll wird auch damit Recht haben,

daß sich niedersprachliche Ausdrücke bei Sallust aus

der Nachahmung der Alten erklären. Die Frage ist jedoch, ob das für alle derartigen Idiome gilt: Das Empfinden für den Stilwert eines Wortes oder einer Wendung des lebenden

Lateins ist nicht bei allen Zeitgenossen gleich. Dazu

124. Hinzu kommt,

daß die Historiographie, als Sallust schrieb, im Gegensatz zur Beredsamkeit nicht bereits eine Periode eingehender Purifizierung durchlaufen hatte. In einem Geschichtswerk mochte so manches lebende Idiom wenig auffällig sein, das in einer Rede befremdend gewirkt hätte. Man könnte noch andere Momente erwägen, Es fehlt an einer Untersuchung, die auf umfassender Inventarisierung der hierhergehórigen Phànomene beruhte und unter Berücksichtigung sämtlicher Deutungsmóglichkeiten durchgeführt wáre. 13

14

Schon längst ist mit der Salluststelle Calp. hist. 40 verglichen worden: adulescentes peni deditos esse. Der Ausdruck Sallusts ist allerdings weniger kra& als es mentula gewesen wäre. Dazu W. Wendt, Ciceros Brief an Paetus IX 22, Diss. Gießen 1929,

24. Unter dem Stichwort ,, Archaismus" wird gern noch manches sprachlich-stilistische Phänomen der sallustischen Prosa, das wir nicht erwähnt haben, angeführt. Daran mag viel Richtiges sein. Aber an wirklichen Beweisen für die Antiquiertheit der betreffenden Eigentümlichkeiten fehlt es durchaus. Die vorliegende Darstellung würde

unnótig mit Hypothetischem belastet, würden derartige Dinge einbezogen.

302

facinus deutlich als vox media: Catil. 2,9; 7,6; 20,3; 53,2; Tug. 2,2; 5,4; 49,4; 56,4; 79,1. facinus insgesamt rund 40 mal — und zwar sicher belegt nur im Catilina und Iugurtha — ab Catil. 2,9; 4,4. factum etwa 30mal in allen historischen Schriften ab Catil. 3,1. Weiteres

174 zu Anton.

epist. frg. Cic. Phil.

13,36.

necessitudo „Notwendigkeit“: Catil. 17,2; 17,5; 21,3; 33,5; 58,11; 58,19; lug. 19,8; 48,1; 102,5. necessitas in gleicher Bedeutung or. Lep. 15; epist. Pomp. 8. necessitudo ,,Freundschaftsband" u.ä. Iug. 80,6. Weiteres 224 f. zu Asell. hist. 5. Endung -ere statt -erunt bei der 3. Ps. Pl. Perf. Akt. Die Frequenzen sind im Catilina 53mal —ere, 4mal -erunt, im Iugurtha 61 mal -ere, 4mal -erunt, in den Historien gegen 40mal -ere, 8mal -erunt'°. Weiteres 199. Zum Schluß sei noch kurz auf eine recht umfangreiche Gruppe von Ausdrücken

hingewiesen, unter denen sich mancher sprachliche oder stilistische Archaismus, manches im lebenden Latein sallustischer Zeit schon seltene Sprachgut finden mag: die Ausdrücke, die bei Sallust überhaupt das erste Mal bezeugt sind. Z.B. an Wórtern im Catilina incruentus, incultus (Subst.), munificentia, im Iugurtha advecticius, discordiosus, imperitia, importuosus, infecundus, irritamentum, opulens, ostentus (Subst.), properantia, vitabundus; in den Historien contactus (Subst.), dedecor, dehonestamentum, desenescere, despectare, festinus, gnaritas, immutilatus, impollutus, incelebratus, incuriosus, infecunditas, inquies, intectus, intutus, invius, mador, nemorosus, obtentus (Subst.), opulens, semipletus (?), turbamen-

tum, verticosus (verticulosus), virgultus. Das bisher in diesem Kapitel aus Sallust gesammelte, unter den verschiedenen Rubriken im wesentlichen alphabetisch angeordnete Sprachmaterial bildet die Grundlage der folgenden Erörterungen. Belege, die eingeklammert oder mit einem Fragezeichen versehen sind, bleiben dabei unberücksichtigt. Das alles wird im einzelnen nicht mehr besonders vermerkt. Die erste Überlegung soll der Provenienz der sal-

lustischen Archaismen gelten. Fraglos verwendet Sallust mancherlei antiquiertes Sprachgut, das nicht einem bestimmten Text entlehnt ist; Sprachgut, wie es jedem Gebildeten in den Sinn gekommen wäre, wenn er sich eines altertümlichen Ausdruckes hätte bedienen wol-

len. Zu denken ist dabei vor allem an Idiome, die auch die Sallust zeitgenóssische Dichtung bewahrt: z.B. proles, pollens, insuescere und subigere mit Inf. Ein nicht eigentlich dichterisches Wort wie nuncupare kónnte allgemein der Gesetzessprache entstammen.

Solche und ähnliche Erklärungen wird man jedoch nicht auf sämtliche Archaismen

Sallusts anwenden

dürfen. Insbesondere bei Cato würde man

die Quelle sal-

lustischer Archaismen auch dann vermuten, wenn die antiken Zeugnisse nicht in

diese Richtung führten'®. 15 16

Die Angaben nach Edmar 42. Über catonisches Sprachgut bei Sallust ist bereits mehrfach gehandelt worden; so von Bruennert 11 ff.; Fighiera 19 ff. und passim; Kroll, Sallust passim; Bolaffi 89 ff.; Skard, Nachfolger

75 ff. Die Materialien, mit denen im folgenden gearbeitet wird,

303

Hinzuweisen ist zunächst auf zwei antiquierte Ausdrücke Sallusts, die vor ihm allein bei dem Censorius zu belegen sind: torpedo ,,Schlaffheit", Sg. von plerique. Ferner prosapia: Das Subst. kommt

vor Sallust zwar nicht nur bei Cato vor, aber

bei diesem in einer ganz ähnlichen Verbindung wie bei Sallust; die Annahme catonischer Provenienz des sallustischen Archaismus bietet sich dann an.

Allerdings sind das geringe Spuren. Daß sie nur einen Bruchteil der Catonismen unter Sallusts Archaismen erkennen lassen, legen die sonstigen Beziehungen nahe, die Sallust mit Cato verknüpfen. Bereits erwähnt wurde, daß die Bevorzugung der 3. Ps. Pl. Perf. Akt. auf -ere bei Sallust als Catonachahmung zu deuten ist!”. Darü-

ber hinaus sind manche sprachliche und gedankliche Anklänge an Catonisches bei Sallust zu beobachten, die nicht immer sicher auch nur selteneres Sprachgut enthalten. Doch werden sie selbst ohne dieses Ingrediens auf den kundigen Leser, in-

dem sie die Erinnerung an den Censorius in ihm evozierten, in gewisser Weise altertümlich gewirkt haben. Wohl der Beginn der Rede Catos gegen Ser. Galba ist orig. 108 erhalten'®. Sallust scheint diesen Passus an zwei Stellen zu verwerten. Zunächst der deutlichere AnKlang, Iug. 31,1: multa me dehortantur a vobis, Quirites, . . . opes factionis, vostra patientia, ius nullum, ac maxume quod innocentia plus periculi quam honoris est. Sallust stimmt mit seinem Vorbild nicht nur in den ersten drei Wörtern fast vollständig überein; auch die asyndetische Appositionenreihung am Ende

des sallustischen Satzes ist offenbar eine Spiegelung der catonischen congeries. dehortari mit Inf. geht Sallust jedoch anscheinend bewußt aus dem Wege, wenn er die Konstruktion dehortari a verwendet: Der Anklang an Cato wird gedämpft.

Weniger deutlich, aber doch wohl anzuerkennen ist die Reminiszenz Iug. 24,4: plura de Iugurtha scribere dehortatur me fortuna mea. plura ist, trotz andersarfinden sich zum überwiegenden Teil bereits bei diesen Autoren; für die Aspekte, unter denen das Material betrachtet wird, gilt das weniger. Unerreichbar war mir Ernout, Salluste et Caton, IL 1949, 61 ff. — Von den 41 sprachlichen Archaismen Sal lusts, die wir zusammengestellt haben, finden 10 Ausdrücke ihr Pendant in den Re-

sten der catonischen Schriften: cupido or. frg. 17,3, allerdings als Mask.; prosapia orig. 29; socordia orig. 117, allerdings angeblich in der Bedeutung stultitia; inclitus orig. 83; tempestas „Zeit“ or. frg. 45; torpedo ,,Schlaffheit" mor. frg. 3; patrare „vollbringen‘“ agr. 54,1; nequitur orig. 24; Sg. von plerique orig. 34; soluerat inc. libr. frg. 54; móglicherweise ist all dem insomnia hinzuzufügen. Von den Beispielen für sallustische Stilarchaismen erscheint memorare or. frg. 2. Eine besondere Verbindung Cato

Sallust ist jedoch mit diesem Verhältnis nicht bewiesen, wie sich bei

genauerer, auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung einbeziehender Analyse zeigt. Entsprechendes ergibt sich übrigens bei náherer Prüfung im Hinblick auf die 17 Parallelen, die die sprachlichen Archaismen Sallusts in den Fragmenten der republikaniSchen Tragódie haben.

17

Wenigstens unter diese Rubrik fällt das intransitive Perf. auxisse. Sall or. Phil 6 ignoscendo populi Romani magnitudinem auxisse; das erinnert sehr an Cato orig. 20, die einzige ältere Parallele: res eorum auxit. Möglicherweise ist auxisse aber so-

18

304

gar ein sallustischer Archaismus. Zu dem Sprachgebrauch Thes. II 1357, 47 ff. Der Wortlaut 48.

tiger grammatischer Funktion, vielleicht Erinnerung an Catos multa; dehortari

mit Inf. ist vor Sallust nur an der Catostelle nachzuweisen??. fortuna entspricht der catonischen Häufung anni — senectus. Die Stelle klingt an die Formulierung Catos, auf die sie in etwas anderer Weise als lug. 31,1 Bezug nimmt, nur eben an. Daß Sallust catonische Wendungen oder Sätze frei schaltend aufgreift, läßt sich auch sonst beobachten; das soll indessen nicht weiter verfolgt werden. Die Rede gegen Ser. Galba hat Sallust an verschiedenen Stellen verwendet. Das Gleiche scheint für eine andere ebenfalls in die Origines aufgenommene Rede Ca-

tos zu gelten: die Rhodierrede. Caesar beginnt Catil. 51,1 seine Rede mit einer Gnome — omnis homines — und betont: Das rechte consulere ist durch Emotionen gefährdet. Der gleiche Gedanke bestimmt den Eingang der catonischen Rede orig. 95 a, die gleichfalls gnomisch — plerisque hominibus — anhebt. Caesar verweist Catil. 51,5 auf das vorbildliche Verhalten Roms in der Rhodieran-

gelegenheit; das hat nach dem Anklang an die Rhodierrede einen eigenen Reiz und soll móglicherweise auch die Anspielung spürbar machen. Vielleicht wirkt in anderer Form der Anfang der Rede Catos gleichfalls bei dem Beginn der Ma-

riusrede lug. 85,1 f. nach??. Nach all dem ist auch gut denkbar, daß der übertragene Ausdruck transvorsos agere Iug. 6,3; 14,20 nach der analog gebrauch-

ten Junktur Cato orig. 95 a transvorsum trudere gebildet ist; eine vergleichbare Verbindung mit transvorsus findet sich sonst nicht vor Sallust. Iug. 25,9 summa vi Cirtam inrumpere nititur erinnert an Cato orig. 95 b summa vi contra ni-

titur; die Catostelle ist die einzige genaue vorsallustische Parallele für Sallusts

summa vi niti?! Die in den Origines stehenden Reden Catos hat Sallust gern benutzt. Von besonderer Hochschátzung catonischer Beredsamkeit zeugt es, wenn die Rede, mit der die Memmi facundia clara pollensque (Iug. 30,4) veranschaulicht werden soll, mit den Worten beginnt, die wohl den Anfang der Rede gegen Ser. Galba bildeten. Unter diesen Umständen”? wäre es verwunderlich, wenn Sallust die catonischen Reden, 19

die nicht in die Origines aufgenommen

waren, ganz unberück-

Möglich, daß die Ausdrucksweise für Sallust antiquiert ist; sie ist nach Sallust erst Tac. ann. 3,16,3 belegt. Hinreichend sicher wäre eine derartige Klassifizierung nicht, denn die wirklich synonymen Wendungen sind gleichfalls zwischen Cato und Sat lust nur sehr selten nachzuweisen. Auch die folgenden Idiome, die vor Sallust nur

20

bei Cato bezeugt sind, kónnten durchweg oder teilweise sallustische Archaismen sein. Ich habe das nicht untersucht. Skard, Vorgänger 94.

21

Ähnliches findet sich Enn. ann.

161

und 412 summa

. . . opum

vi (= Verg. Aen.

12,552); Lucil. 630 summis . . . opibus; Caes. civ. 3,45,1 magna vi Nach Sallust steht summa vi niti Liv. 44,11,8.

22

Nach Skard, Vorgänger 84 ff. bedient Sallust sich vorzugsweise in catonischen Gedankengutes. Das würde zu Sallusts Hochschätzung passen. Immerhin ist nicht zu vergessen, daß von Catos Werk eben fange Sentenzen und Maximen erhalten sind; und sie konnten nur Teilen der sallustischen Geschichtsschriften Verwendung

bestimmten Reden des Redners Cato in starkem Umin reflektierenden

finden.

305

sichtigt gelassen hätte. In der Tat ist das allem Anschein nach auch nicht der Fall. lug. 31,11 ist deutlich nach Cato or.frg. 9 1.11ff. gestaltet, Iug. 85,8 vielleicht

nach Cato or.frg.21. Iug. 15,2; 31,17 begegnet die Konstruktion niti pro aliqua re; die einzige ältere Parallele dazu bietet Cato or.frg. 1,27. Daß diese catonischen Re-

den gleichfalls in den Origines standen, ist nirgends bezeugt. Zumindest im Iugurtha gilt also: Wenn Sallust an Cato anknüpft, dann nicht lediglich als an einen Vorgánger in der Geschichtsschreibung. Es ist eher schlechthin der Prosaiker Cato, dem Sallust so manches entlehnt.

Der Anschluß an den Censorius ist nicht dadurch nahegelegt worden, daß Sallust den alten Prosaiker für seine Geschichtswerke als Quellenautor hátte heranziehen

müssen. Sprachliche Verbindungen zwischen Sallust und Sisenna wären nicht durchweg ebenso zu beurteilen: Die zwei letzten Geschichtsschriften Sallusts haben mit Sisennas Historien mancherlei thematische Berührungspunkte. Sallust deutet selbst darauf ausdrücklich hin, und seine Historien scheinen überhaupt das gleichnamige Werk Sisennas fortzusetzen. Unter diesem Aspekt hütten sprachliche Übernahmen Sallusts von Sisenna nichts Befremdliches. Mit ihnen wird man auch aus anderen Gründen rechnen dürfen: Unter den lateinischen Geschichtsschreibern gilt Sisenna bis in die letzten Jahre der Republik als der beste Stilist, und er wird auch von Sal-

lust durchaus geschätzt?”. Kaum zufällig dürfen da folgende Übereinstimmungen sein?^: Sall. Catil. 56,3 sparos aut lanceas; die Verbindung spari — lanceae Sisenna

hist. 21, sonst nie vor Sallust?°. Sall. Iug. 67,1 saxa . . . certatim mittere klingt stark an Sisenna hist. 7 an: saxa certatim . . . coniciunt. Die Ekphrasis Sall. lug. 93,4 erinnert an Sisenna hist. 8. Gut denkbar, daß Sallust zum Gebrauch des Archaismus occipere durch Sisenna angeregt worden ist”. Sonstige noch kenntliche Quellen sallustischer Archaismen: Die Zwölftafeln für

intestabilis; vielleicht hat auch Sallust noch in seiner Jugend die Zwólftafeln auswendig lernen müssen^". Ein alter Spruch der Annales maximi

für consultor

„Rat-

geber“. Sallust hat sich hinsichtlich der Texte, denen er altertümliche Ausdrücke entnommen hat, offenbar nicht an enge Regeln gebunden. So ließe sich noch manches andere Schrifttum denken — nicht nur Prosa, sondern auch Dichtung — , aus dem Sallust den einen oder anderen antiquierten Ausdruck übernommen haben kónnte?? 23 24

Ähnliches schon bei Bruennert 21 ff. Vgl. Sall. Iug. 95,2. Die Ansicht, daf Sallust sich sprachlich auch an Sisenna angeschlossen hat, ist alt.

25

Diese Übereinstimmung

Vgl Bruennert 21 f£.; letzthin wieder Bolaffi 89; Syme 259; 265. bemerkt Peter zu Sisenna hist. 21; die folgende Wólfflin, zi-

27

tiert von Peter zu Sisenna hist. 8. Ein zu Sallusts Zeit wohl niedrigeren Sprachschichten angehórender Gebrauch ist potiri mit Akk. Sall. hist. frg. inc. 32; hier mag ebenfalls Sisennas Vorbild eingewirkt haben. Vgl. 273 zu Sisenna hist. 42. Sonst gebraucht Sallust potiri mit Gen. oder Abi über 10 mal Vgl dazu 67 A. 12.

28

Zu dieser Literatur mógen

26

die Reden

des C. Gracchus gehóren,

von denen Sallust viel-

Unerweislich ist aber, daß einer der gesammelten

sallustischen Archaismen

eine

altertümliche Spracheigentümlichkeit gewesen wáre, die als solche traditionell vorsallustischer Historikersprache angehórt hátte. Sogar eher unwahrscheinlich ist das bei wenigstens zwei Idiomen. tempestas ,,Zeit" überwiegt von Anfang an in

Sallusts historischem Werk gegenüber analog gebrauchtem tempus. In den Fragmenten der republikanischen Geschichtsschreibung fehlt tempestas ,,Zeit"*, dagegen steht Calp. hist. 27 in eo tempore . . ., quo tempore; Asell. hist. 7 tum in eo tempore; Ps. Quadrig. hist. 12 in eo tempore; (Sisenna hist. 16 isdem temporibus); die Wendung in eo tempore ist dabei durchweg dem Abl. temporis gleichwertig. ductare vom Führen eines Heeres oder in áhnlicher Verwendungsweise steht im Catilina ausschließlich — 4 mal — statt entsprechendem ducere und hält dem Synonym im Iugurtha die Waage. In den Resten der vorsallustischen Historiographie findet sich nie ductare, dagegen ducere in der vorausgesetzten Verwen-

dungsweise Scaur. hist. 6; Quadrig. hist. 92; Sisenna hist. 57??. leicht manche gekannt hat. Dazu 69; Syme 261. Daß Sallust tragisches Sprachgut verwendet, ist wenigstens in einem längst bemerkten Falle wahrscheinlich: or. Lep. 15

ferro saeptis erinnert an Trag. inc. 31 ferro saeptus; die Junktur vor Sallust nur hier. Was allerdings Skard, Vorgänger 57 ff. sonst an Einflüssen der Tragödie in den Geschichtswerken annimmt, ist in der Regel ganz unsicher. Über Möglichkeiten kommt Skard auch nicht hinaus, wenn er Vorgänger 45 ff. unmittelbare Ennianismen bei dem

Historiker nachzuweisen versucht; die Kritik von Dahlmann,

Gnomon

11, 1935,

312 ff. gilt im wesentlichen auch für diese Ausführungen. Entlehnungen aus Komikern vermutet Bolaffi 88 bei Sallust, Undenkbar wäre derartiges in Einzelfällen vielleicht nicht; anders Skard, Vorgänger 73. Aber ein Beweis fehlt. Sprachliche Übereinstimmungen

29

zwischen

Sallust und den Komikern

beweisen

an sich noch

nichts:

Plautus

und Terenz bieten das größte Textquantum in der vorciceronischen Literatur; da müssen sich viele zufällige Berührungspunkte zwischen ihnen und Sallust finden, Es gibt noch andere solche Fälle, die, vereinzelt betrachtet, aber aus verschiedenen Gründen weniger beweiskräftig sind. Beispiele: In den Bruchstücken der vorsallustischen Historiographie steht statt facundia Quadrig. hist. 8 eloquentia;

statt socor-

dia Quadrig. hist. 89 neglegentia; statt palari Quadrig. hist. 11 vagari; statt defensare Asell. hist. 2; 7; Quadrig. hist. 85 defendere. patrare „vollbringen“ ist in jeder sallustischen Geschichtsschrift wenigstens annähernd so häufig wie conficere, peragere, perficere zusammen.

conficere steht Asell. hist. 2; Sisenna hist. 49. Nie in den Historiker-

fragmenten dagegen patrare. mortales kann jedenfalls bei Quadrigarius nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Darüber 255 zu Quadrig. hist. 76. Bemerkt sei noch, daß in den Resten der vorsallustischen Geschichtsschreibung insgesamt über 200 mal ac, atque, et, -que erscheint, nie -que -que. Allerdings ist -que -que in den sicher echten Sallustiana bekanntlich auf einen bestimmten Gebrauch beschränkt; ob und in

welchem Maße bei den Vorgängern Sallusts diesem Gebrauch Verbindungen mit ac usw. entsprechen, habe ich nicht überprüft. Was die mutmaßlichen stilistischen Archaismen Sallusts angeht, so besteht kein Grund, für memorare und subvertere bei den

ülteren Historikern dieselbe relative Häufigkeit anzunehmen wie bei Sallust. Zu memorare 250f. zu Quadrig.

hist. 47. subvertere begegnet Quadrig.

hist.

10 b; evertere Quadrig.

hist. 8; 10 b. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die bevorzugte Perfektendung -ere statt -erunt bei Sallust, mit deren Gebrauch

er sich entschieden von der ät

teren nachcatonischen Geschichtsschreibung abhebt. Dazu 199. — In occipere kónnte man ein Gegenbeispiel sehen wollen. Aber als antiquiert kann dieses Verb erst bei Si-

307

Ein bisher ausgeklammertes Problem ist das Verhältnis des sallustischen Archaismengebrauchs zur zeitgenóssischen Grammatik. Sollte Sallust nicht manches

verbum priscum grammatischen Kollektaneen entlehnt haben? Folgende der von uns zusammengestellten sprachlichen und stilistischen Archa-

ismen Sallusts sind bis einschließlich Verrius Flaccus in der lateinischen Grammatik Gegenstand der Betrachtung; für die eingeklammerten Idiome ist an der betreffenden Grammatikerstelle weder ein Beleg aus vorsallustischer Literatur an-

gegeben noch ausdrücklich die Antiquiertheit bezeugt”: (prosapia Paul. Fest. p. 225); socordia Fest. p. 293 Catobeleg; (inclutus Paul. Fest. p. 55; 107); (insons Fest.p. 297); quaesere Fest.p. 258 Enniusbelege; tempestas „Zeit“ Fest. p. 363;

nuncupare „benennen“ Varro ling. 6,60 Hinweis auf leges und anderes; prodigere „verschwenden“ Fest. p. 229 Caeciliusbeleg und anderes; nequitur Fest.p. 162 Catobeleg und anderes; (rebatur Fest.p. 277); soluerat Varro ling. 9,107

Catobeleg und anderes; (memorare Paul. Fest.p. 124). tempestas, nuncupare, rebatur erweisen sich durch Cic. de orat. 3,153 als naheliegende verba prisca. In dieselbe Richtung deutet es, wenn inclutus, insons, quaesere, tempestas, nun-

cupare, reri, memorare in freilich sehr verschiedenem Umfang in republikanischer Dichtung sallustischer Zeit oder in augusteischer Dichtung erscheinen. Will man für prosapia, socordia, inclutus, tempestas, nequitur, soluerat, memorare an einen bestimmten Einfluß denken, dann wird man zunächst mit der unmittelbaren Einwirkung Catos zu rechnen haben. Denn all die erwähnten Ausdrücke sind in catonischer Prosa zu belegen; und daß Sallust mit Reden und Geschichts-

werk des Censorius aus eigener Lektüre gut vertraut war, ist nicht zu bezweifeln.

Bei der Mehrzahl der hier behandelten sallustischen Archaismen wäre es unnótig oder unwahrscheinlich, wollte man ihren Gebrauch der Einwirkung der Grammatik zuschreiben. Für prodigere gilt das freilich nicht so ganz?'. Immerhin ist

in diesem Falle — das gleiche trifft für die übrigen (Paulus—) Festusnotizen zu — nicht zu sichern, daß das Idiom bereits bei Lebzeiten Sallusts grammatische Be-

handlung erfahren hatte. Das erhaltene Material gibt uns kein ausreichendes Insenna gelten. Wenn Sallust das Wort als Archaismus gebraucht, hat er, soweit wir sehen kónnen, also keine Tradition vor sich, sondern eben nur Sisenna. Dazu 214 zu

30 31

Calp. hist. 36. Daß die Verwendung von occipere für Sallust keine Selbstverständlichkeit historiographischer Ausdrucksweise war, lehrt auch seine eigene Praxis: Er greift zu dem Idiom erst in den Historien. Wenn neben Varro noch andere Grammatikerzeugnisse vorliegen, wird nur Varro, wenn neben — ergánztem — Festus auch Paulus- Festus vorliegt, nur Festus zitiert. Bei (Paulus-) Festus erscheinen auch andere Ausdrücke, die bei Sallust zu belegen sind. Erwähnt seien (claritudo), dextimus, obsidium hist. frg. 1,46, privus, satura lug, 29,5, stolidus, (sublices hist. frg. 4,85), tabes Catil. 36,5; hist. frg. 4,46. Die zitierten Sallust-

stellen werden in dem Werk angeführt. Die erwähnten Wörter sind nicht durchweg sat lustische Archaismen. Wenn sie bei (Paulus-) Festus für die antiqui beansprucht werden, so ist das nicht unbedingt beweisend. Den antiqui werden auch bei Cicero nachzuwer

sende Wórter wie multifariam Fest. p.142, nobilis statt notus Fest. p.174 zugesprochen. Vgl. noch

308

18 A. 22.

diz für den Einfluß von Glossarien und ähnlichem grammatischen Schrifttum auf Sallusts Gebrauch antiquierten Sprachgutes.

Daß Sallust catonisches Sprachgut durch die grammatische Literatur vermittelt worden ist, ist nicht nur wegen Sallusts offenbar unmittelbarer Catokenntnis unglaubhaft. Wenigstens für die zwei ersten Geschichtsschriften ist eine derartige

Vermittlung auch durchaus unwahrscheinlich wegen des Desinteresses der republikanischen Grammatiker an Catos Sprache. Das Argument läßt sich auf die anderen älteren Prosaiker der Republik übertragen, die durchweg in dem grammatischen Schrifttum noch weniger Berücksichtigung zu finden scheinen als der

Censorius??, Wenn Sallust sich an ältere Literatur, insbesondere an die Origines und die Reden Catos anschließt, so verliert er doch nicht seine Selbständigkeit gegenüber diesen Vorbildern. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Zurückhaltung, die er sich in dem Gebrauch veralteten catonischen Sprachmate-

rials auferlegt ”. Gewiß war Sallust mit dem Eingang der Origines vertraut: si ques homines sunt; die Form ques kann er kaum übersehen haben. Ebenso muß Sallust siet in der

Rhodierrede aufgefallen sein: Cato orig.95 a quid opus siet facto”; die gleiche Form auch Cato or.frg.21, an einer von Sallust vielleicht ebenfalls nachgeahmten Stelle. Cato orig. 108 muß der Inf. peragier Sallusts Aufmerksamkeit erregt haben. Aber nie verwendet Sallust derartige Bildungen in seinen Geschichtsschrif-

ten; Gelegenheit dazu hätte er reichlich. Also eine deutliche Ablehnung altertümlich-catonischer Flexionsformen. Doch dürfte Sallust auch manche anderen für ihn antiquierten Catonismen bewußt verschmäht haben. Kaum ist es durchweg auf Unkenntnis catonischer Ausdrucksweise zurückzuführen, wenn Sallust statt

catonischer Wörter wie duritudo, plerus, properus, sanguen, uls durchweg Ersatzwörter gebraucht. Ein Vergleich von Sallusts Archaismengebrauch mit den Möglichkeiten, die ihm seine Hauptquelle für antiquierte Idiome bot, die Prosa Catos, zeigt: Sallust ist in der Verwendung veralteter Ausdrücke durchaus wählerisch. Denselben Eindruck erhält man, wenn man Sallusts Praxis vor der Folie der verba prisca betrachtet, die Cicero verwendet oder empfiehlt. Manches

altertümliche Sprach-

gut, das Cicero in seinen Gesetzen nicht scheut, findet sich bei Sallust, der die — ungefáhr — synonymen Ausdrücke durchaus gebraucht, an keiner Stelle, z.B. aevitas, duellum, effari, endo, ergo mit Gen., faxim und ähnliche Bildun32 33

Darüber 73 ff. Daß sich bei Sallust manches Altertümliche nicht findet, ist mit teilweise anderen Ber spielen schon gelegentlich hervorgehoben worden, so von Bruennert 11; Latte 11f.; Syme

34

259; 263. Eine Analogie zu Sallusts Praxis bei Vergil, wozu

Cordier

32 ff.

Zu der Verbindung von opus est mit dem AbL des Part. Perf. ist Sallust — seit CatiL 1,6 — móglicherweise überhaupt durch Catos Vorbild angeregt worden: vgl zum Vorkommen

der Konstruktion

Hofmann-Szantyr

123.

309

gen, ollus, suboles. effari und suboles sind verba prisca, deren sich ein Redner nach Cic. de orat. 3,153 bedienen kann. Der Unterschied zwischen sallustischem und ciceronischem Sprachgebrauch ist schwerlich mit der Annahme zu erklären, Sallust habe die veralteten Ausdrücke, zu denen Cicero greift, nicht gekannt. Über die bewußten oder unbewußten Motive, die Sallust bei der Auslese aus dem verfügbaren altertümlichen Sprachgut geleitet haben, läßt das vorgelegte Material kaum ein Urteil zu. Hat er — unter anderem — zu antiquierte Idiome vermeiden wollen??? Zu dieser Annahme würde passen, daß die obscuritas der

sallustischen Ausdrucksweise in den antiken Stilurteilen nie auf Sallusts Archaismen zurückgeführt wird. Die bisherigen Ausführungen haben gelegentlich bereits die zweite Hauptfrage tangiert: Wie gebraucht Sallust seine Archaismen? Die folgenden Darlegungen

sollen vornehmlich diesem Problem gewidmet sein, und zwar unter Beschränkung auf die sprachlichen Archaismen. An erster Stelle fällt auf, in wie großem

Umfange

Sallust Archaismen verwen-

det. Bei Zugrundelegung unserer Sammlung ergibt sich folgendes Bild:

Catil.

Vorkommen von Einzelwörtern (in runden

Iug.

Hist.

Reden und Briefe

(gesamt)

der Hist.

10800

21300

9140

4100

41

116

53

29

263

182

172

141

Zahlen)

Vorkommen von Archaismen durchschnittliche Wortzahl, auf die je ein Archaismus entfällt

Die Differenz in der Archaismendichte

von Historiengesamtheit einerseits, Reden

und Briefen der Historien andererseits erklärt sich wohl damit, daß die kurzen Bruchstücke mit geringerer Intensität auf Archaismen untersucht sind als die großen zusammenhängenden Passagen. Dadurch ist der zu vermutende Umstand überkompensiert worden, daß der aus Fragmenten bestehende Text, der zum Teil sprachlichen Besonderheiten seine Erhaltung verdankt, gegenüber einem 35

Für den selektiven Anschluß Sallusts an Catos Sprache noch ein außerhalb des Vorgetragenen liegender Hinweis. Für Anhöhe sagt Cato orig. 83 volkstümlich-plastisch verruca; zu dem Ausdruck Koehler, Act. sem. phil. Er. 1, 1878,471; Meyer—Lübke 9241. Gellius hebt 3,7,6 diese catonische Formulierung als ungewöhnlich hervor;

sie dürfte auch Sallust bei der Lektüre der Origines aufgefallen sein. Verwendet hat Sallust das catonische Idiom

nie, obschon

er das öfter hätte tun können.

Den Grund

für die sallustische Ablehnung von verruca „Anhöhe“ dürfte Quint. inst.8,6,14 erkennen

lassen:

saxea verruca wird hier zu den humiles translationes gerechnet.

lust ist eben von dem Purismus nicht unberührt.

310

Sal-

gleichlangen zusammenhüngenden Historienquantum zuviel Archaismen enthält *. Die für die gesamten

Historien ermittelte Durchschnittszahl, auf die je ein Ar-

chaismus entfällt, wird demnach kaum als zu niedrig gelten können. Es ist somit besonders im Hinblick auf die beiden letzten Geschichtswerke Sallusts festzustellen: Die relative Archaismenfrequenz hat bei Sallust eine Hóhe wie sie sich für keinen der bisher untersuchten Autoren beobachten oder wahrscheinlich

machen lief ?". An verschiedenen Stellen der Geschichtsschriften ist das Erscheinen eines Archaismus in eine gewisse Beziehung zu Wórtern zu setzen, die in der Nachbarschaft stehen, oder primär von ihnen aus zu erklüren δ, Einige sichere Beispiele sehr verschiedener Art: lug. 31,8 dient nequitur auch der Verdeutlichung des Passivsinns von ulcisci. hist. frg. 3,70 steht nuncupare offensichtlich auch dem Ausdruckswechsel zuliebe ??. Iug. 85, 10 fungiert das Subst. prosapia mit seiner gravitas als Folie, vor der die Charakteristik, mit der diese prosapia pointiert am Satzende bedacht wird, nur umso niederschmetternder wirkt: nullius stipendi. Ganz ähnliche Funktion hat proles or. Lep.3. Indessen sind derartige Fälle selten. Die Verwendung der besprochenen Idiome kann auch insofern nicht als Normalfall der sallustischen Archaismenhandhabung gelten, als sie bei Sallust nur jeweils einmal vorkommen, eben an den zitierten Stellen. Die teil ren aus

Interpretation solcher Kurzpassagen ist nicht die einzige Instanz für ein Urüber die Funktion sallustischer Archaismen. Auch ein statistisches Verfahkann Aufschlüsse vermitteln. Die folgenden Überlegungen beschränken sich praktischen Gründen auf die beiden Monographien.

Wir gliedern annähernd den ganzen Catilina in 3 Perikopen, annähernd den ganzen Iugurtha in 6 Perikopen. Alle diese 9 Abschnitte A - I haben gleichen Um-

fang“. Die Archaismen verteilen sich dann folgendermaßen: 36

Man könnte

auch meinen,

daß in Reden

und Briefen der Historien relativ mehr Ar-

chaismen vorkommen als in den übrigen Historienpartien. Doch hätte die Auffassung weniger Wahrscheinlichkeit für sich. Denn in Catilina und Iugurtha ist von ei 37

38 39

40

ner solchen Sonderstellung der Reden nichts zu merken. Für die Historiker vgl. vor allem 260 zu Quadrigarius, 285 f. zu Sisenna.

Dazu noch 315 A.46. So ist ja ebenfalls bei Cicero gelegentlich die Verwendung eines veralteten Ausdrucks motiviert. Vgl. 28. Würe mit den vorgetragenen Bemerkungen das Erscheinen der zwei letzteren Idiome bei Sallust vollständig erklärt, so könnte man sie nicht gut als Archaismen bezeichnen. Doch dürfte für einen Autor wie Sallust bei der Wahl der Ausdrücke auch deren Altertümlichkeit eine Rolle gespielt haben. Sie umfassen je 13 Seiten der Schulausgabe von A. Eussner, Leipzig (Teubner) 1904. Die Umrechnung auf Kapitel und Paragraphen ist erfolgt, um auch dem Leser, dem diese Ausgabe nicht zur Hand ist, eine gewisse Kontrollmöglichkeit zu geben. Bei der Wahl des Perikopenumfanges hat vor allem die Einfachheit der Messung den Aus schlag gegeben. Es muß allerdings gesagt werden, daß eine Veränderung des Perikopenumfanges auch das Ergebnis modifizieren kann. Ich habe das Problem nicht untersucht.

311

Catilina:

Kapitel

A

B

C

2,3-25,1

25,2—49,2

49,3—60,4

22

9

9

Archaismen Iugurtha: Kapitel Archaismen

D

E

F

G

H

I

2,3— 18,8

18,— 36,1

36255,7

55,8— 76,6

7,193,3

934112,3

19

22

17

23

19

12

Um mit dem Catilina zu beginnen, so springt sofort ins Auge,daß A relativ viele Archaismen aufweist. Ob die gefundene Verteilung verläßlich nicht-zufällig von einer theoretisch erwarteten Verteilung — in unserem Falle der Gleichverteilung — abweicht, läßt sich genau mit dem x?-Test ermitteln. Wir nennen die Unterschiede, die zwischen ABC bestehen, signifikant, wenn die

Wahrscheinlichkeit für ihr zufälliges Zustandekommen geringer als 5% ist (p

« 5 90)". Nun ist für ABC x? 78,45, folglich p 70%.

Wir dürfen uns also bei der Erklárung der hohen Archaismenmenge in A auf Catil.6 — 17 konzentrieren. Dieser Abschnitt ist nun vor allem durch den auffallend großen Exkurs ausgefüllt, der den Wandel der römischen Gesittung von der

Stadtgründung bis zur Zeit Catilinas verfolgt und deutet (Catil. 6—13). In dem Exkurs begegnen 11 Archaismen. Es sieht so aus, als habe Sallust seine Geschichtsdeutung auch stilistisch hervorheben wollen; zudem lief der Rückblick in fernere

und fernste Vergangenheit, der einen großen Teil der Digression beherrscht, wohl den Rückgriff auf Sprachgut der Vergangenheit als besonders angemessen er41

Eine auf den Nichtmathematiker zugeschnittene Darstellung des x^-Tests findet man etwa bei O. W.

Haseloff -H.-J. Hoffmann,

Kleines Lehrbuch der Statistik, Berlin 1968),

170 ff. — Welche Signifikanz man verlangt, hängt von dem bearbeiteten Problem ab. In unserem Zusammenhang scheint es sinnvoll, das Signifikanzniveau auf den relativ hohen Wert von 5% festzulegen. Denn damit wird der Nachweis des Archaisierens, soweit er mit der Gleichverteilung der Archaismen geführt wird, erschwert. Unter er

nem anderen Aspekt zu diesem Punkt G. Herdan, The Advanced Theory of Language as Choice and Chance,

Kommunikation

und

Kybernetik

Bd. 4, Berlin/Heidelberg/New York 1966, 414 f.

312

in Einzeldarstellungen,

scheinen. Die Sprache des Exkurses schwingt, nachdem die Partie abgeschlossen

ist, in den folgenden Kapiteln noch nach *”. In BC findet Sallust zu einer weniger umfangreichen aber gleichmäßigen Verwendung von Archaismen; daß die Reden Caesars und Catos ziemlich genau die Hälfte von C ausmachen, ändert nichts an diesem Bild. Eindeutig ist die Gleichverteilung der Archaismen im Iugurtha. Für D — I ist x

4,14, somit

p >50%.

Die Annahme,

daß die Archaismen

ohne

Rücksicht

auf den Inhalt der Perikopen über den Text gestreut sind, ist, soweit sie statistisch geprüft wurde, durchaus akzeptabel. Die historische Digression Iug. 41,1 — 42,4 bewirkt in F keinen auffallend starken Archaismengebrauch; sie ist freilich kürzer und greift in weniger entfernte Perioden zurück als der vergleichbare Abschnitt Catil. 6-13. Die großen Reden des Adherbal, Memmius, Marius bedingen für DGH nicht eine merkliche Abweichung vom Durchschnitt. Eine inhaltsbedingte Anderung der Archaismenverteilung ist also innerhalb des Iugurtha nicht nachweisbar. Und es ist auch zweifelhaft, ob die gegenüber der ersten Monographie größere Archaismendichte des Iugurtha vornehmlich in dem größeren Zeitabstand der hier behandelten geschichtlichen Vorgänge begründet ist. Denn

in den Historien, die ja einen kaum

vor der Catilinarischen Verschwórung

liegenden Geschichtsstoff behandeln, ist die relative Archaismenfrequenz wohl nicht geringer als in der zweiten Monographie. Die Vermutung ist nicht abweisbar, daß die Erhöhung der Archaismendichte im Iugurtha vom Thema weitgehend unabhängig ist. Manche Archaismen haben mit ihrer Häufigkeit gegenüber ihren nächstliegenden lebenden Synonymen eine sehr starke Stellung. So verhält es sich alle Geschichtswerke hindurch bei mortalis gegenüber entsprechend gebrauchtem homo und bei tempestas gegenüber entsprechend gebrauchtem tempus, beidemal in steigendem Maße, bei patrare gegenüber conficere, peragere, perficere. Verschiedene Archaismen haben in sämtlichen Geschichtsschriften oder auf einer längeren Strecke die lebenden Ersatzausdrücke, durch die sie am ehesten vertreten werden könnten,

ganz verdrängt. Die folgenden Beispiele sind auf Fälle beschränkt, in denen der Archaismus wenigstens 5mal hintereinander ohne Konkurrenz ist. Das gilt für das gesamte historische Werk Sallusts von den Singularformen von plerique und quippe qui mit Ind.; vom Iugurtha an gilt es für cupido und facundia, zwei Subst., denen im Catilina noch Synonyme zur Seite stehen, und consultor „Ratgeber“, Ziehen wir das Fazit. Die hohe Zahl der sallustischen Archaismen, ihre praktisch durchgängige Funktionslosigkeit innerhalb der Kurzpassagen, ihre recht gleich42

Nebenbei: Wenn sich die unwahrscheinliche Verteilung der gesammelten Idiome im Catilina gerade unter der Voraussetzung, es handle sich um Archaismen, gut erklären läßt, so indiziert das: Die Diagnose „Archaismus‘ trifft für die aus der ersten Mono-

graphie herausgehobenen Ausdrücke im wesentlichen zu.

313

mäßige Verteilung über ein Werk, ihre starke Stellung gegenüber den lebenden Synonymen, das alles ist nur als Ausdruck einer grundsätzlichen Entscheidung zu verstehen, sich altertümlichen Sprachgutes zu bedienen. Den Zeitgenossen des Historikers muß dieser ungewöhnliche Archaismeneinschlag als charakteristisches Stilmerkmal sallustischer Prosa erschienen sein, und Sallust muß diesen Effekt beabsichtigt haben. Kurz: Sallust archaisiert. Besonders eindeutig trat uns Sallusts Altertümeln in der zweiten Monographie entgegen. Doch wird man dieselbe Praxis, obschon in weniger ausgeprägter Form, ebenfalls im Catilina er-

kennen dürfen. Soweit für die Historien Daten geboten wurden, erwies auch ihre Sprachgestaltung sich als altertümelnd. Wenn sich der Schluß, daß Sallust archaisiert, bereits aus einer unvollstindigen Sammlung sallustischer Archaismen ergibt, so kann diese Tatsache das Vertrauen in ihn nur stützen.

Es ist schon bemerkt worden, daß Sallust in der Verwendung einiger Archaismen eine deutliche Entwicklung durchmacht. Die Erscheinung ist nicht auf die erwähnten Phänomene beschränkt. Das mögen zunächst die folgenden quantitativ orientierten Feststellungen zeigen. Sie haben es, ohne das gesammelte Material ganz auszuschöpfen, nur mit Fällen zu tun, in denen das Vorkommen oder

Fehlen eines Archaismus sich vor der Folie des Gebrauchs lebender Ersatzaus-

drücke als Wandel sallustischer Sprachintention erweist”. Öfter ist — wie bei den schon erörterten Idiomen — ein Vordringen von Archaismen im Verlauf von Sallusts schriftstellerischer Tätigkeit zu konstatieren. So spielt vecordia im Iugurtha gegenüber dem Ersatzausdruck eine größere Rolle als im Catilina. Manche Archaismen begegnen erstmals im Iugurtha und werden von da an festgehalten: imperitare, agitare ‚leben‘ u.ä., transitives festinare. Andere Archaismen erscheinen sogar erst in den Historien: inclitus, coeptare, occipere, quaesere, torpedo „Schlaffheit“. Es gibt auch die entgegengesetzte Entwicklung; sie ist freilich selten. ductare vom militärischen Führen und subigere mit Inf. werden in der ersten Monographie verwendet, verlieren dann aber gegenüber den Synonymen an Boden^. 43

Die lebenden

Synonyme

lassen ja am

sichersten den Móglichkeitsgrad

für den Gebrauch

eines Archaismus erkennen; und erst eben auf dem Hintergrund dieser Móglichkeiten gewinnt Sallusts Stilwille Kontur. Über Sallusts sprachlich-stilistische Entwicklung im übrigen Wólfflin, Philologus 28,1876, 95; 102 ff. passim; A. Kunze, Sallustiana 3,1, Leipzig 1897; Klingner, Hermes 63,1928, 173; Skard, SO 10, 1932, 611f.; 39, 1964, 13ff.;

Ennius 79; Lófstedt, Synt. II 290ff.; 412 £.; Syme 266 f.; 305 ff.; Pasoli, Helikon 5, 1965, 241 ff.; eine Einzelheit bei Hofmann-Szantyr 298 f. Einige der folgenden Be-

44

314

obachtungen sind von den genannten Autoren bereits ausgesprochen oder angedeutet worden. Wenn man hervorzuheben pflegt, daß Sallusts Sprache und Stil im Laufe der Zeit imrer mehr zur Wahl des Ungewóhnlichen tendieren, so ist das also eine etwas einseitige Darstellung des Sachverhalts. Vgl. noch die Angaben 302 f. über advorsum, necessitudo „Not“, die Perfektendung -ere statt -erunt.

Bei der quantitativen Betrachtungsweise kommt nur eine Seite eines mehrdimensionalen Tatbestandes in den Blick. Wenigstens kurz beleuchtet werden sollen noch zwei Phänomene mehr qualitativer Art. Dabei geht es um Kühnheiten des Archaismengebrauchs, die Sallust erst wagt, nachdem er sich des Archaismus längere Zeit bedient hat. Singularisches mortalis „Mensch“, das sich von dem üblichen omnes mortales, multi mortales weiter entfernt als bloßes pluralisches

mortales ,,Menschen", erscheint erst Iug. 72,2; mit den Formulierungen Catil. 31,2 und 51,11 dürfte Sallust die später gewählte Ausdrucksweise noch vermeiden wollen. Transitives festinare verbindet sich im Iugurtha nur mit Pronomina,

erst in den Historien mit Subst.^. Der Wandel in der Verwendung der einzelnen Archaismen vollzieht sich bei Sallust im allgemeinen — freilich nicht immer — in der Richtung größerer Verwen-

dungsintensität. Gemeinsam ist den eben erórterten veralteten Idiomen, daß ihr Gebrauch sich mit einer gewissen Stetigkeit entwickelt: Keinmal läßt Sallust einen im Catilina verwendeten Archaismus im Iugurtha zugunsten lebender Synonyme fallen, um ihn in den Historien wiederaufzugreifen. Auch unsere sonstigen Mate-

rialien liefern kaum ein Beispiel für eine derartige sprunghafte SprachpraxisS. In dieser Gleichmäßigkeit spricht sich eine inhaltsunabhängige Autonomie des Ar-

chaismengebrauchs aus, wie sie eben das Signum des Altertümelns ist. Dies über die archaistischen Tendenzen

Sallusts und verwandte

Erscheinungen,

soweit sie in den Geschichtswerken greifbar sind. In einer monographischen Behandlung des Themas ließe sich fraglos manches differenzierter erörtern “7, aber für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wird die gegebene Skizze ausreichen. 45

Freilich ist nicht strikt zu beweisen, daß die Verbindung des Intransitivums mit neutralem Pronomen weniger auffällig war als die mit Subst.; aber vermuten darf man es doch,

angesichts der Tatsache, daß die Transitivierung mancher Intransitiva wahrscheinlich eben von der Verbindung mit neutralem Pronomen und neutralem Adj. ihren Ausgang genommen hat. Vgl Hofmann-Szantyr 32. — Maßstab für die Kühnheit der Archaismenhand-

habung ist bei den zwei Beispielen der Grad der Entfernung von lebenden Sprachmóglichkeiten. Das ist nicht der einzig denkbare Maßstab. Sieht man auf das Verhältnis von Ausdruck und Sujet, so erscheinen als besonders kühn die Archaismen, die Sallust Cae-

sar in den Mund legt. 46

47

Der einzige Archaismus, der im Catilina verwendet, im Iugurtha durch ein Synonym ersetzt wird, in den Historien erneut erscheint, ist insons. Doch ist das Fehlen des Wortes im Iugurtha deshalb wenig auffällig, weil es hier anscheinend nur einmal durch ein Syn-

onym vertreten wird. Außerdem ist möglicherweise Catil. 16,3 in dem polaren Ausdruck insontis sicuti sontis Alliteration erstrebt, der Gebrauch des einmaligen frühen insons also durch eine besondere Stilisierungsabsicht veranlaßt. Es wären gleichfalls noch andere Aspekte als die betrachteten zu berücksichtigen, so das Zusammenspiel der Archaismen mit den übrigen Stilmitteln. Erheblich profilierter würde

sich Sallusts Archaisieren vermutlich auch darstellen, wenn

man

es náher mit dem

Archaismengebrauch etwa des Livius, des Tacitus oder Frontos vergleichen kónnte. Lei der fehlen geeignete Vorarbeiten.

315

b) Das Urteil der Zeitgenossen Von großer Bedeutung für unsere Problematik ist, was Sallusts Zeitgenossen über Sprache und Stil des Historikers dachten®. Sie atmeten ja gewissermaßen diesel-

be sprachliche Luft wie Sallust und empfanden das Besondere seiner Praxis unmittelbar. Ein Urteil über die sallustische Archaismenverwendung, das sich mit ihrer Beurteilung durch die Zeitgenossen nicht zwanglos vereinen ließe, wäre

starkem Zweifel unterworfen. Suet. gramm. 10,2 wird folgendes von dem Grammatiker L. Ateius Philologus berichtet: de eodem Asinius Pollio, in libro, quo Sallustii scripta reprehendit

ut nimia priscorum verborum affectatione oblita, ita tradit: in eam rem adiutorium ei fecit maxime quidam Ateius, praetextatis nobis grammaticus Latinus,

declamantium deinde auditor atque praeceptor, ad summam Philologus ab semet

nominatus?? (= Pollio gramm. frg. 495,1 Fun.). Es soll zunächst versucht werden, den liber Pollios genauer zu datieren. Etwas

umständliche Erwägungen werden dabei nicht zu umgehen sein. Wir beginnen unsere Betrachtungen mit dem im Wortlaut überlieferten pollionischen Satz. Er skizziert in drei Stufen die berufliche Laufbahn des Ateius Philologus, und zwar wenig freundlich. Im einzelnen: Zur Kinderzeit Pollios war Ateius ein im Lateinischen arbeitender Grammatiker. Die Präzisierung Latinus fällt auf, mit der das Betätigungsfeld des Ateius als recht enges gekennzeichnet wird. Danach war Ateius ein auditor und Lehrer von Deklamierenden. Daf es die Deklamation ist, der Ateius sich in dem zweiten Berufsabschnitt widmet, wird durch die Stellung von declamantium hervorgehoben. auditor bezeichnet im Bereich des Unterrichts durchweg den Schüler, und die übliche Bedeutung paßt auch

an unserer Stelle°°: Ateius lernte zunächst bei Deklamierenden. Nach Pollios Chronologie hátte er das erst im selben Lebensstadium getan, in dem er die de-

clamantes lehrte. Auf die Qualität von Ateius’ Rhetorentätigkeit wirft das kein gutes Licht. Das ist doch wohl eine von Pollio intendierte Wirkung”. 48

Auf ihre Äußerungen hat man natürlich seit jeher geachtet. Vgl z.B. Fighiera 8f.; Funaioli, RE V A (1926)

49 50

ches schärfer fassen fi, Sallustio e la sua Die Textgestaltung Richtig übersetzt F. 19683,

1946 f.; Büchner

357; Syme

288, Doch läßt sich man-

als es bisher geschehen ist. Nicht zugänglich war mir E. Bolaffortuna nei secoli, Roma 1949, des Polliozitates gedenke ich anderenorts zu begründen. Della Corte in seiner Ausgabe der suetonischen Schrift, Torino

24. Nach Thes. II 1294, 52 ff. wäre nicht nur im Satz Pollios, sondern

auch

Auson. 208,7 auditor der Lehrer; aber die Ausoniusstelle ist offenkundig mifverstanden. Die Ausgaben vor C. L. Roth (Leipzig 1858) pflegen anstelle des überlieferten auditor zu bieten:

adiutor. So auch etwa Spalding zu Quint.

inst. 2,5,3; Graff

301. Der Eingriff liegt unter graphischem Aspekt nahe. Aber das Überlieferte läßt sich durchaus verstehen.

51

316

Als Folie zur Darstellungsart Pollios vgl. die rein sachlich interessierte Ausdrucksweise

Zu guter Letzt legte Ateius sich den Beinamen Philologus, der Universalgelehrte,

zu??, Schon für sich genommen klänge die Notiz, nach der Ateius den ehrenvollen Beinamen sich selbst verdankt, vielleicht spöttisch. Jedenfalls hat sie diesen Klang, nachdem Ateius als enger Grammatiker und Rhetor zweifelhafter Qualitát charakterisiert worden ist; denn die beiden Berufsabschnitte — beson-

ders der so betonte zweite, der der Annahme des Kognomen unmittelbar voraufgeht — rechtfertigen eben nicht den Beinamen Philologus. ad summam wird in einem solchen Zusammenhang nicht zufällig für ad extremum stehen: In der von Pollio gewählten Wendung schwingt die Vorstellung eines alles Vorherige um-

greifenden Abschlusses mit. Die Ironie liegt auf der Hand. Gerecht wird Pollio mit seinem Spott?^dem Grammatiker und Rhetor nicht. Ateius beschränkte sich als Grammatiker keineswegs auf das Lateinische; vielmehr lag nach seiner eigenen Suet. gramm. 10,3 wiedergegebenen Äußerung der Schwerpunkt seiner Kenntnisse in Graecis litteris. Eine Berücksichtigung beider Sprachen paßt ja zu dem Schüler des Antonius Gnipho (Suet.gramm. 10,3), der nec minus Graece

quam Latine doctus war (Suet.gramm. 7,1). Gnipho lehrte auch Rhetorik und deklamierte (Suet.gramm.7,3). Die Vermutung liegt nahe, daß Ateius nicht nur seine grammatische, sondern auch seine deklamatorische Ausbildung bei ihm erhalten hat. Dann dürfte Ateius — im Gegensatz zu Pollios Darstellung — bereits als grammaticus mit der Technik der Deklamation vertraut gewesen sein. Wie dem

aber auch immer sein möge: nicht zu bezweifeln ist, daß sich Ateius durch eine weitgespannte Gelehrsamkeit auszeichnete (Suet. gramm. 10,4 f.), die den Beina-

men Philologus durchaus als sinnvoll erscheinen lassen konnte”. Nun berichtet Sueton gramm.. 10,6 f. über ihn: coluit . . . familiarissime C. Sallustium et eo defuncto Asinium Pollionem, quos historiam conponere adgressos

alterum breviario rerum omnium Romanarum, ex quibus quas vellet eligeret, instruxit, alterum praeceptis de ratione scribendi, quo magis miror Asinium creSuetons gramm. 6,1: Opillus. . . philosophiam primo, deinde rhetoricam, novissime 52

53

grammaticam docuit. Zu φιλόλογος Pfeiffer 156 ff.; hier 156 A.3 alle wichtige Literatur.

Im Prinzip derselbe Typ der Gedankenfolge Caes. civ. 3,31,1, wo freilich die Ironie noch deutlicher zutage tritt: Scipio detrimentis quibusdam circa montem Amanum acceptis imperatorem se appellaverat. Suet. Dom. 6,1: (Domitianus) de Chattis Dacisque post varia proelia duplicem triumphum egit — ist das ähnlich sarkastisch zu verstehen? Die spóttische Art, in der Pollio von dem Beinamen des Ateius spricht, muß in einen Zusammenhang gestellt werden mit Spótteleien bei Namensánderun-

gen und Verwandtem: Brecht 68. kónnte

Verg. catal. 10,8; Suet. Aug. 7,2; Nero 41,1. Dazu noch

54

Das quidam

35

deutliches Beispiel für deklassierendes quidam Apul apoL 57: ex libello . . . gumiae cuiusdam et desperati lurconis Iuni Crassi. Das ist nicht der einzige Fall, in dem Pollio die Wahrheit polemisch verzerrt. In der Rede für Lamia hat er Cicero eine würdelose Haltung gegenüber Antonius unterstellt: adieceratque his alia sordidiora multo, ut ibi facile liqueret hoc totum adeo falsum

in einem solchen Zusammenhang

esse, ut ne ipse quidem

abwertenden Klang

haben.

Ein

Pollio in historiis suis ponere ausus sit (Sen. suas. 6,15).

317

didisse antiqua eum verba et figuras solitum esse colligere Sallustio, cum sibi

sciat nihil aliud suadere, quam ut noto civilique et proprio sermone utatur vitetque maxime obscuritatem Sallustii et audaciam in translationibus.

Nach dem Tode Sallusts ist danach der Grammatiker in ein enges Verhältnis zu Pollio getreten, und zweifellos aus dieser Zeit datiert auch die an Pollio gerich-

tete Schrift de ratione scribendi?$. Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß in die gleiche Zeit Pollios spöttisch abwertende Bemerkungen über Ateius gehóren. Besonders — aber nicht nur dann —

wenn dieser für seinen Gönner bereits die Schrift de ratione scribendi verfaßt und veröffentlicht hätte, würde Pollio mit der Herabsetzung und Verspottung

des Grammatikers auch einen Hieb gegen sich selbst führen. Während Philologus den Pollio coluit familiarissime, ist der liber, in dem gegen die sallustische priscorum verborum affectatio polemisiert wurde, also gewiß nicht verfaßt worden. Nicht viel besser steht es offenbar mit der Möglichkeit, daß Pollio die

Schrift nach dem Tode seines Schützlings niedergeschrieben hat, wenn zwischen den zwei Männern nicht vorher eine Entfremdung eingetreten war. Mit einer nachhaltigen Trübung des Verhältnisses Pollio-Ateius wird man jedoch kaum rechnen dürfen. Sueton weiß nichts von einem solchen Vorkommnis.

Ateius Philologus dürfte auch, nachdem er in höherem Alter?" einen neuen Gónner von der Bedeutung Pollios gefunden hatte, alles getan haben, um seine Beziehung zu diesem móglichst gut zu gestalten. Als wirklich akzeptabel bleibt bei dieser Sachlage nur eine Datierung des pollionischen Buches gegen Sallusts Altertümeln übrig: Es ist entstanden, bevor Ateius in ein näheres Verhältnis zu Pollio getreten war. Der zeitliche Ansatz hängt nicht ausschließlich an unserer laut erhaltenen pollionischen Bemerkung. Drei von dieser hängige Gründe sprechen nämlich gegen die Annahme, der der Verbindung des Grammatikers mit Pollio verfaßt. Und

Deutung der im WortInterpretation unabliber sei während sie fallen, etwas va-

rüiert, auch mit kaum geringerem Gewicht in die Waagschale gegen die Vermutung, das Buch sei entstanden, nachdem Ateius ohne wesentliche Entfremdung

von Pollio gestorben war. 56

Daß die praecepta de ratione scribendi in einer besonderen Schrift des Philologus standen,

sagt Sueton allerdings nicht ausdrücklich.

Man

darf aber doch wohl

anneh-

men, daf diese praecepta nicht formios und zersplittert Pollio gegeben wurden; es wird ein bestimmter libellus gewesen sein, in dem Ateius seinem Gónner

57

318

seine Rat-

schläge übermittelte, als dieser sich daran machte, ein Geschichtswerk zu verfassen. Dafür spricht auch die Tatsache, daß Sueton die praecepta als Pendant zu dem für Sallust verfa&ten breviarium nennt. Nach Cic. de orat. 2,62 ff. fehlte es gerade an Schriften, in denen für die Historiographie besondere ausführlichere praecepta gegeben wurden. Die Schrift des Ateius füllte also vermutlich eine Lücke aus. Ateius ist vermutlich um 100 a. Chr. geboren. Graff 290 ff. mit der Korrektur Robinsons zu Suet. gramm 10,3.

Erstens: Pollio hátte in dieser Zeit wohl nicht leichthin ein Gerücht über Philologus weitergegeben oder gar erfunden. Das gilt besonders, wenn mit der Notiz dem Grammatiker eine Art Mitverantwortung an einer Affektation unterstellt wurde, die Pollio im selben Zusammenhang tadelte. Zweifellos hátte er sich aus erster Hand bei dem mit ihm bekannten Manne über die Tatsachen orientiert. Sollte Pollio also, während Ateius ihn coluit familiarissime, die Äußerung über das adiutorium getan haben, dann dürfte die Äußerung auf einer unmittelbaren Information durch den Grammatiker selbst beruhen. In diesem Falle wäre zu erwarten, daß Pollio in seiner Schrift darauf aufmerksam macht, daß seine Mitteilung auf der bestmóglichen Orientierung beruht. Die entsprechende Bemer-

kung wäre entweder in dem von Sueton zitierten pollionischen Satz oder zumindest in den in dem liber unmittelbar auf diesen Satz folgenden Sátzen zu erwarten. Nun bezweifelt Sueton,

der von dem

Buch Pollios gewiß mehr als den wörtlich

angeführten Satz gekannt μαιδ, daß die Nachricht Pollios über Ateius den Tatsachen entspricht; er wundert sich, daß Asinius derartiges habe, wie er ausdrücklich sagt, glauben können. Der Zweifel Suetons läßt es als ausgeschlossen er-

scheinen, daß Pollio den Ateius selbst als Gewährsmann für seine Behauptung genannt hat. Zweitens: Wenn Pollio schon erwähnen wollte, daß Ateius Sallust bei einer Stilpraxis behilflich war, die er selber rügt, dann hätte es, falls der Grammatiker mit ihm freundschaftlich verkehrt hätte, nahegelegen, dieses adiutorium zu entschuldigen. Eine derartige Entschuldigung hätte kaum auf etwas anderes hinauslaufen können als auf den Hinweis, Philologus sei in irgendeiner Weise genötigt gewesen, Sallusts Archaisieren zu unterstützen. Diese Entschuldigung hätte sich wohl ziemlich unmittelbar an den von Sueton angeführten pollionischen Satz anschließen müssen, hätte also Sueton nicht leicht entgehen können. Sueton erkennt einen Widerspruch zwischen der Behauptung des Asinius, Ateius Philologus habe Sallust bei der priscorum verborum affectatio unterstützt, und dem Inhalt der an Pollio gerichteten Schrift des Philologus. Das könnte er nicht, wenn Pollio seine Behauptung mit dem Hinweis begleitet hätte, der Grammatiker habe diese Hilfe ungern oder nicht aus freien Stücken geleistet. Drittens: Hätte Pollio, während ihm der Grammatiker freundschaftlich verbunden war, die zur Rede stehende

Bemerkung getan, dann beruhte

sie, wie be-

reits erwähnt, zweifelsohne auf einer Information durch Philologus selbst. Dann müßte die Bemerkung aber zutreffen. In Wirklichkeit läßt sich wahrscheinlich machen, daß das eben nicht der Fall

ist”. 58

59

In dem Referat der pollionischen Schrift gramm. 10,7 ist auch von altertümlichen fi gurae Sallusts die Rede. Das ist ein ungewöhnliches Detail, das Sueton schwerlich er-

funden hat. Dazu 325 f. Vgl. 324f.

319

Zwei bedeutsamere Einwände drängen sich gegen unsere Chronologie auf.

Erstens: Pollio behandelt Philologus in seinem Buch sehr ironisch und unterstellt ihm — anscheinend fälschlich —, das sallustische Archaisieren unterstützt zu haben. Sowohl von Pollio als auch von Ateius aus betrachtet, ist dann die spätere Verbindung zwischen den beiden Männern verwunderlich.

Zweitens: In der an Pollio gerichteten Schrift de ratione scribendi warnt Philologus vor einer Nachahmung sallustischer Stileigentümlichkeiten. Reichlich überflüssig, wenn der Angesprochene selbst zuvor gegen ein Hauptmerkmal der elocutio Sallusts, die verba prisca, eingehend Stellung genommen hatte. Zum ersten Einwand: In einer Zeit, in der man weitaus gröbere Beschimpfungen

gewohnt war, waren die Äußerungen Pollios gewiß kein unüberwindliches Hindernis für spätere enge Beziehungen zwischen ihm und dem Grammatiker. Uns unbekannte persönliche Umstände können sie erleichtert haben. Insbesondere verliert die

erwähnte

Schwierigkeit

an

Gewicht,

wenn

man

annimmt,

daß

zwi

schen der Abfassung des pollionischen liber und dem Anschluß des Ateius an

Pollio eine längere Zeitspanne verstrichen war. Was die Einstellung des Grammatikers angeht, so war er nach dem Tode Sallusts gewiß froh, einen so hohen Gönner wie Pollio zu finden.

Zum zweiten Einwand: Sueton stellt gramm. 10,7 einen Widerspruch fest zwischen der Behauptung Pollios antiqua eum (Ateium) verba et figuras solitum esse

colligere Sallustio und den Ratschlägen, die Philologus für die sprachlich-stilistische Gestaltung des pollionischen Geschichtswerkes erteilte. Sueton vermag die praecepta, die die Schrift des Ateius enthielt, kurz wiederzugeben; er ist über die praecepta offenbar einigermaßen informiert. Das Vertrauen zu seinen Kenntnissen wird durch eine andere Beobachtung gefestigt. Die stilistischen Lehren des Philologus, wie Sueton sie uns mitteilt, gliedern sich in einen protreptischen und einen apotreptischen Teil. Der erstere ist allgemein gehalten: ut noto civilique et proprio sermone utatur. Der zweite nimmt

speziell auf die Stileigentümlichkeiten Sallusts Bezug: vitetque maxime obscuritatem Sallustii et audaciam in translationibus. Der positive und der negative

Teil entsprechen sich gegenseitig: Mit der Warnung vor dem Fehler der obscuritas wird die Aufforderung zum notus civilisque sermo wiederaufgenommen, mit der Warnung vor dem Fehler der audacia in translationibus die Aufforderung zum proprius sermo. Die Anweisungen über den Stil sind durch eine wohlüberlegte Gliederung gekennzeichnet; und man darf annehmen, daß diese Gliederung nicht beiläufig von Sueton entwickelt worden ist, sondern auf Ateius zurückgeht.

Eine Beziehung der praecepta auf Sallusts Altertümeln ließe sich allenfalls in dem Abraten von der obscuritas und dem dazugehórigen protreptischen Pendant vermuten. Indessen werden die verba prisca, wie bereits erwähnt, in den antiken

Stilurteilen nie als Grund für die Dunkelheit der sallustischen Ausdrucksweise 320

genannt; die obscuritas pflegt mit der brevitas Sallusts verbunden zu werden 9^. Also wird gewiß nicht ausdrücklich, wahrscheinlich aber auch nicht implizit in

den Stilvorschriften des Ateius vor einem Archaisieren in Sallusts Manier oder überhaupt vor Archaismengebrauch gewarnt. Das ist nicht darauf zurückzuführen, daß Sueton einen entsprechenden Teil der praecepta unterdrückt hätte. Nicht nur daß Sueton die Vorschriften des Ateius anscheinend ziemlich getreu wiedergibt: Der Widerspruch, auf den Sueton aufmerksam macht, hätte dann seine eigentliche Schärfe erhalten, wenn Philologus dem Asinius Pollio entweder von der Anwendung altertümlichen Vokabulars oder gar von einer affectatio priscorum verborum wie der sallustischen abgeraten hätte. Sueton hätte nach der Anlage seiner Überlegung auf eben diese praecepta des Ateius ganz nachdrücklich hinweisen müssen, wenn sie ihm be-

kannt gewesen wären. Er tut es nicht. Folglich wußte er nichts von entsprechenden Ratschlágen des Grammatikers. Es wird sie also gar nicht gegeben haben. Terminus post quem für die praecepta de ratione scribendi des Philologus ist der Tod Sallusts. Der Terminus ante quem ist weniger sicher; wenn man das Alter des Grammatikers berücksichtigt, wird man diesen Zeitpunkt nicht nach etwa 25 a.Chr. ansetzen. Die Schrift des Ateius ist demnach entweder während oder bald nach der Sallustmode entstanden, die noch zu Lebzeiten des Histo-

rikers aufgekommen war. Die Nachahmer Sallusts hatten sich gerade auch catonischen Vokabulars bedient. Das Altertümeln des Historikers hatte damals aber nicht nur Imitatoren, sondern ebenfalls scharfe Kritiker gefunden. Unter diesen Umständen ist es überaus merkwürdig, daß Ateius, wenn er schon Pollio vor bestimmten Stilmerkmalen Sallusts warnte, allem Anschein nach kein Wort über die antiqua verba et figurae verloren und nicht gerade von ihrem Gebrauch

eindringlich abgeraten hatte. Das Problem findet eine einfache Lósung, wenn wir die in den voraufgegangenen Ausführungen ermittelte Abfassungszeit des pollionischen liber zugrunde legen: Eine entsprechende Warnung des Philologus war überflüssig, weil bereits Pollio selbst sich in einem eigenen Buch gegen die priscorum verborum affec-

tatio des Sallust gewandt hatte. Bei dieser Erklärung wird freilich vorausgesetzt, daß das Altertümeln so ziemlich die einzige sallustische Stileigentümlichkeit war,

mit der sich Pollio in seiner Schrift kritisch auseinandersetzte®, daß er jedenfalis nicht auch die obscura brevitas und die gewagten translationes rügte. 60 61 62

Vgl Sen. epist. 114,17; Quint. inst. 4,2,44f.; 10,1,32. Quint. inst. 8,2,14 wird als Hauptursache der Dunkelheit contextus et continuatio sermonis bezeichnet. Dazu 168 ff. Wenigstens die Satura des Lenaeus wird kaum später als die praecepta des Ateius zu

63

Dazu noch unten 322.

datieren sein. Vgl. 329.

321

Daß Philologus seinen Gönner mahnte, Merkmale der sallustischen Stilart zu meiden, gegen die dieser noch nicht ausdrücklich polemisiert hatte, hat bei der Intensität der zeitgenössischen Sallustimitation nichts Besonderes. Die Warnung war umso eher angebracht, als sie die Geschichtsschreibung Pollios betraf, in der es besonders nahelag, sich an Sallust anzuschließen. Das erste Bedenken läßt sich also entkráften, das zweite liefert bei näherer Betrachtung gerade eine Stütze der vorgeschlagenen Datierung. Wir dürfen nach all dem mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß Pollio die Schrift gegen das sallustische Archaisieren tatsächlich verfaßt hat, bevor er freundschaftlich mit

Ateius Philologus verkehrte $*. In dieser relativen Chronologie fehlt noch ein genauerer absoluter Fixpunkt. Bevor aber versucht wird, die Entstehungszeit des pollionischen liber ein wenig näher zu bestimmen, muß noch einiges zum Inhalt des Buches bemerkt werden. Wenn Sueton formuliert: Pollio in libro quo Sallustii scripta reprehendit ut nimia priscorum verborum affectatione oblita ita tradit, so involviert das nicht unbedingt, daß der Autor sich in der gesamten Schrift mit Sallust und seinem

Archaisieren befaßte®°. Es wäre vorstellbar, daß Pollio auf den Historiker oder dessen priscorum verborum affectatio lediglich in einem bestimmten Passus des

liber zu sprechen kam. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Wer die zitierten Worte Suetons unbefangen liest, muß den Eindruck gewinnen, daß die Kritik des sallustischen Archaisierens den eigentlichen Inhalt der ganzen Schrift Pollios ausmachte und mit dem Hinweis auf dieses Thema gesagt werden soll, um welches Buch es sich handelt“. Diese Auslegung von Suetons Äußerung paßt gut zu der aus ganz anderen Gründen ausgesprochenen Vermutung, in dem liber Pollios sei es, soweit sallustische Stileigentümlichkeiten behandelt wurden, praktisch allein um Sallusts Altertümeln gegangen. Sueton spricht in seinem Referat der pollionischen Ausführungen pluralisch von getadelten scripta und, dementsprechend, von einem üblichen — solitum — Bei64

Die Argumentation Suetons gramm. 10,7 setzt allerdings gerade das umgekehrte zeitliche Verhältnis voraus. Das verschlägt aber nichts; es beweist lediglich, daß Sueton sich über die chronologische Prämisse seiner Überlegungen nicht im klaren war, Viel

leicht möchte man einwenden, daß Philologus, wenn er in seinen praecepta auf Sal lust zu sprechen kam, wahrscheinlich den vorher entstandenen liber Pollios zu erwähnen nicht unterlassen hätte, was einen chronologischen Irrtum Suetons wenig wahr

65

scheinlich mache. Es ist aber durchaus verständlich, daß Ateius nicht ausdrücklich von einem Buch reden mochte, in dem Pollio sich unfreundlich über ihn geäußert hatte. Sueton setzt auch den bloßen AbL, wenn er lediglich von einem Passus in einem Bu-

66

che spricht. Z. B. gramm. 11,1: ipse libello cui est titulus Indignatio ingenuum se natum ait et pupillum relictum eoque facilius licentia, Sullani temporis exutum patrimonio. In der Regel freilich scheint er in solchen Fällen in mit Abl. zu schreiben. Tráfe die andere Deutung das Richtige, dann hätte Sueton den pollionischen liber nicht näher kenntlich machen

quodam libro.

322

wollen; dann hätte er aber doch eher geschrieben:

in

stand des Ateius. Anscheinend hat Pollio mehrere Schriften aus einer lángeren

Periode Sallusts kritisiert. Die beiden schmalen Epistulae ad Caesarem senem, ihre Authentizität einmal vorausgesetzt, können das allein schwerlich gewesen sein; denn sie boten für ein ganzes Buch über Sallust nicht genügend Stoff". Zumindest den Catilina dürfte Pollio also noch berücksichtigt haben. Bei der

zu vermutenden Ausführlichkeit des liber wird es in ihm an Einzelheiten über die altlateinischen Quellen der sallustischen Ausdrucksweise

nicht gefehlt ha-

ben“. Durch Objektivität gegenüber Sallust haben sich Pollios Darlegungen freilich kaum ausgezeichnet ?.

Nun wieder zur Datierung des liber. Ateius hat sich, nach Sueton gramm. 10,6 zu urteilen, in der Zeit nach dem Tode Sallusts und bevor er engere Beziehungen zu Pollio aufnahm, nicht an einen anderen Rómer der Oberschicht angeschlossen. Man wird sich diese Zeitspanne also nicht als zu groß vorstellen dürfen. Auf der anderen Seite aber ist die Annahme ratsam, daß zwischen der Abfassung der pollionischen Schrift und dem Beginn eines náheren Verháltnisses zwischen Asinius und Philologus eine gewisse Zeit verstrichen ist. Diese Erwägungen

rücken das mógliche Abfassungsdatum der Schrift wenigstens recht nahe an den Tod Sallusts heran, vielleicht sogar in die Lebenszeit des Historikers hinein. Für die letztere Vermutung spricht noch folgende Überlegung: Wenn Pollio sich in einem eigens zu diesem Zweck verfaßten Buch mit Sallusts Archaisieren polemisch auseinandergesetzt hat, hat er offenbar starken Anstoß an dieser Praxis des Geschichtsschreibers genommen. Da liegt die Annahme nahe, daf er recht bald, nachdem Sallust mit der priscorum verborum affectatio an die Óffentlich-

keit getreten war, seine Kritik äußerte und sie nicht jahrelang hinauszógerte ". Der liber Pollios ist somit nach der Publikation wahrscheinlich wenigstens der

ersten sallustischen Geschichtsschrift und vermutlich noch zu Lebzeiten des Hi-

storikers entstanden ". 67 68

Über antiquiertes Sprachgut in den Briefen 340 f. Als Redner hat Sallust wohl nicht archaisiert. Vgl. 147 ff. Auf Übereinstimmungen zwischen dem Sprachgebrauch Sallusts und dem älterer Autoren, besonders Catos, wird unter Anführung konkreter Details in späterer Literatur hingedeutet. Z. B. Gell. 2,17,7; 9,12,8 £.; 10,21,2; Char. gramm. p.110,16 ff. B.; p.254, 26 ff. B. (ex Romano); p.266,24 ff. B. (ex Romano). Derartige Notizen und ihre Kommentierung dürften einen beträchtlichen Teil des pollionischen Buches gefüllt haben,

69

Das zeigt sich schon in der Art, in der Ateius Philologus behandelt wird. Dessen Herabsetzung soll natürlich letzten Endes auch Sallust treffen. Vgl noch unten 325.

— Das wórtliche Polliozitat, das offenkundig

innerhalb des Buches die er-

70

ste Erwähnung des Ateius Philologus gebracht hat, entstammt wohl am ehesten der Einleitung oder dem Ende der Schrift, Das Archaisieren Sallusts ist ja bereits im Iugurtha voll entwickelt; dazu 310 ff.

71

Kurz zu einem alten Problem.

Gell

10,26,1:

Asinio Pollioni in quadam

epistula

quam ad Plancum scripsit... dignum nota visum est, quod (Sallustius) . . . maris transitum . . . transgressum appellavit eosque qui fretum transmiserant . . . transgressos dixit. Ist dieser Brief an Plancus identisch mit dem liber Pollios? Da-

323

Trifft es nun zu, wenn Pollio behauptet antiqua eum (Ateium) verba et figuras solitum esse colligere Sallustio, oder trifft es nicht zu? Die Meinungen sind ge-

teilt ?. Man darf Pollios Angabe von vornherein skeptisch gegenüber stehen. Es wäre nicht seine einzige Behauptung, in der die Wahrheit verfälscht wäre”. Die naheliegende Möglichkeit, daß Pollios Angabe nicht zutrifft, wird zur Wahrscheinlichkeit, wenn man folgendes bedenkt. Erstens: Sallust kennt fraglos nicht nur die Origines, sondern auch Reden Catos aus intensiver eigener Lektüre. Daß die antiqua verba et figurae, die Catos Prosa entstammen, auf Sallusts eigenes Studium zurückgehen, ist kaum zu bezweifeln. Mit dieser Feststellung dürfte der größte Teil der altertümlichen Wörter und Wendungen Sallusts, die bestimmten Texten entlehnt sind, auf Sallusts eigene Lektüre zurückgeführt sein. Ein adiutorium des Ateius wäre ziemlich überflüssig ge-

wesen. Zweitens:

Ateius bekennt von sich Suet. rhet. 10,3 in einem Brief, der schwer-

für Mercklin, Jahrb. class. Phil. Suppl. 3, 1857-1860, 663; Latte 1 A.2; Marache 39 A.5; vgl. noch Peter, Brief 218. Unentschieden Groebe, RE II (1896) 1598;

Funaioli 496 Fun.; Syme 288. Skeptisch oder dagegen 1. Kretzschmer, De A. Gellii fontibus I, Diss. Greifswald, Posen

1860, 64 f.; Schanz—Hosius II 26; André

87.

Letzterer mit näherer Begründung: Die epistula erörtere „un point de détail", der liber biete dagegen „un jugement d'ensemble sur le style". Kraftloses Argument: Detailbetrachtung und Gesamturteil schlieben einander nicht aus, In der Sache haben aber die Gegner der Identität wohl recht. Der Brief an Plancus hat es mit der

improprietas der sallustischen Ausdrucksweise zu tun; vgl (611. 10,26,4 minus proprie .. . dictum;

10,26,9 huiuscemodi

translationes.

Ateius Philologus warnt Pollio

in seiner Schrift davor, der übergroßen improprietas der sallustischen Ausdruckswer se zu folgen. Das wäre sehr sonderbar,

hätte er den pollionischen Brief an Plancus

gekannt. Pollio wird seinen Brief an Plancus somit nach der Schrift des Philologus, also nach dem liber über Sallusts Archaisieren verfaßt haben; vermutlich

erst, nach-

dem Plancus 32 a. Chr. von Antonius abgefallen war und sich an Octavian angeschlos sen hatte.

72

Mehr oder weniger vorbehaltlos wird die Behauptung angenommen etwa von Peter, HRR

II 2 LVII; Wahrheit

läßt Hosius, NIA

346; Teuffel-Kroll

508; Till 34; André

88f. In der Schwebe

31, 1913, 190 die Frage. Gegen Pollios Behauptung z. B. Graff 315;

H. Jordan, Kritische Beiträge zur Geschichte 354; Funaioli, RE I A (1920) 1944 f.; Syme

der lateinischen Sprache, Berlin 1879, 288. Von den erwähnten Anhängern

der pollionischen Notiz versucht nur André seine Ansicht zu begründen: Pollio verdiene Vertrauen, weil er durch Philologus aus erster Hand

informiert sein müsse.

Dies

Argument ist nach unserer Datierung des liber hinfällig. Die Bezweifler der Nachricht — unklar Graff — berufen sich auf den schon von Sueton hervorgehobenen angeblichen Widerspruch zwischen Pollios Behauptung und den stilistischen Ratschlágen, die Philologus Pollio erteilt hat. Aber das adiutorium bei Sallust kónnte durchaus eine Art Pflichtarbeit gewesen sein, die mit den stilistischen Vorstellungen des Grammati-

73

324

kers nichts zu tun haben brauchte. So schon André 89. An dem Suetontext ganz vorbeigehende Ausführungen bei Bardon I 294. Vgl. 317 mit A. 55.

lich Sallusts Geschichtsschreibung zeitlich weit vorausliegt ^, se in Graecis litteris magnum processum habere et in Latinis nonnullum. Das Schwergewicht der grammatischen Tätigkeit des Ateius hat danach im Griechischen gelegen. Da ist zumindest nicht anzunehmen, daß er Sallust bei der sprachlichen Nachahmung Catos, den er kaum besser gekannt haben dürfte als der Historiker ”°, besonders hätte behilflich sein Können. Drittens: Hätte Sallust bei seiner unbestreitbar guten Kenntnis Catos und bei seiner zu vermutenden Kenntnis sonstigen alten lateinischen Schrifttums sich regelmäßig bei seinem Archaisieren von einem Grammatiker unterstützen lassen, dann doch wohl nur, wenn es ihm besonders um die Verwendung entlegenen antiquierten Sprachgutes gegangen wäre. Von derartigen Neigungen ist bei Sallust jedoch wenig zu spüren. Viertens und vor allem: Man kann an dem Geschichtsschreiber Sallust mancherlei aussetzen, aber nicht, daß er sich mit der sprachlich-stilistischen Gestaltung seines Werkes zu wenig abgemüht hätte: sane manifestus est . . . labcr (Quint. inst. 10,3,8) — das meint gewiß nicht zuletzt die elocutio. Sollte Sallust einen Vorentscheid über ein wesentliches Element seiner Ausdrucksweise, die Enuehnungen aus älterer Literatur, einem auswählenden Grammatiker überlassen haben? Eine solche Arbeitsweise, bei der Flicken von antiqua verba et figurae, die ein anderer gesammelt hätte, dem Sprachkleid aufgeklebt würden, ist Sallust nicht zuzutrauen. Eben diese äußerlich-mechanische Verfertigung des Sprachstils wollte Pollio wohl bewußt

Sallust mit seiner Notiz unterstellen; die Notiz war leicht aus der engen

Beziehung von Historiker und Grammatiker herauszuspinnen. Ist Pollios Angabe auch sehr wahrscheinlich unrichtig, so ist sie doch nicht wertlos. In ihr kommt

zum Ausdruck, daß man den durchgängigen Anschluß Sallusts an bestimmte ältere Literatur als etwas Besonderes empfand, als eine Art grammatisch-wissen-

schaftlicher Ausbeutung. Das letzte Moment ist, wie sich zeigen wird, auch für die übrigen zu besprechenden zeitgenössischen Äußerungen über Sallusts Sprachgestaltung charakteristisch. Ohne deutliches Pendant ist dagegen hier die Auffassung, die die Quintessenz der pollionischen Darlegungen gewesen zu sein scheint: Sallusts Schriften seien durch eine abzulehnende nimia priscorum verborum affectatio verunstaltet, ein bewußtes übergroßes und damit auffallendes Haschen nach antiquiertem Vokabular, ziemlich genau also das, was wir Archaisieren nannten. Auch in zwei anderen Punkten heben sich Pollios Bemerkungen von der sonstigen zeitgenössischen Sallustkritik ab. Er spricht nicht nur von Antiquiertem 74

Der Provinzaufenthalt der Claudii fratres, auf den im Schreiben Bezug genommen wird, fällt vermutlich nach 50 a. Chr. Münzer, RE III (1897) 2854; Robinson 17 f.

75

Vgl über das geringe Interesse gerade auch der spátrepublikanischen Grammatik

an

Cato 75 ff. Die freilich sehr spärlichen Reste der grammatischen Schriften des Philologus deuten in nichts auf eine Beschäftigung mit lateinischer Prosa.

325

im Bereich des delectus verborum; darüber hinausgehend weif? er auch von antiquae figurae bei Sallust. Soweit Suetons Wiedergabe der pollionischen Äußerungen reicht, findet sich kein Hinweis auf Cato als Quelle der sallustischen Ar-

chaismen. Das bedeutet natürlich nicht, daß ein derartiger Hinweis bei Pollio gefehlt haben muß; aber es erweckt doch den Eindruck, daß Pollio Cato in diesem Zusammenhang nicht beherrschend in den Vordergrund gerückt hat. All die Eigentümlichkeiten der pollionischen Auseinandersetzung mit Sallusts Sprachgebrauch fügen sich gut in die Annahme: Pollio hat sich eingehend in einem ganzen liber mit dem Archaisieren des Historikers befaßt, und das ziemlich früh; er hat nicht einfach Schlagworte

einer bereits konventionellen

Sallust-

kritik weitergereicht. Nicht primär auf das Altertümeln Suet. Aug. 86,3 76. Sie ist zwischen weder noch zu Lebzeiten Sallusts sar nennt Cato als Quelle, aus der

Sallusts richtet sich die den Jahren 43 und 32 oder kurz nach seinem Sallust verba geschópft

Bemerkung Octavians gefallen 77, also entTode. Der junge Caehabe. Wenn gerade

von den Origines des Censorius gesprochen wird, so vermutlich deshalb, weil Entlehnungen aus ihnen, dem bekanntesten Werk Catos, am meisten auffielen und wohl auch besonders zahlreich waren. Der Terminus excerpere aber weist wieder darauf hin, daß man in der Art, wie Sallust sich Wörter bestimmter älterer Schriftsteller, hier Catos, aneignete, so etwas wie ein methodisches Verfahren sah, das an die Art eines Grammatikers erinnerte. Einiges ermitteln läßt sich über die Satura des Lenaeus. Sueton gramm. 15,1 f. berichtet: Lenaeus Magni Pompeii libertus ... tanto amore erga patroni memoriam exstitit, ut Sallustium historicum, quod eum oris probi animo inverecundo scripsisset, acerbissima satura laceraverit lastaurum et lurconem et nebulonem popinonemque adpellans et vita scriptisque monstrosum, praeterea priscorum Catonisque verborum ineruditissimum furem. Zunächst eine Bemerkung zu der sallustischen Charakteristik des Pompeius: Die Formulierung ist mit ihrer gesuchten Inkonzinnität unverkennbar sallustisch. Die Ansicht aber, daß sich hinter der proba facies des Magnus eine ganz andere Gesinnung verbarg ^5, ist keineswegs ein originaler Gedanke des Historikers; sie

stammt aus der zeitgenössischen Polemik gegen Pompeius ^. Vielleicht rührt die 76 77 78

Die Stelle ist 163 ausgeschrieben. Die Begründung 170. Mit os ist selbstverständlich das Gesicht gemeint, wie auch die von Robinson z. St. und Maurenbrecher zu Sall. hist. frg. 2,16 angeführten Parallelen zeigen; welche Vor-

stellung hinter der Charakteristik des Pompeius steht, lehren Stellen wie Hor. epod. 17,21 f.; Sen. contr. 2,7,3; Plin. paneg. 73,4; Suet. Dom. 18, wozu Tac. Agr. 45,2; 79

Spart. Pesc. 6,5; Macr. Sat. 7,11,2. DasBruchstück eines Distichons auf ihn (Carm. inc. 15 Sacerd. gramm. VI 462, 1f.) lautet:

quem non pudet et rubet, est non homo

sed ropio.

Der aggressiv-obszóne Vers, der ganz in der Art des Catull oder Calvus gehalten ist,

326

scharfe Reaktion des Lenaeus zum guten Teil daher, daß Sallust wieder eine

boshafte Charakteristik aufgriff, die den ehemaligen Herren des Grammatikers

schon geärgert hatte ??. Lenaeus wird die Bemerkung Sallusts?! in erster Linie mit Angriffen auf den Lebenswandel des Historikers beantwortet haben. Dazu passen die groben Schmä-

hungen von lastaurus bis popino°”. Die Beschimpfung vita scriptisque monstrosus kann auf die Diskrepanz zwischen dem Leben Sallusts, wie es Lenaeus darstellte, und den in Sallusts Schriften zum Ausdruck kommenden Grundsätzen zielen. Daß kritische Äußerungen über die Stilart der Werke Sallusts oder spezifisch die archaistischen Tendenzen des Schriftstellers in der acerbissima satura einen groben Raum eingenommen haben, ist dagegen nicht anzunehmen. Rein literarische Dinge stellten für die vernichtende Satire, in der Lenaeus den Historiker ,Zerfleischte*, eine relativ wenig ergiebige Materie dar, zumal für eine Antwort auf die sallustische Charakteristik des Pompeius. Dieser Auffassung entspricht, daß Sueton die eindeutig stilkritisch orientierten Anwürfe des Lenaeus an letzter Stelle und anhangsweise referiert. Kaum wird sich also der Grammatiker in seiner Schmáhschrift auf die philologische Erörterung einzelner Passus aus den Werken Sallusts eingelassen haben; die Bemerkungen über das sallustische Archaisieren waren vielmehr gewiß nur allgemein-polemisch gehalten. Dann werden sie aber nicht weit über das hinausgegangen sein, was bei Sueton erhalten ist: Wenn man nicht gerade auf Einzelheiten eingehen wollte, ließ sich schwerlich noch viel an Schmähungen

über die

archaistischen Neigungen des Geschichtsschreibers vorbringen. muß offenbar zu Lebzeiten des Pompeius verfaßt worden sein. Auch der Autor des Distichons aber mag es nicht gewesen sein, der überhaupt als erster gegen Pompeius den Vorwurf gerichtet hat, die verecundia

seines Gesichts sei nicht Ausdruck

seiner

Gesinnung. 80

81

So eine boshafte Charakteristik mag

auch etwa in den Angriffen des Bibulus vorge-

kommen sein. Pompeius war empfindlich. Vgl etwa Cic. Att. 2,21,4. Plutarch Pomp. 49,1. Der Gedanke liegt nahe, daß Lenaeus selbst in der Satire auf Sallusts Urteil über Pompeius als Anlaß seiner Invektive hingewiesen hat. Sicher ist das aber nicht; denn scripsisset braucht nicht Coniunctivus obliquus zu sein. Vgl. Suet. Cal.

39,1:

(Gaius be-

mächtigte sich der Mietwagen) adeo ut... litigatorum plerique, quod occurrere absentes ad vadimonium

82

non possent, causa caderent.

Einen Hexameter vermutet hinter den von Sueton überlieferten Schimpfwórtern, mit denen

Lenaeus den Historiker bedenkt, Fraenkel, Eranos 53,

1955,

78. Gut móglich;

popino ist auch Versschlu& Hor. sat. 2,7,39. Die Annahme läßt sich freilich nicht mit dem Quint. inst. 8,3,29 erhaltenen Distichon stützen, wie Brugnoli zu Suet. gramm. 15,2 glaubt. Vgl. bei mir 330. Übrigens hat Bücheler zumindest schon in

seiner Petronausgabe, Berlin 1882, 243 dieselbe Vermutung geäußert wie Fraenkel und in diesem Zusammenhang

auf das soeben erwähnte Distichon hingewiesen. Wie

immer es mit dieser Vermutung stehen móge, auf keinen Fall anzunehmen ist, daf die ganze Satire des Lenaeus aus Hexametern oder Distichen bestanden hat. Die Beschimpfung ineruditissimus fur, die Sueton dem Pamphlet wörtlich entnommen zu haben scheint, paßte nicht in Daktylen.

327

Nun näher zu der Äußerung über Sallusts Altertümeln: Dem Grammatiker haben, wenn wir der Überlieferung des Textes trauen dürfen, nicht lediglich sallustische Entlehnungen aus Werken Catos, sondern auch aus sonstigem alten Schrift-

tum vorgeschwebt?°, und zwar Entlehnungen im Bereich des delectus verborum". 83

Der überlieferte Ausdruck priscorum Catonisque verborum . . . furem ist nicht sicher zu deuten. Ist priscorum Subst. oder Adj.? Die erste Auffassung bei Robinson z. St. Nicht unbedenklich:

Einmal ist es das Natürliche, priscorum als adjektivisches Attri-

but aufzufassen, zumal die Verbindung prisca verba üblich ist. Zum anderen befremdet es, daß Cato, der doch ebenfalls zu den prisci zu rechnen wäre, ohne weiteres

neben und parallel zu ihnen genannt wird. Also die zweite Interpretation, Adj.? Aber die Nebeneinanderstellung von altertümlichen Wörtern und Wörtern Catos befremdet ebenfalls; unter den Catonismen wären ja doch wohl wenigstens zu einem Teil prisca verba zu verstehen, Überdies erwartet man nicht ein Allgemeingut wie altertümliche Wörter als Objekt des Diebstahls, sondern nur bestimmten Autoren gehörige Wörter. Immerhin ist, wenn man mit einer Unschärfe des Ausdrucks bei Lenaeus (? ) rechnet, das Überlieferte vielleicht doch zu halten, am besten mit der zweiten Deutung. Sach-

84

lich laufen beide Auslegungen auf das gleiche hinaus: Auch wenn Sallust prisca Catonisque verba stiehlt, stiehlt er nicht allein aus Cato. Wer den Text für verderbt hält, hat manche Möglichkeit: Streichung des -que. Annahme einer Lücke, z.B. (pravissimum imitatorem) priscorum; dies eine besonders naheliegende Vermutung, wie der Zustand der ciceronischen Texte in der kleinen Schrift Suetons lehrt. Skard, Vorgänger 104 glaubt, verba in der Bemerkung des Lenaeus als Sprüche, Sentenzen interpretieren zu müssen. Er führt für diese Auffassung drei Argumente ins Feld: Erstens seien die von Cato übernommenen Wörter Sallusts gewiß zumeist auch bei anderen älteren Autoren vorgekommen;

da sei es ungereimt, von einem

schamlo-

sen Diebstahl zu sprechen. Zweitens zeige sich die Abhángigkeit des Sallust von dem Censorius weniger in der Übernahme einzelner Vokabeln als der von Sentenzen. Drittens komme auf diese Weise in des Lenaeus Bemerkung eine wirksame Antithese:

Es war etwas überaus Anstößiges, daß ein Mensch wie Sallust sich der Sprüche Catos bediente, die „einen strengen altró mischen Moralismus vertraten“. Skard, der übrigens Vorgänger 56 die verba offensichtlich als Wörter auffaßt, hat mit seiner Deutung die berechtigte Kritik von Dihle, Rez. 596; Marache, REA 59, 1957, 169; Steidie 98 A.2

erfahren. Doch sei noch einmal kurz auf seine Ansicht eingegangen; denn sie betrifft einen für die Wertung Sallusts wichtigen Punkt. Daß mit den verba Vokabular gemeint ist, ist unzweifelhaft, Zunächst einmal

ist an sämtlichen

Stellen, an denen

die Entlehnungen

Sallusts aus

Cato erwähnt werden, lediglich von verba die Rede; weshalb hätte man durchweg diesen Terminus gebrauchen sollen, wenn man die sensus Catos meinte? Außerdem wird das gleichfalls bei Skard erwähnte Epigramm Quint. inst. 8,3,29 von dem Rhetor eben

in der Behandlung des delectus verborum angeführt. Die Gründe Skards sind demgegenüber schwach.

Zum

ersten:

Die Möglichkeit, daß es einige — überhaupt

oder wenigstens

in der Prosa — bis auf Sallust nur bei Cato vorhandene Wörter Sallusts gibt, leugnet auch Skard nicht; überdies konnten die Zeitgenossen fraglos manche sallustischen Archaismen durch den engeren oder weiteren Zusammenhang, in dem der Historiker sie verwendete, als Catonismen diagnostizieren. Zum zweiten: Gewiß mögen für uns die

gedanklichen Kongruenzen zwischen Cato und Sallust auffallender sein als die sprachlichen. Für die zeitgenössische römische

Literarkritik, die nicht nur wenige wörtliche

Fragmente Catos vorliegen hatte und die Besonderheiten der sallustischen elocutio unmittelbar empfand, braucht das durchaus nicht zu gelten. Zum dritten: Der zugrundegelegte Text priscorum Catonis verborum

328

. . . furem

ist konjektural

Das Überlieferte

Wenn der Geschichtsschreiber als fur bezeichnet wird, so steht dahinter unverkennbar

dieselbe Vorstellung wie etwa hinter dem

Hinweis Octavians,

der Hi-

storiker habe Wórter aus den Origines Catos exzerpiert. Freilich war es bósar-

tig, wenn Lenaeus den Vorwurf der kAorr auf das Verfahren Sallusts applizierte. Denn was Sen. suas. 3,7 von dem Verhältnis des Ovid zu Vergil gesagt wird, läßt sich

auch auf die Beziehungen

Sallusts zu den Quellen

seines Vokabulars,

insbesondere natürlich zum Censorius, anwenden: Sallust hat Sprachmaterial von ihnen übernommen non subripiendi causa, sed palam mutuandi, hoc animo, ut

vellet agnosci ὃ". Datieren läßt sich die Satire des Lenaeus relativ genau. Anlaß des Pamphlets ist eine Bemerkung Sallusts in den Historien (Sall. hist. frg. 2,16). Sicher hat der Grammatiker, als die ihn empórende Charakteristik des Pompeius ihm vor Augen kam, sofort mit der Invektive reagiert. Sie ist also in den letzten Lebens-

jahren Sallusts verfaßt oder bald nach seinem Tod®®. Das Entstehungsdatum des Pamphlets macht die Annahme unglaubhaft, Lenaeus sei der erste gewesen, der Sallust wegen seiner Anleihen bei Cato oder anderen alten Autoren getadelt hat. Denn die ungewóhnliche Praxis Sallusts wird recht bald Kritik hervorgerufen haben. So ist der liber Pollios mit einer gewissen

Wahrscheinlichkeit vor die Satire des Grammatikers zu setzen". Möglich, obschon nicht beweisbar, ist diese Datierung auch für die Äußerung des jungen Caesar und das sogleich zu besprechende Distichon. Nach ihrer mutmaßlichen Entstehungszeit und ihrer Thematik kann der Satire in der Kritik an Sallusts Altertümeln keine hervorragende Rolle zuerkannt wer-

den*5, Die letzte Äußerung, die uns hier beschäftigen soll, ist das Distichon Carm. inc. 16 (Quint. inst. 8,3,29) et verba antiqui multum furate Catonis Crispe Iugurthinae conditor historiae. deutet nicht darauf hin, daß Lenaeus ausschließlich an die Beziehungen Sallusts zu Cato gedacht hat. Und noch wichtiger: Bezeichnenderweise ist Sallust für den Kritiker ineruditissimus fur, nicht impudentissimus. Eine Antithese, wie sie Skard vorschwebt,

85

hat Lenaeus offenkundig eben nicht im Auge gehabt. Zum Begriff der κλοπή E. Stemplinger, Das Plagiat in der griechischen Litteratur, Leipzig 1912, 167 ff.; Kroll, Studien 148 ff.; Reiff 48 A.60; 119 A.30.

86

Wann

das 2. Buch

der Historien veröffentlicht wurde,

ist nicht genau zu bestimmen.

Dazu Syme 285 f. Sollte das gesamte Geschichtswerk postum veróffentlicht sein, dann doch wohl unmittelbar nach dem Tod des Historikers. Übrigens hat so ziemlich für die gleiche Datierung der Satire, wie ich Richter, RE

87

Suppl.

IX (1962)

388 entnehme,

Archaisieren von dem Grammatiker Ateius unterstützen lassen, gewänne wort des Lenaeus Relief: ineruditissimus fur.

88

be-

reits Hillscher plädiert, wohl aufgrund derselben Überlegung. Vgl. 323. Auf dem Hintergrund von Pollios Behauptung, Sallust habe sich bei seinem auch das Schmäh-

In anderem Sinne Skard, Vorgänger 56; Marache in: Hommage à Léon Hermann, Brüs sel 1960, 500; gegen Skard bereits Dihle, Rez. 598.

329

Es ist ohne weiteres klar, daß vor diesen zwei Versen noch etwas gestanden haben muf ?. Gut denkbar, daß es dabei um eine andere Person als Sallust gingὉ, Einer mehrfach geäußerten Annahme zufolge stammte das Distichon von Lenaeus?!, Daß es in der offenbar allein gegen Sallust gerichteten Satire gestanden hat, ist schon nach dem soeben Bemerkten zweifelhaft und aus anderen Gründen geradezu unwahrscheinlich. Nach Suet. gramm. 15,2 hat Lenaeus den Geschichtsschreiber priscorum Catonisque verborum ineruditissimus fur genannt. Dieser Formulierung kommt zwar die Ausdrucksweise des Distichons nahe, identisch aber ist sie mit ihr nicht. Man müßte somit annehmen, daß der Grammatiker Sallust den „Diebstahl“ an zwei verschiedenen Stellen vorgeworfen hat, und zwar mit einander ähnlichen Wendungen. Daß der vergleichsweise harmlo-

se Vorwurf in der acerbissima satura nun gleich zweimal aufgetaucht sein soll, ist nicht recht glaubhaft. Überdies sind die zitierten Verse keineswegs durch eine Aggressivität gekennzeichnet wie man sie für die grimmige Invektive voraus setzen darf; der Pentameter ist vollends farblos-neutral. Es empfiehit sich also nicht, das Distichon für ein Bruchstück der Satire des Lenaeus zu halten. Dann aber gibt es keinen Anlaß, in dem Grammatiker überhaupt den Urheber der zwei Zeilen zu vermuten”. Die Verse sind natürlich nach Veróffentlichung des Bellum Iugurthinum ver-

fat, möglicherweise von einem Zeitgenossen Sallusts?". Der Autor des Distichons äußert sich über Sallusts Archaisieren kaum

anders als

Lenaeus, nur, daß er als einzigen Schriftsteller, an den der Historiker sich angelehnt hat, Cato nennt und dessen Alter hervorhebt?*.

c) Die Hauptmerkmale und die Ursachen des sallustischen Archaismengebrauchs Wir haben nun sowohl die Sprach- und Stileigentümlichkeiten Sallusts, soweit sie sich in den erhaltenen Werken noch erkennen lassen, betrachtet als auch die diesbezüglichen Äußerungen, die sicher oder möglicherweise von Zeitgenossen Sallusts stammen. Die zwei Betrachtungsweisen, die in keiner Hinsicht widersprüchliche Ergebnisse gezeitigt haben, lassen übereinstimmend drei Merkmale 89

So schon etwa Skard, Vorgänger

90 91

So auch Richter, RE Suppl IX (1962) 389. Vgl. 327 A.82; ferner Maurenbrecher in den Prolegomena zu den Historienfragmenten 2; Funaioli, RE I A (1920)

92

93

94

330

104 A.2.

1947; Bardon

I 365

A.1; zweifelnd Richter

a. O.

Skard, Vorgänger 104 A.2 meint, man könne „auf Ovid als Verfasser raten“; bei ihm finde sich zuerst, und zwar am Pentamcterende Ib. 518 (cbenso trist. 2,416) die Wendung conditor historiae. Das beweist nichts. Mehr als eine Möglichkeit ist das nicht. Wenn Sallust ausgerechnet als Tugurthinae conditor historiae bezeichnet wird, so viclleicht nur deshalb, wcil dic Wendung in das daktylische Versmaß paßt. Zu der Vorstellung, daß Cato besonders alt ist, vgl. 178 A.9.

der sallustischen Ausdrucksweise in den Blick treten. Bei allen dreien handelt es sich um Charakteristika, die auf dem in dieser. Arbeit beleuchteten Hintergrund von Beredsamkeit und Geschichtsschreibung als Neuerungen Sallusts erscheinen; weil es sallustische Neuerungen

sind, werden sie offenbar auch von den

Zeitgenossen des Historikers besonders hervorgehoben. In diesen drei Momenten dürfen wir die Grundlinien des sallustischen Archaismengebrauchs und der mit ihm zusammenhängenden Sprach- und Stilgestaltung erkennen. Erstens:

Sallust archaisiert.

Zweitens: Sallust verwendet nicht nur altertümliches Sprachmaterial unbekannter Provenienz, wie es jedem Gebildeten in den Sinn gekommen wáre. Er entlehnt in einer Art wissenschaftlich-prinzipieller Exzerpierung antiquierte oder nicht antiquierte Ausdrücke von bestimmten alten Autoren.

Drittens: Hauptquelle derartiger Entlehnungen ist Cato Censorius?5, der älteste nennenswerte lateinische Prosaschriftsteller. Dies über die Charakteristika des sallustischen Archaisierens und der mit ihm zusammenhängenden sprachlich-stilistischen Besonderheiten”. Vermögen wir noch etwas über die Gründe, die Sallust zu seiner Praxis bewogen haben, zu ermitteln? Man hat — allerdings ohne dabei die Eigentümlichkeit und den literarhistorischen 95

96

Auf die Sonderstellung, die Sallust mit seinem Anschluß an Cato in der publikanischer Zeit einnimmt, wird auch von Fronto p.56,23 f. v. d. H. gedeutet (zitiert 266); und über solche Dinge konnte Fronto zweifellos ner dazu noch 164. Das Archaisieren Sallusts wird gelegentlich mit der Sprachpraxis Varros stellt, etwa von Hofmann-Szantyr

770. Der Prosaiker Varro

Literatur re(=p.62 N.) hin urteilen, Ferzusammenge-

steht mit seinen erhalte-

nen Werken außerhalb des Themenkreises dieser Arbeit, aber einige Bemerkungen zu dieser Gruppierung scheinen nicht unangebracht. Erstens ist der Beweis noch nicht geliefert, da& Varro als Prosaiker — die Verse Varros stehen natürlich auf einem anderen Blatt — archaisiert. Die alte Arbeit von A, Müller, De priscis verborum formis Varroni anis, Diss. Halle 1877 ist unzureichend; auch die mehr sporadischen Bemerkungen Spä-

terer genügen nicht. Bei einer Beurteilung auffallender Idiome in De lingua Latina und in den Res rusticae sollte man neben den sonst zu berücksichtigenden Gesichtspunkten insbesondere das hohe Alter des Autors nicht vergessen. Für die letztere Schrift sind übrigens in jüngerer Zeit von De Saint-Denis, RPh 21, 1947, 141 ff.; Laughton, CQ

N. S. 10, 1960, 1ff. umgangssprachliche Züge hervorgehoben worden. Zweitens: Sollte Varro archaisiert haben, dann in ganz anderer Weise als Sallust. Von den 41 sallustiSchen Archaismen, die wir zusammengestellt haben, findet sich bei Varro keiner. Und

mindestens das dritte der soeben an Sallust hervorgehobenen Merkmale kann in der Weise, wie sie für den Historiker charakteristisch ist, bei Varro keine Rolle gespielt ha-

ben: Varro schenkt auch als Grammatiker der Sprache Catos sehr geringe Aufmerksamkeit. Darüber 75 ff. Etwaige Entlehnungen aus De agricultura in dem varronischen Perdant wären natürlich anders zu beurteilen. All dem entspricht, daß Varro im Gegensatz zu Sallust als Archaist unseres Wissens weder kritisiert noch nachgeahmt worden

ist. Die zwei hervorgehobenen Gründe lassen die Gleichsetzung sallustischer und varronischer Sprachpraxis

als wenig angebracht erscheinen.

Auf archaistische Neigungen

in

der Prosa republikanischer Zeit wären im übrigen aus der landwirtschaftlichen Schrift Varros ohnehin keine sicheren Schlüsse zu ziehen.

331

Ort der sallustischen affectatio ganz scharf zu sehen — mancherlei ins Feld ge-

führt. Gemäß einer bereits erwähnten antiken Theorie ist der Stil des Thukydides unter anderem durch die Anwendung von ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα gekennzeich-

net. In dieser Theorie wird nicht selten die entscheidende Erklärung für das Al-

tertümeln des Thukydidesimitators Sallust gefunden?". Eine nähere Prüfung läßt die Zuversicht schwinden. Erstens ist nicht erweisbar, daß Sallust die Anschauung, Thukydides habe anti-

quiertes Vokabular gebraucht, zu Beginn seiner historiographischen Schriftstel-

lerei überhaupt gekannt hat”. Zweitens: Sallust wird in den antiken Stilurteilen aufgrund seiner brevitas mit Thukydides zusammengestellt; man achtet auf die Entlehnung thukydideischer Sentenzen durch den Römer. Wo aber von den Catonismen und Archaismen Sallusts die Rede ist, wird von Thukydides geschwiegen?? Das, obschon gerade in kritischen oder polemischen Bemerkungen über Sallusts Archaismen ein ent-

sprechender Hinweis recht nahegelegen hätte !®. Der Tatbestand gibt, mögen unsere Kenntnisse der antiken Sallustkritik auch lückenhaft sein, doch zu einiger

Skepsis Anlaß. Drittens trägt die uns beschäftigende Anschauung auch nicht viel zu der Erklärung der sallustischen Sprach- und Stilpraxis bei, wie sie in den voraufgegange97

So oder ähnlich Norden, Kp. 202; Literatur 45; Scheller 62; Kroll, Studien 255; Funajoli, RE I A (1920) 1945; anscheinend auch Latte, Sallust 11; JRS 27, 1937, 301;

vgl. noch E. Howald, Vom Geist antiker Geschichtsschreibung, München/Berlin 1944, 155; Syme 54. Ganz besonderes Gewicht auf Sallusts Thukydidesnachahmung als Grund seines Altertümelns wie auch der anderen Stilmerkmale legt Leeman, Genre 201 ff.; Ra-

98

tio 180ff. Vgl. 158f.; erst recht zweifelhaft ist, daß die Lehre, von der wir Dion. Hal. op. rhet. I 409, 16 ff. Us.-Rad. erfahren, Sallust beeinflussen konnte.

Vgl. 44f. Die sprachlich-stili-

stischen Eigentümlichkeiten der Epistulae ad Caesarem sind mit dieser Theorie, derzufolge gerade der thukydideische Stil für den Geschichtsschreiber — aber auch nur für diesen — geeignet ist, schon gar nicht zu erklären. 99

Anders P. Perrochat, REL 25, 1947, 91; vgl. denselben, Les modéles grecs de Salluste, Paris 1949, 27 f. Nach ihm ist Quint. inst. 8,3,29 der Zusammenhang zwischen Sallusts affectatio und seiner Thukydidesnachfolge angedeutet: Verg. catal. 2, wo von dem Thukydides imitierenden Corinthiorum amator verborum Cimber die Rede ist, werde unmittelbar vor dem

Epigramm zitiert, das sich auf Sallusts Archaisieren bezieht. Aber die Gedichte werden einfach als zwei bekannte Äußerungen über archaistische Ausdrucksweise hintereinander angeführt. Daß der Autor mit der Zusammenstellung auf irgendwelche historische Zusammenhánge anspielt, wird durch nichts indiziert. — Überhaupt ist kein Jateinischer Prosaiker bekannt, der aufgrund der zur Rede stehenden Theorie der gleichen sprachlich-stilistischen Praxis gehuldigt hätte wie Sallust. Cimber, Veranius Flaccus, Arruntius sind Sallu-

stiani, Vertreter der Sallustmode frühaugusteischer Zeit. Nichts spricht dafür, daß sie zugleich lateinische Thucydidii sind. Vgl.

160 ff. Das gegen Leeman,

Genre

199 ff.; Ratio

163 ff. 100 Analogien etwa Verg. catal 2; Cic. orat. 32; das Urteil über Terenz Caes, carm. frg, Suet. vita Ter. 7.

332

nen Darlegungen charakterisiert worden ist. Zwar wäre so ein Grund dafür gefunden, daß der Geschichtsschreiber verba prisca verwendet. Unerklärt aber bliebe, weshalb er sich nicht mit dem Gebrauch altertümlicher Wórter, die ohne weiteres — etwa aus der Dichtung — geläufig waren und deren Provenienz nicht bestimmbar war, allein begnügt, weshalb er sich vielmehr eng an bestimmte ältere Autoren anschließt, denen er nicht nur antiquiertes Vokabular, sondern antiquae figurae entlehnt und in deren Gefolge er gleichfalls noch in seiner Zeit lebendes, von puristischer Literatur jedoch gemiedenes Sprachgut gebraucht; vor allem bliebe unerklärt, weshalb Sallust sich bei einer derartigen Praxis in erster Linie an den alten Cato anschließt. Denn ein Zusammenhang zwischen der Thukydidesnachahmung Sallusts und seiner Catoimitation in dem Sinne, daß die erste die Ursache der zweiten wáre, ist nicht nachweisbar und nach allem, was

wir wissen, unwahrscheinlich !?!. 101

Aber ist nicht Cic. Brut. 66 ein deutliches Indiz für die Üblichkeit der Verbindung Thukydides — Cato? In diesem Sinne etwa Norden, Literatur 45; áhnlich auch Leeman, Ratio 44; 188. Man darf sich indessen nicht mit der Feststellung begnügen, da& der Schriftsteller an dieser Stelle Thukydides und Cato zusammenstellt. Es muß scharf gefaßt werden, in welcher Hinsicht und mit welchen Intentionen Erstens:

er es tut.

Cicero geht es darum zu zeigen, wie ein älteres Stilstadium,

das durchaus seine

virtutes hat, durch die großartigere Prosa einer späteren Zeit in den Hintergrund gedrängt wird; so ist es auch Cato ergangen. Worauf es Cicero durchaus nicht ankommt, ist der Nachweis, daß die Vertreter dieser älteren Stilstufen, konkret also Thukydides und Cato,

dieselben positiven Stilqualitäten aufweisen: Während von Thukydides und Philistos die concisae sententiae, interdum etiam non satis apertae cum brevitate tum nimio acumine erwühnt werden, wird bei Cato einfach von den lumina gesprochen. Es kann also nicht die Rede davon sein, daß der Schriftsteller Cato als eine Art römischen Thu-

kydides hingestellt hätte. Wenn Atticus Brut. 294 Ciceros Worte ungefähr in diesem Sinne deutet, hat diese Deutung ihren Grund in der Funktion der Atticuspassage (vgl. 184 ff.) und besagt nichts für die Absicht, die Cicero Brut. 66 verfolgt. Daß Cicero weit davon entfernt ist, Cato und Thukydides die gleichen stilistischen virtutes zuzusprechen, indiziert jedoch nicht nur die Tatsache, daß er es Brut. 66 nicht tut. Es wäre auch sonst zu erwarten, daß er ausdrücklich nicht nur den Hyperideern und Lysianern, sondern auch den Thucydidii die Vernachlássigung Catos vor-

hielte (dazu 181£.); der Gedanke hätte sich etwa Brut. 67 leicht anschließen lassen. — Zweitens: Cicero handelt von dem Censorius und parallelisiert die Vernachlássigung, die diesem alten römischen Schriftsteller infolge der späteren exaggerata altr us oratio zuteilgeworden ist, mit dem ähnlichen früheren Geschick des Thukydides, Die gedankliche Bewegung geht von Cato zu dem griechischen Historiker. Der umgekehrte Gedankenweg liegt deshalb nicht nahe. — Drittens: Die Zusammenstellung von Cato und Thukydides,

wie sie erláutert worden

ist, ist aus der Argumentation

Ciceros in diesem Passus zu verstehen. Nichts berechtigt zu der Annahme, die von Cicero gezogene Parallele sei über diese Argumentation hinaus von allgemeiner Bedeutung.

Die Cicerostelle veranlaßt somit nicht zu der Annahme, Thukydidesnachahmung habe Catonachahmung nahegeleg:; in der Tat kümmern sich ja die Thucydidii, gegen die Cicero polemisiert, nicht im mindesten um den Censorius, Vgl. 160. Auch der Versuch von Reiff 81, das Verháltnis des Sallust zu Cato und Thukydides mit dem

Hinweis auf das Verhältnis Vergils zu Ennius und Homer zu erläutern, wird dem lite-

333

Gelegentlich wird eine andere Erklárung für Sallusts Altertümeln vorgetragen:

Die Sehnsucht nach der alten res publica, eine Art Flucht in die Vergangenheit;

das sei ein Zug, den Sallust mit Varro gemeinsam habe !”. Auch diese Erklärung befriedigt nicht recht. Erstens: Der Stoff, den der Historiker in seinen Geschichtsschriften behandelt, ist gerade die Geschichte der jüngsten Vergangenheit, des Verfalls. Daß Sallust

aus der rauhen Gegenwart in eine schönere Vergangenheit flüchte, daß er seiner Sehnsucht nach der alten res publica nachhänge, läßt sich im Hinblick auf die Themen seiner historischen Schriftstellerei nicht sagen: Weshalb hätte er da dieser Sehnsucht im Sprachlich-Stilistischen in so ungewóhnlicher Weise nachgeben sollen? Zweitens: Sallust beurteilt in seinem letzten Werk die Vergangenheit Roms überwiegend pessimistisch (hist. frg. 1,11). Die Historien sind nicht mehr von der romantischen Liebe zum alten Rómertum erfüllt, die man Sallust nachgesagt hat; und doch haben sich die archaistischen Tendenzen des Schriftstellers insgesamt schwerlich abgeschwächt.

Der Wert der zwei diskutierten Erklärungen ist also durchaus zweifelhaft!®. Auf festerem Boden steht man mit dem Hinweis auf einige andere Umstände, die Sallusts archaistische Neuerung erleichtert haben. Da ist zunächst die Tatsache, daß die republikanische Historiographie sich der Einwirkung des Purisrarhistorischen Tatbestand nicht gerecht. Vergil konnte als Homeride an dem röm+ schen Homer, der schon die vorvergilische Dichtung tief beeinflußt hatte, nicht vorbeigehen. Sallust brauchte bei seiner Thukydidesimitation sich ebensowenig an Cato

zu halten, wie es die Schriftsteller vor ihm getan hatten. Die Bedeutung, die Cato in der ausgehenden Republik hat, ist eben mit der des Ennius durchaus nicht zu vergleichen. Vgl. 64 ff., bes. 81. 102

In diesem Sinne z.B. Funaioli, RE I A (1920) 1945; Drexler, Hermes E. Bignone, Storia della letteratura latina, II, Firenze 1945, 321.

70, 1935,

207£.;

103 Auch eine Art puristisches Streben nach unverfálschtem Latein wird man nicht hinter dem Altertümeln Sallusts suchen dürfen. Da müßte die Verwendung der antiquierten Ausdrücke doch wohl viel konsequenter sein. Gelegentlich ist Sallusts Archaisieren

mit analogetischer Grammatiktheorie Groot

76 ἢ. Schwerlich

mit Recht.

in Verbindung gebracht worden, etwa von de

Erstens ist — trotz auch Kroll, Studien 97 — sehr

zweifelhaft, daß Sallusts Sprache durch diese grammatische Lehre beeinflußt ist. Es ist ohne Beweiskraft, wenn sich bei Sallust Bildungen finden, die man als Ergebnis bewußter analogetischer Sprachgestaltung deuten könnte. Die sallustische Bevorzugung etwa der Perfektendung -ere statt -erunt, die Verwendung synkopierter Perfektformen (wozu Vretska II 24) und zugleich die Inkonsequenz im Gebrauch derartiger Bildungen sprechen einigermaßen gegen die Annahme eines Analogetikers Sallust. Vgl Cic. orat. 157; Grundsätzliches zu der Problematik 239 A.45. Zweitens ist durchaus unsicher, ob überhaupt zwischen grammatischer Analogie und Archaisieren irgendein Zusammenhang besteht. Dazu 267. — Ebensowenig dürfte man Vertrauen zu einer

Deutung haben, nach der Sallusts Archaisieren eine Reaktion gegen den wachsenden Einfluß

griechischer Bildung wäre:

zur Schau.

334

Sallust trägt seine griechische Bildung unverhohlen

mus, der die Beredsamkeit bestimmt, offenbar weitgehend entzieht. Sprachlichen Extravaganzen ist in diesem Genos ein weiterer Raum geóffnet als in der Eloquenz. Dann die Offenheit der Zeit für Stilexperimente, eine Einstellung, die

sich deutlich in der Vielfalt der attizistischen Richtungen äußert. Für die besondere Hinwendung Sallusts zur Prosa des Censorius hat möglicherweise der Brutus Ciceros anregende Bedeutung gehabt9^. Etwas anderes ist ebenfalls nicht zu übersehen: Cato Uticensis dürfte mit seinem eindrucksvollen Tod den Blick der Zeitgenossen neu auch auf seinen großen Vorfahren gelenkt haben. Cicero weist in seiner Schrift über den jüngeren Cato auf dessen verwandt-

schaftliche Beziehungen zum Censorius hin (Gell. 13,20,14). Sallust läßt durch

die Charakteristik des jüngeren Cato das Bild des älteren hindurchscheinen '®. So wichtig diese verschiedenen allgemeinen Momente sind, einfach ableiten läßt sich aus ihnen die Stil- und Sprachpraxis Sallusts mit ihren Besonderheiten nicht. Die eigentlich bestimmenden Gründe wären im Bereich des individuell Sallustischen zu suchen. Und hier ist wenigstens eine Motivkomponente mit Wahrscheinlichkeit zu erschließen. Sallust hat mit seinem Archaisieren und seiner Verwendung catonischen Sprachgutes bei seinen Zeitgenossen Aufsehen erregt. Kaum ist er so naiv gewesen, daß er diesen Effekt seiner Schreibweise nicht einigermaßen vorausgesehen hat. Bedenkt man, daß Sallust nach eigener Aussage mit seiner Geschichtsschreibung gloria erwerben will, dann wird man die Auffassung nicht abweisen: Die ungewóhnliche Gestaltung des sallustischen Stils ist bewußt darauf abgestimmt, Aufmerksamkeit zu erwecken. Doch mögen andere Beweggründe sehr viel gewichtiger gewesen sein !%. Dem Wissen sind hier Gren-

zen gesetzt. 104

Anregende Bedeutung, mehr nicht. Denn eine Art des Anschlusses an Cato, wie sie für Sallust charakteristisch ist, wird Brut. 63 ff. nicht empfohlen. Und jedenfalls der späte Sallust bezeugt dem Prosaiker Cato eine Hochschätzung, die den Gedanken er nes stetigen Fortschritts in der Kunstprosa ignoriert und in dieser Form Cicero -sogar Gellius, wozu 191 A.38 -- fernliegt: Der Censorius heißt hist. frg 1,4 Romani generis disertissimus.

Zu der Äußerung

muß

noch etwas bemerkt werden.

Man

sieht

in ihr unter Hinweis auf Catull. 49,1 gern einen Hieb gegen Cicero; so z. B. Norden, Kp.

200; Literatur 45; Leeman,

Ratio 44. Aber vielleicht steht noch

etwas Aktu-

elleres hinter der Formulierung. Daß Sallusts Catonismengebrauch schon nach den ersten beiden Monographien Kritik erfahren hat, ist zwar nicht beweisbar, aber sehr gut möglich. Vor diesem Hintergrund ließe sich das Lob des Censorius als ein trotziges Bekenntnis zu dem Vorbild verstehen. Die zwei Deutungen schließen einander nicht aus.

105 106

Skard, Vorgänger 86 ff. Vielleicht das Streben nach dem Ausdruck distanzierter severitas?

Mehrere sallusti

sche Archaismen bezeichnen moralisch-soziale Defekte: cupido, luxus, socordia, vecordia, intestabilis, torpedo, prodigere. Die Archaismen, die am deutlichsten der Ein-

zelstilisierung dienen, proles und prosapia, gehören sarkastischen Formulierungen über den Verfall der großen Geschlechter an. — Wenigstens erinnert sei hier noch an den Versuch Lattes, wie die übrigen schriftstellerischen Eigentümlichkeiten Sallusts so auch sein Archaisieren psychologisch zu deuten.

335

2. Über archaistische Tendenzen in augusteischer Zeit und Verwandtes

Sallust hat schnellen Erfolg gehabt. Um 30 a.Chr. glaubt Ateius Philologus, seinen Gónner Pollio vor Sallustnachahmung warnen zu müssen, obwohl Pollio selbst sich vorher gegen Sallusts Altertümeln gewandt hatte. Arellius Fuscus, der Rhetoriklehrer Ovids, beruft sich Sen. contr. 9,1,13 auf den Vorgang Sallusts: Sallust gilt dem Rhetor offenbar als maßgebende literarische Größe. Cassius Severus rechnet den Historiker Sen.contr.3 praef. 8 wohl vor 5 p.Chr. neben Cicero, Vergil, Plato zu den magna ingenia?. Zu diesem Zeitpunkt ist Sallust also schon ein Klassiker?. Wenn er sich so schnell durchgesetzt hat, so hat die Offenheit der Zeit für literarische Experimente diesem Erfolg die Bahn geebnet. Mitspielen wird auch: Sallusts Stil steht dem Sentenzenstil, wie er in den Rhetorenschulen gepflegt wird, nahe. Vor allem aber: Die Geschichtsschreibung gilt bis auf Sallust als ein genus scriptionis nondum satis Latinis litteris inlustratum.

Der Historiker stößt in ein Vakuum vor. Er braucht sich nicht gegen einen KlasSiker durchzusetzen wie etwa der Satiriker Horaz gegen Lucilius.

Freilich gibt es auch zeitgenössische oder annähernd zeitgenössische Kritik an Sallusts Stil^. In dieser frühen Zeit war Sallust also nicht unumstritten. Mehr ist den Äußerungen nicht zu entnehmen. Und es ist von geringer Bedeutung, daf die Stimmen der Polemik vielleicht vergleichsweise stark zu uns dringen. Die Reste der zeitgenóssischen Literarkritik verzerren das Bild von Sallusts EinSchátzung zu Ungunsten des Historikers: Wáhrend die Zustimmung sich hauptsächlich in faktischer Nachahmung geäußert haben wird, kann die Ablehnung deutlich sich eben nur in der Kritik aussprechen. Zudem dürfte die zeitgenóssische Polemik gegen den Klassiker für Spátere interessanter gewesen sein als frühe Stimmen des Lobes; sie wird daher auch mit größerer Zähigkeit tradiert worden sein‘. 1 2 3

Dazu 320 ff. Zu dem Datum 148 A.120. Dazu paßt es, daß Agrippa, gest. 12 a. Chr., eine Sentenz aus dem Iugurtha im Mund zu führen pflegte. Sen. epist. 94,46.

4

Dazu 316 ff. Vgl. noch Gell 4,15,1. Das Urteil des Pompeius Trogus Iust. 38,3,11, der Sallust und Livius kritisiert, steht abseits von den polemischen Äußerungen, soweit sie sich gegen den stilistischen Neuerer richten. Trogus versucht einfach, an seinen beiden bedeutendsten Vorgängern zu mäkeln. Das hindert ihn nicht, Sallust in vielerlei Hinsicht nachzuahmen. Dazu Rambaud, REL 26, 1948, 171 ff. mit weiterer Literatur. Zur Deutung der Iustinstelle auch 1. Albertus, Die παρακλητικοί in der griech.

5

und róm. Lit., Diss. Straßburg 1908, 43f. In modernen Darstellungen werden im allgemeinen ebenfalls die für Sallust negativen Urteile der Zeitgenossen und der unmittelbaren Nachwelt in den Vordergrund gerückt. S. etwa Maurenbrecher in den Prolegomena zur Sammlung der Historienfragmente 1f.;

Funaioli, RE I A (1920) 1946 ff.; Büchner 356 ff.

336

Der schnelle Erfolg des Schriftstellers Sallust bekundet sich nicht zuletzt darin, dafs Sallust schon vor 32 a.Chr. Nachahmer findet, die — wohl als Redner — sich catonischen Vokabulars bedienen. Die erste archaistische Richtung in der rómischen Beredsamkeit geht allem Anschein nach von Sallusts Geschichtswerk aus”. Das sallustische Archaisieren ist offenbar auch für die Historiographie augusteischer Zeit von Bedeutung gewesen. Dabei ist nicht nur an einen ausgesprochenen

Sallustianus wie Arruntius zu denken; auch etwa

Livius wird zur Verwen-

dung manchen antiquierten Ausdrucks durch Sallust veranlaßt worden sein‘. Sallusts Catoimitation ist wohl auch eines der Momente, die das allgemein in augusteischer Zeit zu bemerkende Interesse für den Censorius und seine Schriften hervorgerufen haben. Nepos rechnet Cato 3,5 mit studiosi Catonis. Die Reden Catos, die Cicero sich noch zusammensuchen mußte, sind vielleicht schon vor 36 a.Chr. in einer Sammlung ediert worden. Livius ist mit ihnen gut vertraut?. Domitius Marsus beruft sich in seinem Traktat De urbanitate bei der Definition

des urbanus homo

auf Cato (Quint. inst. 6,3,105). Auch

die Gram-

matiker widmen Catos Sprachgebrauch eine besondere Aufmerksamkeit. Verrius Flaccus schreibt eine Monographie De obscuris Catonis; in seinem Hauptwerk 6 7

Dazu 168ff. Noch bei den Archaisten des 2. nachchr. Ih, s scheint man sich der Tatsache bewußt zu sein, da&

man

mit der besonderen

Vorliebe

für Cato in Bahnen

wandelt,

die Sallust

als erster beschritten hat. Vgl. Fronto p. 56, 23 ff. v. d. H. (7 p.62 N.), zitiert 266. Ob es sich um eine seit Sallust nicht mehr abgerissene Tradition handelt? Quintilian kennt jedenfalls inst. 2,5,21; 8,5,33 zeitgenóssische Bewunderer der catonischen Beredsamkeit. Vgl. auch unten A. 9.

8

Dazu 199ff. Wenn die römische Geschichtsschreibung der Kaiserzeit mehr oder weniger stark antiquierte Spracheigentümlichkeiten aufweist — z. B. tempestas „Zeit“, cupido, patrare ,,vollbringen"

— so rührt das überhaupt

im wesentlichen vom

unmittel-

baren oder mittelbaren Einfluß Sallusts her. Einiges Material dazu bei Kuntz passim. Die Literatur über die sprachliche Nachwirkung

9

Sallusts bei Leeman,

Bibliography

Nr.

1182-1222; für Phrascologisches noch immer recht instruktiv ist F. Vogel, Acta sem. phil. Erl. 1, 1878, 313ff.; 2, 1881, 405 ff. Dies und die Bemerkung über die Edition der catonischen Reden nach Baumgart 32ff., der überhaupt das Interesse dieser Zeit an Catos Reden bereits herausgearbeitet hat. Nach ihm Leo 284 A.1. Über die Benutzung Catos durch Livius D. Kienast, Cato der Zensor, Heidelberg 1954, 20 ff. In cinen Zusammenhang mit der Catorenaissance augusteischer Zeit darf man vielleicht auch den Gell. 6,3,8 ff. wiedergegebenen Brief Ti ros an Q. Axius bringen, in dem der Freigelassene Ciceros die Rhodierrede eingehend kritisiert. Für den Wandel, der sich seit spátrepublikanischer Zeit in der allgemeinen Beurteilung Catos vollzieht, sind sehr aufschlußreich Cic. Brut. 63 ff.; Nep. Cato 3,1; Liv. 39,40,4 ff.; Val. Max. 3,4,6; Vell. 1,17,2f.: Cicero muß noch die Bedeutung des

Schriftstellers Cato verteidigen. Für Nepos, der die literarische Tátigkeit Catos als letzten Punkt catonischen Wirkens erwähnt, ist der Censorius lediglich probabilis orator et cupidissimus litterarum. Wesentlich

enthusiastischer dann

Livius, besonders

39,40,7:

vivit .. . vigetque eloquentia eius sacrata scriptis omnis generis. Für Valerius Maximus steht die Schriftstellerei an erster Stelle unter den Tátigkeiten Catos. Wenn

Velleius

der catonischen Historiographie und Eloquenz große Bedeutung zuerkennt, so folgt er der nunmehr

schon traditionellen Hochschátzung

des Schriftstellers Cato.

337

De significatu verborum wird den Schriften des Censorius ein großer Platz eingeráumt. Messalla Corvinus berücksichtigt ebenso wie Ateius Capito Spracheigentümlichkeiten Catos!?. In das zeitgenóssische Interesse für Catos Sprache fügt es sich auch, wenn Horaz den Censorius epist. 2,2,117 und ars 56 als her-

vorragenden Vertreter alter Sprache und Sprachkunst nennt!. Neben dem Anschluß Sallusts an Cato gibt es noch andere Faktoren, die die Catorenaissance der augusteischen Zeit mit herangeführt haben mógen. Die war-

men Worte, die Cicero im Brutus für den Censorius gefunden hat, und das nobile letum des jüngeren Cato werden ihre Rolle dabei gespielt haben ?. Doch mit all dem ist das neu erwachte Interesse an der Prosa des alten Cato wohl noch nicht zur Gänze erklärt; denn dieses Interesse ist kein vereinzeltes Phänomen. In der Paulus-Festusepitome des Verrius Flaccus wird auch der Sprachgebrauch von Prosaikern wie Laelius, dem jüngeren Scipio, C. Gracchus, Coelius Antipater, Sisenna berücksichtigt. Neben ihnen erscheinen ebenfalls jüngere oder sogar zeitgenóssische Prosaautoren, so etwa Cicero, Ser. Sulpicius Rufus, Calidius, Sallust, Messalla Corvinus. Der Sprachgebrauch Sisennas und Antipaters hat vielleicht auch bei anderen Augusteern Beachtung gefunden'?. Im Gegensatz zur Grammatik der Republik widmet sich die Grammatik augusteischer Zeit also in recht starkem Maße der lateinischen Prosa und dabei auch der vorciceronischer Schriftsteller. Zum Teil mag das Bewußtsein der Augusteer, Prosaklassiker zu besitzen'^, den Blick auf die ältere Prosa überhaupt richten; auch an den Einfluß des ciceronischen Brutus kónnte man wieder denken. Von besonderer Bedeutung sind aberin diesem Zusammenhang wohl die starken restaurativen Tendenzen des augusteischen Zeitalters. Ihre Verknüpfung mit der neuen Schátzung gerade vorciceronischer Prosaliteratur wird in zwei Notizen handgreiflich: Nach Liv. perioch. 59 und Suet. Aug. 89,2 hat Augustus die Reden des Metellus Macedonicus cos. 143 10

Messalla gramm. frg. 505, 1 Fun., dazu auch Quint. inst. 9,4,39; Capito gramm. frg. 565, 4 Fun., vgl. auch gramm. frg. 564,2 Fun. In ungefähr dieser Zeit dürfte auch die rhetorische Schrift Catos wiederaufgespürt worden sein. Cicero verrät noch keine Kenntnis dieser Schrift; Sen. contr. 1 praef. 9 wird zum erstenmal die berühmte catonische

11

Definition des Redners zitiert. Nach Kiessling-Heinze zu Hor. ars 311 wäre der Vers formuliert in Anlehnung an das catonische rem tene, vcrba sequentur. Gut möglich. Nach Kiessling — Heinze zu epist. 2,2,117 vielleicht ein Reflex der verrianischen Schrift

12 13

Vgl 335. Zu Sisenna vgl. 278 A.34. Anscheinend ist das Coeliuszitat Fest. p. 352 von Artorius

De obscuris Catonis.

(= gramm. frg. 481,3 Fun.) übernommen, den Funaioli nach dem Vorgang anderer Gelehrter in frühaugusteische Zeit setzt; mehr als eine Vermutung ist diese Datierung allerdings nicht.

14

Das Empfinden, in Cicero den Klassiker römischer Redekunst verloren zu haben, prägt sich Corn. Sev. carm. frg. 13,11 und Sextil. carm. frg. Sen. suas. 6,27 aus. Velleius Paterculus und der ältere Seneca kennen

Periode der lateinischen Prosa.

338

cine in der Vergangenheit liegende klassische

a.Chr. De prole augenda und des Rutilius Rufus cos. 105 a.Chr. De modo aedificiorum im Senat verlesen und durch Edikt bekannt gemacht. Es kann nicht verwundern, wenn in der gleichen Epoche manche vorciceronischen Reden wieder auftauchen, die Cicero anscheinend noch nicht gekannt hatte: Verrius zitiert Fest. p. 314 aus einer Rede des T. Annius Luscus cos. 153 a.Chr., Fest.p. 193 und anderwärts aus der laelianischen Rede Pro se ad populum, Fest. p. 154 aus

einer Rede des Cato nepos cos. 118 a. Chr. 5. Die grammatische Erschließung der catonischen und sonstiger älterer Prosa und manche andere Momente schaffen in der augusteischen Periode gegenüber der republikanischen Zeit eine entschieden günstigere Atmosphäre für archaistische Neigungen '°. Was die Beredsamkeit angeht, so ist noch folgendes von Belang: Sie braucht nicht mehr wie in der libera res publica eine popularis facultas zu sein; sie hat ihre politische Bedeutung weitgehend verloren. Der kaiserzeitliche Redner kann sich viel leichter sprachlich-stilistische Extravaganzen gestatten

als der Redner der Republik. Unter diesen Bedingungen mógen sich archaistische Strómungen bald von dem Einfluß Sallusts emanzipiert haben. Jedenfalls ist zweifelhaft, ob Augustus mit dem drastischen Wort von den reconditorum verborum fetores (Suet. Aug. 86,1) gegen ausgesprochene Sallustiani polemisiert. Auch die Vorliebe des Tiberius für exoletae et reconditae voces (Suet. Aug. 86,2) wird von der antiken Tradition

nicht mit einem Anschluß an Sallust verknüpft'". 15

Zu Luscus bemerkt Cicero Brut. 79: Luscum . . . non indisertum dicunt fuisse; er rekurriert hier also auf das reine Hórensagen. Zu Laelius 78. Cato nepos wird nie von Cicero als Redner genannt,

Über den Hintergrund, vor dem

das alles zu sehen ist, vgl.

152

A. 134. Da6 etwas von den Reden des Cato nepos in augusteischer Zeit zum Vorschein kommt,

wird mit dem

neuerwachten

Interesse an der Prosa des Censorius oder einem

der Momente zusammenhängen, die besonders dieses Interesse begünstigen. Wenn Cicero off. 3,4 die Existenz einer schriftlichen Hinterlassenschaft des Scipio Africanus

maior verneint, so kann jedenfalls dieser Umstand nicht als sicherer Beweis dafür gelten, daß die zuerst Liv. 38,56,5 ff.; 39,52,3; VaL Max.

3,7,1 e erwähnte

Rede

des älte-

ren Scipio unecht ist. Für die Neubeachtung vorciceronischer Reden in augusteischer Zeit ist übrigens noch

Liv. perioch. 49 aufschlußreich:

Livius weiß, daß drei Reden

16

Ser. Galbas in der Lusitanierangelegenheit exstant. In den letzten Dezennien der Republik sind Galbas Reden praktisch verschollen. Vgl. 68. Insbesondere wäre in diesem Zusammenhang an neuaufgekommene Theorien über die Verwendung poetisch-antiquierten Sprachgutes in der Geschichtsschreibung zu denken. Dazu 44f.

17

Dazu vielleicht auch Tac. ann. 4,19; Norden, Kp.

255

A.1; R. Syme,

Tacitus, Oxford

1958, 284. Zu Q. Aelius Tubero 149 ff. R. Reitzenstein 63 A.1 weist auf die Notiz SchoL Hor. epod. 10,3 hin, derzufolge der mit dem boshaften Propemptikon bedachte Mevius ein sectator vocum antiquarum gewesen ist. Kaum eine zuverlässige Nachricht. Vgl. Kroll, RE XV (1932) 1508 s. v. Mevius. Vgl. ferner 201 ff. Über die Stellung der augusteischen Rhetorenschule zur Verwendung von Archaismen 202 A.28.

— Nun kónnen wir auch eine Frage beantworten, die sich áhnlich bereits Skard, Vorgünger 56 vorlegt: Weshalb ist Livius, der — vor allem in der 1. Dekade

— mancher-

lei antiquierte und poetisch-altertümliche Ausdrücke verwendet, anscheinend nicht

339

3. Anhang: Die Epistulae ad Caesarem senem

Das mit den Briefen zusammenhängende Authentizititsproblem! ist für die Geschichte des lateinischen Archaisierens im allgemeinen, soweit wir sie erörtert haben, von geringer Bedeutung. Sallust ist in jedem Falle der erste Archaist. Die verschiedene Wirkung, die sein Altertümeln hat, geht in jedem Falle von den Geschichtsschriften aus. Durchaus belangvoll ist das Problem jedoch für ein Urteil über Entstehung und Entwicklung speziell des sallustischen Archaisierens. Bei der Behandlung dieser Themen haben wir die zwei Schreiben beiseite gelassen. Denn bei dem gegenwärtigen Stand der Diskussion können die Beden-

ken gegen die Echtheit der Briefe doch wohl nur zum Teil als ausgeräumt gelten. Gerade auch der Archaismengebrauch der Suasorien würde die Einführung befremdlicher Züge in das Bild von Sallusts archaistischer Praxis erfordern. Die folgenden Darlegungen dienen der Erläuterung dieser Ansicht. Berücksichtigt werden dabei ausschließlich die Archaismen, die wir aus den Geschichtsschriften Sallusts gesammelt haben ?. Damit dürfte gesichert sein, daß die numerischen Relationen des Archaismengebrauchs, die sich zwischen Episteln und sicher genuinen Sallustiana ergeben werden, einigermaßen den realen Verhältnissen entsprechen. In dem , falls echt, älteren, an zweiter Stelle überlieferten Schreiben findet sich

folgendes antiquierte Sprachgut: 1,1 mortalis „Mensch“; consultor „Ratgeber“. auf dieselbe Kritik gestoßen wie Sallust?

1

Als Livius schrieb, waren archaistische Ne

gungen unter den Prosaikern nichts Besonderes mehr. Außerdem ist der livianische Gebrauch von Archaismen jedenfalls nicht mit den zwei letzten der 331 aufgewiesenen Charakteristika sallustischer Praxis verknüpft. Hinzu kommt, was schon Skard bemerkt: verba prisca waren in der Schilderung zeitlich ferner Begebenheiten weniger auffällig als in der Darstellung der jüngeren und jüngsten Vergangenheit. Die Literatur dazu stellt bis zum Erscheinungsjahr Leeman, Bibliography Nr. 608— 675 B zusammen. Die älteren Argumente, die Befürworter und Gegner der Echtheit vorgebracht haben, referiert Vretska I 38 ff., der selbst die Verfasserschaft Sal-

lusts verteidigt; zu Vretskas Darlegungen vgl. die Kritik von La Penna, Gnomon

34,

1962, 464 ff. Energisch gegen die Echtheit der Briefe hat danach mit manchen

neuen

Gründen Syme 318 ff. Front gemacht. Die wichtigsten spáteren Erórterungen der Frage stammen von K. Büchner, Sallustinterpretationen, Stuttgart 1967, bes. 26 ff., und E. Wistrand, Sallust on Judicial Murders in Rome,

Studia Graeca et Latina Gothobur-

gensia 24, Góteborg 1968. Beide Autoren treten, in Auseinandersetzung mit Argumenten Symes,

2

für Sallust als Autor ein. Bei Wistrand 5 Anm.

1 weitere neuere

Literatur.

292ff. Die Zusammenstellung, die Vretska II 260f. unter dem Stichwort Archaismus bietet, ist einerseits nicht ganz vollständig und enthält andrerseits manches nicht hierher Gehórige. Der conspectus archaismorum, den A. Kurfess seiner Ausgabe der Epi-

steln, Leipzig 1962° beigibt, hat geringen Wert.

340

1,6 mortalis „Mensch“. 3,6 socordia. 5,3 agitare „leben“. 5,4 subigere mit Inf. 5,5 imperitare. 6,2 socordia. 7,4 cupido. 8,7 torpedo „Schlaffheit“. 10,5 defensare; agitare „leben“. 10,8 patrare „vollbringen“. 10,9 socordia. 11,3 Singularform von plerique. 11,4 mortalis „Mensch“. 11,6 tempestas „Zeit“. 11,7 imperitare. 12,4 cupido. 12,5 socordia. 12,6 insomnia. 13,4 patrare „vollbringen“. 13,5 tempestas „Zeit“. 13,6 -que -que. Das, falls echt, jüngere, an erster Stelle überlieferte Schreiben bietet: 1,1 mortalis „Mensch“. 1,5 imperitare. 1,6 imperitare. 3,2 agitare ,leben*. 3,4 -que -que. 4,3 mortalis „Mensch“. 5,2 tempestas „Zeit“. 5,5 socordia. 6,1 -que -que.

Bereits in der Epistel 2 tauchen nach allem Anschein Archaismen auf, die auf Cato zurückzuführen sind: torpedo ,,Schlaffheit", eine Singularform von plerique. Catonismen sind hier sonst etwa noch rep. 2,6,3 niti pro nobilitate und der 4malige Gebrauch der Endung -ere bei der 3. Ps. Pl. Perf. Ind. Akt.; -erunt steht in dem Schreiben 9 mal. Aus der Epistel 1 ist in diesem Zusammenhang ebenfalls die 6malige ausschließliche Verwendung von -ere zu erwähnen. Noch an einigen anderen Stellen der Briefe läßt sich catonisches Sprachgut vermuten“. Der gesamte bisher vorgelegte Befund paßt, so könnte es scheinen, sehr gut zur Annahme der Verfasserschaft Sallusts. Aber es muß doch auffallen, daß manche Archaismen jedenfalls in der Epistel 2 in einer Weise verwendet werden, die von dem stereotypen Sprachgebrauch der unumstrittenen Sallustiana abweicht”. Drei Beispiele:

rep. 2,11,6 his tempestatibus statt his temporibus. In den historischen Schriften steht tempestas ,,Zeit* in der Regel im Sg., im Pl.lediglich in Verbindung mit attributivischem paucae oder multae. Auf diese Junkturen ist der Pl. von tempestas „Zeit‘‘ auch vor Sallust beschränkt. 3

Die Angaben über -ere nach Vretska II 100 und Edmar lichkeit Catos bei mir 199. Zu den übrigen Catonismen

42. Über - ere als Eigentüm304 ff.

4 5

Darüber Vretska II passim. Überhaupt scheint man von der sprachlichen Übereinstimmung zwischen den unbezweifelt sallustischen Werken und den zwei Suasorien in manchem

einen zu günstigen

Eindruck zu haben. Dazu eine kleine Beobachtung. In den Briefen begegnet 2 mal exercitare, 8 mal exercere, das entsprechende Verhältnis in den historischen Schriften ist 1 zu 18. Vretska II 163 wertet den Befund als Echtheitsindiz: „während S. sonst die Frequentativa liebt, stimmt der gegenteilige Sprachgebrauch bei exercitare überraschend ebenfalls überein". Die Sache gewinnt ein anderes Gesicht, wenn man berücksichtigt, auf welche Formen von exercitare die drei Belege entfallen. rep. 1,7,5 exercitando;

2,10,8 exercitabat; Catil. 50,2 lectos et exercitatos. Das Part. Perf. von exercitare ist auch etwa bei Caesar und häufig bei Cicero zu belegen. Die übrigen Formen von exercitare sind dagegen große Raritäten. Der einzige entsprechende Beleg in republikani scher Zeit, von den Epistelstellen abgesehen, ist Varro ling. 5,87 exercitus, quod exercitando fit melior. Ein leicht zu erklärender Sonderfall: Die Etymologie wird besser durch das Lautbild von exercitando bestätigt als durch das von exercendo. Die Materialien Thes. s. v. Wáhrend also der unbestritten echte Sallust sich im Gebrauch von exercitare keinerlei Extravaganz gestattet, bietet jede der Suasorien ein ungewóhnliches Idiom.

341

rep. 2,12,5 per summam socordiam. In den Geschichtswerken steht 16mal socordia, aber stets ohne adjektivisches Attribut‘. rep. 2,13,6 posteroque tempore ... super omnes mortales gloriam agitabis tuaque unius mors vita clarior erit. -que -que ist an den wenigstens 9 Stellen, an denen diese Ausdrucksweise bei dem Historiker Sallust auftaucht, auf die Fälle beschränkt, in denen das erste -que sich an ein Pronomen anlehnt”. Derartige Divergenzen mögen immerhin bedenklich stimmen; aber sie bieten keine hinreichende Handhabe, die Authentizität der Schreiben zu bestreiten. Das gilt jedoch nicht für etwas anders geartete Unterschiede.

Sallust macht im Gebrauch verschiedener antiquierter Idiome eine deutliche Entwicklung durch. In diese Entwicklung fügt sich der Archaismengebrauch der Episteln in folgenden Fällen nicht ein. socordia wie rep. 1, 5,5; 2,12,5 losgelóst aus einer Doppelung gestattet Sallust sich erst Iug. 1,4, in stárkerem Umfange

dann ab Iug. 36,3. Der rep.2,1,1 erscheinenden Wendung quoiquam mortali geht Sallust Catil. 31,2; 51,11

anscheinend aus dem Wege; er wagt sie erst und

nur lug. 72,2. Zu agitare „leben“ entschließt Sallust sich erst Iug. 18,9, zu im-

peritare erst Iug. 19,7, zu defensare erst Iug. 26, 1°, zu torpedo „Schlaffheit“ erst or. Macri 20. Besonders die Epistel 2 nimmt erstaunlich oft den Sprachgebrauch vorweg, zu dem Sallust erst nach dem Catilina findet; doch auch die

Epistel 1 ist nicht frei von solchen Antizipationen!. Derartige Sprünge sind nicht die Art des Historikers Sallust!. Aber was ist davon zu halten, daß die Epistel 2 in der Verwendung eines Archaismus sehr gut zur Sprachentwicklung Sallusts paßt? subigere mit Inf. wird 6

vostra (nostra) socordia steht or. Lep. 20; or. Phil.

11; 21; or. Cottae 8. Der beobach-

tete Sprachgebrauch hat seine Parallelen bei sallustischen Ausdrücken, die socordia nahestehen.

7 8

desidia, incultus, inertia, mollitia, neglegentia haben bei Sallust weder

ein Adj. noch ein Possessivpronomen als Attribut bei sich, ignavia vostra (sua) steht Iug. 31,14; 112,3; praesenti ignavia or. Macri 26. Vergleichbar mit summa socurdia ist tanta torpedo or. PhiL 19, also eine Formulierung des Spátwerks. Diesen ganzen Sachverhalt kennt man schon lange; vgl. z. B. Edmar 133 f. Mehrere der darzulegenden Beobachtungen bereits bei Syme 332. Syme begnügt sich allerdings damit, das spáte Auftauchen des jeweiligen Idioms in den sicher echten Sallustiana zu konstatieren; das Vorkommen der Synonyme wird dabei nicht beach-

tet. In dieser Form läßt die Argumentation Zweifeln Raum: Wenn ein Ausdruck der Episteln sich erst im Spätwerk Sallusts findet, braucht das an sich noch nicht Sallusts Sprachentwicklung zu widersprechen; vielleicht ergab sich dazwischen keine Gelegenheit, das Idiom zu verwenden. Meine folgenden Angaben berücksichtigen immer die sallustische Synonymenverwendung

9

als Folie,

Wer Sall. (? ) rep. 2,10,5 gloriam . . . defensat für sallustisch hält, muß entgegen den 295

ausgesprochenen

Bedenken

defendere

ohne weiteres als Synonym

von defensa-

re anerkennen. Deshalb erscheint hier defensare unter den Verben, zu denen die Sprachentwicklung Sallusts erst im Iugurtha gelangt.

10 11

342

Daß der Iugurtha in mancher Hinsicht die größte sprachliche Verwandtschaft mit den Briefen hat, bemerkt aufgrund ganz anderer Phánomene Edmar 152 A.2. Darüber 315.

erst im Iugurtha allmählich durch cogere mit Inf. verdrängt. rep. 2,5,4 steht subigere mit Inf., cogere mit Inf. fehlt in beiden Suasorien. Die Übereinstimmung läßt sich mit der Annahme, die Epistel sei gefälscht, sehr leicht vereinen: Ein Fälscher der Briefe? wird dazu tendieren, sich besonders die ungewóhnlichen Idiome Sallusts anzueignen. Wenn Sallust zu der ungewóhnlichen Sprachgestaltung erst nach dem Catilina kommt, äußert sich diese Tendenz des Nachahmers in den Episteln als unorganische Antizipation späterer Entwicklung. Aus derselben Tendenz ergibt sich eine zufällige Übereinstimmung zwischen der Ausdrucksweise des Fälschers und der Sprachentwicklung seines Vorbildes, wenn der Historiker ein anfánglich gebrauchtes, unübliches Idiom im

Lauf seiner schriftstellerischen Tätigkeit fallen 18,81 5, Wenn der Archaismengebrauch der zwei Schreiben normalerweise in einem disharmonischen Verhältnis zu Sallusts sprachlicher Evolution steht, nicht in einem harmonischen, so einfach deshalb, weil der Geschichtsschreiber

ófter nach dem

Catilina erst Archais-

men einführt, dominieren läßt oder kühner verwendet als er der gegenteiligen Praxis folgt. Gerade das Nebeneinander häufigerer Divergenzen und einer einzigen Kongruenz in der Epistel 2 findet eine glatte Erklárung, wenn die Unechtheit dieses Prosastücks vorausgesetzt wird !^. Das gleiche ist kaum der Fall unter der Prämisse, der Brief sei sallustisch. 12

Mit dieser Formulierung soll nicht behauptet sein, daß beide Suasorien von einem

13

Auf die gleiche Weise läßt sich noch manche andere als Zeichen für die Echtheit gewertete Kongruenz erklären. So z. B., daß die relative Häufigkeit des zweiten Supinum in den Briefen zu dem verhältnismäßig starken frühen Gebrauch dieser später immer mehr zurücktretenden Ausdrucksweise stimmt. Einzelheiten bei Vretska II 67. Auch

einzigen Autor

stammen.

eines der „wichtigsten sprachlichen Indizien für die Echtheit‘ der Epistel 2 (Vretska

II 90 1) wird durch unsere Überlegung hinfällig: Sallust beginnt im Catilina mit tametsi und geht erst Iug. 3,2 zu quamquam

über, das ab Iug,

38,10 allein steht; in der Ept

stel 2 steht 5 mal tametsi, nie quamquam. Für tametsi gibt es von Sallust bis in die Zeit Hadrians kaum 30 Belege, für quamquam im gleichen Zeitraum rund 1000; auch in spáterer Zeit dürfte tametsi eine relativ seltene Konjunktion sein. Es kann nicht verwundern,

wenn

ein nachsallustischer Fálscher gerade das für ihn ungewóhnliche

sallu-

stische Idiom aufgreift und durchweg verwendet. Das letzte Beispiel läßt im übrigen auch erkennen, wie prekár der vielgebrauchte Begriff der Minutien ist. Was für uns unScheinbare Kleinigkeiten sind, kónnen

für den, dessen Muttersprache

das Latein war,

sehr auffällige Besonderheiten gewesen sein. Auf eine weitere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Indizien, die man aus der sprachlichen Entwicklung

Sallusts beson-

ders im Gebrauch der Minutien für die Echtheit der Briefe hat gewinnen wollen, kann ich mich hier nicht einlassen, Prinzipiell sei aber noch bemerkt: Es geht nicht an, die zwei Schreiben, die, falls sallustisch, doch wohl durch wenigstens zwei Jahre getrennt sind, als einen einheitlichen Text zu behandeln. Eine gesonderte Betrachtung der bei den Briefe, wie sie allein sinnvoll ist, hat für manchen sprachlichen Echtheitsbeweis

recht mißliche Konsequenzen. Man überprüfe unter diesem Aspekt z.B. Skards Aus 14

führungen über die Kopulativpartikeln Sallusts, SO 10, 1932, 63 f. Was von der Manier eines angenommenen Pseudosallust hervorgehoben

wurde,

war

343

Bisher haben wir die Sprachgestaltung der zwei Schreiben fast ausschließlich vor der Folie der allgemein anerkannten Sallustiana betrachtet. Nun sollen andere Bezugsmomente berücksichtigt werden: die stilistische Situation in der ausgehenden Republik und der Adressat. Zuvor gilt es jedoch, den Archaismengebrauch der beiden Episteln genauer zu charakterisieren. Die hohe Archaismendichte in den zwei Texten ist aus der Tabelle zu ersehen:

Vorkommen von Einzelwörtern (in runden Zahlen) Vorkommen von Archaismen durchschnittliche Wortzahl, auf

rep.2

rep.1

2590

1480

24

9

108

166

die je ein Archaismus entfällt Gewiß kann man an manchen Stellen der zwei Texte den Archaismus als Stilmittel empfinden, das dem Einzelpassus etwa eine pathetische Tónung verleihen

soll5. Ist damit aber die eigentliche Ursache des Archaismengebrauchs in diesen Passagen erkannt? Ein beträchtlicher Teil des antiquierten Sprachgutes der Episteln ist bei besonnener Interpretation kaum als individuelles Stilmittel zu deuten!6. Hier scheinen die Archaismen prinzipiell gebraucht. Daß ein archaisierender Schriftsteller altertümliche Idiome auch an Stellen verwendet, die auf den Leser pathetisch wirken, ist verständlich. Zur Untersuchung der Archaismenverteilung wird Epistel 2 einmal in 3, ein andermal in 4 gleichlange Abschnitte gegliedert und Epistel 1 halbiert; die Penur eine Tendenz. Natürlich wird ein Fälscher nicht durchweg die sprachliche Besonderheit seines Vorbildes aufgreifen; er wird nicht alles bemerken. So spricht es nicht gegen die entwickelte Auffassung,

wenn

etwa Sall. (? ) rep. 2,3,7; 2,4,2; 2,13,3 ever-

tere steht, nie in den Episteln das typisch sallustische subvertere. In diesem Falle ist der Sachverhalt der Echtheit ohnehin nicht günstig. Der sicher echte Sallust verwendet evertere erst und nur or. Lep.

15

23.

Eine derartige Stilisierungsabsicht nehmen überhaupt für alle Archaismen der Episteln an Dietz

140 ff.; Büchner

388, unter Berufung auf Dietz; Seyfarth, Klio 40,

1962,

128 ff. Das Problem ist nicht ohne Bedeutung: Tráfe die referierte Anschauung zu, dann kónnte man diese Technik als eine Vorstufe zu dem Archaisieren Sallusts in den Geschichtsschriften ansehen. Indessen kann ein entsprechender Beweis kaum mit wenigen Einzelbeispielen geführt werden: Dietz beschrünkt sich auf die Erórterung einiger Einzelheiten, die Fraenkel 192 ff. hervorhebt; von ihnen möchte er nur patrare „volk

bringen“ und tempestas ,,Zeit^^ als Archaismen gelten lassen, Diese zwei Ausdrücke al16

lein sind es auch, mit denen sich Seyfarth befaßt. Vretska, der möglichen Sprach- und Stilfeinheiten der Briefe sehr intensiv nachgeht,

macht denn auch vielfach keinen Versuch, den Archaismengebrauch der Briefe in dieser Weise zu erklären. So in Epistel 2 bei consultor ‚Ratgeber‘ 1,1; mortalis „Mensch“ 1,6; socordia 3,6; imperitare 5,5; cupido 7,4; torpedo ,,Schlaffheit" 8,7; defensare 10,5;

socordia 10,9; Singularform von plerique 11,3; mortalis ,,Mensch' 11,4; tempestas „Zeit“

344

11,6; imperitare

11,7. In Epistel 1 bei agitare „leben“

3,2; mortalis ,, Mensch" 4,3.

rikopen sind von Aufteilung zu Aufteilung verschieden lang. Mit dem x?-Test wird geprüft, ob der Modus, in dem die Archaismen auf die Perikopen entfallen,

als nicht zufällig angesehen werden kann". rep.2:

1,1-5,7

5,8-10,2

10,3—13,8

7

3

14

x =775

ρ

55

1,1—4,4

4,5—7,10

4

5

7,11—10,9

11,1-13,8

5 x’ =3,67

10

p> 20%

rep.1:

1,1—5,1

5,2—8,10

6

3

X! =044 p

809

Die Differenzen der Epistel 1 sind, soweit eine statistische Analyse móglich ist, nicht signifikant. Die Unterschiede der Epistel 2 müssen bei der Dreiergliederung als signifikant gelten, bei der Vierergliederung als nicht signifikant. Der x? —Test erbringt also in diesem Fall kein eindeutiges Ergebnis. Es gilt nun noch das Verhältnis der Archaismen zu ihren náchstliegenden Ersatzwórtern zu betrachten. Diese fehlen öfter vollständig; die Archaismen werden also, sooft es überhaupt móglich ist, verwendet. Das gilt in Epistel 2 für consultor „Ratgeber“, 2maliges agitare „leben“, subigere mit Inf., 2maliges cupido, defensare, 2maliges patrare „vollbringen“, die Singularform von plerique, insomnia. In der Epistel 1 gilt die Feststellung für das 2malige imperitare und agitare „leben“. Die Annahme, daß in den Suasorien archaisiert wird, raten nicht alle geprüften Momente an, aber doch die meisten. Unter dem Aspekt der Archaismendichte 17

Kriterium

der Perikopenlänge

ist die Anzahl der Wortbelege.

Zum

x^-Test 312. Der

zur Epistel 1 gehórige Wert für x? ist unter Verwendung der Yatesschen Stetigkeitskorrektur berechnet.

345

ist das Altertümeln jedenfalls der Epistel 2'°stärker ausgeprägt als die entspre-

chende Praxis in jedem sicher sallustischen Werk !?. Mit ihrem Archaisieren und ihrem Anschluß an Cato Censorius hätten die Epistulae ad Caesarem senem in ihrer Zeit gewiß ein Novum dargestellt. Weder in

der Geschichtsschreibung noch in der Beredsamkeit — das gilt auch für Sallusts Reden — hat es, soweit man sehen kann, bis zum Ende der Republik wirklich Entsprechende gegeben. Und nichts veranlaßt dazu, eine derartige Praxis in irgendeinem anderen Prosabereich zu vermuten”. Das Archaisieren der zwei Schreiben ist auch durch keine bekannte zeitgenóssische Theorie gedeckt, mag

sie Redekunst, Historiographie oder Epistolographie betreffen ?'. Unter diesen Umständen erhebt sich die Frage, weshalb Sallust in solchen politischen Stellungnahmen ein derartiges Experiment hátte unternehmen sollen. Die bisher gegebenen Antworten kónnen nicht befriedigen; sie gehen von schwerlich zutreffenden Voraussetzungen aus. Sallust habe als die Geschichte wahrheitsgetreu interpretierender Ratgeber, so lautet eine Antwort, einen diesem Ethos entsprechenden Stil gewählt; daher in den Briefen die antiquierten Ausdrücke der Historiographie ?. Aber, wie gesagt, für die Catonachahmung und das Altertümeln der zwei Texte ist in der republikanischen Geschichtsschreibung keine Parallele nachzuweisen. Schon die

häufigere oder ausschließliche Verwendung der Perfektform -ere statt -erunt rät davon ab, in den Briefen Beispiele historiographischer Prosa zu erblicken. Daß Ausdrücke wie mortalis „Mensch“, socordia, defensare, patrare „vollbringen“, tempestas „Zeit“, -que -que in der republikanischen Geschichtsschreibung eine

große Rolle gespielt haben, ist denn auch teils sehr zweifelhaft, teils geradezu

unwahrscheinlich 25, Eine andere Antwort: Sallust habe durch seine Archaismen gewissermaßen mit der auctoritas eines Altrómers auftreten und seinen Ratschlágen auch stilistisch

Gewicht verleihen wollen?*. Nun hat zwar ein verbum priscum, selten und am 18

Nach Edmar 153 A.1 hätte gerade dieses Schreiben eine weniger gehobene Ausdrucks

19

Vgl. dazu 310. — Zu dem Ergebnis, daß die Briefe in der Dichte sprachlicher Eigen-

weise. Das ist nach dem

Ausgeführten kaum

tümlichkeiten weit über die anerkannten anderem Wege Syme 328.

20

21

zu halten.

Sallustiana hinausgehen,

auf etwas

Zur philosophischen Schriftstellerei Ciceros vgl. 60 f.; zu den Briefen der Korrespondenten Ciceros zu vergleichen, Planc. Cic. fam. Vgl dazu 23ff. sium 70, 1963,

115 ff.; zu Varro 331 A.96. Instruktiv ist es, republikanische Briefe die sich in der Thematik mit den Epistulae ad Caesarem berühren: 10,8; Lent. Cic. fam. 12,15. passim. Anders Büchner, Sallust 388; Gnomon 34, 1962, 54; Gymna447. Nach Büchner bietet Cic. de orat. 3,153 geradezu die Theorie für

die Verwendung von verba prisca in den beiden Briefen. 22

Dietz

23

Dazu 307.

24

So etwa

346

kommt

106;

185; Vretska I 43; 80.

Dietz

106; 186; Gelzer

167 A.362.

rechten Flecke verwendet, dignitas; so lehrt Cicero besonders de orat. 3,153. Aber eine Archaismendichte, die größer ist als die auch des sallustischen Iugur-

tha, fällt nicht unter den Begriff des Seltenen?. Eine derartige Praxis hätte der Leser leicht als befremdende affectatio empfinden kónnen, die geeignet war, ihn auch gegenüber den politischen Vorschlágen des Autors mit Reserve zu erfüllen. Schwerlich darf man Sallust ein so stumpfes Stilgefühl zutrauen, daß er diesen móglichen negativen Effekt seines archaistischen Experimentes nicht hátte voraussehen kónnen. Das Altertümeln der zwei Schreiben ist also schon vor der Folie des zeitgenössischen Prosastils befremdlich. Besondere Schwierigkeiten aber ergeben sich in diesem Zusammenhang

aus der Tatsache, daß der Purist Caesar der Adressat ist?*.

Ein Gegenargument fehlt nicht: Man dürfe von Caesar nicht so gering denken; gewiß habe er, bei seiner bekannten Großzügigkeit, an der eigenwilligen Sprachgestaltung Sallusts keinen besonderen Anstoß genommen ?". Gesetzt, das von Caesar entworfene Bild treffe zu: Sallust will Caesar für seine politischen Vorstellungen gewinnen. Es ist schwer vorstellbar, daß er in einer Weise stilisiert, die von vornherein auf die Nachsicht des Angeredeten angewiesen ist. Aber ist Caesar überhaupt so großzügig? Cicero schreibt 54 a.Chr. fam. 7,5,3 an Caesar über Trebatius: de quo tibi homine haec spondeo non illo vetere verbo meo, quod, cum ad te de Milone scripsissem, iure lusisti, sed more Romano, quo modo homines non inepti loquuntur, probiorem hominem ... esse neminem. Und 46 a.Chr. schreibt Cicero an Atticus Att. 12,6,4: Caesar . . . mihi inridere visus est ,quaeso' illud tuum, quod erat et εὐπινές et urbanum. Caesar ist also gegenüber Besonderheiten im Ausdruck der Leute, mit denen er zu tun hat, sehr empfindlich und mokiert sich gern über derlei Dinge. Für uns besonders interessant ist: Jedenfalls der Spott, den Caesar gegen Cicero geäußert hat, scheint ein antiquiertes Wort betroffen zu haben. Aber auch die Kritik am quaeso des Atticus könnte sich gegen einen altfränkischen Ausdruck richten ??.

25

Was Cicero an der zitierten Stelle mit „selten‘‘ meint, dürfte seine rednerische Praxis

jedenfalls einigermaßen illustrieren. Dazu 60, wo auch auf suboles Cic. Marceil. 23 — also vor Caesar — hingewiesen ist. 26 27

Ein erstmals von Latte, JRS 27, 1937, 301 bemerkter Sachverhalt. So z.B. Gelzer 167 A.362; Vretska I 43, unter Hinweis auf Dietz 180 ff. Das eigentliche Problem ist jedoch nicht recht getroffen, wenn Dietz ausführt, auch als Caesari aner habe man altertümelnd schreiben können, Es geht ja nicht darum, wie überhaupt

einmal Parteigänger Caesars schrieben. Die Frage ist vielmehr: War es tunlich, in einer Denkschrift zu archaisieren, durch die Caesar zu gewissen politischen Aktionen bestimmt werden sollte? Außerdem sind Archaisten unter Caesars Anhängern anscher

nend nicht nachzuweisen. Die Untersuchungen aus dem ausgehenden 19. Jh., auf die 28

Dietz sich beruft, haben kaum derartige Beweiskraft. Dazu 115 ff. Nach der üblichen Deutung, die etwa auch Tyrrell- Purser IV (1894) z. St. vertreten,

347

Nach den vorgelegten Zeugnissen ist gar nicht zu bezweifeln, daß Caesar auf die

ausgesprochene

affectatio priscorum verborum der Briefe nur mit ludere und

irridere hätte reagieren können ?”. Darüber hätte sich auch Sallust im klaren 151 sein müssen ?9, ganz gewiß nach dem Experiment der älteren Epistel?'. Zweimal hintereinander soll Sallust Caesar für seine politischen Ideen mit einer Stilisierung zu gewinnen versucht haben, die den Autor bei dem Adressaten lücherlich

machen mußte: Das ist sehr unwahrscheinlich??. Dagegen könnte es nicht verhätte Caesar sich daran gestoßen, daß Atticus sich des Wortes quaeso zu häufig bediente. Aber aus Ciceros Bemerkung

ist nichts dergleichen zu entnehmen;

sie deutet eher

darauf hin, daß das Wort als solches Caesars Spott herausforderte. Ciceros eigener Sprachgebrauch wäre damit zu vereinen: In der Rede für den König Deiotarus, der einzigen nach Att. 12,6 gehaltenen oratio Caesariana, verwendet er nie quaeso.

29

Daß quae-

so immerhin nicht ganz wie ein beliebiges Wort der lebenden Sprache klang, indiziert die Charakteristik εὐπινές, Doch hat die Stelle auch bei der herkömmlichen Interpretation für unsere Darlegungen genügende Beweiskraft. Das hat man sonst gern mit dem Hinweis auf Caesars Äußerung Gell. 1,10,4 (= gramm. frg. 146,2 Fun.) wahrscheinlich zu machen gesucht: ut tamquam scopulum sic fugias inauditum atque insolens verbum. Vielleicht mit Recht. Allerdings hat Caesar sich — entgegen etwa der Meinung Cordiers 7 A.3 — in dem Ausspruch nicht unmittelbar gegen den Gebrauch altertümlicher Wörter gewandt. Gewiß hält Favorinus bei Gellius den Satz Caesars vor adulescenti... plerasque voces nimis priscas..... in cotidianis. .. sermonibus expromenti (Gell. 1,10,1). Aber zu Caesars Zeiten gibt es diese Art von Extravaganz nicht; Caesar hat anders als Gellius-Favorinus danach auch keinen Anlaß,

vor dem Gebrauch eines sermo multis annis iam desitus zu warnen. Lehrreich Cic. off. 1,111

sermone eo debemus uti, qui natus est nobis, ne ut quidam Graeca verba incul-

cantes iure optimo rideamur eqs.: An die Möglichkeit, daß jemand den sermo anderer Zeiten spricht, wird nicht gedacht; es tut eben niemand dergleichen. Der gellianische Favorinus gibt also dem

30 31

Ausspruch Caesars eine spezielle Bedeutung, die dieses Dictum

nicht ursprünglich gehabt haben kann. Zu dem praeceptum sonst noch Dahlmann, RhM 84, 1935, 262; Dihle, Analogie 192 f. Mutatis mutandis mußten für Sallust die Ratschläge gelten, wie sie Ov. ars, 1,463 ff.; 3,479 ff. vorgetragen werden. Ein vielleicht sich aufdrängender Einwand:

Auch Cicero und Atticus haben,

wie die an-

geführten Briefstellen zeigen, es an Rücksicht auf Caesars Empfindlichkeit gelegentlich fehlen lassen — warum nicht ebenso Sallust? Bei Cicero und Atticus handelt es sich um vereinzelte Kleinigkeiten, auf die die Schreiber kaum viel Überlegung verwendet haben und Caesar nicht voraussehbar achten mußte. Bei Sallust ging es um ein bewußtes, den ganzen Text beherrschendes Stilexperiment, über dessen Wirkung auf den Adres-

saten der Autor sich unbedingt hätte Rechenschaft ablegen müssen. Außerdem hat Ci 32

cero aus seinem Fehler gelernt, Sallust hátte es nicht getan. Vretska I 43 A.35 — vorher schon WS 70, 1957, 312 A.34

— sucht derartige Erwägun-

gen mit einer Analogie zu widerlegen: „Danach hätte etwa Brutus mit Caesar attizistisch, mit Cicero ciceronisch korrespondieren müssen“. Lassen wir es auf sich beruhen, daß wir gar nicht wissen, wie Brutus mit Caesar korrespondiert hat. Die Parallele wird weder dem Zweck der Briefe gerecht, die ja nicht Teil einer beliebigen Korrespondenz un ter Bekannten sind; noch entspricht sie der Tatsache, daß das Archaisieren der Briefe

ein neuartiges Experiment wäre und nicht eine Ausdrucksweise, die bei dem Autor und manchen

348

seiner Zeitgenossen üblich wäre,

wundern, wenn ein späterer Fälscher der Briefe das Archaisieren des Historikers

Sallust nachgeahmt hätte”. 33

Die Einrede, daß an die denken müssen, verfinge allem die des Klassikers kaiserzeitlicher Fälscher

aufgewiesenen Unwahrscheinlichkeiten auch ein Rhetor hätte nicht. Für einen Späteren war eine archaistische Prosa und vor Sallust nichts Besonderes mehr; dazu 336 ff. passim. Wenn ein sich in die ganz anders geartete Stilsituation der ausgehenden

Republik nicht hätte hineindenken können,

so wäre das nicht befremdlich.

Nachtrag In diesem Buch habe ich zu verschiedenen Einzelpunkten Untersuchungen versprochen. Davon sind inzwischen erschienen: Zur rhetorischen Theorie des Archaismus: Hermes 97, 1969, 57 ff. Cic. De orat. 3,153: Caelius oder Laelius?: MH 27, 1970, 41 ff. Es werden

erscheinen:

Eine pollionische Bemerkung Suet. gramm. Ateius Philologus, in: Hermes.

10,1 (Rob.) und der Name des

pluria und compluria in lateinischer Sprache und römischer Grammatik (mit dem Anhang: Nigidius Figulus Gell. 17,13), in: RhM.

349

Abkürzungen und Literatur

Lateinische Literatur wird nach dem

System des Thesaurus linguae Latinae zitiert; doch wer-

den abweichend von der Thesauruspraxis die Grammatiker- und Rednerfragmente nach den führenden Fragmentsammlungen angeführt. Die Grammatikerfragmente, unter Angabe von Seite der Sammlung und Fragmentnummer, nach: Funaioli, (abgekürzt:

Mazzarino, it —, Torino

H.: Grammaticae Romanae fragmenta collegit recensuit — , Leipzig 1907 Fun.).

À.: Grammaticae Romanae fragmenta aetatis Caesareae collegit recensu1955

(abgekürzt:

Mazz.).

Die Rednerfragmente, unter Angabe der Nummer nenfalls auch der Fragmentzeile, nach:

des Redners und des Fragments, gegebe-

Malcovati, H.: Oratorum Romanorum fragmenta liberae rei publicae. Tertiis curis edidit — , Torino 1967 (abgekürzt: Malc.). Die textkritischen Angaben sind im allgemeinen den jüngsten Teubnereditionen entlehnt. Zeitschriften und Sammelwerke werden in der üblichen Weise abgekürzt, d. h., soweit móglich, wie in der Année

Philologique.

Ferner bedeutet:

ALL: Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik, herausgegeben von E. li n, 1-15. Leipzig 1884—1908. Entretiens: Entretiens sur l'antiquité classique IX, Varron, Geneve

W ó 1 £ f-

1963.

Thes.: Thesaurus linguae Latinae, Leipzig 1900 ff. VIR: Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, Berlin 1903 ff. Nur mit Autorennamen oder Autorennamen und abgekürztem Werktitel wird auf folgende moderne

Literatur verwiesen:

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1. Namen L. Accius 81; 286

actio 87; 94 L. Aelius Stilo Praeconinus 12 A.5;76 A.49 Q. Aelius Q. f. Tubero 51 A.13; 150 A.124 Q. Aelius L. f. Tubero 149ff.; 199 A. 16;

286 A. 51;Identitátsprobleme 150 A. 124; 151 4.130; A.131 Q. Aelius Tubero, Adressat des Dionys von

Halikarnaß 151 A.134

M. Aemilius Q. f. M. n. Lepidus 152 A.134 M. Aemilius Lepidus Porcina 176; 186 M. Aemilius Scaurus 62f.;69; 71 A.26; 225f. L. Afranius 81

M. Vipsanius Agrippa 336 A.3 Aischines 87 A.22; 157 A.10

T. Albucius praet. ca. 105 a.Chr. 56 A.31 P. Alfenus Varus cos. 39 a.Chr. 118

A. 8; 119

A.12 altertümlich, veraltet, antiquiert, Begriffserklärung 12£.; 15

altertümliche Ausdrücke, Verwendungsweise: passim; s. auch verba. Alliteration 28; 29; 234; 299; 315 A.96 Deutlichkeit 311 Etymologie 28; 30; 118; 123; 144; 221;

275; 297; 299; 341 A. 5

.

Extravaganz, sprachliche 31; 147; 286 familiäre Unterhaltung 31; 60 Formel, erstarrt 293 Fülle des Ausdrucks 60 Gesetzessprache 28; 29; 30; 34; 126;

und Sachen Analogie: grammatische Theorie 80 A.67; 174; 239 A.45; 267 f.; 275; 285; 286; 334 A.103; Wirksamkeit

in der Sprache

212; 217;

226; 239 A.45; 253; 262; 288 Anastrophe 280 A.37 T. Annius Cimber 153f.;

160 ff.; 332

A. 99 T. Annius Luscus 339 T. Annius Milo 152 A.134 Anonymus Cic. opt. gen. 94; 95 A.48 antiqui 97 ff.; 102ff.; 105 f.; 106 ff.; a. oratores bei Cicero 61 ff.; Stilqualitäten der a. 190 f. M. Antonius cos. 99 a.Chr. 43f.; 52 A.16;

176; 187; 190 A.33 M. Antonius,

triumvir

163 ff.; 169;

173 ff.

M. Aper bei Tacitus 97 ff.; 106 ff.; 135 f.; 146 Archaisieren passim; Begriff u. Feststellung des A.

12; 20f.

archaisch-klassisch, Begriffserklärung 15 f. archaisch u. vulgár passim; Prinzipielles

13 ff. Archaismus passim; Begriff des sprachlichen A. 12 ff.; Feststellung des A. 16 ff.; orthographischer A. 18; A. als altertümliche Stileigentümlichkeit 19 £.; direkter

u. indirekter A. 21 A. 25

gravitas 311

Arellius Fuscus 336 L. Arruntius cos. 22 a.Chr. 169f.; 199 A.18; 332 A.99; 337; Identität mit dem Historiker 169 A.53

Juristensprache s. unten kosmisches Phänomen, Erklärung 30

Artorius

Kultsprache

Sempronius Asellio 223 ff.; 265

281; 299

29; 30; 60; 246

Scherz 299 Variation des Ausdrucks

L. Arruntius cos. 6 p.Chr. 169 A.53 338 A.13

Asianismus 28; 30; 31;

293; 294; 295; 311 Verstorbene, in spáterer Literatur redend 60; 288 Vorzeit, Behandlung 60

169;

173 A.62;

174

C. Asinius Gallus 139 A.92 C. Asinius Pollio 29; 42; 81; 204 A.36; 336; Attizist? 136 ff.; u. Cicero 139; Klauseln

140 A.95; archaistische Ner

gungen? 140 ff.; Briefe 142; Reden 143;

355

Geschichtswerk 143 ff.; Schrift gegen

C. Ateius Capito cos. 5 p. Chr. 338

nius Flaccus 172; C. in Ciceros Brutus 176 ff.; 190; 333 A.101; Sprache des Geschichtswerks 210ἔν; u. Sallust 303 ff. M. Porcius Cato nepos cos. 118 a.Chr. 72; 339 M. Porcius Cato Uticensis 335; 338

L. Ateius Philologus

Q. Lutatius Catulus 31; 32 A.48; 52; 59;

Sallust 316 ff.: Datierung

316 ff.; 329;

Inhalt 322 f.; Identität mit der epistula ad Plancum? 323 A.71 Aspiration von Tenues 54 316 ff.; 336

T. Pomponius Atticus 67; 70; 71 4.26; 348 A.28; A.31 u. passim ἀττικισμός SAf. Attizismus, römischer

83 ff. passim; 136 ff.

passim; 166; 178; 181 ff. 39 ff.;

a. der antiqui 64 Augustus Imperator Caesar divi f. 120 A. 16; 163ff.; 169 f.; 326; 3381. s. latitudo; urbanitas; rusticitas

Bella, Afr., Alex., Hisp. 288 A.55 Bellum Alexandrinum 116 A.3 Bellum Hispaniense 231 A.16; 237 A.38;

261 A.114 Briefe, Stillehre für B. 46f.; Sprache 115 ff. passim bes. 147; 246ff. mit A. 72; 340ff. M. Iunius Brutus, Caesarmórder

68£.; 71;

74,18;,79;84£.;90f.; 1001. 138 A. 85; 140 A.93; 191 Caecilius Statius 78; 81 Q. Caecilius Epirota (?) 278 Q. Caecilius Metellus Macedonicus

M. C. C. M.

M. Tullius Cicero passim; Gebrauch von altertümlichem Sprachgut 26 ff.; 60 f.; 309 f.; u. Geschichtsschreibung 43 f.; rednerische Ausbildung 66 ff.; u. Scipio

minor 49; u. Laelius 49 ff.; u. Aspiration 54; u. Cato Censorius 72 f.; über die Entwicklung der rómischen Beredsam-

keit 155 ff. M. Tullius M. f. Cicero 46 A.1 Claudius s. Quadrigarius P. Clodius Pulcher 152 A.134

L. Coelius Antipater 28 A.29; 70 A.22; 71; 149 A.121; 211 A.5; 217 ff.; 264 ff.; 289; 338 compositio 61 f.; 76; 84ff.; 90 A. 36; 102 ff.; 106; 135; 137 £.; 140; 159 f. consuetudo

25 f.; 33; 36 f.

Cornelius, Historiker? cos.

143 a.Chr. 28f.; 338f. Caelius Rufus 98£.; 132ff.; 188 Iulius Caesar 72 Α.30; 288 A.55; 347 ff. Iulius Caesar Strabo 72 A.30 Calidius 96 A.52; 110f.; 338

Calvus s. Licinius

M. Porcius Cato Censorius 83; 96 A.53; 147f.;

75

Cornelius Nepos 31 A.37; 70; 337 L. Cornelius Sisenna 58ff.; 75 A.45; 214;

216; 227 A.4; 267 ff.; 306; 338; u. Kleitarch 280; 286; u. Accius 286; u. Quadrigarius 286; u. Sallust 306; 307

A.29 M. Cornelius Fronto

Carbo s. Papirius L. Calpurnius Piso Frugi cos. 133 a.Chr. 68; 71; 75; 213f. Cassius Severus 148f.; 336 C. Cassius Hemina 211 ff. L. Sergius Catilina 152 A.134

15 A.12;

190f.; 206

A.42; 227 A.4; 255; 268 A.5 P. Cornelius Dolabelia

124 ff.

P. Cornelius Scipio Africanus maior 339 A.

P. Cornelius Scipio Africanus minor 49; 59; 65 A.1; 66 A.11; 68; 78f.; 109ff.; 112f.; 186f.; 338

160; 199; 265 A.129; 290 A.3; 326;

L. Aurelius Cotta tr. pl. 103 (2) a. Chr. 51ff.;

328 ff. bes.

152; 188 Crassus s. Licinius C. Scribonius Curio avus praet. 121 a.Chr. 65; 67 C. Scribonius Curio filius tr. pl. 50 a.Chr. 132f.

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che der Reden 48f.; C. im Rhetorikunterricht der Republik

64 f.; 71ff.; C. in

der Grammatik der Republik 75 ff.; 308 £.; 325; u. Calvus 99 f.; C.s Schätzung in der Kaiserzeit 109 ff.; 337 ff.; u. T. Annius Cimber 163 ff.; u. Vera-

356

Charis der lateinischen Sprache 86 A.14; 111

x^-Test 312 ff.; 345

auctoritas 34; a. der Archaismen

Aussprache

611.; 69; 71 A.26; 75; 176 Cestius Pius 138 A.85

Cynthius Cenetensis 285

Daktylen in Prosa 274 A.24 Demetrios von Phaleron 156f.

Demosthenes 156; u. die Attizisten 84 ff.; 91 ff.; 96 A.52; A.53; u. Cicero 95 f. Dichtung, altrómische 80 ff.

Grammatikerzeugnisse

für sprachliche Al-

tertümlichkeit 18 A.22

dignitas 33; 40 A. 71; 346f. diligentia 137 f. Dionys von Halikarnaß

gradatio 86 f. Gräzismen 55 A.31 Grammatik, republikanische 73 ff.; augusteische 338 f.

44 f.; 89 A.32;

Hadrianus Imperator 19 A.22

157 f. Ditrocháus 140

Q. Haterius

Dolabella s. Cornelius

Hemina

Domitius Afer 138 A.85 Domitius Marsus 337 Doppelausdrücke, tautologische 115 A.3; 294 A.4

Hiat 159 f. A. Hirtius 116 A.3 Historikersprache, vorsallustische 116 A.3; 194—290 passim bes. 289 f.; 291 A.2; 307; 346

M. Duronius

202 A.28

Helvius Mancia 152 A.134

152 A.134

s. Cassius.

Historiographie, Stillehre der H. 43 ff.; elegantia 50 bes. A. 12; 119 A.11 Q. Ennius 64; 66 Α.6; 70; 77; 81; 98 A.60;

116f.; 207; 210 A.4; 212 4.13; 217 ff.; 222; 233; 239; 251; 266; 273 A.22; 333 A.101; Euhemerus 27 A.21; 48 A.5; 210 A.1 Epideiktik 36; 44 exilitas 94 f.

Schätzung der römischen H. 70f.; Präzepte des Philologus zur H. 318 bes. A. 56 Homoioteleuton 259 Q. Horatius Flaccus 36; 81 A.72; 338 horridum 34f.; 37 Q. Hortensius Hortalus 58; 62; 189 A. 31;

290 A.3. Hyperides, Hyperideer

Fabius Pictor 75 A.46;

227 A.4

90; 94; 97; 113;

177; 180; 182 Hyperurbanismus 54

C. Fannius 66f. C. Fannius, Historiker 58 A.41; 71; 214f. Favorinus von Arelate bei Gellius 142

imitari 98 A.59

A.99; 348 A.29 Fehlinterpretationen, antike 287 A.53

Isokolie

(Paulus-) Festus s. Pompeius C. Flavius Fimbria 56f.; 66; 67 Fortschritt der Beredsamkeit 69; 176 f.;

Itazismus 55 f.

259

Isokrates 103; 156 f.

Juristensprache

118;

121 ff.; 127; 149 ff.

186 ff. Fronto

Klauseln s. compositio

s. Cornelius

L. Fufius 56f.

Kleitarch

280; 286

Kongruenz der Numeri 242 A.58 Galba s. Sulpicius

Konservativismus,

A. Gellius 76; 190f.; 203; 241; 294 A.4; 213 A.14 Cn. Gellius 215 ff.; 265

sprachlicher

13 A.5;

49 4.11; 55 A.29; 261 A.115; 281 Konzinnität 127; 197 Kriton bei Lukillios 167

genus grave sim. 179 ff. genus medium 180 genus tenue sim. 35 f.; 97; 110 ff.; 179 ff. γλῶττα 26 A.17

112£.; 152; 186 f.; 338f.

M. Antonius Gnipho 317 C. Sempronius Gracchus 64 ff.; 68 ff.; 79 Α.61; 177; 187; 190 A.33; 306 A.28;

338 Ti. Sempronius Gracchus

Laelia 54 f. C. Laelius Sapiens 26 bes. A.19; 27 A.25; 28 A.29; 35; 491f.; 59; 68; 781.; 109 ff.; laetitia u. nitor in der Beredsamkeit

101

M. Iuventius Laterensis 129 A.50 Latinitas 242 4.58; L. der Alten 77 ff.

79 A.61;

187

latitudo in der Aussprache 52 A.20; 55 ff.

357

Lenaeus s. Pompeius

M. Pacuvius 66 A.6; 771.; 81

C. Licinius Macer, Historiker

287 f.

C. Licinius Macer Calvus 84 ff.; 94 ff.; 100 £.; 140; u. Attizisten 89f.; 97 ff.;

u. Cato 99f. L. Licinius Crassus 52 A.16; 61£.; 64 ff.; 69 f.; 79 A.61; 116 A.4; 176; 177 A.5; 187; 190 A.33 T. Livius 72 A.31; 251; 339 A.17; u. Sal

lust 195 ff.; 337; u. Quadrigarius 238 A.44; u. Ps. Quadrigarius

264 A.126;

Paetus s. Papirius C. Papirius Carbo

68; 98; 187

L. Papirius Paetus 71 Paraphrasierung als Redeübung 116 f. Philistos 185 f.; 333 A.101 Pictor s. Fabius

πίνος in Briefen 46 A.1 Piso s. Calpurnius L. Munatius Plancus

128 ff.; 142 A.102;

323 A.71

A.127 C. Lucilius 55 A.31; 80 A.67 Lutatius s. Catulus Lysianer 20 A.24; 89ff.; 104 A.84; u. Cal-

T. Maccius Plautus 48; 77; 81; P. als sprach-

vus 97; u. Cato 113; 177 ff. Lysias 96 A.53; als rednerisches Vorbild 84; 89 ff.; 97; L. mit Cato zusammen-

Poetismus,

gestellt 83; 1791.; 1821.; 185; 190 Ambrosius Macrobius Theodosius 80 A.67; 171 Mancia s. Helvius Massalia 153 A.2 Messalla s. Valerius s. Vipstanus Metellus Macedonicus s. Caecilius Mevius 339 A.17 Milo s. Annius Miltiades, Rhetor 202; 204 f. miseratio 96 A.52 L. Mummius Achaicus 62; 68

14; 17; 35; 51; 54 ff.; 56 A.31;

203 f.; 230; 235; 240; 241; 245; 248; 256; 262; 310 A.35; 334 f. Q. Claudius Quadrigarius 72 A.31;

159 A.20

80 4.67;

Namensänderungen, Spótteleien bei N. 317 Natürlichkeit in der Beredsamkeit 58 A.38 Neologismus 13 A.7; 23; 25 A.15; 59;

134 A.70; 175; 267; 284 A.45; 286 Nepos s. Cornelius 124; 133;

211

A.5; 216;

221 A.40; 232;233;238;240; 241; 250f.; 261 bes. A.115; 262; 277; 280; 286; 291 A.2; 302 A.12; u. ófter 37 f.; 160; 202; 310; 320f.

ἀπηρχαιωμένα ὀνόματα 158; 332 Orthographisches: assimilierte Konsonanten 23 A.4; -ei- statt -

265 bes. A. 130; 286; u. das Bellum Hispaniense 237 bes. A. 38; u. Livius 238 A.44; u. Ps. Quadrigarius 263 A.

124; 264 A.126

Cn. Naevius 77; 81 A.71

358

326 ff.; L. Verfasser des Distichons

Carm. inc. 6? 330 Pompeius Saturninus 55 A.29 Cn. Pompeius Magni f. 124 f. Cn. Pompeius Magnus 326 f. Sex. Pompeius avus Magni 62 Sex. Pompeius Festus 308 bes. A.31 probare = Sachlichkeit? 90 A.35 Procilius 75

203 A.32; 213 A.14; 214; 216; 227 ft.;

Munatius s. Plancus mutilus, rhetorischer Terminus

obscuritas

Begriff und Feststellung des P.

207 ff. Pompeius Lenaeus: Invektive gegen Sallust

Purismus

Sp. Mummius 68

Niedersprachliches

liches Vorbild für ciceronische Briefpartner? 116 ff. passim C. Plinius Secundus maior 244 A.65

256

A. 101

Ps. Quadrigarius

213 A.14;

263£.; 286 A.

51 Reimassoziation 244 A.66; 246; 252; 274 rhetor 154 A.3 rusticitas 52 ff. P. Rutilius Rufus 50 A.12;

339

C. Sallustius Crispus 57 A.37; 164 ff.; 251; Reden 147 ff.; u. Cimber 168 ff.; 332 A.99; u. Arruntius 169f.; 172; 332 A.99; 337; u. Thukydides 170; 332ff.; u. Hi-

storikersprache 194 ff.; 307; u. Livius 195 ff.; erstmals bei S. bezeugte Ausdrücke 197; 303; Geschichtswerke

291 ff.; Provenienz der Archaismen

303 ff.; 307 A.28; u. Cato 303 ff.; 308 ff.; u. Sisenna 306; u. die Grammatik seiner Zeit 308 f.; u. Cicero 309 f.; Gebrauchsweise der Archais-

men 310 ff.; Entwicklung des Sprachgebrauchs 314 f.; 342; u. Asinius Pollio 316 ff.; u. Augustus 326; u. Lenaeus 326 ff.; u. Varro 331 A.96; u. Ciceros Brutus 335; S. in augusteischer Zeit

M. Tullius Tiro 337 A.9 Tubero s. Aclius Tyrannion 154 A.3 tyrannus 154 A.3 Umgangssprache s. Niedersprachliches Unterricht, rhetorischer 64 ff.

urbanitas 54 f. Valerius Antias 72 A.31; 75; 261f.; 264

A.126

336 ff. Sallust (?) Briefe 164 bes. A.34; 340 ff. Q. Mucius Scaevola Augur 50 A.12 Q. Mucius Scaevola Pontifex cos. 95 a.Chr.

M. Valerius Messalla Corvinus cos. 31 a.Chr.

56 A.31; 338 M. Terentius Varro

13 A.5.; 26 A.16;

Scaurus s. Aemilius

bes. A.43; u. lateinische Geschichtsschreibung 75; u. Cato 75 ff.; Archaist? 331

Scipio s. Cornelius σεμνότης 33 Sempronius s. Asellio

A.96 P. Vatinius 115 A.3; 126ff.

5. Gracchus

L. Annaeus Seneca pater 338 A.14

Velleius Paterculus

severitas 202 ff. Sisenna s. Cornelius sordes 135 A. 73 Stilo s. Aelius Stoa 90 A.35 subtilitas 111f.; 119 A.11

P. Ventidius 149 A.122

338 A.

14

Veranius, Pontifikalrechtsschriftsteller

171f. Veranius Flaccus 163 f.; 171 ff.; 332 A. 99 verba:

v. antiqua Varros

26 A.16; v. anti

qua et sordida 201 ff.; (v.) inusitata 59;

C. Sulpicius Galus cos. 166 a.Chr. 176

horrida v. 34 f.; sordida v.

P. Sulpicius Rufus 55f.; 116 A.4; 188 Ser. Sulpicius Galba cos. 144 a. Chr. 51 A. 13;

v. remota 45

Ser. Sulpicius Galba cos. 144 51 A.13; 68; 69 A.20; 98; 176; 339 A.15 Ser. Sulpicius Rufus 115 ff.; 338 συνήϑεια 36 A.17 Synonyme passim; Prinzipielles 17 f.; 20 f.; 208; 313f. bes. A.43; 342f. bes. A.8;

345 P. Terentius Afer 48; 79 A.64;

81; 116f.;

280 A.37 Theophrast 45 A.5 Thrasymachos 103 Thucydidii 90; 103f.; 136 ff.; 154 ff.; 163;

333 A.101 Thukydides 44; 91; 103; 153 ff.; 201; u. Cimber

153f.; 166ff.; bei Dionys von

Halikarnaß

158; mit Cato zusammen-

gestellt 185 f.; 333 A.101; u. Sallust 332 f. Thukydidesimitation, griechische

166 f. Tiberius Imperator 56 A.31;

31;

53 A.23; 58 Α.41; 80 A.67; 141 A.98; 171; 267; 281; u. lateinische Reden 74

68 f.

339

!35 A. 73;

verba prisca: in der Rede 32 ff.; erklárungsbedürftige v. p. 35; novitas der v. p. 39; v. p. als ornamentum

dicendi 35 ff.;

vertraute v. p. 32£.; v. p. = v. poetica 32 Vergil u. Ennius 333 A.101 veritas „natürliche Redeweise'* 157 Verrius Flaccus 73; 171 f.; 337 ff. Vibius Rufus 204 A.35

Vipstanus Messalla 99; 101 A.69 virilitas u. rusticitas 58 vis 88; 96 A.52

Vulgárlatein s. Niedersprachliches vulgär u. archaisch passim; Prinzipielles 13 ff. Weiterleben von scheinbar ausgestorbenen

Bedeutungen Wörter,

obszóne

134 A.67 298 f.

Xenophonnachahmer 90; 104 Α. 84

161 ff.;

Zweikampfschilderungen 231 bes. A.16; 238f.

359

2. Wórter und Grammatik (S. auch Register 1. — Die Assimilation der Konsonanten richtet sich nach der Gestaltung der zugrundegelegten Texte und ist daher nur partiell durchgeführt.)

ab bei Stádtenamen abhinc 135 A.73

120

abstrahere „abtrünnig machen“ 129 A.50 ac s. atque accelerare 301

acetum 135 A.73 acrimonia

antistare 231 apisci 122 appellare 299

231

adedere 270 f. adgredi, Pass. 143 A.105 adhortatus, Pass. 252 Adi. -bundus

235; 256; 275; 303

adprime 239 f. adsentio 58 A.40; A. 41 adtrahere 250

302

aerumna 195 aevitas 309 aevum

135 A.73; 203£.; 241

artificiose 224 A.50 arvum 195 aspernari, Pass. 143 A.105 assequi „(ein literarisches Vorbild)

errei-

chen“ 92 A.42 assuescere 301 atque 210 bes. A.2; 211 A.4; 213 A.14; u. ac 286 A.51; 307 A.29 avare, avariter 259

143 f.

298; 314; 341 f.; 345

secum agitare 121 vitam agitare 298 albere 278 albescere 278 A.33

alii, Gen. 218; 287 aliquamdiu 253 aliquantisper 253 alius modi 218 alterius modi 218 alternatim 252

360

arrabo

auctor 296 f.

agere „leben“ 298 aetatem agere 298 aggeniculare 221 agilis 270 agitare „leben“

arbitrarier 212 f. arbor ilex 269 arboretum 244 arbustum 244

Aıgeus 18 A.22

advecticius 303 advenientia 271 Adv. auf -im 220£.; 224 A.50; 225 Α. 54 252; 269; 274; 275 f.; 280; 281; 283; 284; 286; 290 A.4 Adv. auf -iter 151 A.132; 244; 246; 251; 259 advorsum, advorsus, Prápos. aeditumus 13 A.5

alternis 252 amentia 198 amplexare, -ri 246 animum advertere 125 ante, Präverb 222 ante .. . ferre, Tmesis 221 f.

audi(e)bam 18 A.22 auditor 316

auspicare, -ri 254 auxisse, intrans. 304 A. 17

bellicosus 218 bellosus 218 bellum facere 198 benefactum 195 biber 215 bibere (dare) 215 bovinator 21

bullatus 79 A.60 caecus „dunkel“:

caecus fluctus 279

caecus avaritia 198

caedere

245

confidentia 133 f.; 231 confieri 119

A.69

caedes - rapinae 198 caligo 283

congenu(c)lare

Calypsonem, Akk. 80 A.67 campsare 19 A.22 cancer, Mask. u. Neutr. cantabundus 235 cantans 235 capillus, Sg. u. Pl. 240

221; 272

congermanescere 259 congressio 236 A.37

callere mit a. c. i. 273 calvere, -vi 295

251

capillus passus 240

congressus,

Subst.

237

conisus 236; 237 A.39 consermonari 229 f. conservare a 230 A.13 consolare, -ri 143 consuescere mit Inf. 301 consultor „Ratgeber“ 296 f.; 306; 313;

340; 345

carnificare 284 cautabundus 235 celatim 283 celerare 301 cena est cocta 211 A.5

consultor

„Ratsuchender“

296 f.

consumere 299 contactus,

Subst.

303

contagio 198

certatim 269

contendere 276 f. se contendere 288 continuari 283 continuo 222; 233 contristare 133 A.65 contumeliam facere 173 f. copiari 241 coram, Adv. 119 crebritas 281 crebritudo 281 crescere Ξ oriri 196

certatio 253; 276 ceterus 300 A.7

chiridotus 79 A.60 cinaedulus 79 A.60 cinaedus 79 A.60 circumcirca 14; 120 clare, clariter 251

claritas 275 claritudo 275; 308 A.31 clarus 294

clipeus, clipeum 288 coa 134 A. 70 coepisse 214; 295; phraseologisch 232

crotalum 79 A.60 cuius, Adj. 19 A.22 cum - tum 53 A.21

cumprime 230

coeptare 295; 314 cogere mit Inf. 301; 343

sic cogitare, secum cogitare 120 f. cognomentum 59 A.46

cumprimis bei Adj. 230 cunctabundus 235 cunctans 235 cupiditas 198 f.; 292

se cohibere 121 cohortare, -ri 252 cohorticula 133 A.65 collexi 288

curare mit bloßem

collus, collum 100 A.67/8

curculio 135 A.73

columnarii 133 A.65 commemorare 250f.; 254 commutatio 229

cursim 284 cursitare 133 A.65

complura, compluria 259 comprehensare 245

damnare voto, voti 277 Dat. auctoris 234; 254 Dat. sympatheticus 235; 252 deabus 215 f. debetur credi 219 A.34

concedere

cupido 198f.; 292; 304 A.16; 313; 335 A.106, 337 4.8; 341; 345

237

concessio „Zusammenprail‘‘? 236 A.37 concessus ,,Erlaubnis' 236 A.37 concessus „Zusammenprall“ 236 f.

confectus morbo atque aetate 294 conficere 299 confictus statt confixus,

Part. Perf. 226

Konj.

211

A.5

decipere 295 dedecor 303 dedicare ,,kundtun'* 218 A.28; 219f. defectio solis, defectus solis 217

defendere 295; defendere ἃ 257 f. defensare 295; 307 A.29; 341; 342; 345 f. deficere „schwinden“ sim. 217; 223 defictus statt defixus, Part. Perf. 226 dehonestamentum 303 dehortari mit Inf., dehortari a 304 f. Deklination (Schwankungen):

Gen. Sg.

Dat. Akk. Abl. Nom.

4. Dekl. -i, -us, -uis 5. Dekl. -e, -ei, -es, 233; 244; 283 alii: 218 Sg. 5. Dekl. -e 285 Sg. auf -onem 80 A.67 Sg. 2. u. 4. Dekl. 271; 3. Dekl. -e, -i 123; Pl. 276; 279

Gen. Pl.

237; 271 -i 129;

284 234 f.

2. Dekl. -um, -orum

121; 129;

144; 268 A.4; 2801. 3. Dekl. -erum, -um 217 4. Dekl. -um, -uum 259

Dat. (Abl. ) Pl. 1. Dekl. -abus 215f. Akk. Pl.

3. Dekl. -es, -is 24

delectare ,,táuschen'* 250 delectatio ,,Betrug'* 250 delinquere „schwinden“

sim.

151 A.132;

218 A.28; 223 deliquio solis, deliquium demagis 18 A.22

solis 217

dementia 294 Deminutiv

121 A.20

depopulare, -ri 260 depulsus u. depultus, Part. Perf. 24 derepente 245 descendi, -didi 262 desenescere 303

desidia 293; 342 A.6 non desistere quin 127 f. despectare 303 despolari, despoliare 239 desubito 244 f. detestabilis 294 deum, Gen. 129; 144

deus, Sg. u. Pl. 282 dextimus 308 A.31 dicier 126

die, Dat. 285 die quinti 211 A.5; 218 A.28; 220 diem suum obire 121 f.

discordiosus 303 discupere 133 A.65 dispalari 273 dissipare 299

362

diu ,tags" 296 diurnare 231 divus, Sg. u. Pl. 281f.; 285 f.

doli, Pl. 247 f. dolus malus 247 dominari 295 dubitanter 220 dubitatim 220 f.; 276 ducere 298; 307 ducier 49; 79 A.60 ductare 298; 307; 314 f. ductor, Subst. 221

duellum 309 duritudo 309 dux 221 ecfatum 30 tali genere editus 263

effari 26 A.19; 29f.; 309f. egregiissimus 174 elexi 288 eloquentia 149 A.121; 292 embaenetica 133 A.65 endo 309

enim, voranstehend 258 enixe 280 enixim 280 ensis 211 A.4 -ere, -erunt im Perf.

199; 210 A.2; A.4

211; 303; 304; 307 A.29; 341; 346 ergo, Präpos. 246; 281; 309 errare 295 evertere 237; 302; 307 evincire 212 exercere 341 A.5 exercitare 341 A.5 exfundare 222 exigere cum 129 A.50

expolari, exspoliare 239 expolitissimus 79 A.60 exserere 234 exsertare 234

exsuperabilis 230 f. extemplo 222; 233 extrinsecus

111 A.96

fabricare, -ri 24 fabulari 14 facies, Gen. 233; 244 facii, Gen. 244 facinus 174; 303

A.29;

344 A:14

E

factum, Subst. 303 facundia 149 A. 121; 292; 307 A.29; 313 facundiosus 224 A.50

per fallaciam, per fallacias 240 false, Adv.

285

familiare, Abl. 123 fari 26 A.19; 29 A.33 faxim 309 f. ferro saeptus 307 A.28 festinanter 275 f. festinare, trans. 301; 314; 315 festinatim 275 f. festinus 303 fictus statt fixus, Part. Perf. 226 fide, Gen. 129 fidem solvere, fidem exsolvere 129 A.50

fieri 219 finem facere 232 f. finis, Fem. 221; 275; 286; Mask. fixus, Part. Perf. 226 fluvia 275; 286; fluvius 275

221

foramen 276 formidare, absolut 134 formido, Subst. 196 fortasse 222; 275 fortassean 275 fortis - strenuus 198 forum „Schiffsgang“ statt forus 217 forus „Markt“ statt forum 217 211

frui 241 frunisci mit Akk. 241 frustrare, -ri 277; 295

geniculare, -ri 221 genus 293 Genusangleichung des Verbs 218f.; 299 Genusschwankung

bei Verben

24f.; 122;

143; 224; 239 bes. A.45; 246; 252; 254; 257; 260; 269 f.; 277f.; 284; 295 Gerundium (Gerundivum) gladius 211 A.4

gliscere, gnaritas gnatus, grandia

-ci 224 303 natus 234 ingrediens 263

grandis 281

granditas 281 gratiam condire

gruma 79 A.60 grundibam

256

111 A.95

haurire pectus 235 f. hinnibundus 256 hinniens 256 multi homines 255 homo 297 homo, abundierend 127; 258 f. horrere 278 f.; ala. re 283f. horrescere 278 f. hortare, -ri 252 iacere „tot daliegen" iacere 257 iactare 257 iaculari 257 icti, Gen. 237

248

ignara, Neutr. Pl. Subst. 197 ignave, ignaviter 244 ignavia 293; 342 A.6 illustris 294 imber, Fem.

259

imitare, -ri 122 immerens 278 immutilatus 303

imperare 295 Imperativ

negiert durch nec, neque

122

Imperfekt -ibam 18 A.22; 256 imperitare

295; 314; 341 f.; 345

imperitia 303 impoene 49 A.8 impollutus 303 importuosus 303 imprimis, bei Adj. 230

fragmen u. fragmentum 270 fremere

habentia 254 haud s. ullus u. umquam

-und-, -end- 275

impulsus, Part. Perf. 24 incelebratus 303 incertus, passivisch, mit indirektem Frage-

satz 197 incidere mit Dat. 254 f.

incile 133 A.65 incipere 214; 295 inclitus, inclutus 211

A.4; 294; 304 A.16;

308; 314 incolumior, Komp. 231 incruentus 303 incultus, Subst. 197; 303; 342 A.6 incuriosus 303 indicare 219 indulgentia 223

indulgitas 222 f.; 223 A.45; 274 inertia 293; 342 A.6 infecunditas 303

363

infecundus 303 infictus statt infixus, Part. Perf. 226 Inf. Fut. Akt. -urum (esse) 248 Pass. -tum fore 249 -tum iri 249 A.79

occupatas futurum 248 f. Praes. Pass. -i 49 A.9; 213

-ier 48 f.; 126; 212f. ingeniculare 221 inhorrescere 278 f. inimice, inimiciter 151 A.132; 246 inlatebrare 241

inlicere 250 innocens 278; 294 innoxius 278; 294 innoxus (?) 278 inquies 303

insania 294 insomnia, Fem. 197; 292; 304 A.16; 341; 345 insomnium 197 insons 294; 308; 315 A.46

insuescere, intrans. mit Inf. 301; 303 intectus 303

integrare .. . caedem 276 intellegi 299 interitus „umgekommen“

260

interrogare 245 A.69; 296 intestabilis 294; 306; 335 A.106

Intransitivierung 253 A.93; 304 A.17 intutus 303 invius 303

labrum 278 laetiscere 282

languor 293 217

Lautwandel e » i 52 o>u 126f.

oe > u 24 limus 260 A.110 lomentum 133 A.65 longinque 268 A.5

lues 287 f. lutus, lutum

364

259 f.

mador 303 magistratum, Gen. 259 magnifice loqui 198 maiorum suum, Gen. 280 f. manualis 271 materies, Gen. 244 A.65 maturare, trans. 301 mediterraneus 285 mediterreus 285 meminisse mit Akk. 254

memorare 250f.; 302; 304 A.16; 307 A.29; 308 memordi 262 mentionem proicere 277 mille, Subst. 80 A.67; mit abhángigem Gen.

249

mille, Adj. 249 millus 79 A.60 μιν 154; 167 f. minimo opere 287 mirare, -ri 269 f. miseretur = unpersónliches miseret 257 mittere mit finalem Inf. 220 mittere „mißachten“ mit sáchlichem Objekt 270; mit Inf. 270 A.11 mittere ,,(Geschosse) versenden“, trans. u.

moechus 133 A.65 mollitia 293; 342 A.6

Konjunktiv ohne ut 125; 211

libro statt in libro 322

per luxum atque libidinem 200 A.20

intrans. 257 moderari 295

irritamentum 303 juxta 269 iuxtim 269

lanterna 135 A.73 lapidum, -erum, Gen.

luxuria (luxuries) 292 f. luxus, Subst. 200 A.20; 292 f.; 335 4.106

A.5; 232

montis, Akk. 24 multi mortales 211 A.4; 255 £.; 315 omnes mortales 143; 255; 315 quoiquam mortali 342 mortalis „Mensch“ 144; 255 £.; 297; 307 A.29; 313; 315; 340; 341; 346 multifariam, Adv. 308 A.31 munificentia 303 murmurare, -ri 254 nactus, nanctus 142 A.102 nanus 135 A.73 ne - quidem 240 ne - quoque 240 nec, neque, Negierung des Imperativs 122 necessitas „Notwendigkeit‘ 224 f.; 303; ,Freundschaftsbindung'' sim. 224 f.

necessitudo

„Notwendigkeit“,

„Freund-

schaftsbindung" sim. 224 f.; 303 neglegentia 293f.; 342 A.6 neglegere mit a. c. i. 174

oreae 79 A. 60 os (ora) - oculi 198

neglegi u. neglexi, Perf. 288 nemorosus

opulens 303 opus est mit Abl. Part. Perf. 309 A.34 orbi, Lok. 123

ospicare 254

303

nequire mit Inf. Akt. u. Pass. 299 nequitur 299; 304 4.16; 308; 311 nihil (nil, nec) morari 174 nimis „sehr“ 131 A.56

ossum 216 ostentus, Subst. 303 otia, in otiis 242 ff.

otiolum 133 A.65

nimisquam 131 A.57 nisi, adversativ

120

palari 295; 307 A.29 palpari 142 A.101

niti pro ala. re 306; 341 summa vi niti 305

patrare 299; 304 A.16; 307 A.29;

nitrum 133 A.65 nobilis statt notus 308 A.31

337 A.8; 341; 345 f. parricidatus 134 A.70; A.71

nocte mit Attribut 249; 277

pars magna,

noctu 249 f.; mit Attribut

300 partim mit Gen. 258; 259 paucabus 215 f.

249

nola 134 A.70 nominare 299 non s. ullus u. umquam

non numquam

pausa 232 f.

non nullus 130f. noscitare 134 A.70 notities, Gen. 244 A. 65 novissimum 12 A.5 nultus 130

nutri(e)bam

pecora, pecua, pecuda, pecudes

30f.; 299; 303;

18 A.22

obiter 19 A.22 obsidium 79 A.60; 308 A.31 obtentus, Subst. 303 obtruncare 269

sua occasio 129 A. 50 sol occasus, sol occidens 229 solis occasus 229 occidere 245 A.69 occipere 214; 271; 279; 285 f.; 295; 306;

307 A.29; 314 ocissime 223 ocius 223

odivi 174 oleabus 215 f.

ollus 34 A.55; 310 opes augere 198 opes crescunt

198

opinabar 31 f. oppidum, Gen. 121 opturarier 48

bene magna

paucie(n)s 218 A.28

131 A.55

nuncupare „benennen“ 308; 311 vota nuncupare 30

maior, maxima,

313;

276

pedetemtim 218 A.28 penis 302 peposci 262 pepugi 262 peragere 299 peragier 48 f.; 309 percutere 272 perdere 299 perdolitum est 234 perduellio 25 A.15 Perfekt: -di, -didi 262 -legi, -lexi 288 3. Ps. Pl. -ere, -erunt

199; 210 A.2; A.4;

211; 303; 304; 307 A.29; 341; 346 Reduplikation 262 odivi 174 perdolitum est, perdoluit 234 solui, solitus sum 222; 301

perficere 299 pernicii, Gen. 283 persubhorrescere 278 f. perturbare 272 pestis 196 petere alm. ald. 125 petiturire 299 pigritia 293 f. piissimus 174 pilatim 224 A.50; 225 A.54

365

plenum esse mit Gen. 283 ἢ. plerus 309 plerusque usw. 300; 304; 313; 341; 345 Plural, amplifizierende Kraft des Pl. 28 A.26; 243 pluria 259 plurimum (plus) pollere 300 poenire 24 Poenus 240 A.48 pollens 300; 303 pollere 198 A.12 polliceri 296 pollicitari 295 f. ponte, ponti, Abl. 234 f. poposci 262 populabundus 275 populans 275 populare, -ri 260 portabus 215 f. Possessivpronomen bei Verwandtschaftsbezeichnungen,

Gen.

Pi. 280 f.

posterior, Neutr., posterius 212 potens 300 potestur, sim. 79 4.60;

218 f.

potiri mit Gen. oder Abl. 306 A. 26; mit Akk. 273; 306 A. 26 praeceps 273 A.18 praecipitare 273 A.18 praeclare, praeclariter 251 praeclarus

211 A.4;

294

praefestinanter 281 praefestinatim 281 praepedire 288 A.55 praestolari 271 praeteritum tempus 129 A.50 praeterpropter 15 A.12 pre(he)nsare

245

primordium urbis (primordia urbium) 200 A.20 principium 200 A.20 prior, Neutr. 212; 262; prius 212 priscus, prisca severitas 144 privus 308 A.31 procedundo

prodigere proelium proficere progenies

275

299; 308 f.; 335 A.106 nox diremit 198 253 293

proles 28 f.; 32; 37; 41; 293; 303; 311

proloqui 280 promovere, intrans. 253 propellere 272

366

properanter 284 properantia 303 properate 284 properatim 284 properato 284 properus 309 proprius = diuturnus sim. 274; 276 prora, *proris 279 prosapia 12; 293; 304; 308; 311

protelare 272 provolare 241 pudicabus 215 f. puellabus 215 f. pugnare in, contra, cum 228; ad 228 A.6 puleium 135 A.73 pulsare, pultare 24 pulsus, Part. Perf. 24 pulverulentus 238 quaerere ,,fragen'* 296 quaesere u. quaerere quaeso 348 A.28

296; 308; 314

quamquam 343 A.13; mit Konj. 128 A.45 quamvis mit Ind. 128 quarto consul 223 -que 213 A.14 -que -que 131 f.; 300; 307 A.29; 341f.; 346 ques = (ali)qui, Nom.

Pl. 309

qui = quomodo 119f. quiapropter 79 A.60 quicquam

mit Gen. partitivus 247 f.

quid eius modi 247 quid est quod 119 quidam,

deklassierend

317 A.54

quies, Adj. u. Subst. 287 quietus 287 quin: paene — quin, vix — quin 252f. quippe qui mit Ind. 301; 313; mit Konj. 301 raptabus 215 f. re eapse 79 A.60 rebus agentibus 174 A.64 reciprocare 263 A.123 recordare, -ri 252 redintegrare 276 regum, -erum, Gen. 217 relinquere in medio, in medium

reliquum est mit Konj. 125 reluere 287 remedium

198

241

remotus 45 A.6

per summam

repente

soletur dici 219 A.34

245; 273 A.22

repulsior 24 secum

socordiam 342

solitus sum 222; 301

reputare

121

solui 222; 301; 304 A.16;

reri 26 A.19; 31; 144; 301; 308 res monet 129 A.50 rhetor 154 A.3 roborarium 79 A.60 rogare 245 A.69; 296 rogitare 296 rubores 243 A.60 ructuosus 134 A.70 rusus 125

308

saepe solere 33 A.51

sons 196 sonus, Abl. sonu 271 f. sopor 134 A.70 spargere „aufwirbeln“ 256; „schießen“ 257 spepondi 262 σφιν 154; 167 f. spoliare, -ri 239 sponda 134 A.70 spongia 135 A.73 spopondi 262 sputatilicus 59; 286

saltuatim 283

stare ala. re 283 f.

sambuca 79 A.60 sanctimonia sanctitas

stolidus 308 A.31

228 f.

strenuissimus

228 f.

suasor

sanctitudo 228 f.

174

296 f.

subhorrere 278 f.

sanguen 309

subigere mit Inf. 301; 303; 314; 341 ff.;

sanguinolentus 238

345

satura 308 A.31 saviare, -ri 246

subito 245; 273 A.22 sublices 308 A.31

scaturire

subnixus

133

A.65

239

sculna 135 A.73 secundum, Präpos. 123

suboles 21; 29; 142; 310 subolem propagare 29

secus statt secundum 135 A.73 secus, ,,Geschlecht" 225

subplicium statt supplicium 23 subrostrani 133 A.65

sedare, intrans.

subvellere

216

semionustus 284 semiplenus 284 semipletus (?) 303 senati, senatus,

senatuis, Gen.

271

senectus, Adj. 294 senilis 294 septimo consul 257 sermonari 229 f. serracum 135 A.73 servare ἃ 230 servus, Adj.

127;

197

statt Kompositum

superne, supernus

282 f.

supersedere mit Inf. 280 supra, Stellung 279f. susurratores 133 A.65 s. v. b. e. 124. s. v. g. 124f. tabes 308 A.31

sexus 225 sibilus, Abl. sibilu 284 siem 49 A.8; 49 A.10; 79 A.60; 309 significare mit Finalsatz 232 Simplex

79 A.60

subvertere 237; 302; 307 A.29; 344 A.14 suffragare, -ri 284 superesse ali. 142

245; 250 f.

tametsi 343 A.13 tanger 215 A.17 Tau, doppeltes 154; 167 f. tempestas „Zeit“ 27 f.; 218 A.28; 297; 304 A.16;

307; 308; 313; 337 A.8;

simulare mit bloßem Inf. 250 simus statt sumus 101 A.75 kollektiver Singular 240 A.48

341; 346; „Unwetter“ 27; 297 his tempestatibus statt his temporibus 341 tempus 297; 307

sivi 226 socordia 293; 304 A.16; 307 A.29; 308; 335 A.106; 341; 342 bes. A.6; 346

tempus magnum ‚‚lange Zeit" terreus 285 tertio, tertium consul 223

256

367

Tmesis 221 f. to-Bildung des Part. Perf. 24; 226

unguentatus 79 A.60 uti mit Abl. u. Akk. 277

topper 222 f. torpedo ,,Schlaffheit" 297 f.; 304; 314; 335 A.106; 341; 342 bes. A.6; „Zitterrochen“ 297 f. torpor 293; 297 f.

vagare, -ri 295 vecordia 294; 314; 335 A.106 vellicatim 283 verminatio 251

torques (torquis), Mask. u. Fem. bellum tractare 220 trahere in 129 A.50

Transitivierung 212; 315 A.45 transvorsos agere 305 transvorsum trudere 305

tum 273f. tum repente 274 A.23 tum subito 273 f. turbamentum

237

verminatum „Würmerkrankheit‘“, verruca 310 A.35 verticosus (verticulosus) 303 vesania 294 magnum viaticum 231

vicatim 274 vigilia 197 A.9; 292 vinosus 79 A.60 virgultus 303

303

virosus 79 A.60

tyrannus 154 A.3

vis — virtus 198 vitabundus 303

haud ullus 131 A.55

vitae, Pl. 242 vivere 298 volt statt vult 126 f. volvere, volvere in caput 272 f. vulgus, Mask. u. Neutr. 274

non ullus 130 f. uls 309 haud umquam 131 A.55

non umquam

368

131 A.55

Subst. 251

3. Stellen Accius

Caelius

trag. 78:

219

Cic. fam. 8,8,9: 8,10,1: 134

Aischines

Tim. 183:

33 A.52

or. frg. 162,17 Malc.: Caesar

Antonius

frg. Cic. Phil. 3,22: 13,33: 174 13,35: 174 13,36: 174 13,42: 174 13,43: 174

173f.

Appian

Iberica 39,160:

71 A.28

Apuleius

apol. 38:

59 A.42

met. 9,2,6: Aristeides

Asconius

Mil. p. 42,5ff.:

149

224

com. 293/4:

218

86f. 86 A.16

165,35 Malc.: 100 A.67/8 Caper gramm. VII 103,9£.: 203 A.30 Carm. inc. Char. gramm. p. 10,25 B.: 28

Cato agr. praef. 2: agr. 2,3:

326 A.79

55 A.30

27

151,3: 76f. 154: 48 inc. libr. frg. 12: G.:

180 A.15

Bellum Alexandrinum 52,4: 134 A.66 Bellum Hispaniense 25,4: 231 A.16 25,7: 2361. 26,3: 124. 31,7: 288 A.55 Benedictus reg. 35,12: 215 Brutus et Cassius Cic. fam. 11,34: 122 A.22 Caecilius

Malc.: Malc.:

15 (Sacerd. gramm.VI 462,1f.): 16 (Quint. inst. 8,3,29): 329f.

$: 224f. 7: 225 10: 224 A.50 13: 224 A.50 14: 224 A.50 Augustinus doctr. christ. 4,115

135

civ. 331,1: 317 A.53 gramm. frg. 146,2 Fun.: 348 A.29 154,20 Fun.: 80 A.67 Calpurnius Piso hist. 8: 214 27: 214 36: 214 Calvus or. frg. 165,23 Malc.: 86 A.16 165,25 165,28

236 A.37

rhet. 6,10 Schmid: 33 A.52 64,17 ff. Schmid: 38 A.64 103,18ff. Schmid: 40 A.72

Asellio hist. 4:

133f.

210 A.4

17: 210 4.4 54: 76f. or. frg. 1,8: 210 A.4 1,27: 306 2: 49 A.8 91. 11ff.: 306 21: 306; 309 orig. 20: 304 A.17 57: 211 A.5 71: 211 A.4 83: 211 A.4; 310 A.35 86: 211 A.5 95a:

305; 309

95b: 305 108: 48; 49; 213; 304f.; 309 Catullus 8,9ff.: 122 bes. A.22

369

Catullus

Cicero Brut. 86:

53,5: 87 64,73: 28 4.26 66,11: 28 A.26 66,72f.: 130 Charisius grammaticus

p. 67,23 ff. B.: 203 A.30 p. 67,26 B.: 216 A.20 p. 158,1 f£. B. (ex Romano): p. 271,10 ff. B. (ex Romano): Cicero ac. 1,10: 87 A.19

215 19 A.22

2,95: 30 2,97: 30 Att. 3,7,10: 79 A.64 7,3,10: 50 8,14,3: 123 12,5,3: 71 12,6,4: 347 f. 12,22,3: 122 A.22 13,8: 71 13,42,3: 30 14,7,2: 46 A.1 15,1 a,2: 91 A.38 15,16a: 46 A.1 15,17,2: 46 A.1 Balb. 36:

3$

Brut. 25 ff.: 156 A.8 28f.: 156f. 29: 160 32ff.: 145f. 33: 103 37: 156 61: 48 61ff.: 96 A.53; 177 ff. 63ff.: 113 A.103; 182ff.; 335 A.104; 337 A.9 64f.: 73 64ff.: 113 65: 100 A.66; 148; 160 66: 73 A.39; 96 A.53; 160; 1851., 265 A.129, 333 A.101 66 ff.: 180f. 68:

34f., 35 A.56; 76; 113;

182

A.23 69: 68; 183. 77: 53 A.21 78: 176 82: 68; 69 A.20; 176 82f.: 186f. 83: 35; 49£.; 51A.13; 67A.11; 181. 83ff.: 50 A.12

370

50 A.12

91: 94: 95: 96:

58 A.41 51 A.13; 62; 68 186 176

97:

62

99:

67

101: 58 A.41; 215 103: 187 106: 68; 71 112: 63; 181 f. 116: 62 123: 68f.;69 A.21 125: 68 126: 69 A.19; 187; 190 A.33 127: 67f. 132: 71 A.26; 176 132ff.: 61 133: 69; 71 A.26 137:

52£.; 53;56

138: 140£f.: 143: 147f£: 151: 153: 161: 162: 163: 164: 181:

156 A.8; 176 190 A.33 79 A.61 68f. 116 A.4 118f. 69 A.18; 176; 187 157 A.9; 190 A.33 68 A.16 79 4.61; 187 152 A.134

228:

58 bes.

A.41; 59; 268

258: 78 2581t.: 56 259: 52 259f.: 59 273: 132; 136 280: 133 283: 89 A.30 283f.: 94f. 284: 91 284 ff.: 166 A.40 287£.: 154 ff.; 160 288f.: 91ff. 292 ff.: 184 ff. 294: 100; 333 A.101 295: 68 296: 187 A.29 300:

69; 74

301ff.: 188 312: 130

Cicero

Cicero

Brut. 322: 326:

176 f. 62

Cael. 40: 70 A.25 carm. frg. 26: 27 Cato 42: 73 A.39 44: 197 A.9 49: 217 div. 1,75: 28 2,30: 255 A.98 div. in Caec. 43:

69:

66 A.9

67 A.11

dom. 141: fam. 4,4,1:

30; 60 118f.

6,9,1: 130 7,5,3: 3471. 9,21,1: 147 9,22,2: 71; 75 A.46 13,50,2: 230 A.13 15,21,4: 96 A.52 fin. 1,10: 60 A.50; 70 A.23 3,5: 59 A.42 3,50: 130 5,24: 295 Font. 39: inv. 1,4,5: leg. 1,2,5:

66 A.10 65 A.1 70

1,6: 72; 190 A.35 1,7: 58; 268; 287 1,8: 70 1,52: 123 A.25 2,18: 31 A.40; 34 2,59: 67 A.12 3,7:

28;29

23:

29; 60

Mil. 8: 67 A.11 Mur. 58: 66 A.11 75: 51 A.13 nat. deor.

1,82: off.

2,50:

217

30 A.33

1,54:

29

1,111: 348 A.29 3,71: 222 opt. gen. 6:

15£.: or. frg. A

94

157 A.11 14,20:

de orat. 1,12:

144 A.107

orat. 22f.: 192 A.44 23f.: 961. 25: 113 28ff.: 166 A.40

33 A.50

1,154: 64; 117 1,227£.: 72 2,1:

leg. agr. 3,9: 127 Lig. 10: 150 A.126 Marcell.

orat. 30: 33 A.50 30ff.: 104 bes. A. 83; 154 ff. 31: 160; 163 32: 114; 159f.; 163 A.30 40: 104 A.82 65f.:: 44 A.3 75ff.: 89 80: 33 A.49; 39; 50 A.12 80f.: 148 81: 35£.; 113 108: 179 A.12 124: 36 132: 177 A.5 160: 54 167: 102 1681f.: 102ff.; 107 A.85; 108 A.87; 206 A.40 171: 107 174f.: 103 177: 103 A.80 178: 159 A.20 201f.: 148 207: 44 Α.3 219: 103 222: 177 A.S 229: 85 A.11 231: 157 A.9 233: 177 234f.: 159£.; 166 A.40

43

2,3ff.: 43 A.1 2,8: 52 A.16 2,9: 68; 99 2,51: 72 2,51ff.: 265 f. 2,53f.: 183 A.25 2,54: 217 A.26 2,55: 70; 289 2,62: 43 2,62ff.: 318 A.56 2,64: 43f.; 289 2,91: 56 2,92: 67 A.11; 72 A.35; 156 A.8 2,93: 183 2,93ff.: 156£.; 157 A.10 2,94: 157 A.9 2,106: 67 A.11 2,120: 95

371

Cicero de orat. 2,258:

2,268: 2,341:

67 A.11

67 A.11 51 A.13

3,39:

25f1.; 35; 38 A.65; 67 ff.;

70; 80 3,42: 52; 53 A.20; 56f. 3,421f.: 541f. 3,46:

52; 56f.

3,48: 78 A.56 3,82: 31 3,152f.: 39 3,152 ff.: 37 3,153: 25ff.; 32£.; 33 A. 51; 35; 39; 41 A. 73; 44; 59 A.45; 60; 152 A.136; 218 A.28; 310 3,170: 33; 37 3,172: 61. 3,182: 274 A.23 3,187£.: 61 A.52 3,188: 62 A.52 3,201: 35 parad. 41: 69 A.18 part. 17: 40 19: 38 53: 36 A.60 72: 36; 40 A.71; 44 Phil. 2,54: 29; 60 3,22: 173 9,13: 117 ad Q. fr. 2,14 (13),2: 53 A.21 Quinct.

71:

30 A.33

p. red. in sen. 36: 280 A.38 rep. 2,11: 27 A.22 2,40: 28 6,2,2: 51 A.13 6,23: 28 Q. Rosc. 8: 233 S. Rosc. 131: 283

top. 36: Tusc.

118

2,3:

166

2,5: 191 3,14: 134 3,20: 80 A.65 Verr. II 1,31:

Il 5,167: Coelius Antipater hist. 3: 218 4: 218 5: 218

372

53 A.21

248 A.78

Coelius Antipater hist. 7: 218f. 9: 218 A.28; 219f. 12: 220 16: 220 24 A: 220 4.38 25: 211 A.5; 218 A. 28; 220 30: 220f. 38: 221 43: 218 A.28 44: 221 45: 221ff. 46: 222 47:

222; 223

48: 222f. 50: 217 A.26 57: 218 A.28 58: 218 A.28; 223 59: 223 64: 223 Columella 1,8,2: 243 4,29,13: 269 A.8 Cornelia epist. frg. 2: 232f. Demetrios (?)

de el. 91: 33 A.50 177: 57 A.36 234: 46 Ps. Demosthenes

59,78:

33 A.52

Dionys v. Halikarnaß

op. rhet. I 3,10ff. Us.-Rad.: 157 I 210,9 ff. Us.-Rad.: 27 A.26 I 211,20 Us.-Rad.: 191 A.37 I 307,25 ff. Us.-Rad.: 160 A.23 I 361,4 ff. Us.-Rad.: 158 A.15 I 409,16 ff. Us.-Rad.: 33 A.52;44f. 1 409,18£f. Us.-Rad.: 158 I 409,26 ff. Us.-Rad.: 158 1411,9 Us.-Rad.: 45 Ps. Dionys v. Halikarnaß

op. rhet. H 365,3 ff. Us.-Rad.: Dionysios Thrax

ars p. 5,2 Uhlig:

74 A.40

Dolabella

Cic. fam. 9,9,1: 124f. 9,9,2: 125 9,9,3: 125f. Duronius or. frg. 68,1

Malc.:

293

A.3

58 4.38

Ennius

A. Gellius

ann. 47: 137:

30 220 A.36

1,10,1: 1,10,4:

348 A.29 348 A.29

344:

232 A.20

1,11,9:

206 A.43

457: 27 527: 27 frg. var. 109: 27 A.21 scaen. 116: 263 A.123 426: 301

1,15,18: 206 Α. 42 1,16: 80 A.67 1,22,7: 150 A.124 1,22,19: 142 A.102 2,10,1: 118 3,2,3: 229 A.9

Fannius hist. 2: 214f. Festus u. Paulus Festus p. 15: 52 A.19 p. 102: 25 A.15

3,2,4: 3,7,6: 3,8,1: 3,8,7: 3,14:

p. 234: 76 A.49

4,15,1: 206 A.42

p. 352: 338 A.13 Fortunatianus

rhet. 3,4 p. 123,4 ff.:

229 A.9 310 A.35 300 A.8 246 76

4,16,1: 5,21,6:

45

6,9:

Fronto

271 259

262

6,14,6:

p. 56,23 v. d. H. (2 p. 62 N.): 206 A.42 p. 56,23f. v.d.H. (= p.62 N.): 331 A.95 p. 56,23 ff. v. d. H. (= p. 62 N.): 266; 268; 337 A.7 149

p. 56,25 ff. v. d. H. (7 p. 62 N.):

A.121

74 A.43

6,18,11: 294 A.4 75,1: 118 A.8 7,14,9: 241 A.54 9,11,3ff.: 213 A.14 9,13,4:

p. 57,2 f. v. d. H. (2p. 62 N.): 217; 223 p. 57,20 ff. v. d. H. (2 p. 63 N.): 39 A.66

238

10,1,6 ff.: 223 10,3: 181 A.19 10,3,4:

p. 58,1£. v. d. H. (= p. 63 f. N.):

36

213 A.14

9,11,10:

79 A.61

10,3,15f.:

191 A.38

A. 61

10,21,1:

17 A.20

10,24,2:

220

149 4.122

10,26,1:

p. 117,6 ff. v. d. H. @ p. 123 N.): p. 120,7 ff. v. d. H. @ p. 126 N.): 142 A.99

11,7:

p. 131,13ff. v. d. H. @ p. 113f. N.): 149 A.121

323 A.71

240 A.47 142 A.99

11,7,1:

39 A.66

12,2,6ff.:

p. 131,15 ff. v. d. H. (= p. 114 N.):

227 A.4

12,4,5:

98 A.60 171

13,20,10:

p. 132,22 v. d. H. (- p. 114 N.): A.5

268

p. 143,20f. v. d. H. (= p. 149 N.): 149 A.121 p. 210,1 v. d. H. (= p. 221 N.): 210 A.4 Galen Gloss. Hippocr. vol. 26 A.17 A. Gellius 1,2,5: 240 A.47 1,10: 142 A.99

11,5,4:

13,25,18f.: 13,29: 45

A.60

72 263

A.122

13,29,1 ff.: 255 13,29,2: 260 14,7,8: 229 A.9 15,6: 263 A.122 15,13,1 f: 143 A.104

19,66 Kühn:

15,13,6: 143 4.104 15,18,2: 210 A.4 17,2,3: 241 17,2,5: 241 17,2,13: 231 17,2,19: 229 A.7

373

A. Gellius 17,2,21: 17,13,5: 19,10: 20,1,15: Cn. Gellius hist. 12: 13: 14: 22: 23: 26: 29: 30: 31: 32: 33:

Livius

203 A.30; 203f. 252 15 A.12; 203 A.30 240 A.47

4,23,1: 151 A.130 7,9,8ff.: 238 A.44 7,10,5: 234 7,10,10: 235 10,14,13: 240 A.47 22,51,2: 211 A.5 31,7,14: 282 A.41 39,43,1: 72 A.31 45,39,15: 14 perioch. 59: 338f.

215f. 215f. 21Sf. 2158. 215f. 216 215f. 216 217 217 217

Ps. Longin

de subl. 12,4:

15 f£: 55 A.31 18: 232 38: 27 358ff.: 52 A.19 570: 28 A.26 626: 27

Gregorius Turonensis Franc. 2,2: 231 A.16 Hemina hist. 22: 24: 29: 31: 37: Horatius

ars 56:

Lucretius

1,86: 221 1,422: 219 1,747: 232f. 3,4: 226 A.57 3,208: 219 Lukillios Anth. Pal. 11,142:

211f. 213 211 A.5 212 49; 211f.

338

carm. 2,15,10ff.: 178 A.9 3,6,37 ff.: 55 A.30 3,21,11: 178 A.9 epist. 2,1,50ff.: 81 bes. A. 72 2,1,80ff.: 62 A.53 2,2,115 ff.: 36 2,2,117: 178 A.9; 338 sat. 1,4,13: 174 1,6,82ff.: 230 A.13 1,9,64: 246 A.70 1,10,20 ff.: 55 A.31 Itala II Macc. 12,37 (cod. Ρ): Iulius Victor

rhet. 27 p. 447,37 ff.:

214 A.16

47

Laelius or. frg. Cic. de orat. 3,153: Livius

praef. 1: 200 A.20 7: 200 A.20 2,14,2: 196

374

95

Lucilius

28 A.26

167

Macer hist. 7: 287 20: 218; 287 21: 287f. 22: 288 24: 288 25: 288 Macrobius Sat. 1,5,5: 80 A.67 1,5,10: 80 A:67 1,15,21: 171f. Mancia or. frg. 71,1 Malc.: 275 Martialis 5,10: 109 A.90 Menander, Rhetor Rhet. Gr. III 339,14 ff. Sp.: 33 A.52 Rhet. Gr. II 339,15 ff. Sp.: 28 A.26 Messalla or. frg. 176,23 Malc.: 59 A.46 Mctellus Macedonicus or. frg. 18,5 Malc.: 28f.

Nepos Alc. 4,4: Cato 3,5:

Plautus

Amph. 690:

31 A.37 337

Asin.

17:

27 142

462: 134 A.69 638: 134 A.69 Cas. 290f.: 127 Cist. 688: 134 A.69

Dion 5,4: 31 A. 37 frg. 57 Malcovati: 70 Milt. 2,3: 128 A.45 Paus. 1,3: 246 Them. 7,4: 31 A.37 Nigidius Figulus

Curc.

gramm. frg. 165,10 Fun.: 52 A.19 166,12 Fun.: 52 A.19

148:

125

Epid. 39: Mil. 893: 1011:

280 134 A.69 134 A.69 27

Fun.:

54 A.26

Most.

169,23 Fun.:

52 A.19

171,27

53

Rud. 228: 127f. 956a: 254 A.97 958: 254 A.97

168,21

Fun.:

Nonius

p.40,5f.: p. 57,23:

280 221

p. 480,27: p. 484,19:

Plinius maior A.40

dub. serm. frg. 255,27 Mazz.: nat. 7,103: 230 A.12 35,90: 244 A.65 Plinius minor

269 A.10 271 A.14

epist.

Ovidius rem. 625:

2571.

Pacuvius trag. 319:

28 A.26

Pap. Corp. 307,8f.:

7,2:

219 A.34 Sudh.):

vit. sophist. 1, pr. p. 2,26 ff. Kayser (ed. min.): 157 A.10 p. 21,26 ff. Kayser

157 A.10 129 A.50

10,4,2: 129 A.50 10,4,4: 129 A.50 10,8: 132 10,8,6: 129 10,11,2: 129 A.50 10,17,3: 129 10,18,2: 130f. 10,18,3: 129 A.50 10,21,3: 129 A.50; 131 f. 10,23,3: 129 10,24,7: 129 A.50 Plato

Lg. 816 b 1:

26 A.16

(ed. min.):

71 A.28

179 A.13

Ti. Gracchus

Philostratos

10,4,1:

88

Ant. 2,7: 173 Cato major 4,1:

163 A.29

Plancus Cic. fam.

1,2,2:

244 Α. 63

1,2,2f.: 86f. 1,16,6: 55.4.29 2,5,5: 45 Plutarch

Philodem rhet. 4 col. 7,14 ff. (I p. 151

1,19,1

18:

2,2:

79 A.61

Pollio

Cic. fam. 10,31,1: 142 4.102 10,32,2: 142 A.101 10,32,5: 142 4.102 10,33,1: 142 10,33,5: 142 gramm.

frg. 495,1

Fun.:

316ff.

499,6 Fun: 141 A.98 hist. 5: 143ff. or. frg. 174,43 Malc.: 143 174,46 Malc.: 143 174,47 Malc.: 142 4.102 Pompeius

Magnus

Cic. Att. 8,12, D2:

121 A.19

Pompeius Trogus

Iust. 38,3,11:

336 A.4

Pomponius Atellanarum

scriptor

Atell. 18: 246 A.71 Pomponius iurisconsultus dig. 1,2,2,46: 149ff. Porphyrio Hor.

carm.

2,6,5:

18 A. 22

375

Poseidonios FGrHist 87 F 112,3 (= Exc. de virt. I 310,22): 71 A.28 Priscianus gramm. II 243,2£.: 287 bes. A.53 1 347,2£.: 212 4.10 II 396,10 ff.: 252 A.88 Prokopios v. Gaza epist. 116: 33 A.52 Propertius 2,24b, 25: 228 A.6 Quadrigarius

hist. 1: 228 : 228f. 229 229 229 f. 230f. 231 : 231 10b: 231ff. 11: 239 12 s. Ps. Quadrigarius 13: 239 15: 239f. 16: 240 17: 240 19: 240f. 20: 203f.; 241 22: 241 23: 241 24: 241 25: 241 f.

376

27: 28: 29: 30: 32: 33: 37: 38: 39: 41: 43: 44: 45:

242; 287 A.53 242ff. 244 244 212 A.12; 221 A.41 244 244 244f. 245. 246ff. 248f. 249 249f.

46:

250

47: 48: 49: 50:

250f. 251 251 252

Quadrigarius hist. 54: 252 55: 252 56: 252 58: 252f. 59: 253 60: 240 A.48; 253 61: 254 70: 252f. 71: 254 72: 254 73: 74:

254 254

75: 76: 77: 78: 79: 81: 82: 83: 85: 87: 88: 89: 90: 93: 94: 95: 96:

254f. 255f. 256 256 256 256 257 257 257f. 258 259 259 259 259 259f. 260 260

Ps. Quadrigarius

hist. 12:

213 A.14; 263f.

Quintilianus

inst. 1,1,13: 56 A.31 1,4,17: 52 A.19 1,5,13: 58 A.40 1,5,63: 80 A.67 1,6,2: 79f. 1,6,12: 75 A.46 1,6,39: 39 A.69 1,6,39ff.: 38f. 1,6,40: 37 1,6,42: 39 4.69; 80 A.65; 100 A.67/8; 134 A.71 1,811: 81 2,5,1: 70 A.24 4,1,58£.: 40 A.71 4,2,36: 38; 45 A.6 4,2,45: 205 6,2,30: 243 A.62 6,3,86: 81 8 pr. 31: 41;45 A.6

Quintilianus inst. 82,12:

Rhetorica ad Herennium 2,20,33: 65

37£.;41£.,45 A.6

8,2,18:

200f.

4,1,1ff.:

8,3,21: 8,3,24:

203f. 40 A.71

4,1,2: 4,2,2:

70 A.22 64ff.

4,3,5:

65f.

8,3,24 ff.:

371f.;39 A.68

8,3,26: 31 A.42 8,3,27: 13 A.7; 26 A.19; 30 A.35; 40 8,3,27 tf.: 38 8,3,29: 328 A.84; 332 A.99 8,6,14: 310 A.35 8,6,15: 203 A.30 9,3,6f.: 25 A.14 9,3,12: 206 A.42 9,3,13:

173f.

9,3,17:

206 A.42

9,4,15:

177 Α.5

9,4,19:

46f.

10,1,31:

Catil.

86

45

10,1,31ff.: 70 A.24 10,1,32: 205 10,1,99f.:

4,5,5f.: 70 A.22 4,,7: 65 A.1 4,10,14: 243 A.60 4,10,15: 23ff. 4,12,17: 50 4,12,18: 70 A.22 4,16,23: 65 A.2 4,35,47: 65 Sallustius

9,4,63f.: 91 A.39 9,4,142: 85 A.12 9,4,145f.:

64f.

8,1 ff.:

10,3:

196

71

14,2:

302

16,3: 31,2:

315 A.46 315

36,5:

308 A.31

51,1:

305

S1,11: 315 56,3: 306

110 A.94

hist. frg. 1,4:

10,1,101 ff.: 145 A.113

1,8:

335

A.104

200 A.20

10,1,106:

95

1,46:

308 A.31

10,1,113: 10,1,115:

137; 140f.; 145f. 88; 132

2,16: 3,70:

326 311

10,1,116:

124

4,46:

308 A.31

308 A.31

137; 139 ff.; 170

10,2,21:

45

hist. frg. inc. 32:

10,2,25:

137

Iug. 4,6:

10,5,4: 11,1,6:

116f.; 117 A.6 40 A.71

11,3,10:

53;

11,3,30:

54 A.27

57£.;

137

A. 56

4,85:

10,2,17:

306 A.26

196

6,3: 305 14,20: 305 15,2:

306

24,2:

304f.

11,3,133: 87 A.21 12,1,22: 85; 137 12,10,11: 132; 137 12,10,12: 85 A.10

25,9: 29,5: 30,4: 31,1:

305 308 A.31 305 304f.

12,10,12£.: 139 12,10,21: 104 A.84 12,10,21f.: 97 A.54

31,8: 311 31,11: 306 31,17: 306

12,10,27—39:

67,1:

109 ff.

12,10,36: 12,10,40:

111 A.96 137

12,10,57:

54 A.26

85,8:

85,10: Rhetorica ad Herennium

1,7,11:

36 A.59

306

72,2: 315 85,1f.: 305

93,4:

306

311 306

epist. Mithr. 17:

197

377

Sallustius or. Lep. 3: 28 15: 307 A.28 or. Phil. 6: 304 A.17 Sall. (?) rep. 2,4,2:

164 A.34

2,9,3: 164 A.34 2,11,6: 341 2,12,5: 342 2,12,6: 197 2,13,6: 342

43,11 Malc.:

63 A.55

271 A.13

Scipio minor

or. frg. 21,16 Malc.: 49 A.10 21,27 Malc.: 49 A.10 21,30 Malc.: 49 Seneca pater contr. 1 praef. 9: 338 A.10 1,2,21: 204 A.35 3 praef. 8: 148f.; 336 3 praef. 14: 148 A.120 4 praef. 3: 138 A.84; 141 4 praef. 9: 202 A.28 7,4,6: 87f. 7,,7: 87 7,4,8: 84ff. 9,1,13: 336 9,1,13£.: 200f. 9,2,25: 204 A.35 9,2,26: 38 A.64; 201 ff.; 203 A.30 suas. 2,13:

242 A.58

6,14: 201 A.22 6,15: 317 A.55 6,21: 201 A.22 6,24: 143ff. 6,25: 145 6,27: 139 A.92 Seneca philosophus epist.

100,7:

137;

hist. 7:

8: : : : :

Scaurus hist. 3: 226 4: 226 5: 226 6: 224 A.50; 225 A.54 or. frg. 43,7 Malc.:

Sisenna

:

296; 306 269; 306 2691. 270 210 270 270 271 306 271

:

271

271 272 272 : 221; 272.

:

:

273

: :

273 273

:

2731.

214 : : : :

274 274 275 275

275 275 275 275 : 221; 275 : 275. : 276 : 276 :

276

: : :

276 220; 276 276 276

:

280 A.37

: 276 : 276 : 276 : 277 140 A.95

100,9: 140 A.95 114,17: 169; 199 A.18

:

271

:

277 271 277

Servius Aen.

6,544:

18 A.22

Servius auctus Aen.

10,314:

Sisenna hist. 3:

378

269

236

: : :

277 2771. 278

:

218. 279

Siserina hist. 107: 279f. 108: 280 110: 280 112: 280f. 115: 281 117: 281 119: 281 120: 281 122: 281 123: 281ff. 125: 283 126: 283 127: 283 128: 283 130: 283f. 131: 284 132: 284 134: 273; 284 135: 284 136: 284 137: 284 138: 284 139: 284 140: 242 A.58 141 = gramm. frg. 128,2 Fun.:

142: 143:

Sulpicius Rufus Cic. fam. 4,5,4:

Symmachus epist. 3,44,1:

3,16,3: 305 A.19 14,20,4: 243 A.62 dial. 14,4: 101 A.69 18,1: 97ff.; 132 18,2ff.: 106ff. 18,4: 108f. 18,5: 85 21,1: 95 A.50 21,4 f: 99

21,2: 285

Suetonius Aug. 84,1: 161 A.25 86,1: 35; 42

86,1ff.: 163 ff. 86,2: 173 A.62 86,2f.: 173 86,3: 154; 171ff.; 326 89,2: 338f. Cal. 39,1: 327 A.81 Dom. 6,1: 317 A.53 gramm. 10,2: 42; 141 A.99; 206 A.42

Cic. fam. 4,5,1:

4,5,2: 4,5,3:

119f. 120

119

46 A.1

Tacitus ann.

285 285

10,2ff.: 316ff. 10,7: 206 A.42; 319 A.58; 11,1: 322 A.65 15,1f.: 326ff. 15,2: 330 25,4: 161 A.25 Iul. 55,2: 72 A. 30 Tib. 71: 56 A.31 Tit. 10,1: 27 A.24 Sulpicius Rufus

120ff.

4,5,5: 122 4,5,6: 122. 4,12,1: 120 4,12,2: 120 £.; 123 4,12,3: 123 Sulpicius Victor rhet. 15 p. 321,5 ff.: 40 A.72

322 A.64

87

21,3: 135f. 21,3f.: 132 21,7: 137;146 21,7£.: 140f. 22, f.: 108f. 22,5: 35 A.58 23,2: 59 A.41 24,2f.:: 98 A.58 25,6: 137 25,7: 99 Terentius Ad. 746: 282 A.41 Haut. 919: 121

Hec. 423:

27

Theon

Rhet. Gr. II 81, 18£. Sp.:

26 A.17

Trag. inc.

80: 28 Tubero hist. 3: 5: 9: 13:

A.26 151 151 A.132 151 151 A.132; 223

Valerius Antias

hist. 16: 262 21: 300 A.8 45: 199 A.16

379

Valerius Antias

hist. 57: 59: 60: 62: 65:

Varro

262 199 A.16; 262 262 262 262

Valerius Maximus

9,19 ff.:

2,2,21.: 56 A.31 2,9,5: 293 A.3 3,4,6: 337 A.9

Men.

frg. Char. gramm. p. 154,21 B. (ex Romano):

1,48,2:

frg. Non. p. 144,3: 220 A.38 gramm. frg. 192,12 Fun.: 58 A.40 198,31 Fun.: 76 Fun.

(de serm. Lat. IID:

76 f. 229,114 Fun.: 265,234 Fun.: 310,294 Fun.:

75 A.45 73 A.40 76f.

324,308

75 A.45

Fun.:

330,322 Fun.: 74 A.43 332,324 Fun.: 75 A.45 360,423 Fun.: 76 ling. 5,9: 26 A.16 5,18:

212 A.10

5,87:

341 A.5

5,148f.:

75

375:

29

rust. 1,2,14:

71 A.26

201,36

267 f.

9,22: 55 A.29 9,68: 300 A.8 9,107: 76£.; 222

Varro

52 52

2 praef. 1: 55 A.30 3,11,4: 31 3,16,32: 31 Vatinius

Cic. fam. 5,9,1: 126f.; 246 A.73 5,9,2: 127 5,10 a,1: 127f. Quint. inst. 6,3,60: 128 Velleius

1,17,2£.: 337 A.9 2,36,2: 146 A.116 2,68,1: 1321. 2,127,4: 144 Vergilius

Aen. 2,14: 5,699:

catal. 2:

221 230

5,150:

75

5,154:

75

2,2f.:

5,162: 5,165:

53 75

2,5: 153 A.2 9,31: 235 A.33

5,177:

53

5,184: 31 6,46: 252 A.88 6,53: 30

380

ling. 6,59: 12 A.5 6,90 ff.: 74 A.43 7,58: 75 7,4: 53 8,73: 75 A.45

ecl. 5,24:

153f.; 160 ff.; 332 A.99 154 A.3

131

georg. 3,39: 230 A.14 3,105 (= Aen. 5,137): 4,450: 30

235 A.33