Telemedizin: Grundlagen und praktische Anwendung in stationären und ambulanten Einrichtungen [1. Aufl.] 9783662606100, 9783662606117

Das vorliegende Buch gibt einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand und die Entwicklungen im Bereich der Tele

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German Pages XVI, 502 [491] Year 2021

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Telemedizin: Grundlagen und praktische Anwendung in stationären und ambulanten Einrichtungen [1. Aufl.]
 9783662606100, 9783662606117

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVI
Front Matter ....Pages 1-1
Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie: Begriffserklärungen (Rainer Beckers, Gernot Marx)....Pages 3-8
Rechtliche Aspekte der Telemedizin (Karsten Fehn)....Pages 9-52
Qualitätssicherung in der Telemedizin (Rainer Beckers, Lisa Stellmacher)....Pages 53-71
Datenschutz in der Telemedizin (Thomas Jäschke)....Pages 73-78
Fernbehandlung (Franz Bartmann)....Pages 79-86
Front Matter ....Pages 87-87
Telemedizin in der Intensivmedizin (Gernot Marx)....Pages 89-103
Telemedizin in der Anästhesiologie (Michael Czaplik, Rolf Rossaint, Andreas Follmann)....Pages 105-111
Telemedizin in der Schmerztherapie (Carla Nau)....Pages 113-122
Telemedizin in der Kardiologie (Friedrich Köhler, Sandra Prescher, Sebastian Spethmann, Kerstin Köhler)....Pages 123-135
Telemedizin in der Notfallmedizin (Andreas Follmann, Marc Felzen, Rolf Rossaint, Michael Czaplik)....Pages 137-147
Telemedizin in der Palliativmedizin (Roman Rolke)....Pages 149-157
Telemedizin in der Radiologie (Maximilian de Bucourt)....Pages 159-169
Telemedizin in der Neurologie (Carsten M. Klingner, Albrecht Günther, O. W. Witte)....Pages 171-186
Telemedizin in der Traumatologie (Philipp Lichte, Felix Bläsius, Frank Hildebrand)....Pages 187-192
Telemedizin in der Psychiatrie (Neeltje van den Berg, Hans-Jörgen Grabe, Ulrike Stentzel, Wolfgang Hoffmann)....Pages 193-202
Telemedizin in der Hämatologie und Onkologie (Steffen Koschmieder, Tim H. Brümmendorf)....Pages 203-208
Front Matter ....Pages 209-209
Arzneimitteltherapiesicherheit (Albrecht Eisert, Julia Amkreutz, Claudia Langebrake)....Pages 211-219
Arzt-Patienten-Portale (Sven Meister, Salima Houta, Stefan Becker, Lothar Schöpe, Rainer Surges)....Pages 221-228
THALEA (Gernot Marx)....Pages 229-232
Front Matter ....Pages 233-233
Telemedizinische Rehabilitationsplanung: Das Aachener Modell (Philipp Lichte, Felix Bläsius, Frank Hildebrand, Hans-Christoph Pape)....Pages 235-240
Telemedizinische postoperative Versorgung herzchirurgischer Patienten (Rachad Zayat, Jan Wilhelm Spillner, Rüdiger Autschbach)....Pages 241-249
Front Matter ....Pages 251-251
Telemedizin bei außerklinischer Beatmung, in der Schlafmedizin und bei Sauerstofflangzeittherapie (Christian Cornelissen)....Pages 253-258
Telepflege – Telemedizin in der Pflege (Rainer Beckers, Veronika Strotbaum)....Pages 259-271
Telemedizinische Betreuungsmodelle bei Diabetes mellitus (Stephan Martin)....Pages 273-280
Telemedizin bei Herzinsuffizienz (Christiane E. Angermann)....Pages 281-298
Telemedizin bei Hypertonie (Martin Middeke)....Pages 299-309
Online-Arztvisite (Michael Czaplik)....Pages 311-314
Telemedizin im Offshore Bereich (Daniel Overheu, Rüdiger Franz, Andreas Weyland)....Pages 315-324
Front Matter ....Pages 325-325
Teleneuromonitoring bei Aortenchirurgie – Ein europäisches Netzwerk (Werner H. Mess)....Pages 327-335
Ausgewählte Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Fernbehandlung in der EU (Erik Hahn)....Pages 337-350
Front Matter ....Pages 351-351
Digitale Agenda (Klaus Juffernbruch)....Pages 353-359
Telematikinfrastruktur (Markus Leyck Dieken)....Pages 361-373
Interoperabilitätsverzeichnis vesta (Andreas Grode, Sophia Lückhof)....Pages 375-387
Interoperabilität – IT-Standards für telemedizinische Netze (Sylvia Thun)....Pages 389-399
Die elektronische Fallakte (Sven Meister, Salima Houta)....Pages 401-409
App-gestütztes multidimensionales Selbstmanagement (Peter Haas, Bernd Leicher, Tim Terlohr)....Pages 411-422
Big Data und künstliche Intelligenz in der Medizin (Pejman Farhadi, Konstantin Sharafutdinov, Jayesh Sudhir Bhat, Andreas Schuppert)....Pages 423-436
Der vernetzte Operationssaal (Verena Voigt, Rolf Rossaint, Michael Czaplik)....Pages 437-442
Front Matter ....Pages 443-443
Mobile Interaktion (Klaus Juffernbruch)....Pages 445-450
Ambient Assisted Living (Martina Ziefle)....Pages 451-466
Robotische Unterstützung in Therapie und Pflege (Catherine Disselhorst-Klug)....Pages 467-476
Dauerhafte Implementierung von Projekten (Carolin Nätzer, Saskia Deffge, Günter van Aalst, Veronika Strotbaum)....Pages 477-481
Telemedizin – Bewertung des Nutzens (Daniel Gensorowsky, Michael Dörries, Wolfgang Greiner)....Pages 483-496
Back Matter ....Pages 497-502

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Gernot Marx · Rolf Rossaint Nikolaus Marx Hrsg.

Telemedizin Grundlagen und praktische Anwendung in stationären und ambulanten Einrichtungen

Telemedizin

Gernot Marx · Rolf Rossaint · Nikolaus Marx (Hrsg.)

Telemedizin Grundlagen und praktische Anwendung in stationären und ambulanten Einrichtungen

Hrsg. Gernot Marx Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

Rolf Rossaint RWTH Aachen Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

Nikolaus Marx Medizinische Klinik I Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Nordrhein-Westfalen Deutschland

ISBN 978-3-662-60610-0 ISBN 978-3-662-60611-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 7 http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Fotonachweis Umschlag: © ipopba/stock.adobe.com Umschlaggestaltung: deblik Berlin Planung/Lektorat: Anna Kraetz Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort Welcome to the future! 5 Telemedizin ermöglicht eine Patientenversorgung unabhängig von Raum und Zeit unter Zuhilfenahme moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. 5 Telemedizin stellt Expertenwissen zeitnah und bedarfsgerecht zur Verfügung. 5 Telemedizin ermöglicht sektorenübergreifende interdisziplinäre Zusammenarbeit durch strukturierte Vernetzung der Behandler. Die Geschwindigkeit und Dynamik der Entwicklung von Telemedizin, fortschreitendender Digitalisierung und Anwendung von künstlicher Intelligenz eröffnen neue Horizonte für Ärzte und Patienten. Ärzte und Patienten können vom individualisierten und schnellen Zugang zu medizinischen Therapien und Produkten sowie von frühzeitiger Intervention und Nutzung optimaler diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten profitieren. Dieses Potential zu nutzen, ist wichtig, um auch zukünftig eine bestmögliche Gesundheitsversorgung der Bürger mit hoher Qualität und Zugänglichkeit in jeder Region sicherzustellen. Im Jahr 2030 werden in Deutschland voraussichtlich über 100.000 Ärzte fehlen. Schon jetzt weist Deutschland EU-weit die älteste und weltweit nach Japan die zweitälteste Bevölkerung auf. Vor diesem Hintergrund muss die Versorgungsstruktur durch forcierte Digitalisierung flexibler und leistungsfähiger werden. Die Frage ist nicht ob, sondern wie tiefgreifend der digitale Wandel unser Gesundheitswesen verändern kann, um auch in Zukunft eine flächendeckende, hohe Behandlungsqualität zum Wohl der Patienten zu erreichen. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, die vorhandenen dezentralen Strukturen sektorenübergreifend digital zu vernetzen. Hier stellt Telemedizin die erforderliche Plattform bereit. Für den digitalen Bereich weisen Lehrbücher eine gewisse Problematik auf. Auf der einen Seite bietet ein Standardlehrbuch eine substantielle und umfassende Grundlage zur Fort- und Weiterbildung und dient als Nachschlagewerk für den klinisch Tätigen. Auf der anderen Seite erstreckt sich die Erstellung eines solchen Standardlehrbuches über einen längeren Zeitraum, so dass die Gefahr besteht, dass beim Erscheinen einige Inhalte bereits nicht mehr aktuell sind. Dies ist beim Thema Telemedizin und Digitalisierung besonders deutlich und bitten diesen Umstand bei der Lektüre des Buches zu beachten, zumal die Erstellung der Kapitel bereits im Jahre 2019 erfolgt ist. Dennoch erschien es uns als Herausgeber wichtig, einmal eine Basis und einen Überblick zusammenzutragen, damit neugierige oder interessierte Kolleginnen und Kollegen Anregungen bekommen und von Experten Informationen zum Thema fokussiert zusammengetragen und interpretiert erhalten. Dies erlaubt dem Leser, sich selbst einen Überblick in das faszinierende Segment zukunftsweisender Medizin zu verschaffen.

VI

Vorwort

Der Springer-Verlag ist mit uns gemeinsam dieses Wagnis eingegangen. Wir danken allen Mitarbeitern des Verlages sowie allen Autoren für ihren engagierten Einsatz bei der Erstellung dieses innovativen Buches. Wir wünschen Ihnen, dass Ihnen das neue Standardwerk zur Telemedizin ein wertvoller Ratgeber ist. Viel Freude beim Lesen und Erfolg bei Ihrer Arbeit Gernot Marx Rolf Rossaint Nikolaus Marx

Aachen im Oktober 2020

VII

Inhaltsverzeichnis I

Definitionen und Grundlagen

1

Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie: Begriffserklärungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Rainer Beckers und Gernot Marx

2

Rechtliche Aspekte der Telemedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Karsten Fehn

3

Qualitätssicherung in der Telemedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Rainer Beckers und Lisa Stellmacher

4

Datenschutz in der Telemedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Thomas Jäschke

5

Fernbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Franz Bartmann

II

Modelle und Konzepte in der Akutmedizin und stationären Versorgung

6

Telemedizin in der Intensivmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Gernot Marx

7

Telemedizin in der Anästhesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Michael Czaplik, Rolf Rossaint und Andreas Follmann

8

Telemedizin in der Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Carla Nau

9

Telemedizin in der Kardiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Friedrich Köhler, Sandra Prescher, Sebastian Spethmann und Kerstin Köhler

10

Telemedizin in der Notfallmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Andreas Follmann, Marc Felzen, Rolf Rossaint und Michael Czaplik

11

Telemedizin in der Palliativmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Roman Rolke

12

Telemedizin in der Radiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Maximilian de Bucourt

13

Telemedizin in der Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Carsten M. Klingner, Albrecht Günther und O.W. Witte

VIII

Inhaltsverzeichnis

14

Telemedizin in der Traumatologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Philipp Lichte, Felix Bläsius und Frank Hildebrand

15

Telemedizin in der Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Neeltje van den Berg, Hans-Jörgen Grabe, Ulrike Stentzel und Wolfgang Hoffmann

16

Telemedizin in der Hämatologie und Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Steffen Koschmieder und Tim H. Brümmendorf

III

Sektorenübergreifende Themen

17

Arzneimitteltherapiesicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Albrecht Eisert, Julia Amkreutz und Claudia Langebrake

18

Arzt-Patienten-Portale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Sven Meister, Salima Houta, Stefan Becker, Lothar Schöpe und Rainer Surges

19

THALEA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Gernot Marx

IV

Modelle und Konzepte in der Rehabilitation

20

Telemedizinische Rehabilitationsplanung: Das Aachener Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Philipp Lichte, Felix Bläsius, Frank Hildebrand und Hans-Christoph Pape

21

Telemedizinische postoperative Versorgung herzchirurgischer Patienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Rachad Zayat, Jan Wilhelm Spillner und Rüdiger Autschbach

V

Modelle und Konzepte in der ambulanten Versorgung

22

Telemedizin bei außerklinischer Beatmung, in der Schlafmedizin und bei Sauerstofflangzeittherapie. . . . . . . . . . . . . . 253 Christian Cornelissen

23

Telepflege – Telemedizin in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Rainer Beckers und Veronika Strotbaum

24

Telemedizinische Betreuungsmodelle bei Diabetes mellitus . . . . 275 Stephan Martin

25

Telemedizin bei Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Christiane E. Angermann

IX Inhaltsverzeichnis

26

Telemedizin bei Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Martin Middeke

27

Online-Arztvisite. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Michael Czaplik

28

Telemedizin im Offshore Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Daniel Overheu, Rüdiger Franz und Andreas Weyland

VI

Blick in die EU- und Nachbarländer

29

Teleneuromonitoring bei Aortenchirurgie – Ein europäisches Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Werner H. Mess

30

Ausgewählte Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Fernbehandlung in der EU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Erik Hahn

VII Interoperabilität 31

Digitale Agenda. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Klaus Juffernbruch

32

Telematikinfrastruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Markus Leyck Dieken

33

Interoperabilitätsverzeichnis vesta. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Andreas Grode und Sophia Lückhof

34

Interoperabilität – IT-Standards für telemedizinische Netze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Sylvia Thun

35

Die elektronische Fallakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Sven Meister und Salima Houta

36

App-gestütztes multidimensionales Selbstmanagement . . . . . 411 Peter Haas, Bernd Leicher und Tim Terlohr

37

Big Data und künstliche Intelligenz in der Medizin. . . . . . . . . . . . . . 423 Pejman Farhadi, Konstantin Sharafutdinov, Jayesh Sudhir Bhat und Andreas Schuppert

38

Der vernetzte Operationssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Verena Voigt, Rolf Rossaint und Michael Czaplik



X

Inhaltsverzeichnis

VIII Perspektiven 39

Mobile Interaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Klaus Juffernbruch

40

Ambient Assisted Living . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Martina Ziefle

41

Robotische Unterstützung in Therapie und Pflege. . . . . . . . . . . . . . 467 Catherine Disselhorst-Klug

42

Dauerhafte Implementierung von Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Carolin Nätzer, Saskia Deffge, Günter van Aalst und Veronika Strotbaum

43

Telemedizin – Bewertung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Daniel Gensorowsky, Michael Dörries und Wolfgang Greiner

Serviceteil Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

XI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Über die Herausgeber Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx, FRCA

Akademischer Werdegang 5 Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bis 1994 5 2000 Habilitation 5 2000–2004 Senior Lecturer in Anaesthesia & Intensive Care, University of Liverpool, UK 5 2004 Vorzeitige Verleihung der Würde „Außerplanmäßiger Professor“ an der MHH 5 2004–2008 C3-Professur auf Lebenszeit für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 5 seit 2008 Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Uniklinik RWTH Aachen 5 2013 Fellow des Royal College of Anaesthetists by election 5 2016 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin Professor Dr. med. Rolf Rossaint

Direktor der Klinik für Anästhesiologie der RWTH Aachen 5 Studium der Humanmedizin bis 1983 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 5 1983–1988 wiss. Mitarbeiter am Zentrum für Anästhesiologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 5 1987 Anerkennung als Arzt für Anästhesiologie 5 1988–1997 Leitender Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Rudolf Virchow der Freien Universität Berlin 5 1990 European Diploma on Intensive Care Medicine 5 1993 Habilitation 5 1993 „E.-K. Frey Preis“, u. a. 5 seit 1997 Direktor der Klinik für Anästhesiologie an der RWTH Aachen 5 seit 2010 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

XII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Univ.-Prof. Dr. med Nikolaus Marx

Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und lnternistische lntensivmedizin der RWTH Aachen 5 Studium der Humanmedizin bis 1994 in Mainz, Gent und Düsseldorf 5 1994–1997 Arzt im Praktikum und Assistenzarzt 1. Medizinische Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München; Klinikum rechts der lsar; 5 1997–1999 Wissenschaftliche Tätigkeit am Brigham and Women’s Hospital, Harvard Medical School, (Boston, MA, USA) 5 1999–2003 Assistenzarzt; Klinik für lnnere Medizin II; Universitatsklinikum Ulm 5 2002 Hapilitation 5 2002 Facharzt für lnnere Medizin 5 2003 Erwerb der Teilgebietsbezeichnung Kardiologie 5 2003–2008 Qberarzt der Klinik für lnnere Medizin II; Universitätsklinikum Ulm 5 2005 Weiterbildung Spezielle lnternistische lntensivmedizin 5 2005 Ernennung zum außerplanmaßigen Professor 5 2008–2009 Ltd. Oberarzt der Klinik für lnnere Medizin II; Universitätsklinikum Ulm 5 seit 11′2009 Direktor der Medizinischen Klinik I – Kardiologie, und Angiologie an der RWTH Aachen Stipendien/Preise/Keynote Lectures: 2004 Morgagni Young Investigator Award 2004 Merckle-Forschungspreis 2010 Paui-Morawitz-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie

XIII

Autorenverzeichnis Julia Amkreutz  Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Christiane E. Angermann  Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Rüdiger Autschbach  Klinik für Thorax-, Herzund Gefäßchirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Dr. med. Franz Bartmann  Ärztekammer Schleswig-Holstein, Bad Segeberg, Deutschland Stefan Becker  Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Dortmund, Deutschland Rainer Beckers  Zentrum für Telematik und Telemedizin, Bochum, Deutschland Jayesh Sudhir Bhat  Institute for Computational Biomedicine II, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Dr. med. Felix Bläsius  Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf  Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation, Medizinsche Fakultät, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dr. med. Christian Cornelissen  Klinik für Pneumologie und Internistische Intensivmedizin, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland PD Dr. med. Michael Czaplik  Klinik für Anästhesiologie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland PD Dr. med. Dr. rer. oec. Maximilian de Bucourt  Klinik für Radiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Saskia Deffge  Innovationszentrum Digitale Medizin, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Catherine Disselhorst-Klug  Lehr- und Forschungsgebiet Rehabilitations- & Präventions Technik; Institut für Angewandte Medizintechnik, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Michael Dörries  Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Albrecht Eisert  Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Pejman Farhadi  Institute for Computational Biomedicine II, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Karsten Fehn  FEHN Legal, Köln, Deutschland

XIV

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Dr. med. Marc Felzen  Klinik für Anästhesiologie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Dr. med. Andreas Follmann  Klinik für Anästhesiologie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Dr. med. Rüdiger Franz  Klinikum Oldenburg, Universitätsklinik für Anästhesiologie/Intensiv-/Notfallmedizin/Schmerztherapie, Oldenburg, Deutschland Daniel Gensorowsky  Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland Prof. Dr. med. Hans-Jörgen Grabe  Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland Prof. Dr. med. Wolfgang Greiner  Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland Andreas Grode  Strategie und Europa, Gematik GmbH, Berlin, Deutschland Dr. med. Albrecht Günther  Hans-Berger Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Prof. Dr. med. Peter Haas  Medizinische Informatik, Fachhochschule Dortmund, Dortmund, Deutschland Prof. Dr. iur. Erik Hahn  Institut für Gesundheit, Altern und Technik, Hochschule Zittau/Görlitz, Zittau, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Frank Hildebrand  Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann  Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland Salima Houta  Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Dortmund, Deutschland Prof. Dr. Thomas Jäschke  Datatree AG, Düsseldorf, Deutschland Prof. Dr. med. Dipl.-Inform. Klaus Juffernbruch  FOM Hochschule für Ökonomie & Management gGmbH, Neuss, Deutschland PD Dr. Carsten M. Klingner  Hans-Berger Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Prof. Dr. med. Friedrich Köhler  Arbeitsbereich kardiovaskuläre Telemedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Dr. med. Kerstin Köhler  Arbeitsbereich kardiovaskuläre Telemedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Steffen Koschmieder  Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation, Medizinsche Fakultät, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland

XV Herausgeber- und Autorenverzeichnis

PD Dr. Claudia Langebrake  UKE Hamburg, Hamburg, Deutschland Bernd Leicher  Medizinische Informatik, Fachhochschule Dortmund, Dortmund, Deutschland Dr. med. Markus Leyck Dieken  gematik GmbH, Berlin, Deutschland PD Dr. med. Philipp Lichte  Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Sophia Lückhof  Strategie und Europa, Gematik GmbH, Berlin, Deutschland Prof. Dr. med. Stephan Martin  Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum, Düsseldorf, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx  Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Dr. Sven Meister  Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Dortmund, Deutschland Prof. Dr. med. Werner H. Mess  Department of Clinical Neurophysiology, Maastricht University Medical Center, Maastricht, Niederlande Prof. Dr. med. Martin Middeke  Hypertoniezentrum München HZM, Excellence Center of the European Society of Hypertension, München, Deutschland Prof. Dr. med. Carla Nau  Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Hostein, Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland Carolin Nätzer  Innovationszentrum Digitale Medizin, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Dr. med. Daniel Overheu  Klinikum Oldenburg, Universitätsklinik für Anästhesiologie/Intensiv-/Notfallmedizin/Schmerztherapie, Oldenburg, Deutschland Prof. Dr. med. Hans-Christoph Pape  Klinik für Traumatologie, USZ Universitäts Spital Zürich, Zürich, Schweiz Dipl.-Soz.tech. Sandra Prescher  Arbeitsbereich kardiovaskuläre Telemedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Roman Rolke  Klinik für Palliativmedizin, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Rolf Rossaint  RWTH Aachen, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Lothar Schöpe  Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Dortmund, Deutschland



XVI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Andreas Schuppert  Institute for Computational Biomedicine II, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Konstantin Sharafutdinov  Institute for Computational Biomedicine II, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Dr. med. Sebastian Spethmann  Kardiologie, Angiologie, Nephrologie, Medizinische Hochschule Brandenburg – Campus Ruppiner Kliniken, Neuruppin, Deutschland Univ.-Prof. Dr. Jan Wilhelm Spillner  Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Lisa Stellmacher  Zentrum für Telematik und Telemedizin, Bochum, Deutschland Ulrike Stentzel  Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland Veronika Strotbaum  Zentrum für Telematik und Telemedizin, Bochum, Deutschland Rainer Surges  Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland Tim Terlohr  Medizinische Informatik, Fachhochschule Dortmund, Dortmund, Deutschland Prof. Dr. med. Sylvia Thun  Competence Center eHealth, Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland Günter van Aalst  Innovationszentrum Digitale Medizin, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland PD Dr. med. habil. Neeltje van den Berg  Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland Dr. med. Verena Voigt  Klinik für Anästhesiologie, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Andreas Weyland  Klinikum Oldenburg, Universitätsklinik für Anästhesiologie/Intensiv-/Notfallmedizin/ Schmerztherapie, Oldenburg, Deutschland Prof. Dr. med. O. W. Witte  Hans-Berger Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Dr. med. Rachad Zayat  Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. Martina Ziefle  Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland

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Definitionen und Grundlagen Inhaltsverzeichnis 1

Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie: Begriffserklärungen – 3 Rainer Beckers und Gernot Marx

2

Rechtliche Aspekte der Telemedizin – 9 Karsten Fehn

3

Qualitätssicherung in der Telemedizin – 53 Rainer Beckers und Lisa Stellmacher

4

Datenschutz in der Telemedizin – 73 Thomas Jäschke

5

Fernbehandlung – 79 Franz Bartmann

I

3

Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie: Begriffserklärungen Rainer Beckers und Gernot Marx Inhaltsverzeichnis 1.1  Telekooperation: digitale Zusammenarbeit – 6 1.2  Teletherapie: mobil behandeln – 7 1.3  Telemonitoring: objektivierte, datengestützte Nachsorge – 7 1.4  Telemedizin hat Versorgungsbezug – 8

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_1

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R. Beckers und G. Marx

Zum tragenden Organisationsprinzip der Medizin gehört seit jeher, dass Diagnostik und Therapie nur in einem von Arzt und Patient gemeinsam geteilten Ort stattfinden können. Gute Gründe dafür sind die notwendige Vorhaltung der Apparate, die Rolle der körperlichen Untersuchung und das Arzt-Patienten-Verhältnis, welches gewissermaßen taktil initialisiert wird (Iida J, Nishigori H (2016) Physical Examination and the Physician-patient Relationship: A Literature Review.1,2,3 Durch die Digitalisierung wird aber insbesondere die Diagnostik mobil und der Gang in die Arztpraxis tendenziell entbehrlich. Komplexe Diagnostik hat, wie das Beispiel der Smart Watches zeigt, inzwischen sogar in den Alltag Einzug gehalten. Weltweit wird an sog. elektronischer Haut geforscht, deren Trägermaterial mit umfangreicher Sensorik ausgestattet werden kann.4 Hinzu kommen mobile „Selbstbedienungspraxen“ für das Land, in denen der Arzt nur noch per Videochat hinzugeschaltet wird. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, über die Internetmedizin jederzeit an weltweit verteilte ärztliche Spitzenexpertise zu gelangen. Wir befinden uns also de facto in einem Wandel, zwischen dem Extrem eines vollständig digitalen und quasi allwissenden Gegenübers der Internetmedizin und dem Bild des jederzeit verfügbaren, empathischen ärztlichen Zuhörers. Das eine Extrem ist vermutlich nicht wünschenswert, das andere Extrem vermutlich aber nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dessen ungeachtet zeigen die Forschungsergebnisse zur Telemedizin,

dass die großen Potenziale für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung in der digitalen Kooperation liegen, sich also genau zwischen den eben grob skizzierten Extremen befinden.5 Mit Telekooperation kann man nicht nur auf der Intensivstation Leben retten. Mit Teletherapie können Therapien patientenorientierter gestaltet werden, unabhängig von Wohnort und Mobilität. Mit Telemonitoring kann man kooperativ mit allen Heilberuflern chronisch Kranke begleiten. Es ist also für die systematische Diskussion über die sinnvollen Ansätze äußerst hilfreich, auch begrifflich diese Stellgrößen der Digitalisierung auf den Punkt zu bringen. Wie der Name schon sagt, impliziert der Begriff der „Tele-Medizin“ als wortwörtlicher „Fern-Behandlung“, dass durch neue Technologien eine adäquate Alternative zum Präsenzprinzip bereitsteht. Kennzeichnend für alle telemedizinischen Anwendungen ist dementsprechend, dass durch die Übertragung von Daten jedweder Art eine Medizin möglich wird, bei der Arzt und Patient räumlich voneinander getrennt sind. Man kann so gesehen, die gesamte gesundheitspolitische Diskussion und Forschung über und zur Telemedizin auf die Frage kondensieren, inwieweit diese räumliche Trennung riskant, akzeptabel oder sogar sinnvoll und nutzbringend ist (s. oben). Dabei kann es nicht verwundern, dass in diesem fachlichen Diskurs mit Begrifflichkeiten auch inhaltliche Positionen transportiert werden. So ist Telemedizin aus Sicht der Bundesärztekammer eine ausschließlich ärztliche Angelegenheit: Telemedizin »

1 Iida J, Nishigori H (2016) Physical Examination and the Physician-patient Relationship: A Literature Review. 7 https://www.mededpublish. org/manuscripts/59 12.10.2016. 2 Kelly M et al. (2015) Losing touch? Refining the role of physical examination in family medicine. Can Fam Physician 61(12):1041-3, e532–e534. 3 Value of Physical Exam Is Far More Than Meets the Eye. 7 https://www.aafp.org/news/practiceprofessional-issues/20190805physexamstudy.html. (letzter Abruf 14.10.2019). 4 Siehe 7 https://en.wikipedia.org/wiki/Electronic_ skin#References (letzter Abruf 14.10.2019).

ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche

5

Siehe Positionspapier der DGAI und DGTelemed.

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5

Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie …

. Tab. 1.1  Vergleich der Definition zur Telemedizin von Bundesärztekammer (BÄK) und World Health Organization (WHO) eHealth

Beispiele

BÄK

WHO

eCare

Gesundheitsversorgung

Telekonsil, Telekonsultation, Telemonitoring/Remote-Patient-Management

Ja

Ja

eAdministration

Administrative Prozesse

Elektronische Gesundheitskarte (eGK), eArztausweis, elektronische Akten, eRezept

Nein

Nein

ePrevention

Prävention

Altersgerechte Assistenzsysteme (AAL), Coaching

Nein

Ja

eResearch

Forschung

Genomforschung mittels IKT, Trendanalyseninternet (z. B. Google Flu)

Nein

Ja

eLearning

Lehre

Blended Learning über Plattformen (z. B. ILIAS)

Nein

Ja

Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informationsund Kommunikationstechnologien eingesetzt.

Für die WHO ist Telemedizin hingegen eine mittels Informations- und Kommunikationstechnologien gestützte Versorgungsform, bei der alle Berufsgruppen beteiligt sind.

» The delivery of health care services, where

distance is a critical factor, by all health care professionals using information and communication technologies for the exchange of valid information for diagnosis, treatment and prevention of disease and injuries, research and evaluation, and for the continuing education of health care providers, all in the interests of advancing the health of individuals and their communities.6

Außerdem erstreckt sich die Telemedizin dieser Definition zufolge auch auf Prävention, Forschung und Ausbildung. Andererseits intendiert die Definition der WHO, dass Telemedizin nur dann praktiziert wird, wenn die gegebene Distanz zwischen Arzt und Patient einen kritischen Faktor für die Leistungserbringung darstellt. Telemedizin wäre in diesem Sinne nur eine Art Lückenbüßer für die Fälle, in denen die 6 WHO (1998) A health telematics policy in support of WHO’s Health-For-All strategy for global health development: report of the WHO group consultation on health telematics, 11.–16. December 1997, Geneva, World Health Organization.

Präsenzmedizin nicht oder nicht ausreichend vorgehalten werden kann (. Tab. 1.1). Fasst man die neuralgischen Punkte beider Definitionen zusammen, dann erscheint Telemedizin als eine durch Informationsund Kommunikationstechnologien soweit gestützte Versorgung, dass das Präsenzprinzip für die Leistungserbringung entbehrlich wird und die Versorgung ortsunabhängig gestaltet werden kann. Auch wenn man im Sinne der WHO argumentieren könnte, dass Forschung und Lehre elementarer Teil der institutionalisierten Medizin darstellen, gelten für diese doch ganz andere Rahmenbedingungen. Rein begrifflich wird bei der Telemedizin ohnehin ausschließlich die Versorgung adressiert, wenn man unter Medizin die eigentliche Heilkunst versteht. So gesehen, ist es pragmatisch betrachtet, naheliegender die medizinische Lehre eher als ein spezielles Anwendungsgebiet von eLearning zu fassen. Analog kann für die medizinische Forschung argumentiert werden. Digital gestützte Forschungsmethodik (Datenerhebung, Big Data, usw.) ist ein bedeutendes Querschnittsthema aller Disziplinen. Es wäre dementsprechend sehr anspruchsvoll, der Telemedizin eine darüberhinausgehende ureigene Forschungsmethodik zuzusprechen.7 7 Dennoch analog zur WHO: J Craig R, V Patterson (2006) Introduction to the practice of telemedicine. In R Wootton, J Craig, V Patterson, (Hrsg.) Introduction to Telemedicine, Second Edition, CRC Press. Dort auch nachvollziehbare Abgrenzung der Telemedizin zu Telecare und Health-Telematics.

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R. Beckers und G. Marx

Technologische, konzeptionelle und vornehmlich gesundheitsökonomisch relevante regulatorische Herausforderungen haben dazu geführt, dass sich die Entwicklung der Telemedizin im Großen und Ganzen in drei Anwendungsbereiche zusammenfassen lässt8: In Anlehnung an internationale Definitionen und unter Berücksichtigung der gewachsenen Strukturen im deutschen Gesundheitswesen haben sich 5 die Telekooperation, 5 die Teletherapie sowie 5 das Telemonitoring

Telekooperation beschreibt primär die ortsunabhängige Zusammenarbeit zwischen den Professionen, insbesondere natürlich innerhalb der Ärzteschaft. Als Schlüsseltechnologie fungiert die audiovisuelle Kommunikation mit Videokonferenztechnik. Ergänzend zur audiovisuellen Datenübertragung werden auch Patientendaten z. B. aus einer gemeinsam genutzten elektronischen Patientenakte/Fallakte oder über standardbasierte Verfahren wie DICOM-E-Mail ausgetauscht. Das Konsil wird so zum Telekonsil. Regulatorisch war auch die Telekooperation (allerdings bedeutsamer für Telemonitoring und Teletherapie) zunächst noch durch das sog. Fernbehandlungsverbot geprägt, welches haftungsrechtliche Konsequenzen für die Gewährleistung des Facharztstandards hatte. Nach Änderung des betreffenden §  7 in der Musterberufsordnung-Ärzte infolge eines ­ Beschlusses des Deutschen Ärztetages

von 2018 hat sich dies geändert. Die Telekooperation zeichnet sich jetzt dadurch aus, dass es gewissermaßen der alleinigen Organisationsfreiheit der Ärzte unterliegt, welche technische Form der Zusammenarbeit sie bevorzugen. Ernsthafte Herausforderungen entstehen für telekooperative Szenarien erst dann, wenn durch die Digitalisierung die Telekooperation derart skaliert wird, dass sie für telekonsiliarische Dienste eigenständige personelle Ressourcen erfordert. Dafür gibt es kaum vergütungsrechtlich eingespielte Lösungen. Die Weiterentwicklung der Telekooperation in diese Richtung ist allerdings absehbar. Die Teleintensivmedizin ist dafür ein Beispiel, welches nebenbei bemerkt auch zeigt, dass die einzelnen Anwendungsbereiche der Telemedizin miteinander verschmelzen können. In der Teleintensivmedizin begleitet ein per Videokonferenztechnik hinzugeschalteter, erfahrener Intensivmediziner eines Zentrums jede Visite auf einer intensivmedizinischen Abteilung eines peripheren Krankenhauses.10 Da in diesem Fall der Telemediziner u. a. durch unmittelbare Anschauung des Patienten an der Behandlung direkt partizipiert, könnte man auch von teletherapeutischen Elementen in diesem Anwendungsbereich sprechen. Außerdem könnten in weiteren Ausbaustufen auch die Vitaldaten des Intensivmonitorings an das Zentrum übertragen werden, wodurch eine Parallele zum Telemonitoring entsteht. Ein ähnlicher Grenzfall ist der sog. Telenotarzt, der eigentlich den Rettungssanitätern und auch dem fahrenden Notarzt vor Ort telekonsiliarisch zur Seite steht. Andererseits kann er aber auch gestützt auf vorliegende Daten quasi direkt in das Behandlungsgeschehen eingreifen.

8 Auch zur Bedeutung der Rahmenbedingungen: Marx G, Beckers R (2015) Telemedizin in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 58:1053–1055. 9 Dazu auch: Sood S et  al. (2007) What is telemedicine? A collection of 104 peer-reviewed perspectives and theoretical underpinnings. Telemedicine and e-Health 13(5). hrsg. v. Liebert MA, Inc.

10 Marx G, Dusch M, Czaplik M, Balzer F, Brokmann JC, Deisz R et al. (2019) Telemedizin für die vier Säulen der Anästhesiologie. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DG Telemed). Anästh Intensivmed 60:191–207. 7 https://doi.org/10.19224/ ai2019.191.

herauskristallisiert.9 1.1  Telekooperation: digitale

Zusammenarbeit

Telekooperation – Telemonitoring – Teletherapie …

1.2  Teletherapie: mobil behandeln

Teletherapie ist dadurch gekennzeichnet, dass das therapeutische Geschehen von der physischen Anwesenheit des Arztes bzw. Therapeuten vor Ort entkoppelt wird. Das Präsenzprinzip wird vornehmlich durch Videokonferenztechnik ersetzt. Ein naheliegendes Beispiel ist die Durchführung psychotherapeutischer Gespräche mit einem Klienten über die Videokonferenztechnik, bzw. Videochat (Web-RTC). Andere Anwendungen finden sich u.  a. in der Teleneurologie (Medikationsstellung bei Parkinsonpatienten), Telelogopädie (Sprachübung nach Schlaganfall, Stotterertherapie) und Telephysiotherapie. Die Teletherapie benötigt neben der Videokonferenztechnik meistens zusätzlich ein Endgerät auf Seiten des Patienten (PC oder ein Smartphone) mit speziell entwickelter Software (Apps), mit denen der Patient in seinem Umfeld spezifische Übungen durchführt oder diese zumindest dokumentiert. Das digitale Setting ist allerdings in den Vergütungskatalogen und Regulierungen des SGB V und anderer Sozialgesetzbücher nur sehr begrenzt vorgesehen.11 Dies ändert sich erst schrittweise (s. Videosprechstunde). Da die neue Form der Leistungserbringung theoretisch das zugrundeliegende medizinische Modell tangieren könnte, beanspruchen die Vertragspartner der Selbstverwaltung für jedes teletherapeutische Verfahren einen mehrjährigen, aufwendigen Prüfungsprozess zu Wirksamkeit und Nutzen, um eine Vergütung festlegen zu können.12 11 Im EBM, dem Vergütungskatalog für die ambulante Versorgung, gilt in Verbindung mit dem Bundesmantelvertrag der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung. Wenn man diesen z. B. mit der festgeschriebenen Bedeutung der ärztlichen körperlichen Untersuchung verknüpft, muss man daraus folgern, dass wesentliche Leistungen nur dann dem Facharztstandard entsprechend erbracht werden können, wenn das Präsenzprinzip gewahrt bleibt. Ähnliches gilt für den Vergütungskatalog stationärer Leistungen, z. B. für den Begriff der Visite. 12 Siehe hierzu Beckers R, Strotbaum V (2015) Vom Projekt zur Regelversorgung. Die richtige Bewertung des Nutzens der Telemedizin hat eine Schlüsselrolle. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. 58(10):1062–1067.

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1.3  Telemonitoring: objektivierte,

datengestützte Nachsorge

Telemonitoring ermöglicht im Unterschied zu Teletherapie und Telekooperation eine Versorgungsform, die in der analogen Medizin bisher praktisch nicht umsetzbar war. Telemonitoring adressiert insbesondere die Begleitung chronisch kranker Patienten durch die kontinuierliche Beobachtung von Vitalwerten und anderen relevanten Parametern, und zwar im privaten Lebensbereich außerhalb einer versorgenden Einrichtung. Klassisch ist an dieser Stelle schon die Telekardiologie als Vorreiter zu nennen, die in vielen Studien untersucht hat, wie z. B. durch Gewichtsmonitoring und Blutdruckkontrolle Verschlechterungstendenzen bei herzinsuffizienten Patienten frühzeitiger detektiert werden können. Telemonitoring nutzt v. a. das Smartphone als zentrale Technologie. Durch immer mehr im Smartphone verbaute Sensorik oder daran gekoppelte mobile Messgeräte können die relevanten Parameter erfasst werden, elegant dokumentiert und über Internet oder Mobilfunk direkt an Ärzte übertragen werden. Medizingeräte selbst, von der intelligenten Waage bis zu Blutzuckermessgeräten oder Herzschrittmachern, werden zunehmend kleiner, digitaler und mit funkbasierter Übertragungstechnologie ausgestattet. Telemonitoring ist damit ein wohl nicht zu unterschätzender Beitrag für die Auflösung eines klassischen Versorgungsdilemmas, welches in Verbindung mit einer Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen seit der Industrialisierung zu einem dramatischen Wandel des Krankheitspanoramas geführt hat. Je erfolgreicher die Konzentration der Medizin auf die akutmedizinische Intervention ist, desto mehr chronisch Kranke gibt es. Das Gesundheitswesen vollzieht dadurch einen Aufgabenwandel von Cure zu Care und zukünftig von Digital Cure zu Digital Care.13 Mit dem Telemonitoring steht nun erstmals in

13 Siehe hierzu: Colgrove J (2002) The McKeown Thesis: A Historical Controversy and Its Enduring Influence. Am J Public Health 92(5):725–729.

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R. Beckers und G. Marx

der Geschichte der Medizin ein Instrument zur Verfügung, chronisch Kranke auf der Grundlage objektiver Daten kontinuierlich zu begleiten. Allerdings kann diese neue Form der Betreuung chronisch Kranker nur sehr begrenzt von den etablierten Organisationsformen im Gesundheitswesen geleistet werden. Arztpraxen und Krankenhäuser verfügen nicht über die Ressourcen und Organisationsstrukturen, die Daten aus dem Telemonitoring kontinuierlich auszuwerten und ad hoc in 24/7-Bereitschaft mit einer „beliebigen“ Anzahl Patienten im Bedarfsfall Kontakt aufzunehmen. Ganz zu schweigen von Coachingansätzen, die mit dem Telemonitoring häufig verbunden sind. Deshalb hat sich in diesem Zusammenhang mit den telemedizinischen Zentren ein neuer Organisationstyp im Gesundheitswesen entwickelt. Telemonitoring benötigt vor diesem Hintergrund adäquate Plattformtechnologien, die eine jederzeitig niedrigschwellige Partizipation und Einbindung der Ärzte und Therapeuten erlaubt. Das zentrale Thema der Internetökonomie, die Skalierung, ist auch hier eine entscheidende Herausforderung wenn es gelingen soll Telemonitoring flächendeckend zu verbreiten. Das Telemonitoring hat sich im Übrigen mit denselben regulatorischen Hürden auseinanderzusetzen, die schon für die Teletherapie beschrieben wurden. Überdies benötigt es, wie erwähnt, den Aufbau neuer Organisations- und Versorgungsstrukturen.

1.4  Telemedizin hat

Versorgungsbezug

Die hier formulierte pragmatische Begriffsanalyse der Telemedizin und ihrer Anwendungsbereiche sollte v.  a. herausstellen, dass sich die Telemedizin durch einen sehr unmittelbaren Bezug zur Versorgung der Patienten auszeichnet. Dadurch unterscheidet sich Telemedizin von den eher infrastrukturell geprägten Themen der Telematik im Gesundheitswesen. Deren Begriffsverständnis wird wiederum in Deutschland immer noch stark mit dem Aufbau der Telematikinfrastruktur assoziiert. Die bis dato geplanten Anwendungen der Telematikinfrastruktur zeichnen sich dadurch aus, dass sie primär ­administrativ-dokumentarischen Charakter haben, der gleichwohl für die Versorgung Bedeutung haben kann, aber dabei zunächst nicht im Mittelpunkt steht. Damit soll keineswegs die Bedeutung elektronischer Rezepte, Patientenakten und Notfalldatensätze durch definitorische Akte unzulässig minimiert werden. Die Medizin der Zukunft wird diese digitale Kommunikation aber einfach voraussetzen, um entlang der Begrifflichkeiten Telekooperation, Teletherapie und Telemonitoring eine immer intelligentere Versorgung für die Patienten gestalten zu können.

9

Rechtliche Aspekte der Telemedizin Karsten Fehn Inhaltsverzeichnis 2.1  Einleitung – 11 2.2  Definition der Telemedizin – 11 2.3  Rechtsquellen zur Telemedizin – 12 2.3.1  Regelungen des SGB V und der StrlSchV – 12 2.3.2  Regelungen des TSVG und DVG – 13 2.3.3  Neufassung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte und Konsequenzen für Fernbehandlung, Aufklärung und Dokumentation – 16 2.3.4  Gegenstand einer Fernbehandlung – 20

2.4  Schweigepflicht und Datenschutz – 29 2.4.1  Strafrechtlicher Schutz der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 StGB – 29 2.4.2  Datenschutzrechtliche Vorgaben gemäß DS-GVO, BDSG und Landes-DSG – 30

2.5  Behandlungsfehler und Telemedizin – 31 2.5.1  Allgemeines – 31

Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Medizinrecht, Rechtsanwalt beim Internationalen Strafgerichtshof, Den Haag, zertifizierter Verteidiger für Steuerstrafrecht (DSV e. V.), zertifizierter Verteidiger für Wirtschaftsstrafrecht (DSV e. V.), ordentlicher Professor für Strafrecht und öffentliches Recht am Institut für Gefahrenabwehr und Rettungsingenieurwesen der Technischen Hochschule Köln, Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke; KaiserWilhelm-Ring 14–16, 50672 Köln, [email protected]; 7 www.fehn-legal.de. Dieses Kapitel berücksichtigt grundsätzlich den Rechtsstand bis zum .01.07.2019. Zur Aktualisierung wurden indes im Rahmen der letzten Redigierung des Artikels am 21.07.2020 noch Änderungen der Gesetzes- und Verordnungslage eingearbeitet. Änderungen, insbesondere Ausnahmeregelungen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie blieben dabei jedoch aufgrund ihres vorübergehenden Charakters unberücksichtigt.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_2

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2.5.2  Einfacher Behandlungsfehler und maßgeblicher Standard – 31 2.5.3  Sorgfaltspflichtverletzung – 34 2.5.4  Grober Behandlungsfehler – 35 2.5.5  Arten von Behandlungsfehlern – 35 2.5.6  Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für einen Gesundheitsschaden – 40

2.6  Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen – 41 2.6.1  Vertragliche Schadensersatzansprüche – 42 2.6.2  Deliktische Anspruchsgrundlagen – 44

2.7  Strafrechtliche Verantwortlichkeit – 47 2.8  Zusammenfassung – 48 Literatur – 50

11 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

2.1  Einleitung

Die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung eröffnen schon seit einigen Jahren auch in der Medizin neue Möglichkeiten der Patientenbetreuung. So wird beispielsweise in der Schweiz bereits seit dem Jahr 2000 mit Medgate Tele Clinic das größte telemedizinische Zentrum Europas betrieben.1 Auch in Russland werden seit einigen Jahren umfassende telemedizinische Dienstleistungen angeboten.2 Zwar sind weder die Schweiz, noch Russland infrastrukturell mit Deutschland vergleichbar und potenziell ist es in Deutschland für einen Patienten einfacher, in kurzer Zeit einen Arzt3 persönlich zu konsultieren. Es kann aber nicht bestritten werden, dass telemedizinische Leistungen auch in Deutschland, z. B. in ländlichen Gebieten oder grundsätzlich in der Form des Telemonitorings, von Nutzen sind (etwa in der Diabetologie, Kardiologie, Dermatologie, Radiologie, Pathologie). Da es sich hierbei um eine noch relativ neue und bis vor kurzem in Deutschland nur eingeschränkt zulässige Form ärztlicher Patientenbetreuung handelt, soll an dieser Stelle – in gebotener Kürze – auf die rechtlichen Aspekte der Zulässigkeit der Telemedizin sowie der möglichen haftungsrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen im Falle eines telemedizinischen Behandlungsfehlers eingegangen werden. 2.2  Definition der Telemedizin

Das deutsche Recht gibt keine Definition des Begriffs „Telemedizin“ vor. Lediglich § 9 Satz 1 HWG4 enthält eine Beschreibung des Begriffs der „Fernbehandlung“, der mit der

7 www.medgate.ch, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 2 Vgl. z.  B. Rzhewkina, A., Russia Beyond v. 28.06.2017, 7 https://de.rbth.com. 3 Dies gilt gleichermaßen für den Zahnarzt. Nachfolgend ist aus Vereinfachungsgründen nur das Wort „Arzt“ verwendet. 4 Heilmittelwerbegesetz i. d. F. d. Bek. v. 19.10.1994, BGBl. 1994 I, S. 3068, zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.12.2016, BGBl. 2016 I, S. 3048. 1

Telemedizin zumindest verwandt ist. Hiernach ist eine Fernbehandlung die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht. Der Begriff der Telemedizin geht indes weiter. Sie wird neben dem Telekonsil und dem Telemonitoring indes gemeinhin als dritte Säule der Gesundheitstelematik verstanden. Aus rechtlicher Sicht ist daher auf die allgemein gebräuchlichen Begriffsverständnisse der Telemedizin zurückzugreifen, die im Kern identisch sind. Der Deutsche Bundestag beschreibt die Telemedizin zunächst als „ein »

Hilfsmittel zur Überwindung größerer Entfernungen bei medizinischen Sachverhalten. Darunter wird die Bereit­ stellung bzw. Anwendung von medizinischen Dienstleistungen mit Hilfe von Informations- und Kommunikations­ technologien für den Fall verstanden, dass Patienten und Angehörige eines Gesundheitsberufes (etwa Ärzte) bzw. diese untereinander nicht am selben Ort sind. Es erfolgt die Übertragung medizinischer Daten und Informationen für die Prävention, Diagnose, Behandlung und Weiterbetreuung von Patienten in Form von Text, Ton oder Bild oder in anderer Form. Ziel der Telemedizin ist insbesondere eine Verbesserung der Qualität, Wirtschaftlichkeit und Transparenz der medizinischen Versorgung.“5

Der WHO folgend dient die Telemedizin

» „innerhalb der Gesundheitstelematik dazu,

Dienstleistungen der Patientenversorgung zu erbringen, bei denen die räumliche Entfernung einen kritischen Faktor darstellt. Darunter sind auch die Bereiche der Diagnose, der Behandlung und der Prävention von Krankheiten und Verletzungen mitzufassen sowie die Bereiche

5 Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Nr. 15/11 v. 11.05.2011, Aktueller Begriff Telemedizin, 7 www.bundestag.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019.

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K. Fehn

der Forschung, der Evaluation und der Fortbildung in medizinischen Berufen, all dies im Interesse der Gesundheitsförderung von Individuen und ihrer Gemeinschaften.“6

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Nach der Bundesärztekammer ist Telemedizin ein „Sammelbegriff »

für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informationsund Kommunikations­ technologien eingesetzt.“7

Die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin versteht unter Telemedizin

» „die

Erbringung konkreter medizinischer Dienstleistungen in Überwindung räumlicher Entfernungen durch Zuhilfenahme moderner Informations- und Kommunikationstech­ nologien. Telemedizin ist ein Teilgebiet der Telematik. Der mittlerweile etablierte Begriff Telemedizin fällt unter den weiten Oberbegriff E-Health, der noch nicht endgültig definiert wurde. Man fasst heute viele Aktivitäten wie den Einsatz elektronischer Medien im Gesundheitswesen allgemein (Stichwort: elektronische Gesundheitskarte, elektronische Patien­ tenakte, elektronische Fallakte, elektro­ nischer Arztbrief oder eRezept u.  a.), Telemedizin, Telematik u. a. unter diesem Begriff zusammen. So wird beispielsweise Telematik im Gesundheitswesen als ein Sammelbegriff für gesundheitsbezogene Aktivitäten, Dienste und Systeme definiert, die über räumliche Entfernung

mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie ausge­führt werden.“8

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung verwendet schließlich eine ähnliche Definition: Hiernach wird unter Telemedizin im weitesten Sinne

» „die

Überwindung zeitlicher und/oder räumlicher Distanzen im Rahmen von medizinischen Sachverhalten verstanden.“9

Die Überwachung von Patienten mit einem Defibrillator oder CRT-System wurde 2016 als erste telemedizinische Leistung in den EBM aufgenommen und kann seither abgerechnet werden. Zusammenfassend liegt also ein telemedizinisches Handeln vor, wenn folgende Kriterien – die allen vorgenannten Definitionen gemein sind – vorliegen:10 5 Erbringung medizinischer Leistungen zugunsten von Patienten, 5 über räumliche Entfernung und/oder zeitlichen Versatz, 5 durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie. 2.3  Rechtsquellen zur Telemedizin

Die primären Rechtsquellen telemedizinischer – oder allgemeiner: gesundheitstelematischer – Leistungen betreffend sind überschaubar und befassen sich vornehmlich nicht mit der eigentlichen Telemedizin, also der Ferndiagnostik und Ferntherapie. 2.3.1  Regelungen des SGB V und

der StrlSchV

Zu nennen ist hier zuvorderst das Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Än-

7 www.dgtelemed.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 9 7 www.kbv.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 10 So im Ergebnis auch Katzenmeier/Schrag-Slavu, S. 4. 8

6 7

WHO 1977. 7 www.bundesaerztekammer.de, -> Ärzte -> Telematik/telemedizin, zuletzt aufgerufen am 22.07.2020.

13 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

derung weiterer Gesetze,11 mit welchem u. a. Regelungen zur elektronischen Gesundheitskarte (§§ 15 Abs. 2, 265 Abs. 4 Satz 2, 291 SGB  V) einschließlich der elektronischen Patientenakte (§ 291 Abs. 5c SGB V) und des Zugriffs im Notfall (§ 295 Abs. 5 Satz 3 und 4 SGB V), zum Medikationsplan (§ 31a SGB V), zur Sicherheit der Telematikinfrastruktur (§ 291b Abs. 1 SGB V), zur Schlichtungsstelle der Gesellschaft für Telematik (§ 291c SGB V), zur Übermittlung elektronischer Briefe in der vertragsärztlichen Versorgung (§ 291f SGB V) und zur Vereinbarung über technische Verfahren zur konsiliarischen Befundbeurteilung und zur Videosprechstunde (§ 291g SGB V) eingeführt wurden. Insbesondere die letztgenannten Vorschriften sind für die eigentliche Telemedizin von Bedeutung. Hiernach war bis zum 30.09.2016 (§ 291g Abs. 4 SGB V) von der KBV mit dem Spitzenverband der Krankenkassen im Benehmen mit der Gesellschaft für Telematik eine Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur telemedizinischen Erbringung der konsiliarischen Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen in der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere betreffend die Einzelheiten hinsichtlich der Qualität und der Sicherheit und die Anforderungen an die technische Umsetzung zu treffen (§ 291g Abs. 1 Satz 1 SGB V). Diese Vereinbarung wurde getroffen und trat mit Wirkung vom 01.10.2016 in Kraft.12 Sie regelt in Bezug auf gesetzlich krankenversicherte Patienten die Anforderungen an die Teilnehmer zur Durchführung der Videosprechstunde, an den Vertragsarzt und an den Videodienstanbieter.

11 Sog. E-Health-Gesetz v. 21.12.2015, BGBl. I 2015 v. 28.12.2015, S. 2408 ff.; BT-Drs. 18/5293 v. 22.06.2016. 12 DÄBl. 2016, A 2391.

Weiterhin enthält die seit dem 31.12.2018 geltende StrlSchV13 in § 123 Regelungen zur Durchführung der Teleradiologie (hierzu Abschn. „Teleradiologie“). 2.3.2  Regelungen des TSVG und

DVG

Im Zusammenhang mit telemedizinischen Anwendungen verdienen ferner das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) nebst der zugehörigen Digitalen Gesundheitsanwednungen-Verordnung (DiGAV)14 nebst der zugehörigen15 kurze Erwähnung.

TSVG Das TSVG ist ein Artikelgesetz, das im Wesentlichen am 11.05.2019 in Kraft trat.16 In Bezug auf telematische Anwendungen ist v. a. die mit § 291a Abs. 5c S. 3 SGB V geschaffene Verpflichtung der Krankenkassen hervorzuheben, den Patienten bis spätestens zum 01.01.2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung zu stellen. Die ePA ist Bestandteil der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und beinhaltet Daten über Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation über die Versicherten sowie durch von Versicherten selbst oder für sie zur Verfügung gestellte Daten (§ 291b Abs. 3

13 Verordnung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzverordnung – StrlSchV) v. 29.11.2018, in Kraft getreten am 31.12.2018, BGBl. 2018 II, S. 2034, 2036; die vormals geltende Röntgenverordnung (RöV), die in §§ 3, 23 Regelungen zur Teleradiologie enthielt, trat zum 30.12.2018 außer Kraft. 14 DVG vom 09.12.2019, BGBl. I 2019, S. 2562 ff. 15 Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwednungen in dergesetlichen Krankenversicherung vom 08.04.2020, BGBl. I 2020, S. 768 ff. 16 BGBl. I 2019 v. 09.05.2019, S. 646 ff.

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Nr. 4 SGB V). Die ePA muss von der Gesellschaft für Telematik (Gematik) zugelassen werden (§ 291b Abs. 1a S. 1 SGB V). Neben der ePA enthält die eGK u. a. Notfalldaten, ferner den elektronischen Arztbrief sowie den Medikationsplan (§ 291a Abs. 3 Nr. 1 bis 3 SGB V). Die Patienten haben ein Recht auf Einsichtnahme in die meisten der auf der eGK gespeicherten Daten (§ 291a Abs. 4 S. 2, Abs. 5 SGB V). Hinsichtlich telemedizinischer bzw. telematischer Anwendungen erlaubt das TSVG darüber hinaus den Krankenkassen in strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke digitale Anwendungen wie z. B. Apps zu nutzen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sollen ab 01.01.2021 von den behandelnden Ärzten an die Krankenkassen nur noch digital übermittelt werden (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eAU) (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 SGB V n. F., Art. 2 Nr. 3, Art. 17 Abs. 5 TSVG). Hieran knüpft das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz17. Durch dieses wird § 109 SGB IV dahingehend geändert, dass Arbeitgeber ab dem 01.01.2021 die eAU ihrerseits elektronisch bei den Krankenkassen abrufen können (Art. 11 Nr. 3, 15 Abs. 3 Drittes Bürokratieentlastungsgesetz). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme, die der Bundesrat auf Empfehlung des Gesundheitsausschusses gemäß Art. 76 Abs. 2 GG gegenüber dem Bundestag zum damaligen Entwurf des TSVG abgegeben hat:18

» „Um

dauerhaft einen Nutzen aus den Angeboten der Fernbehandlung für die Versicherten zu erzielen, bedarf es zusätzlich der Möglichkeit der digitalen Rezeptvergabe auch ohne Arztbesuch. Aber auch unabhängig von den Entwicklungen auf dem Gebiet der fernmedizinischen Behandlungsangebote ist es vor dem Hintergrund der Digitalisierung im Gesundheitswesen an der Zeit, die notwen­ digen Grundlagen für die digitale Rezept­

17 Drittes Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie vom 22.11.2019, BGBl. I 2019, S. 1746 ff. 18 BR-Drs. 504/1/18 v. 09.11.2018.

vergabe zu schaffen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zeitnah eine gesetzliche Regelung zur digitalen Rezeptvorgabe auf den Weg zu bringen.

» Begründung (nur gegenüber dem Plenum): » Mehrere Länder haben die Berufsordnungen

bereits gelockert, so dass nun modellhaft Projekte mit telemedizinischer Fernbehand­ lung, insbesondere ohne vorherigen Kontakt von Patientin und Patient mit Ärztin oder Arzt, möglich sowie echte Fernbehand­ lungen zulässig sind.

» Die

Modelle der echten Fernbehandlung, von denen derzeit zum Beispiel in BadenWürttemberg bereits sechs Projekte realisiert werden, versprechen dauerhaft nur einen Nutzen für die Versicherten, wenn es zugleich möglich ist, ein Rezept auf elektronischem Weg zu erhalten. Ein erstes Modellprojekt soll bereits im Jahr 2019 realisiert werden. Damit die Entwicklung weiter vorangetrieben werden kann ist es notwendig, die gesetzlichen Grundlagen für die digitale Rezeptvorgabe so bald wie möglich zu schaffen.

» Unabhängig

hiervon ist die Einführung der digitalen Rezeptvergabe im Rahmen der Digitalisierung des Gesundheitswesens geboten. Im europäischen Vergleich hat Deutschland bei der Einführung des eRezepts beziehungsweise der eVerordnung noch erheblichen Nachholbedarf. Laut „Euro Health Consumer Index 2017“ (EHCI) haben bereits 17 Staaten ein elektronisches Rezept erfolgreich eingeführt. So nutzen beispielsweise 92 Prozent der Versicherten in Slowenien die Möglichkeit des elektronischen Rezepts.“

Diesen Empfehlungen ist der Gesetzgeber seinerzeit mit dem TSVG noch nicht so weitgehend gefolgt. Allerdings knüpft der aktuelle Entwurf des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (DVG) hieran an.

DVG Das am 19.12.2019in Kraft getretene DVG – das in seiner Entwurfsfassung zunächst noch als  sog. E-Health-Gesetz, Teil  II, bezeich-

15 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

net wurde19 – führt zur Ablösung der eGK durch die ePA mit Wirkung spätestens zum 01.01.2021 (§§ 291a Abs. 5c S. 4, Abs. 5c S. 4 Nr. 4 SGB V n. F.). Außerdem greift nunmehr eine Sanktion in Form der Honorarkürzung für Vertragsärzte um ein Prozent, wenn der inzwischen verpflichtende Abgleich der auf der eGK (bzw. später der ePA) gespeicherten Daten nicht bei jedem ersten Arzt-Patienten-Kontakt im Quartal mit den Versichertenstammdaten aufgrund fehlender Anbindung an die Telematikinfrastruktur vorgenommen werden kann (§ 291 Abs. 2b Satz 14 SGB V). Das erforderliche Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) umfasst dabei zwei Schritte: die Online-Prüfung und die Aktualisierung. Die Patienten haben jetzt auch ein Recht auf Einsichtnahme in die in der ePA gespeicherten Angaben über ihre pflegerische Versorgung (§ 108 Abs. 1 SGB XI n. F.) und nicht mehr nur in die gemäß § 291a Abs. 1a, 2 und 3 SGB V zu speichernden Daten, wie z. B der elektronische Medikationsplan und das Notfalldatenmanagement (NFDM) (§ 291a Abs. 5 SGB V). Darüber hinaus wird durch das DVG ein Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen (Apps) geschaffen und ein Verfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte etabliert, mit dem über die Leistungserbringung in der Regelversorgung entschieden wird. Konkret haben Versicherte gemäß § 33a Abs. 1 SGB V n. F. Anspruch auf die Versorgung mit Medizinprodukten niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen (digitale Gesundheitsanwendungen). Die digitalen Gesundheitsanwendungen sind verordnungsfähig, wenn sie vom BfArM in ein Ver19 Zum E-Health-Gesetz („Teil I) v. 21.12.2015, BGBl. 2015 I, S. 2408 ff. und BT-Drs. 18/5293 v. 22.6.2016, s. auch Bergmann, MedR 2016, 497 ff.

zeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen aufgenommen werden (§ 139e SGB V n. F.). Betreffend die Verordnungsfähigkeit muss der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in die Richtlinien gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zur Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie sowie zur Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien im Sinne von § 4 Abs. 9 AMG nunmehr die notwendigen Regelungen bei einer elektronischen Verordnung von Heilmitteln aufzunehmen (§ 92 Abs. 6 Satz 1 Nr. 7 SGB V n. F.). Eine wesentliche telemedizinische Neuerung und erhebliche Erleichterung für die Patienten bringt § 291a Abs. 5d S. 1 SGB V mit sich. Hiernach hat die Gesellschaft für Telematik bis zum 30.06.2020 die Maßnahmen durchzuführen, die erforderlich sind, damit ärztliche Verordnungen für apothekenpflichtige Arzneimittel in elektronischer Form übermittelt werden können (eRezept). Dabei hat die Gematik zu berücksichtigen, dass die elektronische Verordnung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln schrittweise auf sonstige ärztliche Verordnungen, Verordnungen von Betäubungsmitteln und Verordnungen ohne direkten Kontakt zwischen Arzt oder Zahnarzt und Versicherten ausgedehnt werden sollen. Deshalb hat die Gematik auch die Maßnahmen durchzuführen, die erforderlich sind, damit ärztliche Verordnungen für Betäubungsmittel in elektronischer Form übermittelt werden können (§ 291 Abs. 5d S. 2 SGB V n. F.). Die Vorgaben der BtMVV bleiben indes zu beachten (§ 291a Abs. 5d S. 4 SGB V n. F.). Telekonsilien werden durch das DVG in größerem Umfang ermöglicht und sollen extrabudgetär vergütet (§ 87 Abs. 2a S. 13 bis 15 SGB V n. F.). Hierzu soll eine Aufnahme in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen erfolgen. Der Gesetzentwurf spricht davon, dass Konsilien in einem weiten Umfang in der vertragsärztlichen und in der sektorenübergreifenden Versorgung als telemedizinische Leistung abgerechnet werden können sollen, wenn bei ihnen sichere

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elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. Des Weiteren wird durch das DVG mit § 75b SGB V n. F. eine Verpflichtung der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen geschaffen, bis zum 31.03.2020 in einer Richtlinie die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung festzulegen. Diese Anforderungen müssen geeignet sein, abgestuft im Verhältnis zum Gefährdungspotenzial, Störungen der informationstechnischen Systeme, Komponenten oder Prozesse der vertragsärztlichen Leistungserbringer in Bezug auf Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit zu vermeiden. Ferner müssen diese Anforderungen dem Stand der Technik entsprechen und jährlich an den Stand der Technik und an das Gefährdungspotenzial angepasst werden. Schließlich werden Apotheken und Krankenhäusern Fristen zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur gesetzt. Weitere Leistungserbringer erhalten die Möglichkeit, sich freiwillig anzuschließen (Hebammen und Entbindungspfleger, Physiotherapeuten sowie Pflegeeinrichtungen).

Nutzen telemedizinischer Behandlungen für Patienten nahe null. Dies ändert hat sich nun mit der Neufassung des § 7 Abs. 4 MBOÄrzte.

Inhalt der Neuregelung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte und Übernahme in die Berufsordnungen der Landesärztekammern Bereits die bis zum 121. Deutschen Ärztetag im Mai 2018 geltende Fassung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte erlaubte grundsätzlich eine ärztliche Behandlung unter Anwendung von Print- und Kommunikationsmedien. Für die Anwendung telemedizinischer Verfahren war zu gewährleisten, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelte. Damit bestand zwar kein generelles Fernbehandlungsverbot,21 eine ausschließliche Fernbehandlung ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt (Hahn spricht von einem „analogen“ Kontakt22) war jedoch berufsrechtlich ausgeschlossen; die entsprechende Vorlage der MBO-Ärzte war in die Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommen worden. Nachdem bereits einige Landesärztekammern die Vorschrift zwischenzeitlich liberalisiert hatten,23 beschloss der 121. Deutsche Ärztetag eine

2.3.3  Neufassung des § 7

Abs. 4 MBO-Ärzte und Konsequenzen für Fernbehandlung, Aufklärung und Dokumentation

Die bis zur aktuellen Änderung der § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte geltende Fassung verbot eine ausschließliche Fernbehandlung und verlangte stets einen vorausgehenden unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt. Als zulässig wurden lediglich allgemeine Erörterungen oder Beratungen in Bezug auf die Behebung nur von Befindlichkeitsstörungen oder von allgemeinen Fragen eines ansonsten gesunden Patienten zu Krankheiten angesehen, die üblicherweise durch Selbstmedikation behandelt werden, wie z. B. eine komplikationslose Erkältung.20 Damit war der praktischen 20 Braun, MedR 2018, 563 (563) m. w. N.

21 Hahn, MedR 2018, 384 (384). 22 Hahn, MedR 2018, 384 (384). 23 Bspw. erlaubte § 7 Abs. 4 Satz 3 BO Ärzte Baden-Württemberg eine ausschließliche telemedizinische Behandlung im Rahmen von Modellprojekten. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg regelte bereits seit 2016, dass Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, der Genehmigung durch die Landesärztekammer bedürfen und zu evaluieren sind, 7 www.aerztekammer-bw.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. § 7 Abs. 4 BO Ärzte Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen lauten mit Geltung seit 2016: Der Arzt darf individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Dies gilt nicht für telemedizinische Verfahren, sofern gewährleistet ist, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt, 7 www.aekmv.de, 7 www.laek-thueringen.de, jeweils zuletzt aufgerufen am 15.01.2019.

17 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Änderung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte wie folgt:24

» „Ärztinnen

und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend ein­ setzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommu­ nikationsmedien aufgeklärt wird.“

Diese Regelung wurde inzwischen von allen Landesärztekammern in ihren jeweiligen Berufsordnungen umgesetzt. Insofern kann beispielhaft verwiesen werden auf die aktuellen Fassungen der  Berufsordnungen der Landesärztekammern Bremen,25 Niedersachsen26 und Rheinland-Pfalz27 sowie in leicht geänderter, aber inhaltlich gleichbedeutender Form in Schleswig-Holstein28 und

24 Beschluss IV-01, 121. Deutschen Ärztetages Erfurt 08.05.–11.05.2018, Beschlussprotokoll, S. 288–290, 7 http://www.bundesaerztekammer.de; Deutsches Ärzteblatt v. 15.06.2018, 7 https://doi.org/10.3238/ arztebl.2015.mbo_daet2018, 7 www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 25 Mit Wirkung zum 02.10.2018, 7 www.aehb.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 26 Mit Wirkung zum 01.12.2018, 7 www.aekn.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 27 Mit Wirkung vom 02.12.2018, 7 www.laek-rlp.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 28 Mit Wirkung zum 29.05.2018: „Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie dürfen dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen ist eine Beratung oder Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien erlaubt, wenn diese ärztlich vertretbar und ein persönlicher Kontakt mit der Patientin oder dem Patienten nicht erforderlich ist.“ 7 www.aeksh.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019.

Sachsen29 umgesetzt.30 Zuletzt änderten im April 2019 die Landesärztekammern Hamburg und Saarland ihre Berufsordnungen entsprechend.31 Durch diese Änderung soll den Patienten mit der Fort- und Weiterentwicklung telemedizinischer, digitaler, diagnostischer und anderer vergleichbarer Möglichkeiten eine dem anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechende Versorgung angeboten werden.32 Damit wendet sich das ärztliche Berufsrecht richtigerweise hinsichtlich der Wahl telemedizinischer Behandlungen mehr in Richtung der Therapiefreiheit des Arztes als Grundfeste der ärztlichen Berufsausübung33 einerseits und der Patientenautonomie als den ärztlichen Handlungsrahmen bestimmendes Element andererseits zu. Ärzten und Patienten ist insoweit durchaus zuzutrauen, selbst zu entscheiden, ob eine Fernbehandlung unter Einsatz von Telekommunikationsmedien gewünscht und im Einzelfall für die Behandlung geeignet ist.34

Begriff der Kommunikationsmedien Unter dem Begriff der Kommunikationsmedien sind – in Anlehnung an die Definition in § 312c Abs. 2 BGB – alle Kommunikationsmittel zu verstehen, die zur ärztlichen Beratung und Behandlung eingesetzt werden 29 Mit Wirkung zum 01.09.2018: „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Aufklärung, Beratung und Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird.“ 7 www.slaek.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 30 In den übrigen Landesärztekammern gilt noch die § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte a. F. entsprechende Version. 31 Krüger-Brand, Heike E., Fernbehandlung: Noch viel Regelungsbedarf, Dtsch. Arztebl. 2019; 116(19): A-926; B-764; C-752. 32 Beschluss IV-01, des 121. Deutschen Ärztetages Erfurt 08.05.–11.05.2018, Beschlussprotokoll, S. 288– 290, 7 http://www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; Deutsches Ärzteblatt v. 15.06.2018, 7 https://doi.org/10.3238/arztebl.2015. mbo_daet2018, 7 www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 33 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel X, Rn. 83 ff. 34 Vgl. hierzu auch Hofer, MedR 2012, 636 (636) für die digitale Pathologie.

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können, ohne dass Arzt und Patient gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie z. B. Telefonanrufe, E-Mails, Videotelefonie, über den Mobilfunkdienst versandte Nachrichten, Briefe sowie Rundfunk und Telemedien zu fassen.35

Fernbehandlung als Ausnahme Da die Regelung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte nunmehr in Deutschland flächendeckend in die Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommen wurde , ist das kategorische Verbot einer ausschließlichen Fernbehandlung aufgehoben (§ 7 Abs. 4 Satz 1 MBO-Ärzte). Allerdings hat die ärztliche Beratung und Behandlung grundsätzlich weiterhin im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient, d. h. unter physischer Präsenz des Arztes, zu erfolgen. Weil dies dem Wortlaut der Vorschrift („im Einzelfall“) folgend den Regelfall des Arzt-Patienten-Verhältnisses und damit der Erfüllung des Behandlungsvertrags im Sinne des § 630a BGB darstellt, handelt es sich hierbei weiterhin um den „Goldstandard“36 ärztlichen Handelns. Die berufsrechtlichen Regelungen des § 7 MBO-Ärzte bzw. die entsprechenden Vorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern setzen insofern als geltendes Recht einen maßgeblichen medizinischen Standard, weil hierdurch einer defizitären ärztlichen Behandlung vorgebeugt werden soll.37 Allerdings ist angesichts der rasanten technischen und medizinischen Entwicklung und der begleitenden gesetzgeberischen Maßnahmen (TSVG, Drittes BürokratieentlastungsG, DVG) nach hiesiger Einschätzung in Zukunft eine weitere Verbreitung und Liberalisierung der Telemedizin zu erwarten. 35 So zu Recht Hahn, MedR 2018, 384 (388). 36 Beschluss IV-01, des 121. Deutschen Ärztetages Erfurt 08.05.–11.05.2018, Beschlussprotokoll, S. 288– 290, 7 http://www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; Deutsches Ärzteblatt v. 15.06.2018, 7 https://doi.org/10.3238/arztebl.2015. mbo_daet2018, 7 www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 37 Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, MBO-Ä 1997, § 7 Rn. 14; vgl. auch Lungstras, MedR 2015, 805; zu möglichen Befunderhebungsfehlern bei Ferndiagnosen: OLG Koblenz, MedR 2016, 893.

Voraussetzungen einer Fernbehandlung: ärztliche Vertretbarkeit und Sorgfalt Allerdings wird nunmehr auch eine vollständige Fernbehandlung mit telemedizinischen Mitteln ermöglicht (§  7 Abs.  4 Satz 2 MBO Ärzte). Soweit dies an die Voraussetzungen geknüpft ist, dass diese ärztlich vertretbar und die ärztliche Sorgfalt gewahrt ist, handelt es sich um die Normierung von Selbstverständlichkeiten, da jede ärztliche Maßnahme – unabhängig davon, ob sie im physischen oder telemedizinischen Arzt-Patienten-Kontakt stattfindet – vertretbar und sorgfältig sein muss. Anderenfalls wäre der dem Patienten geschuldete, einschlägige Facharztstandard nicht gewahrt.38 Die besondere Erwähnung dieser Kriterien soll offenkundig unterstreichen, dass die telemedizinische Versorgung eine Abweichung vom Regelfall des physischen Arzt-Patienten-Kontakts darstellt und daher einer besonderen Sorgfaltsanforderung unterliegt. Der Arzt muss daher besonders kritisch prüfen, ob der konkrete Behandlungsfall für die Anwendung einer vom Goldstandard abweichenden Methode geeignet ist. Auch dies ist im Arztrecht aber bereits aus solchen Fällen bekannt, in denen der Arzt bei der Therapie vom Goldstandard abweichen und etwa eine Außenseitermethode39 oder einen OffLabel-Use40 anwenden will. Ob man jedoch angesichts der heutigen Verbreitung von digitalen Kommunikationsmitteln tatsächlich einen anscheinend von der Bundesärztekammer gewollten Vergleich zur Außenseitermethode 38 Zum geschuldeten Facharztstandard siehe BGH, NJW 2000, 2754, 2758; BGH, NJW 1998, 2736; BGH, NJW 1996, 780; BGH, NJW 1993, 2989, 2990; BGH, NJW 1987, 1488; BGHZ 88, 248, 254; BGHSt 43, 306, 311; Spickhoff/Gruner, Medizinrecht, § 839 BGB, Rn. 8; Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, S. 95 ff. 39 Vgl. zu den besonderen Sorgfaltsanforderungen an den Arzt bei der Anwendung von Außenseitermethoden Laufs/Kern/Laufs, Handbuch des Arztrechts, § 6, Rn. 35 ff. m. w. N.; zur Aufklärung bei der geplanten Anwendung von Außenseitermethoden s. BGHZ 113, 297. 40 Zum Begriff: Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, AMG, Vorb. § 21, Rn. 19 f. m. w. N.; Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, § 148, Rn. 39.

19 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Darüber hinaus verlangt § 7 Abs. 4 Satz 2 MBO-Ärzte eine Aufklärung des Patienten über die Besonderheiten einer ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien. Diese Aufklärung zielt auf die ärztliche Aufklärung gemäß § 630e BGB ab und muss dem Patienten verdeutlichen, dass und ggf. welche Einschränkungen im Rahmen der Ferndiagnostik und der Fernbehandlung seines konkreten Krankheits- oder Verletzungsbildes bestehen und welche gesundheitlichen Risiken daraus ggf. resultieren.42 Darüber hinaus wird der Patient auch darüber aufzuklären sein, in welchen Fällen (z. B. Nebenwirkungen, Komplikationen) er umgehend physisch einen Arzt in niedergelassener Praxis oder im Krankenhaus konsultieren sollte. Nur so wird eine wirksame Einwilligung des Patienten im Sinne des § 630d BGB zu erreichen sein, welche die getroffenen ärztlichen Maßnahmen rechtfertigt.43 In diesem Zusammenhang ist allerdings die Frage aufzuwerfen, inwieweit überhaupt eine Aufklärung außerhalb eines persönlichen Gesprächs zwischen Arzt und Patient

wirksam ist.44 So entschied der BGH, dass eine fernmündliche Aufklärung nur in einfach gelagerten Fällen grundsätzlich möglich sein soll. Handelt es sich dagegen um komplizierte Eingriffe mit erheblichen Risiken, sei eine solche Aufklärung regelmäßig unzureichend.45 Konkret entschieden hatte der BGH dies in Bezug auf eine telefonische anästhesiologische Aufklärung des Vaters eines drei Wochen alten Kindes, bei dem eine Leistenhernienoperation anstand und bei der es dann zu einem schweren atemwegsbezogenen Zwischenfall kam. Einer fernmündlichen Aufklärung mittels Telefonie oder Videotelefonie kann zunächst nicht entgegengehalten werden, dass diese nicht „mündlich“ gemäß § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB erfolge, denn ein Aufklärungsgespräch kann auch mit Hilfe von Kommunikationsmedien geführt werden. Dies gilt hingegen eindeutig nicht für eine Aufklärung per E-Mail, da hierbei kein mündliches Gespräch geführt wird. Nicht zu bestreiten ist weiterhin, dass auch in einer Fernaufklärung die Möglichkeit auf Seiten des Arztes besteht, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Auch kann sich der Aufklärungspflichtige in einem solchen Aufklärungsgespräch ebenso wie in einem Aufklärungsgespräch, das bei persönlicher Anwesenheit von Arzt und Patient geführt wird, davon überzeugen, dass der Patient die entsprechenden Hinweise und Informationen verstanden hat.46 Kommen dem Arzt während der Fernaufklärung Zweifel daran, dass der Patient die Aufklärung versteht, z. B. weil er ihr intellektuell nicht folgen kann, er schwerhörig oder die Kommunikationsverbindung schlecht ist, muss er auf einer Aufklärung im Rahmen eines

41 Vgl. auch Braun, MedR 2018, 563 (565). 42 In diesem Sinne auch Bergmann, MedR 2016, 497 (500); ferner bereits Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197 (199). 43 Vgl. hierzu auch Fischer, StGB, § 223, Rn. 16 ff.; Palandt-Weidenkaff, §  630d, Rn.  2 ff., §  630e, Rn. 2 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 301 ff., Rn. 338 ff.

44 Siehe hierzu auch Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, S. 51 ff. 45 BGH, Urteil vom 15.06.2010, Az. VI ZR 204/09, Rn. 20, 7 www.juris.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 46 BGH, Urteil vom 15.06.2010, Az. VI ZR 204/09, Rn. 20, 7 www.juris.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020.

bzw. zum Off-Label-Use ziehen kann, ist – jedenfalls nach hier vertretener Ansicht – zweifelhaft. Unzweifelhaft ist hingegen, dass der Arzt bei einer reinen Fernbehandlung feststellen muss, ob der über die verwendeten Kommunikationsmittel mögliche Erkenntnisgewinn ausreichend ist, um eine fachgerechte Diagnose zu stellen und um eine fachgerechte Therapie einzuleiten.41 Hat er hieran Zweifel, ist dem Patient ein „analoger“ Arztbesuch anzuraten und die weitere Fernbehandlung abzulehnen.

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Gesprächs vor Ort bestehen. Hier kann er dann zum besseren Verständnis beispielsweise Erklärungen anhand eines Modells vornehmen o. Ä. Insgesamt scheint die vom BGH postulierte Beschränkung der Zulässigkeit einer fernmündlichen Aufklärung auf einfach gelagerte Fälle nicht konsequent, zumal schon die Frage, welcher Fall „einfach gelagert“ ist, schwierig und kaum rechtssicher zu beantworten ist. Dies zeigt schon der Ausgangsfall selbst, in dem es um eine vermeintlich einfache Routinenarkose ging, bei der es aber zu einem schweren Zwischenfall kam. Unabhängig davon kann sich der Arzt in komplizierteren Fällen mit erheblichen Risiken gleichermaßen vom Verständnis des Patienten betreffend die Risiken und die Tragweite des Eingriffes überzeugen und auf dessen individuelle Belange eingehen. Entscheidend dürfte also vielmehr sein, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gewahrt bleibt. Dann spricht – die Einwilligung des Patienten vorausgesetzt – auch bei komplizierteren Fällen nichts gegen eine Fernaufklärung. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die zitierte Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 stammt und damit vor Verabschiedung der Neufassung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte und deren Übernahme in die Berufsordnungen der einzelnen Landesärztekammern getroffen wurde. Außerdem geht es bei einer reinen – hier diskutierten – Fernbehandlung nicht um die Aufklärung eines im Anschluss an die Fernaufklärung im physischen Arzt-Patienten-Kontakt durchzuführenden, ggf. schwerwiegenden Eingriff, wie etwa einer Operation o. Ä. Vielmehr können im Rahmen der Fernbehandlung naturgemäß keine invasiv-medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden. Es werden daher im Zweifel stets die vom BGH zugrunde gelegten Routinemaßnahmen in Rede stehen, die sich auf die Beratung betreffend die Verhaltensweise des Patienten (z. B. Bettruhe wahren, einen Arzt persönlich aufzusuchen) oder eine Medikation bzw. deren Anpassung beziehen. Soll die Aufklärung aus der Ferne hingegen tatsächlich der Herbeiführung einer wirksamen Einwilligung des Patienten in

einer später physisch durch den Arzt durchzuführenden invasiv-medizinischen Maßnahme dienen, ist mit Blick auf die (noch) aktuelle Rechtsprechung stets ein Aufklärungsgespräch bei gleichzeitiger physischer Anwesenheit von Arzt und Patient vorzugswürdig.47 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Erkenntnismöglichkeiten des Arztes jedenfalls dann gemessen an einem Telefonat deutlich gesteigert sind, wenn die Aufklärung im Rahmen einer Online-Videosprechstunde oder jedenfalls unter Nutzung des hierfür gemäß § 3 Anlage 31b BMV-Ä erforderlichen technischen Systems erfolgt (hierzu Abschn.  „Online-Videosprechstunde“). 2.3.4  Gegenstand einer

Fernbehandlung

Näher zu betrachten ist nunmehr, welche Maßnahmen im Rahmen einer Fernbehandlung durch den Arzt aus rechtlicher Sicht getroffen werden dürfen.

Allgemeines Vor diesem Hintergrund scheinen v. a. hausärztliche Behandlungen, aber auch Routinekontrollen in den Bereichen der Diabetologie, der Dermatologie und der Kardiologie für reine Fernbehandlungen geeignet. Beispielsweise in der Dermatologie finden sich bereits diverse Anwendungen für mobile Endgeräte auf dem Markt. Im hausärztlichen Bereich erscheinen die Diagnose und Therapie z. B. von einfachen Infektionserkrankungen für die Fernbehandlung geeignet. Weiterhin kommt in der Pathologie eine Fernbefundung von Proben in Betracht.48 Zum Indikationskatalog des EBM für Videosprechstunden zugunsten gesetzlich krankenversicherter Patienten s. unten Abschn. „Online-Videosprechstunde“.

47 Ausführlich zur Aufklärung, auch via Skype oder Telefon, Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, S. 40 ff. m. w. N. 48 Ausführlich hierzu Hofer, MedR 2012, 636 ff.

21 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Ausstellen einer (e)AU im Rahmen einer Online-Videosprechstunde Inzwischen ist auch das Ausstellen einer AU-Bescheinigung im Rahmen einer Online-Videosprechstunde möglich.49 Dem trat zwar der Deutsche Ärztetag entgegentreten,50 eine rechtliche Basis hierfür gab es aber mit Blick auf den geänderten Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 2 MBO-Ärzte bzw. der entsprechenden neuen Fassungen der vergleichbaren Vorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern nicht. Dementsprechend beschloss der G-BA am 16.07.202051  eine dahingehnde Änderung des § 4 Abs. 5 Satz 2 AU-Richtlinie52 Nunmehr kann die Arbeitsunfähigkeit eines Patienten per Video festgestellt werden, wenn es sich um eine Erst-AU-Bescheinigung handelt. Diese darf für einen Zeitraum von maximal sieben Tagen ausgestellt werden. Für eine Folge-AU-Bescheinigung muss der Patient jedoch persönlich in der Praxis erscheinen. Wollte der Gesetzgeber dies verhindern, wäre ein Verbot des Ausstellens einer AU-Bescheinigung im Rahmen einer Online-Videosprechstunde gesondert gesetzlich zu regeln. Dies wäre jedoch wenig sinnvoll, denn durch die Schaffung dieser Möglichkeit würden dem entsprechend erkrankten Patienten der mitunter beschwerliche Gang zum Arzt, häufig lange Wartezeiten sowie das Risiko einer weitergehenden Infektion seiner eigenen Person und anderer Patienten im Wartezimmer erspart. Für die Zulässigkeit des Ausstellens einer (e)AU im Rahmen einer

49 So auch, KK-SozVersR/Schifferdecker, § 46 SGB V, Rn.  26a; BeckOK-SozR/Scholz, BMV-Ä, Anlage 31b, Rn. 1; Braun, GesR 2018, 409. 50 Beschluss IV-04, 121. Deutschen Ärztetages Erfurt 08.05.–11.05.2018, Beschlussprotokoll, S. 290, 7 http://www.bundesaerztekammer.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 51 Pressemitteilung des G-BA vom 16.07.2020, 7 http://www.g-ba.de/presse/pressemitteilung/879/, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 52 Richtlinie des G-BA über doeBeurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweise Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB Vi. d. F. v. 14.11.2013, in Kraft getreten am 28.01.2014 (BAnz. AT 27.01.2014 B4), geändert am 26.06.2020 (BAnz. 10.07.2020 B5).

Online-Videosprechstunde sprechen im Übrigen auch zumindest indiziell § 295 Abs. 1 Nr. 1 SGB V n. F. i. V. m. Art. 2 Nr. 3, Art. 17 Abs. 5 TSVG, wonach AU-Bescheinigungen ab 01.01.2021 von den behandelnden Ärzten an die Krankenkassen nur noch digital übermittelt werden sollen sowie § 109 SGB IV n. F., die Arbeitgebern ab dem 01.01.2021 den elektronischen Abruf der eAU bei den Krankenkassen ermöglicht (Art. 11 Nr. 3, 15 Abs. 3 Drittes Bürokratieentlastungsgesetz).53 Eine derart weitgehende Digitalisierung der AU-Bescheinigung würde – nicht zuletzt mit Blick auf Sinn und Zweck des Dritten Bürokratieentlastungsgesetzes – wenig Sinn machen, wenn der Patient letztlich doch den unmittelbaren Kontakt zum Arzt suchen müsste, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten.  Insofern ist der klarstellende Ansatz des G-BA in § 4 Abs. 5 Satz 2 AU-Richtlinie ausdrücklich zu begrüßen.54 Ob die Beschränkung in Bezug auf die Notwendigkeit eines persönlichen Erscheinens des Patienten in der Praxis für das Ausstellen einer Folge-AU jedoch sinnvoll und mit Blick auf die vorstehenden Überlegungen rechtlich haltbar ist, kann bezweifelt werden. Unstreitig gilt diese Einschränkung nur für gesetzlich krankenversicherte Patienten, da die AU-Richtlinie auf privat krankenversicherte Patienten keine Anwendung findet.

Fernverordnung von Medikamenten In Bezug auf die insbesondere mit dem DVG angestrebte und nach § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte berufsrechtlich wohl mögliche Fernverordnung von Arzneimitteln sind außerdem § 48 Abs. 1 AMG n. F., § 15 Abs. 2 BMV-Ärzte und § 8 Abs. 2 AM-RL zu beleuchten.

Regelungsgehalt des § 48 Abs. 1 AMG n. F Inzwischen hat der Gesetzgeber auch das Arzneimittelrecht an die Änderung des 53 Siehe auch Abschn. „TSVG“. 54 Die Fassung der Vorschrift mit der am 16.07.2020 beschlossenen Änderung war zum Zeitpunkt der abschließenden Redigierung dieses Beitrags noch nicht im BAnz. veröffentlicht.

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ärztlichen Berufsrechts in Bezug auf die Möglichkeit der Fernbehandlung und den Einsatz telemedizinischer Technik angepasst. Die bis zum 08.08.2019 geltende Fassung des § 48 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AMG a. F. sah das Verbot einer Abgabe von Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, vor, wenn vor der ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung offenkundig kein direkter Kontakt zwischen dem Arzt oder Zahnarzt und der Person, für die das Arzneimittel verschrieben wird, stattgefunden hatte. Die Norm des § 48 Abs. 1 AMG a. F. ging damit inhaltlich noch konform mit § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte a. F., lief aber der Zielsetzung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte n. F. diametral zuwider und schränkte den Anwendungsbereich einer Fernbehandlung erheblich – nämlich auf die Empfehlung des Arztes zur Einnahme bestimmter, nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel – ein, wenn der Patient letztendlich doch persönlich beim Arzt vorstellig werden musste, um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, wie z. B. ein Antibiotikum, zu erhalten. Die seinerzeitige Gesetzesbegründung hielt es für entscheidend, dass sich der verschreibende Arzt bzw. Zahnarzt vom Zustand des Patienten überzeugt. Der Patient sei vor den Risiken zu schützen, die bei der Abgabe eines Arzneimittels ohne die persönliche Inaugenscheinnahme des Patienten bestünden.55 Allerdings begegnete § 48 Abs. 1 Satz 2 AMG a. F. erheblichen europarechtlichen Bedenken und wurde weitgehend als europarechtswidrig56 und damit wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts (Art. 288 AEUV57) als nicht anwendbar eingestuft. In der alten Fassung lag nämlich ein Verstoß gegen die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.03.2011

55 So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/8034, S. 39; Braun, MedR 2018, 563 (567). 56 So auch Braun, MedR 2018, 563 (567). 57 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Vertrag von Lissabon), ABl. EU 2008, Nr. C 115/01, 7 www.eur-lex.europa.eu (Document 12012E/TXT), zuletzt aufgerufen am 21.07.2020.

über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Patientenmobilitätsrichtlinie).58 Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU erlaubt zwar ausnahmsweise Einschränkungen bezüglich der Anerkennung persönlicher Verschreibungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Dies gilt aber nur, sofern sie auf das notwendige und angemessene Maß begrenzt und nicht diskriminierend sind. Die Richtlinie verbietet es dem deutschen Gesetzgeber ferner nicht, die eigenen Patienten und (Versand-)Apotheken zu benachteiligen, doch dürfte die Verhältnismäßigkeit eines grundsätzlichen Verbots von Online-Verschreibungen kaum haltbar zu begründen sein.59 Ein weiterer Widerspruch bestand zur Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 30.09.200560 in der Fassung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.11.2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarktinformationssystems

58 ABl. EU v. 04.04.2011, Nr. L 88/45, 7 www.eur-lex. europa.de (Document 32011L0024), zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. Zur Umsetzung der Richtlinie waren im deutschen System keine grundsätzlichen Rechtsänderungen notwendig. Denn die Richtlinie orientiert sich eng an der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, und diese wurde bereits 2004 in deutsches Recht umgesetzt, 7 www.bundesgesundheitsministerium.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 59 Gassner, Legal Tribune Online v. 31.03.2016, 7 https://www.jura.uni-augsburg.de/forschung/forschungsstellen/fehr/Veroeffentlichungen/Gassner_-Verbot-von-Online-Verschreibungen-von-Medikamenten_-LTO-31-03-2016.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; Braun, MedR 2018, 563 (567); Kaeding, ZESAR 2017, 215 (220). 60 ABl. EG Nr. L 255, S. 22 ff., 7 www.eur-lex.europa. eu (Document 32005L0036), zuletzt aufgerufen am 21.07.2020.

23 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

(„IMI-Verordnung“) (Berufsqualifikationsrichtlinie).61 Vereinbarungen wie im Koalitionsvertrag 2013 der seinerzeitigen Regierungsparteien, wonach Erstverschreibungen von Arzneimitteln nur nach einem direkten Arzt-Patienten-Kontakt zulässig sein sollten und die dann mit dem Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften62 zur jetzt wieder aufgehobenen (alten) Fassung des § 48 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AMG führten, waren also jedenfalls nicht mehr zeitgemäß und entsprachen expressis verbis auch nicht mehr dem neuen ärztlichen Berufsrecht. Dies hatte zunächst auch der Bundesrat erkannt, der 2013 noch eine dem Koalitionsvertrag 2013 gleichlautende Ansicht vertrat,63 sodann aber schon, wie oben dargestellt, die Bundesregierung bereits in seiner Stellungnahme zum Entwurf des TSVG aufforderte, die gesetzlichen Grundlagen für eine digitale Rezeptvergabe zu schaffen.64 Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber nun dringend aufgerufen, § 48 Abs. 1 AMG zu ändern und Einklang mit der Patientenmobilitätsrichtlinie und der Berufsqualifikationsrichtlinie einerseits sowie mit § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte n. F. andererseits herzustellen. Entsprechend erfolgte eine Änderung des § 48 Abs. 1 AMG durch Art. 1 Nr. 15 lit. a) aa) des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (AMVSÄndG) vom 09.08.2019,65 mit welchem die bisherigen Sätze 2 und 3 des § 48 Abs. 1 AMG a. F. aufgehoben wurden. Der Gesetzgeber begründete dies entsprechend auch ausdrücklich damit, dass eine Anpassung an § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte n. F. erforderlich ist. Ziel dieser

61 ABl. EU Nr. L 354, S. 132 ff., 7 www.eur-lex.europa.eu (Document 32013L0055), zuletzt aufgerufen am 21.07.2020; in deutsches Recht umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/ EU für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe v. 18.04.2016 (BGBl. 2016 I, S. 886 ff.). 62 BGBl. 2016 I, S. 3048 ff. 63 BR-Drs. 615/1/13 v. 24.10.2013. 64 BR-Drs. 504/1/18 v. 09.11.2018. 65 BGBl. 2019 I, S. 1202.

Öffnung sei es, den Patienten zukünftig mit der Fort- und Weiterentwicklung telemedizinischer, digitaler, diagnostischer und anderer vergleichbarer Möglichkeiten eine dem anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechende ärztliche Versorgung anbieten zu können. Vor dem Hintergrund sei das für das gesamte Bundesgebiet geregelte Abgabeverbot bei ausschließlicher Fernbehandlung nicht mehr sachgerecht und die Änderung des § 48 Abs. 1 AMG diene damit im Hinblick auf die Rechtsentwicklung im ärztlichen Berufsrecht der Herstellung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit sowie dem Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitsbereich.66 Dementsprechend ist also die Beschränkung, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel durch den Apotheker grundsätzlich nur abgegeben werden dürfen, wenn vorher ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat, ausdrücklich entfallen.67 Gegen die Fernverordnung von Medizinprodukten, Heil- und Hilfsmitteln (z. B. Physiotherapie u. Ä.) im Rahmen einer Fernbehandlung sprachen im Übrigen bereits nach der alten Rechtslage keinerlei rechtliche Bedenken, da sich § 48 Abs. 1 AMG a.F. ausschließlich auf Arzneimittel bezieht.

Regelungsinhalt des § 15 Abs. 2 BMV-Ä Ein Widerspruch zu den vorstehenden Feststellungen könnte sich nun auf den ersten Blick aus § 15 Abs. 2 BMV-Ä ergeben.  Hinzuweisen ist vorab darauf, dass die Vorschriften des BMV-Ä68 als Bestandteil des Kassenarztrechts nur für Vertragsärzte, nicht aber die privatärztliche Fernverordnung von Arzneimitteln gelten. Nach § 15 Abs. 2 BMV-Ä

66 BR-Drs. 53/19 v. 01.02.2019, S. 49; BT-Drs. 19/8753 v. 27.03.2019, S. 49. 67 BR-Drs. 53/19 v. 01.02.2019, S. 4; BT-Drs. 19/8753 v. 27.03.2019, S. 34. 68 Bundesmantelvertrag – Ärzte v. 31.08.2019 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, K. d. ö. R. und dem GKV-Spitzenverband, K. d. ö. R., 7 www. kbv.de, zuletzt aufgerufen am 25.09.2019.

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dürfen Verordnungen vom Vertragsarzt nur ausgestellt werden, wenn er sich persönlich von dem Krankheitszustand des Patienten überzeugt hat oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Hiervon darf nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Nun könnte man annehmen, dass mit diesem Begriffsverständnis ein unmittelbarer physischer Kontakt gemeint ist,69 etwa weil § 15 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä keinen ausdrücklichen Hinweis auf den Einsatz von Telekommunikationsmedien enthält, wie er sich in § 7 Abs. 4 Satz 2 MBOÄrzte n. F. findet. Dem ist jedoch zu widersprechen. Zunächst ist ein „persönliches Überzeugen“ vom Krankheitszustand des Patienten durch den behandelnden Arzt auch etwa im Rahmen einer Online-Videosprechstunde möglich. Da der Arzt hier die Sprechstunde selbst durchführt, handelt er persönlich im Sinne der Vorschrift. Entsprechendes gilt auch bei dem Einsatz weiterer telemedizinischer Mittel (z. B. Auswertung von durch Telemonitoring erhobenen Befunden usw.). Erst recht kann dem behandelnden Arzt der Zustand des Patienten auch aus einer laufenden, unmittelbaren „analogen“ Behandlung oder Fernbehandlung bekannt sein. Hinzu kommt, dass KBV und GKV-Spitzenverband als Vertragsparteien des BMV-Ä diesen – einschließlich der Vorschrift des § 15 Abs. 2 – mehrfach in Kenntnis der aktuellen Rechtsentwicklung – Inkrafttreten des TSVG, des DVG, des § 7 Abs. 4 Satz 1 MBO-Ärzte n. F. und des § 48 Abs. 1 AMG n. F. – überarbeitet haben, so etwa am 31.08.2019 und zuletzt am 17.04.2020mit Wirkung zum 20.04.2020 . Es ist daher davon auszugehen, dass die Vertragsparteien diese Vorschrift aus den genannten Gründen als konform mit der aktuellen Gesetzeslage und berufsrechtlichen Situation ansahen und sich nicht gegen diese stellen wollten, was durch einen Vertrag auch rechtssystematisch gar nicht möglich wäre.

Außerdem würde ein enges Begriffsverständnis, das sich auf den unmittelbaren physischen Patientenkontakt beschränkt, im Hinblick auf die Anlage 31b zum BMV-Ä keinen Sinn machen, in der ausdrücklich die Anforderungen an eine Online-Videosprechstunde festgelegt werden. Zudem ist letztere nunmehr ausdrücklich vergütungsfähig.70 Selbst wenn man insoweit aber anderer Auffassung sein sollte, lässt § 15 Abs. 2 Satz 2 BMV-Ä „begründete Ausnahmefälle“ zu und verwendet damit die gleiche Formulierung wie § 48 Abs. 1 Satz 3 AMG a. F. Es spricht nichts dagegen, im Hinblick auf § 15 Abs. 2 Satz 2 BMV-Ä auf die gleiche Argumentation zurückzugreifen, wie sie bereits im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 3 AMG a. F. in der Rechtsliteratur vertreten wurde. Nach der Gesetzesbegründung zu § 48 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AMG a. F. kam es zur Beantwortung der Frage, ob die Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen einer ausschließlichen Fernbehandlung ausnahmsweise zulässig sein soll, nämlich darauf an, ob das Vorgehen einer gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.71 Da § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte n. F. die Durchführung einer ausschließlichen Fernbehandlung nun gerade an die Feststellung des Arztes knüpft, dass diese ärztlich vertretbar ist und der ärztlichen Sorgfalt entspricht, muss sich dies denknotwendig auch auf eine etwaige Verschreibung von Arzneimitteln beziehen, die häufig wesentlicher Bestandteil einer standardgerechten Therapie ist. Im Interesse der Rechtssicherheit zugunsten von Behandlern und Patienten sollten die Vertragsparteien des BMV-Ä in Zukunft gleichwohl eine ausdrückliche Klarstellung dahingehend aufnehmen, dass Fernverordnungen im Rahmen von Fernbehandlungen von § 15 Abs. 2 BMV-Ä umfasst sind.

69 So SG München, Urteil v. 15.05.2018, Az. S 28 KA 367/17, Rn. 34 ff., 7 www.juris.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; Braun, MedR 2018, 563 (568), allerdings jeweils bezogen auf eine frühere Fassung des BMV-Ä.

70 Vgl. hierzu Abschn. „Online-Videosprechstunde“. 71 BT-Drs. 18/8034, S. 39; Braun, MedR 2018, 563 (567).

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Regelungsinhalt des § 8 Abs. 2 AM-RL Wie auch der BMV-Ä gilt die AM-RL72 ausschließlich für Vertragsärzte, nicht aber im privatärztlichen Bereich. § 8 Abs. 2 AM-RL regelt, dass eine Verordnung von Arzneimitteln – von Ausnahmefällen abgesehen – nur zulässig ist, wenn sich der behandelnde Arzt vom Zustand des Versicherten überzeugt hat oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist.73 Damit wird an den stets zu wahrenden ärztlichen Sorgfaltsmaßstab und die ärztliche Vertretbarkeit des Handelns angeknüpft, die auch § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte in Bezug nimmt. §  8 Abs.  2 AM-RL schließt damit eine Fernverordnung von Arzneimitteln seinem Wortlaut nach aus den gleichen Gründen, wie sie vorstehend im Zusammenhang mit § 15 Abs. 2 BMV-Ärzte erörtert worden sind, nicht aus. Wie bereits mit Blick auf § 15 Abs. 2 BMV-Ärzte wäre allerdings zur Erreichung größtmöglicher Rechtssicherheit für Behandler und Patienten eine ausdrückliche Klarstellung dahingehend wünschenswert, dass Fernverordnungen im Rahmen von Fernbehandlungen vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 AM-RL umfasst sind.

Ausdrücklich geregelte Fernbehandlungsmaßnahmen Unabhängig davon finden sich für zwei telemedizinische Maßnahmen ausdrückliche rechtliche Regelungen: für die Teleradiologie und für die Online-Videosprechstunde.

Teleradiologie Die Anforderungen an die Teleradiologie sind in § 123 StrlSchV kodifiziert. Hiernach hat der Teleradiologe bei der Durchführung der Untersuchung nach eingehender Beratung mit dem Arzt, der am Ort der

72 Arzneimittel-Richtlinie i. d. F. d. v. 18.12.2008/ 22.01.2009 (BAnz. Nr. 49, Beilage v. 31.03.2009), zuletzt geändert am 16.04.2020, in Kraft getreten am 27.06.2020 (BAnz 26.06.2020 B 2), 7 www.g-ba.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 73 Die Sonderregelungen betreffend § 8 AM-RL im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie bleiben hier unberücksichtigt.

technischen Durchführung anwesend zu sein hat (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 StrlSchG74), die rechtfertigende Indikation zu stellen und die Untersuchungsergebnisse zu befunden. Er muss ferner mithilfe elektronischer Datenübertragung und Telekommunikation unmittelbar in Verbindung stehen mit der Person, die nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StrlSchG die technische Durchführung der Untersuchung vorzunehmen und mit dem Arzt, der nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 StrlSchG am Ort der technischen Durchführung anwesend zu sein hat. Beim Betrieb einer Röntgeneinrichtung zur Teleradiologie hat der Strahlenschutzverantwortliche dafür zu sorgen, dass bei der an dem Teleradiologiesystem jeweils beteiligten anderen Einrichtung Kopien der Aufzeichnungen über die Qualitätssicherung nach § 115 StrlSchV vor der Inbetriebnahme und über die Konstanzprüfungen nach § 116 StrlSchV sowie über die Sachverständigenprüfungen nach § 88 Abs. 4 Nr. 1 StrlSchV aller zum System gehörenden Röntgeneinrichtungen zur Einsicht verfügbar sind. Die Pflicht kann auch durch das Bereithalten der Aufzeichnungen in elektronischer Form erfüllt werden. Der am Ort der technischen Durchführung anwesende Arzt hat bei der Durchführung der Untersuchung in der Teleradiologie insbesondere die zur Feststellung der rechtfertigenden Indikation erforderlichen Angaben zu ermitteln und an den Teleradiologen weiterzuleiten. Der Strahlenschutzverantwortliche muss dafür sorgen, dass die technische Durchführung bei der Anwendung von ionisierender Strahlung am Menschen in der Teleradiologie durch nach § 145 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 StrlSchV berechtigte Personen vorgenommen wird.

Online-Videosprechstunde Die zweite ausdrücklich geregelte telemediizinische Maßnahme ist die OnlineVideosprechstunde.  Vorab ist darauf hinzu74 Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzgesetz – StrlSchG) v. 27.06.2017, BGBl. 2017 I, S. 1966, zuletzt geändert durch Gesetz v. 27.06.2017, BGBl. 2017 I, S. 1966.

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weisen, dass eine deutschsprachige OnlineVideosprechstunde-Plattform nicht zwingend deutschem Recht unterliegen muss. Gerade der Einsatz des Internets ermöglicht die „Auslagerung“ eines solchen Angebots. In Großbritannien hat sich beispielsweise bereits erfolgreich eine deutschsprachige Online-Plattform zur Vermittlung von ärztlicher Beratung und Behandlung ausschließlich mittels Online-Chat und Video- bzw. Telekommunikation etabliert.75 Da diese in der Gesellschaftsform einer britischen Limited betrieben wird und die Praxis in London ansässig ist, unterfällt sie gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a), Art. 3 Buchstabe d) der Patientenmobilitätsrichtlinie (2011/24/EU) hinsichtlich der Erbringung telemedizinischer Leistungen britischem und nicht deutschem Recht, denn Behandlungsmitgliedsstaat ist der Staat, in welchem der Gesundheitsdiensteanbieter seinen Sitz hat.76 Nach deutschem Recht sind Einzelheiten zur Online-Videosprechstunde für gesetzlich krankenversicherte Patienten in Anlage 31b (Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß § 291g Absatz 4 SGB) zum BMV-Ä77 und im EBM geregelt. Diese Regelungen dürften indes – mit Ausnahme der Kostenrechnung – auch als Orientierung für die Durchführung von Online-Videosprechstunden mit privat krankenversicherten Patienten dienen. Für den Bereich gesetzlich krankenversicherter Patienten wurde folgender Indikationskatalog im EBM (s. dort Ziffern 04150 und 51023)78 für Videosprechstunden festgesetzt: 5 visuelle postoperative Verlaufskontrolle einer Operationswunde; 5 visuelle Verlaufskontrolle einer/von Dermatose(n), auch nach strahlentherapeutischer Behandlung;

75 7 www.dred.com, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 76 Siehe hierzu auch Hahn, MedR 2018, 384 (389); Karl, MedR 2016, 675 (676). 77 7  http://www.kbv.de/media/sp/Anlage_31b_Videosprechstunde.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020. 78 Sand: 2. Quartal 2020, 10.07.2020; 7 http://www. kbv.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020.

5 visuelle Verlaufskontrolle einer/von akuten, chronischen und/oder offenen Wunden; 5 visuelle Beurteilung von Bewegungseinschränkungen/-störungen des Stütz- und Bewegungsapparates, auch nervaler Genese, als Verlaufskontrolle; 5 Beurteilung der Stimme und/oder des Sprechens und/oder der Sprache als Verlaufskotrolle; 5 anästhesiologische, postoperative Verlaufskontrolle. Unter einer Videosprechstunde wird gemäß Anlage 31b zum BMV-Ä die synchrone Kommunikation zwischen einem Vertragsarzt und einem ihm bekannten Patienten im Sinne einer Online-Videosprechstunde in Echtzeit verstanden.79 Soweit diese verlangt, dass der Patient dem Arzt „bekannt“ sein muss, stellt sich die Frage, wie dies zu verstehen ist. § 291g Abs. 4, Abs. 1 SGB V setzt dieses Kriterium zunächst nicht voraus. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Vereinbarung vor Verabschiedung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte n. F. getroffen wurde, bereits zum 01.10.2016 in Kraft trat80 und damit noch davon ausging, dass berufsrechtlich einer Fernbehandlung stets ein physischer Arzt-Patienten-Kontakt voranzugehen hatte. Legt man die Definition daher im Lichte der Neuregelung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte aus, wird man nicht mehr verlangen können, dass der Patient dem Arzt bereits vor Beginn der Online-Videosprechstunde bekannt ist. Es wird vielmehr ausreichen müssen, dass sich Arzt und Patient vor Beginn der Ferndiagnostik und Fernbehandlung im Rahmen der Online-Videosprechstunde bekannt machen. Die Vereinbarung gemäß §  291g Abs.  4 SGB  V bestimmt Anforderungen an die Teilnehmer zur Durchführung der

79 BT-Drs. 18/10566, 12; BeckOK-SozR/Scholz, BMV-Ä, Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß § 291g Abs. 4 SGB V, Rn. 1 ff.; zur Vergütung Kuhn/Hesse, GesR 2017, 221 (224). 80 Aktuell geltende Fassung: 31.05.2020, 7 http://www. kbv.de, zuletzt aufgerufen am 21.07.2020.

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Videosprechstunde (§ 3), Anforderungen an den Vertragsarzt (§ 4) und Anforderungen an den Videodienstanbieter. Die Bestimmungen zum Datenschutz (§ 2) enthalten überwiegend Verweise auf andere Rechts- und Informationsquellen wie das BDSG, die DSVGO und das SGB V sowie die Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.81 In apparativer Hinsicht sind zur Durchführung einer Videosprechstunde erforderlich: Internetverbindung, Bildschirm, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher. Die Videosprechstunde muss in geschlossenen Räumen stattfinden, die eine angemessene Privatsphäre sicherstellen und die Datensicherheit gewährleisten. Zu Beginn der Videosprechstunde hat auf beiden Seiten eine Vorstellung aller im Raum anwesenden Personen zu erfolgen. Während der zwingend werbefreien Videosprechstunde sind Aufzeichnungen jeglicher Art nicht gestattet (§ 3 Anlage 31b BMV-Ä). Der für die Videosprechstunde genutzte Videodienstanbieter muss zertifiziert sein und nach § 5 Anlage 31b BMV-Ä verschiedene Anforderungen erfüllen (Registrierung des Arztes, Anmeldung des Versicherten ohne Account und verschlüsselte direkte Ende-zu-Ende-Übertragung). Es muss also eine unmittelbare Kommunikation der Endgeräte erfolgen, es darf keine Einsichtnahmemöglichkeit bestehen, es dürfen ausschließlich Server in der Europäischen Union verwendet werden und es muss nach 3 Monaten eine Datenlöschung erfolgen. Die Erfüllung der technischen Anforderungen muss der Arzt durch eine Erklärung des Videodienstanbieters gegenüber der KBV nachweisen.82 Der vom Arzt verwendete Bildschirm muss eine Diagonale von mindestens 3 Zoll und eine Auflösung von mindestens 640 × 480 px aufweisen. Die Bandbreite muss

81 DÄBl. 2014, A 963. 82 Vgl. hierzu auch KK-SozVersR/Schifferdecker, § 291g, Rn. 12 ff.; BeckOK-SozR/Scholz, BMV-Ä, Anlage 31b, Rn. 1 ff.

mindestens 2000 kbit/s im Download betragen. Der Vertragsarzt muss den Versicherten über die vorgenannten Teilnahmevoraussetzungen informieren und seine, jederzeit widerrufliche, schriftliche Einwilligung in die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung einholen.83 Für Videosprechstunden erhalten Vertragsärzte bis zu 800 EUR jährlich pro Arzt. Ferner wird für jede Videosprechstunde einen Technikzuschlag von 4,21 EUR (GOP 01450, Bewertung: 40 Punkte) gezahlt. Dieser wird für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gewährt, auch mehrmals im Behandlungsfall.84 Während der SARS-CoV-2-Pandemie gab es hinsichtlich der Mengenbegrenzung Lockerungen, die aber hier nicht weiter betrachtet werden sollen. Die GOÄ hingegen enthält keine besonderen Abrechnungsziffern für die Videosprechstunde. Hier muss eine Abrechnung also nach den üblichen Ziffern erfolgen, (z. B. Ziffer 1: Beratung, auch telefonisch; Ziffer 3: eingehende Beratung; Ziffer 4: Erhebung Fremdanamnese) und es können die üblichen Zuschläge in Ansatz gebracht werden (Zuschlag A: außerhalb der Sprechstunde; Zuschlag B: in der Zeit zwischen 20 und 22 Uhr oder 6 und 8 Uhr außerhalb der Sprechstunde; Zuschlag C: in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr; Zuschlag D: an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen; Zuschlag K1: Untersuchung nach Ziffer 5 bei Kindern bis zum vollendeten 4.  Lebensjahr).85

Dokumentation Die gesamte Fernbehandlung ist entsprechend § 630f BGB einschließlich der allgemeinen und besonderen, d. h. auf die Fernbehandlung an sich bezogenen Aufklärung zu dokumentieren. Die Wahl des Dokumentationsmediums – Papierform oder elektronisch – ist dem Arzt freigestellt (§ 630f Abs. 1 83 BeckOK-SozR/Scholz, BMV-Ä, Anlage 31b, Rn. 2. 84 EBM, 7 www.kbv.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; vgl. auch § 87 Abs. 2a Sätze 17–19 SGB V. 85 Zifferdrei – Online, PVS-Positionen, Videosprechstunde, 7 www.zifferdrei.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019.

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Zu beachten ist, dass im Hinblick auf Fernbehandlungen gemäß § 9 Abs. 1 HWG ein Werbeverbot besteht. Die Vorschrift bestimmt, dass eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung), unzulässig ist. Die Ratio des § 9 Abs. 1 HWG liegt im Schutz der Bevölkerung im Ganzen (vormals als „Volksgesundheit“ bezeichnet) sowie des individuellen Gesundheitsinteresses und basiert auf dem Gedanken, dass eine Fernbehandlung ein besonderes Gesundheitsrisiko birgt, da es sich hierbei um eine verkürzte und bedenkliche Behandlungsform handle, für die werbliche Anreize grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen.87 Diese seit dem 01.01.2001 geltende Vorschrift ist indes angesichts des seither stattgehabten

technischen Fortschritts im Bereich der Telekommunikationsmedien und der Telemedizin nicht mehr zeitgemäß.88 Die inzwischen bestehenden technischen Möglichkeiten führen zu einer erheblichen Reduzierung dieses Risikos und insgesamt zu einer Steigerung der Versorgungsdichte und Versorgungsqualität. Außerdem trifft die Legaldefinition der Vorschrift nicht mehr den Stand der Technik, denn angesichts der bestehenden telematisch-technischen Möglichkeiten kann eine eigene Wahrnehmung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden des Patienten ohne Weiteres auch im Rahmen einer Fernbehandlung erfolgen. Weiterhin muss mit Blick auf die Neufassung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte (und den entsprechenden Änderungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern) attestiert werden, dass § 9 Abs. 1 HWG nicht mehr dem ärztlichen Berufsrecht entspricht, welches die Vorschrift flankiert. Eine Fernbehandlung nützt einem Patienten nur dann, wenn er sich auch aus der Ferne darüber informieren kann, wer diese anbietet, wie und wo sie angeboten wird.89 Dies geht nur über Werbung, die deshalb wenigstens in Bezug auf eine rein sachliche Information über den Beratungsgegenstand, die eingesetzten Kommunikationsmittel und den beratenden Arzt sowie ggf. die Beratungszeiten ermöglicht werden muss. Es ist daher ebenso wie es in Bezug auf § 48 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AMG a. F. geschehen ist, in Bezug auf § 9 Abs. 1 HWG eine Novellierung der Vorschrift wünschenswert. Darüber hinaus erscheint dieses Werbeverbot mit Blick auf den vorbeschriebenen technischen und gesellschaftlichen Wandel im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit des Arztes im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG fragwürdig. In diese Richtung deuten nach hier vertretener Auffassung auch die Sanatoriumsentscheidung des BVerfG90 und die

86 Vgl. hierzu ausführlich Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, 2017, S. 162 ff. 87 BT-Drs. IV/1867, S. 9; Braun, MedR 2018, 563 (565) m. w. N.

88 So im Ergebnis auch Hahn, MedR 2018, 384 (387). 89 So im Ergebnis auch Braun, MedR 2018, 563 (566). 90 Beschluss vom 19.11.1985, Az. 1 BvR 932/84, 7 http://www.juris.de.

Satz 1 BGB). Dabei müssen nachträgliche Berichtigungen und Änderungen als solche kenntlich gemacht werden und der ursprüngliche Dokumentationsinhalt muss erkennbar bleiben. Dies gilt auch für elektronische Dokumentationen (§ 630f Abs. 1 Satz 2 BGB). Anderenfalls läuft der Arzt Gefahr, in einem etwaigen Zivilprozess den Beweiswert seiner Dokumentation zu schmälern bzw. sich dem Vorwurf des Verfälschens einer echten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1, 2. Alt., StGB auszusetzen.86 Sollte der Arzt beabsichtigen, die Online-Videosprechstunde zu Dokumentationszwecken aufzuzeichnen, muss er hierfür mit Blick auf § 201 StGB und Art. 7, 4 Nr. 11, 15 DSGVO eine datenschutzrechtliche Einwilligung des Patienten einholen. Bei gesetzlich krankenversicherten Patienten ist indes jede Aufzeichnung – auch mit Einwilligung – per se verboten (§ 3 Anlage 31b BMV-Ä).

Werbeverbot für Fernbehandlungen

29 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Institutsentscheidung des BGH.91 Aktuell aber läge in einer Werbung mit einem Fernbehandlungsangebot eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 15 Abs. 1 Nr. 6, 9 Abs. 1 HWG, die nach § 15 Abs. 3 HWG mit einer Geldbuße von bis zu 50.000,00 EUR geahndet werden kann. Gleichzeitig dürfte hierin gemäß § 27 Abs. 3 MBO-Ärzte bzw. gemäß den Parallelvorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern eine berufsrechtswidrige Werbung zu sehen sein,92 die mit berufsrechtlichen Sanktionen belegt werden kann. 2.4  Schweigepflicht und

Datenschutz

Sämtliche telemedizinisch erhobenen Daten und Befunde sowie bekannt gewordenen Geheimnisse werden – ebenso wie in Rahmen der unmittelbar physischen Behandlung des Patienten durch einen Arzt – einerseits gemäß § 203 Abs. 1, 1. und 2. Alt. StGB strafrechtlich und andererseits nach der DSVGO, dem BDSG und den Landes-Datenschutzgesetzen datenschutzrechtlich geschützt. 2.4.1  Strafrechtlicher Schutz der

Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 StGB

In strafrechtlicher Hinsicht muss der telemedizinisch tätige Arzt daher zunächst darauf achten, dass z. B. eine Online-Videosprechstunde nicht von unbefugten Dritten mitgehört werden kann. Dementsprechend verlangt Anlage 31b BMV-Ä zu recht,93 dass eine Online-Videosprechstunde in geschlossenen Räumen stattfinden muss, die ausreichend Privatsphäre bieten und sich alle im Raum befindlichen Personen vorstellen müssen. Im Rahmen der Hinzuziehung eines Telekonsilarztes – in Abgrenzung der direkten Fernbehandlung im Verhältnis des Telearztes 91 Urteil vom 26.04.1989, Az. I ZR 172/87, 7 http:// www.juris.de. 92 Hahn, MedR 2018, 384 (388). 93 Vgl. Abschn. „Online-Videosprechstunde“.

zum Patienten – ist die Tatbestandsalternative des unbefugten Offenbarens eines fremden Geheimnisses im Sinne des § 203 Abs. 1 Nr. 1, 1. und 2. Alt. StGB von besonderer Bedeutung. Offenbaren ist jedes Mitteilen des zum Zeitpunkt der Tat noch bestehenden Geheimnisses an einen Dritten, der dieses nicht, nicht in dem Umfang, nicht in dieser Form oder nicht sicher kennt,94 sofern es sich bei dem Dritten nicht um einen berufsmäßig tätigen Gehilfen oder um eine Person handelt, die bei der Vorbereitung auf den Beruf behilflich ist. Kein Offenbaren liegt auch in der Weitergabe des Geheimnisses an eine sonstige oder weitere mitwirkende Person (vgl. § 203 Abs. 3 StGB n. F.). Nach der Gesetzesbegründung soll es sich hierbei um Personen handeln, die mit der Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers, ihrer Vorbereitung, Durchführung, Auswertung und Verwaltung befasst sein muss. Exemplarisch hierfür werden Schreibarbeiten, Rechnungswesen, Annahme von Telefonanrufen, Aktenarchivierung und Aktenvernichtung, Einrichtung, Betrieb, Wartung – einschließlich Fernwartung – und Anpassung von IT-Anlagen, Anwendungen und Systeme aller Art, Bereitstellung von IT-Anlagen und IT-Systemen zur externen Speicherung von Daten sowie die Mitwirkung an der Erfüllung von Buchführungspflichten und steuerlichen Pflichten des Berufsgeheimnisträgers genannt.95 Damit wird die Weitergabe von Informationen z. B. an IT-Fernwartungsdienste oder an sog. Clouds, etwa zur Bereitstellung bzw. zum Abruf von Laborleistungen und Laborergebnissen, aus dem Tatbestand der Schweigepflichtverletzung ausgenommen.96 Nun könnte man auch den ohne Wissen und ausdrückliche Einwilligung des Patienten hinzugezogenen Telekonsilarzt als „sonstige mitwirkende Person“ in diesem Sinne

94 OLG Köln, NJW 1980, 898; BayObLG 1995, 1623; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, StGB, §  203, Rn. 20; Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 203, Rn. 17; Fischer, StGB, § 203, Rn. 44 ff. m. w. N. 95 BT-Drs. 18/11936, S. 22. 96 Fehn/Jackowski, ZMGR 2018, 159  ff.; Schorn, StraFo 2017, 491 (494).

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qualifizieren, da dieser an der beruflichen Tätigkeit des den Patienten unmittelbar physisch behandelnden Arztes mitwirkt und seine Mitwirkung gemäß § 7 Abs. 3 MBOÄrzte bzw. der entsprechenden Vorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern zur Einhaltung des erforderlichen Facharztstandards berufsrechtlich und haftungsrechtlich erforderlich ist (vgl. § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB). Zwar wird der Konsilarzt/Telekonsilarzt nicht ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannt, nach dem Wortlaut lässt er sich aber – wie aufgezeigt – ohne Weiteres unter den Erlaubnistatbestand des § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB subsumieren. Unabhängig davon liegt die Hinzuziehung des Telekonsilarztes im Interesse des Patienten und dürfte damit jedenfalls in der Regel durch dessen mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein.97 Um auf der „sicheren Seite“ zu sein, sollte der Arzt, der den Telekonsilarzt hinzuzieht, sich aber entweder die ausdrückliche Einwilligung des Patienten erteilen lassen und diese entsprechend dokumentieren oder die Befunde ausschließlich in anonymisierter oder pseudonymisierter Form übermitteln und besprechen, so dass kein Rückschluss auf die Person des Patienten möglich ist.98 2.4.2  Datenschutzrechtliche

Vorgaben gemäß DS-GVO, BDSG und Landes-DSG

Datenschutzrechtlich sind der Praxisinhaber bzw. der Krankenhausträger als Verantwortlicher und ein ggf. eingeschalteter Auftragsverarbeiter in Bezug auf personenbezogene Daten im Gesundheitsbereich verpflichtet, geeignete technisch-organisatorische Maß-

97 Vgl. zum Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung und der Einwilligung im Rahmen des § 203 StGB siehe Fehn/Jackowski, ZMGR 2018, 159 (165). 98 Fehn/Jackowski, ZMGR 2018, 159 (162); ebenso Hofer, MedR 2012, 636 (639); siehe ferner LG Köln, MedR 1984, 110; VG Münster, MedR 1984, 118 f.; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, StGB, §  203, Rn. 20 m. w. N.

nahmen (TOM) zu treffen, um ein angemessenes Schutzniveau zu erreichen (Art.  32 Abs. 1 DS-GVO und § 22 Abs. 2 BDSG). Bei diesen Daten handelt es sich datenschutzrechtlich um solche mit dem höchsten Schutzniveau. Es muss nachvollziehbar sein, wer personenbezogene Daten eingegeben, verändert oder entfernt hat, ggf. muss ein Datenschutzbeauftragter benannt werden, es muss eine Zugangsbeschränkung erfolgen und die Daten müssen pseudonymisiert und verschlüsselt werden. Bei den eingesetzten IT-Systemen muss eine dauerhafte Sicherstellung der Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Belastbarkeit gewährleistet werden. Es muss eine rasche Wiederherstellbarkeit personenbezogener Daten nach einem Zwischenfall möglich sein. Ferner muss ein Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der TOM implementiert sein, und es müssen Verfahrensregelungen geschaffen werden, die im Fall einer Übermittlung oder Verarbeitung von Daten für andere Zwecke die Einhaltung der DS-GVO und des BDSG sicherstellen. Weitergehende Konkretisierungen enthalten indes weder die DS-GVO, noch das BDSG. Die konkreten Anforderungen der Aufsichtsbehörden sind daher kaum vorhersehbar. Für öffentliche Krankenhäuser finden im Übrigen ergänzend die Landes-Datenschutzgesetze bzw. die Landes-Krankenhausdatenschutzgesetze Anwendung,99 auf die an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden kann. Für den Praxisinhaber bzw. den Krankenhausträger gilt es jedenfalls, die IT-Systeme, die für telemedizinische Aufgaben genutzt werden – ebenso wie alle anderen IT-Systeme – gemäß Art. 30 DSGVO in ein Verarbeitungsverzeichnis einzupflegen und dieses regelmäßig fortzuführen. Außerdem ist – jedenfalls in größeren Organisationseinheiten – ein IT-Compliance-System (Datenschutz- und Informations-Sicherheits-Management-System – DSMS/ISMS) zur Umsetzung aller Verpflichtungen nach der DS-VGO einzurichten,

99 Hofer, MedR 2012, 636 (639) m. w. N.

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in deren Rahmen mit Checklisten, Prozessbeschreibungen, Organisations- und Arbeitsanweisungen und der Schulung von Mitarbeitern zu arbeiten ist. In diesem Zusammenhang ist auch die technische Anlage „Hinweise und Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“ zu beachten.100 2.5  Behandlungsfehler und

Telemedizin

2.5.1  Allgemeines

Der Begriff des Behandlungsfehlers wird differenziert in den einfachen und den schweren (groben) Behandlungsfehler (hierzu 7 Abschn. 2.5.2 bis 7 Abschn. 2.5.4). Diese Unterscheidung hat vornehmlich Bedeutung im Zivilrecht, da der schlüssige Vortrag eines groben Behandlungsfehlers durch den Patienten, der grundsätzlich geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen, zu einer Beweislastumkehr dahingehend führt, dass die Kausalität des Fehlers für den Schaden vermutet wird (§ 630h Abs. 5 BGB). In diesem Fall muss nicht mehr der Patient die Kausalität als für ihn günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache behaupten und beweisen, sondern der Arzt muss zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass sein Fehler nicht für den Schaden verantwortlich war. Im Strafrecht spielt die Unterscheidung zwischen einfachem und schwerem Behandlungsfehler hingegen allenfalls in Bezug auf die Strafzumessung eine Rolle, da beide Formen des Behandlungsfehlers die Straftatbestände der fahrlässigen Tötung im Sinne des § 222 StGB oder der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne des § 229 StGB erfüllen können.101 Neben der Einteilung eines Behandlungsfehlers nach seiner Schwere

100 DÄBl. 7 https://doi.org/10.3238/arztebl.2018.ds_ ta01. 101 Vgl. hierzu auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 171.

findet außerdem eine Einteilung nach der Art des Fehlers statt (hierzu 7 Abschn. 2.5.5). 2.5.2  Einfacher Behandlungsfehler

und maßgeblicher Standard

Die Behandlung des Patienten hat gemäß § 630a Abs. 2 BGB nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.

Facharztstandard Der Patient hat somit gegen den Behandler Anspruch auf eine Behandlung entsprechend dem für die Therapie seiner Erkrankung bzw. Verletzung entsprechenden Facharztstandard.102 Welcher Facharztstandard zu erbringen ist, hängt also vom zu behandelnden Krankheits- und Verletzungsbild sowie davon ab, in welches medizinische Teilgebiet dessen Therapie nach der jeweils geltenden Weiterbildungsordnung fällt. Fehlerhaft handelt der Arzt demzufolge, wenn er gegenüber dem Patienten eine Behandlung erbringt, die nicht dem geschuldeten einschlägigen Facharztstandard entspricht.103 Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche sowie eine Strafbarkeitsfolge ergeben sich daraus, wenn aus dem Behandlungsfehler ein Schaden an den Rechtsgütern „Leben“ und „Gesundheit“ des Patienten resultiert.104 Eine Standardverletzung kann mithin z. B. auch

102 BGH, NJW 2000, 2754, 2758; BGH, NJW 1998, 2736; BGH, NJW 1996, 780; BGH, NJW 1993, 2989, 2990; BGH, NJW 1992, 1560; BGH, NJW 1987, 1488; BGHZ 88, 248, 254; BGHSt 43, 306, 311; Spickhoff/Greiner, Medizinrecht, § 839 BGB, Rn. 8; Hofer, MedR 2012, 636 (636); Fehn, ZaeFQ 2001, 469, 470 m. w. N. 103 BGH NJW 2016, 714; BGH, NJW-RR 2014, 1054, Rn 11; Spickhoff/Greiner, Medizinrecht, § 839 BGB, Rn. 6; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 15, Rn. 212 m. w. N.; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 630a, Rn. 35 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 147 ff.; Wendelstein, S. 79 f. 104 Vgl. zu diesem Komplex auch Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, 2017, S. 95 ff.

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darin liegen, dass der Arzt die Notwendigkeit einer unmittelbaren physischen Behandlung des Patienten verkannt und eine ausschließliche Fernbehandlung durchgeführt hat.105 Insoweit kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Facharztstandard auch in der Telemedizin gilt.106

TMAS – Telemedical Maritime Assistance Service (Medico Cuxhaven)

Beratung des Krankenhauses Cuxhaven für die weltweite Seeschifffahrt „TMAS – Telemedical Maritime Assistance Service“ (auch „Medico Cuxhaven“) zu nennen.109 Nachdem ursprünglich Seeleute nur über Funk medizinisch unterstützt werden konnten, können heutzutage z. B. Digitalfotos von erkrankten Körperpartien in Cuxhaven ausgewertet und der Fernberatung zugrunde gelegt werden. Da TMAS auf fast 90 Jahre Erfahrung zurückgreifen kann, wird inzwischen der medizinische Standard für die Seeschifffahrt in einer Bekanntmachung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur im Bundesanzeiger veröffentlicht. Damit wird der erforderliche Standard mobiler Geräte zur Gesundheitsvorsorge für die Handelsschifffahrt festgelegt (z. B. AED mit EKG-Anzeige und EKG-Übertragungsmöglichkeit zum deutschen funkärztlichen Beratungsdienst). Die Überwachung erfolgt durch die Berufsgenossenschaft für Transport- und Verkehrswirtschaft.110 Ärzte, welche die funkärztliche Beratung durchführen, müssen neben dem einschlägigen fachärztlichen Wissen über Kenntnisse zur Nutzung der telemedizinischen technischen Mittel sowie schifffahrtsspezifische Kenntnisse (z. B. über Schiffstypen, Einfluss der nautischen Position auf die Behandlung, klimatische Besonderheiten, Besonderheiten bei Sturm und Eis, reise- und tropenmedizinische Aspekte u.  Ä.) verfügen.111

Hierzu ist auf einige, in der Praxis angewendete telemedizinische bzw. quasi-telemedizinische Programme einzugehen. Als erstes ist hier die seit 1931 angebotene „funkärztliche“

TEMPiS – Telemedizinisches Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Süd-Ost-Bayern

105 Braun, MedR 2018, 563 (565). 106 So zu Recht Bergmann, MedR 2016, 497 (499). 107 Zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen in Arzthaftungsprozessen BGH, Beschluss v. 06.05.2008, Az. VI ZR 250/07, Rn. 9, zitiert nach 7 www.openjur.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; OLG Hamm, AHRS 7010/124; OLG Hamm, AHRS 7010/300;OLG Hamm, AHRS 7010/319; OLG Karlsruhe, AHRS 7010/328; allgemein zur Tätigkeit des Arztes als Sachverständiger Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel XII, Rn. 1 ff. 108 So zu Recht Bergmann, MedR 2016, 497 (500).

109 7 www.deutsche-flagge.de → Maritime Medizin →  funkärztliche Beratung; 7 www.helios-gesundheit. de/igohelios/standorte/cuxhaven/, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019. 110 Siehe auch Bergmann, MedR 2016, 497 (500). 111 Flesche/Toepfer, in: Scholz/Sefrin/Böttiger/Dörges/ Wenzel, Notfallmedizin, S. 530 (531).

Besonderheiten in der Telemedizin, Beispiele Neben dem einschlägigen Facharztstandard müssen bei der Bestimmung des einschlägigen Standards die Besonderheiten der Telemedizin berücksichtigt werden. Grundlagen für diesen besonderen telemedizinischen Standard gibt es indes in bestimmten Teilbereichen bereits jetzt, die zu einer eigenständigen Standardbildung führen werden bzw. teilweise bereits geführt haben. Der Facharztstandard gemeinsam mit den Besonderheiten der Telemedizin bildet sodann den telemedizinischen Facharztstandard. Im Falle einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung und/oder eines Strafverfahrens wegen eines Behandlungsfehlers wird ein Sachverständiger mit der Feststellung des maßgeblichen telemedizinischen Facharztstandards zu beauftragen sein.107 Dieser muss dann über entsprechende Sachkunde in der Telemedizin verfügen.108

Als weiteres, bereits im Jahr 2003 etabliertes telemedizinisches Projekt ist „TEMPiS – Telemedizinisches Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung in der Region

33 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Süd-Ost-Bayern“112 zu nennen. Hier sind inzwischen 24 Kliniken ohne Stroke Unit mit zwei universitären Schlaganfallzentren (München Harlaching und Universität Regensburg) verbunden, sodass auch Patienten in ländlichen Regionen hochspezialisierte Schlaganfallbehandlung erhalten können. Seit Projektbeginn wurden über 50.000 Telekonsile mit Ärzten in Krankenhäusern durchgeführt. Nach wissenschaftlicher Auswertung konnten gemessen an etablierten Qualitätsindikatoren in den regionalen Kliniken neben der Lysetherapie auch die Qualität der gesamten Schlaganfalltherapie verbessert werden. Mehr Patienten erhielten eine frühe Diagnostik (z. B. Computertomografie), spezifische Therapie und frühe rehabilitative Behandlung. Die telemedizinische Beratung hat daneben dazu beigetragen, dass sowohl Ursachen von schlaganfallähnlichen Erkrankungsbildern als auch spezielle, einer operativen bzw. interventionellen Behandlung bedürftige Schlaganfallsubtypen häufiger bzw. früher erkannt und einer entsprechenden Therapie zugeführt werden.113 2018 wurde in diesem Rahmen zusätzlich das Projekt „TeleSchwindel“ gestartet. Hier wird dem Patienten in den angeschlossenen Kliniken eine Videokopfimpulstestbrille aufgesetzt, die an den „Teledoc“ angeschlossen ist. Über die Videobrille kann der Telekonsilarzt auch subtile Augenbewegungsstörungen zuverlässig erkennen und befunden, was für die diagnostische Einordnung beim Symptom Schwindel von fundamentaler Bedeutung ist.114 Zur Strukturqualität von TEMPiS in Bezug auf die Schlaganfalltherapie gehören: 5 telemedizinische Untersuchung (Videokonferenz), 5 telemedizinische Beratung (Telekonsil), 5 digitale Bildübertragung (Teleradiologie) und 5 Einleitung von Lysetherapie unter Anleitung.

112 7 www.tempis.de, zuletzt aufgerufen am 22.07.2020. 113 7 www.tempis.de →  Wissenschaft, zuletzt aufgerufen am 22.07.2020. 114 7 www.tempis.de -> Über Tempis →Teleschwindel, zuletzt aufgerufen am 22.07.2020.

Zur Gewährleistung der Prozessqualität gehören folgende Aspekte: 5 Telekonsildienst der überregionalen Stroke Unit 24 h, 5 Befreiung der Telekonsilärzte von anderen Tätigkeiten, 5 2 Fortbildungsveranstaltungen in Kooperationskliniken, 5 2 Qualitätsbesprechungen pro Jahr, 5 Bedside-Training 5 Tage pro Jahr und 5 kontinuierliche strukturierte Dokumentation der Behandlung. Für das teleneurologische Konsil in Bezug auf die Schlaganfallbehandlung kann nicht zuletzt mit Blick auf die wissenschaftliche Evaluation des Projekts115 ein entsprechender rechtlicher Mindeststandard für vergleichbare telemedizinische Maßnahmen extrahiert werden.

TemRas – Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem Als drittes Beispiel ist das von der RWTH Aachen, dem Universitätsklinikum Aachen und einem Konsortium aus weiteren Projektpartnern entwickelte Projekt „TemRas – Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem“116 zu nennen, mit dem notärztliche Hilfe jederzeit auch in ländlichen, schwer erreichbaren Gebieten zugänglich gemacht werden soll. Zu diesem Zweck steht den Notfallsanitätern bzw. Rettungsassistenten oder dem Notarzt vor Ort ein Telenotarzt in einer Telenotarztzentrale zur Verfügung. Neben einer permanenten Sprachverbindung zwischen allen Einsatzkräften werden auch die Vitalparameter des behandelten Patienten in Echtzeit an die Telenotarztzentrale übertragen. Außerdem können dem Telenotarzt Fotos und Videos von der Einsatzstelle gesendet werden. Der Telenotarzt muss hier ebenso wie der Notarzt „Arzt im Rettungsdienst“ sein und

115 Vgl. etwa den Jahresbericht Tempis 2019, 7 http:// www.tempis.de -> Dokumente -> Jahresbericht 2019, zuletztaufgerufen am 22.07.2020. 116 7 www.temras.de, zuletzt aufgerufen am 15.01.2019; aus rechtlicher Sicht ausführlich Katzenmeier/ Schrag-Slavu und Fehn, MedR 2014, 543 ff.

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zudem Kenntnisse im Umgang mit den telemedizinischen Geräten und Kommunikationsmitteln haben. Für den telenotärztlichen Bereich kann aus TemRas hinsichtlich der Technik und mit Blick auf die ebenfalls erfolgte wissenschaftliche Auswertung gleichfalls ein maßgeblicher telenotfallmedizinischer Mindeststandard entnommen werden. 2.5.3  Sorgfaltspflichtverletzung

Das entscheidende Kriterium für die Annahme eines Behandlungsfehlers ist die Sorgfaltspflichtverletzung, also die Unterschreitung des einschlägigen telemedizinischen Facharztstandards. Ausgangspunkt der Überlegung ist dabei, dass der Arzt seinem Patienten aufgrund des mit diesem bestehenden Behandlungsvertrages keinen konkreten Heilerfolg schuldet, sondern vielmehr „nur“ die standardgerechte, für den Patienten optimale Behandlung.117 Im Strafrecht gilt grundsätzlich ein individueller Sorgfaltsmaßstab, d. h. die Bestrafung erfolgt anhand der persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen, denn daran bemisst sich, ob ein bestimmtes, mit Strafe bedrohtes Verhalten persönlich vorwerfbar ist. Im Zivilrecht hingegen ist ein objektiv-typisierender Sorgfaltsmaßstab maßgeblich,118 wonach der Standard anhand einer durchschnittlichen Vergleichsgruppe festgelegt und jede ungerechtfertigte Abweichung unterhalb dieses Standards als sorgfaltswidrig angesehen wird. Nur dadurch kann das Zivilrecht eine Verkehrssicherheit herstellen. Für die zivilrechtliche Feststellung eines Behandlungsfehlers bedeutet dies, dass sich der jeweilige Arzt daran messen lassen muss, welches Handeln von einem erfahrenen Facharzt seiner Fachrichtung im Rahmen der telemedizinischen Behandlung bzw. des Telekonsils hätte erwartet werden können. Weicht er von diesem Standard nach unten ab, handelt er 117 Vgl. nur Laufs/Kern/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38, Rn. 9 m. w. N. 118 BGHZ 39, 281, 283; BGHZ 106, 323 ff.; Jauernig/Stadler, BGB, § 276, Rn. 28 f. m. w. N.; Palandt-Grüneberg, BGB, § 276, Rn. 15.

sorgfaltswidrig. Auf seine persönlichen Fähigkeiten kommt es nicht an. Er kann sich also zunächst aus zivilrechtlicher Sicht nicht damit entlasten, dass er persönlich eine bestimmte Maßnahme nicht oder nicht so gut beherrsche, obwohl diese zu seinem Fachgebiet gehört, etwa weil er von seiner Klinik hierin nicht ausreichend fortgebildet worden sei. Im telemedizinischen Bereich kann dementsprechend nicht entlastend vorgetragen werden, der Telearzt beherrsche die eingesetzte Technik nicht oder habe noch nie mit dieser gearbeitet oder diese habe nicht einwandfrei funktioniert und Daten nicht, nicht vollständig oder fehlerhaft übertragen. Nach der grundsätzlich im Strafrecht geltenden, vorerwähnten individuellen Fahrlässigkeitslehre119 wäre schon eine Schuldbefreiung mit diesem Einwand denkbar, griffe er durch. Allerdings ist in Rechtsprechung und Schrifttum mittlerweile anerkannt, dass der zivilrechtliche objektiv-typisierende Fahrlässigkeitsbegriff in Fällen eines Behandlungsfehlers auch im Strafrecht zusätzlich zum individuellen Maßstab gelten muss, so dass hier ein doppelter – objektiv-abstrakter und individueller – Fahrlässigkeitsbegriff Anwendung findet.120 Dies folgt aus dem Umstand, dass die strafrechtliche Betrachtung nicht unter Außerachtlassung des zugrunde liegenden zivilrechtlich begründeten Behandlungsverhältnisses erfolgen kann, nach welchem der Patient gegenüber dem Arzt einen Anspruch auf eine dem Standard eines erfahrenen Facharztes entsprechende Behandlung hat.121 Wenn ein bestimmter

119 Es geht im Strafrecht darum, persönlich vorwerfbares Unrecht zu bestrafen, wohingegen das Zivilrecht im Bereich arztrechtlicher Fragen vornehmlich die Aufgabe hat, Rechtssicherheit und Verlässlichkeit herzustellen. 120 BGH, VersR 2003, 1128, 1130; BGH, NJW 2001, 1786, 1787; OLG Frankfurt, MedR 1995, 75, 77; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 55; Deutsch, NJW 1984, 650 f. 121 BGH, NJW 2000, 2754, 2758; BGH, NJW 1998, 2736; BGH, NJW 1996, 780; BGH, NJW 1993, 2989, 2990; BGH, NJW 1987, 1488; BGHZ 88, 248, 254; BGHSt 43, 306, 311; Spickhoff/Gruner, Medizinrecht, § 839 BGB, Rn. 8; Fehn, ZaeFQ 2001, 469, 470 m. w. N.

35 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Standard indes zivilrechtlich geschuldet wird, muss dieser auch strafrechtlich gelten, jedenfalls wenn die höchsten Rechtsgüter der Rechtsordnung – Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) – zur Disposition stehen. Der BGH hebt hier ausdrücklich hervor, dass „an das Maß der ärztlichen Sorgfalt hohe Anforderungen zu stellen sind“, da „aus medizinischen Maßnahmen besonders ernste Folgen entstehen können und der Patient regelmäßig die Zweckmäßigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Handlung nicht beurteilen kann.“122 Die Anwendung dieses strengen objektiv-typisierenden Sorgfaltsmaßstabs dient damit dazu, den Patienten als die schwächere Partei in der Rechtsbeziehung mit dem Arzt zu schützen. Individuelle, persönliche Defizite des Arztes bleiben aber freilich nicht unberücksichtigt. Diese sind auf der Ebene der Schuld, bzw. sofern diese festgestellt ist, unter Strafzumessungsgesichtspunkten zu gewichten. 2.5.4  Grober Behandlungsfehler

Unter einem groben (schweren) Behandlungsfehler wird ein ärztliches Verhalten verstanden, das „zwar nicht notwendig aus subjektiven, in der Person des Arztes liegenden Gründen, aber aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht schlechterdings nicht unterlaufen darf“.123 Zur beweisrechtlichen Bedeutung des groben Behandlungsfehlers im Zivilrecht und zur Strafzumessungsrelevanz im Strafrecht wird auf die Ausführungen in 7 Abschn. 2.5.1 verwiesen, wegen Beispielen im Bereich der Telemedizin auf die Darstellungen in Abschn. „Besonderheiten der Telemedizin“. 122 BGH, NJW 2000, 2754, 2758; vgl. auch BGHSt 6, 282 (288). 123 BGH, NJW 1983, 2080; BGH, NJW 2001, 2792, 2794 ff. m. w. N.; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 630h, Rn. 8 f.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 175.

2.5.5  Arten von

Behandlungsfehlern

Diagnosefehler Da der Arzt dem Patienten keine erfolgreiche, sondern „nur“ eine sorgfältige, dem jeweiligen Facharztstandard entsprechende Behandlung schuldet, kann von ihm konsequenterweise auch keine richtige, sondern „nur“ eine sorgfältige und standardgerechte Diagnose verlangt werden. Deshalb sind Diagnoseirrtümer grundsätzlich keine Behandlungsfehler.124 Ein Behandlungsfehler wegen fehlerhafter Diagnose kommt nur dann in Betracht, wenn der Arzt ein eindeutiges Krankheitsbild infolge Unachtsamkeit oder mangels ausreichender Erfahrung verkennt, elementare Kontrollbefunde nicht erhoben werden oder eine vorläufige Diagnose während der weiteren notwendigen Behandlung oder Untersuchung nicht überprüft wird und deswegen entweder keine standardgerechte bzw. eine nicht indizierte Therapie eingeleitet wird oder es zu einer verspäteten Einleitung der indizierten Therapie kommt, wodurch der Patient einen Gesundheitsschaden erleidet.125 Ein grober Diagnosefehler ist etwa anzunehmen, wenn die Kenntnis der Diagnose grundlegend ist und schon bei einem Examenskandidaten erwartet werden kann, weil sie zum medizinischen Basiswissen eines Arztes derselben Fachrichtung gehört.126 Ein Behandlungsfehler in Form eines Diagnosefehlers ist bei einer reinen Fernbehandlung ohne Weiteres denkbar, wenn der Telearzt beispielsweise mehrdeutige Symptome nicht standardgerecht in Richtung der schwerst möglichen Erkrankung oder ein-

124 BGH, VersR 1981, 1033; OLG Frankfurt, VersR 1997, 1358; OLG Nürnberg VersR 1993, 104; OLG Bamberg, VersR 1992, 831; OLG Köln, VersR 1991, 1288; OLG Köln, ZSchR 1989, 260; vgl. auch Palandt-Weidenkaff, BGB, § 630a, Rn. 36; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 152 ff.; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1/2002, 2 (2). 125 BGH VersR 1995, 46; BGH, VersR 1994, 52; OLG Celle, VersR 1994, 1237; OLG Oldenburg, VersR 1994, 1241; OLG Düsseldorf, VersR 1987, 994. 126 Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B., Rn.  55  ff., 265.

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deutige Symptome schlicht fehlerhaft interpretiert und daraufhin eine nicht indizierte Therapie einleitet. Berichtet ein Patient etwa im Rahmen einer Online-Videosprechstunde über Schmerzen in der Brust, die in den linken Arm ausstrahlen, interpretiert der Telearzt diese als Interkostalneuralgie oder Gastritis und leitet eine hierauf, nicht aber auf einen Herzinfarkt ausgerichtete Therapie ein,127 so dass der Patient schließlich dauerhaft erwerbsunfähig wird oder verstirbt, liegt hierin ein grober Behandlungsfehler in Form eines groben Diagnosefehlers. Das Gleiche gilt z. B., wenn ein Patient über starke Rückenschmerzen und Taubheitsgefühle in den Extremitäten berichtet und der Telearzt an einem Freitag nur dazu rät, Schmerztabletten zu nehmen, Bettruhe zu halten und ggf. am Montag vor Ort einen Orthopäden aufzusuchen, wenn die Schmerzen nicht nachlassen. Aufgrund der fortschreitenden Nervenschädigung in den folgenden Tagen erleidet der Patient dauerhafte Lähmungen. Der Telearzt hätte die Schwere beider Erkrankungen und deren mögliche Folgen für die Gesundheit bzw. das Leben des Patienten erkennen, diesen darauf hinweisen und ihn auffordern müssen, den Rettungsdienst zu alarmieren bzw. sich umgehend in eine Notaufnahme zu begeben. In diesem Zusammenhang ist auch auf die in die Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommene Vorschrift des § 7 Abs. 3 Satz 2 MBO-Ärzte und den dadurch gesetzten Standard hinzuweisen. Hiernach haben Ärzte, soweit dies für die Diagnostik und Therapie erforderlich ist, rechtzeitig andere Ärzte hinzuzuziehen oder ihnen die Patienten zur Fortsetzung der Behandlung zu überweisen. Dies gilt selbstverständlich auch im Rahmen einer telemedizinischen Fernbehandlung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 MBO-Ärzte.128 Soweit, wie etwa in der Pathologie, automatisierte digitale Diagnoseverfahren angewandt werden, muss die eingesetzte Software als Medizinprodukt gemäß § 3 Nr. 1, 4. Alt.

127 Vgl. Vennedey, S. 23. 128 So auch Bergmann, MedR 2016, 497 (499).

MPG129 eine CE-Kennzeichnung (§ 9 MPG) aufweisen.130 Der Einsatz einer nicht entsprechend gekennzeichneten Software ist daher als nicht standardgerecht zu qualifizieren. Unabhängig davon kann der Einsatz einer Diagnosesoftware nicht nur sinnvoll, sondern zur Wahrung des einschlägigen Standards sogar geboten sein. So kann wissenschaftlich belegt werden, dass etwa die Variabilität der Auswertungen unterschiedlicher Betrachter bei schwierigen Markern, wie z. B. Her2 (epidermaler Wachstumsfaktorrezeptor bei Brustkrebs), durch den Einsatz von Software gestützter Diagnostik reduziert werden kann.131 In solchen Fällen kann die Nichtanwendung einer vorhandenen, allgemein anerkannten und zertifizierten Diagnosesoftware u. U. eine Standardverletzung darstellen und damit fehlerhaft sein.

Therapiefehler/Medikationsfehler Die Therapiewahl unterliegt – begrenzt durch den Patientenwillen (§  630d BGB, §  228 StGB) – grundsätzlich dem ärztlichen Beurteilungsermessen. Dem Arzt ist insoweit seine Therapiefreiheit zuzubilligen. Allerdings geht diese Therapiefreiheit nicht so weit, dass der Arzt dem Patienten risikoarme Standardmethoden vorenthalten darf. Es ist grundsätzlich der sicherste Weg zu wählen.132 Will der Arzt aus bestimmten Gründen vom „sicheren Weg“ abweichen und etwa eine Außenseitermethode anwenden, muss er eine Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen, dies mit dem Patienten eingehend besprechen und insbesondere auf die sichere Standardmethode hinweisen und schließlich dessen wirksame Einwilligung erwirken. Bei der Rezeptierung und Applikation von Medikamenten treffen den Arzt erhöhte

129 Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) i. d. F. d. Bek. v. 07.08.2002, BGBl. 2002 I, S. 3146, zuletzt geändert durch Gesetz v. 18.07.2017, BGBl. 2017 I, S. 2757. 130 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Fehn, ZMGR 2017, 91 ff. 131 Bloom/Harrington, AJCP 2004, 620; Gown, Mod. Path. 2008, 8; Hofer, MedR 2012, 636 (638). 132 Vgl. OLG Köln, VersR 1990, 846; Palandt-Weidenkaff, BGB, 3 630a, Rn. 27 ff.

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Sorgfaltsanforderungen. So handelt dieser etwa fahrlässig, wenn er ein fehlerhaftes, unvollständiges oder missverständliches Rezept ausstellt oder Kontraindikationen und Dosierungsanweisungen des Herstellers übersieht, bzw. auf diese nicht hinweist. Eine konkrete Überwachungspflicht in Bezug auf die Medikamenteneinnahme durch den Patienten trifft den Arzt indes nicht, jedoch muss letzterer Anzeichen der Nichteinnahme oder der Fehleinnahme des Medikamentes durch den Patienten ggf. erkennen und mit diesem besprechen. Die Verordnung nicht indizierter oder falsch dosierter Medikamente (z. B. aufgrund eines Diagnoseirrtums),133 stellt damit einen Medikationsfehler dar. Pharmazeutische (chemische) Substanzen sind allgemein und konkret in der Regel geeignet, die Gesundheit selbst im Falle überwiegend positiven Nutzens jedenfalls auch zu schädigen (Nebenwirkungen). Insbesondere im Rahmen einer reinen Fernverordnung von Medikamenten bzw. der Einleitung einer Therapie nur aufgrund einer reinen Online-Videosprechstunde muss der Telearzt bedenken, dass er vom – jedenfalls noch als solchen zu bezeichnenden – Goldstandard der Diagnostik und Behandlung des Patienten im unmittelbaren physischen Kontakt abweicht und deswegen grundsätzlich geringere Erkenntnismöglichkeiten hat. Er muss daher in besonderem Maße kontrollieren, ob die von ihm dem Patienten empfohlenen therapeutischen Maßnahmen bzw. aus der Ferne verordneten Medikamente zu einer Besserung der Beschwerden des Patienten führen oder ggf. Schaden anrichten. Er muss dem Patienten daher konkrete Verhaltensregeln an die Hand geben und ihm insbesondere mitteilen, wie er sich bei einer Verschlechterung der Beschwerden oder dem Auftreten von Nebenwirkungen und/oder Komplikationen verhalten muss.

133 Vgl. BGHSt 43, 346; BGH, NStZ 1999, 132; Fischer, StGB, § 223, Rn. 7.; Terbille, in: Terbille/Clausen/ Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 3, Rn. 70; vgl. auch Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1/2002, 2 (2 f.).

Verletzung therapeutischer Beratungspflichten Teil der Behandlung des Patienten ist dessen Beratung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des therapiesichernden Verhaltens. So ist der Arzt z. B. verpflichtet, auf bedrohliche Befunde hinzuweisen, falls diese körperliche Schonung, eine abgestimmte Lebensweise oder eine weitere Beobachtung oder Untersuchung erfordern.134 Ferner ist Gegenstand der therapeutischen Beratungspflicht der Hinweis auf notwendige Behandlungsmaßnahmen zur Verhinderung künftiger Schäden und auf eine evtl. Fristgebundenheit solcher Maßnahmen.135 Schließlich ist der Arzt verpflichtet, den Patienten auf die ggf. erforderliche Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln bei Auftreten von Beschwerden oder Nebenwirkungen hinzuweisen. Gleiches gilt für den schon angesprochenen Hinweis auf die Erfolgssicherheit einer bestimmten Behandlungsmethode, insbesondere wenn noch weitere Methoden zur Verfügung stehen.136 Insofern gilt für die telemedizinische Behandlung nichts anderes als für die herkömmliche Behandlung des Patienten.

Übernahmeverschulden Eine weitere Erscheinungsform des Behandlungsfehlers ist das Übernahmeverschulden. Beim Übernahmeverschulden beruht der Fahrlässigkeitsvorwurf auf dem Umstand, dass der Arzt die (telemedizinische) Behandlung des Patienten übernimmt, obwohl er hätte erkennen können oder müssen, dass er den geschuldeten Facharztstandard nicht oder möglicherweise nicht gewährleisten kann, entweder weil die Grenzen seines Fachbereichs überschritten sind oder weil seine persönlichen Fähigkeiten für die Therapie nicht ausreichen oder weil seine personelle und/oder apparative Ausstattung nicht den

134 OLG Köln, VersR 1992, 1231. 135 BGH, VersR 1991, 308. 136 Vgl. BGH, VersR 1992, 1229; OLG Oldenburg, VersR 1994, 1348; OLG Bremen, VersR 1999, 1151; OLG Frankfurt, VersR 1999, 1544.

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Anforderungen der Therapie entspricht.137 Letzteres kann bei der telemedizinischen Behandlung z. B. eine nicht standardgerechte kommunikationstechnische bzw. telemedizinische Ausstattung sein, durch die z. B. für die Diagnostik oder die Erhebung von Kontrollbefunden wichtige Daten nicht, nicht vollständig oder nicht fehlerfrei übermittelt werden.138 Daneben können auch z. B. Krankheit, Sucht, Übermüdung oder körperliche Gebrechen die Übernahme der Behandlung verbieten. Der Telearzt muss in jedem Fall vor bzw. bei Übernahme einer jeden Behandlung prüfen, ob er über die notwendigen theoretischen, technischen und praktischen Fähigkeiten und Kenntnisse sowie die notwendige telemedizinische Ausstattung verfügt, um den Patienten entsprechend dem jeweils einschlägigen Standard behandeln zu können.139 Zwar ist der Arzt nicht dogmatisch auf sein Fachgebiet festgelegt,140 wenn er sich aber auf ein anderes Fachgebiet begibt, muss er den Facharztstandard auch dieses Fachgebiets ohne Einschränkungen gewährleisten.141 Eine Ausnahme von dem vorbeschriebenen Grundsatz der „Fachgebietstreue“ des Behandlers ist in Notfällen anzunehmen. Hier ist der Arzt schon aufgrund seiner allgemeinen, aus § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung) resultierenden Hilfeleistungspflicht zu der ihm bestmöglichen Hilfe verpflichtet. In solchen Fällen darf und muss er auch sein Fachgebiet verlassen, ohne den

137 Vgl. BGH, VersR 1995, 195; BGH, VersR 1994, 52; OLG Zweibrücken, VersR 1998, 590; OLG Oldenburg, VersR 1997, 1405; OLG Stuttgart, VersR 1994, 106; OLG Stuttgart, VersR 1994, 1114; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 15, Rn. 212i; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 111; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1/2002, 2 (3). 138 So auch Bergmann, MedR 2016, 497 (500). 139 Vgl. BGH, NJW 1993, 2989; BGH, NJW 1989, 2321; OLG Hamm, GesR 2005, 462; Laufs/Kern/ Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, §  97, Rn.  21  ff.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B., Rn. 11. 140 Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, Rn. 162. 141 Vgl. BGH, NJW 1982, 1049 (Behandlung von Tbc durch einen Urologen).

jeweiligen Facharztstandard garantieren zu können, um dem Patienten zu helfen. Im Bereich einer telemedizinischen Behandlung wäre insoweit etwa eine medizinische Betreuung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes o. Ä. denkbar. Umgekehrt kann ein Arzt nach den Grundsätzen des Übernahmeverschuldens möglicherweise verpflichtet sein, konsiliarisch einen anderen Arzt – ggf. auch im Rahmen des Telekonsils – hinzuzuziehen, wenn er im Laufe der Behandlung feststellt, dass seine Fachkunde für eine standardgerechte Behandlung nicht mehr ausreichend ist (§ 7 Abs. 3 Satz 2 MBO-Ärzte). Zwar bleibt dieser Arzt, in dessen Obhut oder Abteilung sich der Patient befindet, weiterhin für Aufklärung, Überwachung und Behandlung zuständig, wobei er nach dem Vertrauensgrundsatz auf das besondere Fachwissen des Telekonsiliarius vertrauen darf. Etwas anderes gilt nur, wenn letzterer einen offensichtlichen Diagnosefehler begeht, den der unmittelbar behandelnde Arzt hätte erkennen müssen. Umgekehrt hat sich aber auch der Konsiliararzt zu vergewissern, ob der behandelnde Arzt seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist und eine wirksame Einwilligung vorliegt.142 In Fällen des Übernahmeverschuldens ist – in strafrechtlicher Hinsicht – besonderes Augenmerk auf die Frage des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges zu legen, denn es ist durchaus denkbar, dass sich die pflichtwidrige Übernahme der Behandlung nicht in einem strafrechtlichen Unrechtserfolg realisiert hat. Entlastet werden kann der betroffene Telearzt im Schadensfall sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Arzt des einschlägigen Fachs genauso gehandelt oder ihm der gleiche Behandlungsfehler unterlaufen wäre, wie dem Behandler. Es muss also die nicht völlig fernliegende Möglichkeit bestehen, dass der Gesundheitsschaden beim Patienten im Falle der Behandlung durch

142 Bergmann, MedR 2016, 497 (499 f.); Ulsenheimer/ Heinemann, MedR 1999, 197 (199).

39 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

einen Arzt des einschlägigen Fachgebietes gleichermaßen eingetreten wäre.143

Organisationsfehler In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Behandlungsseite Diagnostik und Therapie so zu organisieren hat, dass jede vermeidbare Gefährdung der Patienten ausgeschlossen ist.144 Deshalb kann ein Verstoß gegen organisatorische Sorgfaltspflichten einen Behandlungsfehler darstellen. Eine sachgerechte Behandlung des Patienten erfordert geordnete Abläufe zugunsten eines zuverlässigen und abgestimmten Gesamtgefüges, mithin eine organisatorische Leistung, die nur ein Fachmann erbringen kann, der die Gefahrenquellen und Schwachstellen kennt.145 Für den Bereich einer telemedizinischen Behandlung ist organisatorisch beispielsweise sicherzustellen, dass notwendige Kontrolltermine mit dem Patienten eingehalten werden und der Telearzt für den Patienten erreichbar ist. Insofern sollten regelmäßig Kontrollbefunde erhoben werden und regelmäßig überprüft werden, ob eine Weiterbehandlung mit ausschließlich telemedizinischen Mitteln noch ausreichend ist oder ob ein physischer Arzt-Patienten-Kontakt erforderlich wird.

Fehler im voll beherrschbaren Risikobereich Die medizinische Behandlung des Patienten ist in der Regel durch den Umstand geprägt, dass Erfolg und Risiken der Maßnahmen nie voll beherrschbar und vorhersehbar sind, da sie durch eine Vielzahl von Faktoren, insbesondere vom individuellen

143 Vgl. hierzu etwa den Fall OLG Köln, Urteil vom 13.08.2014, Az. 5 I-U 104/13, zitiert nach juris, wo es bei einer mehrstündigen Implantatversorgung durch einen Zahnarzt (nicht durch einen Oralchirurgen) zu einer Gehirnblutung beim Patienten kam. 144 OLG Köln, VersR 1990, 1240; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 630a, Rn. 34; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 177 ff.; Fehn, Medizin im Dialog, Heft 1/2002, 2 (3 f.). 145 BGH, NJW 1994, 1594; zu Organisationspflichten insgesamt Laufs/Kern/Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 101, Rn. 1 ff., 8.

Organismus des Patienten, beeinflusst werden, dessen Reaktionen dem Arzt nicht zugerechnet werden können.146 Der Gesetzgeber geht daher zutreffend gemäß § 630h Abs. 1 BGB im Sinne einer widerlegbaren Vermutung davon aus, dass ein Fehler des Behandlers vorliegt, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandler voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Diese gesetzliche Vermutung hat ihre Rechtfertigung darin, dass der Arzt in seinem Herrschafts- und Organisationsbereich Gefahren objektiv voll beherrschen und damit bei sorgfältigem Verhalten vermeiden kann. Die Regelung des § 630h Abs. 1 BGB entspricht dabei dem vorherigen, richterrechtlich entwickelten Konstrukt des Fehlers im voll beherrschbaren Risikobereich.147 In diese Kategorie fallen der technisch-apparative Bereich und die Organisation und Koordination des Behandlungsbetriebs (hierzu auch Abschn. „Organisationsfehler“).148 Bestandteil des maßgeblichen telemedizinischen Standards ist damit die Funktionsfähigkeit der eingesetzten digitalen Technik. Dies setzt die regelmäßige Überprüfung der Geräte dahingehend voraus, ob alle für die Diagnosestellung notwendigen Erkenntnisse in der erforderlichen Qualität übermittelt werden können und auch tatsächlich übermittelt worden sind. Der Arzt schuldet also nicht nur den Facharztstandard an sich, sondern zudem die Überwachung der Qualität der digitalen Übermittlung selbst.149

146 Vgl. BGH, NJW 2007, 1682. 147 Jauernig/Mansell, BGB, §  630h, Rn.  12; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 630h, Rn. 3. Zum Fehler im voll beherrschbaren Risikobereich s. etwa BGH, VersR 91, 1059; BGH, NJW 1995, 1618; BGH, NJW 2007, 1682; OLG Naumburg, NJW-RR 2013, 537. 148 Fehn, Strafrechtliche Compliance in der (oral)chirurgischen Praxis, S. 130. 149 Bergmann, MedR 2016, 497 (500 f.); Hofer, MedR 2012, 636 (636).

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2.5.6  Ursächlichkeit des

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Behandlungsfehlers für einen Gesundheitsschaden

Ein Behandlungsfehler kann nur dann zur Haftung und/oder zur Strafbarkeit des Behandlers führen, wenn dieser auch für den Schaden ursächlich war. Da aber aufgrund der Komplexität des menschlichen Organismus bisweilen eine Mehrzahl von Ursachen in Betracht kommen kann (z. B. könnte das Herzversagen nicht nur durch einen Behandlungsfehler verursacht worden sein, sondern auch durch einen Herzinfarkt, den der Patient auch ohne die Behandlung erlitten hätte), muss die Rechtsprechung ein Überzeugungsmaß finden, das für die juristische Annahme einer Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden erreicht werden muss. Beweiserleichterungen, wie das Zivilrecht sie kennt, sind dem Strafrecht dabei fremd, sodass im Strafverfahren ein entsprechender Kausalitätsbeweis gegen den Arzt geführt werden muss. In zivilrechtlicher Hinsicht muss die Kausalität nach der sog. Adäquanztheorie bestimmt werden. Die Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers für einen bestimmten Schaden bestimmt sich dabei allgemein zunächst danach, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes genommen hätten und wie sich die Lage für die Rechtsgüter „Leben“ und „Gesundheit“ des Patienten dann darstellte. Ein adäquater Zusammenhang besteht, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war.150 Im Strafrecht hingegen gilt die Äquivalenztheorie. Hiernach ist zu fragen, ob der strafrechtliche Erfolg, d. h. die Verletzung des Schutzgutes, ohne die Handlung des Täters mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (Conditio-sine-qua-non-Formel). Ist das der Fall, ist die Handlung im straf-

150 Siehe z. B. BeckOK-BGB/Reinert, § 839, Rn. 93.

rechtlichen Sinne kausal für den Taterfolg.151 Diesbezüglich verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung Folgendes:

» „Bei

der Prüfung der Ursächlichkeit des Pflichtenverstoßes ist hypothetisch zu fragen, was geschehen wäre, wenn sich der Täter pflichtgemäß verhalten hätte. Nach feststehender Rechtsprechung des BGH kann eine pflichtwidrige Unterlassung […] grundsätzlich nur angelastet werden, wenn der strafrechtlich relevante Erfolg bei pflichtgemäßem Ermessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Weiter muss bei den Erfolgsdelikten zur sachgemäßen Begrenzung der objektiven Zurechenbarkeit der Erfolg seinen Grund gerade in der objektiven Pflichtverletzung haben.“152

Von einer solchen besonderen Beziehung zwischen einem Sorgfaltspflichtverstoß und seinen Folgen kann nur dann ausgegangen werden, wenn gerade die Umstände, welche die Pflichtverletzung des Arztes ausmachen, für den Tod oder die Körperverletzung des Patienten wirksam geworden sind.153 Dementsprechend muss nach herrschender Meinung die Ursächlichkeit eines Sorgfaltspflichtenverstoßes für den eingetretenen Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können. Weder eine „hohe Wahrscheinlichkeit“, noch eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ genügen diesen Anforderungen. So hat der BGH154 etwa die Anerkennung einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gegebenen Kausalität zwischen einem ärztlichen Behandlungsfehler und dem Tod eines Patienten in einem Fall abgelehnt, in welchem der erste Gutachter annahm, dass die gebotene, aber unterlassene Behandlung „in mindestens 90 % der

151 Fischer, StGB, vor § 13, Rn. 21, m. w. N.; Spickhoff/ Knauer/Brose, Medizinrecht, § 229, Rn. 4. 152 BGHR StGB § 22, Kausalität 1, 2, 3, 4 jeweils m. w. N.; BGHSt 37, 106, 127; BGH, NJW 2000, 2754, 2757; Ulsenheimer; Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 484 m. w. N. 153 Ulsenheimer; Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 484 m. w. N. 154 BGH, MedR 1988, 25 f.

41 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Fälle zu einer Lebensverlängerung“ führt. Der Sachverständige führte weiter aus: „Eine sofortige und richtige Bestrahlung hätte nach menschlichem Ermessen den Patienten länger am Leben gehalten.“ Der zweite Sachverständige in diesem Fall bezifferte „die Chance einer längeren oder kürzeren Lebensverlängerung mit 94–100 %“. Der dritte Sachverständige gab an, dass „der Patient eine 92– 99 %ige Chance“ hatte, länger zu leben, wäre er richtig behandelt worden. Diese Angaben reichten jedoch durchweg nicht aus, um den Behandlungsfehler aus juristischer Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Ursache für den Tod des Patienten anzunehmen. Andererseits reicht es für die Verneinung einer mit an Sicherheit grenzenden Kausalität auch nicht aus, dass „die bloße gedankliche Möglichkeit besteht, dass der gleiche Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters eingetreten wäre“. Es müssen vielmehr schon konkrete Sachverhaltsumstände gegeben sein, welche die Möglichkeit des gleichen Erfolgseintrittes auch bei pflichtgemäßem Verhalten praktisch-real belegen.155 Aus den vorstehenden Feststellungen ergibt sich, dass der Verursacher eines Schadens nicht zwingend am Ort des Schadenseintritts anwesend sein muss: Zivilrechtlich wie strafrechtlich relevante Verursachungsbeiträge können überall und nicht nur am Ort des Erfolgseintritts gesetzt werden, also auch durch ein Fehlverhalten des Telearztes (ebenso etwa durch den Disponenten einer Rettungsleitstelle). Einen solchen Verursachungsbeitrag kann sowohl ein etwa vor Ort den Patienten unmittelbar behandelnder Arzt als auch ein Telearzt setzen, gleich welcher von beiden Konsiliarius ist oder ob es sich um einen klassischen Mitbehandler handelt. Kausale Behandlungsfehler können außerdem von einem übergeordneten, ebenso wie von einem untergeordneten Arzt begangen werden.156 Vor diesem Hintergrund kann es einen Telearzt nicht entlasten, dass er den Patienten nicht unmittelbar behandelt hat

155 BGHSt 11, 1, 4. 156 Vgl. hierzu auch Fehn, MedR 2014, 543 (544).

(wie z. B. der Chirurg, der den Schnitt selbst ausführt). Der hinsichtlich seines medizinischen Wissens überlegene Arzt gibt dem Patienten Therapieempfehlungen einschließlich der Verordnung von Medikamenten. Der Patient verlässt sich bei normalem Verlauf der Dinge auf die Empfehlungen des Telearztes (adäquate Kausalität). Außerdem kann die Empfehlung des Telearztes nicht hinweggedacht werden, ohne dass der beim Patienten aufgrund deren Befolgung eingetretene Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (äquivalente Kausalität). Nichts anderes gilt, wenn es sich um ein Telekonsil zwischen zwei Ärzten handelt, soweit sich der eine Arzt entsprechend dem Vertrauensgrundsatz157 auf die konsiliarischen Empfehlungen des anderen Arztes verlässt und verlassen darf.158 2.6  Zivilrechtliche

Anspruchsgrundlagen

Da die telemedizinische Fernbehandlung nur eine besondere Form der Behandlung darstellt, können die allgemeinen Grundsätze unter Beachtung der Besonderheiten der Telemedizin ohne Weiteres auf die allgemeine zivilrechtliche Anspruchssystematik übertragen werden (s. auch 7 Abschn. 2.5.2 und 2.5.3).159 Es gilt ggf. lediglich, einen neuen Standard für eine standardgerechte Diagnostik und Befunderhebung einerseits und eine standardgerechte Therapie andererseits zu bestimmen. Bei der Haftung für

157 Zum Vertrauensgrundsatz siehe BGH, NJW 1999, 546 f.; BGH, NJW 1994, 797 f.; BGH, NJW 1991, 1539 f.; BGH, VersR 1991, 694, 695; BGH, VersR 1990, 242 f.; BGH, NJW 1989, 1536 ff.; BGH, VersR 1989, 1296 f.; BGH, NJW 1987, 2293; BGH, MedR 1984, 143; BGH, NJW 1980, 649 f.; BGH, NJW 1980, 650 f.; BGHR, § 15 StGB, Fahrlässigkeit 1; OLG Köln, GesR 2010, 409 ff.; OLG Köln, GesR 2009, 385  ff.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, StGB, Rn. 151 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 203 ff.; Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, § 140, Rn. 20. 158 Vgl. auch Katzenmeier/Schrag-Slavu, S. 80; Fehn, MedR 2014, 543 (545). 159 So auch Katzenmeier/Schrag-Slavu, S. 68 f.

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Behandlungsfehler stehen vertragliche Ansprüche und Ansprüche aus unerlaubter Handlung nebeneinander.160 2.6.1  Vertragliche

Schadensersatzansprüche

Vertragliche Schadensersatzansprüche ergeben sich aus einer Verletzung der aus dem zugrundeliegenden Vertrag zu bestimmenden Pflichten (§ 280 Abs. 1 BGB), die auf Seiten des Telearztes in einer dem einschlägigen telemedizinischen Facharztstandard entsprechenden Behandlung bestehen (hierzu 7 Abschn. 2.5.1).

Vertragsbeziehungen im Allgemeinen und Bestimmung des Anspruchsgegners Als zugrundeliegende Verträge kommen in Betracht ein Behandlungsvertrag zwischen Telearzt und Patient im Sinne des § 630a BGB,161 sofern ein niedergelassener Arzt beispielsweise eine Online-Videosprechstunde anbietet. Ferner kann ein Behandlungsvertrag auch mit einem Telekonsilarzt geschlossen werden, der mit Zustimmung des Patienten vom ihn unmittelbar physisch behandelnden Arzt hinzugezogen wird, so dass dann zwei Behandlungsverträge bestehen. Ferner sind ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag (mit und ohne Arztzusatzvertrag) oder ein gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag als vertragliche Basis denkbar, wenn der Telearzt als Konsiliarius durch das aufnehmende Krankenhaus, den behandelnden, liquidationsberechtigten Krankenhausarzt oder den Belegarzt hinzugezogen wird. Der Arztzusatzvertrag kann darüber hinaus auch mit dem Telearzt bestehen. Die Haftung wegen einer mangelhaften Erfüllung des jeweiligen Vertrags aufgrund eines Behandlungsfehlers trifft den jeweiligen Vertragspartner.162 160 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 79 ff.; Katzenmeier/ Schrag-Slavu, S. 68. 161 So auch Hofer, MedR 2012, 636 (640); ferner Wendelstein, S. 79. 162 Vgl. etwa Fehn, Medizin im Dialog, Heft 2/2002, 1 ff.

Es kann insoweit kein Zweifel daran bestehen, dass „ein Behandlungsverhältnis auch dann entsteht, wenn Behandler und Patient nicht gleichzeitig am Ort der Behandlung anwesend sind und die Behandlung unter Einsatz elektronischer Datenübertragung und Fernkommunikationsmittel erfolgt“.163 Anspruchsgegner des Patienten ist also stets derjenige, der letzterem die standardgerechte Behandlung schuldet, d. h. konkret beim Behandlungsvertrag z. B. mit einem niedergelassenen Arzt der niedergelassene Arzt. Beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag schuldet der Krankenhausträger die gesamte pflegerische und ärztliche Leistung und haftet für die von ihm zur Erfüllung dieser Verbindlichkeit als Erfüllungsgehilfen eingesetzten nichtärztlichen und ärztlichen Mitarbeiter gemäß § 278 BGB. Der Patient hat hier keinen Anspruch auf die Behandlung durch einen bestimmten Arzt. Erfüllungsgehilfen des Krankenhausträgers sind außerdem niedergelassene bzw. auf Honorarbasis tätige Ärzte, die der Krankenhausträger für Leistungen einschaltet, deren Erbringung eigentlich ihm selbst obliegt.164 Rechnen diese Ärzte hingegen selbstständig mit der Krankenkasse bzw. mit dem Patienten ab, sind sie nicht als Erfüllungsgehilfen des Klinikträgers zu qualifizieren;165 vielmehr ist dann vom Zustandekommen eines eigenen Behandlungsvertrages mit diesen Ärzten neben dem Krankenhausaufnahmevertrag auszugehen.166 Beim gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag nimmt der Patient zwei verschiedene Leistungen in Anspruch und geht zwei verschiedene Vertragsbeziehungen ein. Zunächst besteht ein Behandlungsvertrag mit dem Belegarzt, der sich auf die Behandlung

163 So die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin zum E-Health-Gesetz vom 23.10.2015, Ausschuss-Dr. 18 (14) 0139 (35) des BT, Ausschuss für Gesundheit, die eine entsprechende deklaratorische Klarstellung zu den §§ 630a bis 630h BGB anregte; ferner Bergmann, MedR 2016, 497 (500 f.). 164 OLG Stuttgart, VersR 1992, 55; OLG Oldenburg, VersR 1989, 1300. 165 BGH, NJW 1992, 2962; 1989, 2943. 166 Fehn, Medizin im Dialog, Heft 2/2002, 1 (3).

43 Rechtliche Aspekte der Telemedizin

in seinem konkreten Fachgebiet bezieht. Weiterhin kommt es zu einem Vertragsverhältnis mit dem Krankenhausträger hinsichtlich der gesamten pflegerischen Betreuung und hinsichtlich der ärztlichen Betreuung außerhalb des Fachgebiets des Belegarztes. Aus dieser Trennung der Leistungsbereiche folgt auch eine Trennung der Haftungsbereiche. Der Belegarzt haftet für Schäden, die er selbst verschuldet hat oder die im Rahmen der von ihm zu erbringenden Leistungen durch seine Erfüllungsgehilfen verursacht wurden (§ 278 BGB). Als Erfüllungsgehilfen in diesem Sinne sind z. B. anzusehen: der Urlaubsvertreter des Belegarztes,167 von ihm selbst angestellte Hilfspersonen sowie Ärzte des Krankenhauses, die bei der Behandlung des Patienten innerhalb derselben Gebietsbezeichnung des Belegarztes tätig werden. In Vollbelegkliniken entstehen zwischen dem Patienten und den Ärzten jeweils eigene Vertragsverhältnisse.168 Die Haftungskonstruktion des gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrages greift auch durch, wenn die fachärztlichen Leistungen nicht von einem Belegarzt, sondern von einem selbstliquidierenden Arzt des Krankenhauses erbracht werden und dieser aufgrund einer ausdrücklichen Abrede die ärztliche Leistung alleine schuldet und nicht zusätzlich schuldet,  wie es beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag der Fall ist. Der totale Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag ist ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag im vorstehend beschriebenen Sinn, zu dem ein eigenständiger Behandlungsvertrag mit einem selbstliquidierenden Arzt des Krankenhauses (in der Regel einem Chefarzt oder dessen Vertreter) hinzukommt. Hierdurch hat der Patient zunächst einen Anspruch gegen den Krankenhausträger auf die notwendigen, dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung entsprechenden, sorgfältig durchgeführten, ärztlichen und pflegerischen Leistungen. Durch den Arztzusatzvertrag erwirbt der Patient

167 BGH, NJW 2000, 2737. 168 Fehn, Medizin im Dialog, Heft 2/2002, 1 (4).

zusätzlich einen Anspruch auf die ärztlichen Leistungen des selbstliquidierenden Arztes. Der Patient verschafft sich durch diesen Vertrag also die persönliche Zuwendung und die besondere fachliche Qualifikation des selbstliquidierenden Arztes169 und somit im Fall eines Behandlungsfehlers einen möglichen weiteren vertraglichen Anspruchsgegner.170

Hinzuziehung eines Tele(konsil-) arztes Im Falle eines direkten Fernbehandlungsverhältnisses zwischen Patient und Telearzt ist die Haftungskonstellation eindeutig: Hier haftet der Telearzt als Vertragspartner des Patienten aus vertraglichen Anspruchsgrundlagen. Bei konsiliarischer Telemedizin wird man hingegen vor dem Hintergrund der vorstehend geschilderten, möglichen Vertragskonstellationen differenzieren müssen, wer den Telekonsiliarius warum hinzugezogen hat und wie dieser dem Patienten gegenüber aufgetreten ist.171 Ein Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und dem Telekonsilarzt wird nur dann zustande kommen, wenn der Patient die telemedizinische Leistung ausdrücklich wünscht oder ihr jedenfalls zustimmt. Dann können Behandelnder (Arzt oder Krankenhausträger) und Konsiliarius gesamtschuldnerisch (§ 421 BGB) haften. Der Telekonsilarzt haftet hingegen allein, wenn zugunsten des den Patienten unmittelbar physisch behandelnden Arztes der Vertrauensgrundsatz greift und letzterer den Fehler des Telekonsilarztes nicht als evident erkennen musste.172 Wird der Telekonsilarzt hingegen ausschließlich im Hintergrund tätig und bleibt dem Patienten verborgen, wird kein Vertragsverhältnis – auch nicht durch den vordergründig agierenden Arzt bzw. Krankenhausträger als Vertreter des Patienten – geschlossen.173 Hier haftet der den Patienten

169 BGH, NJW 1998, 1778; 1993, 779 f. 170 Fehn, Medizin im Dialog, Heft 2/2002, 1 (3). 171 Siehe hierzu Bergmann, MedR 2016, 497 (500). 172 Vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. XI, Rn. 2. 173 So im Ergebnis auch Hofer MedR 2012, 636 (639).

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unmittelbar physisch behandelnde Arzt bzw. Krankenhausträger für Fehler des Telekonsilarztes gemäß § 278 BGB, da dieser ihn als Erfüllungsgehilfe für die Erfüllung seines Behandlungsvertrages mit dem Patienten eingeschaltet hat.174 Bleiben Kompetenzüberschneidungen und Kompetenzlücken bestehen, kann auch dies zur gesamtschuldnerischen Haftung führen.175 Im Übrigen bleibt es bei den allgemeinen Haftungsgrundsätzen, die von der Rechtsprechung für die arbeitsteilige Medizin entwickelt wurden.176

§ 823 Abs. 1 BGB setzt die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsguts voraus, wobei im Zusammenhang mit der vorliegend zu erörternden Thematik die fahrlässige Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit von Relevant sind. Die Verletzung des Lebens spielt dabei schadensersatzrechtlich in der Regel nur im Umfang der Ansprüche des § 844 BGB eine Rolle (hierzu Abschn. „Haftungsumfang“), so dass – falls keine Unterhaltspflicht bestand (§ 844 Abs. 2 BGB) – in erster Linie die Beerdigungskosten zu ersetzen und ein

Hinterbliebenengeld – in der Regel durch die Berufshaftpflichtversicherung des Arztes – zu zahlen sind (§ 844 Abs. 1 BGB). Der Begriff der Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB wird weit ausgelegt und umfasst „jeden unbefugten, weil von der Einwilligung des Rechtsträgers nicht gedeckten Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit“.177 Die Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB erfasst in Abgrenzung zu der auf Eingriffe in die physische Integrität abzielenden Körperverletzung, das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge.178 Die Abgrenzung zwischen Körper- und Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, praktisch allerdings bedeutungslos, weil Körperund Gesundheitsverletzung einerseits in der Regel Hand in Hand gehen und andererseits weder die Haftungsvoraussetzungen noch der Haftungsumfang differieren.179 Insbesondere bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers werden in der Regel eine Körper- und eine Gesundheitsverletzung des Patienten zu bejahen sein, so dass auf die weitergehende Rechtsdogmatik an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden braucht. Einen Behandlungsfehler kann, wie bereits vorstehend im Rahmen der vertraglichen Haftung aufgezeigt, auch der Telekonsilarzt begehen. Dieser Fehler kann auch ohne Weiteres adäquat-kausal zu einem Schaden an den Rechtsgütern „Leben“, „Körper“ oder „Gesundheit“ des Patienten führen, wenn sich der den Patienten unmittelbar physisch behandelnde Arzt auf die Empfehlung des Telekonsilarztes entsprechend dem Vertrauensgrundsatz verlassen durfte und tatsächlich verlassen hat. Dies gilt erst recht im Falle einer Fernbehandlung, an der nur der Telearzt und der Patient beteiligt sind, da der Telearzt dem Patienten hier unmittelbar Empfehlungen gibt, an welche letzterer sich regelmäßig halten wird.

174 Wendelstein, S. 102 f.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. XI., Rn. 5. 175 Zur Organisationshaftung eingehend Bergmann/Wever, in: Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, S. 153 ff. 176 Vgl. hierzu Middendorf/Wever, in: Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, S. 47–106 m. w. N.

177 BGH, VersR 2013, 1406, Rn. 12. 178 MüKo-BGB/Wagner, § 823, Rn. 177 m. w. N.; Palandt-Sprau, BGB, § 823, Rn. 4. 179 So auch MüKo-BGB/Wagner, § 831, Rn. 173, 177.

2.6.2  Deliktische

Anspruchsgrundlagen

Neben vertraglichen Ansprüchen gegen den Telearzt bzw. Telekonsilarzt und oder den Krankenhausträger (i. V. m. § 278 BGB) kommen deliktische Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den konkret schuldhaft handelnden Arzt in Betracht. Anspruchsgrundlagen können hier vornehmlich § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 222, 229 StGB und § 831 BGB sein.

Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

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Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 222, 229 StGB Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB setzt die Verletzung von sog. Schutzgesetzen voraus, also von solchen Bestimmungen, die zumindest auch den Schutz des Verletzten bezwecken.180 Dies ist bei den Straftatbeständen der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB,181 der Körperverletzung gemäß §§ 223 ff. StGB und der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB182 unstreitig der Fall. Dass diese Straftatbestände durch einen Behandlungsfehler, der zu einem Gesundheitsschaden auf Seiten des Patienten oder gar zu dessen Tod führt, erfüllt sein können, liegt auf der Hand.183 Auch hier können Arzt, Telekonsilarzt und Telearzt, wie bereits ausgeführt, adäquat kausal für einen Schaden an den Rechtsgütern „Leben“, „Körper“ oder „Gesundheit“ des Patienten durch einen Behandlungsfehler verantwortlich sein.

Anspruch aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB Darüber hinaus können Ansprüche aus der Haftung für Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sein. Gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB ist „zu einer Verrichtung bestellt“, wer für einen Prinzipal tätig wird, diesem gegenüber weisungsgebunden und von ihm abhängig ist. Anders als der Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB kann der Verrichtungsgehilfe nicht selbstständig und eigenverantwortlich tätig werden, d. h. der Geschäftsherr kann die Tätigkeit des Handelnden jederzeit entziehen, sie beschränken oder nach Zeit und Umfang

regeln.184 Wesentlicher Anwendungsbereich des § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB ist daher die Haftung des Unternehmensträgers für Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern, deren Verrichtungsgehilfeneigenschaft in der Rechtsprechung als selbstverständlich stillschweigend bejaht wird.185 Allerdings muss sich das Weisungsrecht nicht unbedingt auf Detailfragen erstrecken, sondern kann dem Verrichtungsgehilfen einen erheblichen Spielraum für Entscheidungen in eigener Sachkunde und Erfahrung einräumen, sodass auch Angehörige der freien Berufe – wie etwa Ärzte – als Verrichtungsgehilfen in Betracht kommen.186 Vor diesem Hintergrund kann ein angestellter Arzt eines niedergelassenen Arztes oder eines Krankenhausträgers oder ein bestellter Vertreter Verrichtungsgehilfe im Sinne des § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB und zugleich Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB sein. So ist beispielsweise der im Rahmen eines Telekonsils hinzugezogene Arzt aus einem anderen Krankenhaus des gleichen Krankenhausträgers sowohl Verrichtungsgehilfe als auch Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers. Kein Verrichtungsgehilfe hingegen wird der nicht in den Organisationsbereich des niedergelassenen Arztes oder des Krankenhausträgers eingebundene Telekonsilarzt sein, da es hier am erforderlichen Weisungsrecht fehlt, also wenn letzterer etwa selbstständig oder für einen anderen Arbeitgeber tätig ist. Selbstständige Unternehmen – und als solche sind wirtschaftlich auch der selbstständig tätige Arzt, eine Gemeinschaftspraxis,187

184 BGH, VersR 2014, 1018, Rn. 18; BGH, VersR 2014, 466, Rn. 12; BGH, VersR 2013, 203, Rn. 15; BGH, NJW 2009, 1740, Rn. 11 f.; BGH, NJW-RR 1998, 250 (251 f.); BGHZ 103, 298 (303); BGHZ 45, 311 (313); RGZ 92, 345 (346 f.).

180 Ausführlich hierzu MüKo-BGB/Wagner, §  823, Rn. 498 ff. m. w. N.; Palandt-Sprau, BGB, § 823, Rn. 56 ff. 181 OLG Düsseldorf, NJW 1958, 1920. 182 BGH, VersR 1987, 1133 (1134); vgl. auch die Übersicht bei MüKo-BGB/Wagner, § 823, Rn. 525. 183 Fehn, GesR 2007, 385 ff.

185 BGH, VersR 2009, 784; NJW-RR 1989, 250 (251 f.); BGH, NJW 1956, 1834 (1835). 186 MüKo-BGB/Wagner, § 831, Rn. 14, 16; BeckOKBGB/Förster, § 831, Rn. 23; Palandt-Sprau, BGB, § 831, Rn. 6. 187 Bei der Gemeinschaftspraxis handelt es sich regelmäßig um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die rechtsfähig ist; BGH, NJW 2002, 1207; BGH, NJW 2001, 1056.

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ein MVZ188 oder ein Krankenhaus189 anzusehen – fallen nach zutreffender herrschender Meinung aus dem Anwendungsbereich des § 831 BGB – im Gegensatz zum Anwendungsbereich des § 278 BGB – heraus, weil sie für ihr Verhalten selbst verantwortlich zeichnen und der Vertragspartner (z. B. der das Telekonsil in Anspruch nehmende Arzt oder Krankenhausträger) als vermeintlicher Geschäftsherr grundsätzlich auf die Einhaltung der deliktischen Sorgfaltspflichten vertrauen darf und sie wesensnotwendig nicht organisatorisch abhängig und weisungsgebunden sind.190 Deshalb fehlt es gerade dann bei einem selbstständigen Unternehmen an einer Verrichtungsgehilfeneigenschaft, wenn dieses überlegene Sachkunde hat191, bzw. wenn der Kernbereich der übertragenen Aufgabe von dem Unternehmen „im Wesentlichen selbstständig ausgeführt wird“ und es insoweit „nicht nur als weisungsgebundene Hilfskraft“192 anzusehen ist.193 So verhält es sich beim selbstständig tätigen oder anderweitig angestellten Telekonsilarzt, weil er wegen seiner besonderen Fachkunde konsultiert wird und nicht weisungsgebunden ist.194 Insoweit wird eine deliktische Haftung des den Patienten unmittelbar physisch behandelnden Arztes für einen Fehler des Telekonsilarztes aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB ausscheiden. Unabhängig davon würde sich der das

188 Das MVZ kann ebenfalls in der Rechtsform der GbR betrieben werden, zumeist handelt es sich aber um eine GmbH und damit um eine juristische Person des Privatrechts. 189 Krankenhäuser werden in unterschiedlichen Rechtsformen betrieben, z. B. als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) (z. B. Universitätsklinik), als (gemeinnützige) GmbH oder als (gemeinnützige) Aktiengesellschaft (AG), so dass es sich um juristische Personen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts handelt. 190 Vgl. BGH, NJW 2013, 1002; BGH, GRUR 2012, 1279; BGH, NJW 2011, 3294; BeckOK-BGB/Förster, § 831, Rn. 20; Müko-BGB/Wagner, § 831, Rn. 16 m. w. N. 191 OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 1457 (1458); OLG Stuttgart, VersR 2002, 587. 192 OLG Stuttgart, a. a. O. 193 BeckOK-BGB/Förster, §  831, Rn.  20; Palandt-Sprau, BGB, § 831, Rn. 6 m. w. N. 194 So auch Wendelstein, S. 100.

Telekonsil in Anspruch nehmende Arzt wahrscheinlich zumeist gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpieren können, weil jedenfalls von einer sorgfältigen Auswahl des Telekonsiliarius auszugehen sein dürfte.

Haftungsumfang Hinsichtlich des Haftungsumfangs gelten die §§ 249 ff., 253 Abs. 2, 844 BGB. Bezüglich des Ersatzes eines tatsächlich entstandenen materiellen Schadens gibt es im Rahmen einer evtl. begründeten Haftung wegen eines Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit telemedizinischen Maßnahmen keine Besonderheiten. Es gilt insoweit die sog. Differenzhypothese, nach welcher der dem Patienten entstandene Schaden durch einen Vergleich des Vermögens vor und nach dem schuldhaft verletzenden Ereignis festgestellt wird. Dabei ist der Ersatz des materiellen Schadens grundsätzlich durch Naturalrestitution zu leisten, jedoch kann bei Verletzung einer Person der dazu erforderliche Geldbetrag verlangt werden (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB), was im Arzthaftungsprozess regelmäßig der Fall ist.195 Vor diesem Hintergrund sind z. B. Behandlungskosten, ein ggf. erforderlich werdender behindertengerechter Umbau einer Wohnung, Beerdigungskosten usw. zu ersetzen. Der Ersatz eines immateriellen Schadens (Schmerzensgeld) gemäß § 253 Abs. 2 BGB hat die Funktionen des Ausgleichs des Schadens, der nicht materieller Art ist, und der Genugtuung. Damit sollen tatsächlich erlittene Schmerzen und entgangene Lebensfreude ausgeglichen werden.196 Wie hoch das – sowohl auf der Grundlage vertraglicher als auch deliktischer Anspruchsgrundlagen bei einer Verletzung von Leben und Gesundheit – zu gewährende Schmerzensgeld ist, hängt somit vom Einzelfall ab. Besonders schadensträchtig sind dabei erfahrungsgemäß Geburtsschäden bzw. Schäden, die mit

195 Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, BGB §  253 Rn. 2. 196 BGHZ 18, 149; Spickhoff/Spickhoff, BGB § 253 Rn. 19.

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dem Verlust der Empfindungsfähigkeit einhergehen.197 Den Ausgleich eines vor dem Eintritt des Todes in der Person des Getöteten entstandenen und mit dem Eintritt des Todes gemäß § 1922 BGB auf dessen Erben übergangenen Schmerzensgeldanspruches ließ der BGH bislang nur in engen Grenzen zu.198 Durch das am 22.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld199 wird diese Rechtsprechung nunmehr mit der Einführung des § 844 Abs. 3 BGB überholt. Hiernach haben solche Personen aufgrund des durch die Tötung zugefügten seelischen Leids Anspruch auf ein sog. Hinterbliebenengeld, wenn sie zum Zeitpunkt der Verletzung des Getöteten zu diesem in einem besonderen Näheverhältnis standen. Ein solches wird vermutet, wenn es sich um den Ehegatten, den Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten handelte. Dabei soll und kann die Entschädigung keinen Ausgleich für den Verlust des Lebens darstellen.200 Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Tod nahestehender Personen ein Teil der conditio humana ist, mit dem jeder Mensch früher oder später konfrontiert wird.201 Entschädigt werden soll allerdings das seelische Leid, das jeder Mensch, der eine nahestehende Person verliert, schon unterhalb der Schwelle des Schockschadens durchlebt, ohne dass aber ein „gesteigertes“ seelisches Leid Anspruchsvoraussetzung ist.202 Aus diesem Grund kann, ebenso wie beim Schmerzensgeld, die Höhe des Hinterbliebenengeldes nicht „ausgerechnet“ werden; menschliches Leid und finanzielle Ressourcen sind inkommensurabel.203 197 Vgl. die Aufstellung bei Spickhoff/Spickhoff, BGB § 253 Rn. 20 ff. 198 BGHZ 138, 388 (391 ff.). 199 BGBl. 2017  I, S.  2421; zum Inkrafttreten vgl. Art. 12; Begr. RegE, BT-Drs. 18/11397, wortgleich BT-Drs. 18/11615; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 18/12421; eingehend dazu Wagner, NJW 2017, 2641 ff.; Katzenmeier, JZ 2017, 869 ff. 200 Vgl. auch BT-Drs. 18/11397, 12 f. 201 So zutreffend MüKo-BGB/Wagner, § 844, Rn. 7. 202 BT-Drs. 18/11397, 12; MüKo-BGB/Wagner, a. a. O., und § 823, Rn. 190. 203 MüKo-BGB/Wagner, § 844, Rn. 7; Palandt-Sprau, BGB, § 844, Rn. 25; Wagner, NJW 2017, 2641 (2644); Katzenmeier, JZ 2017, 869 (872).

2.7  Strafrechtliche

Verantwortlichkeit

Einen speziellen Straftatbestand, der einen Behandlungsfehler unter Strafe stellt, gibt es nicht. Ein solcher war indes im Rahmen des Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums zum 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vorgesehen. Hiernach sollte § 229 StGB-E die eigenmächtige Heilbehandlung und § 230 StGB-E die fehlerhafte Heilbehandlung mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe bzw. mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe sanktionieren.204 Dieser Entwurf fand aber letztlich keinen Eingang in die Gesetzgebung, weil sich die eigenmächtige bzw. die fehlerhafte ärztliche Heilbehandlung nämlich ohne Weiteres unter die bereits existierenden Straftatbestände der Körperverletzung (§ 223 StGB), der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) und der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) subsumieren lassen, so dass es für eine Gesetzesänderung keinen Bedarf gibt.205 Im Rahmen der strafrechtlichen Betrachtung von Behandlungsfehlern kommen indes nur die beiden letztgenannten Straftatbestände zum Tragen, da die Nichteinhaltung des medizinischen Standards grundsätzlich fahrlässig erfolgt. Verließe der Arzt diesen Standard vorsätzlich, läge kein Behandlungsfehler mehr vor, sondern ein Behandlungsmissbrauch. Da der Patient mit seiner Einwilligung nur den standardgerechten ärztlichen Eingriff abdeckt, kann der Behandlungsfehler hierdurch auch niemals gerechtfertigt sein. Entscheidend für eine Strafbarkeit wegen eines Behandlungsfehlers gemäß §§ 222, 229 StGB206 ist somit im Strafrecht ebenso wie im Zivilrecht die Frage, welcher Sorgfaltsmaßstab vom Arzt im Einzelfall einzuhalten ist. Insoweit kann auf die

204 Siehe hierzu Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, § 139, Rn. 13 m. w. N. 205 A. A. Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, § 139, Rn. 15 m. w. N. 206 Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der fahrlässigen Körperverletzung vgl. im Einzelnen Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 43 ff.

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diesbezüglichen obigen Ausführungen verwiesen werden (7 Abschn. 2.5.1 bis 7 Abschn. 2.5.3). Im Zusammenhang mit der standardwidrigen telemedizinischen Behandlung des Patienten bzw. dem standardwidrigen Telekonsil ist – wie auch bei der Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche – besonderes Augenmerk auf die Kausalität zwischen dem telemedizinischen Behandlungsfehler und dem Schaden auf Seiten des Patienten zu legen. Dabei muss im Strafrecht, wie bereits in 7 Abschn. 2.5.6 ausgeführt, die verletzende Handlung – also die standardwidrige telemedizinische Behandlung und/oder Beratung – nach der Conditio-sine-qua-non-Formel für die Körperverletzung ursächlich geworden sein. Hiernach ist zu fragen, ob der strafrechtliche Erfolg, d. h. die Verletzung des Schutzgutes, ohne die Handlung des Täters mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Ist das der Fall, ist die Handlung im strafrechtlichen Sinne kausal für den Taterfolg.207 Eine Bestrafung gemäß § 229 StGB darf deswegen nur erfolgen, wenn sich diese Feststellung treffen lässt, wenn also Sorgfaltsgebote verletzt wurden, deren Befolgung gerade den Gesundheitsschaden des betroffenen Menschen verhindert hätte.208 Dementsprechend muss nach herrschender Meinung die Ursächlichkeit eines Sorgfaltspflichtenverstoßes für den eingetretenen strafrechtlichen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können (7 Abschn. 2.5.6). Bei begründeten, an konkreten Anhaltspunkten anknüpfenden Zweifeln muss im Strafverfahren in dubio pro reo von einer fehlenden Kausalität ausgegangen werden.209 207 Lackner/Kühl/Kühl, StGB, Vorb. §§  13  ff. StGB, Rn. 10; Fischer, StGB, vor § 13, Rn. 21, jeweils m. w. N.; Spickhoff/Knauer/Brose, Medizinrecht, § 229, Rn. 4. 208 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 484 m. w. N. 209 Vgl. BGHSt 11, 1 ff; BGHSt 24, 31, 34; BGHSt 30, 228, 230; BGHSt 33, 61, 63; BGH, VRS 54, 436 f.; OLG Köln, VRS 29, 48; BayObLGSt 1965, 84, 86; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 15, Rn. 173 ff.; BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 24 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 488 m. w. N.

Vor diesem Hintergrund kann das standardwidrige Handeln eines Telearztes z. B. dann strafbar sein, wenn er einem Patienten im Rahmen eines Fernbehandlungsverhältnisses unter Verletzung des einschlägigen telemedizinischen Facharztstandards nicht indizierte Medikamente verordnet oder zur Einnahme empfiehlt, dem Patienten standardwidrige Verhaltensanweisungen z. B. in Bezug auf die Notwendigkeit der unmittelbar physischen Konsultation eines Arztes oder einer Notaufnahme, auf Nebenwirkungen, auf das Verhalten bei Komplikationen oder auf eine ggf. erforderliche Sicherungsaufklärung gibt, die zu einer Manifestierung oder Intensivierung des Gesundheitsschadens führen. Als Beispiele kann auch an dieser Stelle auf die bereits zitierten Fälle der standardwidrig diagnostizierten Interkostalneuralgie, der Gastritis und des verkannten Bandscheibenvorfalls verwiesen werden (7 Abschn. 2.5.5). Hier wäre eine Erfüllung der Tatbestände der §§ 222, 229 StGB zu bejahen. 2.8  Zusammenfassung

Die Telemedizin hat in vielen Disziplinen erhebliches Potenzial zur Verbesserung der Versorgungsdichte und Versorgungsqualität, wie bereits der Vergleich mit anderen Ländern wie der Schweiz oder Russland zeigt. Der aktuelle rechtliche Rahmen hinkte dabei – wie häufig in technischen Bereichen – lange Zeit den tatsächlichen Möglichkeiten hinterher, kurzum: Die Telemedizin kann mehr, als sie (noch) darf. Allerdings ist zu attestieren, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber in der jüngeren Vergangenheit deutlich „aufgeholt“ hat. Einen weiteren „Schub“ in Richtung Telemedizin und Digitalisierung dürfte die Nutzung dieses Instrumentariums während der SARS-CoV-2 mit sich gebracht haben, was aber noch nicht evaluiert werden kann. Die früheren Bedenken gegen die Telemedizin in Bezug auf ein erhöhtes Risiko für den Patienten scheinen jedenfalls durch den technischen Fortschritt, den Mangel insbesondere an Fachärzten in ländlichen Gebieten bzw. den mitunter langen Vorlaufzeiten für Termine bei Fachärzten sowie den Bedarf

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einer an Digitalisierung gewöhnten Bevölkerung endgültig überholt. Vor diesem Hintergrund war die Neufassung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte und der Parallelvorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern überfällig und ist insgesamt zu begrüßen. Eher kurzfristig als mittelfristig wäre eine weitergehende Liberalisierung dahingehend wünschenswert, dass die telemedizinische Fernbehandlung nicht auf den „Einzelfall“ beschränkt, sondern – selbstverständlich begrenzt auf geeignete medizinische Situationen – gleichberechtigt neben dem herkömmlichen, „analogen“ (physischen) Arzt-Patienten-Kontakt steht. Sowohl Ärzten als auch Patienten ist es zuzutrauen, zu entscheiden, ob sie eine telemedizinische Diagnostik und Behandlung für wünschenswert und geeignet halten. Nur dadurch kann letztendlich den Prinzipien der Therapiefreiheit und der Patientenautonomie genüge getan werden. Die moderne Kommunikationstechnik zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie keine räumlichen Grenzen mehr kennt und braucht und hierin liegt auch die Stärke der Telemedizin. Parallel ist an den Gesetzgeber zu appellieren, möglichst schnell weitere notwendige gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um die Umsetzung einer umfassenden telemedizinischen Betreuung von Patienten effektiv zu gewährleisten. Parallel sollte der G-BA § 8 Abs. 2 AM-RL hin zu einer eindeutigen Zulassung der Fernverordnung von Arzneimitteln überarbeiten. Darüber hinaus wäre eine über den Beschluss vom 16.07.2020 hinausgehende, weitere Liberalisierung von § 4 AU-RL zu begrüßen, so dass eine AU-Bescheinigung auch über einen Zeitraum von mehr als sieben Tagenn und als Folge AU im Rahmen einer Online-Videosprechstunde durch den Arzt ausgestellt werden darf.Ferner wäre eine Anpassung von Anlage 31b zum BMV-Ä durch die KBV und den GKV-Spitzenverband dahingehend wünschenswert, dass der Patient dem Arzt bei einer Online-Videosprechstunde nicht mehr bekannt sein muss. Für die Zukunft müssen sich nun ein telemedizinischer Grundstandard sowie bezogen auf die jeweiligen medizinischen

Disziplinen spezielle telemedizinische Diagnostik- und Behandlungsstandards entwickeln. Hierzu sind im Wesentlichen die jeweiligen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin, aber auch G-BA, KBV und GKV-Spitzenverband sowie der Gesetzgeber aufgerufen. Dabei kann in einzelnen Bereichen bereits auf vorhandene Standards zurückgegriffen werden, die durch telemedizinische Projekte wie z. B. TMAS (Medico Cuxhaven), TEMPiS und TemRas gewonnen werden konnten und die den Nutzen von Telemedizin belegen. Eine wissenschaftliche Evaluation gerade zu Beginn der nun zu erwartenden Verbreitung der Telemedizin ist dabei obligatorisch. Im Übrigen bleibt zu hoffen, dass sich insbesondere die zivilgerichtliche und die strafgerichtliche, aber auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung angesichts der Änderung des § 7 Abs. 4 MBO-Ärzte und der Parallelvorschriften in den Berufsordnungen der Landesärztekammern der Telemedizin öffnen und entsprechende Maßnahmen zulassen. Zu nennen sind hier z. B. die bisherigen Restriktionen in der BGH-Rechtsprechung betreffend die Aufklärung über Telefon. Insgesamt kann im Hinblick auf die Telemedizin vom Beginn einer neuen rechtlichen Ära der Behandlung gesprochen werden, deren Entwicklung gerade in näherer Zukunft mit Spannung zu erwarten ist. ABSATZ EINFÜGEN...Mit Blick auf die vertragliche Haftung gelten im Rahmen der Telemedizin keine wesentlichen Besonderheiten gegenüber der „analogen“ Behandlung von Patienten. Es wird im Einzelfall indes zur Bestimmung des Anspruchsgegners eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB genau zu bestimmen sein, wer Partner des mit dem Patienten im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB geschlossenen Behandlungsvertrages geworden ist. An den denkbaren Vertragskosntellationen („unmittelbarer“ Behandlungsvertrag, totaler Krankenhausaufnahmevertrag, totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag oder gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag) änder sich zunächst nicht. Der Telearzt oder Telekonsilarzt kann insofern über

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einen Behandlungsvertrag, einen Arztzusatzvertrag oder als Erfüllungsgehilfe eines anderen Arztes oder eines Krankenhausträgers in das Haftungsregime eingebunden werden. Zu untersuchen sein wird indes auch sein adäquat-kausaler Beitrag zum beim Patienten entstandenen Schaden. Neben der vertraglichen Haftung kann zusätzlich eine deliktische Haftung des Telearztes bzw. Telekonsilarztes zu bejahen sein. In strafrechtlicher Hinsicht ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) ebenfalls keine Besonderheiten. Der Telearzt bzw. Telekonsilarzt kann sich im Falle eines objektiv und subjektiv pflichtwirdrigen Verhaltens, das äquivalent-kausal zu einem Schaden an den Rechtsgütern „Leben“ oder „Gesundheit“ des Patienten geführt ebenso strafbar machen, wie der Arzt, den Patienten unmittelbar physisch behandelt. Mit Blick auf die vertragliche Haftung gelten im Rahmen der Telemedizin keine wesentlichen Besonderheiten gegenüber der „analogen“ Behandlung von Patienten. Es wird im Einzelfall indes zur Bestimmung des Anspruchsgegners eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB genau zu bestimmen sein, wer Partner des mit dem Patienten im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB geschlossenen Behandlungsvertrages geworden ist. An den denkbaren Vertragskosntellationen („unmittelbarer“ Behandlungsvertrag, totaler Krankenhausaufnahmevertrag, totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag oder gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag) änder sich zunächst nicht. Der Telearzt oder Telekonsilarzt kann insofern über einen Behandlungsvertrag, einen Arztzusatzvertrag oder als Erfüllungsgehilfe eines anderen Arztes oder eines Krankenhausträgers in das Haftungsregime eingebunden werden. Zu untersuchen sein wird indes auch sein adäquat-kausaler Beitrag zum beim Patienten entstandenen Schaden. Neben der vertraglichen Haftung kann zusätzlich eine deliktische Haftung des Telearztes bzw. Telekonsilarztes zu bejahen sein. In strafrechtlicher Hinsicht ergeben sich unter

dem Gesichtspunkt der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) ebenfalls keine Besonderheiten. Der Telearzt bzw. Telekonsilarzt kann sich im Falle eines objektiv und subjektiv pflichtwirdrigen Verhaltens, das äquivalent-kausal zu einem Schaden an den Rechtsgütern „Leben“ oder „Gesundheit“ des Patienten geführt ebenso strafbar machen, wie der Arzt, den Patienten unmittelbar physisch behandelt.

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52

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K. Fehn

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53

Qualitätssicherung in der Telemedizin Rainer Beckers und Lisa Stellmacher Inhaltsverzeichnis 3.1  Fragestellung – 54 3.2  Telemedizin und Versorgungsqualität – 55 3.3  Qualitätsmanagement und Telemedizin – 58 3.4  Telemedizin als Gegenstand der Qualitätssicherung und Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen – 61 3.5  Ausblick – 65 Literatur – 71

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_3

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54

R. Beckers und L. Stellmacher

3.1  Fragestellung

3

(GMK) schon seit Jahren immer konkreter werdende Forderungen, zur Modifizierung der für eine Verbreitung der Telemedizin notwendigen Rahmenbedingungen.2

Auch wenn bisher erst, abgesehen von einem bestimmten Typus von Gesundheits-Apps, für wenige telemedizinische Anwendungen regelhafte Vergütungsoptionen eingeführt wurden und sich die Etablierung digital gestützter, einrichtungsübergreifender Versorgungsprozesse im Gesundheitswesen allgemein kompliziert gestaltet, ist der generelle Trend dorthin unumkehrbar und nicht von der Hand zu weisen. Die umfassende Digitalisierung der Gesundheitsversorgung, insbesondere die Neubestimmung des Präsenzprinzips in der Medizin, ist nicht erst seit der Corona-Pandemie in vollem Gange: 5 Die Bevölkerung hat sich längst ihre Nutzungsszenarien soweit möglich erschlossen. Die Nutzung von Health-Apps hat eine hohe Akzeptanz ebenso wie die Nutzung des Internets, als weltweit jederzeit verfügbare Ressource für die Beantwortung medizinischer Fragestellungen und zunehmend auch als Quelle von Diagnose und Therapie (z. B. Medikation).1 5 Die medizinischen Fachgesellschaften intensivieren derzeit deutlich den Diskussionsprozess bezüglich der Anpassung der Leitlinien (s. unten). 5 Die Politik fördert, wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen, die Digitalisierung immer konsequenter. Immerhin verpflichtete das Ende 2015 in Kraft getretene, sog. E-Health-Gesetz den zuständigen Bewertungsausschuss dazu, zwei zentrale telemedizinische Anwendungen in die Vergütungskataloge zu integrieren (Videosprechstunde, Telekonsil in der Radiologie). Dies ist inzwischen umgesetzt worden. Ein weiterer Schritt in diese Richtung stellt das Digitale ­Versorgung-Gesetz dar. 5 Darüber hinaus betonen die Bundesländer die Bedeutung der Telemedizin für die Sicherstellung der Versorgung. Sie formulieren entsprechend in den Beschlüssen der Gesundheitsministerkonferenz

Vor diesem Hintergrund stellen sich Fragen zum Qualitätsmanagement (QM) der Telemedizin selbst. Wenn die Telemedizin den Projektstatus verlassen soll, werden sich die bestehenden Organisationen verändern müssen und es könnte ein neuer Organisationstypus in Form telemedizinischer Zentren, in das Gesundheitswesen Einzug halten. Eine Neubestimmung des Präsenzprinzips würde möglicherweise die „Auflösung“ von Standorten als messbare Infrastruktur bedeuten. Die Standortunabhängigkeit der Telemedizin würde zudem das Unterlaufen von Qualifizierungsanforderungen oder zumindest deren Kontrolle begünstigen. Das klassische Qualitätsmanagement medizinischer Einrichtungen könnte zudem angesichts hochgradig verteilter Prozesse an seine Grenzen stoßen, da der Beitrag telemedizinischer Services zur Ergebnisqualität nicht hinreichend identifizierbar ist. Diesen prinzipiell denkbaren Risiken kann man aber wirkungsvoll durch ein fundiertes und transparentes Qualitätsmanagement und gezielte Qualitätssicherungsverfahren begegnen. Deshalb soll dieser Beitrag die Optionen und den Stand des Qualitätsmanagements für die Qualität der Telemedizin systematisch aufbereiten und diskutieren. Folgende Fragen sind dabei leitend: 5 Welche Bedeutung haben klassische Qualitätssicherungsverfahren und QM-Systeme (Strukturqualität) zukünf­ tig noch in einer (Tele-)Medizin die global und mobil ist, die also nationale Regelungsbereiche verlässt und immer weniger an Standorte gebunden ist? 5 Müssen spezielle Zertifizierungssysteme entwickelt werden oder gibt es bereits etablierte QM-Systeme, die einen ausreichenden Rahmen zur Qualitätsbeurteilung telemedizinischer Anwendungen bieten?

1 Vgl. 7 https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ Studie_VV_Digital-Health-Anwendungen_2016.pdf

2 Vgl. 7 https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?id=535&jahr=2017&search=telemedizin.

55 Qualitätssicherung in der Telemedizin

5 Sind die etablierten Systeme des einrichtungsinternen Qualitätsmanagements genügend adaptierbar, um digitalen Versorgungsprozessen mit ihrem verteilten Charakter und geteilter Verantwortung Rechnung zu tragen? 5 Ist es überhaupt angemessen und erforderlich, spezifische Qualitätsanforderungen an die Telemedizin zu stellen? Ist sie doch nur ein effizienterer Prozess einer etablierten Medizin! 5 Ist der Beitrag der Telemedizin zur Ergebnisqualität derart prägnant und abgrenzbar, dass darauf zielende QM-Ansätze eine Berechtigung haben? 5 Sind ausreichend Kenntnisse über relevante Qualitätsindikatoren vorhanden, die eine Qualitätsmessung erlauben und notwendige Strukturen sowie die Prozessqualität beschreiben? Insgesamt ist also zu klären, ob und wieweit die Digitalisierung der Versorgung als Telemedizin, veränderte Konzepte des Qualitätsmanagements erfordert oder nahtlos in die gegebenen Systeme, allenfalls als bloßes Tool der Qualitätssteigerung, integriert werden kann. 3.2  Telemedizin und

Versorgungsqualität

Legitim wird die Fragestellung der Qualität der Telemedizin erst dann, wenn die Telemedizin überhaupt als essentieller Beitrag zur Qualitätssteigerung der Versorgung gewertet werden kann. Dies ist bei den Akteuren im Einzelfall immer noch hoch umstritten, wie nicht nur die langwierigen Entscheidungen des Bewertungsausschusses zeigen3. Um

3 Seit dem 01. April 2016 besteht die Möglichkeit die telemedizinischen Kontrolle eines implantierbaren Kardioverters bzw. Defibrillators und/oder eines implantierten Systems zur kardialen Resynchronisationstherapie über die EBM-Ziffern 04417 und 13554 (bzw. neu seit 01. Oktober 2017: 04414/6 und 13574/6) abzurechen. Gleichzeitig wurde die telemedizinische Kontrolle eines Herzschrittmachers (zuvor abrechenbar über die Ziffer 13.552) abgelehnt,

die Legitimation der Fragestellung kritisch zu begründen, wurden deshalb zunächst die potentiellen Effekte der Telemedizin auf die bestehende Versorgungsqualität in Form einer Literaturanalyse nochmals aufbereitet. Zugleich wurden die Studien aber zusätzlich daraufhin analysiert, ob sie auch hinreichende Aussagen zu notwendigen Strukturen und Prozessen der telemedizinischen Intervention als Implementierungsvoraussetzung thematisieren. Man könnte z. B. erwarten, dass die Qualifikation des Personals genau definiert ist oder aber gewisse notwendige Service Levels wie etwa die Reaktionszeiten auf eingehende Vitaldaten. Daraus könnten im Idealfall grundlegende Anforderungen an die Strukturqualität oder aber zumindest deren grundlegende Kategorien abgeleitet werden. In die Analyse wurden (systematische) Reviews sowie Metaanalysen4 einbezogen. Die Suche wurde weitergehend eingegrenzt, indem nur Studien der letzten 5 Jahre mit einem verfügbaren Abstract, die in deutscher oder englischer Sprache erschienen sind, betrachtet wurden. Dazu wurde Pubmed nach relevanten Begriffen bzw. Begriffskombinationen, vorrangig in englischer Sprache, durchsucht. Die Suche mit den Schlüsselwörtern „telemedicine“ und „quality“ sowie „telemedicine“ und „effects“ erzielte ein Suchergebnis mit insgesamt 109 Treffern, aus denen 27 relevante Studien ausgewählt und einer näheren Betrachtung unterzogen wurden (s. Tab. 3.1). In die Auswahl einbezogen wurden insbesondere solche Studien, deren Titel oder Abstracts eine Untersuchung der Qualitätseffekte telemedizinischer Anwendungen auf die Versorgung direkt ankündigen oder einen Hinweis auf die Darstellung von Qualitätseffekten im Ergebnisteil geben. Des Weiteren wurden vorrangig Studien in die Be-

indem ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt während der Kontrolle vorausgesetzt und das Telemonitoring ausgeschlossen wurde. 4 Die ZTG hat bereits im Jahr 2009 mit der systematischen Aufbereitung dieses Themas begonnen vgl. Evidence‐Report Telekardiologie 2009; ZTG Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen GmbH.

3

56

R. Beckers und L. Stellmacher

. Tab. 3.1  Reviews, systematische Reviews und Metastudien zu Qualitätseffekten der Telemedizin

3

Referenz

Titel

Methodik

Amadi-Obi (2014)

Telemedicine in prehospital care: a review of telemedicine applications in the pre-hospital environment

Design: Review Zeitraum: 1970–2014 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 39

Bashi et al. (2017)

Remote Monitoring of Patients With Heart Failure: An Overview of Systematic Reviews

Design: Überblick systematischer Reviews Zeitraum: 2005–2015 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 19

Bashshur (2015)

The empirical evidence for the telemedicine intervention in diabetes management

Design: Review Zeitraum: 2005–2013 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 73

Campagna et al. (2017)

Teledermatology: An updated overview of clinical applications and reimbursement policies

Design: Overview Zeitraum: 2001–2016 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 19

Cox et al. (2017)

Cancer Survivorsʼ Experience With Telehealth: A Systematic Review and Thematic Synthesis

Design: systematischer Review Zeitraum: 2006–2016 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 22

De Jong et al. (2014)

The effects on health behavior and health outcomes of Internet-based asynchronous communication between health providers and patients with a chronic condition: a systematic review

Design: systematischer Review Zeitraum: 2001–2013 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 15

Elbert et al. (2014)

Effectiveness and cost-effectiveness of ehealth interventions in somatic diseases: a systematic review of systematic reviews and meta-analyses

Design: systematischer Review von ­systematischen Reviews und Metaanalysen Zeitraum: 2009–2012 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 31

Faruque et al. (2017)

Effect of telemedicine on glycated hemoglobin in diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomized trials

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: bis 2015 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 111

Gregersen et al. (2016)

Do telemedical interventions improve quality of life in patients with COPD? A systematic review

Design: systematischer Review Zeitraum: 2000–2015 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 18

Hasselberg et al. (2014)

Image-based medical expert ­teleconsultation in acute care of injuries. A systematic review of effects on information accuracy, diagnostic validity, clinical outcome, and user satisfaction

Design: systematischer Review Zeitraum: gesamt Anzahl der eingeschlossenen Studien: 24

Huang et al. (2015)

Management of endocrine disease. Effects of telecare intervention on glycemic control in type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials

Design: systematischer Review und ­Metaanalyse Zeitraum: 2000–2013 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 18

Kitsiou (2015)

Effects of home telemonitoring interventions on patients with chronic heart failure: an overview of systematic reviews

Design: Überblick systematischer Reviews Zeitraum: 1996–2013 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 15

57 Qualitätssicherung in der Telemedizin

. Tab. 3.1  (Fortsetzung) Referenz

Titel

Methodik

Kvedar (2014)

Connected health: a review of technologies and strategies to improve patient care with telemedicine and telehealth

Design: Review Zeitraum: / Anzahl der eingeschlossenen Studien: /

Lundell et al. (2015)

Telehealthcare in COPD: a systematic review and meta-analysis on physical outcomes and dyspnea

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: bis 2013 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 9

Marchetti et al. (2017)

Quality of Life in Women with ­Gestational Diabetes Mellitus: A Systematic Review

Design: systematischer Review Zeitraum: bis 2016 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 15

Marcolino et al. (2013)

Telemedicine application in the care of diabetes patients: systematic review and meta-analysis

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: bis 2012 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 13

Martínez-Alcalá et al. (2016)

Information and Communication Technologies in the Care of the Elderly: Systematic Review of Applications Aimed at Patients With Dementia and Caregivers

Design: systematischer Review Zeitraum: 2005–2015 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 26

Peretti et al. (2017)

Telerehabilitation: Review of the Stateof-the-Art and Areas of Application

Design: systematischer Review Zeitraum: 1996–2016 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 27

Rogante et al. (2016)

Telemedicine in palliative care: a review of systematic reviews

Design: Review Zeitraum: bis 2015 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 6

Shi et al. (2015)

Telemedicine for detecting diabetic retinopathy: a systematic review and meta-analysis

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: gesamt Anzahl der eingeschlossenen Studien: 20

Sreelatha und Ramesh (2016)

Teleophthalmology: improving patient outcomes?

Design: narrativer Review Zeitraum: keine Angabe Anzahl der eingeschlossenen Studien: 67

Widmer et al. (2015)

Digital health interventions for the prevention of cardiovascular disease: a systematic review and meta-analysis

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: 1990–2014 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 51

Wilcox et al. (2012)

The effect of telemedicine in critically ill patients: systematic review and meta-analysis

Design: systematischer Review und Metaanalyse Zeitraum: 2001–2012 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 11

Worswick (2013)

Improving quality of care for persons with diabetes: an overview of systematic reviews – what does the evidence tell us?

Design: Überblick systematischer Reviews Zeitraum: 1976–2011 Anzahl der eingeschlossenen Studien: 50

3

58

3

R. Beckers und L. Stellmacher

trachtung einbezogen, die die Auswirkungen der Telemedizin auf Erkrankungen zeigen, die mit einer hohen Prävalenz auftreten (v. a. chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II oder Herzinsuffizienz). Zusammenfassend betrachtet, überwiegt die Anzahl der Studien, welche die Effekte der Telemedizin auf die untersuchten Versorgungsszenarien als positiv beschreiben. Eine genauere Analyse der beschriebenen Einsatzszenarien telemedizinischer Anwendungen verdeutlicht, dass der Einsatz insbesondere im Telemonitoring chronischer Erkrankungen sowie der Telekooperation (Telekonsile) positive Nutzeneffekte aufweisen kann. Besonders häufig werden die Auswirkungen des Einsatzes telemedizinischer Anwendungen auf das Monitoring therapierelevanter Vitalwerte bei chronischen Erkrankungen untersucht und darunter der Einfluss auf das Selbstmanagement des Patienten. Signifikante Effekte werden beim allgemeinen Krankheitsmanagement (z.  B. Eigenwissen des Patienten, frühzeitige Symptomerkennung, Therapieadhärenz und Optimierung bzw. Einhaltung der Medikation) beobachtet. So wird eine individuelle Behandlungsplanung möglich, welche den Therapieverlauf und die Qualität der Behandlung deutlich positiv beeinflussen kann. Des Weiteren wird der Zugang zu hochspezialisierten Gesundheitsleistungen für den Patienten durch die orts- und zeitunabhängige Bereitstellung von Expertenwissen v. a. in Akutsituationen deutlich erleichtert, wie die Teleintensivmedizin zeigt (Deisz et al. 2015; Marx et al. 2015; Telnet@NRW Projektkonsortiuum 2018). Die Versorgung ländlicher oder unterversorgter Gebiete kann demnach mit Hilfe der Telemedizin gestützt werden. Partiell zeigen die Reviews und Metaanalysen deutlichere Effekte hinsichtlich qualitätsrelevanter Endpunkte, wie z. B. Mortalität, Hospitalisierungs- und Rehospitalisierungs­ rate, Dauer von Krankenhausaufenthalten, Frequenz von Arztbesuchen, Lebensqualität des Patienten und Kosten. Resümierend eröffnet die Telemedizin demnach Chancen für eine Qualitätssteigerung der bestehenden Gesundheitsversorgung. Jedoch bleibt ein ein-

deutiger und allgemein akzeptierter Nachweis diffizil, nicht zuletzt aufgrund des häufig bemängelten heterogenen Aufbaus sowie gelegentlich substanzieller methodischer Schwachstellen der Studien. Vor allem der Einsatz unterschiedlichster Systeme in divergenten Settings, für stark variierende Indikationen und Patientenpopulationen, erschwert die einfache Übertragbarkeit der genannten Effekte in den Versorgungsalltag5. So werden eben Faktoren der notwendigen P ­ rozess- und Strukturqualität, welche die Ergebnisqualität bzw. die Auswirkungen telemedizinischer Anwendungen auf die Versorgungsrealität maßgeblich beeinflussen, in der Regel zumindest nicht detailliert als konstitutives Element der Intervention thematisiert. Die logische Konsequenz daraus muss sein, dass die Beschreibung von Einsatzszenarien, die Einpassung in den klinischen Workflow, die Einbeziehung von Nutzern und die Auswahl von Systemen, d. h. kurz gesagt v. a. Einflussfaktoren auf die Prozessqualität, stärker betrachtet werden müssen. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Telemedizin offensichtlich qualitätsrelevant ist, ihre qualitativen Voraussetzungen aber noch ungenügend Beachtung finden. 3.3  Qualitätsmanagement und

Telemedizin

Voraussetzung für die Etablierung eines stringenten Qualitätsmanagementsystems telemedizinischer Versorgung ist zunächst das Verständnis des Qualitätsbegriffes an sich.

5 In dieser Hinsicht kommt die Frage auf, inwieweit Studien der Evidenzklasse Ib in der Telemedizin überhaupt zum Nachweis des Nutzens erforderlich und praktikabel sind (vgl. Beckers, Strotbaum. Vom Projekt zur Regelversorgung – Die richtige Bewertung des Nutzens der Telemedizin hat eine Schlüsselrolle. Bundesgesundheitsblatt, Band 58, Heft 10.) Auch die 90. GMK fordert die Präzision der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (Kap. 2 § 13 Absatz 2) in Hinblick auf den Nutzennachweis telemedizinischer Anwendungen, um dadurch einen praktikablen methodischen Rahmen zur Evaluation der Telemedizin zu eröffnen und die Verfahren zu beschleunigen.

59 Qualitätssicherung in der Telemedizin

Donabedian, der als Begründer der Qualitätsbewegung im Gesundheitswesen gilt, beschreibt Qualität folgendermaßen: „Quality of care ist the extent to which actual care is in conformity with preset criteria for good care.“ Qualität ist demnach der Grad der Konformität aller Merkmale mit den Anforderungen. Merkmale sind kennzeichnende Eigenschaften, die ein Produkt oder eine Dienstleistung im Hinblick auf festgelegte (z.  B. Qualitätsziele), vorausgesetzte (z. B. Behandlungsergebnis) oder verpflichtende (z.  B. Berufsordnung) Anforderungen beschreiben. International gebräuchlich und in vielen QM-Systemen wiederzufinden, ist die Unterteilung des Qualitätsbegriffs in Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität. ­ Die Unterscheidung, dieser drei unterschiedlichen Qualitätsdimensionen, ist ebenfalls auf Donabedian zurückzuführen. Struktur-, ­Prozess-, und Ergebnisqualität bauen aufeinander auf und beeinflussen in ihrer Summe die Qualität der medizinischen Versorgung, können jedoch davon abgesehen, analytisch einer getrennten Beurteilung unterzogen werden (Sens et al. 2018; ÄZQ 2010). Nachfolgend soll deshalb betrachtet werden, wie differenziert die Betrachtung dieser drei Aspekte der Qualität für die Telemedizin bereits erfolgt. Strukturqualität beschreibt die Beschaffenheit struktureller Bedingungen und definiert damit die zur Leistungserbringung oder Produktherstellung notwendigen infrastrukturellen Rahmenbedingungen. Man unterscheidet organisationsinterne und -­externe Faktoren. Zu den organisationsinternen Faktoren zählen Verfügbarkeit von Personal/ Fachpersonal sowie dessen Qualifikationsniveau, die technische Infrastruktur und deren Wartung sowie speziell im Falle der Telemedizin, technische Infrastruktur bis hin zur baulichen Struktur des Telemedizinzentrums. Externe Faktoren, die die Qualität beeinflussen können, sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen z. B. zum Datenschutz sowie hier im speziellen Fall die Existenz einer Telematikinfrastruktur. Je besser die Strukturqualität desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für eine gute Versorgungsqualität, d. h. die

Voraussetzungen, etwas regelrecht und gut zu tun, sind gegeben. Typische Maßnahmen zur Sicherung der Strukturqualität sind Ausbildungs- und Qualifikationsstandards, Mindestanforderungen an Krankenhäuser, Arzneimittel und Behandlungsmethoden. Für die Telemedizin stellt sich an dieser Stelle die vordringliche Frage, ob es zusätzlicher Qualifikationen bedarf, wenn telemedizinische Services zur Anwendung kommen. Einige Ärztekammern haben sich dazu bereits positioniert und bieten z. B. einschlägige Fortbildungsmaßnahmen für Medizinische Fachangestellte an. In der Medizinerausbildung besteht hinsichtlich solcher Maßnahmen wohl noch Handlungsbedarf. Zwar werden mittlerweile auch in der universitären Ausbildung, wenn auch sehr vereinzelt, telemedizinische Methoden angesprochen6, der 120. Deutsche Ärztetag stellt aber klar, dass die medizinische Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildungen dementsprechend anzupassen sind. Inhalte von Gesundheitstelematik, Telemedizin und E-Health sollen damit zukünftig verbindlicher Bestandteil des ärztlichen Kompetenzerwerbs werden (Bundesärztekammer 2017). Die Strukturqualität beeinflusst naturgemäß die Prozessqualität. Die Prozessqualität ist das zentrale Element des Qualitätsmanagements und beschreibt auf welche Art und Weise eine Leistung erbracht wird, wobei in der Summe alle Schritte der Leistungserbringung sowie die zur Zielerfüllung benötigten Ressourcen einbezogen werden. Unterschieden werden Kernprozesse, die direkt dem Einrichtungszweck und der Wertschöpfung dienen (z. B. Diagnostik, Therapie, Beratung), Hilfsprozesse, die unterstützend auf die Kernprozesse wirken (z. B. Verwaltung, Laborleistung, Hygiene, Wartung) und Führungsprozesse, die auf strategisches Handeln und Qualitätsverbesserung ausgerichtet sind.

6 Zum Beispiel Universität Mainz mit dem Wahlpflichtfach „Medizin im digitalen Zeitalter“ (7 http://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/2566_ DEU_HTML.php).

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Eine hohe Prozessqualität setzt das Funktionieren von Abläufen sowie deren rechtzeitige und gute Umsetzung voraus. Vor allem systematisch entwickelte medizinische Leitlinien bilden die Grundlage für den Standard der Prozessqualität, da eine hohe Qualität in diesem Fall nur dann erreicht werden kann, wenn diagnostische und therapeutische Maßnahmen den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Berufspraxis entsprechen. Gerade an dieser Stelle hat die Telemedizin ihr zentrales Thema! Telemedizin ist nur selten eine „neue“ Medizin, sondern vielmehr eine mehr oder weniger durchgreifende Prozessverbesserung.7 Sie hat aber dennoch eigenes Gewicht, wie ein Blick auf das Telemonitoring zeigt. Die Präsenzmedizin mit analogen Verfahren stößt unweigerlich bei der kontinuierlichen Betreuung chronisch Kranker an ihre Grenzen, mit allen negativen Folgen für die Tertiärprävention. Analoge, patientenseitige Dokumentationssysteme wie etwa Patiententagebücher haben wenig Akzeptanz und bieten verfahrensbedingt nur bedingt eine Grundlage für kurzfristige Therapiemodifikationen. Aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung der Ergebniskategorien nach Donabedian müssen Prozesse und Strukturen dabei aber so ausgerichtet sein, dass die notwendige Akzeptanz bei Anwendern und Nutzern erzielt werden kann. Benötigt werden deshalb vielmehr solche Systeme, die den Austausch von Patientendaten in Echtzeit und über Sektorengrenzen hinweg ermöglichen und die aufgenommenen Daten in effektiver Art und Weise nutzbar machen. Die o. g. Studien (s. o. . Tab. 3.1) zeigen, dass Telemedizin ein Vitalwertemonitoring praktisch ohne Zutun des Patienten auf Basis einer objektiven Messung ermöglicht. Die Nachsorge chronisch Kranker kann so erstmals auf einer objektiven Datengrundlage zeitnah gestaltet werden. An dieser Stelle entsteht mithin einerseits ein in dieser Form

7 Vgl. Beckers, Strotbaum. Vom Projekt zur Regelversorgung – Die richtige Bewertung des Nutzens der Telemedizin hat eine Schlüsselrolle. Bundesgesundheitsblatt, Band 58, Heft 10.

neuer Prozess in der Medizin, der aufgrund seiner zentralen Bedeutung aber gesonderte Beachtung des Qualitätsmanagements verdient. Andererseits ist das medizinische Konzept dahinter bereits bekannt, also eben keine neue Methode. Abschließend bezieht sich die Ergebnisqualität auf das Leistungsergebnis, das Erreichen eines Behandlungsziels, und bildet somit die wichtigste Grundlage für die Evaluation einer medizinischen Leistung. Unterschieden werden dabei eher indirekte systemtechnische Endpunkte, wie z. B. Stabilität und Kompatibilität des Systems und die Unterstützung von Standards sowie objektive bzw. subjektive Endpunkte bezogen auf Akzeptanz, Nutzen und Anwendbarkeit des telemedizinischen Systems bei Anwenderinnen und Anwendern sowie Nutzerinnen und Nutzern. Die Ergebnisqualität bemisst sich außerdem an der Vermeidung von Behandlungsfehlern, Komplikationen, wiederholten Eingriffen, Schmerzen und der Mortalität. Auch Lebensqualität und Patientenzufriedenheit sowie Kosteneffektivität sind relevante Endpunkte der Ergebnisqualität (ÄZQ 2010; Simon 2016; RKI, Statistisches Bundesamt 2015; Ertl-Wagner et al. 2009). Der substanzielle Beitrag der Telemedizin für das Behandlungsergebnis ist maßgeblich an neuartige Prozesse (Telemonitoring) und z. T. neue Strukturen (telemedizinische Zentren mit 24/7-Bereitschaft) gekoppelt. Diese legitimieren primär eine gesonderte Betrachtung im Rahmen des Qualitätsmanagements. Um diese Forderung in die Realität umzusetzen, wird ein systematisches und telemedizinisch zumindest auf der Ebene der Qualitätsindikatoren adaptiertes Qualitätsmanagement benötigt. Nicht nur, aber auch aus der durchgeführten Literaturanalyse können z. B. die in . Tab. 3.2 aufgelisteten Indikatoren zur ersten Orientierung abgeleitet werden. Es spricht also nichts dafür, dass QM-Systeme als solche hier an ihre Grenzen stoßen. Ein telemedizinisch erweitertes Qualitätsmanagement sollte demnach mit messbaren Indikatoren durchaus ein bestimmtes, zuvor festgelegtes Qualitätsniveau belegen können.

61 Qualitätssicherung in der Telemedizin

. Tab. 3.2  Mögliche Qualitätsindikatoren Strukturqualität

Prozessqualität

Mögliche Ergebnisqualität

Ärztliche Leitung

Reaktionszeiten

Rezidivrate

Telemedizinische Zusatzqualifikation

24-7-Bereitschaft

Compliance

Weiterbildung in Gesprächsführung

Datenqualität

Rehospitalisierungsrate

Facharztstandard

Leitlinienkonformität

Patientenzufriedenheit

Sichere Infrastruktur

Datenschutz

Leitlinienadhärenz

Vernetzte Telemedizinakte

Verfügbarkeit

Nebenwirkungen

Qualitätsmanagement hat auch einen präventiven Charakter, d. h. die Vermeidung von Fehlern, die Suche nach Fehlerursachen und ihre Beseitigung stehen im Vordergrund der Maßnahmen (ÄZQ 2010). Warum sollte dieses Konzept nicht auch bei telemedizinischen Einrichtungen anwendbar sein? Im Gegenteil, die kontinuierliche Qualitätsverbesserung ist v. a. bei innovativen Strukturen unabdingbar und QM-Systeme bieten hierfür etablierte Raster auch in der digitalen Welt. Qualitätsmanagement beruht essentiell auf der kontinuierlichen und systematischen Qualitätsverbesserung der relevanten Qualitätsbereiche (Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität). Dazu werden ­ Organisations-, Arbeits- und Behandlungsabläufe anhand der definierten Anforderungen festgelegt und mit den Ergebnissen regelmäßig intern überprüft. Als Beispiel denke man an die Reaktionszeiten zur Therapieanpassung bei sich verschlechternden Vitalwerten8. Gegebenenfalls erfolgt bei Nichterreichung festgelegter Qualitätsziele eine Anpassung und Verbesserung von Prozessen und Strukturen. Die dauerhafte Verbesserung der drei Qualitätsdimensionen kann dabei anhand des sog. PDCA-Zyklus sichergestellt werden. Auf eine Analyse der Ausgangssi-

8 Der Einsatz telemedizinischer Anwendungen selbst kann sich qualitätsverbessernd auswirken und positiven Einfluss auf Prozessabläufe sowie die Optimierung der Behandlung haben. Vgl. Adamson et al. „CardioMEMS Heart Sensor Allows Monitoring of Pressure to Improve Outcomes in NYHA Class III Heart Failure Patients (CHAMPION)“.

tuation folgt der Entwurf einer Verbesserungsstrategie („Plan“), die dann umgesetzt („Do“) und nach angemessener Zeit hinterfragt („Check“) und weiterentwickelt („Act“) wird (RKI, Statistisches Bundesamt 2015; Ertl-Wagner et al. 2009). 3.4  Telemedizin als Gegenstand

der Qualitätssicherung und Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen

In der Diskussion um die Einbindung telemedizinischer Anwendungen in die Regelversorgung und damit in die Versorgungsroutine sollte dem Qualitätsmanagement und damit einhergehend der Sicherung und Weiterentwicklung einer hohen medizinischen Versorgungsqualität ein entsprechender Stellenwert beigemessen werden. Die Ausgestaltung der gesetzlichen und untergesetzlichen Regularien bildet dafür den Rahmen. In Bezug auf einzelne Gebührenordnungspositionen mit telemedizinischer Unterstützung erfolgt vor Einführung in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) grundsätzlich die Regelung spezifischer Qualitätssicherungsstandards in Vereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V, in Richtlinien nach § 136 SGB V oder § 137 SGB V oder im EBM selbst, die über die zuvor erwähnten allgemeinen Vorgaben hinausgehen. Sofern anzupassende Leistungen des EBM bereits bestimmten Qualitätssicherungsmaßnahmen unterliegen, sind diese bei der telemedizinischen Durchführung eben-

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falls zu berücksichtigen. Bei der Aufnahme von Telemonitoringleistungen in den EBM ist in der Qualitätssicherungsvereinbarung zu regeln, dass die notwendigen Auswertungen der eingehenden Daten aus telemedizinischen Verfahren (z. B. Geräte, Software u. ä.) und sich daraus ggf. ergebende, notwendige Interventionen zeitgerecht erfolgen. Auch Vereinbarungen zu technischen Standards müssen getroffen werden, z. B. DICOM (Digital Imaging and Communications in Medicine), IHE (Integrating the Health Care Enterprise) und HL7 (Health Level 7) (Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV 2013). Die Vereinbarungen auf Spitzenverbandsebene zu den bisher vergütungsfähigen Leistungen enthalten zwar qualitätsrelevante, jedoch v. a. auf strukturelle Aspekte beschränkte Merkmale. Im Mittelpunkt stehen dabei v. a. Anforderungen an die Qualifikation der Ärzte. Konkrete Prozessmerkmale werden beispielhaft für das radiologische Telekonsil definiert.9 Insgesamt besteht bezogen auf die konkreten Anforderungen an die Prozess- und Ergebnisqualität aber eher ein Nachholbedarf. Dessen Bearbeitung könnte die weitere Einführung von telemedizinischen Gebührenpositionen ggf. beschleunigen. Die Leistungserbringer können die Einführung und Umsetzung ihres QM-Systems dabei entweder frei gestalten oder auf vorhandene Qualitätsmanagementverfahren bzw. -modelle zurückgreifen. Trotz der Freiheit in der Ausgestaltung des Qualitätsmanagements obliegt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss grundsätzliche Anforderun-

9 Vgl. Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur telemedizinischen Erbringung der konsiliarischen Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 291g Absatz 1 Satz 1 SGB V; Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung, RöV) gemäß § 3 Abs. 4 und 7; Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß §  291g Absatz  4 SGB  V; TEMPiS SOPs (7 http://www.tempis.de/index.php/sop-onlineversion/finish/1-sop/1170-tempis-sop-2017.html).

gen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement zu formulieren und Kriterien für die indikationsbezogene Notwendigkeit und Qualität der durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Leistungen, insbesondere aufwändiger medizintechnischer Leistungen, zu bestimmen. Dabei sind auch Mindestanforderungen an die Struktur-, ­Prozessund Ergebnisqualität festzulegen, um die tatsächliche Qualität der Gesundheitsversorgung messen und, falls erforderlich, verbessern zu können. Zu diesem Zweck werden Qualitätsindikatoren definiert, die sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Sektor existieren (Simon 2016, 1988). Die aktuelle Qualitätsmanagement-Richtlinie des Ge­ meinsamen Bundesausschusses legt grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement sektorenübergreifend fest und enthält Spezifikationen für den ambulanten und stationären Sektor.10 Unter Qualitätsmanagement wird an dieser Stelle die systematische und kontinuierliche Durchführung von Aktivitäten verstanden, mit denen eine anhaltende Qualitätsförderung im Rahmen der Patientenversorgung erzielt werden kann. Diese Aktivitäten beziehen sich konkret auf die Festlegung und Organisation von Arbeits- und Behandlungsabläufen, die dann zusammen mit den Ergebnissen regelmäßig intern überprüft werden. Falls erforderlich erfolgt eine Anpassung und Verbesserung der zuvor festgelegten Strukturen und Prozesse. Qualitätsmanagement umfasst nach dieser Richtlinie insbesondere:

10 Teil A dieser Richtlinie enthält die Rahmenbestimmungen, die gemeinsam für alle Sektoren gelten. Teil B dieser Richtlinie enthält in den sektorspezifischen Abschnitten für den jeweiligen Sektor maßgebliche Konkretisierungen der Rahmenbestimmungen. Der G-BA hatte im Dezember 2015 die Erstfassung einer sektorenübergreifend geltenden ­Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL) beschlossen. Zuvor war das QM durch drei verschieden ­ Qualitätsmanagement-Richtlinien (vertragsärztlicher, vertragszahnärztlicher und stationären Bereich) geregelt. Die bestehenden QM-Richtlinien wurden von der neuen abgelöst.

63 Qualitätssicherung in der Telemedizin

5 Patientenorientierung einschließlich Patientensicherheit, 5 Mitarbeiterorientierung einschließlich Mitarbeitersicherheit, 5 Prozessorientierung, 5 Kommunikation und Kooperation, 5 Informationssicherheit und Datenschutz, 5 Verantwortung und Führung. Welchen Beitrag kann die Telemedizin nun zu diesen Qualitätsdimensionen leisten? Die o. g. Studienlage weist darauf hin, dass Telemedizin mindestens einen Beitrag zur besseren Patientenorientierung leisten kann. Die ortsunabhängige Beratung (Videosprechstunde) und Therapie (Teletherapie) stoßen bei den Patienten häufig auf eine sehr große Akzeptanz. Die Patienten geben zudem als einen großen Vorteil der Telemedizin an, dass sie sich sicherer fühlen ­(Tele-EKG). Darüber hinaus zielt Telemedizin eben auf die medizinischen Prozesse und unterstützt z. B. bei der Einhaltung von Leitlinienstandards durch telekooperative Verfahren.11 Dass die Kommunikation und Kooperation von der Telemedizin profitieren, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Vielmehr stellt sich die Frage, wie man heute die Kooperation und Kommunikation der Leistungserbringer untereinander noch ohne digitale Verfahren gestalten kann. Auch die Mitarbeiterorientierung wird durch die Telemedizin gestützt. Durch die Ortsunabhängigkeit der Leistungserbringung per Videokonferenztechnik oder durch zentrale Patientenakten und verteilte Systeme ist der Mitarbeiter bei der Wahl seines Arbeitsortes flexibel (Stichwort: Telearbeit). Mithin besteht die zukünftige Herausforderung darin, den Beitrag der Telemedizin zu diesen Qualitätsdimensionen im Rahmen des QM systematischer zu berücksichtigen. In diesem Kontext haben sich v. a. international erprobte Qualitätsmanagement-

11 Vgl. 7 https://www.ukaachen.de/kliniken-institute/ telemedizinzentrum-aachen/projekte-und-kompetenzzentren/telematik-in-der-intensivmedizin-tim. html.

systeme in der stationären Akutversorgung, der Rehabilitation und der ambulanten Versorgung auf breiter Ebene durchgesetzt. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Qualitätsmanagementanforderungen des G-BA zu großen Teilen aus diesen Systemen abgeleitet wurden (RKI, Statistisches Bundesamt 2015; Ertl-Wagner et al. 2009). Laut Gesundheitsberichtserstattung des Bundes sind die am häufigsten genutzten Qualitätsmanagementverfahren und Zertifizierungen jene nach DIN EN ISO 9001:2008 oder DIN EN 15224:2012, KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) sowie EFQM (European Foundation for Quality Management). Auf der Internetpräsenz des KTQ sind 287 Krankenhäuser verzeichnet, die nach diesem System arbeiten (Stand: 23.11.2017). Zahlen zum Einsatz der ISO 9001 sind nicht öffentlich bekannt. Aussagen von Krankenhäusern und Zertifizierern belegen jedoch eine Zunahme der Zertifizierungen nach ISO 9001 im Krankenhaus, die einer Abnahme an Zertifizierungen nach KTQ gegenüberstehen könnten (Knoll 2017; Jomec 2016). Während im stationären Sektor neben bereits in anderen Branchen bewährten Systemen (DIN EN ISO 9001 als branchenunabhängige Norm) auch speziell für den Krankenhaussektor entwickelte Systeme (KTQ) zum Einsatz kommen, wurden für den ambulanten Sektor spezielle, an den Einsatz in der Arztpraxis angepasste Systeme entwickelt (z. B. QEP, Qualität und Entwicklung in Praxen; EPA, Europäisches Praxisassessment) (RKI, Statistisches Bundesamt 2015; Ertl-Wagner et al. 2009). Angesichts folgender Aspekte erscheint der Einsatz der bereits im Gesundheitswesen etablierten DIN EN ISO 9001 auch zum Qualitätsmanagement telemedizinischer Anwendungen besonders interessant: 5 relativ hohe Verbreitung im Gesundheitswesen, 5 internationale Gültigkeit (Forderung nach Interoperabilität der Systeme), 5 hoher Erfahrungswert im Einsatz, 5 Akzeptanz auch bei Nichtmedizinern gegeben (Einbindung der Industrie),

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5 Branchenunabhängigkeit (Einsatz in allen Institutionen des Gesundheitswesens möglich), 5 Einbindung eines Risikomanagements, 5 Prozessorientierung (arbeitet nach dem PDCA-Zyklus). Die DIN EN ISO 9001 ist grundsätzlich eine allgemein gehaltene, branchenunabhängige Norm. In Bezug auf das Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen wurden die Anforderungen der ISO 9001 mit der DIN EN 15224 spezifisch auf Organisationen der Gesundheitsversorgung angepasst. Die DIN EN 15224 benennt das Risikomanagement wie auch das Wissensmanagement als fest implementierte und notwendige Komponenten des Qualitätsmanagements. Die ISO 9001 arbeitet dabei nach einem prozessorientierten Ansatz, d. h., die Festlegung und Steuerung von Prozessen (Prozessqualität) sowie beeinflussende Faktoren oder Wechselwirkungen (Strukturqualität) führen im Zusammenspiel zu den angestrebten Ergebnissen (Ergebnisqualität). Eine dauerhafte Verbesserung von Abläufen, die optimale Nutzung von Chancen und die Verhinderung unerwünschter Ereignisse wird dabei durch die Anwendung des PDCA-Zyklus erreicht. Auch Anwendungen der Telemedizin bedürfen zumeist einer kontinuierlichen Evaluation, die anhand dieses Schemas unter Berücksichtigung der genannten Qualitätsmerkmale erfolgen kann (DIN ISO 9001:2015). Die Norm legt zudem 11 signifikante Merkmale für die Qualität der Gesundheitsversorgung fest (DIN 2015): 5 angemessene korrekte Versorgung, 5 Verfügbarkeit, 5 Kontinuität der Versorgung, 5 Wirksamkeit, 5 Effizienz, 5 Gleichheit, 5 evidenzbasierte/wissensbasierte Versorgung, 5 auf den Patienten, einschließlich der körperlichen und geistigen Unversehrtheit ausgerichtete Versorgung, 5 Einbeziehung des Patienten, 5 Patientensicherheit,

5 Rechtzeitigkeit und Zugänglichkeit. Auch technische Spezifikationen bzw. Normen die konkret auf das Qualitätsmanagement telemedizinischer Anwendungen ausgerichtet sind, wie die ISO/TS 13131 (Health informatics, Telehealthservices, Quality planning guidelines) und die VDE-AR-M 3756-1 (Qualitätsmanagement für Telemonitoring in medizinischen Anwendungen), basieren im Kern auf den Grundsätzen der ISO 9001 und kombinieren diese mit weiteren Normen wie der IS0 13000 (Risikomanagement) oder der ISO 13485 (Medizinprodukte). Ein möglicher Lösungsansatz um den gesetzlichen Forderungen nach einer qualitätsgesicherten Versorgung, auch im Sinne des Einsatzes telemedizinischer Anwendungen in der Regelversorgung, gerecht zu werden, besteht demnach in der Anwendung etablierter Normen (z. B. ISO 9001) unter Beachtung der sich aus den genannten gesetzlichen Vorgaben sowie Richt- und Leitlinien ergebenden Qualitätsanforderungen. Analog zur ISO 9001 benennt auch die ISO/TS 13131:2014 bestimmte Qualitätsmerkmale, die erfüllt werden müssen, um die Qualität der Gesundheitsversorgung positiv zu beeinflussen: 5 Zugänglichkeit, 5 Verantwortlichkeit, 5 Angemessenheit, 5 Kompetenz, 5 Vertraulichkeit, 5 Kontinuität, 5 Zuverlässigkeit, 5 Effektivität, 5 Effizienz, 5 Inklusivität, 5 Sicherheit, 5 Transparenz und 5 Benutzerfreundlichkeit. Grundsätzlich fordert die ISO/TS 13131:2014, analog zu den getroffenen Vereinbarungen zwischen KBV und ­GKV-Spitzenverband aber auch die zusätzliche Beachtung von Qualitätsmerkmalen, die für die allgemeine medizinische Versorgung ohne den Einsatz telemedizinischer Anwendungen festgelegt wurden.

65 Qualitätssicherung in der Telemedizin

In . Tab. 3.3 werden Qualitätsmerkmale vorgestellt, die von den unterschiedlichen an die Telemedizin angepassten Regelungen, Vorgaben und Empfehlungen zur Beurteilung und Erreichung der drei unterschiedlichen Ergebniskategorien vorgegeben werden. Sie zeigt, dass die systematische Berücksichtigung der Telemedizin in QM-Systemen einerseits und die unumgängliche fachliche Entwicklung der Indikatoren andererseits, kein Neuland mehr sind. Sie beschreiben Qualitätsdimensionen, deren Berücksichtigung weitestgehend garantieren, dass telemedizinisch gestützte Versorgungsprozesse in bestmöglicher Qualität erbracht werden können (ISO 2014; VDE 2009). Es wird deutlich, dass Telemedizinzentren bzw. Einrichtungen, die telemedizinische Anwendungen nutzen, durchaus Orientierungshilfen zum Qualitätsmanagement aus bestehenden Vorgaben und Systemen gewinnen können. Zusätzliche Besonderheiten ergeben sich dabei meist aus veränderten Prozessabläufen. Daher sollte bei der Etablierung eines funktionierenden Qualitätsmanagementsystems v.  a. die Prozessqualität in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Die untersuchten Normen, Spezifikationen, Empfehlungen der Fachgesellschaften sowie die gesetzlichen Vorgaben an das Qualitätsmanagement der Telemedizin benennen zwar kaum spezifische, an die Prozessqualität einer telemedizinisch arbeitenden Einrichtung zu stellende Anforderungen, es wird jedoch zumeist auf die Orientierung an bestehenden Leitlinien sowie am wissenschaftlichen Erkenntnisstand verwiesen. Da sich das zugrundeliegende Konzept der medizinischen Behandlung für die Mehrzahl telemedizinischer Anwendungen in aller Regel nicht ändert, können sich Leistungserbringer in ihrem Qualitätsmanagement weiterhin an eben diesen vorhandenen Leitlinien orientieren. Zusätzlich sollten dann jedoch Änderungen, die sich hauptsächlich aus der Neuformierung von Prozessen ergeben, als zusätzliche Qualitätsmerkmale in das Qualitätsmanagement einfließen. Diese können im Falle der Teletherapie und des Telemonitorings durchaus auch beträchtlich sein. He-

rausfiltern kann man bis dato, dass v. a. Anforderungen an die Stabilität der Systeme, der Zugang zu den medizinischen Leistungen (24/7), die Qualität und das Vorliegen von Daten in Echtzeit, das Agieren nach strukturierten Protokollen sowie der schnelle Zugriff auf die Inhalte der medizinischen Leitlinien eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, telemedizinische Anwendungen in einer möglichsten guten Qualität in der Versorgung anzuwenden. 3.5  Ausblick

Der Trend hin zu einer umfassenden Digitalisierung unseres Gesundheitswesens ist unabhängig von der bislang nur zögerlichen und komplizierten Etablierung in die Regelversorgung nicht von der Hand zu weisen. Die Corona-Pandemie hat allerdings in Teilbereichen (z. B. Videosprechstunde und Telekonsile) eine nicht für möglich gehaltene Dynamik ausgelöst. Eine erkennbar hohe Akzeptanz der Bevölkerung, wachsende Bemühungen der Politik und Aktivitäten der Bundesländer, stellvertretend sei das das Virtuelle Krankenhaus in ­Nordrhein-Westfalen genannt12, unterstreichen diesen Prozess. Damit sich die Telemedizin zukünftig regelhaft im medizinischen Versorgungsalltag durchsetzen kann und bei der Bewältigung der Pandemie untersützen kann, müssen bestimmte Qualitätsanforderungen eingehalten werden. Notwendigerweise muss die Einhaltung dieser Anforderungen geprüft werden, damit die Qualität von Strukturen und Prozessen so gesteuert werden kann, dass das Ergebnis der erbrachten Leistung zuvor bestimmten Qualitätszielen entspricht. Damit Telemedizin sich als digital gemanagte Versorgung etablieren kann, sind insbesondere in einer sich globalisierenden, pandemischen Welt vertrauenswürdige Organisationsstrukturen erforderlich, die nicht zuletzt durch transparente QM-Systeme verbürgt werden

12 vgl. 7 https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/ document/mags_09.08.2019_anlage.pdf.

3

Qualitätshandbuch inkl. Umgang mit Risiken Finanzierung des TMZ und seiner Leistungen Technische + bauliche Infrastruktur IT-Infrastruktur Datensicherheit, Datenschutz

Hard und Software – Design und Funktionalität – Konformität mit entspr. Normen – Leichte Handhabung durch den Patienten – Offene, modulare Systeme – Wartung und Instandsetzung – Anbindung mobiler Endgeräte – Stabilität der Systeme Personalplanung – Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten – Zugriffsrechte und Benutzeridentifikation – Qualifikation des Personals – Zutrittskontrolle (Autorisierung) Infrastruktur des TMZ – Ausstattung der Arbeitsplätze – Baulich – Technisch Datenschutz und Datensicherheit Interoperabilität

ISO/TS 13131:2014

VDE-AR-M 3756-1 (Telemonitoring)

Strukturqualität

Optimale Versorgung Kostensenkung Reduktion von Krankenhausaufenthalten Versorgung des Patienten mit adäquaten Verfahren Aufrechterhaltung der Lebensqualität Aufrechterhaltung des Gesundheitszustandes Annäherung der Lebenserwartung an den Durchschnitt (in der jeweiligen Altersgruppe)

Ergebnisqualität

3

Verfügbarkeit, sicherer Zugang zu medizinischen Leistungen – 24/7 an 365 Tagen – Notfallmaßnahmen Leitlinien-/evidenzbasierte Medizin als Grundlage der Behandlungsplanung inkl. schneller Verfügbarkeit von Informationsdetails aus Leitlinien Einsatz standardisierter Protokolle (z. B. für Patientenanrufe) Schulungen des Personals, med. Partner und der Patienten Datenqualität und -quantität Funktionierender Datenaustausch/transparenter Informationsfluss

Behandlungspläne basieren auf Leitlinien und Protokollen Aufklärung des Patienten (inkl. Einwilligungserklärung) Qualität der Daten Zugang zu den Leistungen des TMZ (für den Anwender)

Prozessqualität

. Tab. 3.3  Qualitätsmerkmale aus gesetzlichen Vorgaben, Richtlinien, Spezifikationen, Empfehlungen und Normen

66 R. Beckers und L. Stellmacher

Datenschutz Technische Voraussetzungen zur IT-Sicherheit Authentifizierung, Zugriffskontrolle Qualifikation des Personals insb. Qualifikation des Telenotarztes

Interoperabilität (Transparenz der Systemauswahl) Indikationsbezogene Einbindung aller am Prozess beteiligter Parteien Einhaltung ethischer und rechtlicher Prinzipien (Äquivalenzprinzip)

Strukturempfehlungen der DGAI (prähospitale Notfallmedizin)

Leitsätze zur Implementierung telemedizinischer Leistungserbringung der DGIM

Strukturqualität

Personalausstattung qualitativ und quantitativ Finanzierung Festlegung von Indikationen Datenschutz Ausstattung des TMZ Einhaltung technischer Standards Zertifizierung des TMZ

Strukturempfehlungen der DGAI (Teleintensivmedizin)

. Tab. 3.3  (Fortsetzung)

Zeitlich unmittelbare Verfügbarkeit eines Notarztes Verkürzung des therapiefreien Intervalls Zielgerichteter Einsatz von Notärzten Kompensierung von Einsatzzahlen Zeitnahe Verfügbarkeit von Patientendaten Leitlinienadhärenz Reduktion der Kosten Verringerung von Mortalität und Morbidität Verbesserung der Lebens- und Versorgungsqualität Prozessuale oder wirtschaftliche Optimierung

Bereitschaft zur Mitwirkung der Akteure bzw. Akzeptanz Berücksichtigung des „Best-practicePrinzips“ Orientierung am wissenschaftlichen Erkenntnisstand, ideal an Leitlinien (+ Fortentwicklung des medizinischen Erkenntnisstands)

Reduktion der Morbidität Reduzierung der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus Reduktion der Behandlungskosten Erhaltung der Selbstbestimmung des Patienten Steigerung der sozialen Lebensqualität (Versorgung in Wohnortnähe) Höhere Adhärenz mit Qualitätsindikatoren

Ergebnisqualität

Datenaustausch in Echtzeit (Vitalparameter, Fotos, Videos) Dokumentation der Einwilligung des Patienten Stabilität des IT-Systems Zugriff auf wichtige Leitlinien Zugriff auf Informationen aus Krankenhausinformationssysteme (wünschenswert) Akzeptanz bei den Anwendern

Prozessqualität

Qualitätssicherung in der Telemedizin 67

3

Datenschutz (insb. BDSG, SGB V, SGB X) Datensicherheit (§ 9 BDSG) Technische Ausstattung + technische Anforderungen an die Ausstattung Qualifikation des Personals (nur Vertragsärzte, Beschränkung auf bestimmte Fachgruppen) Qualifikation des Videodienstanbieters (insb. Zertifizierung) Geeignete Räumlichkeit (Stichwort: Privatsphäre) Abrechnungsbestimmungen

Qualifikation des Personals (nur Vertragsärzte mit Genehmigung zur Durchführung von Röntgen- und/oder CT-Untersuchungen) Datenschutz (insb. BDSG, SGB V, SGB X) Datensicherheit (§ 9 BDSG) Technische Anforderungen v. a. hinsichtlich der Bildqualität Einhaltung von Standards (z. B. DICOM) Qualifikation des Kommunikationsdienstes (z. B. Gewährleistung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung)

Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur telemedizinischen Erbringung der konsiliarischen Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 291g Absatz 1 Satz 1 SGB V

Strukturqualität

Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß § 291g Absatz 4 SGB V

. Tab. 3.3  (Fortsetzung)

Einwilligung des Patienten Der die telekonsiliarische Zweitbefundung einholende Vertragsarzt muss die Erstbefundung selbst durchgeführt haben Dokumentation (Erst- und Zweitbefund werden zusammenhängend elektronisch dokumentiert) Datenübermittlung – Ergebnisse der telemedizinischen Befundbeurteilung werden in schriftlicher Form elektronisch max. 3 Werktage nach Eingang des Auftrages zur Befundung an den einholenden Vertragsarzt übermittelt – Struktur orientiert sich an der Norm zum radiologischen Befundbericht

Freiwilligkeit der Durchführung (Arzt und Patient) Schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten Durchführung nur für bestimmte Indikationen

Prozessqualität

Ergebnisqualität

68 R. Beckers und L. Stellmacher

3

Vereinbarung über telemedizinische Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung im Zusammenhang mit § 87 Abs. 2a Satz 7 SGB V

Standard Operating Procedures (SOP) für die Schlaganfallbehandlung im TEMPiS-Netzwerk

Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung, RöV)

. Tab. 3.3  (Fortsetzung)

Strukturqualität

Genehmigung der Durchführung durch Kassenärztliche Vereinigung Qualifikation des Personals Datensicherheit Datenschutz Interoperabilität

Qualifikation des Personals (z. B. Arzt mit Kenntnissen im Strahlenschutz am Ort der technischen Durchführung)

Prozessqualität

Regelmäßiger Arzt-Patienten-Kontakt Einwilligungserklärung des Patienten Physische und psychische Fähigkeit des Patienten zur aktiven Teilnahme Notwendige Indikation zur telemedizinischen Behandlung liegt vor Datenübertragung (nur solche Verfahren, die als sichere Verfahren gelten, dürfen genutzt werden)

Bei jedem Patienten im Lysezeitfenster muss umgehend der TEMPiS-Telekonsildienst eingeschaltet werden Umgehende Alarmierung des Interventionalisten durch den Telekonsilarzt und Einlieferung per Helikopter in entsprechende Klinik Bei Indikation mechanische Rekanalisation Einhaltung TEMPiS-SOP Einhaltung bestehender relevanter Leitlinien

Grundsätzliche Beschränkung auf den Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienst Aufklärung des Patienten durch qualifiziertes Personal (Stichwort: Strahlenschutz) Notfallversorgung durch den telekonsiliarisch beratenden Arzt muss in angemessener Zeit gewährleistet werden können Beide Ärzte stehen mittels Telekommunikation in Kontakt

Ergebnisqualität

Qualitätssicherung in der Telemedizin 69

3

R. Beckers und L. Stellmacher

Datenflüsse (webbasierter Zugriff auf Daten, Übertrag in Informationssystem des Arztes) Indikation, Eignung des Patienten (nur Patienten mit Defibrillator und/oder CRT-P bzw. CRTD-System) Persönlicher Arzt-Patienten Kontakt mindestens einmal im Krankheitsfall Einwilligung des Patienten Datenschutz Datensicherheit Interoperabilität Telemedizinische Funktionsanalyse von implantierbaren Defibrillatoren und CRT-Systemen

. Tab. 3.3  (Fortsetzung)

Strukturqualität

Prozessqualität

Ergebnisqualität

3

TMZ telemedizinische Zentrale; DGAI Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin; DGIM Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin; DICOM Digital Imaging and Communications in Medicine; TEMPiS telemedizinisches Schlaganfallnetzwerk Südostbayern; CRT kardiale Resynchronisationstherapie

70

könnten. Letztlich steht dahinter auch die Zielstellung, qualitative Standards einer ortsunabhängigen und damit auch zunehmend international agierenden Medizin sicherzustellen. Es ist deutlich geworden, dass die Telemedizin von den Akteuren zunehmend als Konzept der medizinischen Leistungserbringung aufgegriffen wird und dabei auch qualitative Voraussetzungen beschrieben werden. Telemedizin ist demnach, wie auch die Präsenzmedizin, an klare Strukturanforderungen gebunden. Hier ist v. a. die ärztliche Expertise zu nennen. Die Qualitätssicherungsverfahren und QM-Systeme könnten mit ihrer internationalen Verbindlichkeit, einen Beitrag dazu leisten, dass besonders die Strukturqualität auch in einer globalen Medizin einschätzbar bleibt. Für die Telemedizin müssen keine neuen Zertifizierungssysteme entwickelt werden, da die schon bestehenden Systeme offensichtlich hinreichend flexibel auf digitale Versorgungsprozesse ausgerichtet werden können. Auch die Qualitätssicherungsverfahren der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen stellen die Telemedizin nicht vor unlösbare Aufgaben, wenngleich zentrale Vorgaben im Einzelfall Anlass zur Diskussion bieten. Es ist in aller Regel sogar eher nur ausnahmsweise erforderlich spezifische, organisationsübergreifende Qualitätsanforderungen an die Telemedizin zu stellen, weil sich die Telemedizin im Grunde als qualitätssteigernder Prozess der Medizin selbst darstellt. Allerdings kann man angesichts der Vielfalt telemedizinischer Verfahren davon ausgehen, dass noch mehr Forschung erforderlich ist, um den originären Beitrag der Telemedizin zur Ergebnisqualität herauszuarbeiten. Dies ist auch erforderlich, um die Qualitätsindikatoren noch besser an die Qualitätsmessung in der Telemedizin ausrichten zu können. Abschließend kann man festhalten, dass der aktuelle Stand des Qualitätsmanagements, zumindest mit der Ausnahme ggf. neu zu definierender Prozess- und Ergebnisindikatoren, völlig ausreichend ist, um eine neue digitale Medizin qualitätsgesichert im Sinne der Patienten betreiben zu können.

71 Qualitätssicherung in der Telemedizin

Literatur ÄZQ (2010) Kompendium QMA: Definitionen und Konzepte des Qualitätsmanagements. 7 http:// www.aezq.de/aezq/kompendium_q-m-a/2-definitionen-und-konzepte-des-qualitaetsmanagements. Zugegriffen: 10. Nov. 2017 Bundesärztekammer (2017) Beschlussprotokoll 120. Deutscher Ärztetag; TOP II-19; Schulungen auf dem Gebiet der digitalen Gesundheitsversorgung müssen Teil der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung werden. 7 http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/120.DAET/Beschlussprotokoll_120_DAET.pdf Deisz R et al (2015) Einfluss von Tele-Intensivmedizin auf Diagnostik & Therapie des septischen Schocks Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) § 135a Verpflichtung der Leistungserbringer zur Qualitätssicherung. 7 https://www.gesetze-im-internet. de/sgb_5/__135a.html. Zugegriffen: 9. Nov. 2017 DIN (2015) DIN EN ISO 9001:2015. Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen (ISO 9001:2015) Ertl-Wagner B, Steinbrucker S, Wagner B (2009) Qualitätsmanagement und Zertifizierung S 15–28. 7 https://doi.org/10.1007/978-3-540-89085-0 ISO (2014) ISO/TS 13131:2014(E). Health informatics – telehealth services – quality planning guidelines Jomec (2016) DIN EN ISO 9001:2015 und DIN EN 15224 – Ist das Verfahren der KTQ aus dem Rennen? 7 http://jomec.de/beitrag/news/detail/News/ din-en-iso-90012015-und-din-en-15224-ist-das-verfahren-der-ktq-aus-dem-rennen/. Zugegriffen: 16. Nov. 2017 Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV Spitzenverband (2013) Rahmenvereinbarung KBV und GKV-Spitzenverband – Umfang der Erbringung ambulanter Leistungen durch Telemedizin. 7 https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/ krankenversicherung_1/aerztliche_versorgung/richtlinien_und_vertraege/telemedizin/Rahmenvereinbarung_Telemedizin_7-2013.pdf. Zugegriffen: 16. Nov. 2017 Knoll S (2017) Qualitätsmanagement im Krankenhaus – KTQ oder ISO 9001? 7 https://www. qz-online.de/qualitaets-management/qm-basics/recht_normen/branchenspezifische_anforderungen_qm_systeme/artikel/qualitaetsmanagement-im-krankenhaus-ktq-iso9001-722333. Zugegriffen: 16. Nov. 2017 Marx G et al (2015) Telekooperation für die innovative Versorgung am Beispiel des UKA. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 58:1056–1061 RKI, Statistisches Bundesamt (2015) Gesundheitsberichtserstattung des Bundes. Gesundheit in Deutschland. S 171–183; S 353–360. 7 http://www.rki.de/ DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheits-

berichterstattung/GesInDtld/GiD_2006/gesundheitsbericht.pdf ?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 10. Nov. 2017 (Erstveröffentlichung 2006) Sens B et al (2007) Begriffe und Konzepte des Qualitätsmanagements – 3. Aufl. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 3(1):Doc05. 7 http://www.egms.de/en/ journals/mibe/2007-3/mibe000053.shtml. S 6 f. Zugegriffen: 1. Dez. 2017 Simon A (2016) Qualität und eHealth. Was nicht messbar ist kann man nicht steuern. In: Fischer F, Krämer A (Hrsg) eHealth in Deutschland. Anforderungen und Potenziale innovativer Versorgungsstrukturen. Springer Vieweg, Berlin, S 125 ff. Telnet@NRW Projektkonsortiuum (2018) Telnet@ NRW: Gemeinsam handeln. Kompetent behandeln. In: VKD-Praxisberichte 2018. Der alte Patient –Digitalisierung. S 51 ff. VDE (2009) VDE-AR-M 3756-1. Qualitätsmanagement für Telemonitoring in medizinischen Anwendungen. VDE, Berlin

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Datenschutz in der Telemedizin Thomas Jäschke Inhaltsverzeichnis 4.1  Begrifflicher Rahmen – 74 4.1.1  Begrifflichkeit Telemedizin – 74 4.1.2  Begrifflichkeit Informationssicherheit – 74 4.1.3  Begrifflichkeit Datenschutz – 75 4.1.4  Begrifflichkeit IT-Sicherheit – 75

4.2  Allgemeine datenschutzrechtliche Anforderungen an telemedizinische Anwendungen – 75 4.2.1  Dokumentationspflichten – 76 4.2.2  Informationsrechte – 76 4.2.3  Verarbeitung im Auftrag – 76 4.2.4  Sicherheitsanforderungen für telemedizinische Anwendungen – 76 4.2.5  Risiko abwägen und Datenschutzfolgen abschätzen – 77

4.3  Exkurs: Online-Monitoring bei einem Diabetespatienten – 77 4.4  Fazit – 78 Literatur – 78

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_4

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T. Jäschke

Die telemedizinischen Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahren vervielfacht, nicht nur durch Anpassungen auf Gesetzesebene sondern auch durch technologische Entwicklung. Während diese Entwicklung in einer rasanten Geschwindigkeit voranschreitet, bleiben Akzeptanz und Medienkompetenz und damit auch Aspekte wie Datenschutz und Informationssicherheit auf der Strecke. Der fortschreitende Druck zur Digitalisierung im Gesundheitswesen treibt aber auch dieses Thema immer weiter voran. Keine Frage: Anwendungen der Telemedizin haben großen Vorteil für die Behandlung und gute Begleitung im Genesungsprozess. Da es sich aber in diesem Bereich immer um personenbezogene Daten handelt, meist sogar nach Art. 9 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO 2018) um besonders schützenswerte Daten (Gesundheitsdaten), sind hier die Anforderungen an die technologische und organisatorische Umsetzung hoch. In den meisten Fällen eines Projektes der Telemedizin sind mehr Akteure eingebunden, als man zunächst annimmt. In der Regel handelt es sich nicht nur um ein Gerät beim Patienten oder beim niedergelassenen Arzt. Oft werden noch weitere Akteure, wie behandelnde Ärzte oder Krankenhäuser, einbezogen. Und darüber hinaus: Vielmehr werden die Daten in den meisten Fällen von den Diagnostikgeräten an Datenbanken der Hersteller geschickt und von dort aus auf den Weg gebracht. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der involvierten Institutionen und Unternehmen auf dem Weg der Daten von A nach B umfangreicher wird und die Anforderungen an die technischen, organisatorischen Maßnahmen im Datenschutz weiter steigen. Zunächst ist immer eine zentrale Frage zu stellen: Wem gehören wann welche Daten, und wer benötigt zu welchem Zweck den Zugriff auf diese? 4.1  Begrifflicher Rahmen

Ein grundlegendes Problem aus der Praxis und damit der Entwicklung von innovativen Lösungen ist die Bestimmung des Scopes

und damit einhergehend die begriffliche Bestimmung des Geltungsbereichs. 4.1.1  Begrifflichkeit Telemedizin

Die Bundesärztekammer (BÄK) definiert Telemedizin als einen „Sammelbegriff »

verschiedener ärztli­ cher Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt.“ (Bundesärztekammer 2019)

Während die BÄK die Patientenversorgung in den Vordergrund stellt, handelt es sich in der Definition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) um einen kommunikationsorientierten Ansatz. Diese Definition versteht im weitesten Sinne „die Überwindung zeitlicher und/oder räumlicher Distanzen im Rahmen von medizinischen Sachverhalten (…). Das beinhaltet hauptsächlich die Messung, Erfassung und Übermittlung von Informationen oder die Anwendung medizinischer Verfahren mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnik zwischen Ärzten, bzw. zwischen Ärzten und Patienten ggf. unter Einbindung von nichtärztlichem Fachpersonal.“ (KBV 2019) 4.1.2  Begrifflichkeit

Informationssicherheit

Informationssicherheit bezeichnet den Schutz jeglicher Unternehmenswerte und Assets, die sowohl in analog als auch digital existieren können. In ihrer Definition finden sich schnell Schnittmengen zur IT-Sicherheit, die aus­schließ­ lich die technischen Sicherheitsmaßnahmen bezeichnet. Insbesondere die Betrachtung von

75 Datenschutz in der Telemedizin

. Abb. 4.1  Zusammenspiel und Schnittmengen von Datenschutz, Informationssicherheit und IT-Sicherheit. (Quelle: aus Jäschke et al. 2019)

Unternehmen und Institutionen, die dem ITSicherheitsgesetz nach zu den kritischen Infrastrukturen (KRITIS) zählen, macht klar, welche Anforderungen Unternehmen erfüllen müssen. Dazu zählen strukturierte Vorgehensweise, ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) und ggf. auch die Installation einer Stabsstelle für einen Informationssicherheitsbeauftragen (ISB) (Jäschke und Domnik 2018).

Regelungen der ePrivacy-Verordnung, welche ursprünglich auch zum 25. Mai 2018 in Kraft treten sollten, die jedoch aktuell nicht vor 2021 zu erwarten sind. Diese Verordnung, die anders als die ePrivacy-Richtlinie von 2002, mit Inkrafttreten sofort geltendes Recht innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten darstellt, beschäftigt sich v. a. mit dem Schutz der Daten in der elektronischen Kommunikation. 4.1.4  Begrifflichkeit IT-Sicherheit

4.1.3  Begrifflichkeit Datenschutz

Der Datenschutz ist zentraler Bestandteil der Informationssicherheit. Enger gefasst: Der Datenschutz befasst sich mit dem Schutz von personenbezogenen Daten (. Abb. 4.1). Dies betrifft u. a. insbesondere Gesundheitsdaten, die bekanntermaßen einem besonders hohen Schutzbedarf unterliegen. Hier sind insbesondere die einschlägigen Gesetze grundlegend zu beachten. Auf der einen Seite, die seit 25. Mai 2018 umzusetzende Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO 2018), auf der anderen Seite die besonderen Gesetze, wie Gesundheitsdatenschutzgesetze, Landesdatenschutzgesetze, Strafgesetzbuch oder Regelungen, Datenschutzgesetze der kirchlichen Träger usw. Dazu kommen die

Genau wie der Datenschutz, handelt es sich bei dem Begriff der IT-Sicherheit um einen Teil der Informationssicherheit, der sich auf Informationen bezieht, die elektronisch verarbeitet und gespeichert werden, bzw. mit und durch IT-Systemen verarbeitet werden. 4.2  Allgemeine

datenschutzrechtliche Anforderungen an telemedizinische Anwendungen

Aufgrund der Heterogenität von Schnittstellen und komplexer Vorgänge zur Datenübertragung ist die datenschutzrechtliche

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T. Jäschke

Betrachtung stets auf den Einzelfall zu beziehen. Grundsätzlich existieren allerdings Rahmenbedingungen, die von ihrer Grundidee her Berücksichtigung finden müssen. Grundsätzlich ist die Verarbeitung personenbezogener Daten besonderer Art nicht zulässig. Es sei denn, es liegt eine gesetzliche Grundlage vor oder der Patient hat entsprechend eingewilligt. 4.2.1  Dokumentationspflichten

Der Arzt ist verpflichtet, gemäß Berufsordnung und Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) seine getroffenen Maßnahmen zur Behandlung zu dokumentieren. Eine lückenhafte Dokumentation kann zu einer Umkehr der Beweislast zugunsten des Patienten führen. z Übermittlung und Weitergabe von Daten

Eine Weitergabe von Daten ist ausschließlich über die datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig, weitere Gesetzesgrundlagen oder Einwilligungen sind möglich. Auch zwischen Ärzten gilt die ärztliche Schweigepflicht, sodass es einer Einwilligung bedürfen könnte. Hierbei gilt es zu beachten, dass eine Einwilligung Voraussetzungen zu erfüllen hat, um datenschutzkonform gestaltet zu sein. Insbesondere die Freiwilligkeit, Zweckgebundenheit, Transparenz und die Möglichkeit auf Widerruf muss gegeben sein. (Art. 7 DSGVO) 4.2.2  Informationsrechte

Bereits vor der DSGVO wurde durch § 630g BGB die Einsicht, diein die eigene Patientenakte gewährt – heute konkretisiert und sich in den Informationspflichten einer datenverarbeitenden Stelle wiederspiegeln. Folgende Pflichten sind zu erfüllen (Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder 2010): 5 zu welchem Zweck werden Daten verarbeitet, 5 welche Kategorien von Daten werden verarbeitet,

5 welchen Stellen werden die Daten offengelegt, 5 Speicherdauer, 5 Hinweis auf das Beschwerderecht bei den Aufsichtsbehörden, 5 Herkunft der Daten, 5 aussagekräftige Informationen über Auswertungsmaßnahmen. 4.2.3  Verarbeitung im Auftrag

In telemedizinischen Projekten können personenbezogene Daten von externen Dritten verarbeitet werden. Elementar für die Entscheidungsfindung ist zu Beginn die Fragestellung, ob der Arzt die verarbeitende und weisungsbefugte Stelle bleibt, wie es beispielsweise bei der externen Archivierung der Fall sein kann. Da es sich bei der Übermittlung von Daten an Dritte um einen Widerspruch zur ärztlichen Schweigepflicht handelt, kann die Auftragsverarbeitung eine Möglichkeit zur Datenverarbeitung darstellen, wenn keine andere Rechtsgrundlage existiert. 4.2.4  Sicherheitsanforderungen

für telemedizinische Anwendungen

Technische medizinische Lösungen haben, insbesondere bzgl. ihrer Sensibilität von Gesundheitsdaten, diverse technische und organisatorische Maßnahmen umzusetzen, um deren Schutz sicherzustellen (gem. Art. 32 DSGVO – Sicherheit der Datenverarbeitung): 5 Vertraulichkeit, 5 Authentizität (Zurechenbarkeit), 5 Integrität, 5 Verfügbarkeit, 5 Revisionsfähigkeit, 5 Validität, 5 Rechtssicherheit, 5 Nichtabstreitbarkeit von Datenübermittlung, 5 Nutzungsfestlegung.

77 Datenschutz in der Telemedizin

Alle beteiligten Anbieter von Telemedizinlösungen wie auch deren Nutzer haben eine Verantwortung innerhalb ihres Kompetenzbereichs. So muss auf Anbieterseite bereits in der System- und Produktentwicklung Datenschutz ein fester Bestandteil des Projektplans sein. Mit Privacy by Design und Privacy by Default gilt es sicherzustellen, dass die Lösung bei der Entwicklung entsprechend den datenschutzrechtlichen Anforderungen entwickelt wird und mit datenschutzfreundlichen Einstellungen ausgeliefert wird. Bei der Übertragung von Daten gilt es Verschlüsselungstechniken nach aktuellem Standard zu nutzen. 4.2.5  Risiko abwägen und

Datenschutzfolgen abschätzen

Das Risiko einer Anwendung wird bestimmt durch die Faktoren Art, Umfang, Umstände, Zweck der Verarbeitung, Schwere des möglichen Schadens und durch die Eintrittswahrscheinlichkeit. In der Regel liegt bei Daten der besonderen Kategorie ein erhöhtes Risiko vor. Dies hat zur Folge, dass die Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutzfolgenabschätzung und eine Bestellpflicht für den Datenschutzbeauftragten bestehen. 4.3  Exkurs: Online-Monitoring bei

einem Diabetespatienten

Wir versuchen uns dem Thema mit einem simplen Beispiel, dem Online-Monitoring eines Diabetespatienten, zu nähern. In unserem Beispiel werden durch Sensoren in regelmäßigen Abständen, z. B. alle 15 min, Daten erfasst. Diese werden mit einem Messgerät oder einem Smartphone mit entsprechender App vom Sensor geladen. Anschließend findet eine Kommunikation statt zwischen dem Smartphone und einem zentralen Server.

Bereits an dieser Stelle tauchen die ersten konkreten Fragen auf: Wie werden die Daten übertragen und wie erfolgt die Absicherung gegen unbefugten Zugriff Dritter? Dabei ist nicht nur das Schutzziel Vertraulichkeit gemeint, sondern auch weitere Schutzziele wie zum Beispiel die Integrität. Denn, sollten diese Informationen am Ende beispielsweise eine Insulinpumpe steuern, so ist es von großer Wichtigkeit, nicht nur zu verhindern, dass diese Daten gelesen werden, sondern auch, dass diese unberechtigt geändert werden können und somit eine falsche Aktion ausgeführt wird. Der Betroffene würde am Ende zu viel oder zu wenig Insulin erhalten. Beides kann große Schädigungen nach sich ziehen und bis zum Tode führen. Eine Anonymisierung der Daten, welche die datenschutzrechtlichen Aspekte reduzieren würde, kommt in diesen Fällen der Telemedizin nicht infrage, muss doch der Datensatz immer dem Patienten individuell zugeordnet werden können. Die Daten müssen auf dem Weg zum Server also verschlüsselt werden. Dies kann entweder durch eine Verschlüsselung der Daten selber passieren (Datenverschlüsselung) und/oder durch eine Transportverschlüsselung, wie man sie auch vom Online-Banking kennt. Zusätzlich könnten die Person identifiziert und Merkmale aus den Datensätzen entfernt werden und durch ein Pseudonym ersetzt werden, so dass auf dem Weg zwischen Sender und Empfänger die Daten nur mit einem Zusatzwissen wieder der Person zugeordnet werden können. Das kann im einfachsten Fall bereits die Speicherung des Gerätes mittels Identifikationsnummer in einer Tabelle als Zuordnung zu einem Patientennamen bedeuten. Eine weitere Herausforderung ist die Einbindung von Dienstleistern. Da wäre der Hersteller der telemedizinischen Anwendungen zu nennen, der im Problemfall auf die Systeme zugreifen muss und bei Wartungsarbeiten möglicherweise auf die Patientendaten zugreifen kann. Hier geht es regelmäßig um datenschutzrechtliche Aspekte. Darüber hinaus kann bei einer

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T. Jäschke

Arzt-Patienten-Kommunikation ebenfalls die ärztliche Schweigepflicht im Fokus stehen. Der Dienstleister ist daher regelmäßig durch einen Vertrag zur Auftragsverarbeitung einzubinden. Die Mitarbeiter sind auf den Datenschutz zu verpflichten und ggf. sogar §  203 des Strafgesetzbuches (Pflicht des Berufsgeheimnisträgers) zu unterwerfen. Eine weitere Frage, die sich stellt: Wer ist der Betreiber des Servers und wo wird dieser betrieben? Große Anbieter von CloudServices betreiben ihre Gerätschaften häufig außerhalb der EU. Dies macht die Vereinbarungen, die dafür sorgen, das Datenschutzniveau auf dem Level zu halten, wie es für die EU-Mitgliedstaaten durch die DSGVO zu Grunde gelegt wird, wieder komplexer. 4.4  Fazit

Durch die (teilweise) europaweiten rechtlichen Änderungen und Anpassungen ist das Thema Telemedizin auch auf der

Datenschutzebene möglich geworden. Ein Augenmerk liegt hier auf dem technischen Datenschutz, bei dem es von den Beteiligten noch einiges aufzuholen gibt. Nichtsdestotrotz bietet der Datenschutz die Möglichkeit, Telemedizin rechtskonform einzusetzen und so auch das Vertrauen der Patienten zu gewinnen.

Literatur BGB: Bürgerliches Gesetzbuch; §630g German Civil Code in the version published on vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), last updated by Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juni 2020 (BGBl. I S. 1245) Bundesärztekammer (2019) Telemedizin. 7 https:// www.bundesaerztekammer.de/aerzte/telematiktelemedizin/telemedizin/. Zugegriffen: 23. Juli 2019 DSGVO: Europäische Datenschutzgrundverordnung (2018) Art. 7; 25; 32 ff. Jäschke T, Domnik J (2018) Datenschutz und Informationssicherheit im Gesundheitswesen. MWV, Berlin KBV (2019) Telemedizin. 7 https://www.kbv.de/html/ telemedizin.php. Zugegriffen: 23. Juli 2019 Konferenz der Datenschutzbeauftragten (2010) Broschüre Telemedizin. 7 https://www.datenschutzm v. d e / s t a t i c / D S / D a t e i e n / P u b l i k a t i o n e n / Broschueren/telemedi.pdf. Zugegriffen: 23. Juli 2019

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Fernbehandlung Franz Bartmann Inhaltsverzeichnis 5.1  Erste Nachweise – 80 5.2  Neuzeitliche Entwicklung bis zur Gegenwart – 80 5.2.1  Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä (alte Fassung) – 81

5.3  Aktuelle Entwicklung und Tendenzen – 83 5.3.1  Weitere Entwicklung – 84

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_5

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F. Bartmann

5.1  Erste Nachweise

» Es

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ist unstatthaft, Kranke ausschließlich brieflich zu behandeln, über die Wirksamkeit so genannter Geheimmittel Zeugnisse auszustellen, mit Nichtärzten zusammen Kranke zu behandeln, sich durch Nichtärzte (oder Studierende der Medicin) vertreten zu lassen, und die Krankenbehandlung durch Nichtärzte mit seinem Namen zu decken oder in irgendwelcher Form zu unterstützen.1

Der § 5 aus der Standesordnung für Sächsische Ärzte aus dem Jahre 1893 war der erste bekannte ärztliche Verhaltenskodex mit einer Aussage zur Fernbehandlung. Entsprechend den damaligen Kommunikationsmöglichkeiten war lediglich die Briefform explizit erwähnt. Dies war auch noch der Fall in der Standesordnung für die preußischen Ärzte vom 26.03.1909 und dem Pendant für die Deutschen Ärzte 1926, die einen identischen Wortlaut verwenden:

» Verboten

ist, Kranke nur brieflich oder sonst wie aus der Ferne zu behandeln.2

Erst die Neufassung der Berufsordnung aus dem Jahre 1937 hat dann mit zunehmender Verbreitung des Telefons auch die fernmündliche Behandlung sanktioniert. Außerdem wurde im § 6 der damaligen Berufsordnung erstmals auch die „Behandlung im Umherziehen“ berufsrechtlich unter Strafandrohung gestellt:

» Kranke dürfen nicht nur brieflich oder nur

fernmündlich oder auf andere Weise nur aus der Ferne behandelt werden.

» Die

Ausübung des ärztlichen Berufes im Umherziehen ist untersagt.3

1 Standesverordnung für die ärztlichen Bezirksvereine im Königreich Sachsen i. d. F, d. Bek, 1893, § 5. 2 Standesordnung für die deutschen Ärzte, Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland, Nr. 1395, 05.11.1926. 3 Berufsordnung für die deutschen Ärzte, Deutsches Ärzteblatt, 13.11.1937, Nr. 46.

Dieser Passus ist in den neueren Fassungen der Berufsordnung nicht mehr im § 7 sondern im § 17 verortet, der die Niederlassung und die Ausübung der Praxis regelt. Die Frage, ob es für die Ausübung der ärztlicher Tätigkeit einer Niederlassung bedarf, muss im Hinblick auf die Tätigkeit und Verantwortlichkeit der in telemedizinischen Zentren tätigen Ärzte nun neu diskutiert werden. 5.2  Neuzeitliche Entwicklung bis

zur Gegenwart

Die neuzeitliche Entwicklung unter ärztlicher Selbstverwaltung beginnt mit der Beschlussfassung zur Musterberufsordnung (MBO) auf dem 52. Deutschen Ärztetag in Hannover 1949. Die damalige Fassung des § 6 der MBO war sehr knapp in einem Satz gehalten:

» Es

ist dem Arzt nicht gestattet, Kranke ausschließlich aus der Ferne zu behandeln.4

Die nächste, bereits sehr konkrete Fassung aus dem Jahre 1956 rekurrierte im Kern auf die Vorkriegsformulierungen. Entsprechend der Entwicklung der Kommunikationsmedien kam erstmals auch der Rundfunk ins Spiel, gefolgt vom Fernsehen auf dem 73. Deutschen Ärztetag in Stuttgart 1970. Im § 7 Abs. 3 der Musterberufsordnung von 1997 wurde die Formulierung „Kommunikationsmedien und Computerkommunikationsnetzwerke“5 aufgenommen. Durch die Einfügung des Adverbs „insbesondere auch“ wurde dem Tatbestand der Beratung, seit 1956 Gegenstand der einschlägigen Paragrafen, besonderes Gewicht eingeräumt. Bei der letzten großen Novellierung der gesamten Musterberufsordnung auf dem 114. Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel taucht

4 Berufs- und Facharztordnung für die deutschen Ärzte, Ärzteverlag, 04./05.11.1949. 5 (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte, Deutsches Ärzteblatt, 12.09.1997, Heft 37.

81 Fernbehandlung

erstmals der Begriff der Telemedizin auf, die bereits damals in einigen europäischen – aber auch außereuropäischen Ländern wie Kanada, den USA oder insbesondere auch China – zum integralen Bestandteil von Versorgungskonzepten avanciert war. Allerdings wurde die damals als Ergebnis eines kontroversen Meinungsbildungsprozesses gefundene und verabschiedete Formulierung von Teilen der interessierten Fachöffentlichkeit eher als ein Verhinderungskonzept verstanden und nicht als die in der Vorstandsvorlage eigentlich intendierte eindeutige Regelung dieses Behandlungskonzeptes. Die damalige Fassung des § 7 Abs. 4 im Wortlaut:

» Ärztinnen

und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Printund Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.6

Bei genauerer Betrachtung war allerdings die mit dieser Formulierung verbundene Einschränkung längst nicht so gravierend wie von Kritikern empfunden und dargestellt. Deshalb hatte das zuständige Dezernat Telemedizin und Telematik der Bundesärztekammer mit Genehmigung und auf Bitten des Vorstandes 2015 eine Arbeitsgruppe aus anerkannten Experten und Anwendern von Telemedizin aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengestellt, um in mehreren Sitzungen neben einer Bestandsaufnahme derzeit bereits etablierter telemedizinischer Verfahren mögliche Restriktionen aus der verkürzend als „Fernbehandlungsverbot“ bekannten Formulierung der gültigen Musterberufsordnung herauszuarbeiten. Als Ergebnis dieser Arbeitsgruppe wurde im Dezember 2015 ein Arbeitspapier veröffentlich, welches die bis zur Änderung der Musterberufsordnung auf

6 (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, Fassung der Beschlüsse des 114. DÄT 2011 in Kiel.

dem Ärztetag in Erfurt im Mai 2018 (s. u.) gültige Fassung der Berufsordnung im Hinblick auf die Zulässigkeit der Fernbehandlung im einzelnen präzisierte. 5.2.1  Hinweise und Erläuterungen

zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä (alte Fassung)

Zunächst geht/ging es dabei um eine Interpretation der im Text der Musterberufsordnung verwandten unklaren Rechtsbegriffe. Was bedeutet konkret „individuelle ärztliche Behandlung“, „nicht ausschließlich“ und „unmittelbar“. Bereits daraus ergibt sich, dass aufgrund der vorliegenden Formulierung des § 7 MBO bis auf eine abschließende ärztliche Beratung und/oder Behandlung ohne einen zumindest einmaligen physischen Arzt-Patient-Kontakt eine Fernbehandlung berufsrechtlich durchaus zulässig ist. Zulässig ist/war auch das Einholen oder abgeben eines konsiliarischen Rates ohne den persönlichen Kontakt zum Patienten. Der Konsiliarius wird dabei grundsätzlich nicht zum (mit-)behandelnden Arzt. Die Diagnose bzw. die Anweisung des Konsiliar- arztes wird durch denjenigen Arzt vermittelt, der mit dem Patienten in unmittelbaren Kontakt steht. Ebenfalls ist es zulässig, teleradiologische Untersuchungen ohne unmittelbaren Patientenkontakt durchführen zu lassen oder durchzuführen. Die Zulässigkeit des Betriebs einer Röntgeneinrichtung zur Teleradiologie ist gesetzlich in der Röntgenverordnung (RöV) geregelt und bedarf einer Genehmigung (§ 3 RöV). Der Begriff der „Teleradiologie“ ist in § 2 Nr. 24 RöV definiert. Darunter ist die Untersuchung eines Menschen mit Röntgenstrahlen unter der Verantwortung eines Arztes nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 RöV, der sich nicht am Ort der technischen Durchführung befindet und der mit Hilfe elektronischer Datenübertragung und Telekommunikation insbesondere zur rechtfertigenden Indikation und Befundung unmittelbar mit den Personen vor Ort der technischen Durchführung in Verbindung steht. Ausnahmen vom

5

82

5

F. Bartmann

Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelten darüber hinaus bei Notfällen, und Zwischenfällen z. B. auf hoher See, bei denen ein physischer Arzt-Patienten-Kontakt nicht realisiert werden kann. Des Weiteren wurden von der gleichen Arbeitsgruppe telemedizinische Interaktionsmodelle erarbeitet und auf ihre Berufsrechtskonformität überprüft. Insgesamt ließen sich sieben Anwendungsmodelle identifizieren (. Abb. 5.1), von denen sechs sich eindeutig berufsrechtskonform erwiesen und nur in einem Falle eine partielle Kollision mit der in den meisten Ärztekammern geltenden Rechtsnorm konstatiert wurde. Betroffen ist hiervon ein Behandlungsmodell, wie es zum Beispiel von Medgate in Basel seit über 10 Jahren erfolgreich praktiziert wird. Über ein Callcenter werden dabei entsprechende Anrufe bei erkennbarem medizinischen Bedarf gezielt an Ärzte weitergeleitet, die dann – falls für diesen Versorgungsweg geeignet – bis hin zur Verordnung von Medikamenten und Ausstellung eines Arztattestes bei Arbeitsunfähigkeit in geeigneten Fällen eine konkrete Behandlung einleiten und durchführen können. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Einschränkung der Fernbehandlung auch in der in den meisten Kammern damals noch gültigen Fassung der Berufsordnung sich lediglich

auf die Beratung und Behandlung von Patienten ohne vorherigen physischen Arzt-Patienten-Kontakt bezieht. Dabei bestand in den Berufsordnungsgremien Konsens, dass dieser Kontakt auch von einem anderen als dem unmittelbar beratenden Arzt vorgenommen werden kann, falls die Kommunikation zwischen den beteiligten Ärzten sichergestellt ist. Uneinheitlich war dagegen die Beurteilung, ob diese Einschränkung sich auf jeden neu aufgetretenen Krankheitsfall bezieht oder die Fernbehandlung eines bekannten Patienten bei eindeutiger Beurteilung des aktuellen Krankheitszustandes erlaubt sein sollte. Abschließend sei in diesem Kontext erwähnt erwähnt, dass bundesweit bislang kein Fall bekannt geworden ist, in dem ein Arzt wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 4 der Berufsordnung berufsrechtlich belangt worden wäre. Vielmehr wird bei entsprechenden Tatbeständen, beispielsweise der unterlassene Hausbesuch im ärztlichen Bereitschaftsdienst nach einem telefonischen Hilfeersuchen, ggf. die mangelnde Sorgfaltspflicht als Sanktionstatbestand geltend gemacht. Diese wiederum ist geregelt im – unveränderten – § 2 Abs. 2 der Musterberufsordnung mit folgender Normaussage:

» Ärztinnen

. Abb. 5.1  Übersichtsschema zu den Anwendungsmodellen

und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei

83 Fernbehandlung

ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.7

Das bezieht sich nach Auslegung der meisten – auch kammernahen – Juristen auf jegliche Form des Arzt-Patienten-Kontaktes, also auch auf individuelle Telefon- und Internetkontakte. 5.3  Aktuelle Entwicklung und

Tendenzen

Im Sommer 2016 hat die Kammerversammlung der Ärztekammer ­Baden-Württemberg die Berufsordnung im § 7 Abs. 4 um einen Passus ergänzt, der unter definierten Bedingungen, Genehmigung durch die Ärztekammer und laufende Evaluation genehmigter Projekte, die telemedizinische Behandlung auch ohne vorherigen physischen ­Arzt-Patienten-Kontakt sanktionsfrei ermöglicht:

» Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle

ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Printund Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt. Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Landesärztekammer und sind zu evaluieren.8

Einer der Hintergründe für diese viel beachtete Anpassung war vermutlich die räumliche Nähe und die gemeinsame Grenze des Bundeslandes zur Schweiz. Dort hat seit über 10  Jahren der Telemedizinanbieter

7 (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, Fassung der Beschlüsse des 121. DÄT 2018 in Erfurt. 8 Berufsordnung der LÄK Baden-Württemberg, 21.09.2016, 7 https://www.aerztekammer-bw. de/10aerzte/40merkblaetter/20recht/05kammerrecht/ bo.pdf.

„­Medgate“ mit mittlerweile mehreren Dependancen weltweit seinen Hauptsitz. Eingeschriebene Patienten erhalten von ihren jeweiligen Krankenversicherungen teilweise erheblichen Prämiennachlass, wenn sie sich verpflichten, den Erstkontakt im Falle einer medizinischen Behandlung immer über Medgate herzustellen. Eine Kontaktzeit von wenigen Minuten ist garantiert. Das Spektrum reicht je nach Akuität von einer sofortigen Aktivierung der Rettungskette am Orte des Anrufers, über die Vermittlung von Arztkontakten bzw. Krankenhausaufnahme bis zu einer abschließenden telemedizinischen Behandlung inkl. notwendiger Medikation durch einen im Unternehmen angestellten Arzt oder eine Ärztin. Falls dieser eine Behandlung veranlasst, ist er verpflichtet den Verlauf zu verfolgen und sich letztendlich vom Behandlungserfolg zu überzeugen. Offenbar wirft dieses Verfahren, entgegen den in Deutschland häufig geäußerten Bedenken, nur äußerst selten haftungsrechtliche Fragen auf. Die von diesem Modellprojekt ausgehenden Signale blieben nicht ohne Folgen für die innerärztliche Diskussion des Themas „Fernbehandlung“. Ein erster Durchbruch in der innerärztlichen Diskussion war auf dem 119. Deutschen Ärztetag 2017 in Freiburg zu verzeichnen. Ein Antrag, vorwiegend getragen von Delegierten aus der Ärztekammer Schleswig-Holstein, der den Vorstand der ­ Bundesärztekammer beauftragt, die Aufnahme einer Ergänzung der Musterberufsordnung analog zu Baden-Württemberg zu prüfen, wurde mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat daraufhin die Berufsordnungsgremien – Ausschuss und Ständige Konferenz – beauftragt, bis zum nächstfolgenden Ärztetag 2018 in Erfurt eine Neufassung des § 7 Abs. 4 vorzubereiten. Bis unmittelbar vor der Eröffnung des Deutschen Ärztetages war allerdings nicht abschätzbar, inwieweit die Delegierten des Deutschen Ärztetages der über den Antrag aus 2017 hinausgehenden Regelung zustimmen würden, zumal einzelne

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Kammerversammlungen und deren Präsidentinnen und Präsidenten sich explizit gegen eine Liberalisierung zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen hatten. Deshalb hat die Ärztekammer ­Schleswig-Holstein nach mehrjähriger Vorbereitung in der letzten Kammerversammlung der laufenden Wahlperiode am 21.04.2018 die Berufsordnung mit Zustimmung des Aufsichtsministeriums im Hinblick auf das sog. Fernbehandlungsverbot geändert. Die Neuformulierung orientiert sich im ersten Teil an der bis dahin bekannten Vorlage für den Deutschen Ärztetag unter Verzicht auf die im zweiten Teil der Bundesvorlage implizit enthaltenen Einschränkungen und Vorbehalte. Beide Formulierungen im direkten Vergleich: Schleswig-Holstein:

» Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt.

» Sie

dürfen dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen.

» Vorbehaltlich

anderweitiger gesetzlicher Regelungen ist eine Beratung oder Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien erlaubt, wenn diese ärztlich vertretbar und ein persönlicher Kontakt mit der Patientin oder dem Patienten nicht erforderlich ist.9

Musterberufsordnung in der Fassung vom 10.05.2018:

» Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt.

über Kommunikationsmedien wird.10

aufgeklärt

Zwischenzeitlich haben mit einer Ausnahme alle Ärztekammern diese Regelung in Landesrecht überführt. Auch ­Baden-Württemberg hat seine Berufsordnung entsprechend angepasst. In Schleswig-Holstein gilt weiterhin die dort verabschiedete liberalere Fassung. 5.3.1  Weitere Entwicklung

Da bei Bestandspatienten und Selbstzahlern von Leistungsangeboten bereits in der Vergangenheit telemedizinische Beratungen und Behandlungen keine berufsrechtlichen Einschränkungen erfahren hatten, war allein durch die Änderung des Berufsrechtes, entgegen anderweitigen Erwartungen kein entscheidender Impuls für die Aufnahme telemedizinischer Betreuungsangebote in der Regelversorgung zu erwarten. Die Änderung des Berufsrechtes allein führte nämlich nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung. Bereits nach dem Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.201111 sollte der Bewertungsausschuss bis zum 31.10.2012 prüfen, welche ambulanten Leistungen telemedizinisch erbracht werden können und eine entsprechende Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) bis zum 31.03.2013 vornehmen. Beide Termine sind ohne Reaktion seitens der angesprochenen Partner der Selbstverwaltung verstrichen. Erst mit über 2-jähriger Verzögerung wurde im Dezember 2015 die

» Sie

können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen.

» Eine

ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung

9 Berufsordnung der Ärztekammer ­Schleswig-Holstein, 7 https://www.aeksh.de/amtliche_bekanntmachungen. 10 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, Fassung der Beschlüsse des 121. DÄT 2018 in Erfurt. 11 7   h t t p s : / / w w w. b g bl . d e / x ave r / b g bl / s t a r t . x a v?startbk=Bundesanz eiger_BGBl&bk=Bundesanz eiger_BGBl&start=//*%5B@attr_ id=%27bgbl111s2983.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl111s2983. pdf%27%5D__1533198320246

85 Fernbehandlung

Vereinbarung zur telemedizinischen Kontrolle von Herzschrittmachern mit ­Konverterbzw. Defibrillatorfunktion als Verhandlungserfolg des gemeinsamen Bewertungsausschusses mitgeteilt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren auch bereits die Inhalte des ­E-Health-Gesetzes12 bekannt, die verpflichtend die ­EBM-Bewertung der Telemedizinanwendungen „Konsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen“ und „Durchführung von Videosprechstunden“ vorsah. In diesem Falle sind die Verhandlungspartner fristgerecht zu einem Ergebnis gekommen, allerdings in einer Form, die, wie bereits zuvor bei der Vereinbarung zum elektronischen Arztbrief, eher einer Verhinderungsstrategie denn einer Förderung dieser Maßnahmen entspricht. Vordergründig und vorrangig scheint sowohl seitens des Spitzenverbandes Bund der gesetzlichen Krankenversicherungen als auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Angst vor einer unkontrollierbaren Mengenausweitung bei der Verhandlung Pate gestanden zu haben. Ein erster wichtiger Impuls entstand durch ein Umdenken im Rahmen der Notfallversorgung. Dieses basiert auf der Erkenntnis, dass entscheidend für das weitere Patientenschicksal weniger der ungezielte Erstkontakt als vielmehr ein strukturierter und gerichteter Zweit- oder Drittkontakt ist. Zu diesem Zwecke wurde die bundeseinheitliche Rufnummer des kassenärztlichen Notdienstes 116117, zuerst zögerlich, dann in immer mehr Bundesländern, auch außerhalb der sprechstundenfreien Zeiten, freigeschaltet. Damit war erstmals eine Patientensteuerung entsprechend der Akuität des Krankheitsbildes bereits im Vorfeld eines physischen Arztkontaktes möglich. Dabei war dann allerdings die geänderte Berufsordnung hilf- und segensreich. Denn in Fällen, in denen ein unmittelbarer Arztkontakt weder erforderlich noch erwünscht ist, kann jetzt sanktionsfrei eine abschließende Beratung erfolgen.

12 7 https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s2408. pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl115s2408.pdf%27%5D__1533198492274

Der entscheidende Durchbruch für die Akzeptanz und die Umsetzung der Fernbehandlung durch telemedizinische Verfahren erfolgte allerdings erst im zweiten Quartal des Jahres 2020, als Patienten aus Angst vor einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus anlässlich eines Arztbesuches, Arztpraxen und Notaufnahmen der Krankenhäuser mieden und zunehmend telefonische und audio-visuelle Beratungsleistungen nachfragten. Auf der anderen Seite haben Ärzte die frei gewordenen Zeitressourcen genutzt, um sich mit der technischen Umsetzung von Videosprechstunden auseinander zu setzen und damit auch wirtschaftliche Verluste durch ausbleibende physische Patientenkontakte in Grenzen zu halten. Entscheidend beigetragen zu dem daraus entstandenen Boom hat sicherlich auch die Entscheidung der Selbstverwaltung, die Begrenzung der Abrechenbarkeit der durch Videotelefonie erbrachter Leistungen auf 20 % des Praxisvolumens, für die Zeit der Pandemie auszusetzen und darüber hinaus die Testierung einer Arbeitsunfähigkeit bis zu 7 Tagen Dauer auch ohne vorherige körperliche Untersuchung zu gestatten. Stand 17.07.2020 sind bei der KBV insgesamt 41 zertifizierte Anbieter von Videoplattformen registriert, deren Nutzung die Voraussetzung für eine Abrechnung der Videosprechstunde ist. Vermutlich wird sich im Laufe der Zeit hier aber eine Bereinigung ergeben, da neben wenigen sehr großen Anbietern mit hohem Nutzerpotential auch eine Vielzahl kleinerer Unternehmen registriert sind, die einem wachsenden Konkurrenzdruck kaum standhalten dürften. Außerdem sind die technischen Anforderungen vor allem auf Seiten der ärztlichen Nutzer sehr unterschiedlich, so dass dort eine Selektion nach Machbarkeitskriterien erfolgen dürfte. Nach einer kürzlich erfolgten Umfrage der Stiftung Gesundheit und des hih ist die Zahl der ärztlichen Anbieter von Videosprechstunden von 1,8  % Ende 2017 auf 52,3 %im Mai 2020 gestiegen. Weitere 10,1 % sind in der Vorbereitung eines entsprechenden Angebotes. 94,1 % der Anbieter haben dies erstmals im aktuellen Jahr 2020 realisiert.Korrespondierend lehnen

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37,6 % der ­Befragten ein derartiges Angebot für sich selbst strikt ab. 2017 hatte die Zahl der strikten Verweigerer noch bei 57,7 % gelegen. Hochinteressant ist ein Blick auf die Begründung für die Ablehnung. 43,5 % halten diese Art der Konsultation für grundsätzlich ungeeignet. Lediglich 11 % machen die Sorge um die Datensicherheit als Hauptmotiv für die Ablehnung geltend. In der bisherigen Diskussion war der Datenschutz immer eines der führenden Gegenargumente gegen Digitalisierung in Verbindung mit dem ­ Arzt-Patient-Kontakt gewesen.Natürlich kann erst die Zukunft erweisen, inwieweit sich der offensichtliche Trend zur

Videosprechstunde verstetigt. In jedem Falle ist der Beweis angetreten, dass Telemedizin und Fernbehandlung machbar und sinnvoll sind. Dieser Erkenntnis wird sich auch die bisher sehr zurückhaltend agierende Selbstverwaltung zu stellen haben. Damit hat sich wieder einmal Wieder einmal hat sich damit bewahrheitet, dass einschneidende Veränderungen etablierter Strukturen initial der Not und Notwendigkeit und weniger der reinen Rationalität und Sinnhaftigkeit folgen. Das frühere Reizthema Fernbehandlung gerät damit zusehends zu einer allenfalls historischen Remininszenz.

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Modelle und Konzepte in der Akutmedizin und stationären Versorgung Inhaltsverzeichnis 6

Telemedizin in der Intensivmedizin – 89 Gernot Marx

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Telemedizin in der Anästhesiologie – 105 Michael Czaplik, Rolf Rossaint und Andreas Follmann

8

Telemedizin in der Schmerztherapie – 113 Carla Nau

9

Telemedizin in der Kardiologie – 123 Friedrich Köhler, Sandra Prescher, Sebastian Spethmann und Kerstin Köhler

10

Telemedizin in der Notfallmedizin – 137 Andreas Follmann, Marc Felzen, Rolf Rossaint und Michael Czaplik

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Telemedizin in der Palliativmedizin – 149 Roman Rolke

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Telemedizin in der Intensivmedizin Gernot Marx Inhaltsverzeichnis 6.1  Gegenwärtige Evidenz – 90 6.2  Akzeptanz telemedizinischer Verfahren – 93 6.3  Limitationen – 93 6.4  Aktuelle Projekte am Telemedizinzentrum Aachen – 94 6.4.1  Innovationsfondsprojekt TELnet@NRW – 94

6.5  Thalea – 96 6.6  SMITH – 97 6.6.1  Datenintegrationszentren – 97 6.6.2  Phänotypisierungspipeline und Use Cases – 97

6.7  Strukturempfehlungen Telemedizin – 98 6.7.1  Rahmenbedingungen – 98

6.8  Weitere Entwicklungen in der Telemedizin – 99 6.9  Ausblick – 101 Literatur – 101

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021 G. Marx et al. (Hrsg.), Telemedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_6

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G. Marx

Telemedizin, definiert als Therapie, Beratung und Diagnostik via Nutzung moderner Telekommunikations- und Informationstechnik über Ortsgrenzen hinweg, weist ein vielfältiges Anwendungsspektrum auf. Sie kann entweder zwischen Arzt und Patient („doc2patient“) oder zwischen zwei Ärzten, zum Beispiel Haus- und Facharzt („doc2doc“) eingesetzt werden. Im Bereich der Intensivmedizin wird Telemedizin in der Regel als Zusammenarbeit verschiedener Intensivstationen untereinander oder als Kooperation von Intensivstationen mit einer Teleintensivzentrale realisiert. Hierbei ermöglichen Datenaustausch in Echtzeit mittels Audiovideokonferenzen, Übertragung von Vitalparametern und Übermittlung elektronischer Dokumentation (Labordaten, Bildgebung, Arztbriefe etc.) den behandelnden Partnern eine gemeinsame, einheitliche Sicht auf den Patienten. Es finden tägliche Visiten statt, die um zusätzliche Konsultationen bei Bedarf und um anlassbezogene Konsile bei besonderen Fragestellungen ergänzt werden. Das Ziel der telemedizinischen Zusammenarbeit ist es, durch einrichtungsübergreifende Kooperation und Erfahrungsaustausch die Patientenversorgung zu optimieren. Mit den technischen Mitteln der Teleintensivmedizin kann die spezialisierte Expertise eines Zentrums selbst in entlegenen Regionen rund um die Uhr verfügbar gemacht werden und kann somit die wohnortnahe Versorgung des Patienten unterstützen. Zusätzlich können vor Ort nicht vorhandene Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen, z.  B. Pharmakologen und Infektiologen, das Behandlungsteam ergänzen, indem sie beratend an den Visiten teilnehmen. Die Organisation und technische Umsetzung teleintensivmedizinischer Kooperationen ist uneinheitlich. Der Aufbau eines telemedizinischen Netzwerkes kann beispielsweise als zentrale Überwachungseinheit mit angegliederten, peripheren Intensivstationen ­(„Hub-and-Spoke-Struktur“) oder als Kooperation gleichberechtigter Intensivstationen realisiert werden. Die Informationsübertragung kann

asynchron oder synchron erfolgen: Im Fall der asynchronen Datenübertragung ­(„Store-and-Forward-Konzept“) werden Befunde gespeichert und bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt z.  B. während gemeinsamer Visiten abgerufen und ausgewertet. Die synchrone Datenübertragung („Realtime-Konzept“) ermöglicht die kontinuierliche Übermittlung von Vitalparametern, Monitoring- und Labordaten in Echtzeit, so dass eine engmaschige Überwachung des Patienten ermöglicht wird. Darüber hinaus können Monitoringalgorithmen und smarte Frühwarnsysteme basierend auf Mustererkennung und künstlicher Intelligenz (KI) zur frühzeitigen Intervention eingesetzt werden (Deisz und Marx 2016). 6.1  Gegenwärtige Evidenz

Telemedizin hat ein hohes Potenzial, einen wichtigen Beitrag zu einer hochqualitativen Patientenversorgung zu leisten und intensivmedizinische Behandlungsergebnisse sowohl im Krankenhaus, als auch im Langzeitergebnis bis zur Entlassung nach Hause zu verbessern. Zahlreiche Studien konnten positive Effekte einer telemedizinischen Zusatzversorgung nachweisen. In der bisher größten Multizenterstudie mit 118.990 Patienten von 56 Intensivstationen in 32 Krankenhäusern stellten Lilly et al. eine Verbesserung des Behandlungsergebnisses fest, gemessen an einer reduzierten Krankenhaussterblichkeit (Hazard Ratio [HR] = 0,84; 95 % Confidence Interval [CI], 0,78–0,89; p