Technische Vernunft: Kants Zweckbegriff und das Problem einer Philosophie der technischen Kultur 9783110306095, 9783110305715

This work attempts to overcome the prejudice that Kant's philosophy is inadequate for a reflection of the cultural

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Technische Vernunft: Kants Zweckbegriff und das Problem einer Philosophie der technischen Kultur
 9783110306095, 9783110305715

Table of contents :
Einleitungf
Kapitel 1 Kultur als Gegenstand der Philosophie
1.1 Vorüberlegungen zu Kants Kulturbegriff
1.2 Kants Philosophiebegriff
1.2.1 Der Philosophiebegriff nach seinen wesentlichen Bestimmungsstücken
1.2.2 Vertikale Spezifikation: Kritik und Metaphysik
1.2.3 Horizontale Spezifikation: Natur und Freiheit
1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie
1.3.1 Kultur als Gegenstand teleologischer Reflexion
1.3.2 Kultur als Gegenstand anthropologischer Kenntnis
1.3.3 Kulturlehre und Theorie technischer Vernunft
Kapitel 2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff
2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand
2.1.1 Mehrdeutigkeit des Zweckbegriffs
2.1.2 Objektive Realität des Zweckbegriffs
2.1.3 Das Beispiel des Naturzwecks
2.1.4 Vorläufige Bestimmung des Zweckbegriffs
2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs
2.2.1 Gegebene und gemachte Begriffe
2.2.2 Begriffe a priori und Zweckbegriff
2.2.2.1 Kategorien und Zweckbegriff
2.2.2.2 Ideen und Zweckbegriff
2.2.2.3 Prädikabilien und Zweckbegriff
2.2.3 Bemerkungen zur Prädikabilienlehre
2.2.4 Der Zweckbegriff als Prädikabile?
Kapitel 3 Exposition des Zweckbegriffs
3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)
3.1.1 Subjektive Substitution: Begehren
3.1.2 Objektive Substitution: Hervorbringung
3.1.3 Vorläufige Bestimmung der Momente a priori
3.2 Erkenntnis und Hervorbringung - objektive Realität und Modalität
3.2.1 Objektive Realität, Möglichkeit und Wirklichkeit
3.2.2 Objektive Realität und objektive Gültigkeit von Zweckvorstellungen
3.2.3 Setzung des Zweckobjekts: Zweckvorstellung und Zweckurteil
3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs
3.3.1 Zweckidee und Schema
3.3.2 Zusammenfassung: Merkmale des Zweckbegriffs
3.3.3 Objektive Realität: Technik und Produkt
3.3.3.1 Technik als Darstellung des Zweckbegriffs
3.3.3.2 Naturprodukt und Kunstprodukt
3.3.3.3 Objektive Gültigkeit des Zweckbegriffs
3.3.3.4 Zweckbegriff und Zweckideen
Kapitel 4 Zweckbegriff und technische Vernunft
4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen
4.1.1 Hypothetische Imperative
4.1.2 Teleologische Urteile: Zweck und Zweckmäßigkeit .
4.1.2.1 Zweckvorstellung und objektive Zweckmäßigkeit
4.1.2.2 Das absolute teleologische Urteil
4.1.2.3 Das relative teleologische Urteil
4.1.3 Technische Sätze und die Konstruktion von Zweckvorstellungen
4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft .
4.2.1 Bestimmung und Reflexion im Zweckurteil
4.2.2 Erzeugung des Zweckbegriffs (Progression)
4.2.3 Zur metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs
4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs
Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur
Personenregister
Begriffsregister
Stellenregister

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Stefan Klingner Technische Vernunft

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme

172

De Gruyter

Stefan Klingner

Technische Vernunft Kants Zweckbegriff und das Problem einer Philosophie der technischen Kultur

De Gruyter

ISBN 978-3-11-030571-5 e-ISBN 978-3-11-030609-5 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

” 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/12 am Fachbereich I der Universitt Trier als Dissertationsschrift unter dem Titel „Technische Vernunft. Kants Zweckbegriff und das Problem einer Kulturphilosophie“ eingereicht und angenommen. Fr die Verçffentlichung wurden lediglich orthographische Mngel beseitigt und einige wenige Fußnoten angefgt. Die nderung des Titels ist einer Rcksicht auf die Leserschaft geschuldet: Insofern im heutigen Sprachgebrauch mit dem Wort ,Kultur‘ vor allem Kunst und Feuilleton assoziiert werden, erscheint die sprachliche Spezifizierung des Titels notwendig. Zudem sei hier angemerkt, dass die Arbeit die kantische Kulturphilosophie als Teil der theoretischen Philosophie darstellt und die Leserschaft daher auch keinerlei ethische Begrndungen und Kriterien finden wird, die in heutigen technikphilosophisch genannten Arbeiten nicht selten Hauptgegenstand der berlegung sind. Zu Dank verpflichtet bin ich Bernd Dçrflinger und Reinhard Hiltscher, die die Arbeit intensiv betreut und zudem begutachtet haben. Mein akademischer Lehrer Reinhard Hiltscher hat mich nicht nur stets ermuntert, die Arbeit fortzufhren, sondern mir auch in zahlreichen Diskussionen entscheidende Hinweise gegeben und durch seine Kritik mein Problembewusstsein zu schrfen versucht. Bernd Dçrflinger hat mich nicht nur freundschaftlich in den Kreis seiner Doktoranden aufgenommen, sondern mit großem Interesse an der Sache meine Arbeit begleitet, problematische Punkte benannt und sie mit mir wiederholt diskutiert. Den Mitgliedern des Graduiertenkollegs „Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam“ der Otto-Friedrich-Universitt Bamberg danke ich fr die Mçglichkeit, meine ersten berlegungen zu dieser Arbeit im Rahmen einer interdisziplinren Arbeitsgruppe vorzustellen. Besonders Mirko Grnder und Peter Pçkel zeigten trotz unserer verschiedenartigen Arbeitsgebiete großes Interesse und Muße fr Diskussionen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich fr das Stipendium, das mir whrend dieser Zeit in Bamberg gewhrt wurde. Fr die mhsamen Korrekturarbeiten, kritischen Anmerkungen und ihren steten Rckhalt danke ich Peter Baarß, Eduard Graf, Susanne Hçsel und Thomas Martin. Sabine Klingner und Susanne Hçsel danke ich fr ihr

VI

Vorwort

bedingungsloses Vertrauen, ihre finanzielle Untersttzung und nicht zuletzt fr ihre Geduld. Die Aufnahme der vorliegenden Arbeit in die Reihe „KantstudienErgnzungshefte“ geht auf die Anregung von Bernd Dçrflinger zurck. Manfred Baum, Heiner F. Klemme und ihm spreche ich meinen ausdrcklichen Dank aus, meine Arbeit an einem derart ausgezeichneten Ort publizieren zu kçnnen. Dem Verlag, besonders Gertrud Grnkorn, verdanke ich eine zgige und unkomplizierte Zusammenarbeit. Stefan Klingner

Dresden, August 2012

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Kapitel 1 Kultur als Gegenstand der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Vorberlegungen zu Kants Kulturbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Kants Philosophiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Philosophiebegriff nach seinen wesentlichen Bestimmungsstcken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Vertikale Spezifikation: Kritik und Metaphysik . . . . . . 1.2.3 Horizontale Spezifikation: Natur und Freiheit . . . . . . 1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie . . . . . . . . . . 1.3.1 Kultur als Gegenstand teleologischer Reflexion . . . . . . 1.3.2 Kultur als Gegenstand anthropologischer Kenntnis . . . 1.3.3 Kulturlehre und Theorie technischer Vernunft . . . . . .

19 19 26 27 35 38 41 42 46 50

Kapitel 2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff . . . . . . . . . . . . . 62 2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.1.1 Mehrdeutigkeit des Zweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.1.2 Objektive Realitt des Zweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 67 2.1.3 Das Beispiel des Naturzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.1.4 Vorlufige Bestimmung des Zweckbegriffs . . . . . . . . . 79 2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.2.1 Gegebene und gemachte Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.2.2 Begriffe a priori und Zweckbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.2.2.1 Kategorien und Zweckbegriff . . . . . . . . . . . . . 92 2.2.2.2 Ideen und Zweckbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.2.2.3 Prdikabilien und Zweckbegriff . . . . . . . . . . . 99 2.2.3 Bemerkungen zur Prdikabilienlehre . . . . . . . . . . . . . . 100 2.2.4 Der Zweckbegriff als Prdikabile? . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Kapitel 3 Exposition des Zweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression) . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.1.1 Subjektive Substitution: Begehren . . . . . . . . . . . . . . . . 120

VIII

Inhalt

3.1.2 Objektive Substitution: Hervorbringung . . . . . . . . . . . 3.1.3 Vorlufige Bestimmung der Momente a priori . . . . . . 3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Objektive Realitt, Mçglichkeit und Wirklichkeit . . . . 3.2.2 Objektive Realitt und objektive Gltigkeit von Zweckvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Setzung des Zweckobjekts: Zweckvorstellung und Zweckurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Zweckidee und Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Zusammenfassung: Merkmale des Zweckbegriffs . . . . 3.3.3 Objektive Realitt: Technik und Produkt . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Technik als Darstellung des Zweckbegriffs . . . 3.3.3.2 Naturprodukt und Kunstprodukt . . . . . . . . . . 3.3.3.3 Objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs . . . . . 3.3.3.4 Zweckbegriff und Zweckideen . . . . . . . . . . . . Kapitel 4 Zweckbegriff und technische Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen . . . 4.1.1 Hypothetische Imperative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Teleologische Urteile: Zweck und Zweckmßigkeit . . . 4.1.2.1 Zweckvorstellung und objektive Zweckmßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2 Das absolute teleologische Urteil . . . . . . . . . . 4.1.2.3 Das relative teleologische Urteil . . . . . . . . . . . 4.1.3 Technische Stze und die Konstruktion von Zweckvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft . . . 4.2.1 Bestimmung und Reflexion im Zweckurteil . . . . . . . . 4.2.2 Erzeugung des Zweckbegriffs (Progression) . . . . . . . . . 4.2.3 Zur metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs 4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs . . . . . . . . . .

125 136 139 139 146 155 169 170 179 184 185 187 197 208 215 215 216 226 229 235 240 243 259 260 275 282 291

Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Quellen und Zitierweise Die Schriften Kants werden durchgehend nach der Akademie-Ausgabe zitiert: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Kçniglich Preußischen Akademie der Wissenschaften, weitergefhrt von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Akademie der Wissenschaften zu Gçttingen, derzeit von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910 ff.

Bei den Zitaten und Verweisen werden Siglum, Band, Seiten- und Zeilenzahlen angegeben, z. B. GTP VIII 180.18 – 27. Die Aufschlsselung der Siglen ist im Siglenverzeichnis zu finden. Bei Zitationen der ersten (A) oder der zweiten (B) Auflage der Kritik der reinen Vernunft, der ersten (A) Auflage der Kritik der praktischen Vernunft und der zweiten (B) Auflage der Kritik der Urteilskraft wird die Angabe der Originalpaginierung vorangestellt, z. B. KU B 348, V 407.13 – 19. In einigen Fllen, besonders bei Zitationen der Jsche-Logik („Immanuel Kant’s Logik. Ein Handbuch fr Vorlesungen“, Log IX 1 – 150), wird zudem die Angabe der Paragraphen vorangestellt, z. B. Log § 84, IX 132.25 – 27. Zitationen von Anmerkungen Kants werden eigens gekennzeichnet, z. B. KpV A 46 Anm., V 26.36 f. Bei allen Zitationen werden die Hervorhebungen Kants belassen. nderungen der Hervorhebungen werden kenntlich gemacht, z. B. KrV B 4, III 29.24 – 26, H. v. V. Fr die Textrecherche sowie die bernahme lngerer Textstcke wurde gelegentlich auch das „Bonner Kant-Korpus“ herangezogen und mit der hier maßgeblichen Akademie-Ausgabe in Buchform abgeglichen: Kopora.org: Bereitstellung und Pflege von Immanuel Kants Werken in elektronischer Form, unter: http://www.korpora.org/Kant/ (letzter Aufruf 19. 09. 2011).

Bei der Textrecherche war gelegentlich auch Heinrich Ratkes „Handlexikon“ (1929) hilfreich: Ratke, H.: Systematisches Handlexikon zu Kants Kritik der reinen Vernunft (Philosophische Bibliothek 37b), Hamburg: Meiner 1991.

X

Quellen und Zitierweise

Ferner hinzugezogene Literatur wird unter Angabe des Autors, des Erscheinungsjahres und der Seitenzahl(en) bzw. relevanten Abschnitte angefhrt, z. B. Sigl 1954, 10 – 12. Die ausfhrlichen bibliographischen Angaben sind im „Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur“ zu finden.

Siglenverzeichnis Anth BDG

Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Der einzig mçgliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes Br Briefe EEKU Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft FM Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf ’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten GUGR Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume IaG Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht KpV Kritik der praktischen Vernunft KrV Kritik der reinen Vernunft KU Kritik der Urteilskraft Log Logik MAM Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte MAN Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaften MS Die Metaphysik der Sitten OP Opus Postumum Pd Pdagogik PG Physische Geographie Prol Prolegomena zu einer jeden knftigen Metaphysik Refl Reflexion RGV Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft RL Metaphysische Anfangsgrnde der Rechtslehre SF Der Streit der Fakultten TP ber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fr die Praxis UDGTM Untersuchung ber die Deutlichkeit der Grundstze der natrlichen Theologie und Moral E ber eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ltere entbehrlich gemacht werden soll GTP ber den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie VAMS Vorarbeit zur Metaphysik der Sitten

XII VARL ZeF

Siglenverzeichnis

Vorarbeit zur Rechtslehre Zum ewigen Frieden

Einleitung 1. These Dass Kants Philosophie fr die philosophische Reflexion der kulturellen Welt des Menschen unzureichend sei, ist ein philosophiehistorisch gut belegbares und bis heute gngiges Vorurteil. Erst etwa ein Jahrhundert nach Kants Tod haben vor allem der (sdwestdeutsche) Neukantianismus, W. Dilthey und E. Cassirer ausfhrliche berlegungen angestellt, die im expliziten Anschluss an kantisch zu nennende Philosopheme auf eine philosophische Behandlung des Kulturellen zielen.1 Ihre kulturphilosophischen berlegungen umfassen dabei sowohl eine Bestimmung des Gegenstandes der Kultur- bzw. Geisteswissenschaften als auch die Ausarbeitung einer ihnen eigenen, speziellen Methodologie. Die ihnen wesentlichen Distinktionen und Lehrstcke sind bekannt: Whrend etwa bei W. Windelband und H. Rickert die Entfaltung eines Systems absolut geltender Kulturwerte und einer der nomothetischen Methodologie der Naturwissenschaften gegenberstehenden idiographischen Methodologie der Kulturwissenschaften im Zentrum steht2, erarbeitet Dilthey eine Hermeneutik, die eine „Grundlegung der Geisteswissenschaften“ anhand des wechselseitigen Verhltnisses von Erlebnis, Ausdruck und Verstehen leisten soll3, und Cassirer eine „materiale Logik“ der Kulturwissenschaften, der seine Philosophie der symbolischen Formen zugrunde liegt.4 Mit Blick auf die Philosophie Kants erscheint bei diesen Versuchen zumindest zweierlei fragwrdig: einerseits die Richtigkeit der den kulturphilosophischen berlegungen zugrunde liegenden Inanspruchnahme kantischer Philosopheme und andererseits die These, Kants Philosophie sei 1

2 3 4

Fr einen allgemeinen berblick zur Lage der akademischen Philosophie in Deutschland zu dieser Zeit vgl. Schndelbach 19914, bes. Kap. 2, 4 und 6. Zur Wrdigung der kulturphilosophischen Arbeit oben genannter Autoren mit Blick auf eine „Logik der Kulturforschung“ fr die heutige(n) Kulturwissenschaft(en) vgl. neuerdings Wirth 2008, bes. 10 – 20. Vgl. Windelband 1894, Windelband 1910, Rickert 19265, Rickert 19295 und dazu z. B. Oakes 1992, Kap. II und III – zur Kritik an der Rezeption der rickertschen Erkenntnislehre durch Oakes vgl. Riebel 1992, 120 – 123. Vgl. Dilthey 19928 und dazu z. B. Ineichen 1975, bes. 2. Teil. Vgl. Cassirer 19804 und dazu z. B. Orth 20042.

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Einleitung

fr eine angemessene philosophische Behandlung des Kulturellen ungeeignet oder zumindest ergnzungsbedrftig5. Die erste der beiden Fragwrdigkeiten muss hier unbeachtet bleiben.6 Der zweiten wird dagegen 5

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Von den zahlreichen Belegstellen fr diese These kçnnen hier nur einige wenige genannt werden: Fr Windelband und Rickert entspricht Kants Philosophie einer angemessenen philosophischen Behandlung des Kulturellen nur „im Prinzip“ (Rickert 1924, 169, vgl. Windelband 1910, z. B. 289). Sie sei aber bei ihrer „Anwendung auf Teilgebiete unmodern, d. h. nicht vielseitig und differenziert genug“ (Rickert 1924, 185). Fr Dilthey liegt Kants Leistung lediglich „in einer vollstndigen Analysis des mathematischen und naturwissenschaftlichen Wissens“ (Dilthey 19928, 192). Die Aufgabe einer angemessenen philosophischen Behandlung des Kulturellen sei dagegen „noch nicht voll in den Gesichtskreis der Vernunftkritik Kants gefallen“ (ebd., 278). Fr Cassirer sind mit Kants – s. E. ethisch orientiertem (vgl. z. B. Cassirer 19804, 103 f.) – Kulturbegriff „nicht alle Zweifel, die man gegen den Wert der Kultur richten kann, […] beschwichtigt“ (Cassirer 19804, 104). Vielmehr sei die Philosophie der symbolischen Formen an den Platz der von Kant zurecht kritisierten Metaphysik zu setzen, wodurch „das Problem der Objektivitt in seiner ganzen Weite sichtbar“ (ebd., 19 f.) werde, das eben „nicht nur den Kosmos der Natur, sondern auch den der Kultur“ (ebd., 20) umspanne. Mit Blick auf den (sdwestdeutschen) Neukantianismus bzw. Cassirer vgl. die neueren kritischen Stellungnahmen in Flach 2007, bes. 19 – 21 bzw. Gçller 2007, bes. 177 – 182. – Mit Blick auf die von Dilthey unterstellte Untauglichkeit der kantischen Philosophie fr eine „Grundlegung der Geisteswissenschaften“ wurde der genannten Fragwrdigkeit dagegen nur selten eigens und in kant(ian)ischapologetischer Absicht nachgegangen (zur grundstzlichen Kritik Diltheys an Kants Philosophie vgl. z. B. Riedel 19903, 22 – 26, sowie Riedel 1985). Vielmehr werden Diltheys „Grundlegung der Geisteswissenschaften“ und ihre vermeintlich angemessene Aufnahme kantischer Philosopheme nicht selten affirmativ rezipiert (vgl. z. B. Makreel 2001). Stellvertretend fr die wenigen kritischen Stellungnahmen kçnnen im vorliegenden Kontext drei Arbeiten genannt werden: (1) Riedel 1989, der in Kants Geschichtsphilosophie eine „Kritik der Geschichtsschreibung“ ausmacht, die „sich von Anfang bis Ende auf die Problematik der historisch urteilenden Vernunft im Zusammenhang einer praktisch-vernnftigen Begrndung der ,empirischen Geschichte‘ [bezieht]“ (ebd., 147). Mit der Richtigkeit dieser Rekonstruktion wre Diltheys Kritik wesentlich entschrft. (2) Wolandt 1978, der Kants Erfahrungsbegriff, „bei voller Anerkennung und Nutzung der ihm eigentmlichen Momente, verwertet“ (ebd., 57) – mit dem Ziel der Rekonstruktion einer zweifachen Gegenstandskonstitution (einer des „Naturobjekts“ und einer nicht-theoretischer, auch das Kulturelle umfassender Gegenstndlichkeit), womit der Kant-Kritik Diltheys Rechnung getragen werden soll (vgl. ebd., 52 f.). Demnach wre Kants Erfahrungsbegriff auch fr eine philosophische Behandlung des Kulturellen geeignet. (3) Dçrflinger 1994, der zwar nicht Diltheys, sondern H.-G. Gadamers Konzeption einer philosophischen Hermeneutik aus kantischer Perspektive kritisch beleuchtet. Sein Fazit, dass das kantische „transzendentale Selbstbewußtsein […] kein Ich des Mechanismus, sondern le-

1. These

3

nachgegangen. Sie wird allerdings nicht mittels einer expliziten Auseinandersetzung mit den genannten Versuchen und den mit ihnen einhergehenden Problemstellungen und Maßstben thematisiert. Im Vordergrund steht auch nicht, ob Kants Philosophie alle mit dem Entwurf einer Kulturphilosophie zusammenhngenden Probleme zu lçsen vermag. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, ob und inwiefern eine Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion unter den Maßgaben der Philosophie Kants gelingen kann. Ihre Beantwortung wird sich demnach allein an kantische Lehrstcke halten. Die zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage und mit der vorliegenden Untersuchung zu entwickelnde These lautet: Eine Kulturphilosophie nach Maßgabe sowohl des kantischen Kulturbegriffs als auch des kantischen Philosophiebegriffs ist als Theorie technischer Vernunft mçglich und durchfhrbar. Diese ist als diejenige philosophische Doktrin zu bestimmen, die die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erkenntnis von technischem Entwerfen und Handeln sowie seinen Produkten zum Gegenstand hat. Als solche ist sie eine gemischt-apriorische Lehre7, da sie eine bzw. zwei empirische Tatsache(n) voraussetzt: erstens – als Theorie rein technischer Vernunft – das Vorkommen (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft und zweitens – als Theorie technisch-praktischer Vernunft – das Vorkommen derartiger Wesen, die zudem durch ein begrifflich bestimmbares Begehrungsvermçgen ausgezeichnet sind. Im Zentrum der kantischen Theorie technischer Vernunft steht demnach der Zweckbegriff. Zur Erluterung der genannten These kann Kants Lehrstck von einem „intuitiven Verstand“ (KU B 347, V 406.24 f.)8 dienen: Wird die in der kritischen Erkenntnislehre Kants entwickelte Einsicht derart formuliert, dass die Vernunft im Falle (diskursiv) denkender Wesen zwar ge-

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8

bendige Apperzeption“ (ebd., 121) sei, machte im Falle seiner Richtigkeit aber auch Diltheys Kant-Kritik gegenstandslos. – Zudem ist Grnewald 2009 zu nennen, der sowohl Rickerts und Diltheys Rezeptionen des kantischen Naturbegriffs als auch deren Einschtzungen einer begrndungstheoretischen Funktion der Psychologie mit Blick auf eine „Theorie der Geisteswissenschaften“ einer ausfhrlichen Kritik unterzieht (vgl. ebd., 153 f., 172 – 174 und 180 – 186). Zur Unterscheidung zwischen Reinheit und Aprioritt bei Kant vgl. Cramer 1985 und im Anschluss daran neuerdings Hiltscher 2006a. Zum Terminus ,gemischte Aprioritt‘ vgl. Flach 1994, 203, der allerdings der Ansicht ist, dass Kant den „Gedanken der gemischten Aprioritt […] in seiner Apriorittslehre […] nicht zum Argument gemacht“ (ebd., Anm.) habe. Vgl. bes. KU, §§ 76 und 77.

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Einleitung

genstandskonstitutiv ist, ihre Gegenstnde aber selbst nicht hervorzubringen vermag, kann der durch den Zweckbegriff bestimmte Gegenstandsbereich als derjenige gelten, in dem der Vernunft fr den Fall (diskursiv) denkender Wesen das gelingt, was einem als problematisch angenommenen intuitiven Verstand vorbehalten bleibt. Fr diesen gilt: „[A]lle Objecte, die ich erkenne, sind (existiren)“ (KU B 341, V 403.2).9 Dieses Gelingen ist jedoch ein Gelingen lediglich in gewissem Sinne. Denn allein schon die Analogie zwischen der nur negativ bestimmbaren Funktionsweise des intuitiven Verstandes und der Zweckfunktionalitt der Vernunft im Falle (diskursiv) denkender Wesen ist problematisch: So wenig es nach Maßgabe der Erkenntnislehre Kants sinnvoll ist, von einer Gegenstandserkenntnis des intuitiven Verstandes zu sprechen10, so wenig kann die Gegenstandserkenntnis der Vernunft als Hervorbringung bezeichnet werden11. Allerdings bestimmt Kant selbst einen Zweck als „das Product […] einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist“ (KU B 350, V 408.4 – 6, H. v. V.). Nach Kant ist die durch den Zweckbegriff bestimmte Gegenstndlichkeit sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Existenz primr Produkt der Vernunft. Der Zweckbegriff ist daher insofern ein exklusiver Begriff der menschlichen Vernunft, als allein das diskursive Denken zwischen einem zuflligen und einem notwendigen Zusammentreffen von Anschauung und Begriff unterscheidet.12 Damit korrespondiert der Gehalt des Zweckbegriffs mit der Funktionsweise des intuitiven Verstandes: In ihrer dem spezifischen Gehalt des Zweckbegriffs gemßen Ausbung ahmt die menschliche Vernunft die Funktionsweise des intuitiven Verstandes unter der ihr eigenen Bedingung 9 M. Heidegger schreibt in seinem Kantbuch: „Das unendliche Erkennen ist ein Anschauen, das als solches das Seiende selbst entstehen lßt. Das absolute Erkennen offenbart sich das Seiende im Entstehenlassen und hat es jederzeit ,nur‘ als Entstehendes im Entstehenlassen, d. h. als Ent-stand offenbar. Sofern das Seiende fr die absolute Anschauung offenbar ist, ,ist‘ es gerade in seinem Zum-SeinKommen. Es ist das Seiende als Seiendes an sich, d. h. nicht als Gegenstand. Daher wird das Wesen der unendlichen Erkenntnis streng genommen auch nicht so getroffen, daß man sagt: dieses Anschauen stellt im Anschauen den ,Gegenstand‘ erst her“ (Heidegger 19916, 31). Diese Redeweise Heideggers aufgreifend, ließe sich formulieren: Mit Blick auf den intuitiven Verstand ist die Rede von Gegenstnden unangemessen, da in seinem Fall nicht Gegenstnde, sondern „Entstnde“ das Korrelat seines anschauenden, sie selbst hervorbringenden Denkens sind. 10 Vgl. dazu auch Hiltscher 2006b, 296 f. 11 Vgl. KrV B 124 f., III 104.6 – 17. 12 Vgl. v. a. KU B 341 f., V 403.3 – 6. Zur Exklusivitt des Zweckbegriffs fr den diskursiven Verstand vgl. auch Dsing 1968, 91 – 98, bes. 96 – 98.

1. These

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der Prinzipiendifferenz von Denken und Anschauen nach.13 Denn im spezifischen Gehalt des Zweckbegriffs wird das Zusammentreffen von Anschauung und Begriff gerade nicht als zufllig, sondern eben als notwendig gedacht. Diese durch den Zweckbegriff bestimmte Funktionsweise der Vernunft nennt Kant technische Vernunft. Ihr Produkt, d. h. der gesamte durch den Zweckbegriff konstituierte Gegenstandsbereich, kann als die kulturelle Welt des Menschen bezeichnet werden. Somit ist derjenige Teil der Philosophie, der die spezifische Bestimmtheit der menschlichen Vernunft qua technischer Vernunft sowie die Konstitution dieses spezifischen Gegenstandsbereichs qua kultureller Welt zum Thema hat, als Kulturphilosophie zu bestimmen. Sie ist Theorie technischer Vernunft. Die skizzierte These impliziert Folgendes: (1) Der Zweckbegriff ist der Grundbegriff der technischen Vernunft. Er ist aber nicht nur ein regulativer, sondern ein konstitutiver Begriff fr einen spezifischen Gegenstandsbereich. Im Kontext technischen Entwerfens und Handelns sowie seiner Produkte ist der Zweckbegriff daher nicht als Idee, sondern als abgeleiteter Verstandesbegriff zu bestimmen. Er ist ein Begriff a priori mit empirischem Gegenstandsbezug, d. h. ein Prdikabile14. Als Prdikabile kann er auch unter Zuhilfenahme der Kategorientafel a priori weiterbestimmt werden. (2) Im Falle des Zweckbegriffs ist dessen objektive Gltigkeit von dessen objektiver Realitt zu unterscheiden. Whrend die objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs unter Voraussetzung des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft a priori ausweisbar ist, muss fr den Nachweis seiner objektiven Realitt der empirische Begriff eines durch Begriffe bestimmbaren Begehrungsvermçgens in Anspruch genommen werden. (3) Die Unterscheidung zwischen objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt des Zweckbegriffs ermçglicht es, dass die Loslçsung des Zweckbegriffs vom Begriff des Begehrungsvermçgens gut begrndet ist.15 Denn 13 Vgl. mit Blick auf die Funktion des Prinzips der Zweckmßigkeit der Natur Nuzzo 2009, bes. 166 f. 14 Vgl. Plaass 1965, z. B. 95. 15 Kulturphilosophie qua Theorie technischer Vernunft ist damit eindeutig als Teil der theoretischen Philosophie zu bestimmen. Eine hnliche Einschtzung der Kulturphilosophie Kants findet sich auch in Flach 2007, bes. 17 f. W. Flachs Analyse bestimmt Kants Kulturphilosophie als „Metaphysik der historischen Wissenschaften“ (ebd., z. B. 10). Da sie den kantischen Kulturbegriff allerdings allein in den Kontext der Teleologie stellt, wird die kantische Kulturphilosophie konsequenterweise auch bloß als regulationstheoretische Lehre gedeutet (vgl. ebd.,

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Einleitung

die spezifische Bestimmtheit des Zweckbegriffs ist weder mit der spezifischen Bestimmtheit des Begriffs eines Begehrungsvermçgens identisch, noch ist sie ausschließlich eine Teilmenge von dieser. Erst die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs erfordert eine Anthropologisierung im Sinne seiner Anwendung auf den empirischen Begriff des Begehrungsvermçgens. (4) Einhergehend mit der Unterscheidung zwischen objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt des Zweckbegriffs ist mit Blick auf einzelne Zweckvorstellungen zwischen Zweckurteilen und technisch-teleologischen Urteilen zu unterscheiden. Whrend Zweckurteile wahrheitsdifferent in Hinsicht auf die objektive Gltigkeit einzelner Zweckvorstellungen sind, muss die Wahrheitsdifferenz technisch-teleologischer Urteile in Hinsicht auf ihre objektive Realitt bestimmt werden. Whrend in Zweckurteilen die objektive Gltigkeit einer einzelnen Zweckvorstellung, d. h. ihre grundstzliche Realisierbarkeit behauptet wird, soll diese durch technische Stze erwiesen werden. Das relativ-teleologische Urteil behauptet dabei die Angemessenheit eines Mittels zur Realisierung einer einzelnen Zweckvorstellung. Das absolut-teleologische Urteil behauptet schließlich die Angemessenheit eines in der empirischen Anschauung gegebenen Produkts hinsichtlich einer konkreten Zweckvorstellung. Sowohl Zweckurteile als auch technische Stze kçnnen nicht-reine synthetische Urteile a priori16 sein. Relativ-teleologische Urteile und absolut-teleologische Urteile sind dagegen als synthetische Urteile a posteriori zu bestimmen. Auf Grundlage dieser mit der kantischen Theorie technischer Vernunft einhergehenden teleologischen Urteilslehre kann von der besonderen „theoretischen Wissensform“17 technischer Erkenntnis gesprochen werden. (5) Der systematische Zusammenhang zwischen gemischt-apriorischer Theorie technischer Vernunft und empirischer Kulturlehre betrifft die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs. Sie ist als kulturale „Kontextualisierung“18 des Zweckbegriffs darstellbar. Durch die Ausgliederung der empirischen Kulturlehre aus der Kulturphilosophie qua Theorie technischer Vernunft ist eine strikt philosophische, die Theorie z. B. 20 f.). Im Unterschied dazu wird in der vorliegenden Arbeit vor allem auf den konstitutionstheoretischen Rang der kantischen Kulturphilosophie qua Theorie technischer Vernunft abgezielt. – Zur Kritik an der regulationstheoretischen Deutung Flachs vgl. Grnewald 2009, 164 – 172. 16 Zu diesem Terminus mit Blick auf Kants Erkenntnislehre vgl. Cramer 1985. 17 Hiltscher 2006a. 18 Mit Blick auf Kants „Kontextualismus der theoretischen Wissensformen“ vgl. Hiltscher 2006a.

2. Vorgehen

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technischer Vernunft abschließende Deutung von Kants anthropologischen Lehrstcken der Kultur als Disziplin, als Geschicklichkeit und als Klugheit mçglich. Kants Philosophie kann damit vom Vorwurf ihrer kulturphilosophischen Unzulnglichkeit bzw. Ergnzungsbedrftigkeit entlastet werden. Vielmehr ist die der Philosophie Kants inhrente Theorie technischer Vernunft als kantische Kulturphilosophie zu verstehen.19 Sie kann gemß den angefhrten Implikationen in Exposition und Konstruktion des Zweckbegriffs, technisch-teleologische Urteilslehre und kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs gegliedert werden. Sie gibt als derart qualifizierte philosophische Doktrin eine kantische Lçsung fr ein postkantisches Problem, indem sie die Frage nach der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion beantwortet.

2. Vorgehen Da Kant weder eine ,Grundlegung der Metaphysik der Kultur‘ resp. ,Metaphysische Anfangsgrnde der Kulturwissenschaft‘ verfasst noch eine explizite Spezifizierung von ,Wissen berhaupt‘ hinsichtlich eines ,Wissens um Kultur‘ vorgelegt hat, kann die genannte These nicht mittels der Linearinterpretation eines zusammenhngenden Textes aus Kants Werk belegt werden. Allerdings finden sich ber das kritische Werk Kants verstreut alle zentralen Bestandteile einer Kulturphilosophie qua Theorie technischer Vernunft. Sie ist in ihren wesentlichen Elementen zu rekonstruieren. Hierfr ist es unerlsslich: (i) Kants Kulturbegriff zu eruieren und seine Stelle im System der Philosophie zu verorten; (ii) Kants Zweckbegriff zu exponieren und die durch ihn bezeichnete spezifische Funktionalitt trennscharf herauszuarbeiten; (iii) Kants berlegungen zum besonderen Gegenstandstyp „Kunstproduct“ (KU B 291, V 373.22 u. ç.) und zum Thema ,zweckrationales Handeln‘ in den durch die beiden zuvor ge19 Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich in der genannten These daher grundstzlich von den wenigen bereits vorliegenden Versuchen einer Rekonstruktion der kantischen Kulturphilosophie: etwa im Sinne einer „kritischen Theorie von Kultur und Geschichte“ (vgl. Krmling 1985), einer semiotischen Kulturphilosophie (vgl. Schçnrich 1996), einer Deutung der Geschichts- und Kulturphilosophie als „Empiriologie“ (vgl. Flach 2007) oder einer sprachlich-anthropologischen Fundierung der Geisteswissenschaften (vgl. Grnewald 2009). Sie erhebt allerdings nicht den Anspruch, Kants Kulturphilosophie in ihrem vollen Umfang darzustellen.

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Einleitung

nannten Schritte erçffneten systematischen Zusammenhang zu stellen; (iv) schließlich die Frage zu beantworten, wie der Begriff der Kultur bzw. des kulturellen Entwerfens und Handelns sowie dessen Gegenstandstyp ,Kulturprodukt‘ nher spezifiziert werden kçnnen, so dass etwa Technik bzw. technisches Handeln, Politik bzw. politisches Handeln, konomie bzw. çkonomisches Handeln usw. als dessen Derivate zu verstehen sind. Diesen Aufgaben entsprechend mssen als Textgrundlage neben den drei Kritiken auch Kants kleinere teleologische, moralphilosophische und anthropologische Schriften herangezogen werden. Der KU und der EEKU 20 kommt insofern besondere Bedeutung zu, als Kant dort sowohl den Zweckbegriff als auch den Kulturbegriff ausfhrlich behandelt.21 Dennoch ist die vorliegende Arbeit keine umfassende Interpretation oder gar ein Kommentar zur KU. Zwar stehen hier einige der von Kant in der KU entwickelten Probleme im Vordergrund. Aufgrund ihrer systematischen Fragestellung verfhrt sie jedoch in der Auswahl der relevanten Lehrstcke Kants selektiv. Daher wird auch der Frage nicht nachgegangen, inwiefern sich durch sie eine gewinnbringende Perspektive auf die von Kant in der KU entwickelte Problematik erçffnet.22 Es wird vielmehr gezeigt, dass die kritische Philosophie Kants die fr die Beantwortung der Frage nach der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs relevanten Lehrstcke bereit hlt und dass diese auch hinreichend sind. Die Besttigung der oben genannten These erfolgt in vier Kapiteln. Whrend die ersten beiden Kapitel vorrangig werkimmanente Probleme 20 Zwar werden fr die Interpretation nahezu ausschließlich Schriften der sog. kritischen Phase des Schaffens Kants beachtet und vorkritische Schriften sowie Schriften aus dem Nachlass nur sporadisch zum Zwecke der Erluterung herangezogen. Allerdings ist die EEKU eine ausdrckliche Ausnahme, da sie vor allem hinsichtlich der Bestimmung von Begriffen wie ,Technik‘, ,Kunstprodukt‘ oder ,praktische Zweckmßigkeit‘ ausfhrlicher ist als die von Kant verçffentlichte „Einleitung“ in die KU. 21 Mit Blick auf den Kulturbegriff sind zudem auch Kants Bemerkungen in der Anth zu bercksichtigen. Die KrV, die Prol, die Log und die FM sind sowohl mit Blick auf die allgemeine geltungstheoretische Problematik der Philosophie Kants als auch fr die Lçsung besonderer Probleme (etwa der Frage nach Kants Klassifikation theoretischer Begriffe) unerlsslich. 22 Z. B. hlt R. Sigl eine „Darstellung der Kulturphilosophie Kants“ fr unerlsslich, um Kants Lçsung der „Natur-Freiheitsproblematik“ angemessen wrdigen zu kçnnen (vgl. Sigl 1954, bes. 7 – 13 und 110 – 112). Die vorliegende Arbeit kann dieser Interpretationslinie nicht folgen. Sie ist vielmehr skeptisch gegenber dem Urteil Sigls, dass „die Kultur die Brcke ber die Kluft zwischen Natur und Freiheit, zwischen Gesetzmßigkeit und Endzweck dar[stellt]“ (Sigl 1954, 10).

2. Vorgehen

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erçrtern, die einerseits das Verhltnis von Kants Kulturbegriff und Philosophiebegriff, andererseits Kants verschiedene Bestimmungen des Zweckbegriffs betreffen, sind die beiden letzten Kapitel der systematischen Aufbereitung und Lçsung der sich um den kantischen Zweckbegriff gruppierenden Probleme gewidmet. Auf das Referieren bekannter Lehrstcke Kants, besonders im ersten Kapitel, konnte aufgrund des Anspruchs auf Verstndlichkeit nicht verzichtet werden. Angesichts der Tatsache, dass die Philosophie Kants mit Blick auf das Problem der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs entweder gar nicht oder zumeist missverstndlich rezipiert wurde, erscheint das Aufrufen des kantischen Wortlautes an grundstzlichen bzw. entscheidenden Stellen der Darstellung als hilfreich – fr die mit der Philosophie Kants Vertrauten, aber besonders fr die mit ihr weniger Vertrauten. Im Unterschied zu diesen eher exegetischen Abschnitten, die jeweils vor allem am Anfang der einzelnen Kapitel zu finden sind, bedienen sich die zusammenfassenden Abschnitte nicht selten thesenartiger Formulierungen, da sie aus dem zuvor Erarbeiteten die entsprechenden systematischen Konsequenzen ziehen. Dieses Nebeneinander zweier verschiedener Stile in der Darstellung scheint unter Rcksichtnahme auf die verschiedenen Interessen der Leserschaft hilfreich zu sein. Die Arbeit nimmt folgenden Gang: Im ersten Kapitel werden Kants Kulturbegriff und Kants System der Philosophie nachgezeichnet und es wird nach dem systematischen Ort einer Kulturphilosophie gefragt. In Anbetracht des inflationren Gebrauchs des Kulturbegriffs in den heutigen Wissenschaften ist es notwendig, dessen kantische Bestimmung anzugeben und ihre wesentlichen Grundzge wenigstens zu nennen (1.1). Dieser Aufriss erçffnet zugleich das thematische Feld von Begriffen und Problemen, das im weiteren Verlauf der Untersuchung zu bearbeiten ist. Um einschtzen zu kçnnen, inwiefern Kultur auch ein Gegenstand der Philosophie sein kann, ist anschließend eine Eruierung des kantischen Philosophiebegriffs notwendig (1.2). Da Kant selbst das durch den Kulturbegriff Bezeichnete einerseits als Gegenstand der teleologischen Reflexion, andererseits als Gegenstand der anthropologischen Kenntnis behandelt, sind schließlich diese Einschtzungen nach Maßgabe seines Philosophiebegriffs kritisch zu prfen (1.3). Durch diese Auseinandersetzung gewinnt die These einer Bestimmung der Kultur-

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philosophie als Theorie technischer Vernunft ihr klares systematisches Profil. Da im Zentrum von Kants Kennzeichnung des Kulturbegriffs der Zweckbegriff steht, sind im zweiten Kapitel die mit dessen Bestimmung verbundenen Schwierigkeiten anzugeben. Die Sichtung der einschlgigen Textpassagen zeigt einerseits zwar sowohl eine Zweideutigkeit des kantischen Zweckbegriffs als auch eine Unklarheit hinsichtlich des Problems seines Gegenstandsbezugs bzw. seiner Gegenstandsbezogenheit (2.1). Andererseits kann sie aber die Vermutung, dass der Zweckbegriff nach Kant als ein Begriff a priori zu bestimmen ist, ohne grçßere Probleme erhrten. Fr die genauere, ber die Behauptung seiner Aprioritt hinausgehende Einschtzung des begrifflichen Status des Zweckbegriffs sind allerdings einige allgemeinere berlegungen zum Problem seiner Qualifikation als Begriff a priori erforderlich (2.2). Der Versuch seiner Einordnung in die Gesamtheit aller mçglichen Begriffe legt schließlich die Interpretation nahe, ihn entweder als Idee oder als abgeleiteten Verstandesbegriff (Prdikabile) zu bestimmen. Im dritten Kapitel ist der kantische Zweckbegriff zu exponieren. Da die Exposition des Zweckbegriffs weder von Kant noch von der Kantforschung besondere Beachtung erhalten hat23, sind dabei mehrere Aspekte zu beachten: Erstens muss die Substitution des Zweckbegriffs durch einen empirischen Begriff mit mçglichst weitem Umfang gelingen (3.1). Dafr bietet sich der Begriff der Hervorbringung an. Zweitens muss dieser Begriff in ein Verhltnis zum Begriff der Erkenntnis gestellt werden (3.2). Durch die Diskussion der Frage nach dem eigentmlichen Sinn der kantischen Termini ,objektive Gltigkeit‘ bzw. ,objektive Realitt‘ in Hinsicht auf den Begriff der Hervorbringung kann eine differenzierte Bestimmung des Verhltnisses von Zweckvorstellung und Zweckobjekt angegeben werden. Drittens muss die Exposition des Zweckbegriffs durch die Angabe seines Objekts, seiner genuinen Bestimmungsstcke und seiner mçglichen Darstellung(en) vervollstndigt werden (3.3). Damit kann die Interpretation des Zweckbegriffs als Prdikabile besttigt und der Zweckbegriff als Bezeichnung einer spezifischen Funktionalitt der Vernunft kenntlich gemacht werden. Schließlich ist im vierten Kapitel sowohl die Struktur technisch-teleologischer Urteile zu untersuchen als auch die philosophische Frage nach der Konstitution der kulturellen Welt des Menschen zu beantworten. Ausgehend von Kants Lehre der hypothetischen Imperative und seinen 23 Vgl. z. B. auch den Hinweis in Dsing 1968, 98 Anm.

2. Vorgehen

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berlegungen zum naturteleologischen Urteil kann der Urteilstyp technisch-teleologischer Urteile exponiert und intern differenziert werden (4.1). Indem sich fr die Bestimmung des Status technischer Stze die Beantwortung der Frage nach der Konstruktion von Zweckvorstellungen als unerlsslich herausstellt, kann eine abschließende Bestimmung des Verhltnisses von Zwecksetzung und Zweckverwirklichung, mithin von objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt von Zweckvorstellungen gegeben werden. Nach den Vorarbeiten der Analyse des Zweckbegriffs und seiner Anwendung im Urteil kann der Zweckbegriff auch selbst deduziert resp. konstruiert werden (4.2). Die dabei vorgeschlagene Qualifikation des kausal fungierenden Verstandes als technische Vernunft und der Nachweis ihrer Konstitutivitt fr einen spezifischen Gegenstandsbereich erçffnen einen Ausblick auf die apriorische Weiterbestimmung des Zweckbegriffs. Abschließend kann der Zweckbegriff seine kulturale Kontextualisierung erhalten (4.3). Durch seine Anthropologisierung wird einerseits eine vertikale Kontextualisierung hinsichtlich der Qualifikation des Menschen als technisch-praktisches Subjekt und der Qualifikation der „Kunst“ als Inbegriff aller kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs mçglich, andererseits eine horizontale (kulturale) Kontextualisierung, die eine Ausdifferenzierung der verschiedenen kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs und zugleich deren Zuordnung zu verschiedenen kulturalen Kontexten zulsst. Kants Theorie technischer Vernunft ist damit als Kulturphilosophie rekonstruiert und die der Arbeit zugrunde liegende These hinreichend belegt. Es darf an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass in der vorliegenden Arbeit das Verhltnis von technischer Vernunft und reiner praktischer Vernunft, von einigen sprlichen Bemerkungen abgesehen, nicht ausfhrlich behandelt wird. Das mag verwundern, da Kant den Kulturbegriff stellenweise mit zentralen Themen der praktischen Philosophie in Zusammenhang setzt. Es ist auch durchaus zuzugeben, dass die technische Vernunft einen Beitrag zur Moralisierung des Menschen resp. der Menschheit zu leisten vermag – allerdings laut Kant nur insofern, als Kultur „den Menschen nicht sittlich besser, doch gesittet machen“ (KU B 395, V 433.33) kann. Daher erscheint es nach Maßgabe des kantischen Kulturbegriffs als unangemessen, Kultur primr als „Verbindung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft“24, als „Vorbereitung auf die Sitt24 Sigl 1954, 112.

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lichkeit“25 oder die kantische Kulturphilosophie als „Ausgestaltung des berganges vom theoretischen zum praktischen Vernunftgebrauch“26 zu interpretieren. Mit Blick auf die Erfahrungen, die die Menschheit im vergangenen Jahrhundert mit den Auswchsen technisch-praktischer Vernunft gemacht hat, mag es als wenig wnschenswert erscheinen, wenn nicht gar als gefhrlich, das Thema der technischen Vernunft ohne eine strenge Rckbindung an die Idee des hçchsten Guts resp. eines Endzwecks zu behandeln. Diese Rckbindung findet sich auch in Kants Werk.27 Sie ist aber ein moralteleologisches Lehrstck, das zwar unverzichtbar fr die Beurteilung des Zusammenhangs von Kultur und Moral ist.28 Es ist selbst aber nicht mehr notwendiger Bestandteil einer Theorie technischer Vernunft, da es nichts zur Lçsung des Problems der Konstitution der kulturellen Welt des Menschen beitrgt. Daher wird es hier auch nicht ausfhrlich behandelt.

3. Relevanz Die Thematik der vorliegenden Arbeit ist besonders fr drei Felder der neueren philosophischen Forschung relevant: fr die Kantforschung (1), fr die jngeren Entwrfe zu einer transzendentalphilosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs (2) und fr die analytische Philosophie des Geistes (3). Angesichts des Umfangs und der Komplexitt der drei genannten Forschungsfelder kçnnen diese hier nur skizzenhaft aufgerufen und die relevanzsichernden Zusammenhnge lediglich angedeutet werden. Auf die dabei exemplarisch herausgestellten philosophischen Positionen und Diskussionen wird im Verlauf der Arbeit nicht nochmals eigens eingegangen, um Weitlufigkeit zu vermeiden. (1) Innerhalb der jngeren Kantforschung erhielten weder der kantische Zweckbegriff noch die Kulturphilosophie Kants besondere Aufmerksamkeit.29 Die vorliegende Arbeit gibt dagegen sowohl eine aus25 26 27 28

Dsing 1968, 206. Krmling 1985, 135. Vgl. v. a. KU, §§ 84 und 86. Zu diesem Zusammenhang vgl. mit jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen z. B. Funke 1975, Konhardt 1979, 256 ff., Kleingeld 1995, Kap. VIII und XI, Krmling 1986 und ferner Stekeler-Weithofer 1993, bes. 189 – 193. 29 Als Ausnahmen lteren Datums zum Zweckbegriff Kants sind Pfannkuche 1901, Ernst 1909 und Gutterer 1968, zum Kulturbegriff Kants Rickert 1924 und Sigl 1954 zu nennen.

3. Relevanz

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fhrliche Klrung des kantischen Zweckbegriffs als auch eine ausfhrliche Beantwortung der mit der Theorie technischer Vernunft einhergehenden Frage nach Status und Eigenart technischer Erkenntnis. Damit erbringt sie gemß der ihr zugrunde liegenden These zugleich den Aufweis der Mçglichkeit einer kantischen Kulturphilosophie, die nicht mittels an die Philosophie Kants bloß herangetragener phnomenologischer oder lebensphilosophischer Problemstellungen und Lçsungswege rekonstruiert wird. Sie ist daher als Beitrag zur Kantforschung zu verstehen, der eines ihrer Desiderate zu beseitigen versucht. Anders als im Falle des kantischen Zweckbegriffs und der Kulturphilosophie Kants ist die Zahl der Beitrge zur Rekonstruktion, Diskussion bzw. Wrdigung von Kants „Philosophie des Subjekts“30 inzwischen unberschaubar geworden. Als ein Problem von besonderer Wichtigkeit und Schwierigkeit erweist sich dabei die konzise Bestimmung von ,Einbildungskraft‘, ,Urteilskraft‘ und ihres Verhltnisses zueinander. So erkennt beispielsweise R. Hanna im Rahmen seiner Interpretation der KrV zwei zu unterscheidende Arten von Einbildungskraft31: die Einbildungskraft als ein besonderes Vermçgen und die Einbildungskraft als „the mind’s generative/ productive engine, the source of all synthesis“32. In der zweiten Bedeutung gewinnt die Einbildungskraft als „all-purpose imagination“33 ein derartiges – an die berhmte Kantinterpretation Heideggers34 erinnerndes – systematisches Gewicht, dass alle „auf der Spontaneitt der Vorstellungskraft“ (KrV B 130, III 107.14 f.) beruhenden Vorkommnisse als Produkte der Einbildungskraft erscheinen mssen. Dieser Identifikation der „all-purpose imagination“ mit der „Spontaneitt der Vorstellungskraft“ liegt offenkundig die Verwechslung von Einbildungskraft als einem Vermçgen der „Vorstellungskraft“ mit der „Vorstellungskraft“ als Inbegriff aller (spontanen) Vermçgen des Subjekts zugrunde.35 Dagegen gewinnt etwa in der 30 31 32 33 34 35

Klemme 1996. Vgl. Hanna 2006, bes. 36 – 41. Hanna 2006, 40. Ebd. Vgl. Heidegger 19916, bes. 127 – 137. Indem Hanna Kants Bestimmung von „Gemth“ als „fr sich allein ganz Leben (das Lebensprincip selbst)“ (KU B 129, V 278.3 f.) zum Beleg seiner Deutung der Einbildungskraft als „Spontaneitt der Vorstellungskraft“ heranzieht (vgl. Hanna 2006, 39 Fn.), legt er sein Missverstndnis selbst offen. Denn die „Vorstellungskraft“ ist nach Kant nicht ein besonderes „Vermçgen des Gemths“ wie das „Erkenntnißvermçgen“, das „Gefhl der Lust und Unlust“ und das „Begehrungsvermçgen“ (KU B LVIII, V 198.1 f.). Der Begriff ,Vorstellungskraft‘ nuanciert lediglich den spontanen Aspekt des gesamten „Gemths“ bzw. seiner be-

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Kantinterpretation A. Hutters36 die Urteilskraft besonderes systematisches Gewicht: Als dem „eigentmlichen ,Zwischenvermçgen‘“37 kommt ihr die Aufgabe zu, „die lebendige Anlage des Menschen, die der Freiheit als Naturbasis zu Grunde liegt, zum Bewußtsein ihrer selbst“38 zu bringen. Sie wird damit von Hutter als „das Reflexionsvermçgen“39 qualifiziert. Die Interpretationen Hannas und Hutters eint, dass sie keinen Zweifel an der Notwendigkeit einer konzisen Bestimmung von ,Einbildungskraft‘ und ,Urteilskraft‘ lassen. Beide gehen allerdings zu weit, indem sie sich nicht darauf beschrnken, der Einbildungskraft resp. Urteilskraft einen bestimmten systematischen Sinn zuzuweisen, sondern den Begriff ,Einbildungskraft‘ resp. ,Urteilskraft‘ berdehnen. Wenn die Einbildungskraft als das allen (spontanen) Subjektsvollzgen zugrundeliegende Vermçgen und die Urteilskraft als das die Reflexivitt der Vernunft vollziehende Vermçgen bestimmt werden, dann werden die Begriffe ,Einbildungskraft‘ und ,Urteilskraft‘ nicht nur beinahe inhaltslos. Sie werden zudem ihres systematischen und dem jeweiligen Kontext anzupassenden funktionalen Sinns beraubt. Im Kontext der vorliegenden Arbeit kann der funktionale Sinn des Vermçgens der Einbildungskraft sowie des Vermçgens der Urteilskraft dagegen eindeutig angegeben werden. Diese Angabe kann zudem unter weitgehendem Verzicht auf die vermçgenspsychologischen Konnotationen erfolgen, die sich in Kants Werk mit den Begriffen ,Einbildungskraft‘ und ,Urteilskraft‘ verbinden. Whrend die Einbildungskraft die Gegenstandsdarstellung betrifft, ist es die Aufgabe der Urteilskraft, die faktische Gltigkeit eines Urteils zu gewhrleisten. Die Nuancierungen ihres funktionalen Sinns sind dann im Falle der Einbildungskraft mit Blick auf die empirische oder apriorische Konstruktion von Zweckvorstellungen und im Falle der Urteilskraft mit Blick auf die Differenzierungen innerhalb der teleologischen Urteilslehre vorzunehmen. Zur Lçsung grundlegender Probleme wie der Frage nach der Mçglichkeit der Synthesis von Mannigfaltigem oder der Analyse der Reflexivitt des Denkens mssen die

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sonderen „Vermçgen“. Kants vermçgenstheoretische Sprache aufnehmend, ließe sich formulieren: Die „Vorstellungskraft“ ist der Inbegriff aller „Gemtskrfte“ – von denen die Einbildungskraft eine unter vielen ist. Vgl. Hutter 2003. Hutter 2003, 168. Hutter 2003, 187. Ebd. – Diese Qualifikation betrifft prima facie die Urteilskraft als reflektierende (vgl. Hutter 2003, 173 – 177). Diese ist nach Hutter nichts anderes als die bestimmende Urteilskraft „in einer reflektierten Form“ (Hutter 2003, 188).

3. Relevanz

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kantischen Begriffe ,Einbildungskraft‘ und ,Urteilskraft‘ somit nicht mehr leisten, als dem gesetzten Ziel einer kohrenten Interpretation der fr die Rekonstruktion einer Theorie technischer Vernunft relevanten kantischen Lehrstcke dienlich ist. Damit wird beiden Vermçgen vor allem mit Blick auf das transzendentalphilosophische Problem konkreter Subjektivitt40 Relevanz zugesprochen. Denn im Unterschied zu Verstand, Sinnlichkeit und Vernunft sind die Einbildungskraft und die Urteilskraft in Kants Transzendentalphilosophie nicht fr den Gehalt, sondern bloß fr die Hervorbringung von Erkenntnis zustndig.41 (2) Mit den jngeren Entwrfen zur Qualifikation des Kulturbegriffs durch die „post-neukantianische“42 Transzendentalphilosophie steht die vorliegende Arbeit insofern in engem Zusammenhang, als H. Wagner und (in dessen Anschluss) W. Flach mit ihren berlegungen zu einer „Transzendentalphilosophie des konomisch-Sozialen“43 bzw. einer „Lehre vom çkonomisch-sozialen Subjekt und dessen Welt, der çkonomisch-sozialen Kultur“44, das Thema behandeln, das auch die kantische Theorie der technischen Vernunft behandelt. Sowohl Wagner als auch Flach erkennen im konomisch-Sozialen eine spezifische Bestimmtheit neben den klassischen Geltungssphren von Wahrem, Gutem und Schçnem: die Bestimmtheit im Sinne des utile, des Ntzlichen.45 Whrend Wagner das konomisch-Soziale in „die Sphre unseres Realdaseins in der Welt“ und „die Sphre unserer Arbeit“ gliedert, ist nach Flach dessen Grundbegriff allein ,Arbeit‘ als „Zubereitung der Natur zu etwas Ntzlichem“.46 Bestimmend ist das konomisch-Soziale Wagner sowie Flach zufolge fr Zivilisation, Technik, Gesellschaft, Wirtschaft sowie fr Recht und Staat, indem ihm eine spezifische Ideenbezogenheit zukommt. Bezogen ist es auf die „Idee der unbedingten Gestaltung der Arbeit“47, die alle Bereiche des herstellenden, kalkulierenden und konsumierenden Lebens bestimmt48 – 40 Vgl. zur Diskussion dieses Problems im Rahmen der Transzendentalphilosophie in der ersten Hlfte des vergangenen Jahrhunderts Brelage 1962 und Oberer 1969. Vgl. zu einem Lçsungsvorschlag im Kontext der Debatten der jngeren Erkenntnistheorie Hiltscher 2006a, bes. 273 – 285. 41 Vgl. mit Blick auf die Funktion der Einbildungskraft fr das „Zustandekommen“ von Erkenntnis auch Henrich 1955, 52. 42 Zeidler 1995. 43 Wagner 19803, § 28. 44 Flach 1997, 137 – 156. 45 Vgl. z. B. Wagner 19803, 299 f. und Flach 1997, 138 – 140. 46 Vgl. Wagner 19803, 300 und Flach 1997, 138. 47 Wagner 19803, 316. 48 Vgl. Flach 1997, 141.

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von der Gestaltung der Natur ber die Selbstgestaltung des Einzelnen bis hin zur Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens. Mit dieser Zuweisung ihres Gegenstandsbereichs sowie mit der Anerkennung einer spezifischen Bestimmtheit des Zweckbegriffs49 scheint die Transzendentalphilosophie des konomisch-Sozialen auf den ersten Blick mit der kantischen Konzeption technischer Vernunft auch vçllig zu kongruieren. Die vorliegende Rekonstruktion der kantischen Theorie technischer Vernunft folgt auch ausdrcklich der Interpretationslinie dieser transzendentalphilosophischen Entwrfe zur Qualifikation des Kulturbegriffs. Sie folgt ihnen allerdings nur im Punkt der Anerkennung einer spezifischen Bestimmtheit des Zweckbegriffs neben der spezifischen Bestimmtheit des Themas der Ethik und der spezifischen Bestimmtheit des Themas der sthetik. Sie folgt ihnen nicht im Punkt der Einschtzung des spezifischen Gegenstandsbereichs, der mit der Bestimmtheit der Vernunft als technischer Vernunft einhergeht. Denn mit Blick auf die kantische Theorie technischer Vernunft sind die Entwrfe Wagners und Flachs einerseits zu weit, andererseits zu eng gefasst. Sie sind insofern zu weit gefasst, als Kant bekanntlich die Geltung von Recht und Politik an die praktische Vernunft knpft. Die technische Vernunft ist zwar fr Recht und Politik keineswegs irrelevant. Kant zufolge betrifft sie mit Blick auf diese allerdings nur das Problem der Realisierung praktischer Vernunft. Die genannten Entwrfe Wagners und Flachs sind zudem insofern zu eng gefasst, als sie die spezifische Bestimmtheit der technischen Vernunft bloß auf das konomisch-Soziale einschrnken. Die technische Vernunft ist zwar ohne Zweifel fr Zivilisation, Technik, Gesellschaft, Wirtschaft sowie fr die Realisierung praktischer Vernunft, mithin fr Recht und Staat bestimmend. Gemß der kantischen Konzeption ist aber jede Form von Realisierung technischer Vernunft als Kultur zu bestimmen. Daher fallen beispielsweise auch der Wissenschaftsbetrieb, die Religion qua moralische Kultur oder die Kunst als Institution in den durch technische Vernunft konstituierten Gegenstandsbereich. Sie sind innerhalb dieses Gegenstandsbereichs dann auch in ihren Besonderheiten zu kennzeichnen. (3) Im Gegensatz zur Kantforschung wird dem Zweckbegriff in den jngeren handlungstheoretischen Diskussionen innerhalb der analytischen 49 Weder Wagner noch Flach machen im Zuge ihrer berlegungen zu einer Transzendentalphilosophie des konomisch-Sozialen expliziten Gebrauch von dem Terminus ,Zweck‘. Es besteht aber kein Zweifel, dass die spezifische Bestimmtheit des „utile“ mit der spezifischen Bestimmtheit des Zweckbegriffs nahezu problemlos identifiziert werden kann.

3. Relevanz

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Philosophie des Geistes zunehmend Interesse geschenkt.50 Dieses Interesse grndet in der These, dass eine Handlung nur dann angemessen erklrt werde, wenn (auch) der Zweck genannt wird, „auf den sich das Verhalten des Akteurs richtete“51. Handlungen seien demzufolge teleologisch zu erklren. Diese These ist besonders gegen D. Davidsons Analyse gerichtet, nach der Handlungsgrnde als Ursachen und somit Handlungserklrungen („Rationalisierungen“) als „Spielart der kausalen Erklrung“52 zu bestimmen sind. Dagegen wird eingewandt, dass teleologische Handlungserklrungen eine spezifische Erklrungsart darstellten, die nicht restlos auf eine kausale Erklrungsart zurckgefhrt werden kçnne.53 Da die vorliegende Arbeit keinen Beitrag zur Handlungstheorie darstellt, liefert sie auch keine explizite Interpretation der kantischen berlegungen zum Problem einer angemessenen Erklrung rationaler Handlungen.54 Die rekonstruierte kantische Theorie technischer Vernunft kann aber dennoch mit einer viel diskutierten Position innerhalb der analytischen Philosophie des Geistes in Zusammenhang gebracht werden. Denn sie weist hnlichkeiten zu Davidsons Position des Anomalen Monismus55 auf, in deren Kontext auch seine kausalistische Handlungsanalyse steht. Nach dieser sind zwar Handlungsgrnde als Ursachen und nach dem von Davidson vertretenen ontologischen Monismus56 kausal wirkende geistige Ereignisse als physische Ereignisse zu bestimmen57. Dennoch beharrt Davidson auf der Eigenstndigkeit des „intentionalistischen Diskurses“58. Zwar seien gemß der Handlungsanalyse kausale Handlungserklrungen einer Generalisierung fhig; sie sind es aber nicht im Sinne strikter (physikalischer) Gesetze.59 Damit gilt Davidson zufolge der intentionalistische Diskurs als irreduzibel. Ganz hnlich stellt sich die Sachlage mit Blick auf die rekonstruierte kantische Theorie technischer Vernunft dar: Zwar ist der Zweckbegriff ein 50 Zur Kausalismus-Teleologie-Debatte in der analytischen Handlungstheorie vgl. Horn/Lçhrer 2010. 51 Horn/Lçhrer 2010, 8. 52 Davidson 1963, 19. Zur Einfhrung in Davidsons Handlungstheorie vgl. Gler 1993, 81 – 120. Zur Relevanz der davidsonschen Analyse fr die neueren Debatten innerhalb der analytischen Handlungstheorie vgl. Horn/Lçhrer 2010, 8 – 25. 53 Vgl. Horn/Lçhrer 2010, 13. 54 Zur Handlungstheorie bei Kant vgl. z. B. Prauss 1986 und Willaschek 1992. 55 Vgl. bes. Davidson 1970, 300 – 317 und dazu Gler 1993, 135 – 142. 56 Vgl. Gler 1993, 142. 57 Vgl. Davidson 1970, 315. 58 Vgl. Gler 1993, 139 f. und 142. 59 Vgl. Davidson 1970, 300 f.

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Einleitung

in Hinsicht auf die Kausalittskategorie derivativer Begriff. Dennoch ist er durch eine spezifische Bestimmtheit ausgezeichnet, die sich nicht auf Naturkausalitt reduzieren lsst. Zwar ist die technische Vernunft ein Modus theoretischer Vernunft.60 Sie ist aber ein spezifischer Vernunfttyp, indem ihre Bestimmtheit mit der Bestimmtheit des kausal wirkenden (diskursiven) Verstandes identisch ist. Die durch technische Vernunft konstituierte Welt steht zwar insofern mit der Natur in notwendigem Zusammenhang, als technische Vernunft lediglich in der Natur realisierbar ist und der kantische Kulturbegriff eben diese Realisierung bezeichnet. Die kulturelle Welt und die Welt qua Natur sind aber insofern gerade nicht identisch, als die durch technische Vernunft konstituierte kulturelle Welt im Unterschied zur Natur durch den (diskursiven) Verstand kausal determiniert ist. – Mit Blick auf den tatschlich kausal wirkenden (diskursiven) Verstand qua Willkr darf Kants Position demnach zumindest prima facie auch als Anomaler Monismus bezeichnet werden. Andeutungen dieser Art sind hier fr den Hinweis ausreichend, dass die Tragfhigkeit von Kants Zweckbegriff auch vor dem Hintergrund der heutigen Debatten in der analytischen Philosophie des Geistes keineswegs unterschtzt werden muss.

60 Wenn K. Gler unter Rekurs auf eine Bemerkung von J. Kim konstatiert, dass der Anomale Monismus Davidsons „kantianisch“ sei, da „weniger die theoretische Vernunft, […] als vielmehr die praktische“ (Gler 1993, 142) die Eigenstndigkeit des intentionalistischen Diskurses verantworte, dann liegt ein Missverstndnis in der Kantinterpretation vor. Denn der genuine Begriff der praktischen Vernunft, der Freiheitsbegriff im Sinne des Autonomiebegriffs, ist sicher auch Kant zufolge kein notwendiger Bestandteil eines Ausweises der Eigenstndigkeit des intentionalistischen Diskurses.

Kapitel 1 Kultur als Gegenstand der Philosophie1 1.1 Vorberlegungen zu Kants Kulturbegriff In den Schriften Kants, besonders in der KU, der Anth und der Pd, finden sich ihrem Gehalt nach nur scheinbar verschiedene Bestimmungen des Kulturbegriffs. Die prgnanteste Formel zu seiner Bestimmung gibt Kant in § 83 der KU. Dort heißt es: „Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernnftigen Wesens zu beliebigen Zwecken berhaupt (folglich in seiner Freiheit) ist die Cultur“ (KU B 391, V 431.28 – 30).

Kultur ist demnach „Hervorbringung“, d. h. Aktualisierung, Verwirklichung eines zwar Angelegten, vielleicht eines Mçglichen, aber eines noch nicht in der Welt Vorhandenen, Daseienden. Das, dessen „Hervorbringung“ von Kant Kultur genannt wird, ist eine „Tauglichkeit“, d. h. eine Eignung, eine Befhigung – nmlich eine „zu beliebigen Zwecken“.2 Diese „Tauglichkeit zu beliebigen Zwecken“ ist einerseits als „Vermçgen sich berhaupt irgend einen Zweck zu setzen“ (MS VI 392.1 f.) und andererseits als dasjenige „Vermçgen, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist“ (Pd IX 449.33 f.), zu bestimmen. Im Zentrum der Kantischen Kulturlehre steht demnach die Fhigkeit „eines vernnftigen Wesens“ zu Zwecksetzung und Zweckverwirklichung. Es lsst sich sagen: Die Entwicklung und Sicherung der realen Mçglichkeit von Zwecksetzung und Zweckverwirklichung nennt Kant Kultur.3 1 2 3

In das vorliegende Kapitel sind vereinzelt berlegungen aus Klingner 2010b eingegangen. Der Kulturbegriff bezeichnet demnach nicht eine „Tauglichkeit zu bestimmten Zwecken“. Die Wahl der konkreten Zwecke ist vielmehr dem Belieben und „folglich“ der Freiheit des Menschen berlassen. Die angesprochene „Tauglichkeit“ ist nach Kant „nur die formale, subjektive Bedingung“ (KU B 391, V 431.23) der Zwecksetzung und Zweckverwirklichung, whrend „Glckseligkeit“ als „der Inbegriff aller durch die Natur außer und in dem Menschen mçglichen Zwecke desselben“ (KU B 391, V 431.18 f.) von Kant als „die Materie aller seiner [des Menschen, S. K.] Zwecke auf Erden“ (KU B 391, V 431.20) bezeichnet wird. Die formale Bedingung der Zwecksetzung und

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Nach dieser allgemeinen Bestimmung des Kulturbegriffs gibt Kant eine Spezifizierung im nchsten Absatz. Diese erfolgt, indem die Frage beantwortet wird, wie die Fhigkeit zu Zwecksetzung und Zweckverwirklichung aktualisiert werden kann. Zwei Arten von Kultur als „Hervorbringung der Tauglichkeit zu beliebigen Zwecken berhaupt“ unterscheidet Kant: „Die [Cultur, S. K.] der Geschicklichkeit ist freilich die vornehmste subjective Bedingung der Tauglichkeit zur Befçrderung der Zwecke berhaupt; aber doch nicht hinreichend den Willen in der Bestimmung und Wahl seiner Zwecke zu befçrdern, welche doch zum ganzen Umfange eine[r] Tauglichkeit zu Zwecken wesentlich gehçrt. Die letztere Bedingung der Tauglichkeit, welche man die Cultur der Zucht (Disciplin) nennen kçnnte, ist negativ“ (KU B 392, V 431.35 – 432.4, H. tw. v. V.).

Geschicklichkeit und Disziplin sind im § 83 der KU die beiden fr Kant wesentlichen Spezifizierungen des Kulturbegriffs. Fr die erste, die „vornehmste“, wie Kant sich hier ausdrckt, finden sich an anderer Stelle eindeutige inhaltliche Bestimmungen. Nach diesen ist Geschicklichkeit „der Besitz eines Vermçgens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist“ (Pd IX 449.33 f.), oder kurz das „Kunstvermçgen[] zu beliebiger Absicht“ (Anth VII 201.2 f.).4 Als Fhigkeit, fr beliebige Zwecke die angemessenen Mittel in Anschlag zu bringen, „bestimmt [sie] also gar keine Zwecke“ (Pd IX 449.34 f.). In dem Sinne, dass sich der Terminus ,Geschicklichkeit‘ auf das Verhltnis von Zweck und Mittel(n) bzw. auf die Begnstigung dieses Verhltnisses bezieht5, steht er mit dem Begriff von unserem Vermçgen einer „Caussalitt der Vernunft von Objekten, die […] zweckmßig oder Zwecke heißen“ (EEKU XX 234.31 f.), in sachlichem Zusammenhang. Dieser Begriff ist der Begriff der technischen bzw. technisch-praktischen Vernunft. 6 Er bezeichnet die spezifische Bestimmtheit

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Zweckverwirklichung („Tauglichkeit“) ist zwar ebenso wie die materiale („Glckseligkeit“) eine dem Menschen bloß gegebene, also etwas, „was die Natur zu leisten vermag“ (KU B 391, V 431.13 f.). Allerdings ist ihre Aktualisierung („Hervorbringung“) fr den Menschen gerade etwas, „was er selbst thun muß“ (KU B 391, V 431.14). Demnach ist der Anteil der Natur zur „Tauglichkeit“ nur „Vorbereitung“ (KU B 391, V 431.14), whrend die materiale Bedingung ihrer Mçglichkeit („Glckseligkeit“) dem Menschen schlichtweg vorgegeben ist. Sie ist etwas, was „man allein von der Natur erwarten darf“ (KU B 391, V 431.17). Als Beispiele nennt Kant in der Pd das „Lesen und Schreiben“ und die „Musik“ (vgl. Pd IX 449.36 f.). Vgl. z. B. auch GMS IV 414.21 f. (dort: „Geschicklichkeit im Gebrauch der Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken“). Der Begriff ,technische‘ bzw. ,technisch-praktische Vernunft‘ findet sich expressis verbis nur vereinzelt in den Schriften Kants. Vgl. EEKU XX 234.33, KU B 433, V

1.1 Vorberlegungen zu Kants Kulturbegriff

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einer der Vernunft eigenen Kausalitt in Hinsicht auf die Natur als „Inbegriff aller Dinge, so fern sie Gegenstnde unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein kçnnen“ (MAN IV 467.8 – 10), bzw. als technisch-praktische Vernunft und mit Blick auf Kants vermçgenstheoretische Perspektive das Konfungieren von Verstand und Wille (Begehrungsvermçgen) als Zweckrationalitt.7 Als „Vermçgen“ ist technische Vernunft bereits Angelegtes, Mçgliches. Sie ist sowohl das „Vermçgen sich berhaupt irgend einen Zweck zu setzen“ (MS VI 392.1 f.) als auch dasjenige „Vermçgen, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist“ (Pd IX 449.33 f.). Technische Vernunft ist also die Fhigkeit „eines vernnftigen Wesens“ zu Zwecksetzung und Zweckverwirklichung. Aufgabe der Kultur qua Geschicklichkeit ist es, technische Vernunft zu aktualisieren, zu verwirklichen („hervorzubringen“). Insofern sind die Begriffe ,Geschicklichkeit‘ und ,technische Vernunft‘ komplementr. Ebenso wie die Geschicklichkeit konkrete Zwecke nicht ihrem (begrifflichen) Inhalt nach bestimmt, bestimmt auch technische Vernunft nicht den (begrifflichen) Inhalt konkreter Zwecke. Auch sie bezieht sich bloß auf das Verhltnis von Zweck und Mittel(n), indem sie fr es eine Regel bestimmt. Geschicklichkeit ist also die Verwirklichung („Hervorbringung“) technischer Vernunft. Diese Bestimmung der Kultur als Geschicklichkeit im Anschluss an den § 83 der KU deckt sich mit Kants Bestimmung des Kulturbegriffs in der Pd. Dort heißt es: „Cultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermçgens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern berlßt das nachher den Umstnden“ (Pd IX 449.31 – 35).

Die in der KU als zweite Art der Kultur bestimmte Disziplin wird von Kant in der Pd dagegen gesondert abgehandelt:

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455.25 f., MS VI 384.1 und 387.9, Anth VII 271.17 f., ferner KU B 309, V 383.25 f. (dort: „technischen Gebrauche der Vernunft“). Fr dessen Gebrauch im OP vgl. Lehmann 1939, bes. 74 – 83. – Whrend hinsichtlich des Begriffs ,technische Vernunft‘ lediglich das Verhltnis von Zweck und Mittel(n) selbst von Relevanz ist, wird mit dem Begriff ,technisch-praktische Vernunft‘ gerade die Bezogenheit des Zweckbegriffs auf einen Willen (Begehrungsvermçgen) relevant. Diese ist sekundr. Daher wird im Folgenden vorerst allein von „technischer Vernunft“ gehandelt. Zur „technisch-praktischen Vernunft“ vgl. unten Abschnitt 4.3. Vgl. dazu auch Konhardt 1979, bes. 203 – 206.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

„Discipliniren heißt suchen zu verhten, daß die Thierheit nicht der Menschheit in dem einzelnen sowohl als gesellschaftlichen Menschen zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezhmung der Wildheit“ (Pd IX 449.28 – 30).

Eine explizite Unterscheidung von Kultur (Geschicklichkeit) und Disziplin findet sich auch in der „Methodenlehre“ der KrV: „Man nennt den Zwang, wodurch der bestndige Hang von gewissen Regeln abzuweichen eingeschrnkt und endlich vertilgt wird, die Disciplin. Sie ist von der Cultur unterschieden, welche bloß eine Fertigkeit verschaffen soll, ohne eine andere, schon vorhandene dagegen aufzuheben“ (KrV B 737, III 466.32 – 467.3).

Diese beiden Bestimmungen der Disziplin aus der Pd und der KrV stimmen mit ihrer Bestimmung in der KU insofern berein, als Disziplin von Kant in der KU als „Befreiung des Willens von dem Despotism der Begierden“ (KU B 392, V 432.5 f.) bezeichnet wird. Damit ist nicht gesagt, dass der Wille allein durch Disziplinierung zur Autonomie gelangt. Vielmehr erlaubt „uns“ die Kultur qua Disziplin, so Kant weiter in der KU, „die Triebe zu Fesseln dienen zu lassen, die uns die Natur nur statt Leitfden beigegeben hat, um die Bestimmung der Thierheit in uns nicht zu vernachlssigen, oder gar zu verletzen, indeß wir doch frei genug sind, sie anzuziehen oder nachzulassen, zu verlngern oder zu verkrzen, nachdem es die Zwecke der Vernunft erfordern“ (KU B 392, V 432.7 – 12).

Mit diesen Bemerkungen Kants wird einsichtig, warum er hier die Disziplin selbst als Kultur bestimmt. Denn erst durch die Fhigkeit, seinen Begierden8 nicht unmittelbar folgen zu mssen, ist der Mensch „tauglich“ zum Gebrauch technischer Vernunft. Zwar ist die Disziplin eine bloß „negative“ (KU B 392, V 432.4) Bedingung fr die angesprochene Tauglichkeit – allerdings eine notwendige. Denn kçnnte der Mensch seine Begierden nicht zurckstellen, bestimmten diese jederzeit unmittelbar sein Handeln. Ein zweckhaftes Handeln wre dann nicht mçglich, da ein von Zwecken bestimmtes Handeln eine (zumindest vorbergehende) Distanzierung vom augenblicklichen, der Vernunft ußerlichen Geschehen impliziert. Ohne eine solche relative Unabhngigkeit ist das Gewollte nicht als gewollter Gegenstand, d. h. als Zweck, vorstellbar, mithin bestimmbar. Statt einer den Menschen als Menschen auszeichnenden technischen

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Zum Begriff ,Begierde‘ und dessen Ausdifferenzierung (einerseits als Neigung qua Leidenschaft und qua Affekt, andererseits als Wunsch) vgl. v. a. Anth § 73.

1.1 Vorberlegungen zu Kants Kulturbegriff

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Vernunft9 handelte es sich dann um „Instinct“ (KU B XIII, V 172.10)10. Der Mensch wrde von Bestimmungsgrund zu Bestimmungsgrund getrieben – ohne die Mçglichkeit eines Bedenkens ihrer.11 Die Disziplin ist demnach mit Blick auf den Menschen als „Naturwesen“ (KU B 398, V 435.20 u. ç.) stets die „negative Bedingung“ fr die Ausbung technischer Vernunft, weshalb sie von Kant in der KU auch sachgerecht als eine Art der Kultur bestimmt wird. Neben die Unterscheidung von Geschicklichkeit und Disziplin treten in den Schriften Kants noch die Unterscheidungen von „Cultur und Civilisirung“ (Pd IX 451.3)12 und von Technik und Pragmatik13. Beide decken sich teilweise. So gibt es nach Kant „eine gewisse Art von Cultur, die man Civilisirung nennt. Zu derselben sind Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit erforderlich, der zufolge man alle Menschen zu seinen Endzwecken gebrauchen kann“ (Pd IX 450.5 – 7).

Die Zivilisierung betrifft demnach das Verhltnis eines einzelnen Subjekts zu anderen Subjekten, insofern es diese „zu seinen Endzwecken gebraucht“. Durch die Zivilisierung wird der Mensch ein „gesittetes (wenn gleich noch 9 Technische Vernunft ist Kant zufolge ein spezifisches Merkmal der Gattung ,Mensch‘ (vgl. Anth VII 322.13 – 323.20, dort: „technische Anlage“). Auch in der MS bringt Kant dies unmissverstndlich auf den Punkt: „Das Vermçgen sich berhaupt irgend einen Zweck zu setzen ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Thierheit)“ (MS VI 392.1 – 3). Nach den Ausfhrungen Kants zur Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ in der Anth ist technische Vernunft als spezifisches Merkmal der Gattung ,Mensch‘ zu bestimmen, da jene ein spezifisches Merkmal aller unter den „oberste[n] Gattungsbegriff […] eines irdischen vernnftigen Wesens“ (Anth VII 321.20 f.) zu subsumierenden Arten ist (vgl. dazu auch unten Abschnitt 1.3.2). Neben der „technischen Anlage“, kçnnen auch die „pragmatische“ und die „moralische“ dazu dienen, „den Menschen zum Unterschiede von anderen Erdbewohnern charakteristisch [zu] unterscheiden“ (Anth VII 322.19 f.). 10 Vgl. z. B. auch GMS IV 395.14, MS VI 444.28 und RGV VI 29.32 Anm. 11 Diese durch Disziplinierung ermçglichte relative Unabhngigkeit von Begierden (Neigungen) „[macht] uns hçherer Zwecke, als die Natur selbst liefern kann, empfnglich“ (KU B 394, V 433.20 f., vgl. auch GMS IV 395.4 – 396.37). Sie erlaubt grundstzlich die Hierarchisierung von (konkreten) Zwecken und kann also mit ausdrcklichem Blick auf das einzelne Subjekt als anthropologische Bedingung fr die Bildung von Maximen verstanden werden (vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.3). 12 Vgl. Anth VII 323.21 – 324.11, IaG VIII 26.20 – 26, RGV VI 33.25 und ferner KU B 163 f., V 297.7 – 29. 13 Vgl. v. a. Anth VII 322.13 – 16 (dort: „technische“ und „pragmatische Anlage“) und Pd IX 470.3 – 5 (dort: „physische“ und „pragmatische Cultur“).

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

nicht sittliches), zur Eintracht bestimmtes Wesen“ (Anth VII 323.24), indem er sich mittels „Manieren, Artigkeit und einer gewissen Klugheit“ in die Lage bringt, „andere Menschen zu seinen Absichten geschickt zu gebrauchen“ (Anth VII 322.15 f.). Sowohl die „Anlage der Civilisirung durch Cultur“ (Anth VII 323.21) als auch die „Regeln der Klugheit“ (MS VI 433.25 Anm.) nennt Kant pragmatisch. Die Klugheit als Fhigkeit, „alle Menschen zu seinen Endzwecken gebrauchen“ zu kçnnen, ist aber lediglich eine spezifische Geschicklichkeit. Sie ist, wie Kant es in der GMS formuliert, „die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen“ (GMS IV 416.32 f. Anm., H. v. V.).

Diese „Weltklugheit“ (GMS 416.31) ist insofern Geschicklichkeit, als auch sie zum „Kunstvermçgen[] zu beliebiger Absicht“ (Anth VII 201.2 f.) gehçrt. Allein die Art derjenigen Gegenstnde, die als Mittel „zu beliebiger Absicht“ gebraucht werden, ist hier eine besondere: Wenn „andere“ Menschen als Mittel „zu beliebiger Absicht“ gebraucht werden, dann ist Kant zufolge von der Klugheit des Menschen und seiner „pragmatische[n] Anlage der Civilisirung“ (Anth VII 323.21) zu reden.14 Entsprechend bezeichnet Kant auch die Fhigkeit zur „Handhabung der Sachen“ (Anth VII

14 Sowohl den Begriff ,Klugheit‘ als auch den Begriff ,pragmatisch‘ benutzt Kant in zweifachen Sinn. In der bereits teilweise angefhrten Anmerkung in der GMS schreibt Kant: „Das Wort Klugheit wird in zwiefachem Sinn genommen, einmal kann es den Namen Weltklugheit, im zweiten den der Privatklugheit fhren. Die erste ist die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen. Die zweite die Einsicht, alle diese Absichten zu seinem eigenen dauernden Vortheil zu vereinigen. Die letztere ist eigentlich diejenige, worauf selbst der Werth der erstern zurckgefhrt wird“ (GMS IV 416.30 – 35 Anm.). Die „Privatklugheit“ steht auch bei Kants Unterscheidung von pragmatischen Gesetzen und (moralischem) Sittengesetz in der KrV (vgl. KrV B 828, III 520.1 – 16 und KrV B 834, III 523.25 – 524.7) im Vordergrund. Fr den Fall dieses Gebrauchs der Begriffe ,Klugheit‘ und ,pragmatisch‘ ist nicht der besondere Gegenstandstyp ,Mensch‘ als Mittel entscheidend, sondern die „praktische Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Befçrderung der Glckseligkeit“ (GMS IV 415.33 – 35), d. h. derjenige „Zweck, den man bei allen vernnftigen Wesen ([…] als abhngige Wesen […]) als wirklich voraussetzen kann“ (GMS IV 415.28 – 30). Vgl. zu diesem Gebrauch der Begriffe ,Klugheit‘ und ,pragmatisch‘ ferner GMS IV 417.27 – 419.11, MS VI 354.10, MS VI 429.20, MS VI 433.25 Anm. und MS VI 483.5. Zu den (pragmatischen) „Imperativen der Klugheit“ (GMS IV 417.27 u. ç.) vgl. auch unten Abschnitt 4.1.1. Zum Begriff ,Klugheit‘ bei Kant in den frheren Schriften vgl. Schwaiger 1999.

1.1 Vorberlegungen zu Kants Kulturbegriff

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322.14 f., H. v. V.) als „die technische oder Geschicklichkeitsanlage“ (Anth VII 323.19). Zusammenfassend kçnnen in den Schriften Kants ein weiter und ein enger Kulturbegriff unterschieden werden. Unter den engen Kulturbegriff fllt lediglich „die Verschaffung der Geschicklichkeit“ (Pd IX 449.32 f.).15 Der weite Kulturbegriff umfasst dagegen auch die Disziplin sowie die Zivilisierung (Klugheit).16 Ausgehend von der eingangs zitierten Bestimmung des Kulturbegriffs in § 83 der KU ist festzuhalten: (1) Die „Tauglichkeit eines vernnftigen Wesens zu beliebigen Zwecken berhaupt“ ist dessen Vermçgen der technischen Vernunft. (2) Die „Hervorbringung“ des Vermçgens technischer Vernunft nennt Kant Kultur. (3) Kultur ist erstens als „Verschaffung der Geschicklichkeit“ (Pd IX 449.32 f.), zweitens als Zivilisierung und drittens als Disziplinierung zu bestimmen. (a) Sie ist „Verschaffung der Geschicklichkeit“, da ohne Geschicklichkeit das Vermçgen technischer Vernunft im Menschen nicht realisiert ist. Geschicklichkeit ist die Realisierung des Vermçgens technischer Vernunft. (b) Sie ist Zivilisierung als „Verschaffung“ der Weltklugheit als einer spezifischen Geschicklichkeit. Diese ist diejenige Realisierung technischer Vernunft im Menschen, deren Gegenstnde andere Menschen sind. (c) Sie ist Disziplinierung, da ohne Disziplin der Mensch der Realisierung des Vermçgens technischer Vernunft nicht fhig wre. Disziplin ist negative, jedoch hinsichtlich der conditio humana notwendige Bedingung der Realisierung technischer Vernunft. (4) Das das Vermçgen technischer Vernunft realisierende Subjekt ist der Mensch als „Naturwesen“. Es ist einerseits als einzelner Mensch (Konkretum), andererseits als Menschheit (Gattung) zu bestimmen. Sowohl der einzelne Mensch als auch die Menschheit realisieren technische Vernunft „durch fortschreitende Cultur“ (Anth VII 322.11).17 15 Vgl. v. a. die Ausfhrungen Kants in Pd IX 449 – 451. 16 Vgl. v. a. die Ausfhrungen Kants zum „Charakter der Gattung“ in Anth VII 321 – 327. 17 Allein die Realisierung technischer Vernunft durch die Menschheit ist Gegenstand von Kants Kulturlehre (vgl. dazu unten die Abschnitte 1.3.1 und bes. 1.3.2). Die Realisierung technischer Vernunft durch den einzelnen Menschen ist sein Beitrag dazu. Er ist zu diesem Beitrag verpflichtet, da Realisierung technischer Vernunft ein Gebot der moralisch-praktischen Vernunft ist: „Es ist ihm Pflicht: sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Thierheit (quoad actum), immer mehr zur

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Kultur betrifft demnach genau denjenigen Fall der Realisierung technischer Vernunft, in dem technische Vernunft unter menschlichen Bedingungen zu realisieren ist. Die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern der nachgezeichnete Kulturbegriff Kants als Gegenstand der Philosophie fungieren kann, setzt die Beantwortung der Frage voraus, wie Kant den Philosophiebegriff selbst bestimmt.

1.2 Kants Philosophiebegriff Ohne vorerst auf das Problem der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion zu achten, gilt es in einem nchsten Schritt, Kants Philosophiebegriff in gebotener Krze darzulegen. Eine solche Darlegung erfolgt hier in zwei Schritten: Zuerst ist Kants allgemeiner Philosophiebegriff nach seinen wesentlichen Bestimmungsstcken zu explizieren. Darauf ist dieser zu spezifizieren. Die Spezifikation des allgemeinen Philosophiebegriffs ist wiederum eine zweifache: eine vertikale und eine horizontale. Sie ist einerseits Spezifikation nach der „Erkenntnisart“, andererseits nach ihrem „Gegenstand“. Fr die gesamte Darlegung des kantischen Philosophiebegriffs gilt, dass sie lediglich den „Schulbegriff“ der Philosophie betrifft.18 Sie hat also die Philosophie als Wissenschaft, nicht als Weisheitslehre zum Gegenstand.19

Menschheit, durch die er allein fhig ist sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: seine Unwissenheit durch Belehrung zu ergnzen und seine Irrtmer zu verbessern, und dieses ist ihm nicht blos die technisch-praktische Vernunft zu seinen anderweitigen Absichten (der Kunst) anrthig, sondern die moralisch-praktische Vernunft gebietet es ihm schlechthin und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der Menschheit, die in ihm wohnt, wrdig zu sein“ (MS VI 387.5 – 12). 18 Aus teleologischer Perspektive unterscheidet Kant einen „Schulbegriff“ der Philosophie von einem „Weltbegriff“ der Philosophie. Philosophie dem „Schulbegriff“ nach ist ein „System der Erkenntniß, die nur als Wissenschaft gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkenntniß zum Zwecke zu haben“ (KrV B 866, III 542.20 – 23, vgl. auch Log IX 23.30 – 32). Philosophie dem „Weltbegriff“ nach dagegen ist die „Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntniß auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae)“ (KrV B 867, III 542.26 – 28, vgl. auch Log IX 23.32 – 34). 19 Zu dieser Unterscheidung vgl. MS VI 445.12 – 15 sowie KrV B 878, III 549.13 – 19 und KpV A 194 – 196, V 108.13 – 109.9.

1.2 Kants Philosophiebegriff

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1.2.1 Der Philosophiebegriff nach seinen wesentlichen Bestimmungsstcken Die allgemeine Bestimmung des Begriffs der Philosophie erfolgt durch Kant eindeutig. Sie findet sich wiederholt in Kants Schriften, zumeist in Abgrenzung zur Mathematik und auch zur (formalen) Logik. Nach der „Methodenlehre“ der KrV ist die Philosophie „Vernunfterkenntniß aus Begriffen“ (KrV B 741, III 469.8 f.)20. Etwas genauer ist nach der „Einleitung“ der KU die Philosophie „Vernunfterkenntniß der Dinge […] durch Begriffe“ (KU B XI, V 171.4 – 6). Und in der „Vorrede“ zum zweiten Teil der MS wird die Philosophie von Kant als „System der Vernunfterkenntniß aus Begriffen“ (MS VI 375.2 f.) bestimmt. Als „Vernunfterkenntniß“ ist die philosophische Erkenntnis Erkenntnis a priori. 21 Von der Philosophie als einer Art der Vernunfterkenntnis grenzt Kant sowohl die Mathematik als auch die (formale) Logik als andere apriorische Wissenschaften22 ab. Denn Mathematik ist nach Kant nicht Vernunfterkenntnis durch Begriffe, sondern durch „Construction der Begriffe vermittelst Darstellung des Gegenstandes in einer Anschauung a priori“ (MAN IV 469.23 f.)23. Die (formale) Logik wiederum beschftigt sich gar nicht mit „Dingen“ (Objekten, Gegenstnden) oder deren Prinzipien, sondern nur mit den „Principien der Form des Denkens berhaupt ohne Unterschied der Objecte“ (KU B XI, V 171.5 f.). Also ist Philosophie bestimmte Gegenstnde bzw. Gegenstndlichkeit berhaupt thematisie20 Vgl. auch KrV B 760, III 480.22, MS VI 403.16 und Log IX 23.13 und 31. 21 „Denn wir sagen nur, daß wir etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch htten wissen kçnnen, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekommen wre; mithin ist Vernunfterkenntniß und Erkenntniß a priori einerlei“ (KpV A 23 f., V 12.10 – 14, vgl. auch Log IX 22.33 f.). 22 Die folgende Einteilung Kants, zu finden in der „Methodenlehre“ der KrV, scheint der Auszeichnung der Philosophie als apriorischer Wissenschaft zu widersprechen: „Alle Philosophie aber ist entweder Erkenntniß aus reiner Vernunft, oder Vernunfterkenntniß aus empirischen Principien. Die erstere heißt reine, die zweite empirische Philosophie“ (KrV B 868, III 543.24 – 26). Die der reinen Philosophie gegenber gestellte empirische „Philosophie“ kennzeichnet Kant auch als „angewandte[] Philosophie“ (KrV B 876, III 548.14 f.). Im Folgenden wird Philosophie ausschließlich als apriorische Wissenschaft betrachtet. Die empirischen Wissenschaften sind als angewandte Philosophie insofern zu betiteln, als die Philosophie qua apriorische Wissenschaft fr jene „die Principien a priori enthlt, die also mit jene[n] zwar verbunden, aber nicht vermischt werden muß“ (KrV B 876, III 548.15 – 17). Vgl. dazu z. B. auch Malter 1994, 65 f. 23 Vgl. auch KrV B 741, III 469.8 ff., KrV B 865, III 541.18 – 20, MS VI 403.16 f. und Log IX 23.14 f.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

rende Erkenntnis a priori aus Begriffen, anders gewendet: Erkenntnis a priori aus Begriffen mit Gegenstandsbezug. Damit Philosophie als Wissenschaft bestimmt werden kann, muss sie schließlich ein System ausmachen, d. h. eine „Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ (KrV B 860, III 538.28 f.). Mit dieser letzten Bedingung ist der allgemeine Philosophiebegriff nach Kant voll bestimmt: „Das System aller philosophischen Erkenntniß ist […] Philosophie“ (KrV B 866, III 542.3)24. Die vier wesentlichen Bestimmungsstcke des kantischen Philosophiebegriffs sind demnach Aprioritt, Diskursivitt, Gegenstandsbezug und Systematizitt. Die drei ersten sind im Folgenden nacheinander und in Krze zu erlutern. Im Anschluss wird das vierte im Kontext der zweifachen Spezifikation des allgemeinen Philosophiebegriffs seine Erluterung erhalten. (1) Aprioritt. Fr Kant ist Aprioritt eine mçgliche Qualifikation von Vorstellungen (Anschauungen und Begriffe), Urteilen und Prinzipien. 25 Urteile a priori sind positiv durch „Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit“ (KrV B 4, III 29.15) und negativ durch ihre Unabhngigkeit „von aller Erfahrung“ (KrV B 3, III 28.20 f.) bestimmt.26 Damit sind sie von Erfahrungsurteilen und Wahrnehmungsurteilen unterschieden. Gleiches gilt fr Prinzipien a priori, in Abgrenzung von empirischen Prinzipien.27 Ferner kçnnen auch Verfahren sowie Wissenschaften durch Aprioritt ausgezeichnet sein.28 Verfahren a priori beruhen ausschließlich auf Prin24 Vgl. auch Log, IX 23.30. 25 Vgl. mit ausschließlichem Blick auf die ersten Abschnitte der KrV z. B. KrV B XVIII, III 13.5 (dort: „Begriffen a priori“), KrV B XXXV, III 21.26 (dort: „sicheren Principien a priori“), KrV B 3 f., III 28.34 – 29.9 (dort: „Urtheil a priori“ und „Urtheil in strenger Allgemeinheit […] ist […] a priori gltig“), KrV B 8, III 32.7 (dort: „Anschauung selbst a priori gegeben“), KrV B 12, III 35.14 (dort: „synthetischen Urtheilen a priori“), KrV B 23, III 42.6 – 15 (dort: „Begriffe […], die unserer Vernunft a priori beiwohnen“), KrV B 29, III 46.11 (dort: „Vorstellungen a priori“), KrV B 35, III 50.15 – 27 (dort: „Anschauung, die a priori […] stattfindet“), KrV B 38, III 52.30 (dort: „nothwendige Vorstellung a priori“). Die Qualifikation bestimmter Vorstellungen, Urteile und Prinzipien als a priori durchzieht das gesamte Werk Kants. 26 Vgl. auch KrV B 64, III 68.13 – 17 und KrV B 850 f., III 533.16 – 20. 27 Zum Prinzipienbegriff vgl. KrV B 356 – 358, III 238.8 – 239.26. 28 Vgl. wiederum mit ausschließlichem Blick auf die ersten Abschnitte der KrV z. B. KrV B XXXV, III 21.24 – 27 (dort: „dogmatischen Verfahren der Vernunft in ihrem reinen Erkenntniß“), KrV B 10 f., III 33.10 – 12 (dort: „dieses Verfahren [giebt] nun eine wirkliche Erkenntniß a priori“), KrV B 40, III 54.10 f. (dort: „Wissenschaft, welche […] a priori bestimmt“) sowie Kants Bestimmung der (Idee

1.2 Kants Philosophiebegriff

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zipien a priori und verwenden in der Regel Vorstellungen a priori und Urteile a priori29, kçnnen ihren Ausgang aber auch von empirischen Begriffen nehmen.30 Auch Wissenschaften a priori beruhen ausschließlich auf Prinzipien a priori und bilden gemß dem kantischen Wissenschaftsbegriff ein System von Erkenntnissen a priori. Philosophie als „Vernunfterkenntniß“ hat es demnach mit Vorstellungen a priori, Urteilen a priori und Prinzipien a priori zu tun. Als Wissenschaft beschftigt sich die Philosophie nicht mit allen mçglichen Urteilen a priori, sondern zielt auf Erkenntnisse a priori, d. h. von Interesse sind fr sie gltige Urteile a priori und von diesen wiederum besonders diejenigen, die dem „eigenen Ursprunge nach“ (KrV B 356, III 238.14) Prinzipien sind. Die Frage nach ihrer Gltigkeit kann bei Urteilen a priori gerade nicht durch Rekurs auf (eine bestimmte) Erfahrung beantwortet werden, sondern eine Antwort muss die Vernunft resp. das Erkenntnisvermçgen allein aus ihrer bzw. seiner eigenen Bestimmtheit gewinnen.31 Ferner unterscheidet Kant zwischen Aprioritt und Reinheit.32 Kant nennt innerhalb der Klasse der Erkenntnisse a priori wiederum „diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist“ (KrV B 3, III 28.23 f.). Analog dazu bezeichnet Kant diejenigen Vorstellungen a priori als rein, denen „keine Empfindung beigemischt ist“ (KrV B 74, III 74.20 f.). Die Philosophie als Wissenschaft a priori hat es auch mit Vorstellungen bzw. Erkenntnissen zu tun, die zwar a priori, aber nicht rein sind.33 Diese sind durch ihren apriorischen Inhalt und ihren empirischen Gegenstandsbezug ausgezeichnet.34

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der) Transzendentalphilosophie im VII. Abschnitt der „Einleitung“ (KrV B 24 – 30, III 42.26 – 46.35). Ein Beispiel hierfr ist das Verfahren „mathematischer Konstruktion“. Vgl. dazu v. a. KrV B 740 – 766, III 468.26 – 483.32, ferner z. B. auch Log IX 23.4 – 29 sowie unten die Abschnitte 2.2.1 und 4.1.3. Ein Beispiel hierfr ist das Verfahren „metaphysischer Konstruktion“. Vgl. dazu MAN IV 470.13 – 35 sowie MAN IV 472.1 – 473.14 und ferner unten die Abschnitte 2.2.3 und 4.2.3. Zum Begriff ,Eigenbestimmtheit‘ im Anschluss an die Philosophie Kants vgl. Wagner 19803 und mit dezidiertem Blick auf die KrV vgl. Flach 2002. Zum gngigen Vorwurf der Irreflexivitt von Kants Transzendentalphilosophie vgl. Aschenberg 1982, 263 f. R. Aschenberg hlt auch selbst diesen Vorwurf fr „treffend und unabweisbar“ (Aschenberg 1982, 263). Vgl. dagegen die differenzierte Analyse zum Reflexionsproblem bei Kant in Hiltscher 1998, I. Teil. Zum Verhltnis von Aprioritt und Reinheit vgl. Cramer 1966 und bes. Cramer 1985. Dass bestimmte Teile der Philosophie auf nicht-reinen Begriffen a priori grnden, wurde mit Blick auf Kants MAN von Plaass 1965, bes. 65 – 99, ausfhrlich dar-

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

(2) Diskursivitt. Im Unterschied zur Mathematik ist das genuine Medium der Philosophie der Begriff. Begriffe haben ihren Grund in „der Spontaneitt des Denkens“ (KrV B 93, III 85.20), sind also Produkte des Verstandes. Da ein Begriff sich nur „mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann“ (KrV B 377, III 250.6 f.), auf einen Gegenstand bezieht, indem er im Sinne einer Funktion „verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen“ (KrV B 93, III 85.18 f.) ordnet und zusammenfasst, ist er „allgemeine[] Vorstellung“ (KrV B 741, III 469.14). Da Kant die Philosophie in den oben genannten Passagen einerseits als „Vernunfterkenntniß aus Begriffen“ und andererseits als „Vernunfterkenntniß durch Begriffe“ bestimmt, ist zu vermuten, dass nach Kant Begriffe in der Philosophie sowohl den Ursprung als auch das Mittel fr die philosophische Erkenntnis abgeben. Beides steht miteinander in notwendigem Zusammenhang. Dieser notwendige Zusammenhang lsst sich mittels der Kontrastierung philosophischer Erkenntnis mit Kants Konzeption mathematischer Erkenntnis leicht plausibel machen. Whrend philosophische Erkenntnis Erkenntnis a priori „aus Begriffen“ ist, bestimmt Kant die mathematische Erkenntnis als Erkenntnis a priori „aus der Construction der Begriffe“ (KrV B 741, III 469.9).35 Als Mittel mathematischer Erkenntnis fungiert die reine Anschauung.36 Ihren Ursprung hat die mathematische Erkenntnis in den Prinzipien a priori des Vermçgens der Sinnlichkeit, den reinen Anschauungsformen ,Raum‘ und ,Zeit‘.37 Analoges lsst sich ber die Mittel und den Ursprung der philosophischen Erkenntnis sagen: Als Mittel kçnnen fr sie nur Begriffe a priori fungieren:

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gestellt. Mit Bezug auf aktuelle Probleme der Erkenntnistheorie (bes. der Alltagserkenntnis konkreter Subjekte) hat Hiltscher 2006a an dieses Lehrstck angeknpft. Vgl. bes. MAN IV 470.1 – 7 und KU B XXIXf., V 181.15 – 182.9 sowie Plaass 1965, 86 – 88, 91 – 98, Cramer 1966, 29 f., 46 f. und Hiltscher 2006a, 255 – 259. Kant erlutert weiter: „Einen Begriff aber construiren, heißt: die ihm correspondirende Anschauung a priori darstellen“ (KrV B 741, III 469.10 f.). Die mathematische Erkenntnis ist auf reine Anschauung bezogen, mittels derer ein Begriff konstruiert wird, der „Allgemeingltigkeit fr alle mçgliche Anschauungen, die unter denselben Begriff gehçren, in der Vorstellung ausdrcken muß“ (KrV B 741, III 469.14 – 16). Vgl. zur Mçglichkeit mathematischer Erkenntnis bes. Graubner 1972, 138 – 168. Vgl. z. B. KrV B 741 f., III 469.10 – 25. Diese stellen qua Prinzipien a priori eine Sphre zur Verfgung, in der ein „Einzelne[s]“ („nichtempirische Anschauung“) gegeben werden kann, das „unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Construction bestimmt ist“ (KrV B 741, III 469.30 f., vgl. auch Log IX 23.16 – 23).

1.2 Kants Philosophiebegriff

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Kategorien, Prdikabilien, Ideen und Reflexionsbegriffe.38 Da alle Begriffe a priori mit Gegenstandsbezug Kant zufolge (zumindest teilweise) auf die Kategorien zurckzufhren sind39, ist mit dem Aufweis des Ursprungs der Kategorien auch der entscheidende Hinweis auf den Ursprung der philosophischen Erkenntnis gegeben. Die „metaphysische[] Deduction“ (KrV B 159, III 124.14) der Kategorien bestimmt deren Ursprung in der „logi-

38 Zu Kants Topik der Begriffe a priori vgl. auch unten Abschnitt 2.2.2. Folgende Erluterungen und Verweise kçnnen an dieser Stelle hilfreich sein: Kategorien (Prdikamente, Notionen) sind „reine Verstandesbegriffe“ (vgl. dazu bes. KrV § 10), d. h. „Begriffe von einem Gegenstande berhaupt“ (KrV B 128, III 106.17), die „als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntniß zum Grunde liegen“ (KrV B 126, III 104.35 – 105.1). Sie sind „bloß subjective Formen der Verstandeseinheit“ (KrV B 343, III 230.22), deren objektive Gltigkeit durch den Nachweis, „daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) mçglich sei“ (KrV B 126, III 105.3 f.), nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist die Aufgabe der transzendentalen Deduktion der Kategorien (vgl. dazu bes. Henrich 1973, Wagner 1980, Cramer 1985, 8. Kap. und Hiltscher 1998, I. Teil, zum berblick ber die Diskussion in der Kantforschung vgl. Baumanns 1991 f.). Die Kategorien sind zudem die Grundlage der Erzeugung von Prdikabilien und (in gewissem Sinn) Ideen. Prdikabilien sind „abgeleitete Verstandesbegriffe“ (KrV B 108, III 94.15), die durch die Kombination der „Kategorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch untereinander“ (KrV B 108, III 94.27 f.) erzeugt werden (vgl. dazu unten die Abschnitte 2.2.1, 2.2.2.3 und 2.2.3). Zur Diskussion um die sachgerechte Deutung und die systematische Relevanz der Prdikabilienlehre Kants vgl. Brocker 1987, 71 – 75, 123 – 128, Cramer 1966, Cramer 1985, 154 – 164, 195 – 220, 282 – 309, Dçrflinger 2000, 171 – 176, Gloy 1976, 153 – 162, Graubner 1972, 153 – 166, Hiltscher 2006a, Martin 1972, 74 – 102, Plaass 1965, 83 f., Simon 1971 und Zçller 1984, 246 – 250. Ideen („Vernunftbegriffe“) sind insbesondere dadurch ausgezeichnet, dass sie „die Erfahrung bersteig[en]“ (KrV B 377, III 250.11, vgl. dazu unten Abschnitt 2.2.2.2). Reflexionsbegriffe sind „Vergleichungsbegriffe“ (KrV B 318, III 216.3) von logischem oder transzendentalem Gebrauch. Sie sind keine Begriffe a priori mit Gegenstandsbezug. Das Verhltnis der Kategorientafel zu den Reflexionsbegriffen ist in der Kantforschung ungeklrt. Zur Diskussion vgl. Reuter 1989, bes. 191 – 202. Zur (von Reich 19863, 29 f. inspirierten) Deutung der Reflexionsbegriffe in ihrem transzendentalen Gebrauch als „reflektierende Kategorien“ vgl. Graubner 1972, 106 – 108, auch 217 u. ç. Nach J. Heinrichs kommt den Reflexionsbegriffen die Funktion zu, die Urteils- bzw. Kategorientafel selbst zu „begrnden“ (vgl. Heinrichs 1986, 91 – 97, 105 – 155). Zur Funktion der Reflexionsbegriffe fr die logische Begriffsbildung vgl. Longuenesse 2000, 122 – 166. 39 Vgl. dazu auch unten Abschnitt 2.2.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

schen Function des Verstandes in Urtheilen“ (KrV B 95, III 86.27).40 Insofern die Aufzhlung der „Functionen der Einheit in den Urtheilen“ (KrV B 94, III 86.20) in der Tafel der Urteilsformen vollstndig ist41, kann der Begriff eines auf Gegenstndlichkeit bezogenen Verstandes, „dessen ganzes Vermçgen im Denken besteht“ (KrV B 145, III 116.18 f.), durch die Vorstellung der Kategorientafel als vollstndig bestimmt gelten.42 Mit den Urteilsfunktionen als den Momenten des Denkens und den Kategorien als den Grundbegriffen des gegenstndlichen Denkens stellt Kant diejenigen Prinzipien a priori43 vor, die den Ursprung nicht-mathematischer Erkenntnis a priori ausmachen. Whrend also der Ursprung der mathematischen Erkenntnis in den Prinzipien a priori des Vermçgens der Sinnlichkeit gesetzt ist, ist der Ursprung der philosophischen Erkenntnis in den Prinzipien a priori des Vemçgens des Verstandes gesetzt. (3) Gegenstandsbezug. Die Wissenschaft von den Prinzipien a priori des Vermçgens des Verstandes ist die (reine)44 Logik. Das Thema der allge40 Daher kann auch die „Tafel [der] logische[n] Functionen in allen mçglichen Urtheilen“ (KrV B 105, III 92.28) als „Leitfaden[] der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe“ (KrV B 95, III 86.24) dienen. Die einzelnen Argumentationsschritte und die damit verbundenen Probleme kçnnen fr die vorliegende Untersuchung zur Seite gestellt werden. 41 Zur Frage nach der Vollstndigkeit der Urteils- bzw. Kategorientafel vgl. bes. Reich 19863, Brandt 1991b und Wolff 1995. 42 Da mit der Darstellung der „Function des Denkens“ (KrV B 95, III 86.30) in der „vollstndigen Tafel der Momente des Denkens berhaupt“ (KrV B 96, III 87.35 – 88.1) die spezifische Bestimmtheit des diskursiven Denkens vorgestellt wird, ist die Kategorientafel die notwendige Maßgabe fr die philosophische Erkenntnis. Als Beispiele hierfr kçnnen die Tafel der „Grundstze des reinen Verstandes“ (vgl. KrV B 200, III 147.19 – 35), die Tafel der „Eintheilung des Begriffs von Nichts“ (vgl. KrV B 348, III 233.1 – 15), die „Topik der rationalen Seelenlehre“ (vgl. KrV B 402, III 264.11 – 29), die Tafel der „kosmologischen Ideen“ (vgl. KrV B 443, III 287.1 – 14), das „Schema zur Vollstndigkeit eines metaphysischen Systems der Natur“ (MAN IV 473.15 – 476.6), die Tafel der „Kategorien der Freiheit“ (vgl. KpV A 117, V 66.16 – 36) sowie die Analyse des Geschmacksurteils „nach Anleitung der logischen Functionen“ (vgl. KU §§ 1 – 22) und in Anlehnung an diese die Untersuchung des Gefhls des Erhabenen (vgl. KU §§ 24 – 29) angefhrt werden. 43 Zum hier verwendeten funktionalen Prinzipienbegriff vgl. v. a. Wagner 19803, §§ 8, 13 – 17. 44 Vgl. Kants Unterscheidung von reiner und angewandter Logik in KrV B 77 – 79, III 76.6 – 77.18 und ferner Log IX 18.15 – 36. Die von Kant sog. angewandte Logik ist keine Wissenschaft von den Prinzipien a priori des Verstandes, sondern „auf die Regeln des Gebrauchs des Verstandes unter den subjectiven empirischen Bedingungen, die uns die Psychologie lehrt, gerichtet“ (KrV B 77, III 76.19 – 21).

1.2 Kants Philosophiebegriff

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meinen Logik ist die „bloße[] Form des Denkens“ (KrV B 78, III 76.35).45 Die Darstellung der „bloßen Form des Denkens“ ist die Urteilstafel. Demnach hat aber die allgemeine Logik gar nichts mit Gegenstnden bzw. Gegenstndlichkeit zu tun. Ihr Gegenstand ist lediglich die „logische Form im Verhltnisse der Erkenntnisse auf einander“ (KrV B 79, III 77.23 f.). Sie ist zwar ebenfalls „Vernunfterkenntniß durch Begriffe“. Die Philosophie als „Vernunfterkenntniß der Dinge […] durch Begriffe“ (KU B XI, V 171.4 – 6, H. v. V.) nimmt jedoch nach Kant Gegenstnde bzw. Gegenstndlichkeit, genauer gesagt: die Mçglichkeit von Gegenstandserkenntnis in den Blick. Daher kann sie auch von Kant als von der allgemeinen Logik unterschiedene Wissenschaft a priori bestimmt werden.46 Fr die Mçglichkeit nicht-mathematischer, diskursiver Erkenntnis a priori von Gegenstnden bzw. Gegenstndlichkeit sind Begriffe a priori notwendig, deren Gegenstandsbezug a priori aufgewiesen werden kann. Diese gegenstandsbezogenen Begriffe a priori sind die Kategorien als diejenigen Grundbegriffe des Denkens, die „a priori auf Gegenstnde der Anschauung berhaupt gehen“ (KrV B 105, III 92.27). Denn allein mittels der Kategorien kann das Denken „etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d. i. ein Object derselben denken“ (KrV B 106, III 93.23 – 25). Die Kategorien sind demnach als letzte Prinzipien der Bestimmtheit von gegenstandsbezogenem Denken (und damit von Gegenstndlichkeit) zu bestimmen. Allein durch die gegenstandskonstitutive Funktion der Kategorien ist Kant zufolge die Mçglichkeit von Philosophie als genuiner Wissenschaft a priori neben Mathematik und (allgemeiner) Logik gesichert. Als konstitutive Prinzipien von Gegenstndlichkeit berhaupt47 sind die Kategorien einerseits vçllig indifferent gegen die Spezifik des jeweils zu erkennenden Gegenstandes48 und andererseits sind sie an der Systematisierung und Spezifikation von Gegenstndlichkeit berhaupt maßgeblich und notwendigerweise beteiligt.49 45 Vgl. z. B. auch Log IX 12.19 – 13.5. 46 Vgl. KU B XI, V 171.4 – 7 und EEKU XX 195.10 – 14, ferner z. B. auch Log IX 14.24 – 31. 47 Erst durch ihre einheitsstiftende Funktion wird ein Mannigfaltiges der Anschauung als Gegenstand konstitutiert, d. h. die Erkenntnis eines jeden Gegenstandes wird in jeder denkbaren Hinsicht stets durch sie als notwendige Bedingungen von gegenstndlicher Erkenntnis berhaupt zustande gebracht. 48 Vgl. Hiltscher 2006a, 256 f. 49 Kant hat dies anhand der Relevanz und Funktion der Kategorien in seiner Grundlegung der praktischen Philosophie (KpV) sowie anhand des Prdikabilienaprioris in den MAN und der RL gezeigt. Zu den „Kategorien der Freiheit“ vgl.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Nach Kant ist das vierte Bestimmungsstck des Philosophiebegriffs, die Systematizitt, notwendige Bedingung fr jede Wissenschaft, da ohne „systematische Einheit“ (KrV B 860, III 538.21) Erkenntnis nicht als wissenschaftliche Erkenntnis qualifiziert ist.50 Ein System ist Kant zufolge „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ (KrV B 860, III 538.28 f.).51 Allein die Idee als „scientifische[r] Vernunftbegriff“ (KrV B 860, 539.1) ermçglicht die Gliederung der Erkenntnis, so dass Wissenschaft mit Kant als organisierte Erkenntnis bezeichnet werden muss. Im Falle der Philosophie als „System aller philosophischen Erkenntniß“ (KrV B 866, III 542.3) ist ihre spezifische Organisation als „Architektonik aller Erkenntniß aus reiner Vernunft zu entwerfen“ (KrV B 863, III 540.25).52 Ihre Erkenntnis kann nur „aus allgemeinen Quellen der Vernunft, […] d. i. aus Principien, geschçpft“ (KrV B 864 f., III 541.15 – 17) werden. Die Ausfhrung der Idee der Philosophie wird im Folgenden mittels einer zweifachen Spezifikation des allgemeinen Begriffs der Philosophie illustriert.53

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z. B. Bobzien 1988, Bobzien 1997, Haas 1997, Schçnrich 1986 und ausfhrlich dazu Zimmermann 2011. Zu den MAN vgl. Plaass 1965, Cramer 1966 und Hiltscher 2006a. Zur RL vgl. Brocker 1987 und ferner Snger 1982. Vgl. bes. KrV B 860, III 538.21 – 23, ferner z. B. auch MAN IV 467.18 f. und PG § 3, IX 158.14 – 22. Zu Kants Systembegriff in seinem historischen Kontext und seiner Originalitt vgl. Hinske 1991. Die genannte Organisation ist entweder „technische“ oder „architektonische Einheit“ (vgl. KrV B 861, III 539.12 – 27). Im Falle der Philosophie muss sie architektonische Einheit sein, „wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgiebt und nicht empirisch erwartet“ (KrV B 861, III 539.18 f.). Zur technischen Einheit vgl. unten Abschnitt 3.3.1. Dieses Vorgehen scheint nur eine mçgliche Darstellung des Systems der Philosophie zu sein, wie es in den verçffentlichten Schriften Kants seit Erscheinen der KrV vorliegt. Kant hat in der „Methodenlehre“ der KrV eine Systematik philosophischer Erkenntnis vorgelegt (vgl. KrV B 860 – 879, III 538.17 – 549.36), die durch das Erscheinen der KpV und der KU, aber auch der MAN und MS sukzessive modifiziert wurde. Das hier gewhlte Vorgehen orientiert sich sowohl hinsichtlich der vertikalen Spezifikation als auch der horizontalen Spezifikation des allgemeinen Philosophiebegriffs v. a. an den Einleitungen bzw. Vorreden zur KrV, KpV und KU sowie zu den MAN und zur MS. Zur Systematik in der „Methodenlehre“ der KrV vgl. neuerdings Goy 2007 (kritisch dazu Klingner 2010a). Zur Systematik der theoretischen Philosophie vgl. z. B. Gloy 1976, 191 – 218 und Plaass 1965, 16 – 22, 65 – 82, 111 – 114. Zur Systematik der praktischen Philosophie vgl. Brocker 1987, 32 – 38, 42 f. und 46 – 59. Fr die Bestimmung des Verhltnisses von Philosophie und (empirischer) Lehre werden ferner die „Vorrede“ der Anth, die „Einleitung“ der PG sowie die kleinere Schrift GTP herangezogen.

1.2 Kants Philosophiebegriff

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1.2.2 Vertikale Spezifikation: Kritik und Metaphysik Die vertikale Spezifikation erfolgt hinsichtlich des Modus philosophischer Erkenntnis. Sie erlaubt eine Stufung des Systems philosophischer Erkenntnis. Diese ist als transzendentale Erkenntnis im strengen Sinn Erkenntnis a priori aus Begriffen, die sich a priori auf Gegenstnde beziehen, d. h. deren objektive Gltigkeit sich a priori ausweisen lsst. Die ersten drei Bestimmungsstcke, die eine Erkenntnis als philosophische Erkenntnis auszeichnen, d. h. Aprioritt, Diskursivitt und Gegenstandsbezug, sind nach Kant aber nur in einer bestimmten Hinsicht als Merkmale einer Erkenntnis anzutreffen. Da das Erkenntnis anzeigende Urteil einerseits ein synthetisches Urteil, andererseits ein Urteil a priori sein muss, das zu synthetisierende Mannigfaltige aber allein in einer Anschauung gegeben werden kann, ist die genuin philosophische Erkenntnis als transzendentale Erkenntnis zu bestimmen. Kant schreibt in der „Einleitung“ der KrV: „Ich nenne alle Erkenntniß transcendental, die sich nicht sowohl mit Gegenstnden, sondern mit unserer Erkenntnißart von Gegenstnden, so fern diese a priori mçglich sein soll, berhaupt beschftigt“ (KrV B 25, III 43.16 – 19).

Das System solcher transzendentalen Erkenntnisse ist als Transzendentalphilosophie zu betiteln. Die Transzendentalphilosophie hat es mit der „Erkenntnißart von Gegenstnden berhaupt“ zu tun, d. h. mit den notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit von Erkenntnis. Die angesprochenen notwendigen Bedingungen kçnnen konstitutiver oder regulativer Art sein. Kant przisiert diese Bestimmung von Philosophie als Transzendentalphilosophie noch, indem er ausschließlich diejenige Erkenntnis a priori als transzendentale bezeichnet, „dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen und Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder mçglich sind“ (KrV B 80, III 78.8 – 10).

Transzendentalphilosophie ist demnach durchweg von reflexivem Charakter, mithin die einzige Wissenschaft mit Anspruch auf Selbstbegrndung. Ihr genuines Thema sind diejenigen „Vorstellungen“, die „lediglich a priori angewandt werden oder mçglich sind“. Alle Vorstellungen mit apriorischem Gegenstandsbezug sind der notwendige Ursprung und die einzigen Mittel transzendentaler Erkenntnis.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Die schematische Nachzeichnung der der Transzendentalphilosophie zugrunde liegenden Idee nennt Kant „Kritik“.54 Wie die Kritik das Schema der Transzendentalphilosophie ist, ist die Transzendentalphilosophie dessen Ausfhrung.55 Das Spezifikum sowohl der Kritik als auch der Transzendentalphilosophie ist ihre „Reinheit“: „Das vornehmste Augenmerk bei der Eintheilung einer solchen Wissenschaft ist: daß gar keine Begriffe hineinkommen mssen, die irgend etwas Empirisches in sich enthalten, oder daß die Erkenntniß a priori vçllig rein sei“ (KrV B 28, III 45.18 – 21).

Der transzendentalen Erkenntnis folgt diejenige Erkenntnis a priori, die Kant metaphysisch nennt. Auch der Modus metaphysischer Erkenntnis wird von Kant nicht hinsichtlich eines spezifischen Gegenstandsbereichs bestimmt. Vielmehr ist das Spezifikum metaphysischer Erkenntnis ihre eigentmliche Aprioritt: Zwar lsst sich ihr Inhalt a priori begrnden, ihre objektive Realitt aber nicht a priori ausweisen.56 Im Unterschied zu transzendentalen Begriffen als „reine[n] Begriff[en] von Gegenstnden des mçglichen Erfahrungserkenntnisses berhaupt“ (KU B XXX, V 181.35 – 182.1) mssen metaphysische Begriffe „doch empirisch gegeben werden“ (KU B XXX, V 182.5).57 Im Zentrum der Metaphysik stehen dabei das Verfahren der „metaphysische[n] Construction[]“ (MAN IV 473.7 f.) von nicht-reinen Begriffen a priori und das Verfahren der „Anwendung“ reiner Begriffe „auf in der Erfahrung vorkommende Flle“ (MS VI 205.11 f.).58 Dagegen steht im Zentrum der Kritik „eine vollstndige Herzhlung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntniß ausmachen“ (KrV B 27, III 44.33 – 45.1). Die Transzendentalphilosophie hat darber hinaus die Aufgabe „der ausfhrlichen Analysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollstndigen Recension der daraus abgeleiteten“ (KrV B 27, III 45.1 – 3). Die Metaphysik ist demnach zwar durch die Transzendentalphilosophie fundierte Wissenschaft von einem besonderen Gegenstandsbereich. Im Unterschied aber zu den sich an sie anschließenden empirischen Lehren 54 Vgl. KrV B 27, III 44.24 – 32, KrV B 28, III 45.13 – 17 und dazu v. a. Flach 1967. 55 „Die Idee bedarf zur Ausfhrung ein Schema, d. i. eine a priori aus dem Princip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Theile“ (KrV B 861, III 539.12 – 14). 56 Vgl. Plaass 1965, 68 – 73 und Hiltscher 2006a, 257 f. 57 Vgl. dazu bes. KU B XXIX f., V 181.15 – 182.9. 58 Das Verfahren der metaphysischen Konstruktion wird angewendet in den MAN (vgl. MAN IV 470.13 – 35 sowie MAN IV 472.1 – 473.14 und dazu Plaass 1965, 73 – 106 sowie Schfer 1966, 30 – 38) und in der RL (vgl. MS § E, VI 232.30 – 233.29 und dazu Brocker 1987, 52 – 55).

1.2 Kants Philosophiebegriff

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werden in der Metaphysik als fundierter philosophischer Wissenschaft ihre „Objecte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt“ (KU B XXIX, V 181.19 f.). Die Erkenntnisse der hier als „empirische Lehren“ betitelten Wissenschaften sind dagegen ausschließlich empirisch59, d. h. sie sind empirisch sowohl ihrem Inhalt als auch ihrem Gegenstandsbezug nach.60 Sie werden daher von Kant (mit Blick auf die Anthropologie und die Geographie) nicht als Wissen, sondern als „Kenntniß“ (PG § 2, IX 157.2) oder (mit Blick auf die Chemie) als „nur uneigentlich so genanntes Wissen“ (MAN IV 468.19) bezeichnet.61 Da die empirischen Lehren nur „Erfahrungserkenntnisse“ (PG § 2, IX 156.17) systematisch darstellen, kçnnen sie nicht zur Philosophie im oben angegebenen Sinne zhlen. Ihr Verhltnis zur Philosophie ist als Fundierungsverhltnis zu bestimmen, insofern erstens die Philosophie die „Mçglichkeit einer Natur berhaupt“ (GTP VIII 183.5 f.) untersucht und zweitens auch den empirischen Wissenschaften als 59 Diese empirischen Lehren kçnnen „historische oder rationale Naturwissenschaft“ (MAN IV 468.2) sein. Zur ersten als „Naturlehre, die nichts als systematisch geordnete Facta der Naturdinge enthlt“ (MAN IV 468.8 f.), gehçrt die (empirische) Psychologie (vgl. MAN IV 471.29 – 32). Auch die Anthropologie und die (physische) Geographie kçnnen ihr zugeordnet werden. Zur zweiten als „systematische[r] Kunst oder Experimentallehre“ (MAN IV 471.5 f.) gehçrt die Chemie (vgl. MAN IV 470.36 – 471.10). Ihr kann auch die (empirische) Physik zugeordnet werden, „welche empirische Principien braucht“ (MAN IV 477.15 f.). 60 Vgl. v. a. MAN IV 467.18 – 469.11 (dort: „Grundstze der empirischen […] Verknpfung der Erkenntnisse in einem Ganzen“, „ihren Gegenstand […] nach Erfahrungsgesetzen behandelt“, „die Gesetze, aus denen die gegebene Facta durch die Vernunft erklrt werden, blos Erfahrungsgesetze sind“ usw.) und PG § 2, IX 156.13 – 157.8 (dort: „Quellen und Ursprung unserer Erkenntnisse […] aus der Erfahrung, die weiterhin selbst die Vernunft instruirt“ und „Erfahrungen der Natur und des Menschen machen zusammen die Welterkenntnisse aus“). 61 Vgl. auch die „Vorrede“ der Anth (bes. Anth VII 119.9 und Anth VII 122.10 Anm.) und den § 2 der PG (bes. PG IX 157.9 f., PG IX 157.25, PG IX 158.3 und PG IX 158.33 – 35). In der MAN wird die ,historische Naturwissenschaft‘ auch als „historische Naturlehre“ bezeichnet und so der ,Naturwissenschaft‘ gegenbergestellt (vgl. MAN IV 468.7 – 13). Der empirische Teil dieser ,Naturwissenschaft‘ wird schließlich als „uneigentlich so genannte Naturwissenschaft“ (MAN IV 468.14) bezeichnet. Die (historische) Naturlehre wird in „Naturbeschreibung, als einem Classensystem derselben nach hnlichkeiten, und Naturgeschichte, als einer systematischen Darstellung derselben in verschiedenen Zeiten und rtern“ (MAN IV 468.9 – 12), gegliedert. Vgl. zur letzteren Unterscheidung v. a. auch GTP VIII 161.9 – 163.24. In GTP bezeichnet Kant die Erkenntnisse der (historischen) Naturlehre als „bloße Naturkenntnisse“ (GTP VIII 178.18, H. v. V., vgl. ferner z. B. MAN IV 477.26, MAN IV 544.20 und auch KU B 210, V 323.21 f.).

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

„systematisch abgefaßt[en]“ (Anth VII 119.9) Lehren ein „architektonische[r] Begriff“ (PG § 2, 158.21) zugrunde liegt, der „ein Begriff ist, bei dem das Mannigfaltige aus dem Ganzen abgeleitet wird“ (PG § 2, 158.21 f.). Sie sind entweder „angewandte Vernunfterkenntniß“ (MAN IV 468.34) oder setzen als Wissenschaften eine solche voraus.62 1.2.3 Horizontale Spezifikation: Natur und Freiheit Die horizontale Spezifikation erfolgt hinsichtlich des Gegenstandes philosophischer Erkenntnis. Sie erlaubt eine Differenzierung des Systems philosophischer Erkenntnis. Diese ist als theoretische Erkenntnis im strengen Sinn Erkenntnis a priori aus „Naturbegriffe[n]“ (KU B XI, 171.14 f. u. ç.), als praktische Erkenntnis im strengen Sinn Erkenntnis a priori aus dem „Freiheitsbegriff“ (KU B XI, V 171.15 u. ç.). Die theoretische Erkenntnis „nach Principien a priori“ (KU B XI f., V 171.16) wird von Kant auch als „Naturphilosophie“ (KU B XII, V 171.21) und die praktische Erkenntnis der „fr die Willensbestimmung erweiternde[n] Grundstze“ (KU B XII, V 171.18 f.) als „Moralphilosophie“ (KU B XII, V 171.22) bezeichnet. Damit ist die Philosophie zuerst in einen theoretischen und einen praktischen Teil gegliedert. Beide Teile der Philosophie scheinen allerdings unvermittelt nebeneinander zu stehen.63 Ihre Vermittlung leistet eine „Kritik der Urteilskraft“, die aber im Unterschied zu den Kritiken der theoretischen und der praktischen Vernunft keine „Doctrin“ hinsichtlich eines spezifischen Gegenstandsbereichs ermçglicht.64 Denn einerseits expliziert sie zwar „in 62 Die empirischen Wissenschaften („Lehren“) sind also transzendentalphilosophisch bzw. metaphysisch fundierte empirische Wissenschaften. Mit Blick auf die (pragmatische) Anthropologie und die (physische) Geographie scheint das Fundierungsverhltnis unklar (vgl. dazu z. B. die Interpretationen von Breil 1991, 164 – 195, Malter 1994 und Wolandt 1988). Dass aber z. B. die physische Geographie als „allgemeiner Abriß der Natur […] nicht allein den Grund der Geschichte, sondern auch den aller brigen mçglichen Geographien ausmacht“ (PG § 5, IX 164.2 f.) und sie insofern (analog zur Kritik in ihrem Verhltnis zur Transzendentalphilosophie) als Teil der „Propdeutik in der Erkenntniß der Welt“ (PG § 2, IX 157.10 f.) fungiert, erlutert Kant ausfhrlich in der „Einleitung“ zur PG (vgl. dort bes. §§ 2, 4 und 5). 63 Vgl. bes. KU B XIX f., 175.26 – 176.15 und KU B LIII f., V 195.4 – 16. 64 Dass die Kritik der Urteilskraft keine Doktrin ermçglicht, hat fr ihren ersten Teil, die Kritik der sthetischen Urteilskraft, und fr ihren zweiten Teil, die Kritik der teleologischen Urteilskraft, zu unterscheidende Grnde. Die sthetische Urteilskraft hat keinen objektiven Gegenstandsbezug (vgl. v. a. KU B LII, V 194.32 – 37,

1.2 Kants Philosophiebegriff

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Ansehung des Gefhls der Lust und Unlust ein constitutives Princip“ (KU B LVII, V 197.9 f.), sie kann aber als Kritik der sthetischen Urteilskraft keine Propdeutik fr eine besondere Wissenschaft sein, „weil es keine Wissenschaft des Schçnen giebt noch geben kann“ (KU B 261, V 355.1 f.). Andererseits ist der Begriff der Zweckmßigkeit der Natur zwar „ein transcendentales Princip“ (KU B XXX, V 181.33 f.) und „noch zu den Naturbegriffen gehçrig“ (KU B LVII, V 197.6 f.), er ist aber nur „ein regulatives Princip des Erkenntnißvermçgens“ (KU B LVII, V 197.7 f.) und die Kritik der teleologischen Urteilskraft „[gehçrt] zum theoretischen Theile der Philosophie“ (KU B LII, 194.29 f.). Mit Blick auf die vertikale Stufung des Systems der Philosophie ist die Kritik der Urteilskraft demnach bloß der Kritik zuzuordnen. Sie ist aber ein notwendiger Teil „ihrer systematischen Einheit“ (KU B LVII, V 197.16). An die beiden Teile der Philosophie, den theoretischen und den praktischen, schließen sich gemß der vertikalen Stufung des allgemeinen Philosophiebegriffs jeweils metaphysische, d. h. durch die Kritik fundierte, Wissenschaften an: einerseits die Metaphysik der Natur und andererseits die Metaphysik der Sitten. Diese metaphysischen Wissenschaften sind in sich differenziert nach den Reflexionsbegriffen des Inneren und ußeren: Hinsichtlich der Metaphysik der Natur, deren Gegenstand „der Inbegriff aller Dinge [ist], so fern sie Gegenstnde unserer Sinne […] sein kçnnen“ (MAN IV 467.8 f.), sind es der „empirische[] Begriff einer Materie, oder eines denkenden Wesens“ (MAN IV 470.5), die ihren genuinen Gegenstandsbereich als Kçrperlehre oder Seelenlehre bezeichnen.65 Hinsichtlich

zum spezifischen Gegenstandsbezug der sthetischen Urteilskraft vgl. Dçrflinger 1988, bes. 140 – 177). Die teleologische Urteilskraft ist zwar auf Gegenstnde bezogene, aber darin bloß reflektierende Urteilskraft (vgl. v. a. KU B 365 f., V 417.1 – 17). Zum Verhltnis der KU zur „Doktrinalitt“ der theoretischen und praktischen Philosophie vgl. v. a. Bartuschat 1972. 65 Vgl. auch KrV B 875 f., III 547.23 – 27/548.1 – 8. Eine Seelenlehre (Psychologie) als metaphysische Wissenschaft ist Kant zufolge nicht mçglich. Denn ihr Gegenstand kann nicht konstruiert werden (vgl. MAN IV 471.13 – 21). Daher ist die Metaphysik der Natur mit den metaphysischen Anfangsgrnden der Kçrperlehre identisch. Kant ußert ferner einige Einwnde, wonach die Seelenlehre „auch nicht einmal als systematische Zergliederungskunst oder Experimentallehre“ (MAN IV 471.21 f.) mçglich ist. Sie kçnne lediglich als „systematische Naturlehre des inneren Sinnes, d. i. eine Naturbeschreibung der Seele“ (MAN IV 471.30 f.), durchgefhrt werden und sei insofern den historischen Naturlehren zuzuordnen. Vgl. dazu und zu einem an E. Husserls Phnomenologie anknpfenden Versuch, trotz der negativen Einschtzung Kants eine „Wissenschaft von der denkenden

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

der Metaphysik der Sitten, deren Aufgabe „die besondere Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten“ (KpV A 14, V 8.16, H. v. V.) ist, sind es die Gesetze der ußeren oder der inneren Freiheit, die ihren genuinen Gegenstandsbereich als Rechtslehre oder Tugendlehre ausmachen.66 Da sowohl die Kçrperlehre (Metaphysik der Natur) als auch die Rechts- und Tugendlehre (Metaphysik der Sitten) auf metaphysischen Prinzipien grnden, setzen sie empirische Begriffe voraus.67 Die derart ausgezeichneten Wissenschaften kçnnen folgerichtig nur als metaphysische Anfangsgrnde durchgefhrt werden, da sie auf „in der Erfahrung vorkommende Flle“ (MS VI 205.10) angewiesen sind. Gemß der vertikalen Stufung schließen an sie verschiedene empirische Lehren an, von denen Kant selbst nur theoretische – pragmatische Anthropologie und physische Geographie – systematisch ausgefhrt hat.68 Auf die moralische Anthropologie als „Gegenstck einer Metaphysik der Sitten“ (MS VI 217.9), die „aber nur die subjective[n] […] Bedingungen der Ausfhrung der Gesetze der ersteren […] enthalten wrde“ (MS VI 217.11 – 16), wird allerdings nicht nur in der „Vorrede“ zur GMS 69 und in der „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“ hingewiesen, sondern fr sie wesentliche Lehrstcke lassen sich in der Pd finden.70 Die philosophische Erkenntnis stellt sich damit als eine spezifische Erkenntnis und die Philosophie als ein spezifisch gegliedertes Ganzes dar, d. h. als System philosophischer Erkenntnis, das auch die die Erfahrungserkenntnis systematisierenden empirischen Lehren fundiert. Dieses System der Philosophie kann als Ausgangspunkt fr die Beantwortung der

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Natur“ analog zu Kants Vorgehen in den MAN durchzufhren Grnewald 2009, Kap. C.II, C.III, C.IV und D. Vgl. bes. MS VI 380.16 – 18. Dass die Metaphysik der Sitten insofern empirisch ,kontaminiert‘ ist, als sie „die besondere Natur des Menschen, die nur durch Erfahrung erkannt wird, zum Gegenstand nehmen msse“ (MS VI 217.1 – 3), erlutert Kant v. a. im zweiten Abschnitt der „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“ (vgl. MS VI 214.31 – 218.8). Kant nennt ein Prinzip metaphysisch, „wenn es die Bedingung a priori vorstellt, unter der allein Objecte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden kçnnen“ (KU B XXIX, V 181.18 – 20). Vgl. Anth und PG, außerdem Kants kleinere Schriften zur „Naturgeschichte“, z. B. GTP. Vgl. GMS IV 388.11 – 14. Vgl. dort v. a. den Abschnitt „Von der praktischen Erziehung“ (Pd IX 486.5 – 499.32, vgl. dazu auch Breil 1991, 190 – 195, bes. 194). Zur Frage nach dem Verhltnis von moralischer und pragmatischer Anthropologie vgl. auch Brandt 1991, 77 f.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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Frage dienen, ob und inwiefern der oben nachgezeichnete Kulturbegriff Kants als Gegenstand der Philosophie fungieren kann.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie Die Frage, ob Kultur als Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen ein Gegenstand der Philosophie ist, lsst sich auf triviale Weise, nmlich durch die Lektre der Schriften Kants beantworten. Sie ist dieser zufolge zu bejahen. Denn die Lektre der Schriften Kants zeigt, dass Kultur ein Gegenstand der Teleologie ist.71 Sie ist außerdem ein Gegenstand der Anthropologie.72 Die Lektre scheint aber auch zu zeigen, dass die Frage, inwiefern Kultur als Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen ein Gegenstand der Erkenntnis ist, lediglich durch den Verweis auf die teleologische Reflexion und die anthropologische Kenntnis beantwortet werden kann. Die durch den Kulturbegriff bezeichnete Sache scheint damit aber auch ausschließlich fr die teleologische Reflexion und fr die anthropologische Kenntnis von Interesse zu sein.73 Aus einem solchen Lektrebefund folgte mit Blick auf die geleistete Bestimmung des kantischen Philosophiebegriffs jedoch wiederum, dass die durch den Kulturbegriff bezeichnete Sache entweder – gnstigstenfalls – als ein Gegenstand der teleologischen Kritik oder bloß als Gegenstand der Anthropologie, und d. h. berhaupt nicht als philosophischer Gegenstand, gelten kann. Diese Folgerung setzt die Beantwortung der Frage nach der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs, mithin die Beantwortung der 71 Die relevanten Passagen befinden sich v. a. im § 83 der KU, ferner in den geschichtsphilosophischen Schriften IaG und MAM sowie im „Ersten Zusatz“ der Schrift ZeF. 72 Die relevanten Passagen sind zu finden v. a. im Abschnitt „Charakter der Gattung“ der Anth, ferner in Pd IX 441.1 – 450.14 und 466.6 – 493.10 sowie in der MS VI 386.30 – 387.23. 73 Auch in der „Kritik der sthetischen Urteilskraft“ findet der Kulturbegriff Erwhnung, da „[s]chçne Kunst […] die Cultur der Gemthskrfte zur geselligen Mittheilung befçrdert“ (KU B 179, V 306.3 – 5, vgl. dazu auch KU B 214, V 325.35 – 326.9, KU B 220 f., V 329.25 – 37 und KU B 262 f., V 355.24 – 356.7). Fr das Genie ist der „Geschmack […] so wie die Urtheilskraft berhaupt die Disciplin (Zucht)“ (KU B 203, V 319.28 f.). Vgl. ferner zur „vorbereitenden“ Funktion der Kultur fr eine angemessene Beurteilung des Erhabenen KU § 29. Von der Relevanz des Kulturbegriffs fr die sthetische Reflexion muss hier abgesehen werden.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Frage nach der Mçglichkeit einer Kulturphilosophie nach kantischen Maßgaben in den Stand eines ernstzunehmenden Problems. Um das Problem der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs deutlich werden zu lassen, sind Kants Behandlungen des Kulturbegriffs sowohl in der Kritik der teleologischen Urteilskraft (1) als auch in der pragmatischen Anthropologie (2) darzulegen. Darauf wird der nachgezeichnete (allgemeine) Philosophiebegriff auf den Kulturbegriff angewendet, wobei das Desiderat und die Mçglichkeit einer Theorie technischer Vernunft erkennbar werden (3). Sie ist der Versuch, die philosophische Qualifikation des Kulturbegriffs als Beantwortung der Frage nach der philosophischen Qualifikation des Begriffs ,technische Vernunft‘ und dessen mçglicher Realisierung durchzufhren. 1.3.1 Kultur als Gegenstand teleologischer Reflexion Kant gibt seine allgemeine Bestimmung des Kulturbegriffs74 im Kontext der Frage nach „dem letzten Zwecke der Natur als eines teleologischen Systems“ (KU B 388, V 429.26 f.). Da aus der Perspektive der reflektierenden Urteilskraft die Natur als „ein System von Zwecken“ (KU B 386, V 428.25) beurteilt werden kann, stellt sich die Frage nach ihrem letzten Zweck75. Denn dieser ist „zu der Mçglichkeit eines solchen Systems erforderlich“ (KU B 384, V 427.21). Die Antwort auf die Frage der reflektierenden Urteilskraft, wozu die Natur mit ihren „Produkten“ existiere, gibt Kant folgendermaßen: „Fr den Menschen zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn sein Verstand von allen jenen Geschçpfen machen lehrt, und er ist der letzte Zweck der Schçpfung hier auf Erden, weil er das einzige Wesen derselben ist, welches sich einen Begriff von Zwecken machen und aus einem Aggregat von zweckmßig gebildeten Dingen durch seine Vernunft ein System der Zwecke machen kann“ (KU B 383, V 426.35 – 427.3).

Der Mensch ist demnach nur insofern als letzter Zweck der Natur zu bestimmen, als er zu Zwecksetzung und Zweckverwirklichung fhig ist. Er ist letzter Zweck der Natur als ein zur Kultur befhigtes Naturwesen. Nur weil er technische Vernunft verwirklichen, d. h. Kultur leisten kann, kann 74 Vgl. oben Abschnitt 1.1. 75 Zur Unterscheidung zwischen einem „letzten Zweck der Natur“ und ihrem „Endzweck“ vgl. v. a. KU B 381 f., V 426.10 – 21 sowie die ausfhrliche Darstellung in Dsing 1968, 5. Kap., bes. 213 f. und 229 f.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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„die Cultur der letzte Zweck sein, den man der Natur in Ansehung der Menschengattung beizulegen Ursache hat“ (KU B 391, V 431.31 f.). Kants teleologische Bestimmung des Menschen qua zur Kultur befhigten Naturwesens als des letzten Zwecks der Natur fhrt zwei Probleme mit sich, die sie als ungeeignet fr eine positive Antwort auf die Frage nach der Mçglichkeit einer Kulturphilosophie erscheinen lassen: Denn einerseits steht jene Bestimmung unter dem Vorbehalt der bloß subjektiven Gltigkeit des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft (1) und andererseits ist sie in der „Methodenlehre“ der KU lediglich eine solche, die zur negativen Bestimmung desjenigen Gegenstandes der Teleologie dient, der ihr Gegenstand von genuin philosophischem Interesse ist (2): (1) Wie bereits bei der Darstellung des kantischen Philosophiebegriffs angemerkt76, gehçrt „[d]ie Teleologie als Wissenschaft […] zu gar keiner Doctrin, sondern nur zur Kritik und zwar eines besondern Erkenntnißvermçgens, nmlich der Urtheilskraft“ (KU B 366, V 417.15 – 17). Da die Naturwissenschaft „bestimmender und nicht bloß reflectirender Principien bedarf“ (KU B 365, V 417.2 f.), das der Urteilskraft eigene Prinzip77 aber nur subjektiv gltig ist, kann die Teleologie nicht der Naturwissenschaft zugeordnet werden. Denn die Urteilskraft „[schreibt] nicht der Natur (als Autonomie), sondern ihr selbst (als Heautonomie) fr die Reflexion ber jene, ein Gesetz vor[]“ (KU B XXXVII, V 185.37 – 186.1). Ihre Aufgabe ist nicht Gegenstandsbestimmung. Ihr transzendentales Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur ist vielmehr ein „regulatives Princip des Erkenntnißvermçgens“ (KU B LVII, V 197.7 f.). Daher kann die Natur zwar etwa mittels des Begriffs der ußeren Zweckmßigkeit als „ein System nach teleologischen Begriffen“ (KU B 365, V 417.8) vorgestellt werden78, allerdings ist eine solche „Aufstellung der Zwecke der Natur an ihren Producten“ (KU B 365, V 417.7) dann bloße Naturbeschreibung, „wo die Vernunft zwar ein herrlich unterrichtendes und praktisch in mancherlei Absicht zweckmßiges Geschft verrichtet, aber ber das Entstehen und die innere Mçglichkeit dieser Formen gar keinen Aufschluß giebt, worum es doch der theoretischen Naturwissenschaft eigentlich zu thun ist“ (KU B 365 f., V 417.10 – 14).

Die Natur wird in der Teleologie „als Wissenschaft“ also nicht bestimmt, sondern mithilfe von „teleologischen Begriffen“ beschrieben. Dieser 76 Vgl. oben Abschnitt 1.2.3. 77 Zum „Princip der formalen Zweckmßigkeit der Natur“ (KU B XXIX, V 181.13 u. ç.) vgl. v. a. Abschnitt V der „Einleitung“ der KU. 78 Vgl. dazu § 82 der KU.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Umstand ist fr Kant vor allem in methodologischer Hinsicht von Interesse. Zwar ist die Teleologie mit Blick auf die theoretische Philosophie „nur zur Kritik“ zu zhlen, mit Blick auf einige Teile der (empirischen) Naturlehre ist das transzendentale Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur als regulatives Prinzip allerdings notwendig.79 Kants Bestimmung des Menschen qua zur Kultur befhigten Naturwesens als des letzten Zwecks der Natur steht ebenfalls unter diesem Vorbehalt. Sie gibt den Ausgangspunkt fr systematische berlegungen zu einer „allgemeine[n] Geschichte“80 sowie zu einer „Garantie des ewigen Friedens“81. Die teleologische Naturbeschreibung ist in dieser Rcksicht nicht nur „ein herrlich unterrichtendes“, sondern auch ein „praktisch in mancherlei Hinsicht zweckmßiges Geschft“. Sie mag daher auch eine begrndungstheoretische Relevanz fr historische und politische Wissenschaften haben.82 Fr die philosophische qua teleologische Reflexion ist Kants Bestimmung des Menschen als des letzten Zwecks der Natur jedoch lediglich ein Zwischenschritt fr die Beantwortung der Frage nach dem Endzweck der Natur. Allein diese ist ein genuin philosophisches Problem. (2) Auch auf die Funktion der Teleologie, die beiden Gegenstandsbereiche der Philosophie („Natur“ und „Freiheit“) zu vermitteln, wurde bereits bei der Darstellung des kantischen Philosophiebegriffs hingewiesen.83 Diese Funktion ist ihre philosophische, d. h. ihre Funktion nicht mit Blick auf ihre Relevanz fr einige Teile der (empirischen) Naturlehre, sondern mit Blick auf das System der philosophischen Erkenntnis. Der Teleologie kann eine solche Funktion zukommen, da aus der Perspektive der reflektierenden Urteilskraft dem „Problem des bergangs“84 eine Lçsung zukommt. Denn, so Kant im letzten Abschnitt der „Einleitung“ in die KU, mittels des Begriffs der Zweckmßigkeit der Natur

79 Dies betrifft einerseits die Beschreibung organisierter Wesen und der Natur als System der Zwecke (vgl. v. a. KU §§ 66 – 68 sowie GTP) und andererseits die Geschichte (vgl. v. a. IaG). 80 Vgl. IaG, bes. erster bis vierter Satz, der die teleologische Bestimmung des Menschen als des letzten Zwecks der Natur als „ein[] Leitfaden a priori“ (IaG VIII 30.29 f.) zugrunde liegt. 81 Vgl. den ersten „Zusatz“ in ZeF (ZeF VIII 360.10 – 368.20). 82 So z. B. Breil 1991, 176 – 190. Zum Zusammenhang von Teleologie, Geschichte und Politik bei Kant vgl. auch Mertens 1995 und Weil 2001, 101 – 124. 83 Vgl. oben Abschnitt 1.2.3. 84 Vgl. Dsing 1968, Kap. 3.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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„wird die Mçglichkeit des Endzwecks, der allein in der Natur und mit Einstimmung ihrer Gesetze wirklich werden kann, erkannt“ (KU B LV, V 196.9 – 11).

Die Frage nach der „Mçglichkeit des Endzwecks“ „in der Natur“ ist eine Frage fr die reflektierende Urteilskraft. Sie ist bereits ein Problem fr die naturteleologische Reflexion. Denn die Vorstellung der Natur als eines „Systems der Zwecke“ impliziert die Vorstellung einer „absichtlich wirkenden Ursache“ (KU B 397, V 434.17 f.) und mit ihr die Frage „nach dem objectiven Grunde […], der diesen productiven Verstand zu einer Wirkung dieser Art bestimmt haben kçnne“ (KU B 397, V 434.23/435.1 f.). Wenn die reflektierende Urteilskraft also die Gesamtheit der Naturprodukte als Wirkung eines „productiven Verstandes“ versteht, dann stellt sich die Frage, welchen Zweck dieser mit seiner „Schçpfung“ (KU B 396, V 434.6 u. ç.) verfolge. Diesen „objectiven Grund“ nennt Kant den „Endzweck, wozu dergleichen Dinge da sind“ (KU B 397, V 435.2 f.).85 Die Bestimmung dieses „Endzwecks“ vermag die naturteleologische Reflexion allerdings nicht zu leisten. Sie ist nur fr die Bestimmung des letzten Zwecks der Natur hinreichend.86 Der letzte Zweck der Natur ist der Mensch als zur Kultur befhigtes Naturwesen, d. h. als technisch-vernnftiges Wesen. Der Endzweck der Natur ist dagegen der Mensch „als Noumenon betrachtet“ (KU B 398, V 435.20), d. h. als moralisches Wesen.87 Die Bestimmung des Endzwecks ist demnach eine moralteleologische. Mithilfe dieser Bestimmung wird wiederum eine Bestimmung des Begriffs der „ersten Ursache als obersten Grundes im Reiche der Zwecke“ (KU B 413, V 444.7 f.) mçglich88 und „die moralische Teleologie [ergnzt] den Mangel der physischen und grndet […] eine Theologie“ (KU B 414, V 444.28 – 30). Der Umschlag von naturteleologischer zu moralteleologischer Reflexion ist ein fr die reflektierende Urteilskraft notwendiger. Sie lçst daher das „Problem des bergangs“, indem sie den Begriff des Endzwecks der Natur bestimmt. Die 85 Zum Begriff ,Endzweck‘ vgl. auch KU B 381 f., V 425.34 – 426.14. 86 „Wenn wir aber die ganze Natur durchgehen, so finden wir in ihr als Natur kein Wesen, welches auf den Vorzug, Endzweck der Schçpfung zu sein, Anspruch machen kçnnte; und man kann sogar a priori beweisen: daß dasjenige, was etwa noch fr die Natur ein letzter Zweck sein kçnnte, nach allen erdenklichen Bestimmungen und Eigenschaften, womit man es ausrsten mçchte, doch als Naturding niemals ein Endzweck sein kçnnte“ (KU B 382, V 426.15 – 21, vgl. auch KU B 397 f., V 435.4 – 14). Vgl. dazu auch Dsing 1968, 212 – 216. 87 Vgl. dazu bes. KU B 398 f., V 435.15 – 436.2. 88 Vgl. KU B 413, V 444.1 – 11.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Teleologie erhlt damit fr die Philosophie die Funktion einer „Propdeutik“ zur Theologie.89 Kants Ausfhrungen zum Kulturbegriff in der KU sind also lediglich als Zwischenschritt fr die Beantwortung der Frage nach der „Mçglichkeit des Endzwecks“ „in der Natur“ zu verstehen. Einerseits dienen sie offenkundig der Przisierung des Begriffs eines Endzwecks im Unterschied zum Begriff eines letzten Zwecks. Andererseits sind sie als moralteleologische Ausdeutung desjenigen Umstandes, dass der Mensch ein zur Kultur befhigtes Wesen ist, zu interpretieren. Dass der Mensch ein zur Kultur befhigtes Wesen ist, kann so als „Vorbereitung“ auf den Endzweck gedeutet werden.90 Die Realisierung technischer Vernunft kann damit in der moralteleologischen Reflexion zwar als Beitrag zur Moralisierung des Menschen verstanden und dem Kulturbegriff einige philosophische Relevanz zugesprochen werden. Jedoch ist mit der moralteleologischen Ausdeutung des Kulturbegriffs gar keine (philosophische) Erkenntnis angezeigt.91 Sie weist der Kultur als Tatsache lediglich eine Stelle im teleologischen Weltentwurf 92 der reflektierenden Urteilskraft zu. 1.3.2 Kultur als Gegenstand anthropologischer Kenntnis Die Fhigkeit des Menschen zur Realisierung technischer Vernunft (Kultur) dient in der pragmatischen Anthropologie als das spezifische 89 Allein die moralteleologische Reflexion erzeugt nach Kant einen fr die Theologie angemessen bestimmten Gottesbegriff. Vgl. dazu Dçrflinger 2010a, bes. 81 – 84. 90 Zu dieser Deutung vgl. Dsing 1968, Kap. 5, bes. 229 – 234. 91 Darauf weist K. Dsing auch hin (vgl. Dsing 1968, 230 f.). Die moralteleologische Bestimmung des Endzwecks (Mensch qua Noumenon) ist philosophische Erkenntnis (vgl. dazu KU B LV f., V 196.2 – 22), die moralteleologische Deutung des Kulturbegriffs dagegen nicht. So stellt Dsing die moralteleologische Deutung der Kultur als Vorbereitung des Endzwecks auch nur anhand sthetischer Beurteilung dar (vgl. Dsing 1968, 231 – 233). Kultur qua Realisierung technischer Vernunft kann aber nicht als notwendige Bedingung zur Realisierung des Endzwecks erkannt werden. Denn sie macht „den Menschen nicht sittlich besser“ (KU B 395, V 433.33), sondern kann gnstigstenfalls „den Menschen zu einer Herrschaft vor[bereiten], in welcher Vernunft allein Gewalt haben soll“ (KU B 395, V 433.34 – 36), und „uns so eine Tauglichkeit zu hçheren Zwecken, die in uns verborgen liegt, fhlen lassen“ (KU B 395, V 434.1 – 3, H. v. V., vgl. ferner KU B 394, V 433.9 f.). 92 Die Verwendung des Begriffs ,Weltentwurf‘ lehnt sich an Hiltscher 2006b, 309 – 311 an.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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Merkmal, das zur Bestimmung der Gattung ,Mensch‘ hinreichend ist. Da die Klassifizierung der Gattung ,Mensch‘ durch den Begriff „eines irdischen vernnftigen Wesen“ (Anth VII 321.20 f.) insofern problematisch ist, als „wir von vernnftigen, nicht-irdischen Wesen keine Kenntniß haben“ (Anth VII 321.22 f.), diese aber fr eine gelingende Klassifizierung notwendig wre, bietet Kant zufolge die Fhigkeit des Menschen zur Kultur die einzige Mçglichkeit, dessen Gattung zu charakterisieren: „Es bleibt uns also, um den Menschen im System der lebenden Natur seine Classe anzuweisen und so ihn zu charakterisiren, nichts brig als: daß er einen Charakter hat, den er sich selbst schafft, indem er vermçgend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfectioniren; wodurch er als mit Vernunftfhigkeit begabtes Thier (animal rationabile) aus sich selbst ein vernnftiges Thier (animal rationale) machen kann“ (Anth VII 321.29 – 35).

Mittels Kultur qua Realisierung technischer Vernunft „schafft sich der Mensch selbst“ einen Charakter. Damit wird die Fhigkeit zur „Perfectionirung […] durch fortschreitende Cultur“ (Anth VII 322.10 f.) zum spezifischen Merkmal des Begriffs ,irdisch vernnftiges Wesen‘.93 Kant nennt diesen auch die „Idee mçglicher vernnftiger Wesen auf Erden berhaupt“ (Anth VII 322.4 f.). Mit dieser Idee ist die zur Klassifizierung der Gattung ,Mensch‘ notwendige Vergleichsgrçße gewonnen. Sie erlaubt es, das „Charakteristische der Menschengattung“ (Anth VII 322.3 f.) zu bestimmen: die natrliche „Zwietracht“ (Anth VII 322.5 f.)94 als Mittel zur Realisierung der „Perfectionirung durch Cultur“ als Zweck. Die anthropologische Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ grndet also auf der Naturteleologie. Die anthropologische Tatsache der „Zwietracht“ des Menschen wird gedeutet als „Triebfeder […] alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum hçchsten Grade zu entwickeln“ (KU B 394, V 433.13 – 15,

93 Kant gliedert in der Folge die Fhigkeit eines „irdisch vernnftigen Wesens“ zur Perfektionierung in „seine technische (mit Bewußtsein verbunden-mechanische) zu Handhabung der Sachen, […] seine pragmatische (andere Menschen zu seinen Absichten geschickt zu gebrauchen) und […] die moralische Anlage in seinem Wesen (nach dem Freiheitsprincip unter Gesetzen gegen sich und andere zu handeln)“ (Anth VII 322.13 – 18). 94 Vgl. auch IaG VIII 21.29 – 31, MAM VIII 118.6, ZeF VIII 360.14 – 16. Sachlich deckt sich der Begriff ,natrliche Zwietracht‘ mit dem „Antagonism“ der Natur, der von Kant auch als „ungesellige Geselligkeit der Menschen“ (IaG VIII 20.30 f.) bezeichnet wird. Vgl. den gesamten „Vierten Satz“ der IaG, ferner z. B. Kleingeld 1995, 174 – 177.

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H. v. V.)95. Sie ist Teil „in dem Plane der Natur“ (Anth VII 322.19), den die naturteleologische Reflexion entwirft. Kants anthropologische Bestimmung des Menschen mittels des Merkmals der Befhigung zur Kultur ist in zweifacher Hinsicht als fr die Mçglichkeit einer Kulturphilosophie ungeeignet einzuschtzen: erstens in Hinsicht auf ihren philosophisch relevanten Gehalt (1) und zweitens in Hinsicht auf ihren Erkenntnisanspruch (2): (1) Die anthropologische Bestimmung des Menschen mittels des Merkmals der Befhigung zur Kultur ist hinsichtlich ihres philosophisch relevanten Gehalts nur teleologische Deutung einer Tatsache. Insofern treffen sie die gleichen Vorbehalte, die bereits Kants teleologische Bestimmung des Menschen qua zur Kultur befhigten Naturwesens als des letzten Zwecks der Natur getroffen haben. Die Schwierigkeit der Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ wird durch das Verfahren der reflektierenden Urteilskraft, die zu einem gegebenen Besonderen (Gattung ,Mensch‘) „das Allgemeine finden soll“ (KU B XXVI, V 179.25), gelçst. Da das Prinzip der (reflektierenden) Urteilskraft, das „Princip der Zweckmßigkeit der Natur“ (KU B XXIXf., V 181.31 f. u. ç.), nur subjektive Gltigkeit beanspruchen kann, kann auch die gelingende Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ („Perfectionirung durch Cultur“) lediglich eine subjektive Gltigkeit beanspruchen. Die anthropologische Bestimmung deckt sich soweit mit der teleologischen. Sie macht ber die teleologische Bestimmung des Menschen qua zur Kultur befhigten Naturwesens als des letzten Zwecks hinaus nur deutlich, dass sich die naturteleologische Reflexion an dem ihr durch die anthropologische Kenntnis gebotenen (empirischen) Material bewhrt. Sie bewhrt sich an ihm insofern, als selbst eine anthropologische Tatsache wie „die Zwietracht, die unserer Gattung so natrlich ist“ (IaG VIII 25.24), naturteleologisch gedeutet werden kann und fr eine gelingende Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ auch naturteleologisch gedeutet werden muss. Denn allein die naturteleologische Deutung ermçglicht die fr die Anthropologie relevante Lçsung des Problems der Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘. Fr die Anthropologie qua empirischer Naturlehre ist eine Lçsung dieses Problems nicht mçglich, „weil die Auflçsung durch Vergleichung zweier Species vernnftiger Wesen durch Erfahrung angestellt sein mßte, welche die letzte uns nicht darbietet“ (Anth VII 321.26 – 28). 95 Das gegebene Zitat aus dem § 83 der KU hat nicht die „Zwietracht“ als solche, sondern den „Krieg“ zum Gegenstand (vgl. KU B 393 f., V 432.37 – 433.15).

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Die anthropologische Bestimmung des Menschen mittels des Merkmals der Befhigung zur Kultur ist demnach eine naturteleologische. Sie ist Bestimmung mittels „der Idee mçglicher vernnftiger Wesen auf Erden berhaupt“ (Anth VII 322.4 f., H. v. V.). Diese durch die reflektierende Urteilskraft erzeugte Idee, die als „Allgemeines“ fr die Klassifizierung der Gattung ,Mensch‘ fungieren kann, erlaubt die Kennzeichnung der anthropologischen Bestimmung des Menschen als einer Bestimmung a priori der empirisch gegebenen Gattung ,Mensch‘. Sie mag daher zwar eine philosophische Bestimmung genannt werden – aber als solche ist sie nicht genuin anthropologisch, sondern naturteleologisch. (2) Die anthropologische Bestimmung des Menschen mittels des Merkmals der Befhigung zur Kultur ist schließlich als fr die Mçglichkeit einer Kulturphilosophie ungeeignet einzuschtzen, da sie auch ausschließlich die Grundlage fr eine „systematische Naturbeschreibung“ (GTP VIII 161.20) der Gattung ,Mensch‘ ist. Sie ist zwar, wie bemerkt, insofern als eine Bestimmung a priori zu kennzeichnen, als sie mittels einer durch die reflektierende Urteilskraft erzeugten Idee zustande gebracht wird. Ihre Entfaltung in einer Anthropologie ist aber lediglich Beschreibung der „uns […] bekannten Naturanlagen“ (Anth VII 329.1 f.), d. h. nicht philosophische Erkenntnis, sondern bloß Kenntnis und Teil empirischer Naturlehre. Da die Anthropologie, sofern sie dasjenige beschreibt, „was er [der Mensch, S.K.] als freihandelndes Wesen aus sich selber macht, oder machen kann und soll“ (Anth VII 119.13 f.), als pragmatische von der „physiologische[n] Menschenkenntniß“ (Anth VII 119.11) unterschieden ist, ist der Gegenstand ihrer „systematischen Naturbeschreibung“ des Menschen zwar auch „seine Bestimmung“ (Anth VII 329.14 f.). Mithin gehçrt auch die Darstellung der Gattung ,Mensch‘ „als eine[r] aus dem Bçsen zum Guten in bestndigem Fortschreiten unter Hindernissen emporstrebende[n] Gattung vernnftiger Wesen“ (Anth VII 333.3 – 5) zu ihrem Aufgabenbereich.96 Zur Lçsung dieser Aufgabe versammelt sie aber lediglich die empirische Menschenkenntnis unter einer Idee als einem „architektonischen Begriff, welches ein Begriff ist, bei dem das Mannigfaltige aus dem Ganzen abgeleitet wird“ (PG § 2, IX 158.21 f.).97

96 Vgl. dazu den gesamten letzten Abschnitt der Anth („Grundzge der Schilderung des Charakters der Menschengattung“, Anth VII 330.3 – 333.22). 97 Vgl. auch Kants Bemerkungen zur pragmatischen Anthropologie in § 2 der PG (PG IX 157.25 – 32).

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1.3.3 Kulturlehre und Theorie technischer Vernunft Beide im Werk Kants auffindbaren Perspektiven auf die durch den Kulturbegriff bezeichnete Sache sind mit Rcksicht auf den nachgezeichneten Philosophiebegriff und in Hinblick auf die Frage nach der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs als problematisch zu beurteilen. Denn sie qualifizieren den Kulturbegriff nicht hinreichend fr die philosophische Reflexion. Wenn nach der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion im Sinne Kants gefragt wird, kann mit Rcksicht auf den nachgezeichneten Kulturbegriff sowie auf den nachgezeichneten Philosophiebegriff vorerst gesagt werden: Wenn Kultur nichts anderes als Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen und Philosophie nichts anderes als das System von Erkenntnissen a priori aus Begriffen mit Gegenstandsbezug ist, dann msste Kulturphilosophie einen Teil dieses Systems von Erkenntnissen a priori aus Begriffen mit Gegenstandsbezug ausmachen – nmlich denjenigen Teil, der genau diejenigen Erkenntnisse a priori umfasst, die sich von der Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen auffinden lassen. Sie wre daher als derjenige Teil der Philosophie anzusetzen, der die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit einer spezifischen Erkenntnis zum Gegenstand hat, nmlich derjenigen von technischem Entwerfen, Handeln und seinen Produkten. Als derjenige Teil der Philosophie, der die notwendigen Bedingungen a priori der Erkenntnis von technischem Handeln und seinen Produkten zum Gegenstand hat, kçnnen aber weder (1) die Teleologie noch (2) die Anthropologie bestimmt werden: (1) Da die Teleologie fr die (empirische) Naturlehre lediglich ein regulatives Prinzip bereitstellt und fr die Theologie bloß als Propdeutik taugt, bietet sie keine Mçglichkeit fr eine eigenstndige philosophische Qualifikation des Kulturbegriffs. Dieser ist fr die teleologische Reflexion nur in Hinsicht auf die „Idee einer Weltgeschichte“ (IaG VIII 30.29) einerseits und in Hinsicht auf die Beantwortung der Frage nach einem „Endzwecke des Daseins einer Welt“ (KU B 396, V 434.5) andererseits relevant. Beide Hinsichten sind fr die Mçglichkeit einer Kulturphilosophie offenkundig unzureichend. Sie sind unzureichend, weil sie den Kulturbegriff nicht als den Begriff fr ein spezifisches Handeln und eine spezifische Gegenstndlichkeit auszeichnen. Sie zeichnen den Kulturbegriff lediglich als einen solchen aus, der als empirischer Begriff einer teleologischen Deutung fhig ist. Die teleologische Deutung des Kulturbegriffs ist zwar durchaus als philosophische Erkenntnis zu bestimmen. Allerdings ist sie als solche lediglich von subjektiver Gltigkeit bzw. von

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spezifischem, nmlich „moralische[m] Interesse“ (KU B 439, V 459.2). Weder ist sie Erkenntnis technischen Handelns als spezifischen Handelns noch technischer Gegenstndlichkeit als spezifischer Gegenstndlichkeit. Da die teleologische Deutung des Kulturbegriffs dem durch ihn bezeichneten Gegenstand bloß seine Stelle in der „Natur als eines teleologischen Systems“ (KU B 388, V 429.26 f.) zuweist, liefert sie zwar eine fr die philosophische Reflexion brauchbare Bestimmung des Kulturbegriffs als „Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernnftigen Wesens zu beliebigen Zwecken berhaupt“ (KU B 391, V 431.28 – 30). Die ihr wesentlichen Bestimmungsstcke, „Hervorbringung“ (Realisierung) und „Tauglichkeit zu beliebigen Zwecken“ (technische Vernunft), werden aber nur soweit zum Gegenstand der philosophischen Reflexion, als sie zum Gegenstand teleologischer Reflexion gemacht werden. Indem der Kulturbegriff ausschließlich auf diese Weise philosophisch qualifiziert wird, ist eine genuin philosophische Erkenntnis des durch ihn bezeichneten Gegenstands allein als teleologische Erkenntnis mçglich, aber als objektive Erkenntnis im Sinne einer „Doctrin oder demonstrirte[n] Theorie“ (Log IX 14.34)98 unmçglich. (2) Da die Anthropologie hinsichtlich ihres philosophisch relevanten Gehalts nur teleologisch fundiert ist und hinsichtlich ihrer Funktion als spezifischer (empirischer) Naturlehre nur Menschenkenntnis systematisch versammelt, bietet auch sie keine Mçglichkeit fr eine eigenstndige philosophische Qualifikation des Kulturbegriffs. Dieser ist fr die anthropologische Kenntnis in Hinsicht auf die Charakterisierung der Gattung ,Mensch‘ von Bedeutung. Auch diese Hinsicht ist fr die Mçglichkeit einer Kulturphilosophie offenkundig unzureichend. Sie ist unzureichend, weil sie gar keine philosophische Erkenntnis des durch den Kulturbegriff bezeichneten Gegenstands ist. Wie gesehen, ist die anthropologische Kenntnis nur Naturbeschreibung. Ihr philosophisch relevanter Gehalt erschçpft sich in der teleologischen Bestimmung des Menschen und seiner Fhigkeiten. Da Kant die Kultur als Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen bestimmt, ist der durch den Kulturbegriff 98 Zur (allgemeinen) Logik als Doktrin vgl. auch KrV B 78, III 76.36 – 77.2. Eine philosophische Doktrin als besondere Sachlehre hat ein ihr eigenes „Gebiet in Ansehung der Objecte“ (KU B XX, V 176.20, vgl. dazu bes. Bartuschat 1972, z. B. 15 – 17). In ihr sind die „besonderen Principien […] bestimmend“ (KU B LII, V 194.30 f.). Dagegen fragt die Kritik, „ob und wie nach der Bewandtniß, die es mit unseren Vermçgen hat, eine Doctrin durch sie mçglich sei“ (KU B XX, V 176.21 f.). Zum Unterschied zwischen ,Kritik‘ und ,Doktrin‘ vgl. auch KrV B 25 f., III 43.7 – 44.2.

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bezeichnete Gegenstand notwendigerweise auch Gegenstand der Anthropologie. Die Anthropologie ist sogar in ausgezeichneter Weise mit ihm beschftigt. Sie ist aber empirische Lehre („Kenntnis“) und damit nicht Teil der Philosophie. Insofern Kultur Gegenstand anthropologischer Kenntnis ist, muss die Kulturlehre Kants als anthropologisches Lehrstck, mithin als teleologisch fundierte empirische Lehre gelten. Beispielhaft fr die derart ausgezeichnete Kulturlehre ist Kants teleologische Deutung des empirischen Befunds der „Zwietracht“ als „Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen“ (IaG VIII 20.26 f.).99 Beispielhaft fr jene sind auch Kants spezifizierende Bestimmungen der Kultur als „Verschaffung der Geschicklichkeit“ (Pd IX 449.32 f.), Zivilisierung und Disziplinierung.100 Alle drei Bestimmungen setzen das Wollen „von Zwecken, die der Mensch sich nach sinnlichen Antrieben seiner Natur macht“ (MS VI 385.19 f.), voraus. Da „der Begriff des Begehrungsvermçgens als eines Willens doch empirisch gegeben werden muß“ (KU B XXX, V 182.4 f., H. v. V.)101 und zudem das Wollen hierbei „durch Triebfedern der Natur […] bestimmt“ (KU B XIV, V 172.30 f.) wird, kann eine „die Regel der Klugheit in der Wahl [der] Zwecke enthaltende […] Zwecklehre“ (MS VI 385.22 – 24) nur als pragmatische Zwecklehre bestimmt werden. Diese wird von Kant folgerichtig und ausdrcklich der „Naturlehre (hier der Anthropologie)“ (MS VI 385.26) zugeordnet und „[beruht] auf empirischen Principien“ (MS VI 385.27).102 Damit kann aber die anthropologische Kenntnis von dem durch den Kulturbegriff bezeichneten Gegenstand keinen Teil der Philosophie als System philosophischer Erkenntnis ausmachen. Wenn ein Teil der Philosophie zurecht als Kulturphilosophie bezeichnet werden kann, dann muss er diejenigen Erkenntnisse a priori umfassen, die sich von der Realisierung technischer 99 100 101 102

Vgl. den gesamten Abschnitt zum „Vierte[n] Satz“ der IaG (IaG VIII 20.25 – 22.4). Vgl. oben Abschnitt 1.1. Vgl. dazu unten Abschnitte 3.1.1, 4.1.1 und 4.3. „[S]o und noch weniger darf […] die Haus-, Land-, Staatswirthschaft, die Kunst des Umganges, die Vorschrift der Ditetik, selbst nicht die allgemeine Glckseligkeitslehre, sogar nicht einmal die Bezhmung der Neigungen und Bndigung der Affecten zum Behuf der letzteren zur praktischen Philosophie gezhlt werden, oder […] wohl gar den zweiten Theil der Philosophie berhaupt ausmachen; weil sie insgesammt nur Regeln der Geschicklichkeit, die mithin technisch-praktisch sind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen mçglich ist“ (KU B XIV, V 173.3 – 13). Sie sind als solche auch „bloße[] Corrolarien aus […] der Naturwissenschaft“ (KU B XV, V 173.14 f., vgl. auch EEKU XX 200.4 – 6)

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Vernunft unter menschlichen Bedingungen auffinden lassen. Eine anthropologische Kulturlehre kann dieser Bedingung nicht gengen. Mit der Disqualifizierung sowohl der teleologischen als auch der anthropologischen Perspektive auf den durch den Kulturbegriff bezeichneten Gegenstand als Antworten auf die Frage nach der Mçglichkeit einer Kulturphilosophie unter Maßgabe des kantischen Philosophiebegriffs scheint zugleich die Frage nach der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion im Sinne Kants selbst obsolet zu werden. Dieser Schein resultiert allerdings aus einem schlichten Lektrebefund. Er besagt, dass sich in den Schriften Kants lediglich eine Kulturlehre als teleologisch fundierte Teillehre der (pragmatischen) Anthropologie auffinden lsst. Ihn zu erklren, erforderte ausfhrliche philosophiehistorische Analysen.103 Ihn als Schein zu entlarven und die Frage nach der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion nicht bloß zu verneinen, sondern mit ausdrcklichem Blick auf Kants Bestimmung des Philosophiebegriffs zu beantworten, erforderte zuerst eine Anwendung desselben auf den nachgezeichneten Kulturbegriff. Die Anwendung des kantischen Philosophiebegriffs auf den kantischen Kulturbegriff kann (und muss in Anbetracht des genannten Lektrbefunds) vorerst ohne Rcksicht auf solche Textauszge aus dem Werk Kants erfolgen, die als Beleg fr eine philosophische Qualifikation des Kulturbegriffs dienen kçnnen. Der erste Schritt einer solchen Anwendung wurde bereits mit der am Anfang des vorliegenden Abschnitts genannten berlegung vollzogen. Diese besagt, dass Kultur nur genau dann ein Gegenstand der Philosophie ist, wenn ,Erkenntnis a priori aus Begriffen mit Gegenstandsbezug‘ von der ,Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen‘ mçglich ist. Entsprechend wre eine Kulturphilosophie als derjenige Teil der Philosophie zu bestimmen, der die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erkenntnis von technischem Handeln als technischem Handeln und seinen Produkten als Produkten zum Gegenstand hat. Diese berlegung ist in einem zweiten Schritt nur noch zu entfalten, um einschtzen zu kçnnen, in welchem Sinne der Kulturbegriff fr die philosophische Reflexion im Sinne Kants qualifiziert sein kann. 103 In Anbetracht des Umstandes, dass Kants Kulturbegriff in der philosophiehistorischen Forschung kaum Beachtung findet, scheint er mit Blick auf seinen philosophiehistorischen Kontext nicht sonderlich originell zu sein. Wenn beachtet, wird er zumeist als exemplarisch fr das Kulturverstndnis der Aufklrung betrachtet (vgl. z. B. Rodi 1990, 179). Hervorgehoben wird ferner Kants Unterscheidung von „Kultur“ und „Zivilisation“ (vgl. z. B. Perpeet 1976, Sp. 1318 und Rodi 1990, 180).

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Die philosophische Erkenntnis ist durch die Bestimmungsstcke ,Aprioritt‘, ,Diskursivitt‘ und ,Gegenstandsbezug‘ ausgezeichnet. Daher muss die Entfaltung der berlegung zur mçglichen philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs mit der Betrachtung des Kulturbegriffs hinsichtlich jener Bestimmungsstcke beginnen. Diese Betrachtung macht hinsichtlich der Bestimmungsstcke ,Diskursivitt‘ und ,Gegenstandsbezug‘ keine Schwierigkeiten. Da sich der Kulturbegriff selbst problemlos als empirischer Begriff 104 verstehen lsst, kann er zumindest formal zwei der Bedingungen fr philosophische Erkenntnis erfllen. Fr seine mçgliche philosophische Qualifikation ist demnach seine Beurteilung hinsichtlich des Bestimmungsstcks ,Aprioritt‘ entscheidend. Der Umstand, dass der Kulturbegriff selbst ein empirischer Begriff ist, disqualifiziert ihn noch nicht fr jene.105 Es stellt sich vielmehr die Frage nach dem Verhltnis von Kulturbegriff und Aprioritt. Die Bestimmung des Kulturbegriffs lautet: ,Realisierung von technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen‘. Die Disqualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion erfolgt offenkundig erst, sofern sich die Reflexion106 ausdrcklich auf einen bestimmten Teil dieser Bestimmung richtet. Denn sobald von der Bestimmung des Kulturbegriffs derjenige Teil zum Gegenstand der Reflexion wird, der ,Realisierung unter menschlichen Bedingungen‘ lautet, bleibt nur noch die Aufgabe der Beantwortung der Frage: Auf welche Weise kann technische Vernunft unter menschlichen Bedingungen realisiert werden? Ihre Beantwortung setzt ein Wissen um ,menschliche Bedingungen‘, d. h. anthropologische Kenntnis, mithin empirisches Wissen voraus. Diese Voraussetzung ist notwendige Bedingung einer Kulturlehre als teleologisch fundierter Teillehre der (pragmatischen) Anthropologie und zugleich die Disqualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion. Die (empirische) Kulturlehre soll demnach die Frage beantworten, wie technische Vernunft unter menschlichen Bedingungen realisiert wird bzw. werden kann. Indem sie diese Frage beantworten soll, hat sie notwendi104 Unter einem empirischem Begriff kann hier noch recht unbestimmt ein „a posteriori gegebene[r] Begriff[]“ (Log § 4, IX 93.23) bzw. ein Begriff mit empirischer (objektiver) Realitt verstanden werden. Zur Differenzierung vgl. unten Abschnitte 2.2.1 und 3.2.1. 105 Schließlich zeichnet es die philosophische Erkenntnis qua metaphysische Erkenntnis geradezu aus, Erkenntnis a priori von Begriffen zu sein, deren objektive Realitt sich nicht a priori ausweisen lsst (vgl. oben Abschnitt 1.2.2). 106 Der Begriff ,Reflexion‘ wird hier in einem unprtentiçsen, alltglichen Sinne verwendet.

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gerweise auch schon die Frage, wer technische Vernunft realisiert, beantwortet. Die Antwort kann nur lauten: der Mensch. Die philosophisch relevanten Implikationen dieser Antwort kçnnen nur Gegenstand der teleologischen Reflexion sein. Diese weist dem Menschen als demjenigen, der technische Vernunft realisiert, seine Stellung in der Natur als einem „System nach teleologischen Begriffen“ (KU B 365, V 417.8) zu. Wie bereits angemerkt, erfllt die teleologische Reflexion zwar die Bedingung der Aprioritt. Sie ist aber nach dem bereits Angefhrten fr die philosophische Qualifikation des Kulturbegriffs unzureichend. Als unzureichend muss sie auch eingeschtzt werden, weil sie mit Blick auf Kants Bestimmung des Kulturbegriffs die Antwort auf eine weitere Frage schuldig bleibt. Denn es bleibt als noch offene Aufgabe die Beantwortung der Frage, was unter endlichen Bedingungen realisiert wird bzw. werden kann oder soll. Mit ihr wird derjenige Teil der Bestimmung des Kulturbegriffs thematisiert, der bisher nicht fr seine Disqualifikation fr die philosophische Reflexion verantwortlich gemacht wurde. Die Frage nach der Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion lsst sich demnach auch als Frage nach der philosophischen Qualifikation des Begriffs ,technische Vernunft‘ stellen. Die Beantwortung der Frage nach der philosophischen Qualifikation des Begriffs ,technische Vernunft‘ umfasst zugleich die Beantwortung der Frage nach der mçglichen Realisierung desselben. Sie muss diese umfassen, wenn der Begriff ,technische Vernunft‘ diejenige Bedingung philosophischer Erkenntnis erfllen soll, die als ,Gegenstandsbezug‘ bezeichnet wurde. Im Unterschied aber zur teleologischen bzw. anthropologischen Bestimmung des Kulturbegriffs muss die Beantwortung der Frage nach der mçglichen Realisierung des Begriffs ,technische Vernunft‘ in dem Sinne als philosophische Erkenntnis formulierbar sein, dass sie auf eine objektive philosophische Erkenntnis abzielt. Allein in diesem Sinne wre sie als philosophische Erkenntnis von derjenigen teleologischen Reflexion unterschieden, die das durch den Kulturbegriff Bezeichnete zum Gegenstand hat. Allein in diesem Sinne wre sie auch diejenige Antwort auf die Frage nach dem Verhltnis von Kulturbegriff und Aprioritt, die den Kulturbegriff nicht nur als empirischen Begriff bestimmt. In Anbetracht der Sachlage, dass durch die teleologisch-anthropologische Kulturlehre Kants der Begriff ,technische Vernunft‘ unthematisiert bleibt, kann die Qualifikation des Kulturbegriffs fr die philosophische Reflexion also auch als Beantwortung der Frage nach der philosophischen Qualifikation des Begriffs ,technische Vernunft‘ und dessen mçglicher Realisierung versucht werden. Die Beantwortung dieser Frage soll als

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,Theorie technischer Vernunft‘ bezeichnet werden. Diese Bezeichnung soll deutlich werden lassen, dass jener Versuch nur der theoretischen Philosophie zuzuordnen ist. Diese Zuordnung hat ihren Grund nicht nur in Kants Unterscheidung zwischen technisch-praktischen und moralischpraktischen Prinzipien.107 Sie hat vielmehr auch ihren Grund darin, dass die projektierte Theorie technischer Vernunft gar nicht das Wollen („Begehrungsvermçgen“) als „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt“ (KU B XII, V 172.4 f.) zu ihrem primren Gegenstand hat. Denn das Wollen betrifft allein die Realisierung des Begriffs ,technische Vernunft‘. Genauer gesagt, betrifft der empirische „Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens“ (KU B XXX, V 182.4) nur die empirische Realisierung108 derjenigen Begriffe, die zwar als „Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens nach Principien“ (KpV A 103, V 59.1 f.) zu bezeichnen sind.109 Solche Begriffe sind jedoch nicht nur als „Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens“ zu bezeichnen, sondern allein mit Blick auf ihre empirische Realisierung. Fr eine Theorie technischer Vernunft angemessener ist Kants Bezeichnung dieser Begriffe als ,Zwecke‘ bzw. ,Begriffe von Zwecken‘.110 Sie ist angemessener, da sie zwar die Eigenart solcher Begriffe hinreichend verdeutlicht, aber die Mçglichkeit(en) ihrer Realisierung sprachlich nicht festlegt. Die Eigenart solcher Begriffe ist es, dass sie Begriffe von noch nicht realisierten, aber zu realisierenden Gegenstnden sind. Im Unterschied etwa zu empirischen Begriffen entsprechen sich im Falle von Zwecken bzw. Begriffen von Zwecken ihr (begrifflicher) Gehalt und ihre (objektive) Realitt gerade nicht. Dieser Umstand, nicht ihre mçgliche Qualifikation als „Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens“ ist das Spezifikum derjenigen Begriffe, die als Zwecke bzw. Begriffe von Zwecken bezeichnet werden. Er ist damit auch das Spezifikum des Begriffs ,technische Vernunft‘. Der Versuch einer Theorie technischer Vernunft ist also der theoretischen Philosophie zuzuordnen.111 Er schließt nicht nur die „moralisch107 Vgl. dazu v. a. Kants Ausfhrungen im ersten Abschnitt der „Einleitung“ der KU (KU B XII – XVI, V 172.4 – 173.36), ferner GMS IV 414.12 – 421.8, KpV A 37 f., V 20.21 – 21.11 und EEKU XX 197.10 – 200.6. 108 Vgl. dazu unten die Abschnitte 3.3.3, 4.1.1, 4.1.3 und 4.3. 109 Der Gegenstand eines solchen Begriffs wird daher von Kant auch als „Gegenstand der Willkr (eines vernnftigen Wesens)“ (MS VI 381.4) bezeichnet. 110 Vgl. zu Kants Zweckbegriff nach dem Textbestand unten Abschnitt 2.1.1. 111 Die Einschtzung R. Konersmanns, Kulturphilosophie sei im Anschluss an Kant als „praktische Disziplin“ zu bestimmen, ist aus der hier vorgeschlagenen Perspektive zu korrigieren (vgl. Konersmann 20102, 9).

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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praktischen Vorschriften, die sich gnzlich auf dem Freiheitsbegriffe mit vçlliger Ausschließung der Bestimmungsgrnde des Willens aus der Natur grnden“ (KU B XV, V 173.17 – 19), von seinem Gegenstandsbereich aus, sondern thematisiert selbst die „technisch-praktische[n] Regeln (d. i. die der Kunst und Geschicklichkeit berhaupt, oder auch der Klugheit […]), so fern ihre Principien auf Begriffen beruhen“ (KU B XIII, V 172.23 – 26), ausschließlich in Hinsicht auf die mçgliche Realisierung technischer Vernunft.112 Als besonderer Teil der theoretischen Philosophie thematisiert der Versuch einer Theorie technischer Vernunft vielmehr einen besonderen Gegenstandstyp und dessen spezifische Prinzipien. Dieser besondere Gegenstandstyp umfasst all diejenigen Objekte, die neben den fr Gegenstndlichkeit berhaupt konstitutiven Prinzipien zudem noch durch den Zweckbegriff bestimmt und somit als ,Hervorzubringendes‘ bzw. ,Hervorgebrachtes‘ zu bezeichnen sind. Die einen Gegenstand als Kulturobjekt in diesem Sinne, also als durch technische Vernunft ,Hervorzubringendes‘ bzw. ,Hervorgebrachtes‘, spezifizierenden Prinzipien mssen ein philosophisch relevantes Moment aufweisen, damit die Frage nach der Qualifikation des Kulturbegriffes fr die philosophische Reflexion mittels einer Theorie technischer Vernunft affirmativ beantwortet werden kann. Damit eine spezifische, objektive philosophische Erkenntnis von dem durch den Kulturbegriff bezeichneten Gegenstand als mçglich angesehen werden kann, muss demzufolge Erkenntnis a priori vom Fungieren technischer Vernunft, d. h. sowohl von Zwecksetzung als auch von Zweckverwirklichung, erzielt werden.113

112 Die projektierte Theorie technischer Vernunft ist daher auch nicht als Handlungstheorie zu bezeichnen. Zu ihrer handlungstheoretischen Relevanz sowie zu ihrer Behandlung hypothetischer Imperative, technisch-praktischer Regeln und Maximen vgl. unten Abschnitte 4.1.1 und 4.3. 113 In Anlehnung an Kants berhmt-berchtigte Fragen der Philosophie ist die einer Theorie technischer Vernunft zugrunde liegende Frage weder der Frage „Was kann ich wissen?“ (KrV B 833, III 522.32, vgl. auch Log IX 25.3) noch der Frage „Was soll ich thun?“ (KrV B 833, III 522.33, vgl. auch Log IX 25.4) zuzuordnen. Sie msste vielmehr lauten: „Was kann ich tun?“. Dieser Bemerkung soll hier aber lediglich ein illustrativer Wert zugemessen werden. Denn Kants berchtigte Fragen der Philosophie betreffen die Philosophie in ihrer „weltbrgerlichen Bedeutung“ (Log IX 25.1), d. h. die „Philosophie nach dem Weltbegriff“. Als Teil des Systems philosophischer Erkenntnis kann die Antwort der Theorie technischer Vernunft auf die Frage „Was kann ich tun?“ ungeachtet dessen nur spezifische philosophische Erkenntnis sein, also spezifische Erkenntnis a priori mit Gegenstandsbezug.

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

Eine Kulturphilosophie unter Maßgabe des kantischen Philosophiebegriffs ist also als Theorie technischer Vernunft zu rekonstruieren. Zweierlei muss an dieser Stelle dem Vorangegangenen hinzugefgt werden. Denn die projektierte Rekonstruktion mag (a) auf Vorbehalte mit Blick auf den verwendeten Kulturbegriff sowie (b) auf Vorbehalte mit Blick auf die Relevanz einer (philosophischen) Theorie technischer Vernunft treffen: (a) Die mçglichen Vorbehalte mit Blick auf den verwendeten Kulturbegriff kçnnten sich in der Befrchtung einer Reduktion des durch den Kulturbegriff bezeichneten Gegenstands auf den durch den Technikbegriff bezeichneten Gegenstand ußern. Ihnen ist zu entgegnen, dass es mit Blick auf den Kulturbegriff allein von der durch den Technikbegriff bezeichneten Sache auch philosophische Erkenntnis im oben angegebenen Sinne geben kçnnte. Entscheidend fr ein angemessenes Verstndnis dieser These ist ein Bedenken sowohl des Technikbegriffs Kants als auch des Kulturbegriffs Kants. Da der erste maßgeblich durch den Zweckbegriff bestimmt ist114, scheint er weiter gefasst zu sein als andere, in jngerer Zeit gngige Technikbegriffe.115 Da der zweite, wie gesehen, bei Kant allein die Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen bezeichnet, wre jener Reduktionismus Kant selbst zuzurechnen. Fr die Rekonstruktion einer Theorie technischer Vernunft ist aber im Folgenden auch ausschließlich der Kulturbegriff Kants maßgeblich. Er ist dabei maßgeblich in seiner engen Fassung, d. h. als „Verschaffung der Geschicklichkeit“ (Pd IX 449.32 f.).116 Mithin ist er maßgeblich in seiner 114 Vgl. dazu nochmals bes. EEKU XX 234.30 – 34, mithin Kants Verwendung des Begriffs ,Technik‘ z. B. in KU B 321, V 390.33 – 37, KU B 322, V 391.16 f. und KU B 324 f., V 393.4 – 6. Vgl. ferner auch die Artikel ,Technik der Natur‘ und ,technisch-praktisch‘ in Eisler 1930 und unten v. a. Abschnitt 3.3.3. 115 Stellvertretend sind hier der Technikbegriff der kritischen Theorie und der Systemtheorie zu nennen. So bestimmt etwa M. Horkheimer den Technikbegriff gerade mittels einer Differenzierung des Zweckbegriffs selbst, indem er jenen wesentlich durch den Begriff ,Mittel‘ bestimmt sieht (vgl. etwa Horkheimer 1991, 27 – 74). Durch die grundstzliche Kritik am Zweckbegriff verliert dieser auch seine Bestimmungsfunktion fr den Technikbegriff der Systemtheorie (vgl. dazu Luhmann 1991). Dagegen kann hier ferner angemerkt werden, dass in der heutigen Methodenlehre der (angewandten) Technikwissenschaften der Zweckbegriff durchaus als konstitutiv fr den „Sinn eines technischen Produkts“ (Koller 19984, XXVI) erachtet wird, wobei der Begriff ,technisches Produkt‘ ein „[f ]r einen bestimmten Zweck erstelltes stoffliches Gebilde“ (Koller 19984, XXIV) bezeichnet. 116 Vgl. oben Abschnitt 1.1. Die Differenzierung innerhalb des weiten Kulturbegriffs ist dagegen eine anthropologische. Sie ist nicht mehr primrer Gegenstand einer Theorie technischer Vernunft im angegebenen Sinne (vgl. dazu unten Abschnitt 4.3).

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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Bestimmtheit durch den Technikbegriff. Denn Kultur ist zweckhaftes Geschehen, sie ist „Hervorbringung der Tauglichkeit zu beliebigen Zwecken“. Vernunft als zwecksetzende und zweckverwirklichende Vernunft ist technische Vernunft. Wenn also die Rekonstruktion einer Theorie technischer Vernunft als eine Reduktion verstanden werden sollte, dann ist auch auf ihren Geltungsanspruch zu verweisen. Insofern von der durch den Kulturbegriff bezeichneten Sache allein technische Vernunft als ihr Konstituens die Bedingung der Aprioritt erfllt, kann auch allein eine Theorie technischer Vernunft den Kulturbegriff fr die philosophische Reflexion qualifizieren. Mit Blick auf die durch den Kulturbegriff bezeichnete Sache kann ausschließlich die Konstitution kulturellen Handelns als technischen Handelns und kultureller Objekte als technischer Produkte durch technische Vernunft als Gegenstand mçglicher spezifischer Erkenntnis a priori als kulturphilosophischer Erkenntnis gelten. Eine Kulturphilosophie mag daher als bloße Theorie technischer Vernunft im kantischen System der Philosophie erscheinen. Dies mag wiederum in mancherlei Hinsicht als unzureichend beurteilt werden. Nach Maßgabe sowohl des kantischen Kulturbegriffs als auch des kantischen Philosophiebegriffs ist ein solcher Reduktionismus aber als einzige Mçglichkeit der philosophischen Qualifikation des Kulturbegriffs zu beurteilen. (b) Die Vorbehalte mit Blick auf die Relevanz einer (philosophischen) Theorie technischer Vernunft kçnnten beispielsweise den Nutzen einer solchen Theorie fr die (angewandten) Technikwissenschaften117 in Frage stellen. Und ohne Zweifel bedarf die Hervorbringung technischer Produkte keiner entwickelten Theorie technischer Vernunft. Ferner sind von dieser weder Einsichten in einen ethisch vertretbaren Umgang mit technischen Produkten noch Reflexionen ber wnschenswerte ethische Kompetenzen technischer Konstrukteure zu erwarten. Allerdings gilt die Ausarbeitung einer spezifischen Methodenlehre („Konstruktionslehre“) der (angewandten) Technikwissenschaften als nicht abgeschlossen.118 Eine solche kann offenkundig auch nicht durch die projektierte Theorie technischer Vernunft gegeben werden. Jedoch kann sie fr jene manche Vor117 Die Bezeichnung ,(angewandte) Technikwissenschaften‘ wird hier als Synonym fr die Bezeichnung ,Ingenieurwissenschaften‘ verwendet. 118 Fr eine allgemeine Kennzeichnung der Konstruktionslehre qua spezifischer Methodenlehre vgl. z. B. Jung 1989, 1 f. und Koller 19984, 2 – 5. Ein grundstzliches Problem mit Blick auf die Ausarbeitung einer solchen Konstruktionslehre betrifft die Frage nach dem Stellenwert der (funktionalen) Gestaltbildung und damit geometrischer Methoden bei der Konstruktion technischer Produkte (vgl. dazu v. a. Jung 1989, z. B. 1 – 4, 27 – 32).

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1 Kultur als Gegenstand der Philosophie

arbeit leisten. Exemplarisch kçnnen hier zwei Punkte genannt werden. Sie betreffen einerseits die Frage nach dem grundstzlich (technisch) Hervorbringbaren, andererseits die Frage nach dem fr die (technische) Hervorbringung grundstzlich Verfgbaren.119 Beide Fragen betreffen unmittelbar den primren Gegenstand einer Theorie technischer Vernunft, mithin die Erkenntnis a priori vom Fungieren technischer Vernunft, d. h. sowohl von Zwecksetzung als auch von Zweckverwirklichung. Denn was berhaupt hervorgebracht, d. h. objektiv gltig als Zweck(objekt) gesetzt, werden kann, und was berhaupt als Mittel fr dessen Hervorbringung gelten kann, ist durch diese anzugeben – sofern es a priori erkannt werden kann. Beide Fragen sind auch nachweislich relevant fr die spezifische Methodenlehre der (angewandten) Technikwissenschaften.120 Die Frage, inwiefern eine nach Maßgabe des kantischen Philosophiebegriffs entwickelte Theorie technischer Vernunft einzelne allgemeine Erkenntnisse, wissenschaftstheoretische Grundlagen oder das Selbstverstndnis der heutigen spezifischen Methodenlehre der (angewandten) Technikwissenschaften tatschlich besttigen, korrigieren oder erweitern kann, darf hier beiseite gestellt werden. Sie wre dazu aber befugt. Denn als philosophische 119 Es kçnnen an dieser Stelle auch weitere Punkte angefhrt werden, z. B. die Frage nach der Klassifikation (mçglicher) technischer Produkte oder die Frage nach der Beurteilung technischer Produkte mit Blick auf die ihnen zugrunde liegenden Zwecke (vgl. zu dieser zweiten Frage auch unten Abschnitt 4.1.2.2). – Fr in der heutigen Konstruktionslehre gngige Vorschlge zur Beantwortung der ersten Frage vgl. z. B. Koller 19984, 25 – 32. Die Beantwortung der zweiten Frage ist etwa fr die Einschtzung der Innovativitt einzelner Produktarten (vgl. z. B. Koller 19984, 509 – 521, bes. 513 – 515) oder fr die Einschtzung der Neuheit, Fortschrittlichkeit und „Erfindungshçhe“ technischer Lçsungen (vgl. dazu ausfhrlich Koller 19984, 523 – 546, bes. 527 f., 530 – 533, 543 f.) relevant. 120 Die Frage nach dem Hervorbringbaren wird in der Konstruktionslehre (bloß formal) durch den ersten notwendigen Schritt methodisch geleiteten Konstruierens technischer Produkte beantwortet: die Aufgabenstellung qua „Zweckbeschreibung“ unter Angabe der „Zweckforderungen“ und „weiterer Forderungen“ (vgl. etwa Koller 19984, 11 – 22, bes. 11 – 15), die je nach konkretem Zweck inhaltlich neu ausgefhrt werden muss. Die Frage nach dem fr die Hervorbringung Verfgbaren wird in der Konstruktionslehre durch den „1. Hauptsatz der Konstruktionslehre“ (vgl. Koller 19984, 87 – 92) beantwortet. In seiner ausfhrlichen Formulierung nach R. Koller lautet er: „[D]ie Lçsungsvielfalt fr technische Aufgabenstellungen ist durch die von der Natur vorgegebene Vielfalt existierender Elementarfunktionen (elementare Ttigkeiten), Effekte, Effekttrger, Gestalt- und Oberflchenelemente sowie mçgliche physikalische Grçßen (Energieart und Energiezustnde), deren Variations- und Konstruktionsmçglichkeiten begrenzt. Weitere Mittel sind nicht bekannt“ (Koller 19984, 91 f.). Die Antworten der Konstruktionslehre auf beide Fragen werden demnach empirisch gerechtfertigt.

1.3 Kant und das Problem einer Kulturphilosophie

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Theorie, die die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erkenntnis von technischem Handeln und seinen Produkten zum Gegenstand hat, wre sie der spezifischen Methodenlehre der (angewandten) Technikwissenschaften in ihrer fundierenden Funktion vorzuordnen. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Eine Untersuchung der durch den Kulturbegriff bezeichneten Sache von philosophischer Valenz ist nach Maßgabe des kantischen Philosophiebegriffs als Theorie technischer Vernunft durchzufhren. Kulturphilosophie ist damit als derjenige Teil der Philosophie zu bestimmen, der die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erkenntnis von technischem Entwerfen, Handeln und seinen Produkten zum Gegenstand hat. Ihr primres Lehrstck ist die Behandlung des Zweckbegriffs und der mit diesem einhergehenden Begriffe der Zwecksetzung und Zweckverwirklichung. Da einerseits das Vermçgen technischer Vernunft als „eine besondere Art von Causalitt“ (KU B 321, V 391.1 f., H. v. V.)121 zu bestimmen ist, andererseits seinem Begriff augenscheinlich bloß durch Verweis auf die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ (EEKU XX 234.33 f., H. v. V.) objektive Realitt zugesprochen werden kann, liegt es nahe, die spezifische philosophische Erkenntnis einer Theorie technischer Vernunft als metaphysische Erkenntnis zu bestimmen. Als derart ausgezeichneter Doktrin kommt der Theorie technischer Vernunft die Aufgabe zu, den empirisch gegebenen Begriff der „Causalitt nach Ideen“ (KU B 320, V 390.28 f.)122 a priori zu erweitern, so dass seine „Objecte […] apriori weiter bestimmt werden kçnnen“ (KU B XXIX, V 181.19 f.).

121 Das Zitat bezieht sich im Text der KU nicht ausdrcklich auf das Vermçgen technischer Vernunft, sondern auf „das productive Vermçgen der Natur nach Endursachen“ (KU B 321, V 390.37 – 391.1). Um aber den Begriff ,produktives Vermçgen der Natur nach Endursachen‘ zu erzeugen, ist es Kant zufolge notwendig, den Begriff ,technische Vernunft‘ „der Natur der Analogie nach unterzulegen“ (KU B 320, V 390.29). Vgl. dazu auch unten Abschnitt 3.3.3. 122 Die Wendung „Kausalitt nach Ideen“ bezeichnet hier den selben Begriff wie z. B. Kants Wendung „Caussalitt der Vernunft von Objecten, die darum zweckmßig oder Zwecke heißen“ (EEKU XX 234.31 f.), d. h. den Begriff ,technische Vernunft‘. Inwiefern Kants Kennzeichnung des Prinzips der technischen Vernunft als eines „subjectiven Princip[s]“ (KU B 320, V 390.28, H. v. V.) die Qualifikation einer Theorie technischer Vernunft als spezifischer objektiver Erkenntnis gefhrdet bzw. mit ihr zu vereinbaren ist, ist zu zeigen.

Kapitel 2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff 2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand Der Zweckbegriff hat innerhalb zahlreicher Stcke der kritischen Philosophie Kants offensichtlich eine herausragende Stellung, die sich nicht nur fr die praktische Philosophie und die Naturteleologie, sondern bereits fr die Erkenntnislehre der ersten Kritik nachweisen lsst.1 Dieser einhelligen Meinung in der Kantforschung steht allerdings die Tatsache entgegen, dass eine konzise Bestimmung sowie Verortung des Zweckbegriffs, seines Ursprungs und seiner Differenzierung alles andere als simpel zu sein scheint. Bereits darber, welcher spezifischen Art von Begriffen der fr die einzelnen Stcke der kritischen Philosophie Kants relevante Zweckbegriff angehçrt, scheint Uneinigkeit zu herrschen. So wird er gelegentlich bloß allgemein als „Zweckgedanke“2, nicht selten aber auch in spezifischer Hinsicht als „Zweckidee“3 oder gar als „Zweckkategorie“4 bezeichnet. Gemein ist solchen Bestimmungen, dass dem Zweckbegriff, sei es explizit oder bloß implizit, Aprioritt zugesprochen wird. In welchen Verhltnissen allerdings der als Begriff a priori ausgezeichnete Zweckbegriff zu anderen Begriffen a priori, etwa den Kategorien oder den (transzendentalen) Ideen, steht, bleibt dagegen zumeist ebenso unthematisiert wie etwa die Differenzierung des Zweckbegriffs in spezifische Zweckbegriffe (Naturzweck, Zweck der Willkr, mithin Endzweck, letzter Zweck etc.). Um zumindest Klarheit darber zu gewinnen, ob sich im Kantischen Textkorpus berhaupt eine konsistente Begriffsbestimmung dessen, was ein Zweck sei, finden lsst, muss zuerst die Textlage geprft werden. Darauf kann der Versuch unternommen werden, den Zweckbegriff seinem begrifflichen Status und seinem Verhltnis zu den von Kant angefhrten verschiedenen Begriffsarten nach genauer zu bestimmen und die mit der Exposition seines begrifflichen Gehalts verbundenen Probleme zu eruieren. 1 2 3 4

Vgl. etwa Konhardt 1979 und Dçrflinger 2000. Vgl. z. B. Pfannekuche 1901. Vgl. z. B. Bauch 19212, 300 f., Dçrflinger 2000, 14 f., Hiltscher 2008, 134 f. und Konhardt 1979, 166 – 182. Vgl. z. B. mit Blick auf Kants Lehre vom Schçnen Kulenkampff 19942, 128.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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2.1.1 Mehrdeutigkeit des Zweckbegriffs Schlgt man in den Schriften Kants diejenigen Passagen nach, die einer nheren Bestimmung bzw. Definition des Zweckbegriffs dienen, sieht man sich mit einem ersten, terminologischen Problem konfrontiert. Denn die Textlage ist alles andere als eindeutig. Das trifft bereits auf die Definitionen des Zweckbegriffs von allgemeinerer, noch unspezifizierter Art zu. Im vierten Abschnitt der „Einleitung“ der KU gibt Kant folgende allgemeine Definition: „[D]er Begriff von einem Object, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objects enthlt, [heißt] der Zweck“ (KU B XXVIII, V 180.30 f.).

Das durch den Terminus ,Zweck‘ Bezeichnete wird hier als ein Begriff bestimmt, der den „Grund der Wirklichkeit“ des durch ihn bezeichneten Objekts „enthlt“. Inwiefern ein Begriff den „Grund der Wirklichkeit“ des durch ihn gemeinten Objekts „enthalten“ kann, wird noch zu klren sein.5 Worauf es hier vorerst ankommt, ist Kants Auffassung, dass ein Zweck ein Begriff sei. Diese Auffassung scheint auch durch die folgende Definition aus der nicht von Kant verçffentlichten EEKU besttigt zu werden: „[D]ie besondere Vorstellung eines Ganzen, welche vor der Mçglichkeit der Theile vorhergeht, [ist] eine bloße Idee […], und diese, wenn sie als der Grund der Caussalitt angesehen wird, [heißt] Zweck“ (EEKU XX 236.4 – 7).

Da Ideen nach Kant Begriffe6 sind, wird auch hier das durch den Terminus ,Zweck‘ Bezeichnete als Begriff bestimmt, nmlich als ein Begriff, welcher der spezifischen Begriffsklasse der Ideen zugehçrt. Das der ,Zweckidee‘ Eigentmliche ist dabei, dass sie „Grund der Caussalitt“ ist. Auch die Frage, inwiefern ein Begriff qua Idee „Grund der Caussalitt“ sein kann, wird spter zu klren sein.7 Nach den beiden angefhrten Stellen scheint vorerst festzustehen, dass Kant unter Zwecken Begriffe versteht. Dagegen lassen sich zwei weitere einschlgige Definitionen des Terminus ,Zweck‘ anfhren, nach denen Kant einen Zweck gerade nicht als Begriff bestimmt. Ebenfalls in der KU, zu Beginn der Erluterung des dritten Moments der Geschmacksurteile (§ 10), ist zu lesen: „Wenn man, was ein Zweck sei, nach seinen transcendentalen Bestimmungen (ohne etwas Empirisches, dergleichen das Gefhl der Lust ist, vorauszusetzen) 5 6 7

Vgl. unten Abschnitt 2.1.2 und bes. Kapitel 3. Vgl. z. B. KrV B 377, III 250.10 – 14. Vgl. unten Abschnitt 2.1.2 und bes. Kapitel 3.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

erklren will: so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Mçglichkeit) angesehen wird“ (KU B 32, V 219.31 – 220.3),

und in § 77 der KU, der die Mçglichkeit des Naturzwecks erlutert, findet sich folgende Definition: „[D]as Product […] einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist, [heißt] ein Zweck“ (KU B 350, III 408.4 – 6).

Nach diesen beiden Definitionen ist ein Zweck gerade kein Begriff, sondern „Gegenstand eines Begriffs“ bzw. „Product einer Vorstellung“. Und schließlich findet sich in § 15 der KU auch noch die folgende Definition des Zweckbegriffs: „Zweck berhaupt [ist] dasjenige […], dessen Begriff als der Grund der Mçglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann“ (KU B 45, V 227.14 f.).

Hier ist es nicht eindeutig, ob „Zweck“ einen Begriff oder einen Gegenstand bezeichnet. Zwar ist der „Zweck“ selbst hier augenscheinlich kein Begriff, sondern „dasjenige, dessen Begriff“ als etwas „angesehen werden kann“, nmlich als „Grund der Mçglichkeit des Gegenstandes“. Er ist damit aber auch nicht der „Gegenstand“ selbst, etwa als Produkt, sondern der Grund von dessen Mçglichkeit. Offensichtlich hneln sich alle fnf genannten Definitionen in ihren Bestimmungsstcken insofern, als ein eigentmliches Kausalverhltnis zwischen einem Begriff (Vorstellung) und des durch ihn bezeichneten Gegenstandes (Objekt, Produkt) konstatiert wird. Die hnlichkeit geht sogar soweit, dass die Phrase aus B XXVIII: „sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objects“, mit derjenigen aus B 32: „sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Mçglichkeit)“ und derjenigen aus B 45: „als der Grund der Mçglichkeit des Gegenstandes“, leicht zu verwechseln ist. Wird allerdings einerseits der „Grund der Wirklichkeit“ eines Gegenstandes als enthalten in einem Zweckbegriff und andererseits aber das Produkt (Wirkung) eines urschlichen Begriffs als Zweck bestimmt, so stellt sich die Frage: Bezeichnet der Begriff ,Zweck‘ einen bestimmten Begriff eines Gegenstandes oder einen bestimmten Gegenstand eines Begriffs? Durch die Tatsache, dass sich die angefhrten Passagen in ein und demselben Werk Kants (bzw. in einer Vorarbeit dazu) finden lassen, gewinnt diese Frage an Brisanz – nicht zuletzt, wenn man die exponierte Stellung der Begriffe ,Zweck‘ und ,Zweckmßigkeit‘ innerhalb des Unternehmens der KU bedenkt.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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Den genannten fnf Definitionen des Zweckbegriffs ist eigen, dass sie ihr Definiendum augenscheinlich nicht mittels eines Rekurses auf den Begriff des Begehrungsvermçgens erklren.8 Unbestritten sind es vor allem moralphilosophische und handlungstheoretische Kontexte, fr die der Zweckbegriff, gerade auch fr Kant, eine ausgezeichnete Relevanz besitzt. So sind etwa in der MS zwei Definitionen des Zweckbegriffs zu finden, an denen diese Relevanz auch leicht abzulesen ist. Im ersten Abschnitt der „Einleitung zur Tugendlehre“ schreibt Kant: „Zweck ist ein Gegenstand der Willkr (eines vernnftigen Wesens), durch dessen Vorstellung diese zu einer Handlung diesen Gegenstand hervorzubringen bestimmt wird“ (MS VI 381.4 – 6).

Und im dritten Abschnitt heißt es ganz hnlich: „Zweck ist ein Gegenstand der freien Willkr, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt (wodurch jener hervorgebracht wird)“ (MS VI 384.33 f.).

Beide Definitionen bestimmen einen Zweck als „Gegenstand der Willkr“, den es durch „Handlung“ „hervorzubringen“ gilt. Die „Vorstellung“ dieses Zwecks qua Gegenstand bestimmt die „Willkr“ zu einer solchen hervorbringenden Handlung. Insofern lsst sich sagen, dass der Zweck hier von Kant als ein entworfener, aufgegebener oder antizipierter Gegenstand gedacht wird. Die „Vorstellung“ von diesem Gegenstand ist dabei von dem Gegenstand selbst durchaus zu unterscheiden, wenn der Gegenstand selbst erst noch „hervorgebracht“ werden soll.9 Demnach ist hier also ein Zweck der Gegenstand der Willkr, die Vorstellung eines Zwecks dagegen bestimmt die Willkr „zu einer Handlung“. Dagegen definiert Kant in der KpV mit Blick auf das Verhltnis von Vernunft und Wille bzw. Willkr den Zweckbegriff folgendermaßen: 8

9

Dagegen bestimmt A. Pfannkuche den Zweckbegriff als „nach Kant im Grunde psychologisch abgeleitet und zwar aus dem Willensphnomen“ (Pfannkuche 1901, 65). Diese „Ableitung“ nimmt er ferner als „die einzig mçgliche“ an (ebd., 53). Dem ist allerdings zu widersprechen. Zwar sind Zweckbegriff und Begehrungsvermçgen de facto miteinander verbunden; dass der Zweckbegriff aus dem „Willensphnomen“ „abgeleitet“ werden kann und insofern – trotz des von Pfannkuche mit Nachdruck attestierten „unaustilgbaren und somit apriorischen Bestand[es]“ (ebd.) – bloß empirischen Ursprungs ist, ist fraglich. Die Vorstellung des Gegenstandes kann dabei bereits eine wirkliche sein, whrend der vorgestellte Gegenstand als „Zweck“ gerade noch nicht wirklich ist. Bereits insofern kçnnen beide nicht identisch sein. Vgl. in anderem Zusammenhang auch Willaschek 1991, 303.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

„[Zwecke sind] jederzeit Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens nach Principien“ (KpV A 103, V 59.1 f.).

Hier scheint sich nun die bereits konstatierte Ambiguitt des Zweckbegriffs zu wiederholen. Zwar bezeichnet Kant gelegentlich auch einen „Gegenstand“ als „Bestimmungsgrund des Begehrungsvermçgens“10, jedoch msste genau genommen von der „Vorstellung eines Gegenstandes“ als einem solchen „Bestimmungsgrund“ die Rede sein. Kant selbst hat diese Unterscheidung in § 2 der KpV (mit besonderem Blick auf empirischpraktische Prinzipien) getroffen: „[D]er Bestimmungsgrund der Willkr ist alsdann die Vorstellung eines Objects und dasjenige Verhltnis derselben zum Subject, wodurch das Begehrungsvermçgen zur Wirklichmachung desselben bestimmt wird“ (KpV A 39, V 21.21 – 24, H. v. V.).

Wenn aber Zwecke Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens sind, solche Bestimmungsgrnde wiederum nicht Gegenstnde, sondern Vorstellungen (sowie ferner ihr „Verhltnis zum Subject“, d. h. „Lust“, vgl. KpV A 39, V 21.24 f.) sind, dann sind Zwecke eben gerade nicht Gegenstnde, sondern Vorstellungen (Begriffe, Ideen). Zusammen mit dem in den genannten Zitaten aus der MS geußerten Gedanken einer „Hervorbringung“ lsst sich hierfr auch noch Kants Definition des Begehrungsvermçgens aus der „Vorrede“ zur KpV anfhren: „Das Begehrungsvermçgen ist das Vermçgen [eines Wesens], durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm., V 9.20 – 22, H. v. V.).

Diese Definition enthlt zwar nicht das Wort ,Zweck‘, jedoch ist es nach den vorangegangenen beiden Zitaten naheliegend, hier das Wort ,Vorstellungen‘ problemlos durch das Wort ,Zwecke‘ auszutauschen. Nach dieser berlegung bezeichnet der Zweckbegriff nicht den antizipierten Gegenstand selbst, sondern eben die Vorstellung dieses Gegenstandes. Es stellt sich also die Frage: Bezeichnet der Terminus ,Zweck‘ im Kontext menschlicher Praxis den „Bestimmungsgrund der Willkr“, also die Vorstellung (Begriff, Idee) des Gegenstandes der Willkr, oder den „Gegenstand der Willkr“, also den aufgegebenen, hervorzubringenden Gegenstand selbst? Nach der herausgestellten Zweideutigkeit des Zweckbegriffs in den Schriften Kants ist unklar, ob Zwecke nach Kant Begriffe resp. Vorstel10 Vgl. z. B. KpV A 48, V 27.7 – 9.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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lungen oder (hervorzubringende) Produkte resp. Gegenstnde sind. Selbst wenn die Deutungsmçglichkeit, Zwecke seien (bloß) Begriffe, vorlufig beiseite gesetzt wird und Zwecke explizit als Gegenstnde aufgefasst werden, bleibt der Begriff ,Gegenstand‘ hier ebenfalls zweideutig. Unklar ist nmlich, ob der Terminus ,Zweck‘ fr den in einer Vorstellung (Begriff, Idee) antizipierten, zu bewirkenden Gegenstand, also den „Gegenstand der Willkr“, oder fr den realisierten, bewirkten Gegenstand, also fr das „Product“, reserviert werden soll. Sicher ist der antizipierte, zu bewirkende Gegenstand nur in einem Begriff von ihm prsent – dies zeichnet ihn als noch nicht realisierten Gegenstand gerade aus. Dennoch kann er sowohl von seinem Begriff als auch vom realisierten, bewirkten Gegenstand (Produkt) unterschieden werden. Allgemein betrachtet, scheint das sachliche Problem, das mit den genannten Passagen aus Kants Schriften angezeigt ist, genau dieses Verhltnis von (1) urschlicher Vorstellung (Begriff, Idee), (2) dem vorgestellten, zu bewirkenden Gegenstand und (3) dem gewirkten Gegenstand (Produkt) zu betreffen. Ein Gegenstand, den es – aus welchen Grnden auch immer – zu realisieren gilt (vorgestellter, zu bewirkender Gegenstand), muss zuerst als ein mçglicher, zu bewirkender Gegenstand in einer Vorstellung gesetzt werden (urschliche Vorstellung), um realisiert werden und nach vollzogener Realisierung als Produkt der Setzung sowie der Realisierung gelten (gewirkter Gegenstand, Produkt) zu kçnnen. Damit ist die begriffliche Explikation des Terminus ,Zweck‘ mit dem sprachlichen Problem konfrontiert, welchem der drei Verhltnisglieder nun eigentlich nach Kant der Name ,Zweck‘ zukomme. 2.1.2 Objektive Realitt des Zweckbegriffs Dieses sprachliche Problem lsst sich bloß durch sorgfltige Lektre und akribisches Aufsammeln von Zitaten offenbar nicht lçsen. Ein prgnantes Beispiel fr diesen Missstand ist die folgende Passage aus dem achten Abschnitt der „Einleitung“ der KU: „Wenn der Begriff von einem Gegenstande gegeben ist, so besteht das Geschft der Urtheilskraft im Gebrauche desselben zum Erkenntniß […] darin, dem Begriff eine correspondirende Anschauung zur Seite zu stellen: es sei, daß dieses durch unsere eigene Einbildungskraft geschehe, wie in der Kunst, wenn wir einen vorhergefaßten Begriff von einem Gegenstande, der fr uns Zweck ist, realisieren, oder durch die Natur […], wenn wir ihr unseren Begriff vom Zweck zur Beurtheilung ihres Products unterlegen; in welchem Falle […] dieses ihr

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

Product als Naturzweck vorgestellt wird“ (KU B XLIX, V 192.31 – 193.6, H. v. V.).

Besonders diese zentrale Passage, die fr die Problematik der Realisierung bzw. der Einsicht in eine mçgliche objektive Realitt von Zwecken bzw. Begriffen von Zwecken zu bedenken ist11, scheint hinsichtlich des mehrfach verwendeten Zweckbegriffs unprzise. Kant hebt hier zuerst hervor, dass ein Begriff von einem Gegenstand nur dann zur Erkenntnis dieses Gegenstandes taugt, wenn ihm (dem Begriff ) „eine correspondirende Anschauung zur Seite“ gestellt werden kann. Wenn diese „Darstellung (exhibitio)“ (KU B XLIX, V 192.33) gelingt, dann ist dem Begriff objektive Realitt zuzusprechen.12 Darauf wird, dem Kontext des achten Abschnitts der „Einleitung“ der KU angemessen, diese grundstzliche Lehre Kants auf den Zweckbegriff angewandt: Im Bereich der „Kunst“, also dem Bereich erzeugenden Handelns, wird, so Kant, einem „vorhergefaßten Begriff von einem Gegenstande“ durch Realisierung objektive Realitt verliehen. Dabei scheint einerseits unklar, ob sich das Wort ,Zweck‘ hier tatschlich auf „Gegenstand“ oder vielleicht doch eher auf „Begriff“ bezieht. Dessen ungeachtet scheint andererseits auch unklar, ob die angesprochene Realisierung „durch unsere eigene Einbildungskraft“ als ein bloßes Vorstellen des Gegenstandes im Entwurf oder als ein Verwirklichen des Gegenstandes durch ein (erzeugendes) Handeln in der Welt zu verstehen ist. Denn ein bloßes Vorstellen des Gegenstandes im Entwurf durch die empirische (reproduktive) Einbildungskraft13 kçnnte bereits die Realmçglichkeit des vorgestellten Gegenstandes bezeugen und insofern dem Begriff dieses Gegenstandes zumindest eine prinzipiell mçgliche, nur noch zu verwirklichende objektive Realitt zusprechen. Noch unklarer muss freilich die darauf folgende Einlassung Kants zum Problem der Naturzwecke scheinen, wenn dort erstens von „unserem Begriff vom Zweck“ die Rede ist, der zweitens der Natur zur „Beurtheilung ihres Products“ unterstellt werden soll, womit drittens dieses Produkt als ein bestimmter Zweck, nmlich „als 11 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.2.3. 12 Eine korrespondierende Anschauung kann dem menschlichen, diskursiven Verstand (intellectus ectypus) nur gegeben werden – durch das Vermçgen der „Sinnlichkeit“ (vgl. bes. KrV B 74, III 74.9 – 18 und B 75, III 75.5 – 8). Daher schreibt Kant auch schlagwortartig in der KrV: „Wenn eine Erkenntniß objective Realitt haben, d. i. sich auf einen Gegenstand beziehen und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden“ (KrV B 194, III 144.15 – 17). Vgl. auch FM XX 325.23 – 28/34 – 38 und unten Abschnitt 2.1.3. 13 Vgl. KrV B 151, III 119.36 – 120.2.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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Naturzweck vorgestellt wird“. Fr beide der hier von Kant behandelten Bereiche (Kultur und Naturzweckmßigkeit) ist zwar der Zweckbegriff und die Problematik der objektiven Realitt von Zwecken bzw. Begriffen von Zwecken grundlegend, jedoch alles andere als eindeutig. Hinzu kommt hier die Schwierigkeit, dass bei der Beurteilung der Natur bzw. ihrer „Producte“ ihr „eine Rcksicht auf unser Erkenntnißvermçgen nach der Analogie eines Zwecks“ (KU B L, V 193.11 f., H. v. V.) nur unterstellt wird, mithin die Frage nach der objektiven Realitt des Begriffs ,Naturzweck‘ uns vor ganz eigene Probleme stellt. So schreibt Kant dann auch in § 74 der KU: „Der Begriff eines Dinges als Naturzwecks ist aber zwar ein empirisch bedingter, d. i. nur unter gewissen in der Erfahrung gegebenen Bedingungen mçglicher, aber doch von derselben nicht zu abstrahirender, sondern nur nach einem Vernunftprincip in der Beurtheilung des Gegenstandes mçglicher Begriff. Er kann also als ein solches Princip seiner objectiven Realitt nach (d. i. daß ihm gemß ein Object mçglich sei) gar nicht eingesehen […] werden“ (KU B 330, V 396.7 – 14).

Offensichtlich bezeichnet Kant hier mit dem Wort „Naturzweck“ wiederum einen bestimmten Gegenstand („Ding“) und nicht den Begriff eines solchen Gegenstandes. Doch einmal abgesehen davon, ob mit dem Wort ,Zweck‘ bei Kant nun generell die urschliche Vorstellung, der antizipierte Gegenstand oder das Produkt gemeint ist, mssten auch die Naturzwecke, insofern sie Zwecke sind, eine konstitutive Beziehung auf urschliche Vorstellungen (Begriffe, Ideen) haben. Dies haben alle bisher angefhrten Definitionen des Zweckbegriffs gemein. Solche im Kontext des Problems der Naturzwecke fraglichen urschlichen Vorstellungen (Begriffe, Ideen) kçnnen jedoch keine Vorstellungen eines endlich-vernnftigen Wesens resp. eines Menschen sein. Wren sie es, wren Naturzwecke eigentlich „Kunstwerke“ (Artefakte) und das Problem der objektiven Realitt wrde sich in dieser Weise gar nicht stellen. Kant schreibt nur einige Zeilen spter: „Der Begriff einer Causalitt durch Zwecke (der Kunst) hat allerdings objective Realitt […]. Aber der Begriff einer Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke […] kann zwar ohne Widerspruch gedacht werden, aber zu dogmatischen Bestimmungen doch nicht taugen: weil ihm, da er nicht aus der Erfahrung gezogen werden kann, auch zur Mçglichkeit derselben nicht erforderlich ist, seine objective Realitt durch nichts gesichert werden kann“ (KU B 332, V 397.13 – 22).

Nur auf zweierlei Art kann demnach einem Begriff objektive Realitt „gesichert“ werden: entweder, wie oben bereits festgestellt, durch Erfahrung (in der „Darstellung“), oder durch den Nachweis, dass er „zur

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

Mçglichkeit“ der Erfahrung „erforderlich“ ist – wie bei den Kategorien14. Wenn Zwecke in der ihnen eigenen „Causalitt“ aber urschliche Vorstellungen (Begriffe, Ideen) voraussetzen (oder gar diese selbst sind), sie aber im Falle der Naturzwecke gerade keine Vorstellungen (Begriffe, Ideen) eines aus der Erfahrung bekannten Wesens (Mensch) sind, kçnnen sie nur Vorstellungen eines „Kunstverstand[es]“ (KU B 408, V 441.3) als „Urgrundes der Natur“ (KU B 332, V 397.18) sein. Allerdings sind fr Kant weder der Begriff ,Naturzweck‘ noch der Begriff ,Kunstverstand‘ (,Urgrund der Natur‘) „zur Mçglichkeit“ der Erfahrung „erforderlich“. Daher kann ihnen nicht auf indirektem Wege, wie etwa den Kategorien, objektive Realitt zugesprochen werden. Dem Begriff ,Kunstverstand‘ resp. ,Urgrund der Natur‘ statt dessen „eine correspondirende Anschauung zur Seite“ stellen, ihm also auf direktem Wege objektive Realitt zusprechen zu wollen, ist wiederum aussichtslos. Denn ein solches Wesen als Trger der fr Naturzwecke geforderten urschlichen Vorstellungen (Begriffe) kann „uns gar nicht in der Erfahrung gegeben werden“ (KU B 332, V 397.17). Es gilt an dieser Stelle jedoch zu beachten, dass Kant im zuletzt genannten Zitat nicht die objektive Realitt von Zwecken bzw. Begriffen von Zwecken im Blick hat, sondern vielmehr den „Begriff einer Causalitt durch Zwecke“. Dieser Begriff eines bestimmten Kausalittstypus hat objektive Realitt, wenn in ihm die Erzeugung von „Kunstwerken“ (Artefakten) vorgestellt wird. Kant beschreibt diesen Typus von Kausalitt folgendermaßen: „[Es] kann doch auch eine Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken) gedacht werden, welche, wenn man sie als Reihe betrachtete, sowohl abwrts als aufwrts Abhngigkeit bei sich fhren wrde, in der das Ding, welches einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwrts den Namen einer Ursache desjenigen Dinges verdient, wovon es die Wirkung ist“ (KU B 289 f., V 372, 24 – 29).

Die Beziehung der in der Kausalrelation involvierten Relate ,Ursache‘ und ,Wirkung‘ wird nach dem Begriff dieses Kausalittstyps nicht als einseitige, von der Ursache als Bestimmendes zur Wirkung als Bestimmtes, sondern als wechselseitige Relation vorgestellt. Um im von Kant vorgeschlagenen Bild einer Reihe zu bleiben, kann gesagt werden, dass die eindeutige Bestimmung eines einzelnen Reihenglieds sowohl als Ursache als auch als Wirkung von einem direkt mit ihm verbundenen, anderen Reihenglied erfolgen kann. Die Reihe kann also nach beiden Seiten abgeschritten werden, wobei in beide mçglichen Richtungen jeweils eine eindeutige 14 Vgl. unten Abschnitt 2.1.3.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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Kausalrelation zwischen Ursache und Wirkung bemerkt werden kann. Um dies zu veranschaulichen ersetzt Kant das Reihenbild durch ein Beispiel aus der Alltagspraxis: „Im Praktischen (nmlich der Kunst) findet man leicht dergleichen Verknpfung, wie z. B. das Haus zwar die Ursache der Gelder ist, die fr Miethe eingenommen werden, aber doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem mçglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses war. Eine solche Causalverknpfung wird die der Endursachen (nexus finalis) genannt“ (KU B 289 f., V 372, 29 – 35).

Um dieses Beispiel genauer interpretieren zu kçnnen, kann noch eine weitere Definition des Zweckbegriffs hinzugezogen werden, die bisher noch nicht genannt wurde. Im § 82 der KU ist zu lesen: „[D]ie vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verstndigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist, heißt Zweck“ (KU B 381, V 426.7 – 9).

Im Haus-Miete-Beispiel ist die „Vorstellung von einem mçglichen Einkommen“ die Ursache „der Erbauung des Hauses“. Nach der gerade genannten Definition lsst sich nun das „mçgliche Einkommen“ als „vorgestellte Wirkung“, somit als Zweck bestimmen. Seine „Hervorbringung“ erfolgt vermittelt durch die „Erbauung eines Hauses“, das dann als die „Ursache der Gelder“ bestimmt werden kann. Mit diesen „Geldern, die fr die Miethe eingenommen werden“, ist der Zweck ,mçgliches Einkommen‘ realisiert. Die hier von Kant beispielhaft ins Auge gefasste Relation ,Haus – Geld‘ lsst sich demnach als wechselseitiges Bedingungsverhltnis interpretieren: Das Haus ist Ursache fr Geld qua Miete; die Vorstellung vom einzunehmenden Geld ist wiederum Ursache fr das Errichten des Hauses. Dieser Typus von Kausalitt, der sich durch ein solches Verhltnis wechselseitiger Bedingung auszeichnet, wird im Begriff „einer Causalitt durch Zwecke“ (KU B 332, V 397.13) vorgestellt, dem durch die Erfahrung menschlicher Praxis in der „Kunst“15 objektive Realitt zugesprochen werden kann. Der Vernunfttypus, der mit dem Begriff „einer Causalitt durch Zwecke“ wesentlich zusammenhngt, wird von Kant auch „technisch“ genannt:

15 Zu Kants Begriff der „Kunst“ vgl. v. a. §§ 43 und 44 der KU und unten Abschnitt 4.3. Hervorzuheben ist an dieser Stelle nur, dass Kant unter den Begriff der „Kunst“ nicht nur die „schçne“, sondern auch die „mechanische“ und die „angenehme“ Kunst fasst (vgl. v. a. KU B 177 f., V 305.17 – 23).

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

„[A]n Producten der Kunst kçnnen wir uns der Caussalitt der Vernunft von Objecten, die darum zweckmßig oder Zwecke heißen, bewußt werden, und in Ansehung ihrer die Vernunft technisch zu nennen, ist der Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens angemessen“ (EEKU XX 234.30 – 34).

Demnach behauptet Kant, dass der Begriff einer Relation zwischen einem hervorgebrachten Objekt (Produkt) und dessen zugrunde liegender Vorstellung eines ber technische Vernunft verfgenden Wesens objektiv real ist. Der Begriff „einer Causalitt durch Zwecke“ hat also fr Kant hier offenkundig objektive Realitt, weil „wir uns der Caussalitt der Vernunft bewußt werden“ kçnnen und damit eine „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ haben. In Anlehnung an das Haus-MieteBeispiel ist der technischen Vernunft dann Kausalitt zuzusprechen, wenn eine Vorstellung (Begriff: „mçgliches Einkommen“) Ursache eines Objekts (Produkt: „Haus“) ist. Dieses durch die Vorstellung (Begriff, Idee) verursachte Objekt ist nun wiederum Mittel fr die Realisierung des in der Vorstellung (Begriff, Idee) ursprnglich vorgestellten Objekts („Miete“/ „Einkommen“). Dass das verursachte Objekt Mittel der Realisierung ist, soll heißen, dass es selbst wiederum Ursache fr die Realitt des in der Vorstellung (Begriff, Idee) Vorgestellten ist, die somit als Wirkung bestimmt werden kann. Hier zeigt sich ein erster Schlssel zum Verstndnis der beiden Definitionen des Zweckbegriffs, nach denen der Begriff ,Zweck‘ selbst einen Begriff bezeichnet. Nach EEKU XX 236.4 – 7 ist ein Zweck qua ein Ganzes vorstellende Idee der „Grund der Caussalitt“. Er kann als ein Grund von Kausalitt bezeichnet werden, da, wiederum in Anlehnung an das HausMiete-Beispiel, mittels der Vorstellung (Begriff, Idee) eines „mçglichen Einkommens“ die Objekte ,Haus‘ und ,Einkommen‘ in einer Kausalbeziehung als miteinander verbunden gedacht werden. Gegeneinander sind sich beide Objekte vçllig gleichgltig. Erst durch „die besondre Vorstellung eines Ganzen, welche vor der Mçglichkeit der Theile vorhergeht“, und in der die beiden Objekte eben als Teile dieses Ganzen gedacht werden, werden beide Objekte aufeinander bezogen und in einer bestimmten Relation, nmlich in einer Kausalrelation zueinander stehend gedacht. Ebenso lsst sich Kants Einlassung in KU B XXVIII, V 180.31 jetzt so interpretieren, dass die Vorstellung (Begriff, Idee) des Objekts ,Einkommen‘, sofern sie als ein seine Teile miteinander in Beziehung setzendes Ganzes gedacht wird, den „Grund der Wirklichkeit dieses Objects enthlt“. Denn als eine solche Vorstellung (Begriff, Idee) ist sie Ursache fr ein Mittel („Haus“), das das durch sie vorgestellte Objekt („Einkommen“) verwirklicht. Die Vorstellung (Begriff, Idee) selbst ist dabei nicht der Grund der

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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Wirklichkeit des Einkommens, sondern vorerst nur Grund der „Erbauung des Hauses“, also des Mittels. Aber indem sie Grund dessen ist, was das Einkommen verwirklicht, „enthlt“ sie bereits den „Grund der Wirklichkeit“ des Einkommens. Nach diesen berlegungen ist zumindest der Begriff einer „Causalitt durch Zwecke“ im Bereich menschlicher Praxis durchsichtiger geworden: Dem Begriff einer „Causalitt durch Zwecke“ zufolge ist eine Vorstellung (Begriff, Idee) Ursache einer Wirkung, die als Gegenstand und Mittel bestimmt werden kann. Dieses gewirkte Mittel ist wiederum Ursache einer Wirkung, die als Verwirklichung des in der ursprnglichen Vorstellung (Begriff, Idee) vorgestellten Objekts und somit als Produkt bestimmt werden kann. Durch die wechselseitige Kausalrelation wird deutlich, wie die Verwirklichung eines vorgestellten Objekts, das gerade als zu verwirklichendes Objekt vorgestellt wird, funktioniert. Allerdings ist dabei noch nicht einsichtig, was genau als Zweck zu bestimmen ist. Die oben gestellte Frage lsst sich hier wiederholen: Ist die urschliche Vorstellung (Begriff, Idee), das zu verwirklichende Objekt oder gar das verwirklichte Objekt (Produkt) als Zweck zu bezeichnen? Um diese Frage zumindest vorlufig zu beantworten, muss noch ein Blick auf Kants Bestimmung des Begriffs eines Naturzwecks geworfen werden. 2.1.3 Das Beispiel des Naturzwecks Das Problem der objektiven Realitt von Naturzwecken wurde bereits angesprochen. Im Bereich menschlicher Praxis kann Zwecken bzw. Begriffen von Zwecken nach Kant objektive Realitt zugesprochen werden, da sich technische Vernunft durch eine ihr eigene Kausalitt auszeichnet, die „Causalitt durch Zwecke“, und ihre intendierten Gegenstnde („Kunstwerke“) hervorzubringen zumindest prinzipiell im Stande ist. Dem Begriff des Naturzwecks hngt dagegen das Problem an, dass dem Begriff eines „Kunstverstand[es]“ (KU B 408, V 441.3) als „Urgrund[] der Natur“ (KU B 332, V 397.18) im Gegensatz zum Begriff „unseres eigenen Vermçgens“ keine objektive Realitt eingerumt werden kann. Damit fehlt aber dem Begriff des Naturzwecks ein Moment, das fr die „Causalitt durch Zwecke“ konstitutiv ist: die urschliche Vorstellung (Begriff, Idee). Es ist zwar noch nicht entschieden, ob nach Kant den Begriffen ,Zweck‘ und ,Kausalitt durch Zwecke‘ mit Blick auf den Bereich menschlicher Praxis a priori oder bloß a posteriori objektive Realitt zugesprochen werden kann – dass ihnen diese fr Kant aber zukommt, steht außer Zweifel.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

Der Begriff des Naturzwecks ist dagegen hinsichtlich einer ihm zuzusprechenden objektiven Realitt problematisch. Kant schreibt im § 74 der KU: „[E]s kann nicht allein nicht ausgemacht werden, ob Dinge der Natur, als Naturzwecke betrachtet, fr ihre Erzeugung eine Causalitt von ganz besonderer Art (die nach Absichten) erfordern, oder nicht; sondern es kann auch nicht einmal danach gefragt werden, weil der Begriff eines Naturzwecks seiner objectiven Realitt nach durch die Vernunft gar nicht erweislich ist“ (KU B 330 f., V 396.18 – 23, H. v. V.).

Ob fr bestimmte Naturobjekte eine „Causalitt von ganz besonderer Art“, also eine Kausalitt durch Zwecke, notwendig ist, kann nach Kant nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Den Grund hierfr sieht Kant in dem Umstand, dass „der Begriff eines Naturzwecks seiner objectiven Realitt nach durch die Vernunft gar nicht erweislich ist“. Doch was heißt es hier, dass ein Begriff „seiner objectiven Realitt nach durch die Vernunft nicht erweislich ist“? – Es wurde bisher festgestellt, dass einem Begriff nur entweder durch „Darstellung (exhibito)“ in der Erfahrung (mittels empirischer Anschauung) oder durch den Nachweis, dass er fr die Mçglichkeit von Erfahrung notwendig ist, objektive Realitt gesichert werden kann. Es gilt nunmehr, den Begriff ,objektive Realitt‘ zu klren. Um zu verstehen, was Kant unter „objektiver Realitt“ berhaupt versteht, ist eine Passage aus der FM hilfreich, auf die besonders P. Plaass hingewiesen hat.16 Aufgrund ihrer Klarheit eignet sie sich, in ganzer Lnge angefhrt zu werden: „Die Mçglichkeit eines Gedankens oder Begriffs beruht auf dem Satze des Widerspruchs, z. B. der eines denkenden unkçrperlichen Wesens (eines Geistes). Das Ding, wovon selbst der bloße Gedanke unmçglich ist (d. i. der Begriff sich widerspricht), ist selbst unmçglich. Das Ding aber, wovon der Begriff mçglich ist, ist darum nicht ein mçgliches Ding. Die erste Mçglichkeit kann man die logische, die zweyte die reale Mçglichkeit nennen; der Beweis der letztern ist der Beweis der objectiven Realitt des Begriffs, welchen man jederzeit zu fordern berechtigt ist. Er kann aber nie anders geleistet werden, als durch Darstellung des dem Begriffe correspondirenden Objects; denn sonst bleibt es immer nur ein Gedanke, welcher, ob ihm irgend ein Gegenstand correspondiere, oder ob er leer sey, d. i. ob er berhaupt zum Erkenntnisse dienen kçnne, so lange, jenes in einem Beyspiele gezeigt wird, immer ungewiß bleibt“ (FM XX 325.29 – 326.3).

Es ist zuerst festzuhalten, dass objektive Realitt nach Kant nicht Gegenstnden (Dingen) zukommt, sondern eine Eigenschaft von Vorstellungen 16 Vgl. dazu Plaass 1965 56 f., im Anschluss daran Cramer 1966, 54, Cramer 1985, 157 f. und Hiltscher 2006a, 255 f.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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(hier bestimmten Vorstellungen: Begriffen) ist. Von objektiver Realitt einer Vorstellung kann genau dann gesprochen werden, wenn sie sich gltig auf einen Gegenstand bezieht und somit beansprucht, im Falle von Anschauungen und Begriffen, zur Erkenntnis dieses Gegenstandes beizutragen oder, im Falle des Urteils, Erkenntnis dieses Gegenstandes zu leisten. Mit Blick auf Begriffe heißt es hier: Das Kriterium fr die objektive Realitt eines Begriffs ist nicht die bloße Widerspruchsfreiheit des Begriffs, also die bloße Denkbarkeit des durch ihn bezeichneten Gegenstandes (wie im Falle des Begriffes ,Geist‘), sondern die Mçglichkeit der Darstellung des durch ihn bezeichneten Gegenstandes in der Anschauung.17 Demnach hat ein Begriff objektive Realitt, wenn sein Objekt nicht nur logisch mçglich, d. h. widerspruchsfrei denkbar, sondern darber hinaus nachweislich real mçglich, d. h. einer Darstellung in der Anschauung fhig, ist. Dies trifft aber auf den Begriff einer „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ nach Kant offenbar nicht zu. Dagegen lsst sich in der Erfahrung eine Klasse von Naturobjekten finden, deren Gegenstnde nach Kant durchaus legitim Naturprodukte bzw. Naturzwecke genannt werden kçnnen, weshalb er in § 65 der KU schreibt: „Organisirte Wesen sind […] die einzigen in der Natur, welche […] doch nur als Zwecke derselben mçglich gedacht werden mssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern Zweck der Natur ist, objective Realitt und dadurch fr die Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie, d. i. einer Beurtheilungsart ihrer Objecte nach einem besondern Princip, verschaffen, dergleichen man in sie einzufhren (weil man die Mçglichkeit einer solchen Art Causalitt gar nicht a priori einsehen kann) sonst schlechterdings nicht berechtigt sein wrde“ (KU B 295, V 375.26 – 28/ 376.1 – 7, H. v. V.).

Organismen („organisirte Wesen“) sind fr Kant empirische Beispiele fr das im Begriff von einem Naturzweck Vorgestellte und „verschaffen“ somit diesem Begriff die a priori fragwrdige objektive Realitt. Weil diesem Begriff auf empirische Weise, also a posteriori, objektive Realitt „verschafft“ werden kann, ist es ferner mçglich, die Naturwissenschaft um eine teleologische Perspektive („Beurtheilungsart ihrer Objecte nach einem besondern Princip“) zu erweitern. Die teleologische Perspektive ist aber gerade nur aufgrund des empirischen Umstands, dass Organismen in der 17 Mit Blick auf Kategorien und Prdikabilien schreibt Kant etwa: „Verstandesbegriffe mssen als solche jederzeit demonstrabel sein (wenn unter demonstriren wie in der Anatomie bloß das Darstellen verstanden wird), d. i. der ihnen correspondirende Gegenstand muß jederzeit in der Anschauung (reinen oder empirischen) gegeben werden kçnnen“ (KU B 240, V 342.27 – 30).

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

Erfahrung tatschlich vorkommen, legitim in die Naturwissenschaft zu integrieren. Denn: „die Mçglichkeit einer solchen Art von Causalitt [kann] gar nicht a priori [eingesehen]“ werden. Die hier angesprochene „Art von Causalitt“, dieses „besondre Princip“, ist keine andere als die „Causalitt durch Zwecke“ – allerdings angewandt auf die Natur und ihre Objekte. Diesem „Begriff einer Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ kann keine objektive Realitt zugesprochen werden18, da die Mçglichkeit des in ihm Vorgestellten a priori, also bloß „durch die Vernunft“ (KU B 331, V 396.22) nicht erkannt werden kann. Um diesem Begriff objektive Realitt zusprechen zu kçnnen, msste nmlich auch ein Naturobjekte qua Naturprodukte nach Absichten wirkender Erzeuger („Kunstverstand“ als „Urgrund der Natur“) unterstellt und als real mçglich bewiesen werden. Kant scheint zwar einen nach Absichten wirkenden Erzeuger von Naturobjekten zumindest fr logisch mçglich, seinen Begriff also fr widerspruchsfrei denkbar, zu halten19 – die Frage nach der objektiven Realitt des Begriffs eines solchen „Kunstverstandes“ verneint er allerdings entschieden.20 Im § 64 der KU nennt Kant diejenigen Kriterien, nach welchen einem Naturobjekt der Status des Naturprodukts bzw. Naturzwecks zugesprochen werden kann. Dazu fhrt er zuerst in einer vorlufigen Bestimmung wieder die Kausalittskategorie ins Feld: „Ich wrde vorlufig sagen: ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist“ (KU B 286, V 370.35 – 37).

Um diese Bestimmung eines Dinges, das „sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung [verhlt]“, was nach Kant „ein etwas uneigentlicher und unbestimmter Ausdruck ist“ (KU B 289, V 372.16 f.), zu erlutern, fhrt Kant zwei Bedingungen an: „Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze 18 Vgl. auch KU B 332, V 397.13 – 22. 19 Kant behauptet in § 74 der KU, dass nicht nur der Begriff einer „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“, sondern auch der „eines Wesens, dergleichen uns gar nicht in der Erfahrung gegeben werden kann, nmlich eines solchen als Urgrundes der Natur […] ohne Widerspruch gedacht werden [kann]“ (KU B 332, V 397.16 – 19). Es ist allerdings fraglich, ob der Begriff ,Kunstverstand‘ im hier relevanten Sinn (als „Urgrund der Natur“) nicht schon an dem Kriterium der Widerspruchsfreiheit scheitert. Vgl. dazu Hiltscher 2006b, 296 – 298. 20 Vgl. KU B 332, V 397.20-22.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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mçglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß“ (KU B 290, V 373.4 – 7). „[Z]weitens [wird] dazu erfordert: daß die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein mçglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theile bestimme“ (KU B 290 f., V 373.17 – 21).

Die erste Bedingung gibt an, wann ein bestimmtes Naturobjekt als Naturzweck bestimmt werden kann. Die zweite Bedingung gibt dagegen an, wann ein bestimmter Zweck bzw. das durch eine bestimmte Zweckvorstellung (Begriff, Idee) Vorgestellte als Naturzweck bestimmt werden kann. Die erste Bedingung soll nach Kants Formulierung also eine Bedingung sein, die fr alle Zwecke gilt: Ein Objekt ist demnach genau dann ein Zweck, wenn es vorgestellt wird („unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt“) und diese Vorstellung das Vorgestellte („alles, was in ihm enthalten sein soll“) a priori bestimmt. Die Vorstellung (Begriff, Idee) wird dabei von Kant als ein „Ganzes“ und das, was durch sie vorgestellt wird, als die „Theile“ dieses Ganzen gefasst. Die hier ins Auge gefasste Relation zwischen Ganzem und Teilen ist eine der Bestimmung a priori der Teile durch das Ganze, mithin eine einseitige: Das Ganze, der Begriff bzw. die Idee, bestimmt die Teile, also das, was durch ihn bzw. sie bezeichnet wird, das Mannigfaltige des Vorgestellten. – Die zweite Bedingung soll dagegen eine Bedingung sein, die nur fr spezifische Zwecke, eben Naturzwecke, gilt: Ein Zweck bzw. der Gegenstand einer Zweckvorstellung (Begriff, Idee) ist demnach genau dann ein Naturzweck, wenn seine Teile in einer wechselseitigen Ursache-Wirkung-Relation („von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form“) stehen und erst durch diese Relationierung der Teile untereinander ein Ganzes entsteht („dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden“). Das Ganze ist hier also Produkt seiner Teile, indem diese untereinander in einem wechselseitigen Kausalverhltnis stehen. Dennoch ist der Naturzweck als Zweck im Sinne der ersten Bedingung zu bestimmen, und das heißt: Die Relation zwischen Ganzem und Teilen muss auch eine der Bestimmung a priori der Teile durch das Ganze sein. Das Ganze („die Idee des Ganzen“) bestimmt auch im Falle des Naturzwecks „die Form und Verbindung aller Theile“, aber, wie Kant hinzufgt, „[…] nicht als Ursache – denn da wre es ein Kunstproduct –, sondern als Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist, fr den, der es beurtheilt“ (KU B 290 f., V 373.22 – 25, H. v. V.).

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

Whrend also im Falle von „Kunstproducten“ (Artefakten) eine Vorstellung (Begriff, Idee) qua Ganzes das Vorgestellte qua Teile a priori bestimmt und damit die Vorstellung in einem einseitigen Kausalverhltnis zum verwirklichten Objekt der Vorstellung („Kunstproduct“) steht21, ist im Falle von „Naturproducten“ die Vorstellung (Begriff, Idee) qua Ganzes nur „Erkenntnißgrund“. Das wiederum ist nur mçglich22, weil die Teile eines als Naturzweck vorgestellten Naturobjekts untereinander in einem wechselseitigen Kausalverhltnis stehen und derart einander sowie das Ganze hervorbringen. 23 Es mag hierbei zwar die Vorstellung (Begriff, Idee) von einem bestimmten Objekt als „Naturproduct“ noch irgendwie als „Grund der Wirklichkeit dieses Objects“ (KU B XXVIII, V 180.31 f., H. v. V.), nmlich als „Erkenntnißgrund“, bezeichnet und insofern dieses Objekt auch allgemein als ein Zweck bestimmt werden24 – allerdings ist hier diese Vorstellung (Begriff, Idee) gerade nicht mehr „Ursache von der Wirklichkeit“ (KpV A 16 Anm., V 9.21 f., H. v. V.) des als Naturzweck vorgestellten Objekts. Dass es Naturobjekte tatschlich gibt, deren Teile derart relationiert sind, dass sie einander hervorbringen, und die daher als Naturzwecke bestimmt werden kçnnen, ist allein ein empirischer Umstand, der dazu berechtigt, dem Begriff ,Naturzweck‘ objektive Realitt einzurumen. Denn Organismen sind empirische Beispiele fr den Begriff ,Naturzweck‘.

21 Kant fgt zur ersten Bedingung hinzu: „Sofern aber ein Ding nur auf diese Art als mçglich gedacht wird, ist es bloß Kunstwerk, d. i. das Product einer von der Materie (den Theilen) desselben unterschiedenen vernnftigen Ursache, deren Causalitt (in Herbeischaffung und Verbindung der Theile) durch die Idee von einem dadurch mçglichen Ganzen (mithin nicht durch die Natur außer ihm) bestimmt wird“ (KU B 290, V 373.8 – 13). 22 Vgl. nochmals KU B 291, V 373.19 f. („Denn auf solche Weise ist es allein mçglich…“). 23 Kant schreibt dazu im selben Paragraphen: „In einem solchen Producte der Natur wird ein jeder Theil als ein die andern Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ [gedacht], dergleichen kein Werkzeug der Kunst […] sein kann: und nur dann und darum wird ein solches Product, als organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden kçnnen“ (KU B 291 f., V 373.35 – 374.8, H. v. V.). 24 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.3.3.

2.1 Der Zweckbegriff nach dem Textbestand

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2.1.4 Vorlufige Bestimmung des Zweckbegriffs Die anhand von Kants Definitionen des Zweckbegriffs dargestellten Probleme kreisen um das Verhltnis von (1) einer urschlichen Vorstellung (Begriff, Idee), (2) einem vorgestellten, zu bewirkenden Gegenstand und (3) einem gewirkten Gegenstand (Produkt). Fraglich war bisher, was davon nach Kant als Zweck zu gelten habe. Mit der Analyse des Begriffs von einem Naturzweck als einem besonderen Zwecktypus kçnnen dieses Verhltnis sowie der Zweckbegriff nher bestimmt werden. Nach der von Kant angegebenen ersten Bedingung dafr, ein Objekt legitim als Naturzweck bezeichnen zu kçnnen25, ist ein Zweck ein Objekt, das vorgestellt und durch diese Vorstellung a priori bestimmt wird. Nicht die Vorstellung als bloße Vorstellung (Begriff, Idee) ist demnach ein Zweck, sondern das in und durch diese(r) Vorstellung a priori bestimmte Objekt. Mit dem Begriff ,Zweck‘ darf genau genommen weder eine bloße Vorstellung noch ein bloßes Objekt, sondern vielmehr ein bestimmtes Objekt, das als Zweck notwendigerweise mit einer bestimmten Vorstellung (Begriff, Idee) in einer eigentmlichen Relation steht, bezeichnet werden. Im Falle eines Zwecks sind nach Kant Vorstellung (Begriff, Idee) und Vorgestelltes (Objekt) untrennbar verbunden: Die Vorstellung (Begriff, Idee) strukturiert als ein „Ganzes“ dabei ein Mannigfaltiges26 derart, dass durch diese Strukturierung qua Einheitsstiftung ein Objekt vorgestellt wird, dessen „Teile“ allein durch die bestimmte, strukturierende Vorstellung a priori bestimmt sind. Das derart vorgestellte Objekt ist dabei allerdings noch kein wirkliches, in Raum und Zeit tatschlich vorhandenes, sondern vielmehr ein noch zu verwirklichendes, bloß vorgestelltes Objekt. Ihm wird insofern auch kein „Ansich-Sein“ zugedacht werden kçnnen – im Unterschied zum Gegenstand (theoretischer) Erkenntnis –, zu ihm gehçrt notwendigerweise Vorstellung (Begriff, Idee) als Leistung eines Subjekts und eben diese ihm eigentmliche Subjektivitt verleiht ihm den Status eines zu verwirklichenden Objekts. Dies unterscheidet ferner das durch den Zweckbegriff Bezeichnete von anderen bloß vorgestellten Objekten. So ist beispielsweise auch das berchtigte Dichterpferd ein Objekt, das allein in der Vorstellung ,existiert‘ und insofern kein in Raum und Zeit tatschlich vorhandenes Objekt ist. Es 25 Vgl. KU B 290, V 373.4 – 7. 26 Mit ,Mannigfaltiges‘ ist hier nicht allein das „Mannigfaltige der Anschauung“ gemeint, sondern eine bloße Vielheit, z. B. von Objekten, Begriffen, Anschauungen usw. – Vgl. dazu unten Kapitel 3.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

ist aber als ein solches bloß vorgestelltes Objekt sicher noch kein Zweck. Ein Zweck lge hier erst dann vor, wenn das Dichterpferd als ein zu verwirklichendes Objekt vorgestellt wrde. Der Begriff einer bestimmten Kausalitt („Causalitt durch Zwecke“) ist also vom Zweckbegriff nicht zu trennen. Doch whrend im Falle menschlicher Praxis diese Kausalbeziehung zwischen einer urschlichen Vorstellung (Begriff, Idee) und einem gewirkten Gegenstand (Produkt) anzusetzen ist, wird sie im Falle der Naturzwecke in das als Naturprodukt vorgestellte Objekt selbst „gelegt“27 (Naturzwecke als „sich selbst organisirende Wesen“). In beiden Fllen ist der Begriff ,Kausalitt durch Zwecke‘ wesentlich fr „Zwecke berhaupt“. Beide Eigentmlichkeiten des durch den Zweckbegriff Gedachten, notwendige Verbundenheit mit einer Vorstellung (Begriff, Idee) sowie notwendige Verbundenheit mit einer „Causalitt durch Zwecke“, hat Kant selbst pointiert in seinen VAMS herausgestellt, die hier zum Zweck der Besttigung des bisher Erarbeiteten angefhrt werden kann: „Was ist Zweck? (obiectiv) das was nur durch einen Verstand existiren kan, subjectiv die Caußalitt dadurch es existirt“ (VAMS XXIII 387.28 f.).

An diesem Punkt ist es hilfreich, einige terminologische Festlegungen zu treffen: Im Folgenden werden (1) die urschliche Vorstellung (Begriff, Idee) als „Zweckvorstellung“, (2) das vorgestellte, zu bewirkende Objekt als „Zweckobjekt“ und (3) der gewirkte Gegenstand qua Gegenstand in Raum und Zeit als „Produkt“ bezeichnet, bis weitere Differenzierungen unumgnglich werden. Zweckvorstellung, Zweckobjekt und die eigentmliche, nher zu klrende Relation zwischen ihnen sind dabei die notwendigen und hinreichenden Bestandteile dessen, was als Zweck zu bezeichnen ist. Die mit einem Zweck einhergehende, ferner zu unterscheidende Relation zwischen Zweckvorstellung und Produkt („Causalitt durch Zwecke“) soll kurz „Zweckkausalitt“ genannt werden. Diese terminologischen Festlegungen dienen der weiteren Untersuchung ausschließlich als Mittel, um Kants Zweckbegriff weiter analysieren 27 Allein in der Beurteilung durch das erkennende Subjekt werden „organisirte Wesen“ (Organismen) als Naturzwecke vorgestellt. Die (Zweck-)Vorstellung ist hier nicht urschliche Vorstellung, sondern bloß „Erkenntnißgrund“ (KU B 291, V 373.23). – Die „bildende Kraft“ (KU B 293, V 374.23) des Organismus kann allerdings nach Kant nicht hinreichend als „Analogon der Kunst“ (KU B 293, V 374.27 f.) erklrt werden. Daher schreibt Kant auch vom Begriff des Naturzwecks als regulativem Begriff, um „nach einer entfernten Analogie mit unserer Causalitt nach Zwecken berhaupt die Nachforschung ber Gegenstnde dieser Art zu leiten“ (KU B 295, V 375.19 – 21).

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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und bestimmen zu kçnnen. Sie stehen als solche auch nicht quer zum kantischen Text. Vielmehr erlauben sie es, alle bisher aufgefhrten Definitionen Kants als miteinander vereinbare zu verstehen. Denn whrend in den Passagen KU B XXVIII, V 180.30 f., EEKU XX 236.4 – 7 und KpV A 103, V 59.1 f. eher das subjektive Moment des Zwecks, die Zweckvorstellung („Begriff“, „Idee“, „Bestimmungsgrund“) von Kant betont wird, steht in den Passagen KU B 32, V 219.31 – 220.3, KU B 350, III 408.4 – 6, MS VI 381.4 – 6, MS VI 384.33 f. und KU B 381, V 426.7 – 9 gerade das objektive Moment des Zwecks, das Zweckobjekt („Gegenstand“, „Product“, „vorgestellte Wirkung“) im Mittelpunkt.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs Die bisher angefhrten allgemeinen Definitionen des Zweckbegriffs aus der KU 28 haben gegenber den Definitionen aus der KpV und der MS 29 den Vorteil, dass sie den Begriff ,Zweck‘ augenscheinlich nicht unter Rekurs auf den Begriff des Begehrungsvermçgens erklren. Vielmehr greifen sie zur Erklrung ihres Definiendums auf „transcendentale[] Bestimmungen“ (KU B 32, V 219.31 f.) zurck, also auf Begriffe, die zu den „Merkmalen des reinen Verstandes, d. i. Kategorien“ (KpV A 17, V 9.32 f.) zhlen: ,(realer) Grund‘/,Ursache‘, ,Product‘/,Wirkung‘, ,Mçglichkeit‘ und ,Wirklichkeit‘. Damit deutet sich an, dass der Zweckbegriff als ein Begriff a priori zumindest (re-)konstruiert, d. h. auf seine ihm eigentmlichen „transcendentalen Bestimmungen“ zurckgefhrt und insofern auch definitiv als ein Begriff a priori bestimmt werden kann. Ob er ein „ursprnglicher“ Begriff a priori, gar ein reiner Begriff ist und etwa zum „Stammbaum des reinen Verstandes“ (KrV B 108, III 94.19) gezhlt werden kann, ist auf den ersten Blick aus diesem Umstand und auch aus den Definitionen selbst nicht ersichtlich. Kant gibt auf diese Frage auch keine explizite Antwort. An einer Stelle in der KU wird lediglich angedeutet, dass der Zweckbegriff als „Vernunftbegriff“ zu verstehen sei.30 Sieht man von Kants unterschiedlicher Verwendungsweise des Begriffs ,Vernunft‘31 einmal ab, besttigt diese Andeutung zumindest die Vermutung, 28 Vgl. bes. KU B XXVIII, V 180.30 f., KU B 32, V 219.31 – 220.3, KU B 45, V 227.14 f. und KU B 350, V 408.4 – 6. 29 Vgl. KpV A 103, V 59.1 f., MS VI 381.4 – 6 und MS VI 384.33 f. 30 Vgl. KU B 289, V 372.25. 31 Fr eine ausfhrliche Diskussion vgl. z. B. Konhardt 1979, 30 – 86.

82

2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

dass der Zweckbegriff als ein Begriff a priori zu bestimmen ist. Denn „Vernunftbegriffe“ sind qua „geschlossene Begriffe“ „Begriffe aus reiner Vernunft“ und somit eo ipso Begriffe a priori.32 Allerdings sind Vernunftbegriffe bekanntlich gerade keine Kategorien. Die Bestimmung des Zweckbegriffs als Begriff a priori ist demnach noch vage. Bevor der Zweckbegriff eigens analysiert und exponiert werden kann, muss Klarheit ber das Problem seiner Qualifikation als Begriff a priori gewonnen werden, um vorschnelle Auslegungen zu vermeiden, die ihn etwa auf einen mutmaßlich psychologischen Ursprung reduzieren33 oder ihm eine ausschließlich handlungstheoretische oder moralphilosophische Relevanz zusprechen.34 Um Klarheit ber das Problem der Qualifikation des Zweckbegriffs als Begriff a priori zu erlangen, muss zuerst sein begrifflicher Status selbst durchsichtiger werden. Hierfr ist zu fragen, an welche Stelle der ,Gesamtheit aller mçglichen Begriffe‘ (Topik der Begriffe) der Zweckbegriff eingeordnet werden kann bzw. muss. Um sich eine solche ,Gesamtheit aller mçglichen Begriffe‘ wiederum mçglichst vollstndig vorstellig zu machen, wird zuerst Kants Vorschlag zur Klassifizierung aller (theoretischer) Begriffe nach „gegebenen“ und „gemachten“ Begriffen, wie sie in der Log zu finden ist, herangezogen. 2.2.1 Gegebene und gemachte Begriffe Kant unterscheidet in seiner Begriffslehre der Log in Hinsicht auf die „Materie der Begriffe“35 grundstzlich gegebene von gemachten Begriffen: „Alle Begriffe sind der Materie nach entweder gegebene (conceptus dati) oder gemachte Begriffe (conceptus factitii). Die erstern sind entweder a priori oder a posteriori gegeben. Alle empirisch oder a posteriori gegebenen Begriffe heißen Erfahrungsbegriffe, a priori gegebene, Notionen“ (Log § 4, IX 93.19 – 24).

Da Kant hier nur die gegebenen Begriffe nher spezifiziert, bietet sich die Refl 2853 fr eine mçgliche Unterscheidung gemachter Begriffe an36 :

32 Vgl. bes. KrV B 366, III 244.10 – 13. 33 Vgl. z. B. Pfannkuche 1901. 34 Dies ist bei zahlreichen Abhandlungen zu Kants praktischer Philosophie und sog. Handlungstheorie der Fall. Vgl. z. B. Willaschek 1992. 35 Zur „Materie der Begriffe“ vgl. Log § 2, IX 91.23 f. („Die Materie der Begriffe ist der Gegenstand“). 36 Vgl. auch Klimmek 2005, 9 f.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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„Begriffe sind entweder gegeben oder gemacht; iene vel a posteriori vel a priori. Diese entweder [willkhrlich oder natrlich] (s durch Vernunft geschlossene Begriffe: ideen. oder willkhrlich gedichtete)“ (Refl 2853, XVI 547.4 – 6).

Unter Hinzunahme dieser Refl lassen sich alle Begriffe in Hinsicht auf ihr Verhltnis zu Gegenstnden bzw. Gegenstndlichkeit berhaupt37 in die folgenden Arten einteilen: (a) gegebene Begriffe sind entweder (aa) Kategorien („Notionen“) als a priori gegebene Begriffe oder (ab) Erfahrungsbegriffe als a posteriori (empirisch) gegebene Begriffe; (b) gemachte Begriffe sind entweder (ba) Ideen als „natrlich“ gemachte, d. h. hier: durch Vernunft geschlossene, Begriffe oder (bb) willkrlich gemachte („gedichtete“) Begriffe. Unter Hinzunahme von Kants Einteilung der Begriffe in Hinsicht auf den „Ursprung der Begriffe in Ansehung ihrer Materie“ (Log § 5 Anm. 2, IX 94.15), der nicht in der (allgemeinen) Logik, sondern „in der Metaphysik erwogen [wird]“ (Log § 5 Anm. 2, IX 94.16 f.), sind die Begriffe der Art (aa) als intellektuelle Begriffe, der Art (ab) als empirische Begriffe und der Art (bb) als willkrliche Begriffe zu bezeichnen.38 Die Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe nach der aus der Log entnommenen und ihr zugrunde gelegten Unterscheidung von ,gegeben‘ und ,gemacht‘ ist allerdings in vielerlei Hinsicht problematisch. Problematisch ist hier zuerst die Einordnung der Begriffe der Art (ba). Denn eine eindeutige Identifikation der Ideen qua („natrlich“) gemachte bzw. „geschlossene“ Begriffe mit den transzendentalen Ideen, von denen in ausgezeichneter Weise die „Transzendentale Dialektik“ der KrV handelt, stellt sich als unplausibel heraus.39 Zwar bezeichnet Kant gleich zu Beginn des ersten Buches der „Transzendentalen Dialektik“ die „Begriffe aus reiner Vernunft“ als „geschlossene Begriffe“ (KrV B 366, III 244.12). Insofern kçnnten sie mit Verweis auf Refl 2853 als gemachte Begriffe verstanden 37 Bei der folgenden Einteilung finden die Reflexionsbegriffe keine Beachtung, da durch sie „nicht der Gegenstand nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Grçße, Realitt), sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird“ (KrV B 325, III 220.3 – 6). 38 Vgl. Log § 5 Anm. 2. Intellektuelle Begriffe enthalten etwas „von der Natur des Verstandes Entlehntes“, empirische Begriffe etwas, „was von der Erfahrung hergenommen ist“, und willkrliche Begriffe etwas „Erdichtetes“ (vgl. Log § 5 Anm. 1, IX 94.5 – 10). 39 Eine solche problematische Identifikation findet sich etwa bei Klimmek 2005, 9 – 11.

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werden, die im Unterschied zu den willkrlich gemachten Begriffen der Art (bb) gerade nicht als willkrliche, sondern als intellektuelle Begriffe gefasst werden mssen, d. h. als Begriffe, die „etwas […] von der Natur des Verstandes Entlehntes [enthalten]“ (Log § 5 Anm. 1, IX 94.8 – 10). Der Deutung der transzendentalen Ideen als gemachten Begriffen steht allerdings Kants bekannte ußerung entgegen, „dass transcendentale Ideen ihr [= der menschlichen Vernunft, S.K.] eben so natrlich seien, als dem Verstande die Kategorien“ (KrV B 670, III 426.30 – 32).40 Kants Ausgangspunkt fr die „Erzeugung“ der Ideen ist die „Form der Vernunftschlsse“ bzw. die „Funktion der Vernunft bei ihren Schlssen“ (KrV B 378, III 250.26 f. bzw. 250.34), also das Schließen als logische Funktion der Vernunft.41 Damit verfhrt Kant analog zu seinen Ausfhrungen im Leitfaden-Kapitel der „Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe“.42 Dort wird der Ausgangspunkt fr die „Erzeugung“ der Kategorien, also der Begriffe der Art (aa) qua a priori gegebene Begriffe, in der logischen Funktion des Verstandes (Urteilen) gesetzt. Beide, die Kategorien wie auch die (transzendentalen) Ideen, werden von Kant in der KrV somit aus logischen Funktionen hergeleitet. Die Dichotomie von ,gegeben‘ und ,gemacht‘, wie sie in der Begriffslehre der Log zu finden ist, stellt sich offenkundig als ungeeignet dar, die Besonderheit der reinen Verstandes- und Vernunftbegriffe zu bercksichtigen43 : Denn entweder sind beide Begriffsarten als gegebene Begriffe zu bestimmen, da sie der „Natur“ des Verstandes resp. der Vernunft „entlehnt“ sind44 ; oder beide sind als gemachte Begriffe zu bestimmen, da sie „reflektierte“ resp. „geschlossene“ Begriffe a priori sind – und d. h., sie werden dann als Begriffe verstanden, die von den Urteilsfunktionen resp. Schlussfunktionen hergeleitet werden, die als die logischen Funktionen allein die logische „Natur“ des Verstandes resp. der Vernunft ausmachen und die insofern exklusiv a priori gegeben sind. Hlt man allerdings an Kants Sprachgebrauch in der KrV fest, sind alle intel-

40 Vgl. auch KrV B 642, III 410.7 f. (dort: „als bloße Idee in der Natur der Vernunft seinen Sitz“) und KrV B 697, III 442.13 f. (dort: „sie [= die Ideen der reinen Vernunft] sind uns durch die Natur unserer Vernunft aufgegeben“). 41 Vgl. unten Abschnitt 2.2.2.2. 42 Vgl. bes. KrV §§ 9 und 10. 43 Vgl. auch die hnliche Einschtzung in Hiltscher 2010b. 44 So bestimmt etwa B. Prien sowohl die Kategorien als auch die Ideen qua reine Vernunftbegriffe als „ihrer Materie nach gegebene[] Begriffe“ (Prien 2006, 54, H. v. V.).

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lektuellen Begriffe, die transzendentalen Ideen ebenso wie die Kategorien, als gegebene Begriffe a priori zu bezeichnen.45 Auch mit Blick auf die Erfahrungsbegriffe (ab) zeigt sich eine Schwierigkeit. Zwar ist ihre Identifikation mit denjenigen Begriffen, die Kant in Hinsicht auf ihren „Ursprung der Begriffe in Ansehung ihrer Materie“ (Log § 5 Anm. 2, IX 94.15) als empirische Begriffe bezeichnet, sicher unproblematisch. Jedoch findet sich in Kants Ausfhrungen zur „Definition“ in der „Methodenlehre“ der Log (§§ 99 ff.) etwa die folgende Bemerkung: „Alle empirischen Begriffe mssen also als gemachte Begriffe angesehen werden, deren Synthesis aber nicht willkrlich, sondern empirisch ist“ (Log § 102 Anm., IX 141.25 – 27).

Die Erfahrungsbegriffe (empirischen Begriffe) werden hier als gemachte Begriffe46 bestimmt, da sie nur synthetisch definiert, genauer: exponiert werden kçnnten.47 Synthetische Definitionen sind aber „Definitionen eines gemachten Begriffs“ (Log § 100, IX 141.4 f.). Werden ferner die Ausfhrungen in den folgenden Paragraphen hinzugezogen, wird der Gebrauch der Unterscheidung zwischen ,gegeben‘ und ,gemacht‘ mit Blick auf empirische Begriffe zunehmend unklar. So nennt § 104, der die analytischen Definitionen gegebener Begriffe abhandelt, neben a priori gegebenen Begriffen auch a posteriori gegebene Begriffe. Welche Begriffe dabei 45 Bei seinen Bemerkungen zur Mçglichkeit von Definitionen in der „Methodenlehre“ der KrV nennt Kant etwa als Beispiele fr „a priori gegebene[] Begriff[e]“ (KrV B 756, III 478.5, H. v. V.) nicht nur einzelne Kategorien, nmlich „Substanz“ und „Ursache“, sondern interessanterweise auch „Recht“ und „Billigkeit“ (vgl. KrV B 756, III 478.6). 46 Vgl. auch Refl 2910, in der „Erfahrungsbegriffe“ als „gemacht“ bezeichnet werden; allerdings weist Kant direkt im Anschluss darauf hin, dass ihr „Gegenstand selbst gegeben wird“, so dass er „analysiert“ werden kann (vgl. Refl 2910, XVI 572.2 – 5). Nach Prien „will“ Kant in dieser Refl „nur sagen, dass die Materie der Erfahrungsbegriffe auch in gewisser Weise gemacht ist, weil es eine Willkr bei der Auslese der Wahrnehmungen gibt, aufgrund derer wir den empirischen Begriff bilden“ (Prien 2006, 56). Die oben zitierte Anm. zum § 102 der Log erwhnt er in diesem Zusammenhang nicht. 47 „Die Synthesis der gemachten Begriffe, aus welcher die synthetischen Definitionen entspringen, ist entweder die der Exposition (der Erscheinungen) oder die der Construction. Die letztere ist die Synthesis willkrlich gemachter, die erstere, die Synthesis empirisch, d. h. aus gegebenen Erscheinungen, als der Materie derselben, gemachter Begriffe“ (Log § 102, IX 141.13 – 17). Und in der Anmerkung heißt es: „Alle Definitionen der mathematischen und […] auch der Erfahrungsbegriffe, mssen also synthetisch gemacht werden“ (Log § 102, IX 141.20 – 22, H. v. V.).

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als a posteriori gegebene Begriffe zu bestimmen sind, sagt Kant dort expressis verbis nicht. Allerdings nennt er in der dritten Anmerkung des § 105 wiederum „empirisch gegebene[] Begriffe[]“ (Log § 105 Anm. 3, IX 143.17). Und hatte er in § 102 noch die „Synthesis empirisch, d. h. aus gegebenen Erscheinungen, als der Materie derselben, gemachter Begriffe“ (Log § 102, IX 141.16 f., H. v. V.) als „Exposition (der Erscheinungen)“ (Log § 102, IX 141.14 f.) bezeichnet, schreibt er in der ersten Anmerkung zu § 105: „Die Exposition findet also nur bei gegebenen Begriffen statt“ (Log § 105 Anm. 1, IX 143.8). Diese Unstimmigkeiten lassen sich wahrscheinlich beseitigen, wobei der bloße Rekurs auf die Form-Materie-Unterscheidung, wie er sich in der Log findet48, wohl nicht ausreichen drfte. Beispielsweise kçnnte der scheinbare Widerspruch zwischen der Bestimmung empirischer Begriffe als „gemachter Begriffe“ in § 102 und ihrer Bestimmung als „gegebener Begriffe“ in § 105 so aufgelçst werden, dass § 102 empirische Begriffe allein mit Blick auf die ihnen zugrunde liegende, nie vollstndig abzuschließende Synthesis als gemachte Begriffe abhandelt, whrend im § 105 ihre „Materie“, die gegebenen „Erscheinungen“, hervorgehoben wird und sie insofern gemß den §§ 4 und 5 als gegebene Begriffe bestimmt werden. Oder anders formuliert: In Hinsicht auf ihre „Materie“ (ihren „Gegenstand“) sind empirische Begriffe gegebene Begriffe; in Hinsicht auf die Genese ihres (nichts zu erschçpfenden) Inhalts resp. ihr Zustandekommen qua Synthesis sind sie gemachte Begriffe. Mit Blick auf ihre Inhaltsgenese (empirische Synthesis) kann bei empirischen Begriffen zwar, wie in § 102 behauptet, eine synthetische Definition versucht werden. Da aber die empirische Synthesis „niemals vollstndig sein kann (weil man in der Erfahrung immer noch mehr Merkmale des Begriffs entdecken kann)“ (Log § 103, IX 141.31 – 142.1), wird auch ihre synthetische Definition streng genommen unmçglich, vielmehr nur eine „Annherung[] zur Definition“ qua Exposition (im Sinne von § 105) sein. Damit sind aber empirische Begriffe als a posteriori gegebene Begriffe zu bezeichnen und nur analytisch zu „definieren“, genauer: zu erçrtern (Exposition) oder bloß zu beschreiben (Explikation).49 Wie die intellektuellen Begriffe (Kategorien (aa) und transzendentale Ideen (ba)), wren 48 Vgl. nochmals Log § 2 („Materie und Form der Begriffe“) und auch die Anmerkung zu § 4 („Die Form eines Begriffs als einer discursiven Vorstellung ist jederzeit gemacht“, Log § 4 Anm., IX 93.25 f.). 49 Vgl. nochmals v. a. Log §§ 104 und 105 und auch KrV B 758 f., III 478.37 – 479.23, wo Kant auch zwischen einer „unvollstndige[n] Exposition“ und einer „vollstndigen Exposition, d. i. […] Definition“ (KrV B 758, III 479.15 f. bzw. 18 f.) unterscheidet.

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also auch die empirischen Begriffe (Erfahrungsbegriffe (ab)) in mancherlei Hinsicht als gegebene Begriffe und in mancherlei Hinsicht als gemachte Begriffe bestimmbar. Angemessen scheint eine solche Differenzierung mit Blick auf des Problem der Definition eines Begriffs zu sein: So kçnnte dieser zuerst als gegebener Begriff betrachtet werden, um ihn durch Analysis zu exponieren und um darauf eine Konstruktion bzw. Deklaration50 desselben Begriffs zu versuchen, d. h. nicht allein den Begriff, sondern das durch ihn Bezeichnete synthetisch zu definieren. 51 Ein solches differenzierteres Vorgehen betrfe dann allerdings allein methodologische Fragen und muss als zweitrangig gegenber der prinzipiellen Frage nach einer mçglichen Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe gelten. Die willkrlich gemachten Begriffe (bb) (oder auch: willkrlichen Begriffe) kçnnen schließlich wie folgt unterteilt werden: (bba) mathematische Begriffe, die „eine willkrliche Synthesis enthalten, welche a priori construirt werden kann“ (KrV B 757, III 478.32 f.), (bbb) Prdikabilien als „abgeleitete, entweder reine Verstandes-, oder sinnlich bedingte Begriffe a priori“ (FM XX 272.25 f.), (bbc) aus (empirischen) Begriffen willkrlich zusammengesetzte Begriffe, die „auf empirischen Bedingungen beruh[en]“ (KrV B 757, III 478.26), insofern sie allein „aus dem Stoffe, den uns die Wahrnehmung darbietet“ (KrV B 269, III 188.1 f.) erzeugt werden.

Bei den Begriffen dieser Art zeigen sich deutlich weniger Probleme, die aus der zugrunde gelegten Unterscheidung zwischen ,gegeben‘ und ,gemacht‘ resultieren. So deckt sich die Bestimmung der mathematischen Begriffe (bba) als willkrliche (gemachte) Begriffe auch mit zahlreichen ußerungen Kants, nicht nur in der Log, sondern auch in der KrV.52 Dass die

50 Vgl. Log § 105 Anm 2., IX 143.9 f. (dort: „Declaration, die eine deutliche Vorstellung gemachter Begriffe ist“) und KrV B 757, III 478.21 – 30. 51 In diesem Sinne kann zumindest auch die erste Anmerkung des § 105 konsistent gedeutet werden: „Wir kçnnen entweder einen Begriff oder die Erfahrung exponieren. Das erste geschieht durch Analysis, das zweite durch Synthesis“ (Log § 105 Anm. 1, IX 143.6 f.). 52 Vgl. bes. Log § 102 (dort: „Willkrlich gemachte Begriffe sind die mathematischen“, Log § 102, IX 141.18 f.) und auch die Anm. zu § 103. Vgl. ferner KrV B 201 Anm., III 148.25 – 30/149.28 – 37, KrV B 757, III 478.30 – 33 (dort: „[Begriffe], die eine willkrliche Synthesis enthalten“), KrV B 758, III 479.7 – 10 (dort: „mathematische [Definitionen] aber als Constructionen ursprnglich gemachter

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mathematischen Begriffe als gemachte Begriffe auszuzeichnen sind, bezieht sich dabei auf die ihnen eigentmliche Mçglichkeit ihrer apriorischen Konstruktion in der reinen Anschauung.53 Allerdings ist hier anzumerken, dass die Formen der Anschauung selbst, mithin die formalen Anschauungen von Raum und Zeit offenkundig gegeben sind54, weshalb von einer vçllig willkrlichen Konstruktion dieser Begriffe nicht die Rede sein kann. Die Prdikabilien (bbb) wiederum kçnnten als „abgeleitete Verstandesbegriffe a priori“ auch in die Gruppe der intellektuellen Begriffe gezhlt werden, da auch diese ausschließlich „etwas […] von der Natur des Verstandes Entlehntes [enthalten]“ (Log § 5 Anm. 1, IX 94.8 – 10). Sie umfassen aber die weitere Unterart der „sinnlich bedingten Verstandesbegriffe a priori“ und kçnnen durch willkrliche Kombinationen von Kategorien entweder „mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch untereinander“ (KrV B 108, III 94.27 f.) erzeugt werden.55 Insofern scheint ihre Bestimmung als willkrlich gemachte Begriffe (bb) berechtigt. Bei ihrer Auszeichnung als willkrlich gemachte Begriffe ergibt sich schließlich, ebenso wie bei den zusammengesetzten Begriffen (bbc), das Problem, dass die zu kombinierenden Elemente keineswegs (willkrlich) konstruierte oder „gemachte“ sind, sondern offenkundig gegebene – im Falle der Prdikabilien: die Kategorien (aa) und „modis der reinen Sinnlichkeit“, im Falle der zusammengesetzten Begriffe: empirische Begriffe resp. Erfahrungsbegriffe (ab). Die Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe anhand der in der Log zu findenden Unterscheidung zwischen ,gegeben‘ und ,gemacht‘ erweist sich nach den vorangegangenen Ausfhrungen als nicht kohrent. Aussichtsreicher scheint in dieser Hinsicht der Weg, eine solche umfassende Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe anhand der grundstzlichen Frage nach der Gegenstandsbezogenheit, d. h. der objektiven Realitt, der einzelnen Begriffsarten zu versuchen.56 Mit Blick auf die hier zu erçrternde

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Begriffe“) und UDGTM II 276.7 – 11 bzw. UDGTM II 280.8 – 10 (dort: „willkrliche Verbindung [der Begriffe]“). Vgl. dazu v. a. Kants Ausfhrungen zum „doppelten Vernunftgebrauch“ im ersten Abschnitt des ersten Hauptstcks der transzendentalen Methodenlehre der KrV („Die Disciplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche“, KrV B 740 – 766, III 468.22 – 483.32). Vgl. auch unten Abschnitt 4.1.3. Vgl. z. B. KrV B 42, III 55.11 – 18 (dort: „die Form aller Erscheinungen […] a priori im Gemthe gegeben“), KrV B 46, III 57.30 (dort: „Die Zeit ist also a priori gegeben“). Vgl. unten Abschnitt 2.2.3. So auch Hiltscher 2010b. – Vgl. weiterfhrend unten Abschnitt 3.2.1.

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Frage nach einer Einordnung des Zweckbegriffs in die ,Gesamtheit aller mçglichen Begriffe‘ bietet die herangezogene Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe anhand der Unterscheidung zwischen ,gegeben‘ und ,gemacht‘ allerdings eine zweifache Gelegenheit: einerseits nach der Vorstellung aller fr die Bestimmung des begrifflichen Status des Zweckbegriffs sich bisher darbietenden Begriffsarten zu versuchen, den Zweckbegriff unter eine dieser Arten zu subsumieren, und andererseits die Differenz zwischen dem Zweckbegriff selbst und den einzelnen Zweckvorstellungen qua Begriffen pointierter herauszustellen. Wie oben festgelegt, bezeichnet in der vorliegenden Untersuchung der Zweckbegriff (selbst) etwas, das sowohl eine Zweckvorstellung als auch ein Zweckobjekt sowie deren Relation umfasst57; d. h. er bezeichnet denjenigen Fall, dass ein Begriff als Zweckvorstellung und ein Gegenstand als Zweckobjekt bestimmt sind. Dieser Fall liegt genau dann vor, wenn ein einzelner Begriff (Idee) als Ursache des durch ihn vorgestellten, zu bewirkenden Objekts gilt. Zweckbegriff und Zweckvorstellung(en) sind also nicht zu verwechseln. Im Zuge einer Klrung des Zweckbegriffs ist die Klrung der spezifischen Bestimmtheit von Zweckvorstellungen ebenso unerlsslich wie die Klrung der spezifischen Bestimmtheit von Zweckobjekten. Werden die aufgezhlten Begriffsarten, die sich im kantischen Text finden lassen, herangezogen, kçnnen mit Blick auf die Frage nach einer Einordnung (1) des Zweckbegriffs und (2) der Zweckvorstellungen in die ,Gesamtheit aller mçglichen Begriffe‘ abschließend die folgenden Bemerkungen getroffen werden: (1) Folgende Begriffsarten sind fr die Bestimmung des begrifflichen Status des Zweckbegriffs auszuschließen: die mathematischen Begriffe (bba), die willkrlich zusammengesetzten Begriffe (bbc), aber auch die empirischen Begriffe (ab). Dass der Zweckbegriff kein mathematischer Begriff ist, muss wohl nicht umstndlich begrndet werden, da er offenkundig kein Begriff eines Gegenstandes der reinen Anschauung („Mathema“), sondern mit dem reinen Verstandesbegriff der Kausalitt notwendig verbunden ist. Er ist auch kein aus empirischen Begriffen (willkrlich) zusammengesetzter Begriff, berhaupt kein Begriff a posteriori – auch kein empirischer Begriff. Die Bestimmungsstcke, mit denen Kant den Zweckbegriff definiert, sind, wie gesehen, vielmehr Begriffe a priori.58 57 Vgl. oben Abschnitt 2.1.4. 58 Wenn das Problem der Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe ausgehend von der Frage nach ihrer Gegenstandsbezogenheit („objektive Realitt“) gelçst wird, scheint der Zweckbegriff dagegen durchaus einen empirischen Charakter zu haben,

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(2) Im Unterschied dazu sind Zweckvorstellungen keine Begriffe a priori im Sinne von intellektuellen Begriffen qua Kategorien (aa) und transzendentalen Ideen (ba) und auch keine Begriffe a priori im Sinne der Prdikabilien (bbb). Als diejenigen Begriffe, die ein zu bewirkendes Objekt vorstellen und als Ursache fr dessen Bewirkung gelten, scheinen sie eher zur Gruppe der willkrlich zusammengesetzten Begriffe (bbc) und/oder der empirischen Begriffe (ab) zu gehçren.59 Allerdings gibt es besondere Zweckvorstellungen, die sicher nicht empirischen Ursprungs sind: Kant bezeichnet die Idee der „unbedingte[n] Totalitt des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 194, V 108.11 f.), das „hçchste Gut“, als Endzweck.60 Ferner werden die „eigene Vollkommenheit“ und die „fremde Glckseligkeit“ als Zwecke, „die zugleich […] Pflichten sind“ (MS VI 385.13 f.)61, also als moralische Zweckvorstellungen bestimmt. Zu diesen besonderen Zweckideen zhlt auch die „Idee eines Naturzwecks“ bzw. „der Begriff einer Causalitt der [Natur], als ein nach Zwecken handelndes Wesen“ (KU B 345, V 405.13 f.). Zudem sind die transzendentalen Ideen in einem bestimmten Sinn als Zweckvorstellungen anzusehen, indem sie „den Verstand zu einem gewissen Ziele […] richten“ (KrV B 672, III 428.3). Ihr Gegenstand ist dann „nur ein Schema“ (z. B. KrV B 689, III 443.1) qua „durchgngige systematische Einheit aller Verstandesbegriffe“ (KrV B 693, III 440.1).62 Demnach sind zumindest einige besondere Zweckvorstellungen doch als Ideen (ba) zu bestimmen.63 Dass Zweckvorstellungen keine mathematischen Begriffe (bba) sind, ist fraglos: Mathematische Begriffe sind Begriffe von Gegenstnden der reinen An-

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da seine objektive Realitt nur empirisch auszuweisen ist. Vgl. dazu unten Abschnitt 3.3.3. Vgl. dazu ausfhrlich unten Abschnitt 3.2.2 und 3.3.4. Vgl. v. a. KU § 88. Vgl. v. a. MS VI 385.30 – 388.30. Kants Lehre von den transzendentalen Ideen als „regulativen Principien der systematischen Einheit des Mannigfaltigen der empirischen Erkenntniß berhaupt“ (KrV B 699, III 443.31 f.) ist demzufolge (auch) unter dem Gesichtspunkt zu deuten, dass von den transzendentalen Ideen nur als Zweckvorstellungen legitim Gebrauch gemacht werden kann. Die Lehre von der regulativen Funktion der transzendentalen Idee fhrt Kant im „Anhang zur transcendentalen Dialektik“ in der KrV aus (vgl. KrV B 670 – 730, III 426.21 – 460.30 und dazu neuerdings Dçrflinger/Kruck 2011). Vgl. unten Abschnitt 3.3.4.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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schauung und damit nicht zugleich schon Begriffe von zu bewirkenden Gegenstnden.64 2.2.2 Begriffe a priori und Zweckbegriff Nach Ausschluss der mathematischen Begriffe (bba), der willkrlich zusammengesetzten Begriffe (bbc) sowie der empirischen Begriffe (ab) kommen fr die Subsumtion des Zweckbegriffs unter eine der aufgezhlten Begriffsarten allein die Kategorien (aa), die transzendentalen Ideen65 (ba) und die Prdikabilien (bbb) in Betracht. Alle drei Begriffsarten umfassen allein Begriffe a priori.66 Unter Begriffen a priori sind mit Kant nur solche 64 Zum Verhltnis von Zweckbegriff bzw. Zweckvorstellungen und mathematischen Begriffen vgl. unten Abschnitte 4.1.3 und 4.2.3. 65 Mit „Idee“ kann hier offenkundig nicht eine „sthetische Idee“ gemeint sein, die als „inexponible Vorstellung der Einbildungskraft“ (KU B 240, V 342.20 f.) bloß eine „Anschauung (der Einbildungskraft) ist, der niemals ein Begriff adquat gefunden werden kann“ (KU B 240, V 342.16 f.). Gefragt wird hier, ob der Zweckbegriff als „Vernunftidee“, die „einen Begriff (vom bersinnlichen) enthlt“ (KU B 240, V 342.18), verstanden werden muss. 66 Um die Aufzhlung aller Begriffe a priori, im Sinne einer Topik, zu vervollstndigen, mssen noch die Reflexionsbegriffe (auch: Vergleichungsbegriffe) und die Begriffe der reinen Anschauung (auch: Mathema, mathematische Begriffe) genannt werden. Die Schemate der Kategorien sind dagegen keine Begriffe (vgl. auch Cramer 1966, 56 f.). Die Klasse der Reflexionsbegriffe umfasst acht Begriffe in vier Paaren („Einerleiheit und Verschiedenheit“, „Einstimmung und Widerstreit“, „Das Innere und ußere“, „Materie und Form“). In ihrem „logischen“ Gebrauch kann man sie nach Kant auch „Vergleichungsbegriffe nennen (conceptus comparationis)“ (KrV B 318, III 216.3), da durch sie Begriffe miteinander verglichen und somit zur Deckung gebracht bzw. voneinander abgegrenzt werden kçnnen. Fr die „transzendentale Reflexion“ (KrV B 319, III 216.20) sind sie unentbehrlich, da durch sie auch der „Inhalt der Begriffe“ (KrV B 318, III 216.4 f.) verglichen werden kann und somit eine Zuordnung der „Dinge“ qua „Vorstellungen“ zum Denken (Verstand) oder zur Sinnlichkeit mçglich wird. Sie tragen zum Erkennen demnach nichts bei, sondern stellen der transzendentalen Reflexion lediglich Aspekte zur Verfgung, die prinzipielle Differenz zwischen Verstand und Sinnlichkeit im Erkennen auf den Begriff zu bringen (vgl. dazu auch Cramer 1966, 56 f.). Ihr Ursprung bzw. Ableitungsprinzip ist nach den expliziten ußerungen Kants unklar, auch wenn Kant im Amphiboliekapitel der KrV die ersten beiden Paare der Reflexionsbegriffe mit den ersten beiden Klassen der Urteilstafel (Quantitt und Qualitt, vgl. KrV § 9) beilufig in Beziehung setzt (vgl. KrV B 317 f., III 215.33 – 216.1, zur Diskussion vgl. bes. Reuter 1989, 191 – 202, weiterfhrend Graubner 1972 und Longuenesse 2000).

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„allgemeinen Vorstellung[en]“ (KrV B 741, III 469.14) zu verstehen, die „lediglich im Verstande [ihren] Ursprung“ (KrV B 377, III 250.9) haben oder von diesen „abgeleitet[]“ (z. B. KrV B 108, III 94.15) sind. Keiner dieser Begriffsarten ordnet Kant den Zweckbegriff expressis verbis zu. Es stellt sich damit die Frage: Gehçrt der Zweckbegriff zu den Kategorien, den Ideen oder den Prdikabilien? In welchem Verhltnis steht er zu ihnen? 2.2.2.1 Kategorien und Zweckbegriff Kant nennt in seiner „Tafel der Kategorien“67 den Zweckbegriff nicht. Da Kant auf der Vollstndigkeit der Tafel beharrt, kann problemlos geschlossen werden, dass er nicht zur Begriffsart der Kategorien (auch: Prdikamente, Notionen, reine Verstandesbegriffe) gehçrt. Weiterhin bestimmt Kant den Zweckbegriff, wie gesehen, an mehreren Stellen68 mit Hilfe der Kausalittskategorie (oder im Zusammenhang mit den Modalkategorien der Mçglichkeit und Wirklichkeit), weshalb es ungereimt wre, ihn selbst als Kategorie auszuzeichnen. Allerdings gibt es noch einen sachlichen Grund, der den Zweckbegriff als Kandidaten auf den Titel eines reinen Verstandesbegriffs disqualifiziert: Die Kategorien sind nach Kant die „Begriffe von einem Gegenstande berhaupt“ (KrV B 128, III 106.17) und „[liegen] als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntnis zum Grunde“ (KrV B 126, III 104.35 – 105.1). D. h. ferner: Ein Gegenstand muss, um berhaupt als Gegenstand zumindest gedacht werden zu kçnnen, durch die Kategorien (minimal) bestimmt sein.69 Die Kategorien konstituieren demnach gegenstndlichen Sinn („synthetische Einheit“).70 Nun mag zwar jeder Gegenstand auch als Zweck bzw. zweckmßig vorgestellt werden kçnnen, er muss jedoch nie als Zweck bzw. zweckmßig bestimmt werden, um berhaupt als mçglicher Gegenstand (der Erfahrung) zu gelten. Anders gesagt: Der Zweckbegriff ist nicht konstitutiv fr mçgliche Gegenstndlichkeit berhaupt, mithin fr mçgliche Erfahrungserkenntnis. Er trgt nichts zur Konstitution von gegenstndlichem Sinn berhaupt bei. Damit scheidet die Mçglichkeit, ihn selbst als Kategorie im Sinne Kants zu bestimmen, offensichtlich aus. Mit Blick auf die Funktion der Kategorien ist hervorzuheben, dass sie als Konstitutionsprinzipien von gegenstndlichem Sinn berhaupt nicht 67 Vgl. KrV § 10. 68 Vgl. nochmals KU B XXVIII, V 180.30 f., KU B 32, V 220.1 – 3, KU B 350, V 408.4 – 6. 69 Vgl. z. B. KrV B 146, III 117.1 f. 70 Vgl. etwa Hiltscher 1998, 30, 64 – 78, 99 f., 104 – 114.

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nur „Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntnis“ sind. Als solche verlangen sie nach einem Mannigfaltigen der Anschauung, das vermittelst der reinen Anschauungsformen Raum und Zeit gegeben wird. Fr sich genommen sind die Kategorien somit „bloß subjective Formen der Verstandeseinheit“ (KrV B 343, III 230.22). Sie kçnnen aber auch, sofern „sie auf Gegenstnde berhaupt, unabhngig von ihrer Anschauung, bezogen werden“ (KpV A 254 f., V 141.18 f.), „zum bestimmten Denken des bersinnlichen dienen“ (KpV A 255, V 141.22 f.). Es kann zugespitzt formuliert werden: Soll berhaupt etwas – und sei es auch „bersinnliches“ – als ein Bestimmtes gedacht werden, muss es zumindest durch die Kategorien (minimal) bestimmt sein. Dies muss auch auf das durch den Zweckbegriff Bezeichnete zutreffen. Da der Zweckbegriff ein zu verwirklichendes Objekt, also etwas, „was nur durch einen Verstand existiren kan“ (VAMS XXIII 387.28 f.), umfasst, ist besonders die Klasse der dynamischen Kategorien zur Bestimmung des Zweckbegriffs bzw. des durch den Zweckbegriff Bezeichneten relevant. Denn nur die dynamischen Kategorien der Relation und der Modalitt sind „auf die Existenz [der] Gegenstnde [der Anschauung] (entweder in Beziehung aufeinander oder auf den Verstand) gerichtet“ (KrV B 110, III 95.28 f.).71 Von diesen ist besonders die Kausalittskategorie von Interesse, da der Zweckbegriff nicht nur das zu verwirklichende Objekt, sondern auch „die Caußalitt dadurch es existirt“ (VAMS XXIII 387.29) umfasst. Dass Kants Definitionen des Zweckbegriffs stets die Bezugnahme auf ein Kausalverhltnis enthalten und dass der Zweckbegriff die Vorstellung einer spezifischen Kausalitt (Zweckkausalitt) umfasst, wurde bereits festgehalten. Diese muss qua Kausalitt auch gemß der Kategorie ,Ursache – Wirkung‘ gedacht werden. Fr eine adquate Bestimmung des Zweckbegriffs scheint also die Kausalittskategorie von besonderer Bedeutung zu sein. Es stellt sich dann die Frage nach der Spezifizierung des allgemeinen Kausalverhltnisses zu dem besonderen Verhltnis der Zweckkausalitt. Ob schließlich neben der Kausalittskategorie noch weitere Kategorien fr die Bestimmung des durch den Zweckbegriff Bezeichneten notwendig sind, insofern mit dem Zweckbegriff etwas Spezifisches gedacht werden soll, muss gesondert bedacht werden.72

71 Vgl. auch KrV B 199, III 147.4 – 7, ferner Prol § 39, IV 325.27 – 31. 72 Dazu ausfhrlich unten Kapitel 3.

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2.2.2.2 Ideen und Zweckbegriff Ideen als Begriffe a priori zeichnen sich nach Kant dadurch aus, dass ihnen kein Gegenstand in der Erfahrung entsprechen kann, da sie die „Erfahrung bersteig[en]“ (KrV B 377, III 250.11). Sie bersteigen den Bereich mçglicher Erfahrung, der durch das Konfungieren von reinen Anschauungsformen und Kategorien konstituiert wird, da sie das „Unbedingte“ (z. B. KrV B 379, III 251.18) bzw. „bersinnliche[]“ (z. B. KU B 240, V 342.18) vorstellen. Durch dieses Vorstellen des „Unbedingten“ erzeugen sie den „transzendentalen Schein“, auf mçgliche Gegenstnde bezogen zu sein, weshalb sie nach dem System der Kritik in einer „Dialektik“ abzuhandeln sind. Sie sind dennoch fr Erkenntnis notwendige Begriffe, denen Kant trotz ihres Scheins einen berechtigten, nmlich einen regulativen Sinn zuspricht.73 Nach der „Stufenleiter“ der „Vorstellungsarten“ am Anfang des ersten Buches der „Transzendentalen Dialektik“74 stehen die Ideen in einem engen Zusammenhang mit den Kategorien. Die Idee wird dort folgendermaßen bestimmt: „Ein Begriff aus Notionen, der die Mçglichkeit der Erfahrung bersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff“ (KrV B 377, III 250.10 f.).

Was die Wendung „Begriff aus Notionen“ bedeutet, bleibt hierbei allerdings unklar. Die mçgliche Deutung, dass Ideen lediglich auf eine Verbindung der Kategorien zurckgehen (wie ein Teil der Prdikabilien) und insofern „abgeleitete“ oder „gemachte“ Begriffe sind, scheidet aus. Denn wie bereits bemerkt, sind (zumindest) die transzendentalen Ideen ebenso der „Natur“ der Vernunft „entlehnt“ wie die Kategorien der „Natur“ des Verstandes.75 Der Ausgangspunkt fr die ,Erzeugung‘ der (transzendentalen) Ideen ist, wie ebenfalls bereits hervorgehoben, die „Form der Vernunftschlsse“ bzw. die „Funktion der Vernunft bei ihren Schlssen“ (KrV B 378, III 250.26 f. bzw. 250.34). Nach dieser wird im Obersatz eines Schlusses das Prdikat, das in der Konklusion auf einen bestimmten Gegenstand restringiert wird, als „vollendete Grçße des Umfanges“, d. h. als „Allge73 Vgl. bes. KrV B 670 – 673, III 426.25 – 428.31. R. Zocher unterscheidet einen zweifachen Sinn der Ideen als (quasi-)gegenstndliche Begriffe und als Richtungsbegriffe und im Anschluss daran eine zweifache Deduktion der Ideen (vgl. Zocher 1958, weiterfhrend Caimi 1995). 74 Vgl. KrV B 376 f., III 249.36 – 250.11. 75 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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meinheit“ (KrV B 379, III 251.13 f.), vorgestellt. Der ,Allgemeinheit‘ ordnet Kant mit Blick „auf die synthetische Einheit der Anschauungen“ (KrV B 378, III 250.27 f.) qua Gegenstndlichkeit berhaupt die Kategorie der „Allheit (Universitas) oder Totalitt der Bedingungen“ (KrV B 379, III 251.15 f.) zu.76 Dem aus der formalen Analyse des Vernunftschlusses gezogenen Ergebnis, dass im Obersatz eines solchen eine ,Totalitt der Bedingungen‘ vorgestellt wird, entnimmt Kant die Annahme des Unbedingten, das „allein die Totalitt der Bedingungen mçglich macht“ (KrV B 379, III 251.18 f.). Das Unbedingte wird demnach als „Grund der Synthesis des Bedingten“ (KrV B 379, III 251.22) und der Begriff des Unbedingten als „reiner Vernunftbegriff“ (KrV B 379, III 251.20 f.) bestimmt. Darauf deutet Kant an, dass allen drei „Arten des Verhltnisses“ (KrV B 379, III 251.23), die nach der Kategorienklasse der Relation vorgestellt werden, in Hinsicht auf das „Unbedingte“ je eine Ideenklasse zugeordnet werden kann.77 Nach der Anwendung der drei Kategorien der Relation ergibt sich schließlich die Dreiteilung der Ideenklassen in eine psychologische (Substanzkategorie), kosmologische (Kausalittskategorie) 76 Eine genaue Explikation des Verhltnisses der Begriffe ,Allgemeinheit‘, ,Allheit‘ und ,Totalitt‘ unter Bercksichtigung der Kategorientafel kann hier beiseite gestellt werden. Vgl. dazu aber bes. KrV B 379, III 251.13 – 16, KrV B 111, III 96.8 f. und KrV B 114 f., III 98.17 – 20. 77 Gegen eine Rckfhrung der (psychologischen, kosmologischen und theologischen) Ideenklassen auf die bzw. gemß der drei Relationskategorien hat jngst N.F. Klimmek eingewandt, dass die Dreiteilung aus den drei allein denkbaren Gegenstandsbereichen (vgl. KrV B 390 f., III 257.31 – 258.14) resultiere (Klimmek 2005, 42 – 50). Ferner versucht er den Ausweis, dass die „jeweils vier speziellen transzendentalen Ideen des n-ten Hauptstcks der transzendentalen Dialektik […] sich als bis ins Unbedingte erweiterte Kategorien ein-eindeutig auf die jeweils vier nten Kategorien jeder Kategoriengruppe beziehen [lassen] (1  n  3)“ (Klimmek 2005, 64). Die Systematizitt der Ideenlehre Kants wird dadurch zwar klar herausgestellt, allerdings stehen nicht nur Klimmeks These der Bestimmung der Ideen als gemachter Begriffe (vgl. oben Abschnitt 2.2.1), sondern auch seiner These ber den Grund der Dreiteilung der Ideenklassen in den denkbaren Gegenstandsbereichen zahlreiche ußerungen Kants entgegen. Neben den bereits angefhrten aus der KrV vgl. v. a. auch Prol §§ 40 – 44, bes. § 43; dort heißt es: „Da ich den Ursprung der Kategorien in den vier logischen Functionen aller Urtheile des Verstandes gefunden hatte, so war es ganz natrlich, den Ursprung der Ideen in den drei Functionen der Vernunftschlsse zu suchen […]. Der formale Unterschied der Vernunftschlsse macht die Eintheilung derselben in kategorische, hypothetische und disjunctive nothwendig. Die darauf gegrndete Vernunftbegriffe enthalten also erstlich die Idee des vollstndigen Subjects (Substantiale), zweitens die Idee der vollstndigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollstndigen Inbegriffs des Mçglichen“ (Prol IV 330.5 – 20).

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und theologische (Gemeinschaftskategorie), die auch in Anlehnung an die Schulmetaphysik mit den Titeln ,Seele‘, ,Welt(ganzes)‘ und ,Gott‘ versehen werden.78 Ohne auf die einzelnen, durchaus problematischen Details und offenen Fragen von Kants Vorgehen79 nher einzugehen, lassen sich drei Punkte hervorheben: (1) Da die transzendentale Logik nicht bloß Wissenschaft der „Form des Denkens berhaupt“ (KrV B 79, III 77.24), sondern „Wissenschaft des reinen Verstandes[-] und Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstnde vçllig a priori denken“ (KrV B 81, III 78.26 – 28, H. v. V.), ist, fragt Kant bei der formalen Analyse des Schließens durch die Vernunft nach mit diesem notwendig einhergehenden Begriffen mit apriorischem Gegenstandsbezug. (2) Einen solchen Begriff findet Kant mit dem Begriff ,Allheit‘ qua ,Totalitt aller Bedingungen‘. Dieser setzt seinerseits den Begriff des Unbedingten voraus, da „die Totalitt der Bedingungen jederzeit selbst unbedingt ist“ (KrV B 379, III 251.19 f.). Daher kann Kant einen reinen Vernunftbegriff „durch den Begriff des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthlt“ (KrV B 379, III 251.21 f.), erklren.80 (3) Da die Begriffe ,Bedingung‘ und ,Bedingtes‘ relational einander zugeordnet sind, spezifiziert Kant den Begriff des Unbedingten mittels der drei Kategorien der Relation. Durch diese Spezifikation werden drei spezifische reine Vernunftbegriffe erzeugt81 und damit der Begriff des Unbedingten nher bestimmt.

78 Vgl. bes. KrV B 379, III 251.23 – 28, KrV B 391, III 258.15 – 18 und auch KrV A 397, IV 247.33 – 248.8. 79 Vgl. neben den genannten Arbeiten (Caimi 1995, Klimmek 2005 und Zocher 1958) dazu auch Bickmann 2002. 80 Dass den Ideen qua reine Vernunftbegriffe niemals objektive Realitt eingerumt werden kann, ist an dieser Stelle bereits hinreichend deutlich: Da das Vernunftvermçgen in seiner Ttigkeit des Schließens ohnehin nicht auf mçgliche Anschauung(en), sondern vielmehr auf bereits durch den Verstand(esbegriff ) geleistete synthetische Einheit (in Urteilen) bezogen ist, und versucht, diese „bis zum Schlechthinunbedingten hinauszufhren“ (KrV B 383, III 253.22 f.), werden bei der Erzeugung von Vernunftbegriffen eo ipso die Leistungen der (reinen) Sinnlichkeit qua Anschauungen ausgeklammert. Sie mssen ausgeklammert werden, da in der Anschauung „berall nichts Unbedingtes angetroffen wird“ (KrV B 554, III 359.11 f., vgl. auch KrV B 383, III 253.27 – 29). Etwas ,Unbedingtes‘ kann niemals in einer Anschauung gegeben, sondern bloß durch Vernunft geschlossen werden. 81 Vgl. KrV B 379, III 251.23 – 28.

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In diesem Verfahren zeigt sich einerseits der genuine „Ursprung“ der (transzendentalen) Ideen im „Vernunftvermçgen“ und andererseits auch die notwendige Abhngigkeit ihrer Bestimmtheit als gedachte Begriffe von der Kategorientafel. Eine spezifische Bestimmtheit gewinnt der Begriff des Unbedingten erst durch die Anwendung der Relationskategorien. Es kann kurz gesagt werden: Die (transzendentalen) Ideen sind durch reines Denken erzeugte Begriffe des Unbedingten bzw. Totalittsbegriffe.82 82 Unter Zuhilfenahme der Kategorientafel kçnnen schließlich weitere, abgeleitete Vernunftbegriffe erzeugt werden, durch welche die (scheinbaren) Gegenstnde der transzendentalen Ideen weiter bestimmt werden kçnnen. Da das vermeintliche Objekt eines reinen Vernunftbegriffs eo ipso nicht mittels einer Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung weiter bestimmt werden kann, bleibt der Vernunft zu dessen Weiterbestimmung ausschließlich der Rckgriff auf die notwendigen Funktionen des Denkens (Kategorien). Die zu erzeugenden abgeleiteten Vernunftbegriffe kçnnen somit wiederum als Spezifikationen ihres zugrunde liegenden reinen Vernunftbegriffs (transzendentale Idee) verstanden werden. Ein Beispiel fr dieses Verfahren findet sich im Paralogismus-Kapitel der KrV. Dort fhrt Kant aus, wie in einer rationalen Seelenlehre der ihr einzig zur Verfgung stehende Begriff, der reine Vernunftbegriff eines Unbedingten „der kategorischen Synthesis in einem Subjekt“ (KrV B 379, III 251.26), „wenn er auf einen Gegenstand (mich selbst) bezogen werden soll, nichts anderes, als transzendentale Prdikate desselben, enthalten kçnne“ (KrV B 401, III 264.6 – 8). Um dieser Idee durch „transzendentale Prdikate“ zu grçßerer Bestimmtheit zu verhelfen, wird man, so Kant, „hier bloß dem Leitfaden der Kategorien zu folgen haben“ (KrV B 402, III 264.11 f.). Daher stellt Kant zuerst die transzendentale Idee (hier: ,Seele‘) jeweils unter die vier Modi des Denkens und erhlt folgende Begriffe: ,Substantialitt‘ nach der Relation, ,Simplizitt‘ nach der Qualitt, ,numerische Identitt‘ qua ,Einheit‘ nach der Quantitt, ,Idealitt‘ nach der Modalitt (vgl. die Tafel in KrV B 402, III 264.20 – 29 und die berschriften zu den einzelnen Paralogismen in der ersten Auflage: KrV A 348, IV 220.6, A 351, IV 221.32 und A 366, IV 230.29). Aus dieser „Topik der rationalen Seelenlehre“ kann und muss nach Kant „alles brige, was sie nur enthalten mag, abgeleitet werden“ (KrV B 402, III 264.17 f.). Solche Ableitung geschieht nach Kant „lediglich durch die Zusammensetzung, ohne im mindesten ein anderes Principium zu erkennen“ (KrV B 403, III 265.2 f.), so dass die abgeleiteten Vernunftbegriffe „Immaterialitt“ (Substanz als Gegenstand des inneren Sinns, vgl. KrV B 403, III 265.3 f.), „Inkorruptibilitt“ (Substanz nach der Qualitt als einfache Substanz, vgl. KrV B 403, III 265.4 f.), „Personalitt“ (Substanz nach der Quantitt als intellektuelle Substanz, vgl. KrV B 403, III 265.5 f.) und „Kommerzium mit Kçrpern“ (Substanz nach der Modalitt als das Verhltnis zu den Gegenstnden im Raum, vgl. KrV B 403, III 265.7 f.) erzeugt werden kçnnen. Auch diese abgeleiteten Vernunftbegriffe kçnnen wieder in ein kombinatorisches Verhltnis gesetzt werden, so dass sich als weitere abgeleitete Vernunftbegriffe „Spiritualitt“ (vgl. KrV B 403, III 265.6 f.), der eines „Grund[es] der Animalitt“ (vgl. KrV B 403, III 265.8 – 10) und „Immortalitt“

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Erweckt Kant in der „Transzendentalen Dialektik“ der ersten Kritik noch den Eindruck, dass mit den genannten Ideen bzw. Ideenklassen das gesamte System der Ideen aufgestellt ist83, findet der Leser in den spteren Schriften eine nicht unerhebliche Menge an weiteren Ideen.84 Allen ist aber der Bezug auf das „Unbedingte“ bzw. „bersinnliche“ gemein und allen spricht Kant fr ihren jeweiligen Bereich eine notwendige regulative Funktion zu. Auch den Begriff ,Zweck‘ setzt Kant mehrfach in den Kontext der Ideen. Es fllt dabei jedoch auf, dass Kant zumeist besondere Zweckvorstellungen meint, wie im Falle der Idee des Endzwecks, der Idee des Naturzwecks oder im Falle der transzendentalen Ideen85, die „den Verstand zu einem gewissen Ziele […] richten“ (KrV B 672, III 428.3). Ferner schreibt er, wie ebenfalls schon erwhnt, bei seiner Unterscheidung von nexus effectivus und nexus finalis in Hinsicht auf den zweiten von einer „Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken)“ (KU B 289, V 372.25) oder vom Vermçgen des Willens, „etwas gemß einer Idee, die Zweck genannt wird, hervorzubringen“ (GTP VIII 181.13 f.). Im zweiten Textverweis nennt Kant dasjenige „Idee“, was er in den bereits angefhrten Definitionen des Zweckbegriffs bloß als „Vorstellung“ oder „Begriff“ bezeichnet.86 Außerdem wird hierbei das Zusammenspiel von „Grund“ und „Wirklichkeit“ des Objekts mit dem Terminus ,Hervorbringen‘ bestimmt.87 Hervorbringung geschieht demnach aufgrund von „Ideen“. Dass damit nicht die transzendentalen Ideen selbst gemeint sein kçnnen, ist offensichtlich. Vielmehr wird der Ideenbegriff hier in einem weiteren Sinne gebraucht.88 Denn jeder beliebige Begriff kann nach Kant insofern (auch) als Idee im weitesten Sinne betrachtet werden, als bei jeder begrifflichen Vorstellung gefragt werden kann, „ob sie bloße Idee und

83 84

85 86 87 88

(vgl. KrV B 403, III 265.10 f.) ergeben. Als „transzendentale Prdikate“ referieren solche abgeleiteten Vernunftbegriffe nicht auf einen je eigenen (vermeintlichen) Gegenstand, sondern dienen der apriorischen Bestimmung des (vermeintlichen) Gegenstandes der Idee durch reines Denken. Vgl. bes. KrV B 391, III 258.9 f. und KrV B 393 f., III 258.30 – 259.6. Z. B. den „verborgenen Plan[] der Natur“ (IaG VIII 27.3), die „sthetischen Ideen“ (KU § 57, Anm. 1), den „andern mçglichen Verstande“ (KU B 345 f., V 405.28) als „intuitiven Verstand“ (KU § 77), den „contractus originarius“ (TP VIII 297.5) oder den „ewigen Frieden“ (ZeF VIII 349.34 f. Anm.), um nur einige aufzuzhlen. Vgl. oben Abschnitt 2.2.1. Vgl. auch die bereits angefhrte Definition in EEKU XX 236.4 – 7. Vgl. auch MS VI 381.4 – 6, MS VI 384.33 f. und KU B 381, V 426.7 – 9. Vgl. etwa Kants allgemeine Bestimmung des Ideenbegriffs in KrV B 860, III 538.29 – 539.1 und dazu ausfhrlich unten Abschnitt 3.3.1.

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Gedankending sei, oder in der Welt ihren Gegenstand antreffe“ (KrV B 517, III 337.35 f., H. v. V.). Dies trifft sowohl auf den Zweckbegriff als auch auf konkrete Zweckvorstellungen zu. Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings die entscheidende Frage, ob der Zweckbegriff selbst als Idee im engeren Sinne, also als Begriff, „der die Mçglichkeit der Erfahrung bersteigt“ (KrV B 377, III 250.10 f.), zu bestimmen ist. Wird die prinzipielle Unmçglichkeit der Darstellung des gedachten Gegenstandes als wesentliches Merkmal des Ideenbegriffs genommen, dieser also im Sinne der „Vernunftidee“ als „indemonstrab[ler] Begriff der Vernunft“ (KU B 240, V 342.21 f.) verstanden, dann ist eine Zuordnung des Zweckbegriffs zur Begriffsart der (transzendentalen) Ideen (ba) wenig berzeugend.89 Denn wie bereits gesehen, kommt nach Kant dem Zweckbegriff durchaus objektive Realitt zu.90 Sollte ihm eine adquate Bestimmung als Idee ber den angesprochenen Ideenbegriff (im weitesten Sinne) hinaus zukommen, wre er als eine demonstrable Vernunftidee oder wenigstens als eine Art empirisch-bedingter Vernunftbegriff zu bestimmen. Der Begriff einer demonstrablen Vernunftidee ist aber eine contradictio in terminis. Die Beantwortung der Frage, ob der Zweckbegriff als ein empirisch-bedingter Vernunftbegriff zu bestimmen ist, mithin was unter einem solchen dann zu verstehen sei, fiele in den Aufgabenbereich einer auszufhrenden Exposition des Zweckbegriffs.91 2.2.2.3 Prdikabilien und Zweckbegriff Unter seinen Erluterungen zur Kategorientafel in § 10 der KrV nennt Kant eine weitere Klasse von Begriffen a priori, die abgeleiteten Verstandesbegriffe oder Prdikabilien. Diese ließen sich, so Kant dort, durch ein Verfahren bilden, durch das die Kategorien „mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch untereinander verbunden“ (KrV B 108, III 94.27 f.) werden.92 Unter den dabei von Kant aufgefhrten Beispielen („Kraft“, „Handlung“, „Leiden“, „Gegenwart“, „Widerstand“, „Entstehen“, „Ver-

89 Eine solche Zuordnung wird Kant von W. Ernst unterstellt (vgl. Ernst 1909, bes. Kap. I). Er schreibt sogar: „Der Zweckbegriff ist in der Kritik der reinen Vernunft […] die hçchste transzendentale Idee a priori“ (11). 90 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3. Zur Darstellung des Zweckbegriffs vgl. unten Abschnitt 3.3.3. 91 Vgl. unten Kap. 3. 92 Vgl. auch Prol IV 324.8 – 11.

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gehen“, „Vernderung“) findet sich der Zweckbegriff nicht.93 Da Kant dem Leser der KrV ein Verzeichnis der Prdikabilien „bis zur Vollstndigkeit“ (KrV B 108, III 94.29 f.) vorenthlt und dieses auch in seinen spteren Schriften nicht nachliefert, bleibt nach dem bloßen Textstand vorerst offen, ob der Zweckbegriff als ein eigener Titel in einem solchen Verzeichnis zu finden wre. Allerdings scheinen gerade die angefhrten allgemeinen Definitionen des Zweckbegriffs mittels „transcendentaler Bestimmungen“, in denen also ausschließlich Kategorien im Zentrum stehen, der Mçglichkeit, den Zweckbegriff als Prdikabile zu bestimmen, entgegenzukommen. Sollte der Zweckbegriff zur Begriffsart der Prdikabilien (bbb) gehçren, htte dies weiterfhrende systematische Konsequenzen. Da jedoch die Prdikabilienlehre Kants trotz ihrer nicht zu unterschtzenden Relevanz fr die kantische Systematik in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden hat94, soll statt einer Diskussion der Frage, ob der Zweckbegriff als abgeleiteter Verstandesbegriff zu bestimmen ist, im nchsten Abschnitt zuerst ein Exkurs zur Erzeugung und zur Funktion der Prdikabilien in der Philosophie Kants folgen. Erst im Anschluss wird die Frage nach der Zuordnung des Zweckbegriffs zur Begriffsart der Prdikabilien entscheidbar sein. 2.2.3 Bemerkungen zur Prdikabilienlehre Die Prdikabilien sind nach Kant durch ein kombinatorisches Verfahren gewonnene Begriffe a priori, die allein durch ihre Elemente und deren Kombination Bestimmtheit erhalten. Sie sind insofern durchaus przise bestimmte Begriffe, die als bloß durch kombinierendes Denken gewon93 Vgl. KrV B 108, III 94.24 – 26. – In anderen Schriften Kants finden sich noch weitere Beispiele („Bewegliches im Raume“ qua „Materie“ in den MAN sowie „Haben“ in der MS, „Dauer“ in der FM). 94 Auf die besondere Relevanz der Prdikabilienlehre fr die kantische Systematik haben v. a. P. Plaass, K. Cramer und im Anschluss R. Hiltscher hingwiesen (vgl. Plaass 1965, Cramer 1966 und Hiltscher 2006a). K. Cramer hat außerdem die Funktion des Prdikabile ,Vernderung‘ im Kontext des Prinzips der Kausalitt eingehend untersucht (vgl. Cramer 1985, bes. Kap. 5). M. Brocker hat die systematische Relevanz des Prdikabile ,Haben‘ fr einen Teil von Kants Rechtslehre herausgearbeitet (vgl. Brocker 1987, 71 ff. und 123 ff.). Zu den wenigen Ausnahmen, die Kants Prdikabilienlehre untersuchen und damit auch weitere Interpretationsperspektiven erçffnen, gehçren außerdem B. Dçrflinger und K. Gloy (vgl. Dçrflinger 2000, 171 ff. und Gloy 1976, 153 ff.).

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nene zu dem „analytische[n] Theil der Metaphysik“ (Prol IV 326.26 f. Anm.) gehçren. Fraglich bleibt dem „reinen“ Denken bei ihnen jedoch, ob einem Prdikabile auch objektive Realitt zukommt oder ob es ein bloßes „ens rationis“ (z. B. KrV B 347, III 232.21) vorstellt. Beantwortet werden kann diese Frage wohl ausschließlich durch Erfahrung.95 Es lassen sich nach Kant also keine neuen objektiv realen Begriffe a priori, sondern nur willkrliche, in ihrer Bestimmtheit den Kategorien jedoch nicht nachstehende Begriffe gewinnen. Dieser Umstand macht sie wiederum fr die Philosophie im kantischen Verstande unentbehrlich96, wie besonders der ausgezeichnete systematische Status von Prdikabilien in den MAN und den RL beispielhaft zu zeigen vermag. Nach Kant ist Philosophie die „Vernunfterkenntniß der Dinge […] durch Begriffe“ (KU B XI, V 171.4 – 6). D. h. aber, dass die benutzten Begriffe ein hohes Maß an Bestimmtheit aufweisen mssen, obwohl dazu nicht – zumindest nicht in begrndungstheoretischer Hinsicht – zuerst auf empirische Anschauung zurckgegriffen werden darf. Diese Bedingung kann durch die Ableitung von Prdikabilien als erfllt angesehen werden. Die Prdikabilien werden nach Kant durch ein kombinatorisches Verfahren erzeugt.97 Als mçgliche, zu kombinierende Elemente nennt Kant: – in der KrV die Kategorien und die „modis der reinen Sinnlichkeit“ (KrV B 108, III 94.27 f.), – in den Prol die Kategorien, die „reine[] Form der Erscheinung (Raum und Zeit)“ und „ihre[] Materie, so fern sie noch nicht empirisch bestimmt ist (Gegenstand der Empfindung berhaupt)“ (Prol IV 324.8 – 11), – in der FM nur die Kategorien98. Bei allen drei Textstellen werden die Kategorien als notwendige Elemente genannt, die nach den Passagen in der KrV und den Prol entweder untereinander oder mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder mit den reinen Anschauungsformen oder mit der nicht-empirischen Materie der Erscheinungen („Gegenstand der Empfindung berhaupt“) verknpft werden. Nur die Passage in der FM scheint insofern ungenau, als sie bloß die Kategorien in „ihrer Zusammensetzung“ (FM XX 272.24) als mçgliche Elemente der Prdikabilien nennt. Die Passage enthlt trotz ihrer Unge95 96 97 98

Vgl. v. a. Plaass 1965, 83 f. Vgl. oben Abschnitte 1.2.2 und 1.2.3. Zum historischen Hintergrund vgl. bes. Martin 1972, Kap. 5. Vgl. FM XX 272.24 f.

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nauigkeit hinsichtlich der Aufzhlung mçglicher, zu kombinierender Elemente noch eine Einteilung der Prdikabilienklasse in zwei Unterklassen, die in den verçffentlichten Schriften nicht expressis verbis zu finden ist: Demnach gibt es einerseits „abgeleitete, reine Verstandesbegriffe a priori“, als Beispiele nennt Kant „Dauer“ und „Vernderung“99, andererseits „sinnlich bedingte Begriffe a priori“, als Beispiel nennt Kant „Bewegung“.100 Den Gehalt des sinnlich bedingten Begriffs a priori ,Bewegung‘ kennzeichnet Kant nher als „Vernderung des Ortes im Raume“ (FM XX 272.29), woran eine Involvierung der (reinen) Sinnlichkeit bereits oberflchlich problemlos abzulesen ist. Aus der Einteilung wird ersichtlich, dass Kant auch in der FM zwei grundstzliche Verfahrensmçglichkeiten der Prdikabilienerzeugung im Auge hat, die mit den Passagen aus der KrV und den Prol zusammenstimmen: Entweder werden die Kategorien untereinander oder mit Prinzipien bzw. Gehalten der reinen Sinnlichkeit kombiniert101. Leider lassen sich in Kants Schriften keine genaueren Hinweise allgemeiner Art zum Verfahren bzw. zu den Vefahren der Erzeugung von Prdikabilien finden. In einem Brief an Johann Schultz aus dem Jahre 1783 deutet Kant zwar eine mçgliche „Artem characteristicam combinatoriam“ (Br X 351.18) an und hofft auf Schultz’ Mithilfe bei der Ausfhrung eines solchen Systems der Prdikabilien. Allerdings wird auch hierbei kein Hinweis auf die genauen Ableitungs- oder Erzeugungsmodalitten gegeben. Gerade die in der FM genannte Prdikabiliengruppe von „abgeleiteten, reinen Verstandesbegriffen a priori“ ist jedoch, wie K. Cramer berzeugend gezeigt hat, mit vielen sytematischen Problemen hinsichtlich des gesamten kritischen Programms verbunden.102 So ist etwa der Begriff ,Vernderung‘ Bestandteil des transzendentalen Grundsatzes der Kausalitt und dessen Beweises in der zweiten Analogie der Erfahrung.103 Aus Cramers ausfhrlichen Analysen geht hervor, dass der Begriff ,Vernderung‘ zwar ein apriorischer, jedoch gerade kein reiner Begriff ist, der bloß durch eine (wie auch immer im Einzelnen durchgefhrte) Kombination von reinen Verstandesbegriffen (Kategorien) gewonnen werden kann. Viel99 Vgl. FM XX 272.26 – 28. 100 Vgl. FM XX 272.28 f. 101 Laut KrV: „verbunden“, laut Prolegomena: „Verknpfung“, laut FM: „Zusammensetzung“. 102 Vgl. Cramer 1985, bes. Kap. 5 und Kap. 6. 103 „Alle Vernderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknpfung der Ursache und Wirkung“ (KrV B 232, III 166.32 f.).

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mehr scheint diesem Begriff – ebenso wie etwa den Prdikabilien ,Entstehen‘ und ,Vergehen‘ – bereits seinem „logischen Inhalt“ nach ein Bezug auf die Sinnlichkeit, genauer auf die „Materie“ der Sinnlichkeit („Gegenstand der Empfindung berhaupt“) eigen.104 Um dennoch einen Einblick in das von Kant projektierte Verfahren der Erzeugung von Prdikabilien als Begriffen a priori zu gewinnen, werden hier zwei Beispiele angefhrt: das Prdikabile ,Bewegung‘ als die apriorische Grundbestimmung des Materiebegriffs sowie das Prdikabile ,Haben‘ als die apriorische Grundbestimmung des Besitzbegriffs. Es werden gerade diese beiden Beispiele herausgegriffen, da sich an ihnen die spezifische Relevanz der Prdikabilien fr diejenigen Teilstcke der Philosophie illustrieren lsst, die Kant mit dem Titel „besondere Metaphysik“ oder „metaphysische Anfangsgrnde“ versieht und denen eine vermittelnde Stellung zwischen Transzendentalphilosophie (reiner Grundlehre) und Erfahrungswissenschaft (empirischer Sachlehre) eigen ist.105 Dabei mag die Funktion, die bestimmte Prdikabilien fr den Entwurf und die Ausfhrung einer solchen „besonderen Metaphysik“ inne haben, mit Blick auf Kants gesamtes philosophisches Werk nicht ihre einzig mçgliche, vielleicht noch nicht einmal ihre grundlegende sein.106 Sie ist aber in Hinsicht auf das Verhltnis von Kulturbegriff und Zweckbegriff an dieser Stelle in den Blick zu nehmen. Beispiel ,Bewegung‘ In der „Vorrede“107 zu den MAN gibt Kant einige interessante Hinweise zum Begriff ,Bewegung‘, der nach der FM in die zweite Prdikabilien104 Vgl. Cramer 1985, Kap. 6, bes. 6.4.2. – Dabei muss auch die Ansicht Plaass’ revidiert werden, dass alle Prdikabilien sowohl apriorische als auch empirische Begriffe seien – empirische Begriffe insofern, als ihnen objektive Realitt nur durch ein Beispiel in der (empirischen) Anschauung verschafft werden kçnne. Vgl. dazu Plaass 1965, 86 f. und Cramer 1985, 195 f. 105 Vgl. dazu auch Breil 1991, 126 – 131, 160 – 163 und oben Abschnitte 1.2.2 und 1.2.3. 106 Zur „Idee einer systematischen Ontologie“ bei Kant vgl. Martin 1972, 94 – 102. Zur Frage, ob und inwiefern Prdikabilien bereits in den transzendentalen Grundstzen des reinen Verstandes eine tragende Funktion zukommt, vgl. Cramer 1966 und Cramer 1985. 107 Die folgenden Ausfhrungen zum Programm der MAN und der Relevanz der Prdikabilienlehre fr dieses sttzen sich auf die Arbeit von P. Plaass und paraphrasieren mitunter einige dort zu findende Passagen. Vgl. Plaass 1965, Abschnitt 4.0.3 (84 – 86), Abschnitt 5.2 (95 – 98) und Abschnitt 5.3 (98 f.).

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gruppe der „sinnlich bedingten Begriffe a priori“ fllt. Anhand dieser Hinweise kann die Erzeugung eines Prdikabiles qua sinnlich bedingter Begriff a priori exemplarisch vorgestellt werden. Als Grundbegriff einer „wirkliche[n] Metaphysik der kçrperlichen Natur“ (MAN IV 472.11 f.) bestimmt Kant in den MAN den „abgesonderten (obzwar an sich empirischen) Begriff[]“ (MAN IV 472.8) der Materie. Ein empirischer Begriff scheint der „abgesonderte“ Materiebegriff insofern zu sein, als er aus empirischen Anschauungen durch die logischen Funktionen der Komparation, Reflexion und Abstraktion gewonnen werden kann. Um als Grundbegriff fr eine besondere Metaphysik der Natur zu taugen, reicht es nach Kant allerdings nicht aus, dass der durch Komparation, Reflexion und Abstraktion gewonnene Begriff ,Materie‘ nach unserer Erfahrung auf alle mçglichen Gegenstnde des ußeren Sinns anwendbar ist.108 Denn als Grundbegriff der Metaphysik der Natur muss er ausnahmslos fr alle Gegenstnde des ußeren Sinns gelten. Ein solcher Beweis ist aber auf empirischem Wege nicht mçglich. Vielmehr muss der Begriff ,Materie‘ einen „Ursprung“ a priori haben, um berhaupt ausnahmslos fr alle Gegenstnde des ußeren Sinns gelten zu kçnnen. Kant schreibt in der „Vorrede“ der MAN: „Die Grundbestimmung eines Etwas, das ein Gegenstand ußerer Sinne sein soll, mußte Bewegung sein; denn dadurch allein kçnnen diese Sinne afficirt werden. Auf diese fhrt auch der Verstand alle brige Prdicate der Materie, die zu ihrer Natur gehçren, zurck“ (MAN IV 476.9 – 12/477.1).

Das Prdikabile ,Bewegung‘ ist also nach Kant die „Grundbestimmung“ des Materiebegriffs. Die beiden Begrndungen, die Kant dafr in den MAN anfhrt, erschçpfen sich jedoch in Andeutungen. Denn inwiefern kçnnen die „ußeren Sinne“ nur durch Bewegung „afficirt“ werden? Und was heißt es, dass der Verstand „alle brige Prdicate der Materie“ auf Bewegung „zurckfhrt“? Zumindest auf die zweite Frage hat P. Plaass eine plausible Antwort gegeben109 : Allein der Bewegungsbegriff enthlt sowohl die Raum- als auch die Zeitbestimmung als Komponenten110 derart, dass die besondere Einheit beider als unentbehrlich fr die Bestimmung eines Etwas als Gegenstandes der ußeren Sinne vorgestellt wird. Jede Erscheinung muss also, um als ein Gegenstand der ußeren Sinne gelten zu kçnnen, als ein Bewegliches gedacht werden. Was sich aus diesem Umstand 108 Vgl. zu den logischen Funktionen der Komparation, Reflexion und Abstraktion Log § 6, bes. Anm. 1. 109 Vgl. Plaass 1965, 98 f. 110 Vgl. KrV B 58, III 64.21 f.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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an weiteren, spezifischeren Bestimmungen der Materie a priori herleiten lsst, haben die MAN als „reine Bewegungslehre“ in ihrer Ausfhrung zum Thema: In ihr „fhrt der Verstand alle brige Prdicate der Materie, die zu ihrer Natur gehçren, zurck“. Demnach kann die Funktion des Prdikabiles ,Bewegung‘ fr die Philosophie als „Vernunfterkenntniß nach Begriffen“, genauer: fr die besondere Metaphysik der Natur, einigermaßen przise angegeben werden. Allerdings muss zugegeben werden, dass Kants Ausfhrungen zu dem Verfahren der Erzeugung des Bewegungsbegriff eher drftig sind. Immerhin lassen sich einige Andeutungen Kants darber auffinden, welche Bestandteile apriorischer Art in das Prdikabile ,Bewegung‘ eingehen: So bestimmt Kant in der FM die Bewegung als „Vernderung des Ortes im Raume“ (FM XX 272.29). Fraglich dabei ist zuerst, ob „Vernderung“ hier als dasjenige Prdikabile ,Vernderung‘ zu denken ist, das Kant der Modalkategorie „Daseyn“ zuordnet111, das dann zur Erzeugung des Prdikabiles ,Bewegung‘ noch mit der „reinen Form der Erscheinung“ ,Raum‘ zu kombinieren sei. Dagegen hat Plaass zu Recht eingewandt, dass die hier zu behandelnde Bewegung nicht eine Vernderung eines Daseins oder eines Zustandes ist, die als solche stets eine Ursache haben muss und von der die zweite Analogie der Erfahrung der KrV handelt, sondern vielmehr eine Vernderung „gewisser Relationen“ (KrV B 252, III 178.32), nmlich eine „Vernderung der ußeren Verhltnisse [eines Dinges] zu einem gegebenen Raum“ (MAN IV 482.15 f.).112 Das durch das Prdikabile ,Bewegung‘ gedachte Bewegliche bezeichnet keine Zustandsnderungen eines Gegenstandes, sondern selbst den Zustand eines Gegenstandes. Das Prdikabile ,Bewegung‘ wird demnach erzeugt, indem aus dem Begriff ,Gegenstand der ußeren Sinne‘ qua Erscheinung analytisch der Raumbezug und mit diesem eo ipso der Zeitbezug113 gefolgert werden und hiernach im Bewegungsbegriff Raum- und Zeitbestimmung als verbunden gedacht werden. Damit ist auch eine zumindest grob zu formulierende Antwort auf die erste Frage, warum nur „Bewegung“ die „ußeren Sinne afficirt“, angedeutet: Da eine „gegebene“ Erscheinung der ußeren Sinne durch die reine Anschauungsform des Raums vermittelt ist, Rumlichkeit also eine Grundbestimmung einer solchen Erscheinung ist, und da mit den ußeren Sinnen stets der innere Sinn einhergeht, weshalb Zeitlichkeit ebenso eine Grundbestimmung einer solchen Erscheinung ist, muss eine 111 Vgl. KrV B 108, III 94.26 und FM XX 272.27 f. 112 Vgl. Plaass 1965, 97. 113 Vgl. v. a. KrV B 50 f., III 60.13 – 27.

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Erscheinung der ußeren Sinne eine Einheit von Raum- und Zeitbestimmung aufweisen. Eben diese spezifische Einheit wird durch den Bewegungsbegriff gedacht.114 Also muss jede Erscheinung der ußeren Sinne unter den Begriff ,Bewegung‘ bzw. ,Bewegliches‘ subsumierbar sein. Um dieser bloß subjektiven, willkrlich anmutenden Vereinheitlichung von Raum- und Zeitbestimmung einer Erscheinung der ußeren Sinne im Begriff der Bewegung Objektivitt (Gegenstndlichkeit) zuschreiben zu kçnnen, muss dieses Etwas, das unter der Einheit von Raum- und Zeitbestimmung (Bewegung) steht, anhand der Kategorientafel a priori weiter und vollstndig bestimmbar sein und in einer besonderen Metaphysik der Natur als einer Wissenschaft a priori weiter und vollstndig bestimmt werden kçnnen. Den Anfang nimmt eine solche Wissenschaft also in einem aus der Erfahrung (durch Komparation, Reflexion und Abstraktion) entlehnten Begriff („Materie“), der auf seine spezifische Grundbestimmung zurckgefhrt wird (das „Bewegliche“), die den bloßen Begriff eines Gegenstandes der ußeren Sinne und damit eine bestimmte Konstellation der reinen Elemente der Sinnlichkeit („Raum“ und „Zeit“ unter der fr Gegenstnde der ußeren Sinne spezifischen Einheit), unter der dieser Gegenstand steht, enthlt. Der aus der Erfahrung entlehnte Begriff („Materie“) wird auf diese Weise durch einen sinnlich bedingten Begriff a priori (das „Bewegliche“), der allein aus apriorischen Konstituenten („Gegenstand der ußeren Sinne“ berhaupt und reine Anschauungsformen ,Raum‘ und ,Zeit‘115) erzeugt wird, substituiert. Doch ebenso wie die Materie kann auch „die Beweglichkeit eines Gegenstandes im Raum a priori und ohne Belehrung durch Erfahrung nicht erkannt werden“ (MAN IV 482.7 – 9). Objektive Realitt ist beiden Begriffen nur durch ein empirisches Beispiel zuzusprechen. Beispiel ,Haben‘ Auch in Kants besonderer Metaphysik des Rechts, genauer des Privatrechts, steht ein Prdikabile, der „reine[] Verstandesbegriff eines Besitzes berhaupt“ (MS VI 253.7), an einem prominenten systematischen Ort. Zwar sind die Hinweise Kants auf die Erzeugung des Prdikabiles ,Besitz berhaupt‘ bzw. ,Haben‘, die sich in den RL finden lassen, noch sprlicher als im Falle des Bewegungsbegriffs, dennoch soll es hier als ein weiteres 114 Vgl. KrV B 58, III 64.21 f. 115 Der Begriff ,Bewegliches‘ impliziert damit auch die Substanz- und Kausalittskategorie (vgl. dazu Cramer 1985, 114).

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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Beispiel neben der Relevanz der Prdikabilien fr die besondere Metaphysik der Natur Beachtung finden. Zwei Grnde sind dafr anzufhren: Erstens kann das Prdikabile ,Haben‘ nach Kants Ausfhrungen in den RL und den entsprechenden Vorarbeiten nicht als „sinnlich bedingter Begriff a priori“ bestimmt werden. Vielmehr scheint es sich bei ihm um einen „abgeleiteten, reinen Verstandesbegriff“ zu handeln, auf den im Unterschied zu den von Kant in der FM aufgefhrten Beispielen dieser Prdikabiliengruppe („Dauer“ und „Vernderung“) die Einwnde Cramers gegen deren Reinheit nicht zutreffen. Zweitens steht das Prdikabile ,Haben‘ im Problemhorizont der praktischen Philosophie, genauer der Rechtsphilosophie. In der Besitzlehre als Teil der Rechtsphilosophie geht es bekanntlich um das Problem des rechtmßigen Erwerbs und Besitzes eines Gegenstandes, womit der Problemkomplex einer auf den Freiheitsbegriff gegrndeten praktischen Metaphysik verbunden ist. Auch fr diese ist nach Kant die kategoriale Systematik samt der Prdikabilienlehre grundlegend. Seinen Ausgang nimmt der erste Teil der RL („Das Privatrecht“) in der Unterscheidung des Besitzes als der „subjective[n] Bedingung der Mçglichkeit des Gebrauchs [ußerer Gegenstnde, S. K.]“ (MS VI 245.11 f.) in einen „Vernunftbesitz“ und einen „empirische[n]“ (MS VI 245.26 und 27) Besitz. Ein Grund der Unterscheidung ist der Umstand, dass einerseits ein Gegenstand zwar physisch besessenen werden kann („empirischer Besitz“), dass andererseits dieser physische Besitz aber in dem Augenblick aufhçrt, in dem der Gegenstand des Besitzes abgelegt wird. Somit wre Besitz qua Bedingung der Mçglichkeit des Gebrauchs ußerer Gegenstnde an ein physisches In-der-Gewalt-Haben gebunden. Doch ein solches erweist sich nicht als ausreichend fr den legitimen Gebrauch eines ußeren Gegenstandes, da auch bei einem physischen In-der-Gewalt-Haben fraglich bleibt, ob „es nun doch rechtlich […] in meiner Macht steh[t] […], Gebrauch von demselben zu machen“ (MS VI 246.10 – 13).116 Daher muss zuvçrderst die Doppeldeutigkeit des Begriffs ,ußerer Gegenstand‘ herausgestellt werden, mit dem einerseits ein „nur von mir (Subject) unterschiedener“ (MS VI 245.23 f.), andererseits ein „in einer anderen Stelle (positus) im Raum oder in der Zeit befindlicher Gegenstand“ (MS VI 245.24 f.) bezeichnet werden kann. Nach der zweiten Bedeutung ist ein „ußerer Gegenstand“ ein Gegenstand der ußeren Sinne (Erscheinung, phaenomenon), mithin mçglicher Gegenstand des empirischen Besitzes qua 116 „So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe“ (MS VI 247.28 – 31).

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

„Inhabung (detentio)“ (MS VI 246.1 f.). Ein „intelligibler Besitz“ ist dagegen als „ein Besitz ohne Inhabung“ (MS VI 245.27 – 246.2) zu denken, d. h. als „rechtlicher Besitz“ (MS VI 245.20) eines Gegenstandes, ohne dass dieser Gegenstand hier und jetzt in der physischen Gewalt des Besitzenden ist. Als bestimmt gedacht werden kann ein solcher „rechtlicher Besitz“ aber nach Kant nur so, „daß statt der Inhabung (detentio), als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, der von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahirende Begriff des Habens, und nur daß der Gegenstand als in meiner Gewalt (in potestate mea positum esse) sei, gedacht werde; da dann der Ausdruck des ußeren nicht das Dasein in einem anderen Orte, als wo ich bin, oder meiner Willensentschließung und Annahme als in einer andern Zeit wie der des Angebots, sondern nur einen von mir unterschiedenen Gegenstand bedeutet“ (MS VI 253.8 – 15, H. v. V.).

Im „von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahirenden Begriff des Habens“ wird demnach das Objekt nicht als ein Gegenstand an einer bestimmten Stelle in Raum und Zeit gedacht, sondern bloß als ein „von mir unterschiedener Gegenstand“, der mit einem Subjekt insofern als verbunden gedacht wird, als das Subjekt ihn eben hat („als in [s]einer Gewalt“). Dass der Begriff ,Gegenstand‘ dabei bloß der allgemeine Begriff eines Gegenstandes berhaupt ist, der durch logische Komparation, Reflexion und Abstraktion gewonnen wurde (bzw. werden kann), wird von Kant dabei gar nicht erst erwhnt und ist hier nur der Vollstndigkeit halber anzumerken. Hervorzuheben ist allerdings, dass nach Kant bei dem Begriff ,Haben‘ von allen Raum- und Zeitbedingungen zu abstrahieren ist, so dass auch der Gegenstand ausschließlich durch die unschematisierten Kategorien minimalbestimmt ist und in einem reinen Begriff vorgestellt wird. Notwendig ist die Erzeugung dieses „reinen Verstandesbegriffs eines Besitzes berhaupt“ (das Prdikabile ,Haben‘) fr eine besondere Metaphysik des Rechts, da der Rechtsbegriff ,intelligibler Besitz‘ qua legitimer, vom Rechtsprinzip geforderter Begriff eines rechtmßigen Besitzes „nicht unmittelbar auf Erfahrungsobjecte und auf den Begriff des empirischen Besitzes […] angewandt werden [kann]“ (MS VI 253.5 – 8). Dazu bedarf es eines „Verstandesbegriff[s]“, weil nur ein solcher „unter Rechtsbegriffe subsumiert werden kann“ (MS VI 253.20).117 Das Prdikabile ,Haben‘ als 117 Vgl. dazu Brocker 1987, 62 – 65, 121 f., ferner Breil 1991, 160 – 163. – Anzumerken ist hier, dass mit Kant drei Besitzbegriffe klar unterschieden werden kçnnen: (1) ,empirischer Besitz‘ (auch: „sinnlicher“ oder „physischer Besitz“, „Inhabung“, „detentio“) als empirischer Begriff, (2) ,intelligibler Besitz‘ (auch: „rechtlicher Besitz“, „possessio noumenon“) als apriorischer Vernunftbegriff und (3)

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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Verstandesbegriff hat demnach eine Vermittlungsfunktion. Es vermittelt zwischen dem Rechtsbegriff ,intelligibler Besitz‘ als einem Vernunftbegriff (Idee) und den empirischen Besitzverhltnissen in der Erscheinungswelt.118 Fraglich bleibt, aus welchen apriorischen Elementen der Begriff ,Haben‘ erzeugt werden kann. Da nach Kants zitierter ußerung alle „Raumund Zeitbedingungen“ auszublenden sind und von einem „reinen Verstandesbegriff“ die Rede ist, scheint das Prdikabile ,Haben‘ tatschlich in die Prdikabiliengruppe ,abgeleitete, reine Verstandesbegriffe‘ zu fallen. Demnach mssten ausschließlich Kategorien, vielleicht noch weitere abgeleitete, reine Verstandesbegriffe zu Elementen des Begriffs ,Haben‘ taugen. In den „Vorarbeiten zum Privatrecht“ findet sich dann auch eine Bemerkung Kants, nach welcher „der Besitz nach einem reinen Verstandesbegriffe gedacht“ (VARL XXIII 325.9) werden kann, der „die zehnte Categorie des Aristoteles, habere [ist]; im critischen System aber eine Prdicabile der Categorie der Ursache“ (VARL XXIII 325.11 f.). Brocker hat diese Zuordnung des Prdikabiles ,Haben‘ zur Kausalkategorie119 derart interpretiert, dass das Haben eines ußeren Gegenstandes immer erst bewirkt werden muss („ußere Erwerbung“120), da kein ußerer Gegenstand „ursprnglich“ in jemandes Besitz ist.121 In Ermangelung weiterer Hinweise sei also (trotz Kants Streichung der genannten Passage fr die Verçffentlichung der RL) angenommen, dass ,Haben‘ ein Prdikabile der Kausalkategorie qua „Begriff des Verhltnisses der Ursache und Wirkung“ (KrV B 234, III 167.34 – 168.1) ist: Dann ist damit allerdings noch nicht geklrt, was den Begriff ,Haben‘ von der Kausalkategorie unterscheidet. Oder anders: Was spezifiziert die bloße Kausalkategorie zu genau dem Prdikabile ,Haben‘? Die fragliche Spezifizierung kann augenscheinlich

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,Besitz berhaupt‘ (auch: „Haben“) als zwischen den beiden vorher genannten Begriffen vermittelndes Prdikabile. „Wenn also reine Vernunft auch auf Gegenstnde geht, so hat sie doch auf diese und deren Anschauung keine unmittelbare Beziehung, sondern nur auf den Verstand und dessen Urtheile, welche sich zunchst an die Sinne und deren Anschauung wenden, um diesen ihren Gegenstand zu bestimmen“ (KrV B 363, III 242.14 – 18). Mit Kants Formulierung „Prdicabile der Kategorie Ursache“ kann offenkundig nicht gemeint sein, dass der Begriff ,Haben‘ ein Prdikabile des reinen Verstandesbegriffs ,Ursache‘ ist, da die zweite Kategorie der unter dem Titel „Relation“ versammelten Kategoriengruppe nicht „Ursache“ sondern „Kausalitt und Dependenz“ bzw. „Ursache und Wirkung“ lautet (vgl. die Kategorientafel im § 10 der KrV). Vgl. dazu MS VI 258.4 – 21. Vgl. Brocker 1987, 72.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

erreicht werden, indem die beiden Relate ,Ursache‘ und ,Wirkung‘ spezifiziert werden: Im Falle des Begriffs ,Haben‘ soll eine bestimmte Relation zwischen einem (Besitz beanspruchenden) Subjekt und einem (zu besitzenden) ußeren, d. h. bloß vom Subjekt unterschiedenen, Objekt gedacht werden. Im Sinne einer „Bemchtigung (occupatio)“ (MS VI 259.13) muss nach Kant diese Relation allerdings erst „ausgefhrt“122 werden, so dass das „Haben“ eines ußeren, d. h. bloß vom Subjekt unterschiedenen Objekts in eben der spezifischen Hinsicht als eine bestimmte Kausalrelation gedacht werden muss, als ein Objekt des Habens als ein solches bereits Produkt qua Bewirktes ist. Es ist als die spezifische Wirkung einer Anstrengung des Subjekts, nmlich der „ursprnglichen Erwerbung“, qua Ursache anzusehen. Insofern scheint eine Zuordnung des Prdikabiles ,Haben‘ gerade zur Kausalkategorie, nicht etwa zu einer der beiden anderen Relationskategorien, einsichtig zu sein. Gegen eine solche Deutung der Zuordnung des Prdikabiles ,Haben‘ zur Kausalkategorie ließe sich wohl mit einigem Recht einwenden, ob nicht vielmehr zuerst die Relation selbst – und nicht die Relate fr sich – zu spezifizieren sei. Schließlich soll gerade der reine, abgeleitete Verstandesbegriff ,Haben‘ als Begriff einer spezifischen Relation die Subsumtion genau dieser spezifischen Relation unter den Rechtsbegriff zustande bringen. Insofern wrde die Kausalrelation als „Okkupation“ vorzustellen sein, deren Begriff wiederum im Resultat auf den Begriff ,Haben‘ fhrt. Der Gehalt des Begriffs ,Okkupation‘ (Erwerbung) ist in der Tat an die Kausalkategorie geknpft, da Okkupation nur als kausales Geschehen, genauer: als kausale Relation zwischen einem okkupierenden Etwas (Subjekt) und einem zu okkupierenden Etwas (ußerer Gegenstand), denkbar ist. Resultat einer Okkupation ist dann schlichtweg ein Haben. Ohne der Frage nach der Zuordnung des Prdikabiles ,Haben‘ zu einer Kategorie hier weiter nachzugehen, ist mit Blick auf das Verfahren Kants zur Erzeugung von Prdikabilien festzuhalten, dass auch im Falle des Prdikabiles ,Haben‘ ein empirischer Begriff (des Besitzes als „Inhabung“) den Ausgangspunkt hergibt. Dieser empirische Begriff wird im nchsten Schritt durch Abstraktion von „allen Raumes- und Zeitbedingungen“ losgelçst, so dass – im Unterschied zum Prdikabile ,Bewegung‘ als sinnlich bedingtem Begriff a priori – ein reiner Verstandesbegriff erzeugt werden kann, den es schließlich auf (zumindest) eine Kategorie qua letzte Grundbestimmung des Verstandes zurckzufhren gilt. Die geforderte 122 „Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efficio), daß etwas mein werde“ (MS VI 258.5).

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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Abblendung aller „Raumes- und Zeitbedingungen“ ist hierbei dem Ziel geschuldet, etwas „bersinnliches“, den rechtlichen Besitz („possessio noumenon“), mit Bestimmtheit des Verstandes zu versehen und damit fr die Anwendung auf empirische Verhltnisse, in denen sich ein endliches Vernunftwesen wie der Mensch vorfindet, brauchbar zu machen. Die Frage nach der objektiven Realitt des Prdikabiles ,Haben‘ stellt sich dabei offensichtlich auf eine andere Weise als bei dem sinnlich bedingten Begriff a priori der Bewegung: Im Falle eines (mçglichen) „empirischen Besitzes“ ist dem Prdikabile ,Haben‘ eo ipso objektive Realitt zuzusprechen, da hier der reine abgeleitete Verstandesbegriff (analog zu den Kategorien) bloß auf Erfahrung angewendet wird; im Falle des „rechtlichen Besitzes“ wird ihm allein aufgrund des „Rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft“ objektive Realitt zuzusprechen sein.123 Dieses hngt wiederum am Freiheitsbegriff.124 Mit Hilfe der durch die angedeutete Rckfhrung des Gehalts der aus der Erfahrung abstrahierten Begriffe ,Materie‘ und ,Haben‘ auf ihre impliziten apriorischen Konstituenten erzeugten Prdikabilien werden nach Kant sowohl eine besondere Wissenschaft a priori von der (kçrperlichen) Natur als auch eine solche Wissenschaft von (rechtlichen) Besitzverhltnissen mçglich. Die systematische Ausfhrung dieser Wissenschaften besteht in der apriorischen Bestimmung des jeweiligen Grundbegriffs durch die Kategorientafel. Dass mit ihr das „Schema […] zur Vollstndigkeit eines metaphysischen Systems“ (MAN IV 473.35) vorliegt, betont Kant wiederholt.125 ber die Zuhilfenahme der Kategorientafel bei der Ausfhrung der Wissenschaft a priori von der (kçrperlichen) Natur schreibt Kant: „Unter die vier Classen derselben, die der Grçße, der Qualitt, der Relation und endlich der Modalitt, mssen sich auch alle Bestimmungen des allgemeinen Begriffs einer Materie berhaupt, mithin auch alles, was a priori von ihr gedacht, was in der mathematischen Construction dargestellt, oder in der Er123 Vgl. MS § 2 der RL und dazu Breil 1991, 162 f. 124 Insofern kommt der Begriff eines „rechtlichen Besitzes“ mit allen anderen Begriffen der reinen praktischen Vernunft berein, denn diese „schließen sich an [den Begriff der Freiheit] an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realitt, d. i. die Mçglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist“ (KpV A 4 f., V 4.3 – 5). – Vgl. zum Zusammenhang der Begriffe ,rechtlicher Besitz‘, ,rechtliches Postulat der praktischen Vernunft‘ und ,ußere Freiheit‘ in Kants Rechtslehre etwa Tuschling 1988, bes. 281 – 292. 125 Vgl. v. a. KrV B 109 f., III 95.14 – 23, Prol IV 325.4 – 10 und MAN IV 473.16 – 31.

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fahrung als bestimmter Gegenstand derselben gegeben werden mag, bringen lassen. Mehr ist hier nicht zu thun, zu entdecken oder hinzuzusetzen“ (MAN IV 474.2/475.1 f./476.1 – 4).

Die Wissenschaft a priori von der (kçrperlichen) Natur gliedert sich folglich in vier Hauptstcke: Phoronomie (Quantitt), Dynamik (Qualitt), Mechanik (Relation) und Phnomenologie (Modalitt). Jedes dieser vier Stcke erweitert den Begriff ,Bewegung‘ als „Grundbestimmung“ der Materie um „eine neue Bestimmung“ (MAN IV 476.9), indem zuerst ,Bewegung‘ als „reines Quantum“ (Phoronomie) und dann als „ursprnglich bewegende Kraft“ (Dynamik), darauf die so ausgezeichnete Materie in „ihre[r] eigene[n] Bewegung gegen einander“ (Mechanik) und schließlich „ihre Bewegung oder Ruhe blos in Beziehung auf die Vorstellungsart“ (Phnomenologie) qualifiziert wird.126 Auch in der Wissenschaft a priori von (rechtlichen) Besitzverhltnissen macht Kant von der Kategorientafel Gebrauch. So kann als ein mçglicher ußerer Gegenstand der Willkr, so Kant, nur Folgendes gelten: „1) eine (kçrperliche) Sache außer mir; 2) die Willkr eines anderen zu einer bestimmten That (praestatio); 3) der Zustand eines Anderen in Verhltniß auf mich; nach den drei Kategorien der Substanz, Causalitt und Gemeinschaft“ (MS VI 247.19 – 22).127

Dieser dreifachen Bestimmung der „Materie (dem Objecte)“ (MS VI 259.31) rechtlicher Erwerbung („ußeres Mein und Dein“) entspricht eine Dreiteilung ihrer „Form (Erwerbungsart)“ (MS VI 260.1), mithin die dreifache Gliederung des Privatrechts in Sachenrecht (RL §§ 11 – 17), persçnliches Recht (RL §§ 18 – 21) und dinglich-persçnliches Recht (RL §§ 22 – 31).128 Dass Kant zur Spezifizierung des Prdikabile ,Haben‘ nicht auf die gesamte Kategorientafel, sondern bloß auf die Relationskategorien zurckgreift, hat seinen Grund augenscheinlich in seiner Herkunft als reinem Verstandesbegriff, der von der Kausalkategorie abgeleitet wird. Da mit dem Prdikabile ,Haben‘ das Verhltnis zwischen einem (Besitz be126 Vgl. MAN IV 477.3 – 13 und dazu z. B. Plaass 1965, 102 – 110 und ausfhrlich Schfer 1966, 39 – 150. 127 Vgl. auch den ersten Punkt von Kants „Eintheilung der Erwerbung des ußeren Mein und Dein“ in § 10 der MS: „Der Materie (dem Objecte) nach erwerbe ich entweder eine kçrperliche Sache (Substanz) oder die Leistung (Causalitt) eines Anderen oder diese andere Person selbst, d. i. den Zustand derselben, so fern ich ein Recht erlange, ber denselben zu verfgen (das Commercium mit derselben)“ (MS VI 259.31 – 35). 128 Vgl. MS VI 260.1 – 4, dazu und zur internen Gliederung der RL ausfhrlich Brocker 1987, 73 – 75 und 57 – 59.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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anspruchenden) Subjekt und einem (zu besitzenden) ußeren Objekt gedacht wird, wird dieses Verhltnis durch eine Bestimmung des zweiten Relats (ußeres Objekt) gemß der Relationskategorien spezifiziert.129 Den damit verbundenen Problemen muss hier nicht weiter nachgegangen werden. 2.2.4 Der Zweckbegriff als Prdikabile? Es ist nach dem gegebenen Einblick in Erzeugung und Funktion der Prdikabilien an die bereits gestellte Frage anzuknpfen, ob sich Anhaltspunkte fr eine Zuordnung des Zweckbegriffs zur Begriffsart der Prdikabilien angeben lassen. Ihre Beantwortung gleichsam vorbereitend, lassen sich die folgenden fnf Bemerkungen treffen: (1) Eine Affinitt von Zweckbegriff und Kausalkategorie wurde bisher mehrfach konstatiert, so dass eine Zuordnung des Zweckbegriffs zur Kausalkategorie (hnlich dem Begriff ,Haben‘) nahe liegt. Der bisherigen, den allgemeinen Definitionen Kants entnommenen Bestimmung des Zweckbegriffs sind zwei Stcke eigen: die notwendige Verbundenheit mit einer Vorstellung (Begriff, Idee) sowie die notwendige Verbundenheit mit einer „Causalitt durch Zwecke“. Das zweite ist hier wesentlich: Ebenso wie der Besitz ist ein Zweck ein zu Bewirkendes. Und ebenso wie der Begriff ,Haben‘ bezeichnet der Zweckbegriff eine Relation zwischen einem Subjekt und einem (diesem ußerlichen) Objekt. Dabei ist vom empirischen Charakter der Zweckvorstellungen einzelner, sich zum Handeln bestimmender Subjekte zu abstrahieren. (2) Die Affinitt von Zweckbegriff und Kausalkategorie scheint auch besttigt zu werden, wenn Kants Verweis auf die „Ontologischen Lehrbcher“ (KrV B 108, III 94.23) ernst genommen wird. Da „man [alle Prdikabilien, S.K.] ziemlich vollstndig aus jeder guten Ontologie (z. E. Baumgartens) ziehen“ (Prol IV 326.23 f.) kçnne, scheint etwa Baumgartens Behandlung des Zweckbegriffs im Abschnitt „Reliqua caussarum genera“ (§§ 341 ff.) der „Metaphysica“130 durchaus von Bedeutung zu sein. Allerdings zhlt Kant als Beispiele fr abgeleitete Verstandesbegriffe, die der Kausalkategorie zuordnen sind, „die Prdikabilien der Kraft, der Hand129 Zu den verschiedenen Versuchen Kants in den VARL (vgl. v. a. VARL XXIII 218.11 – 22, VARL XXIII 274.8 – 16, VARL XXIII 298.19 – 31 und VARL XXIII 302.17 – 25), unter Zuhilfenahme der gesamten Kategorientafel das Privatrecht analog etwa zu den MAN zu systematisieren, vgl. Brocker 1987, 123 – 128. 130 Vgl. Baumgarten 17797.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

lung, des Leidens“ (KrV B 108, III 94.24 f.) auf. Genau diese Begriffe finden sich in Baumgartens „Metaphysica“ allerdings gerade nicht in den Abschnitten zur Ursache („Caussa“, §§ 307 ff.), sondern bereits vorher im Text, in den Abschnitten zur Substanz („Substantia et accidens“, §§ 191 ff.) und zum Zustand („Status“, §§ 205 ff.). Der Umstand, dass Baumgarten den Zweckbegriff im Kontext des Ursache-Wirkung-Verhltnisses abhandelt, ist noch kein hinreichender Hinweis, dass mit Kant der Zweckbegriff als Prdikabile der Kausalkategorie zugeordnet werden muss.131 Wenn allerdings der Zweckbegriff als Prdikabile zu bestimmen ist, dann muss er offenkundig (zumindest) der Kausalkategorie zugeordnet werden. (3) Auch mit Blick auf die Frage nach der objektiven Realitt des Zweckbegriffs scheint sich seine Zuordnung zur Begriffsart der Prdikabilien anzubieten. Im Unterschied zur Begriffsart der Ideen wird dem Zweckbegriff von Kant ausdrcklich objektive Realitt zugesprochen. Wenn ferner Plaass’ Interpretation des Materiebegriffs als „empirischer Begriff a priori“132 herangezogen wird, dann bietet sich eine zu dieser Kennzeichnung des Materiebegriffs analoge Kennzeichnung des Zweckbegriffs an: Er wre dann einerseits insofern als Begriff a priori qualifiziert, als sein „Inhalt […] nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern a priori deduziert“133 werden kann, und andererseits wre er insofern als empirischer Begriff qualifiziert, als seine „objektive Realitt nicht a priori eingesehen werden kann“134. Er kann damit als sinnlich bedingter Begriff a priori bestimmt werden. In diesem Fall kann außerdem eine metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs versucht werden, deren Aufgabe in dem Ausweis besteht, dass der empirische Begriff des Zwecks genau die ,notwendige primitive Grundbestimmung aller zu verwirklichenden Gegenstnde‘135 ist. Eine solche metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs wre mutmaßlich auch den berzeugenden Einwnden K. Cramers gegen Plaass’ Deduktionsversuch ausgesetzt.136 Denn in ihr msste gezeigt werden, dass der Zweckbegriff als allein aus dem Inhalt des Begriffs ,zu ver131 Dass der Zweckbegriff bei Baumgarten im Kontext des Ursache-Wirkung-Verhltnisses abgehandelt wird, entspricht der fr die traditionelle Systematisierung des Zweckbegriffs maßgebenden Bestimmung der Zweckursache als einer der vier mçglichen Ursachen bei Aristoteles (vgl. Aristoteles phys. 194b16 – 195b30 und metaph. 1013a24 – 1013b3). 132 Plaass 1965, 95. Vgl. dazu Cramer 1985, 154 – 161. 133 Plaass 1965, 87. 134 Plaass 1965, 89. 135 In Anlehnung an Plaass 1965, ebd. 136 Vgl. Cramer 1985, 307 – 309, bes. 308.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

115

wirklichender Gegenstand‘ a priori abgeleitet zu denken ist, und hierbei wre auch das Schema der Kausalkategorie als „nicht-reiner“ Zeitmodus der Folge137 zu bercksichtigen. Inwiefern eine solche Ableitung dann aber noch als apriorische zu bezeichnen wre, ist fraglich. An dieser Stelle ist es noch ungeklrt, ob Kant dem Zweckbegriff berhaupt objektive Realitt allein im Sinne empirischer Realitt zuspricht. Die Textlage ist in diesem Punkt nur hinsichtlich des Begriffs des Naturzwecks eindeutig.138 Der Versuch einer metaphysischen Deduktion des Naturzweckbegriffs scheint aber angesichts Kants Lehre von der bloß regulativen Funktion des Prinzips der formalen Zweckmßigkeit der Natur hinsichtlich der Beurteilung von Organismen als Naturzwecken bereits im Ansatz verfehlt zu sein. (4) Das Problem der objektiven Realitt des Zweckbegriffs kçnnte prima facie auch, analog zum Begriff ,Haben‘, vom Freiheitsbegriff her aufgerollt werden. Aus dieser Interpretationsperspektive wre der Zweckbegriff bloß auf Erfahrung anzuwenden, wobei die Gltigkeit dieser Anwendung von der objektiven Realitt des Freiheitsbegriffs abhinge. Zwei Mngel haften einer solchen Deutung aber an: Zuerst wre dabei die Problematik des Begriffs eines Naturzwecks gnzlich von der Frage nach der objektiven Realitt des (allgemeinen) Zweckbegriffs zu trennen. Das Verhltnis von (allgemeinem) Zweckbegriff und Naturzweckbegriff etwa ausschließlich auf ein Analogieproblem zu beschrnken, kann jedoch nicht berzeugen139, wenn Kants zwei Bedingungen „[z]u einem Dinge als Naturzwecke“ (KU B 290, V 373.4) genau bedacht werden. Die erste Bedingung, nach der ein Objekt genau dann ein Zweck ist, wenn es vorgestellt wird und allein diese Vorstellung das Vorgestellte a priori bestimmt, gilt fr alle Zwecke und qualifiziert auch einen Gegenstand als Naturzweck. Nur die zweite Bedingung, nach der die Teile dieses Gegenstandes als Ganzes in einer wechselseitigen Ursache-Wirkung-Relation stehen und erst durch diese Relationierung der Teile untereinander ein solches Ganzes entsteht, qualifiziert den Gegenstand als Naturzweck.140 Auch ein Naturzweck wird als Zweck gedacht. Die (gltige) Anwendung des Naturzweckbegriffs auf Erfahrung allein von der objektiven Realitt des Freiheitsbegriffs abhngig zu machen, entbehrt aber jeder Grundlage. Der 137 Vgl. Cramer 1985, 303 ff. 138 Vgl. oben Abschnitte 2.1.2 und 2.1.3. 139 Zur Problematik einer Analogie zwischen Naturzweckbegriff und dem Zweckbegriff im Kontext des Kunst- und Lebensbegriffs vgl. neuerdings Breitenbach 2009, 76 – 83. 140 Vgl. oben Abschnitt 2.1.3.

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

zweite Mangel ist erheblicher: Es ist nmlich nicht einzusehen, warum sich nicht auch ein Wesen, das in Hinsicht auf sein Begehrungsvermçgen bloß durch das Vermçgen negativer Freiheit ausgezeichnet ist, Zwecke setzen und verwirklichen kçnnte.141 Nichts widerspricht der Annahme, dass Kants Bestimmung von Zwecken als „Gegenstnden der Willkr“142 auch auf solche endlichen Wesen zutrifft, die zwar einen (ektypischen) Verstand und ein (unteres) Begehrungsvermçgen143, aber keine praktische Vernunft haben. Zwar wrde fr sie das Gute „jederzeit blos das Ntzliche sein, und das, wozu es nutzt, msste allemal außerhalb dem Willen in der Empfindung liegen“ (KpV A 103, V 59.6 f.). Sie verfgten also nicht ber einen Begriff des moralisch Guten, der „von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden [soll]“ (KrVA 101, V 58.10 f.). Beliebige Zwecke als zu verwirklichende Objekte zu setzen und diese auch tatschlich zu verwirklichen, wre ihnen dennoch mçglich, wenn sie nur in entsprechendem Maße Disziplin und Geschicklichkeit bten. Solche Wesen drften sicher nicht den Anspruch erheben, dass die Setzung und Verwirklichung auch nur eines einzigen ihrer Zwecke fr jedes Wesen ihrer Art oder gar fr alle vernnftigen Wesen sittlich geboten sei. Ihre praktischen Regeln (Imperative) wren eo ipso jederzeit keine fr alle vernnftigen Wesen objektiv und allgemein gltigen, sondern lediglich bedingte, technisch-praktische. Sie kçnnten jedoch durchaus Kultur im Sinne der „Hervorbringung der Tauglichkeit […] zu beliebigen Zwecken“ (KU B 391, V 431.28 – 30) haben. Es ist hier aber auch gar nicht die Frage, ob der Setzung eines bestimmten Zweckobjekts durch eine bestimmte Zweckvorstellung in dem Sinne objektive Realitt zukommt, dass die Regel fr seine Verwirklichung (Imperativ) „objectiv und allgemein gltig ist“ (KpV A 38, V 21.1 f. u. ç.). Es ist hier vielmehr die Frage, ob und in welcher Hinsicht demjenigen Zweckbegriff, der nach der bisherigen Bestimmung Zweckvorstellung, Zweckobjekt und die eigentmliche, nher zu klrende Relation zwischen ihnen als seine notwendigen und hinreichenden Bestandteile umfasst, objektive Realitt eignet. (5) Im Anschluss an die oben dargestellte Vermittlungsfunktion des Prdikabiles ,Haben‘ ließe sich aber eine andere Parallele zwischen den 141 Vgl. dagegen Klemme 2010. H. Klemme scheint die Meinung zu vertreten, dass nach Kant Wesen, die nicht ber den Autonomiebegriff verfgten, der Zwecksetzung grundstzlich nicht fhig wren. 142 Vgl. nochmals v. a. KpV A 103, V 59.1 f., MS VI 381.4 – 6 und MS VI 384.33 f. 143 Vgl. dazu auch Kants Disqualifikation materialer praktischer Prinzipien als mçglicher praktischer Gesetze in KpV §§ 2f.

2.2 Der begriffliche Status des Zweckbegriffs

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Begriffen ,Haben‘ und ,Zweck‘ herausstellen. Der Begriff ,Haben‘ als ,Besitz berhaupt‘ vermittelt in der Besitzlehre Kants zwischen dem Begriff ,empirischer Besitz‘ („sinnlicher“ oder „physischer Besitz“, „Inhabung“, „detentio“) als empirischem Begriff und dem Begriff ,intelligibler Besitz‘ („rechtlicher Besitz“, „possessio noumenon“) als apriorischem Vernunftbegriff. Wird der Begriff ,Zweckvorstellung‘ selbst auch als empirischer Begriff aufgefasst, der konkrete, einzelne begriffliche Vorstellungen konkreter, einzelner Subjekte bezeichnet, und dem Begriff ,Endzweck‘ als Idee (Vernunftbegriff a priori)144 gegenbergestellt, kann dem Zweckbegriff eine dem Begriff ,Haben‘ hnliche Vermittlungsfunktion zugesprochen werden. Als einer Idee kann auch unter den Begriff ,Endzweck‘ nichts Empirisches subsumiert werden.145 Analog zur Problemlage im § 7 der RL kçnnte der Begriff ,Endzweck‘, „der bloß in der Vernunft liegt, […] nicht unmittelbar auf Erfahrungsobjecte“ und den Begriff eines ,empirischen‘ Zwecks, sondern nur „zunchst auf den reinen Verstandesbegriff“ eines ,Zwecks berhaupt‘ „angewandt werden“ (MS VI 253.4 – 8). In dieser Hinsicht erhielte der Begriff ,Endzweck‘ erst durch einen „reinen Verstandesbegriff“, nmlich den Zweckbegriff, berhaupt die Mçglichkeit, auf empirische Verhltnisse angewendet werden zu kçnnen. Nach diesen fnf Bemerkungen spricht einiges fr eine Zuordnung des Zweckbegriffs zur Begriffsart der Prdikabilien. Allerdings fehlt eine ausdrckliche Exposition des Zweckbegriffs in den Schriften Kants. Dieser Umstand ist umso bedauerlicher, als die Qualifikation des Zweckbegriffs als Begriff a priori nach den vorangegangenen Ausfhrungen allein davon abhngt, ob der Zweckbegriff „lediglich im Verstande seinen Ursprung hat“ (KrV B 377, III 250.9) bzw. von einem solchen reinen Verstandesbegriff „abgeleitet[]“ (z. B. KrV B 108, III 94.15) ist. Aber was heißt es, dass ein Begriff, der gerade nicht als Kategorie qualifiziert ist, „auch dem Inhalte nach aus dem Verstande entspringt“ (Log § 3, IX 92.5 f.)? Da der Zweckbegriff keinesfalls der Begriffsart der Kategorien zuzuordnen ist, sich 144 „Endzweck ist bloß ein Begriff unserer praktischen Vernunft und kann aus keinen Datis der Erfahrung zu theoretischer Beurtheilung der Natur gefolgert, noch auf Erkenntniß derselben bezogen werden“ (KU B 432, V 454.34 – 36). 145 „Die Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf einen Gegenstand, sondern lediglich auf den Verstand und vermittelst desselben auf ihren eigenen empirischen Gebrauch“ (KrV B 671, III 427.19 – 20). Wenige Zeilen spter heißt es: „Die Vernunft hat also eigentlich nur den Verstand […] zum Gegenstande; und wie dieser das Mannigfaltige im Object durch Begriffe vereinigt, so vereinigt jene ihrerseits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen“ (KrV B 671 f., III 427.26 – 30).

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2 Schwierigkeiten mit Kants Zweckbegriff

also auch nicht wie diese a priori auf Gegenstndlichkeit berhaupt bezieht, kçnnten allein seine impliziten apriorischen Konstituenten, die als sein genuiner apriorischer Gehalt nachzuweisen wren, eine Kennzeichnung des Zweckbegriffs als Begriff a priori rechtfertigen.

Kapitel 3 Exposition des Zweckbegriffs 3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression1) Da die Kategorien als Begriffe einer reinen Synthesis des Mannigfaltigen nach Kant die „subjective[n] Formen der Verstandeseinheit“ (KrV B 343, III 230.22) auf den Begriff bringen und insofern nicht nur „als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntnis zum Grunde liegen“ (KrV B 126, III 104.35 – 105.1), sondern als „Begriffe von einem Gegenstande berhaupt“ (KrV B 128, III 106.17) selbst „zum bestimmten Denken des bersinnlichen dienen“ (KpV A 255, V 141.22 f.), muss auch eine transzendentale Bestimmung dessen, was mittels des Zweckbegriffs gedacht wird, mçglich sein. Wie im vorangegangenen Kapitel gesehen, ist die Kategorientafel fr die Erzeugung und/oder apriorische Bestimmung der Prdikabilien und der (transzendentalen) Ideen maßgebend. Es wird also noch unabhngig von der Frage, ob der Zweckbegriff ein Vernunftbegriff (Idee) oder ein abgeleiteter Verstandesbegriff (Prdikabile) sei, eine Rckfhrung des anzunehmenden genuinen apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs auf (zumindest) eine bestimmte Kategorie fr mçglich erachtet werden mssen. Die in den folgenden Abschnitten zu beantwortende Frage lautet demnach: Auf welche spezifische Weise wird im Falle des Zweckbegriffs die Synthesis eines Mannigfaltigen zustande gebracht? Zur Beantwortung dieser Frage wird zuerst der Zweckbegriff analysiert werden mssen. Dies geschieht in zwei Anlufen, indem das durch den Zweckbegriff Bezeichnete einerseits als Begehrtes, andererseits als Hervorzubringendes zu bestimmen ist. Darauf wird es mçglich sein, eine zusammenfassende Exposition des Zweckbegriffs zu versuchen, d. h. eine „an einander hngende[] (successive) Vorstellung seiner Merkmale, so weit dieselben durch Analyse gefunden sind“ (Log § 105, IX 143.1 – 3).2 Eine 1

2

Der Ausdruck ,Regression‘ wird hier in Anlehnung an Kants Unterscheidung von analytischer (regressiver) und synthetischer (progressiver) Methode gebraucht (vgl. etwa Log § 117). Nach ihr verfhrt die analytische Methode „a principiatis ad principia“ (Log § 117, IX 149.7). Im vorliegenden Kapitel wird der Zweckbegriff also in methodischer Hinsicht als „gegebener Begriff“ behandelt, d. h. er soll hier nicht erzeugt („gemacht“), sondern

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3 Exposition des Zweckbegriffs

solche sich an die Analyse anschließende Exposition wird in einer Differenzierung des Zweckbegriffs mnden, so dass schließlich sowohl seine mçgliche zweifache Darstellung mittels der „Technik der Kunst“ und der „Technik der Natur“ erklrt als auch sein begrifflicher Status bestimmt werden kçnnen. 3.1.1 Subjektive Substitution: Begehren Bedenkt man die (alltgliche sowie die wissenschaftliche) Erfahrung mit Blick auf die Frage, was denn ein Zweck sei, so zeigt sich das mit dem Zweckbegriff Bezeichnete als vielgestaltig und heterogen. Dies hat der Zweckbegriff mit anderen Begriffen, die sich durch einen hohen Grad an Allgemeinheit auszeichnen, wie etwa dem Begriff des ußeren Gegenstandes (als Materie bzw. Kçrper) gemein. Je nach angetragenem Kriterium lsst sich die Menge aller mçglichen Zwecke nach Belieben einteilen und so etwa in die Klassen der niederen und hçheren Zwecke, der banalen und exklusiven Zwecke, der konkret-subjektiven, kollektiven und allgemeinen (oder gattungsgemeinen und in diesem Sinne ,objektiven‘) Zwecke, der guten (oder: sittlichen) und schlechten (oder: verwerflichen) Zwecke, der frei gewhlten und unumgnglichen Zwecke und dergleichen mehr gliedern. Was alle Zwecke gemein haben, was also einen bestimmten Zweck als Zweck auszeichnet, bleibt dabei offen, da nach spezifischen Zwecken in je bestimmter Hinsicht gefragt wird. Wird dagegen der Versuch unternommen, den Zweckbegriff bei zunehmendem Grad der Abstraktion auf das ihm allein Wesentliche zu reduzieren, um so zu einem in dem Sinne ,abstrakten‘ Zweckbegriff zu gelangen, dass er ausschließlich das allen der Erfahrung entlehnten Beispielen fr verschiedene Zwecke Gemeinsame auf den Begriff bringt, bietet sich der „abgesonderte (obzwar an sich empirische) Begriff“3 eines Begehrten an. Alle mçglichen Zwecke sind Begehrtes, oder um mit Kant wortwçrtlich zu

3

analysiert, mithin „erklrt“ werden. Vgl. zu einem solchen Vorgehen KrV B 755 – 758, III 477 – 479 und Log §§ 102 – 105. In Anlehnung an MAN IV 472.8. Dort heißt es (mit Bezug auf den Materiebegriff, vgl. oben Abschnitt 2.2.3): „[M]ithin wird eine vollstndige Zergliederung des Begriffs […] zum Grunde gelegt werden mssen, welches ein Geschft der reinen Philosophie ist, die zu dieser Absicht sich keiner besonderen Erfahrungen, sondern nur dessen, was sie im abgesonderten (obzwar an sich empirischen) Begriffe selbst antrifft, in Beziehung auf die reinen Anschauungen im Raume und der Zeit […] bedient“ (MAN IV 472.4 – 11).

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

121

reden: sie sind „Gegenstand der Zuneigung“ (RGV VI 6.27 Anm.), „Materie der Willkr“ (MS VI 230.16), „Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens“ (KpV A 103, V 59.1 f.).4 In welchem przisen Sinn der Begriff eines Zwecks zum Begriff des Begehrungsvermçgens in Beziehung steht, in welcher Hinsicht er also von Kant einmal als „Gegenstand“, einmal als „Materie“ und einmal als „Bestimmungsgrund“ des Begehrungsvermçgens genommen wird, ist an dieser Stelle jedoch gleichgltig. Denn da nach Kant „der Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens […] empirisch gegeben werden muß“ (KU B XXX, V 182.4 f.), ist ebenso der Begriff des Begehrten bloß ein a posteriori gegebener, ein empirischer Begriff, von dem sich fragen lsst, inwiefern sein spezifischer Gehalt auf „transcendentale[] Bestimmungen“ (KU B 32, V 219.31 f.) erschçpfend zurckgefhrt werden kann. Der Begriff des Begehrungsvermçgens scheint hier ungeeignet, da er gerade „nicht zu den transcendentalen Prdicaten gehçrt“ (KU B XXX, V 182.5 f.). Beachtet man Kants Definition des Begehrungsvermçgens in der „Vorrede“ zur KpV, die „aus lauter Merkmalen des reinen Verstandes, d. i. Kategorien, zusammengesetzt [ist]“ (KpV A 17 Anm., V 9.32 f.), die also dessen empirischen Begriff auf „transcendentale Bestimmungen“ zurckfhrt, und nach der das Begehrungsvermçgen das Vermçgen eines Wesens ist, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm., V 9.21 f.)5, fllt eine weitgehende bereinstimmung mit den Definitionen des Zweckbegriffs in der KU auf. Das ist kaum berraschend, weist Kant doch selbst darauf hin, dass „man auch den Willen durch das Vermçgen der Zwecke definiren kçnne“ (KpV A 103, V 58.37 – 59.1). Der Unterschied zwischen Begehrungsvermçgen und Zweck besteht hierbei schlichtweg darin, dass das Begehrungsvermçgen ein Vermçgen ist, das durch Zwecke (als dessen „Bestimmungsgrnde“) bestimmt wird. Die Zweckvorstellung stellt dabei genau denjenigen Gegenstand vor, der begehrt wird, d. h. ein Zweckobjekt. Allerdings besteht nach Kant kein analytisches Verhltnis zwischen dem Begriff eines Begehrungsvermçgens und dem Zweckbegriff. Nicht jedes Wesen mit dem Vermçgen, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm., V 9.21 f.), bestimmt dieses Vermçgen durch Begriffe. Im Unterschied zu 4 5

Vgl. MS VI 376.36 und KpV A 70, V 41.20 f. (dort: „Materie des Willens“), ferner MS VI 381.4 und MS VI 384.33 (dort: „Gegenstand der Willkr“). Vgl. auch MS VI 211.6 f. (dort: „Vermçgen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

beispielsweise Tieren (oder auch Gott) sind es allein endliche vernnftige Wesen, d. h. Wesen mit diskursivem Verstand, die ihr Begehrungsvermçgen durch Zwecke (Zweckvorstellungen) bestimmen kçnnen – denn Zweckvorstellungen sind begriffliche Vorstellungen. Daher sind Zwecke genau genommen auch nicht „Gegenstnde“, „Materie“ oder „Bestimmungsgrnde“ des Begehrungsvermçgens schlechthin, sondern der „Willkr“: „Das Begehrungsvermçgen nach Begriffen, sofern der Bestimmungsgrund desselben zur Handlung in ihm selbst, nicht in dem Objecte angetroffen wird, heißt ein Vermçgen nach Belieben zu thun oder zu lassen. Sofern es mit dem Bewußtsein des Vermçgens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objects verbunden ist, heißt es Willkr; ist es aber damit nicht verbunden, so heißt der Actus desselben ein Wunsch“ (MS VI 213.14 – 19).

Damit sind Zwecke als Gegenstnde der Willkr, als (bewusst) Begehrtes ausgezeichnet.6 Mit der Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten ergibt sich: Alle Zweckvorstellungen bestimmen ein Begehrtes (Gegenstand der Willkr), alle Zweckobjekte sind ein (bewusst) Begehrtes (Gegenstand der Willkr), und alle Produkte sind Verwirklichungen eines vormals (bewusst) Begehrten (vormaliger Gegenstand der Willkr). Das Spezifikum der in solchem praktischen Zweckbegriff 7 gedachten Gegenstndlichkeit besteht dann darin, dass unter ihn ausschließlich alles (bewusst) Begehrte, d. h. alle Gegenstnde der Willkr, zu subsumieren sind. Die Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten betont offensichtlich das subjektive Moment des Zweckbegriffs und soll daher hier schlagwortartig ,subjektive Substitution‘ genannt werden. Mit ihr kommt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Objekten als Gegenstnden der Erkenntnis und Objekten als Gegenstnden der Willkr (Begehrtes) in den Blick. Er wird hufig als perspektivischer Unterschied, genauer als Unterschied zwischen einer Perspektive der dritten Person und einer Perspektive der ersten Person auf den Punkt gebracht.8 Der Gedanke dabei ist etwa folgender: Im Falle der Erkenntnis eines Gegenstandes spielt die konkrete, subjektive Situation des erkennenden Subjekts eine nur untergeordnete, zweitrangige Rolle. Denn der fragliche, zu erkennende Gegenstand wird allein als objektiver gedacht. 6 7 8

Vgl. nochmals MS VI 381.4 – 6 und MS VI 384.33 f. Zum praktischen Zweckbegriff vgl. unten Abschnitt 3.3.3. Vgl. die hierfr grundlegenden Arbeiten von F. Kaulbach und V. Gerhardt, z. B. Kaulbach 1978, bes. VI. Kapitel, und Gerhardt/Kaulbach 1979.

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

123

Welches konkrete Subjekt diesen Gegenstand erkennt, ist dabei irrelevant. Nur in seiner Objektivitt steht der Gegenstand zur Disposition. Dagegen scheint ein Objekt als Gegenstand der Willkr (Begehrtes) nicht von der Perspektive der ersten Person isolierbar zu sein. Es hat allein Bestand durch das Begehren eines Subjekts. Oder anders: Im Bereich der Praxis ist – im Gegensatz zum Bereich der theoretischen Erkenntnis – das Subjekt in der Theorie nicht eliminierbar. Vielmehr stellen sich die genuinen Fragen der praktischen Philosophie, etwa nach dem richtigen Handeln, gerade und allein aus der Perspektive der ersten Person. Die Unterscheidung einer Perspektive der ersten und einer dritten Person trifft einerseits einen fr die Bestimmung des genuinen Gehalts des Zweckbegriffs, mithin fr die hier behandelte Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten relevanten Punkt, ist dabei andererseits aber auch irrefhrend. Denn auch im Falle des (bewussten) Begehrens kann das Begehrte mit dezidiertem Blick auf seine fragliche Objektivitt untersucht werden. Es ist nicht ausschließlich Subjektives im Sinne von subjektiv Beliebiges. Auch das (bewusste) Begehren stellt einen Gegenstand vor, der objektiven Bedingungen unterliegen muss, wenn es „mit dem Bewußtsein des Vermçgens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objects verbunden“ (MS VI 213.17 f.) sein soll. Die Antwort auf die Frage, auf welche spezifische Weise im Falle des Zweckbegriffs die Synthesis eines Mannigfaltigen zustande gebracht wird, wie also der eigentmliche Gehalt des Zweckbegriffs bestimmt werden kann, hngt nicht an der Frage, ob die philosophische Untersuchung von Problemen menschlicher Praxis nur unter besonderer Bercksichtigung der Perspektive einer ersten Person sinnvoll ist. Dass Zwecke als Begehrtes genuine Leistungen eines konkreten Subjekts bzw. mehrerer konkreter Subjekte sind, steht dagegen außer Frage. Ein Zweckobjekt ist als Zweckobjekt notwendigerweise ein vorgestelltes Objekt, da im Falle eines Zwecks nach Kant Vorstellung (Begriff, Idee) und Vorgestelltes (Objekt) untrennbar verbunden sind.9 Die Zweckvorstellung ist dabei Leistung eines Subjekts, mithin Vorstellung eines konkreten Subjekts. Und whrend zumindest fr die philosophische Untersuchung der Konstitution und Regulation von (theoretischer) Gegenstndlichkeit berhaupt die Rolle konkreter Subjektivitt vernachlssigt werden kann, scheint dies hier, bei der Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten, nicht mçglich. 9

Vgl. oben Abschnitt 2.1.4.

124

3 Exposition des Zweckbegriffs

Der entscheidende Punkt, der die subjektive Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten fr eine Rekonstruktion des apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs allerdings ungeeignet erscheinen lsst, ist der nach Kant notwendige Zusammenhang von Begehrungsvermçgen und „Gefhl der Lust und Unlust“. Lust bzw. Unlust werden vom Subjekt empfunden, wenn eine Vorstellung das Gefhl „affiziert“10. Die bloße Subjektivitt von Lust bzw. Unlust beschreibt Kant in der „Einleitung“ zur MS folgendermaßen: „Man nennt aber die Fhigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstellung zu haben, darum Gefhl, weil beides das blos Subjective im Verhltnisse unserer Vorstellung und gar keine Beziehung auf ein Object zum mçglichen Erkenntnisse desselben […] enthlt; da sonst Empfindungen außer der Qualitt […] doch auch als Erkenntnißstcke auf ein Object bezogen werden, die Lust oder Unlust aber […] schlechterdings nichts am Objecte, sondern lediglich Beziehung aufs Subject ausdrckt“ (MS VI 211.19 – 212.5).

Das „Gefhl“ bzw. „Lust oder Unlust“ sind demnach zwar stets mit jeder Art von Begehren verbunden, betreffen aber allein die „Beziehung aufs Subject“. Die Vorstellung eines Gegenstandes ist also einerseits Grund fr das Empfinden von Lust bzw. Unlust, insofern sie die Sinnlichkeit „affiziert“. Wird dabei Lust empfunden, kann der vorgestellte Gegenstand zum (bewusst) Begehrten werden; wird dagegen Unlust empfunden, kann er zum (bewusst) Verabscheuten werden.11 Der Gegenstandsbezug der Vorstellung kommt hierbei aber gar nicht in den Blick. Andererseits ist die Vorstellung eines Gegenstandes aber als Zweckvorstellung zu bezeichnen, insofern sie das Begehrungsvermçgen qua Willkr zum Handeln „bestimmt“12, nmlich zur Hervorbringung des in eben jener Vorstellung vorgestellten Gegenstandes als Begehrtes (Gegenstand der Willkr). Ob diese ,Bestimmung zur Hervorbringung‘ ihren Grund im Gefhl hat oder etwa in „reiner Vernunft“, ist fr die Auszeichnung eines Gegenstandes als Zweckobjekt bzw. einer Vorstellung als Zweckvorstellung allerdings irrelevant. 10 „Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefhl so afficirt) notwendig verbunden ist, praktische Lust nennen: sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein“ (MS VI 212.10 – 13). 11 „Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist […] jederzeit Lust oder Unlust, deren Empfnglichkeit man Gefhl nennt, verbunden; aber nicht umgekehrt“ (MS VI 211.10 – 12). 12 „Die menschliche Willkr ist dagegen eine solche, welche durch Antriebe zwar afficirt, aber nicht bestimmt wird“ (MS VI 213.32 f.).

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

125

Aufgrund dieses allein das Subjekt betreffenden, aber dennoch notwendigen Zusammenhangs von Vorstellung eines Begehrten und Gefhl der Lust und Unlust muss fr einen zweiten Versuch der Substitution des Zweckbegriffs die eigentmliche Objektivitt des Begehrten im Vordergrund stehen. Denn die anthropologische Konnotation der subjektiven Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines (bewusst) Begehrten lsst sie fr eine apriorische Bestimmung seines eigentmlichen Gehalts als ungeeignet erscheinen. 3.1.2 Objektive Substitution: Hervorbringung Da die Beziehung der Vorstellung eines (bewusst) Begehrten auf das Gefhl (der Lust oder Unlust) bei der Bestimmung des apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs gleichsam ausgeblendet werden muss, damit der Zweckbegriff allein als ein auf (spezifische) Gegenstndlichkeit bezogener Begriff gedacht werden kann, erscheint die Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff ,(bewusst) Begehrtes‘ fragwrdig. Nach Abzug dieses bloß subjektiven Moments vom als (bewusst) Begehrtes gefassten Zweckbegriff bleibt im Anschluss an die subjektive Substitution der Begriff eines hervorzubringenden Objekts. Denn eine beliebige Vorstellung (Begriff, Idee) ist Zweckvorstellung, wenn sie ihren Gegenstand als hervorzubringenden Gegenstand vorstellt, mithin das Begehrungsvermçgen zur Hervorbringung dieses Gegenstandes bestimmt.13 Mit der Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff eines Hervorzubringenden ergibt sich: Alle Zweckvorstellungen bestimmen ein Hervorzubringendes (hervorzubringendes Objekt), alle Zweckobjekte sind ein Hervorzubringendes (hervorzubringendes Objekt), und alle Produkte sind Hervorgebrachtes (hervorgebrachtes Objekt). Schließlich wird Zweckkausalitt als Hervorbringen bzw. Hervorbringung (eines hervorzubringenden Objekts) zu fassen sein. Das Spezifikum der in solchem theoretischen Zweckbegriff gedachten Gegenstndlichkeit besteht dann

13 Auch Kant verwendet den Terminus ,Hervorbringen‘ hufiger im Zusammenhang mit der Bestimmung des Begehrungsvermçgens durch die Vorstellung (Begriff ) eines zu verwirklichenden Gegenstandes (vgl. bes. MS VI 381.4 – 6 und MS VI 384.33 f., ferner u. a. KpV A 86, V 49.34 – 37, KU B 292, V 374.12 – 15, RGV VI 39.15 – 19, Anth VII 251.5 – 7).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

darin, dass unter ihn ausschließlich alle hervorzubringenden Gegenstnde zu subsumieren sind.14 Die Substitution des Zweckbegriffs durch den Begriff des Hervorzubringenden sowie des Begriffs der Zweckkausalitt durch den Begriff des Hervorbringens zeigt an, dass der Kausalittskategorie bei der Bestimmung des apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs die maßgebliche Rolle zuteil wird.15 Dass der Begriff des Hervorbringens die Kausalittskategorie impliziert, ist offensichtlich und Kant betont dies an mehreren Stellen.16 Den Zweckbegriff als Begriff eines Hervorzubringenden auf diese allein zurckzufhren, kann dagegen auf den ersten Blick befremden. Denn da im Falle des Zweckbegriffs und der mit ihm einhergehenden Zweckkausalitt eine Ursache-Wirkung-Relation unter der spezifischen Maßgabe gedacht wird, dass gerade nicht nur eine bestimmte Ursache ihrer Wirkung vorhergeht, sondern vielmehr eine bestimmte Wirkung zu allererst (in der Zweckvorstellung) antizipiert wird, um fr ihre Verwirklichung (Bewirkung) die notwendige Ursache (Mittel) in Anschlag zu bringen, fehlte scheinbar bei einer Rckfhrung des apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs allein auf die Kausalittskategorie das dem Zweckbegriff gerade eigentmliche Moment: die Antizipation des Zweckobjekts in der Zweck-

14 Zwar scheint die grammatische Form eines Partizips Prsens mit ,zu‘ wiederum einen Bezug zu einem hervorbringenden Subjekt zu implizieren, diese Implikation ist aber keine notwendige. Denn im Gegensatz zum Begriff des (bewusst) Begehrten lsst sich der Begriff des Hervorzubringenden augenscheinlich auch auf die spezifische Gegenstndlichkeit, die Kant unter dem Titel ,Naturzwecke‘ („Organismen“) fasst, anwenden. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass diesen die (innere) Zweckhaftigkeit bloß von der reflektierenden Urteilskraft untergeschoben wird, wre es absurd zu behaupten, die Naturprodukte mssten so vorgestellt werden, als ob ihre Teile einander „begehrten“. – Zu Kants Verwendung des Terminus ,Hervorbringen‘ im Kontext des Problems von Naturzwecken als „organisierter Wesen“ vgl. bes. KU § 65 (etwa KU B 292, V 373.35 – 374.8, dort: „In einem solchen Producte der Natur wird ein jeder Theil […] als ein die andern Theile […] hervorbringendes Organ …“). 15 So schreibt etwa K. Cramer mit Verweis auf Kants Definition des Zweckbegriffs in § 10 der KU: „So konstruiert die transzendentale Definition des Zweckbegriffs seinen formalen Gehalt vermittels der Kategorie, durch die er zu bestimmen ist: der Kategorie der Relation von Ursache und Wirkung“ (Cramer 1972, 174 f.). 16 Zweckkausalitt qua Hervorbringen ist demnach als besonderer Fall von Kausalitt zu bestimmen. Besonders deutlich findet sich diese Bestimmung Kants, wie bereits oben im Abschnitt 2.1.3 gezeigt, im § 65 der KU, in dem der „Causalverbindung der wirkenden Ursachen (nexus effectivus)“ die „der Endursachen (nexus finalis)“ gegenbergestellt wird (vgl. KU B 289 f., V 372.19 – 373.3).

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

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vorstellung. Ohne diese wre das Zweckobjekt kein Hervorzubringendes, sondern lediglich – (theoretisches) Objekt der Erkenntnis. Damit scheint sich die dritte Kategorie der Relationsgruppe, die Kategorie der „Gemeinschaft“, die Kant mittels der Wendung „Wechelwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden“ (KrV B 106, III 93.13 – 15) kennzeichnet, als ernstzunehmende Alternative zu qualifizieren. Kant erlutert diese am Ende des § 11 der KrV am Beispiel eines „Ganzen der Dinge“, in welchem eine „Verknpfung […] gedacht [wird], da nicht eines als Wirkung dem andern als Ursache seines Daseins untergeordnet, sondern zugleich und wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern beigeordnet wird (z. B. in einem Kçrper, dessen Theile einander wechselseitig ziehen und auch widerstehen); welches eine ganz andere Art der Verknpfung ist, als die, so im bloßen Verhltniß der Ursache zur Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge nicht wechselseitig wiederum den Grund bestimmt und darum mit diesem […] nicht ein Ganzes ausmacht“ (KrV B 112, III 97.4 – 12, H. v. V.).

Die hier von Kant angesprochene „wechselseitige“ Kausalbeziehung zwischen den einander „beigeordneten“ Teilen scheint sich mit seinen oben angefhrten berlegungen17 zu einer „Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken)“ (KU B 289, V 372, 25) zu decken. Denn durch die Kategorie der Gemeinschaft wird eine „Verknpfung“ gedacht, in der „die Folge wechselseitig wiederum den Grund bestimmt und darum mit diesem ein Ganzes ausmacht“. Dagegen muss allerdings an Kants wesentliche Bestimmung des Zweckbegriffs erinnert werden, die er in § 65 der KU im Anschluss an die Erluterung des „nexus finalis“ und im Kontext der Diskussion des Naturzweckbegriffs entwickelt18 : Dort wurde die Zweckvorstellung als Vorstellung (Begriff, Idee) eines Objekts bezeichnet, die als Vorstellung eines „Ganzen“ alle „Teile“ a priori bestimmt.19 Die „Teile“ sind nach Kant insofern als allein durch das „Ganze“ bestimmte zu verstehen, als „ein jeder Theil so, wie er nur durch alle brige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existierend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht [wird]“ (KU B 291, V 373.35 – 37).

Die „Teile“ sind mit Kant demnach als „Werkzeuge“ bzw. „Organe“ zu bezeichnen. Sie werden aber erst durch die Zweckvorstellung (Begriff, Idee) 17 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2. 18 Vgl. oben Abschnitt 2.1.3. 19 Vgl. nochmals KU B 290, V 373.4 – 7.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

aufeinander bezogen und insofern als „Teile“ eines „Ganzen“ gedacht. – Um sich dies zu verdeutlichen, kann nochmals auf Kants Haus-MieteBeispiel zurckgegriffen werden: Als konkretes Zweckobjekt wird ein Einkommen gesetzt. Fr dessen Realisierung wird als adquates Mittel das Errichten eines Hauses erachtet. Das errichtete Haus wird vermietet (bzw. soll vermietet werden). Durch die Mieteinnahmen, die erst durch das errichtete Haus und dessen Vermietung mçglich werden, ist das Zweckobjekt (vorgestelltes Einkommen) realisiert. Haus, Vermietung und Geldeinnahme (sowie manches mehr, was damit ferner einhergehen mag) werden hier durch die bloße Vorstellung eines mçglichen Einkommens derart aufeinander bezogen, dass sie als „Werkzeuge“ fr die Realisierung des konkreten Zweckobjekts ,vorgestelltes Einkommen‘, folglich als „Teile“ eines „Ganzen“, erscheinen. Es zeigt sich hier deutlich, dass sich Kants ußerungen ber eine wechselseitige Bestimmung der Relate am Anfang des § 65 der KU eben gerade nicht auf Zweckobjekte als Zweckobjekte (Hervorzubringendes), sondern auf die mit ihnen einhergehende spezifische Kausalitt beziehen, die als Hervorbringen zu bezeichnen ist. Nach dieser ist die Zweckvorstellung alleiniger Grund aller weiteren fr die vollstndige Bestimmung und Ausfhrung eines (konkreten) Zwecks notwendigen Elemente als dessen „Teile“ („Mittel“) – die Vorstellung des Ganzen geht dessen Teilen voraus. Die Relation zwischen Zweck und Mittel(n) wird demnach als eine einseitige, eindeutig bestimmbare Grund-Folge-Relation bestimmt: Die Zweckvorstellung ist Ursache fr das (bzw. die) Mittel, das (bzw. die) wiederum Ursache(n) fr die Realisierung des in der Zweckvorstellung vorgestellten Zweckobjekts, fr das Produkt ist (bzw. sind). Das Hervorbringen qua Zweckkausalitt kann somit als doppelte Ursache-WirkungRelation zwischen Zweckvorstellung (Ursache) und Produkt (Wirkung) verstanden werden. Das von Kant vorgeschlagene Bild einer Reihe20, die im Falle der Zweckkausalitt sowohl in die eine als auch in die andere Richtung abgeschritten werden kann, birgt somit die Gefahr eines Missverstndnisses

20 Vgl. KU B 289 f., V 372, 24 – 29.

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darber, wie diese Dopplung genauer zu verstehen ist. Folgende Darstellung ist prima facie den Ausfhrungen Kants angemessen21: Zweck (Einkommen) ›fl Mittel (Haus) Einerseits „[ist] das Haus zwar die Ursache der Gelder“, andererseits „[war] doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem mçglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses“ (KU B 290, V 372.31 – 33). Es wurde oben bereits festgehalten22, dass eben dieser Typus von Kausalitt, der sich durch ein solches Verhltnis wechselseitiger Bedingung auszeichnet, im Begriff der Zweckkausalitt vorgestellt wird. Ganz im Sinne der Kommerziumkategorie („Gemeinschaft“) scheinen hier im Begriff der Zweckkausalitt (Hervorbringen) die beiden unterscheidbaren, gegenlufigen Kausalrelationen, die „einander ausschließen“23, als „in einer Sphre verbunden“ (KrV B 113, III 97.15) gedacht zu werden, so dass nicht das (einseitige) Bedingungsverhltnis von Zweck(vorstellung) qua Ganzes und Mitteln qua Teile, sondern das Verhltnis der beiden Kausalrelationen „als in einem Ganzen verbunden“ (KrV B 113, III 97.17 f.) vorgestellt wird. Offensichtlich entsprechen allerdings „die Vorstellung von diesem mçglichen Einkommen“ und das tatschliche Einkommen, also die „Gelder, die fr die Miethe eingenommen werden“, gerade nicht einander. Das Reihenbild verdeckt nmlich einen maßgeblichen Unterschied zwischen dem in der Zweckvorstellung vorgestellten Zweckobjekt (Hervorzubringendem) und dem Produkt (Hervorgebrachtem). In der Passage, in der Kant das Haus-Miete-Beispiel anfhrt, wird dieser Unterschied nur durch die verschiedenen Tempora von ,sein‘ explizit: „Im Praktischen (nmlich der Kunst) findet man leicht dergleichen Verknpfung, wie z. B. das Haus zwar die Ursache der Gelder ist, die fr Miethe 21 Jeder Pfeil stellt eine Kausalrelation (Ursache ! Wirkung) dar. 22 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2. 23 Die beiden im Begriff der Zweckkausalitt zu unterscheidenden Kausalrelationen kçnnen als ,gegenlufige‘ oder als ,einander ausschließende‘ bezeichnet werden, da die eindeutige Zuordnung von ,Ursache‘ bzw. ,Wirkung‘ zu einem der beiden Relate ,Zweck‘ bzw. ,Mittel‘ je nach Kausalrelation entgegengesetzt erfolgt – anhand des Haus-Miete-Beispiels kann gefragt werden: ,Ist das Einkommen Ursache des Hauses oder ist das Haus Ursache des Einkommens?‘ (Gemß der der Kommerziumkategorie entsprechenden disjunktiven Urteilsform formuliert: ,Das Einkommen ist Ursache des Hauses, oder das Haus ist Ursache des Einkommens‘).

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eingenommen werden, aber doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem mçglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses war“ (KU B 289 f., V 372, 29 – 33, H. v. V.).

Da in dem konkreten Beispiel der Zweck („Einkommen“) bereits ein verwirklichter ist, zeigt Kant sprachlich das ursprngliche Grnden des realisierenden Mittels („Haus“) in einer Zweckvorstellung („Vorstellung von diesem mçglichen Einkommen“) durch das Prteritum („war“) an. Die folgende Darstellung des spezifischen Charakters der Zweckkausalitt als doppelter Ursache-Wirkung-Relation scheint daher angemessener: Zweck (Einkommen) ! Mittel (Haus) ! Produkt (Einkommen) Sie trgt dem Umstand Rechnung, dass das Hervorbringen in der Zeit geschieht und die Zweckvorstellung als Zwecksetzung der Realisierung des Zwecks (Mittel ! Produkt) zeitlich vorhergehen muss. Allerdings wird hier wiederum aus den Augen verloren, dass die Relate ,Zweck‘ und ,Produkt‘ nicht nur zu unterscheiden sind, sondern auch eine wesentliche Gemeinsamkeit aufweisen: das Zweckobjekt (hier: Einkommen). Der Unterschied zwischen Zweck (Hervorzubringendem) und Produkt, der in der zweiten Darstellung hervorgehoben wird, ist – genauer besehen – bloß ein Unterschied der Modalitt. Whrend das in der urschlichen Zweckvorstellung vorgestellte Zweckobjekt ein (noch) nichtseiendes, allenfalls mçgliches Objekt ist (hier: mçgliches Einkommen), ist das Produkt als das Hervorgebrachte das verwirklichte Zweckobjekt, also ein wirkliches Objekt (hier: wirkliches Einkommen). Wird dieser modale Unterschied dagegen beiseite gelassen, ist die erste, sich an Kants Reihenbild orientierende Darstellung durchaus treffend. Das in der Zweckvorstellung vorgestellte Zweckobjekt und das als Produkt realisierte Zweckobjekt sind ihrem begrifflichen Gehalt24 nach schlichtweg identisch. Anmerkung zu den Begriffen ,Mittel‘ und ,Kraft‘ Im Falle des Zweckbegriffs und der mit ihm einhergehenden Zweckkausalitt wird der bergang vom Nichtsein des in der Zweckvorstellung vorgestellten Zweckobjekts zum Dasein des im Produkt verwirklichten

24 Anders formuliert: Die Verwirklichung des Zweckobjekts ndert nicht dessen „logisches Wesen“. Zum Begriff ,logisches Wesen‘ vgl. Log IX 61.10 – 31 und auch Graubner 1972, 15 – 24, bes. 16 f.

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Zweckobjekts – gemß Kants Kausalittsprinzip25 – durch eine (mutmaßlich doppelte) Kausalrelation gedacht. Das Mittelglied zwischen urschlicher Zweckvorstellung und gewirktem Produkt ist das, was gemeinhin als „Mittel“, von Kant gelegentlich auch als „Werkzeug“ oder „Organ“, bezeichnet wird. Fraglich ist jedoch, ob dieses Mittelglied tatschlich legitim innerhalb einer zweigliedrigen Zweckkausalitt einmal als Wirkung (Zweck qua Vorstellung ! Mittel) und einmal als Ursache (Mittel ! Zweck qua Produkt) bestimmt werden kann, um die aufgezeigte Dopplung der Ursache-Wirkung-Relation dann als ein Spezifikum des Begriffs der Zweckkausalitt herauszustellen. Kants Haus-Miete-Beispiel legt dies, wie gesehen, durchaus nahe. Betrachtet man zum Zwecke der Kontrastierung den anderen, vom Begriff der Zweckkausalitt zu unterscheidenden Begriff der Naturkausalitt oder der „Causalverbindung […] der wirkenden Ursachen (nexus effectivus)“ (KU B 289, V 372.23 f.), zeigt sich, dass auch hier einem solchen Mittelglied eine wesentliche Rolle zukommt. Im § 29 der Prol gibt Kant etwa das Beispiel der Erwrmung eines Kçrpers durch das Licht der Sonne. Als gltiges Erfahrungsurteil ber diese Begebenheit nennt er den folgenden Satz: „[Die] Sonne ist durch ihr Licht die Ursache der Wrme“ (Prol IV 312.16 f.). Er enthlt alle Elemente, die zur Exemplifizierung von Naturkausalitt wesentlich sind26 : Als Ursache wird „Sonne“ und als Wirkung „Wrme“ genannt. Ferner fllt freilich die Formulierung „durch ihr Licht“ auf. Dem „Licht“ scheint in diesem Beispiel eine dem „Haus“ (aus dem Haus-Miete-Beispiel des § 65 der KU) analoge Funktion zuzukommen, worauf das Wort „durch“ hinweist. Denn auch „durch“ das Haus kann die Miete eingenommen werden. Wie ist in diesem Beispiel das „Licht“ nher zu bestimmen? Ist es analog zu dem Mittel „Haus“ einerseits als Wirkung der Sonne und andererseits als Ursache der Wrme zu denken? Wenn dies der Fall sein sollte, ließe sich auch die Naturkausalitt anhand dieses Beispiels als doppelte Ursache-Wirkung25 „Alle Vernderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknpfung der Ursache und Wirkung“ (KrV B 232, III 166.32 f.) – in krzerer Formulierung: „[E]ine jede Vernderung hat ihre Ursache“ (KrV B 3, III 28.25). 26 Es geht an dieser Stelle allein um das von Kant herangezogene Beispiel – ungeachtet der Diskussion um die sog. „Wahrnehmungsurteile“, die zumeist mit dem Problem einer adquaten Interpretation der Einlassungen Kants im § 29 der Prol verbunden ist. Zu dieser Diskussion vgl. v. a. Dçrflinger 2000, 218 – 230, Freudiger 1991, Hiltscher 2006a, 259 – 269, Longuenesse 2000, chap. 7, Prauss 1971 sowie Wenzel 2000, 155 – 164 und 184 – 199.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Relation bestimmen und in folgende, der obigen analoge Darstellung bringen: Ursache (Sonne) ! [Mittel] (Licht) ! Wirkung (Wrme) Der wesentliche Unterschied zwischen Zweckkausalitt (nexus finalis) und Naturkausalitt (nexus effectivus) bestnde dann – ganz in bereinstimmung mit Kants Bild einer Reihe aus § 65 der KU – darin, dass sich die Naturkausalitt nicht als wechselseitige Bedingungsrelation („als Reihe […], [die] sowohl abwrts als aufwrts Abhngigkeit bei sich fhren wrde“), sondern als bloß einseitige (als „Reihe […], welche immer abwrts geht“) vorstellen ließe, da in ihrem Falle Ursache (hier: Sonne) und Wirkung (hier: Wrme) gerade nicht ihrem Gehalt nach identisch und bloß ihrer Modalitt nach verschieden sind. Das bisher als Mittel bezeichnete „Licht“ aus dem Sonne-WrmeBeispiel kann, sofern die Relation zwischen „Sonne“ und „Wrme“ als eine Kausalrelation gedacht werden soll, allerdings auch durch das Prdikabile ,Kraft‘ bestimmt werden. Als Prdikabile der Kausalittskategorie27 bezeichnet ,Kraft‘ „die Beziehung einer Ursache auf eine Wirkung“ (GTP VIII 180.28)28, mithin dasjenige „Verhltniß der Substanz zu den Accidenzen, so fern sie den Grund ihrer Wirklichkeit enthlt“ (GTP VIII 181.37 f. Anm.)29. Das „Licht“ ist demnach hier diejenige ,Kraft‘, durch welche die „Sonne“ (,Substanz‘) die „Wrme“ (,Akzidenz‘) bewirkt.30 Wenn der Unterschied zwischen dem in der Zweckvorstellung vorgestellten Gegenstand und dem im Produkt verwirklichten Gegenstand ein bloß die Modalitt des Zweckobjekts betreffender ist, zeigt sich dagegen, dass der Begriff eines Mittels („Organ“, „Werkzeug“) nicht als Analogon zum Prdikabile ,Kraft‘ (bzw. ,Kraft‘ nicht als Analogon zu ,Mittel‘) verstanden 27 Vgl. KrV B 108, III 94.24. Zur Ableitung des Prdikabile ,Kraft‘ aus der Kausalittskategorie vgl. Dçrflinger 2000, 174. 28 Vgl. auch KU B 479, V 482.28 – 483.1. 29 Vgl. auch E VIII 224 Anm. 30 Es kann hier noch angemerkt werden, dass ein weiteres Prdikabile der Kausalittskategorie, der Begriff ,Handlung‘ (vgl. auch KrV B 108, III 94.24), mit dem der Kraft eng zusammenhngt, aber nicht mit ihm verwechselt werden darf. ,Handlung‘ ist nach Kant „das Verhltniß des Subjects der Causalitt zur Wirkung“ (KrV B 250, III 177.4 f., H. v. V.) und wird demnach als – wie V. Gerhardt schreibt – „Beziehung zwischen Substanz und wirksamer Kraft definiert“ (Gerhardt 1986, 127). Im angefhrten Sonne-Wrme-Beispiel kann also das Scheinen der Sonne als Handlung bezeichnet werden.

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

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werden kann. Wird das Zweckobjekt mittels der Substanzkategorie gedacht, betrfe ,Mittel‘ als Analogon zu ,Kraft‘ ein kausales Verhltnis von Zweckobjekt und seinen Akzidenzien. Die Hervorbringung des in der Zweckvorstellung vorgestellten Objekts durch (bestimmte) Mittel betrifft dagegen hinsichtlich des Zweckobjekts nur dessen Modalitt – Modalitt ist allerdings kein Akzidenz einer Substanz.31 Ferner besteht an dieser Stelle kein Zweifel mehr, dass die Zweckkausalitt (Hervorbringen) – im Gegensatz zur Naturkausalitt – nur als doppelte Grund-Folge-Relation verstndlich ist. Dabei entspricht die (zeitlich gesehen) zweite Relation (Mittel ! Produkt) vçllig der Kausalrelation im Sinne der Naturkausalitt. Sie muss in der Projektierung der Umsetzung des Zweckvorhabens ebenfalls antizipiert werden. Fr das Vorhaben der Zweckverwirklichung ist es unerlsslich, die geeigneten Mittel als Ursachen (mithin die geeigneten ,Krfte‘) fr die Bewirkung des Produkts zu finden. Die Regel hierfr wird in hypothetischen („technischen“ bzw. „pragmatischen“) Imperativen bzw. technischen Stzen vorgestellt, denen damit die Funktion zukommt, die der Realisierung eines Zwecks angemessenen Mittel zu explizieren.32 Die Kennzeichnung des in der Zweckvorstellung vorgestellten Zweckobjekts als nichtseiendes, allenfalls mçgliches Objekt sagt offensichtlich noch zu wenig ber dessen eigenartige Modalitt. Nicht jedes bloß vorgestellte, also nichtseiende und allenfalls mçgliche Objekt ist ein Zweckobjekt (Hervorzubringendes). Vielmehr ist das in der Zweckvorstellung vorgestellte Zweckobjekt seiner Modalitt nach ein noch nichtseiendes, projektiertes Objekt. Das Zweckobjekt wird in der Zweckvorstellung als ein in einer bestimmten Zeit Daseiendes gedacht – seine Modalbestimmung ist zuknftiges Dasein. Wenn ein Objekt als Hervorzubringendes in einer Vorstellung bestimmt wird, wird also sein Dasein (Wirklichkeit) antizipiert. Damit scheint jedoch in der Vorstellung eines Hervorzubringenden genau das antizipiert zu werden, was nach Kants eigener Aussage gar nicht antizipiert werden kann. Kant schreibt in der KrV, genauer im Abschnitt ber die „Anticipationen der Wahrnehmung“: 31 So schreibt Kant etwa: „Durch die Wirklichkeit eines Dinges setze ich freilich mehr als die Mçglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn das kann niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollstndiger Mçglichkeit enthalten war. Sondern da die Mçglichkeit bloß eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine Verknpfung desselben mit der Wahrnehmung“ (KrV B 287 Anm., III 198.27 – 31). 32 Vgl. hierzu unten Abschnitt 4.1.

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„Man kann alle Erkenntniß, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntniß gehçrt, a priori erkennen und bestimmen kann, eine Anticipation nennen“ (KrV B 208, III 152.25 – 27).

In der Zweckvorstellung soll das Zweckobjekt als wirkliches (daseiendes) Objekt, also die Wirklichkeit (Dasein) des Hervorzubringenden antizipiert werden. Nun lautet das zweite „Postulat des empirischen Denkens berhaupt“: „Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhngt, ist wirklich“ (KrV B 266, III 185.24 f.).

Demnach indiziert „Empfindung“33 die Wirklichkeit eines Objekts. Allerdings weist Kant selbst im Anschluss an den gerade zitierten Satz aus dem Abschnitt ber die „Anticipationen der Wahrnehmung“ im Grundsatzkapitel der ersten Kritik auf Folgendes hin: „Da aber an den Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird, und welches daher auch den eigentlichen Unterschied des Empirischen von dem Erkenntniß a priori ausmacht, nmlich die Empfindung (als Materie der Wahrnehmung), so folgt, daß diese es eigentlich sei, was gar nicht anticipirt werden kann“ (KrV B 208 f., III 152.28 – 32, H. v. V.).

Die Mçglichkeit einer Antizipation des Daseins eines Objekts, wie sie in der Vorstellung eines Hervorzubringenden anzutreffen ist, scheint also mit Kants eigenen Ausfhrungen unvertrglich zu sein. Zwar expliziert das Prinzip der „Anticipationen der Wahrnehmung“ eine Antizipation „im ausnehmenden Verstande“ (KrV B 209, III 153.7), indem sie „der Erfahrung in demjenigen [vorgreift], was gerade die Materie derselben angeht“ (KrV B 209, III 153.8 f.). Allerdings betrifft dieser „Vorgriff“ allein das, was sich a priori ber „Empfindung berhaupt (ohne daß eine be-

33 Genauer gesprochen ist es nicht die Empfindung als solche, die fr die Wirklichkeit eines Objekts garantiert, sondern die Wahrnehmung als „bewusste Empfindung“. Kant schreibt dazu in seiner Erluterung des zweiten Postulats: „Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist; zwar nicht eben unmittelbar von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknpfung in einer Erfahrung berhaupt darlegen“ (KrV B 272, III 189.23 – 28).

3.1 Analyse des Zweckbegriffs (Regression)

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sondere gegeben sein mag)“ (KrV B 209, III 153.5 f.) urteilen lsst: dass jede Empfindung einen Grad hat.34 Im Falle des Zweckobjekts als eines Hervorzubringenden soll aber augenscheinlich gerade das Dasein dieses Objekts selbst (mithin Wahrnehmung) in der Zweckvorstellung antizipiert werden. Solche Antizipation ist hier jedoch gar nicht als Erkenntnis zu denken. Das Zweckobjekt als Hervorzubringendes soll nicht erkannt, sondern erst hervorgebracht werden.35 Das Dasein des Hervorzubringenden wird in der Zweckvorstellung als Wirkung antizipiert. Das Zweckobjekt ist demnach zuknftiges Daseiendes als Wirkung. Da jede Wirkung eine Ursache hat, gehçrt zur Antizipation des Daseins des Hervorzubringenden in der Zweckvorstellung als einer Wirkung auch die Antizipation einer bewirkenden Ursache. Diese Ursache kann aber nicht die Zweckvorstellung selbst sein. Sie ist nur gedachte Vorstellung (Begriff, Idee) eines ektypischen Verstandes, von dem aber mit Blick auf die Modalbegriffe ,Mçglichkeit‘ und ,Wirklichkeit‘ gilt: „[W]enn er [etwas] denkt (er mag es denken, wie er will), so ist es bloß als mçglich vorstellt. Ist er sich dessen als in der Anschauung gegeben bewußt, so ist es wirklich“ (KU B 341, III 402.27 – 29).

Die das Dasein des Hervorzubringenden bewirkende Ursache ist das Mittel, das als Ursache innerhalb der zweiten Ursache-Folge-Relation (Mittel ! Produkt) zu bestimmen ist und als diese Ursache erst das Produkt als hervorgebrachtes, daseiendes Objekt bewirkt bzw. bewirken soll. Es hat demnach die Funktion, die fr das Dasein des im Produkt realisierten Zweckobjekts erforderliche Wahrnehmung zu initiieren – in Anlehnung an das zweite „Postulat des empirischen Denkens berhaupt“ formuliert: Das Mittel soll Ursache dafr sein, dass das Zweckobjekt „mit den materialen Bedingungen der Erfahrung zusammenhngt“ – und damit Produkt qua wirkliches (daseiendes) Objekt wird. In der Zweckvorstellung werden also sowohl das Dasein des Hervorzubringenden (Zweckobjekt) als Wirkung, d. h. das Produkt, als auch ein fr das Hervorbringen angemessenes Mittel als Ursache antizipiert. Kurz: In der Zweckvorstellung wird die Verwirklichung des Zweckobjekts nach einer Regel 36, nmlich als Ursache-Wirkung-Relation mitsamt ihrer Relate, ,Mittel‘ und ,Produkt‘, antizipiert. 34 „Anticipationen der Wahrnehmung. Das Princip derselben ist: In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Grçße, d. i. einen Grad“ (KrV B 207, III 151.30 – 33). 35 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.2.3. 36 Vgl. dazu auch Cramer 1972, 176 f.

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3.1.3 Vorlufige Bestimmung der Momente a priori Die Analyse des Zweckbegriffs scheint zu dem Schluss zu fhren, dass die Kategorien ,Dasein und Nichtsein‘, ,Ursache und Wirkung‘ sowie die reine Anschauungsform ,Zeit‘ als konstitutive, irreduzible Momente des im Zweckbegriff Gedachten als Hervorzubringendes anzufhren sind. Der spezifische apriorische Gehalt des Zweckbegriffs scheint demnach zusammenfassend durch eine spezifische Kombination dieser drei apriorischen, gleich ursprnglichen Momente bestimmt zu sein: (1) Das in einer Zweckvorstellung vorgestellte Objekt wird als Nichtseiendes vorgestellt (Kategorie ,Dasein und Nichtsein‘). (2) Das nichtseiende Objekt wird als noch nichtseiendes, zuknftig daseiendes Objekt vorgestellt, d. h. das Dasein des in der Zweckvorstellung vorgestellten Objekts wird antizipiert (Kategorie ,Dasein und Nichtsein‘ und Anschauungsform ,Zeit‘). (3) Die Antizipation des Daseins des vorgestellten Objekts erfolgt durch die Bestimmung des Zweckobjekts (in der Zweckvorstellung) als einer Wirkung (Kategorie ,Dasein und Nichtsein‘, Anschauungsform ,Zeit‘ und Kategorie ,Ursache und Wirkung‘). Ein Zweck ist in diesem Sinne ein notwendigerweise in einer Vorstellung als Hervorzubringendes vorgestelltes Objekt. Die im apriorischen Gehalt des Zweckbegriffs enthaltene Bestimmung des Zweckobjekts als einer Wirkung fhrt analytisch37 auf den Begriff der Zweckkausalitt (Hervorbringen) als spezifizierter Ursache-Wirkung-Relation: (4) Die Relate dieser spezifizierten Ursache-Wirkung-Relation mssen als in zweifacher Hinsicht bestimmte gedacht werden: – Einerseits sind der begriffliche Gehalt der Ursache und der begriffliche Gehalt der Wirkung identisch, mithin ist derselbe Gegenstand sowohl als Ursache (Zweck) als auch als Wirkung (Produkt) zu bestimmen. – Andererseits sind der Gegenstand qua Ursache (Zweck) und der Gegenstand qua Wirkung (Produkt) ihrer Modalitt nach unterschieden, mithin als nichtseiender Gegenstand (in der Zweckvorstellung vorgestelltes Zweckobjekt) und als daseiender Gegenstand (im Produkt hervorgebrachtes Zweckobjekt) zu bestimmen.

37 Der Satz: „Was nur als Folge existiren kann, hat seine Ursache“, ist nach Kant „freilich ein identischer Satz“ (KrV B 290, III 199.30 f.).

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(5) Die als Zweckkausalitt zu bestimmende spezifische Relation zwischen Zweck und Produkt muss als eine doppelte Ursache-Wirkung-Relation bestimmt werden: – Die das Zweckobjekt bloß vorstellende Zweckvorstellung ist als Ursache des Produkts (hervorgebrachtes, verwirklichtes Zweckobjekt) als ihrer mittelbaren Wirkung zu bestimmen (Zweck ! Produkt). Das Spezifikum des Hervorbringens ist die eigenartige Vermittlung von Ursache (Zweck) und Wirkung (Produkt) durch ein drittes Relat (Mittel), mithin eine Verdopplung (Zweck ! Mittel ! Produkt). – Einerseits ist die Zweckvorstellung als Ursache des Mittels als ihrer unmittelbaren Wirkung zu bestimmen (Zweck ! Mittel). Andererseits ist das durch die Zweckvorstellung bewirkte Mittel als Ursache des Produkts als seiner unmittelbaren Wirkung zu bestimmen (Mittel ! Produkt). Zur Besttigung der vorgetragenen Analyse kçnnen Kants einschlgige Definitionen des (allgemeinen) Zweckbegriffs38 nochmals aufgerufen werden. Ein Zweck ist nach diesen: der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthlt39 ; dasjenige, dessen Begriff als der Grund der Mçglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann40 ; eine bloße Idee, wenn sie als der Grund der Kausalitt angesehen wird41; der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem angesehen wird42 ; die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verstndigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist43.

Alle Definitionen lassen sich nach der vorangegangenen Analyse problemlos in einen konsistenten Zusammenhang bringen: Als notwendig in einer Vorstellung (Begriff, Idee) vorgestelltes hervorzubringendes Objekt ist der Zweck „vorgestellte Wirkung“, mithin Antizipation der „Wirk38 Die Definitionen des praktischen Zweckbegriffs (vgl. KpV A 103, V 59.1 f., MS VI 381.4 – 6, MS VI 384.33 f.) werden an dieser Stelle ausgeklammert, da hier vorerst nur nach dem Zweckbegriff in allgemeiner Bedeutung zu fragen ist und ein praktischer Zweckbegriff als eines seiner Derivate noch zu bestimmen ist (vgl. dazu unten Abschnitt 3.3.3). 39 Vgl. KU B XXVIII, V 180.30 f. 40 Vgl. KU B 45, V 227.14 f. 41 Vgl. EEKU XX 236.4 – 7. 42 Vgl. KU B 32, V 219.31 – 220.3. 43 Vgl. KU B 381, V 426.7 – 9.

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lichkeit dieses Objekts“. Die Zweckvorstellung (Begriff, Idee) ist dabei insofern „Grund der Mçglichkeit des Gegenstandes selbst“, als sie den „Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthlt“, da auch die Regel zu dessen „Hervorbringung“ (Ursache-Wirkung-Relation) antizipiert wird – die Zweckvorstellung (Begriff, Idee) kann insofern auch als „Grund der Kausalitt“ (Mittel ! Produkt) bezeichnet werden. Ferner ist sie selbst „Ursache von jenem“ (Objekt, Gegenstand), indem sie nicht nur dessen Hervorbringung antizipiert, sondern auch urschlich in Gang bringt (Zweck ! Mittel) – sie ist insofern auch als „Bestimmungsgrund der verstndig wirkenden Ursache“ zu bestimmen. Eine spezifische Konstellation der Kategorien ,Ursache und Wirkung‘ sowie ,Dasein und Nichtsein‘ und der Anschauungsform ,Zeit‘ stellt sich nach der bisherigen Analyse des Zweckbegriffs als dessen irreduzibler Gehalt a priori heraus. Hinsichtlich der Aprioritt und Gleichursprnglichkeit dieser drei Momente muss hier kein Zweifel erhoben werden.44 Die vordringliche Frage mit Blick auf eine fragliche Erzeugung des Zweckbegriffs wre vielmehr: Auf welche spezifische Weise mssen diese drei Momente konfungieren, damit genau der apriorische Gehalt des Zweckbegriffs im Sinne eines Hervorzubringenden bzw. einer Hervorbringung gedacht wird? Mit der Antwort auf diese Frage wre die Exposition des Zweckbegriffs insofern als vollstndige qualifiziert und damit auch zufriedenstellend abgeschlossen, als der Zweckbegriff nicht nur als gegebener Begriff analysiert, sondern auch als gemachter Begriff konstruiert, d. h. synthetisch definiert, und seine Erzeugung in ihrer Durchfhrung durchsichtig gemacht wrde.45 Dem entgegen steht allerdings, dass die hier 44 Als Kategorien und als reiner Anschauungsform kommt den genannten drei Momenten per definitionem Aprioritt zu. Unterscheidet man, wie es dem Interpreten an einigen Stellen von Kant selbst nahe gelegt wird, zwischen Aprioritt und Reinheit, kann mit K. Cramer noch bezweifelt werden, ob die Auszeichnung der Kategorien als reiner Verstandesbegriffe berhaupt sinnvoll ist, oder ob die Disjunktion ,rein-unrein‘ bei diesen nicht vielmehr berflssig ist (vgl. dazu Cramer 1985, bes. Kap. 8). Auch die Gleichursprnglichkeit der genannten drei Momente (bzw. ihre Irreduzibilitt) ist mit Kant unzweifelhaft. Mit Blick auf die Anschauungsform ,Zeit‘ ist hier bloß anzumerken, dass es ein Vorzug der Erkenntnislehre Kants ist, die Prinzipien a priori der „Sinnlichkeit“ als eigenstndige herausgearbeitet zu haben; mit Blick auf ,Ursache und Wirkung‘ sowie ,Dasein und Nichtsein‘ ist hier nur darauf zu verweisen, dass beide in Kants Kategorientafel aufgefhrt werden und damit auch als „Stammbegriffe“ oder „Elementarbegriffe“ des reinen Verstandes zu bezeichnen sind (vgl. v. a. KrV §§ 10 und 11). 45 Ein solches Verfahren wre wohl analog zu demjenigen der Exposition des Materiebegriffs als Bewegliches im Raum, wie es sich in Kants MAN finden lsst. Vgl.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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angegebene Analyse ein heikles Problem beinhaltet, dessen Auflçsung fr eine adquate Exposition des Zweckbegriffs unerlsslich ist.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt Nach der vorangegangenen Analyse des objektiven Zweckbegriffs ist die Modalkategorie ,Dasein und Nichtsein‘ ein Moment des spezifischen apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs. Diese Bestimmung ist allerdings nicht haltbar und insofern erweist sich die vorangegangene Analyse als unangemessen, zumindest als einer weiteren Klrung bedrftig. Sie ist korrekturbedrftig, da sie sich nicht mit Kants Lehre der Modalbestimmungen vertrgt, der zufolge eine Modalkategorie niemals konstitutives, irreduzibles Moment des Gehalts eines Begriffs sein kann. Denn einem Begriff kann eine der Modalbestimmungen (,Mçglichkeit‘ bzw. ,Unmçglichkeit‘, ,Dasein‘ bzw. ,Nichtsein‘ oder ,Notwendigkeit‘ bzw. ,Zuflligkeit‘) ausschließlich im Zuge seines Gebrauchs im Urteil zukommen. Das Verhltnis von Begriff, Urteil und Modalbestimmungen ist also zu klren und die bisherige Analyse des Zweckbegriffs zu korrigieren, bevor eine adquate Exposition des Zweckbegriffs versucht werden kann. Dabei wird es unverzichtbar sein, zuerst auf Kants Bestimmung des Verhltnisses von Begriff und (objektiver) Realitt nher einzugehen. 3.2.1 Objektive Realitt, Mçglichkeit und Wirklichkeit Die weiter oben getroffenen berlegungen zur Klassifizierung aller (theoretischen) Begriffe wieder aufnehmend46, ist nach der objektiven Realitt der verschiedenen Begriffsarten (intellektuelle Begriffe, mathematische Begriffe, Prdikabilien, willkrlich zusammengesetzte und empirische Begriffe) zu fragen. Diese Frage kann hier mit Blick auf die intellektuellen Begriffe und die mathematischen Begriffe ohne weitere Anstrengung beantwortet werden. Denn die intellektuellen Begriffe stellen dazu Schfer 1966, 31 f. und oben Abschnitt 2.2.3. Zur Problematik der „metaphysischen Construction“ vgl. Plaass 1965, 74 – 78. – Zu Kants Bestimmung der synthetischen Definition (im strengen Sinn) als „Construction“ vgl. u. a. Log §§ 102 f. 46 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

mit Blick auf die Frage nach ihrer objektiven Realitt bekanntlich Sonderflle dar.47 Die (transzendentalen) Ideen sind „bloß vernnftelnde (dialektische) Begriffe“ (KrV B 672, III 472.35 – 473.1), wenn sie als „Begriffe gewisser Gegenstnde“ (KrV B 672, III 472.34) verstanden werden, und objektive Realitt kann ihnen nicht zukommen. Kategorien kommt dagegen in einer ausgezeichneten Weise objektive Realitt zu, da sie qua „Begriffe von Gegenstnden berhaupt als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntniß zum Grunde liegen“ (KrV B 126, III 104.35 – 105.1). Sie sind als diejenigen gegebenen Begriffe anzusehen, deren objektive Realitt a priori aufgezeigt werden kann.48 Bei mathematischen Begriffen schließlich ist der Nachweis der objektiven Realitt durch das Verfahren der mathematischen Konstruktion gesichert. Zwar sind sie genau genommen keine Begriffe von Gegenstnden der (empirischen) Erkenntnis, allerdings kommt ihnen objektive Realitt insofern zu, als ihr Objekt in der reinen Anschauung a priori gegeben werden kann und ihre „Anwendung auf empirische Anschauung“ (KrV B 147, III 117.28 f.) mçglich ist.49 Dagegen kann bei Prdikabilien die Frage, ob ihnen berhaupt objektive Realitt zukommt, nicht wie bei intellektuellen Begriffen 47 Vgl. oben Abschnitt 2.2.2. 48 „Ich nenne […] die Erklrung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstnde beziehen kçnnen, die transcendentale Deduktion derselben und unterscheide sie von der empirischen Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion ber dieselbe erworben worden“ (KrV B 117, III 100.5 – 9). Der Nachweis der objektiven Gltigkeit (Realitt) der Kategorien ist demnach mit der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe identisch. Nach K. Cramer ist zwischen dem Nachweis der objektiven Gltigkeit der Kategorien in der transzendentalen Deduktion und dem Beweis ihrer objektiven Realitt im Schematismus- und Grundsatzkapitel der KrV zu unterscheiden, da erst mit den Schematen der Kategorien und den Grundstzen des reinen Verstandes die objektiv gltigen Kategorien in der spezifischen raum-zeitlichen Anschauung „dargestellt“ werden (vgl. Cramer 1985, Kap. 9). Auch diese Darstellung ist aber als a priori zu kennzeichnen. 49 Vgl. dazu z. B. KrV B 147, III 117.13 – 20 (dort: „[…] alle mathematische Begriffe [sind] fr sich nicht Erkenntnisse […]“) sowie KrV B 751, III 474.26 – 475.12 und auch Plaass 1965, 60 – 62. Zwar sind die Gegenstnde der Mathematik bloße „Quanta“ (KrV B 751, III 475.12, vgl. auch KrV B 748, III 473.5 – 10). Insofern gehen die mathematischen Begriffe gar nicht auf das „Dasein“ ihres Gegenstandes (vgl. auch KrV B 742, III 469.34 – 470.10) und sind „fr sich nicht Erkenntnisse“ (KrV B 147, III 117.17 f.). Dennoch kçnnen mathematische Begriffe „zum Erkenntnisse dienen“ (FM XX 326.2), da die „Darstellung des dem Begriffe correspondirenden Objects“ (FM XX 325.37 f.) eben durch die „Construction des Begriffes“ (z. B. KrV B 748, III 473.4, vgl. u. a. auch FM XX 325.22 – 28) erfolgt. Vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.1.3.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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(Kategorien, Ideen) und mathematischen Begriffen a priori entschieden werden. Vielmehr unterscheiden sie sich in dieser Hinsicht nicht von den willkrlich zusammengesetzten Begriffen und empirischen Begriffen.50 Es ist also vor allem mit Blick auf willkrlich zusammengesetzte und empirische Begriffe nach ihrer objektiven Realitt bzw. nach ihrem Verhltnis zu den Modalbestimmungen zu fragen.51 Nach Kant bedeutet objektive Realitt allgemein die Bezogenheit einer „Erkenntnis“ als bewusster, objektiver Perzeption (Anschauung, Begriff, Urteil) auf einen Gegenstand.52 Das spezifische Problem der objektiven Realitt von Begriffen ist bei Kant eng mit dem Begriff der Realmçglichkeit verknpft.53 Nicht alle Begriffe von Gegenstnden, die denkbar und deren Begriffe logisch mçglich sind, taugen zur Erkenntnis und sind damit als real mçglich auszuzeichnen. Kant schreibt etwa in einer Anmerkung zu seiner Kritik am ontologischen Gottesbeweis: „Der Begriff ist allemal mçglich, wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Mçglichkeit, und dadurch wird sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden. Allein er kann nichts destoweniger ein leerer Begriff sein, wenn die objective Realitt der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders dargethan wird; welches aber jederzeit […] auf Principien mçglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem Satze des Widerspruchs) beruht. Das ist eine Warnung, von der Mçglichkeit der Begriffe (logische) nicht sofort auf die Mçglichkeit der Dinge (reale) zu schließen“ (KrV B 624 Anm., III 399.34 – 36/400.32 – 37).

Diese Unterscheidung von logischer Mçglichkeit und realer Mçglichkeit gilt fr alle Begriffe.54 Nimmt man als Beispiel den willkrlich zusam50 Vgl. oben Abschnitte 2.2.2.3 und bes. 2.2.3. 51 Die folgende Darstellung der Verhltnisse zwischen den Begriffen ,objektive Realitt‘, ,Realmçglichkeit‘ und den Modalbegriffen in Kants Erkenntnislehre orientiert sich v. a. an Plaass 1965, 52 – 65. 52 Vgl. KrV B 194, III 144.15 f. (dort: „[…] objective Realitt […], d. i. sich [scil. eine Erkenntnis] auf einen Gegenstand beziehen und in demselben Bedeutung und Sinn haben“). Zum Begriff ,Erkenntnis‘ im Sinne von bewusster, objektiver Vorstellung („objective Perception“) vgl. KrV B 376 f., III 250.1 – 5. 53 Vgl. KrV B 302 Anm., III 207.29 – 33 (dort: „[…] reale Mçglichkeit […], d. i. daß der Begriff (Gedanke) […] sich auf ein Object beziehe und also irgend was bedeute“). 54 Entgegen dem genannten Zitat aus dem dritten Hauptstck der transzendentalen Dialektik, nach dem der Begriff ,Realmçglichkeit‘ die „Mçglichkeit der Dinge“ bezeichnet, ist daran festzuhalten, dass ,Realmçglichkeit‘ ebenso wie ,objektive Realitt‘ und die Modalkategorien allein von Begriffen prdiziert werden. Kants Einlassungen sind in diesem Punkt zwar nicht einheitlich, an den zentralen Stellen aber, wie etwa im Kapitel ber die „Postulate des empirischen Denkens ber-

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3 Exposition des Zweckbegriffs

mengesetzten Begriff eines fliegenden Affen, ist erstens festzuhalten, dass er widerspruchsfrei, d. h. logisch mçglich, ist. Die (willkrliche) Synthesis der Begriffe ,Fliegen‘ und ,Affe‘ ist widerspruchsfrei denkbar, also wird mit dem Begriff ,fliegender Affe‘ durchaus etwas und nicht nichts (nihil negativum) gedacht. Insofern hat der (logisch mçgliche) Begriff ,fliegender Affe‘ auch seinen „Gegenstand“55. Soll aber zweitens der Gegenstand des Begriffs ,fliegender Affe‘ ein erkennbarer Gegenstand (Gegenstand der Erfahrung) sein, mithin der Begriff ,fliegender Affe‘ kein „leerer Begriff“, muss der dem Begriff ,fliegender Affe‘ zugrunde liegenden „Synthesis“ nach Kant „die objective Realitt besonders dargethan“ werden. Wenn Kant in der angefhrten Anmerkung schreibt, dass dieses „Dartun“ der „objectiven Realitt der Synthesis“ nicht nur mit dem Nachweis der Widerspruchsfreiheit des Begriffs erbracht wird, sondern „jederzeit auf Principien mçglicher Erfahrung beruht“, ist allerdings unklar, was mit einem „Beruhen auf Principien mçglicher Erfahrung“ gemeint ist. Wie ist der Unterschied zwischen logischer und realer Mçglichkeit eines Begriffs also genau zu verstehen? Eine naheliegende Antwort ist es, das „Beruhen auf Principien mçglicher Erfahrung“ im Sinne des ersten Postulats des empirischen Denkens zu verstehen: „Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung […] bereinkommt, ist mçglich“ (KrV B 265, III 185.22 f.). Demnach msste dem Begriff ,fliegender Affe‘ durchaus Realmçglichkeit zuzugestehen sein, da er „den formalen Bedingungen der Erfahrung“ offensichtlich entspricht.56 Urteile wie ,Fliegende Affen sind mçglicherweise Gegenstnde der Erfahrung‘ oder ,Es gibt mçglicherweise fliegende Affen‘ sind fraglos wohlgeformte, objektiv gltige, d. h. wahrheitsdifferente Urteile. Allerdings liegt bei dieser Antwort eine Vermengung von Kants Auffassung von objektiver Realitt (Realmçglichkeit) mit seiner Theorie der Modalbestimmungen vor. Als Beleg kçnnen u. a. zwei ußerungen Kants angefhrt werden, die einer solchen Auslegung klar entgegenstehen: „Die Realitt unserer Begriffe darzuthun, werden immer Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren Beispiele“ (KU B 254, V 351.15 – 17). haupt“, eindeutig (vgl. bes. KrV B 266, III 186.4 f. und KrV B 286, III 197.26 f.; vgl. ferner auch die Ausfhrungen in Plaass 1965, 64 f.). 55 Der Gegenstandsbegriff wird dabei in einem weiten Sinn verwendet (vgl. u. a. KrV A 108 f., IV 82.24 – 30 und unten Abschnitt 3.2.3). 56 Zur Wendung „formale Bedingungen der Erfahrung“ vgl. unten die Abschnitte 3.2.2 und 3.2.3.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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„Das Ding aber, wovon der Begriff mçglich ist, ist darum nicht ein mçgliches Ding. Die erste Mçglichkeit kann man die logische, die zweyte die reale Mçglichkeit nennen; der Beweis der letztern ist der Beweis der objectiven Realitt des Begriffs […]. Er kann aber nie anders geleistet werden, als durch Darstellung des dem Begriffe correspondirenden Objects“ (FM XX 325.32 – 38).

Um einem Begriff objektive Realitt (Realmçglichkeit) zusprechen zu kçnnen, ist demnach ein „bereinkommen mit den formalen Bedingungen der Erfahrung“ allein gerade nicht hinreichend.57 Vielmehr ist eine „Darstellung des dem Begriffe correspondirenden Objects“ notwendig.58 Da es sich im Falle des Begriffs ,fliegender Affe‘ um einen Begriff handelt, der aus empirischen Begriffen zusammengesetzt ist, heißt das, dass ihm ein „Beispiel“ in der Anschauung gegeben werden muss, damit er objektive Realitt hat. Seine beiden Teilbegriffe (,Fliegen‘ und ,Affe‘) weisen zweifelsohne das Merkmal der objektiven Realitt auf, da sowohl Beispiele fr Affen als auch Beispiele fr etwa fliegende Tiere, z. B. die Mehrzahl von Vçgeln, problemlos angefhrt werden kçnnen. Der Begriff ,fliegender Affe‘ ist aber trotz seiner logischen Mçglichkeit und seiner spezifischen Komposition aus objektiv (empirisch) realen Begriffen kein Begriff, dem in unproblematischer Weise objektive Realitt (Realmçglichkeit) zugesprochen werden kann: Zwar kommt nach Kant im Falle der objektiven Realitt eines bestimmten Begriffs dem allgemeineren Begriff auch objektive Realitt zu, aber nicht vice versa. 59 Nur weil es fliegende Tiere gibt, haben nicht auch schon alle Begriffe, die aus willkrlichen Synthesen des Begriffs ,Fliegen‘ mit beliebigen (objektiv realen) Begriffen von Tiergattungen oder -arten erzeugt werden, objektive Realitt. Die Erzeugung empirischer Begriffe durch die (logischen) Verstandesleistungen ,Komparation‘, ,Reflexion‘ und ,Abstraktion‘ garantiert dagegen eo ipso deren objektive Realitt, da im Falle empirischer Begriffe die Vorstellungen, aus denen derartige Begriffe „gemacht“60 werden, Vorstellungen eines gegebenen Mannigfaltigen der empirischen Anschauung sind. Kurz: Empirische Begriffe werden anlsslich von Wahrnehmung(en) 57 Vgl. z. B. auch KrV B 267, III 186.25 – 187.15. 58 Vgl. fr weitere Belege im kantischen Text auch oben die Abschnitte 2.1.2 und 2.1.3. 59 Vgl. z. B. auch Plaass 1965, 59 f. 60 Kant schreibt in § 6 der Log ber die Erzeugung von Begriffen berhaupt: „Um aus Vorstellungen Begriffe zu machen, muß man also compariren, reflectiren und abstrahiren kçnnen, denn diese drei logischen Operationen des Verstandes sind die wesentlichen und allgemeinen Bedingungen zu Erzeugung eines jeden Begriffs berhaupt“ (Log IX 94.28 – 31).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

erzeugt.61 Ein „Beispiel“ fr einen empirischen Begriff liegt bereits zum Zeitpunkt seiner Erzeugung vor. Der objektiven Realitt empirischer Begriffe liegt demnach gerade nicht ein Urteil der Art ,x ist mçglich‘, sondern ein (empirisch) wahres Urteil der Art ,x ist wirklich‘ zugrunde. Wirklich ist nach dem zweiten Postulat des empirischen Denkens berhaupt, „[w]as mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhngt“ (KrV B 266, III 185.24 f.).62 Da empirische Begriffe ihren Ursprung in der Erfahrung haben, ist die Mçglichkeit ihres Bezugs auf Gegenstnde der Erfahrung unproblematisch. Das „Beispiel ihrer Verknpfung“ ist allein „von der Erfahrung entlehnt“63 und „ihre Mçglichkeit muß […] a posteriori und empirisch […] erkannt werden“ (KrV B 269 f., III 188.10 f.). Die „objective Realitt der Synthesis“ wird also im Fall empirischer Begriffe auch empirisch „dargethan“ und „beruht“ insofern auch „jederzeit auf Principien mçglicher Erfahrung“64. Werden dagegen empirische Begriffe zu neuen Begriffen willkrlich zusammengesetzt, muss die „objective Realitt der Synthesis“ fr solche neuen Begriffe gesondert aufgezeigt werden, wenn ihre Gegenstnde als erkennbare Gegenstnde (Gegenstnde der Erfahrung) gelten sollen.65 Zwar kçnnen solche willkrlich zusammengesetzten Begriffe genau dann als Subjektsterme von wahrheitsdifferenten Urteilen der Art ,x ist mçglich‘ fungieren, wenn ihre Gegenstnde dem ersten Postulat des empirischen 61 Zur Funktion von Schematen bei der Erzeugung empirischer Begriffe vgl. Longuenesse 2000, bes. 116 – 118. 62 Dies bedeutet selbstverstndlich nicht, dass mit Blick auf das oben genannte Beispiel ein bestimmtes konkretes Subjekt jemals einen Affen gesehen haben muss, damit der Begriff ,Affe‘ fr es objektive Realitt hat. Das Wissen oder der Kenntnisstand eines bestimmten konkreten Subjekts spielt bei der Frage nach der objektiven Realitt (Realmçglichkeit) eines Begriffs keine Rolle. Allein zum Zeitpunkt der Erzeugung eines empirischen Begriffs von x muss das Urteil ,x ist wirklich‘ ein wahres synthetisches Urteil a posteriori gewesen sein – mithin sein Gegenstand von einem konkreten Subjekt erkannt worden sein. Diesen Sachverhalt macht auch Kants Bestimmung des Schemas der Wirklichkeit im Unterschied zum Schema der Mçglichkeit deutlich: „Das Schema der Mçglichkeit ist […] die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgend einer Zeit. Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit“ (KrV B 184, III 138.9 – 14, H. v. V.). 63 Vgl. KrV B 269, III 188.2 f. 64 Vgl. nochmals KrV B 624 Anm., III 400.32 – 35. 65 „[W]enn der [willkrlich gedachte] Begriff auf empirischen Bedingungen beruht, z. B. eine Schiffsuhr, so wird der Gegenstand und dessen Mçglichkeit durch diesen willkrlichen Begriff noch nicht gegeben; ich weiß daraus nicht einmal, ob er berall einen Gegenstand habe“ (KrV B 757, III 478.25 – 29).

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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Denkens gengen – sie sind damit jedoch noch nicht als real mçgliche bestimmt.66 Ebenso wie der Begriff der objektiven Realitt das Verhltnis von Begriff und Gegenstand, nmlich als (objektive) Bezogenheit des Begriffs auf seinen Gegenstand bestimmt, sind die Modalkategorien lediglich Bestimmungen des Verhltnisses von Begriff und Gegenstand. Wird ein Begriff eines Gegenstandes im Urteil durch einen der Modi bestimmt, wird je nach Modalbestimmung das Verhltnis des Begriffs zum Gegenstand auf je spezifische Weise bestimmt: „Die Kategorien der Modalitt haben das Besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Prdicate beigefgt werden, als Bestimmung des Objects nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhltniß zum Erkenntnißvermçgen ausdrcken. Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollstndig ist, so kann ich doch noch von diesem Gegenstande fragen, ob er bloß mçglich oder auch wirklich, oder, wenn er das letztere ist, ob er gar auch nothwendig sei? Hiedurch werden keine Bestimmungen mehr im Objecte selbst gedacht, sondern es frgt sich nur, wie es sich (sammt allen seinen Bestimmungen) zum Verstande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen Urtheilskraft und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte“ (KrV B 266, III 186.4 – 14)67.

Ein isolierter Begriff gibt demnach, z. B. mittels Analyse, keine Auskunft darber, ob sein Gegenstand „bloß mçglich oder auch wirklich, oder ob er gar auch notwendig sei“. Zwar kann isolierten Begriffen objektive Realitt legitim zu- oder abgesprochen werden, jedoch ist dies nur mçglich, wenn ihr „Ursprung“ bekannt ist. Dies ist bei Kategorien, (transzendentalen) Ideen, mathematischen und empirischen Begriffen auch der Fall. Ein Gegenstand wird als (empirisch) mçglicher bzw. unmçglicher, wirklicher bzw. nichtseiender oder notwendiger bzw. zuflliger Gegenstand dagegen allein bei Gebrauch seines Begriffs in einem wahrheitsdifferenten Urteil bestimmt. Die Postulate des empirischen Denkens berhaupt drfen mithin nicht als Kriterien fr die empirische Wahrheit von einzelnen 66 Als Beispiel findet sich in der KrV die seiner Zeit geschuldete berlegung Kants, ob es wohl „Mondmenschen“ gibt (vgl. KrV B 521, III 340.2 – 10). Vgl. die Erçrterung dieses Beispiels unten Abschnitt 3.2.2. 67 Vgl. auch KrV B 286, III 197.25 – 32: „Die Grundstze der Modalitt sind aber nicht objectiv-synthetisch, weil die Prdicate der Mçglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit den Begriff, von dem sie gesagt werden, nicht im mindesten vermehren, dadurch daß sie der Vorstellung des Gegenstandes noch etwas hinzusetzten. Da sie aber gleichwohl doch immer synthetisch sind, so sind sie es nur subjectiv, d. i. sie fgen zu dem Begriffe eines Dinges (Realen), von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntnißkraft hinzu, worin er entspringt und seinen Sitz hat“.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Modalurteilen verstanden werden. Sie sind allein Kriterien fr die Bestimmtheit von problematischen, assertorischen und apodiktischen Urteilen. So gilt beispielsweise das Modalurteil ,x ist mçglich‘ allein dann nach Kant als ein wohlgeformtes, mithin wahrheitsdifferentes Urteil, wenn der Gegenstand x „mit den formalen Bedingungen der Erfahrung bereinkommt“. Ist dies der Fall, kann er empirisch als mçglicher Gegenstand erkannt werden. Der Gegenstand x kann sich dann dennoch, nmlich „in dem mçglichen Fortschritt der Erfahrung“ (KrV B 521, III 340.4 f.) als empirisch unmçglich herausstellen. Gleichsam „a priori“ kann also allein aufgrund der Postulate des empirischen Denkens nicht die (empirische) Wahrheit einzelner Modalurteile erkannt werden. Damit ist aber das Ergebnis der obigen Analyse des Zweckbegriffs zwingend korrekturbedrftig: Die Modalkategorie ,Dasein und Nichtsein‘ kann nicht per se ein notwendiges Moment des apriorischen Gehalts des Zweckbegriffs, mithin kann sie auch keine notwendige Bestimmung des mit dem Zweckbegriff bezeichneten Objekts (Hervorzubringendes) sein. 3.2.2 Objektive Realitt und objektive Gltigkeit von Zweckvorstellungen Bevor der Frage nachgegangen werden soll, inwiefern ein Objekt als Zweckobjekt allein in einem Urteil gesetzt und insofern das Ergebnis der obigen Analyse des Zweckbegriffs, dass das Zweckobjekt als noch nichtseiendes, zuknftig daseiendes Objekt vorzustellen ist68, korrigiert bzw. angemessen erlutert werden kann, ist noch der Frage nach der objektiven Realitt von Zweckvorstellungen nachzugehen. Da nach Kant auch Zweckvorstellungen als Begriffe (Ideen) zu bestimmen sind, offenbart sich mit Blick auf ihre mçgliche Bezogenheit auf einen Gegenstand eine eigenartige Lage: Denn das Problem der Darstellung des im Begriff vorgestellten Gegenstandes durch empirische (gegebene) Anschauung scheint sich bei Begriffen, die ein Zweckobjekt vorstellen (Zweckvorstellung), in dieser Form gar nicht zu stellen. Wird etwa der im Begriff ,fliegender Affe‘ vorgestellte Gegenstand als Zweck, d. h. hier als hervorzubringender Gegenstand gesetzt, ist es mit alleinigem Blick auf den Begriff ,fliegender Affe‘ vçllig unbestimmt, es ist hierbei sogar irrelevant, ob ihm ein Beispiel in einer gegebenen Anschauung bereits gegeben werden konnte oder ob nicht. 68 Vgl. oben Abschnitt 3.1.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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Der Gegenstand ,fliegender Affe‘ soll als hervorzubringender Gegenstand (Zweckobjekt) gar nicht erkannt, sondern allererst bewirkt werden.69 Sollen im Anschluss an die berlegungen zur objektiven Realitt von empirischen Begriffen und willkrlich zusammengesetzten Begriffen von diesen noch Begriffe, die einen Zweck, d. h. einen hervorzubringenden Gegenstand vorstellen (Zweckvorstellungen), unterschieden werden, stellt sich die Frage nach der Legitimitt einer solchen Unterscheidung. Fr ihre Beantwortung ist zuerst zu klren, ob allein schon der spezifische Inhalt dieser Begriffsarten, sofern sie isoliert (ohne Anwendung im Urteil) betrachtet werden, ein sie unterscheidendes Merkmal enthalten kann. Oder anders: Kann allein schon der spezifische Inhalt eines bestimmten Begriffs anzeigen, ob es sich bei diesem um eine Zweckvorstellung als Vorstellung eines hervorzubringenden Gegenstandes handelt? Sowohl empirische Begriffe, willkrlich zusammengesetzte Begriffe als auch Zweckvorstellungen enthalten einen je spezifischen Merkmalsbestand, der fr die mçgliche Subsumtion verschiedener Gegenstnde unter diese Begriffe bestimmend ist. So ist etwa der Begriff ,Rose‘ durch spezifische Teilbegriffe (Merkmale wie ,Dornen‘, ,unpaarig gefiederte Bltter‘, ,Hagebutten‘ usw.) bestimmt. Da der Begriff ,Rose‘ ein empirischer Begriff ist, enthlt er ausschließlich Merkmale, die aus gegebenen empirischen Anschauungen abstrahiert wurden.70 Ob eine Rose ein (bloß) zu erkennender oder (auch) ein hervorzubringender Gegenstand ist, darber gibt ihr Begriff keine Auskunft. Dies trifft auch auf Begriffe von Gegenstnden zu, die in ausgezeichneter Weise als Produkte (Hervorgebrachtes) zu kennzeichnen sind. Auch der Begriff ,Buch‘ gibt keine Auskunft darber, ob der Gegenstand ,Buch‘ ein zu erkennender oder ein hervorzubringender Gegenstand ist, insofern dieser Begriff nur einen spezifischen Merkmalsbestand (,Bindung‘, ,Einband‘, ,Blattsammlung‘ usw.) vorstellt. Zwar gehçrt das Hervorgebrachtsein eines jeden Buches zum Merkmalsbestand des Begriffs ,Buch‘ – dies bedeutet aber nicht, dass mit dem Begriff ,Buch‘ bereits ein Zweck gesetzt wird, dass also der im Begriff ,Buch‘ vorgestellte Gegenstand hervorzubringen ist, sonst kçnnten Bcher nur hervorgebracht, niemals aber erkannt werden. Sowohl im Fall der Rose als auch im Fall des Buches umfasst der jeweilige Begriff alle Rosen und alle Bcher – ganz gleichgltig, ob Rosen oder Bcher als Zwecke (Hervorzubringendes) gesetzt werden. Ein Unterschied zwischen Begriffen als Vorstellungen eines 69 Vgl. unten Abschnitt 3.2.3. 70 Zur Erzeugung empirischer Begriffe durch Komparation, Reflexion und Abstraktion vgl. Longuenesse 2000, bes. 115 – 122, und Kugelstadt 1998, Kap. VI.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Gegenstandes der (empirischen) Erkenntnis und Begriffen als Vorstellungen eines hervorzubringenden Gegenstandes ist demnach gerade nicht schon durch ihren jeweiligen spezifischen Begriffsinhalt (Merkmalsbestand) angezeigt. Der Unterschied zwischen einem Buch bzw. einer Rose als Gegenstand der Erkenntnis und einem Buch bzw. einer Rose als hervorzubringendem Gegenstand betrifft also gar nicht den spezifischen Inhalt seines Begriffs, sondern vielmehr gerade das Verhltnis zwischen Begriff und (zu erkennendem bzw. hervorzubringendem oder erkanntem bzw. hervorgebrachtem) Gegenstand. Auf das oben genannte Beispiel eines fliegenden Affen bezogen, heißt das: Sowohl in dem Fall, dass der mit dem Begriff ,fliegender Affe‘ vorgestellte Gegenstand erkannt werden soll, als auch in dem Fall, dass er hervorgebracht werden soll, bleibt der Inhalt des Begriffs ,fliegender Affe‘, seine „Materie“, schlichtweg unverndert. Ob er auf einen erkennbaren Gegenstand referiert, ist allein durch die Analyse des Begriffs ebenso wenig festzustellen wie ein fragliches „zuknftiges Dasein“ des durch ihn vorgestellten Zweckobjekts im Falle seines Fungierens als Zweckvorstellung. Die Unterscheidung von empirischen Begriffen, willkrlich zusammengesetzten Begriffen und Begriffen, die einen Zweck, d. h. einen hervorzubringenden Gegenstand vorstellen (Zweckvorstellungen), ist zwar nicht in Hinsicht auf den spezifischen Inhalt dieser Begriffsarten legitim, sie scheint es aber zu sein in Hinsicht auf das Verhltnis von Begriff und Gegenstand, mithin in Hinsicht auf ihre fragliche objektive Realitt. Zwar kçnnte analog zum Nachweis der objektiven Realitt von empirischen Begriffen und willkrlich zusammengesetzten Begriffen durch das Geben eines Beispiels in der empirischen Anschauung („Darstellung“) der Nachweis der objektiven Realitt von Zweckvorstellungen im Verwirklichen (Hervorbringen) selbst gesehen werden, allerdings wrde damit die Problemlage bloß entschrft.71 Denn da zumindest prima facie jeder Begriff, der einen Gegenstand (im weitesten Sinne) vorstellt, auch als Zweckvorstellung fungieren kann, stellt sich die Frage, welche dieser Zweckvorstellungen auch gltige Zweckvorstellungen sein kçnnen. Als ,gltige Zweckvorstellungen‘ sind Zweckvorstellungen genau dann zu 71 So bestimmt beispielsweise D. Gutterer die objektive Realitt von Zweckvorstellungen, indem er herausstellt: „Das Demonstrieren des Begriffs des Zweckes geschieht in der ,Kunst‘“ (Gutterer 1968, 68). In ihrer Allgemeinheit ist diese Aussage zweifellos richtig, verfhrt aber dazu, Zwecksetzung und Zweckverwirklichung nicht deutlich zu unterscheiden, d. h. auch nicht in ihren Eigentmlichkeiten eigens zu bedenken, und den Zweckbegriff per se mit dem praktischen Zweckbegriff zu identifizieren.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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bezeichnen, wenn die Verwirklichung (Hervorbringung) der durch sie vorgestellten Gegenstnde als mçglich anzusehen ist, d. h. als real mçglich erkannt wird. Bei technisch bzw. pragmatisch zu nennenden Zwecken ist die Antwort auf diese Frage offenkundig geradezu von zentraler Bedeutung. Fr ihre Beantwortung muss nochmals die Unterscheidung Kants zwischen ,logischer Mçglichkeit‘ und ,realer Mçglichkeit‘ herangezogen werden. Dass einem empirischen Begriff problemlos objektive Realitt zugesprochen werden kann, da bereits seine Erzeugung auf Vorstellungen des gegebenen Mannigfaltigen einer empirischen Anschauung beruht, heißt, wie bereits bemerkt wurde72, nichts anderes, als dass er als Subjektsterm des empirisch wahren Urteils ,x ist wirklich‘ fungieren kann bzw. zum Zeitpunkt seiner Erzeugung73 konnte. Der mit ihm bezeichnete Gegenstand ist damit auch als (real) mçglicher Gegenstand bestimmt. Ob ein Gegenstand berhaupt als (real) mçglicher Gegenstand, d. h. hier als etwas, „[w]as mit den formalen Bedingungen der Erfahrung […] bereinkommt“ (KrV B 265, III 185.22 f.), bestimmt werden kann, ist dagegen eine Frage, die allein mit Blick auf gemachte Begriffe virulent wird. Kant nennt daher auch in seiner Erluterung des ersten Postulats des empirischen Denkens berhaupt allein die empirischen Begriffe sowie die Kategorien, also die beiden Arten gegebener Begriffe (und d. h. auch genau die beiden Begriffsarten, deren objektive Realitt entweder durch Erfahrung oder durch die Transzendentale Analytik als gesichert gelten kann), als diejenigen Begriffe, in deren Fllen das erste Postulat des empirischen Denkens berhaupt sicher zutrifft.74 Ob ein Gegenstand aber gltig als (real) mçglich gesetzt (und damit erkannt) werden kann, ohne „dessen Mçglichkeit nur aus der Wirklichkeit in der Erfahrung […] abgenommen“ (KrV B 270, III

72 Vgl. oben Abschnitt 3.2.1. 73 Da empirischen Begriffen eine Synthesis zugrunde liegt, die „nicht willkrlich, sondern empirisch ist“ (Log § 102 Anm., IX 141.26 f.), „d. h. aus gegebenen Erscheinungen, als der Materie derselben“ (Log § 102, IX 141.16 f.), sind sie „der Materie nach“ gegebene Begriffe (vgl. Log § 4 und oben Abschnitt 2.2.1), obwohl sie von Kant in der „Allgemeinen Methodenlehre“ der Logik auch als „gemachte Begriffe“ (Log § 102 Anm., IX 141.26) bezeichnet werden. Diese Bestimmung als „gemachte Begriffe“ ist allerdings allein dem Umstand geschuldet, dass ihnen berhaupt eine Synthesis zugrunde liegt, aus der jedoch gerade keine synthetische Definition „entspringen“ kann (vgl. Log § 103). 74 Vgl. KrV B 267, III 186.25 – 35.

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188.28 f.) zu haben, also ohne auch seine „Wirklichkeit“ als gltig gesetzt zu haben, scheint eine fr Kant unakzeptable, da letztlich sinnlose Frage75 : „Alles Wirkliche ist mçglich; hieraus folgt natrlicher Weise nach den logischen Regeln der Umkehrung der bloß particulare Satz: einiges Mçgliche ist wirklich, welches denn so viel zu bedeuten scheint, als: es ist vieles mçglich, was nicht wirklich ist. Zwar hat es den Anschein, als kçnne man auch geradezu die Zahl des Mçglichen ber die des Wirklichen dadurch hinaussetzen, weil zu jener noch etwas hinzukommen muß, um diese auszumachen. Allein dieses Hinzukommen zum Mçglichen kenne ich nicht. Denn was ber dasselbe noch zugesetzt werden sollte, wre unmçglich. Es kann nur zu meinem Verstande etwas ber die Zusammenstimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nmlich die Verknpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen; was aber mit dieser nach empirischen Gesetzen verknpft ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrgenommen wird. Daß aber im durchgngigen Zusammenhange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben ist, eine andere Reihe von Erscheinungen, mithin mehr als eine einzige alles befassende Erfahrung mçglich sei, lßt sich aus dem, was gegeben ist, nicht schließen, und ohne daß irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger, weil ohne Stoff sich berall nichts denken lßt“ (KrV B 283 f., III 196.12 – 29, H. v. V.).

Ein Gegenstand eines gemachten Begriffs kann demnach nur unter genau zwei Bedingungen als (real) mçglicher Gegenstand gelten: Sein Begriff muss (1) trivialer Weise der Bedingung der logischen Mçglichkeit (Widerspruchsfreiheit) entsprechen und (2) ferner „mit irgend einer Wahrnehmung verknpft“ werden kçnnen, damit auch erkannt werden kann, dass er „mit den formalen Bedingungen der Erfahrung bereinkommt“. Daher kann Kant auch den gemachten Begriff eines Mondbewohners als Subjektsterm des (zumindest zu seiner Zeit) wahren Urteils ,Es gibt mçglicherweise Bewohner auf dem Mond‘ anfhren76 : „Daß es Einwohner im Monde gebe kçnne, ob sie gleich kein Mensch jemals wahrgenommen hat, muß allerdings eingerumt werden, aber es bedeutet nur so viel: daß wir in dem mçglichen Fortschritt der Erfahrung auf sie treffen kçnnten; denn alles ist wirklich, was mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem Context steht. Sie sind also alsdann 75 Eine umfangreiche Diskussion der „artige[n] Fragen“ (KrV B 282, III 195.26) um das Verhltnis der „Felder“ der Mçglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit bietet Grnewald 1986, 109 – 113. 76 Fr die Interpretation dieses Beispiels Kants und des Verhltnisses von objektiver Gltigkeit (Realitt) empirischer Begriffe und ihrer Modalbestimmung im Urteilsgebrauch lag mir ein (unverçffentlichtes) Typoskript von R. Hiltscher vor. Die oben angefhrten berlegungen schließen sich in beiden Punkten an die berlegungen Hiltschers an (Hiltscher 2006c, vgl. hier bes. 15 – 20 und 22 – 25).

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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wirklich, wenn sie mit meinem wirklichen Bewußtsein in einem empirischen Zusammenhange stehen, ob sie gleich darum nicht an sich, d. i. außer diesem Fortschritt der Erfahrung, wirklich sind“ (KrV B 521, III 340.2 – 10).

Zwar hat der „Fortschritt der Erfahrung“ das Urteil ,Es gibt mçglicherweise Bewohner auf dem Mond‘ scheinbar seiner empirischen Wahrheit beraubt. Dennoch widerspricht (auch heute noch) der willkrlich zusammengesetzte Begriff ,Mondbewohner‘ ebenso wie der willkrlich zusammengesetzte Begriff ,fliegender Affe‘ nicht den „formalen Bedingungen der Erfahrung“, auch wenn bisher weder Mondbewohner noch fliegende Affen jemals wahrgenommen werden konnten. Werden beide Gegenstnde zudem als Zweckobjekte gesetzt, fungieren mithin ihre Begriffe als Zweckvorstellungen, ist offen, ob „wir in dem mçglichen Fortschritt der Erfahrung auf sie treffen kçnnten“. Nichts widerspricht formal und nach heutigem Kenntnisstand der Annahme, dass zuknftig Bewohner des Mondes, etwa Bewohner einer von Menschen errichteten Mondstation, oder fliegende Affen, etwa als Produkte technischer Manipulation, mçgliche Gegenstnde der Erfahrung sein werden, mithin als wirkliche Gegenstnde erkannt werden kçnnen. Ob sie allerdings tatschlich eines Tages mçgliche Gegenstnde der Erfahrung sein werden, bleibt dagegen unbestimmt. Daher gilt zwar (wie fr alle willkrlich zusammengesetzten Begriffe): Weder dem Begriff ,Mondbewohner‘ noch dem Begriff ,fliegender Affe‘ kann objektive Realitt (Realmçglichkeit) zugesprochen werden, ohne ihnen ein „Beispiel in der Anschauung“ zur Seite zu stellen. Allerdings kçnnen und sollen sie hier als gltige Zweckvorstellungen bezeichnet werden, da die Verwirklichung (Hervorbringung) der in ihnen vorgestellten Gegenstnde durchaus mçglich ist, d. h. als real mçglich erkannt werden kann. Ihre Hervorbringung kann insofern als real mçgliche erkannt werden, als die Gegenstnde ,Mondbewohner‘ und ,fliegender Affe‘ „mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) bereinkomm[en]“ (KrV B 265, III 185.22 f.) kçnnen, ihnen also nicht widersprechen, und „mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem Context stehen“. Daher kann im Unterschied zu etwa einer „Substanz, welche beharrlich im Raume gegenwrtig wre, doch ohne ihn auszufllen (wie dasjenige Mittelding zwischen Materie und denkenden Wesen, welches einige haben einfhren wollen), oder eine[r] besondere[n] Grundkraft unseres Gemths, das Knftige zum voraus anzuschauen (nicht etwa bloß zu folgern), oder endlich ein[em] Vermçgen desselben, mit anderen Menschen in Gemeinschaft der Gedachten zu stehen (so entfernt sie auch sein mçgen)“ (KrV B 270, III 188.11 – 17),

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3 Exposition des Zweckbegriffs

die „Mçglichkeit“ der Gegenstnde ,Mondbewohner‘ und ,fliegender Affe‘ „auf Erfahrung und deren bekannte Gesetze gegrndet werden“ (KrV B 270, III 188.18 f.). Zwar erfllen auch die von Kant an dieser Stelle beispielhaft angefhrten Begriffe die Bedingung der logischen Mçglichkeit und auch sie sind gemachte Begriffe.77 Ihre Gegenstnde kçnnen allerdings nicht „auf Erfahrung und deren bekannte Gesetze gegrndet werden“. Schon mit Blick auf die bekannten spezifischen empirischen Gesetze mssen diese Gegenstnde als unerfahrbare, mithin als empirisch unmçgliche gelten. Sie scheinen aber auch nicht den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ zu entsprechen. Die Grnde hierfr mssten fr jedes Beispiel gesondert aufgefhrt werden. Der entscheidende Punkt fr Kants Ansicht, dass die gegebenen Beispiele nicht den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ entsprechen kçnnen, ist wohl der Umstand, dass ihre Begriffe zwar nicht widersprchlich erzeugt wurden, aber geradezu im Widerspruch zu den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ stehen.78 Fr eine brauchbare Unterscheidung von (objektiver) Gltigkeit und (objektiver) Realitt von Zweckvorstellungen kommt es also zuerst auf eine genaue Angabe der „formalen Bedingungen der Erfahrung“ an.79 Diese entsprechen demjenigen, was Kant auch „Mçglichkeit der Erfahrung“ (z. B. KrV B 197, III 145.18 und 34 f.) nennt.80 Fr diese sind die „formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft und die nothwendige Einheit derselben in einer transcendentalen Apperception“ (KrV B 197, III 145.31 – 33) maßgeblich. Die 77 Vgl. zu ihrer Widerspruchsfreiheit KrV B 270, III 188.20 und zu ihrem Status als gemachte Begriffe KrV B 269, III 188.6 und KrV B 270, III 188.19 f. 78 Wie gesagt, msste dies fr alle drei Beispiele einzeln aufgezeigt werden. Mit Blick auf das erste Beispiel einer „Substanz, welche beharrlich im Raume gegenwrtig wre, doch ohne ihn auszufllen“, kann hier darauf hingewiesen werden, dass ein „beharrlich im Raume gegenwrtiger Gegenstand“ als ein Gegenstand der ußeren Sinne zu bestimmen ist. Als solcher ist er aber „Materie“ qua Bewegliches im Raum (vgl. etwa MAN IV, 476.9 – 11 und oben Abschnitt 2.2.3), deren Eigenschaft der Raumerfllung konstruierbar ist, d. h. als notwendige a priori erkannt werden kann. Diese (metaphysische) Konstruktion findet sich im „Zweiten Hauptstck“ der MAN, der „Dynamik“ (vgl. dazu bes. Plaass 1965, 102 f.). Der Begriff einer „Substanz, welche beharrlich im Raume gegenwrtig wre, doch ohne ihn auszufllen“ wre von hier aus als ein den formalen Bedingungen der Erfahrung widersprechender Begriff zu kritisieren. 79 Dass die „formalen Bedingungen der Erfahrung“ berhaupt erkannt werden kçnnen und insofern angebbar sind, ist eine These Kants, die der gesamten ersten Kritik zugrunde liegt. 80 Vgl. z. B. auch Grnewald 1986, 88 – 90.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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Aufzhlung der „formalen Bedingungen der Anschauung“ und der „notwendigen Einheit der Synthesis der Einbildungskraft in einer transcendentalen Apperception“ entspricht Kants grundstzlicher Lehre von den „zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntniß eines Gegenstandes mçglich ist, erstlich Anschauung, dadurch derselbe […] gegeben wird; zweitens Begriff, dadurch ein Gegenstand gedacht wird“ (KrV B 125, III 104.17 – 21).

Die „formale Bedingung der Anschauung“ sind die reinen Anschauungsformen ,Raum‘ und ,Zeit‘, „unter der allein Gegenstnde angeschaut werden kçnnen“ (KrV B 125, III 104.22 f.). Die ,formale Bedingung gegenstandsbezogenen Denkens‘ sind die Kategorien, „unter denen allein etwas […] als Gegenstand berhaupt gedacht wird“ (KrV B 125, III 104.28 f.) und „ohne deren Voraussetzung nichts als Object der Erfahrung mçglich ist“ (KrV B 126, III 104.31 f.)81. Zu diesen beiden Elementarbedingungen kommen im Zuge ihres Konfungierens noch die Schemate als „formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist“ (KrV B 179, III 135.21 f.),82 sowie die Grundstze des reinen Verstandes, die der „Form [der Erfahrung] a priori zum Grunde liegen, nmlich [als] allgemeine Regeln der Einheit in der Synthesis der Erscheinungen“ (KrV B 196, III 145.3 – 5), hinzu. Um einen Gegenstand als „mçglich“ (im Sinne des ersten Postulats des empirischen Denkens berhaupt) bestimmen zu kçnnen, muss er also sowohl in einer empirischen Anschauung gegeben werden kçnnen als auch kategorial bestimmt sein. Im Erfllen dieser beiden Bedingungen liegt dann sein „bereinkommen“ mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“.83 Erfllt der Gegenstand einer Zweckvorstellung beide Bedingungen, ist die Zweckvorstellung als gltige auszuzeichnen. Die derart eingefhrte Gltigkeit von Zweckvorstellungen ist schließlich als objektive Gltigkeit zu verstehen. Ihre Objektivitt kann dabei freilich nichts mit einer Ansichbestimmtheit oder Unabhngigkeit des vorgestellten Gegen81 Vgl. auch KrV B 178, III 135.7 (dort: Kategorien als „Bedingungen einer mçglichen Erfahrung“). 82 Vgl. auch KrV B 305, III 208.16 – 29. 83 Das heißt noch nicht, dass seinem Begriff dann objektive Realitt (Realmçglichkeit) zuzusprechen ist. Dazu ist die „Darstellung“ des Gegenstandes unerlsslich. Zur Problematik des Mçglichkeitsbegriffs des ersten Postulats des empirischen Denkens berhaupt und der Einsicht, dass er nicht mit dem Begriff der objektiven Realitt identifiziert werden kann, vgl. z. B. die Problemexposition in Grnewald 1986, 10 – 15.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

standes vom vorstellenden Subjekt zu tun haben.84 Sie grndet allein in dem Erfllen der formalen Bedingungen der Erfahrung, das zugleich ein Erfllen der „Bedingungen der Mçglichkeit der Gegenstnde der Erfahrungen“ (KrV B 197, III 145.35 f.) ist. Denn eine Konsequenz der vorangegangenen Unterscheidung der objektiven Realitt von der Gltigkeit von Zweckvorstellungen ist das Zusammenfallen der Mçglichkeit der Erfahrung mit der Gltigkeit von Zweckvorstellungen: Alles – im Sinne der formalen Bedingungen der Erfahrung – Erfahrbare ist gltig als Zweck vorstellbar. Die Unterscheidung von empirischen Begriffen, willkrlich zusammengesetzten Begriffen und Begriffen, die einen Zweck, d. h. einen hervorzubringenden Gegenstand vorstellen (Zweckvorstellungen), ist also in einem bestimmten Sinn eine brauchbare: (1) Fr alle drei Begriffsarten gilt, dass ihren (isoliert genommenen) Begriffen nur dann objektive Realitt zugesprochen werden kann, wenn ihnen ein „Beispiel in der Anschauung“ gegeben werden kann. Diese Bedingung ist bei empirischen Begriffen eo ipso erfllt, bei willkrlich zusammengesetzten Begriffen und Begriffen, die einen Zweck, d. h. einen hervorzubringenden Gegenstand vorstellen (Zweckvorstellungen), dagegen nicht. (2) Einer Zweckvorstellung (Begriff, Idee) kommt vielmehr genau dann objektive Realitt zu, wenn das vorgestellte Zweckobjekt im Produkt verwirklicht (hervorgebracht) wurde, da damit uno actu ein Beispiel durch das Produkt gegeben, also die Bedingung fr objektive Realitt erfllt wird.85 (3) Bei Zweckvorstellungen erscheint es sinnvoll, von der objektiven Realitt einer Zweckvorstellung auch noch ihre objektive Gltigkeit zu unterscheiden.86 Denn nicht alle Gegenstnde, die als zu verwirklichende 84 Vgl. unten Abschnitt 3.2.3. 85 Vgl. zur objektiven Realitt von Zweckvorstellungen auch unten Abschnitt 3.3.3 und zum die objektive Realitt einer Zweckvorstellung behauptenden, also ein Produkt beurteilenden absoluten teleologischen Urteil unten Abschnitt 4.1.2.2. 86 K. Cramer unterscheidet bei Kategorien ,objektive Gltigkeit‘ und ,objektive Realitt‘ und zeichnet die Kategorien als die einzige Begriffsart aus, fr die diese Unterscheidung zulssig und sogar unentbehrlich ist (vgl. Cramer 1985, 286 – 294). Cramers Unterscheidung der objektiven Gltigkeit der Kategorien und der objektiven Realitt der Kategorien ist aber ganz anders motiviert als die hier angegebene Unterscheidung von objektiver Gltigkeit von Zweckvorstellungen und objektiver Realitt von Zweckvorstellungen. Sie nimmt hier nmlich die spezifische Bestimmtheit der Sinnlichkeit gar nicht in den Blick. Auch „objektiv gltige“

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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Objekte vorgestellt werden, kçnnen damit schon als realisierbar, d. h. ihre Hervorbringung als (real) mçglich erkannt werden. (Begriffe von (bereits) hervorgebrachten Gegenstnden (Produkte) kçnnen freilich jederzeit als nicht nur objektiv gltige, sondern vielmehr als objektiv reale Zweckvorstellungen dienen.) (4) Nur Begriffe von Gegenstnden, die den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widersprechen, mithin die ihnen entsprechen kçnnen, kommen als objektiv gltige Zweckvorstellungen in Betracht. Demnach kçnnen mutmaßlich sowohl empirische Begriffe als auch willkrlich zusammengesetzte Begriffe als Zweckvorstellungen fungieren. Die bereits ausgewiesene objektive Realitt eines empirischen bzw. eines bestimmten willkrlich zusammengesetzten Begriffs scheint dabei eo ipso seine objektive Gltigkeit als Zweckvorstellung zu garantieren.87 Um einer bestimmten Zweckvorstellung also objektive Gltigkeit zusprechen zu kçnnen, muss das vorgestellte Zweckobjekt nicht schon verwirklicht (hervorgebracht), sondern seine Hervorbringung als real mçglich erkannt werden. Dass die unter Punkt (4) hierfr genannte Bedingung des widerspruchsfreien bereinkommens eines bestimmten hervorzubringenden Gegenstandes mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ eine notwendige Bedingung fr die Realmçglichkeit seiner Hervorbringung ist, steht außer Frage. Ob sie allein hinreichend ist, dagegen nicht. Dies wird jetzt ebenso wie die Bedingung selbst zu klren sein. Dazu ist es notwendig zu klren, was es heißt, einen Gegenstand als Zweckobjekt zu setzen. 3.2.3 Setzung des Zweckobjekts: Zweckvorstellung und Zweckurteil Der bereits wiederholt bemerkte Umstand, dass ein hervorzubringender Gegenstand als Zweckobjekt gar nicht erkannt, sondern bewirkt (hervorgebracht) werden soll88, darf nicht darber hinweg tuschen, dass ein hervorzubringender Gegenstand als Zweckobjekt gewissen Bedingungen gengen muss, die auch fr Gegenstnde als Erkenntnisobjekte gelten. Soll einer Zweckvorstellung objektive Gltigkeit zugesprochen werden kçnnen, Zweckvorstellungen sind bereits durch die Spezifik einer Sinnlichkeit, deren Prinzipien a priori allein ,Raum‘ und ,Zeit‘ sind, bestimmt. Es kommt hier auch gar nicht die Konstitution von Gegenstndlichkeit berhaupt als Setzung eines objektiven, vom erkennenden Subjekt unabhngigen Gegenstandes in den Blick. Sie ist hier nicht das Thema. 87 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.3.3.4. 88 Vgl. oben die Abschnitte 2.1.3, 3.1.2 und 3.2.2.

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muss sie ihren Gegenstand auch als objektiven vorstellen. Das heißt nach den vorangegangenen Ausfhrungen zumindest, dass er den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widersprechen darf. Die Grundstze des reinen Verstandes als diejenigen synthetischen Urteile a priori, die das fr „mçgliche Erfahrung berhaupt“ notwendige Konfungieren der „formalen Bedingungen der Anschauung a priori, d[er] Synthesis der Einbildungskraft und d[er] nothwendige[n] Einheit derselben in einer transcendentalen Apperception“ (KrV B 197, III 145.31 – 33) explizieren, mssen also auch fr Zweckobjekte als besondere Flle von Gegenstndlichkeit berhaupt gelten. Kants „Transzendentaler Logik“ liegt aber bekanntlich die Frage nach der Erkenntnis von Gegenstnden zugrunde, weshalb konsequenter Weise die Problematik von Zweckvorstellungen, also die Problematik der Hervorbringung von Gegenstnden, gleich zu Beginn der Deduktion der notwendigen Bedingungen gegenstandsbezogenen Denkens (Kategorien) ausgeschlossen wird: „Es sind nur zwei Flle mçglich, unter denen synthetische Vorstellung und ihre Gegenstnde zusammentreffen, sich auf einander nothwendiger Weise beziehen und gleichsam einander begegnen kçnnen: entweder wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder diese den Gegenstand allein mçglich macht. Ist das erstere, so ist diese Beziehung nur empirisch, und die Vorstellung ist niemals a priori mçglich. Und dies ist der Fall mit Erscheinung in Ansehung dessen, was an ihnen zur Empfindung gehçrt. Ist aber das zweite, weil Vorstellung an sich selbst (denn von deren Causalitt vermittelst des Willens ist hier gar nicht die Rede) ihren Gegenstand dem Dasein nach nicht hervorbringt, so ist doch die Vorstellung in Ansehung des Gegenstandes alsdann a priori bestimmend, wenn durch sie allein es mçglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen“ (KrV B 124 f., III 104.6 – 17, H. tw. v. V.).

Eine Vorstellung „macht den Gegenstand“ im Falle der Kategorien insofern „allein mçglich“, weil es „durch sie allein mçglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen“. Kant schließt an dieser Stelle genau den Fall aus, dass „Vorstellung ihren Gegenstand dem Dasein nach hervorbringt“. Er schließt diesen Fall hier aus, da von „deren Causalitt“ (d. h. von der Kausalitt von Vorstellungen) „hier gar nicht die Rede ist“. Es kann an dieser Stelle auch gar nicht von „deren Causalitt“ die Rede sein, da die Kategorien qua bestimmte Vorstellungen, nmlich als Verstandesbegriffe a priori, in ihrer transzendentalen Deduktion „als Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erfahrung erkannt werden“ (KrV B 126, III 105.9 f.) sollen.89 Mithin setzt jede Art gegenstandsbezogenen Denkens, also auch 89 Zur Unterscheidung von ußerem Grund qua Ursache und innerem Grund qua Wesen vgl. Graubner 1972, 59 – 92.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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das Denken von Zwecken (Zweckvorstellen) die objektive Gltigkeit (objektive Realitt) der Kategorien voraus. Das Zitat enthlt aber eine weitere fr die Problematik von Zweckvorstellungen relevante Bestimmung. Es wird an dieser Stelle die Problematik von Zweckvorstellungen nicht nur ausgeschlossen, sondern in gewissem Sinne auch nher bestimmt. Denn es heißt: „weil Vorstellung an sich selbst (denn von deren Causalitt vermittelst des Willens ist hier gar nicht die Rede) ihren Gegenstand dem Dasein nach nicht hervorbringt“. Eine Vorstellung eines diskursiven Verstandes bringt „an sich selbst“ niemals einen Gegenstand „dem Dasein nach“ hervor: auch nicht dann, wenn „von deren Causalitt“ die Rede ist. Sie kann als Zweckvorstellung allein, die zwar „zugleich den Grund der Wirklichkeit d[es] Objekts enthlt“ (KU B XXVIII, V 180.31 f.) und „als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Mçglichkeit) angesehen wird“ (KU B 32, V 220.2 f.), Hervorbringung eines Gegenstandes nicht leisten. Sie kann vielmehr Hervorbringung nur durch ihre Wirksamkeit vermittelst etwas anderem leisten – weshalb Kant an dieser Stelle mit Blick auf die menschliche Praxis das Begehrungsvermçgen („vermittelst des Willens“) nennt. Darauf wird zurckzukommen sein.90 Gengen kann hier der Hinweis, dass eine Zweckvorstellung per se noch keine Gegenstnde hervorbringen kann, sondern dass die Hervorbringung eines Zweckobjekts (Zweckverwirklichung) bereits die Anwendung der Kausalkategorie, d. h. Kausalitt im Sinne der zweiten Analogie der Erfahrung zu implizieren scheint. Der Unterschied zur Erkenntnisproblematik, wie sie in der „Transzendentalen Logik“ von Kant behandelt wird, liegt aber nach der vorangegangenen Przisierung dennoch und offensichtlich darin, dass im Falle von Zweckvorstellungen die „Vorstellung ihren Gegenstand dem Dasein nach hervorbringt“ – aber eben nur, insofern sie kausal wirkt. Kant gibt dieser Unterscheidung von Erkenntnis und Hervorbringung im § 10 der KU eine treffende Formulierung: „Wo also nicht etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letztern mçglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck“ (KU B 32, V 220.4 – 7).

Da im Falle von Hervorbringung „der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) nur durch einen Begriff mçglich gedacht wird“, 90 „Der Wille, als Begehrungsvermçgen, ist nmlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt“ (KU B XII, 172.4 – 6, H. v. V.). Vgl. auch unten Abschnitte 3.3.3 und 4.3.

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nmlich durch den Begriff einer Wirkung, kann von der Setzung eines Objekts als eines Zweckobjekts nur dann die Rede sein, wenn das Zweckobjekt als Wirkung gesetzt wird. Sowohl die „Form“ als auch die „Existenz“ des Gegenstandes werden im Fall von Zweckobjekten als „nur“ durch den Begriff einer Wirkung „mçglich gedacht“. Inwiefern die „Form“ des Zweckobjekts allein durch einen Begriff (die Zweckvorstellung) als ihrer Ursache bestimmt ist, wurde bereits mehrfach angesprochen91: Der Begriff (Idee) bestimmt als „Ganzes“ a priori alles, was den Gegenstand ausmacht, d. h. dessen „Teile“ (Merkmale). Alle Merkmale des Gegenstandes als Zweckobjekt gehçren zu ihm allein aufgrund einer willkrlichen Synthesis des Verstandes. Ursache der spezifischen „Form“ des Gegenstandes ist sein Begriff (Idee), indem er „alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß“ (KU B 290, V 373.7 f.). So ist beispielsweise eine einzelne empirische Zweckvorstellung demnach die Wirkung einer willkrlichen Synthesis desjenigen „Stoffe[s], den uns die Wahrnehmung darbietet“ (KrV B 269, III 188.1 f.). Zwar enthlt die empirische Zweckvorstellung auch empirisches Mannigfaltiges, ihre Erzeugung ist aber insofern als apriorische zu bestimmen, als die ihr zugrunde liegende Synthesis eine rein willkrliche zu sein scheint. Damit ein willkrlich zusammengesetzter Begriff (Idee) aber auch als Zweckvorstellung qualifiziert werden kann, darf nicht bloß die „Form“ seines Gegenstandes, sondern muss auch seine „Existenz“ als Wirkung eines Begriffs qua Ursache gelten. Dass die Zweckvorstellung dabei nicht die unmittelbare Ursache fr die „Existenz“ ihres Gegenstandes (Produkt) ist, sondern genauer „den Grund der Wirklichkeit dieses Objects enthlt“ (KU B XXVIII, 180.31 f.) und insofern als Ursache des Produkts als ihrer mittelbaren Wirkung zu bestimmen ist, indem sie die Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts antizipiert, wurde ebenfalls bereits mehrfach hervorgehoben.92 Beide aus den Ausfhrungen Kants zum Zweckbegriff bisher entnommenen Aspekte, sowohl die apriorische Bestimmtheit des Zweckobjekts durch die Zweckvorstellung als ihrer Ursache als auch die Antizipation der Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts, mssen also in der Setzung eines Objekts als eines Zweckobjekts ihren Ausdruck finden. Zwar kann mit gutem Sinn davon gesprochen werden, dass „[a]lle Vorstellungen […], als Vorstellungen, ihren Gegenstand [haben]“ (KrV A 109, IV 82.25 f.), insofern – im Falle von Begriffen – ihnen „das logische Merkmal der Mçglichkeit“ zukommt und ihr Gegenstand „dadurch […] 91 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3. 92 Vgl. oben Abschnitte 2.1.2 und 3.1.3.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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vom nihil negativum unterschieden“ (KrV B 624, III 624.35 f.) ist. Ein Gegenstand wird aber nach Kant ausschließlich im Urteil als etwas vorgestellt, mithin als bestimmter gedacht. Kants allgemeine Bestimmung des Urteils in der KrV lautet daher: „Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Urtheil ist ein Begriff, der fr viele gilt und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird“ (KrV B 93, III 85.26 – 28).

Soll ein Gegenstand als ein Zweckobjekt vorgestellt oder gesetzt werden, muss in irgendeiner Weise ein Urteil der Form ,x ist Zweck‘ vorliegen.93 Der Begriff ,Zweck‘ ist dann als Prdikatsbegriff „ein Begriff, der fr viele gilt“. „Unter diesem Vielen“ muss nach Kants Bestimmung auch eine Vorstellung als „gegebene“ begriffen werden kçnnen, die „auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird“. „Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung“ (KrV B 93, III 85.22 f.), muss der Subjektsbegriff eines Urteils, auf den der Prdikatsbegriff bezogen wird, auf Anschauung, d. h. im Falle von Erkenntnis „auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen“ (KrV B 93, III 86.2 f.), bezogen werden kçnnen. Es ist demnach auch im Falle des Zweckurteils ,x ist Zweck‘ eine Anschauung anzusetzen, auf die der Begriff von x bezogen werden soll. Ein Hinweis auf den spezifischen Charakter derjenigen Anschauung, auf die der Begriff von x im Falle des Urteils ,x ist Zweck‘ bezogen wird, lsst sich in einer weiter oben bereits angefhrten94, fr die Problematik der objektiven Gltigkeit bzw. Realitt von Zweckvorstellungen zentralen Passage aus der „Einleitung“ zur KU finden. Dort heißt es mit Blick auf Zweckvorstellungen der „Kunst“: „Wenn der Begriff von einem Gegenstande gegeben ist, so besteht das Geschft der Urtheilskraft im Gebrauche desselben zum Erkenntnis in der Darstellung (exhibitio), d. i. darin, dem Begriff eine correspondirende An93 Der Ausdruck ,x ist Zweck‘ bzw. ,x ist ein hervorzubringender Gegenstand‘ kann dabei auch als Substitut des Ausdrucks ,S will x‘ verstanden werden. Da hier allein derjenige Begriff des Zwecks Gegenstand der Analyse ist, dessen notwendige und hinreichende Bestandteile die Zweckvorstellung, das Zweckobjekt und die eigentmliche Relation zwischen ihnen sind (vgl. oben Abschnitt 2.1.4) und von dessen Fassung als Begehrtes nach Abzug des subjektiven Moments nur der Begriff eines zu verwirklichenden Objekts als Hervorzubringendes brig blieb (vgl. oben die Abschnitte 3.1.1 und 3.1.2), kann hier der Ausdruck ,x ist Zweck‘ bzw. ,x ist ein hervorzubringender Gegenstand‘ als grundlegender fr ,S will x‘ gelten. 94 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

schauung zur Seite zu stellen: es sei, daß dieses durch unsere eigene Einbildungskraft geschehe, wie in der Kunst“ (KU B XLIX, V 192.31 – 35).

Im Falle der „Kunst“ als (technischer bzw. pragmatischer) Verwirklichung von Zwecken wird demnach „dem Begriff durch unsere eigene Einbildungskraft eine correspondirende Anschauung zur Seite gestellt“. Die bereits angesprochene willkrliche Synthesis des Verstandes, aufgrund derer allein alle Merkmale des Gegenstandes (Zweckobjekt) zu ihm gehçren, kann nach diesem Hinweis Kants differenzierter betrachtet werden. Damit ein Begriff (Idee) von einem Gegenstand „alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen“ (KU B 290, V 373.7 f.) kann, ist zwar eine Synthesis verschiedener Begriffe notwendig, aber sie ist nicht hinreichend. Durch diese willkrliche Synthesis irgendwelcher Begriffe, die dann als Teilbegriffe des willkrlich zusammengesetzten Begriffs (Idee) die Merkmale des Gegenstandes vorstellen sollen, wird noch gar kein Gegenstand vorgestellt. Damit mittels der Teilbegriffe auch tatschlich ein Gegenstand vorgestellt werden kann, muss neben diese Begriffssynthesis noch eine „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“95 treten. Diese „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ muss wiederum allein durch den Begriff (Idee) qua Ganzes bestimmt sein, so dass „die Vorstellung eines Ganzen den Grund der Mçglichkeit der Form desselben und der dazu gehçrigen Verknpfung der Theile enthalte“ (KU B 349 f., V 407.37 – 408.1 f.). Der durch eine derart ausgezeichnete Synthesis gewonnene Gegenstand ist aber kein Gegenstand einer Anschauung, die dann noch „auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird“. Seine Veranschaulichung durch eine solche Synthesis ist vielmehr der unmittelbar vorgestellte Gegenstand selbst, der als Zweckobjekt gesetzt werden kann. Dem als Subjektsbegriff des Urteils ,x ist Zweck‘ fungierenden Begriff wird die Anschauung nur „durch unsere eigene Einbildungskraft“ „zur Seite gestellt“. Sein Gegenstand wird in der Einbildungskraft mittels einer „Synthesis eines Mannigfaltigen der Anschauung“ allererst – in noch nher zu bestimmender Weise – erzeugt, wobei „die Form desselben und die dazu gehçrige Verknpfung der Theile“ allein durch den Begriff (Idee) a priori bestimmt sind. An diesem Punkt drngt sich die Frage auf, nach welcher Maßgabe die „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ durch die Einbildungskraft geschehen muss, wenn der derart erzeugte Gegenstand x ein Zweckobjekt, sein Begriff also in einem Urteil ,x ist Zweck‘ als Zweck95 Vgl. bes. KrV B 151, III 150.25 – 29.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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vorstellung fungiert. Denn als Gegenstand, der bloß „durch unsere eigene Einbildungskraft“ erzeugt wurde, ist er lediglich ein vorgestellter Gegenstand – wenn man so will: eine Einbildung (Imagination), Produkt der Einbildungskraft. Er ist damit sicher nicht als mçglicher Gegenstand der Erkenntnis (Gegenstand der Erfahrung) gesetzt, aber auch nicht als Zweckobjekt. Es muss vielmehr eine fr Zwecke wesentliche Bestimmung hinzutreten. Sie wird von Kant in seiner Bestimmung des teleologischen Urteils deutlich genannt: „Das teleologische Urtheil […] setzt einen Begriff vom Objecte voraus und urtheilt ber die Mçglichkeit desselben nach einem Gesetze der Verknpfung der Ursachen und Wirkungen“ (EEKU XX 234.3 – 5).

Obwohl Kant in der EEKU (wie auch in der KU) das „teleologische Urtheil“ allein mit Blick auf die Beurteilung von Gegenstnden „als Naturzwecke“ (EEKU XX 232.32) untersucht,96 gilt die Bestimmung des teleologischen Urteils als Urteil „ber die Mçglichkeit eines Objekts nach einem Gesetz der Verknpfung der Ursachen und Wirkungen“ auch mit Blick auf die Beurteilung von Gegenstnden „als Kunstzwecke“97, mithin berhaupt fr die Beurteilung von Gegenstnden als Zweckobjekte. Um als Zweckobjekt bestimmt zu sein, muss eine Bestimmung des Gegenstandes mittels der Kategorie ,Ursache und Wirkung‘ im „teleologischen Urtheil“ erfolgen. Es ist daher angemessen, den Urteilstyp ,x ist Zweck‘ allein unter der Maßgabe zu betrachten, dass im Falle des Zweckbegriffs (Hervorbringung) „der Gegenstand selbst […] als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letztern mçglich gedacht wird“ (KU B 32, V 220.5 – 7). Diese Betrachtung kann in wenigen Schritten erfolgen, da sie hier allein auf das spezifische Fungieren des Kausalverhltnisses achten und dessen relevante Aspekte herausstellen braucht. Es sind sieben Punkte nacheinander anzufhren und im Anschluss in ihrem notwendigen Zusammenhang zu erlutern: (1) Um eine Vorstellung eines Gegenstandes x als Zweckvorstellung, die ihren Gegenstand x also als Zweckobjekt vorstellt, zu bestimmen, soll sie als 96 „Das Urtheil ber die Zweckmßigkeit an Dingen der Natur, die als ein Grund der Mçglichkeit derselben (als Naturzwecke) betrachtet wird, heißt ein teleologisches Urtheil“ (EEKU XX 232.31 – 33). 97 Der Terminus ,Kunstzweck‘ ist bei Kant kaum gebruchlich (vgl. nur MS VI 354.10). In der Regel bevorzugt Kant die Termini ,Kunstprodukt‘, ,Werk‘ oder ,Kunstwerk‘ (vgl. z. B. KU B 173 f., V 303.7 – 28), wenn er nicht einfach nur den Terminus ,Zweck‘ (im Sinne eines durch „Kunst“ hervorzubringenden Gegenstandes) verwendet.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Subjektsterm eines Urteils des Typs ,x ist Zweck‘ (,x ist ein hervorzubringender Gegenstand‘) fungieren. Die Vorstellung mag dabei ein empirischer Begriff oder ein willkrlich zusammengesetzter Begriff (Idee) sein. (2) Einen Gegenstand x als hervorzubringenden Gegenstand zu setzen, heißt, ihn als Wirkung zu bestimmen. Das Urteil ,x ist ein hervorzubringender Gegenstand‘ impliziert demnach das Urteil: ,x ist Wirkung‘. (3) Der Begriff ,Wirkung‘ impliziert den Begriff ,Ursache‘. Die Bestimmung eines Gegenstandes ,x‘ als Wirkung impliziert also die Annahme einer Ursache y fr x, mithin das Urteil: ,x ist Wirkung von y (=Ursache)‘. (4) Gesetzt den Fall, dass die spezielle Regel der Verknpfung von Ursache y und Wirkung x bekannt ist, so folgt fr das Zweckurteil die Antizipation der Wirksamkeit der Ursache y von x: ,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘. (5) Die Spezifik des Setzens eines Zwecks lsst sich also durch eine Umkehrung der Ursache-Wirkung-Relation beschreiben, d. h. die Relate der Verknpfung einer Ursache y mit ihrer Wirkung x werden in einem gewissen Sinne vertauscht. Damit ist die Ursache y der Wirkung x als Mittel zu bestimmen, so dass zwei Grund-Folge-Relationen in einem nher zu bestimmenden Zusammenhang stehen: ,wenn x (=Zweck), dann y (=Mittel)‘ und ,wenn y (=Ursache) dann x (=Wirkung)‘. Mit der Umkehrung des Kausalverhltnisses, also: ,wenn ,x ist Zweck‘, dann ,y ist Mittel‘‘, ist die Besonderheit des Zweckurteils formal kenntlich gemacht. (6) Dabei ist allerdings zu bedenken, dass das Grund-Folge-Verhltnis der Urteile ,wenn x (=Zweck), dann y (=Mittel)‘ und ,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘ eindeutig bestimmt ist. Es gilt nmlich nur: ,wenn: ,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘, dann: ,wenn x (=Zweck), dann y (=Mittel)‘‘. Die Gltigkeit der Umkehrung eines bestimmten Kausalverhltnisses (,wenn x (=Zweck), dann y (=Mittel)‘) kann ausschließlich von der Gltigkeit dieses bestimmten Kausalverhltnisses (,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘) abgeleitet werden. (7) Zwar kann der Gegenstand ,x‘ im Zweckurteil ,x ist Zweck‘ modal als mçglicher, zuknftig daseiender Gegenstand, also als Zweckobjekt im Sinne der oben ausgefhrten Analyse98, bestimmt werden; allerdings ist diese Modalbestimmung nur dann eine gltige Bestimmung, wenn die Verbindung von ,x‘ und ,y‘ im Urteil ,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘ eine objektiv gltige ist. 98 Vgl. oben Abschnitte 3.1.2 und 3.1.3.

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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Formal wird also ein bloß vorgestellter Gegenstand bereits dadurch als Zweckobjekt gedacht, wenn er genau in dem Sinne als Wirkung gesetzt (vgl. (1) und (2)) wird, dass die Wirksamkeit seiner Ursache antizipiert wird (vgl. (3) und (4)). Die Wirksamkeit seiner Ursache wird antizipiert, indem durch die Umkehrung des Kausalverhltnisses (Ursache ! Wirkung) eine zweite Grund-Folge-Relation (Zweck ! Mittel) gedacht wird, in der die Wirkung als ,Zweck‘ und die Ursache als ,Mittel‘ bezeichnet werden (vgl. (5)). Wird ein Gegenstand x in dem Urteil ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt gedacht, wird er also als antizipierte Wirkung seiner Ursache bestimmt. Diese Setzung eines vorgestellten Gegenstandes als Zweckobjekt ist aber nur dann eine gltige Bestimmung desselben als Zweckobjekt im Urteil ,x ist Zweck‘, wenn das Kausalverhltnis (Ursache ! Wirkung) ein objektiv gltiges ist (vgl. (6)). Denn nur wenn der kausale Zusammenhang von y (Ursache) und x (Wirkung) ein objektiv gltiger ist, kann auch die Mçglichkeit des Gegenstandes (vgl. (7)), mithin seine Realisierbarkeit, d. h. die Realmçglichkeit seiner Hervorbringung, erkannt werden. Das Urteil ,x ist Zweck‘ ist demnach genau in dem Sinne ein wahrheitsdifferentes (synthetisches) Urteil, dass es „ber die Mçglichkeit desselben [=des Gegenstandes ,x‘, S.K.] nach einem Gesetze der Verknpfung der Ursachen und Wirkungen [urtheilt]“ (EEKU XX 234.4 f.). Und nur wenn die Mçglichkeit des Gegenstandes x qua Realmçglichkeit seiner Hervorbringung auch als sicher, mithin das Urteil ,x ist Zweck‘ als wahr gilt, handelt es sich bei dem Begriff des Gegenstandes x um eine objektiv gltige Zweckvorstellung. Die auf der Annahme einer Ursache fr den als Zweckobjekt zu setzenden Gegenstand x (vgl. (3)) grndende Suche nach geeigneten Mitteln zur Hervorbringung dieses Gegenstandes x als subjektive Voraussetzung fr die Antizipation der Wirksamkeit seiner Ursache y (vgl. (4)) bestimmt damit auch die Vorstellung des Gegenstandes als Zweckobjekt. Die in ihr vorgestellte „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ erweist sich insofern nicht als vçllig willkrliche, als sie durch die Antizipation der Wirksamkeit: ,wenn y (=Ursache), dann x (=Wirkung)‘, determiniert sein muss. Sie muss durch die Antizipation der Wirksamkeit determiniert sein, da sonst der Begriff des Gegenstandes x nicht als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifizierbar ist. Der vorgestellte Gegenstand x ist demnach genau dann als ein Zweckobjekt gesetzt, wenn die ihn darstellende „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ durch die Einbildungskraft nicht vçllig willkrlich, sondern durch den „Begriff des Verhltnisses der Ursache und Wirkung“ (KrV B 234, III 167.34 – 168.1) bestimmt wird, indem spezifische, der Hervorbringung

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3 Exposition des Zweckbegriffs

des Gegenstandes x angemessene Verknpfungen von Ursache(n) und Wirkung(en) fr sie maßgeblich sind. Die Erzeugung des Zweckobjekts selbst durch seine Darstellung mittels der Einbildungskraft geschieht demnach aufgrund der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt im Urteil ,x ist Zweck‘. Die Anschauung, auf die der Begriff des Gegenstandes ,x‘ als Zweckvorstellung bezogen werden soll, ist demnach keine Anschauung der Art, dass „wir von Gegenstnden afficirt werden“ (KrV B 75, III 75.10 f.).99 Sie grndet vielmehr auf einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25) als einer Synthesis, die „technisch“ genannt werden kann.100 Die „Regel der Verbindung“ (KU B 45, V 227.19) des Mannigfaltigen der Anschauung ist hier durch die Vorstellung (Begriff, Idee) des Gegenstandes x bereits vorgegeben, insofern die Vorstellung (Begriff, Idee) allein bestimmt, „was es fr ein Ding sein solle“ (KU B 45, V 227.17). Die technische Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung verfhrt dabei nur gemß der Vorstellung (Begriff, Idee), deren (darzustellender) Gegenstand als Wirkung gesetzt und dessen Bewirkung antizipiert wird. Dies lsst sich sowohl an Kants Haus-Miete-Beispiel als auch am Beispiel des fliegenden Affen problemlos verdeutlichen: Der Begriff ,mçgliches Einkommen‘ kann als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifiziert werden, wenn sein Gegenstand durch eine technische Synthesis als „Miete“, also als ein durch die Vermietung eines Hauses verursachtes Einkommen, dargestellt wird. Die Antizipation der spezifischen Wirksamkeit ,wenn: Vermietung eines Hauses, dann: Mieteinnahme‘, die als der Verwirklichung der Zweckvorstellung ,mçgliches Einkommen‘ angemessen erkannt wird, determiniert die „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ derart, dass die Kausalrelation zwischen ,Haus‘ und ,Miete‘ maßgeblich fr die Darstellung der Zweckvorstellung ,mçgliches Einkommen‘ in der Einbildungskraft ist. Ebenso ist fr die Darstellung des Begriffs ,fliegender Affe‘, insofern er als Zweckvorstellung fungieren soll, 99 Vgl. dazu auch unten Abschnitte 3.3.1 und 4.2.2. 100 Die Wendung ,technische Synthesis‘ findet sich nicht in Kants Schriften. Sie wird hier allein in Anlehnung an Kants eigenen Sprachgebrauch im Kontext des Zweckbegriffs (besonders mit Blick auf die „Kunst“ als technischem bzw. pragmatischem Handeln) gewhlt. Vgl. etwa KrV B 861, III 539.14 – 19 (dort: „technische Einheit“), E VIII 192.31 – 38 Anm. (dort: „technische Construction“), KU B 309, V 383.24 – 26 (dort: „technischer Gebrauch der Vernunft“), EEKU XX 199.30 – 200.9 (dort: „technische Stze“ und „Technik“); ferner evtl. KU B 318, V 389.21 f. (dort: „teleologische (technische) Erklrungsart“) und Anth VII 322 f. (dort: „technische Anlage“).

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

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maßgeblich, welche spezifischen Verknpfungen von Ursache(n) und Wirkung(en) als fr seine Verwirklichung hinreichende erkannt werden. So kçnnte er etwa in der Einbildungskraft als geflgelter Affe oder mit entsprechendem technischen Gert versehener Affe dargestellt werden, um dem Begriff ,fliegender Affe‘ als Zweckvorstellung objektive Gltigkeit zuzusprechen. Ausschlaggebend sind fr die Determination der „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ zur technischen Synthesis stets die gewhlten Mittel qua antizipierte Ursachen derjenigen Wirkung, als die der Gegenstand der Zweckvorstellung bestimmt wurde. Zwar scheint es hier so, dass im Sinne einer Setzung des Gegenstandes x als Zweckobjekt das Urteil ,x ist Zweck‘ gar kein wahrheitsdifferentes (synthetisches) Urteil sein kann, da das Zweckobjekt ein vorgestellter Gegenstand ist, der bloß auf einer technischen „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ beruht, die allein der Vorstellung (Begriff, Idee) gemß verfhrt. Dem vorgestellten Gegenstand kommt dabei augenscheinlich nicht die „Ansichbestimmtheit“ eines in der Anschauung gegebenen Gegenstandes zu, die – wie im Falle von (empirischer) Erkenntnis – als „Nochunbestimmtheit“ bzw. „bestimmte Bestimmbarkeit“ zu verstehen ist.101 Vielmehr ist der vorgestellte Gegenstand hier allein durch den Begriff

101 Vgl. zum Begriff der „Anschichbestimmtheit“ qua „Nochunbestimmtheit“ bzw. „bestimmte Bestimmbarkeit“ des Anschauungsgegenstandes Hiltscher 1998, 1. Teil, bes. 30 – 33, 101 f., 109 – 114. R. Hiltscher kennzeichnet das spezifische „Sinnmoment“ des Anschauungsgegenstandes etwa folgendermaßen: „Da das Denken den durch die Anschauung gegebenen Gegenstand allererst im Urteil bestimmt denken soll, so muß der Anschauungsgegenstand zunchst relativ unbestimmt sein. Die Unbestimmtheit des Anschauungsgegenstandes gegenber dem Denken kann aber andererseits keinesfalls als absolute Unbestimmtheit aufgefaßt werden – sondern diese ,Unbestimmtheit‘ ist vielmehr der bestimmte Sinn des Anschauungsgegenstandes im Urteil. […] Das Denken faßt das Nochausstehen seiner Bestimmung gegenber dem Anschauungsgegenstand nun dadurch, daß es diesen sich als ansichbestimmt gegenbersetzt. […] Weiterhin muß gelten, daß die Unbestimmtheit des Anschauungsgegenstandes immer schon eine bestimmte Unbestimmtheit darstellt. […] Intendiert das Denken nmlich ein Etwas in Raum und Zeit […], so bedeutet schon die rumlich-zeitliche ,Verortung‘ dieses Etwas durch das Denken die Bestimmung der Unbestimmtheit zur bestimmten Unbestimmtheit – zur bestimmten Bestimmbarkeit. Allein schon durch diese Zuweisung einer Raum- und Zeitstelle fr das ,Etwas‘ weist sich das Denken als Letztgrund dafr aus, daß die Anschauung […] einen bestimmbaren Gegenstand geben kann“ (32). Das durch technische Synthesis dargestellte Zweckobjekt ist im Unterschied zum Anschauungsgegenstand gerade nicht unbestimmt und das Zweckurteil hat im Unterschied zum Erkenntnisurteil auch gar nicht die Aufgabe, es weiter zu

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3 Exposition des Zweckbegriffs

(Idee) bestimmt. Auch er ist Bestimmtheit, nicht (Noch-)Unbestimmtheit, denn er ist seinem Begriff gemß imaginierter Gegenstand. Vorstellung (Begriff, Idee) und Gegenstand (Einbildung) sind hier in ihrer Bestimmtheit identisch. Damit entfllt aber eines der beiden Glieder der Erkenntnisrelation: die Ansichbestimmtheit des Gegenstandes. Es muss aber deutlich geworden sein, dass das Urteil ,x ist Zweck‘ kein (bloßes) Erkenntnisurteil102 ist. Es bestimmt vielmehr einen Gegenstand als Zweckobjekt. Es ist damit Setzung eines Gegenstandes als Zweckobjekt. Um aber einen Gegenstand als Zweckobjekt gltig setzen zu kçnnen, muss ber den Gegenstand geurteilt werden. D. h. es muss „ber die Mçglichkeit desselben nach einem Gesetze der Verknpfung der Ursachen und Wirkungen“ (EEKU XX 234.4 f., H. v. V.) geurteilt werden. Das Urteil ,x ist Zweck‘ ist daher durchaus ein wahrheitsdifferentes (synthetisches) Urteil. Der Gegenstand x kann sich in seiner Beurteilung als unmçglicher herausstellen, wenn seine Hervorbringung „nach einem Gesetze der Verknpfung der Ursachen und Wirkungen“ nicht als real mçgliche erkannt werden kann. In diesem Fall ist die Vorstellung des Gegenstandes auch keine objektiv gltige Zweckvorstellung, also Vorstellung eines Zweckobjekts, sondern bloße Vorstellung eines beliebigen Gegenstandes.103 Die Setzung eines Gegenstandes als Zweckobjekt und die affirmative Beurteilung dieses Gegenstandes als Zweckobjekt fallen im Urteil ,x ist Zweck‘ zusammen. Einen Gegenstand im Urteil als Zweckobjekt zu setzen, heißt demnach, ber seine Mçglichkeit nach Kausalverhltnissen affirmativ zu urteilen. Damit ist das Urteil ,x ist Zweck‘, obwohl es nicht als Erkenntnisurteil zu verstehen ist, dennoch Urteil im strengen kantischen Sinne. In diesem strengen Sinne ist ein Urteil „ein Verhltniß, das objectiv gltig ist und sich von dem Verhltnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjective Gltigkeit wre, z. B. nach bestimmen. Es bestimmt den imaginierten Gegenstand lediglich als Zweckobjekt, ist also Setzung des Gegenstandes als Zweckobjekt. 102 In einem „Erkenntnißurtheil“ wird die „Wahrnehmung eines Gegenstandes […] unmittelbar [mit] de[m] Begriff von einem Objecte berhaupt, von welchem jene die empirischen Prdicate enthlt, […] verbunden“ (KU B 147, V 287.35 – 288.1). – Das Urteil ,x ist Zweck‘ wre vielleicht dann ein solches „Erkenntnißurtheil“, wenn zum Gegenwrtigsein der Vorstellung von x noch ein konkreter (empirischer) Wille hinzutrte. In diesem Fall wrde das Urteil ,x ist Zweck‘ im Sinne von ,x ist Zweck fr S‘ verstanden, mithin gefragt werden, ob ein konkretes Subjekt S seinen Willen gemß der Vorstellung (Begriff, Idee) von x tatschlich bestimmt. 103 In diesem Falle liegt keine Zwecksetzung, sondern ein bloßer „Wunsch“ vor (vgl. MS VI 213.17 – 19).

3.2 Erkenntnis und Hervorbringung – objektive Realitt und Modalitt

167

Gesetzen der Association, hinreichend unterscheidet“ (KrV B 142, III 114.20 – 23).

Im Urteil ,x ist Zweck‘ wird der Anspruch erhoben, dass der Gegenstand x realisierbar, d. h. seine Hervorbringung real mçglich, mithin seine Vorstellung als Zweckvorstellung objektiv gltig ist. Damit die Hervorbringung des Gegenstandes als real mçglich erkannt werden kann, muss also scheinbar neben die notwendige Bedingung seines widerspruchsfreien bereinkommens mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“104 noch die Beurteilung seiner Mçglichkeit nach (empirischen) Kausalverhltnissen treten. Dies wre aber ein Missverstndnis. Denn die Beurteilung der Mçglichkeit eines Gegenstandes x als eines hervorbringbaren Gegenstandes erfolgt in „technischen Stzen“, die die zur Hervorbringung notwendigen Mittel angeben, indem sie auf empirische Kausalverhltnisse rekurrieren.105 Fr die Qualifikation des Zweckurteils ,x ist Zweck‘ als ein objektiv gltiges Urteil, das den Anspruch erhebt, dass der Gegenstand x realisierbar, d. h. seine Hervorbringung real mçglich, mithin seine Vorstellung als Zweckvorstellung objektiv gltig ist, sind jene nicht notwendig. Um das bereinkommen eines imaginierten Gegenstandes mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ zu erkennen, wird nicht die Wahrnehmung des Gegenstandes selbst (Erfahrung) erfordert, sondern (zumindest) ein „Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknpfung in einer Erfahrung berhaupt darlegen“ (KrV B 272, III 189.26 – 28)106.

Dass diese Passage aus der Erluterung zum zweiten Postulat des empirischen Denkens berhaupt entnommen wurde, ist nicht berraschend, sondern zwingend. Denn wie am Beispiel der Mondbewohner gesehen, kann ein beliebiger (imaginierter) Gegenstand genau dann als Gegenstand mçglicher Erfahrung auch erkannt werden, wenn er „mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem Context steht“.107 Und ebenso wie der Mondbewohner ist ein jeder beliebig imaginierter Gegenstand in dem Sinne als „wirklich“ zu begreifen, als er mit einem „wirklichen Bewußtsein in einem empirischen Zusammenhange steht, ob er gleich nicht an sich wirklich ist“. Wird demnach ein Gegen104 105 106 107

Vgl. oben Abschnitt 3.2.2. Vgl. unten Abschnitt 4.1.3. Vgl. auch KrV B 284, III 196.19 – 29. Vgl. KrV B 521, III 340.2 – 10 und oben Abschnitt 3.2.2.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

stand x in einem Urteil ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt gesetzt und seine Mçglichkeit nach Kausalverhltnissen affirmativ beurteilt, ist das bereinkommen der Zweckvorstellung mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ eo ipso erfllt, mithin die Zweckvorstellung als objektiv gltige ausgezeichnet. Die Qualifikation des Zweckobjekts als mçglicher Gegenstand, d. h. als Gegenstand, der mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ bereinkommt, und der Zweckvorstellung als objektiv gltiger im Zweckurteil ,x ist Zweck‘ beruht demnach auf dem „Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung“, im Falle des Zweckurteils auf dem „Zusammenhang“ des (imaginierten) Gegenstands mit einer „wirklichen Wahrnehmung“ nach der zweiten Analogie, dem „Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Causalitt“ (KrV B 232, III 166.31). Der Gegenstand x ist zwar „nicht an sich wirklich“, sondern bloß vorgestellt, er steht aber untrennbar mit seiner Vorstellung (Begriff, Idee), die allein bestimmt, „was er fr ein Ding sein solle“, in einem „Zusammenhang“.108 Ihr Vorkommen ist eine notwendige Bedingung fr die Bestimmung eines Gegenstandes als Zweckobjekt, da er gerade kein Anschauungsgegenstand, sondern mittels Einbildungskraft dargestellter und allein durch seinen Begriff (Idee) bestimmter Gegenstand ist. Im Unterschied zur Vorstellung eines Objekts als Gegenstand der Erkenntnis ist im Falle der Setzung eines Gegenstandes als Zweckobjekt das „Dasein“ seiner Vorstellung (Begriff, Idee) selbst wesentlich. Auch der Gegenstand eines Erkenntnisurteils muss zwar, um in concreto als Gegenstand bestimmt werden zu kçnnen, empirisch vorgestellt werden.109 Allerdings wird das Erkenntnisobjekt dabei gerade so gedacht, dass es von dem es denkenden Begriff (gedachter Gegenstand) unabhngig, d. h. an sich bestimmt, ist. Ein Zweckobjekt steht dagegen per definitionem mit einem „wirklichen Bewußtsein in einem empirischen Zusammenhange“. Die Zweckvorstellung selbst ist aber als Vorstellung eines empirischen Bewußtseins eine gegenwrtige, wenn man so will: eine „wirkliche“, da sie – wie alle empirischen Vorstellungen – den inneren Sinn bestimmt, „vermittels dessen das Gemth sich selbst oder seinen inneren Zustand an108 Vgl. auch oben Abschnitt 2.1.4. 109 Vgl. dazu z. B. Kants Anmerkung zu seiner Bestimmung des Satzes ,Ich denke‘ als empirischen Satz im Paralogismus-Kapitel der KrV: „Allein ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, wrde der Aktus, ich denke, doch nicht stattfinden, und das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung, oder des Gebrauchs des reinen intellektuellen Vermçgens“ (KrV B 423 Anm., III 276.35 – 38).

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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schauet“ (KrV B 37, III 52.2 f.).110 Sie ist mithin nicht nur eine beliebige gegenwrtige Vorstellung eines (empirischen) Subjekts, sondern als Zweckvorstellung die gegenwrtige Vorstellung eines (empirischen) Subjekts als einer mçglichen „verstndigen wirkenden Ursache“ (KU B 381, V 426.8 f., H. v. V.).

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs Nach der vorangegangenen Gegenberstellung von ,Erkenntnis‘ und ,Hervorbringung‘ mit Blick auf Kants Begriffslehre und die Problematik des Zweckurteils kann das durch den bloßen Zweckbegriff Vorgestellte, d. h. sein spezifischer Gehalt, als Inbegriff einer spezifischen Funktionalitt der Vernunft begriffen werden. Im begrndeten Unterschied zu der weiter oben gegebenen vorlufigen Bestimmung der Momente a priori des Zweckbegriffs, die eine spezifische Konstellation der Kategorien ,Ursache und Wirkung‘ sowie ,Dasein und Nichtsein‘ und der Anschauungsform ,Zeit‘ als irreduziblen Gehalt a priori des Zweckbegriffs deklarierte111, ist fr die korrigierte Bestimmung seines Gehalts a priori von den genannten drei Momenten a priori allein die Kategorie ,Ursache und Wirkung‘ grundlegend. Es ist daher abschließend zu klren, (1) wie Denken (Vernunft) als Ursache eines als Wirkung vorgestellten Gegenstandes (Zweckobjekt) verstanden werden muss und wie dessen Einheit (Zweckeinheit) beschaffen ist, (2) welche wesentlichen Bestandsstcke (Merkmale) des Zweckbegriffs auf welche spezifische Weise konfungieren, um den genuinen Gehalt des Zweckbegriffs als Inbegriff einer spezifischen Funktionalitt des Denkens (Vernunft) zu qualifizieren, und (3) auf welche Art(en) der Zweckbegriff selbst eine mçgliche Darstellung erfhrt, so dass er als (objektiv) gltiger bzw. realer Begriff anzusehen ist. Damit kçnnen auch im Anschluss der begriffliche Status des Zweckbegriffs und der Zweckvorstellung(en) bestimmt werden.

110 Zur systematischen Relevanz des „Gegenwrtigseins“ von einzelnen Vorstellungen im Kontext einer an die Philosophie Kants anknpfenden Erkenntnislehre vgl. bes. Rohs (1989) und Rohs (1996). 111 Vgl. oben Abschnitt 3.1.3.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

3.3.1 Zweckidee und Schema Am Ende des vorangegangenen Abschnitts wurde darauf hingewiesen, dass eine gegenwrtige Vorstellung als Zweckvorstellung die Vorstellung eines (empirischen) Subjekts als einer mçglichen „verstndigen wirkenden Ursache“ (KU B 381, V 426.8 f.) ist. „Verstndig wirkende Ursache“ ist das einen Gegenstand als Zweckobjekt bestimmende Subjekt dabei insofern, als es einen Gegenstand mittels eines Begriffs denkt, der als Zweckvorstellung dienen soll. Genau dieser Begriff wird von Kant, wie bereits gelegentlich bemerkt wurde, mehrfach als „Idee“ oder „Vernunftbegriff“ bezeichnet.112 Im dritten Hauptstck der „Methodenlehre“ der KrV findet sich dann auch eine allgemeine Bestimmung des Ideenbegriffs, die einsichtig macht, warum der in einem Zweckurteil als Zweckvorstellung zu qualifizierende Begriff von Kant auch als „Idee“ oder „Vernunftbegriff“ bezeichnet wird. ber die „Idee“ heißt es dort: „Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Theile untereinander a priori bestimmt wird“ (KrV B 860, III 538.29 – 539.1).

Da im Falle von „Ideen“ ein Begriff weder „aus den Sinnen [entspringt]“ (Log § 3 Anm. 1, IX 92.9) und mittels Komparation, Reflexion und Abstraktion eines empirischen Mannigfaltigen der Anschauung erzeugt wird, noch „auch dem Inhalte nach aus dem Verstande entspringt“ (Log § 3, IX 92.5 f.) und „als Bedingung[] a priori aller Erfahrungserkenntniß zum Grunde lieg[t]“ (KrV B 126, III 104.35 – 105.1), sondern sein „Gegenstand“ qua „Ganzes“ durch eine Darstellung in der Einbildungskraft derart erzeugt wird, dass der „Umfang des Mannigfaltigen“ und die „Stelle der Teile untereinander“ allein durch ihn bestimmt werden, ist er derjenige Begriff, der seinen Gegenstand durchgngig bestimmt. Insofern kann jeder gemachte Begriff, auch der willkrlich gemachte („gedichtete“) Begriff, insofern er seinen Gegenstand vçllig bestimmt, als ,Idee‘ in einem weitesten Sinne bezeichnet werden.113 Sein vorgestellter Gegenstand („Ganzes“) ist 112 Vgl. nochmals v. a. GTP VIII 181.13 f., KU B 289, V 372.25, KU B 290, V 373.4 – 14, KU B 290 f., V 373.17 – 21 und EEKU XX 236.4 – 7 sowie oben Abschnitte 2.1.1, 2.1.3 und 2.2.2.2. 113 „Wenn man eine Idee nennt, so sagt man dem Object nach (als von einem Gegenstande des reinen Verstandes) sehr viel, dem Subjecte nach aber (d. i. in Ansehung seiner Wirklichkeit unter empirischer Bedingung) eben darum sehr wenig, weil sie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kann gegeben werden“ (KrV B 384, III 254.11 – 15, H. tw. v. V.).

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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im Unterschied zum Anschauungsgegenstand der empirischen Anschauung qua bestimmter Bestimmbarkeit (Ansichbestimmtheit) und zum gedachten Gegenstand des empirischen Begriffs qua bestimmbarer Bestimmtheit114 genauer als bestimmte Bestimmtheit zu verstehen. Er ist bestimmte Bestimmtheit, da sein Mannigfaltiges allein durch den Begriff des Gegenstandes bestimmt ist, seine Bestimmung qua gedachter Gegenstand also mit seinem Begriff bereits geleistet ist. Er ist bestimmte Bestimmtheit, da der Gegenstand x im Urteil ,x ist Zweck‘ gerade nicht als teilweise bestimmter Gegenstand, von dessen mannigfaltigen Bestimmungen im Urteil ,x ist P‘ nur eine (hier: P) herausgestellt wird, sondern als durch den Zweckbegriff allein bestimmter aufgefasst wird. Der Zweckbegriff, der den Gegenstand x eines hier als „Idee“ zu begreifenden Begriffs im Urteil ,x ist Zweck‘ durchgngig bestimmt, verleiht dem Gegenstand jene 114 Vgl. zur „Doppelaspektigkeit des gegenstndlichen Sinnes“ im empirischen (Erkenntnis-)Urteil Hiltscher 1998, bes. 1. Teil. Dort heißt es u. a.: „Will man das Verhltnis von gedachtem Gegenstand des Urteils qua Subjektsbegriff des Urteils zum in der Anschauung gegebenen Gegenstand [im Sinne Kants] przisieren, so mßte man feststellen: (1) Der gegenstndliche Sinn, den der Subjektsbegriff im Urteil entfaltet, muß identisch mit dem gegenstndlichen Sinn des Anschauungsgegenstandes sein. Nur deshalb kann der Subjektsbegriff zum Anschauungsgegenstand in einem Reprsentationsverhltnis stehen. (Nicht Anschauungsgegenstand und Subjektsterm sind identisch – wohl aber ihr Sinn.) (2) Andererseits mssen beide ,Sinne‘ auch strikt unterschieden sein. Denn sonst wrde gelten: Denken = Erkennen. Wir haben somit zunchst einmal drei SinnMomente zu konstatieren: Eine logische Urteilseinheit [1], den gedachten (Anschauungs-)Gegenstand des empirischen Urteils, dessen Reprsentant der Subjektsterm des Urteils ist [2] und den anschauungsgegebenen Gegenstand des empirischen Urteils. Kant behauptet nun: […] Der Begriff und Sinn des Gegenstandes ist keineswegs univok, sondern vielmehr in eine Doppelaspektigkeit kompliziert […]. Diese Doppelaspektigkeit des gegenstndlichen Sinnes ergibt sich funktional aus dem Grundproblem der Adquationstheorie der Wahrheit. Der Gegenstand kann nmlich […] nicht als ,Ding an sich‘ verstanden werden. […] Deshalb muß unweigerlich zum Zwecke mçglicher Erkenntnis angenommen werden, der Sinn des gedachten Gegenstandes und der Sinn des in der Anschauung gegebenen Gegenstandes seien identisch [i]. Andererseits ist fr Kant die Geltungsdifferenz unerer Urteile nur dann begrndbar, sofern der Gegenstand eine ,Maßstabsfunktion‘ bezglich der Erkenntnis einnehmen kann. Deshalb mssen Anschauungsgegenstand und gedachter Anschauungsgegenstand eben doch unterschiedliche gegenstndliche Sinnmomente artikulieren“ (30 f.). – Im Falle des Zweckobjekts als „Gegenstand“ einer Idee sind dagegen der „gedachte Gegenstand“ und der in der Einbildungskraft dargestellte Gegenstand schlichtweg sinnidentisch, mithin weist das teleologische Urteil gerade keine „Doppelaspektigkeit des gegenstndlichen Sinnes“ auf.

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eigentmliche Bestimmtheit durch seinen Begriff, die „alles, was in ihm enthalten sein soll“ (KU B 290, V 373.7 f.), bereits umfasst. Diese Einheit des als Zweckobjekt im Urteil ,x ist Zweck‘ bestimmten Gegenstandes ist eine spezifische, die Kant – ebenfalls im dritten Hauptstck der „Methodenlehre“ der KrV – folgendermaßen beschreibt: „Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle Theile und in der Idee desselben auch unter einander beziehen, macht, daß ein jeder Theil bei der Kenntniß der brigen vermißt werden kann, und keine zufllige Hinzusetzung, oder unbestimmte Grçße der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori bestimmte Grenzen habe, stattfindet. Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehuft (coacervatio)“ (KrV B 860 f., III 539.2 – 8).

Die Gliederung („articulatio“) des Zweckobjekts ist der Ausdruck seiner vçlligen, d. h. durchgngig bestimmten Bestimmtheit durch den ihm zugrunde liegenden Begriff qua allein durch das Denken (Vernunft) erzeugten Idee. Diese enthlt als „Vorstellung eines Ganzen den Grund der Mçglichkeit der Form desselben und der dazu gehçrigen Verknpfung der Theile“ (KU B 349 f., V 408.1 f.), so dass „ein jeder Theil bei Kenntniß der brigen vermißt werden kann“. In der Einbildungskraft wird das Zweckobjekt demnach als gegliedertes Ganzes (articulatio) vorgestellt. Diese Ausfhrung der Idee durch eine Synthesis der Einbildungskraft kann dabei aber nur schematisch sein, da der diskursive Verstand „bloß denkt, nicht anschaut“ (KrV B 139, III 112.27 f.) und „durch dessen reine Apperception […] noch gar nichts Mannigfaltiges gegeben ist“ (KrV B 138, III 112.21 f.). Die Synthesis der Einbildungskraft erzeugt dabei „keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit“ (KrV B 179, III 135.26 f.). Ein Schema wird von Kant daher als Vorstellung „von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (KrV B 179, III 135.35 f.), bestimmt. Das die Idee darstellende Schema stellt „eine a priori aus dem Princip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Theile“ (KrV B 861, III 539.12 – 14) in der Einbildungskraft vor und die so erzeugte, allein durch einen hier als Idee zu begreifenden Begriff bestimmte Einheit des Zweckobjekts wird von Kant „technisch“ genannt.115 115 Vgl. KrV B 861, III 539.17. Kant unterscheidet hier noch die „technische Einheit“ von der „architektonischen Einheit“, die auf einem Schema grndet, „was nur zu Folge einer Idee entspringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgiebt und nicht empirisch erwartet)“ (KrV B 861, III 539.17 – 19, H. v. V.). Von dieser soll hier abgesehen werden, da sie diejenige „systematische Einheit“ ist, die „gemeine Erkenntniß allererst zur Wissenschaft […] macht“ (KrV B 860, III 538.21 – 23).

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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Wie bereits gesehen, muss die „technische Einheit“ stiftende Synthesis gemß derjenigen Vorstellung (Begriff, Idee) verfahren, deren darzustellender Gegenstand als Wirkung gesetzt und dessen Bewirkung antizipiert wird, damit der so dargestellte Gegenstand als Zweckobjekt gelten kann. Sowohl der „Umfang des Mannigfaltigen“ als auch die „Stelle der Theile untereinander“, die durch die Vorstellung (Begriff, Idee) a priori bestimmt werden, sind im Falle eines als Zweckobjekt zu denkenden „Ganzen“ unter der Maßgabe des „Begriff[s] des Verhltnisses der Ursache und Wirkung“ (KrV B 234, III 167.34 – 168.1) bestimmt. Die interne Gliederung desjenigen Gegenstandes einer Idee, der als Zweckobjekt bestimmt ist, ist also Gliederung eines Ganzen nach Kausalverhltnissen. Es gilt demnach zu differenzieren zwischen dem in der Einbildungskraft „selbstttig hervorgebrachten“ Bild des Zweckobjekts und dem durch die Einbildungskraft erzeugten Schema, nach dessen Maßgabe jenes Bild als Bild eines Zweckobjekts hervorgebracht wird.116 Das Bild kann nur eine subjektive Dignitt beanspruchen, da es das Produkt einer konkreten Ausfhrung des Schemas durch ein konkretes Subjekt ist. Das Bild, das sich jemand beispielsweise von einem Mieteinkommen oder einem fliegenden Affen (als Zweckobjekten) macht, unterscheidet sich als bloß subjektive Vorstellung von konkretem Subjekt zu konkretem Subjekt, zumeist sogar von Zeit zu Zeit in der Einbildungskraft ein und desselben konkreten Subjekts. Eine solche Beliebigkeit in der Ausfhrung kommt dem Schema, nach dessen Maßgabe (Regel) ein Zweckobjekt in der Einbildungskraft (bildlich) dargestellt wird, dagegen gerade nicht zu. Es ist vielmehr durch die fr die Hervorbringung des Gegenstandes unerlsslichen Kausalverhltnisse bestimmt. Dass der Begriff ,Einkommen‘ qua ,Mieteinnahme‘ als Zweckvorstellung die Vorstellung einer (zu vermietenden) Behausung ebenso wie der Begriff ,fliegender Affe‘ als Zweckvorstellung die Vorstellung von Flgeln o. . impliziert, die das jeweilige Bild der dieser Gegenstnde als Zweckobjekte notwendigerweise bestimmen, ist durch die Antizipation der mçglichen Bewirkung des Gegenstandes ,Einkommen‘ bzw. ,fliegender Affe‘ vorgegeben. Die Funktion der Einbildungskraft ist in der Ausfhrung der Idee qua Zweckvorstellung demnach nicht bloß eine subjektive, das konkrete Bild des Zweckobjekts erzeugende. Vielmehr Sie betrifft also nur das „Scientifische[] in unserer Erkenntniß berhaupt“ (KrV B 860, III 538.23 f.). Vgl. zum nicht bloß „technischen“, sondern vielmehr „architektonischen Verfahren“ der Wissenschaft auch KU B 305, V 381.18 – 24. 116 Zu grundstzlichen Differenz zwischen ,Bild‘ und ,Schema‘ vgl. KrV B 179 f., III 135.25 – 37 und KrV B 181, III 136.21 – 28.

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verfhrt sie, um der Zweckvorstellung ein adquates Bild „zu verschaffen“, d. h. ein Bild von einem Gegenstand als Zweckobjekt, nach einem Schema, das die „technische Einheit“ des Zweckobjekts darstellt. Dieses Schema ist ein „Product und gleichsam ein Monogramm“ (KrV B 181, III 136.24 f.) der produktiven Einbildungskraft.117 Der Zweckbegriff, der den Gegenstand x eines als „Idee“ zu begreifenden Begriffs im Urteil ,x ist Zweck‘ durchgngig bestimmt, verleiht diesem Gegenstand demnach seine spezifische, technische Einheit als ein gegliedertes Ganzes in einem „technischen“ Schema. Ein solches Schema stellt zwar einerseits die interne Gliederung des Zweckobjekts nach Maßgabe der Kausalittskategorie dar, kann aber andererseits nicht mit deren Schematisierung selbst (fr die Erkenntnis) vçllig identisch sein. Denn die Verhltnisse zwischen den Teilen des Zweckobjekts sind zwar, wenn sie im Einzelnen betrachtet werden, bloße Kausalverhltnisse im Sinne der „Succession des Mannigfaltigen, in so fern sie einer Regel unterworfen ist“ (KrV B 183, III 138.3 f.), mithin notwendige Grund-FolgeVerhltnisse.118 Die Teile selbst sind aber als Teile eines Zweckobjekts „nur durch ihre Beziehung auf das Ganze mçglich“ (KU B 290, V 373.5 f.), also allein durch ihre Beziehung auf die das Zweckobjekt vorstellende Idee (Zweckvorstellung), „die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß“ (KU B 290, V 373.7 f.). Der durch die Kausalittskategorie bestimmten Erzeugung des Zweckobjekts in der Einbildungskraft, mithin der Inanspruchnahme der schematisierten Kausalittskategorie als (notwendiger) Folge liegt demnach im Falle der Setzung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts notwendigerweise die „Spontaneitt des Denkens“ (KrV B 93, III 85.20 u. ç.) als „Vermçgen, Vorstellungen selbst hervorzubringen“ (KrV B 75, III 75.7 f.), zugrunde.119 Denn die Zweckvorstellung als eine solche „selbst hervorgebrachte“ Vorstellung ist alleiniger Grund der Gliederung eines Ganzen nach Kausalverhltnissen, d. h. Grund der technischen Einheit ihres Ge-

117 Zur Unterscheidung von „produktiver“ und „reproduktiver“ Einbildungskraft vgl. KrV B 152, III 120.15 – 21. 118 „Das Schema der Ursache und der Causalitt eines Dinges berhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Succession des Mannigfaltigen, in so fern sie einer Regel unterworfen ist“ (KrV B 183, III 138.1 – 4). 119 Vgl. etwa auch KU B 347, V 406.16 f. (dort: „Vermçgen der Begriffe, d. i. ein discursiver Verstand“).

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genstandes (Zweckobjekt).120 Als ein solcher Grund ist sie das Spezifikum einer besonderen, „technisch“ zu nennenden Schematisierung der Kausalittskategorie. Mit Blick auf den Zweckbegriff ist die Schematisierung des Kausalittskategorie also zu modifizieren. Wie gesehen, ist die Zweckkausalitt im Unterschied zur Naturkausalitt nicht als bloße (notwendige) GrundFolge-Relation (Ursache ! Wirkung), sondern nur als doppelte GrundFolge-Relation (Zweck ! Mittel ! Produkt) beschreibbar, deren (zeitlich gesehen) zweite Relation (Mittel ! Produkt) zwar der Kausalrelation im Sinne der Naturkausalitt entspricht121, deren erstes Relat aber gerade ein Begriff (Idee) als Ursache ist. Dieser Begriff (Zweckvorstellung) ist einerseits unmittelbare Ursache der Mittel als Mittel (Zweck ! Mittel)122 und andererseits mittelbare Ursache des Produkts (Zweck ! Produkt)123, indem durch ihn auch die Regel fr die Hervorbringung des Zweckobjekts, das im Anschluss an seine Verwirklichung als Produkt zu bezeichnen ist, antizipiert wird (Zweck ! [Mittel ! Produkt]). Und wie im vorliegenden Abschnitt gezeigt, ist die Regel fr die Hervorbringung des Zweckobjekts (Mittel ! Produkt) als Kausalverhltnis maßgeblich fr die (besondere) Form des Zweckobjekts und somit des Produkts. Die Zweckvorstellung ist also sowohl mittelbare Ursache der Existenz des Produkts als auch unmittelbare Ursache der Form des Zweckobjekts, mithin des Produkts. Sie wird als nicht bloß wirkende, sondern als eine solche antizipierende Ursache von Kant auch „erzeugende Ursache“ (KU B 351, V 408.36) genannt. Als Begriff (Idee) ist die Zweckvorstellung gerade nicht in die Menge der „einander folgenden Erscheinungen“ (KrV B 234, III 167.27 f.) einzureihen. Sie ist vielmehr Resultat der (einzigen erkenn120 „Die [Zweckeinheit] ist nmlich eine ganz besondere Art derselben, die […] die Beziehung auf eine Ursache, die Verstand hat, bei sich fhrt und selbst, wenn man alle diese Dinge in einem einfachen Subjecte vereinigte, doch niemals eine Zweckbeziehung darstellt: wofern man unter ihnen nicht erstlich innere Wirkungen der Substanz als einer Ursache, zweitens eben derselben als Ursache durch ihren Verstand denkt. Ohne diese formalen Bedingungen ist alle Einheit bloße Naturnothwendigkeit“ (KU B 326, V 393.28 – 37). 121 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. 122 Wie eine Vorstellung (Begriff ) nicht das Dasein eines als Zweckobjekt gedachten Gegenstandes selbst hervorbringen kann, kann sie auch nicht das Dasein eines als Mittel gedachten Gegenstandes selbst hervorbringen. Aber allein durch eine als Zweckvorstellung ausgezeichnete Vorstellung (Begriff ) wird ein Gegenstand als Mittel bestimmt gedacht und insofern ist die Zweckvorstellung als (unmittelbare) Ursache der Mittel zu bestimmen. 123 Vgl. oben Abschnitt 3.1.3.

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baren) „innere[n] Thtigkeit“ (MAN IV 544.12) des Denkens124 und damit gerade nicht per se „eine ußere Ursache“ (MAN IV 543.17 u. ç.). Die antizipierende („erzeugende“) Ursache qua Zweckvorstellung bzw. ihre Kausalitt qua Zweckkausalitt lsst sich schematisch demnach nur als eine spezifizierte Folgebeziehung darstellen, deren erstes Relat eine innere Ursache und deren zweites Relat eine „innere Wirkung“ ist. Die innere Wirkung ist die Darstellung des Zweckobjekts als ein gegliedertes Ganzes in der (produktiven) Einbildungskraft. Diese Darstellung impliziert wiederum eine (subordinierte) Folgebeziehung, die die (antizipierte) Kausalrelation im Sinne der Naturkausalitt ist. Die (subordinierte) Folgebeziehung im Sinne der Naturkausalitt ist aber im Falle der Zweckkausalitt selbst als mittelbare (ußere) Wirkung einer inneren Ursache (Zweckvorstellung) vorzustellen. D. h. auf ihre und gemß ihrer Antizipation in der Zweckvorstellung kann ihre Bewirkung (im Sinne der Naturkausalitt) folgen. Wenn also das „Schema der Ursache und der Causalitt eines Dinges berhaupt […] das Reale [ist], worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt“ (KrV B 183, III 138.1 – 3, H. v. V.),

dann gilt dies zwar in einem gewissen Sinne auch fr die technische Schematisierung der Kausalittskategorie, wie sie im Falle des Zweckbegriffs erfordert wird. Denn es gilt uneingeschrnkt und notwendigerweise fr die Hervorbringung als Verwirklichung des Zweckobjekts (Mittel ! Produkt), da sie ein Naturgeschehen ist. Das Schema der Kausalittskategorie erfordert allerdings eine Modifikation hinsichtlich der Setzung und (technischen) Darstellung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts. Denn diese ist wesentlich Antizipation der Form, der Hervorbringung und der Existenz des Produkts als unmittelbaren bzw. mittelbaren Wirkungen (Zweck ! [Mittel ! Produkt] bzw. Zweck ! Produkt). Es kann folgendermaßen formuliert werden: Das Schema der inneren Ursache (Zweckvorstellung) und der Kausalitt eines Dinges als eines verstndigen Wesens (Zweckkausalitt) ist das Reale, das auf die „innere Thtigkeit“ (MAN IV 544.12) des Denkens folgt.

Dass das durch die „Spontaneitt des Denkens“ (KrV B 93, III 85.20 u. ç.) gesetzte und durch die produktive Einbildungskraft dargestellte Zweck124 „Nun kennen wir […] berhaupt keine andere innere Thtigkeit als Denken“ (MAN IV 544.10 – 12). Vgl. dazu mit Blick auf die Problematik des Begriffs eines Naturzwecks auch Dçrflinger 2010b, 10.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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objekt dabei trotz seiner noch nicht erfolgten Hervorbringung (Verwirklichung) als „Reales“ bezeichnet wird und auch bezeichnet werden darf, hat folgenden Grund: Die spezifische Anschauung des Zweckobjekts hat ihren Grund zwar nicht in einer Affektion der Sinnlichkeit125, aber in einer (besonderen) Affektion des Verstandes. Denn sie ist das Resultat einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25) als technischer Synthesis.126 Unter ,Affektion des Verstandes‘ kann hier allerdings weder die Hervorbringung einer dem Verstand „eigenen Anschauung“ (KrV B 153, III 121.3), noch die bloße „Einheit der Handlung, deren er sich als einer solchen auch ohne Sinnlichkeit bewußt ist“ (KrV B 153, III 121.5 f.) und die Kant eine „transcendentale[] Synthesis der Einbildungskraft“ (KrV B 153, III 121.9 f., H. v. V.) nennt, verstanden werden. Denn auch fr denjenigen Verstand, dessen Begriff (Idee) als „erzeugende Ursache“ (Zweckvorstellung) fungiert, gilt, dass er „in uns Menschen selbst kein Vermçgen der Anschauung“ (KrV B 153, III 120.34 – 121.1), sondern ektypischer (diskursiver) Verstand ist.127 Und die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft ist keine technische Synthesis, sondern nur „diejenige Handlung aufs passive Subject […], wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch afficirt werde“ (KrV B 153 f., III 121.10 – 12). Sie ist zwar auch im Falle von Hervorbringung qua Zwecksetzung vorauszusetzen, da ohne sie „der innere Sinn […] noch gar keine bestimmte Anschauung enthlt“ (KrV B 154, III 121.16 – 18). Auch die technische Synthesis ist als Synthesis der produktiven Einbildungskraft eine „figrliche Synthesis“ (KrV B 154, III 121.21).128 Die technische Synthesis ist aber nicht nur 125 Vgl. dazu KrV B 33, III 49.12 – 15. 126 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 127 Vgl. zur „Eigenthmlichkeit des menschlichen Verstandes“ (KU B 344, V 405.2) und seiner Kennzeichnung als eines ektypischen Verstandes bes. §§ 76 und 77 der KU, v. a. KU B 340, V 401.31 – 36, KU B 347, V 406.16 f. (dort: „[u]nser Verstand ist ein Vermçgen der Begriffe, d. i. ein discursiver Verstand“) und KU B 350, V 408.20 f. (dort: „unseres discursiven, der Bilder bedrftigen Verstandes (intellectus ectypus)“), ferner auch KrV B 138 f., III 112.20 – 33 und KrV B 145, III 116.10 – 23 (dort: „Verstand, dessen ganzes Vermçgen im Denken besteht“). 128 Zur figrlichen Synthesis als Synthesis der Einbildungskraft, „[s]o fern die Einbildungskraft […] Spontaneitt ist“ (KrV B 152, III 120.15 f.), vgl. auch den zweiten und dritten Absatz von § 24 in der „Transcendentale[n] Deduction der reinen Verstandesbegriffe“ (KrV B 151 f., III 119.25 – 120.21). Dort schreibt Kant auch, dass die figrliche Synthesis qua transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, „eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller brigen) auf Gegenstnde der uns

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figrliche Synthesis, sondern durch die antizipierte(n) Regel(n) fr die Hervorbringung des Zweckobjekts qua Zweckverwirklichung determinierte figrliche Synthesis. Die technische Synthesis ist demnach keine Synthesis der reproduktiven Einbildungskraft, „deren Synthesis lediglich empirischen Gesetzen, nmlich denen der Association, unterworfen ist“ (KrV B 152, III 120.18 f., H. v. V.). Wie im Falle der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft „bringt“ der Verstand auch im Falle der technischen Synthesis eine „Verbindung des Mannigfaltigen […] hervor, indem er ihn [den inneren Sinn, S.K.] afficirt“ (KrV B 155, III 122.5 f.). Denn diese „Verbindung des Mannigfaltigen“ erfolgt ausschließlich und a priori gemß einem Begriff (Idee) als Zweckvorstellung. Der Verstand affiziert bei der Setzung und (technischen) Darstellung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts den inneren Sinn derart, dass er sich mittels einer spezifischen figrlichen Synthesis eines Mannigfaltigen, nmlich einer der Kausalittskategorie gemßen, technischen Synthesis, seines „Vermçgens“ zur Hervorbringung des durch die technische Synthesis dargestellten Zweckobjekts auch ohne das Gegebensein des Gegenstandes in der (ußeren) Anschauung „bewusst“ wird.129 Dabei wird erstens durch das (willkrliche) Setzen eines Gegenstandes als einer Wirkung dessen Begriff als Ursache und zweitens durch ihren spezifischen Charakter als Begriff die Ursache als innere Ursache qualifiziert. Die Darstellung des Gegenstandes als der (unmittelbaren) Wirkung einer solchen inneren Ursache (Zweckvorstellung) grndet demnach in einer ,Affektion des Verstandes‘ und ist die (technische) Darstellung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts, dessen Hervorbringung real mçglich sein kann. Die Affektion des inneren Sinns durch den Verstand im Falle der Setzung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts bewirkt also dessen mçglichen Anschauung ist“ (KrV B 152, III 120.11 – 14, H. v. V.). Sie ist auch „Grund“ derjenigen „Anwendung des Verstandes“, die bei jeder Hervorbringung qua Zwecksetzung vorliegt. 129 Diese Formulierung ist analog zu derjenigen, die Kant mit Blick auf die ,Affektion des Verstandes‘ qua transzendentale Synthesis der Einbildungskraft im 5. Absatz des § 24 der KrV whlt. Dort heißt es ber den „Verstand in uns Menschen“: „[S]o ist seine Synthesis, wenn er fr sich allein betrachtet wird, nichts anders als die Einheit der Handlung, deren er sich als einer solchen auch ohne Sinnlichkeit bewußt ist, durch die er aber selbst die Sinnlichkeit innerlich in Ansehung des Mannigfaltigen, was der Form ihrer Anschauung nach ihm gegeben werden mag, zu bestimmen vermçgend ist“ (KrV B 153, III 121.3 – 8, H. v. V.). Vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.2.2.

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technische Darstellung in der Einbildungskraft. Die die technische Darstellung leistende Synthesis ist dabei nicht nur durch die antizipierte(n) Regel(n) fr die Hervorbringung des Zweckobjekts determinierte figrliche Synthesis. Sie ist auch Synthesis gemß desjenigen Begriffs (Idee), der als „Ganzes“ den „Teilen“ des Zweckobjekts zugrunde liegt und als innere Ursache qualifiziert ist. Er ist zudem Begriff (Idee) eines empirischen Bewusstseins. Denn nur als ein solcher kann er als wirkliche (innere) Ursache der unmittelbaren Wirkung qua technischer Darstellung des Zweckobjekts sowie der mittelbaren Wirkung qua Produkt qualifiziert sein. Dasjenige Bewusstsein des Verstandes davon, alleinige Ursache fr die Hervorbringung von lediglich durch ihn gedachten und ihm gemß in der Einbildungskraft erzeugten Gegenstnden sein zu kçnnen, impliziert das Vorkommen eines als Zweckvorstellung fungierenden Begriffs (Idee). Die Realmçglichkeit von Hervorbringung setzt das Vorhandensein eines Begriffs (Idee) notwendig voraus, nmlich eines Begriffs als innerer Ursache. Als wirkliche Ursache der technischen Darstellung des Zweckobjekts und als (real) mçgliche Ursache von dessen Hervorbringung qua Zweckverwirklichung ist dieser Begriff (Idee) eine Zweckvorstellung. Sie ist begriffliche Vorstellung eines empirischen Bewusstseins, mithin gegenwrtige Vorstellung eines (empirischen) Subjekts als einer mçglichen „verstndigen wirkenden Ursache“ (KU B 381, V 426.8 f.). Das mittels einer technischen Synthesis in der Einbildungskraft dargestellte Zweckobjekt ist somit als „Reales“ zu bezeichnen, da es technisch-schematische Vorstellung eines empirischen Bewusstseins ist, die allein Wirkung eines vorhandenen, als Zweckvorstellung fungierenden Begriffs (Idee) ist. Ihre Erzeugung hat ihre Ursache lediglich in einem (empirischen) Subjekt. 3.3.2 Zusammenfassung: Merkmale des Zweckbegriffs Bevor der Zweckbegriff als „in der an einander hngenden (successiven) Vorstellung seiner Merkmale“ (Log § 105, IX 143.1 f.) abschließend exponiert werden kann, kçnnen die beiden wesentlichen Momente eines Zweckurteils der Form ,x ist Zweck‘ zusammenfassend gegeneinander gestellt werden: die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt und die Beurteilung eines Begriffs (Idee) als Zweckvorstellung. Der notwendige Zusammenhang beider Momente ist der entscheidende Grund fr die festgestellte Mehrdeutigkeit des Zweckbegriffs – die Bestimmung eines

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Zwecks als eines Begriffs einerseits und als eines Gegenstandes andererseits –, wie sie in den Schriften Kants zu finden ist130 : (I) Setzung eines Gegenstandes als Zweck(objekt): Ein Gegenstand x wird im Urteil ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt bestimmt. Der Gegenstand x eines Begriffs (Idee) wird hierzu in der Einbildungskraft durch eine technische Synthesis dargestellt. Diese schematische „Ausfhrung“ des den Gegenstand x denkenden Begriffs ist ausschließlich durch den Begriff (Vorstellung eines „Ganzen“) bestimmt, indem sowohl der „Umfang des Mannigfaltigen“ als auch „die Stelle der Theile“ durch den Begriffsinhalt („Materie“) vorgegeben sind. Die so erzeugte Einheit des Zweckobjekts ist eine technische, insofern der Gegenstand x als Wirkung zu denken ist. Daher gehçrt zur schematischen „Ausfhrung“ des den Gegenstand x denkenden Begriffs notwendig die Antizipation der Wirksamkeit der Ursache y von x. Die Kausalittskategorie ist demnach diejenige formale Maßgabe, nach der sich die Erzeugung des Zweckobjekts in der Einbildungskraft richten muss. Die technische Synthesis ist Synthesis von „Mannigfaltigem“ als Ursachen bzw. Wirkungen, so dass in der Antizipation des Kausalzusammenhangs von Gegenstand x als Wirkung und seiner unterstellten Ursache y Mittel und Produkt als notwendig aufeinander bezogen vorgestellt werden. Das auf solche Weise dargestellte Zweckobjekt ist als gegliedertes Ganzes zu verstehen, dessen Teile durch die „Idee“ als in einem notwendigen Bezug auf das Ganze stehende bestimmt sind. (II) Beurteilung einer „Idee“ als objektiv gltige(r) Zweck(vorstellung): Der dem gedachten und in der Einbildungskraft dargestellten („ausgefhrten“) Gegenstand „technische Einheit“ verleihende Begriff ist als „Idee“ zu verstehen, insofern er nicht mittels Komparation, Reflexion und Abstraktion eines empirischen Mannigfaltigen der Anschauung (d. h. hier v. a.: nicht anlsslich Wahrnehmungen) als Begriff eines zu erkennenden Gegenstandes, sondern durch eine willkrliche Begriffssynthesis erzeugt wird. Diese „Idee“ ist das Resultat der „Spontaneitt des Denkens“ (KrV B 93, III 85.20 u. ç.) – aber nicht nur in dem Sinne, als jeder Begriff auf dieser grndet.131 Im Falle einer Vorstellung als „Idee“ im weitesten Sinne kommt vielmehr noch hinzu, dass bei ihrer Erzeugung den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ keine notwendige Funktion zukommt. Sie ist „nur Idee“, ohne „Realitt“, „ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand“ 130 Vgl. oben Abschnitt 2.1.1. 131 Vgl. v. a. KrV B 33, III 49.15 f., KrV B 74 f., III 74.11 – 75.15 und KrV B 93, III 85.19 f., ferner auch Log § 4 Anm., IX 93.25 f.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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(KrV B 517, III 337.33). Wird eine solche „Idee“ unabhngig von einem Erkenntnisinteresse erzeugt, also als beliebige („gedichtete“) begriffliche Vorstellung verstanden, kann freilich ex post wiederum danach gefragt werden, „ob sie bloße Idee und Gedankending sei, oder in der Welt ihren Gegenstand antreffe“ (KrV B 517, III 337.35 f., H. v. V.). Diese Beurteilung ist schließlich genau dann auch notwendig, wenn die „Idee“ als Begriff eines hervorzubringenden Gegenstandes x, d. h. als Zweckvorstellung, im Urteil ,x ist Zweck‘ fungieren soll. Sie ist insofern notwendig, als ohne sie nicht zu entscheiden ist, ob der dem gedachten Gegenstand x Einheit verleihende Begriff „bloße“ Idee ist oder gltige Zweckvorstellung sein kann. Die Beurteilung grndet dabei – in Kongruenz zur technischschematischen „Ausfhrung“ der Idee in der Einbildungskraft – in der Antizipation der Wirksamkeit der Ursache y von x. Denn die Frage nach der objektiven Gltigkeit einer „Idee“ qua Zweckvorstellung ist die Frage nach der (realen) Mçglichkeit ihres Gegenstandes nach Kausalverhltnissen, mithin die Frage nach den geeigneten Mitteln zur Hervorbringung des Gegenstandes x. Die Setzung eines Gegenstandes als Zweck (Zweckobjekt) und die Beurteilung eines Begriffs (Idee) als Zweck (Zweckvorstellung) sind demnach in der Analyse des Zweckbegriffs zwar durchaus zu unterscheiden, in der Sache, d. h. in der Anwendung des Zweckbegriffs im Urteil (,x ist Zweck‘), allerdings notwendig verbunden. Denn die Antizipation der Hervorbringung des Zweckobjekts im Produkt (Mittel ! Produkt) qua Zweckverwirklichung ist sowohl bestimmend fr die Setzung des Zweckobjekts als gegliedertes Ganzes, d. h. als technische Einheit von Mannigfaltigem, als auch fr die Beurteilung der Zweckvorstellung als objektiv gltiger, d. h. als Vorstellung eines hervorbringbaren Gegenstandes. Das „Dasein“ eines Gegenstandes wird demnach im Falle von Hervorbringung nicht erkannt bzw. bestimmt, sondern antizipiert, indem der Gegenstand als gegliedertes Ganzes gedacht und seine Mçglichkeit nach Kausalverhltnissen affirmativ beurteilt wird. Diese spezifische Antizipation, als deren Ausdruck der Zweckbegriff anzusehen ist, ist Leistung eines empirischen Bewusstseins, das als „verstndig wirkende Ursache“ fungiert. Damit sind die wesentlichen Bestandsstcke des Zweckbegriffs herausgestellt. Resultierend aus der fortgefhrten Analyse des Zweckbegriffs, die das Problem der (objektiven) Gltigkeit bzw. Realitt von Zweckvorstellungen, die (technische) Darstellung des Zweckobjekts sowie das Verhltnis seiner Setzung und Beurteilung im Zweckurteil mit in den Blick nahm, kann zusammenfassend gesagt werden, dass der genuine Gehalt des

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Zweckbegriffs als Inbegriff einer spezifischen Funktionalitt der Vernunft drei wesentliche Bestandsstcke (Merkmale) enthlt: eine spezifische Synthesis, eine spezifische Einheit und das Vorhandensein einer (begrifflichen) Vorstellung. Alle drei Bestandsstcke, mittels derer der genuine Gehalt des Zweckbegriffs zu beschreiben ist, sind dabei durch die Kategorie ,Ursache und Wirkung‘ in ihrer Spezifik, d. h. in ihrer notwendigen Funktion fr ,Hervorbringung‘, bestimmt. Das spezifische Konfungieren dieser vier Momente, wie es sich in der vorangegangenen Analyse des Zweckbegriffs gezeigt hat, lsst sich folgendermaßen zusammenfassen: (1) Zweckvorstellung als Idee: Ein beliebiger Begriff eines Mannigfaltigen, der dessen „Umfang“ und die „Stelle seiner Teile“ a priori bestimmt, wird von Kant als „Idee“ (im weitesten Sinne) gefasst. Diese „Idee“ ist genau dann als Zweckvorstellung zu bestimmen, wenn danach gefragt wird, ob ihr Gegenstand als ein (real) mçglicher Gegenstand nach Kausalverhltnissen affirmativ beurteilt und ihr damit objektive Gltigkeit zugesprochen werden kann. (2) Zweckobjekt als eingebildeter Gegenstand: Der Gegenstand der als Zweckvorstellung zu bestimmenden „Idee“ wird in der Einbildungskraft durch eine Synthesis des Mannigfaltigen dargestellt. Diese „Ausfhrung“ der Idee erzeugt ein „gegliedertes Ganzes“ qua bestimmte Bestimmtheit, das als Zweckobjekt zu bestimmen ist, wenn die Synthesis des Mannigfaltigen technisch verfhrt, d. h. eine Gliederung des Ganzen nach Kausalverhltnissen ist. Die so erzeugte Einheit des Mannigfaltigen ist als technische Einheit bestimmt. (3) Zweckvorstellung als Ursache: Die fr die „Ausfhrung“ der Idee in der Einbildungskraft notwendige Antizipation eines Kausalzusammenhangs determiniert sowohl die Setzung des Zweckobjekts als technischgegliedertes Ganzes als auch die Beurteilung der Zweckvorstellung als Vorstellung eines bewirkbaren Gegenstandes. Aufgrund dieser Antizipation ist das Vorhandensein der Zweckvorstellung auch als (mçgliche) Ursache fr den Gegenstand qualifizierbar. Die technische Synthesis des Mannigfaltigen, mithin dessen technische Einheit in der (technischen) Darstellung der Zweckvorstellung begrnden den Zusammenhang von Ganzem und Teilen allein aufgrund des Gedachtseins des hervorzubringenden Gegenstandes. Damit ist die Zweckvorstellung (Idee) als innere Ursache qualifiziert. (4) Zweckobjekt als Wirkung: Ein Gegenstand ist als Wirkung zu bestimmen, um als Zweckobjekt bestimmt werden zu kçnnen. Dieser eingebildete, nach Maßgabe der Kausalittskategorie vorgestellte Gegenstand ist alleiniges Resultat der technischen Synthesis der Einbildungskraft.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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Mittels ihrer werden seine Form sowie sein Dasein antizipiert und er kann somit als Wirkung der ihn vorstellenden Idee gelten. In der technischen Darstellung seines Begriffs durch die Einbildungskraft ist er als Wirkung gesetzt, deren Ursache allein die ihn vorstellende Idee ist, da seine spezifische Einheit als Gliederung, d. h. als allein durch die ihn vorstellende Idee bestimmte, zu verstehen ist. Der Zweckbegriff zeigt sich als Inbegriff einer besonderen Funktionalitt der Vernunft, die in besonderer Weise durch eine spezifische Anwendung der Kausalittskategorie bestimmt und deren eines wesentliches Bestandsstck das Vorhandensein von begrifflichen Vorstellungen als Vorkommnisse von empirischem Bewusstsein ist. Der Zweckbegriff ist demnach der Titelbegriff genau derjenigen Funktionalitt der Vernunft, die die Vernunft als Denken eines hervorzubringenden Gegenstandes bestimmt. Dies bedeutet nach der vorangegangenen Analyse, dass sich die Vernunft als Ursache bestimmter Gegenstnde in dem Sinne begreift, als sie deren Form und Dasein antizipiert, indem sie sowohl als Ursache deren jeweiliger spezifischer Bestimmtheit („technische Einheit“) gelten, als auch deren Hervorbringung als real mçglich erkennen kann. Dem Hervorzubringenden (Zweckobjekt) kommt „technische Einheit“ aufgrund einer „technischen Synthesis“ zu, da sein Begriff qua Idee (Zweckvorstellung) die Synthesis des Mannigfaltigen a priori bestimmt. Ein solcher Begriff ist allerdings nicht nur qua Idee, d. h. hier: als „technische Einheit“ stiftender, fr die Bestimmung des Denkens (Vernunft) als Denken hervorzubringender Gegenstnde notwendig. Vielmehr ist auch sein Vorhandensein unerlsslich, da gerade er als (mçgliche) Ursache der Verwirklichung des Zweckobjekts in der Welt zu bestimmen ist. Ohne Vorhandensein („Dasein“) von (konkreten) Begriffen ist die Selbstbestimmung der Vernunft als einer mçglichen Ursache nicht denkbar. Begriffliche Vorstellungen mssen demnach „da sein“, damit Hervorbringung im Sinne des Zweckbegriffs mçglich ist. Die mittels der Analyse des Zweckbegriffs herausgestellte spezifische Bestimmtheit der Vernunft als Denken hervorzubringender Gegenstnde belegt Kant bekanntlich mit dem Terminus „technische Vernunft“132. Ihre „Technik“ besteht Kant zufolge in einem Hervorbringen von „Gesetzm132 Vgl. EEKU XX 234.33, ferner KU B 309, V 383.25 f. (dort: „technische[r] Gebrauch der Vernunft“) sowie Kants Wendung ,technisch-praktische Vernunft‘ in KU B 433, V 455.25 f., MS VI 384.1 und MS VI 387.9 sowie oben die Abschnitte 1.1 und 2.1.2. Zum Begriff ,technisch-praktische Vernunft‘ im OP vgl. Lehmann 1939, bes. 74 – 83.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

ßigkeit einer an sich zuflligen Verbindung des Mannigfaltigen“ (EEKU XX 228.16 f.).133 Diese „an sich zufllige Verbindung des Mannigfaltigen“ ist als „technische Synthesis“ gerade nicht mehr bloß „zufllige“, da sie allein durch die Spontaneitt des Denkens, d. h. vçllig a priori einer Idee gemß, geleistet wird und dabei formal durch die (spezifisch schematisierte) Kausalittskategorie bestimmt ist. 3.3.3 Objektive Realitt: Technik und Produkt Die Wirksamkeit der technischen Vernunft qua Vernunft als Ursache des Daseins (in der „Erscheinung“) von zuvor bloß vorgestellten, durch sie a priori bestimmten Gegenstnden nennt Kant in der Regel „Causalitt der Vernunft“.134 Ihre objektive Realitt ist ausweisbar. Sie zeigt sich an „der Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ (EEKU XX 234.33 f.). Mit dieser Bemerkung deutet Kant an, dass die objektive Realitt des Begriffs ,Kausalitt der Vernunft‘ und damit des Zweckbegriffs nur empirische Realitt sein kann. An diese Bemerkung anschließend, ließe sich das Problem der Bestimmung des begrifflichen Status des Zweckbegriffs auf das Problem entweder seiner Qualifikation als Vernunftbegriff („Idee“) oder seiner Qualifikation als Erfahrungsbegriff (Begriff mit empirischer Realitt) reduzieren, wenn die Qualifikation des Zweckbegriffs als eines empirischen Vernunftbegriffs vermieden werden soll, der augenscheinlich nur als eine contradictio in terminis verstanden werden kann.135 Die im vorliegenden Kapitel unternommene Exposition des Zweckbegriffs als Begriff, dessen genuiner Gehalt wesentlich durch die drei Bestandsstcke ,technische Synthesis‘, ,technische Einheit‘ und ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ ausgezeichnet ist, bietet allerdings auch die Mçglichkeit, diesen Zweckbegriff als allgemeinen Zweckbegriff zu verstehen, um ihn mit Blick auf seine Darstellbarkeit (Realitt) derart zu spezifizieren, dass einsichtig wird, in welcher je spezifischen Hinsicht der Zweckbegriff die „Gesetzmßigkeit einer an sich zuflligen Verbindung des Mannigfaltigen“ vorstellt und in welcher je spezifischen Hinsicht dem 133 Vgl. auch Kants Bestimmung des Begriffs ,Zweckmßigkeit‘ als „Gesetzlichkeit des Zuflligen“ (KU B 344, V 404.27). 134 Vgl. bes. Kants „Erluterung der kosmologischen Idee der Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnothwendigkeit“ in der „Transzendentalen Dialektik“ der KrV (KrV B 570 – 586, III 368 – 377), ferner KrV B 831, III 521.35 u. ç. 135 Vgl. oben Abschnitt 2.2.2.2.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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Zweckbegriff objektive Realitt zugesprochen werden kann. Es ist zu zeigen, dass der Zweckbegriff auf zweierlei verschiedene Weisen dargestellt werden und somit als realisiert gelten kann. In der Folge werden auch der begriffliche Status sowohl des allgemeinen Zweckbegriffs als auch der aus seiner Spezifizierung resultierenden besonderen Zweckbegriffe als przise bestimmbar und die Exposition des Zweckbegriffs als vollstndig erachtet werden kçnnen. 3.3.3.1 Technik als Darstellung des Zweckbegriffs Die Behandlung der Frage, ob und inwiefern dem Zweckbegriff objektive Realitt zugesprochen werden kann, d. h. ob und inwiefern er als demonstrabel einzuschtzen ist, lsst formal die folgenden Antworten zu: (1) Dem Begriff ,Zweck‘ kann weder a priori noch a posteriori objektive Realitt zugesprochen werden, d. h. er ist ein indemonstrabler Begriff. (2) Dem Begriff ,Zweck‘ kann a priori objektive Realitt zugesprochen werden. (3) Dem Begriff ,Zweck‘ kann a posteriori objektive Realitt zugesprochen werden. Gegen die Behauptung der prinzipiellen Indemonstrabilitt des Zweckbegriffs (1) und fr die Behauptung der prinzipiellen Ausweisbarkeit seiner objektiven Realitt ((2) und (3)) sprechen sowohl mehrere bereits angefhrte Bemerkungen Kants als auch die vorangegangene Exposition des Zweckbegriffs. Dem Zweckbegriff als Begriff eines „Kunstzwecks“, also im Bereich vernnftiger Praxis, ist ohne Zweifel objektive Realitt im Sinne von empirischer Realitt zuzugestehen, da „wir uns der Causalitt der Vernunft […] bewußt werden [kçnnen]“ (EEKU XX 234.31 f.).136 Der Zweckbegriff lsst sich nach Kant aber auch am Beispiel „organisirter und sich selbst organisirender Wesen“ empirisch demonstrieren, da diese „die einzigen [Wesen] in der Natur [sind], welche […] doch nur als Zwecke derselben mçglich gedacht werden mssen“ (KU B 295, V 375.26 – 28).137 Gegen die Behauptung der Mçglichkeit eines apriorischen Nachweises der objektiven Realitt des Zweckbegriffs (2) sprechen einerseits die gerade angefhrten Bemerkungen Kants zu dessen Darstellbarkeit im empirischen Bewusstsein der Zweckkausalitt sowie durch das Beispiel „organisirter Wesen“ und andererseits der Sachverhalt, dass nach Kant unter allen theoretischen Begriffen lediglich die objektive Realitt der Kategorien auf 136 Vgl. oben Abschnitt 2.1.2. 137 Vgl. oben Abschnitt 2.1.3.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

apriorische Weise nachgewiesen werden kann.138 Die Mçglichkeit einer apriorischen Demonstration der objektiven Realitt des Zweckbegriffs kann somit ausgeschlossen werden. Alles spricht vielmehr fr die Behauptung der Mçglichkeit eines ausschließlich empirischen Ausweises der objektiven Realitt des Zweckbegriffs (3). Die spezifischen Gegenstandstypen, an denen die objektive Realitt des Zweckbegriffs beispielhaft dargetan werden kann, da sie als Gegenstnde der Erfahrung qualifiziert sind, kçnnen mit Kant ,Kunstprodukt‘ und ,Naturprodukt‘ genannt werden.139 Die empirische Darstellung des Zweckbegriffs kann demnach auf zweierlei verschiedene Weise erfolgen. Die von Kant vor allem in der EEKU, aber auch in der KU verwendete Terminologie aufnehmend, kann sie einerseits als „Technik der Kunst“ und andererseits als „Technik der Natur“ bezeichnet werden.140 Darstellung 138 Dieser Nachweis ist das Kernthema der „Transzendentalen Analytik“ der KrV. Vgl. oben Abschnitte 2.1.2, 2.1.3 und 3.2.1. 139 Zur Bezeichnung ,Kunstprodukt‘ vgl. KU B 89, V 252.35, KU B 201, V 319.4, KU B 279, V 367.4 f., KU B 291, V 373.22, MS VI 287.9 und 25, MS VI 290.17 f. (dort auch: „opus mechanicum“), Anth VII 210.19 (dort auch: „Geistesproduct“), Anth VII 224.22. Zur Bezeichnung ,Naturprodukt‘ im Sinne „organisirte[r] Naturdinge“ (KU B 386, V 428.25) vgl. v. a. GUGR II 380.18, KrV B 654, III 417.4, KU B XXVIII, 181.5, KU B 285, V 370.7, KU B 290, V 373.14, KU B 293, V 375.1, KU B 297, V 377.3, KU B 317, V 388.22 (dort: „organisirte[] Naturproducte“), KU B 331, V 396.26, KU B 346, V 405.32, KU B 353, V 409.25 (dort: „zweckmßige[] Naturproducte“), KU B 358, V 412.24 und 33, KU B 360, V 413.37, KU B 367, V 418.2, KU B 374, V 421.33, KU B 386, V 428.26 f., MS VI 287.8 und 25, MS VI 345.4, EEKU XX 219.11 und EEKU XX 240.32. Kant verwendet statt der Bezeichnung ,Kunstprodukt‘ bzw. ,Naturprodukt‘ auch hufig die Wendungen ,Produkt der Kunst‘ bzw. ,Produkt der Natur‘ (vgl. z. B. BDG II 142.26, KU B XLVII, V 191.23, KU B L, V 193.2 – 4, KU B 174, V 303.21, KU B 179, V 306.14 – 17, KU B 180, V 307.3, KU B 286, V 370.31, KU B 293, V 375.4 f., KU B 321, V 390.34 f., KU B 355, V 411.2, KU B 374, V 422.4 f., EEKU XX 219.19 und 29 f., EEKU XX 234.30, EEKU XX 240.12). Ferner verwendet er statt der Bezeichnung ,Kunstprodukt‘ auch gelegentlich die Bezeichnung ,Kunstwerk‘ (vgl. Prol § 58, IV 360.31 Anm., GTP VIII 181.11, KU B 61 Anm., V 236.28, KU B 174, V 303.14, KU B 290, V 373.9, KU B 449 Anm., V 464.34, KU B 450, V 465.8, EEKU XX 219.26, EEKU XX 251.15). 140 Eine solche Gegenberstellung findet sich etwa in EEKU XX 229.3 f. und (dem Sinn nach) auch in KU B XLIX, V 192.34 – 193.4. Die Wendung ,Technik der Natur‘ bezeichnet „ihre[] productive[] Kraft nach der Regel der Zwecke“ (KU B 322, V 391.16 f., vgl. auch KU B 343, V 404.18, KU B 356, V 411.18, EEKU XX 204.14 und EEKU XX 219.20). Vgl. zu dieser Wendung ferner KU B 56, V 233.30, KU B 77, V 246.5, KU B 269 f., V 360.29 – 24, KU B 324, V 393.3, KU B 369, V 419.6, EEKU XX 205.12, EEKU XX 214.9, EEKU XX 219.29, EEKU XX 232.9 – 11, EEKU XX 234.1, EEKU XX 234.5, EEKU XX 248.20 und EEKU XX

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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eines Begriffs heißt, so Kant im achten Abschnitt der „Einleitung“ in die KU: „dem Begriff eine correspondirende Anschauung zur Seite zu stellen“ (KU B XLIX, V 192.33 f.).

Im ersten Fall, der „Technik der Kunst“, erfolgt sie „durch unsere eigene Einbildungskraft […], wenn wir einen vorhergefaßten Begriff von einem Gegenstande, der fr uns Zweck ist, realisiren“ (KU B XLIX, V 192.35 – 193.2).

Im zweiten Fall, der „Technik der Natur“, erfolgt sie „durch die Natur […] (wie bei organisirten Kçrpern), wenn wir ihr unseren Begriff vom Zweck zur Beurtheilung ihres Products unterlegen“ (KU B XLIX, 193.2 – 4).

Whrend bei der „Technik der Kunst“ einer Zweckvorstellung (Idee) qua „Begriff von einem Gegenstande, der fr uns Zweck ist“, objektive Realitt durch deren Realisierung zugesprochen werden kann, wird bei der „Technik der Natur“ dem Zweckbegriff objektive Realitt dadurch zugesprochen, dass der Natur „unser Begriff vom Zweck zur Beurtheilung ihres Products untergelegt“ wird. Dieser Ausweis der objektiven Realitt des Zweckbegriffs erfolgt allein durch den Verweis auf einen besonderen Gegenstandstyp („organisirte Kçrper“), auf den „unser Begriff vom Zweck“, d. h. der Zweckbegriff, angewendet wird. Sowohl das Vorkommen besonderer Gegenstnde als auch die (objektive) Gltigkeit des Zweckbegriffs werden dabei bereits vorausgesetzt. Beide Voraussetzungen sind in der Folge zu klren. 3.3.3.2 Naturprodukt und Kunstprodukt Whrend dem Zweckbegriff durch die „Technik der Kunst“ und das sie begleitende Bewusstsein einer spezifischen Kausalitt qua „Causalitt durch Zwecke (der Kunst)“ (KU B 332, V 397.13 f.) oder „Kausalitt der Vernunft“ objektive Realitt zukommt, kann im Falle der „Technik der Natur“ gerade nicht auf den objektiv realen Begriff einer spezifischen Kausalitt qua „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ (KU B 332, V 397.15 f.) verwiesen werden, da diesem „seine objective Realitt 250.11 sowie Lehmann 1939, 67 – 74 und Dsing 1968, 55 – 65. Statt der Wendung ,Technik der Natur‘ findet sich in der EEKU auch die Bezeichnung „organische Technik“ (EEKU XX 234.9). Die ,Technik der Kunst‘ kçnnte auch ,praktische Technik‘ genannt werden (vgl. z. B. EEKU XX 243.18 f.)

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3 Exposition des Zweckbegriffs

durch nichts gesichert werden kann“ (KU B 332, V 397.21 f.).141 Der wesentliche Unterschied zwischen der „Technik der Kunst“ und der „Technik der Natur“ betrifft also insbesondere das dritte Bestandsstck des Gehalts des Zweckbegriffs, das ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘, d. h. die Annahme einer Zweckvorstellung („Absicht“): „Denn nur an Producten der Kunst kçnnen wir uns der Caussalitt der Vernunft von Objecten, die darum zweckmßig oder Zwecke heißen, bewußt werden, und in Ansehung ihrer die Vernunft technisch zu nennen, ist der Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens angemessen. Allein die Natur, gleich einer Vernunft sich als technisch vorzustellen (und so der Natur Zweckmßigkeit, und sogar Zwecke beyzulegen), ist ein besonderer Begrif, den wir in der Erfahrung nicht antreffen kçnnen und den nur die Urtheilskraft in ihre Reflexion ber Gegenstnde legt“ (EEKU XX 234.30 – 235.4).

Dem Begriff ,Kausalitt der Vernunft‘ (Zweckkausalitt) kann objektive Realitt mittels Verweis auf die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ „in Ansehung von Producten der Kunst“ zugesprochen werden. Der Zweckbegriff als Kunstzweckbegriff hat also empirische Realitt, da es eine (objektive) Erfahrung der „Caussalitt der Vernunft“ gibt. Seine Darstellung erfolgt im Hervorbringen (Zweckverwirklichung) qua „Technik der Kunst“ als empirischem Geschehen. Die empirische Anschauung von einem bestimmten Gegenstand kann einem bestimmten Begriff (Zweckvorstellung) korrespondieren und entsprechend objektiv gltig durch den Zweckbegriff, mithin der Gegenstand der empirischen Anschauung als Kunstprodukt bestimmt werden.142 Dem Zweckbegriff im Falle seiner Darstellung durch die „Technik der Natur“ ebenfalls mit Verweis auf eine spezifische Kausalitt, genauer einer „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ objektive Realitt zu141 Es ist an dieser Stelle nochmals darauf hinzuweisen, dass Kant zwar „dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern ein Zweck der Natur ist, objective Realitt“ (KU B 295, V 376.1 f.) zuspricht, dem „Begriff[e] einer Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke, noch mehr aber eines Wesen […] als Urgrundes der Natur“ (KU B 332, V 397.15 – 18, H. v. V.) dagegen nicht, „weil ihm, da er nicht aus der Erfahrung gezogen werden kann, auch zur Mçglichkeit derselben nicht erforderlich ist, seine objective Realitt durch nichts gesichert werden kann“ (KU B 332, V 397.20 – 22). Vgl. nochmals oben Abschnitt 2.1.3. Das Problem der Bestimmung eines (empirischen) Gegenstandes als Naturzweck ist dessen Bestimmung als Produkt, ohne dass eine Zweckkausalitt „der Natur“ fr seine Konstitution maßgeblich ist. 142 Vgl. zur Bestimmung eines Gegenstandes als Produkt in einem absolut teleologischen Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ unten Abschnitt 4.1.2.2.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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zusprechen, ist dagegen nicht mçglich, da der Natur selbst dann Zweckvorstellungen („Absichten“) zu unterstellen wren. Ihre Produkte wren dann aber nicht als Naturprodukte, sondern als „Producte gçttlicher Kunst“ (KU B 332, V 397.23) zu bezeichnen.143 Seine objektive Realitt verdankt der Zweckbegriff mit Blick auf Naturprodukte vielmehr allein dem Vorkommen spezifischer Gegenstnde: „Organisirte Wesen sind […] die einzigen in der Natur, welche […] doch nur als Zwecke derselben mçglich gedacht werden mssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern ein Zweck der Natur ist, objective Realitt […] verschaffen“ (KU B 295, V 375.26 – 376.4).

Der Nachweis der objektiven Realitt des Zweckbegriffs wird von Kant also einmal mit Rekurs auf die Erfahrung einer spezifischen Kausalitt (Zweckkausalitt) und auf deren Produkte, im anderen Fall durch bloßes Anfhren eines besonderen Gegenstandstyps („organisirte Wesen“) gefhrt. Genau dieser Unterschied kann als Anzeichen dafr gedeutet werden, dass mit der Unterscheidung zwischen „Technik der Kunst“ und „Technik der Natur“ eine grundlegende Differenzierung des Zweckbegriffs hinsichtlich seiner mçglichen Darstellung erfolgt, nach der der Begriff ,Naturzweck‘ zwar als Analogon zum Begriff ,Kunstzweck‘ verstanden werden muss, aber die Anwendung des Zweckbegriffs aufgrund des Vorkommens eines besonderen Gegenstandstyps in der Erfahrung notwendig ist. Die „Technik der Kunst“ und die „Technik der Natur“ sind demnach als zwei unterschiedliche Modi der Darstellung des Zweckbegriffs zu verstehen. Der Gehalt des Zweckbegriffs wurde durch die drei Bestandsstcke ,technische Synthesis‘, ,technische Einheit‘ und ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ bestimmt. Gerade aber das ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ ist im Falle der „Technik der Natur“ problematisch. Denn sie kçnnte nur eine Vorstellung „eines obersten Verstand[es] als Weltursache“ (KU B 329, V 395.19) sein. Der Begriff eines solchen „Wesens […] als Urgrundes der Natur“ (KU B 332, V 397.16 – 18) hat jedoch keine objektive Realitt. Die Besonderheit des Begriffs ,Naturzweck‘ betrifft genau die Bestimmtheit eines Gegenstandes als Naturprodukt: 143 „Geschhe dieses aber auch, wie kann ich Dinge, die fr Producte gçttlicher Kunst bestimmt angegeben werden, noch unter Producte der Natur zhlen, deren Unfhigkeit, dergleichen nach ihren Gesetzen hervorzubringen, eben die Berufung auf eine von ihr unterschiedene Ursache nothwendig machte?“ (KU B 332 f., V 397.22 – 26).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

„Soll aber ein Ding als Naturproduct in sich selbst und seiner innern Mçglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke enthalten, d. i. nur als Naturzweck und ohne die Causalitt der Begriffe von vernnftigen Wesen außer ihm mçglich sein: so wird […] dazu erfordert: daß die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind“ (KU B 290 f., V 373.14 – 19, H. v. V.).144

Die Einheit des Naturprodukts und die ihr zugrunde liegende Synthesis werden demnach gerade nicht durch einen „Begriff von einem vernnftigen Wesen außer ihm“ als dessen Ursache (Zweckvorstellung) bestimmt. Die Einheit des Naturprodukts ist vielmehr als eine spezifische Einheit dadurch qualifiziert, dass „die Theile voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung“ sind. Nicht ein Begriff (Idee) als Ursache (Zweckvorstellung) bestimmt a priori die Teile, sondern die Teile bestimmen sich wechselseitig. Die Einheit des Naturprodukts und die ihr zugrunde liegende Synthesis kçnnen zwar auch als technische Einheit und technische Synthesis qualifiziert werden, da sie durch die Kategorie ,Ursache und Wirkung‘ bestimmt sind und ein Teil-Ganzes-Verhltnis anzeigen, bei dem „die Idee des Ganzen […] die Form und Verbindung aller Theile bestimme“ (KU B 291, V 373.20 f.). Sie sind als solche aber in wiederum spezifischer Hinsicht qualifiziert: „In einem solchen Producte der Natur wird ein jeder Theil […] als ein die andern Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ [gedacht], dergleichen kein Werkzeug der Kunst […] sein kann: und nur dann und darum wird ein solches Product, als organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden kçnnen“ (KU B 291 f., V 373.35 – 374.8).

Auch das Kunstprodukt kann ein „organisirtes Wesen“145 genannt werden. Aber nur das (organisierte) Naturprodukt ist ein „organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“. Hat die ,Organisation‘ des Kunstprodukts146 ihren Grund allein in der bestimmten Bestimmtheit des Zweckobjekts 144 Vgl. auch oben Abschnitt 2.1.3. 145 Auch im Kunstprodukt „wird ein jeder Theil so, wie er nur durch alle brige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existirend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht“ (KU B 291, V 373.35 – 37). Vgl. z. B. auch OP XXI 187.13 – 25 (dort: „die Materie ist organisirt gleich dem Kunstproduct eines verstndigen Wesens“). 146 Was im Falle des Kunstprodukts hier ,Organisation‘ genannt wird, entspricht der gegliederten Ganzheit des Zweckobjekts, d. h. seiner bestimmten Bestimmtheit durch den ihm zugrunde liegenden Begriff (Zweckvorstellung). Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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durch die Zweckvorstellung, „organisirt sich“ das Naturprodukt „selbst“, indem alle seine Teile die jeweils anderen „hervorbringen“. Bloße ,Organisation‘ ist fr die Bestimmung eines Gegenstandes als Naturprodukt nicht hinreichend, „denn er kçnnte […] so nur als Zweck berhaupt mçglich vorgestellt werden“ (KU B 292, V 374.1 f.). Dem durch den Gedanken einer „Technik der Natur“ spezifizierten Zweckbegriff als Naturzweckbegriff kann also objektive Realitt zugesprochen werden durch den Verweis auf „organisirte und sich selbst organisirende Wesen“ (Naturprodukte). Die dem Zweckbegriff wesentlichen Bestandsstcke der technischen Synthesis und der technischen Einheit sind dabei offenkundig nicht allein durch die Kategorie ,Ursache und Wirkung‘ in ihrer Spezifik, d. h. in ihrer notwendigen Funktion fr ,Hervorbringung‘, bestimmt. Sie sind vielmehr im Falle der „Technik der Natur“ durch die Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung wiederum spezifisch bestimmt. Fr eine solche Spezifizierung ist die Vorstellung des Verhltnisses „der Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)“ (KrV B 106, III 93.13 – 15), d. h. die Kommerziumkategorie als „ein besonderer Actus des Verstandes“ (KrV B 111, III 96.23 f.), notwendig. Konnte die Zweckkausalitt im Zuge der Analyse des Zweckbegriffs allein mittels der Kausalittskategorie hinreichend erklrt werden, indem sie als doppelte Ursache-Wirkung-Relation bestimmt wurde147, ist die Darstellung des Zweckbegriffs durch die „Technik der Natur“ notwendig mit jenem „besonderen Actus des Verstandes“ verknpft, der der disjunktiven Verstandesfunktion (Kommerziumkategorie) entspricht. Das Fehlen des dritten Bestandsstcks des Zweckbegriffs ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ und der daraus resultierende Umstand, dass dem Begriff einer „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ keine objektive Realitt zugesprochen werden kann, sind dabei der Grund fr die Notwendigkeit, das Naturprodukt unter der Maßgabe der Kommerziumkategorie zu bestimmen. Allein unter ihrer Zuhilfenahme ist ein Naturprodukt, d. h. ein Gegenstand, dessen Teile sich wechselseitig hervorbringen, konsistent denkbar.148 147 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. 148 Kants Bestimmung eines Gegenstandes als Naturprodukt im § 65 der KU deckt sich auch tatschlich in weiten Teilen mit seiner Erluterung im § 11 der KrV desjenigen „besonderen Actus des Verstandes“, der mittels der Kommerziumkategorie gedacht wird: Denn wie die Teile des Naturprodukts „sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind“ (KU B 291, V 373.18 f.), wird „in einem Ganzen der Dinge […] nicht eines als Wirkung dem andern als Ursache seines Daseins un-

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Allerdings scheint sich damit ein Problem aufzutun: Denn inwiefern sind die Einheit des Naturprodukts und die ihr zugrunde liegende Synthesis noch als technische Einheit und als technische Synthesis zu bezeichnen, wenn die Kommerziumkategorie – und sei es auch in modifizierter Form – als ein wesentliches Moment der Bestimmtheit des Naturprodukts zu jenen noch hinzuzukommen oder sie vielleicht sogar zu ersetzen scheint? Fr die Auflçsung dieses Problems ist daran zu erinnern, dass die technische Synthesis einerseits als Synthesis eines Mannigfaltigen gemß einer Vorstellung (Begriff, Idee) bestimmt ist, deren darzustellender Gegenstand als Wirkung gesetzt und dessen Bewirkung antizipiert wird149, und die andererseits die technische Einheit dieses Gegenstandes qua nach Kausalverhltnissen gegliedertes Ganzes erzeugt.150 Beide Bestimmungen gelten durchaus, aber in einem spezifizierten Sinn auch fr den Zweckbegriff im Falle seiner Darstellung durch die „Technik der Natur“: Auch der Darstellung des Zweckbegriffs in der „Technik der Natur“ liegen die Bestimmungen eines Gegenstandes als einer Wirkung und als eines gegliederten Ganzen zugrunde. Da als Ursache dieses Gegenstandes als eines Naturprodukts zwar auch ein „Ganzes“, jedoch gerade nicht ein Ganzes als Zweckvorstellung („Absicht“) gelten kann, muss ein Naturprodukt so gedacht werden, dass „es von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist“ (KU B 286, V 370.36 f.), so dass es trotz des Mangelns einer (urschlichen) Zweckvorstellung als Darstellung des Zweckbegriffs gelten kann. Das Naturprodukt als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen wird gemß der Kommerziumkategorie bestimmt151, so dass eine Vorstellung (Begriff, Idee) als Ursache fr seine Zweckmßigkeit nicht notwendig ist und dennoch seine „Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch tergeordnet, sondern zugleich und wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern beigeordnet […]; welches eine ganz andere Art der Verknpfung ist, als die, so im bloßen Verhltniß der Ursache zur Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge nicht wechselseitig wiederum den Grund bestimmt und darum mit diesem (wie der Weltschçpfer mit der Welt) nicht ein Ganzes ausmacht“ (KrV B 112, III 4 – 12, H. v. V.). 149 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 150 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1. 151 Es kann hier offen bleiben, ob und inwiefern die der Kommerziumkategorie gemße Bestimmung eines Gegenstandes als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen eine wiederum spezifische Schematisierung impliziert (vgl. zum Schema der Kommerziumkategorie ,Zugleichsein‘ KrV B 183, III 138.5 – 8). Es scheint aus der hier angedeuteten Perspektive sogar naheliegend, den Begriff ,wechselseitige Hervorbringung‘ als Prdikabile der Kommerziumkategorie zu rekonstruieren. Dem kann an dieser Stelle allerdings nicht nachgegangen werden.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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ihre Beziehung auf das Ganze mçglich sind“ (KU B 290, V 373.5 f.). Allein die Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung, die ihren Ursprung in der disjunktiven Verstandesfunktion (Kommerziumkategorie) hat, erlaubt die Bestimmung eines Naturprodukts als eines organisierten und sich selbst organisierenden Wesens, dessen jeder Teil „zugleich und wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern beigeordnet wird“ (KrV B 112, III 97.5 f.). Und nur durch sie „ist es allein mçglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung der Theile bestimme: nicht als Ursache – denn da wre es ein Kunstproduct –, sondern als Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist, fr den, der es beurtheilt“ (KU B 291, V 373.20 – 25, H. v. V.).

Das dritte Bestandsstck des Zweckbegriffs findet sich demnach auch in seiner Darstellung im Naturprodukt durch die „Technik der Natur“ wieder. Es findet sich aber in modifizierter Form wieder: Es ist nicht mehr als ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘, sondern als ,Vorhandensein einer Idee als mçglichen Erkenntnisgrunds‘ zu bezeichnen. Der Grund, warum Naturprodukte qua organisierte und sich selbst organisierende Wesen als Beispiele fr den Zweckbegriff gelten kçnnen, ist demnach nicht eine ihnen als Ursache zugrundeliegende Zweckvorstellung. Vielmehr macht die Urteilskraft „in vorkommenden Fllen (gewisser Producte) […] von dem Begriff der Zwecke Gebrauch“ (KU B LI, V 193.35 – 37). Die hier angesprochenen „vorkommenden Flle gewisser Produkte“ sind nichts weiter als die organisierten und sich selbst organisierenden Wesen als empirische Gegenstnde. Diese sind Gegenstnde der Erfahrung, „nmlich derjenigen, welche methodisch angestellt wird und Beobachtung heißt“ (KU B 296, V 376.16 f.). Gibt ein empirischer Gegenstand im Zuge seiner Beobachtung Anlass dazu, ihn als „organisirtes Product der Natur […], in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“ (KU B 295 f., V 376.12 f.), zu beurteilen, dann liegen „jene Zwecke [und Mittel, S.K.] allein in der Idee des Beurtheilenden und nirgend in einer wirkenden Ursache“ (KU B 296, V 376.20 f.). Die Bestimmtheit des Naturprodukts als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen ist zwar spezifische Bestimmtheit insofern, als sie Bestimmtheit gemß der Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung ist, die ihren Ursprung in der disjunktiven Verstandesfunktion (Kommerziumkategorie) hat. Sie ist gleichwohl Bestimmtheit im Sinne des Zweckbegriffs, mithin Bestimmtheit des Naturprodukts als Naturzweck, um

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3 Exposition des Zweckbegriffs

„nach einer entfernten Analogie mit unserer Causalitt nach Zwecken berhaupt die Nachforschung ber Gegenstnde dieser Art zu leiten und ber ihren obersten Grund nachzudenken“ (KU B 295, V 375.19 – 22).

Fr die „Nachforschung ber“ solche Naturprodukte und fr das „Nachdenken ber ihren obersten Grund“ ist der Zweckbegriff demnach unerlsslich. Denn da die spezifische Bestimmtheit des Naturprodukts als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen die Vorstellung einer „sich fortpflanzende[n] bildende[n] Kraft“ (KU B 293, V 374.24 f.) impliziert und somit dessen „Erzeugung […] nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen mçglich beurtheilt werden“ (KU B 314, V 387.3 – 7) kann152, ist fr die Mçglichkeit ihrer „Beurtheilung […] ein ganz anderes Gesetz der Causalitt, nmlich das der Endursachen“ (KU B 314, V 387.8 f.) notwendig. Fr die Bestimmtheit des Naturprodukts als Bestimmtheit im Sinne des Zweckbegriffs bedeutet dies, dass sie nur subjektive Bestimmtheit des Naturprodukts als Naturzweck ist und die Beurteilung eines empirischen Gegenstandes als Naturzweck nur subjektive Gltigkeit beanspruchen kann.153 Fr die Auflçsung des Problems, inwiefern die „Technik der Natur“ noch als Technik verstanden werden kann, wenn der spezifischen Bestimmtheit ihrer Produkte die Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung zugrunde liegt, muss also zwischen objektiver Realitt und subjektiver Gltigkeit des Begriffs ,Naturzweck‘ unterschieden werden. Darstellung des Zweckbegriffs an einem empirischen Gegenstand und Beurteilung eines empirischen Gegenstandes als Produkt sind nicht identisch. Sie korrelieren zwar im Falle der „Technik der Kunst“, aber nicht im Falle der „Technik der Natur“. Zwar kann der Begriff ,Naturzweck‘ als eine Spezifikation des Zweckbegriffs begriffen werden, dessen Gehalt durch die drei Bestandsstcke ,technische Synthesis‘, ,technische Einheit‘ und ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ hinreichend bestimmt ist. Der Begriff ,Naturzweck‘ ist aber nicht ausschließlich ein Analogon zum Begriff ,Kunstzweck‘. Kant bringt dies mit der folgenden Formulierung, die sich ebenfalls in § 65 der KU findet, auf den Punkt: 152 „Ein organisirtes Wesen ist also nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich bewegende Kraft; sondern es besitzt in sich bildende Kraft und zwar eine solche, die es den Materien mittheilt, welche es nicht haben (sie organisirt): also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermçgen allein (den Mechanism) nicht erklrt werden kann“ (KU B 292 f., V 374.21 – 26). 153 Das naturteleologische Urteil ist folgerichtig als reflektierendes Urteil zu bestimmen. Vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.1.2.1.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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„Man sagt von der Natur und ihrem Vermçgen in organisirten Producten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt; denn da denkt man sich den Knstler (ein vernnftiges Wesen) außer ihr. Sie organisirt sich vielmehr selbst“ (KU B 293, V 374.27 – 30, H. tw. v. V.).

Ein Naturprodukt kann als „organisirtes Product“ ebenso wie das Kunstprodukt als Beispiel fr die objektive Realitt des Zweckbegriffs dienen, da sich an ihm alle drei Bestandsstcke des Gehalts des Zweckbegriffs finden lassen. Dessen drittes Bestandsstck ist im Falle des Naturprodukts aber in modifizierter Form gegeben, nmlich als „Erkenntnißgrund“ und nicht als „Ursache“. Denn das Naturprodukt ist im Unterschied zum Kunstprodukt eben nicht nur „organisirtes Wesen“, sondern auch „sich selbst organisirendes Wesen“. Seine ,Organisation‘ ist nicht das Werk eines „Knstlers (eines vernnftigen Wesens)“, sondern es „organisirt sich vielmehr selbst“.154 Bei der Bestimmung eines solchen Naturprodukts als Naturzweck fungiert nicht eine Zweckvorstellung („Absicht“) als Ursache, sondern der Zweckbegriff selbst als „Erkenntnißgrund“, so dass trotz der spezifischen Bestimmtheit des Naturprodukts „die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theile bestimme“ (KU B 291, V 373.20 f.). D. h.: „Organisirte und sich selbst organisirende Wesen“ sind als organisierte Wesen unter dem Zweckbegriff als Erkenntnisgrund enthalten.155 Ihrer spezifischen Bestimmtheit liegt zwar die Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung zugrunde. Aber diese ist dennoch auch Vorstellung von ,Hervorbringung‘. Zwar „sagt man“ „von der Natur und ihrem Vermçgen in organisirten Producten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt“, da die Bestimmtheit des Naturprodukts nicht mit der Bestimmtheit des Kunstprodukts identisch, sondern spezifische Bestimmtheit gemß der Vorstellung wechselseitiger Hervorbringung ist. Die Bestimmtheit des Naturprodukts ist aber dennoch dem Gehalt des Zweckbegriffs gemße, wenn auch allein durch ihn nicht 154 In die Beurteilung eines organisierten und sich selbst organisierenden Wesens als Naturzweck ist die Vorstellung „einer absichtlichen Causalitt einer hçchsten Ursache“ (KU B 336, V 399.15 f.) involviert, da „wir diese Dinge nur unter der Idee der Zwecke in ihrer Causalverbindung verfolgen und diese nach ihrer Gesetzmßigkeit erkennen kçnnen“ (KU B 336, V 399.22 – 24, H. v. V.). Sie fhrt auf den Begriff eines intuitiven Verstandes als Idee der reflektierenden Urteilskraft (vgl. bes. § 75 der KU). Vgl. dazu Dsing 1968, 66 – 74 und Dçrflinger 2010b. 155 „Ein jeder Begriff, als Theilbegriff, ist in der Vorstellung der Dinge enthalten, als Erkenntnißgrund, d. i. als Merkmal sind diese Dinge unter ihm enthalten. In der erstern Rcksicht hat jeder Begriff einen Inhalt, in der andern einen Umfang“ (Log § 7, IX 95.27 – 30).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

vollstndig bestimmte Bestimmtheit. Dem Zweckbegriff ist also mit dem Verweis auf das Vorkommen „organisirter und sich selbst organisirender Wesen“ als empirischer Gegenstnde objektive (empirische) Realitt zuzusprechen. Ihm eignet objektive Realitt als spezifischem Zweckbegriff, „der nicht ein praktischer, sondern Zweck der Natur ist“ (KU B 295, V 376.1 f.). Der von Kant hier so genannte „praktische“ Zweck ist dagegen ein Zweck als Kunstzweck. Im Bereich der „Technik der Kunst“ erhlt der Zweckbegriff objektive Realitt durch den Verweis auf die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ „in Ansehung von Producten der Kunst“. Sowohl die spezifische Form als auch die Existenz eines Kunstprodukts grnden in „der Vorstellung von Zwecken, d. i. absichtlich wirkende[n] Ursache[n]“ (EEKU XX 236.26 f.). Die Zweckvorstellung bestimmt a priori die Form des als im Kunstprodukt realisierten Zweckobjekts. Und sie fungiert insofern als mçgliche Ursache der Existenz des Kunstprodukts, als sie die zur Hervorbringung des Zweckobjekts notwendige Regel antizipiert und als erstes Relat in der als doppelte GrundFolge-Relation bestimmten Zweckkausalitt fungieren kann.156 Wenn sie tatschlich als dieses fungiert, dann ist sie „absichtlich wirkende Ursache“ qua „Bestimmungsgrund der Willkr“ (KpV A 39, V 21.21). Denn da „die Vorstellung an sich selbst […] ihren Gegenstand dem Dasein nach nicht hervorbringt“ (KrV B 125, III 104.12 – 14), kann sie eine „absichtlich wirkende Ursache“ nur dann genannt werden, wenn „von deren Causalitt vermittelst des Willens […] die Rede [ist]“ (KrV B 125, III 104.13 f.).157 Die Zweckvorstellung ist insofern mittelbare Ursache der Existenz des Kunstprodukts, als sie einen „Willen“ bestimmt. Mit dem Terminus ,Wille‘ ist hier der Wille als Begehrungsvermçgen gemeint. Und gemß seiner „Erklrung“ des Begehrungsvermçgens in der „Vorrede“ zur KpV 158 bestimmt Kant den „Willen als Begehrungsvermçgen“ in der „Einleitung“ der KU als „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt“ (KU B XII, V 172.4 – 6). Die mittelbare Ursache der Existenz des Kunstprodukts, d. h. das erste Relat der doppelten Grund-Folge-Relation qua Zweckkausalitt, ist demnach der 156 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2 157 Vgl. oben Abschnitte 3.2.3 und 3.3.1. 158 „Das Begehrungsvermçgen ist das Vermçgen [eines Wesens], durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm., V 9.20 – 22, hier o. H.). Vgl. auch oben Abschnitt 3.1.1.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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durch einen Begriff (Zweckvorstellung) bestimmte Wille.159 Da aber „der Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens doch empirisch gegeben werden muss“ (KU B XII, V 172.4 f.), kann auch dem Zweckbegriff als Kunstzweckbegriff nur empirische Realitt zugesprochen werden. Dass der Zweckbegriff ein objektiv realer Begriff ist, ist demnach zwei (voneinander unabhngigen) empirischen Tatsachen160 geschuldet: einerseits dem Vorkommen organisierter und sich selbst organisierender Wesen und andererseits dem Vorkommen von wollenden Wesen, deren Begehrungsvermçgen durch Begriffe bestimmt wird. Die Darstellung des Zweckbegriffs als „Technik“ ist entsprechend eine zweifache: eine „Technik der Natur“ und eine „Technik der Kunst“. 3.3.3.3 Objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs Allerdings bleibt zu fragen, aus welchem Grund der Zweckbegriff berhaupt einer Darstellung fhig sein kann.161 Weiter oben wurde behauptet, dass die objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs im Falle seiner Anwendung bei der Beurteilung von Naturprodukten als Naturzwecken bereits vorausgesetzt wird. Diese Behauptung kann auf zweierlei verschiedene Weise verstanden werden: Einerseits derart, dass dem Zweckbegriff insofern objektive Gltigkeit zukommt, als er im Falle der „Kunst“ durch den Verweis auf die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ „in Ansehung von Producten der Kunst“ ein objektiv (empirisch) realer Begriff ist, und seine Anwendung bei der Beurteilung von Naturprodukten als Naturzwecken daher auf einer Analogie beruht, die die objektive (empirische) Realitt des Begriffs ,Kunstzweck‘ voraussetzt. Die angesprochene Behauptung kann aber andererseits auch derart verstanden werden, dass dem Zweckbegriff objektive Gltigkeit auch unabhngig von seiner spezifischen Darstellung qua „Technik der Kunst“ zukommt. Im ersten Fall sind Gltigkeit und Realitt des Zweckbegriffs nur mit Blick auf die Beurteilung von Naturprodukten als Naturzwecken zu unterscheiden: 159 Die unmittelbare Ursache der Existenz des Kunstprodukts, d. h. das zweite Relat der doppelten Grund-Folge-Relation (Zweckkausalitt), ist (bzw. sind) dagegen das (bzw. die) Mittel. 160 „Gegenstnde fr Begriffe, deren objective Realitt (es sei durch reine Vernunft, oder durch Erfahrung […], in allen Fllen aber vermittelst einer ihnen correspondirenden Anschauung) bewiesen werden kann, sind (res facti) Thatsachen“ (KU B 456, V 468.12 – 16). 161 Dass der Zweckbegriff einer Darstellung fhig ist, beweisen die beiden angegebenen Tatsachen, die eine zweifache „Technik“ anzunehmen rechtfertigen, mittels der wiederum erklrt werden kann, wie er einer Darstellung fhig ist.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Da mittels „Technik der Kunst“ dem Zweckbegriff objektive (empirische) Realitt zukommt, kann der auf diese Weise auch als objektiv gltig ausgezeichnete Zweckbegriff bei der Beurteilung von Naturprodukten als Naturzwecken mit subjektiver Gltigkeit vorausgesetzt werden. Im zweiten Fall kann dagegen grundstzlich zwischen Gltigkeit und Realitt des Zweckbegriffs unterschieden werden, mithin auch im Bereich der „Kunst“ und bei der Beurteilung von Kunstprodukten als Kunstzwecken. Die Frage nach einer von seiner empirischen (objektiven) Realitt zu unterscheidenden objektiven Gltigkeit 162 des Zweckbegriffs lsst formal die folgenden Antworten zu: (1) Dem Zweckbegriff kommt weder hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Kunst“ noch hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Natur“ eine von seiner empirischen Realitt zu unterscheidende objektive Gltigkeit zu. (2) Dem Zweckbegriff kommt sowohl hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Kunst“ als auch hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Natur“ eine von seiner empirischen Realitt zu unterscheidende objektive Gltigkeit zu. (3) Nur hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Kunst“ kommt dem Zweckbegriff eine von seiner empirischen Realitt zu unterscheidende objektive Gltigkeit zu. (4) Nur hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Natur“ kommt dem Zweckbegriff eine von seiner empirischen Realitt zu unterscheidende objektive Gltigkeit zu. Die Antworten (2) und (4) kçnnen nach den vorangegangenen Ausfhrungen zum Begriff des Naturzwecks sogleich als geeignete Antworten auf die Frage nach einer von seiner empirischen (objektiven) Realitt zu unterscheidenden objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs verworfen werden. Denn dem Zweckbegriff kann zwar mit dem Verweis auf Naturprodukte als organisierten und sich selbst organisierenden Wesen ob162 Eine explizite Unterscheidung zwischen objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt findet sich in der Kantliteratur z. B.mit Blick auf die (transzendentalen) Ideen bei B. Bauch (vgl. Bauch 19212, 274 – 276), mit Blick auf die Kategorien bei K. Cramer (vgl. Cramer 1985, Kap. 9) und mit Blick auf alle theoretischen Begriffe bei R. Hanna (Hanna 2006, 83 – 95). Hannas Interpretation ist allerdings aus exegetischen Grnden zu verwerfen, da sie nicht zwischen objektiver Realitt und Modalbestimmung im Urteil unterscheidet (vgl. dazu Hiltscher 2006c). Fr eine przise Analyse von Kants Anwendung der Begriffe ,objektive Gltigkeit‘ und ,objektive Realitt‘ in der KrV (sowohl mit Blick auf die reinen Anschauungsformen, die Kategorien als auch die transzendentalen Ideen) vgl. Zçller 1984.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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jektive Realitt, dem Naturzweckbegriff aber nur subjektive Gltigkeit zugesprochen werden. Allein die Antworten (1) und (3) scheinen diskutabel zu sein. Es stellt sich also die Frage nach einer von seiner empirischen (objektiven) Realitt qua „Technik der Kunst“ unabhngigen objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs. Im Falle von Zweckvorstellungen ist, wie oben gezeigt wurde163, zwischen ihrer objektiven Gltigkeit und objektiven Realitt zu unterscheiden, da noch vor der Realisierung des Zweckobjekts durch die „Kunst“ (Zweckverwirklichung) die Realmçglichkeit seiner Hervorbringung erkannt werden kann. Die notwendige Bedingung hierfr ist das bereinkommen des hervorzubringenden Gegenstandes (Zweckobjekt) mit den „formalen Bedingungen der Erfahrung“. Nur wenn diese erfllt ist, kann eine einzelne Zweckvorstellung – noch vor der Verwirklichung ihres Zweckobjekts durch die „Kunst“ – als objektiv gltige qualifiziert werden.164 Die Frage nach einer von seiner empirischen (objektiven) Realitt zu unterscheidenden objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs lsst sich im Anschluss an diese Unterscheidung von objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt von Zweckvorstellungen und in einem ersten Schritt als Frage danach verstehen, ob die Realmçglichkeit von Hervorbringung berhaupt165 auch ohne Zuhilfenahme des empirischen Begriffs eines durch Begriffe bestimmten Willens als „einer der mancherlei Naturursachen in der Welt“, mithin a priori erkannt werden kann. Um dem Zweckbegriff objektive Gltigkeit in diesem Sinne zusprechen zu kçnnen, muss also von der „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ und somit von dem empirischen „Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens“ abgesehen werden. Es kçnnen lediglich die Prinzipien der reinen Sinnlichkeit (Anschauungsformen), des reinen Verstandes (Kategorien und Grundstze) und der reinen Vernunft (transzendentale Ideen) vorausgesetzt werden, deren Inbegriff als ,transzendentales Subjekt‘ bezeichnet werden kann.166 Als „Bedingungen der 163 Vgl. oben Abschnitt 3.2.2. 164 Die Zweckvorstellung ist als objektiv gltige qualifiziert, wenn die zur Hervorbringung geeigneten Mittel angegeben werden. Diese Angabe erfolgt im technischen Satz. Vgl. dazu unten Abschnitt 4.1, bes. 4.1.3. 165 ,Hervorbringung berhaupt‘ kann als Zwecksetzung und Zweckverwirklichung umfassender Begriff genommen werden. Diese Wendung dient hier lediglich zur Abgrenzung von der Aufgabe einer Erkenntnis der Realmçglichkeit von Hervorbringung einzelner Zweckobjekte. Vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.1.3. 166 Das transzendentale Subjekt ist also der Inbegriff aller transzendentalen, d. h. Gegenstndlichkeit konstituierenden und regulierenden Prinzipien.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Mçglichkeit von Erfahrung“ sind sie auch als „Bedingungen der Mçglichkeit von Hervorbringung“ qualifiziert. Wie gesehen, fllt die Mçglichkeit der objektiven Gltigkeit von Zweckvorstellungen mit der Mçglichkeit der Erfahrung zusammen: Alles – im Sinne der formalen Bedingungen der Erfahrung – Erfahrbare kann auch gltig als Zweck (objekt) vorgestellt werden.167 Allerdings scheint es offensichtlich zu sein, dass mit einem Beweis der Gltigkeit der transzendentalen Prinzipien nicht zugleich der Beweis der objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs erbracht ist. Zwar geben die „formalen Bedingungen der Erfahrung“ an, was als mçglicher Gegenstand der Erfahrung gelten kann. Ein ihnen entsprechender Gegenstand ist allein durch diese Entsprechung aber noch nicht als ein hervorzubringender Gegenstand (Zweckobjekt) qualifiziert. Zwar mag der Gehalt des Zweckbegriffs vçllig a priori erzeugt werden kçnnen.168 Damit ist aber nicht zugleich der Ausweis seiner (objektiven) Gltigkeit oder auch (objektiven) Realitt erbracht. Zwar mag die technische Vernunft lediglich als „praktische[r] Gebrauch des Verstandes“ (KrV B 384, III 254.23) verstanden werden, der per se die Gltigkeit der transzendentalen Prinzipien voraussetzt. Ein solcher Gebrauch erfordert aber als Gebrauch zudem auch noch das Vorhandensein („Dasein“) von begrifflichen Vorstellungen, die als Zweckvorstellungen fungieren kçnnen. Die spezifische Bestimmtheit des Zweckbegriffs beinhaltet die Voraussetzung des Vorhandenseins begrifflicher Vorstellungen, da ohne sie die Vernunft nicht selbst als (real mçgliche) Ursache ihrer Gegenstnde, d. h. als technische Vernunft qualifiziert wre. Das Vorhandensein begrifflicher Vorstellungen ist insofern notwendige Bedingung fr die spezifische Bestimmtheit der Vernunft als technischer Vernunft, als fr diese die Antizipation der Form und Existenz (Dasein) der als Zweckobjekte zu bestimmenden Gegenstnde notwendig ist. Diese Antizipation erfolgt in begrifflichen Vorstellungen (Zweckvorstellungen), die zudem als mittelbare Ursachen der Existenz ihrer Produkte fungieren. Technische Vernunft als „hervorbringende“ Vernunft ist daher nicht mit dem ,transzendentalen Subjekt‘ als dem erkennenden Subjekt gleichzusetzen. Vielmehr ist das technische Subjekt sowohl mittels seiner Zweckvorstellungen die Existenz (Dasein) und die Form seiner Gegenstnde antizipierendes als auch die derart als Zweckobjekte bestimmten Gegenstnde hervorbringendes Subjekt. 167 Vgl. oben Abschnitt 3.2.2. 168 Vgl. dazu unten Abschnitt 4.2.2.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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Die Unterscheidung dieser beiden Momente der Antizipation und der Hervorbringung ist aber nicht nur fr die Beantwortung der Frage nach der objektiven Gltigkeit von Zweckvorstellungen, sondern auch fr die Beantwortung der Frage nach der objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs entscheidend. Denn whrend das Moment der Hervorbringung die Verwirklichung des Zweckobjekts, mithin die objektive (empirische) Realitt des Zweckbegriffs betrifft, die (im Falle der „Technik der Kunst“) den empirischen Begriff des „Begehrungsvermçgens als eines Willens“ voraussetzt, betrifft das Moment der Antizipation die Setzung des Zweckobjekts, mithin die (fragliche) objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs. Die Setzung eines Zweckobjekts in einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘ impliziert zwar die gltige Anwendung der (schematisierten) Kausalittskategorie im Kontext der Verwirklichung des Zweckobjekts, aber nicht auch schon den empirischen Begriff des „Begehrungsvermçgens als eines Willens“. Denn das einen Gegenstand x als Zweckobjekt setzende Subjekt bestimmt sich zwar als mçgliche, aber damit nicht auch schon als tatschliche Ursache fr dessen Hervorbringung (Verwirklichung). Ein Gegenstand x kann in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ vielmehr auch objektiv gltig als Zweckobjekt gesetzt werden, ohne dass das Dasein dieses Gegenstandes notwendigerweise auch von einem Subjekt gewollt wird. Der als Zweckobjekt zu qualifizierende Gegenstand muss lediglich als Wirkung gesetzt und seine Bewirkung (Hervorbringung) als real mçglich beurteilt werden. Das Zweckurteil ist ein theoretisches, kein praktisches Urteil.169

169 Ein theoretisches Urteil „[legt] den Begriff einer Natur berhaupt durch den Verstand“ (KU B 134, V 280.31), ein praktisches Urteil „die Idee der Freiheit als a priori durch die Vernunft gegeben zum Grunde“ (KU B 134, V 280.32 f.). Demnach ist im Falle praktischer Urteile das „Princip[] der Mçglichkeit ihrer Gegenstnde […] der Freiheitsbegriff“ (KU B XI, 171.14 f.) und sie selbst sind als „moralisch-praktisch“ (KU B XIII 172.16 f.) zu kennzeichnen. In einem gewissen (weiten) Sinne kçnnen aber auch „technisch-praktisch[e] [Principien]“ (KU B XIII, 172.15 f.) als praktische Urteile verstanden werden, insofern diese als (hypothetische) Imperative die Bestimmung eines Willens betreffen. Sie gehçren gleichwohl „zur theoretischen Philosophie (als Naturlehre)“ (KU B XIII, 172.19 f.). Vgl. dazu auch Kants Unterscheidung theoretischer und praktischer „Erkenntnisse“ in Log IX 86.9 – 87.2. sowie nochmals oben Abschnitt 1.2.3. Zum Unterschied zwischen hypothetischen Imperativen als praktischen Urteilen (im weiten Sinne) und teleologischen Urteilen, technisch-praktischen Regeln bzw. technischen Stzen als theoretischen Urteilen vgl. unten Abschnitt 4.1.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Die objektive Gltigkeit der „formalen Bedingungen der Erfahrung“170 ist also notwendige Bedingung fr die Qualifikation des Zweckbegriffs als eines objektiv gltigen Begriffs. Sie ist aber fr eine solche Qualifikation noch nicht hinreichend, da bei ausschließlicher Voraussetzung der objektiven Gltigkeit der transzendentalen Prinzipien die Vernunft nur als theoretische Vernunft qua transzendentales Subjekt, aber nicht auch als technische Vernunft ausgezeichnet ist. Unter den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ kommt hinsichtlich der Auszeichnung der (theoretischen) Vernunft als technischer Vernunft (a) der (schematisierten) Kausalittskategorie bzw. dem Kausalittsprinzip eine besondere Bedeutung zu: (a) Das Kausalittsprinzip muss fr die objektive Gltigkeit der Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts vorausgesetzt werden, da ohne die Voraussetzung derjenigen „Nothwendigkeit der synthetischen Einheit“ (KrV B 234, III 167.32), wie sie im „Begriff des Verhltnisses der Ursache und Wirkung“ (KrV B 234, III 167.34 – 168.1) gedacht wird, die Mçglichkeit des Erfolgs der Hervorbringung eines Zweckobjekts gar nicht erkannt, sondern bloß angenommen werden kçnnte. Da die Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts auch die Antizipation der Regel seiner Hervorbringung beinhaltet und diese Regel als eine Ursache-Wir170 Mit Blick auf die transzendentalen Ideen der reinen Vernunft scheint die Rede von einer objektiven Gltigkeit problematisch zu sein. Dass den transzendentalen Ideen nach Kant Gltigkeit zukommt, ist nicht zu bestreiten. Sie sind aber bloß regulative Prinzipien (vgl. KrV B 670 – 696, III 426.23 – 442.8, bes. KrV B 675, III 429.23 – 31), d. h. fr die Regulation der Erkenntnis sind sie gltige Prinzipien. Als (bloßen) Begriffen kommt ihnen allerdings keine objektive Realitt zu (vgl. nochmals oben Abschnitte 2.2.1 und 2.2.2.2). B. Bauch etwa hat mit Blick auf die transzendentalen Ideen explizit zwischen objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt unterschieden (vgl. Bauch 19212, 274 – 276). Seine Unterscheidung zielt darauf, dass die Ideen zwar keine objektive Realitt haben, mithin nur von „subjektivem Gebrauch“ sind, aber insofern als objektiv gltig qualifiziert sind, als sie als „Aufgabe[n] fr das Subjekt selbst“ (Bauch 19212, 275) notwendig sind. Damit der Gebrauch der Ideen, so Bauch, berhaupt (subjektiv) gltig sein kann, muss ihnen objektive Gltigkeit zukommen. W. Flach scheint sich in diesem Punkt Bauch implizit anzuschließen, indem auch er den (transzendentalen) Ideen mit Kant eine „objective, aber unbestimmte Gltigkeit“ (KrV B 691, III 439.9) bzw. „einige objective Gltigkeit“ (KrV B 692, III 439.27) einrumt (vgl. Flach 2002, 64 – 66). Den (transzendentalen) Ideen kommt in ihrem regulativen Gebrauch nach Flach insofern objektive Gltigkeit zu, als sie den „Sachzusammenhang der Erkenntnis“ (65) begrnden. Wie auch immer Bauchs und Flachs Interpretationen im Detail einzuschtzen sind, kann an sie in dem Sinne angeschlossen werden, als auch der Zweckbegriff notwendig sowohl fr die Hervorbringung von Zweckobjekten als auch fr die Erkenntnis organisierter und sich selbst organisierender Wesen ist.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

203

kung-Relation mit den Relaten ,Mittel‘ und ,Produkt‘ zu bestimmen ist, muss fr die Realmçglichkeit einer Hervorbringung das Kausalittsprinzip vorausgesetzt werden. Es sind aber noch zwei weitere Voraussetzungen notwendig, um die Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts in einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘ als objektiv gltige auszeichnen zu kçnnen: (b) das transzendentale Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur und, wie bereits mehrfach bemerkt wurde, (c) das Vorhandensein von Zweckvorstellungen. Die Notwendigkeit dieser beiden Voraussetzungen kann folgendermaßen erlutert werden: (b) Das transzendentale Prinzip der formalen Zweckmßigkeit der Natur, dem zufolge die Natur als ein „System[] nach empirischen Gesetzen“ (KU B XXXIII, V 183.28, H. v. V.) anzusehen ist, muss fr die objektive Gltigkeit der Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts vorausgesetzt werden, da ohne die Voraussetzung „einer gewissen Ordnung der Natur in den besonderen Gesetzen derselben“ (KU B XXXV, V 184.30 f.) „sich der Verstand in sie nicht finden kçnnte“ (KU B L, V 193.29). Da fr die Qualifikation eines Begriffs als objektiv gltige Zweckvorstellung, mithin fr die technisch-schematische Darstellung des Zweckobjekts (empirische) Kausalverhltnisse maßgeblich sind171, wrde eine ausschließlich nach ihren transzendentalen (allgemeinen) Gesetzen bestimmte Natur die Mçglichkeit einer objektiven Gltigkeit der Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts dem Zufall berlassen. Denn eine ausschließlich nach ihren transzendentalen (allgemeinen) Gesetzen bestimmte Natur kçnnte „aus einem fr uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich Mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe“ (KU B XXXVII, V 185.31 f.) beschaffen sein, dass eine erfolgreiche Hervorbringung eines Zweckobjekts als bloßer Zufall oder gar als unmçglich erscheint.172 Die Annahme „einer gewissen Ordnung der Natur in den besonderen Regeln derselben“ (KU B XXXV, V 184.30 f.) ist demnach notwendige Voraussetzung der objektiven Gltigkeit der Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts.173 171 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1 und unten Abschnitte 4.1.3 sowie 4.2.1. 172 Auf die Orientierungsfunktion des transzendentalen Prinzip der formalen Zweckmßigkeit der Natur (vgl. auch KU B L, 193.10) – gerade auch mit Blick auf die Mçglichkeit von Hervorbringung qua Zweckverwirklichung – weist ausdrcklich K. Dsing hin (vgl. Dsing 1968, bes. 59 f. und 100 f.). 173 Vgl. zum Prinzip der formalen Zweckmßigkeit der Natur als notwendiger Voraussetzung fr die objektiven Gltigkeit des Zweckurteils auch unten Abschnitt 4.2.1.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

(c) Das Vorhandensein von Zweckvorstellungen, mithin von diskursiv denkenden Wesen muss fr die objektive Gltigkeit der Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts vorausgesetzt werden, da ohne jene gar keine Zweckkausalitt als „eine besondere Art der Causalitt, nmlich einer absichtlich wirkenden Ursache“ (KU B 397, V 434.17 f.) denkbar ist. Das dritte Bestandsstck ,Vorhandensein einer Idee als mçglicher Ursache‘ ist notwendige Bedingung fr Zwecksetzung berhaupt, da Hervorbringung ohne Zweckvorstellung als begrifflicher Ursache nicht real mçglich sein kann. Im Gegensatz zu der Voraussetzung der objektiven Gltigkeit der (schematisierten) Kausalittskategorie bzw. des Kausalittsprinzips (a) scheinen die Voraussetzungen (b) und (c) mit Blick auf eine mutmaßliche objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs allerdings problematisch zu sein. Denn whrend die objektive Realitt der Kausalittskategorie von Kant im Zuge seiner Erçrterung des Kausalittsprinzips in der „Analytik der Grundstze“ der KrV auch ausfhrlich bewiesen wird174, mangelt es dem „transcendentale[n] Begriff einer Zweckmßigkeit der Natur“ (KU B XXIV, V 184.10 f.) nach Kant gerade an objektiver Realitt.175 Und whrend der Kausalittskategorie als schematisierter Kategorie objektive Realitt a priori zukommt176, ist die Realitt von Zweckvorstellungen dagegen empirische Realitt – mithin ist nicht nur das Vorkommen wollender Wesen, sondern auch das Vorkommen (diskursiv) denkender Wesen, deren Begriffe als Zweckvorstellungen und somit als Ursachen wirken kçnnen, lediglich eine empirische Tatsache. Allerdings muss an dieser Stelle bedacht werden, in welchem Sinn hier nach der objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs, d. h. nach der a priori erkennbaren Realmçglichkeit von Hervorbringung, gefragt wird. Denn die subjektive Realitt bzw. die empirische Realitt der ein oder anderen Voraussetzung fr die objektive Gltigkeit einer Zwecksetzung bedeutet nicht eo ipso eine subjektive Realitt oder eine ausschließlich empirische Realitt des Zweckbegriffs selbst. Vielmehr ist die objektive Gltigkeit der 174 Vgl. KrV B 232 – 256, III 167.1 – 180.20. Dieser Beweis muss hier nicht diskutiert werden. 175 Vgl. z. B. KU B XXXIV, V 184.10 – 16 (dort: „weder ein Naturbegriff, noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt, sondern nur […] ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft“) und EEKU XX 219.30 – 220.2. (dort: „gar kein constitutiver Begrif der Erfahrung, keine Bestimmung einer Erscheinung zu einem empirischen Begriffe […]; keine Categorie“). 176 Vgl. bes. KrV B 178 f., III 135.16 – 24, KrV B 181, III 136.28 – 35 und KrV B 185, III 138.35 – 139.6.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

205

Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts in einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘, mithin die objektive Gltigkeit einer Zweckvorstellung, nur aufgrund der vorauszusetzenden objektiven Gltigkeit des Zweckbegriffs allererst mçglich. Eine Zweckvorstellung kann nur dann berhaupt als objektiv gltige in einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘ qualifiziert werden, wenn das Prdikat eines solchen Urteils (,Zweck‘) ein objektiv gltiges ist. Wie bereits bemerkt, kann ,objektive Gltigkeit‘ im Falle des Zweckbegriffs nicht bedeuten, dass dieser a priori notwendig wre, um einen Gegenstand als (ansichbestimmten) Gegenstand berhaupt bestimmt denken zu kçnnen.177 Hierfr ist der Zweckbegriff offenkundig nicht notwendig und er ist demnach auch kein fr ,Gegenstndlichkeit berhaupt‘ oder ,Erkenntnis berhaupt‘ konstitutiver Begriff. Er ist vielmehr mit Blick auf eine besondere Art von Gegenstndlichkeit, nmlich mit Blick auf die Beurteilung bestimmter empirischer Gegenstnde als organisierter und sich selbst organisierender Wesen ein regulativer Begriff. Jedoch ist er ein objektiv gltiger Begriff fr die Realmçglichkeit von Hervorbringung und fr die Erkenntnis als Beurteilung einer anderen besonderen Art empirischer Gegenstnde: der spezifischen Gegenstndlichkeit von Kunstprodukten (Artefakten). Denn sowohl ihre Form als auch ihre Existenz sind durch den Zweckbegriff bestimmt. Doch whrend fr die Hervorbringung qua Zweckverwirklichung der empirische Begriff des „Begehrungsvermçgens als eines Willens“ notwendig ist, da die Existenz eines Kunstprodukts die Wirkung eines naturkausalen Geschehens ist und der Wille dabei als „Naturursache“ fungiert, impliziert der Begriff einer (real) mçglichen Hervorbringung qua Zwecksetzung weder den Begriff des „Begehrungsvermçgens als eines Willens“, noch ist er ein ohne den Zweckbegriff bestimmbarer Begriff. Die Spezifik der Gegenstndlichkeit 177 Vgl. oben Abschnitte 3.2.2 und 3.2.3. – K. Cramers Unterscheidung von objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt der Kategorien (vgl. Cramer 1985, Kap. 9) ist also auf den Zweckbegriff nicht in unmodifizierter Form anwendbar. Cramer zeigt, dass die objektive Gltigkeit bestimmter Begriffe, namentlich der Kategorien, von ihrer Darstellung zu unterscheiden ist. Diese muss die spezifischen Formen „unserer“ Sinnlichkeit ,Raum‘ und ,Zeit‘ in Anspruch nehmen und ist der Nachweis ihrer objektiven Realitt. Auch auf die Darstellung des Zweckbegriffs trifft dies zu, nur dass diese (im Gegensatz zur Darstellung der Kategorien durch den transzendentalen Schematismus) empirisch ist. Als Darstellung qua „Technik der Kunst“ muss sie aber ferner den empirischen Begriff eines (begrifflich bestimmbaren) Begehrungsvermçgens in Anspruch nehmen. Fr eine Unterscheidung von objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt des Zweckbegriffs ist allein das Letztere entscheidend.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

von Kunstprodukten (Artefakten) ist nicht mit ihrer Bestimmung als gewollten Gegenstnden identisch. Vielmehr ist die spezifische Bestimmtheit von Kunstprodukten als Kunstprodukten die Bestimmtheit von Kunstprodukten als hervorgebrachten Gegenstnden, d. h. ihre spezifische Form ist technische Einheit, die das Resultat einer technischen Synthesis ist, und sie sind Wirkungen von inneren Ursachen als Zweckvorstellungen. Sowohl die Bestimmtheit des Zweckobjekts als auch die Bestimmtheit des Kunstprodukts (hervorgebrachtes Zweckobjekt) ist durch den Zweckbegriff bestimmte Bestimmtheit, d. h. Bestimmtheit gemß dem Begriff ,Hervorbringung‘. Der Begriff ,Hervorbringung‘ muss dabei als den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widersprechender Begriff bestimmt sein. Dem Zweckbegriff ist daher insofern a priori objektive Gltigkeit zuzusprechen, als Hervorbringung qua (Selbst-)Bestimmung der Vernunft als mçglicher (wirkender) Ursache keinen Widerspruch impliziert. Sie impliziert keinen Widerspruch, da sie den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widerspricht. Sie widerspricht den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht, da sie lediglich eine (spezifische) Anwendung der transzendentalen Prinzipien ist. Sie ist eine (spezifische) Anwendung der transzendentalen Prinzipien, da sie einen (vorhandenen) Begriff selbst als Ursache und dessen Gegenstand als deren Wirkung bestimmt. Sie ist lediglich das, was Kant den „praktischen Gebrauch des Verstandes“ (KrV B 384, III 254.23) nennt. Das Urteil ,Hervorbringung (im Sinne des Zweckbegriffs) ist logisch mçglich‘ kann demnach als analytisches Urteil gekennzeichnet werden, da „dessen Wahrheit […] nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend […] erkannt werden [kann]“ (KrV B 190, III 142.2 f.). Das Urteil ,Hervorbringung (im Sinne des Zweckbegriffs) ist real mçglich‘ kann dagegen nur dann als wahres Urteil gelten, wenn auch die Voraussetzungen (b) und (c) erfllt sind. Die Realmçglichkeit von Hervorbringung kann also ausschließlich unter Voraussetzung der Gltigkeit des regulativen Begriffs der formalen Zweckmßigkeit der Natur178 und der Voraussetzung des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen erkannt werden. Dem Zweckbegriff eignet demnach im angegebenen Sinne durchaus eine von seiner objektiven Realitt unabhngige objektive Gltigkeit. Sie ist gemß der oben angefhrten Antwort (3) eine von seiner 178 Nach W. Flach etwa kommt auch dem Prinzip der formalen Zweckmßigkeit der Natur die unbestimmte, aber objektive Gltigkeit der (transzendentalen) Ideen als Vernunftprinzipien zu (vgl. Flach 2002, 65 f.).

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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objektiven Realitt hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Kunst“ unabhngige objektive Gltigkeit. Diese kann allerdings nur im Falle des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen, deren Urteilskraft sich „selbst (als Heautonomie) fr die Reflexion [ber die Natur, S.K.] ein Gesetz vorschreibt“ (KU B XXXVII, V 185.37 – 186.1)179, auch erkannt werden. Whrend das Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur zwar nur ein subjektiv gltiges, aber dennoch ein transzendentales Prinzip, mithin ein Prinzip a priori180 ist, haben Zweckvorstellungen als Vorkommnisse empirischen Bewusstseins empirische Realitt. Gleichwohl ist dem Zweckbegriff nicht nur insofern a priori objektive Gltigkeit zuzusprechen, als Hervorbringung qua (Selbst-)Bestimmung der Vernunft als mçglicher (wirkender) Ursache keinen Widerspruch impliziert und das Urteil ,Hervorbringung (im Sinne des Zweckbegriffs) ist logisch mçglich‘ ein analytisches Urteil ist.181 Denn der Qualifikation von Erkenntnissen als Erkenntnissen a priori steht eine empirische Herkunft „des Subjects ihrer Urtheile“ (KU B XXX, V 182.8) nicht entgegen. Notwendig ist vielmehr, dass die „Verbindung des Prdicats mit dem […] Begriffe des Subjects […] vçllig a priori eingesehen werden kann“ (KU B XXX, V 182.7 – 9, H. v. V.). Diese Bedingung ist im Falle des Urteils ,Hervorbringung (im Sinne des Zweckbegriffs) ist real mçglich‘ erfllt. Denn unter Voraussetzung von (b) und (c) entspricht Hervorbringung (im Sinne des Zweckbegriffs) a priori den „formalen Bedingungen der Erfahrung“, da sie Setzung des Zweckobjekts gemß den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ und Antizipation der Verwirklichung des Zweckobjekts gemß dem (objektiv gltigen) Kausalittsprinzip ist. Die Realmçglichkeit der Zwecksetzung und die Realmçglichkeit der Zweckverwirklichung mssen demnach nicht erst im Bewusstsein „von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ „in Ansehung von Producten der Kunst“ empirisch erkannt werden, um als real mçgliche erkannt werden zu kçnnen.182 Das Vorkommen (diskursiv) denkender Wesen mit heauto-

179 Vgl. zur Funktion reflektierender Urteilskraft im Zweckurteil unten Abschnitt 4.2.1. 180 Vgl. v. a. KU B XXIX f., V 181.31 – 182.9. 181 Analytische Urteile sind per definitionem Urteile a priori (vgl. v. a. KrV B 11, III 34.13 – 21 und Prol § 2 b, IV 267.3 – 21). Vgl. dazu Cramer 1985, 46 – 56, ferner Martin 1972, 48 f. 182 „Denn wir sagen nur, daß wir etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch htten wissen kçnnen, wenn es uns auch nicht so in

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3 Exposition des Zweckbegriffs

nomer Urteilskraft ist jedoch notwendige Bedingung fr die Erkenntnis der Realmçglichkeit von Hervorbringung im Sinne des Zweckbegriffs. Insofern kann das Urteil ,Hervorbringung ist real mçglich‘ als ein nichtreines synthetisches Urteil a priori gekennzeichnet werden.183 Der Zweckbegriff ist mit dieser Kennzeichnung als ein objektiv gltiger Begriff mit empirischer Realitt, mithin als ein nicht-reiner Begriff a priori zu kennzeichnen. 3.3.3.4 Zweckbegriff und Zweckideen Die berlegungen zum begrifflichen Status des Zweckbegriffs184 wiederaufnehmend, ist eine die vorangegangene Exposition abschließende Bestimmung des begrifflichen Status des Zweckbegriffs anzugeben. Sie muss sowohl den Zweckbegriff selbst, den Zweckbegriff hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Kunst“, den Zweckbegriff hinsichtlich seiner Darstellung mittels der „Technik der Natur“ als auch diejenigen Begriffe (Ideen) umfassen, die als Zweckvorstellungen fungieren. Die Beantwortung der Frage, ob der Zweckbegriff ein Vernunftbegriff (Idee) oder ein abgeleiteter Verstandesbegriff (Prdikabile) sei, muss diese Differenzierungen bercksichtigen. Sie muss sie bercksichtigen, da weder dem Begriff ,Zweck‘ noch seinem Gegenstand in den Schriften Kants eine univoke Bedeutung zukommt. Sie kann in drei Schritten ausgefhrt werden, indem (1) der Zweckbegriff, (2) als Zweckvorstellungen fungierende Begriffe und schließlich (3) der Begriff ,Naturzweck‘ jeweils einer der mçglichen Begriffsarten185 zugeordnet werden. (1) Zweckbegriff. Obwohl Kant an einigen Stellen „Zweck“ bzw. „Zwecke“ als Idee bzw. Vernunftbegriffe bezeichnet186, ist der Zweckbegriff selbst nicht als Idee bzw. Vernunftbegriff zu bestimmen. Einen entscheidenden Hinweis darauf gibt der Anfang des § 77 der KU, der die Be-

183

184 185 186

der Erfahrung vorgekommen wre, mithin ist Vernunfterkenntniß und Erkenntniß a priori einerlei“ (KpV A 23, V 12.10 – 14). Diese Wendung geht auf K. Cramer zurck (vgl. Cramer 1985). Die Kennzeichnung des Urteils ,Hervorbringung ist real mçglich‘ als eines nicht-reinen synthetischen Urteils schließt aber nur lose an Cramers Untersuchungen an. Diese Kennzeichnung trgt im vorliegenden Kontext den dargestellten Umstnden Rechnung, dass die Erkenntnis der Realmçglichkeit von Hervorbringung zwar eine Erkenntnis a priori im Sinne Kants, aber keine reine Erkenntnis als empfindungsfreie Erkenntnis ist, da sie empirisches Bewusstsein diskursiv denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft als empirische Tatsache voraussetzt. Vgl. oben Abschnitt 2.2. Vgl. oben Abschnitte 2.2.1 und 3.2.1. Vgl. oben Abschnitte 2.2.2.2 und 3.3.1.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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sonderheit der Darstellung des Zweckbegriffs mittels der „Technik der Natur“ im Naturprodukt als einem organisierten und sich selbst organisierenden Wesen thematisiert. Denn darin, dass „die ihr gemße Folge (das Product selbst) […] doch in der Natur gegeben [ist]“, hat „die Idee eines Naturzwecks […] etwas von allen andern Ideen Unterscheidendes“ (KU B 345, V 405.12 – 16, H. v. V.).

Der Zweckbegriff ist demnach offenkundig keine Idee. Die ihm „gemße Folge“ qua Kunstprodukt ist ebenso „gegeben“ wie die ihm „gemße Folge“ qua Naturprodukt. Die Besonderheit der „Idee eines Naturzwecks“ ist es, dass sie einerseits zu den Ideen als denjenigen Begriffen gehçrt, „denen angemessen kein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann“ (KU B 344 f., V 405.7 f.), dass aber andererseits „die ihr gemße Folge doch in der Natur gegeben“ ist. Sie wre nicht eine Besonderheit des Begriffs ,Naturzweck‘, wenn dies auch auf den Zweckbegriff selbst zutrfe. – Die Frage, ob der Zweckbegriff ein Vernunftbegriff (Idee) oder ein abgeleiteter Verstandesbegriff (Prdikabile) sei, ist also zugunsten der zweiten Option zu beantworten: Der Zweckbegriff ist der Begriffsart der Prdikabilien zuzuordnen. Er ist genauer als abgeleiteter Verstandesbegriff der (unschematisierten) Kategorie „Causalitt und Dependenz (Ursache und Wirkung)“ (KrV B 106, III 93.11 f.) zuzuordnen. Die Spezifikation der (unschematisierten) Kausalittskategorie zum Zweckbegriff macht eine spezifische Schematisierung sowie die Vorstellung einer „besonderen Art der Causalitt“187 (Zweckkausalitt) notwendig. Eine Ableitung bzw. Konstruktion des Zweckbegriffs ist daher als mçglich und durchfhrbar anzunehmen.188 Der Zweckbegriff als Prdikabile stellt lediglich dasjenige spezifische Fungieren der Kausalittskategorie vor, das durch die Bestimmungsstcke ,technische Synthesis‘ und ,technische Einheit‘ als ein spezifisches Fungieren ausgezeichnet wurde. Da das erste Relat der dem Zweckbegriff eigenen Grund-Folge-Relation dabei als innere Ursache be187 Kant benutzt die Wendung ,besondere Art der Kausalitt‘ in der KU vorrangig im Kontext der „Technik der Natur“ (vgl. v. a. KU B 268, V 359.22 f., KU B 320, V 390.23, KU B 321, V 391.1 und KU B 355, V 411.11). Dass auch die Zweckkausalitt selbst, d. h. die nicht schon als „Causalitt der Natur nach der Regel der Zwecke“ (KU B 332, V 397.15 f.) verstandene, von Kant als eine ,besondere Art der Kausalitt‘ bestimmt wird, zeigt sich aber an den Stellen der KU, bei denen die Zweckkausalitt als durch Zweckvorstellungen („Absichten“) bestimmte Kausalitt ausgezeichnet wird (vgl. v. a. KU B 330, V 396.19 f. und KU B 397, V 434.17 f.). 188 Vgl. dazu unten Abschnitt 4.2.2. Sie ist allerdings den grundstzlichen Problemen ausgesetzt, die fr die Erzeugung von Prdikabilien bereits genannt wurden (vgl. oben Abschnitt 2.2.3).

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3 Exposition des Zweckbegriffs

stimmt werden muss, ist die notwendige Bezogenheit des Zweckbegriffs auf die „Spontaneitt“ des Verstandes und insbesondere auf das Vorkommen (diskursiv) denkender Wesen wesentlich. Der „Gebrauch“ des (diskursiven) Verstandes ist eo ipso dem Zweckbegriff gemßer Gebrauch und wird im Gehalt des Zweckbegriffs vorgestellt (gedacht). Die Wendungen ,(praktischer) Gebrauch des Verstandes‘ und ,technische Vernunft‘ sind insofern synonym. (2) Zweckvorstellungen. Die als Zweckvorstellungen fungierenden Begriffe sind dagegen als Ideen zu bezeichnen. Denn sie bestimmen ihren Gegenstand (Zweckobjekt) auf die allen Ideen eigene Weise: als bestimmte Bestimmtheit, d. h. indem „der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Theile untereinander a priori bestimmt wird“ (KrV B 860, III 538.30 – 539.1). Als Resultate willkrlicher Begriffssynthesen kçnnen sie danach „beurtheilt werden […], ob sie bloße Idee[n] und Gedankending[e] sei[en], oder in der Welt ihren Gegenstand antreffe[n]“ (KrV B 517, III 337.34 – 36). Sie sind nicht als transzendentale Ideen, sondern als Ideen in einem weiten Sinne zu bestimmen. Gegen diese Zuordnung der Zweckvorstellungen zur Begriffsart der Ideen scheint allerdings eine von Kant hufig angemerkte Defizienz dieser Begriffsart zu sprechen. So gibt Kant z. B. in der „Anmerkung I“ zum § 57 der KU folgende allgemeine Bestimmung des Ideenbegriffs: „Ideen in der allgemeinsten Bedeutung sind nach einem gewissen (subjectiven oder objectiven) Princip auf einen Gegenstand bezogene Vorstellungen, sofern sie doch nie eine Erkenntniß desselben werden kçnnen“ (KU B 240, V 342.3 – 6).189

Ideen kçnnen „nie eine Erkenntniß“ ihres Gegenstandes werden, sie sind per definitionem Begriffe ohne objektive Realitt. Dies ist eines ihrer wesentlichen Merkmale. Zweckvorstellungen kçnnen dagegen sowohl als objektiv gltige als auch als objektiv reale ausgezeichnet werden und eine „Erkenntniß“ ihrer Gegenstnde ist im Sinne der Bestimmung eines Gegenstandes als (Kunst-)Produkt190 mçglich. Allerdings ist hierbei der 189 Vgl. z. B. KrV B 377, III 250.10 f. (dort: „Begriff […], der die Mçglichkeit der Erfahrung bersteigt“), KrV B 384, III 254.14 f. (dort: „sie [kann], als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent […] gegeben werden“), KrV B 517, III 337.32 f. (dort: „nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand“) und KU B 344 f., V 405.7 f. (dort: „Ideen, denen angemessen kein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann“). 190 Zur Bestimmung eines Gegenstandes als Kunstprodukt in einem absolut-teleologischen Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ vgl. unten Abschnitt 4.1.2.2.

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

211

Unterschied zwischen dem Gegenstand einer Zweckvorstellung als Zweckobjekt und dem Gegenstand einer Zweckvorstellung als Produkt entscheidend. Whrend der Gegenstand als Zweckobjekt ein hervorzubringender Gegenstand ist, ist der Gegenstand als Produkt hervorgebrachter Gegenstand. Der Gegenstand einer Zweckvorstellung als Zweckobjekt ist im Unterschied zu einem Gegenstand als Produkt kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern Gegenstand der Hervorbringung. Damit ergibt sich die folgende Stufung der Gegenstandsbezogenheit einer Zweckvorstellung: Die Zweckvorstellung kann als objektiv gltige ausgezeichnet werden, wenn ihr Gegenstand (Zweckobjekt) den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widerspricht.191 Die Zweckvorstellung ist als objektiv gltige ausgezeichnet, wenn ihr Gegenstand (Zweckobjekt) den „formalen Bedingungen der Erfahrung“ nicht widerspricht und dessen Hervorbringung als real mçglich durch eine gltige Angabe der fr die Hervorbringung erforderlichen Mittel erkannt wird.192 Die objektiv gltige Zweckvorstellung kann zudem als objektiv reale ausgezeichnet werden, wenn ihr Gegenstand auch gewollt wird. Die Zweckvorstellung ist schließlich als objektiv reale ausgezeichnet, wenn ihr Gegenstand (Zweckobjekt) ein empirischer Gegenstand („Erscheinung“) ist, der als Produkt (hervorgebrachter Gegenstand) gltig bestimmt werden kann. Sie ist dann allerdings nicht mehr Zweckvorstellung im Sinne eines Begriffs (Idee) von einem hervorzubringenden Gegenstand, sondern als Begriff eines empirischen Gegenstandes schlichtweg ein empirischer Begriff. Wie im Falle des Zweckbegriffs ist auch bei Zweckvorstellungen zwischen Zwecksetzung und Zweckverwirklichung zu unterscheiden. Betrifft die erste die Qualifikation einer Idee als objektiv gltiger im Sinne einer real mçglichen Hervorbringung ihres Gegenstandes, ist die zweite der Versuch, einer Idee objektive Realitt mittels (naturkausalem) Hervorbringen zu verschaffen. Eine Einlassung Kants zur „Idee der praktischen Vernunft“ in der „Transzendentalen Dialektik“ der KrV aufnehmend, kann die Bestimmung der Zweckvorstellung als einer Idee, deren Gegenstand auch (objektiv) realisiert werden kann, folgendermaßen begrndet werden: „[W]eil es im praktischen Gebrauch des Verstandes ganz allein um die Ausbung nach Regeln zu thun ist, so kann die Idee der praktischen Vernunft jederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in concreto gegeben werden“ (KrV B 384, III 254.23 – 26, H. v. V.). 191 Vgl. oben Abschnitte 3.2.2 und 3.2.3. 192 Vgl. dazu unten Abschnitte 4.1.2.3, 4.1.3 und 4.2.1.

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3 Exposition des Zweckbegriffs

Was Kant hier „Idee der praktischen Vernunft“ nennt, muss im vorliegenden Kontext noch gar nicht in einem dezidiert moralischen Sinne interpretiert werden.193 Da eine Zweckvorstellung insofern eine bloße Idee ist, als ihr Gegenstand (Zweckobjekt) kein Gegenstand der Erkenntnis ist, muss sie erst „ausgebt“ werden (Zweckverwirklichung), damit ihr Gegenstand „wirklich“, d. h. ein empirischer Gegenstand ist (Produkt). Zwar mag „[i]hre Ausbung […] jederzeit begrenzt und mangelhaft“ (KrV B 384, III 254.27) sein, sie kann aber als objektiv gltige und ihre „Ausbung“ damit als erfolgversprechend ausgezeichnet sein.194 In die Gesamtheit aller mçglichen Begriffe sind Zweckvorstellungen demnach unter die Begriffsart der Ideen einzuordnen.195 Die Bestimmtheit 193 Denn selbst wenn die Vernunft als reine Vernunft nicht „wirklich praktisch“ (KpV A 3, V 3.11) wre, kçnnte sie als empirisch bedingte Vernunft noch technischpraktisch sein, mithin bliebe der (technische bzw. pragmatische) Zweckbegriff als ihr Grundbegriff dennoch in Geltung. Vgl. dazu auch unten die Abschnitte 4.2 und 4.3. 194 Dies trifft auch auf die besonderen Zweckvorstellungen ,Glckseligkeit des Menschen‘ und ,Vollkommenheit des Menschen‘ zu. Glckseligkeit ist der subjektive Grundzweck des Menschen, d. h. sein „eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck der Freiheit)“ (KU B 389, V 430.21, vgl. dazu auch KpV § 3 Anm. II und MS VI 386.1 – 5). Vollkommenheit des Menschen bezeichnet hier die „Cultur seines Vermçgens (oder der Naturanlage)“ (MS VI 387.1 f.). Die Zweckvorstellungen ,fremde Glckseligkeit‘ und ,eigene Vollkommenheit‘ sind moralische (sittliche) Zweckvorstellungen, d. h. ihr Gegenstand ist jeweils ein „Zweck, der zugleich Pflicht ist“ (MS VI 384.31 f., vgl. ausfhrlich die Abschnitte III, IV und V der „Einleitung zur Tugendlehre“ in der MS). Die Zweckvorstellung ,eigene Vollkommenheit‘ umfasst sowohl die Kultur der technischen Vernunft als auch die Kultur des „Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung“ (MS VI 387.13), ist also sowohl technische als auch „sittliche Vollkommenheit“ (MS VI 387.21). Die besonderen Zweckvorstellungen ,Glckseligkeit des Menschen‘ und ,Vollkommenheit des Menschen‘ sind ausnahmslos Ideen als Begriffe, „denen angemessen kein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann“ (KU B 344, V 405.7 f.). Als moralische Zweckvorstellungen gehçren sie zur „moralische[n] (objective[n]) Zwecklehre“ (MS VI 385.24) bzw. zur „Ethikotheologie“ (KU B 400, V 436.8). 195 In einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ kçnnen sowohl empirische Begriffe als auch willkrlich zusammengesetzte Begriffe als Zweckvorstellungen fungieren (vgl. oben Abschnitt 3.2.2). Wenn jene allerdings als Zweckvorstellungen fungieren, d. h. als Begriffe eines Gegenstandes x, der gemß dem Zweckbegriff in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt bestimmt wird, dann sind sie jedoch gerade nicht als empirische bzw. willkrlich zusammengesetzte Begriffe, sondern eben als Ideen zu bezeichnen. Denn einem einzelnen Begriff, dem als empirischem Begriff objektive Realitt zukommt, muss nicht als Zweckvorstellung ebenfalls objektive Gltigkeit, mithin (nach erfolgter Hervorbringung) objektive Realitt zukommen. Umgekehrt kann einem einzelnen Begriff, dem als willkrlich zu-

3.3 Der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs

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ihres Gegenstandes (Zweckobjekt) ist bestimmte Bestimmtheit. Sie sind als theoretische Begriffe Begriffe ohne objektive Realitt, da sie nicht Begriffe von empirischen Gegenstnden, sondern Begriffe von hervorzubringenden Gegenstnden sind. Als „Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens“ (KpV A 103, V 59.1 f.) und nach „ihrer Ausbung“ kann ihnen allerdings durchaus objektive Realitt zukommen. Sie sind dann als Begriffe von hervorgebrachten Gegenstnden qua empirischen Gegenstnden allerdings keine Zweckvorstellungen mehr, sondern empirische Begriffe. Allein in der Bestimmung eines empirischen Gegenstandes als eines Produkts kann einem solchen Begriff als Zweckvorstellung objektive Realitt zugesprochen werden. (3) Naturzweckbegriff. Auch der Begriff ,Naturzweck‘ ist als Idee zu bezeichnen. Er ist allerdings keine Idee im Sinne der Zweckvorstellung als begriffliche Ursache („Absicht“), sondern als „Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist“ (KU B 291, V 373.23 f.). Damit ist er nicht als Idee qua Begriff eines hervorzubringenden Gegenstandes (Zweckvorstellung), sondern als Idee qua „subjectives Princip der Vernunft“ (KU B 344, V 404.33 f.) zu bestimmen. Diese ist allerdings „nicht ein Vernunftprincip fr den Verstand, sondern fr die Urtheilskraft“ (KU B 345, V 405.17). Dagegen ist der Begriff ,Naturzweck‘ „fr den Verstand“ keine Idee, sondern lediglich der Begriff eines spezifischen Gegenstandes, der durch die Vorstellung der wechselseitigen Hervorbringung seiner Teile gedacht wird. Sein Gegenstand ist ein organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen bzw. „die Materie, sofern sie organisirt ist“ (KU B 300, V 378.35).196 Fr die Bestimmtheit eines solchen Begriffs ist die Kommerziumkategorie maßgeblich. Als Idee zu bezeichnen, ist dieser erst im Falle „der Beurtheilung der innern Zweckmßigkeit in organisirten Wesen“ (KU B 295, V 376.9 f., H. v. V.), also nicht „fr den Verstand“, sondern „fr die Urtheilskraft“. Denn das Vorkommen organisierter und sich selbst organisierender Wesen bzw. der „Materie, die selbst organisirt ist“, in derjenigen Natur, die „als Inbegriff der Gegenstnde ußerer Sinne“ (KU B 313, V sammengesetztem Begriff keine objektive Realitt zukommt, als Zweckvorstellung objektive Gltigkeit, mithin (nach erfolgter Hervorbringung) objektive Realitt zukommen. 196 Vgl. nochmals KU B 291, V 373.17 – 21 (dort: „daß die Theile desselben sich dadurch […] verbinden, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind“) und KU B 291, V 373.35 – 374.8 (dort: „In einem solchen […] wird ein jeder Theil […] als Werkzeug (Organ) gedacht; […] als ein die andern Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbingendes Organ“).

214

3 Exposition des Zweckbegriffs

386.13 f.) bestimmt ist und deren Produkte „nach bloß mechanischen Gesetzen mçglich beurtheilt werden [mssen]“ (KU B 314, V 387.4 f.), ist „fr den Verstand“ unerklrlich. Er kann ihr Vorkommen lediglich konstatieren. Neben den Unterscheidungen zwischen Zweckbegriff als Prdikabile und Zweckvorstellungen als Ideen sowie Zweckbegriff als Prdikabile und Naturzweckbegriff als Idee ist noch eine weitere Unterscheidung zu treffen. Es ist die Unterscheidung zwischen der Funktion des Zweckbegriffs als Inbegriff der technischen Vernunft und der Funktion des Zweckbegriffs als regulativer Idee fr die theoretische (spekulative) und die (reine) praktische Vernunft. Die Funktion des Zweckbegriffs als regulativer Idee ist seine spezifische systematische Funktion. Sie begrndet einerseits die „architektonische Einheit“ (KrV B 861, III 539.19) der Wissenschaft und andererseits die Einheit aller mçglichen Zweckvorstellungen197. Ihr ist an dieser Stelle nicht weiter nachzugehen.198 Vielmehr ist der Zweckbegriff als Grundbegriff der technischen Vernunft zu entwickeln und daran anschließend seine Relevanz fr das durch den Kulturbegriff Bezeichnete systematisch darzustellen.

197 Vgl. Konhardt 1979, 256 ff. – Der Zweckbegriff in seiner regulativen Funktion fr die praktische Vernunft ist der Begriff ,hçchstes Gut‘ (Endzweck). Kant unterscheidet ein hçchstes ursprngliches Gut von einem hçchsten abgeleiteten Gut. Erstes bezeichnet die „Existenz Gottes“, zweites die „beste[] Welt“ (KpV A 226, V 125.22 – 25, vgl. auch KrV B 838 f., III 526.19 – 22). Der Begriff ,hçchstes Gut‘ scheint in der zweiten Bedeutung eine besondere Zweckvorstellung zu sein. Denn Kant nennt ihn auch „de[n] Bestimmungsgrund des reinen Willens“ (KpV A 197, V 110.1). Ihr Zweckobjekt (Gegenstand) ist aber die „unbedingte Totalitt des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 194, V 108.11 f.). Demnach ist die Zweckvorstellung ,hçchstes Gut‘ eine besondere Zweckvorstellung in dem Sinne, dass sie ein regulatives Prinzip der (reinen) praktischen Vernunft ist. Der Begriff des hçchsten Guts kann gltig als Zweckvorstellung (Bestimmungsgrund) des reinen Willens fungieren, da in ihm das Sittengesetz als oberste Bedingung bereits enthalten ist (vgl. KpV A 196 f., V 109.17 – 110.8, zur Verschiebung des systematischen Orts des Begriffs ,hçchstes Gut‘ in der Moralphilosophie Kants vgl. Dsing 1971). 198 Zur regulativen Funktion des Zweckbegriffs vgl. auch die Bemerkungen unten in Abschnitt 4.3.

Kapitel 4 Zweckbegriff und technische Vernunft 4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen Die Setzung eines konkreten Zwecks erfolgt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ (Zweckurteil). In einem solchen Urteil wird ein Gegenstand als hervorzubringender Gegenstand, d. h. als Zweckobjekt vorgestellt. Die Vorstellung eines Gegenstandes als Zweckobjekt verlangt die Beurteilung seiner Mçglichkeit nach einem Kausalverhltnis. Denn erst diese Beurteilung qualifiziert das Zweckurteil als Urteil im strengen Sinne, d. h. als objektiv gltiges Verhltnis. Ein Zweckurteil ist insofern ein wahrheitsdifferentes (synthetisches) Urteil, als in ihm der Anspruch erhoben wird, dass der Gegenstand (objektiv) realisierbar und sein Begriff als Zweckvorstellung objektiv gltig ist. Die Einlçsung dieses Anspruchs fordert die Angabe der zur Hervorbringung des Zweckobjekts geeigneten Mittel als Ursachen der Wirklichkeit des hervorzubringenden Gegenstandes. Erst mit der sich an die Setzung eines Gegenstandes als Zweckobjekt anschließenden Angabe der geeigneten Mittel ist die konkrete Zweckvorstellung des Gegenstandes als objektiv gltige ausgezeichnet. Diese Angabe scheint nach Kant einerseits durch hypothetische Imperative, andererseits durch technische Stze geleistet zu werden. Ihnen liegen Zweckurteile der Form ,x ist Zweck‘ und teleologische Urteile der Form ,y ist zweckmßig‘ zugrunde. Sowohl die hypothetischen Imperative (1) als auch die teleologischen Urteile (2) und die technischen Stze (3) sind hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Abhngigkeit vom Zweckbegriff zu analysieren, um abschließend Klarheit ber das Verhltnis von Zwecksetzung und Zweckverwirklichung, mithin von objektiver Gltigkeit und objektiver Realitt von Zweckvorstellungen zu erlangen.

216

4 Zweckbegriff und technische Vernunft

4.1.1 Hypothetische Imperative In § 1 der KpV nennt Kant einen Imperativ eine Regel1, die eine „Handlung als Mittel zur Wirkung als Absicht vorschreibt“ (KpV A 36, V 20.7 f.)2. Im „Zweiten Abschnitt“ der GMS schlgt Kant eine grundstzliche Unterscheidung aller Imperative vor: „Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen die praktische Nothwendigkeit einer mçglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch mçglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor. Der kategorische Imperativ wrde der sein, welcher eine Handlung als fr sich selbst, ohne Beziehung auf einen anderen Zweck, als objectiv-nothwendig vorstellte“ (GMS IV 414.12 – 17).

Ein hypothetischer Imperativ ist demnach als Vorstellung einer „praktischen Nothwendigkeit“, d. h. als Vorstellung der zur Erreichung eines (mçglichen) Zwecks notwendigen Mittel, bestimmt; der kategorische Imperativ ist dagegen als Vorstellung einer ,objektiven Notwendigkeit‘, d. h. als Vorstellung der Notwendigkeit einer Handlung „als fr sich selbst“, mithin nicht als Mittel fr einen (konkreten) Zweck, bestimmt.3 Einem hypo1

2 3

Dass die Imperative als objektiv praktische Grundstze (vgl. KpV A 36 f., V 20.13 f. und GMS IV 413.9), nicht als Gesetze, sondern als Regeln zu bestimmen sind, grndet nach Kant darin, dass in „der praktischen Erkenntniß […] die Vernunft […] es mit dem Subjecte zu thun hat, nmlich dem Begehrungsvermçgen, nach dessen besonderer Beschaffenheit sich die Regel vielfltig richten kann“ (KpV A 36, V 20.2 – 6). Imperative „sagen, daß etwas zu thun oder zu unterlassen gut sein wrde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas thut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu thun gut sei“ (GMS IV 413.15 – 18). Vgl. auch Log IX 86.19 – 21 (dort: „jeder Satz […], der eine mçgliche freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirklich gemacht werden soll“). Diese Unterscheidung zwischen hypothetischen und kategorischen Imperativen findet sich in hnlicher Weise auch in der KpV. Dort heißt es: „[Imperative] bestimmen aber entweder die Bedingungen der Causalitt des vernnftigen Wesens, als wirkender Ursache, bloß in Ansehung der Wirkung und Zulnglichkeit zu derselben, oder sie bestimmen nur den Willen, er mag zur Wirkung hinreichend sein oder nicht. Die erstere[n] wrden hypothetische Imperativen sein und bloße Vorschriften der Geschicklichkeit enthalten; die zweiten wrden dagegen kategorisch und allein praktische Gesetze sein“ (KpV A 37, V 20.14 – 20). Der wesentliche Unterschied zwischen dieser und der oben genannten Erluterung des Unterschieds von hypothetischen und kategorischen Imperativen aus der GMS betrifft lediglich die Kennzeichnung der Imperative der zweiten Art, whrend sich die beiden Erluterungen zu den hypothetischen Imperativen allein im Wortlaut unterscheiden. Denn die Bestimmung der Willkr eines ,vernnftigen Wesens‘ („Bedingungen der wirkenden Ursache“) „bloß“ mit Blick auf den Zweck („Wirkung“) und seine Fhigkeit („Zulnglichkeit zu derselben“) ist identisch mit

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

217

thetischen Imperativ liegt somit folgende Struktur zugrunde: ,Wenn Du x willst, dann tue y‘. Diesen Typus von Imperativen differenziert Kant weiter, indem er das Verhltnis zwischen Begehrungsvermçgen und gewolltem Gegenstand modal bestimmt.4 Zwar stellt jeder (hypothetische) Imperativ eine bestimmte Handlung (Mittel) als notwendig vor, um einen bestimmten gewollten Zweck zu erreichen, d. h. einen Gegenstand zu verwirklichen, der in einem Zweckurteil als Zweckobjekt gesetzt und zudem auch gewollt wird. Damit ist aber keinesfalls auch das Verhltnis zwischen Begehrungsvermçgen und gewolltem Gegenstand als ein notwendiges qualifiziert. Vielmehr kommen mit Blick auf die hypothetischen Imperative nur die Modi der Mçglichkeit und Wirklichkeit in Betracht, da Imperative per definitionem kein notwendiges Verhltnis zwischen Begehrungsvermçgen und gewolltem Gegenstand (Zweckobjekt) betreffen kçnnen5 : „Der hypothetische Imperativ sagt […] nur, daß die Handlung zu irgend einer mçglichen oder wirklichen Absicht gut sei. Im erstern Falle ist er ein problematisch-, im zweiten assertorisch-praktisches Princip“ (GMS IV 414.32 – 415.2).

Diese Unterscheidung betrifft allein die Mçglichkeit bzw. Wirklichkeit des Verhltnisses zwischen Begehrungsvermçgen und gewolltem Gegenstand.6

4 5

6

der Angabe der Mittel („mçgliche Handlung als Mittel“), die zur Erreichung des Zwecks („zu etwas anderem, was man will“) notwendig („praktische Notwendigkeit“) sind. Die Modalbestimmung kann auch hier nicht den Gegenstand betreffen (vgl. oben Abschnitt 3.2.). Sie betrifft allein das Verhltnis zwischen Vermçgen und Gegenstand. Nach Kant ist ein (objektiv) notwendiges Verhltnis zwischen dem Begehrungsvermçgen und irgend einem gewollten Gegenstand (Zweckobjekt) gar nicht mçglich. Vielmehr „erklrt“ der kategorische Imperativ, den Kant als ein „apodiktisch-praktisches Princip“ bezeichnet, „die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d. i. auch ohne irgend einen andern Zweck, fr sich als objektiv nothwendig“ (GMS IV 415.2 – 5, H. v. V.). Kant qualifiziert hier die konkrete Zweckvorstellung („Absicht“) als eine „mçgliche“ oder „wirkliche“, da durch sie (auch) das Verhltnis von Begehrungsvermçgen und gewolltem Gegenstand bestimmt ist. Denn auch wenn die Vorstellung von x niemals das Begehrungsvermçgen irgendeines vernnftigen Wesens tatschlich zum Handeln bestimmen sollte, sie also niemals eine „wirkliche“ Zweckvorstellung wre, kann sie doch insofern als „mçgliche Absicht“ gedacht werden, als der gewollte Gegenstand x als Zweckobjekt, mithin die Vorstellung von x als „wirkliche“ Zweckvorstellung bestimmt sein kçnnte. Auch in einem solchen Fall ist das Verhltnis zwischen Begehrungsvermçgen und dem gewolltem Gegenstand x ein mçgliches.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Die erste Art hypothetischer Imperative nennt Kant im Anschluss „Imperative[] der Geschicklichkeit“ (GMS IV 415.13), die zweite Imperative der „Klugheit“ (GMS IV 416.2).7 Die Imperative der Geschicklichkeit gelten als „problematisch-praktische Prinzipien“, da sie allein Zweckobjekte betreffen, deren Hervorbringung „durch Krfte irgend eines vernnftigen Wesens mçglich ist“ (GMS IV 415.6 f.). Sie kçnnen mit Blick auf ein beliebiges Subjekt („irgend ein vernnftiges Wesen“) auch so bestimmt werden, dass sie lediglich fr es mçgliche Zweckvorstellungen („mçgliche Absichten“) betreffen. Als solche ist ihre Zahl „unendlich“ (GMS IV 415.10). Sie bestimmen nicht, ob „der Zweck vernnftig oder gut sei“ (GMS IV 415.14), sondern geben bloß die fr dessen Verwirklichung notwendigen Mittel an. Die Imperative der Klugheit sind in gewisser Weise ein bestimmter Typus von Imperativen der Geschicklichkeit. Sie haben einen ganz bestimmten Zweck zum Thema: „Es ist gleichwohl ein Zweck, den man bei allen vernnftigen Wesen (so fern Imperative auf sie, nmlich als abhngige Wesen, passen) als wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß haben kçnnen, sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesammt nach einer Naturnothwendigkeit haben, und das ist die Absicht auf Glckseligkeit. Der hypothetische Imperativ, der die praktische Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Befçrderung der Glckseligkeit vorstellt, ist assertorisch“ (GMS IV 415.28 – 35).

Das Verhltnis zwischen Begehrungsvermçgen und einem gewolltem Gegenstand kann genau dann „sicher und a priori“ (GMS IV 415.37) als ein wirkliches gelten, wenn der gewollte Gegenstand „Glckseligkeit“ ist. Diese Qualifikation der Imperative der Klugheit als assertorisch-praktische Prinzipien hat ihren Grund in der „endliche[n] Natur“ (KpV A 45, V 25.16) des Menschen: „Glcklich zu sein, ist nothwendig das Verlangen jedes vernnftigen, aber endlichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermçgens“ (KpV A 45, V 25.12 f.).

Daher betreffen die Imperative der Klugheit im Unterschied zu den Imperativen der Geschicklichkeit eo ipso die Willensbestimmung endlicher vernnftiger Wesen. Whrend diese bloß „technisch (zur Kunst gehçrig)“

7

Kant nennt die Imperative der Geschicklichkeit auch technische, die Imperative der Klugheit auch pragmatische Imperative (vgl. GMS IV 416.29 – 417.1). Vgl. zur Unterscheidung ,technisch/pragmatisch‘ auch oben Abschnitt 1.1.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

219

(GMS 416.29) sind8, betreffen jene dagegen „die Geschicklichkeit in der Wahl der Mittel zu[m] eigenen grçßten Wohlsein“ (GMS 416.1 f.).9 Dem „eigenen grçßten Wohlsein“ kann ein (wollendes) Subjekt aber nicht gleichgltig gegenberstehen. Vielmehr ist ihm die „Befçrderung der Glckseligkeit“ ein nicht bloß mçgliches, sondern ein wirkliches Anliegen, ein „unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermçgens“.10 Mit Blick auf die Frage, wie die hypothetischen Imperative als einen Willen nçtigende Regeln gelten kçnnen, wie sie als Imperative berhaupt mçglich sind11, ist die Unterscheidung zwischen Imperativen der Geschicklichkeit und Imperativen der Klugheit dagegen nicht entscheidend. Kant schreibt ber die Imperative der ersten Art: „Wie ein Imperativ der Geschicklichkeit mçglich sei, bedarf wohl keiner besondern Erçrterung. Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine 8 In der „Anmerkung II“ zu § 3 der KpV schreibt Kant auch: „Stze, welche in der Mathematik oder Naturlehre praktisch genannt werden, sollten eigentlich technisch heißen. Denn um die Willensbestimmung ist es diesen gar nicht zu thun“ (KpV A 46 Anm., V 26.34 – 36). 9 Als Beispiel: Auch wenn ich kein Gemsebeet anlegen will, kann ich doch wissen, wie man dies anstellt, und einen entsprechenden Imperativ formulieren. Sollte allerdings nach meiner persçnlichen Vorstellung von Glckseligkeit frisches Gemse unerlsslich sein, wre das Anlegen eines Gemsebeetes sicher ein in Betracht zu ziehendes Mittel. 10 Die Unterscheidung zwischen Imperativen der Geschicklichkeit und Imperativen der Klugheit ist anthropologischen berlegungen geschuldet. Denn mit dem Begriff ,Glckseligkeit‘, der fr sie ausschlaggebend ist, bezeichnet Kant nichts anderes als den „Zustand eines vernnftigen Wesens in der Welt, dem es im Ganzen seiner Existenz alles nach Wunsch und Willen geht“ (KpV A 224, V 124.21 – 23, H. tw. v. V.). Die Vorstellung eines solchen Zustandes muss konsequenterweise als „eine bloße Idee“ (KU B 388, V 430.8) gelten. Denn weder die dem Menschen eigene Natur noch die ihn umgebende Natur sind in ihrer Bedingtheit geeignet, den subjektiven Grundzweck ,Glckseligkeit‘, der des Menschen „eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck der Freiheit)“ (KU B 389, V 430.21) ist, zu realisieren (vgl. dazu v. a. KU B 388 – 390, V 430.6 – 431.11). Der Mensch als endlich-vernnftiges Wesen befindet sich vielmehr in einem Zustand der Unzufriedenheit. Dieser ist der Grund fr sein Glcksstreben. Die Glckseligkeit ist sein letzter, subjektiver Zweck und die technische Vernunft ist in dieser Hinsicht das ihm zur Verfgung stehende Mittel fr dessen Realisierung. Das Streben nach Glckseligkeit stellt sich aus einer anthropologischen Perspektive als empirische Tatsache heraus. Vgl. hierzu auch Klingner 2008, 89 f. 11 „Nun entsteht die Frage: wie sind alle diese Imperative mçglich? Diese Frage verlangt nicht zu wissen, wie die Vollziehung der Handlung, welche der Imperativ gebietet, sondern wie bloß die Nçthigung des Willens, die der Imperativ in der Aufgabe ausdrckt, gedacht werden kçnne.“ (GMS IV 417.3 – 6).

220

4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist“ (GMS IV 417.7 – 10).

Diese knappe „Erçrterung“ kann nicht verwundern. Sie ergibt sich problemlos aus Kants Bestimmungen des Begriffs ,Begehrungsvermçgen‘ und des Zweckbegriffs12. Genauer ist sie eine bloße Anwendung von Kants Zweckbegriff auf den Begriff des Begehrungsvermçgens. Wie gesehen, strukturiert die Zweckvorstellung a priori ihren Gegenstand unter Maßgabe des „Begriff[s] des Verhltnisses der Ursache und Wirkung“ (KrV B 234, III 167.34 – 168.1). Die das Zweckobjekt darstellende technische Synthesis ist Synthesis von „Mannigfaltigem“ als Ursachen bzw. Wirkungen, so dass in der Antizipation des Kausalzusammenhangs von Gegenstand x als Wirkung und seiner unterstellten Ursache y „Mittel“ und „Produkt“ als notwendig aufeinander bezogen vorgestellt werden.13 Da das Begehrungsvermçgen dasjenige Vermçgen eines Wesens ist, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV A 16 Anm., V 9.20 – 22), kann nicht nur das Zweckobjekt qua Wirkung, sondern muss auch dasjenige, was zu dessen Verwirklichung notwendig ist, qua Ursache gewollt werden. Damit das wollende Subjekt als „Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde [seiner] Vorstellungen“ gelten kann, muss es auch die zur Verwirklichung des Zweckobjekts (Wirkung) notwendigen Mittel (Ursache) wollen. Wird x gewollt, wird auch y gewollt – oder x wird gar nicht gewollt. Daher fhrt Kant fort: „Dieser Satz ist, was das Wollen betrifft, analytisch; denn in dem Wollen eines Objects als meiner Wirkung wird schon meine Causalitt als handelnde Ursache, d. i. der Gebrauch der Mittel, gedacht, und der Imperativ zieht den Begriff nothwendiger Handlungen zu diesem Zwecke schon aus dem Begriff eines Wollens dieses Zwecks heraus“ (GMS IV 417.10 – 15, H. v. V.).

Oder anders formuliert: „[D]enn etwas als eine auf gewisse Art durch mich mçgliche Wirkung und mich in Ansehung ihrer auf dieselbe Art handelnd vorzustellen, ist ganz einerlei“ (GMS IV 417.25 f.).

Die Vorstellung eines Gegenstandes als Zweckobjekt ist nichts anderes als die Vorstellung eines Subjekts als ein den Gegenstand hervorbringendes („handelndes“) Subjekt, d. h. als „verstndige[] wirkende[] Ursache“ (KU B 381, V 426.8 f.). Dies trifft – unter einer Einschrnkung – auch auf die 12 Vgl. oben Abschnitt 2.1. 13 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

221

Imperative der Klugheit zu. Die Einschrnkung betrifft eine Eigenart des „Begriff[s] der Glckseligkeit“ (GMS IV 418.1 f.), genauer: seine ,Unbestimmtheit‘.14 Da „Glckseligkeit nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft ist“ (GMS IV 418.36 f.), ist nach Kant ein „bestimmte[r] Begriff“ (GMS IV 418.11) des jeweiligen Zweckobjekts, fr dessen Verwirklichung die notwendigen Mittel in einem Imperativ der Klugheit angegeben werden sollen, nicht mçglich. Ob das Wollen eines jeweiligen, bloß vorgestellten Gegenstandes auch tatschlich zur „Befçrderung der Glckseligkeit“ geeignet sei, kann niemals mit Sicherheit angegeben werden, „weil hierzu Allwissenheit erforderlich sein wrde“ (GMS IV 418.23 f.).15 Ließen sich aber die „Mittel zur Glckseligkeit […] sicher angeben“ (GMS IV 419.4), dann entfiele die genannte Einschrnkung. Denn den Imperativen der Geschicklichkeit und den Imperativen der Klugheit ist gemeinsam, dass sie die zur Verwirklichung eines Gegenstandes notwendigen Mittel angeben, „von dem man voraussetzt, daß man es als Zweck wollte“ (GMS IV 419.7 f.).16 Um das spezifische Fungieren des Zweckbegriffs im Falle hypothetischer Imperative mçglichst genau bestimmen zu kçnnen, gilt es an dieser 14 In der „Anmerkung II“ zu § 3 der KpV findet sich auch folgende Einlassung Kants ber den Begriff der Glckseligkeit: „[S]o ist er doch nur der allgemeine Titel der subjectiven Bestimmungsgrnde und besimmt nichts specifisch […]. Worin nmlich jeder seine Glckseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefhl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedrfnisses nach den Abnderungen dieses Gefhls“ (KpV A 46, V 25.26 – 32). 15 Kant nennt daher die Imperative der Klugheit auch „empirische[] Rathschlge“ (GMS IV 418.25 f.) und „Anrathungen (consilia)“ (GMS IV 418.31). Sie sind somit Imperative qua objektiv praktische Grundstze nur unter der Einschrnkung, dass bei ihrer Befolgung „das Wohlbefinden im Durchschnitt am meisten befçrder[t]“ (GMS IV 418.27 f.) wird. Sie kçnnen genau genommen „gar nicht gebieten, d. i. Handlungen objectiv als praktisch-nothwendig darstellen“ (GMS IV 418.29 f.). 16 Das den hypothetischen Imperativen zugrunde liegende „analytische“ Prinzip („Wer den Zweck will, will auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel“) wird von M. Willaschek auch als der „Grundsatz der Zweckrationalitt“ bezeichnet (Willaschek 1992, 79). Wenn der Begriff ,Zweckrationalitt‘ als Synonym des Begriffs ,technische Vernunft‘ verstanden wird, dann ist der Bezeichnung „Grundsatz der Zweckrationalitt“ allerdings nur unter Verwendung des Attributs ,praktisch‘ zuzustimmen. Das Prinzip hypothetischer Imperative ist dann genauer als „Grundsatz der technisch-praktischen Vernunft“ oder als „praktischer Grundsatz der Zweckrationalitt“ zu bezeichnen. Vgl. dazu auch unten Abschnitt 4.3.

222

4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Stelle, von deren subjektiver Komponente abzusehen. Die subjektive Komponente hypothetischer Imperative ist die durch sie zum Ausdruck kommende „Nçthigung“ (GMS IV 413.15), d. h. die Willensbestimmung „in Ansehung einer begehrten Wirkung“ (KpV A 37, V 20.22, H. v. V.).17 Es gilt also, die teleologische Struktur hypothetischer Imperative unter schrittweiser Ausblendung ihrer Bezogenheit auf das Begehrungsvermçgen zu explizieren. Dies kann in drei Schritten geschehen: (1) Hypothetischer Imperativ: ,Wenn Du x willst, dann tue y!‘. Als Formel eines Gebots 18 hat ein hypothetischer Imperativ einen Adressaten. Dieser Adressat ist ein konkretes Subjekt, das (zumindest) durch ein (ektypisches) Verstandesvermçgen und ein (unteres) Begehrungsvermçgen ausgezeichnet ist. Als bedingte Stze thematisieren hypothetische Imperative das Verhltnis zweier Stze, eines Vordersatzes, der eine Bedingung angibt (,wenn …‘), und eines Nachsatzes, der die Folge angibt (,dann …‘).19 Der Vordersatz drckt hier die Willensbestimmung eines konkreten Subjekts (,wenn Du x willst‘), der Nachsatz die passende Handlungsanweisung fr das konkrete Subjekt (,dann tue y‘) aus. (2) Technisch-praktische Regel: ,Wenn x gewollt wird, dann muss y getan werden.‘. In einem ersten Schritt lassen sich hypothetische Imperative sprachlich verallgemeinern, indem ihre Bezogenheit auf das Begehrungsvermçgen eines konkreten Subjekts ausgeblendet wird, so dass ihre nicht bloß individuelle Gltigkeit zum Ausdruck kommt. Die derart generierbaren hypothetischen Vorschriften haben dann zwar nicht mehr die grammatische Form eines Imperativs20, jedoch geben sie in angemessenerer Weise die Objektivitt hypothetischer Imperative als objektiv praktischer 17 Als Imperative drcken auch die hypothetischen Imperative eine „Nçthigung“ (auch „Sollen“) aus, d. h. „die Bestimmung eines […] Willens objectiven Gesetzen gemß“ (GMS IV 413.3 f.). Sie beziehen sich allein auf „das Verhltniß eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen […], der seiner subjectiven Beschaffenheit nach dadurch nicht nothwendig bestimmt wird“ (GMS IV 413.13 – 15, vgl. auch GMS IV 413.4 – 8). Allerdings ist die durch hypothetische Imperative vorgestellte praktische Notwendigkeit „nur subjectiv bedingt“ (KpV A 38, V 20.39). 18 „Die Vorstellung eines objectiven Princips, sofern es fr einen Willen nçthigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebots heißt Imperativ“ (GMS IV 413.9 – 11). 19 Zu dieser Struktur hypothetischer Stze (Urteile) vgl. KrV B 98, III 88.33 – 89.4 und Log § 25, IX 105.16 – 20. 20 Die passivische Formulierung: ,Wenn x gewollt wird, dann muss y getan werden‘, kann auch problemlos durch die aktivische: ,Wenn ein beliebiges S x will, dann muss es y tun‘, ersetzt werden, durch die ebenso der berindiviuelle Charakter hypothetischer Imperative zum Ausdruck kommt.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

223

Grundstze wieder, die „fr den Willen jedes vernnftigen Wesens gltig“ (KpV A 35, V 19.11 f.) sind. Diese hypothetischen Vorschriften bestimmt Kant auch als „praktische Regeln“ (KU B XIV, V 172.31 f.), die bloß „technisch-praktische Regeln“ (KU B XIII, V 172.23) sind und in deren Fall „der Begriff, der der Causalitt des Willens die Regel giebt, ein Naturbegriff“ (KU B XIII, V 172.12 f.) und nicht „ein Freiheitsbegriff“ (ebd.) ist. Ihr Vordersatz drckt die Willensbestimmung irgendeines vernnftigen Wesens, ihr Nachsatz die Handlungsanweisung fr jedes seinen Willen auf solche Weise bestimmende, vernnftige Wesen aus. (3) Technischer Satz: ,Wenn x Zweck ist, dann ist y Mittel.‘. In einem weiteren Schritt kçnnen diese hypothetischen Vorschriften auch als ,technische Stze‘ verstanden werden, indem die Bezogenheit auf das Begehrungsvermçgen (zumindest sprachlich) vçllig ausgeblendet wird, so dass sie lediglich „das Mannigfaltige einer mçglichen Handlung an[zeigen], welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist“ (KpV A 46 Anm., V 26.36 f.) und von Kant technische Stze genannt werden. Sie sind „eben so theoretisch als alle Stze, welche eine Verknpfung der Ursache mit einer Wirkung aussagen“ (KpV A 46 Anm., V 26.37 – 39). Als technische Stze formuliert, wird die spezifische Rolle des Begehrungsvermçgen bei hypothetischen Imperativen besonders deutlich. Das Begehrungsvermçgen eines konkreten Subjekts ist freilich Adressat hypothetischer Imperative. Allerdings ist es hier bloß als „Naturvermçgen“ (KU B XIII, 172.30) angesprochen, d. h. als „eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt“ (KU B XII, 172.4 f.). Ob das Begehrungsvermçgen, das bei endlich-vernnftigen Wesen „auch unter dem Freiheitsbegriffe steht“ (KU B XIV, 172.34), jemals dem im Vordersatz eines technischen Satzes genannten Zweck gemß bestimmt wird oder nicht, ist fr die Gltigkeit hypothetischer Imperative unerheblich. Nur genau dann, wenn x als Zweckobjekt bestimmt wird, ist auch y als Mittel bestimmt. Der Vordersatz technischer Stze drckt allein die Setzung eines Gegenstandes als Zweckobjekt aus, ihr Nachsatz nennt die im Falle einer solchen Zwecksetzung passenden Mittel. Die teleologische Struktur hypothetischer Imperative wird an der spezifischen Form technischer Stze ,wenn x = Zweck, dann y = Mittel‘ erkennbar. Die Wendung ,teleologische Struktur‘ bezeichnet dabei die den hypothetischen Imperativen zugrunde liegende Verbindung zweier Urteilstypen, die beide als teleologisch zu bezeichnen sind. Es handelt sich einerseits um Urteile der Form ,x ist Zweck‘ (Zweckurteile) und andererseits um Urteile der Form ,y ist zweckmßig‘. Beide werden in hypothetischen Imperativen (bzw. technischen Stzen) zu einem hypothetischen

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Satz verbunden, d. h. sie werden in ein Verhltnis „des Grundes zur Folge“ (KrV B 98, III 88.34) gesetzt, also in einem bestimmten „Verhltniß gegen einander betrachtet“ (KrV B 98, III 88.37 – 89.1). Es mssen demnach fr hypothetische Imperative die drei spezifischen Merkmale aller hypothetischen Stze gelten. Kant bestimmt sie folgendermaßen: „Der hypothetische Satz: wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich Bçse bestraft, enthlt eigentlich das Verhltniß zweier Stze: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, und: der beharrlich Bçse wird bestraft. Ob beide dieser Stze an sich wahr sind, bleibt hier unausgemacht. Es ist nur die Consequenz, die durch dieses Urtheil gedacht wird“ (KrV B 98, III 89.1 – 6).

Erstens „enthalten“ hypothetische Stze „das Verhltniß zweier Stze“21, zweitens ist die Wahrheit der beiden Teilstze „an sich“ fr ihre Gltigkeit irrelevant22, und drittens ist „nur die Consequenz“23 ihr spezifischer Gehalt. Bei hypothetischen Imperativen ist das erste Merkmal gegeben, da in ihnen zwei Stze miteinander verbunden sind (,x ist Zweck‘ und ,y ist zweckmßig‘). Ferner kann mit Blick auf die Gltigkeit eines hypothetischen Imperativs zumindest die Wahrheit des Vordersatzes vernachlssigt werden, da es fr jene unerheblich ist, ob der Gegenstand tatschlich jemals gewollt, d. h. als Zweckobjekt gesetzt wird. Die Frage, ob die Wahrheit des Nachsatzes dabei ebenfalls vernachlssigt werden kann, ist hier vorerst zurckzustellen. Vielmehr kann noch geklrt werden, was es heißt, dass auch bei hypothetischen Imperativen nur die Konsequenz, die sich aus der hypothetischen Verbindung beider Teilstze ergibt, als ihr spezifischer Gehalt zu bestimmen ist. Kant nennt die hypothetischen Imperative in der GMS auch analytische (praktische) Stze.24 Sie sind jedoch ebenso wie der Satz: ,Wer den Zweck will, will auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel‘, allein „was das Wollen betrifft“ (GMS IV 417.10 f.) als analytische Stze zu 21 Vgl. Log § 25, IX 105.16 f. (dort: „Die Materie der hypothetischen Urtheile besteht aus zwei Urtheilen“). 22 Vgl. Log § 25 Anm. 2, IX 105.30 f. (dort: „in den [hypothetischen Urtheilen] kann ich daher zwei falsche Urtheile miteinander verknpfen“). 23 Vgl. Log § 25, IX 105.20 – 22 (dort: „die Vorstellung dieser Art von Verknpfung [als Grund und Folge, S.K.] beider Urtheile unter einander zur Einheit des Bewußtseins wird die Consequenz genannt“). 24 Vgl. GMS IV 417.23 und GMS IV 419.10. Zur Diskussion um Kants Konzeption hypothetischer Imperative als analytischer Stze vgl. v. a. Cramer 1972, Patzig 1965, Seel 1989, Wagner 1994 sowie in jngerer Zeit Staege 2002 und Pollok 2007, 59 – 71.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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bestimmen. Als Formel fr ein Gebot „gebietet“ ein hypothetischer Imperativ „das Wollen der Mittel fr den, der den Zweck will“ (GMS IV 419.9, H. v. V.). Als Imperativ ist sein spezifischer Gehalt allein eine Nçtigung und als hypothetischer ist sein spezifischer Gehalt allein die Nçtigung unter der Bedingung, dass ein Gegenstand x als Zweckobjekt gesetzt (und d. h. hier: gewollt) wird. Was zu wollen ein Subjekt gençtigt ist (Gebrauch des Mittels y), wenn es x will, folgt sicher nicht „analytisch“ aus seiner Vorstellung von x als Zweckobjekt. Aber dass das Subjekt gençtigt ist, etwas zu wollen (Gebrauch des Mittels y), wenn es x will, soll durchaus „analytisch“ aus seiner Vorstellung von x als Zweckobjekt folgen. Die Bestimmung der Konsequenz eines hypothetischen Imperativs als assertorisch25, d. h. „als wirklich (wahr)“ (KrV B 100, III 89.32 f.), erscheint insofern unproblematisch, als die Konsequenz hier nichts anderes als die durch hypothetische Imperative angezeigte Nçtigung selbst ist. Diese beruht auf einem analytischen Satz, nach dem das Verhltnis zwischen dem Wollen eines Gegenstandes x und dem Wollen der zu seiner Verwirklichung notwendigen Mittel y ein analytisches ist. Der Begriff des Wollens von y ist im Begriff des Wollens von x „enthalten“.26 Ist der Begriff des Wollens von x gegeben, folgt aus ihm „analytisch“ der Begriff des Wollens von y: „Wenn ich mir einen hypothetischen Imperativ berhaupt denke, so weiß ich nicht zum voraus, was er enthalten werde: bis mir die Bedingung gegeben ist“ (GMS IV 420.24 – 26, H. v. V.).

Was ein hypothetischer Imperativ „enthalten“ wird, also sein spezifischer Gehalt qua Nçtigung, ist a priori („zum voraus“) nicht bestimmt. Sein spezifischer Gehalt ist nur unter der Bedingung des Vorkommens eines konkreten Wollens bestimmt. Wenn ein solches statt hat, dann ist auch der spezifische Gehalt des hypothetischen Imperativs, d. h. die Nçtigung als Nçtigung zum Gebrauch der zur Verwirklichung des gewollten Gegenstandes notwendigen Mittel, bestimmt. Unter der Bedingung des Vorkommens eines konkreten Wollens ist nicht nur das konkrete Wollen ein wirkliches, sondern auch die Konsequenz, die Nçtigung ist dann „wirklich (wahr)“ (KrV B 100, III 89.32 f.). Wenn die Bedingung des Vorkommens eines konkreten Wollens erfllt ist, dann ist dieses Wollen auch zum Ge25 „In kategorischen Urtheilen ist nichts problematisch, sondern alles assertorisch, in hypothetischen hingegen ist nur die Consequenz assertorisch“ (Log § 25 Anm. 2, IX 105.28 – 30). 26 Dass die Analytizitt hypothetischer Imperative sich nach Kant allein auf das Wollen bezieht, hat H. Wagner eindringlich dargestellt (vgl. Wagner 1994, bes. 82 f.).

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

brauch der zur Verwirklichung des gewollten Gegenstandes notwendigen Mittel gençtigt. Whrend hypothetische Imperative als Imperative sowohl im Vordersatz als auch im Nachsatz jeweils ein Wollen thematisieren, setzen sie in ihrer Reformulierung als technische Stze ausschließlich zwei Gegenstnde x und y in ein bestimmtes Verhltnis (Zweck-Mittel-Relation), da hierbei von ihrer Bezogenheit auf das Begehrungsvermçgen abzusehen ist. Auch bei technischen Stzen ist allein die Konsequenz, die sich aus der hypothetischen Verbindung zweier Teilstze ergibt, ihr spezifischer Gehalt, der als assertorisch gelten muss. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, ob und in welchem Sinn die Vorstellung von y (Mittel) aus der Vorstellung von x (Zweck) „folgen“ bzw. jene in dieser „enthalten sein“ kann? Oder anders: Ist das Verhltnis zwischen dem Begriff von x (Zweckvorstellung) und dem Begriff von y (Vorstellung der Mittel) – analog zu dem Verhltnis zwischen dem Begriff des Wollens eines Gegenstandes x und dem Begriff des Wollens der zu seiner Verwirklichung notwendigen Mittel y – auch als ein analytisches zu bestimmen? Sollte dies der Fall sein, wren auch technische Stze als analytische Stze ausgezeichnet. 4.1.2 Teleologische Urteile: Zweck und Zweckmßigkeit Das Zweckurteil ist die Vorstellung eines Gegenstandes als Zweckobjekt, fr das die beiden, den Ausfhrungen Kants zum Zweckbegriff zu entnehmenden Aspekte der apriorischen Bestimmtheit des Zweckobjekts durch die Zweckvorstellung als ihrer Ursache und der Antizipation der Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts maßgeblich sind. Wie bereits gesehen27, wird formal ein bloß vorgestellter Gegenstand bereits dadurch als Zweckobjekt gedacht, wenn er genau in dem Sinne als Wirkung gesetzt wird, dass die Wirksamkeit seiner Ursache in einer Vorstellung antizipiert wird. Diese Antizipation erfolgt durch die Umkehrung des Kausalverhltnisses in Form einer zweiten Grund-Folge-Relation, in der die Wirkung als ,Zweck‘ und die Ursache als ,Mittel‘ gesetzt werden. Die objektive Gltigkeit des relevanten Kausalverhltnisses ist eine notwendige Bedingung fr die objektiv gltige Setzung eines vorgestellten Gegenstandes x als Zweckobjekt, d. h. fr eine gltige Bestimmung desselben als Zweckobjekt im Urteil ,x ist Zweck‘. Wenn also die Mçglichkeit des Gegenstandes x qua Realmçglichkeit seiner Hervorbringung als sicher, mithin das Urteil ,x ist 27 Vgl. ausfhrlich oben Abschnitt 3.2.3.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Zweck‘ als wahr gilt, ist der Begriff des Gegenstandes x eine objektiv gltige Zweckvorstellung. Die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ impliziert demnach die Mçglichkeit einer Angabe von Mitteln als Ursachen fr die Hervorbringung von x. Ein Gegenstand y wird in einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig‘ als Mittel bestimmt. Das Prdikat dieses Urteils ist ,Zweckmßigkeit‘. Im allgemeinen Sinne ist Zweckmßigkeit nach Kant die „bereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken mçglich ist“ (KU B XXVIII, V 180.32 – 34). Die im Nachsatz eines technischen Satzes als Prdikat fungierende Zweckmßigkeit (der Mittel) kann mithilfe einiger Unterscheidungen Kants, die den §§ 15, 62 und 63 der KU entnommen werden kçnnen, in dreifacher Hinsicht spezifiziert werden.28 Sie ist eine (1) objektive, (2) materiale (auch: reale) und (3) ußere (auch: relative) Zweckmßigkeit: (1) Objektive Zweckmßigkeit ist „die Beziehung des Gegenstandes auf einen bestimmten Zweck“ (KU B 44, V 226.30). Mittels des Prdikats ,(objektiv) zweckmßig‘ wird ein Gegenstand als auf „einen bestimmten Zweck“ bezogen bestimmt. Dass ein Gegenstand als (objektiv) zweckmßig bestimmt ist, „kann nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff, erkannt werden“ (KU B 44, V 226.24 – 26). (2) Materiale (auch: reale) Zweckmßigkeit ist „von dem Begriffe eines Zwecks abhngig“ (KU B 275, V 364.24 f.), whrend der Begriff einer formalen Zweckmßigkeit eine „Zweckmßigkeit ohne Zweck“ (KU B 44, V 226.27 f.)29 bezeichnet. Nicht jede objektive Zweckmßigkeit ist eine materiale, aber jede materiale Zweckmßigkeit ist eine objektive.30 Ein 28 Zum Problem der Mehrdeutigkeit des Begriffs ,Zweckmßigkeit‘ in der KU vgl. Tonelli 1957/58. 29 Vgl. KU B 274, V 364.5 f. 30 Zwar schreibt Kant in § 15 der KU, dass eine „formale objective Zweckmßigkeit aber ohne Zweck […] sich vorzustellen, […] ein wahrer Widerspruch [ist]“ (KU B 46, V 228.1 – 5). Allerdings fhrt er in § 62 die „intellectuelle Zweckmßigkeit“ (KU B 274, V 364.3) an, die sich bei „geometrische[n] Figuren, die nach einem Princip gezeichnet werden“ (KU B 271, V 362.6), zeige und die, „ob sie gleich objectiv ist (nicht wie die sthetische subjectiv), […] sich gleichwohl ihrer Mçglichkeit nach als bloß formale (nicht reale) […] begreifen [lßt]“ (KU B 274, V 364.3 – 7). Sie ist objektiv, insofern sie „die Angemessenheit der Figur zur Erzeugung vieler abgezweckten Gestalten“ (KU B 271, V 362.11 f.) betrifft; sie ist „bloß“ formal, insofern sie nicht die „Existenz, sondern nur [die] Mçglichkeit der Dinge, nmlich eine[] ihrem Begriffe correspondirende[] Anschauung“ (KU B 279 Anm., V 366.31 f.), betrifft.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Gegenstand kann als material zweckmßig bestimmt werden, „wenn ein Verhltnis der Ursache zur Wirkung zu beurtheilen ist“ (KU B 279, V 366.29 f.). Dieses ist hier das spezifische Kausalverhltnis der ZweckMittel-Relation (Zweckkausalitt), bei dem „wir die Idee der Wirkung der Causalitt ihrer Ursache […] unterlegen“ (KU B 279, V 367.1 – 3). Die „Materie“ der Zweckmßigkeit ist der Gegenstand einer Zweckvorstellung, das Zweckobjekt. (3) ußere Zweckmßigkeit ist schließlich die „Zutrglichkeit eines Dinges fr andere“ (KU B 282 f., V 368.32 f.), kurz: die „Ntzlichkeit“ (KU B 44, V 226.31 f.)31. Whrend der Begriff einer inneren Zweckmßigkeit die „Vollkommenheit eines Gegenstandes“ (KU B 44, V 226.32), d. h. „Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben“ (KU B 45, V 227.18) in Bezug auf die Zweckvorstellung, also das Verhltnis zwischen Zweck(vorstellung) und Produkt bezeichnet, betrifft der Begriff der ußeren Zweckmßigkeit die ,Zusammenstimmung eines Mannigfaltigen mit demselben‘, also das Verhltnis zwischen Mittel und Zweck(objekt).32 Ein Gegenstand y ist demnach als Mittel bestimmt, wenn er auf einen bestimmten Zweck bezogen ist (vgl. (1) und (2)). Er ist dabei in dem spezifischen Sinne auf einen Zweck bezogen, als er „nur als Material fr die Kunst“ (KU B 279, V 367.5) dient und insofern als Ursache innerhalb der (zu antizipierenden) Kausalrelation ,Mittel ! Produkt‘ bestimmt ist (vgl. (3)). Der Gegenstand y wird in dem Urteil ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ qua Nachsatz eines technischen Satzes als objektiv relativ zweckmßig bestimmt. Das Urteil ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ qua Nachsatz eines technischen Satzes kann demnach kurz als ,relatives teleologisches Urteil‘ bezeichnet werden.33 Als „absolutes teleologisches Urteil“34 kann dagegen ein Satz ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bezeichnet werden, bei dem x als Produkt bestimmt ist (vgl. auch (3)).

31 Vgl. auch KU B 45, V 227.12 sowie KU B 279 f., V 367.5 – 9 (dort: „Nutzbarkeit (fr Menschen), oder auch Zutrglichkeit (fr jedes andere Geschçpf ) und ist bloß relativ“). 32 Vgl. auch KU B 279, V 367.4 – 7. 33 Es ließe sich mit Blick auf die Bezeichnung ,Zweckurteil‘ fr ein Urteil der Form ,x ist Zweck‘ (vgl. oben Abschnitt 3.2.3) als Vordersatz technischer Stze auch als ,Mittelurteil‘ bezeichnen. 34 Diese Wendung gebraucht Kant z. B. in KU B 283, V 369.2 (dort allerdings mit Blick auf Naturzwecke).

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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4.1.2.1 Zweckvorstellung und objektive Zweckmßigkeit Da die objektive Zweckmßigkeit eines Gegenstandes „nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff, erkannt werden [kann]“ (KU B 44, V 226.24 – 26, H. v. V.), ist das Vorkommen einer Zweckvorstellung nicht nur notwendige Bedingung fr die objektive Gltigkeit eines teleologischen Urteils der Form ,x ist Zweck‘35, sondern auch fr die objektive Gltigkeit eines teleologischen Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘. In einem bestimmten Sinne liegt offenkundig einem Urteil ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ ein Urteil ,x ist Zweck‘ zugrunde. Denn ohne einen als Zweckvorstellung qualifizierten Begriff ist die grundstzliche Bezogenheit des als zweckmßig beurteilten Gegenstandes y (Mittel) bzw. x (Produkt) nicht bestimmt. Es ist dann nicht bestimmbar, wozu y zweckmßig (ntzlich) bzw. verglichen womit x zweckmßig (vollkommen) ist: „Die objective Zweckmßigkeit zu beurtheilen, bedrfen wir jederzeit den Begriff eines Zwecks“ (KU B 45, V 227.10 f.). Und daher „wird, um sich eine objective Zweckmßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begriff von diesem, was es fr ein Ding sein solle, voran gehen“ (KU B 45, V 227.15 – 17). Ein solcher Begriff von einem „Dinge“, der bestimmt, „was es fr ein Ding sein solle“, ist die Zweckvorstellung. Der Begriff (Idee) eines Gegenstandes ist genau dann als Zweckvorstellung qualifiziert, wenn sein Gegenstand als Zweckobjekt bestimmt wird. Diese Bestimmung erfolgt allein in einem Zweckurteil.36 Der Begriff der objektiven Zweckmßigkeit als Prdikat des Urteils ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. des Urteils ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ ist demnach insofern ein notwendigerweise auf den Zweckbegriff bezogener Begriff, als seine spezifische Bestimmtheit durch einen anderen Begriff, die Zweckvorstellung, bestimmt ist. Ohne den Bezug auf eine Zweckvorstellung und die Setzung eines Zweckobjekts als technisch-gegliedertes Ganzes ist er vçllig unbestimmt. Sowohl relative als auch absolute teleologische Urteile setzen also Zweckurteile (,x ist Zweck‘) voraus. Hier wird wiederholt deutlich, warum nach Kant „die objective Zweckmßigkeit, als Princip der Mçglichkeit der Dinge der Natur, so weit davon entfernt [ist], mit dem Begriff derselben nothwendig zusammenzuhngen“ (KU B 268, V 360.6 – 8, H. tw. v. V.).

35 Vgl. oben Abschnitte 3.2.3 und 3.3.2. 36 Vgl. dazu ausfhrlich oben Abschnitt 3.2.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Da teleologische Urteile der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ notwendigerweise eine Zwecksetzung voraussetzen, bei der eine konkrete Zweckvorstellung als Subjektsbegriff eines Zweckurteils fungiert, die Natur selbst dagegen lediglich „als bloßer Mechanism“ (KU B 269, V 360.16) zu bestimmen ist, kçnnte ein gltiger Grund fr eine objektiv-teleologische Beurteilung von „Dingen der Natur“ nur „außer dem Begriff der Natur“ (KU B 269, V 360.18) gesucht werden. Da aber wiederum dem Begriff eines „Kunstverstand[es]“ (KU B 408, V 441.3) als „Urgrundes der Natur“ (KU B 332, V 397.18) im Gegensatz zum Begriff „unseres eigenen Vermçgens“ (EEKU XX 234.34) keine objektive Realitt eingerumt werden kann37, aber ein Verstandesvermçgen als „Vermçgen der Begriffe“ (KrV B 199, III 146.30) bzw. „Vermçgen zu urtheilen“ (KrV B 94, III 86.10) fr die Mçglichkeit der Zwecksetzung vorausgesetzt werden muss, kann eine objektive Zweckmßigkeit der Natur lediglich als „regulatives Princip fr die bloße Beurtheilung der Erscheinungen“ (KU B 270, V 361.1 f.) gelten. Erfahrung kann „zwar Zwecke darlegen“ (EEKU XX 234.19 f.), allerdings „nur an Producten der Kunst“ (EEKU XX 234.30). Im Falle einer teleologischen Beurteilung der Natur kann nmlich nicht bewiesen werden, „dass diese [Zwecke] zugleich Absichten sind“ (EEKU XX 234.20).38 Wenn in einem teleologischen Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ der Gegenstand y bzw. x ein „Ding der Natur“ ist, wird er als ,Naturmittel‘ , d. h. „als Mittel fr andere Geschçpfe“ (KU B 280, V 367.25), bzw. als ,Naturprodukt‘ bestimmt. Damit liegt ein eigentmlicher, scheinbar widersprchlicher Sachverhalt vor: ein Zweckobjekt (hier: „Naturzweck“) ohne Zweckvorstellung (hier: „Naturabsicht“39). Kant lçst diese Schwierigkeit bekanntlich, indem er naturteleologischen Urteilen einen besonderen Status zuspricht: „Das teleologische Urtheil nmlich, ob es gleich einen bestimmten Begrif von einem Zwecke, den es der Mçglichkeit gewisser Naturproducte zum Grunde legt, mit der Vorstellung des Objects verbindet, […] ist gleichwohl immer nur ein Reflexionsurtheil“ (EEKU XX 239.31 – 35). 37 „Allein Zweckmßigkeit der Natur, oder auch der Begrif von Dingen als Naturzwecken, setzt die Vernunft als Ursache mit solchen Dingen in Verhltnis, darin wir sie durch keine Erfahrung als Grund ihrer Mçglichkeit kennen“ (EEKU XX 234.27 – 30). Vgl. auch oben Abschnitte 2.1.2 und 2.1.3. 38 Vgl. auch KU B 301, V 379.17 f. (dort: „keineswegs ausgemacht, ob irgend etwas, das wir nach diesem Princip beurtheilen, absichtlich Zweck der Natur sei“). 39 Vgl. EEKU XX 234.17 f.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Die Auszeichnung als Reflexionsurteil teilt das naturteleologische Urteil mit dem (reinen) sthetischen Urteil.40 Das Reflexionsurteil scheint also einen Gegenstand (im Falle des sthetischen Urteils) als ,zweckmßig ohne Zweck‘41 und (im Falle eines naturteleologischen Urteils) als Zweckobjekt ohne Zweckvorstellung zu bestimmen. Kant erlutert den Status des naturteleologischen Urteils als Reflexionsurteil im zehnten Abschnitt der EEKU aber folgendermaßen: „Es maaßt sich gar nicht an, zu behaupten, daß in dieser objectiven Zweckmßigkeit die Natur (oder ein anderes Wesen durch sie) in der That absichtlich verfahre, d. i. in ihr, oder ihrer Ursache, der Gedanke von einem Zwecke die Caussalitt bestimme, sondern daß wir nur nach dieser Analogie (Verhltnisse der Ursachen und Wirkungen) die mechanische Gesetze der Natur benutzen mssen, um die Mçglichkeit solcher Objecte zu erkennen“ (EEKU XX 239.35 – 240.6).

Das naturteleologische Urteil unterscheidet sich demnach von den teleologischen Urteilen der technischen Vernunft dadurch, dass es den Begriff der objektiven Zweckmßigkeit „blos zum Behuf der Reflexion ber das Object, nicht zur Bestimmung des Objects“ (EEKU XX 236.13 f.) enthlt. Es erhebt nicht den Anspruch, den Gegenstand zu bestimmen, sein Geltungsanspruch ist nicht der einer gltigen Gegenstandsbestimmung, sondern der einer gltigen Bestimmung „des Subjects“ (EEKU XX 223.8), genauer: der „Handlungen der Urtheilskraft“ (EEKU XX 222.23 f.).42 Es beurteilt zwar einen Gegenstand, aber nur mit Blick auf einen spezifischen Gebrauch der Urteilskraft, nmlich „in vorkommenden Fllen (gewisser

40 Zur Auszeichnung des sthetischen Urteils als Reflexionsurteil vgl. v. a. EEKU XX 224.8 – 226.14, EEKU XX 229.8 – 231.3, EEKU XX 238.24 – 239.25 sowie KU B 74, V 244.9 – 18. 41 Diese Bestimmung ist die Bestimmung als bloß formal zweckmßig (vgl. KU B 33 f., V 220.27 – 31). Sie liegt dem (reinen) sthetischen Urteil als subjektive Zweckmßigkeit („bloße Form der Zweckmßigkeit in der Vorstellung“) zugrunde (vgl. bes. KU § 11). Als objektive Zweckmßigkeit ist sie „intellectuelle Zweckmßigkeit“, wie sie geometrischen Figuren zukommt (vgl. KU § 62, bes. KU B 274, V 364.3 – 25). 42 Das (reine) sthetische Urteil bestimmt die „sinnliche Vorstellung des Zustandes des Subjects“ (EEKU XX 223.21) als „mit dem Gefhle der Lust und Unlust unmittelbar verbunden“ (EEKU XX 224.17 f.), mithin das Verhltnis der Erkenntnisvermçgen als „harmonische[s] Spiel“ (EEKU XX 224.21). – Zum Verhltnis von „Subjektivitt“ des (reinen) sthetischen Urteils und dessen Gegenstandsbezug vgl. bes. Dçrflinger 1988. Zur „subjektiven Allgemeinheit“ des (reinen) sthetischen Urteils vgl. etwa Wenzel 2000.

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Producte) […] zum Behuf der Vernunft von dem Begriffe der Zwecke Gebrauch zu machen“ (KU B LI, V 193.35 – 37). Den Anspruch auf gltige Gegenstandsbestimmung erhebt dagegen nicht nur das Erfahrungsurteil. Vielmehr erheben sowohl das Zweckurteil als auch das relative teleologische Urteil und das absolute teleologische Urteil (als technisch-teleologische Urteile) den Anspruch, ihren Gegenstand gltig entweder als Zweckobjekt oder als Mittel oder als Produkt zu bestimmen. Die in ihnen vollzogene Bestimmung des Gegenstandes als Zweck(objekt) oder als Mittel oder als Produkt kann allerdings nur dann eine (objektiv) gltige sein, wenn dieser als ein Gegenstand der technischen Vernunft und gerade nicht als ein „Ding der Natur“ bestimmt wird. Im Fall technisch-teleologischer Urteile wird gerade nicht „unbestimmt gelassen, ob die Zweckmßigkeit de[s]selben absichtlich, oder unabsichtlich sey“ (EEKU XX 236.34 f.). Vielmehr setzen sie das Vorhandensein einer Zweckvorstellung voraus.43 Sie sind daher im Unterschied zu naturteleologischen Urteilen als bestimmende Urteile qualifiziert.44 Sie sind aber dennoch vom Erfahrungsurteil unterschieden: Denn das Zweckurteil bestimmt einen Gegenstand gerade nicht fr die Erkenntnis, sondern fr dessen Hervorbringung; dagegen sind die technisch-teleologischen Urteile zwar auch Erkenntnisurteile. Fr ihren spezifischen Gehalt ist aber – im Unterschied zum Erfahrungsurteil – der Zweckbegriff konstitutiv. Wie gesehen, „hngt“ der Begriff der objektiven Zweckmßigkeit nicht „notwendig mit dem Begriff der Natur“45 zusammen. Wird dem Begriff der Natur hier der Begriff der Kunst gegenbergestellt46, lsst sich problemlos zeigen, dass mit diesem (im Gegensatz zu jenem) der Begriff der objektiven Zweckmßigkeit durchaus „notwendig zusammenhngt“. Der Begriff der inneren objektiven Zweckmßigkeit bestimmt als Prdikat eines Urteils der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ einen Gegenstand x als 43 Genau genommen gilt dies nur fr die technisch-teleologischen Urteile ber Mittel und Produkte, also ber Urteile der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ und ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘. Das Zweckurteil (,x ist Zweck‘) setzt bloß das Vorhandensein einer beliebigen (begrifflichen) Vorstellung voraus und qualifiziert diese erst als Zweckvorstellung. Vgl. zur weiteren Differenzierung unten Abschnitt 4.2.1. 44 „Durch ein teleologisches Princip der Erklrung der inneren Mçglichkeit gewisser Naturproducte wird unbestimmt gelassen, ob die Zweckmßigkeit derselben absichtlich, oder unabsichtlich sey. Dasjenige Urtheil, welches eines von beyden behauptete, wrde nicht mehr blos reflectirend, sondern bestimmend seyn“ (EEKU XX 236.32 – 237.1, vgl. auch EEKU XX 251.13 – 17). 45 Vgl. KU B 268, V 360.6 – 8. 46 Vgl. zu einer solchen Gegenberstellung KU B 173 f., V 303.7 – 28.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Produkt, denn „die hervorbringende Ursache desselben hat sich einen Zweck gedacht“ (KU B 174, V 303.21 f.). Insofern der als Produkt beurteilte Gegenstand x dem „gedachten Zweck“ entspricht, ist er gltig als zweckmßig (vollkommen) bestimmt. Der Begriff der ußeren Zweckmßigkeit bestimmt als Prdikat eines Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ einen Gegenstand y als Mittel, denn das technische, hervorbringende Subjekt „weiß den Dingen eine bereinstimmung mit seinen willkrlichen Einfllen […] zu geben“ (KU B 282, V 368.24 – 26). Insofern der als Mittel beurteilte Gegenstand y mit einem „willkrlichen Einfall“ (Zweckvorstellung) derart „bereinstimmt“, dass er zur Ursache bei der Hervorbringung des Zweckobjekts taugt, ist er gltig als zweckmßig (ntzlich) bestimmt. Da die (mechanische) Kunst47 lediglich, „dem Erkenntnisse eines mçglichen Gegenstandes angemessen, bloß ihn wirklich zu machen, die dazu erforderlichen Handlungen verrichtet“ (KU B 177, V 305.17 – 19), muss ihr Produkt notwendigerweise nach seiner Vollkommenheit beurteilt werden, d. h. ob und inwiefern es mit dem „mçglichen Gegenstand“ (Zweckobjekt) bereinstimmt, und mssen ihre Mittel notwendigerweise nach ihrer Ntzlichkeit beurteilt werden, d. h. ob und inwiefern sie mit den zur Hervorbringung „erforderlichen Handlungen“ (Gebrauch) bereinstimmen. Die Beurteilung der Kunst ist mit der Beurteilung eines Gegenstandes mittels des Begriffs der objektiven (realen) Zweckmßigkeit identisch. Sie ist entweder Beurteilung eines Gegenstandes als Produkt („Kunstproduct“) oder Beurteilung eines Gegenstandes als Mittel („fr die Kunst“).48 Bei der Kunst ist das Vorhandensein einer Zweckvorstellung eo ipso gegeben. Bei der Beurteilung ihrer Mittel und ihrer Produkte in relativen bzw. absoluten teleologischen Urteilen wird nicht „unbestimmt gelassen, ob die Zweckmßigkeit derselben absichtlich, oder unabsichtlich sey“ (EEKU XX 236.24 f.). Sie ist aufgrund des Vorhandenseins einer Zweckvorstellung als absichtliche qualifiziert. Ein Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bestimmt einen Gegenstand als zweckmßig (ntzlich bzw. vollkommen), indem es dessen Begriff unter den Begriff der (ußeren bzw. inneren) objektiven Zweckmßigkeit subsumiert. Die Subsumtion ist eine Funktion der Ur47 „Wenn die Kunst, dem Erkennntisse eines mçglichen Gegenstandes angemessen, bloß ihn wirklich zu machen, die dazu erforderlichen Handlungen verrichtet, so ist sie mechanische; hat sie aber das Gefhl der Lust zur unmittelbaren Absicht, so heißt sie sthetische Kunst“ (KU B 177, V 305.17 – 20). 48 Vgl. KU B 279, V 367.3 – 7.

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teilskraft als „Vermçgen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken“ (KU B XXV f., V 179.19 f.). Sie ist allerdings eine spezifische Funktion der Urteilskraft, da das „Enthaltensein“ des Besonderen im Allgemeinen in zweifacher Weise gedacht werden kann: „Ist das Allgemeine (die Regel, das Princip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urtheilskraft, welche das Besondere darunter subsumirt, […] bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urtheilskraft bloß reflectirend“ (KU B XXVI, V 179.20 – 26).

Die Urteile der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ sind im Fall der Kunst als bestimmende Urteile qualifiziert, da sie behaupten, dass die Zweckmßigkeit von y bzw. x „absichtlich“ sei. Wenn sie als bestimmende Urteile qualifiziert sind, mssen sie das Ergebnis der Subsumtionfunktion der bestimmenden Urteilskraft sein. Es ist demnach zu klren, was in Urteilen der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ das „Besondere“ und was das „Allgemeine“ ist. Als „Besonderes“ ist das durch den Subjektsbegriff eines Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ Bezeichnete zu bestimmen: der konkrete Gegenstand y als Mittel bzw. x als Produkt. Als „Allgemeines“ ist das durch den Prdikatsbegriff eines Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ Bezeichnete zu bestimmen: die (ußere bzw. innere) objektive Zweckmßigkeit. Ein konkreter Gegenstand y oder x wird als zweckmßig (ntzlich bzw. vollkommen) bestimmt, indem er unter den Begriff der (ußeren bzw. inneren) Zweckmßigkeit subsumiert wird. Das „Allgemeine (die Regel, das Princip, das Gesetz)“ des Begriffs der (ußeren bzw. inneren) Zweckmßigkeit muss dabei bereits „gegeben“ sein, so dass der zu beurteilende Gegenstand y bzw. x darunter subsumiert werden kann. Als „gegeben“ kann hier aber allein die Zweckvorstellung gelten. Sie ist „gegeben“ in zweifacher Hinsicht: Einerseits ist sie als vorhandene Vorstellung, d. h. als konkrete Vorstellung eines konkreten Subjekts, eine fr die Beurteilung eines Gegenstandes als Mittel bzw. Produkt „gegebene“ Vorstellung – sie ist gegeben in ihrem Vorhandensein, als Vorkommnis („Dasein“); andererseits muss in der Zweckvorstellung das „Allgemeine“ enthalten sein – es ist gegeben im Gehalt der Zweckvorstellung. Fr die Subsumtionsleistung der Urteilskraft bei der teleologischen Beurteilung eines Gegenstandes y oder x ist diese Gegebenheit des „Allgemeinen“ im Gehalt der Zweckvorstellung entscheidend. Allein das durch die Zweckvorstellung „gegebene Allgemeine“ kann dem Begriff der objektiven

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Zweckmßigkeit Bestimmtheit verleihen. Nur durch die Zweckvorstellung ist bestimmbar, wozu y zweckmßig (ntzlich) bzw. verglichen womit x zweckmßig (vollkommen) ist. Der Frage, inwiefern die Zweckvorstellung „das Allgemeine (die Regel, das Princip, das Gesetz)“ enthlt, unter das „das Besondere“ (der Gegenstand als Mittel bzw. Produkt) im Falle von Urteilen der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ bzw. ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ subsumiert wird, ist fr relative teleologische Urteile und absolute teleologische Urteile gesondert nachzugehen. 4.1.2.2 Das absolute teleologische Urteil In einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ wird ein Gegenstand als Produkt bestimmt. Als technisch-teleologisches Urteil verstanden, wird der Gegenstand genauer als „Product […] der Kunst“ (KU B 174, V 303.21) bestimmt, denn „die hervorbringende Ursache hat sich einen Zweck gedacht“ (KU B 174, V 303.21 f.). Diese Bestimmung grndet auf einem Vergleich des Gegenstandes mit dem Gegenstand desjenigen Begriffs, der angibt, „was [er] fr ein Ding sein solle“ (KU B 45, V 227.17) bzw. „was das Ding sein solle“ (KU B 45, V 227.23), d. h. der Zweckvorstellung. Der Gegenstand einer Zweckvorstellung ist als Zweckobjekt eine durch die Einbildungskraft erzeugte technische Einheit eines Mannigfaltigen. Wie bereits gesehen, wird die technische Einheit des Zweckobjekts in einem Schema als „Product und gleichsam [als] ein Monogramm“ (KrV B 181, III 136.24 f.) der Einbildungskraft dargestellt.49 Im Unterschied zum bloß subjektiven Bild ist das Schema ein „allgemeine[s] Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (KrV B 179 f., III 135.35 f.). Wie etwa im Falle mathematischer Begriffe ist das Schema eines Zweckobjekts „eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft“ (KrV B 180, III 136.8). Es ist eine solche Regel allerdings nicht (bloß) „in Ansehung reiner Gestalten im Raume“ (KrV B 180, III 136.8 f.), sondern (wie auch bei empirischen Begriffen50) „gemß einem gewissen allgemeinen Begriffe“ (KrV B 180, III 136.12 f.), nmlich der Zweckvorstellung qua Begriff (Idee). Die Subsumtion des Gegenstandes als „Besonderes“ in einem Urteil 49 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1. 50 Fr die folgende Interpretation der Schematismuslehre Kants, bes. mit Blick auf das „Gestaltschema“ empirischer Begriffe, sind die Ausfhrungen R. Hiltschers vom 28. Mai, 4. Juni und 11. Juni 2010 im Rahmen seiner Vorlesung zu Kants Transzendentaler Logik (vgl. Hiltscher 2010a) bestimmend gewesen. Vgl. tw. auch Hiltscher 2011. Den Begriff des Gestaltschemas bernehme ich von Hiltscher.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ ist die Subsumtion des Gegenstandes unter die Zweckvorstellung als „Regel der Bestimmung unserer Anschauung [vom Gegenstand x]“ (KrV B 180, III 136.12). Die Zweckvorstellung fungiert dabei wie ein empirischer Begriff im Erfahrungsurteil, dem „gemß“ „unsere Anschauung“ bestimmt werden kann – mittels seines Schemas. Bei der Erluterung der Subsumtion eines Gegenstandes unter einen empirischen Begriff fhrt Kant im Schematismuskapitel der KrV etwa folgendes Beispiel an: „Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfßigen Thieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mçgliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschrnkt zu sein“ (KrV B 180, III 136.13 – 17).

Das ,Schema von einem Hund‘ ist allgemein, da es nicht auf eine konkrete Darstellung eingeschrnkt ist. Alle Hunde bzw. Darstellungen des Begriffs ,Hund‘ lassen sich unter den „Begriff vom Hunde“ subsumieren, da ihre „besondere Gestalt“ dem ,Schema von einem Hund‘ qua „allgemein verzeichnete“ „Gestalt eines vierfßigen Thieres“ entspricht. Jede Darstellung eines Hundes hat im ,Schema vom Hunde‘ ihre „Regel“ und muss dem „Begriff vom Hunde“ gemß sein. Ebenso wie dem ,Schema von einem Hund‘ verschiedene „besondere Gestalten“ bzw. „mçgliche Bilder“ entsprechen kçnnen, kann ein Produkt als Realisierung eines Zweckobjekts verschiedene „besondere Gestalten“ haben und in verschiedenen „mçglichen Bildern“ dargestellt werden. Die Bestimmung eines Gegenstandes als ,zweckmßig (vollkommen)‘ kann allerdings in zweifacher Hinsicht erfolgen, denn das Produkt kann dem Schema des Zweckobjekts in quantitativer und in qualitativer Hinsicht entsprechen. Kant schreibt im § 15 der KU ber die innere objektive Zweckmßigkeit folgende Bemerkung, die in Teilen bereits mehrfach angefhrt wurde, an dieser Stelle aber vollstndig zitiert und anschließend kommentiert werden soll: „[U]m sich eine objective Zweckmßigkeit an einem Dinge vorzustellen, [wird] der Begriff von diesem, was es fr ein Ding sein solle, voran gehen; und die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu diesem Begriffe (welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm giebt) ist die qualitative Vollkommenheit eines Dinges. Hiervon ist die quantitative, als die Vollstndigkeit eines jeden Dinges in seiner Art, gnzlich unterschieden und ein bloßer Grçßenbegriff (der Allheit), bei welchem, was das Ding sein solle, schon zum voraus als bestimmt gedacht und nur, ob alles dazu Erforderliche an ihm sei, gefragt wird“ (KU B 45, V 227.16 – 24).

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Dass die Bestimmung eines „Dinges“ als objektiv zweckmßiges das Vorkommen einer Zweckvorstellung („Begriff von diesem, was es fr ein Ding sein solle“ bzw. „was das Ding sein solle“) zur notwendigen Bedingung hat, gilt fr dessen Bestimmung sowohl als Produkt als auch als Mittel. Die Bestimmung eines „Dinges“ als Produkt betrifft allerdings die „Vorstellung einer objectiven Zweckmßigkeit an einem Dinge“ und nicht ,fr ein (anderes) Ding‘. Wenn angemerkt wurde, dass die Zweckvorstellung bei der Subsumtion des Gegenstandes als „Besonderes“ in einem Urteil ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ unter das durch sie gegebene „Allgemeine“ wie ein empirischer Begriff in einem Erfahrungsurteil fungiert, wird nach der zitierten Bemerkung Kants diese Analogie zuerst durch die Bestimmung des Gegenstandes als quantitativ vollkommen besttigt. Denn die „quantitative Vollkommenheit“ ist die „Vollstndigkeit eines jeden Dinges in seiner Art“ und ein „ein bloßer Grçßenbegriff“. Wie im Erfahrungsurteil wird hier das „Ding“ mit dem Schema des jeweiligen Begriffs verglichen und gefragt, „ob alles dazu Erforderliche an ihm sei“, um unter diesen subsumiert werden zu kçnnen. Die im „Schema sinnlicher Begriffe“ (KrV B 181, III 136.23 f.)51 allgemein verzeichnete Gestalt ist eine „Figur[] im Raume“ (KrV B 181, III 136.24), die zwar „niemals anderswo als in Gedanken existiren [kann]“ (KrV B 180, III 136.7), aber fr die Beurteilung eines Gegenstandes als quantitativ vollkommen das „allgemeine[] Richtmaß“ (KU B 56, V 233.28)52 ist. Die Bestimmung eines Gegenstandes als Produkt in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (quantitativ vollkommen)‘ ist demnach die Subsumtion dieses Gegenstandes unter eine Zweckvorstellung mittels eines Gestaltschemas53, durch das die spezifische Gestalt des Zweckobjekts vorgestellt wird. Entspricht die Anschauung des Gegenstandes diesem Gestaltschema, ist also „alles“ fr die 51 Dass an dieser Stelle des Schematismuskapitels mit der Wendung „sinnliche Begriffe“ von Kant nicht ausschließlich mathematische Begriffe, sondern auch empirische Begriffe bezeichnet werden, zeigt bereits das Fehlen des Attributs „rein“ (vgl. KrV B 180, III 136.1), mit dem Kant dort die sinnlichen Begriffe als mathematische Begriffe auszeichnet (so auch Hiltscher 2010a). 52 Diese Wendung ist Kants Bemerkungen zur „Normalidee“ im § 17 der KU entnommen. Die dort genannte „Gestalt, die zum allgemeinen Richtmaß der sthetischen Beurtheilung jedes Einzelnen [einer] Species tauglich wre“ (KU B 56, V 233.28 f.), wird allerdings nicht durch ein Schema, sondern „in einem Musterbilde vçllig in concreto dargestellt“ (KU B 56, V 233.33 f.). Auf die Parallelitt von Schematismus und „Normalidee“ hat mich zuerst R. Hiltscher hingewiesen (vgl. Hiltscher 2010a). 53 Als ein Merkmal des Raumes qua „reine[r] Anschauung“ (KrV B 34 f., III 50.20) ist ,Gestalt‘ notwendigerweise quantifizierbar.

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Darstellung der Zweckvorstellung im Raum „Erforderliche an ihm“, ist er gltig als quantitativ vollkommen bestimmt. Bei der Bestimmung eines Gegenstandes als Produkt in quantitativer Hinsicht wird nach dem angefhrten Zitat vorausgesetzt, dass das, „was das Ding sein solle, schon zum voraus als bestimmt gedacht“ wird, da nur nach dessen „Vollstndigkeit in seiner Art“ gefragt wird. Die quantitative Vollkommenheit ist dagegen von der qualitativen „gnzlich unterschieden“, da bei dieser nicht das, „was das Ding sein solle, schon zum voraus als bestimmt gedacht“ wird, sondern „der Begriff von diesem, was es fr ein Ding sein solle, voran gehen“ wird. Die Bestimmung eines Gegenstandes als Produkt in qualitativer Hinsicht als Urteil der Form ,x ist zweckmßig (qualitativ vollkommen)‘ behauptet „die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu“ der Zweckvorstellung, also eine bereinstimmung ,der Art‘ des Gegenstandes. In ihrem Fall wird also nicht danach gefragt, „ob alles dazu Erforderliche an ihm sei“, d. h. ob der Gegenstand „in seiner Art“ vollstndig ist, sondern ob die „Art“ des Gegenstandes mit der „Art“ des Zweckobjekts bereinstimmt. Whrend bei der Bestimmung des Gegenstandes als quantitativ vollkommen die „Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben“ mit dem durch die Zweckvorstellung vorgestellten Zweckobjekt also vorausgesetzt („schon zum voraus als bestimmt gedacht“) wird, ist eben diese „Zusammenstimmung“ gerade das Thema eines Urteils der Form ,x ist zweckmßig (qualitativ vollkommen)‘. Auch bei diesem erfolgt die Subsumtion des Gegenstandes unter den Begriff der (inneren) objektiven Zweckmßigkeit mittels des Schemas der Zweckvorstellung. Und auch bei diesem ist das Schema analog zum Schema eines „sinnlichen Begriffs“ ein bloßes Gestaltschema, durch das die spezifische Gestalt des Zweckobjekts vorgestellt wird. Denn auch durch die Bestimmung des Gegenstandes als qualitativ vollkommen wird die obige Anmerkung, dass die Zweckvorstellung bei der Subsumtion des Gegenstandes als „Besonderes“ in einem Urteil ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ unter das durch sie gegebene „Allgemeine“ wie ein empirischer Begriff in einem Erfahrungsurteil fungiert, besttigt. Der zu subsumierende Gegenstand wird dabei aber nicht hinsichtlich seiner „Vollstndigkeit“ mit dem Zweckobjekt verglichen, sondern der Vergleich betrifft allein die Frage, ob er als Gegenstand von bestimmter Art mit ihm bereinstimmt. Nicht die „Grçße“ des Gegenstandes, sondern dessen „Realitt“ ist hier maßgeblich.54 Mit Blick auf eine spezifische Zweckvorstellung liegt 54 Dies kann wohl problemlos anhand der bereits mehrfach verwendeten Beispiele illustriert werden: Durch eine Mieteinnahme ist die Zweckvorstellung ,Geldein-

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demnach die Bestimmung eines Gegenstandes als qualitativ vollkommen der Bestimmung dieses Gegenstandes als quantitativ vollkommen zugrunde: Erst wenn der Gegenstand als Produkt in qualitativer Hinsicht gltig bestimmt wird, kann im Anschluss nach seiner quantitativen Vollkommenheit im Vergleich zur spezifischen Zweckvorstellung gefragt werden.55 Denn erst wenn die Anschauung des Gegenstandes der spezifischen Zweckvorstellung (zumindest in einem hinreichenden Grad)56 berhaupt entspricht, ist dessen „Vollstndigkeit“ beurteilbar. Die Subsumtion eines Gegenstandes in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ ist allerdings noch nicht hinreichend durch die Analogie mit der Subsumtion mittels des Gestaltschemas eines empirischen Begriffs in einem Erfahrungsurteil erklrt. Denn der Gegenstand ist damit noch gar nicht als zweckmßiger Gegenstand bestimmt, sondern bloß seine Anschauung als einem beliebigen Begriff (in quantitativer oder qualitativer Hinsicht) gemße bestimmt.57 Der Begriff, dem der Gegenstand laut einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ gemß sein soll, ist aber der Begriff (Idee) von einem Zweckobjekt, eine Zweckvorstellung. Der Gegenstand einer Zweckvorstellung ist zwar als Zweckobjekt eine durch die Einbildungskraft erzeugte (technische) Einheit eines Mannigfaltigen, mithin Anschauung, die auf einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25) grndet.58 Aber das mit dem Gehalt der Zweckvorstellung „gegebene Allgemeine“, unter das in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ der Gegenstand subsumiert wird, ist nicht das Schema der Zweckvorstellung selbst. Es ist vielmehr die Zweckvorstellung, die als Zweckvorstellung ihren Gegenstand als Wirkung vorstellt. Denn die

55

56 57 58

nahme‘ realisiert, die Mieteinnahme ist als qualitativ vollkommen in Bezug auf die Zweckvorstellung ,Geldeinnahme‘ zu beurteilen. Die Hçhe der Mieteinnahme ist fr diese Beurteilung zweitrangig. Mit Blick auf die Zweckvorstellung ,fliegender Affe‘ ist auch etwa ein in einem Flugzeug sitzender einarmiger Affe als qualitativ vollkommen zu beurteilen. Es ist hier nicht ausgeschlossen, dass ein Gegenstand x zwar als qualitativ unvollkommen, aber dennoch als quantitativ vollkommen gltig bestimmt werden kann. Solche Bestimmung ist mçglich, sofern die jeweiligen Zweckvorstellungen verschiedene sind. Zur Quantifizierbarkeit von „Realitt“ vgl. Kants Erluterungen zu den transzendentalen Schematen der Qualitt in KrV B 182 f., III 137.11 – 29, bes. 22 – 24. Vgl. in diesem Kontext auch Kants Unterscheidung von mathematischen und dynamischen Kategorien bzw. mathematischem und dynamischem „Gebrauch ihrer Synthesis“ in KrV B 110, III 95.25 – 31 bzw. KrV B 199, III 147.4 – 7. Vgl. oben Abschnitt 3.2.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Erzeugung der technischen Einheit des Zweckobjekts durch die Einbildungskraft erfolgt nach Maßgabe der Kategorie ,Ursache und Wirkung‘.59 Da in einem absoluten teleologischen Urteil nach „der inneren Mçglichkeit des Objects“ (EEKU XX 250.23 f.), mithin nach der „Vollkommenheit eines Dinges nach einem Zwecke, der in ihm selbst liegt“ (EEKU XX 250.25 f.), gefragt wird, ist hier allein die spezifische Bestimmtheit des Zweckobjekts als hervorzubringender, d. h. als zu bewirkender Gegenstand relevant. Der Gegenstand wird in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ unter die Zweckvorstellung als Begriff von einem Gegenstand als Wirkung subsumiert. Er wird damit erst als Hervorgebrachtes (Bewirktes), d. h. eben als Produkt bestimmt. In einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ wird die Anschauung eines Gegenstandes in qualitativer Hinsicht als mit dem Zweckobjekt ,der Art nach‘ bereinstimmend und in quantitativer Hinsicht als mit dem Zweckobjekt ,in seiner Art‘ bereinstimmend bestimmt. Im Falle einer gltigen Bestimmung in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ ist der Gegenstand als verwirklichtes Zweckobjekt bestimmt, d. h. die Zweckvorstellung ist „realisir[t]“ (KrV B 186, III 139.12), ihr kommt objektive Realitt zu. Das Zweckobjekt ist damit nicht mehr als bloß in der produktiven Einbildungskraft dargestellte innere Wirkung60, sondern als eine ußere Wirkung (Produkt) bestimmt. 4.1.2.3 Das relative teleologische Urteil In einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ wird ein Gegenstand als Mittel bestimmt. Als technisch-teleologisches Urteil verstanden, wird der Gegenstand genauer „als Material fr die Kunst“ (KU B 279, V 367.5) bestimmt, d. h. „als Mittel zum Gebrauche anderer Ursachen“ (KU B 279, V 367.6 f.). Auch diese Bestimmung grndet auf einem Vergleich des Gegenstandes mit dem Gegenstand desjenigen Begriffs, der angibt, „was [er] fr ein Ding sein solle“ (KU B 45, V 227.17) bzw. „was das Ding sein solle“ (KU B 45, V 227.23), d. h. der Zweckvorstellung. Allerdings ist hier nicht der „Zweck[], der in ihm selbst liegt“ (EEKU XX 250.26) relevant, sondern die „bereinstimmung zu einem Zwecke, der in anderen Dingen liegt“ (EEKU XX 250.29 f.). Der Gegenstand wird in einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ nicht etwa mit einem als Zweckobjekt gedachten Gegenstand y, sondern mit einem „anderen“, als 59 Vgl. oben Abschnitte 3.2.3, 3.3.1 und 3.3.2. 60 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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Zweckobjekt gedachten Gegenstand x in ein Verhltnis gesetzt. Nicht der Gegenstand y selbst wird als „bereinstimmend“ mit dem Zweckobjekt bestimmt, sondern bloß seine „ußeren Folgen“ (EEKU XX 250.24). Allein diese sollen mit dem Zweckobjekt „bereinstimmen“. Der Gegenstand y wird also als Ursache fr die Hervorbringung des Zweckobjekts bestimmt. Diese Bestimmung ist die Bestimmung von y als Mittel zur Hervorbringung von x. Eine Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Ntzlichkeit findet sich in den Schriften Kants allerdings nicht. Sie ist gleichwohl – analog zur Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Vollkommenheit – mçglich und betrifft dann einerseits die „Vollstndigkeit“ eines Mittels zur Hervorbringung von x, also die bereinstimmung des Gegenstandes y ,in seiner Art‘ mit der Ursache von x (Ntzlichkeit in quantitativer Hinsicht), andererseits die bereinstimmung des Gegenstandes y ,der Art nach‘ mit der Ursache von x (Ntzlichkeit in qualitativer Hinsicht). Dies muss hier nicht weiter ausgefhrt werden. Denn der wesentliche Unterschied zwischen der Bestimmung eines Gegenstandes x als Produkt und der Bestimmung eines Gegenstandes y als Mittel mit Blick auf die Subsumtion des jeweiligen Gegenstandes unter den Begriff der objektiven Zweckmßigkeit in einem teleologischen Urteil betrifft das durch den Gehalt einer Zweckvorstellung „gegebene Allgemeine“. Im Fall eines Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ kann dieses nicht die Zweckvorstellung unter der spezifischen Hinsicht sein, dass sie ihren Gegenstand bloß als Wirkung vorstellt. Im Vorstellen des Zweckobjekts als einer Wirkung ist der Gehalt der Zweckvorstellung aber auch noch nicht erschçpft. Die Zweckvorstellung bestimmt a priori das Zweckobjekt und dessen Teile, indem sie die Regel fr dessen Hervorbringung antizipiert. Wie gesehen, ist fr die Erzeugung des Zweckobjekts die Antizipation der Regel fr dessen Hervorbringung wesentlich.61 Die das Zweckobjekt konstituierende technische Synthesis ist eine durch die Antizipation der Regel fr die Hervorbringung des vorgestellten Gegenstandes determinierte Synthesis eines Mannigfaltigen. Ein Gegenstand x wird als Zweckobjekt (in der Einbildungskraft) vorgestellt, wenn Ursachen fr ihn als Wirkung fr seine Vorstellung qua technischer Einheit maßgeblich sind. Es ist an dieser Stelle hilfreich, daran zu erinnern, in welcher Hinsicht die Zweckvorstellung eine Vorstellung (Begriff, Idee) ist, die als Vorstellung

61 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

eines „Ganzen“ alle „Teile“ a priori bestimmt.62 Die „Teile“ sind insofern als allein durch das „Ganze“ bestimmte zu verstehen, als „ein jeder Theil so, wie er nur durch alle brige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existierend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht [wird]“ (KU B 291, V 373.35 – 37).

Die „Teile“, die hier von Kant als „Werkzeuge“ bzw. „Organe“ bezeichnet werden, sind durch die Zweckvorstellung aufeinander bezogen und werden insofern als „Teile“ eines „Ganzen“ gedacht. Sie sind die Mittel fr die Hervorbringung des Zweckobjekts. Da in der Zweckvorstellung die Regel fr die Hervorbringung des Zweckobjekts antizipiert wird, besteht die Aufgabe des relativen teleologischen Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ in der Beurteilung eines Gegenstandes nach Maßgabe der antizipierten Regel. Das relative teleologische Urteil erhebt den Anspruch, einen Gegenstand gltig als „Teil“ des „Ganzen“ zu bestimmen. Es erhebt den Anspruch, dass der Gegenstand y gltig als Ursache fr die Hervorbringung von x bestimmt werden kann. Die Regel fr die Hervorbringung eines Zweckobjekts ist stets eine (jeweils spezifische) Regel der Verknpfung von Ursache y (Mittel) und Wirkung x (Zweck). Kann der Gegenstand eines relativen teleologischen Urteils unter eine solche Regel subsumiert, d. h. als Ursache qualifiziert werden, ist er gltig als Mittel bestimmt. Das „gegebene Allgemeine“, unter das im Falle eines relativen teleologischen Urteils der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ ein Gegenstand subsumiert wird, ist demnach nicht die Zweckvorstellung als Begriff von einem Gegenstand als Wirkung, sondern die Zweckvorstellung als Antizipation der Regel fr die Hervorbringung des Zweckobjekts. Das relative teleologische Urteil ist damit – ebenso wie das absolute teleologische Urteil – als bestimmendes Urteil, d. h. als Subsumtion eines Gegenstandes unter ein „gegebenes Allgemeines“ ausgezeichnet. Mithin ist es noch – ebenso wie das absolute teleologische Urteil – als empirisches Urteil, d. h. als synthetisches Urteil a posteriori auszuzeichnen. Denn der Begriff eines empirischen Gegenstandes x bzw. y soll in einem Urteil der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bzw. ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ mit dem Begriff der objektiven Zweckmßigkeit verbunden werden. Dazu muss die Zweckvorstellung bekannt sein, durch deren Gehalt des „Allgemeine“ gegeben ist. Ohne Kenntnis der Zweckvorstellung ist eine objektiv gltige Bestimmung eines Gegenstandes x bzw. y in einem teleologischen 62 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

243

Urteil der der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bzw. ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ nicht mçglich.63 Sowohl dem absoluten als auch dem relativen teleologischen Urteil liegt ein Zweckurteil zugrunde, wenn sie als objektiv gltige, mithin bestimmende Urteile ausgezeichnet sein sollen. Der Begriff (Idee) eines Gegenstandes x ist die alleinige Maßgabe fr die teleologische Beurteilung von Gegenstnden in Urteilen der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bzw. ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘, insofern er in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ als Zweckvorstellung qualifiziert ist. Seine Qualifikation als Zweckvorstellung beinhaltet dabei sowohl die apriorische Bestimmtheit des Zweckobjekts als auch die Antizipation der Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts. 4.1.3 Technische Stze und die Konstruktion von Zweckvorstellungen Nach den vorangegangenen Ausfhrungen zum relativen teleologischen Urteil kann eine Antwort auf die im Anschluss an die Besprechung hypothetischer Imperative gestellte Frage nach dem spezifischen Verhltnis zwischen dem Begriff von x qua Zweckvorstellung und dem Begriff von y qua Vorstellung der Mittel, wie es in technischen Stzen der Form ,wenn x Zweck ist, dann ist y Mittel‘ zum Ausdruck kommt64, gegeben werden. Wie gesehen, bestimmt ein relatives teleologisches Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ einen Gegenstand y als Mittel zur Hervorbringung eines in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x. Die Bestimmtheit des Gegenstandes y als Mittel impliziert die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt. Ohne eine solche Setzung wre das Urteil ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ unbestimmt, da sein Prdikatsbegriff (ußere objektive Zweckmßigkeit, Ntzlichkeit) unbestimmt bliebe. Diese Implikation wird durch die Verbindung des relativen teleologischen Urteils mit dem Zweckurteil in einem technischen Satz vorgestellt: ,wenn: x ist Zweck, dann: y ist zweckmßig (ntzlich)‘. Ein technischer Satz der Form ,wenn x Zweck ist, dann ist y Mittel‘ erscheint in 63 Eine gewisse Ausnahme stellen diejenigen teleologischen Urteile dar, die „geometrische Gestalten“ und „Zahlen“ als (objektiv) zweckmßig bestimmen. Sie bestimmen mathematische Gegenstnde als zweckmßig lediglich „in mancherlei mçglicher Absicht […], ohne dieser Zweckmßigkeit einen Zweck, oder irgend einen andern Grund derselben unterlegen zu drfen“ (KU B 275, V 364.13 – 16, H. v. V.). Ihre Zweckmßigkeit ist objektiv, aber bloß formal. Vgl. § 62 der KU und oben Abschnitt 4.1.2. 64 Vgl. oben Abschnitt 4.1.1.

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dieser Hinsicht lediglich als Explikation des Verhltnisses zwischen einem als Mittel bestimmten Gegenstand y und einem als Zweck bestimmten Gegenstand x. Die Bestimmtheit des Gegenstandes y als Mittel hngt offenkundig allein von der Bestimmtheit des Gegenstandes x als Zweck ab. Denn ohne die Bestimmtheit des Gegenstandes x als Zweck ist eine gltige Bestimmung des Gegenstandes y als Mittel nicht mçglich. Das Urteil ,wenn etwas als Mittel bestimmt wird, dann wird ein Zweck vorausgesetzt‘ (kurz: ,kein Mittel ohne Zweck‘) kann demnach als analytischer Satz gelten, da „dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend […] erkannt werden [kann]“ (KrV B 190, III 142.2 f.). Die Bestimmung eines Gegenstandes als Mittel ohne Voraussetzung eines Zwecks verstçßt gegen das Widerspruchsprinzip als dem „obersten Grundsatze aller analytischen Urtheile“ (KrV B 189, III 141.15).65 hnlich steht es mit dem Urteil ,wenn etwas als Zweck bestimmt wird, dann werden Mittel vorausgesetzt‘ (kurz: ,kein Zweck ohne Mittel‘). Da die Bestimmung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ die Bestimmung des Gegenstandes x als Wirkung impliziert, impliziert die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt die Annahme einer Ursache y fr x, d. h. die Annahme von (geeigneten) Mitteln zur Hervorbringung des Zweckobjekts.66 Die Bestimmtheit eines Gegenstandes x als Zweck impliziert also die Bestimmung eines Gegenstandes y als Mittel. Die Bestimmung eines Gegenstandes als Zweck ohne die Voraussetzung der Annahme von Mitteln ist dagegen widersprchlich. Ein Gegenstand kann vielmehr allein dann (objektiv) gltig als Zweckobjekt bestimmt werden, wenn dessen Hervorbringung als real mçglich erkannt werden kann. Denn nur unter der Voraussetzung, dass ein Gegenstand y als Mittel zur Hervorbringung eines als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x in einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ gltig bestimmt werden kann, ist die Zweckvorstellung als objektiv gltige qualifizierbar. Damit ist allerdings noch nichts ber den Status von technisches Stzen als analytischen oder synthetischen Urteilen entschieden. Bisher steht allein fest, dass das Verhltnis zwischen den Begriffen ,Zweck‘ und ,Mittel‘ ein 65 „Der Satz nun: Keinem Dinge kommt ein Prdicat zu, welches ihm widerspricht, heißt der Satz des Widerspruchs und ist ein allgemeines, obzwar bloß negatives Kriterium aller Wahrheit“ (KrV B 190, III 141.26 – 28). Zum Widerspruchsprinzip bei Kant vgl. auch Wolff 1984 und Cramer 1984. 66 Vgl. dazu oben Abschnitt 3.2.3.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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analytisches ist.67 Dieser Umstand ußert sich zwar darin, dass einerseits die Bestimmung eines Gegenstandes y als Mittel in einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ die Bestimmung eines Gegenstandes x als Zweck in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ voraussetzt und andererseits auch die Bestimmung eines Gegenstandes x als Zweck in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ die Mçglichkeit der Bestimmung eines Gegenstandes y als Mittel in einem Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ voraussetzt. Das spezifische Verhltnis der Urteile ,x ist Zweck‘ und ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘, wie es in technischen Stzen zum Ausdruck kommt, ist damit aber noch nicht hinreichend geklrt. Technische Stze haben die Form hypothetischer Urteile, d. h. die Verbindung eines Zweckurteils und eines relativen teleologischen Urteils erfolgt in einem technischen Satz dadurch, dass sie in ein Verhltnis „des Grundes zur Folge“ (KrV B 98, III 88.34) gesetzt werden. Die aus einer solchen Verbindung resultierende Konsequenz gilt als genuiner Gehalt eines technischen Satzes: Allein unter der Bedingung, dass ein Gegenstand x als Zweckobjekt gesetzt ist, kann (und muss) ein Gegenstand y als Mittel fr dessen Hervorbringung gelten. Es gilt also auch fr technische Stze: „Ob beide dieser Stze an sich wahr sind, bleibt hier unausgemacht“ (KrV B 98, III 89.4 f.). Die Wahrheit „an sich“ der beiden Teilstze ,x ist Zweck‘ und ,y ist Mittel‘ ist hier insofern gleichgltig, als ein technischer Satz weder eine Zwecksetzung qua Willensbestimmung enthlt, noch die (empirische) Wahrheit des Urteils ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ voraussetzt. Ob der Gegenstand x tatschlich als Zweck(objekt) gesetzt wird oder nicht, wird in einem technischen Satz nicht bestimmt. Und ein Urteil der Form ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ ist „an sich“, also unabhngig von einer Zwecksetzung, gar nicht als ein objektives, wahrheitsdifferentes Urteil qualifiziert. Jedoch ist mit Erfllung der Bedingung der Setzung eines Gegenstandes x als Zweck(objekt) die Bestimmung eines Gegenstandes y als Mittel noch nicht geleistet. Es folgt lediglich die Aufgabe einer Bestimmung von Mitteln analytisch aus der Zwecksetzung, nicht aber die Bestimmung der Mittel selbst. Die Wahrheit technischer Stze kann demnach nicht ausschließlich mittels des Widerspruchsprinzips beurteilt werden68, sie er-

67 Dies ist analog etwa zu dem Verhltnis zwischen den Begriffen ,Ursache‘ und ,Wirkung‘ (vgl. zu diesem z. B. Cramer 1985, 54 f.). 68 Dies msste aber mçglich sein, wenn technische Stze als analytische Urteile zu bestimmen wren: „Denn wenn das Urtheil analytisch ist, es mag nun verneinend

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fordert vielmehr (empirische) Erkenntnis. Technische Stze sind also synthetische Stze in Form hypothetischer Urteile. Demnach kann im Unterschied zu hypothetischen Imperativen der Gehalt technischer Stze nicht „zum voraus“ gewusst werden, wenn „die Bedingung gegeben ist“69. Der entscheidende Unterschied zwischen hypothetischen Imperativen und technischen Stzen betrifft ihren verschiedenen Gehalt, d. h. die Konsequenz: Der Gehalt hypothetischer Imperative ist bloß eine spezifische Nçtigung eines Wollens, nmlich die Nçtigung zum Gebrauch der Mittel, mithin praktischer Gehalt. Dagegen ist der Gehalt technischer Stze nicht Nçtigung, sondern lediglich „eine Verknpfung der Ursache mit einer Wirkung“ (KpV A 46 Anm., V 26.38 f.), die eine Verknpfung der (mçglichen) Zwecksetzung mit einer Angabe der Mittel, mithin theoretischer Gehalt, ist. Zwar gilt: „Wem nun die letztere [d. h. die Wirkung, S.K.] beliebt, der muß sich auch gefallen lassen, die erstere [d. h. die Ursache, S.K.] zu sein“ (KpV A 46 Anm., V 26.39 f., H. v. V.), und d. h.: Wenn in Form eines hypothetischen Imperativs der Gehalt eines technischen Satzes auf das Begehrungsvermçgen bezogen wird, dann folgt das Wollen der Ursache qua (Gebrauch der) Mittel aus dem Wollen der Wirkung qua (bewusst) Begehrtes. Technische Stze dagegen, deren Gehalt (noch) nicht auf das Begehrungsvermçgen bezogen wird, „zeigen nur das Mannigfaltige der mçglichen Handlung an, welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist“ (KpV A 46 Anm., V 26.36 f.), und d. h.: Wenn eine Wirkung qua Zweckobjekt hervorgebracht werden soll, dann sind (einige) „mçgliche Handlungen“ qua Mittel als hinreichende Ursachen fr jene zu qualifizieren. Diese Angabe des „Mannigfaltigen der mçglichen Handlung“, die ein technischer Satz leistet, grndet auf der Umkehrung eines bestimmten Kausalverhltnisses.70 Sie setzt demnach die (empirische) Erkenntnis bestimmter Kausalverhltnisse bereits voraus. Allerdings ist ein technischer Satz auch kein synthetischer Satz a posteriori ber (ein) empirische(s) Kausalverhltnis(se). Er selbst ist keine (empirische) Erkenntnis eines empirischen Kausalzusammenhangs im Sinne eines Erfahrungsurteils. Er teilt mit Erfahrungsurteilen ber empirische Kausalverhltnisse allein die (hypothetische) Form: ,wenn a, dann b‘. Der Unterschied zwischen technischen Stze und synthetischen Stzen a posteriori ber empirische oder bejahend sein, so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend kçnnen erkannt werden“ (KrV B 190, III 142.1 – 3). 69 Vgl. nochmals GMS IV 420.24 – 26. 70 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Kausalverhltnisse betrifft ebenso wie der Unterschied zwischen technischen Stzen und hypothetischen Imperativen allein den Gehalt, d. h. die Konsequenz: Whrend das Erfahrungsurteil ber Kausalverhltnisse „eine objectiv-gltige Erkenntniß von Erscheinungen und ihrer Zeitfolge [ist], so fern die vorhergehende mit der nachfolgenden nach der Regel der hypothetischen Urtheile verbunden“ (Prol IV 312.27 – 29) wird, ist ein technischer Satz eine objektiv gltige Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts als Angabe der Mittel fr einen bestimmten Zweck, so fern die Zwecksetzung mit der Angabe der Mittel nach der Regel der hypothetischen Urteile verbunden ist. Die Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts ist hierbei die Erkennntis desjenigen „Mannigfaltige[n] der mçglichen Handlung […], welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist“ (KpV A 46 Anm., V 26.36 f.). Da der Gehalt technischer Stze auf der Umkehrung eines bestimmten Kausalverhltnisses beruht, das in einem empirischen Erkenntnisurteil (Erfahrungsurteil) vorgestellt werden kann, haben auch solche ,technischen‘ Erkenntnisse „ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne“ (Prol IV 297.30 f.). Ein Erfahrungsurteil ber ein bestimmtes Kausalverhltnis bestimmt einen Gegenstand y (objektiv gltig) als Ursache des Gegenstandes x als Wirkung: ,wenn y, dann x‘. Wird der Gegenstand x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ gesetzt, folgt aus dieser Zwecksetzung analytisch die Aufgabe der Bestimmung von Mitteln zur Hervorbringung von x. Ein Gegenstand ist (objektiv gltig) als Mittel zur Hervorbringung von x bestimmt, wenn er (objektiv gltig) als Ursache fr die Hervorbringung von x bestimmt werden kann.71 Wenn ein Kausalverhltnis zwischen dem Gegenstand y qua Ursache und dem Gegenstand x qua Wirkung, wie es in einem Erfahrungsurteil der Form ,wenn x (Ursache), dann y (Wirkung)‘ erkannt wird, bekannt ist, dann kann die Aufgabe der Bestimmung von Mitteln zur Hervorbringung von x durch die Umkehrung des Kausalverhltnisses gelçst werden, indem die Ursache y als Mittel zur Hervorbringung der Wirkung x als Zweck(objekt) bestimmt wird. Technische Stze haben demnach insofern „ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne“, als sie Erfahrungsurteile ber bestimmte Kausalverhltnisse notwendigerweise voraussetzen, die ihrerseits als empirische Urteile „ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne“ haben. Sie sind demnach nicht-reine synthetische Stze in Form hypothetischer Urteile. 71 Vgl. auch oben Abschnitt 4.1.2.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Die Qualifikation einer Zweckvorstellung als einer objektiv gltigen Zweckvorstellung setzt also (empirische) Erkenntnis im Sinne von Erfahrungsurteilen ber Kausalverhltnisse voraus. Sie scheint somit selbst eine empirische Qualifikation zu sein. Sie scheint somit aber die empirische Qualifikation eines Begriffs als eines objektiv gltigen, aber nicht als eines objektiv realen zu sein. Denn sie ist die Qualifikation eines Begriffs als eines objektiv gltigen, ohne dass dessen Gegenstand in der empirischen Anschauung gegeben wre. Denn das Zweckobjekt ist vor seiner vollzogenen Hervorbringung noch gar kein ,wirklicher‘ qua verwirklichter Gegenstand. Denn der Gegenstand einer objektiv gltigen Zweckvorstellung qua Zweckobjekt ist kein Gegenstand empirischer Anschauung, sondern er ist lediglich Gegenstand einer mçglichen empirischen Anschauung. Der Gegenstand derjenigen Zweckvorstellung, die als objektiv gltige qualifiziert wurde, ist ein objektiv gltig als Zweckobjekt gesetzter Gegenstand, dessen Hervorbringung als real mçglich erkannt wurde. Wenn aber der Gegenstand einer Zweckvorstellung qua Zweckobjekt kein Gegenstand einer empirischen, sondern bloß Gegenstand einer mçglichen empirischen Anschauung ist, stellt sich die Frage, inwiefern technische Stze als synthetische Stze a posteriori, d. h. als empirische Stze berhaupt bestimmbar sind. Denn die Bestimmung eines Satzes als eines empirischen Satzes ist seine Bestimmung als eines Satzes, der sich auf einen Gegenstand der empirischen Anschauung bezieht. Wie bereits gesehen, ist der Gegenstand der Zweckvorstellung qua Zweckobjekt kein Gegenstand einer gegebenen empirischen Anschauung, sondern Gegenstand einer Anschauung, die auf einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25 Anm.) grndet.72 Diese ,selbstttig hervorgebrachte‘ Anschauung ist ein Resultat derjenigen Synthesis eines Mannigfaltigen, die als technische Synthesis bezeichnet wurde. Da diese eine figrliche Synthesis der produktiven Einbildungskraft ist, die als technische Darstellung einer Zweckvorstellung nach Maßgabe der fr die Hervorbringung des Zweckobjekts angemessenen Verknpfungen von Ursache(n) und Wirkung(en) qua empirischen Kausalverhltnissen verfhrt und deren Resultat die technische Einheit des Zweckobjekts ist73, muss der spezifische Gehalt technischer Stze nicht nur als objektiv gltige Erkenntnis der (realen) Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts, sondern genauer als spezifische Konstruktionsregel bestimmt werden. Denn da das Zweckobjekt kein Gegenstand einer empirischen, son72 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 73 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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dern einer ,selbstttig hervorgebrachten‘ Anschauung ist, muss die Darstellung seines Begriffs qua Zweckvorstellung Kant zufolge als Konstruktion bestimmt werden. In einer Anmerkung im ersten Abschnitt seiner Schrift E gibt Kant eine allgemeine Bestimmung sowie eine grobe Einteilung des Konstruktionsbegriffs: „In allgemeiner Bedeutung kann alle Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthtige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung Construction heißen. Geschieht sie durch die bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemß, so heißt sie die reine (dergleichen der Mathematiker allen seinen Demonstrationen zum Grunde legen muß […]). Wird sie aber an irgend einer Materie ausgebt, so wrde sie die empirische Construction heißen kçnnen. Die erstere kann auch schematische, die zweite die technische genannt werden. Die letztere und wirklich nur uneigentlich so genannte Construction (weil sie nicht zur Wissenschaft, sondern zur Kunst gehçrt und durch Instrumente verrichtet wird) ist nun entweder die geometrische durch Cirkel und Lineal, oder die mechanische, wozu andere Werkzeuge nçthig sind“ (E VIII 192.24 – 37 Anm., H. tw. v. V.).

Mithilfe dieser Bemerkung Kants kann die Darstellung des in einem Zweckurteil als Zweckvorstellung qualifizierten Begriffs von einem Gegenstand x folgendermaßen bestimmt werden: (1) Die Darstellung einer Zweckvorstellung ist als Konstruktion zu bestimmen, da sie eine „Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthtige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung“ ist. Die Darstellung qua Konstruktion des in einem Zweckurteil als Zweckvorstellung qualifizierten Begriffs von einem Gegenstand x muss aber als zweifache qualifiziert werden. Denn der Gegenstand einer Zweckvorstellung ist einerseits das Zweckobjekt, das durch die technische Darstellung der Zweckvorstellung in der „bloßen Einbildungskraft“ vorgestellt werden kann: (2) Die technische Darstellung einer Zweckvorstellung ist als reine Konstruktion zu bestimmen, da diese Darstellung der Zweckvorstellung „durch die bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemß geschieht“74. Die technische Darstellung einer Zweckvorstellung im Zweckobjekt ist demnach mit Kant gerade nicht als „technische“, sondern als schematische Konstruktion zu bezeichnen.

74 Vgl. auch KrV B 741, III 469.10 f. (dort: „construiren, heißt: die […] correspondirende Anschauung a priori darstellen“).

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Der Gegenstand einer Zweckvorstellung ist aber andererseits auch das Produkt als Resultat der Hervorbringung des Zweckobjekts als Darstellung einer Zweckvorstellung durch die „Technik der Kunst“75 : (3) Die Hervorbringung eines Zweckobjekts ist die Darstellung einer Zweckvorstellung als empirische Konstruktion, da diese Darstellung der Zweckvorstellung „an irgend einer Materie ausgebt wird“. Die von Kant in der angefhrten Passage sogenannte „technische“ Konstruktion betrifft demnach nicht die Zwecksetzung und die technische Darstellung einer Zweckvorstellung, sondern die Zweckverwirklichung (Hervorbringung). Ihr Resultat ist nicht das Zweckobjekt, sondern das Produkt und „gehçrt nicht zur Wissenschaft, sondern zur Kunst“. Die technische Konstruktion ist demnach die Darstellung der Zweckvorstellung als Kunst, „wenn wir einen vorhergefaßten Begriff von einem Gegenstande, der fr uns Zweck ist, realisiren“ (KU B XLIX, V 193.1 f., H. v. V.). Whrend also die technische Darstellung, d. h. die schematische Konstruktion, die Qualifikation eines Begriffs (Idee) als einer objektiv gltigen Zweckvorstellung (2) betrifft, betrifft die realisierende Darstellung, d. h. die technische Konstruktion, die Qualifikation einer Zweckvorstellung als eines objektiv realen Begriffs (3). Diese Einteilung wirft mit Blick auf die technische Einheit des Zweckobjekts und die technische Darstellung seiner Zweckvorstellung in der produktiven Einbildungskraft76 qua schematische Konstruktion (2) allerdings eine Frage auf: Wenn das Zweckobjekt der Gegenstand einer als Idee zu verstehenden Zweckvorstellung ist, deren technische Darstellung zwar einerseits „durch die bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemß“, aber andererseits zugleich auch eine durch empirische Kausalverhltnisse determinierte Darstellung ist, inwiefern ist dann die schematische Konstruktion der Zweckvorstellung noch als „reine“ zu kennzeichnen? Ohne Zweifel zielt Kants Bestimmung der schematischen Konstruktion als einer reinen Konstruktion im genannten Zitat auf die mathematische „Construction der Begriffe“ (KrV B 741, III 469.9) ab. Denn die schematische (reine) Konstruktion muss „der Mathematiker allen seinen Demonstrationen zum Grunde legen“. Ohne hier nher auf Kants Theorie mathematischer Erkenntnis einzugehen, sind die mathematische Konstruktion und die technische Darstellung einer Zweckvorstellung mit Blick auf ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede in ein Verhltnis zu setzen. 75 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3. 76 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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Die mathematische Konstruktion77 erfordert nach Kant „nichtempirische Anschauung […], die folglich, als Anschauung, ein einzelnes Object ist“ (KrV B 741, III 469.12 f.). Dieses „einzelne Objekt“ qua mathematischer Gegenstand einer „nichtempirischen Anschauung“ korrespondiert seinem Begriff dabei „nur als ein Schema“ (KrV B 741, III 469.32), das „niemals anderswo als in Gedanken existiren [kann]“ (KrV B 180, III 136.7).78 Der mathematisch konstruierbare Begriff ist ein Begriff von „Raum und Zeit […] als quantis“ (KrV B 748, III 473.6 f.) und kann „entweder zugleich mit der Qualitt derselben (ihre Gestalt), oder auch bloß ihre Quantitt (die bloße Synthesis des gleichartig Mannigfaltigen) durch Zahl a priori in der Anschauung [dargestellt]“ (KrV B 748, III 473.7 – 9, H. v. V.) werden. Durch die mathematische Konstruktion „kçnnen wir unsere Begriffe in der Anschauung a priori bestimmen, indem wir uns im Raume und der Zeit die Gegenstnde selbst durch gleichfçrmige Synthesis schaffen, indem wir sie bloß als Quanta betrachten“ (KrV B 751, III 475.9 – 12).

Demnach betrifft die schematische Konstruktion als mathematische Konstruktion lediglich die Form der Anschauung. Zwar „schaffen wir uns“ dabei „die Gegenstnde selbst“, aber „bloß als Quanta“, mithin „zugleich mit der Qualitt derselben (ihre Gestalt)“.79 Da erst Empfindung eine Anschauung als empirische Anschauung qualifiziert80, kann die Form der Anschauung „auch selber reine Anschauung heißen“ (KrV B 34 f., III 50.20).81 Die mathematische Konstruktion ist also insofern als reine aus77 Vgl. zum Folgenden bes. den Abschnitt „Die Disciplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche“ in der „Transcendetale[n] Methodenlehre“ der KrV (KrV B 740 – 766, III 468.22 – 483.32). 78 Zur Gegenstndlichkeit „mathematischer Schemabegriffe“ vgl. Graubner 1972, 140 – 143, 160 und 166 f. 79 Das Wort „derselben“ bezieht sich hier auf „Form der Anschauung“, nicht auf „Gegenstnde“. Fr eine ausfhrliche Darstellung zur Quantitt und zur Qualitt des mathematischen Gegenstandes vgl. bes. Graubner 1972, 141 – 168, bes. 141 – 143, 153 f. und 165 – 168 . 80 „Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfhigkeit, sofern wir von demselben afficirt werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch“ (KrV B 34, III 50.1 – 4). 81 Fr eine ausfhrliche Darstellung und Diskussion des Verhltnisses zwischen den Begriffen ,Form der Anschauung‘ und ,formale Anschauung‘ sowie der einschlgigen Textpassagen in der KrV vgl. Graubner 1972, 2. Teil und ferner Longuenesse 2000, chap. 8 und 9. Zur Kritik an der von H. Graubner und B. Longuenesse gleichermaßen vertretenen Auffassung einer unmittelbaren, nicht-kategorialen

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gezeichnet, als ihr „gar nichts Empirisches beigemischt ist“ (KrV B 3, III 28.24). Daher nennt Kant auch in der „Einleitung“ der KrV als Beispiel fr „reine Urtheile a priori […] alle Stze der Mathematik“ (KrV B 4, III 29.24 – 26, H. v. V.). Die „Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthtige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung“ ist im Falle mathematischer Konstruktion von Begriffen also als reine Konstruktion zu bestimmen. Mathematische Begriffe sind demnach gemachte Begriffe mit objektiver Realitt.82 Dagegen ist die technische Darstellung einer Zweckvorstellung zwar auch die „Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthtige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung“, allerdings als technische Darstellung eine durch empirische Kausalverhltnisse determinierte Darstellung. Denn die Zweckvorstellung leistet nicht bloß die apriorische Bestimmtheit des Zweckobjekts, sondern auch die Antizipation der Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts qua empirisches Kausalverhltnis. Zweckvorstellungen sind demnach Begriffe (Ideen), denen erst durch technische Konstruktion (Hervorbringung) objektive Realitt zukommt. Ebenso wie der mathematische Gegenstand einer „nichtempirischen Anschauung“ seinem Begriff dabei „nur als ein Schema“ (KrV B 741, III 469.32) korrespondiert, das „niemals anderswo als in Gedanken existiren [kann]“ (KrV B 180, III 136.7), korrespondiert das Zweckobjekt seinem Begriff (Zweckvorstellung) „nur als ein Schema“.83 Und auch das Zweckobjekt ,existiert‘ somit vor der technischen Konstruktion (Hervorbringung) seines Begriffs (Zweckvorstellung) nicht „anderswo als in Gedanken“. Im Unterschied zum mathematischen Gegenstand, der „niemals anderswo als in Gedanken existiren kann“84, kann das Zweckobjekt jedoch Bezogenheit der „formalen Anschauung“ auf die „transzendentale Apperzeption“ vgl. Hiltscher 2011. 82 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1. 83 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1. 84 Sowohl die „geometrische“ resp. „ostensive“ als auch die „symbolische“ resp. „charakteristische“ Konstruktion (vgl. KrV B 745, III 471.25 f., KrV B 762, III 481.26 f.) entsprechen qua „empirische“ resp. „technische“ Konstruktionen (vgl. E VIII 192.31 – 36 Anm.) niemals „reinen“ resp. „schematischen“ Konstruktionen. Denn mathematische Begriffe sind nicht adquat empirisch darstellbar: „Dem Begriff von einem Triangel berhaupt wrde gar kein Bild desselben jemals adquat sein“ (KrV B 180, III 136.2 f., H. v. V.). Fr den Mathematiker ist dies auch gar nicht nçtig, da er die reine (schematische) Konstruktion „allen seinen Demonstrationen zum Grunde legen muß; daher er an einem Cirkel, den er mit seinem Stabe im Sande beschreibt, so unregelmßig er auch ausfalle, die Eigenschaften eines Cirkels berhaupt so vollkommen beschreiben kann, als ob ihn der

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durchaus auch „anderswo als in Gedanken existiren“: Es kann genau dann auch „anderswo als in Gedanken existiren“, wenn sein Begriff als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifiziert ist. Und es existiert genau dann auch „anderswo als in Gedanken“, wenn seine Zweckvorstellung als objektiv realer Begriff qualifiziert, mithin das Zweckobjekt als hervorgebrachter Gegenstand (Produkt) durch die „Technik der Kunst“ verwirklicht ist. Damit aber ein Begriff eines Zweckobjekts als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifiziert werden kann, ist eine objektiv gltige Erkenntnis der (realen) Mçglichkeit der Hervorbringung des Zweckobjekts notwendig. Eine solche Erkenntnis ist technische Erkenntnis. Da die technische Erkenntnis nicht die Erkenntnis eines Gegenstandes der empirischen Anschauung sein kann, muss sie die Erkenntnis eines Gegenstandes einer ,selbstttig hervorgebrachten‘, mithin „nichtempirischen Anschauung“ sein. Diese ,selbsttgig hervorgebrachte‘, „nichtempirische Anschauung“ kann aber keine „nicht-sinnliche[] Anschauung“ (KrV B 149, III 118.19) als Resultat eines „Vermçgen[s] der vçlligen Spontaneitt der Anschauung“ (KU B 347, V 406.21 f.) sein. Sie kann also lediglich, wie im Falle mathematischer Erkenntnis, reine Anschauung85 sein, „die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemthe stattfindet“ (KrV B 35, III 50.25 – 27).86

Wenn aber das Zweckobjekt, insofern es Resultat einer reinen, schematischen Konstruktion der Zweckvorstellung ist, als ein Gegenstand der reinen Anschauung zu bestimmen ist, dann muss fr es das Gleiche wie fr den mathematischen Gegenstand gelten: Das Zweckobjekt kann mittels schematischer Konstruktion zwar a priori erzeugt werden, aber bloß in quantitativer Hinsicht, d. h. etwa bloß der Grçße seiner Gestalt nach. Sein Begriff wird zwar a priori konstruiert, aber nur in der „formalen Anschauung“87, d. h. mittels Zahlenverhltnissen und als „Figuren im Raume“ (KrV B 181, III 136.24). beste Knstler im Kupferstiche gezeichnet htte“ (E VIII 192.28 – 31, H. v. V.). Zum Verhltnis von Allgemeinheit mathematischer Begriffe und Singularitt ihrer Gegenstnde („reine Anschauung“) vgl. Graubner 1972, 117 – 119 und 140 – 143. 85 „Sinnliche Anschauung ist entweder reine Anschauung (Raum und Zeit) oder empirische Anschauung desjenigen, was im Raum und der Zeit unmittelbar als wirklich, durch Empfindung, vorgestellt wird“ (KrV B 146 f., III 117.10 – 13). 86 Vgl. zum Begriff ,reine Anschauung‘ ausfhrlich Graubner 1972, 93 – 104, bes. 97 – 101. 87 Dass das Resultat einer mathematischen Konstruktion nicht selbst eine „formale Anschauung“ ist, sondern vielmehr Begriffe in dieser qua „quantitative[m] und

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Das so verstandene Zweckobjekt als ein „reines“ Schema ist dann aber lediglich ein mathematischer Gegenstand88, d. h. eine Bestimmung der „reine[n] Anschauung (Raum und Zeit)“ (KrV B 146 f., III 117.11), von dem „wir Erkenntnisse a priori […] bekommen [kçnnen], aber nur [seiner] Form nach“ (KrV B 147, III 117.14 f., H. v. V.). Doch auch etwa als bloßes Gestaltschema verstanden, durch das die spezifische Gestalt des Zweckobjekts vorgestellt wird, kann das Schema einer Zweckvorstellung als Schema einer Zweckvorstellung nicht bloß reines Schema sein: Denn auch die Gestalt („Figur“) des Zweckobjekts ist bereits durch empirische Kausalverhltnisse determiniert. Demnach kann die technische Darstellung qua schematischer Konstruktion auch nicht ausschließlich mathematische Konstruktion sein, wenn sie als Darstellung eines Zweckobjekts bestimmt ist. Ihr muss vielmehr die Determination auch der bloßen Gestalt des Zweckobjekts durch empirische Kausalverhltnisse vorangehen. Sie geht ihr im Falle der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ auch tatschlich notwendigerweise voraus. Denn die das Zweckobjekt darstellende technische Synthesis ist eine der Kausalittskategorie gemße figrliche Synthesis, d. h. die Gliederung eines Ganzen nach Kausalverhltnissen.89 Ihr Resultat ist die technische Einheit des Zweckobjekts. Diese „schematische Konstruktion“ ist eine nicht-reine Darstellung der Zweckvorstellung durch die produktive Einbildungskraft, da sie eine durch empirische Kausalverhltnisse determinierte ist. Sie ist dennoch eine Darstellung a priori, da ihr Gegenstand (Zweckobjekt) „nur als ein Schema“ und nicht „anderswo als in Gedanken“ ,existiert‘. Sie ist aber auch nur die Darstellung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts, dessen Hervorbringung real mçglich sein kann. Sie ist als solche keine Erkenntnis, d. h. sie qualifiziert auch noch nicht die Zweckvorstellung als objektiv gltige. Damit aber die reale Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts noch vor der technischen Konstruktion qua Hervorbringung des Zweckobjekts auch erkannt wrde und dadurch dessen Zweckvorstellung als objektiv gltig qualifiziert wre, msste das Zweckobjekt auf einen qualitative[m] Bewußtsein vom reinen Anschauen“ konstruiert werden kçnnen, hebt H. Graubner hervor (vgl. Graubner 1972, 150 f.). 88 Die folgenden berlegungen zur Mathematisierbarkeit von Zweckvorstellungen verdanken Grundstzliches den Ausfhrungen R. Hiltschers vom 28. Mai, 4. Juni und 11. Juni 2010 im Rahmen seiner Vorlesung zu Kants Transzendentaler Logik (vgl. Hiltscher 2010a, ferner Hiltscher 2011, z. B. 154 f.). 89 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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mathematischen Gegenstand reduziert werden, d. h. die Zweckvorstellung mathematisch konstruiert werden. Wenn diese Reduktion gelnge, d. h. die Zweckvorstellung tatschlich mathematisch konstruiert werden kçnnte, dann lge eine mathematische Erkenntnis vor, die die Mçglichkeit des erfolgreichen Gelingens der technischen Konstruktion (Hervorbringung) auch garantieren kann. Eine solche mathematische Erkenntnis wre insofern eine technische Erkenntnis, als sie Erkenntnis a priori der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts und damit Erkenntnis a priori der objektiven Gltigkeit einer Zweckvorstellung wre. Es kann also mit Blick auf die technische Darstellung einer Zweckvorstellung (vgl. (2)) als schematischer Konstruktion (a) eine nicht-reine Darstellung der Zweckvorstellung von (b) ihrer reinen Darstellung qua mathematischer Konstruktion unterschieden werden. Beide sind als „Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthtige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung“ zu bestimmen (vgl. (1)). Beide sind Darstellungen „durch die bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemß“ (vgl. (2)). Allerdings ist die Darstellung (a) keine Erkenntnis. Sie ist Darstellung eines Begriffs qua technische Synthesis durch die produktive Einbildungskraft aufgrund der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt im Urteil ,x ist Zweck‘. Die technische „Synthesis des Mannigfaltigen“ der Anschauung verfhrt dabei gemß der Vorstellung (Begriff, Idee), deren (darzustellender) Gegenstand als Wirkung gesetzt und dessen Bewirkung antizipiert wird.90 Ausschlaggebend sind fr die Determination der „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ zur technischen Synthesis stets die als Mittel zu qualifizierenden antizipierten Ursachen derjenigen Wirkung, als die der Gegenstand der Zweckvorstellung bestimmt wurde, d. h. empirische Kausalverhltnisse. Sie kann insofern als nichtreine technische Darstellung bezeichnet werden, als sie zwar durch eine Affektion des inneren Sinns durch den Verstand im Falle der Setzung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts bewirkt wird, aber auf einer durch die antizipierte(n) Regel(n) fr die Hervorbringung des Zweckobjekts determinierten figrlichen Synthesis beruht.91 Ferner ist diese nicht-reine technische Synthesis auch eine Synthesis gemß desjenigen Begriffs (Idee), der qua „Ganzes“ den „Teilen“ des Zweckobjekts zugrunde liegt und als innere Ursache qualifiziert ist und als solcher ein Begriff (Idee) eines empirischen Bewusstseins ist. 90 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 91 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Offen bleibt bei dieser technischen Darstellung einer Zweckvorstellung allerdings, inwiefern die Zweckvorstellung auch tatschlich technisch konstruiert, also durch die „Technik der Kunst“ hervorgebracht werden kann (vgl. (3)). Denn die Zweckvorstellung ist durch die bloße technische Darstellung (a) nicht schon als objektiv gltige qualifiziert. Ihre bewusste, wissenschaftliche Qualifikation als objektiv gltige Zweckvorstellung ist die Erkenntnis a priori der realen Mçglichkeit der Hervorbringung ihres Zweckobjekts.92 Sie ist als eine solche objektiv gltige Erkenntnis a priori aber nur mçglich mittels einer reinen Konstruktion der Zweckvorstellung qua mathematischer Konstruktion (b). Fr die Qualifikation einer Zweckvorstellung als einer objektiv gltigen Zweckvorstellung stehen aber neben der reinen Konstruktion der Zweckvorstellung noch zwei weitere Optionen zur Verfgung, die empirische Konstruktion (c) und die symbolische Darstellung (d): (c) Empirische Konstruktion. Um eine Zweckvorstellung als objektiv gltigen Begriff zu qualifizieren, kann der Versuch einer empirischen (technischen) Konstruktion der Zweckvorstellung, d. h. einer Darstellung der Zweckvorstellung, die „an irgend einer Materie ausgebt wird“, unternommen werden (vgl. (3)). Insofern die technische Konstruktion durch „Kunst“ gelingt, ist die Zweckvorstellung als objektiv realer Begriff ausgezeichnet. Eine davon unabhngige Qualifikation als objektiv gltige Zweckvorstellung mag sich dann erbrigen, da die Zweckvorstellung mit ihrer Qualifikation als objektiv realer Begriff zugleich als objektiv gltig qualifiziert ist. Allerdings ist die technische Erkenntnis im Falle des Versuchs empirischer Konstruktion von Zweckvorstellungen nur im weitesten Sinn als technische Erkenntnis zu bezeichnen. Sie ist nicht Erkenntnis als wissenschaftliche Erkenntnis, sondern Erkenntnis des „gesunden Menschenverstand[es]“ (Anth VII 139.25). Sie ist lediglich Erkenntnis „in empirisch-praktischer Rcksicht“ (Anth VII 140.11 f.) als Gehalt empirischer technischer Stze, „die durch Versuch und Erfolg continuirlich bewhrt werden“ (Anth VII 140.13 f.). (d) Symbolische Darstellung. Schließlich kann in einem bestimmten Sinn auch dann von einer Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts gesprochen werden, wenn der Zweckvorstellung lediglich „die correspondirende Anschauung […] untergelegt wird“ (KU B 255, V 351.25 – 28). Eine solche „indirecte Darstellung[] des 92 Vgl. zu Kants strengem, mit dem Gedanken der Mathematisierbarkeit zusammenhngenden Wissenschaftsbegriff bes. MAN IV 470.13 – 35.

4.1 Anwendung des Zweckbegriffs in teleologischen Urteilen

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Begriffs“ (KU B 256, V 352.10) ist die symbolische Darstellung93 einer Zweckvorstellung. Die symbolische Darstellung wird von Kant in § 59 der KU der schematischen Darstellung gegenbergestellt.94 Zwar sind sowohl Symbole als auch Schemate „Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt“ (KU B 256, V 352.8), allerdings ist die Darstellung im Falle von Schematen „demonstrativ“ und im Falle von Symbolen eine Darstellung „vermittelst einer Analogie“ (KU B 256, V 352.11). Bei der symbolischen Darstellung wendet die Urteilskraft „die bloße Regel der Reflexion ber [eine] Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand [an]“ (KU B 256, V 352.14 – 16), so dass ein Gegenstand „nur das Symbol“ (KU B 256, V 352.16) fr einen anderen Gegenstand ist. Im Fall der technischen Darstellung einer Zweckvorstellung ist ihre symbolische Darstellung demnach die „bertragung der Reflexion ber einen Gegenstand der Anschauung“ (KU B 257, V 352.33 – 353.1), der als eine Wirkung bereits erkannt wurde, „auf einen ganz andern Begriff“ (KU B 257, V 353.1), nmlich die Zweckvorstellung. Die technische Synthesis verfhrt dann bei ihrer Darstellung der Zweckvorstellung analog zu der bereits bekannten Synthesis eines Mannigfaltigen der Anschauung, um das Zweckobjekt vorzustellen.95 Damit leistet die symbolische Darstellung einer Zweckvorstellung offenkundig keine Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts im strengen Sinn. Denn nur dann, „[w]enn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntniß nennen darf“ (KU B 257, V 353.2 f.), kann auch die symbolische Darstellung als Erkenntnis bezeichnet werden. Nach Kant ist dies zulssig, „wenn sie ein Princip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, […] sondern der praktischen, was die Idee von ihm fr uns und den zweckmßigen Gebrauch derselben werden soll“ (KU B 257, V 353.3 – 6).

Die symbolische Darstellung einer Zweckvorstellung kann demnach insofern als technische Erkenntnis bezeichnet werden, als sie das Zweckobjekt 93 Da Kant mit der Wendung „symbolische[] Construction“ (KrV B 745, III 471.25) das Vorgehen der „Buchstabenrechnung“ (KrV B 745, III 471.15) von dem der Geometrie („geometrische Konstruktion“) unterscheidet, ist die Bezeichnung ,symbolische Darstellung‘ zu bevorzugen, um Missverstndnisse zu vermeiden. 94 „Alle Hypotypose (Darstellung, subiecto sub adspectum) als Versinnlichung ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die correspondirende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird“ (KU B 255, 351.23 – 28). 95 Vgl. auch Kants Bemerkungen „zum Schlusse nach der Analogie“ (KU B 447, V 463.17) im § 90 der KU.

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„praktisch bestimmt“. Diese „praktische Bestimmung“ gibt an, „was“ die Zweckvorstellung „fr uns und ihren zweckmßigen Gebrauch werden soll“. Da die symbolische Darstellung das Zweckobjekt „fr uns“ mittels einer bereits bekannten Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung vorstellig macht, ist sie zwar nicht theoretische Bestimmung. Sie ist aber insofern instruktiv fr die empirische Konstruktion einer Zweckvorstellung (vgl. (c)), als sie eine Beurteilung deren Erfolgs als mehr oder weniger wahrscheinlich erlaubt.96 Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Gehalt technischer Stze ist technische Erkenntnis. Sie ist Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung eines Zweckobjekts, d. h. Erkenntnis desjenigen „Mannigfaltige[n] der mçglichen Handlung […], welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hinreichend ist“ (KpV A 46 Anm., V 26.36 f.). Ihre Aufgabe ist die Angabe der fr die Hervorbringung eines Zweckobjekts geeigneten Mittel. Wenn ein technischer Satz der Form ,wenn x Zweck ist, dann ist y Mittel‘ wahr ist, dann ist der Begriff von x als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifiziert. Technische Stze sind damit als Konstruktionsregeln qua Regeln fr die empirische (technische) Konstruktion einer Zweckvorstellung, d. h. fr die Qualifikation einer Zweckvorstellung als eines objektiv realen Begriffs, bestimmt. Sie sind nicht-reine synthetische Stze, da sie Erfahrungsurteile ber bestimmte Kausalverhltnisse notwendigerweise voraussetzen, die ihrerseits als empirische Urteile „ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne“ haben. Die technische Erkenntnis kann gleichwohl Erkenntnis a priori sein. Sie ist Erkenntnis a priori, wenn die Zweckvorstellung mathematisch konstruiert wird (vgl. (b)). Denn mittels reiner Konstruktion der Zweckvorstellung qua mathematischer Konstruktion ist die Qualifikation eines Begriffs als objektiv gltige Zweckvorstellung seine wissenschaftliche Qualifikation als objektiv gltige Zweckvorstellung, mithin objektiv gltige Erkenntnis a priori der realen Mçglichkeit der Hervorbringung ihres Zweckobjekts. Sie ist aber in einem gewissen Sinne auch Erkenntnis a priori, wenn die Zweckvorstellung symbolisch dargestellt wird (vgl. (d)). Denn mittels Analogie(n) qua symbolischer Darstellung ist die Qualifikation eines Begriffs als objektiv gltige Zweckvorstellung zwar keine wissenschaftliche Qualifikation als objektiv gltige Zweckvorstellung, aber dennoch eine Erkenntnis a priori der realen Mçglichkeit der Hervorbringung ihres Zweckobjekts. Sie ist insofern Erkenntnis a priori, als sie lediglich auf ei96 Zur Funktion des Analogieschlusses bei der Zwecksetzung vgl. unten Abschnitt 4.2.1.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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nem Schluss beruht.97 Sie ist dagegen Erkenntnis a priori nur im weitesten Sinn. Der Gehalt technischer Stze beruht dabei stets auf der Umkehrung eines bestimmten Kausalverhltnisses bzw. mehrerer bestimmter Kausalverhltnisse. Er kann aber a priori erkannt werden. Insofern sind sie als nicht-reine synthetische Stze a priori zu verstehen, aber nicht fr die (theoretische) Erkenntnis, sondern fr ,Hervorbringung‘ als technische Erkenntnis der Realmçglichkeit der Hervorbringung von Zweckobjekten.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft Die konstitutive Relevanz des Zweckbegriffs fr hypothetische Imperative, technisch-teleologische Urteile und technische Stze qualifiziert diesen als Grundbegriff der technischen Vernunft. Sie qualifiziert diesen aber nur insofern als Grundbegriff der technischen Vernunft, als technische Vernunft die Realisierung von Zweckvorstellungen zum Thema hat. Der Zweckbegriff ist allerdings auch und in ausgezeichneter Weise der Grundbegriff technischer Vernunft, insofern sie Begriffe (Ideen) bzw. deren Gegenstnde als Zweckvorstellungen bzw. Zweckobjekte bestimmt, d. h. insofern technische Vernunft als zwecksetzende Vernunft zu bezeichnen ist. Die Qualifikation eines Begriffs (Idee) von einem Gegenstand x als Zweckobjekt, mithin die Setzung von x als Zweckobjekt erfolgt in einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘. Dieses ist hinsichtlich des fr es spezifischen Fungierens des Zweckbegriffs zu analysieren (1). Erst darauf wird eine Erzeugung des Zweckbegriffs mçglich sein, die einerseits seinen apriorischen Ursprung aufweist und andererseits diesen Aufweis als Thematisierung einer spezifischen, technischen Bestimmtheit des Verstandes als technischer Vernunft durchsichtig macht (2). Die Qualifikation des kausal fungierenden Verstandes als technischer Vernunft und der Nachweis ihrer Konstitutivitt fr einen spezifischen Gegenstandsbereich erlauben 97 Zwar nennt Kant in einer Anmerkung zu § 84 der Log den Analogieschluss zusammen mit dem Induktionsschluss „nur logische Prsumtionen oder auch empirische Schlsse“ (Log § 84 Anm. 2, IX 133.21 f., H. v. V.). Sie sind bloß „empirisch“, da sie nicht wie der Vernunftschluss „Nothwendigkeit geben“ (Log § 84 Anm. 2, IX 133.20), sondern nur „empirische Gewißheit“ (Log § 84 Anm. 3, IX 133.26). Die durch einen Schluss gewonnene, mittelbare Erkenntnis kann aber auch im Falle des Analogieschlusses insofern als a priori bezeichnet werden, als „wir sie nicht unmittelbar aus der Erfahrung, sondern aus einer allgemeinen Regel, die wir gleichwohl selbst doch aus der Erfahrung entlehnt haben, ableiten“ (KrV B 2, III 28.10 – 12). Sie ist dann eine nicht-reine Erkenntnis a priori.

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schließlich einen Ausblick auf eine apriorische Weiterbestimmung des Zweckbegriffs (3). 4.2.1 Bestimmung und Reflexion im Zweckurteil Technisch-teleologische Urteile der Form ,x ist zweckmßig (vollkommen)‘ bzw. ,y ist zweckmßig (ntzlich)‘ sind bestimmende Urteile, die ihren Subjektsbegriff unter den Begriff der objektiven Zweckmßigkeit subsumieren. Sie subsumieren ihren Subjektsbegriff unter den Begriff der objektiven Zweckmßigkeit, indem sie ihn unter eine Zweckvorstellung subsumieren. Da eine Zweckvorstellung sowohl die apriorische Bestimmtheit des Zweckobjekts als auch die Antizipation der Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts umfasst, subsumieren sie ihren Subjektsbegriff entweder unter das „Allgemeine“ der Zweckvorstellung qua Begriff eines Gegenstandes als Wirkung (absolutes teleologisches Urteil) oder unter das „Allgemeine“ der Zweckvorstellung qua Regel zur Hervorbringung des Zweckobjekts (relatives teleologisches Urteil). Sie erheben damit den Anspruch, einen Gegenstand objektiv gltig als Produkt bzw. als Mittel zu bestimmen. Mit Blick auf das Zweckurteil liegen die Verhltnisse ungleich schwieriger. Denn in einem Zweckurteil wird der Begriff von einem Gegenstand x als Zweckvorstellung allererst qualifiziert, mithin der Gegenstand x als Zweckobjekt allererst gesetzt. Zwar scheint das Zweckurteil demnach ebenfalls lediglich ein bestimmendes Urteil zu sein: Es scheint ein bestimmendes Urteil zu sein, da es einen Gegenstand x als Zweckobjekt bestimmt. 98 Es scheint einen Gegenstand x als Zweckobjekt zu bestimmen, indem es x unter den Zweckbegriff subsumiert. Allerdings ist die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ nicht bloß beliebige Bestimmung eines Gegenstandes als Zweck(objekt) qua Willensbestimmung.99 Sie beansprucht vielmehr objektive Gltigkeit. Das Zweckurteil ist nicht bloß beliebige Subsumtion eines Begriffs (Idee) unter den Zweckbegriff qua Begriff von einem Begehrten. Es erhebt vielmehr den Anspruch, dass der Gegenstand x reali-

98 Insofern wurde bisher auch ausdrcklich von der Bestimmung eines Gegenstandes als Zweckobjekt gehandelt (vgl. etwa oben Abschnitte 3.2.3, 3.3 und 4.1.2.). 99 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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sierbar, d. h. seine Hervorbringung real mçglich, mithin sein Begriff (Idee) als Zweckvorstellung objektiv gltig ist.100 In einem Zweckurteil der Form ,x ist Zweck‘ muss zwar der Gegenstand x als Wirkung bestimmt werden, ein Zweckurteil ist allerdings auch von einem Erkenntnisurteil der Art ,x ist Wirkung (von y)‘ zu unterscheiden. Bei beiden erfolgt eine Bestimmung eines Gegenstandes als einer Wirkung, und sowohl das Zweckurteil als auch das Erkenntnisurteil, etwa ber Kausalverhltnisse, sind „objektiv gltige Verhltnisse“101. Das Zweckurteil selbst ist aber kein Erkenntnisurteil. Es erhebt zwar den Anspruch auf objektive Gltigkeit. Es selbst qualifiziert aber noch nicht die Zweckvorstellung als objektiv gltige.102 Es erhebt zwar den Anspruch, dass der Gegenstand x realisierbar, d. h. seine Hervorbringung real mçglich ist. Es selbst ist aber keine Erkenntnis der realen Mçglichkeit der Hervorbringung des Zweckobjekts. Es bestimmt zwar einen Gegenstand x als Wirkung, aber es selbst ist keine Erkenntnis von x als Wirkung. Die Bestimmung des Zweckurteils als eines bloß bestimmenden Urteils ist insofern unzureichend, als ein Urteil der Form ,x ist Zweck‘ nicht lediglich eine beliebige begriffliche Vorstellung eines Gegenstandes x unter den Zweckbegriff subsumiert und somit x als Wirkung bestimmt. Denn damit ist die begriffliche Vorstellung von x noch nicht als Zweckvorstellung qualifiziert. Ein Begriff (Idee) ist vielmehr dann als Zweckvorstellung qualifiziert, wenn sein Gegenstand als Wirkung einer inneren Ursache bestimmt wird.103 Hierfr ist die Qualifikation des Begriffs (Idee) als antizipierende Ursache entscheidend. Die Zweckvorstellung ist insofern antizipierende Ursache, als die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ Antizipation seiner Form, seiner Hervorbringung und seiner Existenz ist. Sie ist Antizipation seiner Form, da der Gegenstand x eines als „Idee“ zu begreifenden Begriffs im Urteil ,x ist Zweck‘ durchgngig bestimmt und ihm eine spezifische, technische Einheit (gegliedertes Ganzes) verliehen wird. Sie ist Antizipation seiner Hervorbringung, da durch die Zweckvorstellung die Regel fr seine Hervorbringung antizipiert wird (Zweck ! [Mittel ! Produkt]), die wiederum maßgeblich fr seine (besondere) Form ist. Sie ist schließlich 100 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 101 Zum Urteil im strengen Sinne als ,objektiv gltiges Verhltnis‘ vgl. nochmals KrV B 142, III 114.20 – 23 und dazu oben Abschnitt 3.2.3. 102 Es qualifiziert die Zweckvorstellung lediglich als eine Zweckvorstellung, die objektiv gltig sein kann. 103 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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Antizipation seiner Existenz, da die Zweckvorstellung durch die Antizipation der Regel fr seine Hervorbringung als (mçgliche) mittelbare Ursache fr seine Existenz als Produkt bestimmt ist.104 Wenn also in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ ein Gegenstand x als Zweckobjekt bestimmt wird, dann ist diese Bestimmung zwar auch Bestimmung des Gegenstandes x als Wirkung. Sie ist aber zudem Bestimmung des Gegenstandes x als Wirkung einer inneren Ursache. Diese muss die Form, die Hervorbringung und die Existenz ihrer Wirkung aber allererst antizipieren. Fr diese Antizipation ist ein Wissen um empirische Kausalverhltnisse notwendig. Zwar erfolgt die Angabe der Mittel qua Ursachen fr die Hervorbringung des Zweckobjekts (Zweckverwirklichung) erst in technischen Stzen105 – die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ impliziert aber bereits die Aufgabe einer solchen Angabe. Zwar kann eine Zweckvorstellung erst mittels technischer Stze als objektive gltige qualifiziert werden – damit sie aber als objektiv gltige Zweckvorstellung qualifizierbar ist, muss sie allererst als Zweckvorstellung, d. h. als Begriff (Idee) qua innerer Ursache, qualifiziert sein. Oder anders formuliert: Der bereits bemerkte Umstand, dass in einem Zweckurteil die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt und die (affirmative) Beurteilung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt zusammenfallen106, bedeutet nicht zugleich, dass bereits mit einer Subsumtion der begrifflichen Vorstellung von x unter den Zweckbegriff diese auch schon als Zweckvorstellung ausgezeichnet ist. Die bloße Bestimmung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ ist ebensowenig eo ipso Qualifikation des Begriffs von x als einer Zweckvorstellung wie Erkenntnis der Realmçglichkeit der Hervorbringung von x. Vielmehr muss dafr das Zweckobjekt mittels technischer Synthesis dargestellt werden. Fr diese sind aber stets 104 Alle drei Aspekte der in einem Zweckurteil zu vollziehenden Antizipation sind dabei offenkundig durch die schematisierte Kausalittskategorie qua „Folge“ (vgl. nochmals KrV B 183, III 138.1 – 4) bestimmt: Die technische Einheit des Zweckobjekts ist Gliederung gemß der Kausalittskategorie, da die Verhltnisse zwischen den Teilen des Zweckobjekts, wenn sie im Einzelnen betrachtet werden, bloße Kausalverhltnisse sind. Die Regel der Hervorbringung des Zweckobjekts (Mittel ! Produkt) ist eine Kausalregel im Sinne der Naturkausalitt und die Hervorbringung qua Zweckverwirklichung somit bloßes Naturgeschehen. Die Existenz des Produkts schließlich ist nur die Folge ihrer Ursache(n) als Erscheinung. 105 Vgl. oben Abschnitt 4.1.3. 106 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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die als Mittel zu qualifizierenden antizipierten Ursachen derjenigen Wirkung, als die der Gegenstand x bestimmt wurde, ausschlaggebend, d. h. empirische Kausalverhltnisse. Zwar mag bei dieser technischen Darstellung des Begriffs von x offen bleiben, inwiefern x durch die „Technik der Kunst“ hervorgebracht werden kann. Sie gewhrleistet aber, dass der Begriff von x eine Zweckvorstellung, d. h. ein Begriff (Idee) als innere Ursache, ist. Im Falle eines Zweckurteils der Form ,x ist Zweck‘ muss demnach neben der Bestimmung des Gegenstandes x als Wirkung noch die Antizipation der Form, der Hervorbringung und der Existenz von x erfolgen. Mit den Worten Kants: Das Zweckurteil ist nicht allein Leistung der bestimmenden, sondern auch Leistung der reflektierenden Urteilskraft. Als reflektierende ist die Urteilskraft ausgezeichnet, wenn „das Besondere gegeben [ist], wozu sie das Allgemeine finden soll“ (KU B XXVI, V 179.24 f.).107 Der Begriff (Idee) von einem Gegenstand x wird zwar in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ unter den Zweckbegriff subsumiert und x somit als Wirkung bestimmt. Allerdings ist damit noch nicht das „Allgemeine“ fr diesen Gegenstand x als Zweckobjekt „gefunden“. Er ist bloß „Besonderes“ qua beliebiger Gegenstand. Da er aber als Wirkung bestimmter Gegenstand ist, muss eine Regel angegeben werden, nach der dieser Gegenstand die Wirkung einer Ursache ist. Die Urteilskraft erhlt damit die Aufgabe, ein passendes Kausalverhltnis zu finden, das den Gegenstand x als spezifische Wirkung einer Ursache bestimmt. Dass die reflektierende Urteilskraft hierbei auf Erfahrung angewiesen ist, steht Kant zufolge außer Zweifel: „Nun aber kçnnen wir, wie und auf wie mancherley Art Dinge durch ihre Ursachen mçglich sind, a priori nicht bestimmen, hierzu sind Erfahrungsgesetze nothwendig“ (EEKU XX 232.28 – 30).

Die Darstellung des Zweckobjekts durch die technische Synthesis der Einbildungskraft ist durch „Erfahrungsgesetze“ von empirischen Kausalverhltnissen determiniert. Sie determinieren die technische Darstellung des Zweckobjekts, indem sie dessen spezifische Form bestimmen. Die Setzung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ ist demnach nicht bloß Bestimmung des Gegenstandes x, sondern auch Reflexion ber den Gegenstand x.108 Sie ist auch Reflexion ber den als Zweckobjekt zu setzenden Gegenstand x, da 107 Vgl. auch Log § 81, IX 131.30 – 32 und EEKU XX 211.8 – 18 sowie oben Abschnitt 4.1.2.1. 108 Zur Gegenberstellung von ,Bestimmung‘ und ,Reflexion‘ vgl. auch Log § 82, IX 132.7 – 9 und EEKU XX 211.8 – 216.31.

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der Gegenstand x erst dann als ein als Zweckobjekt gesetzter Gegenstand gilt, wenn er durchgngig bestimmter, d. h. allein durch seinen Begriff (Idee) bestimmter Gegenstand ist.109 Die ihn darstellende „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ durch die Einbildungskraft ist technische Synthesis, fr die spezifische, der Hervorbringung des Gegenstandes x angemessene Verknpfungen von Ursache(n) und Wirkung(en) maßgeblich sind. Dem Gegenstand x als Zweckobjekt eignet demnach bestimmte Bestimmtheit aufgrund der Antizipation seiner Form, seiner Hervorbringung und seiner Existenz. Diese Antizipation ist Leistung der reflektierenden Urteilskraft, die die spezifische(n) Regel(n) fr die Hervorbringung von x finden muss. Denn erst durch diese spezifische(n) Regel(n) wird ein Gegenstand y als Mittel bestimmbar, d. h. als antizipierte Ursache derjenigen Wirkung, als die der Gegenstand x bestimmt wurde. Erst durch die spezifische(n) Regel(n) fr die Hervorbringung von x ist die Determination der „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ zur technischen Synthesis im Falle der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ mçglich. Da die Antizipation der spezifischen Regel(n) fr die Hervorbringung des Gegenstandes x, die im Fall der Setzung von x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ gefordert wird, eine Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft ist, mssen Kants Kennzeichnungen der Eigenart des Vermçgens der reflektierenden Urteilskraft110 bedacht und auf das vorliegende Problem des Zweckurteils bezogen werden. Drei der kantischen Kennzeichnungen der reflektierenden Urteilskraft, die eng miteinander zusammenhngen, sind dabei relevant: (1) ihr genuines Prinzip, (2) ihre Heautonomie sowie (3) ihre besonderen Schlussarten: (1) Als reflektierende Urteilskraft hat die Urteilskraft „ein Princip a priori fr die Mçglichkeit der Natur“ (KU B XXXVII, V 185.35 f., H. v. V.). Da sie „von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat“ (KU B XXVI f., 180.6 f.), ist ihr die Vorstellung der Natur als „ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen“ (KU B XXVII, V 180.24 f.) notwendig. Die (empirischen) Naturgesetze sind demnach in einem System von besonderen und allgemein(er)en Naturgesetzen geordnet. Kant macht dies am Beispiel von Kausalgesetzen 109 Vgl. oben Abschnitte 3.2.3 und 3.3.1. 110 Vgl. bes. die Abschnitte IV und V der „Einleitung“ der KU, die Bemerkungen zum Analogieschluss in § 90 der KU (vgl. KU B 448 – 451, V 464.3 – 465.23) und die §§ 81 – 84 der Log.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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deutlich111: Das Kausalittsprinzip ist zwar ein „allgemeines Naturgesetz“ (KU B XXXII, V 183.8), das mit Blick auf „die Natur […] berhaupt (als Gegenstand mçglicher Erfahrung) […] als schlechterdings nothwendig erkannt [wird]“ (KU B XXXII, V 183.12 f.). Jedoch sind „specifisch-verschiedene Naturen“ (KU B XXXII, V 183.16 f.) nicht allein durch das Kausalittsprinzip, sondern als empirische Gegenstnde qua Ursachen bzw. Wirkungen auch durch „ihre Regel“ (KU B XXXII, V 183.20, H. v. V.), d. h. durch besondere (empirische) Kausalgesetze, bestimmt. Dies trifft auf alle (empirischen) „Naturgesetze“ zu. So schreibt Kant am Ende des § 26 der transzendentalen Deduktion in der KrV: „Auf mehrere Gesetze aber als die, auf denen eine Natur berhaupt als Gesetzmßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit beruht, reicht auch das reine Verstandesvermçgen nicht zu, durch bloße Kategorien den Erscheinungen a priori Gesetze vorzuschreiben. Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, kçnnen davon nicht vollstndig abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesammt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um die letztere berhaupt kennen zu lernen“ (KrV B 165, III 127.21 – 28).

Die „besonderen“ Naturgesetze „stehen alle insgesammt unter“ denjenigen allgemeinen Gesetzen, „ohne welche Natur berhaupt (als Gegenstand der Sinne) nicht gedacht werden kann“ (KU B XXXII, V 183.2 f.). Diese allgemeinen Gesetze „beruhen auf den Kategorieen“ (KU B XXXII, V 183.3), durch die der reine Verstand „den Erscheinungen a priori Gesetze vorschreibt“. Sie sind die „synthetischen Grundstze des reinen Verstandes“112. Das Verhltnis zwischen diesen allgemeinen Gesetzen des reinen Verstandes und den besonderen (empirischen) Gesetzen, das im genannten Zitat aus der KrV bloß vage als Subsumtionsverhltnis („unter jenen stehen“) gefasst wird, bestimmt Kant in der KU als ein durch „das Gesetz der Specification der Natur in Ansehung ihrer empirischen Gesetze“ (KU B XXXVII, V 186.1 – 3) bestimmtes Verhltnis.113 Denn indem die reflektierende Urteilskraft die besonderen (empirischen) Gesetze als Spezifika111 Vgl. KU B XXXII f., V 183.7 – 184.10. 112 Das sind die „Axiome der Anschauung“, die „Antizipationen der Wahrnehmung“, die „Analogien der Erfahrung“ und die „Postulate des empirischen Denkens berhaupt“ (vgl. KrV B 197 – 294, III 146.1 – 202.3) 113 Nach R. Zocher werden die im ersten Teil des „Anhangs zur transzendentalen Dialektik“ der KrV (vgl. KrV B 670 – 696, III 426.21 – 442.8) vorgestellten „drei Richtungsprinzipien der Homogenitt, Spezifikation und Affinitt in der ,Kritik der Urteilskraft‘ in das eine der Spezifikation zusammengezogen“ (Zocher 1959, 57, vgl. v. a. auch 64 – 66, bes. 65, ferner 87).

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tionen der allgemeinen Gesetze des reinen Verstandes bestimmt, wird ein „durchgngiger Zusammenhang empirischer Erkenntnisse zu einem Ganzen der Erfahrung“ (KU B XXXIII, V 183.30 f.) denkbar, so dass nicht nur den bereits bekannten, sondern zudem den „mçglichen (noch zu entdeckenden) empirischen Gesetzen“ (KU B XXXIV, V 184.7), d. h. allen empirischen Gesetzen, eine „systematische Einheit“ (KU B XXXIV, V 184.19) zukommen kann. Die Vorstellung dieser systematischen Einheit der empirischen Gesetze als Spezifikationen der allgemeinen Gesetze des reinen Verstandes impliziert die Vorstellung, dass „ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie [d. h. die systematische Einheit der empirischen Gesetze, S.K.] zum Behuf unsrer Erkenntnißvermçgen […] gegeben [hat]“ (KU B XXVII, V 180.23 – 25). Das genuine Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist demnach das Prinzip der (formalen) Zweckmßigkeit der Natur.114 Denn mittels des Begriffs der „Zweckmßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit“ (KU B XXVIII, V 180.36 f.) wird die Natur „so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte“ (KU B XXVIII, V 181.1 f.). Wird Kants Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als eines Vermçgens, dem ein eigenes „Princip a priori fr die Mçglichkeit der Natur“ (KU B XXXVII, V 185.35 f.) zukommt, auf das Problem des Zweckurteils bezogen, dann besttigt sich der oben genannte Sachverhalt115, dass das transzendentale Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur eine notwendige Voraussetzung fr eine mçgliche Qualifikation des Zweckurteils als eines objektiv gltigen Urteils ist. Es ist eine solche notwendige Voraussetzung, da die Antizipation der spezifischen Regel(n) fr die Hervorbringung des Gegenstandes x, die im Fall der Setzung von x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ gefordert wird, ohne den Begriff der „Zweckmßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit“ (KU B XXVIII, V 180.36 f.) unmçglich oder zumindest lediglich einem Zufall geschuldet wre. Indem die reflektierende Urteilskraft die fr die Hervorbringung eines als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x geeignete(n) spezifische(n) Regel(n) sucht, setzt sie eine systematische Einheit der 114 „Weil […] die bereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken mçglich ist, die Zweckmßigkeit der Form desselben heißt: so ist das Princip der Urtheilskraft in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen berhaupt die Zweckmßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit“ (KU B XXVIII, V 180.31 – 37). 115 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3.3.

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Menge aller empirischen Gesetze, besonders der empirischen Kausalgesetze116, voraus. Denn sie setzt voraus, dass alle empirischen Kausalgesetze Spezifikationen des Kausalittsprinzips sind. Erst durch eine solche Voraussetzung kann die Suche der reflektierenden Urteilskraft nach einer fr die Hervorbringung eines als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x geeigneten spezifischen Regel als erfolgversprechend gelten. (2) Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, das die Natur als „ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen“ (KU B XXVII, V 180.24 f.) vorstellt, ist zwar ein „Princip a priori fr die Mçglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rcksicht“ (KU B XXXVII, V 185.35 f., H. v. V.). Es ist ein solches Prinzip „nur in subjectiver Rcksicht“, da es kein gegenstandsbestimmendes Prinzip ist. Denn durch ihr Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur schreibt die (reflektierende) Urteilskraft „nicht der Natur (als Autonomie), sondern ihr selbst (als Heautonomie) fr die Reflexion ber jene, ein Gesetz vor[]“ (KU B XXXVII, V 185.37 – 186.1).117 Die reflektierende Urteilskraft ist demnach insofern als heautonom gekennzeichnet, als ihr Prinzip lediglich „fr die Reflexion ber die Natur“ gltig ist und sie sich ihr Prinzip selbst gibt.118 D. h.: Dass die Natur als zweckmßig vorzustellen ist, ist ein Gesetz „fr die Reflexion ber jene“. Diese Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als heautonomer Urteilskraft ist fr den „Gebrauch[] unseres Verstandes in der Erfahrung“ (KU B XXXVIII, V 186.20 f.) entscheidend, da das Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur die Erkenntnis empirischer Naturgesetze konstituiert. Denn fr die Mçglichkeit empirischer Erkenntnis der besonderen Gesetze der Natur ist das „Gesetz der Specification der Natur in Ansehung ihrer 116 Vgl. dazu auch Rohs 1992, 93 – 96. Im Anschluss an D. Davidson unterscheidet P. Rohs dort zwischen „normalen“ und „strengen Kausalerklrungen“ und zeigt, dass das Kausalittsprinzip fr die Annahme einer „erkennbaren Ordnung“ der Natur noch nicht zureichend ist. Vielmehr sei fr eine solche Annahme das transzendentale Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur unerlsslich (vgl. Rohs 1992, 93 f.). Diese Annahme ist aber, so Rohs weiter, fr die Mçglichkeit „normaler Kausalerklrungen“ von besonderer Bedeutung (vgl. Rohs 1992, 95). Insofern mit einem Zweckurteil stets die Suche nach fr die Hervorbringung des Zweckobjekts geeigneten spezifischen Regeln verbunden ist und fr jene Suche (zumindest) „normale Kausalerklrungen“ notwendig sind, muss eine „erkennbare Ordnung“ der Natur auch hinsichtlich der technischen Darstellung eines Zweckobjekts sowie ferner hinsichtlich nicht-wissenschaftlicher technischer Erkenntnis vorausgesetzt werden. 117 Zum Begriff ,Heautonomie‘ vgl. auch EEKU XX 225.12 – 32. 118 Der bestimmenden Urteilskraft ist dagegen „das Gesetz […] a priori vorgezeichnet“ (KU B XXVI, V 179.28 f.).

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empirischen Gesetze“ (KU B XXXVII, V 186.1 – 3) notwendig. Die Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als heautonomen Vermçgens besagt also, dass dieses Gesetz nur Gltigkeit fr die Urteilskraft hat. Die Urteilskraft ist qua reflektierende Urteilskraft als selbstgesetzliches Vermçgen qualifiziert.119 Wird Kants Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als heautonomen, selbstgesetzlichen Vermçgens auf das Problem des Zweckurteils bezogen, ist auch die in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ vollzogene Zwecksetzung, d. h. die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt, als heautonom zu bestimmen. Sie ist insofern als heautonom zu bestimmen, als die spezifische(n) Regel(n) der Hervorbringung des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x der (bestimmenden) Urteilskraft von der (reflektierenden) Urteilskraft gegeben werden. Die spezifische(n) Regel(n) der Hervorbringung des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x werden der (bestimmenden) Urteilskraft fr die Beurteilung der Realmçglichkeit der Hervorbringung von x gegeben. Diese Beurteilung erfolgt in technischen Stzen, indem die fr die Hervorbringung eines als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x geeigneten Mittel angegeben, mithin als geeignete Mittel bestimmt werden.120 Erst mit der Angabe der fr die Hervorbringung von x (zumindest mutmaßlich) geeigneten Mittel kann die Realmçglichkeit der Hervorbringung von x beurteilt werden. Die Urteilskraft „gibt“ sich demnach ihr „Gesetz“ zur Beurteilung der Realmçglichkeit der Hervorbringung von x „selbst“. Sie ist insofern heautonom, als die bestimmende Beurteilung im technischen Satz eine reflektierende Beurteilung im Zweckurteil voraussetzt, um (objektiv) bestimmende sein zu kçnnen.121 Diese allein auf das Problem des Zweckurteils bezogene Deutung von Kants Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als heautonomen Vermçgens findet etwa in der Genielehre Kants eine Besttigung. Im Zuge der angemessenen Bestimmung des Geniebegriffs in § 46 der KU gibt Kant folgende Erluterungen zum Verhltnis von „Natur“ und „Kunst“: 119 Zur „Selbstgesetzlichkeit“ (Heautonomie) der reflektierenden Urteilskraft als zentralem Motiv der KU vgl. Bartuschat 1972, v. a. 86 – 91 und (mit Blick auf die beiden Einleitungen der KU) 222 – 245. 120 Vgl. nochmals oben Abschnitt 4.1.3. 121 Dieses spezifische Fungieren der Urteilskraft im Falle der Setzung und Beurteilung eines Gegenstandes x als eines Zweckobjekts lsst sich auch so formulieren: Das technische Subjekt gibt sich selbst die Regel zur Hervorbringung eines von ihm als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x, indem es zugleich mit der Zwecksetzung auch die Reflexion auf die mçgliche Zweckverwirklichung initiiert. Es initiiert diese durch die Suche nach zur Hervorbringung von x geeigneten Regeln.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

269

„[E]ine jede Kunst setzt Regeln voraus, durch deren Grundlegung allererst ein Product, wenn es knstlich heißen soll, als mçglich vorgestellt wird. Der Begriff der schçnen Kunst aber verstattet nicht, daß das Urtheil ber die Schçnheit ihres Productes von irgend einer Regel abgeleitet werde, die einen Begriff zum Bestimmungsgrunde habe, mithin einen Begriff von der Art, wie es mçglich sei, zum Grunde lege. Also kann die schçne Kunst sich selbst nicht die Regel ausdenken, nach der sie ihr Product zu Stande bringen soll. Da nun gleichwohl ohne vorhergehende Regel ein Product niemals Kunst heißen kann, so muß die Natur im Subjecte […] der Kunst die Regel geben, d. i. die schçne Kunst ist nur als Product des Genies mçglich“ (KU B 181, V 307.22 – 32, H. v. V.).

Unter ausdrcklichem Absehen von den mit diesen Zeilen geleisteten Bestimmungen hinsichtlich der Begriffe ,schçne Kunst‘ und ,Genie‘ kann hinsichtlich des Problems des Zweckurteils problemlos Folgendes aus jenen gefolgert werden: Im Unterschied zur schçnen Kunst kann die mechanische Kunst „sich selbst die Regel ausdenken, nach der sie ihr Product zustande bringen soll“. Sie sollte dies sogar. Denn nur dann wre sie berhaupt mechanische Kunst als Zweckverwirklichung. Whrend das Genie „als Natur die Regel“ (KU B 182, V 308.7) zur Hervorbringung gibt, ist das technische Subjekt gerade nicht als Natur, sondern als Verstand zu bestimmen, indem „es, wie es sein Product zu Stande bringe, selbst […] beschreiben, oder wissenschaftlich anzeigen kçnne“ (KU B 182, V 308.5 f.). Im Gegensatz zum Genie weiß das technische Subjekt als „Urheber eines Products, […] wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden“ (KU B 182, V 308.7 – 9), da das technische Subjekt „es […] in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmßig auszudenken“ (KU B 182, V 308.9 f.). Whrend der schçnen Kunst allein „die Natur im Subjecte die Regel geben“ kann, ist dies fr den Fall der (mechanischen) Kunst qua Zweckverwirklichung ausgeschlossen. Denn die Natur „schreibt“ entweder der Wissenschaft oder der Kunst qua schçner Kunst „die Regel vor“.122 Die (mechanische) Kunst als „Hervorbringung durch Freiheit, d. i. durch eine Willkr, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt“ (KU B 174, V 303.11 – 13), kann demnach sich nicht nur die Regel zur Hervorbringung ihrer Produkte „ausdenken“, sondern muss sie sich auch „selbst geben“.

122 Vgl. die vierte Bestimmung des Geniebegriffs in § 46 der KU: „Daß die Natur durch das Genie nicht der Wissenschaft, sondern der Kunst die Regel vorschreibe und auch dieses nur, in sofern diese letztere schçne Kunst sein soll“ (KU B 183, V 308.15 – 17, H. v. V.).

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Diese „Selbstgesetzlichkeit“123 der (mechanischen) Kunst hat ihren Grund in der beschriebenen Funktion der reflektierenden Urteilskraft fr die Zwecksetzung in einem Zweckurteil. Allein die bereits bei der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt die spezifische(n) Regel(n) der Hervorbringung von x suchende reflektierende Urteilskraft kann die Regel(n) zur Hervorbringung von x der bestimmenden Urteilskraft geben, die „allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde liegt“ (EEKU XX 251.15)124. Die Urteilskraft ist daher auch im Falle der Zwecksetzung, mithin im Bereich der (mechanischen) Kunst als heautonomes Vermçgen zu bestimmen.125 (3) Da die Urteilskraft als reflektierende Urteilskraft „von dem Besondern […] zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat“ (KU B XXVI f., 180.6 f.), ordnet Kant ihr zwei Schlussarten zu, die nicht als „Vernunftschlsse, sondern nur [als] logische Prsumtionen oder auch empirische Schlsse“ (Log § 84 Anm. 2, IX 133.21 f.)126 zu bezeichnen sind: Induktion und Analogie. Sie sind „gewisse Schlußarten, aus besonderen Begriffen zu allgemeinen zu kommen“ (Log § 82, IX 132.5 f.). Als solche „bestimmen sie auch nicht das Object, sondern nur die Art der Reflexion ber dasselbe“ (Log § 82, IX 132.8 f.). Dem Induktionsschluss liegt das „Princip der Allgemeinmachung“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.2), dem Analogieschluss das „Princip der Specification“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.5) zugrunde. Whrend der Induktionsschluss etwa von einer vielen Gegenstnden (einer Gattung) gemeinsamen Eigenschaft darauf schließt, dass allen Gegenstnden (einer Gattung) diese Eigenschaft zukommt127, schließt der Analogieschluss darauf, dass zwei Gegenstnden (einer Gattung) nicht bloß bereits bekannte, sondern weitere gemeinsame Eigen123 Vgl. Bartuschat 1972. 124 Auch hier ist zu beachten, dass unter der Bezeichnung ,menschliche Kunstwerke‘ nicht (allein) Kunstwerke im Sinne der schçnen Kunst verstanden werden. Vgl. oben Abschnitte 3.2.3 und 3.3.3.1. 125 Diese Deutung weist die Interpretationsmçglichkeit zurck, dass sich die kantische Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als heautonomen Vermçgens allein auf die transzendentale Funktion reflektierender Urteilskraft bezieht. Fr eine solche starke Interpretation der Heautonomie vgl. v. a. Zocher 1959, bes. 99 – 104, aber auch Bartuschat 1972. 126 Zu Kants Auszeichnung der Schlsse der reflektierenden Urteilskraft als empirischen Schlssen vgl. auch oben Abschnitt 4.1.3. 127 „Was vielen Dingen einer Gattung zukommt, das kommt auch den brigen zu“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.3 f.), kurz: „Eines in Vielen, also in Allen: Induction“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.11 f.).

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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schaften zukommen128. Beide Schlussarten sind nicht apodiktisch und erzeugen „wohl generative, aber nicht universale Stze“ (Log § 84 Anm. 2, IX 133.22 f.).129 Wird auch diese von Kant gegebene Kennzeichnung der reflektierenden Urteilskraft als eines Vermçgens, dem die besonderen Schlussarten der Induktion und Analogie zuzuordnen sind, auf das Problem des Zweckurteils bezogen, ist die mit der in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ vollzogene Zwecksetzung, d. h. die Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt, notwendig verbundene Antizipation der spezifischen Regel(n) fr die Hervorbringung von x als durch die beiden Schlussarten der Induktion und der Analogie bestimmte zu qualifizieren. Sie ist insofern als durch Induktion und Analogie bestimmte qualifiziert, als die Antizipation der spezifische(n) Regel(n) der Hervorbringung des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x noch keine objektive Bestimmung von x, sondern lediglich Bestimmung der „Art der Reflexion“ (Log § 82, IX 132.8 f.) ber x, mithin subjektive Bestimmung ist. Um die spezifische(n) Regel(n) der Hervorbringung von x als einem noch nicht verwirklichten, sondern hervorzubringenden Gegenstand zu antizipieren, muss demnach „von vielen auf alle Dinge einer Art, oder von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art zusammenstimmen, auf die brigen“ (Log § 84, IX 132.25 – 27) geschlossen werden. Der als Zweckobjekt gesetzte Gegenstand x wird dabei mittels Induktion und Analogie mit anderen, empirischen Gegenstnden derart in Beziehung gesetzt, dass die durch diese bekannten bzw. an diesen aufweisbaren empirischen Kausalverhltnisse auf ihre Eignung fr die Hervorbringung von x geprft werden. Diese „Vergleichung“ (KU B 449 Anm., V 464.14 f.) des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x mit anderen, empirischen Gegenstnden ermçglicht zwar noch nicht eine objektiv gltige Antizipation der spezifische(n) Regel(n) fr die Hervorbringung von x. Sie ermçglicht al128 „Dinge von einer Gattung, von denen man vieles bereinstimmendes kennt, stimmen auch in dem brigen berein, was wir in einigen dieser Gattung kennen, an andern aber nicht wahrnehmen“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.5 – 9), kurz: „Vieles in Einem (was auch in Andern ist), als auch das brige in demselben: Analogie“ (Log § 84 Anm. 1, IX 133.12 f.). 129 Zur (realen) Unterscheidung von generativen und universalen Stzen vgl. auch Log § 21 Anm. 2, IX 102.24 – 30. – Die Allgemeinheit der mittels Induktion und Analogie erzeugten generativen Stzen bezeichnet Kant auch als „empirische Allgemeinheit“ (Log § 81, IX 132.1). Aufgrund ihrer Problematizitt kçnnen Induktion und Analogie auch „nur empirische Gewißheit geben“ (Log § 84 Anm. 3, IX 133.26).

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

lerdings die Determination der „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ zur technischen Synthesis im Falle der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt, indem sie die durch Induktion und Analogie gewonnenen spezifische(n) Regel(n) als passend fr die Hervorbringung von x zumindest annimmt. Die der reflektierenden Urteilskraft im Fall der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ zugewiesene Aufgabe der Antizipation der spezifischen Regel(n) zur Hervorbringung von x wird von jener also dadurch erfllt, dass sie aufgrund ihres Prinzips der Zweckmßigkeit der Natur eine systematische Einheit der Menge aller empirischen Gesetze, besonders der empirischen Kausalgesetze, voraussetzt (vgl. (1)), dass sie die spezifische(n) Regel(n) zur Hervorbringung von x der bestimmenden Urteilskraft selbst gibt (vgl. (2)), und dass sie diese Regel(n) durch Bezugnahme auf bekannte empirische Kausalverhltnisse, nmlich mittels Induktion und Analogie, gewinnt (vgl. (3)). Mit der Antizipation der spezifische(n) Regel(n) zur Hervorbringung von x wird die Determination der „Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung“ zur technischen Synthesis mçglich und die technische Darstellung von x als Zweckobjekt erhlt somit ihre Regel(n). An dieser Stelle darf jedoch nicht bersehen werden, dass im Fall der Setzung eines Gegenstandes x als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ das Fungieren von bestimmender und reflektierender Urteilskraft wechselseitig aufeinander bezogen ist, dass also nicht die Bestimmungsfunktion der Urteilskraft zugunsten ihrer Reflexionsfunktion marginalisiert werden darf. Das Fungieren der bestimmenden Urteilskraft im Zweckurteil ist vielmehr vorrangig. Zwar ist das Fungieren der reflektierenden Urteilskraft im Zweckurteil als Bedingung fr dessen jeweilige, konkrete Realisierung zu bestimmen, jedoch ist ihm die Bestimmungsfunktion der Urteilskraft vorzuordnen.130 Obgleich in einem anderen Kontext, in der EEKU, weist Kant selbst darauf hin: „Zweckmßige Formen der Anschauung kann die Urtheilskraft a priori selbst angeben und construiren, wenn sie solche nmlich fr die Auffassung so erfindet, als sie sich zur Darstellung eines Begrifs schicken. Aber Zwecke, d. i. Vorstellungen, die selbst als Bedingungen der Caussalitt ihrer Gegenstnde (als Wirkungen) angesehen werden, mssen berhaupt irgend woher gegeben 130 Dieser Sachlage entspricht die Bedingung des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft als notwendiger Bedingung fr die Qualifikation des Zweckbegriffs als eines objektiv gltigen Begriffs (vgl. dazu oben Abschnitt 3.3.3.3).

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

273

werden, ehe die Urtheilskraft sich mit den Bedingungen des Mannigfaltigen beschftigt, dazu zusammen zu stimmen“ (EEKU XX 232.18 – 24).

Die technische Darstellung qua nicht-reine Darstellung131 eines Gegenstandes x, die mit seiner Setzung als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ insofern gefordert ist, als dieses als objektiv gltig qualifizierbar sein soll, ist zwar durchgngig durch das Fungieren der reflektierenden Urteilskraft bestimmt. Sie ist durch das Fungieren der reflektierenden Urteilskraft durchgngig bestimmt, da die spezifische Form des als Zweckobjekt darzustellenden Gegenstandes einer Anschauung, die auf einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25 Anm.) grndet, durch auf sie bertragene empirische Kausalverhltnisse determiniert ist. Die reflektierende Urteilskraft „erfindet“ dabei „zweckmßige Formen der Anschauung“, die „sich zur Darstellung eines Begriffs schicken“. Allerdings muss ihr zuvor der Begriff (Idee) des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x „berhaupt irgend woher gegeben werden“. Denn erst durch die Subsumtion des Begriffs von x unter den Zweckbegriff in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ wird dieser Begriff (Idee) von x berhaupt „als Wirkung“ bestimmt. Und erst durch diese Leistung der bestimmenden Urteilskraft erhlt die reflektierende Urteilskraft ihre spezifische Aufgabe im Kontext der in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ geleisteten Zwecksetzung: „sich mit den Bedingungen des Mannigfaltigen zu beschftigen, dazu [d. h. zu dem Begriff von x, S.K.] zusammen zu stimmen“. Das Zweckurteil ist demnach nicht wie die technisch-teleologischen Urteile als bloß bestimmendes Urteil zu bestimmen. Da das Zweckurteil einen Anspruch auf objektive Gltigkeit erhebt, muss mit ihm notwendig eine nicht-reine, durch empirische Kausalverhltnisse determinierte Darstellung der Zweckvorstellung durch die produktive Einbildungskraft einhergehen. Diese Darstellung ist aber auf die antizipierende Funktion der reflektierenden Urteilskraft angewiesen. Sie setzt eine systematische Ordnung der Natur voraus, sie gibt der bestimmenden Beurteilung im technischen Satz die Regel und verfhrt bei ihrer Suche nach geeigneten Regeln fr die Hervorbringung des Zweckobjekts induktiv und/oder analogisch. Sie ist aber lediglich die Darstellung eines Gegenstandes als eines Zweckobjekts, dessen Hervorbringung real mçglich sein kann, und somit keine Erkenntnis, d. h. sie selbst qualifiziert auch noch nicht die Zweckvorstellung als objektiv gltige.132 131 Vgl. oben Abschnitt 4.1.3. 132 Vgl. nochmals oben Abschnitt 4.1.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Das Zweckurteil ist aber auch nicht wie das naturteleologische Urteil als bloßes Reflexionsurteil zu bestimmen. Da das Zweckurteil einen vorhandenen Begriff (Idee) unter den Zweckbegriff subsumiert, stellt sich im Fall des Zweckurteils die Frage mit Blick auf den als Zweckobjekt gesetzten Gegenstand gerade nicht, „ob die Zweckmßigkeit de[s]selben absichtlich, oder unabsichtlich sey“ (EEKU XX 236.34 f.).133 Das Zweckurteil erhebt insofern nicht bloß den Anspruch einer gltigen Bestimmung „des Subjects“ (EEKU XX 223.8), genauer: der „Handlungen der Urtheilskraft“ (EEKU XX 222.23 f.), sondern durchaus den Anspruch einer gltigen Gegenstandsbestimmung. Der Gegenstand dieser Bestimmung ist aber ein Gegenstand der technischen Vernunft, mithin ist der Geltungsanspruch des Zweckurteils nicht derjenige eines (empirischen) Erkenntnisurteils, sondern der Anspruch auf gltige Bestimmung des Gegenstandes als hervorbringbar, d. h. als Gegenstand, dessen Hervorbringung real mçglich ist. Wie bereits gesehen, wird die Erkenntnis der Realmçglichkeit der Hervorbringung eines Gegenstandes zwar erst von technischen Stzen beansprucht.134 Jedoch stellen das Zweckurteil und die mit ihm einhergehende technische Darstellung des Zweckobjekts die notwendigen Voraussetzungen fr die von technischen Stzen beanspruchte technische Erkenntnis zur Verfgung. Denn erst durch die Bestimmung eines Gegenstandes als Wirkung einer inneren Ursache, die zugleich sein Begriff ist, und durch die Reflexion auf seine mçgliche Form sowie die Regel seiner Hervorbringung kçnnen die Voraussetzungen einer Erkenntnis der Realmçglichkeit seiner Hervorbringung als erfllt gelten. Das Zweckurteil stellt demnach einen spezifischen Urteilstypus dar, bei dem Bestimmung und Reflexion in besonderer Weise konfungieren. Sein genuiner Geltungsanspruch, der sich auf einen noch nicht verwirklichten, hervorzubringenden Gegenstand bezieht, erzwingt ein sich auf das Prinzip der Zweckmßigkeit der Natur grndendes heautonomes Urteilen, das sich der Induktion und der Analogie bedient, um eine als objektiv gltig qualifizierbare Subsumtion des Begriffs von x unter den Zweckbegriff zu bewerkstelligen.

133 Vgl. oben Abschnitt 4.1.2.1. 134 Vgl. v. a. oben Abschnitt 4.1.3.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

275

4.2.2 Erzeugung des Zweckbegriffs (Progression135) Mit der Exposition des Zweckbegriffs, der Darstellung seiner Anwendung in teleologischen Urteilen und der Bestimmung der Spezifik des Zweckurteils ist die Aufgabe einer Erzeugung des Zweckbegriffs durchfhrbar. Diese wird den Zweckbegriff als Grundbegriff der technischen Vernunft abschließend qualifizieren. Ihren Anfang hat die durchzufhrende Erzeugung des Zweckbegriffs mit der Angabe derjenigen Elemente, deren spezifisches Konfungieren im Zweckbegriff gedacht wird, d. h. derjenigen Elemente, aus denen sich der spezifische Gehalt des Zweckbegriffs zusammensetzt. Diese Elemente sind nach der Exposition des Zweckbegriffs bekannt. Es sind die Kausalittskategorie und eine ,selbst hervorgebrachte‘ Vorstellung qua Begriff (Idee).136 Die Kausalittskategorie als Begriff einer „synthetische[n] Einheit des Mannigfaltigen“ (KrV B 163, III 126.7 f. u. ç.) bedarf dabei der Spezifikation. Die Spezifikation der Kausalittskategorie (als unschematisierte Kategorie) zum Zweckbegriff erfolgt mittels einer Schematisierung, die von der Schematisierung der Kausalittskategorie qua ,Folge‘137 unterschieden ist. Sie kann technische Schematisierung138 genannt werden und ebenso wie die Schematisierung der Kausalittskategorie qua ,Folge‘ ermçglicht sie es, der Kausalittskategorie „eine Beziehung auf Objecte, mithin Bedeutung zu verschaffen“ (KrV B 185, III 138.36 f.). Die technische Schematisierung ermçglicht allerdings – im Unterschied zur transzendentalen Schematisierung der Kausalittskategorie qua ,Folge‘ – deren „Beziehung“ nicht auf Gegenstndlichkeit berhaupt, sondern auf besondere „Objecte“, nmlich auf Zweckobjekte als noch nicht verwirklichte, hervorzubringende Gegenstnde und auf Produkte als hervorgebrachte Gegenstnde. Der Zweckbegriff ist damit als derjenige Begriff qualifiziert, 135 Der Ausdruck ,Progression‘ wird hier – ebenso wie oben in Abschnitt 3.1 der Ausdruck ,Regression‘ – bloß in Anlehnung an Kants Unterscheidung von analytischer (regressiver) und synthetischer (progressiver) Methode gebraucht (vgl. etwa Log § 117). Nach dieser Unterscheidung „geht“ die synthetische (progressive) Methode „von den Principien zu den Folgen oder vom Einfachen zum Zusammengesetzten“ (Log § 117, IX 149.7 f.). 136 Vgl. v. a. nochmals oben Abschnitt 3.3.2. 137 D. h. das transzendentale Schema der Kausalittskategorie: „Das Schema der Ursache und der Causalitt eines Dinges berhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt“ (KrV B 183, III 138.1 – 3). 138 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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unter den ausschließlich alle hervorzubringenden und hervorgebrachten Gegenstnde zu subsumieren sind.139 Die Erzeugung dieses objektiven Zweckbegriffs kann in folgenden Schritten dargestellt werden: (1) Die unschematisierte Kausalittskategorie ist bloß derjenige Begriff, „welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf etwas A was ganz Verschiedenes B nach einer Regel gesetzt wird“ (KrV B 122, III 102.34 – 36). Diese „besondere“ Synthesis qua Grund-Folge-Relation (Ursache ! Wirkung) findet ihren Ausdruck im hypothetischen Urteil ,wenn y, dann x‘. (2) Mittels Umkehrung der ursprnglichen Grund-Folge-Relation: Wirkung ! Ursache, und ihrer Verdopplung: Wirkung ! [Ursache ! Wirkung], erhlt die durch die (unschematisierte) Kausalittskategorie gedachte Synthesis eine spezifische Form: x1 ! [y ! x2]. x1 ist dabei unmittelbare Ursache fr y als y und mittelbare Ursache fr x2.140 Diese spezifische Synthesis findet ihren Ausdruck in einem Urteil der Form ,wenn x, dann: wenn y, dann x‘. (3) Whrend die zweite Grund-Folge-Relation (y ! x2) als eine Kausalrelation gemß des Folgeschemas der Kausalittskategorie, d. h. als Naturkausalitt, qualifiziert ist, muss die spezifische Form der durch Umkehrung und Verdopplung der ursprnglichen Grund-Folge-Relation erzeugten Relation (x1 ! [y ! x2]) als mittels einer spezifischen Schematisierung gewonnene Kausalrelation qualifiziert werden. Dies erfordert eine Bestimmung von x1 als innere Ursache, d. h. als ,selbst hervorgebrachte‘ Vorstellung qua Begriff (Idee).141 Als solche ist sie Resultat der (einzigen erkennbaren) „innere[n] Thtigkeit“ (MAN IV 544.12) des Denkens. (4) Die Bestimmung von x1 als innere Ursache, d. h. die Kombination einer ,selbst hervorgebrachten‘ Vorstellung (Begriff, Idee) mit der Kausalittskategorie, ist die Bestimmung von x1 als antizipierende Ursache. Sie ist Antizipation der Form von x2, der Hervorbringung von x2 und der Existenz von x2.142 Als Begriffe sind x1 und x2 lediglich hinsichtlich ihres Gegenstandsbezugs, nicht aber hinsichtlich ihres begrifflichen Gehalts unterschieden.

139 140 141 142

Vgl. oben Abschnitt 3.1.2. Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. Vgl. oben Abschnitt 3.3.1. Vgl. oben Abschnitt 4.2.1.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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(5) Die mit den vorangegangenen Schritten umrissene und unter Bercksichtigung der berlegungen der vorangegangenen Abschnitte gewonnene Erzeugung des Zweckbegriffs kann abschließend terminologisch angepasst werden, indem die erzeugte spezifische Kausalitt: x1 ! [y ! x2], als Zweckkausalitt und deren Relate x1 als Zweckobjekt bzw. der Begriff von x1 als Zweckvorstellung, y als Mittel und x2 als Produkt bezeichnet werden. Die auf diese Weise dargestellte Erzeugung des Zweckbegriffs hat ausschließlich die Kausalittskategorie und eine ,selbst hervorgebrachte‘ Vorstellung qua Begriff (Idee) als ihr wesentliche Elemente, deren Konfungieren im Zweckbegriff gedacht wird. Damit ist der Zweckbegriff zugleich als Prdikabile qualifiziert. Er ist ein abgeleiteter Verstandesbegriff des reinen Verstandesbegriffs „der Causalitt und Dependenz (Ursache und Wirkung)“ (KrV B 106, III 93.11 f.).143 Seine Ableitung erfolgt mittels einer spezifischen Schematisierung, bei der erstens die durch die Kausalittskategorie gedachte Grund-Folge-Relation umgekehrt und verdoppelt (vgl. (2)), zweitens durch das Setzen eines Gegenstandes als einer Wirkung dessen ihn setzender Begriff als Ursache und durch deren spezifischen Charakter als Begriff qua ,selbst hervorgebrachter‘ Vorstellung die Ursache als innere Ursache qualifiziert (vgl. (3)), und schließlich drittens die innere Ursache als antizipierende Ursache hinsichtlich ihrer hervorzubringenden Wirkung bestimmt wird (vgl. (4)). Insofern die Darstellung der Erzeugung eines Begriffs mit Kant auch als dessen Deduktion bezeichnet werden kann144, ist die angegebene Erzeugung des Zweckbegriffs als metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs zu bezeichnen. Sie ist seine metaphysische Deduktion, da sie den Zweckbegriff von der Kausalittskategorie ableitet und damit seinen apriorischen ,Ursprung‘ aufzeigt.145 Eine solche metaphysische Deduktion des 143 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3.4. 144 Die Deduktion eines Begriffs kann mit Kant insofern als Darstellung seiner Erzeugung bezeichnet werden, als die Deduktion eines Begriffs die Erzeugung seines spezifischen Gehalts vorstellt resp. expliziert. Nach Kants allgemeinen Ausfhrungen zum Deduktionsbegriff gibt die Deduktion eines Begriffs dessen „Bedeutung“ an, indem sie „die Befugniß“ zu seinem Gebrauch bzw. seinen Ursprung verdeutlicht (vgl. v. a. KrV B 116 f., III 99.15 – 100.10, zum historischen Hintergrund von Kants Deduktionsbegriff vgl. Henrich 1981). So verdeutlicht etwa die empirische Deduktion, „wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion ber dieselbe erworben worden“ (KrV B 117, III 100.8 f.) ist. 145 Ebenso wie die empirische Deduktion „betrifft“ die metaphysische Deduktion „nicht die Rechtmßigkeit, sondern das Factum […], wodurch der Besitz [des

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Zweckbegriffs ist damit aber noch unvollstndig. Denn sie kçnnte lediglich als eine willkrlich erdachte Schematisierung der Kausalittskategorie verstanden werden. Die Behauptung, dass die technisch genannte Schematisierung es ermçglicht, der Kausalittskategorie „eine Beziehung auf Objecte, mithin Bedeutung zu verschaffen“ (KrV B 185, III 138.36 f.), impliziert dagegen eine Gltigkeit des Zweckbegriffs, mithin seiner Deduktion, die zumindest hinsichtlich besonderer Gegenstnde als objektiv ausgezeichnet ist. Es muss demnach dem Zweckbegriff eine ihm eigene Notwendigkeit qua Konstitutivitt in Bezug auf (eine) spezifische Gegenstndlichkeit nachgewiesen werden. Wie bemerkt, bestimmt die Erzeugung des Zweckbegriffs diesen als Begriff einer besonderen Form der Kausalitt als Zweckkausalitt.146 Das Spezifikum der Zweckkausalitt ist dabei die Anwendung der Kausalittskategorie auf den (ektypischen) Verstand selbst.147 Der mittels ,selbst hervorgebrachten‘ Vorstellungen qua Begriffen als Ursache fungierende Verstand (technische Vernunft) ist in seinem zwecksetzenden Gebrauch jeweils antizipierende Ursache im Sinne der spezifischen Bestimmtheit des Zweckbegriffs. Die Analyse und Erzeugung des Zweckbegriffs kçnnen somit als reflexiver Ausweis einer spezifischen Bestimmtheit des Verstandes148 qualifiziert werden. Denn mittels der Analyse und Erzeugung des Zweckbegriffs wird genau diejenige Bestimmtheit des Denkens (Verstand) thematisiert, die sein Verhltnis zu einer spezifischen Gegenstndlichkeit auszeichnet. Diese spezifische Gegenstndlichkeit, deren spezifische BeBegriffs, S. K.] entsprungen“ (KrV B 117, III 100.8 – 10, vgl. auch oben Abschnitt 3.2.1) ist. Ist der zu erzeugende Begriff ein nicht-kategorialer Begriff a priori, wie etwa der Zweckbegriff, kann seine Deduktion bloß eine metaphysische Deduktion im Sinne des Ausweises seines apriorischen Ursprungs sein (vgl. Plaass 1965, 76). Insofern alle Prdikabilien durch ein kombinatorisches Verfahren gewonnene Begriffe a priori sind (vgl. oben Abschnitt 2.2.2.3 und 2.2.3), muss in ihrem Fall eine solche metaphysische Deduktion mçglich sein. 146 In Anlehnung an Kants Kennzeichnung des „productive[n] Vermçgens der Natur nach Endursachen“ (KU B 321, V 390.37 – 391.1) kann auch das produktive Vermçgen des Verstandes qua technische Vernunft als „eine besondere Art von Causalitt“ (KU B 321, V 391.1 f., H. v. V.) bezeichnet werden. Vgl. auch EEKU XX 234.30 – 34 und oben Abschnitt 1.3.3. 147 In diesem Sinne ist die bereits angefhrte Notiz Kants aus den VAMS zu verstehen: „Was ist Zweck? (obiectiv) das was nur durch einen Verstand existiren kan, subiectiv die Caußalitt dadurch es existirt“ (VAMS XXIII 387.28 f.). Vgl. oben Abschnitt 2.1.4. 148 Zur „Reflexivitt des Denkens“ als seiner grundstzlichen Fhigkeit, seine gegenstandskonstitutive Funktion thematisieren zu kçnnen vgl. Hiltscher 1998, 1. Teil, bes. 90 – 92.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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stimmtheit durch den Zweckbegriff gedacht wird, ist die Menge aller derjenigen Gegenstnde, deren Ursache der Verstand selbst ist. Diese spezifische Bestimmtheit des Verstandes, also dessen technische Bestimmtheit, zeichnet ihn als produktives Vermçgen hinsichtlich der Hervorbringung noch nicht verwirklichter Gegenstnde aus und ist mit Kant ,technische Vernunft‘ zu nennen. Als Ursache fr einen Gegenstand fungiert der Verstand, indem er den inneren Sinn derart „afficirt“ (KrV B 155, III 122.6)149, dass die technische Synthesis der (produktiven) Einbildungskraft ausschließlich und a priori gemß einem Begriff (Idee) qua Zweckvorstellung erfolgt.150 Da der durch die technische Synthesis darzustellende Gegenstand kein Gegenstand einer empirischen, sondern einer Anschauung ist, die auf einer „(selbstthtige[n]) Hervorbringung“ (E VIII 192.25 Anm.) grndet, ist es dem Verstand, „wenn er fr sich allein betrachtet wird“ (KrV B 153, III 121.4), in seinem technischen Gebrauch mçglich, sich einerseits seiner Fhigkeit zur Zwecksetzung und andererseits seiner Unfhigkeit zur Qualifikation der Zweckvorstellung als objektiv gltigen Begriffs bewusst zu werden. Fr die metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs, also fr den Aufweis seines apriorischen Ursprungs ist der erste Aspekt (a), fr seine Demonstration, also fr den Ausweis seiner objektiven Gltigkeit bzw. Realitt ist dagegen der zweite Aspekt (b) entscheidend: (a) Indem der Verstand den Gegenstand eines Begriffs (Idee) als hervorzubringenden Gegenstand bestimmt, wird jener als Ursache und dieser als Wirkung bestimmt. Da dem ektypischen Verstand gerade nicht „durch dessen Vorstellung die Gegenstnde selbst zugleich gegeben oder hervorgebracht“ (KrV B 145, III 116.15 f.) werden, ihm aber der hervorzubringende Gegenstand auch nicht durch empirische Anschauung gegeben 149 Zu Kants Lehre der Affektion der Sinnlichkeit durch den Verstand im Kontext der transzendentalen Deduktion der Kategorien vgl. bes. Longuenesse 2000, part 3, bes. 200 – 205, 228 f. und 300 ff., sowie Hiltscher 2011. B. Longuenesses Interpretation ist insofern besonders relevant fr den vorliegenden Kontext, als sie Kants Lehre der Affektion der Sinnlichkeit durch den Verstand teleologisch nuanciert (vgl. bes. Longuenesse 2000, 202 – 204): Insofern der Verstand mittels der synthesis speciosa das sinnlich Gegebene verbindet, um die synthesis intellectualis zustande zubringen, „affiziert“ die Spontaneitt des Verstandes die Sinnlichkeit zum Zwecke objektiver Gegenstandsbestimmung im Urteil. Die Affektion der Sinnlichkeit durch den Verstand im Kontext der Zwecksetzung kann vor dem Hintergrund dieser Interpretation als eine besondere Art der von Kant in der transzendentalen Deduktion der Kategorien dargestellten Affektion der Sinnlichkeit durch den Verstand begriffen werden. 150 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1.

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wird, ist eine Affektion des inneren Sinns durch den Verstand151 notwendig, die den hervorzubringenden Gegenstand derart vorstellt, dass diese „Vorstellung eines Ganzen den Grund der Mçglichkeit der Form desselben und der dazu gehçrigen Verknpfung der Theile enthalte“ (KU B 350, V 408.1 f.). Die ,selbstttig hervorgebrachte‘ Anschauung des hervorzubringenden Gegenstandes ist damit allein durch die „Vorstellung“ qua Begriff bestimmt: in ihrer „Form“ sowie in „der dazu gehçrigen Verknpfung der Teile“. Denn die Form des derart vorgestellten Gegenstandes ist einerseits aufgrund ihrer Ursache qua Begriff, andererseits aufgrund ihrer sie darstellenden Synthesis qua kausal determinierter figrlicher Synthesis als durch die spezifisch schematisierte Kausalittskategorie erzeugte ,innere‘ Wirkung des Verstandes bestimmt. In diesem spezifischen, technisch zu nennenden Fungieren des Verstandes wird sich der Verstand einer ihm eigenen Kausalitt bewusst. Diese besondere Kausalitt, deren sich der Verstand als der ihm eigenen Kausalitt bewusst werden kann, ist der apriorische Gehalt des Zweckbegriffs. (b) Die technische Darstellung des als Wirkung bestimmten, hervorzubringenden Gegenstandes ist allerdings auch nur „Vorstellung eines Ganzen“ (KU B 350, V 408.1). Denn sowohl die objektive Gltigkeit als auch die objektive Realitt des Begriffs jenes hervorzubringenden Gegenstandes (Zweckvorstellung) kann ihren Grund nicht ausschließlich im Verstand haben. Der Verstand bedarf auch in seinem technischen Gebrauch des „Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben“ (KrV B 145, III 116.20 u. ç.) wird. Im Falle seines technischen Gebrauchs wird dies an der nicht-reinen, durch empirische Kausalverhltnisse determinierten Darstellung des hervorzubringenden Gegenstandes deutlich.152 Zwar fungiert allein der Verstand mittels eines Begriffs (Idee) als Ursache fr die (technische) Darstellung des hervorzubringenden Gegenstandes. Allerdings erlaubt erst die Bercksichtigung empirischer Kausalverhltnisse die Qualifizierbarkeit seines Begriffs (Idee) als objektiv gltig, mithin die Determination seiner Synthesis zur technischen Synthesis. Der Verstand, der sich einer ihm eigenen Kausalitt, mithin seiner spezifischen, technischen Bestimmtheit bewusst wird, ist demnach auch nicht als reiner Verstand zu bezeichnen. Der reine Verstand als „eine fr sich selbst bestndige, sich selbst gnugsame und durch keine ußerlich hinzukommende Zustze zu vermehrende Einheit“ (KrV B 89 f., III 83.20 f.) ist kein urschliches, hervorzubringende Gegenstnde denkendes sowie deren 151 Vgl. dazu nochmals oben Abschnitt 3.3.1. 152 Vgl. oben Abschnitte 3.3.3.3 und 4.2.1.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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Form, Hervorbringung und Existenz antizipierendes Vermçgen. Der reine Verstand ist vielmehr sowohl hinsichtlich der Zwecksetzung als auch hinsichtlich der Zweckverwirklichung von der technischen Vernunft qua Verstand in seiner technischen Bestimmtheit unterschieden. Hinsichtlich der Zweckverwirklichung ist er von ihr unterschieden, da technische Vernunft als zweckverwirklichende nicht bloß technische, sondern technisch-praktische Vernunft ist, indem sie das Begehrungsvermçgen bestimmt. Aber auch hinsichtlich der Zwecksetzung ist der reine Verstand von der technischen Vernunft qua zwecksetzendem Verstand hinreichend unterschieden. Denn die technische Synthesis des zwecksetzenden Verstandes ist durch empirische Kausalverhltnisse determinierte, also nicht-reine Synthesis.153 Die objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs ist daher auch ausschließlich unter der Bedingung des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft ohne weiteren Erfahrungsbezug ausweisbar154 und die technische Vernunft als „praktische[r] Gebrauch des Verstandes“ (KrV B 384, III 254.23) ist ein eo ipso empirisch bedingtes ,Vermçgen‘ a priori. Die Erzeugung des Zweckbegriffs als Ausweis einer spezifischen, technischen Bestimmtheit des Verstandes findet schließlich ihren Abschluss in der Einsicht, dass alle willkrlichen Begriffssynthesen ausschließlich durch eine Subsumtion unter den Zweckbegriff als objektiv gltig qualifiziert werden kçnnen. Demnach kann einem Begriff (Idee)155 ohne das Gegebensein seines Gegenstandes in einer empirischen Anschauung nur genau dann objektive Gltigkeit zukommen, wenn er Begriff eines Gegenstandes ist, der als Wirkung einer inneren Ursache bestimmt wird. Da der Begriff eines Gegenstandes, der als Wirkung einer inneren Ursache bestimmt wird, eine Zweckvorstellung ist, gilt der Zweckbegriff als konstitutiver Begriff fr hervorzubringende bzw. hervorgebrachte Gegenstnde.156 Er konstituiert einen besonderen Gegenstandstyp, indem die 153 Vgl. oben Abschnitte 3.2.3, 3.3.1 und 4.1.3. 154 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3.3. 155 Zur hier allein relevanten Bedeutung des Begriffs ,Idee‘ vgl. oben Abschnitt 3.3.3.4. 156 Die Einwnde, die K. Cramer gegen P. Plaass’ Konzeption einer metaphysischen Deduktion des Bewegungsbegriffs erhoben hat (vgl. dazu oben Abschnitt 2.2.4), treffen die hier als metaphysische Deduktion bezeichnete Darstellung der apriorischen Erzeugung des Zweckbegriffs offenkundig nicht. Zwar hat die vorgestellte Erzeugung des Zweckbegriffs eine ,selbst hervorgebrachte‘ Vorstellung qua Begriff (Idee) als eines ihrer wesentlichen Elemente und unter Voraussetzung ihres Vorkommens auch ein nicht-reines Moment. Allerdings ist diese „Nicht-Reinheit“ des

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technische Schematisierung der Kausalittskategorie eine spezifische „Beziehung auf Objecte, mithin Bedeutung [verschafft]“ (KrV B 185, III 138.36 f.). 4.2.3 Zur metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs Die technische Vernunft als spezifische Bestimmtheit des Verstandes ist der Analyse und Erzeugung des Zweckbegriffs zufolge als konstitutive ausgezeichnet. Sie ist konstitutiv fr einen spezifischen Gegenstandsbereich: fr die Menge aller Gegenstnde, deren Ursache ein (diskursiver) Verstand selbst ist. Im Anschluss an Kants Unterscheidung zwischen transzendentalen und metaphysischen Prinzipien, sind die Prinzipien der technischen Vernunft als metaphysische zu qualifizieren. Die genannte Unterscheidung trifft Kant zu Beginn des fnften Abschnitts der „Einleitung“ in die KU folgendermaßen: „Ein transcendentales Princip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß berhaupt werden kçnnen. Dagegen heißt ein Princip metaphysisch, wenn es die Bedingung a priori vorstellt, unter der allein Objecte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden kçnnen. So ist das Princip der Erkenntniß der Kçrper als Substanzen und als vernderlicher Substanzen transcendental, wenn dadurch gesagt wird, daß ihre Vernderung eine Ursache haben msse; es ist aber metaphysisch, wenn dadurch gesagt wird, ihre Vernderung msse eine ußere Ursache haben“ (KU B XXIX, V 181.15 – 24).

Das von Kant hier beispielhaft angefhrte „Princip der Erkenntniß der Kçrper als Substanzen und als vernderlicher Substanzen“ ist qua Kausalittsprinzip („daß ihre Vernderung eine Ursache haben msse“)157 ein transzendentales, da es eine „allgemeine Bedingung a priori“ fr die ErZweckbegriffs kein Einwand gegen die Mçglichkeit seiner metaphysischen Deduktion. Denn sie ist lediglich diejenige Voraussetzung der fr die Zwecksetzung spezifischen Affektion der Sinnlichkeit durch den Verstand, ohne die der (diskursive) Verstand gar nicht (kausal) wirksam werden kçnnte. Wenn diese erfllt ist, kann die metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs insofern als „rein“ bezeichnet werden, als ihr „gar nichts Empirisches beigemischt ist“ (KrV B 3, III 28.24). 157 Vgl. nochmals die beiden einschlgigen Formulierungen des (transzendentalen) Kausalittsprinzips in der KrV: „Alle Vernderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknpfung der Ursache und Wirkung“ (KrV B 232, III 166.32 f.); sowie: „[E]ine jede Vernderung hat ihre Ursache“ (KrV B 3, III 28.25).

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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kenntnis von Gegenstndlichkeit „berhaupt“ angibt. Es ist aber qua Trgheitsgesetz158 („ihre Vernderung msse eine ußere Ursache haben“)159, ein metaphysisches, da es diejenige „Bedingung a priori“ angibt, unter der ein Begriff mit empirischer (objektiver) Realitt „a priori weiter bestimmt werden“ kann. Im Falle des Trgheitsgesetzes ist dieser Begriff der „empirische Begriff eines Kçrpers (als eines beweglichen Dinges im Raum)“ (KU B XXIX, V 181.27 f.), d. h. der Begriff ,Materie‘ als Prdikabile160. Wenn dieser Begriff (empirisch) gegeben ist, dann kann sein Gegenstand durch das Prdikat „der Bewegung nur durch ußere Ursache […] vçllig a priori“ (KU B XXIX, V 181.29 f., H. v. V.) weiter bestimmt werden.161 Analog zu diesen berlegungen Kants mit Blick auf „Naturerkenntniß“ (MAN IV 544.20) und als Resultat der bisherigen berlegungen zur spezifischen philosophischen Erkenntnis einer Theorie technischer Vernunft ließen sich metaphysische Prinzipien der technischen Vernunft formulieren. In einem gewissen Sinne deutet Kant selbst eine solche Mçglichkeit an. Im Schlussabschnitt der KU, der „Allgemeine[n] Anmerkung zur Teleologie“162, gibt Kant ebenfalls eine knappe Kennzeichnung der metaphysischen Erkenntnis der Natur (als Materie) in Hinsicht auf ihre kausale Bestimmtheit. Er kennzeichnet dort die spezifische apriorische Bestimmung des Materiebegriffs mittels der Kausalittskategorie folgendermaßen: „Wenn ich einem Kçrper bewegende Kraft beilege, mithin ihn durch die Kategorie der Causalitt denke: so erkenne ich ihn dadurch zugleich, d. i. ich bestimme den Begriff desselben als Objects berhaupt durch das, was ihm als Gegenstand der Sinne fr sich (als Bedingung der Mçglichkeit jener Relation) zukommt“ (KU B 479, V 482.28 – 483.4).

158 Vgl. MAN IV 544.2 (dort: „Gesetz der Trgheit (lex inertiae)“). 159 Vgl. das „Zweite Gesetz der Mechanik“ aus dem dritten Hauptstck der MAN: „Alle Vernderung der Materie hat eine ußere Ursache“ (MAN IV 543.16 f.). Als Vorbemerkung zu dessen „Beweis“ fhrt Kant an: „Aus der allgemeinen Metaphysik wird der Satz zum Grunde gelegt, daß alle Vernderung eine Ursache habe; hier soll von der Materie nur bewiesen werden, daß ihre Vernderung jederzeit eine ußere Ursache haben msse“ (MAN IV 543.22 – 25). 160 Vgl. oben Abschnitt 2.2.3. 161 Zu diesem Verfahren der ,metaphysischen Konstruktion‘ vgl. Plaass 1965, bes. 74 – 78 und Schfer 1966, 30 – 38, ferner oben die Abschnitte 1.2.1 und 2.2.3. 162 Vgl. KU B 468 – 482, V 475.1 – 485.19, hier bes. KU B 479 – 481, V 482.28 – 484.19.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

Eine solche metaphysische Erkenntnis mittels bloßen „Denkens durch die Kategorie der Causalitt“ schließt Kant in den darauf folgenden Passagen sowohl fr die Kosmotheologie als auch fr die Physikotheologie aus, da einerseits im Falle des Gottesbegriffs ein bloßes „Denken durch die Kategorie der Causalitt“ nicht als Erkenntnis Gottes als „eines ersten Bewegers“ gelten kann163 und andererseits selbst die „große Zweckmßigkeit in der Welt“ (KU B 480, V 483.36) keinen gltigen Schluss auf die Bestimmung Gottes als eines Wesens mit (diskursivem) Verstand zulsst164. In Abgrenzung hiervon fhrt Kant dann allerdings mit Blick auf den Menschen als hervorbringendes Subjekt aus: „Wenn ich die Causalitt des Menschen in Ansehung gewisser Producte, welche nur durch absichtliche Zweckmßigkeit erklrlich sind, dadurch bestimme, daß ich sie als einen Verstand desselben denke: so brauche ich nicht dabei stehen zu bleiben, sondern kann ihm dieses Prdicat als wohlbekannte Eigenschaft desselben beilegen und ihn dadurch erkennen. […] [I]ch lege also diese Eigenschaft dem Menschen bei als eine solche, wodurch ich ihn erkenne“ (KU B 481, V 484.7 – 19).

Demnach kann mittels des bloßen „Denkens durch die Kategorie der Causalitt“ der Mensch als ein technisch-vernnftiges Wesen, d. h. als ein Wesen mit (ektypischem) Verstand, erkannt werden.165 Allerdings kann eine Konstruktion des Zweckbegriffs nicht vorbehaltlos mit der Konstruktion des Materiebegriffs parallelisiert werden.166 Da die objektive Substitution des Zweckbegriffs diesen durch den Begriff ,Hervorbringung‘ bestimmt167 und die metaphysische Deduktion des Zweckbegriffs diesen als Prdikabile der Kausalittskategorie erweist, ist 163 Vgl. KU B 479 f., V 483.12 – 31. 164 Vgl. KU B 480, V 483.31 – 484.7. 165 Etwas genauer am Text formuliert: Die Ursache absichtlich hervorgebrachter Gegenstnde (Produkte) ist der menschliche Verstand, mithin ein diskursiver Verstand. 166 Eine Parallelisierung von „Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft“ und „Metaphysischen Anfangsgrnden einer Wissenschaft von der denkenden Natur“, die die „theoretischen Prinzipien der Geisteswissenschaften“ bereitzustellen hat, sowie ihre detaillierte Durchfhrung finden sich in Grnewald 2009, bes. 279 – 311. Es muss hier hervorgehoben werden, dass B. Grnewald deren Ansatzpunkt mit Blick auf kantische Lehrstcke nicht im Zweckbegriff, sondern im Begriff ,denkende Natur‘ findet (vgl. Grnewald 2009, 180 – 227). Insofern sein Unternehmen damit weitlufiger als die hier projektierte Theorie technischer Vernunft zu sein scheint, kann es auch nicht von dem angegebenen Vorbehalt betroffen sein. 167 Vgl. oben Abschnitt 3.1.2.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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vielmehr der Ausgangspunkt einer mçglichen metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs gerade die spezifische Bestimmtheit des Kausalverhltnisses. Wenn also das metaphysische Prinzip der technischen Vernunft unter der spezifischen Bestimmtheit des Kausalverhltnisses etwa folgendermaßen formuliert wird: ,Jede Vernderung qua Hervorbringung muss eine innere Ursache haben‘, dann ist dieses Prinzip nicht – wie im Fall der „Metaphysik der kçrperlichen Natur“ (MAN IV 472.11 f.) – ein „Lehrsatz“ oder „Gesetz“ unter anderen, sondern vielmehr der Grundsatz technischer Vernunft. Denn der Gegenstandsbereich des Zweckbegriffs wird nicht mittels der Unterscheidung zwischen „Erscheinungen“ und „nicht sinnlichen Objecte[n]“ (MAN IV 467.10 f.) gewonnen, sondern mittels der Anwendung einer bestimmten Kategorie (Kausalittskategorie) auf den (ektypischen) Verstand selbst. Erst diese Anwendung konstituiert einen besonderen Gegenstandstypus, der allein durch den Begriff dieser Anwendung, d. h. durch den Begriff ,Hervorbringung‘ (Zweckbegriff ) seine spezifische Bestimmtheit erhlt. Eine metaphysische Konstruktion des Zweckbegriffs steht demnach in ihrem Anfang unter der Bedingung einer spezifischen Bestimmtheit der Relation von Subjekt (Verstand) und Objekt (Gegenstand) als Kausalrelation. Diese spezifische Bestimmtheit der Subjekt-Objekt-Relation gemß der Kausalittskategorie wird im Begriff ,Hervorbringung‘ gedacht. Wenn also der Begriff ,Hervorbringung‘ – analog zum Materiebegriff – „durch alle vier […] Functionen der Verstandesbegriffe […] durchgefhrt werden [muss]“ (MAN IV 476.7 f.), um „in deren jedem eine neue Bestimmung desselben [hinzukommen]“ (MAN IV 476.9) zu lassen und so eine metaphysische Konstruktion des Zweckbegriffs vorzulegen, dann bietet sich wiederum als ihr erster Schritt die „Durchfhrung“ des Begriffs ,Hervorbringung‘ durch die ,Relationsfunktion des Verstandes‘ an. Diese msste die Relate der durch den Begriff ,Hervorbringung‘ gedachten spezifischen Kausalrelation (Zweckkausalitt) nach der Substanzkategorie, der Kausalittskategorie und der Kommerziumkategorie a priori bestimmen. Daran anschließend msste die „Durchfhrung“ des Begriffs ,Hervorbringung‘ durch die ,Quantittsfunktion‘ Hervorbringung als „reines Quantum“ (MAN IV 477.5) und seine Durchfhrung durch die ,Qualittsfunktion‘ msste Hervorbringung als Realisierung qualifizieren. Schließlich msste der Begriff ,Hervorbringung‘ „blos in Beziehung auf die Vorstellungsart oder Modalitt“ (MAN IV 477.11 f.) a priori bestimmt werden. Ohne diese „vier Hauptstcke[]“ (MAN IV 476.8) einer metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs ausfhrlich darzustellen oder sie auch nur mit angemessenen Bezeichnungen zu versehen, kçnnen einige

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

lose Bemerkungen hier angefhrt werden. Diesen kommt keinerlei Vollstndigkeit zu und sie haben insofern bloß einen hinweisenden Charakter, als sie die Mçglichkeit einer metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs durchsichtiger werden lassen und ihren mçglichen Verlauf andeuten sollen: (1) Hervorbringung der Relation nach. Wird der Begriff ,Hervorbringung‘ nach den drei (unschematisierten) Relationskategorien bestimmt, sind den drei Relationskategorien die drei notwendigen Relate der durch den Begriff ,Hervorbringung‘ gedachten spezifischen Kausalrelation (Zweckkausalitt) problemlos zuzuordnen: (a) der Substanzkategorie der Begriff ,Zweckobjekt‘, (b) der Kausalittskategorie der Begriff ,Mittel‘ und (c) der Kommerziumkategorie der Begriff ,Produkt‘. Diese sind durch jene a priori bestimmt, da sie aus der Anwendung der Relationsfunktion des Verstandes auf den Begriff ,Hervorbringung‘ resultieren: (a) Der Begriff ,Zweckobjekt‘168 resultiert insofern aus der Anwendung der Substanzkategorie auf den Begriff ,Hervorbringung‘, als das Zweckobjekt sowohl hinsichtlich der schematischen als auch hinsichtlich der empirischen Konstruktion169 seines Begriffs (Zweckvorstellung) „als Substrat alles Wechsels immer dasselbe bleibt“ (KrV B 225, III 162.23 f.). Zwar unterliegt die Darstellung der Zweckvorstellung, mithin die Gestalt des Zweckobjekts durchaus einem „Wechsel“, dessen „Substrat“ aber das als Substanz bestimmbare Zweckobjekt ist. (b) Der Begriff ,Mittel‘ resultiert insofern aus der Anwendung der Kausalittskategorie auf den Begriff ,Hervorbringung‘, als das Mittel die „untergeordnete Ursache absichtlicher Wirkungen“ (KU B 361, V 414.15) ist und als solche allein „die Beziehung einer Ursache auf eine Wirkung“ (GTP VIII 180.28)170 qua Zweckkausalitt betrifft. Zwar „bedarf“ sein „Wirkungsgesetz fr sich nichts einen Zweck Voraussetzendes“ (KU B 361, 168 Das erste Relat der durch den Begriff ,Hervorbringung‘ gedachten spezifischen Kausalrelation (Zweckkausalitt) ist zwar nicht das Zweckobjekt selbst, aber dessen Begriff (Idee): die Zweckvorstellung. Da die metaphysische Konstruktion Gegenstandsbestimmung a priori mittels Weiterbestimmung a priori eines Begriffs mit empirischer (objektiver) Realitt ist, ist im Zuge der Bestimmung des Begriffs ,Hervorbringung‘ der Relation nach nicht die Zweckvorstellung, sondern ihr Gegenstand (Zweckobjekt) nach der Substanzkategorie zu bestimmen. 169 Vgl. zur Unterscheidung von (reiner bzw. nicht-reiner) schematischer Konstruktion und empirischer (technischer) Konstruktion oben Abschnitt 4.1.3. 170 Diese Bestimmung ist Kants Bestimmung des Prdikabile ,Kraft‘. Vgl. dazu und zu den Unterschieden zwischen den Begriffen ,Mittel‘ und ,Kraft‘ oben Abschnitt 3.1.2.

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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V 414.12 f.) und ist also ein Kausalgesetz im Sinne der Naturkausalitt. Im Falle von Hervorbringung ist dieses aber ein in der Ursache (Zweckvorstellung) antizipiertes Kausalgesetz zur Hervorbringung der Wirkung (Produkt) und lediglich als solches das „Wirkungsgesetz“ fr einen Gegenstand als Mittel, d. h. die Regel einer Hervorbringung. (c) Der Begriff ,Produkt‘ resultiert insofern aus der Anwendung der Kommerziumkategorie auf den Begriff ,Hervorbringung‘, als das Produkt ein organisiertes Wesen (gegliedertes Ganzes) ist171, d. h. als in ihm „ein jeder Theil so, wie er nur durch alle brige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existirend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht [wird]“ (KU B 291, V 373.35 – 37)172. Zwar ist das Produkt als ein „Ganzes“ bloße Wirkung, allerdings ist es durch die jeweiligen Mittel (Teile) bestimmte Wirkung. Im Produkt qua realisiertem Zweckobjekt findet insofern eine „Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden“ (KrV B 106, III 93.13 – 15) statt, als die empirische Konstruktion einer Zweckvorstellung (Zweckverwirklichung) nicht bloße Realisierung, sondern empirischen Verhltnissen gemße Realisierung ist. Das Produkt ist spezifische Wirkung („Ganzes“) seiner spezifischen Ursachen qua „Werkzeuge“ („Teile“). In ihm als organisiertem Wesen stehen daher Zweckobjekt und Mittel in einem wechselseitigen Verhltnis. (2) Hervorbringung der Quantitt nach. Wird der Begriff ,Hervorbringung‘ in Hinsicht auf die Kategorien der Quantitt, mithin als „reines Quantum“ (MAN IV 477.5) bestimmt, erhlt jedes der drei notwendigen Relate der Zweckkausalitt (Zweckobjekt, Mittel, Produkt) seine quantitative Bestimmtheit qua „Vollstndigkeit […] in seiner Art“ (KU B 45, V 227.21).173 Dieser „bloße[] Grçßenbegriff (der Allheit)“ (KU B 45, V 227.22)174 ermçglicht die Anwendung von Zahlenverhltnissen auf die Gestalt des Zweckobjekts bzw. des Mittels bzw. des Produkts einerseits und 171 Vgl. oben Abschnitte 3.3.1 und 3.3.3.2. 172 Wie bereits gezeigt, trifft diese Bestimmung Kants sowohl auf Kunstprodukte als auch auf Naturprodukte zu (vgl. nochmals oben Abschnitt 3.3.3.2). 173 Vgl. oben Abschnitte 4.1.2.2 und 4.1.2.3. 174 Die Quantittskategorie ,Allheit‘ (vgl. KrV B 106, III 93.6) hat im Kontext der metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs eine Sonderstellung gegenber den beiden anderen Quantittskategorien: Da im Falle von Hervorbringung eines Zweckobjekts „der Begriff von diesem, was es fr ein Ding sein solle, voran geh[t]“ (KU B 45, V 227.16 f.), sind Zweckobjekt, Mittel und Produkt qua bloße Quanta allein in derjenigen Hinsicht als Zweckobjekt, Mittel und Produkt bestimmt, in der „nur, ob alles dazu Erforderliche an ih[nen] sei, gefragt wird“ (KU B 45, V 227.24). Ihre „Vollstndigkeit“ ist der fr Hervorbringung relevante quantitative Aspekt.

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auf die Regel(n) der Hervorbringung des Zweckobjekts andererseits. Beide Seiten sind mit Blick auf das Zweckobjekt fr die mathematische Konstruktion von Zweckvorstellungen, mit Blick auf das Mittel fr die Beurteilung seiner quantitativen Ntzlichkeit und mit Blick auf das Produkt fr die Beurteilung seiner quantitativen Vollkommenheit wesentlich. Mithin ist durch die Mathematisierung der Hervorbringung ihre Wissenschaftlichkeit insofern garantiert, als exakte Berechnungen der ZweckMittel-Relation und damit technische Stze a priori mçglich werden.175 (3) Hervorbringung der Qualitt nach. Wird der Begriff ,Hervorbringung‘ in Hinsicht auf die Kategorien der Qualitt bestimmt, erhlt jedes der drei notwendigen Relate der Zweckkausalitt (Zweckobjekt, Mittel, Produkt) seine qualitative Bestimmtheit qua „bereinstimmung der Art“176. Insofern Zweckobjekt, Mittel und Produkt mit der Zweckvorstellung bereinstimmen, sind sie (in ihrer jeweils spezifischen Hinsicht) als Realisierung bzw. Realisierungsbedingungen der Zweckvorstellung qualifiziert. Mit Blick auf das zweite und dritte Relat der Zweckkausalitt, Mittel und Produkt, ist diese „bereinstimmung der Art“ einerseits als qualitative Ntzlichkeit177 und andererseits als qualitative Vollkommenheit bestimmt.178 Mit Blick auf das erste Relat der Zweckkausalitt ist die bereinstimmung des Zweckobjekts mit seinem Begriff qua Zweckvorstellung dagegen als „praktische Zweckmßigkeit, die in der Idee der Bestimmung eines freien Willens gedacht werden muß“ (KU B XXX, 182.2 f.), zu bestimmen.179 Die Zweckvorstellung ist hier Kant zufolge als „Bestimmungsgrund der Willkr“ (KpV A 39, V 21.21), das Zweckobjekt als „Gegenstand der Willkr“ (MS VI 381.4) zu bezeichnen.180 Da die „Technik der Kunst“ als Realisierung von Zweckvorstellungen (Zweckverwirklichung) qualifiziert ist, bestimmt die metaphysische Konstruktion des Zweckbegriffs der Qualitt nach das, was „an“ den Gegenstnden der Willkr (Zweckobjekt als Begehrtes) „der Empfindung entspricht“181, als 175 176 177 178 179

Vgl. oben Abschnitt 4.1.3. Vgl. oben Abschnitte 4.1.2.2 und 4.1.2.3. Vgl. oben Abschnitt 4.1.2.3. Vgl. oben Abschnitt 4.1.2.2. Der Begriff ,praktische Zweckmßigkeit‘ ist hierbei unspezifiziert. Er kann praktische Zweckmßigkeit „der menschlichen Kunst oder auch der Sitten“ (KU B XXVIII, V 181.9 f.), d. h. technisch-praktische oder moralisch-praktische Zweckmßigkeit bedeuten. 180 Vgl. auch oben Abschnitte 2.1.1 und 3.1.1. 181 Diese Formulierung lehnt sich an Kants Bemerkungen zum transzendentalen Schema der Qualittskategorien an (vgl. KrV B 182, III 137.15 – 18).

4.2 Der Zweckbegriff als Grundbegriff technischer Vernunft

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Zweckobjekte qua das Reale, das auf die „innere Thtigkeit“ (MAN IV 544.12) des Denkens folgt182, d. h. als innere Wirkungen. Dem Zweckbegriff korrespondiert demnach in qualitativer Hinsicht das Begehrungsvermçgen (Willkr) als nicht-begriffliche, sondern empirisch gegebene Realisierungsbedingung technischer Vernunft.183 (4) Hervorbringung der Modalitt nach. Wird der Begriff ,Hervorbringung‘ in Hinsicht auf seine „Beziehung auf die Vorstellungsart oder Modalitt“ (MAN IV 477.11 f.) bestimmt, kçnnen in einem ersten Schritt den drei (unschematisierten) Modalkategorien wiederum die drei notwendigen Relate der Zweckkausalitt zugeordnet werden: (a) der Kategorie ,Dasein – Nichtsein‘ der Begriff ,Zweckobjekt‘, (b) der Kategorie ,Mçglichkeit – Unmçglichkeit‘ der Begriff ,Mittel‘ und (c) der Kategorie ,Notwendigkeit – Zuflligkeit‘ der Begriff ,Produkt‘. Wiederum sind diese durch jene a priori bestimmt, da eine solche Zuordnung jedem der Relatsbegriffe „die Erkenntnißkraft hinzu[fgt], worin er entspringt und seinen Sitz hat“ (KrV B 286, III 197.31 f.): (a) Dem in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ als Zweckobjekt gesetzten Gegenstand korrespondiert der Begriff (Idee) von x als vorhandene, ,selbst hervorgebrachte‘ Vorstellung (Zweckvorstellung). Diese ist insofern vorhanden, als sie gegenwrtige Vorstellung eines empirischen Bewusstseins ist, die als wirkliche Ursache der technischen Darstellung des Zweckobjekts fungiert.184 Das Zweckobjekt erhlt im Zuge seiner technischen Darstellung eine durch die Zweckvorstellung bewirkte Realitt, ohne als in einer empirischen Anschauung gegeben zu erscheinen. Das Zweckobjekt ist damit als durch technische Vernunft bewirkter, in der Einbildungskraft dargestellter Gegenstand qualifiziert, der noch nicht in einer empirischen Anschauung gegeben ist. Es ist noch nicht seiender Gegenstand, dessen Existenz (Dasein) bei seiner Setzung als Zweckobjekt antizipiert wird. Diese Qualifikation eines Gegenstandes x ist eine derjenigen spezifischen Bestimmungen, die ihm durch seine Setzung als Zweckobjekt in einem Urteil der Form ,x ist Zweck‘ zukommt. (b) Die in einem technischen Satz vorgestellte Zweckverwirklichung ist mçgliche Zweckverwirklichung. Denn die in einem technischen Satz zu leistende Angabe der Mittel zur Hervorbringung des Zweckobjekts erhebt 182 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1. 183 Demnach wre das metaphysische Prinzip der technisch-praktischen Zweckmßigkeit (vgl. KU B XXX, 182.1 – 4) zu bestimmen als eines der Prinzipien technischer Vernunft der Qualitt nach. 184 Vgl. oben Abschnitt 3.3.1 und 3.3.2.

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den Anspruch, die Hervorbringung des Zweckobjekts als (real) mçglich zu qualifizieren.185 Da die bereinstimmung des als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes x mit den formalen Bedingungen der Erfahrung fr die Qualifikation seiner Hervorbringung als real mçglich nicht ausreichend ist186, mithin diese bereinstimmung mittels technischer Erkenntnis erkannt wird, entscheidet allein die Bestimmung eines Gegenstandes y als angemessenen Mittels fr die Hervorbringung von x ber die Qualifikation einer Hervorbringung als (real) mçglich bzw. unmçglich. Diese Qualifikation eines Gegenstandes y als Mittel fr die Hervorbringung eines Gegenstandes x ist seine spezifische Bestimmung in einem technischen Satz der Form ,wenn x Zweck ist, dann ist y Mittel‘. (c) Der in einem absoluten teleologischen Urteil als Produkt bestimmte Gegenstand ist Realisierung eines Zweckobjekts, d. h. hervorgebrachter (bewirkter) Gegenstand.187 Da er durch (eine) spezifische Ursache(n) qua Mittel hervorgebrachter Gegenstand ist und die spezifische(n) Ursache(n) qua Mittel maßgebend fr seine spezifische Form sind, ist die Relation zwischen Zweckobjekt und Mittel(n) im Falle der Bestimmtheit eines Gegenstandes als Produkts als notwendige qualifiziert. Ohne die spezifische Bestimmtheit der Mittel wre die Realisierung des Zweckobjekts nicht genau diejenige spezifische Realisierung des Zweckobjekts, die in dem spezifischen Produkt vorliegt. Das einen Gegenstand als Produkt auszeichnende wechselseitige Verhltnis von Zweckobjekt und Mittel(n) wird zwar qua empirisches als zuflliges, jedoch qua bei der Zwecksetzung antizipiertes als notwendiges Verhltnis vorgestellt. Damit ist Hervorbringung auch „in Beziehung auf das Denken berhaupt“ (KrV B 100, III 89.30), d. h. der Modalitt nach a priori bestimmbar: qua Zwecksetzung dem Dasein/Nichtsein nach, qua Zweckverwirklichung der Mçglichkeit/Unmçglichkeit nach und im Produkt der Notwendigkeit/Zuflligkeit nach.188 Da dem Zweckbegriff in qualitativer Hinsicht das Begehrungsvermçgen (Willkr) korrespondiert, 185 186 187 188

Vgl. v. a. oben Abschnitt 4.1.3. Vgl. oben Abschnitte 3.2.2 und 3.2.3. Vgl. oben Abschnitt 4.1.2.2. In Anlehnung an eine Anmerkung Kants in § 9 der KrV mag auch schlagwortartig formuliert werden (vgl. KrV B 100, III 89.35 – 37 Anm.): Insofern die angegebene Zuordnung jedem der Relatsbegriffe der Zweckkausalitt „die Erkenntnißkraft hinzu[fgt], worin er entspringt und seinen Sitz hat“ (KrV B 286, III 197.31 f.), ist technische Vernunft qua spezifischer Bestimmtheit des Denkens sowohl eine „Function des Verstandes“ (Mittel) als auch „der Urtheilskraft“ (Zweckobjekt) als auch der „Vernunft“ (Produkt).

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

291

ist auch das Verhltnis zwischen Zweckobjekt qua gewolltem Gegenstand und Begehrungsvermçgen der Modalitt nach bestimmbar. Dieser Bestimmung entspricht Kants Unterscheidung zwischen technischen und pragmatischen Imperativen bzw. „einer mçglichen oder wirklichen Absicht“ (GMS IV 414.33)189. Die vorgelegten Bemerkungen zu einer mçglichen metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs finden ihren Abschluss somit in der Angabe einer (internen) Differenzierung der technischpraktischen Vernunft in bloß technisch-praktische und pragmatische Vernunft, mithin in der Unterscheidung zwischen „Kunst“ und „Wohlfahrt“190. Da diese Differenzierung lediglich eine anthropologische ist, kann die „pragmatische Zwecklehre“191 kein Bestandteil mehr der metaphysischen Konstruktion des Zweckbegriffs, mithin einer Theorie technischer Vernunft als spezifischer philosophischer Erkenntnis sein.192 Mit den vorangegangenen Erluterungen ist eine Theorie technischer Vernunft als ein (durchfhrbares) System spezifischer philosophischer Erkenntnis ausgezeichnet. Da sie sowohl das Vermçgen technischer Vernunft als auch seine Realisierung thematisiert, kann sie mit Kant als derjenige Teil der Philosophie gelten, der das durch den Kulturbegriff bezeichnete Weltstck zum Gegenstand hat. Eine Kulturphilosophie nach Maßgabe des Philosophiebegriffs Kants ist demnach als Theorie technischer Vernunft mçglich und durchfhrbar. Wie gesehen, sind die in den Schriften Kants auffindbaren Lehrstcke hinreichend fr die Rekonstruktion einer kulturphilosophischen Doktrin, die als Kants Theorie technischer Vernunft bezeichnet werden kann.

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs Die bisher rekonstruierte Theorie technischer Vernunft ist als diejenige philosophische Doktrin qualifiziert, die die notwendigen Bedingungen a priori der Mçglichkeit der Erkenntnis von technischem Entwerfen, Handeln und seinen Produkten zum Gegenstand hat. Sie ist philosophische Doktrin als gemischt-apriorische Lehre, nicht als rein-apriorische Lehre, da sie das Vorkommen (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft, mithin eine empirische Tatsache zu ihrer Voraussetzung 189 190 191 192

Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. Vgl. GMS IV 416.29 – 417.1 und unten Abschnitt 4.3. Vgl. MS VI 385.19 – 29. Vgl. oben Abschnitt 1.3.3.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

hat. Die Erkenntnis des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft, mithin die objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs hat zwar nicht die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ (EEKU XX 234.33 f., H. v. V.), jedoch deren Mçglichkeit zur notwendigen Voraussetzung.193 Mçglich ist eine „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ aber lediglich im Falle des Vorkommens (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft. Dieses ist wiederum ausschließlich durch „die Bestimmung meines Daseins […] der Form des inneren Sinns gemß“ (KrV B 157 f., III 123.11 f.) erkennbar. Da eine solche Selbstbestimmung als „Erkenntni[ß] meiner selbst“ (KrV B 158, III 123.22) eine „Selbstanschauung“ (KrV B 157 Anm., III 123.30) als empirische Anschauung bençtigt194, gilt das empirische Bewusstsein (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft als die notwendige, aber zugleich hinreichende empirische Bedingung fr die objektive Gltigkeit des Zweckbegriffs und der spezifischen philosophischen Erkenntnis einer Theorie technischer Vernunft.195 Das technische Subjekt ist sowohl zwecksetzendes, antizipierendes Subjekt als auch zweckverwirklichendes, hervorbringendes Subjekt.196 Damit das empirische Bewusstsein eines (diskursiv) denkenden Wesens mit heautonomer Urteilskraft, das als technisches Subjekt fungiert, sich mittels des Zweckbegriffs nicht bloß als mçgliche, sondern auch als wirkliche „verstndige[] wirkende[] Ursache“ (KU B 381, V 426.8 f.) bestimmen kann, muss eine Zweckvorstellung als Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermçgens fungieren. Das technische Subjekt als zweckverwirklichendes Subjekt ist auch wollendes Subjekt, es ist technisch-praktisches Subjekt. Aus der Anwendung des Zweckbegriffs auf den Begriff ,Begehrungsvermçgen‘ resultiert somit der „Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens“ (KU B XXX, V 182.4).197 Die Anwendung des 193 Vgl. oben Abschnitte 3.3.3.3 und 4.2.2. 194 Vgl. den gesamten § 25 der KrV und bes. die dortige Anmerkung (KrV B 157, III 123.27 – 38) 195 Vgl. oben bes. Abschnitt 3.3.3.3 und ferner die Abschnitte 4.2.2 und 4.2.3. 196 Zum Begriff ,technisches Subjekt‘ als antizipierendes und hervorbringendes Subjekt vgl. auch oben Abschnitt 3.3.3.3. 197 Der Begriff ,Wille‘ ist hier als „Willkr“ zu verstehen. Kants Bestimmung des Begriffs ,Willkr‘ lautet: „Das Begehrungsvermçgen nach Begriffen, sofern […] es mit dem Bewußtsein des Vermçgens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objects verbunden ist, heißt […] Willkr“ (MS VI 213.14 – 18). Vgl. zu diesem Zitat auch oben Abschnitt 3.1.1. Zur Unterscheidung zwischen ,Wille‘ und ,Willkr‘ vgl. v. a. Beck 19953, 169 – 173 und Konhardt 1979, 200 – 215, bes. 208 – 210, sowie auch Willaschek 1992, 49 – 53.

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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Zweckbegriffs auf den empirischen „Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens“ ist als Anthropologisierung des Zweckbegriffs zu kennzeichnen. Sie qualifiziert die technische Vernunft als technisch-praktische Vernunft, mithin das technische Subjekt als nicht bloß zwecksetzendes, sondern als auch zweckverwirklichendes Subjekt. Die Kennzeichnung der Anwendung des Zweckbegriffs auf den Begriff ,Begehrungsvermçgen‘ als Anthropologisierung des Zweckbegriffs ist insofern naheliegend, als diese Anwendung empirisch mehr voraussetzt als empirisches Bewusstsein (diskursiv) denkender Wesen mit heautonomer Urteilskraft. Sie setzt das Vorkommen des Begehrungsvermçgens als eines weiteren „Vermçgens“ des Menschen voraus.198 Weil Kant zufolge der Kulturbegriff genau denjenigen Fall der Realisierung technischer Vernunft betrifft, in dem technische Vernunft unter menschlichen Bedingungen zu realisieren ist199, erlaubt erst die weitere Voraussetzung des Vorkommens des Begehrungsvermçgens eine die Theorie technischer Vernunft abschließende, kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs200. Sie erlaubt eine kulturrelevante Funktio198 „[D]er Begriff eines Begehrungsvermçgens als eines Willens [muß] doch empirisch gegeben werden“ (KU B XXX, V 182.4 f.). Zur „Faktizitt“ des Begehrungsvermçgens vgl. auch Konhardt 1979, v. a. 201 und 206. 199 Vgl. oben Abschnitt 1.1. 200 Die kulturrelevante Funktionialisierung des Zweckbegriffs kann von seiner erkenntnisrelevanten sowie seiner moralphilosophischrelevanten Funktionalisierung unterschieden werden. Whrend dem Zweckbegriff im Falle seiner kulturrelevanten Funktionalisierung eine konstitutive Funktion fr die technisch-praktische Vernunft zukommt, ist er im Falle sowohl seiner erkenntnisrelevanten als auch seiner moralphilosophischrelevanten Funktionalisierung lediglich von regulativer Funktion. Ihm kommt nach Kant eine regulative Funktion fr die spekulative Vernunft, fr die reflektierende Urteilskraft und fr die moralisch-praktische Vernunft zu. Da der genuine Zweck der spekulativen Vernunft die „Erkenntniß des Objects bis zu den hçchsten Principien a priori“ (KpV A 216, V 120.2 f.) ist, fhrt die erkenntnisrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs fr die spekulative Vernunft nicht bloß zu technischer Einheit, sondern zu architektonischer Einheit, die allein Merkmal desjenigen ist, „was wir Wissenschaft nennen“ (KrV B 861, III 539.24, vgl. dazu das gesamte Architektonik-Kapitel in der „Methodenlehre“ der KrV). Fr die reflektierende Urteilskraft erhlt der Zweckbegriff eine erkenntnisrelevante regulative Funktion, indem durch ihn „die Natur […] so vorgestellt [wird], als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte“ (KU B XXVIII, V 180.37 – 181.1 f.). Schließlich bezeichnet Kant „die unbedingte Totalitt des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV A 194, V 108.11 f.) als hçchstes Gut, so dass durch die moralphilosophischrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs die Moralitt end-

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

nalisierung des Zweckbegriffs, indem das der Bestimmtheit des Zweckbegriffs gemße Konfungieren von Verstand und Begehrungsvermçgen als technisch-praktische Vernunft qualifiziert wird. Der kulturrelevant zu funktionalisierende Zweckbegriff erhlt durch seine Anwendung auf das Begehrungsvermçgen, d. h. mittels der „Technik der Kunst“ objektive (empirische) Realitt. 201 Insofern Kants Wendung „Technik der Kunst“ nicht die bloße Antizipation der Form, der Hervorbringung und der Existenz des Zweckobjekts (Zwecksetzung), sondern gerade dessen tatschliche Hervorbringung als empirische Realisierung (Zweckverwirklichung) bezeichnet, ist jede Hervorbringung eines Zweckobjekts als empirisches Kausalgeschehen bestimmt, das durch die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ (EEKU XX 234.33 f.) auch erkannt werden kann. Die „Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens“ zeigt dabei, dass die Realisierung des Zweckbegriffs im Falle menschlicher Praxis die Realisierung technischer Vernunft mittels der Bestimmung eines (begrifflich bestimmbaren) Begehrungsvermçgens („Willkr“) ist. Die Realisierung technischer Vernunft mittels der Bestimmung eines (begrifflich bestimmbaren) Begehrungsvermçgens ist also mit Kant als die Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen, d. h. als Kultur zu bezeichnen.202 Insofern „die Hervorbringung durch […] Willkr“ (KU B 174, V 303.11 f.) von Kant „Kunst“ genannt wird, kann der Inbegriff aller kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs auch als „Kunst“203 bezeichnet werden. lich-vernnftiger Wesen als zweckmßig fr die Hervorbringung des hçchsten Guts begriffen werden kann. 201 Vgl. oben Abschnitt 3.3.3. – Mit Blick auf den durch die „Technik der Kunst“ zu realisierenden resp. realisierten Zweckbegriff wird ein Zweck von Kant auch „praktischer Zweck“ genannt (vgl. z. B. KU B 295, V 376.1 f. und dazu v. a. oben Abschnitt 3.3.3.2). 202 Im Falle des tatschlichen Fungierens einer Zweckvorstellung als ersten Relats einer der Zweckkausalitt gemßen Grund-Folge-Relation, d. h. im Falle einer Zweckverwirklichung, ist Kant zufolge die Zweckvorstellung als „absichtlich wirkende Ursache“ (EEKU XX 236.26 f.), mithin als „Bestimmungsgrund der Willkr“ (KpV A 39, V 21.21), das Zweckobjekt als „Gegenstand der Willkr (eines vernnftigen Wesens)“ (MS VI 381.4) und die Zweckkausalitt als „Causalitt vermittelst des Willens“ (KrV B 125, III 104.13 f.) zu bezeichnen. 203 Kant unterscheidet in § 44 der KU „mechanische“, „angenehme“ und „schçne“ Kunst (vgl. KU B 177 f., V 305.17 – 23). Sowohl von der angenehmen Kunst (vgl. bes. KU B 178, V 305.24 – 306.2, dort: „bloß zum Genusse abgezweckt“) als auch von der sthetischen Kunst (vgl. oben Abschnitt 1.3) wird hier insofern abgesehen, als sie „das Gefhl der Lust zur unmittelbaren Absicht“ (KU B 177 f., V 305.19 f.)

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

295

Bemerkenswerterweise nennt Kant die „Kunst“ mitsamt ihren Produkten im Kontext der Unterscheidung von „Kunst“ und „Natur“ in § 43 der KU ausdrcklich „ein Werk der Menschen“ (KU B 174, V 303.28, H. v. V.) – und nicht etwa ein ,Werk des Verstandes‘ oder ein ,Werk der Vernunft‘. Zwar scheint jene Bezeichnung lediglich die fr die Kunst notwendige Bedingung des Vorhandenseins einer Zweckvorstellung (Begriff, Idee) herauszustellen204, so dass etwa das „Product der Bienen“ (KU B 174, V 303.13) gerade nicht als Kunstprodukt, sondern als „Product ihrer Natur (des Instincts)“ (KU B 174, V 303.17 f.) zu bestimmen ist. Allerdings, so Kant an einer bereits zitierten Stelle in der KrV 205, kann im Falle des Menschen eine „Vorstellung an sich selbst […] ihren Gegenstand dem Dasein nach“ (KrV B 125, III 104.13 – 15) ausschließlich „vermittelst des Willens“ (KrV B 125, III 104.14) hervorbringen. Denn der (diskursive) Verstand qua technische Vernunft kann nur genau dann als wirkliche Ursache von als Zweckobjekten bestimmten Gegenstnden auch erkannt werden, wenn er ein Begehrungsvermçgen bestimmt. Daher schreibt Kant im Kontext seiner Unterscheidung von „Kunst“ und „Natur“ in § 43 der KU: „Von Rechtswegen sollte man nur die Hervorbringung […] durch eine Willkr, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen“ (KU B 174, V 303.11 – 13, H. v. V.).206

Das Wort „Kunst“ betrifft demnach ausschließlich das Fungieren technisch-praktischer Vernunft als eines zweckverwirklichenden Vermçgens. Da die Mçglichkeit der Realisierung des Zweckbegriffs sowie von Zweckvorstellungen („technische Konstruktion“) allein unter der Bedinhaben. Da aber sowohl im Falle der angenehmen Kunst als auch im Falle der schçnen Kunst „etwas Mechanisches, welches nach Regeln gefaßt und befolgt werden kann, […] die wesentliche Bedingung der Kunst ausmacht[]“ (KU B 186, V 310.9 – 11), gilt das fr die „Technik der Kunst“ qua mechanische Kunst hier Erarbeitete bzw. noch zu Erarbeitende auch sowohl fr die angenehme Kunst qua Kunst als auch fr die schçne Kunst qua Kunst. Auch sie sind Produkte technischer Vernunft. Kant macht dies z. B. in § 47 der KU mit Blick auf die schçne Kunst unmissverstndlich deutlich: „Denn etwas muß dabei als Zweck gedacht werden, sonst kann man ihr Product gar keiner Kunst zuschreiben; es wre ein bloßes Product des Zufalls. Um aber einen Zweck ins Werk zu richten, dazu werden bestimmte Regeln erfordert“ (KU B 186, V 310.11 – 14, vgl. auch Anth VII 225.3 – 6). 204 Vgl. KU B 174, V 303.19 – 26 (dort: „die hervorbringende Ursache […] hat sich einen Zweck gedacht“). 205 Vgl. oben Abschnitt 3.2.3. 206 Vernunft ist hier v. a. als technisch-praktische Vernunft zu verstehen.

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

gung des Vorkommens eines begrifflich bestimmbaren Begehrungsvermçgens („Willkr“) erkannt werden kann, ist die Erkenntnis der Mçglichkeit der Realisierung des Zweckbegriffs ebenso wie die Erkenntnis der Realisierung von Zweckvorstellungen als nicht-reine Erkenntnis ausgezeichnet. Die empirische Bedingung des Vorkommens eines begrifflich bestimmbaren Begehrungsvermçgens („Willkr“) ist jedoch lediglich ipso facto durch das Vorkommen des Menschen und seiner mittels der Willkr hervorgebrachten Gegenstnde erfllt: „Denn nur an Producten der Kunst kçnnen wir uns der Caussalitt der Vernunft von Objecten, die darum zweckmßig oder Zwecke heißen, bewußt werden, und in Ansehung ihrer die Vernunft technisch zu nennen, ist der Erfahrung von der Caussalitt unseres eigenen Vermçgens angemessen“ (EEKU XX 234.30 – 34, H. v. V.).

Die „Kunst“ qua Inbegriff aller kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs ist demnach insofern das „Werk der Menschen“, als nach dem Kenntnisstand des Menschen sich „nur“ der Mensch derjenigen spezifischen Bestimmtheit des (diskursiven) Verstandes „bewußt werden“ kann, die als technische Vernunft zu bezeichnen ist. Er kann sich seiner technischen Vernunft „bewußt werden“, da er mit seinem willkrlichen, Zweckvorstellungen realisierenden Handeln ber eine „Erfahrung“ des objektiv realen Fungierens technischer Vernunft verfgt. Die Anthropologisierung des Zweckbegriffs im Zuge seiner kulturrelevanten Funktionalisierung ist demnach der (kontingenten) Tatsache geschuldet, dass der Mensch das einzige (ihm) bekannte Beispiel fr die Realisierung von Zweckvorstellungen ist.207 Da die Realisierung von Zweckvorstellungen im Falle des Menschen ipso facto mit dem Begehrungsvermçgen verbunden ist, ist die Realisierung technischer Vernunft als praktische ausgezeichnet. Der Kulturbegriff Kants bezeichnet demnach die mittels Willkr zustande gebrachte, also praktische Realisierung technischer Vernunft. Die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs ist damit insofern das die gemischt-apriorische Lehre der Theorie technischer Vernunft abschließende Lehrstck, als sie eine anthropologische Tatsache in diese integriert. Die in die Theorie technischer Vernunft zu integrierende anthropologische Tatsache ist die empirische Bestimmtheit des Menschen als nicht lediglich (diskursiv) denkendes, sondern auch als wollendes Wesen. 207 Vgl. KU B 390, V 431.3 – 5 (dort: „das einzige Wesen auf Erden, welches Verstand, mithin ein Vermçgen hat, sich selbst willkrlich Zwecke zu setzen“).

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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An diese berlegungen zur Anthropologisierung des Zweckbegriffs anschließend, kann die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs als eine kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs dargestellt werden. Die Darstellung zerfllt in zwei Teile: Einerseits erlaubt die Identifizierung der Anwendung des Zweckbegriffs auf den empirischen Begriff ,Begehrungsvermçgen‘ mit der als „Technik der Kunst“ bezeichneten empirischen Realisierung des Zweckbegriffs eine vertikale (kulturale) Kontextualisierung des Zweckbegriffs hinsichtlich der Qualifikation des Menschen als technisch-praktischen Subjekts und der Qualifikation der „Kunst“ als Inbegriff aller kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs (1). Andererseits stellt sich die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs als seine horizontale (kulturale) Kontextualisierung dar, indem sie eine Ausdifferenzierung der verschiedenen kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs und zugleich deren Zuordnung zu verschiedenen kulturalen Kontexten zulsst (2).208 Die als dessen kulturale Kontextualisierung darzustellende Funktionalisierung des Zweckbegriffs ist nicht von systematischem Charakter im strengen Sinn. Da sie den Zusammenhang von gemischt-apriorischer Theorie technischer Vernunft und empirischer Kulturlehre betrifft, kann sie dies auch gar nicht sein. Sie kann lediglich mittels Rekurs auf verschiedene anthropologische Lehrstcke Kants209 den Zusammenhang von gemischt-apriorischer Theorie technischer Vernunft und empirischer Kulturlehre anzeigen: (1) Die Anwendung des Zweckbegriffs auf das Begehrungsvermçgen fhrt zu einer vertikalen Kontextualisierung des Zweckbegriffs, die der kantischen Bestimmung des Kulturbegriffs als ,Realisierung technischer 208 Sowohl fr die vertikale als auch fr die horizontale (kulturale) Kontextualisierung des Zweckbegriffs ist die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs mit der Erzeugung „technisch-praktische[r] Regeln (d. i. die der Kunst und Geschicklichkeit berhaupt […])“ (KU B XIII, V 172.23) verbunden. Da der Zweckbegriff seine Anwendung in teleologischen Urteilen erhlt (vgl. oben Abschnitt 4.1), ist die „Kunst“ qua Inbegriff aller kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs zugleich als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ (KU B XV, V 173.26, vgl. dazu v. a. KU B XII – XV, V 171.24 – 173.31 und EEKU XX 195.23 – 200.7) bestimmt. Dass technische Stze im Zuge der kulturrelevanten Funktionalisierung des Zweckbegriffs als technisch-praktische Regeln bzw. als praktische Vorschriften zu bezeichnen sind, ist der Anthropologisierung des Zweckbegriffs, also seiner Anwendung auf das Begehrungsvermçgen geschuldet. 209 Die hierfr relevanten anthropologischen Lehrstcke Kants wurden bereits genannt (vgl. oben Abschnitt 1.1). Sie betreffen Kants Spezifizierung der allgemeinen Bestimmung des Kulturbegriffs durch die Begriffe ,Disziplin‘, ,Geschicklichkeit‘ und ,Klugheit‘.

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Vernunft unter menschlichen Bedingungen‘ Rechnung trgt. Sie trgt ihr Rechnung, da die Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen, die „Befreiung des Willens von dem Despotism der Begierden“ (KU B 392, V 432.5 f.), d. h. Disziplinierung, zu ihrer notwendigen Bedingung hat.210 Insofern das technische Vernunft realisierende Subjekt der Mensch als wollendes Wesen ist, muss es sich disziplinieren bzw. diszipliniert werden. Eine Maßgabe fr die vertikale Kontextualisierung des Zweckbegriffs ist demnach die Disziplinierung des technischen Subjekts als technisch-praktischen Subjekts. Ihr korreliert eine Differenzierung des Begriffs ,Kunst‘ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ (KU B XV, V 173.26), so dass erstens das technisch-praktische Subjekt als theoretisches Subjekt und „Kunst“ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die Wissenschaft (a), zweitens das technisch-praktische Subjekt als Gattungssubjekt und „Kunst“ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die Menschheit (b) und drittens das technisch-praktische Subjekt als einzelnes Subjekt und „Kunst“ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die vernnftige Alltagspraxis (c) bestimmt werden kçnnen: (a) Das technisch-praktische Subjekt ist insofern als theoretisches Subjekt und „Kunst“ insofern als Wissenschaft zu bestimmen, als alle Wissenschaften technische Stze – in einem gewissen Sinn – „als bloße[] Corollarien“ (KU B XV, V 173.14 f.) enthalten.211 Wie gesehen, ist hinsichtlich des Gehalts technischer Stze der Aspekt einer Bestimmung des Begehrungsvermçgens irrelevant.212 Zwar drckt der Vordersatz eines technischen Satzes eine Zwecksetzung aus. Jedoch ist diese nicht eo ipso als Zwecksetzung qua Willensbestimmung zu verstehen. Vielmehr ist der Gehalt technischer Stze eine technische Erkenntnis. Insofern technische Erkenntnis eine spezifische Form von Erkenntnis darstellt, erheben technische Stze Anspruch auf objektive Gltigkeit. Sie sind also wissenschaftliche Urteile, die nach Kant „in der Mathematik oder Naturlehre praktisch genannt werden“ (KpV A 46 Anm., V 26.34 f.). Die Zwecksetzung ist also im Falle technischer Stze als wissenschaftlicher Urteile vor allem durch ein Erkenntnisinteresse bestimmt, d. h. die (wahre) Erkenntnis der fr die Hervorbringung eines als Zweckobjekt gesetzten Gegenstandes angemessenen Mittel (technische Erkenntnis) ist fr die (jeweilige) Wis210 Vgl. dazu oben Abschnitt 1.1. 211 Zudem stellen technische Stze fr einige Wissenschaften einen ihrer zentralen Gegenstnde dar. Auf diese ist im Zuge der horizontalen Kontextualisierung des Zweckbegriffs noch einzugehen. 212 Vgl. oben Abschnitt 4.1.1.

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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senschaft nicht Mittel fr etwas ihr ußerliches. Zwar ist technische Erkenntnis nicht das Zweckobjekt der Wissenschaften. Sie ist aber Mittel fr diese, genauer fr ihre Erkenntnisgewinnung.213 So ist etwa Kant zufolge die „Experimentalphysik“ (EEKU XX 198.20) die Lehre von den „practischen Vorrichtungen, um verborgene Naturgesetze zu entdecken“ (EEKU XX 198.18 f., H. v. V.). Da die „Entdeckung verborgener Naturgesetze“ ein Zweckobjekt der Physik214 ist, sind die technischen Erkenntnisse der „Experimentalphysik“ zwar Mittel, aber eben Mittel fr die Wissenschaft qua Physik. Technische Erkenntnis im Kontext der Wissenschaft(en) ist demnach Mittel fr die Wissenschaft(en) selbst. Da der Aspekt der Willensbestimmung fr den Gehalt theoretischer Urteile, mithin fr den Gehalt technischer Stze irrelevant ist, muss das einzelne Subjekt, sofern es als theoretisches Subjekt fungiert, ein Hçchstmaß an Disziplinierung aufweisen. Der Wille hat nach Kant im Kontext der Wissenschaft auch nur insofern „einen Einfluß auf den Gebrauch des Verstandes“ (Log IX 74.9 f.), als er „den Verstand entweder zur Nachforschung der Wahrheit antreibt oder abhlt“ (Log IX 74.8 f.). Die Disziplinierung des technischen Subjekts als wissenschaftlichen Subjekts ist demnach im Anerkennen technischer Stze als praktischer Vorschriften anzusetzen.215 Technische Stze sind demnach als praktische Vorschriften „bloße[] Corollarien“ (KU B XV, V 173.14 f.) der einzelnen Wissenschaften. Als solche gehçren sie zu deren jeweiligen Methodologien. Sofern das theoretische Subjekt auch als technisch-praktisches Subjekt zu bestimmen ist, stellen die jeweiligen Methodologien der einzelnen Wissen-

213 Die Ausnahme hierzu bilden diejenigen Wissenschaften, die technische Stze zu einem ihrer zentralen Gegenstnde haben. Auch mit Blick auf diese ist es offenkundig zutreffend, dass technische Erkenntnis fr sie nicht Mittel fr etwas ihnen ußerliches ist. Es ist jedoch zutreffend in gegenber den in allen Wissenschaften enthaltenen technischen Stzen „als bloßen Corollarien“ (KU B XV, V 173.14 f.) verschiedener Hinsicht: Wenn der Gehalt technischer Stze technische Erkenntnis ist und technische Stze der Gegenstand bestimmter Wissenschaften sind, dann ist technische Erkenntnis ein Zweckobjekt dieser Wissenschaften. Fr sie ist also technische Erkenntnis nicht nur Mittel zur Erkenntnisgewinnung, sondern vielmehr auch eines ihrer Zweckobjekte. 214 – qua „Wissenschaft der Natur, so fern sie auf empirischen Principien beruht“ (EEKU XX 198.17 f.). 215 Vgl. etwa Log IX 74.8 – 75.21. Derartige praktischen Vorschriften kçnnen in Anlehnung an Kants dortigen Sprachgebrauch auch ,Forschungsmaximen‘ genannt werden. Als Beispiel nennt er den „Vorsatz[], ein bloß vorlufiges Urtheil nicht zu einem bestimmenden werden zu lassen“ (Log IX 74.14 f.).

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4 Zweckbegriff und technische Vernunft

schaften also Disziplinierungsregeln fr die als theoretisches Subjekt fungierenden einzelnen Subjekte bereit. (b) Das technisch-praktische Subjekt ist insofern als Gattungssubjekt und die „Kunst“ insofern als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die Menschheit zu bestimmen, als der Mensch „das einzige Wesen auf Erden [ist], welches Verstand, mithin ein Vermçgen hat, sich selbst willkrlich Zwecke zu setzen“ (KU B 390, V 431.3 – 5). Denn als „einziges Wesen auf Erden“ mit technischer Vernunft ist er „seiner Bestimmung nach der letzte Zweck der Natur“ (KU B 390, V 431.6 f.).216 Da die Realisierung technischer Vernunft im Falle des Menschen an die begriffliche Bestimmung des Begehrungsvermçgens („Willkr“) gebunden ist, wird jede Realisierung technischer Vernunft durch den Menschen zugleich auch „durch Triebfedern der Natur […] bestimmt“ (KU B XIII f., V 172.30 f.). Und da einerseits der Mensch „einer Erziehung sowohl in Belehrung als Zucht (Disciplin) fhig und bedrftig [ist]“ (Anth VII 323.26 – 324.1) und da andererseits „bei den Menschen aber allenfalls die Gattung“ (Anth VII 324.6 f.) die Bestimmung des Menschen als letzten Zwecks der Natur zu erreichen vermag, kann „sich das menschliche Geschlecht nur durch Fortschreiten in einer Reihe unabsehlich vieler Generationen zu seiner Bestimmung empor arbeiten“ (Anth VII 324.7 – 9). Die Realisierung technischer Vernunft unter menschlichen Bedingungen ist daher in anthropologisch-teleologischer Hinsicht auch als Disziplinierung der gesamten Menschheit zu bestimmen. Die „Kunst“ ist hierbei insofern als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die Menschheit bestimmt, als die Stze der technisch-praktischen Vernunft „fr den Willen jedes vernnftigen Wesens gltig“ (KpV A 35, V 19.11 f.) sind.217 Ihr berindividueller Geltungsanspruch ist zwar auf das begrifflich bestimmbare Begehrungsvermçgen der Menschen als „vernnftiger Wesen“ restringiert und insofern sind sie modifizierbar, d. h. sie sind „durch fortschreitende Cultur“ (Anth VII 322.11) dem jeweiligen Wissensstand der Menschengattung anzupassen. Sie dienen aber der „Perfectionirung des Menschen […], wenn gleich mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden“ (Anth VII 322.10 – 12, H. v. V.) fr den Einzelnen.218 Die „Kunst“ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die Menschheit ist demnach derjenige Inbegriff kultur216 Zu dieser teleologischen Bestimmung vgl. oben Abschnitt 1.3.1. 217 Vgl. oben Abschnitt 4.1.1. 218 In der MS fhrt Kant aus, dass diese Partizipation des Einzelnen an der ,Perfektionierung des Menschen‘ von der moralisch-praktischen Vernunft geboten ist (vgl. MS VI 386.30 – 387.23).

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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relevanter Funkionen des Zweckbegriffs, der die Menschheit in Hinsicht auf die ,Perfektionierung‘ ihrer Anlagen219 bestimmt. Insofern ist sie das Mittel zur „Entwickelung der Menschheit“ (KU B 395, V 433.30). (c) Das technisch-praktische Subjekt ist insofern als einzelnes Subjekt und die „Kunst“ insofern als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr die vernnftige Alltagspraxis zu bestimmen, als das einzelne Subjekt einen Charakter haben kann220, d. h. der Maximenbildung fhig ist. Mittels Maximen als subjektiven praktischen Grundstzen221 strukturiert das einzelne Subjekt seine „Begierden und Neigungen“ (GMS IV 427.8), indem es diese „durch Vernunft vorstellt“ (KpV A 141, V 79.21 f.) und damit ein „Interesse“ (KpV A 141, V 79.19 f.) entwickelt. Der Vergleich der zu Interessen entwickelten „Begierden und Neigungen“ erlaubt dem einzelnen Subjekt sowohl die Distanzierung von seinen ihn unmittelbar motivierenden „Triebfedern“ als auch ihre Abwgung gegeneinander und damit ihre Hierarchisierung untereinander. Diese Distanzierungs- und Hierarchisierungleistung des einzelnen Subjekts hinsichtlich seiner „Begierden und Neigungen“ ist insofern eine Funktion technisch-praktischer Vernunft222, als sie lediglich die Disziplinierung der subjektiven Bestimmungsgrnde des Begehrungsvermçgens („Willkr“) ist. Die Bildung von Maximen qua Charakterbildung ist Kant zufolge also als Selbstdisziplinierung des einzelnen wollenden Subjekts mittels technisch-praktischer Vernunft zu bezeichnen. Als vernunftbestimmte Leistung des einzelnen wollenden Subjekts gehçrt sie zur „Privatklugheit“ (GMS IV 416.31 Anm.) 219 Zu den Anlagen der Menschengattung vgl. Anth VII 322.13 – 325.4. 220 „Einen Charakter […] zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach welcher das Subject sich selbst an bestimmte praktische Principien bindet, die er sich durch seine eigene Vernunft unabnderlich vorgeschrieben hat“ (Anth VII 292.6 – 9). Vgl. zu Kants Maximenbegriff und dessen Zusammenhang mit dem Begriff ,Charakter‘ Albrecht 1994, bes. 142 – 146. Zu Kants Charakterbegriff vgl. Munzel 1999, bes. chap. 1 und 2. – Insofern Kant auch der Menschengattung einen Charakter zuspricht (vgl. bes. Anth VII 321.11 – 325.11) kçnnten die praktischen Vorschriften fr die Menschheit auch ,Maximen‘ fr das Gattungssubjekt genannt werden. Da Kant aber den Maximenbegriff bevorzugt mit Blick auf das einzelne Subjekt verwendet, kann hier davon abgesehen werden. 221 Vgl. bes. KpV A 35, V 19.7 – 10 und GMS IV 420.36 – 421.28 Anm. Zu Kants Maximenbegriff vgl. neben Albrecht 1994 auch Konhardt 1979, 207 – 212, und Willaschek 1992, 64 – 76. 222 K. Konhardt nennt ausdrcklich die „Transformation der Triebfeder in ein Interesse […] eine Leistung der technisch-praktischen Vernunft“ (Konhardt 1979, 210). M. Willaschek nennt eine „Maxime […] eine technische Regel, an der man ein Interesse nimmt“ (Willaschek 1992, 74).

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als derjenigen Fhigkeit eines einzelnen wollenden Subjekts, „alle [seine] Absichten zu seinem eigenen dauernden Vortheil zu vereinigen“ (GMS IV 416.33 f. Anm.). Indem sich das einzelne Subjekt Maximen fr sein Handeln selbst vorschreibt, fungiert es also als technisch-praktisches Subjekt, das seinen Alltag vernnftig gestaltet. Die „Kunst“ als „Inbegriff praktischer Vorschriften“ fr das einzelne Subjekt ist demnach derjenige Inbegriff kulturrelevanter Funkionen des Zweckbegriffs, der das einzelne Subjekt in Hinsicht auf seine Alltagspraxis als vernnftig bestimmt. Die vertikale (kulturale) Kontextualisierung des Zweckbegriffs qualifiziert damit die „Kunst“ qua Inbegriff seiner kulturrelevanten Funktionen als wissenschaftstheoretisch relevant, als teleologisch-anthropologisch relevant und schließlich als relevant fr die Alltagspraxis des einzelnen wollenden Subjekts. Die Theorie technischer Vernunft hat demnach im Zuge ihrer Integration der empirischen Bestimmtheit des Menschen als denkendes und wollendes Wesen auch die Kultivierung des theoretischen Subjekts, die Kultivierung der Menschheit und die Kultivierung des einzelnen wollenden Subjekts als spezifische Funktionen der technischpraktischen Vernunft zu ihren Gegenstnden. Sie hat diese spezifischen Funktionen der technisch-praktischen Vernunft zu ihren Gegenstnden, indem sie den Zweckbegriff im Anschluss an seine Exposition und Konstruktion mittels seiner Anwendung auf den empirischen Begriff ,Begehrungsvermçgen‘ kulturrelevant funktionalisiert. (2) Die kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs fhrt nicht bloß zu einer vertikalen Differenzierung des Begriffs ,Kunst‘ und einer ihr korrelierenden Differenzierung des Begriffs ,technisches Subjekt‘, sondern auch zu einer horizontalen Differenzierung der verschiedenen kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs selbst, die eine Zuordnung dieser Funktionen zu verschiedenen kulturalen Kontexten zulsst. Der Ansatzpunkt fr eine solche horizontale Differenzierung der verschiedenen kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs findet sich in Kants Unterscheidung von Geschicklichkeit (Technik) und Klugheit (Pragmatik).223 Im Anschluss an diese Unterscheidung Kants kçnnen in einem ersten Schritt alle Zweckvorstellungen in „mçgliche[] oder wirkliche[] Absicht[en]“ (GMS IV 414.33) unterschieden werden, indem sie entweder als beliebige Absichten oder als solche Absichten verstanden werden, „die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann“ (GMS IV 223 Vgl. oben Abschnitte 1.1 und auch 4.1.1. ,Klugheit‘ ist hier im ersten Schritt als „Privatklugheit“, im zweiten Schritt als „Weltklugheit“ zu verstehen (vgl. zu dieser Unterscheidung nochmals GMS IV 416.30 – 37 Anm.).

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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414.37), d. h. als „Absichten zu seinem eigenen dauernden Vortheil“ (GMS IV 416.33 f. Anm.).224 In einem zweiten Schritt kann zudem Kants Unterscheidung von „technische[r] Anlage“ (Anth VII 322.21) und „pragmatische[r] Anlage“ (Anth VII 323.21) des Menschen, mithin von „Cultur und Civilisirung“ (Pd IX 451.3) bercksichtigt werden.225 Im Anschluss an diese Unterscheidung Kants kçnnen die zur Hervorbringung eines Zweckobjekts angemessenen Mittel entweder „Sachen“ (Anth VII 323.17) oder „andere Menschen“226 sein. Unter Beachtung beider Unterscheidungen Kants kçnnen die kulturrelevanten Funktionen des Zweckbegriffs in seine technikrelevante, seine wirtschaftsrelevante und seine gesellschaftsrelevante Funktion differenziert werden. Dieser Differenzierung entsprechen eine Kultur der Technik qua „Kunst“227 (a), eine Kultur der Wirtschaft qua „Wohlfahrt“ (b) und eine Kultur der Gesellschaft qua ,Zivilisation‘ (c): (a) Die technikrelevante Funktion des Zweckbegriffs betrifft die „technische (mit Bewußtsein verbunden-mechanische) […] Handhabung der Sachen“ (Anth VII 322.13 f.) zur Zweckverwirklichung, d. h. die empirische Realisierung von als Zweckobjekten bestimmten Gegenstnden qua Herstellung bzw. deren Gebrauch. Sie bestimmt die Kultur als Technik, d. h. als „Verschaffung der Geschicklichkeit“ (Pd IX 449.32 f.): „Kunst als Geschicklichkeit des Menschen wird auch von der Wissenschaft unterschieden (Kçnnen vom Wissen), als praktisches vom theoretischen Vermçgen, als Technik von der Theorie“ (KU B 175, V 303.29 – 31).

Die (mechanische) „Kunst“ qua Technik realisiert Zweckvorstellungen, indem sie „die dazu erforderlichen Handlungen verrichtet“ (KU B 177, V 224 Dieser Unterscheidung liegt die Bestimmung des Verhltnisses zwischen Zweckobjekt als gewolltem Gegenstand und Begehrungsvermçgen („Willkr“) der Modalitt nach als mçgliches oder wirkliches zugrunde (vgl. dazu oben Abschnitte 4.1.1 und 4.2.3). 225 Vgl. oben Abschnitt 1.1. – Von der „Moralisirung“ (Pd IX 470.5) als Entwicklung der „moralische[n] Anlage in seinem Wesen (nach dem Freiheitsprincip unter Gesetzen gegen sich und andere zu handeln)“ (Anth VII 322.16 – 18) wird hier abgesehen. Fr die „Moralisierung“ als moralische Kultur sind vor allem die kulturalen Kontexte ,Religion‘ und ,moralische Bildung‘ relevant (vgl. dazu v. a. die Ausfhrungen Kants in der „Methodenlehre“ der KpV und in Pd IX 486.5 – 496.10). Zur moralischen Kultur vgl. v. a. Munzel 1999, chap. 5, und zur moralischen Kultur durch Religion ferner auch Klingner 2012 und Sigl 1954, 96 – 102. 226 Vgl. GMS IV 416.32 f. Anm. 227 Die Begriffe ,Technik‘ und ,Kunst‘ sind dabei in einem engen Sinne zu verstehen. Vgl. auch die Unterscheidung zwischen engem und weiten Kulturbegriff oben in Abschnitt 1.1.

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305.18 f.). Sie produziert Gegenstnde (Produkte, Artefakte), die wiederum als Mittel fr die Realisierung anderer Zweckvorstellungen dienen kçnnen. Zwar wird die Technik „auch von der Wissenschaft unterschieden“, jedoch ist auch eine wissenschaftlich zu nennende Erkenntnis der fr die Hervorbringung von Zweckobjekten angemessenen Mittel mçglich.228 Eine derart ausgezeichnete technische Erkenntnis ist der spezifische Gehalt der entweder nicht-reinen technischen Stze a priori oder der bloß empirischen technischen Stze der (angewandten) Technikwissenschaften. (b) Die wirtschaftsrelevante Funktion des Zweckbegriffs betrifft zwar auch die „technische (mit Bewußtsein verbunden-mechanische) […] Handhabung der Sachen“ (Anth VII 322.13 f.) zur Zweckverwirklichung, d. h. die empirische Realisierung von als Zweckobjekten bestimmten Gegenstnden. Sie betrifft diese jedoch nicht im Sinne der bloßen Herstellung bzw. des bloßen Gebrauchs, sondern im Sinne des Wirtschaftens qua „Befçrderung der Glckseligkeit“ (GMS IV 415.34 f. u. ç.). Die zu produzierenden Gegenstnde (Produkte), die wiederum als Mittel fr die Realisierung anderer Zweckvorstellungen dienen kçnnen, sind in diesem Kontext als Gter zu bezeichnen. Ihre spezifische Bestimmtheit als Gter ist Bestimmtheit gemß der Idee der Glckseligkeit als des „zu befçrdernde[n] physische[n] Gut[s]“ (KU B 424, V 450.14). Insofern „das Glck des Lebens (unsere Wohlfahrt berhaupt) […] von Umstnden ab [hngt], die bei weitem nicht alle in des Menschen Gewalt sind“ (MS VI 482.11 – 13), und die Wohlfahrt zudem „kein Princip [hat], weder fr den, der sie empfngt, noch der sie austheilt (der eine setzt sie hierin, der andere darin)“ (SF VII 87.22 f. Anm.), kann das Wissen um „die Haus-, Land-, Staatswirthschaft“ (KU B XIV, V 173.5 f.) usw. lediglich als Kenntnis gelten. Dennoch kann ein solches wirtschaftliches Wissen als empirische technische Erkenntnis, mithin als Gehalt empirischer technischer Stze der Wirtschafts- und Wohlfahrtswissenschaften gelten.229 (c) Die gesellschaftsrelevante Funktion des Zweckbegriffs betrifft die „Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu 228 Vgl. oben Abschnitt 4.1.3. 229 Die Erzeugung (empirischer) technischer Stze ist ein zentraler Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften (vgl. z. B. Samuelson/Nordhaus 1987, 29). Die ihnen zumeist zugeschriebenen Grundprinzipien, das sog. „Maximumprinzip“ und das sog. „Minimumprinzip“ (vgl. z. B. Dahl 19896, 32), sind dagegen analytische Prinzipien. Sie sind bloße Anwendungsflle des den hypothetischen Imperativen zugrunde liegenden „analytischen“ Prinzips der technisch-praktischen Vernunft („Wer den Zweck will, will auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel“, vgl. oben Abschnitt 4.1.1) auf den wirtschaftsrelevant funktionalisierten Zweckbegriff.

4.3 Kulturale Kontextualisierung des Zweckbegriffs

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seinen Absichten zu gebrauchen“ (GMS IV 416.22 f.)230, d. h. die empirische Realisierung von als Zweckobjekten bestimmten Gegenstnden mittels Sozialitt. Im Kontext der Kultur der Gesellschaft qua Zivilisation ist die Zweckverwirklichung als Herstellen resp. Wirtschaften mittels anderer Subjekte bestimmt. Sie setzt eine „Civilisirung durch Cultur […] der Umgangseigenschaften“ (Anth VII 323.21) voraus. Zwar enthlt auch die „Kunst des Umganges“ (KU B XIV, 173.6) nicht „Gesetze […], sondern nur Vorschriften“ (KU B XIV, V 172.32), die zudem bloß von empirischer Gltigkeit sind. Dennoch kann das ihnen zugrunde liegende (empirische) Wissen als empirische technische Erkenntnis, mithin als Gehalt spezifischer (empirischer) technischer Stze gelten, wie sie etwa von den Sozialwissenschaften erzeugt werden.231 Die horizontale (kulturale) Kontextualisierung des Zweckbegriffs ist damit als Differenzierung seiner kulturrelevanten Funktionen qualifiziert. Das technisch-praktische Subjekt kann demnach als Subjekt im Kontext der Technik qua herstellendes Subjekt, als Subjekt im Kontext der konomie qua wirtschaftendes Subjekt oder als Subjekt im Kontext der Gesellschaft qua soziales Subjekt bestimmt werden. Die Theorie technischer Vernunft hat im Zuge ihrer Integration der empirischen Bestimmtheit des Menschen als denkendes und wollendes Wesen nicht lediglich die Kultivierung des technisch-praktischen Subjekts, sondern dessen Kultivierung im Rahmen verschiedener kulturaler Kontexte zu ihrem Gegenstand. Sie hat eine solche kontextuale Situierung der spezifischen Funktionen der technisch-praktischen Vernunft zu ihrem Gegenstand, indem sie die sich an die Exposition und Konstruktion des Zweckbegriffs anschließende kulturrelevante Funktionalisierung des Zweckbegriffs einerseits hinsicht230 Vgl. auch die hnliche Formulierung in Anth VII 322.15 f. 231 Die Erzeugung technischer Stze, die die „Weltklugheit“ zum Gegenstand haben, ist ohne Zweifel nicht die einzige Aufgabe (Zweck) der Sozialwissenschaften. Sie ist aber eine diesen eigene. Mithin haben die Sozialwissenschaften nicht bloß eine verstehende, sondern auch eine prognostische und handlungsanweisende Funktion. Mit Blick auf die Soziologie vgl. z. B. Henecka 2006, 37, mit Blick auf die Politikwissenschaft vgl. z. B. Patzelt 19973, 175 und auch 176 – 179. Dass auch die Wirtschaftswissenschaften gemeinhin zu den Sozialwissenschaften gezhlt werden (vgl. z. B. Samuelson/Nordhaus 1987, 32 f.) widerspricht nicht der angefhrten Bestimmung wirtschaftlichen Wissens als die „Privatklugheit“ betreffender technischer Erkenntnis. Denn insofern die „Befçrderung der Glckseligkeit“ (GMS IV 415.34 f. u. ç.) zumeist auch Zivilisierung („Weltklugheit“) voraussetzt, muss das wirtschaftliche Wissen auch diejenige bestimmte technische Erkenntnis bercksichtigen, die der „Kunst des Umgangs“ zugrunde liegt.

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lich des Gegenstandes der Willkr und andererseits hinsichtlich der mçglichen Mittel zu dessen Hervorbringung ausdifferenziert. Die horizontale (kulturale) Kontextualisierung des Zweckbegriffs schließt dabei nicht nur die Mçglichkeit einer differenzierten Beurteilung des technisch-praktischen Subjekts, sondern auch die Mçglichkeit einer differenzierten Beurteilung des Zweckobjekts bzw. des Produkts ein. Gemß den angegebenen verschiedenen kulturalen Kontexten kann ein Zweckobjekt bzw. ein Produkt als durch die technikrelevante, als durch die wirtschaftsrelevante und als durch die gesellschaftsrelevante Funktion des Zweckbegriffs determinierter Gegenstand beurteilt werden. Die horizontale Kontextualisierung des Zweckbegriffs fhrt demnach auch zu einer Kontextualisierung der durch technische Vernunft konstituierten Gegenstndlichkeit nach ihren technischen, çkonomischen und sozialen Aspekten. Die Entwicklung verlsslicher Kriterien zu ihrer Beurteilung ist eine Aufgabe derjenigen empirischen Wissenschaften, die kulturale Kontexte wie Technik, Wirtschaft und Gesellschaft zu ihrem Gegenstand haben.

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Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

(Philosophische Schriften 68), hrsg. von Reinhard Hiltscher, Stefan Klingner und David Sß, Berlin: Duncker & Humblot, 279 – 311. – 2006c: Konrad Cramer und Robert Hanna ber objektive Realitt und objektive Gltigkeit bei Kant (unverçffentlichtes Typoskript, 41 S. mit Anm.). – 2008: Gottesbeweise, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. – 2010a: Immanuel Kant: Transzendentale Logik III (Vorlesung Sommersemester 2010 an der Technischen Universitt Dresden, eigene Mitschriften). – 2010b: Art. ,Begriff a priori‘ (noch unverçffentlichter Lexikonartikel, 6 S., erscheint voraussichtlich in: Kant-Lexikon. 3 Bde., hrsg. von Georg Mohr, Jrgen Stolzenberg und Marcus Willaschek, Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013). – 2011: Einheit der Anschauung vom Gegenstand und Einheit des Gegenstandes der Anschauung in Kants Transzendentaler Deduktion, in: Gegenstandsbestimmung und Selbstgestaltung. Transzendentalphilosophie im Anschluss an Werner Flach, Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann, 123 – 159. Hinske, N. 1991: Die Wissenschaften und ihre Zwecke. Kants Neuformulierung der Systemidee, in: Akten des Siebenten Internationalen Kant-Kongresses Mainz 1990, Bd. I, hrsg. von Gerhard Funke, Bonn/Berlin: Bouvier, 157 – 177. Horkheimer, M. 1991: Zur Kritik instrumenteller Vernunft, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 6, hrsg. von Alfred Schmidt, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 19 – 186. Horn, C./Lçhrer, G. 2010 (Hrsg.): Grnde und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1950), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Hutter, A. 2003: Das Interesse der Vernunft. Kants ursprngliche Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken (KantForschungen 14), Hamburg: Meiner. Ineichen, H. 1975: Erkenntnistheorie und geschichtlich-gesellschaftliche Welt. Diltheys Logik der Geisteswissenschaften (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 28), Frankfurt a.M.: Klostermann. Jung, A. 1989: Funktionale Gestaltbildung. Gestaltbildende Konstruktionslehre fr Vorrichtungen, Gerte, Instrumente und Maschinen (Hochschultext), Berlin/Heidelberg u. a.: Springer. Kaulbach, F. 1978: Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants, Berlin/New York: Walter de Gruyter. Kleingeld, P. 1995: Fortschritt und Vernunft. Zur Geschichtsphilosophie Kants (Epistemata: Reihe Philosophie 165), Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann.

Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

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Klemme, H.F. 1996: Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhltnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis (Kant-Forschungen 7), Hamburg: Meiner. – 2010: Organisierte Wesen, das bersinnliche und die Teufel. Zum Zusammenhang von reflektierender Urteilskraft und Vernunft in der „Kritik der Urteilskraft“ (eigene Mitschriften zum Vortrag, gehalten am 23. 03. 2010 auf dem XI. Internationalen Kant-Kongress in Pisa, erscheint voraussichtlich in: Akten des XI. Internationalen Kant-Kongresses 2010, hrsg. von Stefano Bacin, Alfredo Ferrarin, Claudio La Rocca und Margit Ruffing, Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013). Klimmek, N.F. 2005: Kants System der transzendentalen Ideen (KantstudienErgnzungshefte 147), Berlin/New York: Walter de Gruyter. Klingner, S. 2006: Kant ber den endlichen Verstand, den intuitiven Verstand und Gott (KU §§ 76, 77), in: Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants „Kritik der Urteilskraft“ (Philosophische Schriften 68), hrsg. von Reinhard Hiltscher, Stefan Klingner und David Sß, Berlin: Duncker & Humblot, 163 – 181. – 2007: Kants Einsicht in die moralische Notwendigkeit der Unbeweisbarkeit Gottes, in: Was ist Humanitt? Interdisziplinre und interreligiçse Perspektiven (Judentum – Christentum – Islam. Bamberger interreligiçse Studien 6), hrsg. von Marianne Heimbach-Steins und Rotraud Wielandt, Wrzburg: Ergon 2008, 85 – 101. – 2010a: Rezension zu Goy 2007, in: Kant-Studien 101, 280 – 281. – 2010b: Kultur als Gegenstand der Transzendentalphilosophie? (Vortrag, 12 S., erscheint voraussichtlich in: Akten des XI. Internationalen Kant-Kongresses 2010, hrsg. von Stefano Bacin, Alfredo Ferrarin, Claudio La Rocca und Margit Ruffing, Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013). – 2012: Kant und die Zweckmßigkeit religiçsen Glaubens, in: Kant und die Religion – die Religionen und Kant (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 83), hrsg. von Reinhard Hiltscher und Stefan Klingner, Hildesheim/Zrich/New York: Olms, 177 – 192. Koller, R. 19984 : Konstruktionslehre fr den Maschinenbau. Grundlagen zur Neu- und Weiterentwicklung technischer Produkte mit Beispielen, Berlin/ Heidelberg u. a.: Springer. Konersmann, R. 20102 : Kulturphilosophie zur Einfhrung (Zur Einfhrung 374), Hamburg: Junius. Konhardt, K. 1979: Die Einheit der Vernunft. Zum Verhltnis von theoretischer und praktischer Vernunft in der Philosophie Immanuel Kants (Monographien zur philosophischen Forschung 178), Kçnigstein: Forum Academicum. Krmling, G. 1985: Die systembildende Rolle von sthetik und Kulturphilosophie bei Kant (Praktische Philosophie 23), Freiburg/Mnchen: Alber.

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Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

– 1986: Das hçchste Gut als mçgliche Welt. Zum Zusammenhang von Kulturphilosophie und systematischer Architektonik bei I. Kant, in: Kant-Studien 77, 273 – 288. Kugelstadt, M. 1998: Synthetische Reflexion. Zur Stellung einer nach Kategorien reflektierenden Urteilskraft in Kants theoretischer Philosophie (KantstudienErgnzungshefte 132) Berlin/New York: Walter de Gruyter. Kulenkampff, J. 19942 : Kants Logik des sthetischen Urteils (Philosophische Abhandlungen 61), Frankfurt a.M.: Klostermann. Lehmann, G. 1939: Kants Nachlaßwerk und die Kritik der Urteilskraft, Berlin: Junker und Dnnhaupt (wiederabgedruckt in: G. Lehmann, Beitrge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, Berlin: Walter de Gruyter 1969, 295 – 373). Longuenesse, B. 2000: Kant and the Capacity to Judge. Sensibility and Discursivity in the Transcendental Analytic of the „Critique of Pure Reason“, Princeton/Oxford: Princeton University Press (Reprint der Ausgabe von 1998). Luhmann, N. 19915 : Zweckbegriff und Systemrationalitt. ber die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 12), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Makreel, R.A. 2001: Kant, Dilthey et l’ide d’une critique du jugement historique, in: Revue de mtaphysique et de morale 32, 445 – 464. Malter, R. 1994: „… verstehen, was man seyn muss, um ein Mensch zu seyn.“ Zur Stellung der Anthropologie im Denken Immanuel Kants, in: Der philosophische Begriff des Menschen (Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse 614), hrsg. von Erich Heintel, Wien: Verlag der sterreichischen Akademie der Wissenschaften, 59 – 75. Martin, G. 1972: Arithmetik und Kombinatorik bei Kant, Berlin/New York: Walter de Gruyter. Mertens, T. 1995: Zweckmßigkeit der Natur und politische Philosophie bei Kant, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 49, 220 – 240. Munzel, F. 1999: Kant’s Conception of Moral Character. The „Critical“ Link of Morality, Anthropology, and Reflective Judgment, Chicago/London: The University of Chicago Press. Nuzzo, A. 2009: Kritik der Urteilskraft §§76 – 77: Reflective Judgment and the Limits of Transcendental Philosophy, in: Teleology (Kant-Yearbook 1/2009), hrsg. von Dietmar H. Heidemann, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 143 – 172. Oakes, G. 1990: Die Grenzen kulturwissenschaftlicher Begriffsbildung. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1982 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 859), Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

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Oberer, H. 1969: Transzendentalsphre und konkrete Subjektivitt. Ein zentrales Problem der neueren Transzendentalphilosophie, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 23, 578 – 611. Orth, E.W. 20042 : Von der Erkenntnistheorie zur Kulturphilosophie. Studien zu Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann. Patzelt, W.J. 19973 : Einfhrung in die Politikwissenschaft. Grundriß des Faches und studiumbegleitende Orientierung, Passau: Wissenschaftsverlag Richard Rothe. Patzig, G. 1965: Die logischen Formen praktischer Stze in Kants Ethik, in: KantStudien 56, 237 – 252. Perpeet, W. 1976: Art. ,Kultur, Kulturphilosophie‘, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie. Bd. 4, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Grnder, Basel: Schwabe, Sp. 1309 – 1324. Pfannkuche, A. 1901: Der Zweckbegriff bei Kant, in: Kant-Studien 5, 51 – 72. Plaass, P. 1965: Kants Theorie der Naturwissenschaft. Eine Untersuchung zur Vorrede von Kants „Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft“, Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Pollok, K. 2007: „Wenn Vernunft volle Gewalt ber das Begehrungsvermçgen htte“ – ber die gemeinsame Wurzel der Kantischen Imperative, in: KantStudien 98, 57 – 80. Prauss, G. 1971: Erscheinung bei Kant. Ein Problem der „Kritik der reinen Vernunft“ (Quellen und Studien zur Philosophie 1), Berlin: de Gruyter. – 1986 (Hrsg.): Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt a.M.: Klostermann. Prien, B. 2006: Kants Logik der Begriffe. Die Begriffslehre der formalen und transzendentalen Logik Kants (Kantstudien-Ergnzungshefte 150), Berlin/ New York: Walter de Gruyter. Reich, K. 19863 : Die Vollstndigkeit der Kantischen Urteilstafel, Hamburg: Meiner. Reuter, P. 1989: Kants Theorie der Reflexionsbegriffe. Eine Untersuchung zum Amphiboliekapitel der Kritik der reinen Vernunft (Epistemata: Reihe Philosophie 56), Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann. Rickert, H. 1924: Kant als Philosoph der modernen Kultur. Ein geschichtsphilosophischer Versuch, Tbingen: Mohr. – 19265 : Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Tbingen: Mohr. – 19295 : Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften, Tbingen: Mohr.

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Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

Riebel, A. 1992: Zur Prinzipienlehre bei Heinrich Rickert. Eine Untersuchung zur Stufung der Denk- und Erkenntnisprinzipien, Diss. Wrzburg. Riedel, M. 1985: Diltheys Kritik der begrndenden Vernunft, in: Dilthey und die Philosophie der Gegenwart (Alber-Broschur Philosophie, Sonderband der Phnomenologischen Forschungen), hrsg. von Ernst Wolfgang Orth, Freiburg/Mnchen: Alber, 185 – 210. – 1989: Kritik der historisch urteilenden Vernunft. Kants Geschichtsphilosophie und die Grundlagenkrise der Historiographie, in: Manfred Riedel, Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprngliche Fragestellung (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 774), Frankfurt a.M., 125 – 147 (Wiederabdruck, zuerst in: Die neue Rundschau 80 (1969)). – 19903 : Einleitung, in: Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 354), Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 9 – 80. Rodi, F. 1990: Art. ,Kultur I‘, in: Theologische Realenzyklopdie, Bd. 20, hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Mller, Berlin: Walter de Gruyter, 177 – 187. Rohs, P. 1986: Transzendentalphilosophie als spatio-temporaler Spinozismus, in: Perspektiven transzendentaler Reflexion. Festschrift fr Gerhard Funke zum 75. Geburtstag, hrsg. von Gisela Mller und Thomas M. Seebohm, Bonn: Bouvier, 99 – 118. – 1992: Noch einmal: das Kausalprinzip als Bedingung der Mçglichkeit der Erfahrung, in: Kant-Studien 83, 84 – 96. – 1996: Feld – Zeit – Ich. Entwurf einer feldtheoretischen Transzendentalphilosophie, Frankfurt a.M.: Klostermann. Samuelson, P.A./Nordhaus, W.D. 1987: Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und Mikroçkonmie, Bd. 1, bers. von Johanna Frenzel und Heidrun Gerzymisch-Arbogast, 8., grundlegend berarb. dt. Neuauflage, Kçln: BundVerlag. Snger, M. 1982: Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgrnden der Rechtslehre“. Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants (Kantstudien-Ergnzungshefte 114), Berlin/New York: de Gruyter. Schfer, L. 1966: Kants Metaphysik der Natur (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 9), Berlin: Walter de Gruyter. Schndelbach, H. 19914 : Philosophie in Deutschland 1831 – 1933 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 401), Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Schçnrich, G. 1986: Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Grundbegriffe, in: Prauss 1986, 246 – 270.

Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

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– 1996: Vernunft und kultureller Schematismus, in: Kant in der Diskussion der Moderne (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1123), hrsg. von Yasushi Kato und Gerhard Schçnrich, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 551 – 582. Schwaiger, C. 1999: Kategorische und andere Imperative. Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie bis 1785 (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklrung: Abt. 2, Monographien 14), Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog. Seel, G. 1989: Sind hypothetische Imperative analytische praktische Stze?, in: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. von Otfried Hçffe, Frankfurt a.M.: Klostermann, 148 – 171. Sigl, R. 1954: Kants Kulturbegriff. Ein Beitrag zur Lçsung der Natur-Freiheitsproblematik, Diss. Universitt Bern. Simon, J. 1971: Begriff und Beispiel. Zur Aporie einer Philosophie und Systematik der Wissenschaften, dargestellt am Wissenschaftsbegriff Kants, in: KantStudien 62, 269 – 297. Staege, R. 2002: Hypothetische Imperative, in: Kant-Studien 93, 42 – 56. Stekeler-Weithofer, P. 1993: Kultur und Autonomie. Hegels Fortentwicklung der Ethik Kants und ihre Aktualitt, in: Kant-Studien 84, 185 – 203. Tonelli, G. 1957/58: Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Zweckmßigkeit in der Kritik der Urteilskraft, in: Kant-Studien 49, 154 – 166. Tuschling, B. 1988: Das „rechtliche Postulat der praktischen Vernunft“: seine Stellung und Bedeutung in Kants „Rechtslehre“, in: Kant. Analysen – Probleme – Kritik, hrsg. von Hariolf Oberer und Gerhard Seel, Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann, 273 – 292. Wagner, H. 1980: Der Argumentationsgang in Kants Deduktion der Kategorien, in: Kant-Studien 71, 352 – 366. – 19803 : Philosophie und Reflexion, Mnchen/Basel: Ernst Reinhardt. – 1994: Kants Konzept von hypothetischen Imperativen, in: Kant-Studien 85, 78 – 84. Weil, E. 2001: Probleme des Kantischen Denkens (Philosophische Schriften 46), bers. und eingel. von Hctor Wittwer, Berlin: Duncker & Humblot. Wenzel, C.H. 2000: Das Problem der subjektiven Allgemeingltigkeit des Geschmacksurteils bei Kant (Kantstudien-Ergnzungshefte 137), Berlin/New York: Walter de Gruyter. Willaschek, M. 1992: Praktische Vernunft. Handlungstheorie und Moralbegrndung bei Kant, Stuttgart/Weimar: Metzler. Windelband, W. 1894: Geschichte und Naturwissenschaft (Straßburger Rektoratsrede), in: Wilhelm Windelband, Prludien. Aufstze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte, Tbingen: Mohr 19217/8, Bd. 2, 136 – 160.

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Verzeichnis der hinzugezogenen Literatur

– 1910: Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus, in: Wilhelm Windelband, Prludien. Aufstze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte, Tbingen: Mohr 19217/8, Bd. 2, 279 – 294. Wirth, U. 2008: Vorberlegungen zu einer Logik der Kulturforschung, in: Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1799), hrsg. von Uwe Wirth, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 9 – 67. Wolandt, G. 1978: Kants Erfahrungsbegriff, in: Kant-Studien 69, 46 – 57. – 1988: Kants Anthropologie und die Begrndung der Geisteswissenschaften, in: Kant. Analysen – Probleme – Kritik, hrsg. von Hariolf Oberer und Gerhard Seel, Wrzburg: Kçnigshausen & Neumann, 357 – 378. Wolff, M. 1984: Der Begriff des Widerspruchs in der „Kritik der reinen Vernunft“, in: Probleme der „Kritik der reinen Vernunft“. Kant-Tagung, Marburg 1981, hrsg. von Burkhard Tuschling, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 178 – 202. – 1995: Die Vollstndigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay ber Freges Begriffsschrift (Philosophische Abhandlungen 63), Frankfurt a.M.: Klostermann. Zeidler, K.W. 1995: Kritische Dialektik und Transzendentalontologie. Der Ausgang des Neukantianismus und die post-neukantianische Systematik R. Hçnigswalds, W. Cramers, B. Bauchs, H. Wagners, R. Reiningers und E. Heintels (Studien zum System der Philosophie, Beiheft 1), Bonn: Bouvier. Zimmermann, S. 2011: Kategorien der Freiheit (Kantstudien-Ergnzungshefte 167), Berlin/Boston: Walter de Gruyter. Zocher, R. 1958: Zu Kants transzendentaler Deduktion der Ideen der reinen Vernunft, in: Zeitschrift fr philosophische Forschung 12, 43 – 58. – 1959: Kants Grundlehre. Ihr Sinn, ihre Problematik, ihre Aktualitt (Erlanger Forschungen, Reihe A: Geisteswissenschaften 11), Erlangen: Universittsbund Erlangen. Zçller, G. 1984: Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant. Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realitt“ und „objektive Gltigkeit“ in der „Kritik der reinen Vernunft“ (Kantstudien-Ergnzungshefte 117), Berlin/New York: Walter de Gruyter.

Personenregister Albrecht, M. 301 Aristoteles 109, 114 Aschenberg, R. 29 Bartuschat, W. 39, 51, 268, 270 Bauch, B. 62, 198, 202 Baumanns, P. 31 Baumgarten, A.G. 113 f. Beck, L.W. 292 Bickmann, C. 96 Bobzien, S. 34 Brandt, R. 32, 40 Breil, R. 38, 40, 44, 103, 108, 111 Breitenbach, A. 115 Brelage, M. 15 Brocker, M. 31, 34, 36, 100, 108, 109, 112, 113 Caimi, M. 94, 96 Cassirer, E. 1 f. Cramer, K. 3, 6, 29, 30, 31, 34, 74, 91, 100, 102 f., 106, 107, 114 f., 126, 135, 138, 140, 154, 198, 205, 207, 208, 224, 244, 245, 281 Dahl, D. 304 Davidson, D. 17 f., 267 Dilthey, W. 1–3 Dçrflinger, B. 2, 31, 39, 46, 62, 90, 100, 131, 132, 176, 195, 231 Dsing, K. 4, 10, 12, 42, 44, 45, 46, 187, 195, 203, 214 Eisler, R. Ernst, W.

58 12, 99

Flach, W. 2, 3, 5, 6, 7, 15 f., 29, 36, 202, 206 Freudiger, J. 131 Funke, G. 12

Gadamer, H.-G. 2 Gerhardt, V. 122, 132 Gloy, K. 31, 34, 100 Gler, K. 17, 18 Gçller, T. 2 Goy, I. 34 Graubner, H. 30, 31, 91, 130, 156, 251, 253, 254 Grnewald, B. 3, 6, 7, 40, 150, 152, 153, 284 Gutterer, D. 12, 148 Haas, B. 34 Hanna, R. 13 f., 198 Heidegger, M. 4, 13 Heinrichs, J. 31 Henecka, H. P. 305 Henrich, D. 15, 31, 277 Hiltscher, R. 3, 4, 6, 15, 29, 30, 31, 33, 34, 36, 46, 62, 74, 76, 84, 88, 92, 100, 131, 150, 165, 171, 198, 235, 237, 252, 254, 278, 279 Hinske, N. 34 Horkheimer, M. 58 Horn, C. 17 Husserl, E. 39 Hutter, A. 14 Ineichen, H. Jung, A.

1 59

Kaulbach, F. 122 Kim, J. 18 Kleingeld, P. 12, 47 Klemme, H.F. 13, 116 Klimmek, N.F. 82, 83, 95, 96 Klingner, S. 19, 34, 219, 303 Koller, R. 58, 59, 60 Konersmann, R. 56

320

Personenregister

Konhardt, K. 12, 21, 62, 81, 214, 292, 293, 301 Krmling, G. 7, 12 Kruck, G. 90 Kugelstadt, M. 147 Kulenkampff, J. 62

Rickert, H. 1 f., 12 Riebel, A. 1 Riedel, M. 2 Rodi, F. 53 Rohs, P. 169, 267

Makreel, R.A. 2 Malter, R. 27, 38 Martin, G. 31, 101, 103, 207 Mertens, T. 44 Munzel, F. 301, 303

Samuelson, P.A. 304, 305 Snger, M. 34 Schfer, L. 36, 112, 139, 283 Schndelbach, H. 1 Schçnrich, G. 7, 34 Schultz, J. 102 Schwaiger, C. 24 Seel, G. 224 Sigl, R. 8, 11, 12, 303 Simon, J. 31 Staege, R. 224 Stekeler-Weithofer, P. 12

Nordhaus, W.D. Nuzzo, A. 5

Tonelli, G. 227 Tuschling, B. 111

Lehmann, G. 21, 183, 187 Lçhrer, G. 17 Longuenesse, B. 31, 91, 131, 144, 147, 251, 279 Luhmann, N. 58

Oakes, G. Oberer, H. Orth, E.W.

304, 305

1 15 1

Patzelt, W.J. 305 Patzig, G. 224 Perpeet, W. 53 Pfannkuche, A. 12, 65, 82 Plaass, P. 5, 29, 30, 31, 34, 36, 74, 100, 101, 103, 104, 105, 112, 114, 139, 140, 141, 142, 143, 152, 278, 281, 283 Pollok, K. 224 Prauss, G. 17, 131 Prien, B. 84, 85 Reich, K. 31, 32 Reuter, P. 31, 91

Wagner, H. 15 f., 29, 31, 32, 224, 225 Weil, E. 44 Wenzel, C.H. 131, 231 Willaschek, M. 17, 65, 82, 221, 292, 301 Windelband, W. 1 f. Wirth, U. 1 Wolandt, G. 2, 38 Wolff, M. 32, 244 Zeidler, K.W. 15 Zimmermann, S. 34 Zocher, R. 94, 96, 265, 270 Zçller, G. 31, 198

Begriffsregister Affektion 177 f., 255, 279, 282 Analogie 115, 197, 257 – 259, 264, 270 – 272, 274 Anschauung 4 f., 28, 33, 35, 68, 75, 79, 93, 96, 97, 140, 141, 143, 154, 159 f., 164 f., 170, 178, 180, 237, 239 f., 248 f., 251, 255, 257, 258, 273, 279 f. Anschauung, empirische 6, 74, 101, 103, 104, 143, 146 – 149, 151, 153, 171, 188, 248, 251, 253, 279, 281, 289, 292 Anschauung, formale 88, 251 – 253 Anschauung, reine 30, 88, 89, 91, 140, 253 Anthropologie/anthropologisch 7, 9, 23, 37, 38, 40, 41 f., 46 – 55, 58, 125, 219, 291, 296 f., 300, 302 Anthropologisierung 6, 11, 293, 296 f. Antizipation 126, 134 f., 136 f., 158, 162 – 164, 173, 176, 180 – 182, 200 – 202, 207, 220, 226, 241 – 243, 252, 260 – 264, 266, 271 f., 276, 294 Begehrungsvermçgen 3, 5 f., 13, 18, 21 f., 52, 56, 65 f., 81, 98, 116, 121 – 125, 156 f., 166, 196 f., 199, 201, 205, 214, 216 – 220, 222 f., 226, 246, 281, 289 – 303 Begriff a priori 5, 10, 30 f., 33, 62, 81 – 102, 104, 106 f., 110 f., 114, 117 f., 208, 278 Begriff, empirischer 5, 39, 50, 54, 83, 85 – 89, 103 f., 108, 110, 114, 117, 120 f., 139, 141 – 144, 147, 150, 155, 162, 205, 211 – 213, 235 – 238, 283

Begriff, gegebener 54, 61, 82 – 91, 119, 121, 138, 140, 149 Begriff, gemachter 82 – 91, 138, 149 f., 152, 170, 252 Begriff, nicht-reiner 29, 36, 208 Begriff, reiner 36, 81, 102, 108 Bewegung 102 – 106, 110 – 112, 194, 281 Darstellung a priori 32 f., 140, 254 Darstellung, empirische 69, 74, 146, 186 – 188, 194, 205, 256 Darstellung, mathematische 27, 140, 251 f. Darstellung, nicht-reine 254 f., 273 Darstellung, symbolische 256 – 258 Darstellung, technische 176, 178 f., 181 – 183, 203, 248 – 250, 252, 254 – 257, 263, 272 – 274, 280, 289 Deduktion 31, 94, 114 f., 140, 156, 265, 277 – 282, 284 Disziplin 7, 20, 21 – 23, 25, 116, 297 Disziplinierung 23, 25, 52, 298 – 301 Einbildungskraft 13 – 15, 68, 160 – 168, 170 – 179, 235 f., 239 f., 248 – 250, 254 f., 263 f., 273, 279, 289 Erkenntnis a priori 27 – 41, 50, 52 f., 57, 59 f., 207 f., 259 Erkenntnis, empirische 37 f., 49, 140, 148, 165, 246 f., 248, 266 f., 304 f. Erkenntnis, mathematische 30, 250, 253, 255

322

Begriffsregister

Erkenntnis, philosophische 27 – 41, 44, 46, 49 – 52, 54 f., 57, 61, 283, 291 f. Erkenntnis, technische 6, 13, 247, 253, 255 – 259, 267, 274, 290, 298 f., 304 f. Erkenntnisurteil 165 f., 168, 232, 247, 261, 274 Gefhl 124 f. Geschicklichkeit 7, 20 – 25, 52, 58, 116, 218 f., 221, 297, 302 – 304 Glckseligkeit 19 f., 24, 90, 212, 218 f., 221, 304, 305 Gott 46, 96, 122, 284 Gltigkeit, objektive 31, 35, 140, 146 – 168, 181 f., 187, 197 – 208, 212 f., 215, 226, 229, 255, 260 f., 273, 278 – 281, 292, 298 Gltigkeit, subjektive 43, 48, 50 f., 194, 198 f. Haben 100, 103, 106 – 111, 112, 113, 115, 116 f. Handlung 17, 65, 99, 132, 216 f., 222 f., 233, 246 Heautonomie 43, 264, 267 – 270 Idee, transzendentale 31, 62, 83 – 86, 90 f., 94 – 99, 119, 140 f., 145, 198 f., 202, 206, 210 Idee, Zweck- s. Zweckidee Imperativ 10, 116, 133, 201, 216 – 226, 246 f., 291, 304 Ingenieurswissenschaft(en) s. Technikwissenschaft(en) Kategorie 31 – 33, 62, 70, 75, 81 f., 83 – 86, 88, 90 – 97, 99 – 102, 109 – 112, 117, 119, 138, 140 f., 145, 149, 153 f., 156 f., 185, 198 f., 205, 239, 265, 279, 285 – 291 Kausalittskategorie s. Ursache und Wirkung (Kategorie) Kausalittsprinzip 131, 202 – 204, 207, 265, 267, 282

Kenntnis 9, 37, 41, 46 – 49, 51 f., 54, 304 Klugheit 7, 23 – 25, 52, 57, 218 f., 221, 297, 301 f., 305 Konstitution/konstitutiv 2, 3 f., 5 f., 10 f., 12, 33, 35, 57, 58, 59, 69, 73, 92, 123, 136, 139, 155, 188, 205, 232, 259, 278, 281, 282, 293 Konstruktion, empirische/technische 14, 250, 252, 254 – 256, 258, 286 f., 295 Konstruktion, mathematische 29, 88, 140, 250 – 256, 258, 288 Konstruktion, metaphysische 29, 36, 152, 282 – 291 Konstruktion, reine/schematische 249 – 256, 258 Kraft 80, 99, 113, 130 – 133, 186, 194, 286 Kultur 2, 7 – 9, 11 f., 15 f., 19 – 26, 41 – 61, 69, 103, 116, 212, 214, 291 – 306 Kulturphilosophie 3, 5 – 13, 41 – 43, 48 – 53, 56, 58 f., 61, 291 Kulturwissenschaft(en) 1, 7 Kunst 11, 57, 67 – 72, 80, 115, 120, 148, 159 – 161, 164, 186 – 190, 194 – 201, 205, 207 f., 218, 228, 230, 232 – 235, 240, 249 f., 253, 256, 263, 268 – 270, 288, 291, 294 – 305 Kunstprodukt/Kunstzweck 7, 77 f., 161, 185 – 190, 194 – 198, 205 f., 209 f., 233, 287, 295 Maxime 23, 299, 301 f. Mensch 1, 5, 10 – 12, 19 – 26, 42 – 49, 51 f., 55, 69 f., 111, 151, 212, 218 f., 284, 293 – 305 Menschheit 11 f., 23, 25 f., 298, 300 f., 302 Moralisierung 11, 46, 303 Naturprodukt/Naturzweck 45, 62, 64, 68 – 70, 73 – 80, 90, 98, 115, 126 f., 161, 176, 186 – 199, 208 f., 213 f., 228, 230, 287, 295

Begriffsregister

Prdikabile 5, 10, 31, 75, 87 f., 90, 91, 94, 99 – 118, 132, 139 f., 192, 208 f., 214, 277 f., 283 f., 286 Pragmatik/pragmatisch 23 f., 38, 40, 42, 46, 47, 49, 52, 133, 149, 160, 164, 212, 218, 291, 302, 303 Raum 30, 79 f., 88, 93, 97, 101, 104 – 111, 140, 152, 153, 155, 205, 235, 237 f., 251, 253 f. Realitt, objektive 5 f., 10 f., 36, 54, 56, 61, 67 – 78, 88 – 90, 96, 99, 101, 103, 106, 111, 114 – 116, 139 – 159, 184 – 191, 194 – 208, 210 – 213, 215, 230, 240, 252, 279 f., 283, 286, 294 Regel 21, 116, 133, 138, 158, 162, 164, 173, 175, 178, 196, 202 f., 216, 219, 226, 235 f., 241 – 243, 247, 252, 255, 258, 260 – 274, 276, 287 f., 295 Regel, praktische 116, 223 Regel, technisch-praktische 57, 201, 222 f., 297 Regulation/regulativ 5 f., 35, 39, 43 f., 50, 80, 90, 94, 98, 115, 123, 202, 205 f., 214, 230, 293 Religion 16, 303 Schema 36, 90, 91, 115, 140, 144, 153, 172 – 176, 192, 235 – 239, 251 f., 254, 257, 275 f. Schematisierung 174 – 176, 192, 209, 275 – 278, 282 Sinnlichkeit 15, 30 – 32, 68, 91, 96, 102 f., 106, 124, 138, 154 f., 177, 199, 205, 279, 282 Subjekt, einzelnes/empirisches/konkretes 15, 23, 30, 117, 123, 144, 166, 169 f., 173, 179, 222 f., 234, 298 – 302 Subjekt, erkennendes 80, 122 f., 155, 200 Subjekt, hervorbringendes 126, 200, 220, 233, 284, 292 f. Subjekt, technisches 200, 233, 268 f., 292 f., 298 f., 302

323

Subjekt, technisch-praktisches 11, 297 – 302, 305 f. Subjekt, theoretisches/wissenschaftliches 298 – 300, 302 Subjekt, transzendentales 199 f., 202 Subjekt, wollendes 219 f., 292, 301 f. Subjekt, zwecksetzendes 201, 292 f. Symbol/symbolisch 1, 2, 252, 256 – 258, Synthesis 14, 85 – 87, 95 – 97, 119, 123, 142, 144, 149, 152 f., 156, 160, 163, 172, 177 f., 190, 192, 235, 239, 251, 257 f., 276 Synthesis, technische 163 – 165, 173, 177 – 184, 189 – 192, 194, 206, 209, 220, 241, 248, 254 f., 257, 262 – 264, 272, 279 – 281 Synthesis, willkrliche 87, 142, 158, 160 Satz, analytischer/identischer s. Urteil, analytisches Satz, hypothetischer s. Urteil, hypothetisches Satz, nicht-reiner a priori s. Urteil, nicht-reines a priori Satz, praktischer s. Urteil, praktisches Satz, synthetischer s. Urteil, synthetisches Satz, technischer 199, 223, 243 – 259, 268, 273, 289 f., Sozialwissenschaft(en) 305 Technik 8, 15 f., 23, 58 f., 120, 183 f., 185 – 199, 201, 205, 207 – 209, 250, 253, 256, 263, 288, 294 f., 297, 302 – 306 Technikwissenschaft(en) 58, 59 – 61, 304 Ursache, ußere 176, 282 f. Ursache, innere 176 – 179, 182, 209, 255, 261 f., 263, 274, 276 f., 281, 285 Ursache und Wirkung (Kategorie) 18, 76, 92 f., 95, 106, 109 – 115, 126, 132, 136, 138, 157, 161, 163, 169,

324

Begriffsregister

173 – 176, 178, 180, 182 – 184, 190 f., 202, 204, 209, 220, 240, 254, 262, 275 – 288 Urteil a priori 28 f., 35, 156, 208 Urteil, analytisches 136, 206 f., 224 f., 244 f. Urteil, sthetisches 231 Urteil, bestimmendes 232 – 235, 242, 260 f., 272 – 274 Urteil, Erkenntnis- s. Erkenntnisurteil Urteil, hypothetisches 223 f., 245 – 247, 276 Urteil, Modal- 139, 142, 144 – 146, 149 – 151, 198 Urteil, naturteleologisches 11, 194, 230 – 232, 274 Urteil, nicht-reines a priori 6, 208, 259, 304 Urteil, praktisches 201, 224 Urteil, Reflexions- 194, 231, 272 – 274 Urteil, synthetisches 6, 28, 35, 144, 156, 163, 165 f., 208, 215, 242, 244, 246 f., 248, 258 f. Urteil, teleologisches 6, 10, 161, 171 f., 174, 180 f., 201, 215, 223, 226 – 245, 259 f., 273, 275, 290, 297 Urteil, theoretisches 201, 299 Urteil, Zweck- s. Zweckurteil Urteilskraft 3, 5, 13 – 15, 38 f., 41, 42 – 46, 48 f., 126, 193, 207 f., 231, 234, 263, 257, 263 – 273, 281, 291 – 293 Vernderung 100, 102, 105, 107, 282 f., 285 Vernunft, menschliche 4 f., 26, 84 Vernunft, pragmatische 291 Vernunft, praktische 11, 16, 18, 25 f., 38, 90, 111, 116, 211 f., 214, 293, 300 Vernunft, technische 3, 5 – 7, 10 – 13, 15 – 18, 20 – 23, 25 f., 41 f., 46 f., 50 – 61, 71 f., 73, 183, 184, 200, 202, 210, 212, 214, 219, 221, 231 f., 259, 274, 275, 278 f., 281, 282 – 285, 289, 290 f., 291 – 298, 300, 302, 305 f.

Vernunft, technisch-praktische 3, 12, 20 f., 26, 221, 281, 291, 293 – 296, 300 – 302, 304 f. Vernunft, theoretische 11, 18, 38, 202, 293 Verstand, diskursiver/ektypischer 4, 18, 30, 32, 68, 116, 122, 135, 157, 172, 177, 210, 222, 278 f., 282, 284 f., 295 f. Verstand, intuitiver 3 f., 98, 195 Verstand, reiner 81, 103, 140, 153, 156, 199, 265 f., 280 f., Wille/Willkr s. Begehrungsvermçgen Willensbestimmung 56 f., 66, 121 f., 196, 213, 218 f., 222 f., 245, 260, 288, 292, 294, 298 f., 301 Wirtschaftswissenschaft(en) 304, 305 Zeit

30, 79 f., 88, 93, 101, 106 – 108, 130, 133, 136, 138, 144, 153, 165, 169, 205, 251 Zivilisation 15 f., 53, 303, 305 Zivilisierung 23 – 25, 52, 303, 305 Zweckidee 62 f., 90, 170 – 179, 208 – 214 Zweckkausalitt 80, 93, 125 f., 128 – 133, 136 f., 175 f., 185, 188 f., 191, 196, 197, 204, 209, 228, 277 f., 285 – 289, 290, 294 Zweckmßigkeit, ußere/relative 43, 227 f., 233 f., 240 – 243 Zweckmßigkeit, formale 227, 231, 243 Zweckmßigkeit, innere/absolute 213, 228, 232 – 240 Zweckmßigkeit, materiale/reale 227 f., 233 Zweckmßigkeit, objektive 227 f., 229 – 243, 260 Zweckmßigkeit, praktische 8, 288, 289 Zweckmßigkeit, subjektive 231 Zweckmßigkeit der Natur 5, 39, 43 f., 48, 115, 203 f., 206 f., 230, 266 f., 272, 274

Begriffsregister

Zweck-Mittel-Relation 226, 228, 288 Zweckrationalitt 21, 221

325

Zweckurteil 6, 159 – 171, 179, 181, 201, 203, 205, 212, 215, 217, 223, 226 – 229, 232, 243 – 245, 247, 249, 254 f., 259 – 275, 289

Stellenregister Anth VII 119 37, 38, 49 Anth VII 122 37 Anth VII 139 256 Anth VII 140 256 Anth VII 201 20, 24 Anth VII 210 186 Anth VII 224 186 Anth VII 225 295 Anth VII 251 125 Anth VII 271 21 Anth VII 292 301 Anth VII 321 23, 47 f., 301 Anth VII 322 23 f., 25, 47 – 49, 164, 300, 303, 304, 305 Anth VII 322 f. 23 Anth VII 323 24 f., 303, 305 Anth VII 323 f. 23, 300 Anth VII 324 300 Anth VII 329 49 Anth VII 333 49 BDG II 142 Br X 351

186 102

EEKU XX 195 EEKU XX 198 EEKU XX 199 f. EEKU XX 200 EEKU XX 204 EEKU XX 205 EEKU XX 211 EEKU XX 214 EEKU XX 219 EEKU XX 219 f. EEKU XX 222 EEKU XX 223 EEKU XX 224 EEKU XX 225 EEKU XX 228

33 299 164 52 186 186 263 186 186 204 231, 274 231, 274 231 267 184

EEKU XX 229 186 EEKU XX 232 161, 186, 263, 272 f. EEKU XX 234 20, 58, 61, 72, 161, 163, 166, 183, 184, 185, 186, 187, 230, 278, 292, 294, 296 EEKU XX 234 f. 188 EEKU XX 236 63, 72, 81, 98, 137, 170, 196, 231, 232, 233, 274, 294 EEKU XX 236 f. 232 EEKU XX 239 230 EEKU XX 239 f. 231 EEKU XX 240 186 EEKU XX 243 187 EEKU XX 248 186 EEKU XX 250 240 f. EEKU XX 251 186, 232, 270 FM XX 272 FM XX 325 FM XX 325 f. FM XX 326 GMS IV 388 GMS IV 395 GMS IV 395 f. GMS IV 413 GMS IV 414 GMS IV 414 f. GMS IV 415 GMS IV 416 305 GMS IV 416 f. GMS IV 417 GMS IV 418 GMS IV 419 GMS IV 420 GMS IV 420 f. GMS IV 427

87, 101 f., 105 68, 140, 143 74 140 40 23 23 f. 216, 222 20, 216, 291, 302 217 24, 217 f., 304, 305 24, 218, 301 f., 303, 218, 291 24, 219 f., 224 221 221, 224, 225 225, 246 301 301

328 GUGR II 380 IaG VIII 20 IaG VIII 21 IaG VIII 25 IaG VIII 26 IaG VIII 30

Stellenregister

186 47, 52 47 48 23 44, 50

KpV A 3 212 KpV A 4 f. 111 KpV A 16 66, 78, 121, 196, 220 KpV A 17 81, 121 KpV A 23 207 f. KpV A 35 222 f., 300, 301 KpV A 36 216 KpV A 37 216, 222 KpV A 37 f. 56 KpV A 38 116, 222 KpV A 39 66, 288, 294 KpV A 45 218 KpV A 46 219, 223, 246, 247, 258, 298 KpV A 48 66 KpV A 86 125 KpV A 103 65 f., 81, 116, 121, 137, 213 KpV A 117 32 KpV A 141 301 KpV A 194 90, 214, 293 KpV A 196 f. 214 KpV A 224 219 KpV A 226 214 KpV A 254 f. 93 KpV A 255 93, 119 KrV A 108 f. 142 KrV A 109 158 KrV A 348 97 KrV A 351 97 KrV A 366 97 KrV A 397 96 KrV B XVIII 28 KrV B XXXV 28 KrV B 2 259 KrV B 3 28, 29, 131, 252, 282 KrV B 3 f. 28 KrV B 4 28, 252 KrV B 8 28

KrV B 10 f. 28 KrV B 11 207 KrV B 12 28 KrV B 23 28 KrV B 25 35 KrV B 25 f. 51 KrV B 27 36 KrV B 28 36 KrV B 29 28 KrV B 33 177, 180 KrV B 34 251 KrV B 34 f. 237, 251 KrV B 35 28, 253 KrV B 37 168 f. KrV B 38 28 KrV B 40 28 KrV B 42 88 KrV B 46 88 KrV B 50 f. 105 KrV B 58 104, 106 KrV B 64 28 KrV B 74 29, 68 KrV B 74 f. 180 KrV B 75 164, 174 KrV B 77 32 KrV B 78 33, 51 KrV B 79 33, 96 KrV B 80 35 KrV B 81 96 KrV B 89 f. 280 KrV B 93 30, 159, 174, 176, 180 KrV B 94 32, 230 KrV B 95 31 f. KrV B 96 32 KrV B 98 222, 224, 245 KrV B 100 225, 290 KrV B 105 32, 33 KrV B 106 33, 127, 191, 209, 277, 287 KrV B 108 31, 81, 88, 92, 99, 100, 101, 105, 113 f., 117, 132 KrV B 109 f. 111 KrV B 110 93, 239 KrV B 111 95, 191 KrV B 112 127, 191 f., 193 KrV B 113 129 KrV B 114 f. 95 KrV B 116 f. 277

Stellenregister

KrV B 117 KrV B 122 KrV B 124 f. KrV B 125 KrV B 126 156, 170 KrV B 128 KrV B 130 KrV B 138 KrV B 138 f. KrV B 139 KrV B 142 KrV B 145 KrV B 146 KrV B 146 f. KrV B 147 KrV B 149 KrV B 151 KrV B 151 f. KrV B 152 KrV B 153 KrV B 153 f. KrV B 155 KrV B 157 f. KrV B 159 KrV B 163 KrV B 165 KrV B 178 KrV B 178 f. KrV B 179 KrV B 179 f. KrV B 180 KrV B 181 237, 253 KrV B 182 KrV B 182 f. KrV B 183 KrV B 184 KrV B 185 KrV B 186 KrV B 189 KrV B 190 KrV B 194 KrV B 196 KrV B 197 KrV B 199 KrV B 200 KrV B 201

140, 277 f. 276 4, 156 153, 196, 294, 295 31, 92, 119, 140, 153, 31, 92, 119 13 172 177 172 166 f., 261 32, 177, 279, 280 92 253, 254 140, 254 253 68, 160 177 174, 177 f. 177, 178, 279 177 178, 279 292 31 275 265 153 204 153, 172 173, 235 235 f., 237, 251, 252 173, 174, 204, 235, 288 239 174, 176, 192, 262, 275 144 204, 275, 278, 282 240 244 206, 244, 245 f. 68, 141 153 152, 154, 156 93, 230, 239 32 87

329

KrV B 207 135 KrV B 208 133 f. KrV B 208 f. 134 KrV B 209 134 f. KrV B 225 286 KrV B 232 102, 131, 168, 282 KrV B 234 109, 163, 173, 175, 202, 220 KrV B 250 132 KrV B 252 105 KrV B 265 142, 149, 151 KrV B 266 134, 142, 144, 145 KrV B 267 143, 149 KrV B 269 87, 144, 152, 158 KrV B 269 f. 144 KrV B 270 149, 151, 152 KrV B 272 134, 167 KrV B 282 150 KrV B 283 f. 150 KrV B 284 167 KrV B 286 142, 145, 289, 290 KrV B 287 133 KrV B 290 136 KrV B 302 141 KrV B 305 153 KrV B 317 f. 91 KrV B 318 31, 91 KrV B 319 91 KrV B 325 83 KrV B 343 31, 93, 119 KrV B 347 101 KrV B 348 32 KrV B 356 29 KrV B 363 109 KrV B 366 82, 83 KrV B 376 f. 94, 141 KrV B 377 30, 31, 63, 92, 94, 99, 117, 210 KrV B 378 84, 94, 95 KrV B 379 94 f., 96, 97 KrV B 383 96 KrV B 384 170, 200, 206, 210, 211 f., 281 KrV B 390 f. 95 KrV B 391 96, 98 KrV B 393 f. 98 KrV B 401 97 KrV B 402 32, 97

330 KrV B 403 KrV B 423 KrV B 443 KrV B 517 KrV B 521 KrV B 554 KrV B 624 KrV B 642 KrV B 654 KrV B 670 KrV B 671 f. KrV B 672 KrV B 675 KrV B 689 KrV B 691 KrV B 692 KrV B 693 KrV B 697 KrV B 699 KrV B 737 KrV B 741 251, 252 KrV B 741 f. KrV B 742 KrV B 745 KrV B 748 KrV B 751 KrV B 756 KrV B 757 KrV B 758 KrV B 758 f. KrV B 760 KrV B 828 KrV B 831 KrV B 833 KrV B 834 KrV B 838 f. KrV B 850 f. KrV B 860 173, 210 KrV B 860 f. KrV B 861 293 KrV B 863 KrV B 864 f. KrV B 865 KrV B 866 KrV B 867

Stellenregister

97 f. 168 32 98 f., 180 f., 210 145, 146, 150 f., 167 96 141, 144, 158 f. 84 186 84 117 90, 98, 140 202 90 202 202 90 84 90 22 27, 30, 92, 249, 250, 30 140 252, 257 140, 251 140, 251 85 87, 144 86, 87 f. 86 27 24 184 57 24 214 28 28, 34, 98, 170, 172, 172 34, 36, 164, 172, 214, 34 34 27 26, 28, 34 26

KrV B 868 KrV B 875 f. KrV B 876 KrV B 878

27 39 27 26

KU B XI 27, 33, 38, 101, 201 KU B XI f. 38 KU B XII 38, 56 KU B XIII 157, 196, 197, 223 KU B XIV 52, 223, 304, 305 KU B XV 52, 57, 297, 298, 299 KU B XIX f. 38 KU B XX 51 KU B XXIV 204 KU B XXV f. 234 KU B XXVI 48, 234, 263, 267 KU B XXVI f. 264, 270 KU B XXVII 264, 266, 267 KU B XXVIII 63, 72, 78, 81, 92, 137, 157, 158, 186, 227, 266, 288, 293 KU B XXIX 36, 37, 40, 43, 61, 282, 283 KU B XXIX f. 30, 48, 207 KU B XXX 36, 39, 52, 56, 121, 207, 288, 289, 292, 293 KU B XXXII f. 265 KU B XXXIII 203, 266 KU B XXXIV 204, 266 KU B XXXV 203 KU B XXXVII 43, 203, 207, 264, 265, 266, 267 f. KU B XXXVIII 267 KU B XLVII 186 KU B XLIX 67 f., 159 f., 186, 187, 250 KU B L 69, 186, 203 KU B LI 193, 231 f. KU B LII 38, 39, 51 KU B LIII f. 38 KU B LV 44 f. KU B LV f. 46 KU B LVII 38 f., 43 KU B LVIII 13 KU B 32 63 f., 81, 92, 121, 137, 157, 161 KU B 33 f. 231 KU B 44 227, 228, 229

Stellenregister

KU B 45 64, 81, 137, 164, 228, 229, 235, 236, 240, 287 KU B 46 227 KU B 56 186, 237 KU B 61 186 KU B 74 231 KU B 77 186 KU B 89 186 KU B 129 13 KU B 134 201 KU B 147 166 KU B 163 f. 23 KU B 173 f. 161, 232 KU B 174 186, 233, 235, 269, 294, 295 KU B 175 303 KU B 177 233, 303 KU B 177 f. 71, 294 KU B 178 294 KU B 179 41, 186 KU B 180 186 KU B 181 268 f. KU B 182 269 KU B 183 269 KU B 186 295 KU B 201 186 KU B 203 41 KU B 214 41 KU B 220 f. 41 KU B 240 75, 91, 94, 99, 210 KU B 254 142 KU B 255 256, 257 KU B 256 256 f. KU B 257 257 KU B 261 39 KU B 262 f. 41 KU B 268 209, 229, 232 KU B 269 230 KU B 269 f. 186 KU B 270 230 KU B 271 227 KU B 274 227, 231 KU B 275 227, 243 KU B 279 186, 227, 228, 233, 240 KU B 279 f. 228 KU B 280 230 KU B 282 233 KU B 282 f. 228

331

KU B 283 228 KU B 285 186 KU B 286 76, 186, 192 KU B 289 76, 81, 98, 127, 131, 170 KU B 289 f. 70, 71, 126, 128, 129 f. KU B 290 76 f., 78, 79, 115, 127, 129, 158, 160, 170, 172, 174, 186, 192 f. KU B 290 f. 77, 170, 189 f. KU B 291 7, 78, 80, 127, 186, 190, 191, 193, 195, 213, 242, 287 KU B 291 f. 78, 190 KU B 292 125, 126, 191 KU B 292 f. 194 KU B 293 80, 186, 194 f. KU B 295 75, 80, 185, 188, 189, 193 f., 196, 213, 294 KU B 295 f. 193 KU B 296 193 KU B 297 186 KU B 300 213 KU B 301 230 KU B 305 173 KU B 309 21, 164, 183 KU B 313 213 KU B 314 194, 214 KU B 317 186 KU B 318 164 KU B 320 61, 209 KU B 321 58, 61, 186, 209, 278 KU B 322 58, 186 KU B 324 186 KU B 324 f. 58 KU B 326 175 KU B 329 189 KU B 330 69, 209 KU B 330 f. 74 KU B 331 76 KU B 332 69, 70, 71, 73, 76, 187 f., 188, 189, 209, 230 KU B 332 f. 189 KU B 336 195 KU B 340 177 KU B 341 4, 135 KU B 341 f. 4 KU B 343 186 KU B 344 177, 184, 212, 213

332

Stellenregister

KU B 344 f. 209, 210 KU B 345 90, 209, 213 KU B 345 f. 98 KU B 346 186 KU B 347 3, 174, 177, 253 KU B 349 f. 160, 172 KU B 350 4, 64, 81, 92, 177, 280 KU B 351 175 KU B 353 186 KU B 355 186, 209 KU B 356 186 KU B 358 186 KU B 360 186 KU B 361 286 KU B 365 43, 55 KU B 365 f. 39, 43 KU B 366 43 KU B 367 186 KU B 369 186 KU B 374 186 KU B 381 71, 81, 98, 137, 169, 170, 179, 220, 292 KU B 381 f. 42, 45 KU B 382 45 KU B 383 42 KU B 384 42 KU B 386 42, 186 KU B 388 42, 51, 219 KU B 389 212, 219 KU B 390 296, 300 KU B 391 19 f., 43, 51, 116 KU B 392 20, 22, 298 KU B 393 f. 48 KU B 394 23, 46, 47 KU B 395 11, 46, 301 KU B 396 45, 50 KU B 397 45, 204, 209 KU B 397 f. 45 KU B 398 23, 45 KU B 398 f. 45 KU B 400 212 KU B 408 70, 73, 230 KU B 413 45 KU B 414 45 KU B 424 304 KU B 432 117 KU B 433 20, 183 KU B 439 51

KU B 447 KU B 449 KU B 450 KU B 456 KU B 479 KU B 479 f. KU B 480 KU B 481

257 186, 271 186 197 132, 283 284 284 284

Log IX 12 f. Log IX 14 Log IX 18 Log IX 22 Log IX 23 Log IX 25 Log IX 61 Log IX 74 f. Log IX 86 Log IX 86 f. Log IX 91 Log IX 92 Log IX 93 Log IX 94 Log IX 95 Log IX 102 Log IX 105 Log IX 131 Log IX 132 Log IX 133 Log IX 141 Log IX 141 f. Log IX 143 Log IX 149

33 33, 51, 85 32 27 26, 27, 28, 29, 30 57 130 299 216 201 82 117, 170 54, 82, 86, 180 83, 84, 85, 88, 143 195 271 222, 224, 225 263 263, 270, 271 259, 270, 271 85, 86, 87, 149 86 86, 87, 119, 179 119, 275

MAM VIII 118

47

MAN IV 467 21, 34, 39, 285 MAN IV 468 37, 38 MAN IV 469 27 MAN IV 470 29, 30, 36, 39, 256 MAN IV 470 f. 37 MAN IV 471 37, 39 MAN IV 472 104, 120, 285 MAN IV 472 f. 29, 36 MAN IV 473 36, 111 MAN IV 474 f. 111 f. MAN IV 475 f. 111 f. MAN IV 476 111 f., 112, 152, 285

333

Stellenregister

MAN IV 476 f. MAN IV 477 289 MAN IV 482 MAN IV 543 MAN IV 544 289

104 37, 112, 285, 287, 105, 106 176, 283 37, 176, 276, 283,

MS VI 205 36, 40 MS VI 211 121, 124 MS VI 211 f. 124 MS VI 212 124 MS VI 213 122, 123, 124, 166, 292 MS VI 217 40 MS VI 230 121 MS VI 232 f. 36 MS VI 245 107, 108 MS VI 245 f. 108 MS VI 246 107, 108 MS VI 247 107, 112 MS VI 253 106, 108, 117 MS VI 258 109, 110 MS VI 259 110, 112 MS VI 260 112 MS VI 287 186 MS VI 290 186 MS VI 345 186 MS VI 354 24, 161 MS VI 375 27 MS VI 376 121 MS VI 380 40 MS VI 381 56, 65, 81, 98, 116, 121, 122, 125, 137, 288, 294 MS VI 384 21, 65, 81, 98, 116, 121, 122, 125, 137, 183, 212 MS VI 385 52, 90, 212, 291 MS VI 386 212 MS VI 386 f. 41, 300 MS VI 387 26, 183, 212 MS VI 392 19, 21, 23 MS VI 403 27 MS VI 429 24 MS VI 433 24 MS VI 444 23 MS VI 445 26 MS VI 482 304 MS VI 483 24

OP XXI 187

190

Pd IX 449 58, 303 Pd IX 450 Pd IX 451 Pd IX 470

19, 20, 21 f., 25, 52, 23 23, 303 23, 303

PG IX 156 f. PG IX 157 PG IX 158 PG IX 164

37 37, 38, 49 34, 37, 49 38

Prol IV 267 Prol IV 297 Prol IV 312 Prol IV 324 Prol IV 325 Prol IV 326 Prol IV 330 Prol IV 360

207 247 131, 247 99, 101 93, 111 101, 113 95 186

Refl 2853, XVI 547 Refl 2910, XVI 572 RGV VI 6 RGV VI 29 RGV VI 33 RGV VI 39

121 23 23 125

SF VII 87

304

TP VIII 297

82 f. 85

98

UDGTM II 276 UDGTM II 280

88 88

E VIII 192 164, 177, 239, 248, 249 f., 252 f., 273, 279 E VIII 224 132 GTP VIII 161 GTP VIII 178 GTP VIII 180 GTP VIII 181 GTP VIII 183 VAMS XXIII 387

49 37 132, 286 98, 132, 170, 186 37 80, 93, 278

334 VARL XXIII 218 VARL XXIII 274 VARL XXIII 298 VARL XXIII 302

Stellenregister

113 113 113 113

VARL XXIII 325 ZeF VIII 349 ZeF VIII 360

109 98 47