Mobbing an Schulen: Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Nachsorge [1. Aufl. 2020] 978-3-658-26455-0, 978-3-658-26456-7

Mobbing stellt an Schulen ein weit verbreitetes Problem dar. Dieses Buch liefert zum einen aktuelle Erklärungsansätze fü

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German Pages XII, 301 [306] Year 2020

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Mobbing an Schulen: Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Nachsorge [1. Aufl. 2020]
 978-3-658-26455-0, 978-3-658-26456-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen? (Styliani Politi)....Pages 1-18
Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung der aktuellen rechtlichen Einordnung von Mobbing in Deutschland (Helmut Johann Schirra)....Pages 19-31
Warum gibt es Mobbing? (Chantal Miriam Puschmann)....Pages 33-56
Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge zwischen jugendlichem Medienkonsum, Mobbing und Suizid (Sarah Naomi Back)....Pages 57-77
Mobbing – ein Gruppenphänomen? (Nora Wilde)....Pages 79-97
Exkurs: Förderung von Zivilcourage zur Prävention von Aggression in der Schule (Jan Pfetsch)....Pages 99-112
Was sind die Folgen von Mobbing? (Sonja Mehl)....Pages 113-129
Exkurs: Suizidalität und Mobbing (Leslie Weitzel)....Pages 131-150
Welche Maßnahmen und Strategien sind im Umgang mit Mobbing zu beachten? (André Franck)....Pages 151-168
Exkurs: Mobbing-Interventionsteams für saarländische Schulen (Hagen Berndt)....Pages 169-175
Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme? (Lynn Erpelding, Julie Schiel)....Pages 177-221
Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention von Mobbing in der Schule – Das Präventionsprogramm Fairplayer. Manual – Klasse 7–9 (Herbert Scheithauer, Viola Braun, Anton Walcher)....Pages 223-236
Wie kann Mobbingnachsorge gestaltet werden? (Selina Ronja Keppeler)....Pages 237-256
Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften (Moritz Holz, Josef Schwickerath)....Pages 257-272
Was ist Cybermobbing? (Lara Schenk)....Pages 273-301

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Matthias Böhmer Georges Steffgen Hrsg.

Mobbing an Schulen Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Nachsorge

Mobbing an Schulen

Matthias Böhmer Georges Steffgen (Hrsg.)

Mobbing an Schulen Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Nachsorge

Hrsg.

Matthias Böhmer Institute for Health and Behaviour Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Georges Steffgen Institute for Health and Behaviour Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

ISBN 978-3-658-26455-0 ISBN 978-3-658-26456-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

V

Vorwort In den letzten Jahren ist das Thema Mobbing verstärkt als weit verbreitetes Problem – auch im schulischen Kontext – erkannt worden. Immer wieder beherrschen Schlagzeilen wie „Mobbing in der Schule – Und die ganze Klasse lachte mit“ die Medien (Belitz 2016). Auch Benjamin Fokken, ein deutscher ehemaliger Hauptschüler berichtet offen in seinem Buch „Ich bin ich – und wir sind viele“ darüber, wie er von seinen Mitschülern gemobbt wurde (Betzholz und Fokken 2015). Szenen wie körperliche Angriffe auf dem Schulhof, beleidigende Aussagen sowie soziale Ausgrenzung begleiteten Benjamin tagtäglich in der Schule. Zahlreiche Fallbeispiele verdeutlichen, dass Mobbing in der Schule kein unglücklicher Einzelfall ist, sondern häufig zum schulischen Alltag gehört. Groß angelegte internationale Vergleichsstudien wie PISA (Programme for International Student Assessment, OECD 2017) oder HBSC (Health Behaviour in School-aged Children, WHO 2016) unterstreichen die ausgeprägte Mobbingprävalenzrate und damit die Relevanz des Themas. Laut dieser Studien wird in Deutschland etwa jedes sechste Kind mehrmals in der Woche von Mitschülern gemobbt. Mögliche Folgen von Mobbing für Opfer reichen von psychosomatischen Beschwerden, Schulabsentismus und dem damit einhergehenden schulischen Leistungsabfall bis hin zum sozialen Rückzug oder Depression und Suizidgedanken/-handlungen. Negative Folgen des Mobbings sind aber auch auf Täterseite zu finden. Nicht nur die alarmierende Häufigkeit der Mobbingfälle, sondern auch deren starken negativen Auswirkungen, sowohl aufseiten der Mobber und der Gemobbten, machen die Bedeutung des Themas deutlich. Das vorliegende Buch ist Ergebnis eines Seminars im Masterstudiengang Psychologie: Psychological Intervention der Universität Luxemburg, das im Wintersemester 2018/2019 stattfand und sich intensiv mit dem Thema Mobbing beschäftigte (siehe auch Böhmer 2018). Die Autorinnen und Autoren, zumeist Studierende des Masterstudienganges, stellen in den folgenden Kapiteln den aktuellen Forschungsstand zum Thema Mobbing dar. Zunächst beschreibt Stella Politi in 7 Kap. 1 die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Mobbing und präsentiert verschiedene Verfahren der Mobbingerfassung. In einem ersten Exkurs ordnet Helmut Johann Schirra Mobbing in die Rechtsordnung Deutschlands ein. 7 Kap. 2 gibt im Anschluss Antwort auf die Frage nach den Ursachen von Mobbing. Chantal Puschmann nimmt dabei individuelle, schulische und außerschulische Faktoren der Verursachung in den Blick. Sarah Back geht dann in einem zweiten Exkurs der Frage nach, inwieweit die mediale Darstellung von Mobbing reales Mobbinghandeln beeinflusst.

Da am Mobbing nicht nur Täter und Opfer beteilig sind, stellt Nora Wilde in 7 Kap. 3 Mobbing als Gruppenphänomen dar. In dem sich anschließenden Exkurs geht Jan Pfetsch entsprechend auf die Bedeutung von Zivilcourage bei Mobbing ein. In 7 Kap. 4 befasst sich Sonja Mehl mit den Folgen von Mobbing zu denen neben körperlichen Verletzungen, sozialen Ausgrenzungen und tiefen Verletzungen des Selbstwertes auch, wie Leslie Weitzel in ihrem Exkurs ausführlich darstellt, Suizidhandlungen gehören.

VI

Vorwort

7 Kap. 5 von André Franck nimmt dann generelle Strategien und Maßnahmen im Umgang mit Mobbing an Schulen in den Blick. Im folgenden Exkurs von Hagen Berndt werden schuleigene Mobbing-Interventions-Teams, die sowohl in Präventions- als auch in Interventionsfragen zum Thema (Cyber)Mobbing kompetente Ansprechpartner ihrer Schule sein sollen, beschrieben.

Anti-Mobbing-Programme, die explizit für den Gebrauch an Schulen entwickelt wurden, werden von Lynn Erpelding und Julie Schiel in 7 Kap. 6 dargestellt und mit einer Entscheidungshilfe zur Auswahl eines geeigneten Programms versehen. Herbert Scheithauer, Viola Braun und Anton Walcher stellen dann in ihrem Exkurs mit Fairplayer. Manual ein Programm vor, das Jugendliche ermutigen will, hinzusehen und etwas gegen Mobbing in der Schulklasse zu unternehmen. Wie Mobbingnachsorge gestaltet werden kann, erläutert Selina Keppeler in 7 Kap. 7. Da nicht nur Schülerinnen und Schüler Opfer von Mobbing in der Schule werden, befassen sich Moritz Holz und Josef Schwickerath in ihrem Exkurs mit der stationären Nachsorge von Lehrkräften. Abschließend geht Lara Schenk in 7 Kap. 8 auf eine besondere Form des Mobbings, das Cybermobbing, ein. Allen Studierenden des Seminars „Coaching in Educational Contexts“ im Master of Science in Psychology: Psychological Intervention der Universität Luxemburg danken wir herzlich dafür, dass sie sich für dieses Buchprojekt begeistern konnten und rastlos an ihren jeweiligen Beiträgen arbeiteten. Ebenso herzlich danken wir unseren externen Experten Helmut Johann Schirra und Hagen Berndt, Landesinstitut für Präventives Handeln des Saarlandes, Jan Pfetsch, TU Berlin, Herbert Scheithauer, Viola Braun und Anton Walcher, FU Berlin bzw. Pfefferwerk Stadtkultur sowie Moritz Holz und Josef Schwickerath, MEDIAN Klinik Berus. Ein besonderer Dank geht an Lisa Bender, Springer-Verlag, die uns großzügig zeitlichen Aufschub gewährte und das Projekt höchst engagiert begleitete. Matthias Böhmer Georges Steffgen

Luxemburg im Sommer 2019

Literatur Belitz, A. (2016). Mobbing in der Schule – „Und die ganze Klasse lachte mit“. 7 http://www.spiegel.de/ lebenundlernen/schule/mobbing-in-der-schule-tipps-von-einem-ehemaligen-opfer-a-1115344.html. Betzholz, D., & Fokken, B. (2015). Ich bin ich – Und wir sind viele. Wie Benjamin F­ okken Mobbing besiegte. Bad Honnef: Plötz & Betzholz. Böhmer, M. (Hrsg.). (2018). Amok an Schulen: Prävention, Intervention und Nachsorge bei School Shootings. Heidelberg: Springer.

VII Vorwort



OECD. (2017). PISA 2015 results (Volume III): Students’ well-being. Paris: OECD Publishing. WHO. (2016). Growing up unequal: Gender and socioeconomic differences in young people’s health and wellbeing. Health Behaviour in School-Aged Children (HBSC) Study: International report from the 2013/2014 survey. Kopenhagen: WHO.

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Inhaltsverzeichnis 1

Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Styliani Politi

2

Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung der aktuellen rechtlichen Einordnung von Mobbing in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Helmut Johann Schirra

3

Warum gibt es Mobbing?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Chantal Miriam Puschmann

4

Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge zwischen jugendlichem Medienkonsum, Mobbing und Suizid. . . . . . . . . . . 57 Sarah Naomi Back

5

Mobbing – ein Gruppenphänomen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Nora Wilde

6

Exkurs: Förderung von Zivilcourage zur Prävention von Aggression in der Schule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Jan Pfetsch

7

Was sind die Folgen von Mobbing?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Sonja Mehl

8

Exkurs: Suizidalität und Mobbing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Leslie Weitzel

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Welche Maßnahmen und Strategien sind im Umgang mit Mobbing zu beachten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 André Franck

10

Exkurs: Mobbing-Interventionsteams für saarländische Schulen. . . . . . . . 169 Hagen Berndt

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Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Lynn Erpelding und Julie Schiel

12

Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention von Mobbing in der Schule – Das Präventionsprogramm Fairplayer. Manual – Klasse 7–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Herbert Scheithauer, Viola Braun und Anton Walcher

X

Inhaltsverzeichnis

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Wie kann Mobbingnachsorge gestaltet werden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Selina Ronja Keppeler

14

Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Moritz Holz und Josef Schwickerath

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Was ist Cybermobbing?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Lara Schenk

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Autorenverzeichnis Sarah Naomi Back

Selina Ronja Keppeler

Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie Fakultät für Psychologie und Pädagogik Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland

Otto-Friedrich-Universität Bamberg Bamberg, Deutschland

Hagen Berndt Gewaltprävention und Konfliktmanagement Landesinstitut für Präventives Handeln Saarland, Deutschland [email protected]

Viola Braun Fachbereich Erziehungswissenschaft & Psychologie Freie Universität Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

Lynn Erpelding Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Sonja Mehl Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Jan Pfetsch Institut für Erziehungswissenschaft, Fachgebiet Pädagogische Psychologie Technische Universität Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

Styliani Politi Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Chantal Miriam Puschmann André Franck Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Moritz Holz

Herbert Scheithauer

MEDIAN Klinik Berus Überherrn, Deutschland [email protected]

Fachbereich Erziehungswissenschaft & Psychologie Freie Universität Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

XII

Autorenverzeichnis

Lara Schenk

Anton Walcher

Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Schulbezogene Jugendsozialarbeit & Ganztagsbetreuung Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH Berlin, Deutschland [email protected]

Julie Schiel

Leslie Weitzel

Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Helmut Johann Schirra

Nora Wilde

Koordinator Arbeitsbereich Mobbing Landesinstitut für Präventives Handeln St. Ingbert, Deutschland [email protected]

Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften Universität Luxemburg Esch-sur-Alzette, Luxemburg

Josef Schwickerath Institut für Aus- und Weiterbildung in klinischer Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin e. V. Überherrn, Deutschland [email protected]

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Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen? Styliani Politi 1.1 Einleitung – 2 1.2 Mobbing – eine Machtdemonstration – 4 1.3 Prävalenz – 5 1.4 Formen von Mobbing – 6 1.5 Befunde zu Altersunterschieden – 7 1.6 Erfassung von Mobbing – 8 Literatur – 15

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_1

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S. Politi

1.1  Einleitung

Mobbing ist ein zentraler Risikofaktor sowohl von emotionalen als auch von Verhaltensproblemen. Da Mobbing viele verschiedene Gesichter hat, ist es schwierig, eine Defini­ tion zu finden, die alle Aspekte des Mobbings umfasst. Es ist wesentlich, Mobbing frühzeitig zu erkennen und betroffene Kinder zu identifizieren, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dieses Phänomen eindringlich zu untersuchen und auch zu definieren. Die Mobbingforschung gehört zu der breiten Kategorie der Aggressionsforschung. Aggressives Verhalten ist unter den Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen sehr häufig anzutreffen (Ihle und Esser 2002; Ravens-Sieberer et al. 2007). Verschiedene Studien zeigen daneben, dass aggressives Verhalten in der Kindheit ein Prädiktor für spätere Verhaltensauffälligkeiten ist (vgl. Coie und Dodge 1998; Nagin und Tremblay 2001; Miller-Johnson et al. 2002). Darüber hinaus wurde Mobbing in Zussamenhang mit Einsamkeit, einem erhöhten Risiko für Drogenkonsum, mangelnder sozialer Anpassung, schwachen schulischen Leistungen und fehlenden engen Beziehungen zu Gleichaltrigen gebracht (Nansel et al. 2004). In diesem Kapitel werden unterschiedliche Definitionen und Erscheinungsformen von Mobbing vorgestellt. Darauf folgen Befunde nationaler und internationaler Studien zur Prävalenz von Mobbing, die auf die Bedeutung der Bewältigung des Phänomens hinweisen. Schließlich werden die verschiedenen Methoden, auf denen die Erfassung von Mobbing basiert, beschrieben. Außerdem werden mögliche Probleme bei der Mobbingerfassung diskutiert und spezifische Erhebungsverfahren präsentiert. Zum Schluss werden die Vor- und Nachteile der einzelnen Erhebungsverfahren diskutiert. Prävalenz Definition: Prävalenz ist ein Begriff aus der Epidemiologie, der die Häufigkeit einer bestimmten Krankheit in der Bevölkerung angibt, also die Gesamthäufigkeit des Auftretens einer Krankheit. (Stangl 2019). Einteilung: Man unterscheidet u.a. folgende Prävalenzformen: 5 Als Punktprävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt. 5 Als Lebenszeitprävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms innerhalb eines bestimmten Zeitraums (. Abb. 1.1).

In der Alltagssprache werden die Begriffe Aggression, Gewalt und Mobbing fälschlicherweise als Synonyme verwendet (Scheithauer et al. 2003). Dies ist insofern nicht zutreffend, da „Aggression“ ein übergeordneter Begriff ist, der die Begriff „Gewalt“ und „Mobbing“ beinhaltet. Unter „Aggression“ versteht man ein spezifisches, zielgerichtetes Verhalten mit der Absicht einen anderen zu schädigen. Absichtsvolles Handeln bedeutet Handeln mit direktem Vorsatz – der Täter kann die Konsequenz seines Handeln als sichere Tatsache voraussehen und er hält den Erfolg seines Handelns für möglich. Die Schädigungsabsicht kann sich sowohl auf Personen als auch auf Gegenstände beziehen, die einer Person gehören.

3 Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen?

. Abb. 1.1  Zusammenhänge zwischen Aggression Gewalt und Mobbing

Unter interpersonaler Gewalt versteht man die spezifische, zielgerichtete physische und/oder psychische absichtliche Verletzung einer/mehrerer Person(en) durch eine/ mehrere andere Person(en), die über eine größere körperliche und/oder soziale Stärke verfügt/verfügen (Scheithauer et al. 2012). Diese größere körperliche und/oder soziale Macht ist ein Merkmal von Gewalt in Abgrenzung zur Aggression. Eine detaillierte Differenzierung der Begriffe Aggression und Gewalt wird beispielsweise von Scheithauer (2003) vorgenommen. Die Definition von Mobbing weist viele Überschneidungen zu den Begriffen „Gewalt“ und „Aggression“ auf. Trotzdem beinhaltet der Mobbing-Begriff einige zusätzliche Aspekte, die ihn von den anderen Begriffen abgrenzen (Scheithauer et al. 2003). Mobbing kann als eine Form aggressiven Verhaltens bezeichnet werden. Aber Mobbing ist nicht jede aggressive oder verletzende Handlung. Es gibt vier grundlegende Merkmale von Mobbing, die im Folgendem vorgestellt werden (Alsaker 2012). 5 Mobbing ist ein aggressives Verhalten. 5 Mobbing ist systematisch gegen eine Person gerichtet. 5 Mobbing ist ein Gruppengeschehen. 5 Mobbing kommt wiederholt und über einen längeren Zeitraum vor – von Wochen bis hin zu Jahren. Daher ist ein vereinzelter Angriff eines Schülers nicht als Mobbing zu verstehen, ebenso wie ein Kampf zwischen gleich starken Gegner. Dennoch handelt es sich bei solchen Verhaltensweisen um Aggression. (Scheithauer et al. 2003).

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S. Politi

Mobbing umfasst direkte oder indirekte verletzende Handlungen, die aber nicht zufällig oder vereinzelt auftreten und die viele verschiedene Formen annehmen können. Zum Beispiel kann Mobbing in Form von physischem Kontakt, Worten, Gesten oder sozialer Isolation auftreten. Bei Mobbing tritt die Aggression gegenüber dem Opfer wiederholt und systematisch auf (Olweus 1987). Systematik ist eines der Kernmerkmale von Mobbing. Dieselbe Person ist immer wieder einer aggressiven Handlungen ausgesetzt und dies nicht zufällig. Das Opfer verfügt subjektiv und/oder objektiv über keine Möglichkeiten, sich zu verteitigen (Wolke und Stanford 1999). Aus diesem Grund ist es nicht in der Lage, die wiederholten Angriffe zu beenden. Außerdem ist Mobbing eine Gewaltform, die in einer Gruppe entsteht und von dieser aufrechterhalten wird (Sutton und Smith 1999). Deshalb ist es oft schwierig Mobbing zu erkennen. Aber die Gruppe, in der Mobbing stattfindet, besteht nicht immer aus den gleichen Mitgliedern. Einmal machen drei Schülerinnen und Schüler mit und ein anderes Mal sind es zwei. Manchmal beteiligen sich Schülerinnen und Schüler direkt, manchmal beobachten einige die Ereignisse und bleiben untätig. Zudem ist es für Außenstehende (z. B. Lehrkräfte) oft schwierig zu sagen, wer an dem Mobbinggeschehen teilgenommen hat, da viele unterschiedliche Gerüchte im Umlauf sind. Ein anderes zentrales Merkmal von Mobbing ist die Wiederholung der negativen Handlungen über einen längeren Zeitraum. Das Opfer steht dabei unter dauerhaftem Druck und Anspannung, weil immer, wenn die Täter sich dafür entscheiden, das Opfer negativen Handlungen ausgesetzt ist. Eines ist klar: Wenn nicht dagegen gehandelt wird, ist es möglich, dass sich das Mobbing über Jahre hinziehen kann. Definitionen von Aggression, Gewalt und Mobbing 5 Aggression: Ein spezifisches, zielgerichtetes Verhalten mit der Absicht einen anderen zu schädigen. 5 Gewalt: Eine spezifische, zielgerichtete physische und/oder psychische absichtliche Verletzung einer/mehrerer Person(en) durch eine/mehrere andere Person(en), die über eine höhere körperliche und/oder soziale Stärke verfügt/ verfügen. 5 Mobbing: Ein aggressives Verhalten, das systematisch gegen eine Person gerichtet ist und wiederholt und über einen längeren Zeitraum in einer Gruppe entsteht und vorkommt.

1.2  Mobbing – eine Machtdemonstration

Ein weiterer Aspekt, der Mobbing konstituiert ist das eindeutige Ungleichgewicht zwischen Täter und Opfer. Bei Mobbing gibt es ein asymmetrisches Kräfte- bzw. Machtverhältnis innerhalb einer Beziehung zwischen mindestens zwei Schülern. Das Opfer kann subjektiv keine Möglichkeit sehen, sich zu verteidigen und/oder verfügt objektiv über keine Möglichkeiten, sich zu verteidigen (Wolke und Stanford 1999), das Opfer ist dem Täter stets unterlegen.

5 Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen?

Kinder lernen im Rahmen von Konflikten sich durchzusetzen und auch nachzugeben. Außerdem lernen sie Grenzen zu setzen und sie erkennen wie weit sie gehen können. Mobbing jedoch ist kein Konflikt, da Konflikte einen konkreten Inhalt haben und die soziale und emotionale Entwicklung fördern. Mobbing hingegen bietet keine Entwicklungsmöglichkeit und ist nur eine Demonstration der Machtbedürfnisse des Täters (Alsaker 2012). 1.3  Prävalenz

Die Prävalenzraten in Bezug auf Mobbing sind unterschiedlich je nach Kultur, Studie, Erhebungsmethode und Informationsquelle (von Marées 2009). Olweus (1991) berichtet von einer Studie an 130.000 Kindern aus Skandinavien im Alter von 7 bis 16 Jahren bei der zwischen 5 % und 9 % aller Kinder angaben, regelmäßig Mobbing zu erfahren. In einer anderen Studie an Grund- und Sekundarschülern fand Olweus (1993), dass 15 % aller Befragten regelmäßig die Rolle des Opfers oder Täters eingenommen hatten. 3 % der Schüler wurden mindestens einmal pro Woche Opfer und 2 % waren Täter. Diese Angaben wurden stimmten mit den Lehrerbeurteilungen überein. In einer Studie von Glover et al. (2000) an 25 Sekundarschulen wurden 4700 Schüler befragt, die zwischen 11 und 16 Jahren alt waren. Von den Befragten gaben 75 % an, Mobbing innerhalb eines Jahres erfahren zu haben und 7 % gaben an, die Rolle des Opfers oder Täters bei wiederholten Mobbingserreignissen eingenommen zu haben. An einer Studie von Fekkes et al. (2004) nahmen 2766 Grundschulkinder im Alter von 9 bis 11 Jahren teil. 16 % der Kinder gaben an, Mobbing erfahren zu haben und dies mehrmals im Monat. Außerdem gaben 7 % an, mehrmals pro Woche schikaniert zu werden. 4 % der Befragten gaben an, andere Kinder mehrmals im Monat regelmäßig zu schikanieren und 1,5 % gaben an, andere mehrmals pro Woche schikaniert zu haben. Jungen waren häufiger Täter im Vergleich zu Mädchen, aber hinsichtlich der Opfererfahrungen gab es keine signifikanten Unterschiede. Wolke et al. (2001) kamen zu abweichenden Prävalenzraten hinsichtlich der Mobbingerfahrungen zwischen England und Deutschland. 2377 Grundschulkinder von sechs bis acht Jahren nahmen an dieser Studie teil. 24 % der Kinder in England und 7,8 % der Kinder in Deutschland gaben an, mindestens einmal pro Woche Opfer von Mobbing zu werden. Außerdem gaben 2,5 %–4,5 % der Jungen in England und 7,5 % der Jungen in Deutschland an, Täter zu sein. Bei den Mädchen waren die Raten ähnlicher (1,2 %–1,4 % in England und 1,9 % in Deutschland). Die Längsschnittstudie von Burk und Mitarbeitern (2008) an 238 Kindern zeigte, dass Mobbing auch in den USA sehr häufig auftritt. Laut einer Befragung von Lehrern, Eltern und Kindern zeigen 26,9 % der Kinder regelmäßig aggressives Verhalten, 11,8 % sind regelmäßig Opfer von Mobbing und 21,8 % gehören zu den regelmäßigen Täter-Opfern. Die Täter-Opfer sind Kinder, die sowohl andere mobben, als auch selbst gemobbt werden. Alsaker und Valkanover (2001) fanden in ihrer Studie an Schweizer Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren, dass 16 % der Kinder entweder Opfer oder Täter-Opfer waren. Hinsichtlich der Stabilität von Mobbing fanden Craig und Pepler (2003), dass 5 %–10 % der Kinder eine über die Zeit stabile Beteiligung an Mobbing hatten. Trotzdem wurde in einer anderen Studie (Camodeca et al. 2003) gezeigt, dass die Täter- und

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S. Politi

Opferrollen in der Grundschule wenig stabil sind. Gasteiger-Klicpera und Klicpera (2005) fanden eine hohe Stabilität bezüglich der Viktimisierung, aber diese war während der Grundschule ebenfalls noch niedrig. Laut Smith und Kollegen (2002) scheint die Häufigkeit der Viktimisierung mit dem Alter geringer, die Stabilität der Viktimisierung hingegen eher höher zu werden. Es werden weniger Kinder Opfer von Mobbing, solange die Klassenzusammensetzung auch stabil bleibt (Kochenderfer-Ladd und Wardrop 2001). Im Bezug auf die Prävalenz von Mobbing in unterschiedlichen Kontexten fanden Modecki und Mitarbeiter (2014), dass die Prävalenzraten für Cyber-Mobbing niedriger als für traditionelles Mobbing waren, und dass Cyber- und traditionelles Mobbing stark korreliert waren. Nach der Literaturübersicht von Carney und Merrell (2001), sind die Prävalenzraten von Mobbing unabhängig von Bildungssystem und Kultur sehr ähnlich und Mobbing scheint weltweit zuzunehmen. In dem deutschen Sprachraum liegen noch keine großen, repräsentativen Untersuchungen vor, die notwendig wären, weil epidimiologische Daten mit der untersuchten Stichprobe differieren. Zudem sollten Faktoren wie die Altersgruppe und der Bezugszeitraum berücksichtigt werden, da sie bei den Prävalenzangaben von Mobbing ebenfalls eine große Rolle spielen. 1.4  Formen von Mobbing

Siehe . Abb. 1.2. Mobbing kann in verschiedenen Formen auftreten. Es kann von Einzelnen oder von einer Gruppe ausgehen und sich gegen Einzelne oder Gruppen richten. Lagerspetz et al. (1982) bezeichnen Gruppenaggression gegen eine einzelne Person als Mobbing.

. Abb. 1.2  Die Formen von Mobbing

7 Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen?

Außerdem ist es möglich, dass Mobbing in direkter Form (zum Beispiel physische oder verbale Aggression) oder in indirekter Form (zum Beispiel Ausschluss) auftritt. Die letztere Form wird auch als relationales Mobbing bezeichnet (von Marées 2009). Alsaker (2003) stellt fest, dass die direkten Formen von Mobbing in physische und verbale Formen unterteilt werden können. Physisches Mobbing beinhaltet relativ harmlose, jedoch schmerzvolle Handlungen, wie zum Beispiel an den Haaren ziehen, aber auch gefährliche und manchmal lebensbedrohliche Handlungen, wie zum Beispiel mit Gegenständen schlagen. Die direkten physischen Formen umfassen alle körperlichen Kontakte, die von dem betroffenen Kind nicht erwünscht sind, wie beispielsweise gegen seinen Willen gefangen halten zu werden oder zum Essen von etwas Ekel erregendem gezwungen zu werden. Die physischen Formen von Mobbing kommen im Vergleich zu den verbalen in der Schule seltener vor (Alsaker und Brunner 1999; Boulton und Unterwood 1992). Das verbale Mobbing, das heißt das Betiteln mit gemeinen, heftigen oder obszönen Ausdrücken, wurde als die häufigste Form von Mobbing identifiziert (Rigby und Slee 1999). Laut Krappmann (1994) sind zudem das Verlachen, Anschreien und das Ausgeben abschätziger Bezeichnungen oder Kommentare häufige Formen verbalen Mobbings. Drohungen und Erpressungen kommen auch sehr häufig vor, aber sie beinhalten oft physische Merkmale. Indirektes Mobbing sieht oft bei Außenstehenden nicht so gefährlich aus. Andere Kindern werden manchmal hier als Mittel zur Schädigung benutzt. Handlungen wie Gerüchte verbreiten, Ignorieren und das Ausschließen aus der Gruppe gehören zum indirekten Mobbing (von Marées 2009). Laut Alsaker (2003) kann indirektes Mobbing als soziale Manipulation wirken oder als relationale Aggression. Die soziale Manipulation führt dazu, dass die soziale Situation einer Person verschlechtert wird und ein Beispiel dafür ist die Ausgrenzung aus der Gleichaltrigengruppe. Unter relationaler Aggression versteht man Beziehungen zu zerstören, die einer Person wichtig sind, was zur Folge hat, dass das betroffene Kind mehr isoliert wird (Crick und Grotpeter 1995). Indirektes Mobbing ist laut einer Studie von Alsaker (1997, zit. n. Alsaker 2003) bereits im Vorschulalter eine große problematische Herausforderung. In einer Studie in Norwegen und der Schweiz wurden die gemobbten Kinder als müde und sehr anhänglich beschrieben. Außerdem suchten diese Kinder nach mehr Kontakt mit Erwachsenen als mit anderen Kindern und hatten zudem einen geringeren Selbstwert (Alsaker 2003). Es wird darauf hingewiesen, dass es einen signifikanten Zusammenhang gibt zwischen relationaler Viktimisierung und daraus resultierenden psychischen Auffälligkeiten (Young et al. 2006). Deshalb erscheint es notwendig, auch die indirekten Formen von Mobbing zu erkennen, zu erfassen und zu berücksichtigen. Eine relativ neue Form von Mobbing ist das Cybermobbing. Cybermobbing wird in einem anderen Kapitel detailliert vorgestellt. 1.5  Befunde zu Altersunterschieden

Bei jüngeren Kindern kann auch Mobbing auftreten, beispielsweise durch das Verstecken oder Wegnehmen von Gegenständen, die einem Kind gehören (Alsaker und Valkanover 2000). Oft nehmen die direkten physischen Formen von Mobbing mit steigendem Alter ab, während die indirekten Formen zunehmen (Scheithauer et al. 2003), das heißt mit dem Anstieg der kognitiven Fähigkeiten der Kinder werden die Äußerungsformen von Mobbing schwieriger zu erkennen, weil sie subtiler und komplexer sind.

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Mobbing scheint sich mit zunehmendem Alter zu reduzieren, während prosoziales Verhalten zunimmt (Rigby 1997). Es gibt dabei aber die Kritik, dass die betreffenden Befunde meist auf Selbstbeurteilungen basieren. Wenn die Befunde auch auf den Beurteilungen von Lehrpersonen, Eltern und Gleichaltrigen basieren, dann zeigt sich keine Abnahme der Viktimisierung mit dem Alter (Salmivalli 2002). Auf methodische Unterschiede, wie unterschiedliche Erfassungsmethoden und Informationsquellen, sind die inkonsistente Befunde bezüglich der Auftretenshäufigkeit von Mobbing zurückzuführen. Verschiedene Gründe wurden für die Abnahme von Mobbing mit steigendem Alter der Kinder diskutiert (vgl. Smith et al. 1999a, b). Zum Beispiel verfügen jüngere Kinder über niedrigere soziale Fertigkeiten und sind weniger fähig, auf Viktimisierung zu reagieren. Deshalb befinden sie sich im Vergleich zu älteren Kindern in einer schwächeren Position. Wenn aber die Kinder älter werden, eignen sie sich mehr Verhaltensstrategien (verbale und soziale Fertigkeiten) an und können somit besser auf Mobbing reagieren. Deshalb wird die indirekte Aggression sehr stark vom Entwicklungsstand der Kinder bestimmt (Archer und Coyner 2005). Zudem fanden Valles und Knutson (2008), dass indirekte aggressive Handlungen zu weniger negativen Konsequenzen führen (sowohl vonseiten Erwachsener als auch vonseiten Gleichaltriger) als physische aggressive Handlungen. Bei der Zunahme von indirektem Mobbing spielen daher auch soziale Lernmechanismen eine große Rolle. Die Zunahme von Mobbing vor und nach Entwicklungsübergängen wie Einschulung oder Schulwechsel, können zum Teil durch die Veränderung der sozialen Dominanzhierarchie erklärt werden oder auf eine weniger unterstützende Schulumgebung zurückgeführt werden (Pellegrini und Long 2002). 1.6  Erfassung von Mobbing

Pellegrini (2001) beschreibt Erfassung als den Prozess der Informationssammlung durch direkte Beobachtung, Fragebögen und/oder Interviews mit dem Ziel, Rückschlüsse über die Situation der Kinder in einer Gleichaltrigengruppe im Rahmen der Schul- oder der Kindergartenumgebung zu ziehen. Zunächst werden in diesem Abschnitt die Informationsquellen und die Erhebungsmethode von Mobbing allgemein beschrieben. Es folgt ein Überblick über spezifische Verfahren zur Einschätzung der Prävalenz, zur Identifizierung der am Mobbing Beteiligten und der geeigneten Interventionsmethoden. Zum Schluss werden die wichtigsten Informationen zu ausgewählten Verfahren vorgestellt sowie die Vorteile und Nachteile jeder Verfahren präsentiert. 1.6.1  Informationsquellen und Erhebungsmethoden

Es werden je nach Fragestellung unterschiedliche Informationsquellen und Erhebungsmethoden zur Erfassung von Mobbing eingesetzt. Da Mobbing oft verborgen innerhalb der beteiligten Gruppe bleibt, ist die Erfassung auch oft problematisch. Einerseits möchten sich die Täter ihr Verhalten nicht eingestehen, weil sie wissen, dass es unangemessen ist, andererseits teilen die Opfer ihre Erfahrungen auch nicht mit, da sie glauben, dass sie selbst verantwortlich sind (Ortega et al. 2001).

9 Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen?

Folgend werden zwei einwirkende Faktoren beschrieben, die verdeutlichen, warum die Ergebnisse aller Studien über Mobbing sehr stark von den Informationsquellen beeinflusst sind. Zunächst ist die Bewertung des Verhaltens eines Kinds von Urteilsfehlern beeinflusst (Bortz und Döring 2002). Außerdem ist das Verhalten einer Person unterschiedlich je nach der Umgebung (z. B. Klassenraum, zu Hause, Pausenhof), in welcher sie sich befindet (Achenbach et al. 1987). Eine andere Schwierigkeit bei der Erfassung von Mobbing ist die Anonymität bei den Fragenbögen. Die Anonymität hilft zwar der sozialen Erwünschtheit zu begegnen, aber hat den Nachteil, dass man die beteiligte Personen nicht identifizieren kann (von Marées 2009). Bei jüngeren Kindern werden auch standardisierte, strukturierte Interviews benutzt (Wolke et al. 2000). Eine andere Informationsquelle sind Fremdbeurteilungsverfahren, an welchen Lehrer und Erzieher teilnehmen können. Hier muss aber berücksichtigt werden, dass die Außenstehenden oft Schwierigkeiten haben, Mobbing wahrzunehmen. Fragebögen können viele Informationen mit geringen zeitlichen und finanziellen Kosten sammeln. Deshalb sind sie sehr nützlich bei der Erfassung von Mobbing und bei der Entwicklung von Interventionen (von Marées 2009). Nominierungsverfahren werden eingesetzt zur Bestimmung der am Mobbing beteiligten Personen und sie werden, je nach Alter der Befragten, als Interview oder als Fragebogen durchgeführt (Schwarz et al. 2005; Sutton und Smith 1999). Bei den Nominierungsverfahren muss die befragte Person diejenigen Personen auswählen (z. B. aus einer Namensliste), die ihrer Meinung nach bestimmte Merkmale haben. Diese Verfahren erlauben es, sich auf die von Mobbing besonders betroffenen Personen zu konzentrieren und eine geeignete Intervention zu entwickeln. Außerdem kann man durch diese Verfahren Information bezüglich des Kontextes und der Form von Mobbing erhalten (von Marées 2009). Beobachtung wird nicht so oft als Methode zur Einschätzung von Mobbing benutzt (Alsaker und Valkanover 2001), da es für Außenstehende große Schwierigkeiten bereitet, das ganze Mobbinggeschehen zu beobachten. Außerdem verursacht die Methode der Beobachtung hohe Kosten und benötigt einen großen Zeitaufwand (vgl. Bortz und Döring 2002). Beobachtung hat jedoch auch Vorteile. Durch diese Methode wird eine objektive und vorurteilslose Erfassung eines komplizierten Phänomens möglich (Nock und Kurtz 2005). Deshalb sind Beobachtungen mit einer höheren ökologischen Validität verbunden und bieten zusätzlich zu Frequenz und Intensität von Mobbing auch Informationen zu der Funktion des Verhaltens (Hanley et al. 2003). 1.6.2  Spezifische Erhebungsverfahren 1.6.2.1  Selbstbeurteilungsverfahren

Bullying Behavior Scale (BBS)/Peer Victimization Scale (PVS). Diese Skalen wurden von Austin und Joseph (1996) bzw. Neary und Joseph (1994) entwickelt. Beide beinhalten jeweils sechs Items und sind in Harter’s Self Perception Profile (SPCC,1985) eingebettet. Die Skalen erheben direktes Mobbing (Tätererfahrungen) und auch Viktimisierung (Opfererfahrungen) an Schulen (vgl. Granleese und Joseph 1993, 1994). Nach Autorenangaben ist die interne Konsistenz der beiden Skalen gut (Cronbach’s α = ,82 − ,83), wobei Jungen generell bei der BBS höhere Werte als Mädchen bekommen. Sowohl BBS

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als auch PVS können einen Überblick zur Prävalenz von verbalem und physischem Mobbing innerhalb der Kindergruppe bieten, deshalb sind sie als Screening geeignet. Social Experiences Questionnaire-Self Report (SEQ). Dieser Fragebogen wurde von Crick und Grotpeter (1995) entwickelt und liegt als Selbstbeurteilungs- als auch als Nominierungsverfahren vor. Vor allem erfasst der SEQ die relationale Aggression und umfasst drei Subskalen mit jeweils fünf Aufgaben, die relationale Viktimisierung (z. B. „Wie oft erzählt ein anderes Kind Lügen über dich, damit andere Kinder dich nicht mehr mögen?“), offene Viktimisierung (z. B. „Wie oft wirst du von einem anderen Kind in der Schule geschlagen?“) und prosoziales Verhalten (z. B. „Wie oft helfen dir andere Kinder, wenn du Hilfe brauchst?“) erfassen. Die Subskalen zeigen mittlere Reliabilitäten (α = ,77 − ,80), die Selbst- und Peerbeurteilungen korrelieren signifikant für Jungen und Mädchen (Zimmer-Gembeck et al. 2005). Der SEQ erfasst sowohl relationale als auch offene Viktimisierung, er kann für Kinder ab neun Jahren eingesetzt werden. Laut den Autoren ist dieser Fragebogen nützlich als Screening-Verfahren bei großen Gruppen von Kindern sowie für Evaluationen von Interventionen. Revised Olweus Bully/Victim Questionnaire (OBVQ). Der OBVQ wurde von Olweus (2006) entwickelt und erfasst verschiedene Formen von Mobbing in Schulen, wie physische, verbale, indirekte, rassistische und sexuelle Formen. Dieser Fragebogen beinhaltet 39 Items zur Erhebung der Frequenz und Form von Mobbing sowie des Kontextes, wo Mobbing stattfindet. Die psychometrischen Eigenschaften des Fragebogens wurden sehr positiv bewertet (Solberg und Olweus 2003; Kyriakides et al. 2006). Der OBVQ kann zur Erfassung der Mobbingprävalenz und zur Evaluation von Maßnahmen gegen Mobbing eingesetzt werden (Olweus et al. 1999). Ein Nachteil des Fragebogens ist, dass es von den Kindern eine hohe Konzentration und auch Motivationsleistung sowie gute Lesefähigkeiten erfordert. Questionnaire about Bullying. Dieses standardisierte Interview wurde von Smith und Levan (1995) zur individuellen Befragung von Kindern (6–7 Jahren) entwickelt. Es basiert auf dem OBQV (Olweus 1996) umfasst aber zusätzlich eine Aufgabe („Was glaubst du, dass Bullying bedeutet?“). Es umfasst insgesamt 20 Aufgaben und durch dieses Verfahren wird die Intensität und Häufigkeit von Mobbing erfasst sowie ob das betroffene Kind jemandem seine Mobbingserfahrung mitgeteilt hat. Bisher gibt es jedoch keine Angaben zur Reliabilität und Validität des Instruments. 1.6.2.2  Erzieher-/Lehrfragebögen

Preschool Peer Victimization Measure (PPVM). PPVM wurde von Crick et al. (1999) entwickelt. Dieses Instrument wird von Erziehern/Pädagogen zur Erhebung von Mobbing eingesetzt. Es umfasst drei Skalen („offene Viktimisierung“, „relationale Viktimisierung“ und „soziale Unterstützung“). Die Befragten füllen einen Fragebogen mit neun Items pro Kind aus und schätzen damit das Verhalten des jeweiligen Kindes ein. Die Test-Retest-Reliabilität ist mittelmäßig (,37 − ,76) und die interne Konsistenz mittelmäßig bis gut (Cronbach’s α = ,77 − ,88). Der Vorteil dieses Intstruments ist, dass es leicht einsetzbar ist und nur geringen Zeitaufwand erfordert. Aggressive Behavior-Teacher Checklist (Dodge und Coie 1987). Durch diesen Fragenbogen schätzen die Lehrer oder Erzieher das aggressive Verhalten eines Kindes ein. Der Fragebogen umfasst zwei Skalen, die jeweils drei Items beinhalten. Die Items erheben reaktive und proaktive Aggression gegenüber anderen Kindern. Die Skala „proaktive Aggression“ erfragt indirektes (z. B. „Dieses Kind stiftet andere Kinder dazu an, sich

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gegen eine/-n Gleichaltrige/-n zu verbünden, den/die es nicht mag“) und direktes (z. B. „Dieses Kind bedroht oder schikaniert andere, um seinen/ihren Willen durchzusetzen.“) Mobbing. Die interne Konsistenz beider Skalen ist hoch (Cronbach’s α = ,90 − ,93) und die Kritiriumsvalidität zufriedenstellend (Zelli 2005). Dieses Instrument wird kostenlos zur Verfügung gestellt und ist wegen seines geringen Umfangs sehr geeignet als Screening-Verfahren. Fragebogen für Lehrpersonen – Erfassung von Bullying. Dieses Instrument wurde von Perren und Alsaker (2006) zur Erfassung von Mobbing im Kindergarten entwickelt. Die Lehrpersonen sollen jedes Kind anhand jeweils vier Items zu Viktimisierung einschätzen. Die Autoren haben darauf hingewiesen, dass die interne Konsistenz der Skalen Bullying und Viktimisierung mittelmäßig bis hoch ist (Cronbach’s α = ,83 bzw ,78). Die Kinder werden durch diesen Fragebogen und zusätzlich durch Peernominierungen in unterschiedliche Kategorien klassifiziert (Opfer, Täter, Täter-Opfer oder Unbeteiligte). 1.6.2.3  Nominierungsverfahren

Peer Estimated Conflict Behavior Inventory (PECOBE). Dieses Instrument ist ein Peerratingverfahren zur Erfassung des Verhaltens in Konfliktsituationen (Österman et al. 1997). Es handelt sich um eine verkürzte Version der Direct und Indirect Aggression Scales (DIAS; Björkqvist et al. 1992). Durch diesen Fragebogen wird die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen jedes Klassenkamerades eingeschätzt. Es beinhaltet jeweils eine Frage zu physischer, verbaler und indirekter Aggression, konstruktiver Konfliktlösung, Intervention durch Dritte, Rückzug und Viktimisierung. Die Durchführungszeit ist abhängig von der Klassengröße und Kinder über 10 Jahren können den Fragebogen selbstständig bearbeiten. Jüngere Kinder werden interviewt. Das PECOBE bietet einen Überblick zu der sozialen Situation einer Gruppe und kann zur Evaluierung von Interventionmaßnahmen benutzt werden. Die Kritireumsvalidität wurde als zufriedenstellend angegeben. Social Experiences Questionnaire – Peer Report (SEQ). Im Unterschied zum SEQ- Self Report (Crick und Grotpeter 1996), welcher bereits oben beschrieben wurde, erfasst der SEQ – Peer Report das Mobbing aus der Opferperspektive. Die Schüler nominieren Opfer von offener Aggression (z. B. „Nenne drei Kinder, die oft von Mitschülern geprügelt werden.“), relationaler Aggression (z. B. „Nenne drei Kinder, über die häufig hinter ihrem Rücken Gerüchte verbreitet werden.“) und prosozialem Verhalten (z. B. „Nenne drei Kinder, über die andere Kinder nette Dinge sagen.“). Dieser Fragebogen beinhaltet 13 Aufgaben und die Schüler nominieren die Opfer auf ihrem Antwortbogen (namentlich oder per Codenummer). Es gibt keine Information laut den Testautoren zu den Gütenkriterien dieses Fragenbogens. Peer Nomination Instrument  Dieses Instrument wurde von (Crick und Grotpeter

1995) entwickelt und es erfasst offene Aggression (z. B. „Schreit andere Kinder an oder sagt gemeine Sachen zu ihnen.“), relationale Aggression (z. B. „Sagt Freunde, dass er/sie sie nicht mehr mag, wenn sie nicht tun was er/sie will.“), prosoziales Verhalten und Isolation. Der Fragebogen umfasst 19 Aufgaben und die Schüler erhalten eine Namensliste ihrer Klasse und müssen zu jeder Aufgabe bis zu drei Mitschüler auswählen. Die Autoren beschreiben die Test-Retest-Reliabilität (,82 − ,90) sowie die interne Konsistenz (Cronbacha’s α = ,83 − ,94) als gut. Dieses Instrument ist bei Kindern ab neun Jahren einsetzbar.

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Kinderinterview – Erfassung von Bullying  Βei diesem Interview von Perren und Alsaker (2006) wird Kindern der Begriff „Plagen“ anhand von Bildern erklärt. Die Bilder zeigen verschiedene Formen von Mobbing (physisch, verbal oder relational). Die Kinder sollen die Kinder aus ihrer Gruppe nominieren, die andere plagen oder die Opfer sind. Die Peernominierungen weisen signifikante Zusammenhänge auf (p = ,203**; Perren und Alsaker 2006). Die Autoren verwenden auch Lehrereinschätzungen zur finalen Kategorisierung und das Instrument darf kostenfrei eingesetzt werden. Participant Role Questionnaire  Dieses Instrument wurde ursprünglich von Salmivalli und Mitarbeitern (1996) entwickelt. Eine gekürzte Version wurde von Sutton und Smith (1999) entwickelt (das Participant Role Interview) für die Befragung von sieben- bis elfjährigen Kindern. Schäfer et al. (2006) haben eine gekürzte Version für den Deutschen Sprachraum für Kinder von sieben bis zwölf Jahren entwickelt: den Participant Role Questionnaire. Beim PRQ beschreiben die Kinder, was sie und ihre Mitschülern in Situationen in denen jemand schikaniert wird tun. Die ursprüngliche Version umfasst 50 Items und die revidierte deutsche Version 20 Items (Schäfer et al. 2006). Die interne Konsistenz der Subskalen der deutschen Version ist moderat bis gut (Cronbach’s α = ,70 − ,88), nur die Außenstehenden-Skala hat eine geringere Reliabilität (α = ,34; Backhausen 2007). Ein Nachteil dieses Verfahrens sind die sprachlichen Anforderungen, weshalb bei Kindern im Grundschulalter empfohlen wird, ein Interview einzusetzen.

1.6.3  Beobachtungen

Ein standardisierter und manualisierter Beobachtungsbogen zur Erfassung von Mobbing konnte nicht gefunden werden. Beobachtung wurde jedoch von Forschern als Methode eingesetzt. In der Arbeit von Craig und Kollegen (2000) wurde die Frequenz, Dauer und Form von Mobbing auf Spielplätzen und in Klassenzimmern beobachtet. Direkte als auch indirekte Beobachtungsmethoden wurden von Pellegrini und Mitarbeiter (2000, 2002) eingesetzt. An der direkten Beobachtung haben geschulte Beobachter teilgenommen, die indirekte Beobachtung erfolgte durch Tagebuchaufzeichnungen der Kinder. Die Tagebücher waren standardisiert und umfassten Fragen in Bezug auf Mobbing (Pellegrini und Bartini 2000; Pellegrini und Long 2002). Es ist sehr wichtig bei Beobachtungen, dass man die Sensibilität des Verhaltens der Kinder gegenüber den Einflüssen der Umgebung berücksichtigt sowie die Einflüsse eines Beobachters auf das kindliche Verhalten. Deshalb ist es notwendig, dass Kinder in mehreren Situationen beobachtet werden, um die Validität und die Reliabilität dieser Methode zu erhöhen. 1.6.4  Vor- und Nachteile unterschiedlicher Erhebungsmethoden

Siehe . Tab. 1.1. Selbstbeurteilungen in Form von Fragebögen, bei denen das Kind selbst Angaben zu seinen Mobbingerfahrungen macht, sind ökonomisch und sehr geeignet, um eine große Anzahl von Kindern einzuschätzen. Zudem ist ihre Verlässlichkeit wegen der Anonymität

13 Was ist Mobbing und wie kann man es erkennen?

. Tab. 1.1  Zusammenfassung der Vor- und Nachteile verschiedener Verfahrenskategorien Verfahrenskategorie

Vorteile

Nachteile

Selbstbeurteilung mittels Fragebögen

– Ökonomisch – Höhere Verlässlichkeit durch Anonymität

– Erfordert gute Lesefähigkeiten – Basieren auf retrospektiven Messungen

Selbstbeurteilungen mittels Interview

– Sehr junge Kinder können befragt werden – Ermöglicht Rückfragen

– Erhöhte Zeitaufwand – Soziale Erwünschtheit

Erzieher-/Lehrer-Fragebögen

– Ökonomisch bzgl. Zeit- und Personalaufwand

– Geringere Aussagekraft aufgrund begrenzte Beobachtbarkeit von Mobbing

(Peer-)Nominierungsverfahren

– Ökonomisch (als Fragebögen) – Reliable Einschätzungen aufgrund verschiedener Urteile zu einem Kind – Sichere Bestimmung der am Mobbing beteiligten

– Aufwendig (als Interview) – Geringere Verlässlichkeit aufgrund des Einflusses von Beziehungsdynamiken – Reliable nur auf festen Gruppen – Aufwendige Auswertungsmethodik

Systematische Beobachtung

– Objektive, unvoreingenommene Verhaltenseinschätzungen

– Aufwendigkeit bei großen Gruppen – Geringere Aussagekraft aufgrund der direkten Beobachtung

erhöht. Fragebögen liefern Informationen hinsichtlich der Form und der Frequenz des Mobbings sowie über die sozialen Beziehungen, die Familie oder Interventionsmöglichkeiten (Olweus 1991; Whitney und Smith 1993). Selbstbeurteilungen haben auch Nachteile. Sie erfordern gute Lesefähigkeiten, deshalb sind sie für Kinder unter acht Jahren ungeeignet. Besonders schwierig ist für jüngere Kinder konsistente Antworten zu geben, wenn das Verfahren zu lange dauert (Ortega et al. 2001). Da Fragebögen auf retrospektiven Messungen basieren, das heißt, dass sie Informationen über vergangene Ereignisse einfordern, kann es vor allem für jüngere Kinder sehr schwierig sein, konsistente Antworten zu geben. Ein weiteren Nachteil von Fragebögen ist, dass einige Täter nicht zugeben oder nicht wahrnehmen, dass sie andere Kinder durch ihre Handlungen schädigen (vgl. Stassen-Berger 2007). Salmivalli (2002) fand außerdem, dass Kinder mit zunehmendem Alter immer weniger von Opfererfahrungen berichten, obwohl laut Peerbeurteilungen die Anzahl der Täter und Opfer stabil bleibt. Nach Ladd und Kochenderfer-Ladd (2002) sind Selbstbeurteilungen reliabler und valider als Peernominierungen, da jüngere Kinder geringere Fähigkeiten zu Beobachtung und Klassifizierung haben oder sie kein gutes Verständnis des Opferkonzeptes haben. Trotz aller Nachteile sind Selbstbeurteilungen noch immer die primäre Quelle zur Erfassung von Mobbing und zur Unterscheidung von Tätern und Opfern.

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Selbstbeurteilungen als Interviews haben den Vorteil, dass bereits sehr junge Kinder befragt werden können. Rückfragen bei Interviews können dazu beitragen festzustellen, ob es sich bei den aggressiven Handlungen tatsächlich um Mobbing handelt. Interviews sind jedoch mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden. Außerdem antworten die Kinder bei Interviews eher sozial erwünscht, was zu irreführenden Ergebnissen führen kann (Veenstra et al. 2007). Diesem Problem kann jedoch ein externer Befrager entgegenwirken, da Kinder diesem gegenüber eher ehrliche Antworten geben (Glover et al. 2000). Erzieher-/Lehrer-Fragebögen, bei denen zu jedem Schüler Fragen von dem Lehrer beantwortet werden, haben den Vorteil, dass sie sehr ökonomisch sind. Da Mobbing aber schwer zu beobachten ist, hat diese Erhebungsmethode eine geringere Aussagekraft. Mobbing findet oft außerhalb des Klassenzimmers statt und sowohl die Täter als auch die Opfer teilen häufig ihre Erfahrungen nicht mit. Deshalb haben Erzieher und Lehrer oftmals keinen guten Überblick darüber, was zwischen den Schülern geschieht (Pellegrini und Bartini 2000). Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Erzieher-/ Lehrer-Fragebögen ergänzend mit anderen Methoden benutzt werden. (Peer-) Nominierungsverfahren können reliable und valide Einschätzungen zu Mobbing liefern, da verschiedene Urteile von den Befragten auf ein Kind zurückgeführt werden (bis zu 30 Einschätzungen zu einem Kind) (Salmivalli et al. 1998). Zudem sind Nominierungsverfahren sehr ökonomisch, wenn sie als Fragebogen durchführbar sind. Aufwendig werden jedoch diese Verfahren dann, wenn sie in Form eines Interviews durchgeführt werden (von Marées 2009). Diese Verfahren können zu einer sicheren Bestimmung der am Mobbing beteiligten führen, was sehr wichtig ist für die Entwicklung und Evaluation von Interventionen. Die Zuverlässigkeit von Peernominierungen kann reduziert werden, weil Kinder manchmal sozial erwünscht antworten aber sie nominieren häufiger ihre Freunde, weil sie deren Erfahrungen besser kennen (Ladd und Kochenderfer-Ladd 2002). Zudem können aktuelle Konflikte einen starken Einfluss auf die Antworten haben. Bei diesen Verfahren werden nur die Kinder befragt, für die das Einverständnis der Erziehungsberechtigen vorliegt und das ist ein weiterer Faktor, der die Ergebnisse beeinflussen kann. Außerdem sind die Nominierungsverfahren nur in festen Gruppen sinnvoll einzusetzen, da Fluktuationen die Antworten auch deutlich beeinflussen können (von Marées 2009). Ein weiterer Nachteil ist die aufwendige Auswertungsmethodik und, laut Solberg und Olweus (2003), die Schwierigkeit Cut-Off-Werte zu bestimmen. Durch systematische Beobachtung können objektive, unvoreingenommene Verhaltenseinschätzungen geliefert werden (vgl. Nock und Kurtz 2005). Die Beobachtungen müssen jedoch über verschiedene Situationen, über einen längeren Zeitraum und von mehreren geschulten Beobachtern durchgeführt werden. Wenn diese Methode bei einer große Gruppe von Kindern eingesetzt wird, dann ist sie sehr aufwendig. Außerdem kann die Beobachtung das Verhalten der Kinder beeinflussen. Ein weiterer Nachteil ist, dass direkte Beobachtungen nicht in allen Umgebungen stattfinden können, wo Mobbing auftritt (Craig et al. 2000). Deshalb sind indirekte Beobachtungen sinnvoll, wie beispielsweise die Tagebuchaufzeichnungen. Die Reliabilität solcher Verfahren kann dadurch gesteigert werden, dass feste Beobachtungszeiträume vorgegeben werden, in denen die Teilnehmer bestimmte Verhaltensweisen aufzeichnen sollen, zum Beispiel durch ­Kategorien zur Verhaltenseinschätzung (Pellegrini und Bartini 2000).

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Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung der aktuellen rechtlichen Einordnung von Mobbing in Deutschland Exkurs zu Kapitel 1 Helmut Johann Schirra 2.1 Einleitung – 20 2.2 Definition – 21 2.3 Rechtslage in Deutschland – 21 2.4 Gesetzliche Regelungen in der Europäischen Union – 29 Literatur – 31

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_2

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2.1  Einleitung

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Eine der vielfältigen staatlichen Aufgaben besteht darin, die Bürgerinnen und Bürger innerhalb des Staatsgebietes vor rechtswidrigen Angriffen zu schützen, eine weitestgehend umfassende Sicherheitsatmosphäre herzustellen und damit für ein gefährdungsfreies Zusammenleben der Bevölkerung zu sorgen. Sicherheitsproduktion auf lokaler, regionaler und bundesweiter Ebene hat demnach auch das Ziel, Vertrauen in das Funktionieren der staatlichen Kontrolle herzustellen. Diese staatliche Aufgabe wird in unserem allgemeinen Verständnis durch die Institutionen Polizei und Justiz wahrgenommen, die sich hierzu der Mittel des Straf- und Strafprozessrechts bedienen (Heinz 2004). Die dafür angewandten Maßnahmen, um das Ziel eines solchen Zusammenlebens zu erreichen, stellen die staatlichen Maßnahmen der Kriminalprävention und der Repression, also der Verfolgung bereits erfolgter Straftaten dar. Die staatlichen Organe der Bundes- und Landeseinrichtungen, die verschiedenen Einrichtungen der Justiz sowie die Polizei der Länder und des Bundes sind verpflichtet, u. a. durch Bürgernähe, Präventions- sowie Opferschutzmaßnahmen, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, bereits erfolgte Straftaten zu verfolgen sowie zu sanktionieren. Ziel von Kriminalprävention sollte indes auch die Reduzierung von Kriminalitätsfurcht (subjektives Sicherheitsgefühl der Bürger) sein, genauer: die Beeinflussung der Bedingungen, die Kriminalitätsfurcht auslösen.1 Die klassische Begründung hierzu wurde bereits 1990 von der Gewaltkommission gegeben, welche zur Angst vor Kriminalität bemerkt, dass die in der Bevölkerung festzustellende Kriminalitätsfurcht bereits als solche, d. h. in ihrer bloßen Existenz, ein sozial- und kriminalpolitisches Problem darstellt, weil sie die Lebensqualität der Bürger beeinträchtigt. Von daher gehört es zu den staatlichen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass die Bürger nicht nur tatsächlich vor Kriminalität geschützt werden, sondern dass sie sich auch geschützt fühlen.2 Bezogen auf die Mobbingproblematik bedeutet dies demnach, dass die Bürger das Gefühl haben, dass der Staat sie auch vor Gewalt in Form von Mobbing oder Ausgrenzung schützt. In diesem Kontext sind auch die vielfältigen Bemühungen der verschiedenen Akteure im Bereich der Prävention vor Mobbinghandlungen zu betrachten. Auf der anderen Seite ist jedoch festzustellen, dass es den juristischen Begriff des „Mobbings“ nicht gibt. So ist der Begriff Mobbing oder auch Bullying weder im Zivilrecht, noch im Arbeitsrecht noch im Strafrecht zu finden. Um es an dieser Stelle deutlich herauszustellen, ein sogenanntes „Antimobbinggesetz“ oder zumindest den Begriff Mobbing kennt das deutsche Strafrecht nicht.

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Vgl. Bundesministerium des Innern; Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2001, S. 605 f. Vgl. Schwind, Hans-Dieter; Baumann, Jürgen; Schneider, Ursula; Winter, Manfred: Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Endgutachten der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission), in: Schwind/Baumann u.a. (Hrsg.): Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Berlin 1990, 45 Rdnr. 61, unter Zitierung von Kerner, Hans-Jürgen: Verbrechensfurcht und Viktimisierung, in: Haesler (Hg.), Viktimologie, Diesenhofen 1986, 155.

21 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

Betrachtet man nun jedoch die massiven gesundheitlichen, gesellschaftlichen und finanzielle Schäden die jedes Jahr durch Mobbing entstehen wird deutlich, dass hier ein bedeutender Handlungsbedarf besteht. Die teilweise schwerwiegenden und irreversiblen psychischen und physischen Beeinträchtigungen der Mobbingopfer machen deutlich, dass hier in Deutschland eine Lücke im Schutz der Bürger vor dieser Art der Gewalt entstanden ist. Anders als in neun anderen europäischen Ländern, die ein solches Gesetz eingeführt haben, beschränkt sich die Strafverfolgung in Deutschland lediglich auf das tatbestandliche Handeln nach anderen, im Strafgesetz enthaltenen Delikten wie beispielsweise Beleidigung oder Körperverletzung. 2.2  Definition

In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition von Mobbing. Je nach wissenschaftlicher Fachdisziplin wird Mobbing verschieden definiert. Mobbing wird dabei von Juristen, Medizinern, Soziologen und Psychologen jeweils aus ihrer Sicht definiert und dargestellt. Der Diplompsychologe Heinz Leymann, einer der Pioniere der Mobbingforschung, definiert Mobbing folgendermaßen: „Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.“ (Leymann 1993). Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen über dieses Thema ist diese allgemein gehaltene und offene Definition als eine der treffendsten zu betrachten, enthält sie doch die wesentlichen Bestandteile von Mobbingprozessen. Leyman beschreibt zunächst die negative kommunikative Handlung, die man in anderen Definitionen auch als aggressive Handlungen bezeichnet. Diese Handlungen richten sich in der Definition von einer oder mehreren Personen wiederholt und auf Dauer gegen eine andere Person, demnach das Opfer dieser Handlungen. Diese Handlungen bestimmen nun die Beziehung zwischen dem jeweiligen Betroffenen und dem Täter (Leymann 1993). Hier sprechen andere Definitionen von einer psychischen oder physischen Beeinflussung oder auch Verletzung des Opfers. 2.3  Rechtslage in Deutschland

Wie in den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten gibt es nur insofern Rechtsmittel für Mobbingbetroffene, als dass bestimmte einzelne Handlungen eines Mobbing-Prozesses als allgemeine strafbare Handlungen angesehen werden können, wie beispielsweise Beleidigungen, üble Nachrede oder (sexuelle) Belästigung. Typische Mobbing-Aktivitäten sind jedoch sehr viel subtiler und niederschwelliger und dadurch auch als einzelne Handlungen nicht strafbar. Hier ist es die Summe der vielen einzelnen Handlungen und die Dauer in der sie angewandt werden, die den Betroffenen psychisch und physisch verletzen können. Der von den Gegnern

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eines Anti-Mobbing-Gesetzes oft als ausreichend zitierte Rechtsschutz der der/dem Betroffenen zur Verfügung steht, wird dadurch jedoch ausgehöhlt.3 Die vielfältigen in der Literatur beschriebenen Rechtsvorschriften, die im Rahmen einer Mobbinghandlung tangiert werden können, umfassen eine Reihe von verschiedenen Gesetzeswerken. Einen juristischen Begriff des Mobbings gibt es in allen bestehenden Rechtsvorschriften Deutschlands jedoch nicht. Die rechtliche Einordnung einer Mobbinghandlung beurteilt sich vielmehr danach, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anderen Rechtsvorschrift im jeweiligen rechtlichen Zusammenhang durch die Mobbinghandling erfüllt werden. Die rechtliche Beurteilung ist dabei stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Eine Schwierigkeit liegt vielfach darin, Mobbing von anderen, allgemein üblichen und rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhaltensweisen und Konfliktsituationen abzugrenzen.4 Im Folgenden sind die einzelnen relevanten Rechtsgebiete, die möglicherweise durch Mobbinghandlungen tangiert werden, dargestellt. 2.3.1  Verfassungsrecht

Als Erstes ist im Zusammenhang mit einer Mobbinghandlung auf das wichtigste Gesetz in Deutschland hinzuweisen, auf unsere Verfassung, das Grundgesetz. So stellt Mobbing grundsätzlich immer auch einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechte dar. Verfassungsrechtlich stellt Mobbing demnach einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Würde des Menschen, und das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit dar, die im Art. 1 und 2 des Grundgesetzes beschrieben werden. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 1 GG (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

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Vgl. Arbeitsdokument Mobbing am Arbeitsplatz, Generaldirektion Wissenschaft Europäisches Parlament, Reihe Soziale Ange legenheiten SOCI 108 DE, Hrsg. Europäisches Parlament, Luxemburg 2001 Vgl. Internetquelle Abrufbar auf der Internetseite des Deutschen Bundestags; 7 https://www. bundestag.de/resource/blob/508950/893e1796a595656906475166940b8a6a/WD-6-016-17-pdf-data. pdf, Gesetz liche Regelungen in Deutschland zum Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz, Aktenzeichen: WD 6 – 3000 – 016/17, Abschluss der Arbeit: 28. März 2017, Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales (letzter Aufruf 07.05.2019).

23 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

Art 2 GG (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.5

2.3.2  Arbeitsrecht

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung beschreibt Mobbing als „systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“6 oder detaillierter als „fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen.“7 Die Rechtsprechung fußt dabei, neben den Rechtsvorschriften des Strafgesetzbuches (StGB), auf den Vorschriften des Arbeitsrechts bzw. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG). Aus den genannten Vorschriften ergeben sich auch die Pflichten und Maßnahmen eines Arbeitgebers, seine Mitarbeiter vor Mobbing zu schützen. Der Arbeitgeber ist seinen Arbeitnehmern aufgrund des vertraglichen Arbeitsverhältnisses nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Fürsorge verpflichtet. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beinhaltet auch die Achtung der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten. Dazu gehört nicht nur, dass er eigene Handlungen zu unterlassen hat, die als Mobbing zu qualifizieren sind; von seiner Fürsorgepflicht ist vielmehr auch die Verpflichtung umfasst, seine Arbeitnehmer vor einer ungerechten Behandlung durch andere Arbeitnehmer oder durch Vorgesetzte zu schützen. Hierzu werden auch die allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften herangezogen. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) § 75 BetrVG: Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen (1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters,

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Abrufbar in der Internet-Gesetzesdatenbank des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV): 7 https://www.gesetze-im-internet.de/gg (letzter Abruf: 28. April 2019). Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Januar 1997 – 7 ABR 14/96. Landesarbeitsgericht Thüringen, Urteil vom 10. April 2001 – 5 Sa 403/2000.

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ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt. (2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern. § 84 BetrVG: Beschwerderecht (1) Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen. (2) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen. (3) Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen.

Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG) § 3 ArbSchG: Grundpflichten des Arbeitgebers (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. (2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten 1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie 2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können. (3) Kosten für Maßnahmen nach diesem Gesetz darf der Arbeitgeber nicht den Beschäftigten auferlegen. § 4 ArbSchG: Allgemeine Grundsätze Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen Grundsätzen auszugehen: 1. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird; 2. Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen;

25 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

3. bei den Maßnahmen sind der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen; 4. Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen; 5. individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen; 6. spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen sind zu berücksichtigen; 7. den Beschäftigten sind geeignete Anweisungen zu erteilen; 8. mittelbar oder unmittelbar geschlechtsspezifisch wirkende Regelungen sind nur zulässig, wenn dies aus biologischen Gründen zwingend geboten ist. § 17 ArbSchG: Rechte der Beschäftigten (1) Die Beschäftigten sind berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. Für Beamtinnen und Beamte des Bundes ist § 125 des Bundesbeamtengesetzes anzuwenden. Entsprechendes Landesrecht bleibt unberührt. (2) Sind Beschäftigte auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, daß die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und hilft der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht ab, können sich diese an die zuständige Behörde wenden. Hierdurch dürfen den Beschäftigten keine Nachteile entstehen. Die in Absatz 1 Satz 2 und 3 genannten Vorschriften sowie die Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung und des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages bleiben unberührt.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) § 1 AGG: Ziel des Gesetzes Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. § 12 AGG: Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. (2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1. (3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. (4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

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(5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.

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Nach § 12 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG trägt der Arbeitgeber demnach die Verantwortung, das in § 1 AGG formulierte Ziel, die Verhinderung oder Beseitigung von Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität in der Arbeitswelt umzusetzen. Der Arbeitgeber muss die Betriebsstrukturen und Arbeitsaufgaben so organisieren, dass seine Beschäftigten nicht gemobbt werden. Erlangt der Arbeitgeber Kenntnis von Mobbing gegenüber einem Arbeitnehmer, so ist er im Rahmen der Fürsorgepflicht verpflichtet, geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen zu treffen, um dies abzustellen. Als Mittel stehen ihm dabei je nach Art und Intensität des Mobbings Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung und Versetzung bis hin zur ordentlichen oder, in besonders schwerwiegenden Fällen, außerordentlichen Kündigung des Mobbingtäters zur Verfügung.

z Möglichkeiten des Arbeitnehmers

Die Beweislast für Mobbing liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer, der den Sachverhalt behauptet. Liegt Mobbing vor, hat das Opfer einen Erfüllungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Unterlassung bzw. Verhinderung des Mobbings. Hierzu kann es Beschwerde einlegen und unter Umständen gemäß § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitsleistung ausüben, indem es der Arbeit fernbleibt. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 273 BGB: Zurückbehaltungsrecht (1) Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er, sofern nicht aus dem Schuldverhältnis sich ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht). (2) Wer zur Herausgabe eines Gegenstands verpflichtet ist, hat das gleiche Recht, wenn ihm ein fälliger Anspruch wegen Verwendungen auf den Gegenstand oder wegen eines ihm durch diesen verursachten Schadens zusteht, es sei denn, dass er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat. (3) Der Gläubiger kann die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abwenden. Die Sicherheitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. Wegen der durch das Mobbing verursachten Schäden kann das Opfer unter Umständen auch vom Arbeitgeber Schadensersatz sowie Schmerzensgeld verlangen.8 8

Vgl. Internetquelle Abrufbar auf der Internetseite des Deutschen Bundestags; 7 https://www. bundestag.de/resource/blob/508950/893e1796a595656906475166940b8a6a/WD-6-016-17-pdf-data. pdf, gesetz-liche Regelungen in Deutschland zum Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz, Aktenzeichen: WD 6 – 3000 – 016/17, Abschluss der Arbeit: 28. März 2017, Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales (letzter Aufruf 07.05.2019).

27 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

Daneben stellen auch betriebsinterne Vereinbarungen, die sich ausdrücklich auf Mobbing beziehen, ein wirkungsvolles Instrument gegen diese Form der Gewalt dar. Die Implementierung dieser Regeln in eine Betriebsvereinbarung sind zudem immer auch Ausdruck einer gewünschten Werteordnung in einem Betrieb und wirkt als solche, ähnlich einem Leitbild, präventiv gegen solche Verhaltensweisen. Die Volkswagen AG und ihre Beschäftigten haben beispielsweise eine Vereinbarung über Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz getroffen. Dieser Vereinbarung zufolge ist jeder einzelne Beschäftigte verpflichtet, jegliche Form von sexueller Belästigung, Diskriminierung oder Mobbing zu unterlassen. Zudem sieht sie ein Beschwerderecht vor und verpflichtet das Unternehmen, mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren. Dazu gehört beispielsweise – als letzter Schritt – auch die Entlassung der Person, von der die Mobbing-Aktivitäten ausgehen.

2.3.3  Strafrecht

Neben den oben beschriebenen Rechtsvorschriften des Verfassungsrechtes, den arbeitsrechtlichen Vorschriften und gesetzlichen Regelungen zur Gleichstellung der Beschäftigten werden durch Mobbinghandlungen unter Umständen natürlich auch Straftatbestände des Strafgesetzbuches (StGB) tangiert. Strafgesetzbuch (StGB) § 185 StGB: Beleidigung Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 186 StGB: Üble Nachrede Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 187 StGB: Verleumdung Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 201 StGB: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes Wer von einer anderen Person unerlaubt Tonaufnahmen herstellt, z. B. von einem Vortrag, das nur für einen kleinen Personenkreis – die Klasse – gedacht war und diese Aufnahme verbreitet, macht sich strafbar.

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§ 201a StGB: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen Wer eine andere Person in deren Wohnung oder in einer intimen Umgebung, wie etwa in der Dusche, in der Toilette, der Umkleide etc. heimlich fotografiert oder filmt macht sich strafbar. Ebenso ist die Verbreitung solcher Aufnahmen strafbar. § 223 StGB: Körperverletzung (1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 224 StGB: Gefährliche Körperverletzung (1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, 2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, 3. mittels eines hinterlistigen Überfalls, 4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder 5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 238 StGB: Nachstellung (1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich 1. seine räumliche Nähe aufsucht, 2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht, 3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen, 4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder 5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt und dadurchseine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. § 240 StGB: Nötigung (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. (3) Der Versuch ist strafbar.

29 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder 2. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht. § 241 StGB: Bedrohung (1) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

2.3.4  Sonstige gesetzliche Regelungen

Mit den rechtlichen Vorschriften der §§ 201 und 201a StGB unmittelbar verbunden ist auch der § 22 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie (KunstUrhG), namentlich, das Recht am eigenen Bild, das unmittelbar auf die grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte zurückgeführt werden kann. § 22 KunstUrhG: Recht am eigenen Bild Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten.

2.4  Gesetzliche Regelungen in der Europäischen Union

Während, wie bereits beschrieben, Mobbing in Deutschland nicht als Rechtsbegriff im Strafgesetzbuch oder anderen Rechtsvorschriften enthalten ist, haben die Länder Frankreich, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Belgien, Serbien, die Niederlande und Spanien inzwischen ein solches Gesetz gegen Mobbing eingeführt. Das bedeutet aber auch, dass die 19 anderen Staaten innerhalb der Europäischen Union ein solches Gesetz (noch) nicht eingeführt haben. Zu bemerken ist jedoch, dass derzeit in Luxemburg an einem solchen Gesetz gearbeitet wird. Im Vereinigten Königreich gibt es seit 1997 ein Gesetz gegen Ausübung seelischer Gewalt, den Protection from Harassment Act 19979, was einem Anti-Mobbing-Gesetz in weitestem Sinne entspricht.

9 Internetquelle; 7 https://www.legislation.gov.uk/ukpga/1997/40/contents (letzter Aufruf 20.04.2019).

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Vorreiter für gesetzliche Regelungen gegen Mobbing war jedoch Schweden, was auch auf die umfangreichen Forschungen von Heinz Leymann zurückgeführt werden kann. Aber auch auf gesamteuropäischer Ebene wird sich dem Thema angenommen. Bereits 2001 befasste sich das Europäische Parlament erstmals ausführlich mit dem Thema. Dabei forderte sie die Europäische Kommission auf, Bekämpfung von Mobbing als gesamteuropäisches Ziel zu formulieren. Gleichzeitig wurden auch die Nationalstaaten aufgefordert, Antimobbingmaßnahmen gesetzlich zu verankern.10 Am 26.04.2007 wurde von den europäischen Sozialpartnern (EGB, Businesseurope, CEEP und UEAPME) eine verpflichtende Erklärung unterzeichnet, die eine Verpflichtung beinhaltet, gegen Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz vorzugehen. Leider sind die Mehrzahl dieser Anti-Mobbing-Gesetze und Verträge lediglich auf die Rechte von Arbeitnehmern beschränkt und schützen dadurch andere Lebensbereiche, wie z. B. Schulen, nur unzureichend. Zusammenfassung Die Auswirkungen von Mobbing auf die Betroffenen sind weitreichend. Psychologische und gesundheitliche Probleme, wie Nervosität, Depressionen, Angstanfälle, Selbstzweifel oder Konzentrationsstörungen sind nur der Beginn von möglichen schwerwiegenden, chronischen Gesundheitsproblemen unter denen die Opfer zu leiden haben. Oftmals ist durch die andauernden Mobbinghandlungen auch ein Schulwechsel oder ein Wechsel der Arbeitsstelle erforderlich, was tiefgreifende Folgen für die Lebensführung der Betroffenen hat. Zudem ist, neben den Belastungen und Gesundheitsschäden für die Betroffenen, Mobbing auch ein Problem für die Wirtschaft. Hier entstehen jährlich Milliardenschäden durch Belästigungen, Erniedrigungen und Gewalt in den Betrieben. Durch die stetig steigende Zahl der Mobbingopfer, belaufen sich die wirtschaftlichen Schäden in Deutschland mittlerweile auf 15 bis 25 Mrd. EUR jährlich.11 Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kostet jeder Fehltag von Beschäftigten zwischen 103 und 410 EUR. Nicht eingerechnet sind hier die Kosten, die durch eine mangelnde Arbeitsleistung des Mobbingbetroffenen entstehen können. Als Vergleich hierzu liegt die Schadenssumme durch alle in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 registrierten Fälle bei 7,3016 Mrd. EUR.12 Reflektiert man nun die Thematisierung der Mobbingproblematik im öffentlichen Diskurs, die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Mobbing in Deutschland und bewertet die massiven Auswirkungen von Mobbing auf die Gesellschaft, ist die Einführung eines Gesetzes gegen Mobbing in der heutigen Zeit nicht nur wünschenswert sondern auch dringend erforderlich. In diesem Zusammenhang kann auch auf die Einführung des § 238 StGB: Nachstellung verwiesen werden. Auch bei der Einführung dieses Tatbestandes wurde darauf abgestellt, dass eben die Summe der ungewollten (sanktionsfreien) Kontaktaufnahmen und Kontaktversuche für die Betroffenen so belastend ist, dass sie staatlichen Schutz dagegen erfahren müssen. Äquivalent dazu wäre die Einführung eines Mobbingparagraphen nur folgerichtig. 10 Internetquelle; 7 http://www.europarl.europa.eu/workingpapers/soci/pdf/108_de.pdf. 11 Vgl. Internetquelle: 7 https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/krankenkassen/ article/603348/mobbing-kostet-gesellschaft-milliarden.html (letzter Aufruf 23.06.2019). 12 Polizeiliche Kriminalstistik 2018, Bundeskriminalamt, Jahrbuch Band 1 Fälle–Aufklärung–Schaden Version 2.0, Wiesbaden.

31 Exkurs: „Mobbing als Straftat“ – Betrachtung …

Natürlich ist die Einführung eines solchen Gesetzes, auch vor dem Hintergrund der großen Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen, der teilweise sehr niedrigschwelligen Vorgehensweisen und der schwierigen Beweislagen nicht problemlos möglich. Durch die Einführung einer einheitlichen, juristischen Definition in einem Anti-Mobbing-Gesetz würde jedoch auch eine deutlich größere Rechtssicherheit im Umgang mit diesem Thema entstehen. Das Bundesarbeitsgericht weist bereits 2007 völlig zutreffend darauf hin, dass der Persönlichkeitsschutz von Arbeitnehmern nicht erst dann verletzt wird, wenn Schikanen sich als systematisches Mobbing darstellen. Das Gericht verwies darauf, dass die Persönlichkeit und die Gesundheit von Arbeitnehmern auch dann in vielfacher Weise rechtlich geschützt sei, wenn (noch kein) Mobbing vorliege – es sei deshalb unverständlich, warum Arbeitsplatzkonflikte in der juristischen Fachwelt nahezu ausschließlich unter dem Aspekt „Mobbing“ diskutiert würden. Des Weiteren mahnt das Bundesarbeitsgericht in diesem Urteil eine sorgfältige Prüfung jedes angezeigten Einzelfalls an und verlangt den Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten ausdrücklich eine sorgfältige, vollständige Sachaufklärung und eine angemessene rechtliche Bewertung der oft schwierigen Mobbingfälle ab.13 Nicht zuletzt würde die Einführung eines solchen Anti-Mobbing-Gesetzes auch die Werteorientierung unseres Rechts verdeutlichen und klar herausstellen, dass der Staat seine Bürger auch vor Gewalt und Erniedrigung in Form von Mobbing schützen muss. Zusammenfassend kann damit gesagt werden, dass ein vernetzter, ganzheitlicher Ansatz, der präventive Maßnahmen ebenso umfasst wie gesetzliche Regelungen zur Sanktionierung, in der Bekämpfung von Mobbing für unsere Gesellschaft zukunftsweisend ist. Dabei ist diese Aufgabe nicht auf die Arbeitswelt zu beschränken, sind es doch gerade auch unsere Kinder, die besonders unter solchen Mobbingsituationen leiden. Eine Aufgabe demnach, welche die Vermittlung ethisch-moralischer Grundwerte in der Pädagogik ebenso umfasst wie eine darauf bezogene Gesetzgebung.

Literatur Heinz, W. (2004). Kommunale Kriminalprävention aus wissenschaftlicher Sicht. In H.-J. Kerner, E. Marks (Hrsg.), Internetdokumentation Deutscher Präventionstag. Hannover. 7 http://www.praeventionstag. de/content/9_praev/doku/heinz/index_9_heinz.html. Leymann, H. (1993). Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann, Reinbeck bei Hamburg, S. 21.

13 Vgl. Schadensersatz und Schmerzensgeld bei Mobbing – Urteil Bundesarbeitsgericht vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06.

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Warum gibt es Mobbing? Chantal Miriam Puschmann 3.1 Einleitung – 34 3.2 Erklärungsansatz 1: Individuelle Unterschiede von Tätern, Täter-Opfern und Opfern – 35 3.3 Erklärungsansatz 2: Schulische Einflussfaktoren – 41 3.4 Erklärungsansatz 3: Außerschulische Einflussfaktoren – 48 Literatur – 51

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_3

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3.1  Einleitung

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Harry Potter-Spezialisten aufgepasst! Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum Draco Malfoy solch ein bully war? Was hat ihn dazu bewegt, Harry Potter und dessen Freunde über Jahre zu schikanieren? Lag es an seinem Entwicklungsstand, seiner Persönlichkeit oder an seiner berühmten Familie? Haben Potter & Co vielleicht selbst Anteile an dem Mobbinggeschehen? Welche Rolle spielen Malfoys Freunde, Hogwarts beziehungsweise die Schulhäuser Slytherin und Gryffindor mitsamt den Lehrpersonen und Mitschülern? > Wenn wir Mobbing im Schulkontext verstehen wollen, sollten wir die involvierten

Kinder oder Jugendlichen als Individuen begreifen, die in übergeordnete Systeme wie Familie, Schule, Gesellschaft und Kultur eingebettet sind.

Diese Betrachtungsweise orientiert sich im Kern an dem ökosystemischen Ansatz nach Bronfenbrenner (vgl. Bronfenbrenner 2000). Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und diesen Systemen sind die Ursachen für eine Mobbing-Involvierung, sei es in der Täter- und/oder Opferrolle, für jeden Schüler beziehungsweise jede Schülerin andere. Nichtsdestotrotz lassen sich aus dem Pool an möglichen individuellen Profilen stringente Erklärungsansätze herausfiltern. Aus dieser ökosystemischen Perspektive heraus werden im Folgenden drei mögliche Erklärungsansätze näher vorgestellt. Diese beziehen sich auf individuelle, schulische und außerschulische Faktoren wie Familie und Medien (vgl. Jannan 2015; s. . Abb. 3.1). Sie sind in der Beurteilung, was in einem

. Abb. 3.1  Erklärungsansätze zur Entstehung von Schulmobbing

35 Warum gibt es Mobbing?

konkreten Fall zur Entstehung von Mobbing geführt hat, nicht als unabhängig, sondern als stark miteinander verbunden anzusehen. Behalten Sie Malfoy & Potter bei dieser „Reise“ durch die verschiedenen Erklärungsansätze gerne im Hinterkopf – wenn ihnen alles rund um Hogwarts fremd ist, fällt ihnen bestimmt ein anderes, eventuell sogar persönliches Beispiel ein, das Ihnen beim Lesen der folgenden Seiten das Verständnis für mögliche Ursachen von Mobbing im Schulkontext erleichtern wird. 3.2  Erklärungsansatz 1: Individuelle Unterschiede von Tätern,

Täter-Opfern und Opfern

Um ein Mobbinggeschehen an einer Schule sorgfältig beurteilen zu können, ist es notwendig, sich einen Überblick über die individuellen Merkmale von Tätern und Täterinnen oder Mobbern (engl.  =  „bully“), Opfern (engl.  =  „victim“) sowie Täter und Täterinnen oder Mobbern, die zugleich auch Opfer sind (engl. = „bully-victm“), zu verschaffen und diese einzuordnen (vgl. zur Gruppen-Einordnung . Abb. 3.2). Individuelle Merkmale einer Person können unterschiedlicher Natur sein, etwa genetischer, körperlicher oder psychologischer. In diesen Merkmalsbereichen unterscheiden sich Kinder und Jugendliche der genannten drei Mobbing-Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die nicht oder nicht direkt (vgl. Zuschauer, engl. = „bystander“) in das Mobbinggeschehen eingebunden sind. Individuelle Merkmale, die für die Mobbing-Gruppen charakteristisch sind, werden im Folgenden näher betrachtet. Es ist hierbei von essenzieller Bedeutung zu wissen, dass sie in der jeweiligen Ausprägung als gruppentypisch zu begreifen sind und nicht in jeder individuellen Einzelperson der jeweiligen Gruppe so vorzufinden sind. 3.2.1  Äußere Merkmale

Unter „äußeren Merkmalen“ werden hier solche Merkmale verstanden, die nicht das psychische Innenleben des Individuums beschreiben und weitestgehend beobachtbar sind.

. Abb. 3.2  Drei Gruppen von Mobbing-Involvierten

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3.2.1.1  Genetischer Einfluss und Geschlecht

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Im Rahmen von Zwillingsstudien werden eineiige mit zweieiigen Zwillingen hinsichtlich eines bestimmten Verhaltensmerkmals verglichen, wodurch Rückschlüsse auf einen genetischen Einfluss gewonnen werden können. Demnach ist die Tendenz, dass beide Zwillinge andere mobben, bei eineiigen Zwillingspaaren stärker ausgeprägt als bei zweieiigen, da sich eineiige Zwillinge in dem Mobbing-Verhalten ähnlicher sind (vgl. O’Connor et al. 1980). Im Vergleich zu Umweltfaktoren, die Zwillinge in Form von Erfahrungen unterschiedlich erlebt haben (z. B. ungleiche mütterliche Fürsorge), üben laut Ball et al. (2008) genetische Faktoren einen noch stärkeren Einfluss auf das Mobbingverhalten von Zwillingen aus. Zudem habe Viktimisierung im Vergleich zu Täterschaft eine stärker genetische als umweltbezogene Komponente. Das Zusammenspiel der beiden Merkmale Viktimisierung und Täterschaft (vgl. „bully-victims“) könnte nur durch genetische Faktoren erklärt werden, wobei hier eher mehrere spezifische genetische Einflüsse auf eines der beiden Merkmale wirken würden anstelle von gemeinsamen genetischen Einflüssen auf beide Merkmale. Ein Beispiel für gemeinsame genetische Einflüsse sei zum Beispiel „emotionale Dysregulation“, welche stark vererbbar sei (z. B. Kozak et al. 2005) und in allen drei Mobbing-Gruppen, insbesondere aber bei „bully-victims“ (Schwartz et al. 2001), zu verzeichnen sei. > Merke: Sowohl Täterschaft als auch Viktimisierung haben eine genetische

Komponente. Jungen, die generell häufiger mobben und gemobbt werden, haben tendenziell eine andere Mobbing-Strategie als Mädchen.

Darüber hinaus sind es generell eher Jungen als Mädchen, die andere schikanieren (z. B. Olweus 1993; Smith und Sharp 1994) oder selbst sowohl Mobber als auch Mobbingopfer sind (z. B. Veenstra et al. 2005). Ob „reine“ Opfer eher männlich oder weiblich sind, hängt auch stark davon ab, ob die Schikane auf sie subtil (bevorzugte Mobbing-­Strategie von Mädchen mit Mädchen häufiger als Opfer) oder offen-körperlich (­ bevorzugte ­Mobbing-Strategie von Jungen mit Jungen häufiger als Opfer) ausgeübt wird (vgl. z. B. Ahmad et al. 1991; Ahmad und Smith 1994). Diese Geschlechtereffekte sollten nicht losgelöst vom sozio-kulturellen Kontext, in dem das Kind oder der/die Jugendliche aufwächst, interpretiert werden (vgl. kulturell abhängige Implikationen zu „Männer als das stärkere Geschlecht“). 3.2.1.2  Körperliches Erscheinungsbild und Sozialer Status

So genannte „bullies“ sind in der Regel körperlich stärker als ihre Opfer oder andere Gleichaltrige (Olweus 1993; Batsche und Knoff 1994). Eine überdurchschnittliche Körpergröße und Körperstärke lässt sich auch an Freunden von „bullies“, welche selbst oft Täter sind, beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule erkennen (Pellegrini und Long 2002). Diese markanten körperlichen Merkmale, welche auf hormonelle Veränderungen zurückzuführen sind, beeinflussen den sozialen Status der jugendlichen Mobbingtäter innerhalb der gesamten Klasse. Der Dominanzstatus von männlichen Mobbern hängt wiederum auch damit zusammen, wie attraktiv sie von Mädchen wahrgenommen werden (Pellegrini und Bartini 2001). Aus evolutionärer Sicht kommt hier Konkurrenzverhalten entsprechend der Devise „Der Stärkere gewinnt“ zum Tragen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass Mobber früher und fortgeschrittener als andere Jugendliche romantische Beziehungen eingehen, wobei diese Beziehungen von sozialer und körperlicher Aggression geprägt sein können

37 Warum gibt es Mobbing?

(Connolly et al. 2000). Allgemein ist zu erkennen, dass während Mobbing in der Kindheit weniger strategisch und eher unreif verübt wird, das Streben nach Status und vor allem Prestige bei jugendlichen Tätern und Täterinnen zunimmt (Sijtsema et al. 2009). Ältere Schüler und Schülerinnen, die bereits einen höheren Status in ihrer Schule erlangt haben, sind eher „bullies“ als jüngere Schulkinder (Borg 1999). Umgekehrt fallen Kinder mit einem niedrigeren Status eher Mobbing zum Opfer (Bradshaw et al. 2009). Das Streben nach Macht und einem Gefühl von Überlegenheit im Schul-Setting kann zur Gewohnheit werden, indem das Mobbingverhalten jedes Mal, wenn es ausgeführt wird, durch die Bewunderung der Gleichaltrigen positiv verstärkt wird (vgl. z. B. O’Connell et al. 1999). Das unmittelbar machtorientierte Verhalten von Mobbern kann auch instrumentell verstärkt werden, indem beispielsweise der „bully“ das bekommt, was er oder sie dem Mobbingopfer gerade gewaltsam aus der Hand gerissen hat. > Merke: Körperliches Erscheinungsbild, sozialer Status und Mobbingverhalten

hängen miteinander zusammen. Ein starkes körperliches Erscheinungsbild kann den sozialen Status fördern. Ein hoher sozialer Status kann Mobbingverhalten verstärken.

3.2.1.3  Schulisches Funktionieren

Von allen drei Mobbing-Gruppen erbringen Schüler und Schülerinnen, die mobben und gemobbt werden, die geringste schulische Leistung (Schwartz 2000). Generell halten sich Mobbingtäter und Mobbingtäterinnen sowie „reine“ Opfer anders als nicht-involvierte Kinder weniger an schulische Regeln und sprechen der Schule auch eine geringere Wichtigkeit zu, was mit einer schlechteren Schulleistung in Verbindung steht (Haynie et al. 2001). Im Zuge der Bewusstwerdung von Viktimisierung und Einsamkeit zeigt sich bei Mobbingopfern ein niedriges Funktionsniveau im Schulkontext zudem oft darin, dass sie eher im Unterricht fehlen, was wiederum Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen hat (vgl. Juvonen et al. 2000). 3.2.2  Psychologische Merkmale

Bei „psychologischen Merkmalen“ handelt es sich um ein breites Spektrum an Merkmalen, die sich auf das nicht direkt beobachtbare Innenleben eines Individuums beziehen. > Merke: Insbesondere Täter-Opfer weisen ein niedriges schulisches Funktionsniveau

auf.

Sie können Persönlichkeitseigenschaften näher in ihrer Ausprägung oder psychologischen Reichweite beschreiben sowie Bezug nehmen auf entwicklungsbezogene und psychopathologische Faktoren, also krankhafte Veränderungen des Innenlebens. Zusätzlich zu generellen Eigenschaften kann man spezifische „Risikofaktoren“ identifizieren, die eine Viktimisierung wahrscheinlicher machen. 3.2.2.1  Selbstwertgefühl, Empathie und Soziale Kompetenz

Hört man sich im Bekanntenkreis um, ist eine weit verbreitete Annahme, dass Täter und Täterinnen von Mobbing ein niedriges Selbstwertgefühl haben (und dieses zum Beispiel durch ihr Verhalten zu kompensieren versuchen) – eine Annahme, die aber auch in Teilen auf Gegenwind stößt: In einer bundesweiten Erhebung von 8249 Schulkindern

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zwischen acht und 18 Jahren in Irland (O’Moore und Kirkham 2001) konnte einerseits gezeigt werden, dass „bullies“, „bully-victims“ und „victims“ verglichen mit nicht-­ involvierten Kindern/Jugendlichen ein niedrigeres globales Selbstwertgefühl haben. Andererseits sprechen Mobbingtäter und -täterinnen, im Gegensatz zu reinen Opfern, ihrer körperlichen Attraktivität und ihrer Popularität den gleichen Wert zu wie Nicht-­ Involvierte. Zudem hat die Häufigkeit von Mobbingverhalten Einfluss auf das globale Selbstwertgefühl – je häufiger es verübt wird, desto geringer das Selbstwertgefühl sowohl für Täter und Täterinnen als auch Opfer. Mobber die zugleich Opfer von Mobbing geworden sind, haben unabhängig vom Alter das geringste Selbstwertgefühl von allen Subgruppen. Darüber hinaus hat sich im Rahmen dieser Studie ein hohes Selbstwertgefühl als Schutzfaktor gegen eine Involvierung in Mobbingverhalten erwiesen. Ein weiterer naheliegender individueller Schutzfaktor ist das populäre Konstrukt „Empathie“. Es konnte gezeigt werden, dass Aggression und Empathie besonders bei Jugendlichen in der Art miteinander zusammenhängen, dass ein größeres Aggressionspotenzial mit einem niedrigerem Empathievermögen einhergeht (vgl. Jolliffe und Farrington 2006). Ein starker Zusammenhang zwischen Mobbingverhalten und niedriger empathischer Reaktionsbereitschaft, einhergehend mit einem erhöhten Aggressionspotenzial, zeigt sich eher bei Jungen als bei Mädchen (vgl. Gini et al. 2007). Neben einem verringerten empathischen Bewusstsein können „bullies“ tendenziell im Vergleich zu prosozialen Kindern weniger gut Probleme im sozialen Kontext lösen und sind sich möglicher negativer Konsequenzen ihres Handelns weniger bewusst (Warden und Mackinnon 2003). Letzteres beschreibt eine Schwäche von „bullies“, soziale Informationen angemessen zu verarbeiten (vgl. Crick und Dodge 1994). Des Weiteren ist gerade bei der Frage nach der sozialen Kompetenz von Tätern zu beachten, dass Täter nicht gleich Täter sind. Es ist die distinkte Gruppe der „bully-victims“ und nicht die reine Täter-Gruppe, die dem Bild des aggressiven Kindes, das sozial inkompetent und sozial-kognitiv verzögert ist, am nächsten kommt (Gasser und Keller 2009). Sie können im Vergleich zu typischen „bullies“ und „victims“ schlechter ihr Verhalten und ihre Emotionen regulieren (Schwartz 2000). Grundschulkinder, die lediglich Opfer, nicht aber Täter oder Täterinnen sind, zeigen zwar Verhaltensprobleme, sind aber ähnlich prosozial wie neutrale Kinder (Wolke et al. 2000). Jugendliche, die sich aus der Opferrolle befreien konnten, setzen im Unterschied zu Jugendlichen, die das Geschehen ignorierten und Opfer blieben (unter Umständen selbst auch Täter wurden), auf soziale Unterstützung, versuchten mehr und unterschiedliche Freunde zu haben und beliebter zu werden (Smith et al. 2004). Die positive Bewältigungsstrategie, sich anderen anzuvertrauen, wird eher von Mädchen als von Jungen praktiziert, was es in der Interventionspraxis zu berücksichtigen gilt (Smith und Shu 2000). 3.2.2.2  Machiavellismus

Trotz möglicher sozialer Inkompetenz gibt es auch solche Täter und Täterinnen, die sozial intelligent sind und sich gut in andere hineinversetzen können, dabei allerdings stark auf ihre eigenen Interessen bedacht sind (vgl. Andreou 2004, 2006). Ist einem kein Mittel zu schade, um sein Ziel zu erreichen, spricht man in der Psychologie von dem Persönlichkeitskonstrukt „Machiavellismus“. Mobber zeigen ein höheres Level an Machiavellismus und sind unter Gleichaltrigen populärer, wobei lediglich Machiavellismus direkt mit zunehmendem Mobbingverhalten zusammenhängt. Das lässt sich damit erklären, dass Prestige-Normen einer Gemeinschaft, die aggressives Verhalten unterstützen, nicht direkt das Mobbingverhalten beeinflussen, sondern lediglich eine Atmosphäre schaffen, die dieses Verhalten bei „Risiko-Jugendlichen“ (hier: Machiavellisten) wahrscheinlicher macht

39 Warum gibt es Mobbing?

(Berger und Caravita 2016). Hierbei ist es auch wichtig, „populär“ (engl. = „popular“) von „gemocht werden“ (engl. = „being liked“) zu trennen, da gezeigt werden konnte, dass Mobber und Mobbingopfer gleichermaßen von den Klassenkameraden gemieden werden (Sijtsema et al. 2009). Wenn das basale menschliche Bedürfnis, von anderen gemocht zu werden, nicht befriedigt wird, können eventuell Rachegefühle entstehen, die das negative Verhalten verstärken oder Opfer zu Täter machen (vgl. z. B. Wong et al. 2008). „Bully-victims“, oder auch „aggressive Opfer“ genannt, gehören zu den unpopulärsten Kindern im Klassenraum. Mobbingoper generell nehmen es zudem als schwierig wahr, Freundschaften einzugehen (Bond et al. 2001). Jugendliche, die (aufgrund unzureichender Intervention) in der Opferrolle bleiben, berichten zwar von weniger Freunden innerhalb der Schule, nicht aber außerhalb (Smith et al. 2004). 3.2.2.3  Sozio-emotionale Entwicklung

Laut Lohaus und Vierhaus (2015, S. 211) befasst sich soziale Entwicklung mit den Bestrebungen, mit anderen eine Beziehung aufzunehmen und aufrechtzuerhalten sowie das eigene Verhalten mit den Erwartungen und Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Übereinkunft zu bringen. Damit assoziiert ist Emotionsregulation, die mit steigendem Alter eines Kindes mehr und mehr von Fremd- in Selbstregulation übergeht. Vor diesem Hintergrund ließe sich Schulmobbing auch als ein natürlicher, entwicklungsbezogener Prozess begreifen, welcher in der frühen Kindheit einsetzt und sich darin äußert, dass Kinder sich gegen andere behaupten, um ihre soziale Dominanz zu etablieren (vgl. Rigby 2004). Dies ist in Einklang mit evolutionstheoretischen Überlegungen, die solch ein Verhalten als überlebenssichernd betrachten. Was demnach in jüngeren Jahren mit Schlagen beginnt (direktes, körperliches Mobben), geht im Laufe der sozialen Entwicklung graduell in weniger rügenswertes, adaptiveres Verhalten (indirektes, verbales Mobben) über (Hawley 1999). > Merke: Selbstwertgefühl, Empathievermögen und soziale Kompetenz können

Schutzfaktoren gegen eine Mobbing-Involvierung jeglicher Art sein (vgl. Täter, Täter-Opfer, Opfer). Erhöhte soziale Kompetenz nimmt einen positiven Einfluss auf die Bewältigung von Mobbing.

Dieser Trend ist empirisch abgesichert (z. B. Rigby 1997). Allerdings kann sich der Trend sich beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule umkehren (Rigby 1996; Pellegrini und Long 2002). Aus diesem Grund kann die sozio-emotionale Entwicklung eines Kindes nie die einzige Ursprungsquelle von Schulmobbing sein, was darüber hinaus auch jegliche Verantwortung seitens der Schule nichtig machen würde getreu dem Motto „Ist doch ganz normales Verhalten“ (vgl. Rigby 2004). Dieser Ansatz sollte laut Rigby (2004) Lehrer und Lehrerinnen vielmehr dazu einladen, ein Gespür für die verschiedenen Formen des Mobbings (physisch vs. psychisch) zu erlangen und Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer Entwicklungsstufe adäquater einzuschätzen, was wiederum Einfluss auf ihr eigenes Verhalten den Schülern gegenüber und somit auf das Mobbing-Aufkommen nehmen würde. > Merke: Sich gegen andere durchzusetzen ist Teil der sozioemotionalen Entwicklung

eines Kindes und aus evolutionärer Sicht überlebenssichernd, was gesellschaftlich zur fälschlichen Annahme führen kann, dass Mobbingverhalten „normal“ sei. Mobbing ist vielmehr ein extremes, von der Norm abweichendes Verhalten.

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3.2.2.4  Psychopathologie

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Vergleichbar zu dem Henne-Ei-Problem stellt sich im Rahmen der Psychopathologie die Frage: Was war zuerst da? Die psychische Erkrankung oder die Mobbing-Involvierung? Mit anderen Worten: Sind psychische Erkrankungen Ursache für die Involvierung in Mobbing oder Folge davon? In Bezug auf Viktimisierung positionieren sich Bond et al. (2001) deutlich im Rahmen der ausgetragenen Debatte und stellen fest, dass eine schwache emotionale Gesundheit Viktimisierung nicht begünstigt, sondern dass sie, gerade bei jugendlichen Mädchen, in Form von Depression und Ängsten, die Folge langjähriger Viktimisierung (und geringer sozialer Unterstützung) ist. Doch wo liegen Unterschiede in der psychischen Gesundheit zwischen den drei Mobbing-Gruppen in Bezug auf neutrale Kinder oder Jugendliche? Bei „bully-victims“ und „reinen“ Mobbingopfern besteht ein erhöhtes Risiko für psychosomatische Probleme, wie etwa Müdigkeit, Schlafstörungen, Bauchschmerzen oder nächtliches Einnässen, als bei nicht-involvierten Kindern (Williams et al. 1996; Gini 2008). Depression ist in der „Täter-Opfer-Gruppe“ bei finnischen Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren im Vergleich zu klassischen Tätern und Opfern am wahrscheinlichsten, wobei allen Gruppen ein erhöhtes Risiko für Depression und Suizid gemein ist (Kaltiala-Heino et al. 1999). Generell sind alle Mobbing-Gruppen anfälliger für psychiatrische Erkrankungen, darunter neben Depression auch „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“ und „Störung des Sozialverhaltens“ (Kumpulainen et al. 2001). „Bully-victims“, die bereits im Grundschulalter mit Mobbing in Berührung kommen und zusätzlich sowohl hyperaktiv sind als auch Störungen im Sozialverhalten aufweisen, haben ein besonders hohes Risiko, später im Leben eine anhaltende Verhaltensstörung zu entwickeln (vgl. Wolke et al. 2000). So ist es nicht verwunderlich, dass Mobbing im Kindesalter in Straffälligkeit im Jugendalter übergehen kann (z. B. Baldry und Farrington 2000). Straffälliges Verhalten mobbender Jugendlicher kann von Drogenmissbrauch und Kampfverhalten bis hin zu kriminellem und akademischem Fehlverhalten reichen (vgl. Rigby und Cox 1996; Baldry und Farrington 2000; Nansel et al. 2001). Auch Essstörungen können unter männlichen „bully-victims“ und weiblichen Opfern auftreten (Kaltiala-Heino et al. 2000). Darüber hinaus leiden „reine“ Opfer von Mobbing, im Gegensatz zu „bullies“ und Nicht-Involvierten, besonders stark an Einsamkeitsgefühlen (Estévez et al. 2009). Weil sie den Eindruck haben, in der Schule gemieden zu werden, verbringen sie viel Zeit allein (z. B. Forero et al. 1999). Außerdem ist es unter jugendlichen Schüler und Schülerinnen wahrscheinlicher, dass diese ­Mobbing-Gruppe an Ängsten leidet (z. B. Salmon et al. 1998). > Merke: Alle drei Mobbing-Gruppen sind anfälliger für psychische Probleme.

Psychische Probleme sind tendenziell Folge und nicht Ursache von Viktimisierung.

3.2.3  Weitere individuelle „Risikofaktoren“, ein Opfer von

Mobbing zu werden

Im Gespräch mit Erwachsenen, die in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer von Mobbing geworden sind, ist Ihnen vielleicht schon einmal aufgefallen, wie diese das Verhalten ihrer damaligen „Peiniger“ retrospektiv relativieren, indem sie etwa sagen, dass diese nicht absichtlich so gehandelt haben oder es ihre eigene Schuld war, weil sie zum Beispiel besser in der Schule waren und somit unweigerlich den Neid ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen hervorrufen mussten. Solch eine Fehlattribuierung, die

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das Mobbingverhalten durch andere sogar fördern kann, ist bereits bei jugendlichen Mobbingopfern erkennbar (vgl. Smith et al. 2004). Natürlich sind unbeabsichtigtes Mobbingverhalten und Eifersucht oder Neid als Erklärungen für Mobbingverhalten nicht undenkbar. Allerdings ist es an dieser Stelle wichtig, zwischen Ursachen, ­Gründen und Auslösern von Mobbing zu unterscheiden. So kann Neid vielleicht der Grund sein, warum ein Kind das andere Kind wegen seiner sehr guten Matharbeit (Auslöser) beschimpt – die Ursache dafür ist jedoch komplexer und weniger offensichtlich. Generell sind Faktoren, die Mobbing bei Erwachsenen in der Arbeitswelt begünstigen, oft bereits in der Kindheit und Jugend selbiger präsent (vgl. Randall 2003). Stock zählt zu einer erhöhten Mobbinggefahr am Arbeitsplatz u. a. Faktoren wie häufiges Äußern unerwünschter Kritik, Außenseiterstatus (z. B. aufgrund von Hautfarbe oder sexueller Orientierung), Behinderung oder Persönlichkeitseigenschaften wie sehr großer Ehrgeiz, Faulheit, Rücksichtslosigkeit, Unsicherheit, Konkurrenzstreben, Perfektionismus, Ängstlichkeit und Zwanghaftigkeit (2011, S. 30). Gerade Persönlichkeitseigenschaften können bereits in der Kindheit und Jugend von Relevanz gewesen sein, da sie tendenziell stabil und zeitlich überdauernd sind. So spiegeln sich einige dieser Eigenschaften in den von Jannan (2015, S. 35/36) beschriebenen Kategorien „(p)assive“ und „(p)rovozierende Opfer“ von Schulmobbing wider. Diese Kategorisierung kommt der Unterscheidung zwischen „victims“ und „bully-victims“ gleich. > Während passive Opfer eher zurückhaltend und schüchtern sind, stechen provozierende

Opfer durch ihre ängstlich-aggressive und hyperaktive Art aus der Klasse heraus.

Sie sind überspitzt formuliert gefundenes Fressen für „bullies“. Was provozierende Opfer an Scham zu wenig empfinden, empfinden passive Opfer zu stark, sodass Rigby (2004) hierbei auf den Ansatz verweist, Scham durch Konfrontation mit dem wütenden, provozierten Gegenüber hervorzurufen. Trotz des Hauptaugenmerks auf individuelle Unterschiede kommt es hier stark auf das soziale Netz an, das dem provozierenden Opfer bei dieser Konfrontation zur Seite steht und vergibt statt bestraft (vgl. auch Morrison 2002). > Merke: Opfer haben grundsätzlich keine Schuld an ihrer Rolle (vgl. Jannan 2015). Im

Prinzip kann jedes Kind je nach Konstellation multipler Faktoren Opfer bzw. (Opfer-) Täter werden.

3.3  Erklärungsansatz 2: Schulische Einflussfaktoren

Mobbing im Schulkontext ist das Thema dieses Buches. Demnach stellt sich mit Blick auf eine erfolgreiche Prävention und Intervention schnell die zentrale Frage, inwieweit die Schule als Ort des Geschehens Einfluss auf das Vorkommen von Mobbing nimmt. Eine Schule ist ein komplexes System aus Kontextfaktoren, politisch auferlegten und eigenen Regeln und Werten sowie verschiedenen personellen Instanzen, darunter Schulleitung, Verwaltung, Lehrpersonen und Schüler und Schülerinnen, die wiederum in Klassen(-stufen) eingeteilt sind. Mit dem Mobbing-involvierten Individuum als fester Bestandteil ist eine Schule hinsichtlich Größe, Hierarchie und Vernetzung so komplex, dass im Nachfolgenden nicht etwa ein Prototyp „Mobbing-Schule“, sondern lediglich eine Vielzahl möglicher Risikofaktoren in Bezug auf Kontext, Klima und Personen vorgestellt werden. Je nach Quantität und Qualität machen sie Mobbinggeschehen vor Ort mehr oder weniger wahrscheinlich.

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3.3.1  Schulkontextuelle Merkmale

Nachfolgend werden „steckbriefartig“ verschiedene Charakteristika einer Schule genannt und genauer exploriert, ob und inwiefern diese der Entstehung von Mobbing in die Hände spielen.

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3.3.1.1  An welcher Schulform und in welcher Klasse ist Mobbing

stärker verbreitet? Was hat Leistungsdruck damit zu tun?

Mobbing ist tendenziell an Grundschulen prävalenter als an weiterführenden Schulen, wobei gerade hinsichtlich Täterschaft und Erhalt bzw. Neuerlangung von Status der Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule einen kritischen Moment darstellt (Pellegrini und Long 2002). Es ist zudem wichtig, Prävalenz nicht mit Intensität, die an weiterführenden Schulen ausgeprägter sein kann als an Grundschulen, zu verwechseln (Jannan 2015). In Norwegen verzeichnete Olweus (1991) die höchsten Mobbingraten an Grundschulen und erkannte den Trend, dass die Anzahl an Opfern mit steigender Klassenstufe, also steigendem Alter, abnimmt, was die Wichtigkeit früh ansetzender, nachhaltiger Intervention unterstreicht. In Deutschland, mit Mobbing als häufigste Gewaltform an Schulen, sieht Jannan (2015) den größten Handlungsbedarf bei Zweitklässlern der Grundschule und erkennt außerdem unterschiedliche Motive bei Gesamtschülern im Vergleich zu Gymnasiasten. Während Gesamtschüler eher aus Langeweile heraus mobben, agieren Gymnasiasten eher aufgrund von Frustration und Stress. Letzteres kann anhand der Problematik des Leistungsdrucks, der, wie zahlreiche Studien zeigen, mit Schulmobbing stark in Verbindung steht, erklärt werden (vgl. z. B. Ma 2001; Bibou-Nakou et al. 2012). Generell mobben Jugendliche mit hohem Leistungsdruck weniger als Jugendliche mit niedrigem, was einerseits eine deutlich erhöhte ­Prävalenz von Mobbing an Haupt- und Gesamtschulen im Vergleich zu Gymnasien (vgl. Jannan 2015) miterklärt, aber andererseits die kritische Beurteilung dieses Faktors (Leistungsdruck → Stress → Gesundheitsrisiko) nicht hinfällig macht Eine fundierte Einschätzung von schulischem Leistungsdruck, also der Erwartungen seitens Schüler und Lehrer, kann dabei nicht ohne Referenz zum übergeordneten politisch-gesellschaftlichen System, welches stark in diese Thematik involviert ist, vorgenommen werden (z. B. Schüler in Deutschland vs. Schüler in Japan). > Merke: Handlungsbedarf besteht insbesondere bei Grundschulkindern (der zweiten

Klassenstufe). Prävalenz von Mobbingverhalten sollte nicht mit seiner Intensität verwechselt werden. Leistungsdruck, der je nach Schulform mehr oder weniger stark vorherrscht, kann Mobbingverhalten fördern.

3.3.1.2  Sind Schul- und Klassengröße von Relevanz?

Die existierende Literatur zeigt sich bezüglich des Zusammenhangs zwischen Schul- und Klassengröße und Mobbing uneindeutig. Während manche Studien keinen Zusammenhang erkennen (z. B. Mellor 1999; vgl. Jannan 2015), stellen andere fest, dass Mobbing in größeren Schulen und Klassen ein gewaltigeres Problem beschreibt (z. B. Stephenson und Smith 1989). Eine Studie von Wolke et al. (2001) kam zu dem Ergebnis, dass w ­ ährend

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Schul- und Klassengröße in Deutschland keinen Einfluss hätten, in England Mobbing eher in kleinen Schulen und Klassen problematisch sei. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass man „Mobbing an der Schule“ stets auch im Rahmen national-­kultureller Eigenschaften betrachten sollte. Nicht zuletzt wegen dieser divergierenden Forschungsergebnisse ist es vorteilhafter, die Aufmerksamkeit von der Gesamtgröße der Schule oder Klasse auf den Anteil „Schüler pro Lehrperson“ zu lenken. Dieser Ansatz hat sich zudem als vorhersagekräftiger herausgestellt (Olweus 1993; Khoury-Kassabri et al. 2004). Je größer eine Klasse, desto schwieriger ist es für eine Lehrkraft, diese effektiv zu managen, was wiederum einen Nährboden für Mobbingverhalten schaffen kann (vgl. Koth et al. 2008). > Merke: Tendenziell ist die Prävalenz von Mobbing unabhängig von der Schul- und

Klassengröße, wobei hier national-kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen sind. Der Anteil „Schüler pro Lehrperson“ ist ein geeigneteres Maß für die HäufigkeitsErfassung von Mobbing.

3.3.1.3  Macht es einen Unterschied, ob die Schule in der Stadt oder

auf dem Land ist?

Würde man eine Umfrage zum Zusammenhang zwischen Urbanität und Mobbing machen, würden sicher viele Personen vermuten, dass Mobbing eher ein Problem innerhalb von Großstädten ist, etwa mit der Begründung, dass dort aufgrund von Anonymisierung der Zusammenhalt untereinander weniger stark sei. Das Risiko, gemobbt zu werden, ist laut Stockdale et al. (2002) in ländlichen Gebieten jedoch ähnlich stark ausgeprägt wie in innerstädtischen. Es macht also kaum einen Unterschied, ob Stadt oder Land. Bradshaw et al. (2009) konstatieren ein erhöhtes Viktimisierungs-Risiko in städtischen Vororten. Vor diesem Hintergrund kann der sozioökonomische Status der Wohngegend eine Rolle spielen (z. B. in England: Barnes 2006): Je niedriger dieser Status, desto höher das Mobbing-Risiko. In Bezug auf Täterschaft konstatiert Jannan (2015), dass der sozioökonomische Status keinen Einfluss ausübt. Ein schulkontextueller Indikator für einen niedrigen sozioökonomischen Indikator ist der Anteil an Schülern oder Schülerinnen, die vor Ort eine kostenlose oder reduzierte Mahlzeit erhalten (Ensminger et al. 2000). Dieser Indikator steht in Zusammenhang mit einem von Schülern oder Schülerinnen wahrgenommenen Mangel an Disziplin und Ordnung, also mit einem verschlechterten Schulklima (Koth et al. 2008). > Merke: Tendenziell ist die Prävalenz von Mobbing unabhängig vom Standort. Ein

je nach Wohngegend verringerter sozioökonomischer Status kann ein Viktimisierungs-Risiko bergen.

3.3.1.4  Was ist zur ethnischen Zusammensetzung einer Schule

bekannt?

Welcher Ethnizität ein Schüler oder eine Schülerin angehört, ist ein individuelles Merkmal. An dieser Stelle wird Ethnizität im Sinne einer Prävalenz ethnischer Minderheiten als charakteristisches Merkmal der Schule verstanden. In der Mobbing-Wissenschaft der 1990er Jahre herrscht weitestgehend der Konsens, dass die ethnische Zusammensetzung einer Schule (Herkunft, Hautfarbe der Schüler und Schülerinnen) keinen nennenswerten Einfluss auf das Mobbinggeschehen nimmt (z. B. Moran et al. 1993; Boulton 1995). Nach der Jahrtausendwende und einhergehend mit einem verstärkten

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Aufkommen systematischer Untersuchungen hat sich das Blatt ein wenig gewendet. Wolke und Kollegen (2001) dokumentieren, dass Kinder ethnischer Minderheiten häufiger Opfer von Mobbing werden. Allerdings ist dieser Zusammenhang so gering, dass die Autoren nicht auf Regelmäßigkeit schließen. Eine Verbindung zwischen ethnischer Minderheit und Täterschaft wird nicht gefunden. Andere Studien hingegen erkennen einen Trend darin, dass Jugendliche oder Kinder ethnischer Minoritäten eher Mobbing zum Opfer fallen (Nansel et al. 2001; Sawyer et al. 2008). Dementgegen wurde in einer Studie von Juvonen et al. (2006) sogar ein Puffer-Effekt größerer ethnischer Diversität in Klassen und Schule entdeckt, d. h. dass sich Schüler und Schülerinnen in solch einem Umfeld weniger vulnerabel und angegriffener gefüllt haben, was damit zusammenhängen könnte, dass Machtverhältnisse balancierter waren. Generell besteht im Rahmen von Studien, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine Selbsteinschätzung ihrer Erfahrung vornehmen lassen (vgl. Sawyer et al. 2008), das Risiko, dass ein Begriff wie „bullying“ oder „Mobbing“ von den einzelnen Personen (sprachlich-)konzeptuell anders verstanden wird. Man spricht in der Psychologie auch von einer „Antwortverzerrung“. > Merke: Wissenschaftliche Ergebnisse bezüglich des Zusammenhangs zwischen

Mobbing und ethnischer Zusammensetzung einer Schule sind divers und uneindeutig, sodass weder eine Unter- noch Überschätzung des Aspekts „Ethnizität“ zulässig sein sollte.

3.3.1.5  An welchen Orten in der Schule findet Mobbing eigentlich

statt?

Kinder oder Jugendliche werden am häufigsten auf dem Pausenhof schikaniert, direkt gefolgt vom Klassenraum als Schauplatz, während in Bädern und Korridoren vergleichsweise weniger gemobbt wird (z. B. Smith und Shu 2000; Wolke et al. 2001). Verglichen mit dem Schul- oder Heimweg, ist die Wahrscheinlichkeit, direkt in der Schule schikaniert zu werden, doppelt so hoch (Olweus 1991). Jannan (2015) nennt auch die Architektur und Größe von Klassenräumen, Schulgebäude und Außenanlagen als Faktor, der Mobbing in der Schule begünstigen kann. > Merke: Mobbing findet am häufigsten auf dem Pausenhof statt. Die räumliche

Gestaltung des schulischen Settings spielt beim Vorkommen von Mobbing eine nicht zu unterschätzende Rolle.

3.3.1.6  Was hat es mit der mit der Mobilität von Schülern auf sich?

Schüler oder Schülerinnen, die häufiger umziehen, sind wiederholt mit der Herausforderung konfrontiert, sich an eine neue Schulumgebung anzupassen. Dies geht natürlicherweise damit einher, dass sie sich zumindest kurze Zeit nach dem Umzug mit ihrer neuen Schule, den Lehrkräften und Mitschülern sowie Mitschülerinnen weniger verbunden fühlen als die Kinder oder Jugendliche, die bereits fest in die Umwelt eingegliedert sind. Allerdings kann eine ausgeprägte Unverbundenheit mit der Schule das Aufkommen von Schulgewalt, darunter Täterschaft und Viktimisierung von Mobbing, begünstigen (vgl. z. B. Wilson 2004). Demnach ist eine hohe Mobilitätsrate ein möglicher Mobbing-Risikofaktor, wobei Bradshaw et al. (2009) zu dem Fazit kommen, dass diese Rate weniger ein Risikofaktor für Mobbingverhalten als vielmehr für andere Formen der Schulgewalt wie etwa „vergeltende Aggression“ sei. Die Autoren begründen dies damit, dass Täter und Täterinnen für das Ausüben von Mobbing – als ein kollektives

45 Warum gibt es Mobbing?

Phänomen (vgl. Salmivalli et al. 1996) – bereits Teil einer etablierten sozialen Hierarchie sein müssen, was für „Neue in der Klasse“ nicht gilt. Unabhängig von der Art der Devianz werden Kinder oder Jugendliche, die den Schulalltag fortdauernd massiv behindern, nicht selten von der Schule suspendiert, sodass sich die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass Suspensionsraten mit Mobbing in Verbindung stehen können (Bradshaw et al. 2009). > Merke: Abhängig von der Definition von Mobbing (kollektives vs. individuelles

Phänomen) kann eine erhöhte Mobilitätsrate von Kindern ein Risikofaktor für Täterschaft sein. Es ist hierbei wichtig zwischen Mobbing und mögliche anderen Formen der Schulgewalt zu unterscheiden.

3.3.1.7  Welche Rolle spielt das „Lernklima“?

Neben dem bereits vorgestellten Aspekt des Leistungsdrucks sind laut Jannan (2015, S. 37/38) auch andere Aspekte, aus denen sich das „Lernklima“ zusammensetzt, an der Entstehung von Mobbing beteiligt. Dazu zählt er einen geringen Lebensweltbezug und unzureichende Schülerorientierung von Lerninhalten, einen geringen Leistungsstand (Langeweile bei unterforderten Schülern und Schülerinnen als Risikofaktor für Mobbingverhalten), schlechtes Klassenklima und Vernachlässigung des sozialen Lernens. Der letzte Punkt geht über die organisatorische Ebene einer Klasse hinaus und ist demnach ein wichtiger Gesichtspunkt des Schulklimas, das im Folgenden genauer unter die Lupe genommen wird. 3.3.1.8  Schulklima

Wie anhand einzelner der vorgestellten Schulkontext-Merkmale deutlich wurde, ist ihr Zusammenhang zu Mobbingverhalten nicht widerspruchsfrei. Das wahrscheinlich konsistenteste schulbezogene Korrelat von Mobbing ist das Schulklima (Juvonen und ­Graham 2014). Es umschließt das soziale Miteinander zwischen und unter Lehrpersonen und Schülern und Schülerinnen sowie die soziale Organisation einer Schule, ihre kulturellen Normen und Werte (vgl. Ma et al. 2001). Cook et al. (2010) haben 153 Studien ab dem Jahr 1970 untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Schulklima eine Mobbing-Involvierung bei „bullies“, „victims“ und „bully-victims“ signifikant vorhersagt, was neben individuellen Faktoren die Wichtigkeit schulischer Faktoren unterstreicht. Schulklima wurde in diesem Kontext definiert als der Grad an Respekt und gerechter Behandlung von Schülern und Schülerinnen durch das Lehrpersonal und die Schulleiter sowie das Zugehörigkeitsgefühl, das das Kind der Schule gegenüber empfindet (Cook et al. 2010). Soziales Miteinander  Im Folgenden wird näher beschrieben, welche Wirkung ­Lehrer-

und Schülerverhalten – unabhängig oder in Wechselwirkung miteinander – auf das Schulklima ausüben und inwiefern sie dadurch die Entstehung von Mobbing miterklären.

Lehrerverhalten  Die Einstellung der Lehrer und Lehrerinnen gegenüber Mobbing

und ihr daraus resultierendes (Nicht-)Handeln haben einen starken Einfluss auf das Schulklima und somit auf das Mobbinggeschehen (z. B. Ttofi et al. 2008). In welchem Ausmaß Schulen mit Mobbing konfrontiert sind, hängt also auch zu einem wesentlichen Teil vom Lehrerverhalten ab. So weisen etwa Schulen mit weniger starken Mobbingproblemen eher ein Lehrpersonal auf, welches die Problematik benennen

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kann und sich um Kontrolle und Prävention bemüht (z. B. Stephenson und Smith 1991). Nichtsdestotrotz berichten eine Vielzahl von Schülern und Schülerinnen entweder über ein wahrgenommenes Desinteresse seitens des Lehrerkollegiums und der Verwaltung, Mobbing an ihrer Schule zu stoppen, oder dass sie nicht wissen, wie die Erwachsenen der Schule dazu stehen (Harris et al. 2002). 1991 kommt Olweus zu dem Schluss, dass Lehrer und Lehrerinnen relativ wenig tun, um Mobbing abzuwehren. Womit könnte das zusammenhängen? Obwohl Lehrer und Lehrerinnen ein konkretes konzeptuelles Verständnis von Mobbing haben, nehmen sie manche (indirekte, weniger offene) Formen von Mobbing weniger oder als weniger bedenklich wahr und vertreten zuweilen – abhängig von der kulturellen Mentalität – die Ansicht, dass Schüler und Schülerinnen durch Mobbing wichtige soziale Erfahrungen sammeln und persönlich wachsen können (vgl. Hazler et al. 2001; Shoko 2012). Sie greifen oftmals auf Mobbing-intensivierende Stereotype/Rollenzuschreibungen zurück (etwa, dass ein Opfer Schuld an seiner Situation habe oder der Fokus auf Täter- und Täterinnen sozialer Randgruppen liegen sollte) – besonders dann, wenn die Schule als Institution nicht unterstützend agiert, was Lehrer und Lehrerinnen, die ihre eigene Identität zu schützen versuchen, resignieren lassen kann (vgl. Migliaccio 2015). Durch eine resignative Grundhaltung, soziale Etikettierung („So etwas wie du gehört nicht auf diese Schule“) oder gar eine eigene Involvierung in das Mobbinggeschehen (Mitlachen, wenn ein Kind nuschelt), entsteht eine Kultur des „Mobbing ist doch voll okay“ (Jannan 2015). Dadurch kann es zu einer Art Ansteckung von Mobbing kommen (vgl. Olweus 1993), wobei zu betonen ist, dass Lehrer aufgrund ihrer Autorität eine besondere Vorbildfunktion haben und ihre Worte und Taten von Kindern oder Jugendlichen als „Maß aller Dinge“ angesehen werden können. Des Weiteren spielen Klassenführung und erzieherische Methoden von Lehrer oder Lehrerinnen eine Rolle – während ein „­laissez faire“ Stil über die Problematik hinwegtäuschen könnte, führt ein einseitig restriktives Verhalten oder gar willkürliches Bestrafen durch Lehrpersonen entweder zu Ablehnung oder zu einer Verstärkung der Einstellung, dass man mit Dominanzgebaren seine Ziele erreichen kann (vgl. Jannan 2015). > Merke: Das Verständnis, die Einstellung und das Verhalten von Lehrpersonen

beeinflussen die Akzeptanz von Mobbing seitens der Schüler und Schülerinnen (aber auch der Kollegen), was wiederum mit dem Mobbingaufkommen an einer Schule zusammenhängt. Aufgrund ihrer Vorbild- und Autoritätsfunktion spielen Lehrpersonen eine tragende Rolle bei der Prävention von Mobbing. Schülerverhalten  Um die Wirkung von Schulklima auf Mobbing in ihrer Komplexi-

tät verstehen zu können, bedarf es auch einer Auseinandersetzung mit Einstellungen und Verhalten der größten schulischen Gruppe, den Schülern und Schülerinnen, die mit Blick auf Zivilcourage unabhängig von einer direkten Involvierung allesamt eine wesentliche Funktion innehaben. Eine Vielzahl an Studien stellt fest, dass die Mehrheit eine zumindest neutrale, aber überwiegend ablehnende Haltung gegenüber Mobbing hat (z. B. Whitney und Smith 1993; Charach et al. 1995). Wer eine AntiMobbing-Einstellung vertritt, ist zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit nicht aktiv in Mobbingverhalten verwickelt (z. B. Boulton et al. 2002). Allerdings muss das nicht automatisch bedeuten, dass solche Anti-Mobbing-Vertreter auch selbst intervenieren, indem sie etwa einen Lehrer oder eine Lehrerin informieren oder selbst eingreifen

47 Warum gibt es Mobbing?

(z. B. Smith und Shu 2000; Stevens et al. 2000). Mit anderen Worten ist die Beziehung zwischen ablehnender Haltung einerseits und Intervenieren andererseits – sei es bei Lehrpersonen oder Schülern und Schülerinnen – ein kompliziertes Zusammenspiel schulischer und persönlicher Merkmale. Betrachtet man Mobbing als ein Gruppenphänomen, kann Schulmobbing, vor dem Hintergrund eines schulischen Ethos, auch als Produkt von Gruppenzwang unter Schüler und Schülerinnen begriffen werden (Rigby 2004). Demnach erfolgt Mobbing weniger aufgrund individueller Motive, als vielmehr aus Loyalität zu einer Gruppe, der man sich etwa wegen gemeinsamer Interessen zugehörig fühlt und mit der man sich aus unterschiedlichen Motiven heraus (Spaß, Groll, Rache, Vorurteile) gegenüber einer anderen Person oder Gruppe erheben möchte. Hierbei nehmen die Gruppenmitglieder aktive oder passive Funktionen ein, d. h. sie agieren nicht zwingend alle als ein „Mob“, sondern sind entweder Aggressor beziehungsweise Aggressorin oder Aggressor-Unterstützer beziehungsweise -Unterstützerin (Pepler und Craig 1995). Soziale Organisation und Schulethos  Die Organisation einer Schule kann abhängig davon, wie stark sie über die bürokratische Arbeit hinaus auch soziale Strukturen pflegt, mehr oder weniger intensiv Gemeinschaft stiften und fördern. Die soziale Organisation als wichtiger Aspekt des Schulklimas beeinflusst „Recht und Ordnung“ einer Schule (vgl. Gottfredson 2001), dadurch wahrgenommene Sicherheit (vgl. Bradshaw et al. 2009) und somit das Aufkommen von Mobbing als Gewaltform. Eine spezifische Form der sozialen Organisation, die „gemeinschaftliche Schulorganisation“ (engl. = „communal school organization“), setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, zu denen unterstützende Beziehungen, gemeinsame Ziele und Werte, Kollaboration und Einbindung gehören (vgl. Payne und Gottfredson 2004). Diese Bausteine stehen mit einem verringerten Mobbingaufkommen in Verbindung (z. B. Natvig et al. 2001; Rigby et al. 1997). Anstelle einer ausschließlich formalen und regulierenden Organisation, setzt dieser Ansatz verstärkt auf die Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls, was diverse positive Effekte für Schüler und Lehrer nach sich zieht, darunter u. a. eine verbesserte Beziehung zwischen beiden Instanzen, Effizienz und Zufriedenheit unter Lehrern sowie ein erhöhtes Selbstwertgefühl der Schüler (Battistich et al. 1995; Battistich et al. 1997). Schlechte soziale Bedingungen unter Schülern, wozu mangelnde Umgangs-, Kommunikations- und Konfliktlösefähigkeiten zählen, gelten als begünstigende Aspekte für die Entstehung von Mobbing (vgl. Jannan 2015). Im Kontext der „communal schools“ werden Themen wie Konfliktbewältigung thematisiert und damit zusammenhängende Eigenschaften wie Empathie oder prosoziale Motivation gestärkt (z. B. Battistich et al. 1995). Abschließend gilt es hervorzuheben, dass auch eine Schule, die solch einen „menschenfreundlichen Ansatz“ verfolgt, keine Unverbindlichkeit und Beliebigkeit von Schul- und Klassenregeln dulden sollte, da dies Mobbing begünstigt und nicht zuletzt die Gemeinschaft – das, wofür sie im Kern steht – gefährdet, wenn „Ausnahmeregeln“ bei bestimmten Lehrern oder Schülern gelten (vgl. Jannan 2015). > Merke: Die überwiegende Mehrheit von Schülern und Schülerinnen lehnt Mobbing

ab, interveniert aber nicht notwendigerweise, was auf Loyalität gegenüber der Gruppe zurückgehen kann (vgl. Mobbing als Gruppenphänomen).

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3.4  Erklärungsansatz 3: Außerschulische Einflussfaktoren

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Zu außerschulischen Faktoren zählen hier familiäre und mediale Aspekte, die dazu beitragen, dass Kinder oder Jugendliche eher in Mobbing involviert sind. Sie werden als außerschulisch betitelt, da sie räumlich betrachtet außerhalb des Orts des Geschehens liegen. Nichtsdestotrotz reichen sie in ihrer Wirkkraft bis in die Schule hinein. 3.4.1  Familie

Familie ist ein eigenes System, in das ein Kind abhängig von einer Vielzahl an Faktoren, wie zum Beispiel Alter, Bindung, Persönlichkeit und familiäre Normen und Werte, unterschiedlich stark eingebunden ist. Es herrscht Konsens darüber, dass die Erziehung durch Eltern oder andere familiäre Rollenmodelle individuelle Unterschiede zu großen Teilen erklären kann. Somit liefert sie neben anderen außerschulischen Einflussfaktoren, wie etwa Medien, Erklärungsansätze, warum manche Kinder bzw. Jugendliche eher in Schulmobbing verwickelt sind als andere. Auch hier ist es wichtig, hervorzuheben, dass, wie jedes Kind, jede Familie so einzigartig ist wie ein Fingerabdruck und nicht jeder, der mobbt oder gemobbt wird, eine Familie mit genau den Charakteristika hat, die im ­Folgenden näher vorgestellt werden. > Merke: Eine soziale Organisation von Schule, die auf Gemeinschaft und Miteinander

setzt, schafft ein Klima, das Mobbing weniger wahrscheinlich macht.

3.4.1.1  Lernen am Modell

Eine mangelhafte Kommunikation kann für die Beziehung zwischen mobbendem Kind und Elternteil kennzeichnend sein (Berthold und Hoover 2000). „Bullies“ fehlt es im familiären Umfeld oftmals schlichtweg an geeigneten Vorbildern, die einen wesentlichen Beitrag zu Abwesenheit von Mobbingverhalten leisten, indem sie gewaltfreie Konfliktlösestrategien vorleben (Espelage et al. 2000, 2001). So konnte gezeigt werden, dass Schüler und Schülerinnen aus Großfamilien aufgrund von langfristigem Mobbing durch Geschwister eher zu Mobbern als zu Opfern werden (Ma 2001). Mobbingtäter und Mobbingtäterinnen kommen häufig auch aus Familien, in denen die Eltern einen autoritären Erziehungsstil verfolgen, ihre Kinder (körperlich) bestrafen und für diese keine liebevoll-unterstützenden Ansprechpartner darstellen, wobei letzteres auch auf Eltern von Mobbingopfern zutreffen kann (Baldry und Farrington 2000). Somit haben mobbende Kinder oder Jugendliche häufig gelernt, dass es in Ordnung ist, andere zu unterdrücken, was sie an ihre Opfer, denen selbst ein soziales Auffangnetz fehlen kann, weitergeben (vgl. „bully-victim“). Wenn Opfer nicht die familiären Ressourcen haben, solche demütigenden Ereignisse an eine Vertrauensperson zu kommunizieren, ziehen sie sich eventuell zurück, igeln sich ein, werden passiv und lassen die Unterdrückung durch Klassenkameraden über sich ergehen oder suchen gar die Schuld bei sich selbst (vgl. passive, reine Opfer). Im Extremfall haben Kinder aus einem rauen Familienumfeld aufgrund von eigener Misshandlung oder der Beobachtung der Misshandlung eines Familienmitglieds derartige Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren, dass sie quasi unwillkürlich in die Täter- und/oder Opferrolle hineingeraten (vgl. Shields und Cicchetti 2001).

49 Warum gibt es Mobbing?

> Merke: Innerhalb einer Familie können Rollenmodelle etwa durch mangelnde

Fürsorge, unzureichende Kommunikation, Gewaltvorleben oder einen autoritären Erziehungsstil Täterschaft und/oder Viktimisierung des Kindes fördern. Die Fähigkeit zur Emotionsregulation, die zu großen Teilen durch familiäres Modelllernen erworben wird, spielt hierbei eine wesentliche Rolle.

3.4.1.2  Bindung

Mit Blick auf Viktimisierung konnte in einer Studie mit Kindergartenkindern von Ladd und Ladd (1998) – hierbei ist zu beachten, dass sich Kindergartenkinder in einem anderen Entwicklungsstadium als Grundschulkinder oder gar Jugendliche befinden – gezeigt werden, dass Kinder, die Mobbingopfer werden, auch eine besonders enge Beziehung zu ihren Eltern haben können. In einer Studie von Finnegan et al. (1998), die auf Selbstauskünften von Kindern/Jugendlichen basiert, konnte solch eine Art überbehütetes Verhalten durch die Mutter nur mit der Viktimisierung männlicher Kinder/­Jugendlicher assoziiert werden, während „weibliche Viktimisierung“ mit ablehnendem mütterlichen Verhalten in Verbindung stand. Die Ergebnisse ließen sich möglicherweise damit erklären, dass eine Erziehung, die die Entwicklung „geschlechtssalienter Kompetenzen“ hemmt (Autonomie für Jungen und Gemeinschaftssinn für Mädchen), das Risiko für Viktimisierung durch Gleichaltrige erhöht. Natürlich fließen auch hier kulturelle und gesellschaftliche Normen mit ein. > Merke: Die mütterliche Bindung kann einen Einfluss auf Viktimisierung nehmen.

Dieser Zusammenhang ist abhängig von der Art der mütterlichen Bindung und möglicherweise auch vom Geschlecht des Kindes, was wiederum mit gesellschaftlichen Normen zu Geschlechterrollen in Verbindung steht.

3.4.1.3  Weitere Faktoren

Der Mobbing-Experte Mustafa Jannan (2015), der als Gymnasial- und Vertrauenslehrer das schulische Mobbinggeschehen viele Jahre aus nächster Nähe miterlebt hat, stellt fest, dass Beobachtung von Gewalt zwischen den Eltern in Familien mit Migrationshintergrund prävalenter als in deutschstämmigen Familien ist. Außerdem räumt er mit gängigen Klischees auf und postuliert, dass das Einkommen, die Dauer der Erziehung durch die Eltern sowie der familiäre Wohnstandard keine Ursachen spielen, warum Kinder eher Mobbing-Täter werden (vgl. S. 34). Er führt Inkonsequenz, Verwöhnung und übertriebene Toleranz seitens der Eltern und macht- und gewaltbetonten Erziehungsmethoden als mögliche Ursachen für Täterverhalten an (vgl. S. 33/34). 3.4.2  Medien

Digitale Medien, darunter soziale Netzwerke, erweisen sich als ein alltäglicher Begleiter unseres modernen Lebens. Trotz ihrer diversen Vorteile liegt es an uns als Gesellschaft, darüber nachzudenken, ob und wenn ja, inwieweit sie auch zur Entstehung gesellschaftlicher Probleme, darunter Schulmobbing, beitragen. Im weiteren Sinne ist Ursachenexploration nicht zuletzt immer auch Ausgangspunkt für Interventionen, die beim Vorliegen von Mobbing lebensrettend sein können. So stellt sich die Frage, ob Medien die Entstehung von Schulmobbing, also einer Form der Gewalt an Schulen, begünstigen. Vorweg kann festgehalten werden, dass diese Frage

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nicht mit einem eindeutigen „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann, da der Einfluss von Medien nur sehr schwer nachweisbar ist und sich die Wissenschaft in den letzten Jahren deutlich von der einstigen kausalen Annahme, dass Medien junge Menschen kriminalisiere, entfernt hat (vgl. z. B. Funk 2001). Klett (2005, S. 93 f.) hat einen Medieneinfluss auf Schüler quasi indirekt anhand ihrer Wahrnehmung von Schulgewalt aufgezeigt, wonach ihre Definition von „Gewalt“ vornehmlich physisch ist, was nicht der primären Schulgewalt entspricht. Studien nach der „Kausalitäts-Wende“ zeigen zum Zusammenhang zwischen Fernseh- beziehungsweise Videospielekonsum und Mobbingverhalten widersprüchliche Ergebnisse auf (z. B. Kuntsche et al. 2006; ­Ferguson 2011; Ferguson und Olson 2014). Nichtsdestotrotz vertreten viele Lehrer die Meinung, dass Mediengewalt einen starken Einfluss auf die Aggressivität von Schüler und ­Schülerinnen nimmt und diese fördert (Schwind et al. 2004). Woran könnten sie im Schulalltag diesen Zusammenhang erkennen? Eine mögliche und in der Wissenschaft breit unterstützte Erklärung ist, dass durch den Konsum von Medien eine Habituation stattfindet und dadurch die eigene Hemmschwelle sinkt, was zur Folge hat, dass das Mitgefühl für das Opfer schwindet (vgl. z. B. Trudewind und Steckel 2003). Neben dieser Habitualisierungsthese nennen Melzer, Schubarth und Ehninger vier weitere „Modelle von Vorannahmen zur Medienwirkung“ (2004, S. 141, nach Lukesch 2002, S. 650): die Inhibitionsthese (durch Mediengewalt erzeugte Impulse werden durch Angst vor Bestrafung gehemmt), die Katharsisthese (Abbau eigner Gewaltpotenziale durch Mediengewalt), die Imitationsthese (Nachahmung von Mediengewalt im Alltag) und die Stimulationsthese (erhöhte reale Gewaltbereitschaft aufgrund von Mediengewalt). Die Effekte dieser fünf Modelle sind in der anschließenden Abbildung dargestellt (. Abb. 3.3).

. Abb. 3.3  „Modelle von Vorannahmen zur Medienwirkung“ und ihre Effekte. (Vgl. Melzer et al. 2004, S. 141; nach Lukesch 2002, S. 650)

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Abschließend sollte bedacht werden, dass in Zeiten von „Fake News“ und „alternativen Fakten“ nicht darüber hinweggesehen werden kann, dass Gewalttaten medial

drastischer dargestellt und verbreitet werden können als sie es faktisch gesehen waren. Dies kann, wie zuvor beschrieben, die Wahrnehmung von Schülern verzerren und längerfristig dazu führen, dass neue Gewalt aufgrund einer verkehrten Wirklichkeitseinschätzung, dadurch überzogenen Handlungen und selbsterfüllenden Prophezeiungen, entsteht (vgl. Klett 2005). Im Zusammenhang mit selbsterfüllenden Prophezeiungen sollte auch ein kritischer Umgang mit (sozialen) Medien, die ein „Podium für Selbstdarsteller“ (Jannan 2015, S. 20) bieten können, gepflegt werden. So erzeugen soziale Medien bestimmte Erwartungen, die durch Selbstinszenierung Bestätigung finden. Es ist denkbar, dass Kinder und Jugendliche, die diese Erwartungen nicht erfüllen wollen und/oder können, eher Viktimisierung erleben, was eine gesellschaftliche Sensibilisierung für die Risiken von Medien so wichtigmacht.

Zusammenfassung Was Sie abschließend von dieser systemorientierten Reise (vgl. Systeme Individuum, Familie, Schule, Gesellschaft) durch die verschiedenen Erklärungsansätze mitnehmen sollten, ist das Wissen darum, dass es für Schulmobbing nicht die eine Ursache gibt, sondern jeder einzelne Fall eine einzigartige Kombination verschiedener Einflussfaktoren aufweist. Diese Einflussfaktoren können individueller, schulischer oder außerschulischer Art sein. Individuelle Unterschiede zwischen den drei Gruppen Mobbing-involvierter Kinder oder Jugendlicher beziehen sich auf äußere Merkmale wie genetischer Einfluss, Geschlecht, körperliches Erscheinungsbild, sozialer Status und schulisches Funktionieren. Hinzu kommen psychologische Merkmale wie Selbstwertgefühl, Empathie, soziale Kompetenz, Machiavellismus, sozio-emotionale Entwicklung, Psychopathologie und „Risikofaktoren“ bezüglich Viktimisierung. Trotz einer Vielzahl möglicher individueller Unterschiede ist Schulmobbing auch ein strukturelles Problem, sodass schulischen Faktoren eine größere wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwerden und ausschließlich Individuums-fokussiertes Stereotypen-Denken vermieden werden sollte (vgl. Yoneyama und Naito 2003). Zu schulischen Faktoren gehören der Schulkontext (Größe, Ort, Gestaltung, etc.) und das Schulklima, das sowohl von Lehrer- und Schülerverhalten als auch von der sozialen Organisation beziehungsweise vom Schulethos geprägt ist. Zuletzt sind außerschulische Faktoren wie Familie (Modelllernen, Bindung) und Medien beim Ursachenverständnis von Schulmobbing stark zu berücksichtigen.

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Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge zwischen jugendlichem Medienkonsum, Mobbing und Suizid Exkurs zu Kapitel 3 Sarah Naomi Back

4.1 Digitale Medien, Jugend und Gesundheit – 58 4.2 Mediales Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen – 58 4.3 Einflüsse digitaler Medien auf die kindliche Entwicklung – 60 4.4 Digitaler Medieneinfluss und Mobbing – 61 4.5 Protektive Einflüsse gegen negative mediale Effekte auf Mobbing – 71 Literatur – 74

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_4

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4.1  Digitale Medien, Jugend und Gesundheit

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Digitaler Informationsgewinn, Kommunikation und Unterhaltung durch neue Medien sind elementare Bestandteile des Alltags der Jugend geworden. Aufgrund ihrer breiten, schnellen und einfachen Verfügbarkeit sowie Abrufbarkeit nehmen sie eine besonders hohe Relevanz in der Informationsbeschaffung und Freizeitgestaltung von Jugendlichen ein. Die Miniaturisierung elektronischer Geräte erleichtert deren Transport sowie dementsprechend auch deren regelmäßigen, einfachen Zugriff. Analog richtet sich das medienspezifische Angebot verstärkt an eine junge Altersgruppe. Die Medienindustrie konzipiert und verbreitet folglich spezifisch auf Kinder und Jugendliche gerichteten Inhalte. Das Internet, welches ursprünglich als Kommunikationsnetzwerk für Militär und Wissenschaftler errichtet wurde, entwickelte sich in das „World Wide Web“ mit beinahe unendlich vielen Inhalten und Zugriffen. Eine derart große Auswahl und Einsatzmöglichkeit neuer Medien erklärt, weshalb Jugendliche mehr Zeit mit neuen Medien als mit jeder anderen Aktivität, außer Schlafen, verbringen (Roeberts und Foehr 2008). Durch die sich weiterhin exponentiell entwickelnde Digitalisierung der Gesellschaft und der spezifischen Ausrichtung von Medieninhalten auf Kinder und Jugendliche sind Nutzungsverhalten sowie Konsequenzen digitaler Medien auf die kindliche Entwicklung von großem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Interesse (Roeberts und Foehr 2008). 4.2  Mediales Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen

Der Medienpädagogische Forschungsverband Südwest erfasst jährlich das mediale Nutzungsverhalten der 12- bis 19- Jährigen in Deutschland und repräsentiert das Abbild circa 6,4 Mio. deutschsprachiger Jugendliche (Feierabend et al. 2017). Ähnliche Studien werden auch in der Schweiz (Waller et al. 2016) durchgeführt. In diesem Rahmen werden Medienausstattung, Medienbeschäftigung in der Freizeit, sowie konkrete Aspekte der der Fernsehnutzung sowie digitaler Spielmöglichkeiten analysiert (. Tab. 4.1 und 4.2). Die mediale Ausstattung deutscher Familien mit Smartphones, Computer und Laptop, Internetzugangs sowie Fernsehgeräte betrug im Jahr 2017 fast 100 %. Beinahe alle deutschen Haushalte haben somit mittels mehrerer Geräte Zugang zu digitalen Medien (. Abb. 4.1 und 4.2). Eine feste Spielekonsole ist in der Mehrheit (73 %) deutscher Haushalte zu finden. Zudem sind über die Hälfte der Medienhaushalte (54 %) mit Internet-Streaming Diensten wie Netflix oder Amazon-Prime ausgestattet. Jugendliche besitzen fast alle ein Smartphone (zu 97 %) sowie einen Laptop (69 %). Vor allem die feste Spielekonsole sind doppelt so häufig bei Jungen vertreten (63 %) wie bei Mädchen (31 %). Über 56 % der Jugendlichen verfügen über eine eigene Spielekonsole im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Die Fernsehnutzung betrug im Jahr 2016 rund 116 min täglich, wobei das klassische Fernsehgerät im Jahr 2017 der Internet Fernsehnutzung überwiegte. Die Hälfte der Jugendlichen sehen mindestens mehrmals pro Woche Sendungen, Serien oder Filme bei YouTube an, ein Viertel nutzt mit dieser Häufigkeit Inhalte bei Netflix, etwa jeder Siebte bei Amazon Prime. Letztere gewinnen mit zunehmendem Alter und seit 2018 im

59 Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge …

. Tab. 4.1  Entwicklung der Medien – Von 1930 bis 2003 (Nach Roeberts & Foehr, 2008) Jahr

Massenmediales Format

Verfügbarkeit pro Haushalt

1930

Verfügbare Massenmedien hauptsächlich in Form von Magazinen, Zeitungen, Büchern und Radios

Jeder amerikanische Haushalt besitzt ungefähr ein Radio

1946

Entwicklung des Fernsehens als zusätzliches digitales Medium

Circa 0,5 % amerikanischer Haushalte besitz ein Fernsehgerät

1960

Fernsehen als digitales Medium beinahe überall vertreten

Circa 87 % der amerikanischen Haushalte besitz ein Fernsehgerät

1970

Weiterentwicklung des Fernsehens sowie Verfügbarkeit persönlicher Computer

Jeder amerikanische Haushalt besitz circa 2,4 Fernsehgeräte und der Apple II (1970) und IBM-PC (1981) wurden erhältlich

1990

Erweiterung der Verfügbarkeit persönlicher Computer sowie Zugang zu Internet

Ein Viertel der Haushalte besitzeinen persönlichen Computer und im Jahr 1997 hatten 22 % dieser Haushalte Internetzugang

2003

Verbreiteter Zugang zu Computern und dem Internet

75 % der Haushalte mit sieben bis siebzehnjährigen Kinder besitzen einen persönlichen Laptop und 63 % davon haben Internetzugang

. Tab. 4.2  Welche Funktionen nehmen digitale Medien für Kinder und Jugendliche ein? (Nach Feierabend et al. 2017) Informationsgewinn

Kommunikation

Freizeit

Durch das Internet wird ein beinahe unbegrenzter Zugang zu verschiedensten Informationen möglich

Mittels sozialer Medien wird die digitale Kommunikation zwischen Jugendlichen erleichtert

Digitale Filmdarbietung sowie digitales Spielen sind Beispiele beliebter jugendlicher Freizeitbeschäftigungen

Vergleich zum klassischen Fernsehen immer mehr an Bedeutung (Waller et al. 2016). Im Vergleich zu 2016 hat sich die Netflix und Amazon Prime Nutzung im Jahr 2017 beinahe verdoppelt (Feierabend et al. 2017). Die JAMES-Studie aus der Schweiz belegt zudem, dass im Jahr 2018 jeder dritte Jugendliche über Streaming Angebote wie Netflix verfügt (Waller et al. 2016). Vor allem amerikanische oder internationale Serien oder Sitcoms werden zunehmend über Video Streaming Dienste angeschaut (ARD/ZDF Onlinestudie 2017). > Beinahe alle deutschen Jugendlichen sind mit digitalem Zugang zu

Kommunikation, Fernsehen sowie Spielen ausgestattet und nutzen diese Angebote täglich. Bei Mädchen scheint die soziale Kommunikation über Smartphones als digitale Funktion zu überwiegen, wohingegen Jungs eher digitale Spiele und Unterhaltung auf festen Spielekonsolen oder Laptops bevorzugen. Das digitale Video-Streaming im Internet wurde seit 2017 im Vergleich zum klassischen Fernsehen immer beliebter bei Jugendlichen.

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Geräteausstattung in deutschen Haushalten in % (nach Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb, 2017)

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100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

. Abb. 4.1  Geräteausstattung in deutschen Haushalten. (Nach Feierabend et al. 2017)

Gerätebesitz in % von Jugendlichen (nach Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb, 2017) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Smartphone

Computer/Laptop

Feste Spielekonsole

Fernsehgerät

. Abb. 4.2  Gerätebesitz von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren. (Nach Feierabend et al. 2017)

4.3  Einflüsse digitaler Medien auf die kindliche Entwicklung

Das Internet sowie die zunehmende Verfügbarkeit und Nutzung internetfähiger Geräte bedingen sowohl Gesundheitsrisiken als auch gesundheitsförderliche Möglichkeiten in der jugendlichen Entwicklung.

61 Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge …

Hervorzuheben ist vor allem, dass Internetnutzung die Lernmotivation, sowie historisch-chronologisches Lernen erhöht. Es eignet sich folglich vor allem im schulischen Kontext als Lernhilfe. Außerdem bietet das Internet die Möglichkeit körperlich Benachteiligten Jugendlichen, wie z. B. Hörgeschädigten, über visuelle Medien zu kommunizieren und damit die soziale Integrität zu fördern. Besonders relevant kann das Internet für die Förderung der Gesundheit sein. Eine von vier Jugendlichen nutzt das Internet um Zugang zu Gesundheitsrelevanten Informationen zu erhalten. Zudem kann das Handy nützlich bei der Dokumentation gesundheitsbezogener Daten als konstantes Monitoring und damit einhergehend einer Verbesserung von gesundheitsförderlichem Verhalten sein (Guan und Subrahmanyam 2009). Nichtsdestotrotz riskieren Jugendliche Internetsucht durch massiven Gebrauch internetfähiger Geräte, sowie die explizite Aussetzung sexueller Inhalte und digitaler Viktimisierung in Form von Cybermobbing (Guan und Subrahmanyam 2009). 4.4  Digitaler Medieneinfluss und Mobbing

Der negative Einfluss von Medien auf die kindliche Entwicklung wird in der Öffentlichkeit sowie in der Wissenschaft seit Jahren analysiert und diskutiert. Mehrere internationale Studien konnten zeigen, dass vermehrter Medienkonsum stark mit einer erhöhten Beteiligung und Verwicklung in das Mobbinggeschehen assoziiert ist (Hinduja und Patchin 2008; Sticca et al. 2013; Feinberg und Robes 2009). Das bedeutet, dass Jugendliche, welche viel Zeit mit digitalen Medien verbringen mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann mit Mobbing in Kontakt kommen werden. Aufgrund der Tatsache, dass digitaler Medienkonsum beinahe jeden Jugendlichen betrifft, ist Cybermobbing folglich ein immer größer werdendes Gesundheitsproblem (Guan und Subrahmanyam 2009). Dabei konzentriert sich die öffentliche Darstellung digitaler Einflüsse auf Mobbing vor allem auf kommunikative digitale Medien als Mittel und Austragungsort mobbingtypischer Aktivitäten (Feierabend et al. 2017; Waller et al. 2016). Cybermobbing „Cybermobbing ist ein aggressiver, intentionaler Akt, welcher von Gruppen oder Individuen wiederholt und über längere Zeit gegen ein wehrloses Opfer durchgeführt wird, durch den Gebrauch elektronischer Formen der Kommunikation.“ (nach Smith et al. 2008)

So erfassen beispielsweise die bereits dargestellten landesweiten Umfragen das Thema „Mobbing im Internet“ (Feierabend et al. 2017), sowie „Cybermobbing und Cybergrooming“ (Waller et al. 2016) als eigenständigen Unterpunkt im Rahmen der Mediennutzung von Jugendlichen. Tatsächlich sind mediale Einflüsse komplexer, und beginnen bereits in der frühen Kindheit durch digitales Fernsehen und Serien, sowie gewalthaltige digitale Spiele (Bushman und Anderson 2001, 2006) das spätere Mobbinggeschehen zu beeinflussen. So kann der erhöhte Gebrauch digitaler Medien bereits in der früheren Kindheit prospektiv als Risikofaktor für aggressives Verhalten und der Entwicklung zum Mobbingtäter fungieren (Bushman und Anderson 2001, 2002; Müller et al. 2014), oder auch als Risikofaktor dafür, im späteren Verlauf der Kindheit Mobbingopfer von

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digitaler Viktimisierung (Guan und Subrahmanyam 2009) zu werden. Außerdem kann die mediale Inszenierung von Suizid die Inzidenz mobbinggeleiteten Suizids („Bullycide“) bei Mobbingopfern fördern (Zimmerman et al. 2018). > Digitale Medien können im Kontext von Mobbing sowohl als Mittel und

Austragungsort mobbingtypischer Aktivitäten fungieren, sowie als Risikofaktor zur Entwicklung in eine bestimmte Mobbingrolle oder zum Suizid als Folge von Mobbing.

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Wie entfalten digitale Medien nun ihre Wirkung auf mobbingrelevante Prozesse? Serien sind im Jahr 2018 beliebteste mediale Filmdarstellungsform und das beliebteste Unterhaltungsmedium von Jugendlichen (Waller et al. 2016). Von den zehn beliebtesten Serien sind acht in der Netflix Datenbank zu finden, und fünf davon Netflix Eigenproduktionen. Auffallend ist, dass in allen diesen Serien unterschiedliche Formen der Gewalt, meist auf besonders explizite Weise dargestellt, in die Geschichte und den Verlauf der Erzählung eingeflochten ist. Die beliebteste Netflix-Serie „La casa del papel“ (deutsch: Haus des Geldes) ist ein spanischer Fernsehkrimi, welcher einen Überfall auf Banknotendruckerei sowie Geiselnahmen behandelt. In der Netflix-Serie „13 Reasons Why“ (deutsch: Tote Mädchen Lügen nicht) werden Vergewaltigungen, Drohungen sowie Suizid besonders explizit und gewaltsam dargestellt. Das Phänomen medialer Darstellungen von Gewalt, Aggression und Suizid wird bereits seit Jahren erforscht, und nicht nur mit modernen Netflix-Serien assoziiert. Eine amerikanische Studie zeigt, dass Kinder beim Verlassen der Grundschule durchschnittlich 8000 Morden und über 100.000 Gewaltinszenierungen im Fernsehen ausgesetzt waren (Strasburger und Wilson 2003). Sogar im Kleinkindalter werden Kinder im Rahmen animierter Disney-Filme mit Gewaltszenen und gewaltsamen Toden konfrontiert (Colman et al. 2014). > Unterhaltung ist so alt wie die menschliche Gesellschaft selbst, aber moderne

Kommunikationsmedien haben die Vielzahl an Geschichten, auf die wir Zugriff haben, sowie die Art und Weise in der sie dargestellt werden, vervielfältigt (Cohen 2006).

Aber warum scheint mediale Filmdarbietung so einen hohen Unterhaltungswert zu bieten? Und welchen Einfluss übt hochfrequente Darstellungen von Gewalt und Suizid auf die kindliche Entwicklung und späteres Mobbingverhalten sowie Mobbingfolgen aus? Im folgenden Kapitel sollen diese Fragen durch sozial- und entwicklungspsychologische Prozesse und Forschungsergebnisse erklärt werden. Aufgrund der besonderen Relevanz im Kontext von Mobbing, werden in diesem Rahmen nur Film-Effekte auf aggressives Verhalten sowie Bullycide näher beschrieben. 4.4.1  Allgemeine mediale Prozesse – Identifikation mit

Filmcharakteren

» „Es ist nicht alleine die Konfrontation mit Unterhaltung die uns amüsiert, sondern

die Fähigkeit des Unterhaltungsinhaltes uns von uns selbst abzulenken, sowie neuartige und aufregende Erfahrungen von Anderen zu enthüllen. Dadurch, dass uns die Möglichkeit gegeben wird das Leben Anderer zu teilen, begeistert und erzieht

63 Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge …

Unterhaltung uns, und kann uns dazu anregen so zu träumen, denken oder fühlen, wie wir es auf andere Art und Weise niemals erfahren würden“ (Cohen 2006).

Um den Einfluss medialer Effekte auf konkrete Aspekte von Mobbing (u. a. in Form von aggressiven Verhaltens und Bullying) zu analysieren ist es zunächst bedeutsam, allgemeine psychologische Effekte von Medien auf Jugendliche nachzuvollziehen, und warum Medien generell so einen hohen Unterhaltungswert bieten. Im Rahmen der Aussetzung mit medialen Inhalten, in Form von Film, Fernsehen oder Serien schauen, werden beim Menschen imaginative Prozesse angeregt, wobei sie sich mit den präsentierten Charakteren (z. B. den Protagonisten) identifizieren. Diese Identifikation wird angeregt, wenn eine hohe Affinität gegenüber einer spezifischen Filmfigur empfunden wird, welche dazu führt, dass sich ein empathisches Verständnis für die Gefühle, Erfahrungen, sowie Motive und Ziele der Filmfigur einstellt (Cohen 2006). In diesem Zustand versetzt sich der Zuschauer in die Rolle der Filmfigur, sodass er aktiv Gefühle und Kognitionen letzterer reproduziert. Befindet sich die Filmfigur in Gefahr, verspürt man Angst, wird die Filmfigur verletzt, spürt man sein Leiden. Eine Harvard Studie aus dem Jahr 1957 konnte bereits zeigen, dass sich Grundschüler mit dem gleichgeschlechtlichen Filmprotagonisten identifizieren, und sich nach der Filmpräsentation besser an Inhalte erinnern, welche direkt in Verbindung zum Protagonisten standen. Es konnte gezeigt werden, dass Jungs anfälliger dafür waren, aggressive Inhalte des Protagonisten zu erinnern, wohingegen Mädchen eher Interaktionen zwischen Mann und Frau erinnerten. Dies zeigt, dass Identifikation mit medialen Charakteren potenzielle Lernprozesse verstärken können (Maccoby und Wilson 1957; Cohen 2006). > Das Schauen eines Films kann zur Folge haben, dass einem bestimmte Filmfiguren

besonders sympathisch werden, für welche daraufhin besondere Empathie entwickelt wird, was dazu führt, dass bestimmte Gefühle, Kognitionen im Zuschauer nachvollzogen und reproduziert werden.

4.4.2  Auswirkungen gewalthaltigen Fernsehens, Filmen und

Serien auf Mobbing

Der Einfluss gewalthaltiger Medien auf aggressives Verhalten ist Gegenstand langjähriger und umfassender Forschung. Es gehört zu den berühmtesten und gleichzeitig kontroversesten Themen der Wissenschaft (Zemp und Bodemann 2015). Mobbing, als bedeutende Manifestation kindlicher Aggression, ist somit eng an die Aggressionsforschung und deren Erkenntnisse geknüpft (Griffin und Gross 2004). Aus einer Vielzahl verschiedenster Meta-Analysen, lässt sich ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen der frühkindlichen Konsumierung gewalthaltigen Fernsehens und aggressiven Verhaltens im späteren Verlauf des Lebens schließen. Gewaltbetonte Fernsehdarbietung kann aggressives Verhalten, feindselige Emotionen sowie destruktive Kognitionen fördern (Bushman und Anderson 2001, 2006; Escobar-Chaves und Anderson 2008). Gegner dieser Position argumentierten mit sehr geringen Effektstärken (r = .08) des Zusammenhangs, sowie des Vorhandenseins von Publikationsbiais. Diese Kritikpunkte schwächen die Bedeutsamkeit des Zusammenhangs, sowie die Qualität der durchgeführten Analysen, und damit letztlich die Gültigkeit der Befunde (Ferguson und Kilburn 2009). Eine Studie deutscher Siebt- und Achtklässler konnte zeigen, dass ein

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erhöhter Gebrauch gewalthaltiger Medien in der Jugend erhöhte physische Gewalt und verringerte Empathie im späteren Verlauf der Jugend vorhersagte (Krahé und Möller 2010). Dieser Zusammenhang zeichnet sich ebenso im Bereich der Mobbingforschung ab. So konnte aufgezeigt werden, dass intensiver Konsum gewaltbetonter Medien in der frühen Jugend stärkster Risikofaktor für aggressive Verhaltensweisen gegenüber anderen Kindern im späteren Verlauf der Jugend, in Form aktiven Mobbings, darstellt, also zum Mobbingtäter zu werden (Hopf et al. 2008).

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z Aber wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären?

Auf Seite der medialen Präsentation sind nicht nur die Häufigkeit und Verwurzelung von Gewalt und Aggression in die mediale Inszenierung als kritisch heranzuführen, sondern außerdem die Art und Weise, in der Gewalt in Handlungen präsentiert wird. Es kommt zur Glorifizierung und Trivialisierung von Gewalt, Folgen werden bagatellisiert und kaum moralisch hinterfragt. Somit fördert die irreale Inszenierung von medialer Aggression und Gewalt die Beeinflussung auf die jugendliche Hauptzielgruppe (Strasburger und Wilson 2014). Seitens der psychologischen Mechanismen lassen sich Rückschlüsse auf frühste Erkenntnisse im Bereich der Lerntheorien schließen. Eines der berühmtesten psychologischen Experimente von Bandura (1965) konnte zeigen, dass kleine Kinder signifikant mehr aggressives Verhalten zeigten, wenn sie zuvor sahen, dass eine Person für dasselbe aggressive Verhalten belohnt wurde, als Kinder die sahen, dass Personen für aggressives Verhalten nicht belohnt wurden. Sie schlugen und traten auf eine Puppe ein, teilweise sogar mit Stöcken, auf dieselbe Weise wie die Person die sie im Vorfeld beobachtet haben, und dies umso stärker, je mehr Belohnung auf die Aggression antizipiert wurde. Das als „Baby-Doll“ benannte Experiment stellte die Basis der Entwicklung der sozialen Lerntheorie nach Bandura (1965) dar, nachdem Aggression erlerntes Verhalten darstellt. Folgt eine Belohnung auf aggressive Verhaltensweisen, so wird deren Ausübung systematisch gefördert, und wird künftig häufiger auftreten. Dies verdeutlichte schon sehr früh die Relevanz von Observationslernen, welches logische Induktion und Abstraktion benötigt um komplexere Repräsentationen zu formen. Extensive Beobachtung von aggressiven Verhaltens formt feindselige, interne Schemata bei Kindern. Diese zeigen daraufhin verstärkt feindselige Attributionsstile (anderen Menschen bösartige Absichten im Rahmen der Ausführung ihrer Handlungen zu unterstellen), was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie sich auch aggressiv verhalten (Quiggle et al. 1992). Kongruent zu der Idealisierung von medialer Gewaltdarstellung zeigt sich, dass Kinder durch wiederholte Beobachtung von realer Aggression bei Menschen sowie medialer Gewalt die normative Überzeugung entwickeln, dass Aggression angebracht ist und (bei aktiver Belohnung) sogar wünschenswertes Verhalten. Sie entwickeln in einem längeren Prozess sogar soziale Skripte (interpersonelle Handlungsabläufe) wie und wann aggressives Verhalten eingesetzt wird (Skripttheorie; Bushman und Huesmann 2006). Je mehr sich ein Kind mit der beobachteten gewaltausübenden Person identifiziert, und je mehr positive Konsequenzen auf das aggressive Verhalten für Kind oder Model folgen, desto mehr soziale Skripte werden ins Gedächtnis enkodiert und desto wahrscheinlicher wird es, dass diese Skripte die Entwicklung einer generellen, und stabilen Überzeugung über gewalttätiges Verhalten erzeugen (Bandura 1986). Diese kognitiven Skripte und Überzeugungen, werden sie zusätzlich belohnt durch das familiäre

65 Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge …

Umfeld, werden zu automatisierten Überzeugungen, welche sehr stabil und schwer zu verändern sind (Bushman und Huesmann 2006). Normative Überzeugungen, dass Gewalt ein angemessenes Mittel in der sozialen Interaktion darstellt, sowie ein feindseliger Attributionsstil, erklärten den Zusammenhang zwischen erhöhten Konsum gewalthaltiger Medien sowie die verringerte Empathie im späteren Verlauf der Jugend in einer Studie an deutschen Schülern (Krahé und Möller 2010). Stellt man diese Erkenntnisse in Verbindung zu den Profilen von Mobbingtätern, so wird deutlich, dass viele der beschriebenen Verhaltensweisen auf typische Mobbingtäter-Profile zutreffen. So konnte bei Mobbingtätern ebenfalls verringerte Empathie, ein erhöhter feindseliger Attributionsstil, sowie erhöhte Aggression festgestellt werden (Stavrinides et al. 2010; Dodge 2006). Nichtsdestotrotz ist die Beziehung zwischen gewalthaltigen Medien und aggressivem Verhalten weitaus komplexer. Dies wird erneut in der Mobbingforschung deutlich. So konnte eine Längsschnitt-Studie belegen, dass ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen Mobbing und medialer Gewaltexposition besteht. Dementsprechend verhalten sich potenzielle Ursachen und Konsequenzen des Zusammenhangs in Form eines „Teufelkreises“. Die reziproke und zirkuläre Natur der Relation zwischen Mobbing und Präferenz für gewalthaltige Medien wird dadurch bestätigt, dass ein unidirektionales Modell (nachdem gewalthaltige Medien alleine den Einfluss auf das Verhalten ausüben) statistisch widerlegt werden konnte. Kinder mit eingeschränkten Möglichkeiten einer positiven Sozialisation im Sinne des Fehlens von elterlichen Monitorings werden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit gewalthaltige Medien als Sozialisation wählen, was wiederum als Risikofaktor für die künftige Beteiligung in Mobbingtaten sowie anderen aggressiven Verhaltensweisen fungiert. Im Sinne der Reziprozität wäre die andere Richtung ebenfalls denkbar, wonach der höhere Konsum gewalthaltiger Medien ein Symptom von bereits durchgeführtem Mobbing darstellt (Stavrinides et al. 2013). In einer internationalen Studie wurde aufgezeigt, dass verbale Gewalt (z. B. „Gerüchte über jemanden verbreiten“ oder „Namen verunstalten“) am besten den Zusammenhang zwischen hohen Fernsehkonsum (von über 2 Stunden pro Tag) bei Kindern und späterem Mobbingverhalten erklärt, unabhängig vom Einfluss aller anderen Formen von Gewalt (z. B. physischer Gewalt). Das bedeutet, dass sich der hohe Konsum von Fernsehen und Videos im Kontext Mobbing eher auf verbale Aggressionen als auf physische Aggressionen bei Schülern auswirkt (Kuntsche et al. 2006). Dies bestätigt, dass extreme Fernsehliebhaber eher verbal aggressiv agieren als physisch gewalttätig zu werden. Martins und Wilson (2012) entdeckten, dass der Konsum gewalthaltigen Fernsehens, in nicht physischer Form, ausreichte um entsprechende sozial-aggressive Formen von Mobbing bei Grundschulschülern nachzuweisen. Soziale Aggression Soziale Aggression ist eine Form von Gewalt die darauf abzielt das Selbstvertrauen und den sozialen Ruf Anderer zu schädigen. Sie umfasst sowohl direkte (aktives Ignorieren) als auch indirekte Gewalthandlungen (Gerüchte verbreiten; Archer und Coyne 2005). Konsequenzen sozialer Gewalt können für die Opfer weitreichend sein, und zu Zurückweisungsgefühlen, Einsamkeit und Depressionen führen (Crick und Grotpeter 1995).

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Dies bedeutet, dass sich Effekte physischer medialer Gewaltdarstellungen auf aggressives Verhalten (Bushmann und Huesmann 2006) ebenfalls auf sozialer Gewaltdebene nachweisen lassen. Kinder und Jugendliche lernen selbst subtilere Formen von Gewalt, welche in Medien gezeigt werden. Serien wie „American Idol“ oder „The Suite Life of Zack & Cody“ (deutsch: „Hotel Zack & Cody“), präsentieren keine physischen Gewaltdarstellungen, aber sehr viele Szenen in denen andere bewusst schikaniert, beschimpft oder ausgeschlossen werden, um bestimmte Ziele zu verfolgen. Die Bedeutung der medialen Portraitierung von Mobbing auf das soziale Verhalten von Schülern wird hiermit sehr deutlich (Martins und Wilson 2012). Der Effekt der medialen Transition sozialer Aggression konnte jedoch lediglich für Mädchen festgestellt werden. Dies kann durch die Präferenz subtil aggressiver Fernsehprogramme von Mädchen erklärt werden. Dahingegen bevorzugen Jungs explizitere, physische Gewaltdarstellungen im Fernsehen. Somit lernen Mädchen auch mehr soziale Formen der Gewalt als Jungs. Dafür spricht, dass Mädchen im allgemeinen Mediengebrauch interaktive Funktionen digitaler Medien bevorzugen (Feierabend et al. 2017), und sich eher an soziale Interaktionen in Filmen erinnern als an physisch gewalthaltige Szenen (Maccoby und Wilson 1957). Zudem engagieren sich mediale Frauencharaktere mehr in subtilen, sozialen Formen von Gewalt als Männer. In der neuen Netflix-Serie „Sabrina“ (aus dem Jahr 2018) bekämpfen vier Mädchen das physische Mobbingverhalten einer Gruppe aus vier Jungen, indem sie sie verhexen, mit Fotos in peinlichen Situationen bloßstellen und anschließend bedrohen. Dahingegen mobben diese Jungs Mitschülerinnen, indem sie physische Gewalt in Form von Schlägen gegen Frauen ausüben (Lyons 2018). In eine der beliebtesten Netflix-Serien „13 Reasons Why“ verbreiten weibliche Charaktere Gerüchte und grenzen Mitschüler aus, wohingegen Jungs in Verbindung zu physischen Gewaltakteuren gegen Mitschüler wie Schlägereien und Vergewaltigungen stehen (Joyce 2017). Somit zeigen sich diese nachgewiesenen geschlechtertypischen Gewaltpräferenzen in sehr aktuellen, beliebten Serien von Jugendlichen. Der Mobbingfall Phoebe Prince Im Jahr 2010 wurde die 15-jährige Phoebe Prince in Amerika Opfer regelmäßiger Schikane und Beschimpfungen durch eine Mädchengruppe welche sich als „Mean Girls“ betitelten. Wie im gleichnamigen Film „Mean Girls“ (deutsch: Gemeine Mädchen) beschimpften die sieben Mädchen Phoebe Prince als „Hure“, versehrten Fotografien von Phoebe mit obszönen Zeichnungen und platzierten letztere an Schulwände. Sie gefielen sich darin, unbeliebte Schülerinnen systematisch zu mobben, ganz nach dem Vorbild der mobbenden Protagonistinnen aus dem Film (Graw 2010).

Mädchen sind nachgewiesen mehr in sozial aggressiven Verhaltensweisen involviert als Jungs (Crick und Grotpeter 1995) in Einklang mit der medialen geschlechtertypischen Gewaltdarstellung. Leider hat sich die soziale und physische Gewaltportraitierung im Fernsehen seit dem Jahr 1950 nicht verändert. Trotz wissenschaftlicher Evidenzen für einen Lerneffekt von derartigen Darstellungen auf Kinder und Jugendliche, finden sich im Durchschnitt circa 8,8 Mobbingszenen auf eine 30-minütige Fernsehzeit. Alle 2–3 min erscheint eine Darstellung von Gewalt. Sogar moderater Konsum von Fernsehen scheint demnach eine erhebliche Exposition mit risikobehafteten Inhalten nach sich zu ziehen (Petranovich et al. 2016).

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Mobbing, als Manifestation von kindlicher Aggression, steht in Verbindung zum moderatem Konsum von Fernsehen, Filmen und Serien. Aggression kann durch Beobachtung von Vorbildern, sowohl in Form von realen Gewaltszenen, als auch medialen Charakteren, erlernt und in Form von kognitiven Skripten langfristig als angemessenes Mittel in der zwischenmenschlichen Interaktion ins Gedächtnis enkodiert werden. In Bezug auf Mobbing scheint vor allem der Teufelskreis des zweiseitigen Zusammenhangs zwischen Medienkonsum und dem Risiko zum Mobbingtäter zu werden wissenschaftlich bedeutsam. Präferenz zur Aggression zieht Kinder demnach auch zum erhöhten Konsum gewalthaltigen Fernsehens. Dabei scheinen vor allem soziale Aggression und Identifikationsprozesse den Einfluss von Fernsehen auf Mobbing zu erklären. Mädchen präferieren soziale Formen von Gewalt gegenüber Mitschülern, wo hingegen Jungs eher physische Formen von Mobbing bevorzugen und betreiben, im Sinne der rollenspezifischen medialen Identifikation. Die weit verbreitete geschlechtertypische Mediendarstellung von sozialer und physischer Gewalt, und deren Idealisierung haben sich in den letzten Jahren trotz nachgewiesenen negativen Effektes auf die kindliche Entwicklung nicht verändert. Somit sind Kinder und Jugendliche aktuell hochfrequent medialen Risikofaktoren ausgesetzt, welche nachgewiesen das Risiko erhöhen können, dass sie später einmal als Täter von Mobbing auftreten.

4.4.3  Mediale Inszenierung von Suizid und deren Auswirkungen

auf Bullycide

Am 15. Januar 2010 begang die 15-jährige Phoebe Prince Suizid, nachdem sie systematisch von mehreren Mitschülerinnen in der Schule und über digitale Nachrichten schikaniert und beschimpft wurde. Ihre Schwester fand Phoebe am Nachmittag in ihrer Wohnung erhangen auf (Graw 2010). Trotz der Tragik des Falls Phoebe Prince, ist Suizid keine seltene Folge von Mobbing. Suizid ist die dritthäufigste Todesursache bei zehn bis vierzehnjährigen und sogar die zweithäufigste Todesursache bei 15 bis 24-jährigen (Centers for Disease Control and Prevention 2011). Eine amerikanische Umfrage ergab, dass 17 % der Jugendlichen Suizid ernsthaft in Erwägung ziehen würden (Centre for Disease Control and Prevention 2014). Jugendliche, welche Mobbing zum Opfer fallen, haben ein erhöhtes Risiko suizidale Gedanken zu erleben, sowie Suizid zu versuchen oder erfolgreich zu vollführen (Baldry und Winkel 2003). Die mediale Inszenierung von Suizid ist assoziiert mit einem anschließenden Anstieg der Suizidraten (Phillips 1974). Sowohl massenmediale Berichterstattung über reale Suizide (Romer et al. 2006) als auch fiktionale Suizidporträtierung in Filmen (Pirkis und Blood 2001) können suizidales Verhalten triggern. Dieses Phänomen ist bekannt unter den Namen suicide contagion (deutsch: Suizid Ansteckung; Phillips 1974) oder auch dem Werther Effekt (Phillips 1974). Auf der anderen Seite konnte belegt werden, dass Medienberichterstattung, welche über konstruktive und realisierbare Bewältigungsmöglichkeiten im Zuge suizidaler Tendenzen informiert, den Rückgang von Suiziden fördert. Dieser protektive Faktor wird als Papageno Effekt bezeichnet (Niederkrotenthaler et al. 2010).

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Ursprünge der Begriffe

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5 Werther Effekt: Angelehnt an die Hauptfigur Goethes Romans „Das Leiden des jungen Werthers“. Die Veröffentlichung des Buches und der darin beschriebene Selbstmord von Werther löste in Europa eine Reihe von ähnlichen Suiziden aus. Der Nachahmungseffekt von Suiziden wurde nach der Hauptfigur benannt (Phillips 1974). 5 Papageno Effekt: Angelehnt an Wolfgang Amadeus Mozards suizidaler Figur „Papageno“ (aus dem Stück „Die Zauberflöte“), welcher durch drei Knaben an Alternativen zum Suizid herangeführt wird, und somit seine Krise überwinden kann (Tomandl et al. 2005).

Um diese Phänomene erklären zu können, referieren Psychologen, wie auch schon im Kontext von gewalthaltigen Filmen und Videospielen auf die soziale Lerntheorie von Bandura. Die mediale Darstellung bestimmter Verhaltensweisen erhöht Lern- und Imitationsprozesse, und somit auch suizidales Verhalten. Lernerfahrungen können kognitive Schemata verändern und entwickeln, und damit auch soziale Repräsentationen (Schmitz et al. 2003). Besonders im Kontext neuer Medien erlangen soziale Repräsentationen besondere Relevanz, und beschreibt wie mediale Botschaften „soziale Haltungen reflektieren und formen“ (nach Liebler et al. 2009). Medien sind demnach eine Form der Kommunikation, durch welche soziale Repräsentationen gebildet und geformt werden (Bauer und Gaskell 1999). Mediale Präsentation von mobbinggeleiteten Suizids kann besonders salient für Menschen sein, welche in Mobbing aktiv involviert sind, ein Phänomen, welches das „Frame Setting“ (deutsch: Rahmenbildung; Scheufele 1999) von Medien verdeutlicht. „Frame Setting“ durch Medien „Framing“ wird definiert als selektive Betonung bestimmter Informationen und Haltungen, mit dem Ziel eine bestimmte Haltung gegenüber des berichteten Themas zu fördern, und ist vor allem im Kontext massenmedialer Kommunikation relevant (Matthes 2014). Mit der Fülle an Informationen, denen ein Mensch täglich durch Massenmedien ausgesetzt ist, stellt das „Framing“ eine effektive kognitive Strategie dar, um Informationen zu filtern und sortieren (Geise et al. 2015). Dadurch übt Framing einen erheblichen Einfluss auf soziale Repräsentationen und menschliche Meinungsbildung aus.

Obwohl mediale Darstellung von Suizid dem real ausgeführten Suizid als Reaktion nicht kausal zugrunde liegt, so kann es doch die soziale Repräsentation fördern, dass Suizid als Lösung bestimmter Probleme angemessen oder sogar vorteilhaft ist. Dieser Suizid-Ansteckungseffekt kann unterstützt werden, indem Informationen über effektive Tötungsmethoden übermittelt werden, oder durch Informationen, welche die individuelle Inhibition den Suizid auszuführen, senkt (Jamieson et al. 2003). Evidenzen zeigen, dass besonders Individuen, welche zusätzlich aversiven Lebensumständen (negativen Ereignissen, wie z. B. Gewalt in der Schule oder im Elternhaus) ausgesetzt sind und bereits an Suizid denken, das größte Risiko haben durch suizidale Medienpräsentation den Akt tatsächlich auszuführen. Besonders vulnerabel sind außerdem Menschen, welche

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demografische Ähnlichkeiten zu den medial präsentierten Suizidopfern aufweisen (Gould et al. 2003). Da junge Menschen besonders anfällig für disinhibitorische Effekte sind, weisen suizidale Medienberichte ein ganz besonderes Risiko für die junge Altersgruppe auf (Bandura 2001). Neben der sozial-lerntheoretischen Perspektive, scheinen beim Suizid-Ansteckungseffekt auch Identifikationsprozesse eine große Rolle zu spielen. Eine Studie konnte aufzeigen, dass bei vulnerablen Menschen eine Erhöhung der suizidalen Tendenzen nach der Präsentation von Filmen, welche Suizid thematisierten, besonders stark dann nachgewiesen werden konnte, wenn die Menschen sich besonders gut mit dem gestorbenen Protagonisten identifizieren können (Till et al. 2005). > Je mehr Informationen über Suizid übermittelt werden, desto höher die

Wahrscheinlichkeit, dass gemeinsame Faktoren gefunden werden, welche die Identifikation mit dem Suizidopfer, und damit die Nachahmung, fördern. Nachahmungseffekte können sowohl durch reale Suizide in den Medien, als auch fiktionale Darstellung in Filmen provoziert werden. Die besonders gefährdete Gruppe ist jugendlichen Alters, mehreren negativen Lebensumständen ausgesetzt, und weißt bereits suizidale Tendenzen vor.

Aufgrund der wissenschaftlichen Evidenzlage für die Existenz eines Ansteckungseffektes bei Suiziden, wurden wissenschaftlich fundierte Richtlinien zur Mediengestaltung definiert, um potenzielle Nachahmungseffekte zu verringern (Tomandl et al. 2005). Richtlinien zum verantwortungsbewussten Medienbericht über Suizid (nach Tomandl et al. 2005) 5 Keine spektakulären Überschriften Vermeidung erhöhter Aufmerksamkeit durch Positionierung des Berichts auf der Titelseite oder durch spektakuläre Überschriften 5 Keine Details zur Person Vermeidung der genauen Beschreibung des Charakters, der sozialen Identität, oder des Umfeldes, die eine Identifikation erleichtern 5 Keine Details zur Suizidhandlung Vermeidung von Informationen über Hilfsmittel zum Suizid oder Orte der Suiziddurchführung, um Informationstransfer zu vermeiden 5 Keine vereinfachten Erklärungen des Suizids Vermeidung der Simplifizierung des Suizids durch eine oder wenige Ursachen 5 Keine Heroisierung, Romantisierung oder Glorifizierung Vermeidung der Ausblendung individueller Motive sowie der einseitigen Mythenbildung

Eine Evaluationsstudie in Österreich fand heraus, dass die Richtlinien nicht nur die Qualität der Berichterstattung verbesserten, sondern auch die Anzahl an Suiziden verringerten (Niederkrotenthaler und Sonnek 2007). Die inkonsistente Beachtung der Richtlinien bei der Berichterstattung von Suiziden, sowie Darstellung von Suiziden in Filmen ist insofern nachvollziehbar, als dass sich Angehörige meistens wünschen, dass die Suizidgeschichte empathisch und repräsentativ für den Verstorbenen dargestellt wird. Dies impliziert jedoch, dass die Präsentation besonders ausführlich und detailliert stattfindet (Chapple et al. 2013).

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Suizid von Franco Alonso Lazo Medrano Ein peruanischer, 23-jähriger Jugendlicher, begang 2017 einen versuchten Suizid, und starb wenig später im Krankenhaus. Franco hinterließ mehrere Audioaufzeichnungen, sowie eine Instruktion in Form eines Briefes, an wen die Aufzeichnungen nach seinem Suizid auszuhändigen seien. Empfänger der Aufzeichnungen seien nach Franco an seinem Wunsch zu sterben beteiligt gewesen (Joyce 2017).

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Die 2017 veröffentlichte Netflix-Produktion „13 Reasons Why“ zählt aktuell zu den am häufigsten gesehenen Serien (Waller et al. 2016) und ist ein gutes Beispiel für die Ignoranz medialer Darstellung von Suiziden. Die Serie handelt von der Figur Hannah Baker, welche Suizid begeht und 13 Audioaufzeichnungen an Menschen versendet, welche sie für ihren Wunsch ihr Leben zu beenden verantwortlich macht. In den Aufzeichnungen erklärt sie genau, wie jeder Einzelne sie zum Suizid gebracht habe. Hannah Baker war Mobbing in der Schule, sowie Cybermobbing, als auch schlimmsten Gewalttaten wie Vergewaltigung, zum Opfer gefallen. Die Veröffentlichung der Serie brachte viel öffentliche Kritik mit sich (Joyce 2017). Die Hauptkritikpunkte beziehen sich dabei, auf die Missachtung internationaler Leitlinien des medialen Umgangs mit Suizid, sowie verfälschte Botschaften durch fehlende Hilfe von Erwachsenen (Kümpel 2017). Missachtung internationaler Leitlinien für den medialen Umgang mit Suizid in „13 Reasons Why“ (nach Kümpel 2017): 1. 2. 3. 4. 5.

Protagonistin „Hannah Baker“ zu positiv und identifizierbar präsentiert Suizid als situativer Entschluss Detaillierte Inszenierung der Motive und Durchführung des Suizids Heroisierung des Suizids Suizid als einziger Ausweg und als Rache gegen Mitverantwortliche

Eine Studie konnte zeigen, dass am Tag der Veröffentlichung suizid-assoziierte Google Suchanfragen signifikant anstiegen (Ayers et al. 2017). Außerdem folgten in der Zeit nach der Serienausstrahlung mehrere Suizide, welche dem Profil von Hannah Bakers Suizid sehr ähnelten (Joyce 2017). Eine wissenschaftliche Studie (Zimmerman et al. 2018) fand eine direkte Assoziation zwischen der Reduktion selbstberichteten mobbingtypischen Aktivitäten, sowie suizidalen Idealisierungen und dem Schauen der Serie bei 21,062 Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren. Die Ergebnisse konnten zudem aufzeigen, dass über die Hälfte der Teilnehmer (65 %) zwei Wochen vor Serienbeginn depressive und suizidale Tendenzen aufwiesen. Diese depressive, suizidale Gruppe an Jugendlichen scheint sich demnach besonders von derartigen Serien angezogen zu fühlen. Obwohl fast 50 % der hoch-depressiven Jugendlichen über weniger suizidale Tendenzen nach der Serie berichteten, so wurde bei 21 % eine Erhöhung von Suizididealisierung nachgewiesen, also ein Ansteckungseffekt. Auch wenn die Serie offensichtlich positive Einflüsse auszuüben scheint, so lassen sich auch Suizid-Ansteckungseffekte bei besonders vulnerablen Gruppen wissenschaftlich bestätigen, welche folglich in ihrem suizidalen Vorhaben bedeutend gefördert werden könnten. Der Werther-Effekt nach Schauen der Serie bei besonders vorbelasteten Jugendlichen konnte zudem in anderen wissenschaftlichen Studien bestätigt werden (Hong et al. 2018).

71 Exkurs: Mediale Inszenierung von Mobbing – Zusammenhänge …

> Am Beispiel der Netflix-Serie „13 Reasons Why“ zeigt sich, dass vor allem

Jugendliche, welche bereits depressive und suizidale Tendenzen und sehr viele demografische Ähnlichkeiten zu der Protagonistin aufweisen (wie z. B. Opfer von Mobbing in der Schule), durch Exposition mit der Serie in einer potenziellen Suizidausführung gefördert werden. Auch für Jugendliche, welche keine Vorbelastung aufweisen, kann der Serieninhalt zu suizidalen Gedanken anregen.

4.5  Protektive Einflüsse gegen negative mediale Effekte auf

Mobbing

Digitale Präsentation gewalthaltiger sowie suizidaler Film- oder Videospielinhalte können Identifikationsprozesse mit sehr detailliert, identifizierbar und glorifiziert inszenierten Figuren bewirken, welche zum Unterhaltungswert der Medien beitragen. Diese Identifikationsprozesse wiederum spielen verstärkende Rollen für klassische Lernprozesse, vor allem bei Jugendlichen, welche besonders anfällig für einerseits Disinhibition und andererseits Selbstfindungsprozesse im Rahmen der Identitätsentwicklung sind. Identifikation steht im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Phänomenen des Aggressionslernens durch erhöhten Fernsehkonsum, sowie der Suizid-Ansteckung. Somit kann ein zu hoher Konsum von Fernsehen, Filmen und Serien, sowie besonders sensible Filminhalte, aggressives Verhalten gegen Mitschüler in Form von Mobbing zu zeigen, oder Bullycide auszuüben. Dieses Fazit würde implizieren, dass die Restriktion digitalen Mediengebrauchs die erzieherische Lösung ist, um potenzielle Mobbing- sowie Viktimierungsrisiken zu verhindern. Tatsächlich ermöglicht das Internet sowie digitale Medien jedoch so viele relevante Vorteile in verschiedenen Lebenskontexten, dass ein derartiger Ansatz als wenig nachvollziehbar erscheint. Dies wird zusätzlich durch den empirischen Befund unterstützt, dass das Verbieten von Mobiltelefonbesitz bei 283 Jugendlichen zwischen 9 und 22 Jahren, keinen Einfluss auf die Inzidenz von Cybermobbing und Viktimisierung hat (Pfetsch et al. 2009). Strenge Restriktion digitaler Medien führt demnach nicht dazu, dass Mobbing weniger stattfindet, oder Jugendliche weniger Gebrauch von Medieninhalten machen und sollte demnach nicht die Erziehungsmethode der Wahl sein. Stattdessen zeigten mehrere Studien, dass die Erziehung zu digitaler Medienkompetenz das Potenzial hat, viele negative Einflüsse von Medien auf Mobbing abpuffern (Müller et al. 2014). Kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit medialen Inhalten, sowie das regelmäßige Folgen und aktive Begleiten der Mediennutzung durch die Eltern können die beschriebenen negativen Konsequenzen von Medienexposition effektiv verhindern (Kunczik und Zipfel 2010). Medienkompetenz ist eine multidimensionale Disposition (instrumentell, kritisch, kreativ, ethisch und emotional) digitale Medien effektiv zu nutzen und reflektieren. Es bezeichnet eine wertebasierte Medienaktivität, vor dem Hintergrund sozialer Verantwortung. Ethische Medienkompetenz ist das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit zur digitalen interpersonellen Kommunikation, welche dem Gesetz und sozialen Normen entspricht (Müller et al. 2014).

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z Was könnte man als Elternteil also tun, um Medienkompetenz aktiv zu vermitteln?

Kunczik und Zipfel (2010) haben hierzu eine Übersicht mit Vorschlägen erstellt, welche der Orientierung zur medienkompetenten Erziehung dienen.

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5 Aktives Informieren und Begleiten über/der Mediennutzung des Kindes/ Jugendlichen 5 Kritische aber konstruktive Diskussion und Auseinandersetzung der medialen Inhalte zusammen mit dem Kind/Jugendlichen 5 Aktive Motivation dazu, die Gefühlzustande des Protagonisten nachzuempfinden und über Konsequenzen emotionaler Zustände zu reflektieren

5 Das Engagement von Eltern, Konversationen mit Kindern über Internetseiten oder Filmdarstellungen, deren Herkunft, Inhalt und möglichen Risiken zu betreiben, reduziert nicht nur das Risiko Opfer von Mobbing zu werden, sondern auch, wirksam negative Konsequenzen von Gewaltdarstellung zu modellieren (Zemp und Bodemann 2015) 5 Bei jüngeren Kindern (5–8 Jahre) scheint vor allem evaluative Mediation (emotionale und wertevermittelnde kritische Kommentare der Eltern) den stärksten Puffereffekt auszuüben, während Jugendliche (9–12 Jahre) eher dazu angeregt werden sollten, über das dargestellte Gewaltverhalten zu reflektieren, und Eltern dazu motivieren sollten, sich in die Gefühlslage de Protagonisten zu versetzten und Fragen zu stellen (Nathanson und Yang 2003) 5 Die „National Association of School Psychologists“ (NASP) rät Eltern dazu, Jugendliche, vor allem solche, die bereits unter Mobbing zu leiden haben, die Serie „13 Reasons Why“ nicht alleine zu schauen. Wenn Eltern gemeinsam mit ihren Kindern die Serie schauen, so kann ein sehr wertvoller und lehrreicher Diskurs angeleitet werden, welcher Jugendlichen die Möglichkeit bietet, negative Folgen von Mobbing besser zu verstehen, als dass Nachahmungseffekte ausgeübt werden. In diesem Rahmen sollten Eltern jedoch immer auf professionelle Hilfe verweisen, und deren Kompetenz, sowie dass Bullycide niemals die Alternative sein sollte. Aufstellen zeitlich und inhaltlich limitierender Regeln des Medienkonsums im Elternhaus, nur nach Absprache und Einigung mit dem Kind oder Jugendlichen (Zemp und Bodemann 2015) 5 Zeitliche Regeln über die Fernsehnutzung reduziert nachweislich den Konsum von Fernsehen, wohingegen das Verbot bestimmter Fernsehinhalte alleine keinen ­direkten Einfluss auf den Fernsehkonsum der Kinder hat. Die Kombination beider Regeln führt dazu, dass Kinder eher positive Verhaltensweisen von Filmfiguren ­imitieren, und ist daher am ehesten zu empfehlen, aber nur für Kinder unter 6 Jahren (Vandewater et al. 2005) 5 Strenger Entzug oder Feststellungen von Fernsehinhalten durch die Eltern können zu belehrend wirken, und haben keinen Einfluss auf Mobbinginzidenz (Zemp und Bodemann 2015). Daher ist zu einer gemeinsamen Einigung über Mediennutzung im Haushalt zu raten.

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Zusätzlich wird geraten, dass im Schlafzimmer der Kinder keine Medienapparate aufgestellt werden (Zemp und Bodemann 2015). Belegt ist, dass die Platzierung der Mediengeräte, in gemeinsam genutzten Räumen, keinen Einfluss auf das Risiko hat, online viktimisiert zu werden. Dieser Effekt wird dadurch erklärt, dass Kinder im Stande dazu sind, mediale Aktivität gut vor den Eltern zu verstecken. Dies könnte außerdem Hinweise darauf geben, dass jegliche Form der zu strengen Restriktion eher fördert, dass Kinder digitale Aktivitäten geheim ausüben, anstatt sie mit ihren Eltern in kritischer Auseinandersetzung und Modellierung zu teilen (Mesch 2009). Im Gegensatz zu restriktiven Erziehungselementen scheint elterliche Mediationin der Medienerziehung sich als vorteilhaft zu erweisen Mediation umfasst Techniken, welche das Kind dazu anregen, über Konsequenzen von Gewalt und Aggression nachzudenken, sowie die Perspektive des Opfers zu übernehmen, indem das Elternteil das Kind aktiv dazu auffordert, über Gedanken und Gefühle des Opfers nachzudenken und diese zu beschrieben, aber auch, wenn Elternteile sich negativ über Gewaltäter und Gewaltausübung vor dem Kind äußern (Nathanson und Cantor 2000). Positive Bewertung und Wahrnehmung der familiären Interaktion (sowohl von Kindern als auch von Eltern) waren in einer deutschen Studie mit weniger kindlichem Mediengebrauch assoziiert (Schaan und Melzer 2015). Es ist ineffektiv versuchen zu wollen, Jugendliche und Kinder die Mediennutzung zu entziehen. Stattdessen scheint sich ein auf regelmäßigen Kontakt und emotionale Reflektion, sowie kritischen Diskurs konzentrierte Erziehung am stärksten auf die Reduktion negativer Konsequenzen von medialen Inhalten auszuwirken. Im Sinne der Modellierung sozialer Lernprozesse zeichnen sich auch in der medialen Prävention von Mobbingentstehung und Mobbingfolgen die wichtigsten Grundsätze der Lernpsychologie ab (Bandura 1965).

Dieses Kapitel zeigt nur im Ansatz, wie komplex und frühzeitig der Einfluss digitaler Medien ist. Es sollte abschließend betont werden, dass die wissenschaftliche Debatte um den negativen Einfluss von gewaltsamen, sowie suiziddarstellenden Medieninhalten immer noch aktuell ist. So gibt es einige Wissenschaftler, welche den Standpunkt vertreten, dass gewalthaltiger Medienkonsum vielmehr ein Symptom als ein kausaler Faktor von Aggression ist (Ferguson und Kilborn 2009) und dass Serien wie „13 Reasons Why“ die Suizidtendenzen verringern können (im Sinne des Papageno Effektes) und Jugendliche eher zum Austausch über suizidrelevante Themen wie Mobbing anregen, anstatt Ansteckungseffekte auszuüben (Hong et al. 2018). Zudem ist zu unterstreichen, dass mediale Seriendarstellungen nicht ausschließlich negative Lerninhalte präsentieren. So gibt es sehr aktuelle, beliebte Netflix-Serien, welche öffentlich für ihre positive politische Haltung sehr gelobt werden. Netflix-Serie „Sabrina“ Die Neuverfilmung der Original-Sitcom aus den Neuzigern wird als „Inbegriff der Evolution amerikanischer Teenieserien“ dargestellt. Die feministische Hauptfigur „Sabrina“, ist halb-Hexe und halb-Mensch, welche sich in ihrer Schule aktiv gegen Mobbing einsetzt, durch die Einrichtung eines Frauen-Klubs, in aktiver

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Zusammenarbeit mit einer Lehrerin der Schule. Nebenbei kämpft sie anti-patriarchisch gegen religiösen Fanatismus, und ein Ritual des Satanismus, bei dem ihr freier Wille Satan geopfert werden soll. Homosexualität sowie die schwarze Hautfarbe kommen nicht mehr nur variablen Nebencharakteren zu, sondern sind Teil zentraler Figuren, welche sich weder dafür outen müssen, noch in Konflikte aufgrund ihrer Sexualität oder Hautfarbe geraten. Trotz kritischen Gewaltdarstellungen, bietet die Serie die Thematisierung von Feminismus und modernen politischen Themen, welche bisher kaum eine Darstellung in Serien oder Filmen fand (Belopolsky 2018).

Vor dem Hintergrund der immer beliebter werdenden Streaming-Portale, sowie der hohen Beliebtheit von Serien, ist es wichtig, dass sich Eltern und Lehrer aktiv mit dem aktuell beliebtesten medialen Einfluss auf Kinder und Jugendliche beschäftigen, vor allem, wenn man bedenkt, dass elterliche Modellierung protektive Einflüsse ausüben. So ist eine ethisch-kompetente Integration digitaler Medien in den, künftig noch stärker, von Medien bestimmten Alltag der Menschen und vor allem Jugendlichen als eine moderne erzieherische Hauptaufgabe zu betrachten.

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Mobbing – ein Gruppenphänomen? Nora Wilde 5.1 Die Mobbingrollen – 81 5.2 Der Mobber – 82 5.3 Der Machiavellistische Mobber – 83 5.4 Das Opfer – 84 5.5 Die Täter-Opfer – 86 5.6 Weitere Rollen – 86 5.7 Die Rolle des Lehrers – 88 5.8 Geschlechter Unterschiede in den Mobbingrollen – 88 5.9 Mobbingrollen in verschieden Altersgruppen – 91 5.10 Mobbingrollen in verschiedenen Schulformen und Klassengröße – 92 5.11 Zusammenfassung – 93 Literatur – 95

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_5

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Mobbing ist eine spezifische Form aggressiven Verhaltens, das in festen, nicht selbst gewählten Gruppen, stattfindet (Schäfer und Korn 2004b). Es entsteht durch die eine starre Gruppenzusammensetzung, die kein ausweichen ermöglichen (Smith 1994). Dies ist unter anderem der Fall: unter Erwachsenen, am Arbeitsplatz (Zapf et al. 1996), beim Militär, in Gefängnissen (Ireland und Archer 1994) und in Schulklassen (Smith und Brain 2000). Beim Mobbing attackiert der Täter systematisch, psychisch oder physisch, eine schwächere Person, über einen längeren Zeitraum hinweg (Olweus 1991). Ziel des Mobbers ist die Demonstration seiner Macht gegenüber der Gruppe (Schäfer und Korn 2004b). und dadurch die Aufwertung des eigenen sozialen Status. Zuerst scheint dieser Prozess eine dyadische Interaktion zwischen Mobber und Opfer zu sein. Mobbing ist jedoch ein Gruppenphänomen mit mehr als nur zwei Akteuren (Salmivalli et al. 1996). Es ist ein Prozess der im Kollektiv stattfindet und nur durch soziale Beziehungen überhaupt möglich wird (Björkqvist et al. 1982). Die asymmetrische Interaktion zwischen Täter und Opfer wird direkt durch die Interaktionsstruktur der Gruppe beeinflusst (Arora und Cason 1996; Olweus 1993). Basierend auf dem von Salmivalli et al. (1996) entwickelten „Participant Role Approach“, einem Verfahren ­ zur Erfassung von Rollen beim Mobbing, konnten neben Tätern und Opfern noch folgende Rollen bestimmt werde: Assistenten der Täter, Verstärker der Täter, Verteidiger des Opfers und Außenstehende gibt. Dieses Verfahren ist seitdem von verschiedenen Forschergurppen bestätigt worden und ermöglicht eine distinkte Rollenzuweisung für neun von zehn Mitschülern (Sutton et al. 1999; Schäfer und Korn 2004a). Mobbing wird somit als Agression einer Gruppe verstanden (Pikas 1975), dessen Auftreten in gesetzen sozialen Gefügen in verschiedenen Studien nachgewiesen werden konnte (Pepler und Craig 1995; Salmivalli et al. 1996; Sutton und Smith 1999). Mobbing tritt meist dann auf, wenn in einer Gruppe die soziale Kräfte nicht geklärt sind (Schäfer und Korn 2004b). Ein Beispiel dafür ist, wenn nach dem Schulwechsel auf einer weiterführenden Schule Klassen zusammen gesetzt werden. In den entstandenen Gruppen werden sich hierarchische Strukturen bilden. Dabei kann es dazu kommen, dass nach Dominanz strebende Kinder ihnen unterlegene Mitschüler schikanieren, um so die soziale Macht in der Gruppe zu gewinnen. Der Erfolg dieses Vorgehens hängt von den sozialen Strukturen und Normen der Klasse ab. Eine Möglichkeit ist, die Mitschüler lehnen das agressive Verhalten des Mobbers ab und die Schikanen stoppen. Bei dieser Möglichkeit nimmt der Mobber (zumindest zeitweise) einen niedrigen sozialen Status ein. Im Gegensatz erlangen die Verteidiger aufgrund ihres prosozialen und freundlichen Verhaltens einen hohen sozialen Status (Coie et al. 1990). Die vorherschenden Normen können sich jedoch auch zugunsten des Mobbers wandeln. Dadurch ensteht eine Dynamik in der sich das Mobbing manifestiert. Dieser Prozess wird im Drei-Stufen-Modell beschrieben, welches folgende drei Stadien unterscheidet: die Erforschung, die Festigung und die Manifestation. Die Reaktionen und Interaktionen der Gruppe prägen die einzelnen Phasen. > Merke

Mobbing ist kein dyadischer Prozess zwischen Opfern und Tätern, sondern ein Gruppenphänomen.

z Entstehung von Mobbingrollen in Phasen

Im ersten, sogenannten Explorations Stadium, sucht der Mobber nach einem Opfer. Dabei attakiert er Mitschüler, verbal oder physich, bei denen er den geringsten

81 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Widerstand vermutet (Alsaker 2004), und wartet die Wirkung ab. Die Taktik, die der Mobber dabei einsetzt, hängt von seinen Persönlichkeitsmerkmalen, die durch seine Sozialisation geprägt sind, ab (Olweus 1978). Mobber sind sich ihrer Taten bewusst, denn sie haben schon in frühen Jahren gelernt, mit agressivem Verhalten Erfolg zu haben (Schäfer und Korn 2004b). Sie setzen ihre Attacken gezielt ein, um ihre Machtposition zu stärken (Unnever 2005). Durch seine Erfahung kann der Mobber mögliche Opfer meist schnell ausmachen (Schäfer und Korn 2004b). Zu Anfang können die anderen Mitschüler die Schikanen des Mobbers nicht verstehen und bewerten sie eher negativ (Boulton und Underwood 1992). In der zweiten Stufe, dem Konsilidierungsstadium, entscheidet sich das Schicksal des Mobbingopfers. Der Täter führt die systematische Schikane fort, indem er bewusst die Schwächen des Opfers angreift. Mit diesem Vorgehen versucht der Mobber, die soziale Stellung des Opfers zu schwächen und seine eigene aufzuwerten. An diesem Punkt ist das Verhalten des Klassenverbandes entscheidend. Wenn sich die Klasse hinter das Opfer stellt und deutlich macht, dass sie das Verhalten des Mobbers missbilligen, kann sich dessen Rolle als solches nicht etablieren. Die Mitschüler schützen jedoch nur dann das Opfer, wenn sie ihre eigene Stellung nicht gefärdet sehen ­(Schäfer und Korn 2004a). Andernfalls kommt es zum Wandel der bisherigen Normen und die Klasse lehnt das Opfer ab (Smith und Brain 2000). Das bewusste Schikanieren von Mitschüler mit niedrigem sozialem Status (Sutton und Smith 1999), steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitschüler das Opfers statt den Täter ablehnen (Schäfer und Korn 2004b). Im letzten Stadium, der Manifestation, wird der schikanierte Schüler irreversible als Opfer stigmatisiert. Dem Täter ist es gelungen, die Normen der Klasse zu manipulieren und sie davon zu überzeugen, dass das Opfer die Attacken auf sich provoziert (Smith und Brain 2000). Die Klasse hat somit in gewisser Weise dem Mobber die Bestimmung der sozialen Normen überlassen (Schäfer und Korn 2004b). Die Mitschüler akzeptieren mehrheitlich das Verhalten des Mobbers als Normgerecht (Salmivalli und Voeten 2004). Im laufe der Zeit wird der soziale Status des Opfers immer schwächer, wohingegen die soziale Position des Mobbers sich verbessert und seine Macht zunimmt (Sutton und Smith 1999). In diesem Stadium des Mobbingprozesses, wird das Opfer statt des Täters negativ wahrgenommen. Die Attacken des Mobbers werden legitimisiert (Schäfer und Korn 2004b). Die Rolle des Opfers hat sich manifestiert, es ist zunehmend sozial isoliert und ist in eine „Abseitsposition“ gedrängt. 5.1  Die Mobbingrollen

Wir haben in den letzten Abschnitten Mobbing als Gruppenphänomen kennengelernt und auch schon die einzelnen Rollen benannt. Im Folgenden werden diese genauer betrachtet. Eine Rolle ist laut Zimbardo (1995): „ein sozial definiertes Verhaltensmuster, dass von einer Person, die eine bestimmte Funktion in einer Gruppe hat, erwartet wird“. In einer Studie von Salmivalli et al. (1996) konnten 88 % der Schüler eine Mobbingrollen zugewiesen werden (siehe . Tab. 5.1). Diese Ergebnisse konnten für England und Deutschland repliziert werden (Sutton und Smith 1999; Schäfer und Korn 2004a; Kulis 2001). Diese hohen Zahlen lassen sich dadurch erklären, dass ein Großteil der Klasse Mobbingepisoden miterlebt (Hawkins et al. 2001).

5

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. Tab. 5.1  Soziale Rollen, Verteilung und Funktion der am Mobbing beteiligten Personen

5

Rolle

Auftretenshäufigkeit*

Funktion

Täter

8,2 %

Aktiv, initiiert Mobbing, nimmt Führungsposition ein, bringt andere dazu, mitzumachen

Assistenten des Täters

6,8 %

Aktiv-unterstützend, nehmen aber keine Führungsposition ein

Verstärker des Täters

19,5 %

Wenig aktiv, verstärken und ermutigen Täter durch Lachen, Klatschen, Jubeln etc

Opfer

11,7 %

Ziel der Angriffe (keine Rolle per se)

Verteidiger des Opfers

17,3 %

Aktiv-unterstützend, versuchen Opfer zu schützen und zu trösten, versuchen Mobbing zu stoppen

Außensteher

23,7 %

Greifen nicht aktiv ein, ignorieren Mobbing-Situationen, ergreifen keine Partei

Daten von Salmivalli et al. (1996); 12,8 % der Schüler konnte keine eindeutige Rolle zugewiesen werden

> Mögliche Funktion von Mobbing

Das gemeinsame Ausgrenzen einer Person stärkt den Klassenzusammenhalt und kann sozusagen als „zusammenführendes Ausgrenzungsritual“ angesehen werden (Markert 2007).

5.2  Der Mobber

Einer der Hauptakteure beim Mobbing sind die Täter. Sie übernehmen beim Mobbing die Führungsrolle (Salmivalli et al. 1996), denn sie ergreifen die Initiative einen Klassenkameraden, physisch und/oder psychologisch, systematisch über einen längeren Zeitraum zu schikanieren. Mobbing ist immer eine proaktive (selbstinitiierte) Form der Aggression, die durch das Streben nach Dominanz und Macht motiviert ist. Es kann einen einzelnen Mobber geben. Häufig sind jedoch mehrere Täter am Mobbing beteiligt. Es kann jedoch auch vorkommen, dass es keine Leitfiguren im Mobbingprozess gibt. In so einem Fall agiert die Gesamte Gruppe als Täter. Mobber zeichnen sich im Allgemeinen durch eine aggressive Persönlichkeit aus, die sich im Laufe der Sozialisation manifestiert hat (Schäfer und Korn 2004a). Es sind Personen mit wenig Selbstkontrolle und Empathiefähigkeit (Jannan 2010). Sie fallen häufig negativ auf, da sie impulsiv und dominant sind (Olweus 1978). Ihre positive Einstellung gegenüber Gewalt führt häufig im Laufe ihres Lebens dazu delinquent zu werden (Alsaker 2004). Durch Mobbing versuchen sie ihr geringes Selbstwertgefühl aufzuwerten und sich mächtig zu fühlen (Jannan 2010). Deshalb suchen sie sich Opfer aus, die ihnen körperlich und/oder verbal unterlegen sind. Die Ursachen dafür könnten ein zuneigungsarmes und/oder dominantes Elternhaus sein. Auch möglich wären aggressive Vorbilder oder Gewalt zwischen den Eltern, die den Schüler zum Täter werden lassen.

83 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Die Experten sind sich über diesen Erklärungsansatz jedoch uneins. Nimmt hier die Position ein, dass es sich um ein veraltetes Konstrukt handelt, welches auf einen Großteil der Mobber nicht zutreffe. Sie argumentiert, Täter müssten eine gute Wahrnehmungsfähigkeit haben um ihre Opfer auszuwählen. Weitere Kollegen nehmen an, dass Mobber über eine gute „Theorie of Mind“ verfügen (Sutton et al. 1999) und nicht weniger sozial intelligent sind als Altersgenossen (Kaukiainen et al. 1999). Des Weiteren brauchen sie manipulative Fertigkeiten um ihr aggressives Verhalten in der Gruppe zu legitimieren. Diese erlernen sie in einem Elternhaus, in dem sich die Eltern bewusst mit ihren Kindern auseinandersetzten. Somit wird der Mobber eher als kühl und manipulativ gesehen, der seine soziokognitiven Fähigkeiten nutzt um Mobbing zu initiiert. Er hat schon früh in seiner Sozialisation gelernt, dass aggressive und dominante Strategien erfolgsversprechend sind, um die eigenen Ziele zu erreichen. Es gibt jedoch noch einen weiteren Erklärungsansatz. Für diesen wird die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung Crick und Dodge (1996) herangezogen. Sie erklärt die Entstehung von Gewalt und Aggression durch eine Abfolge kognitiver Prozesse. Laut dieser Theorie durchlaufen wir folgende Stadien als Reaktion auf ein potenziell aggressionsauslösendes Ereignis: Dekodierung, Interpretation, Reaktionssuche, Entscheidung für eine Reaktion und Umsetzung (Crick und Dodge 1996). Basierend auf dieser Theorie argumentieren Essau und Conrad (2004), dass Mobber Kinder sind, die dazu tendieren, anderen ausgesprochen häufig feindliche Absichten zuzuschreiben, insbesondere in uneindeutigen Situationen. Sie sehen ihre Opfer als „gefährliche“ Menschen an, die es verdienen, dass man im Umgang mit ihnen Gewalt anwendet (Essau und Conrad 2004). Dem zufolge sind Mobber Kinder, welche in sozialen Interaktionen ihre Aufmerksamkeit selektiv auf Reize richten, die sie als Feindseligkeit wahrnehmen. Selbst dann, wenn sich andere ihnen gegenüber uneindeutig oder freundlich verhalten. 5.3  Der Machiavellistische Mobber > Merke

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Charakteristika und das Verhalten von Mobbern: 1. Mobben um geringes Selbstwertgefühl aufzuwerten 2. Nutzen gute soziale Fähigkeiten um zu mobben da sie gelernt haben, dass aggressives Verhalten erfolgsversprechend ist 3. Mobben aufgrund von selektiver Reizwahrnehmung, aufgrund dessen sie andere schnell als feindlich wahrnehmen

Trotz Unstimmigkeiten über die Charakteristiken von Mobbern, ihrer Kognition und die Ursachen für deren Verhalten, gibt es einen markanten, klar definierten, Tätertypen: den machiavellistischen Mobber. Sie wirken auf Außenstehende (z. B. Lehrer) unbedenklich, sind freundlich, sozial kompetent und meist intelligent. Ihre Taten bleiben oft unentdeckt, weil sie besonders geschickt sind, diese vor Lehrern und Eltern versteckt zu halten. Sie schaffen es andere, insbesondere Autoritäten, über ihren Charakter zu täuschen, da sie häufig redegewandt und charmant sind. Deshalb sind sie eher beliebt in ihrem Umfeld. Somit schaffen sie es, ihre Potenziale zu entwickeln, Karriere zu machen und sind häufig in Führungspositionen wieder zu finden. Sobald sie sich

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jedoch unbehelligt von ungewollten Zuschauern wähnen, verändern sie ihr Verhalten grundlegend. Sie attackieren ihre Opfer mit besonderer Härte und Skrupellosigkeit, da es ihnen an Empathievermögen und Moral fehlt (Jones und Paulhus 2009; Wastell und Booth 2003; Al Aïn et al. 2010). Sie schaffen es andere zu manipulieren und als Assistenten zu instrumentalisieren, manchmal ohne, dass diese sich dessen bewusst sind. Machiavellistische Mobber sind jedoch weniger verbreitet als gewöhnliche Mobber. Fallbeispiel: Der Machiavellistischen Mobber

5

Wie geht es weiter? – der Machiavellist im Management Herr U. machte Karriere bei einem mittelständischem Unternehmen. Dabei war er beim oberen Management als charmanter und unterhaltsamer Arbeitskollege geschätzt. Insbesondere mit dem ersten Geschäftsführer, Herrn B., suchte und pflegte er eine enge Beziehung. Privat gingen sie gemeinsamen Interessen nach, wie dem Besuch von Spielen des lokalen Fußballvereins. Auch bei der Arbeit bestärkte und bestätigter Herr U. Herrn B. in seiner Strategie und bei Einzelentscheidungen stets. Während andere Kollegen auch mal konstruktive Kritik übten, war Herr U. immer darauf bedacht, Herrn B. nach dem Mund zu reden. So wurde er mit dessen Hilfe sein Nachfolger. Nachdem Herr U. jedoch sein Ziel, die Übernahme der Geschäftsführung, erreicht hatte zeigte er, wie für den Machiavellisten üblich, unverzüglich seine andere Seite. Er schöpfte alle Möglichkeiten aus, um seinem Vorgänger und Mentor rechtswidriges und vor allem unehrenhaftes Verhalten nachzuweisen. Des Weiteren benachteiligte er alle ehemaligen Vertraute von Herrn B. ohne Skrupel und mobbte sie systematisch aus dem Betrieb oder nötigte sie, mittels hinterhältigen Methoden zur Kündigung. Dieses Verhalten lässt sich mit der Sorge von Herrn U. erklären, den Vergleich mit dem ehemaligen Vorgesetze und seinen Managementkollegen nicht bestehen zu können. Aus Angst vor Widerspruch oder Menschen mit erkennbar höherer Kompetenz bereinigte Herr U. er sein Umfeld um nur noch von Marionetten umgeben zu sein.

5.4  Das Opfer

Bei den Opfern gibt es zwei, sich gegenüberstehende, Theorien. Die eine besagt es gibt bestimmte Charakteristika von Opfern (Olweus 1991; Schäfer 1996; Schäfer und Korn 2004b). Diese unterscheidet zwischen zwei Typen von Opfern: die passiven und die provozierenden Opfer (Jannan 2010). Die andere Theorie wiederum glaubt das statt bestimmten Merkmalen werden Kinder willkürlich zum Opfer gemacht. Ihnen wird somit die Rolle auferlegt. Laut Unterstützern der Charakteristiken Theorie, unterscheidet sich das passive Opfer oftmals physisch von seinen Mitschülern, es ist entweder schwächer, übergewichtig oder anderweitig körperlich auffällig. In seinem Auftreten ist es eher still und zurückhaltend. Diese Kinder stammen oftmals aus einem überbehüteten Elternhaus (Jannan 2010). Sie sind tendenziell ängstlich, unsicher und haben nur ein geringes Selbstwertgefühl. Übergriffen setzen sie nichts entgegen, sondern ziehen sich zurück und weinen.

85 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Das provozierende Opfer weißt eine Kombination von ängstlichen und aggressiven Verhaltensmustern auf (Olweus 1995). Ihr Verhalten ist durch Symptome von Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen geprägt, wodurch sie in ihrem sozialen Umfeld nicht selten für Ärger und Spannungen sorgen und negative Reaktionen hervorrufen. Im Gegensatz zum passiven Opfer drängt es sich in den Vordergrund und fällt auf. Seine Persönlichkeit hat eine Tendenz zum Exzentrischen. Sie versuchen mit den Mitschülern in Beziehung zu treten, erfahren jedoch Ablehnung (Train 1998). Im Allgemeinen kann das Opfer jedoch als ein Kind beschrieben werden, welches sich nicht wehren kann, da es nicht sehr stark ist und sich fürchtet, einem Lehrer oder jemand anderem von den Übergriffen auf sich zu erzählen. Schon vor dem Mobbing hat es eine eher geringere soziale Rolle in der Klasse, was der Mobber ausnutzt um seine Machposition auszubauen (Schäfer und Korn 2004b). Durch die Auswahl von Opfern mit geringem sozialem Status minimiert der Täter die Gefahr, von den Mitschülern aufgrund seines aggressiven Verhaltens abgelehnt zu werden (Sutton et al. 1999). Die andere Theorie basiert auf der Annahme, dass Schülern willkürlich die Rolle des Opfers zugeteilt wird. Lagerspetz et al. (1982) argumentieren, dass das Problem des Opfers nicht ist, das ihm Fähigkeiten fehlen, sich angemessen zu wehren. Sondern, dass das Problem ist, dass es eine Rolle zugeteilt bekommt, die zugleich die Basis für mehr und mehr Viktimisierung darstellt.” Das bedeutet, dass jeder Schüler ein Opfer werden kann. Es gibt empirisch Hinweise darauf, dass personale Merkmale der Opfer durch interpersonale Merkmale moderiert werden und nicht Introvertiertheit oder physische Schwäche Auslöser für die Opferrolle sind (Hodges et al. 1997). Auch Jannan (2010) argumentiert, dass es keine Merkmale gibt, die Menschen automatisch zum Opfer werden lassen. Stattdessen machen die Mobber aus einem Mitschüler ein Opfer. > Merke

Es gibt zwei, sich gegenüberstehende, Theorien zur Rolle des Opfers: 1. Es gibt bestimme Charakteristiken die Opfer haben, die sie vulnerable gegenüber Mobbern machen 2. Opfer haben keine einheitlichen Merkmale. Ihnen wird die Rolle zugewiesen.

Die Attacken des Täters manipulieren die Wahrnehmung der Mitschüler so, dass sie auf das Opfer bekannte Schemata, wie zum Beispiel das des Verlierers, übertragen. Durch systematische Wiederholung der Attacken wird eine Reaktion des Schülers provoziert, in dem sich seine Rolle als Opfer manifestiert (Fiske und Morling 1995). Das Opfer wird in eine Rolle gedrängt („role taking“) während der Mobber seine Machtposition ausbaut („role making“) (Turner 1986). Das Opfer selbst kann wenig an seiner Situation ändern. Auf Basis dieses Verständnisses von Mobbing ist eine individuumszentrierte Therapie bei Mobbingopfern wenig erfolgversprechend. Stattdessen sollten sich Interventionen mit der sozialen Dynamik innerhalb der Klasse beschäftigen. Erkennungsmerkmale von Mobbing Opfern (Scheithauer et al. 2003) 5 Verletzungen am Körper, zerrissene oder schmutzige Kleidung, die auf Kämpfe hindeuten 5 Wiederholte Beschwerden darüber, dass Eigentum entwendet wurde 5 Beim Essen oder in den Pausen oft allein

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5 5 5 5 5 5 5 5

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Wird bei Lern- oder Arbeitsgruppen eher gemieden Verhält sich ängstlich, unsicher, hilflos Wirkt unglücklich, deprimiert Plötzlicher Leistungsabfall bei schulischen Leistungen Wiederkehrende Bauchschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühl Plötzlich ansteigende Fehlzeiten in der Schule Angst vor der Schule Erhält keine Einladungen zu Kindergeburtstagen und anderen Veranstaltungen

5.5  Die Täter-Opfer

Es gibt eine Mischform der beiden Hauptbeteiligten des Mobbings, die Täter-Opfer. Diese Rolle ist nicht in der klassischen Einteilung nach Salmivalli et al. (1996) zu finden und wird in der Regel in wissenschaftlichen Studien nicht berücksichtig. Es sind Schüler, die selbst unter Mobbing leiden oder gelitten haben, die sich ein Opfer suchen, um es zu schikanieren und zu attackierten. Häufig wird ein Opfer erst nach einer gewissen Zeit zum Täter, wenn es sozusagen die „Nase voll hat“. Entweder lädt es angestaute Aggressionen dann bei einem anderen Mitschüler ab oder wird zum Täter um selbst nicht mehr der Schwache zu sein. Diese Opfer tun anderen das an was ihnen selbst angetan wurde. 5.6  Weitere Rollen

Wie schon zuvor erwähnt, ist Mobbing kein dyadischer Prozess, sondern ein Gruppenphänomen. Weitere Beteiligte und ihre Rollen sind von wesentlicher Bedeutung zum Verständnis Mobbing. Erst durch das Mitwirken der Klassenkameraden kann sich das Mobbing entwickeln und über die Zeit überdauern. Mitschüler die aktiv das Mobbing bestärken, nehmen die Rolle von Assistenten ein. Als solche greifen sie in das Geschehen ein, indem sie zum Beispiel das Opfer während einer Attacke festhalten. Ihnen wird ein hoher sozialer Status aber nur mäßiger Einfluss zugeschrieben (Schäfer und Korn 2004b; Kulis 2001). Assistenten machen 7 % der Mitschüler aus (Salmivalli et al. 1996). Eine weitere Rolle, die das Mobbing bestärkt, ist die des Verstärkers. Diese Mitschüler unterstützen die Täter jedoch nicht aktiv sondern passiv. Sie bieten dem Mobber ein Publikum, indem sie die Mobbingsituation aufsuchen, ihr zuschauen und über das Geschehen lachen oder es kommentieren (Alsaker 2004). Die Verstärker sind beliebte Mitschüler, ohne starken sozialen Einfluss (Schäfer und Korn 2004a). Eine relativ große Gruppe, knapp 20 % der Klasse, machen die Verstärker aus (Salmivalli et al. 1996). Den zwei Mobbing bestärkenden Rollen stehen die Verteidiger gegenüber. Diese Mitschüler sind in der Klasse besonders beliebt, allerdings nur mäßig einflussreich (Schäfer und Korn 2004a; Kulis 2001). Sie versuchen, manchmal die Übergriffe zu stoppen oder trösten das Opfer. Trotz ihres relativ großen Anteils von 17 % (Salmivalli et al. 1996), ist das Eingreifen von Verteidigern jedoch nur selten erfolgreich (Alsaker 2004).

87 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Exkurs: Verteidiger verstehen Laut einer Arbeit von Schäfer (1996) ist knapp die Hälfte der Schüler der Überzeugung, dass etwas gegen Mobbing getan werden sollte. Sie bleiben jedoch selber meistens inaktiv, denn es braucht eine Person mit Mut und Zivilcourage um bei Mobbing einzugreifen. Das bestätigt auch eine Studie von Hawkins et al. (2001). Diese fand, dass nur 19 % der Mitschüler eingreifen, wenn sie eine Mobbingsituation miterleben. Der größte Teil mischt sich nicht ein, aus Angst selbst zum Opfer zu werden (Schäfer und Kulis 2000). Doch wovon ist es abhängig, ob eine Person jemandem Hilft? Das kann durch verschieden Modelle erklärt werden. Eines ist das Modell zur Hilfeleistung von Latané und Darley (1976), welches aus Folgenden fünf Stufen besteht: 1. Die Notsituation wahrnehmen 2. Die Notlage erkennen 3. Sich persönlich verantwortlich fühlen 4. Wissen was zu tun ist 5. Sich für eine Form von Hilfe entscheiden In einem Klassenverband wird Mobbing im Normalfall wahrgenommen und auch als solches erkannt. Wie zuvor beschrieben, hadern Schüler jedoch aus Angst selbst zum Opfer zu werden. Zudem kann aber auch fehlendes Verantwortungsgefühl oder zu wenig handlungsrelevantes Wissen, die Ursache für unterlassene Hilfe sein. Bierhoff (2002) formulieren folgende Faktoren die eine Person zum Helfen motivieren können: 1. Ichbezogene Faktoren – Eigenschaften des Helfers: Empathievermögen und Gerechtigkeitssinn – Hilfe fördernde Wertehaltung, Persönlichkeitseigenschaften und Handlungskompetenzen – Selbstbewusstsein 2. Personenbezogene Faktoren – Positive Beziehung zwischen Opfer und Helfendem – Familiäre Verbindung 3. Situationsbezogenen Faktoren – Erwartung einer Belohnung – Verantwortungsgefühl – mit zunehmender Anzahl möglicher Helfer, sinkt die Bereitschaft selbst aktiv 4. Kontextbezogene Hilfe – Hilfe bestätigende soziale Werte und Normen

Das letzte Drittel der Klasse machen die Außenstehenden aus (Salmivalli et al. 1996). Diese Schüler verhalten sich neutral und beteiligen sich weder aktiv noch passiv am Mobbing. Im Gegensatz zu den Verstärkern vermeiden oder ignorieren sie Mobbingsituationen. Trotz ihrer oberflächlichen Unwissenheit glauben Schäfer und Korn (2011), dass gerade sie eine wichtige Rolle spielen könnten. Ihnen werden gut ausgeprägte sozio-kognitive Fähigkeiten zugeschrieben, durch welche sie einen positiven Einfluss auf das Mobbing ausüben könnten.

5

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5.7  Die Rolle des Lehrers

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Der Lehrer als solches ist keine Mobbingrolle, sondern er nimmt eine Rolle ein. Je nachdem welche Rolle der Lehrer einnimmt, kann dieser das Mobbing ignorieren, tolerieren, intervenieren oder sogar unterstützen (Schubarth 2012). Als Respektsperson hat der Lehrer in der Regel eine Vorbildfunktion und beeinflusst somit mit seinem Verhalten maßgeblich das Geschehen. Zynische oder sarkastische Lehrer leben, möglicherweise wenig bewusst, Mobbingmethoden vor und legitimieren sie dadurch (Kindler 2009). Ebenso gibt es Lehrer die sich ausschließlich auf den Unterricht fokussieren und ihre pädagogische Verantwortung nicht wahrnehmen. Mit ihrer Ignoranz ermutigen sie die Mobber und Assistenten und vermitteln den Außenstehenden, dass Gleichgültigkeit und fehlende Zivilcourage, akzeptable Verhaltensweisen sind. Beide Arten von Lehrern können zur Wandlung von Normen beitragen und den moralischen Zerfall einer Klassengemeinschaft begünstigen. Auch Pädagogen, die Sanktionen androhen aber keine strukturierten Maßnahmen einleiten, vermitteln der Klasse ein falsches, verharmlosendes Verständnis von Mobbing. Latent unterstützendes, ignorantes oder inkonsequentes Verhalten ist potenziell gefährlich (siehe folgendes Kapitel: Folgen von Mobbing). Trotz umfassender pädagogischer Ausbildung, nehmen manche Lehrer ihre Pflichten nicht wahr. Eine mögliche Erklärung für solches Verhalten ist ihr gesicherter sozialer Status. Diesen können sie einfach erhalten, indem sie Konfrontationen vermeiden (Schubarth 2010). Einen anderen Erklärungsansatz bietet Kindler (2009). Er gibt zu bedenken, dass es manchen Lehrkräften an Kompetenzen und Wissen in diesem Bereich mangelt und sie aus Angst Fehler zu machen jegliches Handeln unterlassen. Natürlich gibt es auch engagierte und kompetente Lehrer, die ihre Klasse gewissenhaft führen. Generell können Lehrer, die sich selbst angemessen verhalten und sich um das soziale Klima in der Klasse kümmern, dem Mobbing vorbeugen. Trotz angemessener Maßnahmen und Verhaltensweisen eines Lehrers kann Mobbing auftreten. Einen Erklärungsansatz bietet die Theorie der „Filterwirkung des Vorurteils“ (Dambach 2009). Wenn einem Kind einmal die Opferrolle und damit verbunde negative Eigenschaften zugeschrieben worden sind, werden sie auf diese reduziert. Die Mitschüler fokussieren sich auf die Ereignisse, die ihre negativen Vorurteile gegenüber ihrem Mitschüler bestärken und sehen sie als Beweis für ihre Richtigkeit an, während sie anderes Verhalten ignorieren oder als Ausnahme ansehen (Dambach 2009). Auch wenn der Lehrer versucht das Opfer zu schützen und die Einstellung der Kinder zu ändern, kann es ihm schwer fallen gegen die fest gefahrene Situation anzugehen. In so einem Fall sollte der Lehrer Hilfe von Experten suchen, die strukturierte Interventionen anbieten. 5.8  Geschlechter Unterschiede in den Mobbingrollen

Im vorherigen Abschnitt wurde auf die verschiedenen Mobbingrollen im Allgemeinen eingegangen. Im Folgenden werden auf Geschlechterunterschiede in Bezug auf die Verteilung der Rollen und deren Ausübung eingegangen (. Abb. 5.1). Mädchen und Jugend nehmen unterschiedlich häufig die verschiedenen Rollen ein. Dieses Phänomen ist deutlich in den Daten der Studie von Salmivalli et al. (1996) zu sehen (siehe . Abb. 5.2). Nur unter Opfern hält sich die Geschlechterverteilung die Waage, mit 11,5 % Mädchen und 11,8 % Jungen. Unterschiede sind jedoch bei den

89 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Außenstehende

Verstärker

Täter

M o b b in

g

Opfer

Assistenten Verteidiger

. Abb. 5.1  Mobbing und seine Interaktion (Salmivalli et al. 1996)

1. Stadium: Exploration Soziale Normen Verletzung Aggression des Täters Viktimisierung des Opfers

Mitschülerreaktion Einstellung

Verhalten

ja

negativ

negativ?

-

neutral

neutral

2. Stadium: Konsolidierung Soziale Normen Aggression des Täters Viktimisierung des Opfers

Mitschülerreaktion

Verletzung

Einstellung

Verhalten

ja

negativ

negativ

ja

negativ

-

3. Stadium: Manifestation Soziale Normen Verletzung Aggression des Täters Viktimisierung des Opfers

. Abb. 5.2  Phasen des Mobbings

Mitschülerreaktion Einstellung

-

neutral/positiv

ja

negativ

Verhalten negativ

5

90

5

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Mobbern zu erkennen, denn unter den Mädchen waren es nur 5,9 % Mobber wohingegen es bei den Jungen fast doppelt so viele mit 11,8 % waren. Noch deutlicher ist es bei weiteren Rollen. So gab es 30,1 % Verteidiger unter den Mädchen jedoch nur 4,5 % unter den Jungen. Umgekehrt ist es bei der Rolle der Verstärker. Hier waren es deutlich mehr Jungen mit 37,5 % als Mädchen mit 1,7 %. Die Studie von Salmivalli et al. (1996) zeigt beispielhaft welche Unterschiede es zwischen den Geschlechtern gibt (. Abb. 5.3). Die unterschiedliche Verteilung der Rollen zwischen Mädchen und Jungen stellt uns vor die Frage: Woher kommt dieser Unterschied? Eine Erklärung bieten soziokulturelle Faktoren. Für heranwachsende Jungen ist physische Aggressivität, in Form von „roughand-tumble play“ normal beim gemeinsamen Spielen und wichtig um in ihrer „peer group“ akzeptiert zu werden. Ihr Umfeld duldet oder bestärkt sie in diesem Verhalten (Flanders et al. 2009). Bischof-Köhler (2002) verweist darauf, dass Wettkampfmotivation und das Streben nach einer Rangordnung, typisch männliche Verhaltensweisen sind. Demnach lernen Jungen, insbesondere körperliche, aggressive Verhaltensweise in ihrer frühen Entwicklung als normal kennen. Mädchen hingegen werden in ihrer Erziehung dahingehend gefördert, einfühlsam, fürsorglich, anpassungsfähig und kompromissbereit zu sein (Kasten 1999). Zeigen sie aggressives Verhalten werden sie meist abgelehnt (Kasten 1999). Mädchen erlernen eher die Fähigkeit zur Empathie, wohingegen Jungen weniger die Chance haben, sich mit ihren und den Emotionen anderer emotional auseinander zu setzen (Hoffmann 1977). Demnach liegen die Unterschiede in den erlernten sozialen Rollen der unausgeglichenen Verteilung von Rollen beim Mobbing von Jungen und Mädchen zugrunde (Eagly und Kite 1987).

n 160

23.7%

140

19.5%

120

17.3%

100 80

12.7% 11.7% 8.2%

60

6.8%

40 20 0 Victims

Bullies

Reinforcers

Assistants Girls

Defenders

Outsiders

No Role

Boys

. Abb. 5.3  Prozentuale Verteilung von Jungen und Mädchen auf die Mobbing Rollen (Salmivalli et al. 1996)

91 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Das Geschlecht beeinflusst nicht nur die Verteilung der Rollen, sondern auch wie sie ausgeübt werden. Diese Unterschiede beziehen sich insbesondere auf die Rolle des Mobbers. Jungen sind hierbei direkter und aggressiver als Mädchen, was sich insbesondere in physischen Aggression ausdrückt (Björkqvist et al. 1992; Salmivalli 1999). Lehner und Vervoort (2017) beschrieben männliche Mobber als impulsiv und unkontrolliert. Da es ihnen an Konfliktlösungsstrategien mangelt, fallen sie häufig negativ auf. In ihrem Auftreten sind sie häufig machtbetont, trotz ihres oftmals eher geringen Selbstwertgefühls. Mädchen hingegen sind diskreter und subtiler in ihrem Vorgehen und mobben eher verbal und relational (Laerspetz und Björqvist 1994; Scheithauer et al. 2003). So bleibt ihr Vorgehen meist verdeckt, denn sie handeln sozial ausgeklügelter. Die soziale Intelligenz bei Mobberinnen ist deutlich ausgeprägter als bei ihrem männlichen Pendant (Jannan 2010). Sie zeichnen sich durch besondere Fähigkeiten in verbaler und nonverbaler Kommunikation aus. Im Vergleich zu impulsiven männlichen Mobbern sind weibliche Mobber kontrollierter. Ihr Handeln ist versteckt und durchdacht. Dadurch fallen sie weniger negativ auf und sind auch Erwachsenen gegenüber selbstsicherer. Geschlechterspezifische Merkmale, wie sie zuvor beschrieben wurden, und Verhaltensweisen konnten in Studien gezeigt werden. Allerdings argumentieren Lehner und Vervoort (2017), dass derzeit ein Umbruch stattfindet und geschlechterspezifisches Verhalten auch immer häufiger vom anderen Geschlecht beobachtet werden kann. Somit sollen die geschlechterspezifischen Rollen stets nur als Anhalt für mögliches Verhalten gesehen werden.

-

Die stereotype Mobberin Ist diskret

-

Mobbt verbal, emotional und relational

-

lästert, verbreitet Gerüchte, hänselt

-

Bildet Cliquen und schließt Opfer

-

Der stereotype Mobber Ist impulsiv

-

Fällt negativ auf

-

Mobbt physisch

-

Haut, schubst, tritt

systematisch aus

5.9  Mobbingrollen in verschieden Altersgruppen

Neben dem Geschlecht spielt auch das Alter eine bedeutsame Rolle beim Mobbing. Aggressives Verhalten kann in jedem Alter beobachtet werden. Mobbingforschung beginnt im Kindergarten (Alsaker 2004) und zieht sich durch alle Altersklassen. Im Schulischen Kontext kann gesagt werden, dass Mobbing mit zunehmenden Alter der Schüler abnimmt (Olweus 1994; Alsaker 2004). Die 8.Klasse scheint ein Wendepunkt darzustellen (Schubarth 2010). Während die Mobbingrate zuvor steigen, nehmen sie ab der 9. Klasse ab. Der Negativtrend ab der 8. Klasse kann durch die Altersrelation zwischen Täter und Opfer erklärt werden (Schubarth 2010). Wenn Kinder auf die weiterführende Schule kommen sehen sie sich einer großen Anzahl älterer Schüler gegenüber. Durch das jahrgangsübergreifende Kräfteungleichgewicht sind jüngere Kinder gefährdet, von älteren,

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92

5

N. Wilde

aufgrund deren Entwicklungsvorsprungs überlegenen, Kindern gemobbt zu werden. Mit zunehmenden Alter können diese Kinder sich jedoch gegen die älteren Kinder zu Wehr setzten. Mobbing findet jedoch selten klassenübergreifend, sondern deutlich häufiger im Klassenverband statt. Wie zuvor ausgeführt, tritt Mobbing meist dann auf, wenn in einer Gruppe die soziale Kräfte nicht geklärt sind. Der Mobber sucht sich ein Opfer und schikaniert es, um seine eigene (Macht-) Position in der Klasse zu stärken. Insbesondere nach dem Übergang auf die weiterführende Schule tritt so ein Machtvakuum auf. Auch hierdurch kann der Wendepunkt ab der 8. Klasse erkärt werden. Denn bis dahin hat der Mobber (möglicherweise) seine Position in der Klasse gefestigt und kann von seinem Opfer ablassen. Neben der gernerellen Abnahme von Mobbing tritt im Laufe der Zeit noch eine weitere Entwicklung auf. Direkte, physische Formen von Mobbing nehmen ab (Scheithauer 2003). Indirekte, psychische Formen nehmen jedoch zu. Eine Erklärung für diesen Trend geben Owens und MacMullin (1995). Sie erklären, dass Schüler in nierigeren Klassenstufen noch nicht über ausreichende verbale und insbesondere soziale Fägigkeiten verfügen. Im Laufe der Zeit lernen die Mobber jedoch, dass direkte, pysische Gewalt als Mobbingmittel zu viel negative Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mit zunehmenden Kompetezen in verbalen und sozialen Fähigkeiten können die Mobber sich jedoch „sozial angemessen“ verhalten. Sie „verfeinern“ ihre Strategie und gehen zu versteckten, emotional verletzenden Techniken über. 5.10  Mobbingrollen in verschiedenen Schulformen und

Klassengröße

Man könnte davon ausgehen, dass Mobbing mit der Klassengröße steigt. Für diese Hypothese liegen jedoch kaum wissenschaftlichen Belege vor. In der Forschung konnten lediglich Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass mit steigender Schülerzahl das Gesamtgewaltniveau steigt (Funk und Passenberger 1997). In diesem Zusammenhang spielt die Lehrer-Schüler-Relation eine wesentliche Rolle. Je mehr Lehrpersonal während den Pausen oder bei Mahlzeiten anwesend ist, desto geringer die Anzahl von Gewalttaten (Olweus 2006). Im Gegensatz zu der Größe der Klassen hat die Schulform einen bedeutenden Einfluss. Mobbing tritt zwar in allen Schulformen auf, die Intensität der Gewalt variiert jedoch. Diese sinkt mit höherem Bildungsgrad (Scheithauer 2003). Demnach wird Mobbing am häufigsten an Haupt- und Förderschulen beobachtet (Spiel und Atria 2002), wo es insbesondere zu physischen Übergriffen kommt (Jannan 2010). Dieses Phänomen, lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass Kinder an diesen Schulen stärker belastet sind, da sie oftmals aus sozio- ökonomisch schwachen Elternhäusern kommen. An diesen Schulen häufen sich die Probleme und sie sind zum Teil Ballungsräume der Gewalt (Schubarth 2012). Des Weiteren sind an Haupt- und Förderschulen 63 % Jungen, worauf sich das höhere Maß an physischer Gewalt zurückführen lässt (. Abb. 5.4).

93

Monks, Smith, Swettenham, 2005

Sutton u. Smith,1999

Gini, 2006

Camodeca u. Goossens, 2005

Schafer u. Korn, 2004

Salmivalli et al., 1996

Schafer u. Kulis, 2005

Salmivalli et al., 1998

Schafer et al., 2008

Mobbing – ein Gruppenphänomen?

4-6

6-8

8-11

9-11

10

12

10-12

14

16

Täter

14 %

14%

12 %

9%

10 %

7%

9%

10 %

9%

Opfer

18 %

18 %

18 %

16 %

10 %

12 %

12 %

5%

13 %

Assistenten

6%

11 %

17 %

13 %

7%

14 %

13 %

11 %

Verstärker

7%

10 %

9%

20 %

9%

16 %

10 %

28 %

19 %

21 %

20 %

17 %

20 %

20 %

20 %

12 %

19 %

23 %

26 %

24 %

24 %

30 %

22 %

Alter (in

Mobbingrollen

Jahren)

Verteidiger Außen-

28 %

stehende

. Abb. 5.4  Mobbingrollen in verschiedenen Altersgruppen

5.11  Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir Mobbing als Gruppenphänomen kennen gelernt. Als solches ist es kein dyadischer Prozess zwischen Opfer und Täter, sondern tritt in hierarchisch organisierten sozialen Systeme auf. Diese setzen sich, neben Außenstehenden aus Tätern, deren Assistenten und Verstärkern des Mobbings sowie Opfern und deren Verteidigern zusammen (Salmivalli et al. 1996). Häufig beginnt Mobbing wenn eine Gruppe neu zusammengesetzt wird, wie zum Beispiel nach dem Schulwechsel auf eine weiterführende Schule und die soziale Kräfte noch nicht geklärt sind (Schäfer und Korn 2004b). In diesem Fall ist die Rollenverteilung in der Gruppe noch offen und Mobbing kann in Phasen enstehen. In der ersten Phase, dem sogenannten Explorations Stadium, sucht der Mobber nach einem Opfer. Dabei attakiert er Mitschüler, verbal oder physich, bei denen er den

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5

N. Wilde

geringsten Widerstand vermutet (Alsaker 2004). Häufig wird sein Handel, da es den Normen der Klasse wiederspricht, zu Anfang negativ von der Gruppe bewertet (Boulton und Underwood 1992). In der zweiten Stufe, dem Konsilidierungsstadium, entscheidet sich, ob das agressive Verhalten des Mobbers gestoppt wird oder die vorherschenden Normen sich zugunsten des Mobbers wandeln. Falls es dem Mobber gelint die Normen der Gruppe zu manipulieren, kommt es zum letzen Stadium, der Manifestation. In diesem Stadium des Mobbingprozesses nehmen alle beteiligten ihre Rolle im Mobbing Prozess ein (wie zum Biespiel die des Verstärkers). Das Opfer wird statt des Täters negativ wahrgeworden und die Attacken des Mobbers werden legitimisiert (Schäfer und Korn 2004b). Die beim Mobbingprozess enstandenen Rollen wurden in diesen Kapitel ausführlich erörter. Die Rolle des Täters und des Opfers wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Verinfacht lasssen sich wie folgt zusammen fassen: Täter

− Übernimmt bei Mobbing die Führungsrolle − Strebt nach Dominaz und Macht durch das Schickanieren Schwächerer − Wenig Selbstkontrolle und Empathiefähikeit (Jannan 2010) − Geringer Selbstwert − Ist Aggresiv und Impulsiv (Olweus 1978) − Positive Einstellung gegenüber Gewalt − Verhalten möglicherweise begründet in zugneigungsarmen und/oder gewaltätigen Elternhäusern

Opfer

− Werden Kinder die sich schlechter wehren können − Haben Angst Lehrern oder Eltern von Übergriffen zu erzählen − Haben schon vor dem Mobbing einen eher geringere soziale Status in der Klasse (Schäfer und Korn 2004b)

Assistenten

− Bestärken aktiv das Mobbing (Schäfer und Korn 2004b)

Verstärker

− Beteiligen sich nicht aktiv, sondern passiv indem sie Mobbingsituationen beiwohnen und über diese lachen oder sie kommentieren (Schäfer und Korn 2004b)

Verteidier

− Helfen dem Opfer in dem sie versuchen die Übergriffe zu stoppen oder das Opfer trösten(Schäfer und Korn 2004b)

Außenstehende

− verhalten sich neutral und beteiligen sich weder aktiv noch passiv am Mobbing

Eine weitere wichtige Rolle nimmt der Lehrer beim Mobbing ein. Als Respektsperson hat dieser in der Regel eine Vorbildfunktion und beeinflusst mit seinem Verhalten maßgeblich das Geschehen. Als solches kann er das Mobbing ignorieren, tolerieren, intervenieren oder sogar unterstützen (Schubarth 2012). Neben den Mobbingrollen wird in diesem Kapitel auf geschlechterspeziefische Unterschiede in den Rollen eingegangen. So treten Jungen deutlich häufiger als Mobber, Verstärker und Assistenten beim Mobbing auf, wohingegen Mädchen häufiger die Rolle des Verteidigers und der Außenstehenden einnehmen (Salmivalli und Kollegen 1996). Die Unterschiedliche Verteilung der Rollen kann durch soziokulturelle Faktoren erklärt werden; so wird aggressives Verhalten bei heranwachsenden Jungen häufig geduldet oder bestärkt (Flanders et al. 2009). Mädchen hingegen werden in ihrer Erziehung dahingehend gefördert, einfühlsam, fürsorglich, anpassungsfähig und kompromissbereit zu sein (Kasten 1999).

95 Mobbing – ein Gruppenphänomen?

Das Geschlecht beeinflusst nicht nur die Verteilung der Rollen, sondern auch wie sie ausgeübt werden. So sind stereotype Mobberinnen diskret in ihrem Vorgehen und mobben eher verbal, emotional und relational, wohingegen stereotype männliche Mobber durch impulsives und physisches Mobbing eher negativ auffallen. Neben den geschlechterspezifischen Merkplanen wird in diesem Kapitel auf das Alter als eine signifikante Rolle beim Mobbing eingegangen. Im Schulischen Kontext kann gesagt werden, dass Mobbing mit zunehmenden Alter der Schüler abnimmt (Olweus 1994; Alsaker 2004). Die 8.Klasse scheint ein Wendepunkt darzustellen (Schubarth 2010). Während die Mobbingrate zuvor steigen, nehmen sie ab der 9. Klasse ab. Neben der gernereller Abnahme von Mobbing gibt es im Laufe der Zeit noch eine weitere Entwicklung. Direkte, physische Formen von Mobbing nehmen ab (Scheithauer 2003). Indirekte, psychische Formen nehmen jedoch zu. Zuletzt wird in diesem Kapitel auf Mobbing im Zusammenhang mit verschienen Schulformen und Klassengrößen eingegangen. Hierzu kann gesagt werden, dass mit steigender Schülerzahl Mobbing nicht häufiger auftritt. Eine Wichtige Rolle spielt jedoch die Lehrer-Schüler-Relation, denn je mehr Lehrpersonal während den Pausen oder bei Mahlzeiten anwesend ist, desto geringer die Anzahl von Gewalttaten per se (Olweus 2006). Im Gegensatz zu der Größe der Klassen hat die Schulform einen bedeutenden Einfluss. Mobbing tritt zwar in allen Schulformen auf, die Intensität der Gewalt variiert jedoch. Diese sinkt mit steigendem akademischem Grad (Scheithauer 2003). Fazit Beim Mobbing geht es nicht nur um Täter und Opfer. Mobbing ist ein Gruppenphänomen und ist als solches ein komplexes Thema. Verschiedene Akteure und Einflussfaktoren spielen eine Rolle. Mobbingrollen zu verstehen bedeutet Wirkungsmechanismen zu verstehen und liegt dem generellen Verständnis von Mobbing und der Entwicklung von effektiven Interventionen zugrunde.

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5

99

Exkurs: Förderung von Zivilcourage zur Prävention von Aggression in der Schule Exkurs zu Kapitel 5 Jan Pfetsch 6.1 Zivilcourage – 100 6.2 Prozessmodell der Hilfeleistung – 101 6.3 Einflussfaktoren für Zivilcourage – 102 6.4 Bystander von Aggression und Bullying – 104 6.5 Förderung von Zivilcourage – 104 6.6 Programm Schüler lernen Zivilcourage – 105 6.7 Konzept und Ziele – 106 6.8 Ablauf und Inhalte – 108 6.9 Evaluation der Wirksamkeit – 108 Literatur – 110

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_6

6

100

6

J. Pfetsch

Bullying in der Schule – als wiederholte Aggression gegenüber einer Person, die sich nur schwer selbst helfen kann – verletzt soziale Normen und stellt eine fundamentale Ungerechtigkeit dar. Schwächere zu schikanieren, zu belästigen, herabzuwürdigen, und das meist, um die eigene soziale Position zu verbessern und soziale Dominanz auszuleben, verletzt grundlegende Rechte der Betroffenen – etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Diskriminierungsfreiheit oder Schutz der Privatsphäre. Zugleich findet Bullying häufig in der Anwesenheit anderer Personen statt. So zeigte sich in einer inzwischen klassischen Beobachtungsstudie, dass in 85 % der Fälle von Bullying andere Lernende im Klassenzimmer anwesend waren und dabei häufig durch aktive Handlungen oder passives Verhalten zum Bullyingprozess beitrugen (Atlas und Pepler 1998; O’Connel et al. 1999). Gerade weil Bullying ein ungerechtes Verhalten darstellt, könnte vermutet wird, dass die anwesenden Unbeteiligten, die auch Bystander genannt werden, sich einmischen und aktiv eingreifen, um Bullying zu stoppen. Allerdings griffen Bystander in der genannten Studie in nur 12 % der Vorfälle ein, um sich für die Betroffenen stark zu machen. Viel häufiger beteiligten sie sich am Bullying (32 %), beschäftigten sich mit anderen Aktivitäten (52 %) oder beobachteten passiv die Situation (13 %; Atlas und Pepler 1998). Warum Bystander passiv bleiben, statt sich zivilcouragiert für die Betroffenen von Bullying einzusetzen und wie sie für eine positive Unterstützung der Opfer aktiviert werden können, behandelt der vorliegende Beitrag. 6.1  Zivilcourage

Zivilcourage wird als sozialer Mut besonders in solchen öffentlichen Situationen nötig, in denen Werte und Gerechtigkeit verletzt werden, sich daraus ein Konflikt mit anderen und Handlungsdruck ergibt, sodass eine Person trotz eines wahrgenommenen Machtungleichgewichts und möglicher Risiken sich für die eigenen Überzeugungen und Werte einsetzt (Meyer und Herrmann 2000). Zivilcourage ist ein „öffentlich gezeigtes prosoziales Verhalten zugunsten schwächerer Dritter. Dieses ist mit dem Risiko negativer Konsequenzen für den zivilcouragiert Handelnden verbunden und kann unter Umständen mit einem Normbruch (z. B. Eindringen in die Privatsphäre des Anderen) einhergehen. Zivilcourage basiert dabei auf persönlichen prosozialen Einstellungen und Wertüberzeugungen (z. B. soziale Verantwortung, Toleranz, Hilfsbereitschaft)“ (Jonas und Brandstätter 2004, S. 186). Bei dieser Begriffsbestimmung fallen folgende drei Aspekte besonders auf: 1) Während allgemeines prosoziales Verhalten üblicherweise mit positiven Konsequenzen verbunden ist (Dank, Anerkennung, moralische Außenwirkung), ist zivilcouragiertes Verhalten für andere in Not mit dem Risiko negativer sozialer, materieller oder physischer Konsequenzen verbunden. Negative soziale Kosten könnten etwa die Gefahr sein, lächerlich gemacht, beschimpft, ausgegrenzt oder physisch angegriffen zu werden (Osswald et al. 2007). Tatsächlich unterscheiden sich die subjektiven Repräsentationen von „Hilfeverhalten“ und „Zivilcourage“ insbesondere in den potenziell negativen Konsequenzen für die handelnde Person (Greitemeyer et al. 2006). 2) Zivilcourage kann einen Normbruch erforderlich machen (Überschreiten einer sozialen Regel), um einen übergeordneten Wert zu schützen (z. B. Unantastbarkeit der Menschenwürde). Zivilcourage bezieht sich dabei seltener auf staatliche Politik (wie etwa Protest im Sinne eines zivilen Ungehorsams), sondern auf ungerechtes Verhalten anderer Personen (Meyer 2004; Nunner-Winkler 2007). 3) Zivilcouragiertes Verhalten basiert auf universalistischen Normen und Werten wie demokratische Grundwerte und

101 Exkurs: Förderung von Zivilcourage bei Aggression …

Menschenrechte. Zivilcourage ist in diesem Sinne das mutige soziale Eintreten für universale Werte. Entsprechend umfasst Zivilcourage „mutiges, prosoziales Verhalten … mit dem Risiko negativer Konsequenzen“, das „auf demokratischen Grundwerten und persönlichen Wertüberzeugungen“ basiert (Gerhardinger 2016, S. 297). Wichtig ist außerdem, dass Zivilcourage sowohl im privaten Bereich (Familie, Freundeskreis) als auch am Arbeitsplatz gezeigt werden kann (Meyer 2004). Zivilcourage beginnt im Kleinen, ist ein sozialer Mut im persönlichen Umfeld, in der Schule, der Familie, unter Freunden. Mögliche Anlässe von Zivilcourage sind etwa Übergriffe auf gesellschaftliche Minoritäten, aggressive oder gewalttätige Verhaltensweisen unter Kindern und Jugendlichen, sexuelle Belästigung, Mobbing am Arbeitsplatz oder Bullying in der Schule (Frey et al. 2006). So verletzen Aggression und Bullying die Normen eines friedfertigen Umgangs miteinander und des Rechts auf persönliche Unversehrtheit und sind daher Anlass für zivilcouragiertes Verhalten. Auch wenn allgemeines Hilfeverhalten und Zivilcourage die zentrale Gemeinsamkeit teilen, dass ein positiver Nutzen für Dritte bzw. die Gesellschaft intendiert wird, fallen doch einige Differenzen von Zivilcourage und Hilfeverhalten auf. Während Hilfeverhalten durch ein allgemeines Problem bzw. eine Not veranlasst ist, entsteht Zivilcourage aus der Konfrontation mit der Verletzung demokratischer, gesellschaftlicher Grundwerte (Nunner-Winkler 2007). Daher erfordert Hilfeverhalten die Werte Wohlwollen, Verpflichtung oder Mildtätigkeit, während Zivilcourage Mut und die Überwindung einer Hemmschwelle, sich einzumischen, erfordert. Sind beim Hilfeverhalten zwei Personen als Dyade involviert (helfende Person und hilfsbedürftige Person), liegt Zivilcourage eine Triade an beteiligten Personen zugrunde (Täter, Opfer, zivilcouragierte Person; dabei muss das Opfer nicht unbedingt physisch anwesend sein, etwa bei rassistischen Parolen oder bei der Ausgrenzung einer Person). Beim Hilfeverhalten liegen die Ressourcen zu helfen bei der helfenden Person, bei Zivilcourage existiert hingegen ein (real oder subjektiv empfundenes) Machtungleichgewicht zwischen der Unrecht ausübenden Person und Unrecht erleidenden Person. Schließlich kann eine helfende Person zumeist mit Dankbarkeit und positiven Konsequenzen ihrer Taten rechnen, eine zivilcouragiert handelnde Person ist hingegen mit negativen sozialen Konsequenzen konfrontiert, etwa von den Täterinnen und Tätern beleidigt oder angegriffen zu werden (Greitemeyer et al. 2006). Insgesamt unterscheiden Hilfeverhalten und Zivilcourage sich also hinsichtlich der Anlässe, der aktivierten Werte, der Anzahl involvierter Personen, der Verteilung von Handlungsmacht und Ressourcen sowie der Konsequenzen des jeweiligen Verhaltens. 6.2  Prozessmodell der Hilfeleistung

Welche Entscheidungen muss eine Person treffen, die eine Situation mitbekommt, in der andere Personen auf eine Hilfeleistung angewiesen sind? Das Prozessmodell der Hilfeleistung von Latané und Darley (1970) gibt darüber Aufschluss sowie über mögliche Hindernisse, die eine Hilfeleistung unwahrscheinlicher machen (Gerhardinger 2016; siehe . Abb. 6.1). In einem ersten Schritt muss der Vorfall überhaupt bemerkt werden und die beobachtende Person nicht etwa abgelenkt oder unter Zeitdruck sein. Im zweiten Schritt muss der Vorfall als ernsthaft bzw. als Notfall eingeschätzt werden. Wenn andere anwesende Personen jedoch passiv bleiben und nicht eingreifen, kann dies als Zeichen dafür gedeutet werden, dass es sich gar nicht um eine Situation handelt, in der ein Eingreifen erforderlich ist. Dieses Phänomen wird auch Pluralistische Ignoranz

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Aufmerksamkeit auf den Vorfall

• Ablenkung

Interpretation als Notfall

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• Pluralistische Ignoranz Verantwortung • Verantwortungsfür diffusion Hilfeleistung übernehmen Entscheidung über Form der Hilfe

• Kompetenzmangel

Hilfeverhalten umsetzen

• Soziale Hemmung

. Abb. 6.1  Prozessmodell der Hilfeleistung nach Latané und Darley (1970) inklusive der Hindernisse auf dem Weg, in Notsituationen Hilfe zu leisten

genannt und kann zu einer falschen Wahrnehmung führen, dass eine bedrohliche Situation als harmlos eingeschätzt wird. In einem dritten Schritt gilt es, selbst Verantwortung für das Hilfeverhalten zu übernehmen. Sind allerdings andere Personen anwesend, könnten diese genauso gut Hilfe leisten, weshalb die Verantwortung verteilt wird (Verantwortungsdiffusion). Im vierten Schritt müssen beobachtende Personen darüber entscheiden, in welcher Form zu helfen ist. Nehmen jedoch Personen an, dass sie die geforderte Form der Hilfe aufgrund von Kompetenzmangel nicht leisten können, greifen sie nicht helfend ein. Schließlich muss das Hilfeverhalten in die Tat umgesetzt werden, was allerdings nur geschieht wenn die eigenen Handlungskompetenzen ausreichend sind und keine negativen Folgen antizipiert werden (z. B. Blamage für unnötige oder misslingende Hilfe). Bei schwierigen, komplexen Handlungen steigt die soziale Hemmung, also die Tendenz solches Verhalten in Anwesenheit anderer Personen langsamer oder gar nicht umzusetzen. Aus dem Prozessmodell werden also die Schritte deutlich, die eine Person gehen muss, um erfolgreich Hilfeverhalten zu zeigen, zugleich jedoch sind auch die Grenzen und Hindernisse für ein solches Verhalten deutlich. 6.3  Einflussfaktoren für Zivilcourage

Welche Einstellungen oder Kompetenzen erleichtern zivilcouragiertes Handeln? In einer Meta-Analyse erwiesen sich die folgenden Faktoren in absteigender Reihenfolge als wichtig zur Vorhersage von zivilcouragiertem Verhalten: Soziale Verantwortung,

103 Exkurs: Förderung von Zivilcourage bei Aggression …

altruistisches Moralempfinden, Aufmerksamkeit und Notfall-Bewusstsein, Einstellung bezüglich zivilem Ungehorsam, Fähigkeiten aktiv eingreifen zu können, Widerstand gegen den Gruppendruck sowie Empathie (Röderer et al. 2019). Weitere in dem Kurzbericht nicht ausführlich dargestellte Faktoren betreffen situationale Faktoren, Emotionen, Persönlichkeitseigenschaften sowie sozio-demografische und biografische Faktoren (Röder et al. 2019). Eine andere Systematisierung möglicher Einflussfaktoren für zivilcouragiertes Verhalten unterscheiden zwischen situationalen Faktoren, personalen Faktoren und gesellschaftlichen Faktoren (siehe . Tab. 6.1; Pfetsch 2017). Als Beispiel für personalen Einflussfaktoren dient Ungerechtigkeitssensibilität aus der Nutznießer-Perspektive, eine interindividuell variierende, dispositional überdauernde Neigung, auf eine Übervorteilung der eigenen Person und einer Benachteiligung anderer Personen mit Schuldgefühlen zu reagieren. Während die Intention für Zivilcourage in hypothetischen Szenarios durch Moral disengagement (Neigung, sich von normativen Standards abzulösen), Selbstwirksamkeitserwartung und soziale Ängstlichkeit vorhergesagt wurde, wurde tatsächliches Zivilcourage-Verhalten bei einem Diebstahl im Labor nur durch Ungerechtigkeitssensibilität aus der Nutznießer-Perspektive vorhergesagt (Baumert et al. 2013). Dabei scheint den affektiven Reaktionen wie Ärger über die Normverletzung eine besondere Rolle zuzukommen (Halmburger et al. 2015). Je nach Kontext und Art des Verhaltens gibt es also unterschiedliche Prädiktoren (Kinnunen et al. 2016). Die Einflussfaktoren bieten Hinweise, an welchen Punkten eine Förderung von Zivilcourage ansetzen kann. Weil die situationalen und gesellschaftlichen Faktoren nur schwer beeinflussbar sind, bieten sich die personalen Faktoren am ehesten an, durch Training, Aufklärung und Übung die Voraussetzung für zivilcouragiertes Verhalten zu verbessern. Dabei ist es allerdings wichtig, im Besonderen Handlungskompetenzen des Eingreifens zu trainieren und Gelegenheit zu bieten, Probehandeln in einem geschützten Rahmen zu ermöglichen (Jonas und Brandstätter 2004). . Tab. 6.1  Einflussfaktoren für Zivilcourage (Pfetsch 2017) Situationale Faktoren

Personale Faktoren

Gesellschaftliche Faktoren

• Anwesenheit von Bystandern • Gefährlichkeit der Situation, Eindeutigkeit der Notlage • Subjektive Erwartungen anderer Personen • Soziale Kosten für Zivilcourage (Beleidigung, Druck der Täter*innen, mangelnde Anerkennung durch andere) • Kosten-Nutzen-­ Abwägungen • Stimmungseinflüsse

• Erziehung und Sozialisation •K  ognitive und affektive Empathie •N  ormen und Gerechtigkeitsempfinden (Ungerechtigkeitssensibilität) •H  andlungskompetenzen in Notsituationen

•Ö  ffentliche Meinung, gesellschaftliche Normen •G  renze von Privatsphäre und Öffentlichkeit • Idole und Vorbilder

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6.4  Bystander von Aggression und Bullying

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Weil Aggression und Bullying gegenüber schwächeren Personen einen wichtigen Anlass für Zivilcourage darstellt, wird die Bedeutung der unbeteiligten Zuschauerinnen und Zuschauer (Bystander) im Kontext von Aggression und Bullying im Folgenden dargestellt. Allgemein bezeichnet der Begriff Bystander von Bullying Personen, die eine Bullying-Situation wahrnehmen, die zwischen zwei oder mehreren anderen Akteuren auftritt (Pfetsch 2016). Bystander können einerseits Gleichaltrige sein – Peers aus der Klasse, Freundinnen und Freunde oder Bekannte – andererseits erwachsene Personen – erziehendes oder administratives Schulpersonal, Lehrkräfte oder Eltern. Je nachdem, wie Bystander auf einen Vorfall reagieren, können sie das Bullying oder Cyberbullying verstärken bzw. aufrechterhalten oder abschwächen und stoppen (Pfetsch und Schultze-­ Krumbholz 2018). Bullying und Cyberbullying finden häufig in der Anwesenheit von Gleichaltrigen statt, die dabei eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung der Vorfälle einnehmen (Allison und Bussey 2016; Salmivalli 2010). Im Participant Role-Ansatz zu Offline Bullying von Christina Salmivalli werden typische Verhaltensweisen oder soziale Rollen der Bystander unterschieden (prozentuale Verteilung nach Salmivalli et al. 1996): Assistenten der Bullys (7 %) unterstützen die Bullys als Mitläufer und führen auch eigene aggressive Handlungen gegen das Opfer aus, Verstärker der Bullys (20 %) schenken als Zuschauerinnen und Zuschauer dem Vorgang Aufmerksamkeit und ermutigen durch Anerkennung, Anfeuern oder Lachen die Bullys, Außenstehende (24 %) versuchen sich aus Angst, Indifferenz oder Unkenntnis herauszuhalten und beziehen keine deutliche Position für oder gegen das Bullying, Verteidiger der Opfer (17 %) stehen den Opfern bei, versuchen das Bullying zu beenden und spenden den Betroffenen emotionale Unterstützung. Daneben konnten der Bully-Victim-Dyade etwa 12 % Opfer und 8 % Täterinnen und Täter zugeordnet werden. Dabei zeigt sich, dass die Rollen nicht immer klar voneinander abgrenzbar sind und innerhalb oder zwischen einzelnen Vorfällen wechseln (Bullying: Gumpel et al. 2014; Cyberbullying: Pfetsch et al. 2014). Dennoch ist ein großer Teil der Peers aktiv oder passiv in Bullying involviert und beeinflusst somit das Geschehen und den weiteren Verlauf von Bullying (Salmivalli 2010). Für den Kontext von Zivilcourage besonders interessant sind dabei die Verteidiger der Opfer, die sich teils in Konfrontation mit den Ausübenden von Bullying begeben und somit auch Gefahr laufen, selbst angegriffen zu werden. Wenn sich diese Personen aktiv für die Betroffenen einsetzen, stehen sie jedoch auch für allgemeine Werte der Mitmenschlichkeit, Solidarität und Gewaltfreiheit ein und handeln zivilcouragiert. Offenbar ist ein solches Verhalten allerdings nicht ganz einfach umzusetzen, denn ein Großteil der Schülerinnen und Schüler lehnt Bullying ab (Rigby und Johnson 2006), jedoch nur ein Teil von ihnen greift bei beobachtetem Bullying ein (O’Connel et al. 1999). Daher sollte zivilcouragiertes Handeln gefördert und eingeübt werden, damit es in Notsituationen automatisiert umgesetzt werden kann. 6.5  Förderung von Zivilcourage

Bystander-Interventionen bzw. zivilcouragiertes Verhalten richten sich gegen Aggression und Bullying, da diese eine Verletzung von Normen des friedfertigen Umgangs miteinander darstellen. Weil Zivilcourage eine demokratische Tugend ist und zur Reduktion

105 Exkurs: Förderung von Zivilcourage bei Aggression …

. Tab. 6.2  Deutschsprachige Programme zur Förderung von Zivilcourage (Pfetsch 2017) Name

Zielgruppe

Quelle

Alltagshelden. Praxishandbuch für Schule und Jugendarbeit

Jugendliche

Zitzmann (2004)

Aufgschaut – Ein Projekt zur Förderung von Selbstbehauptung und Zivilcourage in der Grundschule

Grundschule

Frey-Gaska et al. (2007)

Zammgrauft – Ein Training von Antigewalt bis Zivilcourage für Kinder und Jugendliche

Sekundarschule

Frey et al. (2007)

Schüler lernen Zivilcourage – Förderung von Zivilcourage in der Schule

Grundschule, ­Sekundarschule

Pfetsch (2010)

Zivilcourage lernen: Analysen – Modelle – Arbeitshilfen

Grundschule, ­Sekundarschule

Meyer et al. (2004)

Zivilcourage können alle! Trainingshandbuch für Schule und Jugendarbeit

Jugendliche

Lünse et al. (2011)

Göttinger Zivilcourage-Impulstraining

Erwachsene

Boos et al. (2007)

Kleine Schritte statt Heldentaten

Erwachsene

Brandstätter (2007)

von Normverletzungen und Bullying im Kontext Schule, Arbeitsplatz oder Öffentlichkeit beitragen kann, wurden verschiedene Programme zur Förderung von Zivilcourage entwickelt. Einen hervorragenden Überblick über ausgewählte Trainingsprogramme bietet das Buch Zivilcourage trainieren! Theorie und Praxis (Jonas et al. 2007). . Tab. 6.2 bietet einen kurzen Überblick zu unterschiedlichen Programmen mit den Zielgruppen Kinder, Jugendliche bzw. Erwachsene, bevor im Folgenden ein Zivilcourage-Training für die Schule ausführlich vorgestellt wird. Neben diesen deutschsprachigen Programmen, die gezielt die Förderung von Zivilcourage fokussieren, verweist auch eine Metaanalyse internationaler Studien darauf, dass die Förderung des aktiven Eingreifens von Bystandern im Schulkontext möglich ist. So zeigte sich bei zwölf Vergleichsgruppen-Studien mit über 12.000 Schülerinnen und Schülern, dass die Programme einen positiven Effekt von durchschnittlich g = .20 auf die Intervention von Bystandern von Bullying aufweisen (Polanin et al. 2012). Dabei erhöhten die Programme das aktive Eingreifen von Bystandern insbesondere in den Jahrgangsstufen 9–12 (im Vergleich zu Jahrgangsstufen 3–8), wobei ein Programmelement für die Eltern die Wirkung nicht zusätzlich steigerte. 6.6  Programm Schüler lernen Zivilcourage

Das Programm Schüler lernen Zivilcourage – Förderung von Zivilcourage in der Schule (Pfetsch 2010) baut auf den Forschungsbefunden zu Aggression und Bullying in der Schule sowie prosozialem und zivilcouragiertem Handeln auf und wendet den Participant Role-Ansatz zu Bullying von Salmivalli (2010) sowie das Prozessmodell der Hilfeleistung nach Latané und Darley (1970) zur Förderung von Zivilcourage unter Schülerinnen und Schülern an. Das Zivilcourage-Programm zielt auf die Förderung

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von Zivilcourage und Reduktion von Viktimisierung (Opfer von Bullying) in der Schule durch die Förderung sozialer Kompetenzen. Implementiert wird das Programm über einen Multiplikatorenansatz, d. h. Lehrkräfte besuchen einen Workshop, um das Programm kennen zu lernen, und führen es dann im Klassenverband im wöchentlichen Rhythmus über 10 Wochen (8 bis 10 Doppelstunden à 90 min) selbstständig durch. Die Dauer des Programms variiert in Abhängigkeit von der Umsetzung ergänzender Unterrichtselemente, z. B. Nutzung von Kurzfilmen zum Thema Aggression oder Entwicklung einer Fotogeschichte zu Zivilcourage. Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler der 5.–8. Klasse, was je nach Bundesland noch die Grundschule oder schon die Sekundarschule betrifft. Bei der Entwicklung und Feldtestung des Programms in Luxemburg wurden beispielsweise die 5. und 6. Klassen noch in der Primarschule, die 7. und 8. Klassen in der Sekundarschule beschult, anwendbar ist das Programm allerdings grundsätzlich in beiden Schulformen. 6.7  Konzept und Ziele

Das Programm ist universalpräventiv und primärpräventiv ausgerichtet, d. h. es richtet sich an alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse, die unabhängig vom Ausgangsniveau zivilcouragierten und aggressiven Verhaltens erreicht werden sollen, und das Programm sollte eingesetzt werden bevor schwerwiegende Probleme mit Aggression und Bullying in der Klasse auftreten, um eine negative Entwicklung zu vermeiden. Im Ablauf des Programms werden unterschiedliche didaktische Methoden eingesetzt, etwa Klassendiskussionen, Arbeit in Kleingruppen oder Einzelarbeit (Texte, Arbeitsblätter). Hauptbestandteil sind jedoch handlungsorientierte Programmelemente wie Rollenspiele, Szenarien und verhaltensbezogene Übungen. Thematisch fokussiert das Programm auf die Sensibilisierung für Aggression und Bullying, die Selbstreflexion eigenen Verhaltens in Aggressionssituationen (Participant-role-Ansatz), die Förderung von Empathie, die Reflexion sozialer Werte, Normen der Hilfsbereitschaft und Klassenregeln. Besonders wichtig ist die Förderung sozialer Kompetenzen zur Aktivierung der Bystander in Zivilcourage-Situationen, indem deeskalierende Kommunikationsstrategien sowie die Fähigkeiten, Grenzen zu setzen und Hilfe zu holen, geübt werden. Die handlungsorientierten Programmelemente bieten einen geschützten Rahmen für den Aufbau von Handlungsroutinen bei Aggression und Bullying sowie zur Förderung von Selbstwirksamkeit in unsicheren, mehrdeutigen Situationen. . Abb. 6.2 stellt das Wirkmodell des Zivilcourage-Programms dar. Wirkmodelle spezifizieren die angenommenen Beziehungen zwischen den beeinflussten Faktoren und den vermittelnden Prozessen, die sich auf die gewünschten Ergebnisse auswirken. Dabei wird also angegeben, wie ein Programm wirken sollte (Prozesse), wieso es so wirken sollte (Begründung) und unter welchen Randbedingungen die Wirkung erreicht werden kann (Gollwitzer und Jäger 2007; Rossi et al 2004). Grundsätzlich sollten Wirkmodelle theoretisch begründet und in einer wissenschaftlichen Evaluation empirisch bestätigt sein, weil dies eine evidenzbasierte Bewertung und Auswahl von Präventionsmaßnahmen ermöglicht, die beispielsweise soziale Kompetenzen fördern sollen (Gollwitzer 2007). Das dargestellte Wirkmodell der Förderung von Zivilcourage zur Reduktion von Viktimisierung geht davon aus, dass die Ansatzpunkte Förderung von Empathie, Aktivierung von Normen und Einübung von Handlungskompetenzen bei den

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Trainingsziele

Kompetenzen

Verhalten

Empathie fördern

Empathie für die Opfer von Aggression

Normen aktivieren

Verantwortungsübernahme

Handlungskompetenzen einüben

Verfügbarkeit zivilcouragierter Handlungsroutinen

Wirkung

Situationsaspekte: Kosten, Gefährlichkeit, Bystander, PeerEinflüsse, situative Normen, Beziehung zu Opfer, ...

Zivilcourage

Viktimisierung

Selbstwirksamkeitserwartung in Konflikten

. Abb. 6.2  Wirkmodell der Förderung von Zivilcourage zur Reduktion von Viktimisierung (Pfetsch 2017)

t­ eilnehmenden Schülerinnen und Schülern zu mehr Empathie für die Opfer von Aggression, mehr Verantwortungsübernahme in sozialen Situationen, höherer Verfügbarkeit zivilcouragierter Handlungsroutinen und mehr Selbstwirksamkeitserwartung in Konflikten führt. Diese Kompetenzen führen zu mehr zivilcouragiertem Verhalten, was das Auftreten von Viktimisierung in der Schule reduziert. Allerdings sind situationale Aspekte ebenfalls einflussreich, die als Randbedingungen den Einsatz der erworbenen Kompetenzen für Zivilcourage reduzieren können (hohe soziale Kosten für die helfende Person, hohe (physische) Gefährlichkeit, viele passive Bystander, negative Peer-Einflüsse durch Verstärker der Bullies, situative Normen der Nichthilfe oder eine negative Beziehung zu den Betroffenen). Ausgehend von diesen Überlegungen zur Wirkung der Förderung von Zivilcourage sind nachfolgend die Ziele des Programms aus dem Prozessmodell der Hilfeleistung (Latané und Darley 1970) abgeleitet und in . Tab. 6.3 dargestellt. . Tab. 6.3  Ziele des Zivilcourage-Programms (angelehnt an die Schritte des Prozessmodells der Hilfeleistung, Latané und Darley 1970; verändert nach Pfetsch 2010) Schritte im Hilfeprozess

Programmziele

1. Aufmerksamkeit zuwenden

Sensibilisierung für Aggression und Bullying

2. Interpretation als Notsituation

Aktivierung prosozialer Werte (Hilfsbereitschaft)

3. Verantwortung übernehmen

Empathie und Verantwortungsgefühl stärken

4. Entscheidung über Art der Hilfe

Handlungskompetenzen der Hilfeleistung fördern

5. Hilfeverhalten

Probehandeln ermöglichen

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6.8  Ablauf und Inhalte

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Diese Ziele werden im Zivilcourage-Programm für Schülerinnen und Schüler in fünf zusammenhängenden Einheiten umgesetzt. Die Einheit 1: Erfahrungen zu Aggression und Bullying zielt auf die Reflexion von Formen von Aggression und Bullying und sensibilisiert für die gruppendynamischen Prozesse bei Bullying und die möglichen negativen Folgen von Ausgrenzung für die Betroffenen. Mit dieser Grundlage soll auch die eigene soziale Rolle bei Aggression und Bullying reflektiert werden, sodass verdeutlicht wird, dass auch Personen, die nicht aktiv am Prozess von Bullying beteiligt sind, zur Aufrechterhaltung der belastenden Situation beitragen. In Einheit 2: Umgang mit Konflikten wird die Wahrnehmung von Konflikten fokussiert und deeskalierende Kommunikation (aktives Zuhören, Ich-Aussagen) eingeübt. Die Simulation unterschiedlicher Situationen ermöglicht in Rollenspielen das Probehandeln und Einüben von zivilcouragiertem Verhalten. Dabei werden auch Handlungsregeln für Aggressionssituationen vermittelt, damit sich die helfenden Personen nicht selbst in Gefahr begeben, sondern deeskalierend und kompetent in Situationen intervenieren oder Hilfe holen. In Einheit 3: Widerstand gegen Gruppendruck werden Übungen zur Sensibilisierung für die Bedeutung der eigenen Meinung durchgeführt und Erfahrungen in der Fähigkeit zur Selbstbehauptung und Grenzen setzen gesammelt. Insgesamt soll in dieser Einheit die Widerstandsfähigkeit gegen Gruppendruck gestärkt werden. Die Aktivierung von prosozialen Werten und Normen steht im Mittelpunkt der Einheit 4: Reflexion von Werten, in der beispielsweise die persönlichen Werte reflektiert und gestärkt werden. Ebenso werden gemeinsame Klassenregeln entwickelt oder neu besprochen, um ein positives Miteinander in der Klasse zu fördern. In Einheit 5: Klassengemeinschaft soll ein positives Klassenklima gestärkt werden und durch Übungen zur Kooperation, kognitiven und affektiven Empathie die Beziehungen der Schülerinnen und Schüler untereinander gefördert. Zusätzlich sind weitere Programmelemente möglich, die je nach Gegebenheiten vor Ort umgesetzt werden können, z. B. die Nutzung von Kurzfilmen zum Thema Aggression oder die Entwicklung einer Fotogeschichte zu Zivilcourage. Insgesamt zielt das Training darauf ab, zivilcouragiertes Verhalten unter Schülerinnen und Schülern zu fördern und Viktimisierung zu vermindern. 6.9  Evaluation der Wirksamkeit

Das Programm Schüler lernen Zivilcourage – Förderung von Zivilcourage in der Schule wurde in einem Prä-Post-Follow-up-Design mit Trainings- und Kontrollgruppen evaluiert. Dabei nahmen N = 1084 Schülerinnen und Schüler aus 13 Primar- und Sekundarschulen in 57 Schulklassen (28 Trainings- und 30 Kontrollklassen) mit Ihren Lehrkräften teil, die jeweils zu drei Messzeitpunkten einen Fragebogen beantworteten (direkt vor dem Training = Messzeitpunkt T1; direkt nach dem Training = Messzeitpunkt T2, sowie zwei Monate später = Messzeitpunkt T3). Die Ergebnisse der Evaluation wurden mittels Multilevel Modellen ausgewertet, die die Veränderungen über die Zeit sowohl auf Schüler- als auch auf Klassenebene untersuchten (Raudenbush und Bryk 2002). Damit wird eine evidenzbasierte Präventionsmaßnahme zur Verfügung gestellt, die theoretisch

109 Exkurs: Förderung von Zivilcourage bei Aggression …

fundiert und empirisch überprüft wurde, um Zivilcourage unter Schülerinnen und Schülern zu fördern und Viktimisierung zu vermindern. Nicht alle Klassen setzten das Programm im gleichen Umfang um, weshalb die Ergebnisse im Folgenden für vier Gruppen berichtet werden, die sich bezüglich des inhaltlichen und zeitlichen Umfangs der Trainingsimplementation unterscheiden: 5 Kontrollgruppe (30 Klassen mit 602 Schülerinnen und Schüler): In diesen Klassen wurde kein anderes Trainingsprogramm zur Prävention von Aggression und/oder Förderung von Zivilcourage durchgeführt. 5 Kontrollgruppe Plus (10 Klassen mit 220 Schülerinnen und Schüler): Diese Klassen führten nur einen Bruchteil des Programms durch (ein bis maximal vier Schulstunden; kognitive Beschäftigung mit dem Thema Zivilcourage). 5 Training mit mittlerer Implementation (12 Klassen mit 211 Schülerinnen und Schüler): In diesen Klassen wurde das Zivilcourage-Programm in acht bis zwölf Schulstunden umgesetzt (Auswahl der Inhalte durch die Lehrkräfte). 5 Training mit hoher Implementation (6 Klassen mit 108 Schülerinnen und Schüler): Die Klassen setzten Zivilcourage-Programm in 13 bis 18 Schulstunden um, führten alle oder fast alle Übungen durch und ergänzten die Inhalte durch einige Kurzfilme zum Thema („Abseits“ bzw. „Schwarzfahrer“) oder erstellten eine Fotogeschichte zu Zivilcourage. Zu Beginn der Datenerhebung (T1) waren die Trainingsbedingungen mit der Kontrollgruppe fast durchgehend vergleichbar. So zeigten sich keine signifikanten Unterschiede gegenüber der Kontrollgruppe bezüglich des Geschlechts oder Alters sowie bezüglich der abhängigen Variablen Empathie und Zivilcourage (Intention zu zivilcouragiertem und passivem Verhalten). Allerdings traten bei Viktimisierung und Aggression erhöhte Ausgangswerte in den Gruppe Training in mittlerer und hoher Implementation auf. Möglicherweise ist dies auf einen Selektionseffekt zurückzuführen, weil die Lehrkräfte mit beeinflussten, in welchem Umfang die Klassen das Zivilcourage-Training durchführten. Dies verringert die Vergleichbarkeit, deutet aber darauf hin, dass insbesondere solche Klassen das Programm durchführten, die leicht höhere Viktimisierung und Aggression aufwiesen. Die Ergebnisse der Evaluationsstudie werden hier zusammengefasst dargestellt, eine ausführlichere Fassung ist an anderer Stelle dokumentiert (Pfetsch 2010; Pfetsch et al. 2011). Nach dem Training nahm die Empathie signifikant zu und zwar nur für die Bedingung Training mit hoher Implementation. Auch die Lehrkräfte nahmen eine signifikante Zunahme der Empathie bei den Schülerinnen und Schülern wahr. Jedoch glich sich der Trainingseffekt bezüglich Empathie zu T3 wieder an die Kontrollgruppe an. Die Verhaltensintention zu passivem Bystanderverhalten nahm aus Sicht der Schülerinnen und Schülern signifikant ab und zwar langfristig, also zum dritten Messzeitpunkt T3 am Ende des Schuljahres. Schließlich nahm bei hoher und mittlerer Trainingsimplementation auch das Ausmaß an Viktimisierung signifikant ab, wiederum aus Sicht der Schülerinnen und Schülern als auch aus Sicht der Lehrkräfte direkt nach dem Training als auch zwei Monate später (T2 und T3). So wurden alle drei Formen der Viktimisierung, verbale, physische und relationale Viktimisierung kurz- und langfristig reduziert. Während also eine Trainingswirkung bezüglich der kurzfristigen Steigerung von Empathie, langfristigen Reduktion von passiven Verhaltensintentionen als Bystander sowie der kurzund langfristigen Reduktion von Viktimisierung ausgegangen werden kann, betrifft dies nicht in gleichem Maße andere erhobene Variablen (nur tendenziell signifikante Steigerung der zivilcouragierten Verhaltensintention, Reduktion von Aggression nur bei den

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Jungen). Außerdem traten die genannten Effekte besonders bei einem höheren Ausmaß der Implementationsqualität auf, d. h. je umfangreicher und länger das Programm in der Klasse durchgeführt wurde, desto stärker war die Wirksamkeit (vgl. Wilson und Lipsey 2007). Bei der Umsetzung des Programms wurde daher auf hohe eine Implementationsqualität des Programms abgezielt, in dem ein Workshop für Lehrkräfte angeboten wurde und die grundsätzliche Unterstützung durch die Schulleitung angestrebt wurde. Festzuhalten bleibt, dass das Programm unabhängig vom Geschlecht bezüglich der Abnahme von Viktimisierung funktioniert, Jungen profitierten in Teilen noch stärker als Mädchen (bezüglich der Zunahme von zivilcouragierter Verhaltensintention, genauer: Pfetsch 2010). Das Zivilcourage-Programm reduzierte Aggression aus Opfersicht, was als wichtiger Erfolg zu verbuchen ist. Existierende Zivilcourage-Programme sind meist erst vorläufig evaluiert, teils eher bezogen auf subjektive Zufriedenheit der Teilnehmenden als bezogen auf Einstellungsund Verhaltensmaße (Jonas et al. 2007; Zitzmann 2004; Bull et al. 2009). Aber nur systematische Evaluationen von Maßnahmen ermöglichen die evidenzbasierte Entscheidung für diese Maßnahmen und den sachlich begründeten Einsatz von Ressourcen. Daher erfüllt das vorgestellte Programm zu Förderung von Zivilcourage in der Schule die Forderung nach evidenzbasierter Praxis. Fazit Insgesamt bietet die Förderung von Zivilcourage viel Potenzial für die Reduktion von Aggression und Bullying in der Schule. Wenn gleichaltrige Peers bei Bullying einschreiten, die Bullies zum Aufhören bringen und die Betroffenen unterstützen, wird Bullying einerseits abnehmen und die Betroffenen andererseits weniger unter den negativen Erfahrungen leiden, da sie Unterstützung in einer hilflosen Lage erfahren haben. Wie also kann Zivilcourage trainiert werden? Zivilcourage ist ein anspruchsvolles, mit Risiken verbundenes Verhalten, das erst in einem langfristigen Lernprozess gefördert werden kann. Ein Programm in der Schule kann daher immer nur einen Anfang bieten, der durch ergänzende Maßnahmen und mögliche Auffrischungssitzungen unterstützt werden sollte. Die Möglichkeit, durch einen handlungs- und erfahrungsorientierten Ansatz Gelegenheit zum Üben zu erhalten und Handlungsroutinen aufzubauen, erscheint dabei besonders wichtig. Zudem ist Zivilcourage ein soziales Verhalten, das erst durch den Kontakt mit anderen eingeübt und gefestigt werden kann. Ein Zusammenwirken des pädagogischen Personals und der Eltern im Sinne eines pädagogischen Grundkonsenses sowie die Einbindung von Peers zur Beratung oder als Multiplikatoren, Programme erfolgreich umzusetzen, erscheint daher erfolgsversprechend. Neben weiteren Maßnahmen zur Reduktion von Aggression und Bullying (allgemeine Aggressionsprävention, Intervention der Lehrkräfte, Anti-Mobbing-Team im Sinne einer zugänglichen Hilfsstruktur, Schul- und Klassenregeln etc.) bietet Zivilcourage als aktives Eintreten gegen einen Normbruch die Chance, die Betroffenen von Aggression und Bullying zügig und effektiv zu unterstützen sowie den Ausübenden durch gewaltfreies Handeln Verhaltensalternativen aufzuzeigen.

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111 Exkurs: Förderung von Zivilcourage bei Aggression …

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Was sind die Folgen von Mobbing? Sonja Mehl 7.1 Einleitung – 114 7.2 Psychosoziale Folgen – 115 7.3 Schulleistung und gesellschaftliche Teilhabe – 118 7.4 Psychische Störungen – 119 7.5 Folgen von Mobbing: Zusammenfassung – 126 Literatur – 126

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_7

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7.1  Einleitung

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Jedes Kind, unabhängig vom Geschlecht oder sonstigen Merkmalen, kann in eine Situation geraten, in der es systematischen Schikanen durch andere ausgesetzt ist. Dies kann weitreichende Folgen für die Entwicklung und psychosoziale Gesundheit des Kindes haben und sich auch im Hinblick auf das spätere Leben negativ auswirken (Alsaker 2006; Petermann und Koglin 2013). Mehrere Aspekte, die Mobbing charakterisieren und es von anderen Formen des aggressiven Verhaltens abgrenzen, können als besonders pathogen, also Leid erzeugend, identifiziert werden. So überrascht es nicht, dass sowohl das soziale wie auch psychische Wohlbefinden der Opfer eindeutig beeinträchtigt wird (Alsaker 2006). Einerseits kann Mobbing durch direkte Handlungen der Aggression und physischen Gewalt ausgeübt werden. Dies ruft zunächst berechtigte Angst vor Verletzungen und Schmerzen hervor. Noch häufiger zeigen sich direkte Formen des Mobbings in Handlungen wie drohenden Gesten, Beschmutzung, Festhalten oder Einsperren. Auch verbale Gewalt, Erpressung sowie das Wegnehmen oder Zerstören von Eigentum kommen oft vor (Alsaker 2006). Diese Handlungen bedrohen nicht direkt die körperliche Unversehrtheit eines Opfers, lösen aber dennoch Angst aus und dienen seiner Erniedrigung. Andererseits tritt Mobbing auch durch subtile, indirekte Handlungen in Erscheinung, wie beispielswiese gezielte soziale Ausgrenzung, das Verbreiten von Gerüchten oder Ignorieren (Alsaker 2006). Diese Formen sind für andere Beteiligte nicht unbedingt sichtbar, sodass eine Diskrepanz zwischen dem Empfinden der Opfer und ihrer Mitschüler entsteht. Somit gelingt es Tätern, ihren Opfern zu suggerieren, dass sie sich das Geschehene nur einbilden. (Alsaker 2006; Graham und Juvonen 1998). Dieses sogenannte indirekte oder relationale Mobbing kann eine schwere psychische Belastung darstellen und insbesondere den Selbstwert des Opfers angreifen. Die negativen, verletzenden Handlungen, die die Täter ausüben, werden häufig bagatellisiert, sodass das Leiden der Opfer ungehört bleibt bzw. nicht entsprechend ernstgenommen wird (Alsaker 2006). Außerdem zieht sich diese belastende Situation, aus der die Opfer nicht entkommen können, teilweise über Jahre hinweg (Salmivalli et al. 1998). Zeitlich sehr direkte Folgen der physischen Gewalt, die bei manchen Formen des Mobbings angewendet wird, können körperliche Verletzungen wie z. B. Hämatome, Nasenbluten oder offene Wunden sein. In manchen Fällen kommt es sogar zu ernsteren Verletzungen wie Knochenbrüchen oder Prellungen (Schäfer und Linster 2002). Aufgrund der psychologischen Perspektive befasst sich dieses Kapitel jedoch mehr mit den kumulativen Folgen, die Mobbing durch seinen wiederholten, zeitlich überdauernden und systematischen Charakter haben kann (Alsaker 2006; Olweus 1994). Dieser kumulative Effekt (Dittmann 2011), welcher die besondere psychosoziale Belastung von Mobbing ausmacht, ist mit dem Diathese-Stress-Modell aus der klinisch-psychologischen Forschung gut erklärbar. Die Diathese-Stress-Hypothese von Schotte und Clum (1987) geht davon aus, dass Individuen ein unterschiedliches Niveau an persönlicher Vulnerabilität, also Verletzlichkeit gegenüber Belastungen aufweisen. Ein gewisses Maß an Konflikten mit Gleichaltrigen, gelegentliche Konfrontationen oder sogar vereinzelte Schikanen kann fast jedes Kind ohne größere Folgen „wegstecken“ (Dittmann 2011). Je gehäufter diese Belastungen jedoch auftreten, desto weniger Personen können damit umgehen, ohne psychisch beeinträchtigt zu werden. In . Abb. 7.1 wird dies mit der „Fass-Metapher“ illustriert. Gleichzeitig steigt durch die ständige Belastung, die Mobbing auf ein Kind darstellt, auch dessen Schwelle der Vulnerabilität (der „Fassboden“),

115 Was sind die Folgen von Mobbing?

Belastungen aus dem (sozialen) Umfeld

Persönliche Vulnerabilität . Abb. 7.1  Fass-Metapher des Diathese-Stress-Modells

was es noch verletzlicher gegenüber den Attacken der Täter macht. Dieser Teufelskreis wird in den folgenden Unterkapiteln in Bezug auf spezifische psychische Störungen noch genauer erläutert. Letztendlich kann es dazu kommen, dass „das Fass überläuft“ und ein Kind beispielsweise eine ausgeprägte psychische Störung entwickelt. Nachvollziehbarerweise werden mit negativen Folgen von Mobbing meistens zunächst die Konsequenzen für die Opfer assoziiert. Obwohl diese durchaus gravierend sein können und unbedingt erhöhte Beachtung erhalten sollten, wirkt sich Mobbing nicht ausschließlich nachteilig auf das schikanierte Kind aus, sondern kann ebenso die Entwicklung der Täter und sogar der gesamten Klassengemeinschaft beeinträchtigen (Dittmann 2011; Petermann und Koglin 2013). Eine in Hinblick auf ihre psychosoziale Entwicklung besonders gefährdete Gruppe sind Kinder, die sowohl von anderen schikaniert als auch selbst zu Mobbing-Tätern werden (Alsaker 2004). Alle Kinder und Jugendlichen, die in irgendeiner Weise am Mobbinggeschehen beteiligt sind, sind von einem erhöhten Risiko für Beeinträchtigungen der psychosozialen Entwicklung und psychische Störungen betroffen, was Konsequenzen bis ins Erwachsenenalter haben kann (Petermann und Koglin 2013). Daher sollen in diesem Kapitel neben den negativen Folgen für Mobbingopfer auch die Konsequenzen für weitere Beteiligte Beachtung finden. 7.2  Psychosoziale Folgen 7.2.1  Auswirkungen auf den Selbstwert

Selbstbild, Identität und Selbstwert sind Konstrukte, die seit Beginn der Psychologie eingehend konzeptualisiert und erforscht werden und als zentral für die menschliche Psyche angesehen werden. Traditionell werden Entwicklung und Veränderungen des Selbst

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im Kindes- und Jugendalter als Grundlage für das spätere Leben erachtet (Brinthaupt und Lipka 2002). Insbesondere der Selbstwert gilt über die gesamte Lebensspanne hinweg als ausschlaggebend für psychische Stabilität und Gesundheit. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Viktimisierung von Schülerinnen und Schülern durch ihre Klassenkameraden einen kausalen Einfluss auf ihre Selbstbewertung hat (z. B. Olweus 1994, Boulton und Smith 1994, Callaghan und Joseph 1995, Alsaker und Olweus 2002). In einem metaanalytischen Review, das Studien aus zwanzig Jahren Forschung zusammenfasste, bestätigten Hawker und Boulton (2000) einen solchen Zusammenhang zwischen Mobbing und Veränderungen im Selbstwert. Durch die wiederholten demütigenden Handlungen, denen Mobbingopfer sich meist hilflos ausgesetzt fühlen, wird ihr Selbstwert systematisch verletzt (Alsaker 2006). Schüler, die verbale oder körperliche Attacken und absichtliche Ausgrenzung erleben, interpretieren dies als Zeichen für ihre eigene Wertlosigkeit (Alsaker und Olweus 2002). Zudem leiden sie individuell und nicht universell, das heißt, dass sie die Attacken als nur gegen sie persönlich gerichtet erleben, nicht gegen andere (Alsaker 2006). Meist suchen sie die Gründe für die Schikanen bei ihrer eigenen Person und geben sich selbst die Schuld. Eine solche internale Attribution, welche den Opfern oft mit Erfolg suggeriert wird (Graham und Juvonen 1998), schwächt den Selbstwert zusätzlich. Auch stellen die Opfer oft die Erwartung an sich, sich selbst aus der Situation befreien zu müssen, was meist nicht möglich ist. Diese Diskrepanz zwischen internalisierten Erwartungen und erlebten Handlungsmöglichkeiten stellt nach Epstein (1973, 1987) eine Bedingung für das Entstehen von Inkonsistenzen im Selbstkonzept dar, was wiederum negative Auswirkungen auf den Selbstwert hat (Alsaker 2006). Obwohl ein niedriger Selbstwert und Ängstlichkeit auch dazu beitragen können, dass Schüler zu Opfern von Mobbing werden (Olweus 1978, 1994), ist der kausale Zusammenhang in die andere Richtung gravierender, in dem Sinne, dass Mobbing und Ausgrenzung eine Selbstwertverminderung verursachen und nicht andersherum. Kinder, die sowohl aggressiv auftreten als auch gleichzeitig Opfer von Mobbing sind (Täter-Opfer) leiden ebenfalls unter einem verminderten Selbstwert (Alsaker 2004). Derartige Veränderungen des Selbstwertes können bei Kindern und Jugendlichen kurz- aber auch langfristig gravierende Auswirkungen haben. Insbesondere im Jugendalter, in dem sich das Selbstbild einer Person zunehmend stabilisiert, können positive bzw. negative Erfahrungen ausschlaggebend für die psychosoziale Entwicklung und psychische Stabilität im späteren Leben sein (Alsaker 2004; Dittmann 2011). Im schlimmsten Fall kommt es nach wiederholten negativen Erfahrungen zu einer Verfestigung negativer Selbstbewertungen und negativer Erwartungen in sozialen Situationen – eine „spontane Erholung“ des geschädigten Selbstwertes findet nicht statt. Dadurch lässt sich die Beobachtung einer Studie von Olweus (1994) erklären, dass einige wichtige Aspekte der Selbstwahrnehmung sich auch im Erwachsenenalter nicht veränderten, auch wenn eine Person keinen weiteren Mobbingsituationen mehr ausgesetzt war (Alsaker und Olweus 2002). Ein niedriger Selbstwert und negative Selbstbeurteilungen, die sich im Kindes- bzw. Jugendalter herausbilden und verfestigen, sind in dem Sinne als problematisch anzusehen, als dass sie mit zahlreichen psychischen Störungen, insbesondere Depression in engem Zusammenhang stehen und diese sogar voraussagen können (Alsaker 2006; Kendall et al. 1990). Ausführlicher wird darauf weiter unten eingegangen. Während direkt betroffene Kinder und Jugendliche (Opfer und Täter-Opfer) am stärksten in ihrem Selbstwert bedroht sind, hat ein Klassenklima, das von Mobbing

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beherrscht wird, ebenfalls negative Auswirkungen auf den Selbstwert derer Kinder, die nicht direkt beteiligt sind (Alsaker 2004). In einer Studie von Alsaker und Olweus (2002), bewerteten sich Kinder, die Mobbing in ihrer Klasse beobachteten, deutlich negativer als Kinder in Klassen ohne Mobbingproblematik. Änderte sich die Mobbingdynamik in ihrer Klasse hin zum Positiven, so verbesserte sich auch die Selbsteinschätzung der nicht direkt beteiligten Mitschüler. 7.2.2  Soziale Isolation

Der Mensch ist wie viele Lebewesen der Erde eine soziale Spezies, deren Überleben, Gesundheit und Wohlbefinden von der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen abhängig ist. Aus evolutionärer Sicht stellt soziale Isolation eine Bedrohung für das eigene Überleben dar, und auch im modernen menschlichen Leben kann es gravierende psychologische und gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, wenn Individuen sich von ihrem sozialen Umfeld isoliert und ausgeschlossen fühlen (Cacioppo und Hawkley 2009). Soziale Isolation kann sowohl eine Folge als auch Bestandteil von Mobbing sein. Neben offener Aggression nutzen Täter oft relationale, also auf soziale Beziehungen bezogene Viktimisierung (Crick und Grotpeter 1996). So ist z. B. absichtliche soziale Ausgrenzung eine psychologisch sehr schmerzhafte Form der Schikane. Zahlreiche Studien zeigen, dass sowohl offene als auch indirekte Formen der Aggression, sowie die fehlende soziale Zuwendung durch Mitschüler bei den Opfern zu starken Gefühlen der Einsamkeit führen (z. B. Asher et al. 1990; Crick und Grotpeter 1996; Hawker und Boulton, 2000; Graham und Juvonen 1998; Storch et al. 2003). Einsamkeit und wahrgenommene soziale Isolation lösen wiederum eine Art „Selbstschutz-Modus“ aus, bei dem durch eine erhöhte Sensibilität soziale Bedrohungen stärker wahrgenommen und teilweise überinterpretiert werden (Cacioppo und Hawkley 2009). Das führt dazu, das Personen selbst wohlwollende Annäherungsversuche durch andere als bedrohlich wahrnehmen und ablehnen, wodurch sie sich selbst noch stärker sozial isolieren. Es kommt zu einem Teufelskreis aus Einsamkeit und sozialer Isolation. Zudem führen Gefühle von Einsamkeit zu verstärkt negativem Denken und depressiven Tendenzen. Auch bewirken sie eine allgemeine Verschlechterung kognitiver Leistungen (Cacioppo und Hawkley 2009), was sich wiederum negativ auf Schulleistungen auswirken kann. 7.2.3  Langfristige Auswirkungen auf Soziale Beziehungen

Die mit Mobbing verbundene soziale Isolation kann weitreichende Auswirkungen auf die Qualität sozialer Beziehungen im späteren Leben haben. Eine wie oben beschriebene internalisierte negative Erwartungshaltung an soziale Interaktionen (Alsaker und Olweus 2002) sowie ein niedriger Selbstwert können es erschweren, zu anderen Kontakt aufzunehmen, ihnen zu vertrauen und sich auf tiefe freundschaftliche oder partnerschaftliche Beziehungen einzulassen (Gilmartin 1987). Somit können Probleme in interpersonellen Beziehungen zu einer Langzeitfolge von früheren Mobbingerfahrungen werden (Olweus 1991). Parker und Asher (1987) fanden heraus, dass für Kinder, die wenig von ihren Klassenkameraden akzeptiert werden, ein hohes Risiko für spätere soziale Schwierigkeiten besteht.

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Interessanterweise sind Auswirkungen von Mobbing auf spätere soziale Beziehungen jedoch bei Tätern weitaus gravierender als bei Opfern. Laut Parker und Asher (1987) ist aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter einer der stärksten Prädiktoren für spätere gesellschaftliche Anpassungsprobleme. Aufgrund ihres aggressiven Verhaltens, werden „bullies“ zunehmend zumindest von einem Teil ihrer Gleichaltrigen abgelehnt und gemieden. Connolly und Kollegen (2000) fanden heraus, dass Mobbing bei Tätern äußerst negative Auswirkungen auf spätere romantische Beziehungen haben kann. Freundschaften und interpersonelle Beziehungen, welche auch die Grundlage für spätere romantische Beziehungen darstellen, sind bei ihnen meist von Mustern der Einschüchterung und Negativität geprägt und setzen somit die Voraussetzungen für Probleme in romantischen Beziehungen über die Lebensspanne hinweg. Laut der Studie von Connolly et al. (2000) gingen sie zwar im Vergleich zu Gleichaltrigen früher romantische Beziehungen ein, empfanden diese aber als weniger emotional unterstützend, weniger tiefgehend und weniger liebevoll. Auch waren ihre Beziehungen wenig stabil und von Konflikt sowie verbaler und physischer Gewalt geprägt. 7.3  Schulleistung und gesellschaftliche Teilhabe 7.3.1  Auswirkungen auf Schulleistungen

Lernen und akademischer Fortschritt findet – insbesondere im Kindes- und Jugendalter – in sozialen Kontexten statt (Parker und Asher 1987). Daher ist es leicht nachzuvollziehen, dass die schwere psychosoziale Belastung, die Mobbing für Betroffene bedeutet, sich negativ auf Schulleistungen auswirken kann. Forschung, die sich mit den Auswirkungen von Stress auf Lernen beschäftigt, zeigt, dass emotional aufgewühlte Kinder nicht gut lernen (Turkel und Eth 1990). Oft fällt es betroffenen Kindern schwer, sich zu konzentrieren oder Probleme effektiv zu lösen (Sharp und Smith 2002). Wie bereits oben erwähnt, steht wahrgenommene soziale Isolation im Zusammenhang mit einem allgemeinen kognitiven Leistungsabfall und Problemen der Aufmerksamkeit (Cacioppo und Hawkley 2009). Hinzu kommt, dass gute Schulleistungen oft den Neid anderer auf sich ziehen und daher in manchen Fällen sogar ein Grund für Mobbing sein können. Besonders gute Schüler werden als „Streber“ verspottet und erfahren mehr Ausgrenzung. Schulische Anstrengungen, Fleiß und gute Noten gelten als „uncool“ und werden unter Jugendlichen offenbar negativ sanktioniert (Gaida 2011). Olweus (1994) argumentierte zwar, dass keine Evidenz für auffällige Merkmale wie Schulnoten als Mobbingursache bestehe. Allerdings schreiben Täter ihren Opfern normabweichende Eigenschaften zu, um ihr Verhalten zu rechtfertigen (Gaida 2011). Zusätzlich suchen Opfer meist selbst nach Gründen, warum ausgerechnet sie schikaniert werden und versuchen, auch weniger durch Leistungen herauszustechen. (Petermann und Koglin 2013). Die Angst vor sozialer Ausgrenzung kann ein leistungshemmender Faktor sein (Pelkner et al. Pelkner et al. 2002). Unter anderem in diesem Zusammenhang nehmen Motivation und Lernfreude drastisch ab (Boulton und Underwood 1992). Zudem kommen einige Kinder häufig nicht zur Schule, um der täglichen Schikane durch ihre Peiniger zu entkommen (Smith und Sharp 1994). All dies wirkt sich negativ auf die allgemeinen schulischen Leistungen

119 Was sind die Folgen von Mobbing?

aus. Kochenderfer und Ladd (1996) untersuchten, ob Mobbing Ursache oder Folge der erhöhten schulischen Probleme bei betroffenen Kindern ist und kamen zu dem Ergebnis, dass Viktimisierung tatsächlich als ursächlich für schlechte Schulleistungen, Schulabwesenheit und Anpassungsprobleme an die Schule gesehen werden kann. Anhaltendes Mobbing kann sich negativ auf das gesamte Klassenklima auswirken, das Stresspotenzial für alle Beteiligten enorm erhöhen und ebenfalls diejenigen Mitschüler betreffen, die nicht direkt in das Geschehen involviert sind. Im Zusammenhang mit einem Klima der Angst (siehe unten) kann ein Abfall der Lernleistungen teilweise über die gesamte Klasse hinweg beobachtet werden (Dittmann 2011). Auch bei Tätern können häufig schlechte Schulleistungen beobachtet werden. Kinder, die durch Aggressivität und dissoziales Verhalten auffallen und andere schikanieren, erreichen im Schnitt schlechtere Schulnoten und einen geringeren Schulabschluss. Zudem geraten sie durch problematisches Sozialverhalten häufiger in Konflikt mit Lehrern und bleiben der Schule häufiger fern (Weiß 2016). Sie geraten teilweise in einen Teufelskreis aus Schulleistungsproblemen und dissozialem Verhalten (Lösel und Bliesener 2003). Dies kann langfristig bis hin zu Bildungsmangel, einer Entwicklung delinquenten Verhaltens und zahlreichen gesellschaftlichen Problemen führen (Lochner und Moretti 2004), auf die im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. 7.3.2  Externalisierende und gesellschaftliche Probleme

bei Tätern

Nicht nur für die Opfer von Mobbing, sondern auch für die Täter kann das Ungleichgewicht an Macht, welches in einer Mobbingsituation besteht, sich äußerst negativ auf das spätere Leben auswirken. Anstelle eines gesunden Umgangs mit gesellschaftlichen Normen und Regeln lernen Täter, dass sie durch Machtmissbrauch ihren Willen durchsetzen können (Sharp und Smith 2002). Dies kann von einer Störung des Sozialverhaltens bis zur allgemeinen Entwicklung antisozialen Verhaltens führen (Habermeier 2006). Kim et al. (2006) bestätigten in ihrer Studie, dass psychopathologisches Verhalten wie soziale und externalisierende Probleme (Aggression, Schlägereien, Kontrollverlust) eher als eine Folge denn als Ursache von Mobbing gesehen werden kann. Auch Substanzmissbrauch von Tabak und Alkohol sowie allgemeines risikoreiches Verhalten, ist bei Mobbing-Tätern häufig zu verzeichnen (Richter et al. 2007). Verschiedene Untersuchungen zeigten zudem, dass Täter ein erhöhtes Risiko für delinquentes Verhalten, Kriminalität und Drogenmissbrauch im späteren Leben aufweisen (Bender und Lösel 2011; Loeber und Dishion 1983; Magnusson et al. 1983). Kinder, die im Alter von acht Jahren als „bullies“ identifiziert wurden, hatten beispielsweise laut einer Studie von Olweus (1994) mit einer fünfmal höheren Wahrscheinlichkeit im Alter von 30 ein bedenkliches Strafregister. 7.4  Psychische Störungen

Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass alle Personen, die in irgendeiner Form an Mobbing beteiligt sind, deutlich gefährdeter sind, psychische Störungen zu entwickeln (Petermann und Koglin 2013). Dabei können psychische Störungen sowohl als bereits vorher bestehende Auffälligkeit ursächlich für Mobbing, indem sie z. B. die Betroffenen

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verletzlicher machen, als auch als Folge von Mobbing auftreten (Fekkes et al. 2006). Möglicherweise ist die Kausalität hier nicht einseitig gerichtet, sondern Mobbing und psychische Probleme beeinflussen sich wechselseitig. Besonders betroffen sind einerseits passive Opfer von Mobbing, andererseits sind überraschenderweise Kinder, die sowohl als Täter als auch Opfer auftreten, vergleichsweise am stärksten beeinträchtigt (Nordhagen et al. 2005). Im folgenden Kapitel soll vor allem auf internalisierende psychische Probleme eingegangen werden, da externalisierende Probleme, die vor allem bei Tätern und Täter-Opfern auftreten, bereits oben behandelt wurden. Infobox: Internalisierende und externalisierende Probleme

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Bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter wird häufig zwischen sogenannten internalisierenden, „nach innen gerichteten“ und externalisierenden, „nach außen gerichteten“ Problemen unterschieden. Während die „nach außen gerichteten“ externalisierenden Störungen häufiger störend auffallen, werden internalisierende Störungen leichter übersehen, da sie von außen nicht sichtbar, sondern „nach innen“ bzw. gegen das Kind selbst gerichtet sind. Externalisierende Probleme werde eher mit Jungen, internalisierende eher mit Mädchen assoziiert. Die folgende Tabelle zeigt einige Beispiele.

Internalisierende Probleme

Externalisierende Probleme

Ängste und Phobien Depressive Symptome Selbstwertprobleme Psychosomatische Beschwerden (z.B. Bauch- und Kopfschmerzen ohne erkennbare medizinische Ursache)

Impulsivität Hyperaktivität Aggressivität Normverletzungen Störungen des Sozialverhaltens Sonstige Verhaltensauffälligkeiten

(Alsaker 2004; Achenbach 1978; Eisenberg et al. 2001) Internalisierende psychische Probleme im Kindesalter sollten möglichst früh erkannt und behandelt werden, da sie das Risiko für Klassenwiederholungen, Schulabsentismus und Schulabbruch erhöhen (Schulte-Körne 2016) und die Gefahr besteht, dass sich Symptome immer weiter verfestigen, die Entwicklung eines jungen Menschen beeinträchtigen und weitreichende Folgen bis ins Erwachsenenalter tragen können (Alsaker 2004; Petermann und Koglin 2013). 7.4.1  Angst

Bei zahlreichen psychischen Störungen spielt Angst unterschiedlicher Ausprägung eine zentrale Rolle. Manche Ängste wie Phobien, übermäßiges Sorgen/Grübeln (generalisierte Angst) und soziale Ängstlichkeit treten im Kindesalter weitaus häufiger auf als im späteren Leben, wobei Ängstlichkeit in verschiedenen Phasen der kindlichen

121 Was sind die Folgen von Mobbing?

Entwicklung nicht immer auf eine ausgeprägte psychische Störung hinweisen muss (Lenze und Whetherell 2011). Starke psychosoziale Belastungen wie Mobbing können allerdings sowohl Ängste hervorrufen als auch bereits bestehende Ängste bis hin zur Entwicklung einer Angststörung verschlimmern. Dies kann gravierende Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter haben (Jensen et al. 2015). Kinder, die sich in einer Mobbingsituation befinden, sind dem ständigem Gefühl von Angst ausgesetzt. Sie müssen ständig die nächsten Schikanen ihrer Peiniger befürchten, haben Angst, dass diese noch schlimmer werden und sich noch mehr Mitschüler beteiligen könnten und fürchten sich, überhaupt in die Schule und ihre Klasse als Ort ihrer Qualen zu gehen (Dittmann 2011). Wenn sie sich dazu entschließen, Hilfe bei Lehrern oder Eltern zu suchen, müssen sie fürchten, dass man ihnen nicht glauben könnte und sie infolge als „Petze“ gelten und noch stärker schikaniert werden könnten (Alsaker 2004; Dittmann 2011). Alsaker (2004) berichtet von erhöhter Ängstlichkeit sowohl unter Kindergartenkindern als auch älteren Schulkindern, die von Mobbing betroffen sind. Dies bestätigt Beobachtungen, die bereits in sehr frühen Studien zu Mobbing gemacht wurden (z. B. Olweus 1978). Bemerkenswerterweise leiden auch Täter-Opfer, also Kinder, die sowohl als Täter als auch Opfer auftreten, laut Selbstbericht zumindest im Schulalter ebenfalls unter erhöhter Ängstlichkeit. Dies widerspricht Studien, die nur die Einschätzung durch Außenstehende (z. B. Erzieherinnen) berücksichtigten, da diese möglicherweise die Ängstlichkeit von Täter-Opfern aufgrund deren aggressiven Auftretens übersahen (­Alsaker 2004). Ohne detaillierte Längsschnittstudien kann nicht eindeutig geklärt werden, ob Ängstlichkeit bei Kindern, die zu Opfern werden, bereits vor dem Mobbing besteht oder erst dadurch hervorgerufen wird. Die Vermutung, dass bereits vor dem Kindergarten bzw. Schuleintritt ängstliche Kinder dadurch verletzlicher sind, scheint plausibel. Insbesondere von Jungen wird durch immer noch bestehende Geschlechterstereotype (American Psychological Association 2018) häufig erwartet, furchtlos und selbstbewusst aufzutreten, sodass Jungen, die unter Ängsten leiden, besonders schnell auf Ablehnung stoßen können (Alsaker 2004). Olweus (1991) beschreibt typische „passive Opfer“ als Kinder mit einer vorsichtigen und ängstlichen Persönlichkeitsstruktur. Er argumentiert, dass Ängstlichkeit bei Opfern zwar einerseits dazu beitragen könnte, dass sie durch Täter in der Erwartung, dass sie sich nicht wehren könnten, ausgewählt werden. Andererseits liege es auf der Hand, dass die Aggressivität und wiederholten Schikanen durch die Täter zu erhöhter Angst und Unsicherheit bei Opfern führen müsse (Olweus 1991). Aus diesen beiden Elementen kann eine Art Teufelskreis aus Angst und Mobbing entstehen: Ein Kind leidet unter Ängstlichkeit und hat daher Schwierigkeiten, sozialen Anschluss zu finden. Weil es dadurch als verletzlicher wahrgenommen wird, wird es von Mobbing-Tätern als Opfer ausgewählt. Durch Mobbing verschlimmern sich Angst und soziale Isolation, was das Opfer noch verletzlicher gegenüber seinen Peinigern macht etc. (. Abb. 7.2). Hawker und Boulton (2000) verglichen die Ergebnisse zahlreicher Studien, die den Zusammenhang zwischen Mobbing und mehreren psychosozialen Problemen untersuchten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Viktimisierung sowohl generalisierte als auch soziale Ängstlichkeit bei Opfern hervorrufen kann.

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Mobbing

Erhöhte Vulnerabilität

Ängstlichkeit und soziale Isolation

Erhöhte Ängstlichkeit und soziale Isolation

Vulnerabilität

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. Abb. 7.2  Ein Teufelskreis und Ängstlichkeit und Mobbing

Infobox: Soziale Angststörung bei Kindern und Jugendlichen Die Soziale Angststörung oder soziale Phobie ist charakterisiert durch eine starke Angst vor sozialen Situationen oder Leistungssituationen, bei denen andere anwesend sind. Sie kann Kinder und Jugendliche daran hindern, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten und Freundschaften aufzubauen. Ebenfalls kann sie sich negativ auf Schulleistungen auswirken und dazu führen, dass Kinder die Schule schwänzen. Typische Symptome sind z. B. zögerliches, gehemmtes und passives Auftreten, Angst, im Mittelpunkt zu stehen und Vermeidung von Kontaktaufnahme mit anderen in jeglicher Form (einschließlich per Telefon oder Textnachricht). Sozial ängstliche Kinder und Jugendliche sprechen oft sehr leise oder nuscheln, vermeiden Blickkontakt und

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sorgen sich übermäßig über mögliche negative Bewertung oder peinliche Situationen. Sie haben große Angst davor, vor anderen zu sprechen, etwas laut vorlesen zu müssen oder im Unterricht aufgerufen zu werden. (Anxiety und Depression Association of America 2015)

Infobox: Generalisierte Angststörung bei Kindern und Jugendlichen Generalisierte Angst ist geprägt von exzessivem, also in ihrer Intensität und Häufigkeit unangemessenen Sorgen und Grübeln über eine breite Anzahl von Themen, wie z. B. die Beziehung zu Gleichaltrigen, Schulnoten, Leistungen im Schulsport und vieles mehr. Typische Symptome sind ständige Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit sowie Übermüdung und Konzentrationsprobleme. Kinder und Jugendliche, die unter generalisierter Angst leiden, sind oft sehr streng mit sich selbst und haben einen hohen Anspruch bis hin zum Perfektionismus. Manchmal fallen sie dadurch auf, dass sie ständig nach Bestätigung und Absicherung durch andere suchen. (Anxiety und Depression Association of America 2015)

Sowohl direktes als auch indirektes Mobbing sind mit Angst vor negativer Bewertung und mit sozialer Vermeidung assoziiert, zwei zentralen Komponenten der sozialen Angst (Storch et al. 2003). In engem Zusammenhang zu stark ausgeprägter sozialer und sonstiger Ängstlichkeit steht, wie stark sich die Schüler selbst für ihre Situation verantwortlich machen. Je eher sie die Schuld für ihr Leid bei sich selbst suchen, desto stärker wird ihre Angst, welche außerdem eng mit Gefühlen von Einsamkeit und einem niedrigen Selbstwert verbunden ist (Graham und Juvonen 1998). Wenn Kinder erlebte Zurückweisung durch andere auf ihre eigene Inkompetenz attribuieren, also glauben, andere lehnten sie ab, weil sie unfähig seien, sich angemessen zu verhalten, dann kann sich eine erlernte Hilflosigkeit in Bezug auf soziale Situationen entwickeln. Diese wiederum führt zu Rückzug und verstärkt soziale Ängstlichkeit (Goetz und Dweck 1980). Auf der anderen Seite können starke Gefühle von sozialer Ängstlichkeit wiederum dazu führen, dass Kinder nicht effektiv mit anderen interagieren können und dadurch wiederum eher zurückgewiesen werden (Crick und Ladd 1993). Obwohl Kinder, die als Opfer direkt von Mobbing betroffen sind, am stärksten von Angst betroffen sind, hat das Mobbinggeschehen auch Auswirkungen auf Umstehende. Nicht direkt involvierte Kinder, die sich auf einer niedrigen Stufe in der Klassenhierarchie sehen, fürchten, bald selbst zum Opfer werden zu können (Dittmann 2011). Sie verspüren einen hohen Anpassungsdruck und glauben, sich schützen zu können, indem sie nicht auffallen und sich an das Verhalten des Täters anpassen (Kindler 2009). 7.4.2  Psychosomatische Beschwerden

Psyche und Körper stehen in ständigem Austausch miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Von psychosomatischen Symptomen (von altgriechisch ψυχή/psyche: Seele und σῶμα/soma: Körper) spricht man, wenn sich seelische Belastungen wie z. B. Stress,

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Trauer, Angst etc. in körperlichen Beschwerden äußern, bzw. wenn sich umgekehrt körperliche Erkrankungen auf die Psyche auswirken. Studien zeigen, dass derartige psychosomatische Beschwerden im Zusammenhang mit Mobbing gehäuft auftreten. Vor allem Opfer weisen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit auf, wiederholt an psychosomatischen Beschwerden zu leiden und auch bei Täter-Opfern konnten erhöhte Werte festgestellt werden (Richter et al. 2007, 2009). Jüngere Kinder im Kindergartenalter leiden am häufigsten unter Bauch- und Kopfschmerzen, wenn sie als passive Opfer oder Täter-Opfer in Mobbing involviert sind (Alsaker 2004). Interessanterweise leiden laut einer Studie von Alsaker (1997) im Schulalter auch Täter fast genauso stark an psychosomatischen Beschwerden wie passive Opfer, während Täter-Opfer am stärksten von allen involvierten Personen leiden. Anhaltender psychosozialer Stress wie Mobbing in der Schule kann die Entstehung von funktionellen Bauchschmerzen im Kindesalter begünstigen (Boey und Goh 2001; Petermann und Schulte 2009). Symptome, die eng mit dem Empfinden von Angst zusammenhängen, wie z. B. Herzrasen, Schwindel und Übelkeit treten hauptsächlich bei Opfern von Mobbing auf (Alsaker 2004). Schlafstörungen wie Ein- und Durchschlafprobleme, Alpträume oder Atemstörungen im Schlaf treten bei allen beteiligten Rollen häufig auf (O’Brien et al. 2011; Alsaker 2004). Mobbing und andere aggressive Verhaltensweisen, die bei Tätern und Täter-Opfern beobachtet werden können, stehen im Zusammenhang mit erhöhten Schlafproblemen und schlafbedingten Atemstörungen (Chervin et al. 2003; O’Brien et al. 2011). Hier konnte die Richtung der Kausalität allerdings bisher nicht geklärt werden, also ob Schlafprobleme Aggressivität hervorrufen oder umgekehrt. Schlafstörungen führen nachvollziehbar häufig zu Tagesmüdigkeit, was sich wiederum negativ auf die Konzentrationsfähigkeit im Unterricht und somit auf Schulleistungen auswirken kann (siehe oben). Auch Reizbarkeit und aggressives Verhalten sind bei übermüdeten Kindern erhöht (O’Brien et al. 2011). Insgesamt zeigt sich, dass sich die psychische Belastung eines Mobbinggeschehens bei allen Beteiligten auch auf körperlicher Ebene äußert (Alsaker 2004). 7.4.3  Depression

Zahlreiche Studien wiesen erhöhte Raten von Depression bei von Mobbing betroffenen Kindern und Jugendlichen nach (Olweus 1991, 2009; Alsaker 2006). Hawker und Boulton (2000) fassten Studien aus zwanzig Jahren Forschung über den Zusammenhang zwischen Mobbing und psychischen Problemen, darunter auch Depression, in einer Metaanalyse zusammen. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zu Depression am stärksten ausgeprägt war. Wie im Folgenden erläutert, ist dies angesichts der belastenden Aspekte einer Mobbingsituation gut nachvollziehbar. Infobox: Depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen Leichte Depressive Verstimmung bis hin zu schwerwiegenden depressiven Störungen zählen zu den häufigsten psychischen Beeinträchtigungen im Kindesund Jugendalter. Je nach Alter eines Kindes können sich depressive Symptome sehr unterschiedlich äußern, sodass sie für Eltern, Lehrer und andere Kontakte eines Kindes oft nicht leicht zu erkennen sind. Übergreifend sind depressive Verstimmungen

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jedoch unter anderem geprägt von gesteigerter Traurigkeit, Teilnahmslosigkeit und fehlendem Antrieb, Selbstzweifeln und -abwertung, sozialem Rückzug sowie Denkund Schlafproblemen (Deutsche Depressionshilfe 2019). Depressionen betreffen 4–5 % der Kinder und Jugendlichen, wobei sie bei Mädchen doppelt so häufig auftreten. (Schulte-Körne 2016).

Oben wurde ausführlich dargestellt, wie verschiedene Elemente einer Mobbingsituation sich systematisch negativ auf den Selbstwert eines Kindes auswirken. Mehrerer dieser Elemente tragen auch zur Entstehung von depressiven Symptomen bei. So steigert beispielsweise ihr individuelles Leiden, also das Erleben, dass nur sie gemobbt werden und sich die Aggression der Täter nicht gegen andere richtet, die Verzweiflung und Isolation der Opfer. Meist findet sich niemand, der ihnen hilft oder sie verteidigt, denn obwohl die meisten Kinder eine Einstellung gegen Mobbing besitzen, ist tatsächliches eingreifendes Verhalten äußerst selten (Salmivalli 2010). Opfer sind den willkürlichen Schikanen ihrer Peiniger also meist ausweglos ausgeliefert und sehen keine Möglichkeit, zu entkommen (Alsaker 2006). Problematisch ist auch, dass Schüler nicht ohne weiteres ihren sozialen Kontext verlassen können, da ein Klassen- oder Schulwechsel mit höherem Aufwand verbunden ist und Kinder, die sich bereits in einer verzweifelten Situation befinden, sich auch dadurch keine Besserung versprechen. So sind sie manchmal über Monate oder Jahre ständiger Gewalt ausgesetzt (Scheithauer et al. 2006). Diese Situation, in der sich Opfer von Mobbing also befinden, entspricht einer typischen Situation der Hilflosigkeit, wie sie Seligman (1975). Infobox: Erlernte Hilflosigkeit Der Begriff der erlernten Hilflosigkeit wurde in den 70er Jahren von dem Psychologen Martin E.P. Seligman geprägt und beschreibt einen Zustand, in dem eine Person aufgrund negativer Erfahrungen überzeugt ist, nichts an der eigenen Situation ändern zu können und gleichzeitig selbst daran schuld zu tragen. In ursprünglichen Tierexperimenten zeigten Hunde, die sich in einer scheinbar unkontrollierbaren Situation befanden, passives Verhalten und erkannten Möglichkeiten, Elektroschocks zu entkommen, nicht. Seligman brachte Situationen der erlernten Hilflosigkeit in Zusammenhang mit der Entstehung von Depressionen. Spätere Forschung zeigte, dass Hilflosigkeitserwartungen u. a. schulische Leistungen, Motivation und die psychische bzw. körperliche Gesundheit beeinträchtigen können. (Seligman 1975; Heinecke-Müller 2014)

In einer solchen Hilflosigkeitssituation entstehen leicht dysfunktionale Kognitionen, also Gedanken, die die Psyche einer Person schädigen können. Einige solcher dysfunktionalen Gedanken wurden bereits oben beschrieben, wie z. B. die Überzeugung, selbst an dem Geschehen schuld zu sein (Graham und Juvonen 1998). Dysfunktionale Gedanken sind, ebenso wie negative Selbstbewertungen sowohl Entstehungsfaktor als auch zentraler Bestandteil von Depressionen (Peterson und Seligman 1984; Kendall et al. 1990). Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Opfer anhaltenden Mobbings häufig depressive Symptome entwickeln.

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Slee (1995) fand, dass nicht nur Opfer von Mobbing häufig unter depressiven Symptomen leiden, sondern dass Depression auch mit der Tendenz assoziiert ist, andere zu mobben. Alsaker (2004) berichtet ebenfalls, dass, wie sie sie bezeichnet, „aggressive Opfer“, also Kinder, die sowohl als Mobbing-Opfer als auch -Täter auftreten, genauso von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit betroffen sind wie passive Opfer. Teilweise leiden sie sogar stärker, da passive Opfer häufiger auf einen positiven Familienrückhalt zählen können. Über diese Ressource verfügen Täter-Opfer meist nicht, sondern sind im Gegenteil häufig zusätzlich familiären Belastungen ausgesetzt. Daher sollte dieser Gruppe von Kindern besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da sie in mehreren Bereichen am stärksten gefährdet scheinen (Alsaker 2006, Haynie et al. 2001). 7.5  Folgen von Mobbing: Zusammenfassung

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Während die meisten Kinder mit einzelnen Konflikte mit Gleichaltrigen gut umgehen können, ist es erst der kumulative Charakter von Mobbing, welcher nicht nur für die Opfer, sondern auch Täter, Täter-Opfer und weitere Beteiligte gravierende Folgen nach sich zieht. Neben körperlichen Verletzungen erleiden Opfer soziale Ausgrenzung und tiefe Verletzungen ihres Selbstwerts, was sich wiederum negativ auf soziale Beziehungen, schulische Leistungen und die psychische Gesundheit auswirken kann. In manchen Fällen entwickeln sich ausgeprägte psychische Störungen wie soziale bzw. generalisierte Angststörungen, psychosomatische Beschwerden und depressive Störungen. Während internalisierende Probleme für Opfer häufiger sind, treten bei Tätern eher externalisierende Probleme auf, welche ebenfalls schlechtere Schulleistungen verursachen und sich im Laufe des Lebens von Störungen des Sozialverhaltens bis hin zu ausgeprägten sozialen und gesellschaftlichen Problemen wie Substanzmissbrauch, Kriminalität und Gewalt in Partnerschaftlichen Beziehungen entwickeln kann. In allen Bereichen am stärksten gefährdet sind Kinder, die sowohl Täter als auch Opfer von Mobbing sind. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die starke Gefährdung aller Beteiligten einer Mobbingsituation, schwerwiegende psychische Probleme zu entwickeln, äußerst bedenklich ist. Es werden daher dringend geeignete Interventionen benötigt, sowohl, um Mobbing von vornherein zu verhindern, als auch, um Betroffenen, die unter den Folgen bereits geschehenen Mobbings leiden, Hilfe leisten zu können.

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Exkurs: Suizidalität und Mobbing Exkurs zu Kapitel 7 Leslie Weitzel 8.1 Einleitung – 132 8.2 Suizidalität: Eine definitorische Eingrenzung – 132 8.3 Epidemiologische Befunde zur Suizidalität – 134 8.4 Theorien zu suizidalen Verhaltens – 135 8.5 Risiko- und Schutzfaktoren der Suizidalität – 139 8.6 Suizidalität und Mobbing – 142 8.7 Zur Bedeutung von Hoffnungslosigkeit und wahrgenommener sozialer Unterstützung – 144 Literatur – 146

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_8

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8.1  Einleitung

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Suizid zählt in den westlichen Ländern zu den zehn Haupttodesursachen (Kessler et al. 2005) bei Jugendlichen stellt sie gar die zweithäufigste Todesursache dar (Kokkevi et al. 2012). Der Suizid erweist sich somit als ein gravierendes gesellschaftliches Problem. In dem folgenden Beitrag wird zunächst geklärt, was unter Suizidalität zu verstehen ist, hierbei werden epidemiologische Befunde zur Suizidalität vorgelegt. Festzustellen ist, dass je nach Land und Altersgruppe die Suizidraten stark variieren. In den vergangenen Jahren wurden einige psychologische Erklärungsmodelle zum Auftreten der Suizidalität entwickelt und empirisch geprüft. Auf drei zentrale Modelle wird in diesem Beitrag näher eingegangen: a) die Interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens (Joiner 2005), b) das Cry of Pain-Modell (Williams 2001) sowie c) das kognitive Modell suizidaler Handlungen (Wenzel und Beck 2008). Dabei wird sich insbesondere der Frage zugewandt, welche Risikofaktoren Suizidalität erklären können. Basierend auf einem Überblick über psychosoziale und proximale Risikofaktoren, fällt auf, dass etwa 90 % der Menschen, die einen Suizid vollzogen haben, eine psychische Erkrankung aufweisen (Kessler et al. 2005). Daher wird auf unterschiedliche psychische Störungen, die mit Suizid in Zusammenhang stehen, näher eingegangen. Jedoch nicht alle Menschen, die Risikofaktoren ausgesetzt sind, werden suizidal. So sind in der Suizidforschung auch zahlreiche Schutzfaktoren bekannt, die das Auftreten von suizidalem Verhalten verringern können (Johnson et al. 2011), die im Folgenden aufgegriffen werden. Schlussendlich wird der Zusammenhang zwischen Mobbingerfahrungen, und suizidalen Gedanken bzw. Verhalten thematisiert und analysiert. Hierbei wird nicht nur auf die Opfer und Täter von Mobbing, sondern auch auf die Rolle der Bystander in Mobbingepisoden eingegangen. 8.2  Suizidalität: Eine definitorische Eingrenzung

Bislang findet sich keine einheitliche internationale Definition für Suizidalität, jedoch wird häufig auf das Klassifikationssystem von Posner und Kollegen (2007) zurückgegriffen (siehe . Abb. 8.1). Hier wird unter dem Oberbegriff Selbstverletzendes Verhalten zwischen drei Kategorien unterschieden: a) suizidales selbstverletzendes Verhalten, b) unbestimmtes selbstverletzendes Verhalten und c) nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten (Posner et al. 2007). Suizidales selbstverletzendes Verhalten gliedert sich wiederum in vollendeten Suizid, Suizidversuch, suizidale Gedanken und Vorbereitung zu suizidalen Handlungen, wobei abgebrochene und unterbrochene Suizidversuche miteinbegriffen werden (Posner et al. 2007). Unbestimmtes selbstverletzendes Verhalten differenziert sich laut Posner und Kollegen (2007) in selbstverletzendes Verhalten mit unbestimmter Intention und unzureichende Information, um suizidales Verhalten festzustellen. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten gliedert sich in selbstverletzendes Verhalten ohne suizidale Intention und andere Ursachen, die zufällige Verletzungen, psychiatrische oder medizinische Symptome umfassen (Posner et al. 2007). Suizidalität umfasst demzufolge Suizidgedanken, sowohl das passive Nachdenken als auch die direkte Kommunikation Suizid zu begehen, Suizidpläne, Suizidversuche

Vorbereitung zu suizidalen Handlungen (inkl. unterbrochener od. abgebrochener Suizidversuch)

Suizidgedanken

Kein Konsens

Nicht genug Information (? suizidal od. »anderes«)

Unbestimmt

Selbstverletzendes Verhalten mit unbestimmter Intention (? suizidales oder nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten)

. Abb. 8.1  Klassifikation selbstverletzenden Verhaltens (Plener 2015, S. 10)

Suizidversuch

Vollendeter Suizid

Suizidal

Selbstverletzendes Verhalten ohne suizidale Intention

Andere: Unfall psychiatrisch medizinisch

Nichtsuizidal

Exkurs: Suizidalität und Mobbing 133

8

134

L. Weitzel

und die erfolgreiche Durchführung des Suizidversuchs (Winsper et al. 2012). Unter Suizid versteht man, die willentliche Herbeiführung des eigenen Todes, es handelt sich also um eine bewusste Selbsttötung (WHO 2014). Jede selbstinitiierte Handlung, die mit der Absicht seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten, vollzogen wird, ohne jedoch dabei einen tödlichen Ausgang findet, wird als Suizidversuch definiert (WHO 2014). Suizidgedanken umfassen Gedanken, den eigenen Tod durch selbstinitiierte Handlung herbeizuführen (Becker und Meyer-Keitel 2008). Suizidale Gedanken werden häufig noch nach dem Ausmaß suizidaler Intention (keine Suizidabsicht, ungenaue suizidale Absicht oder suizidale Intention), Häufigkeit des Vorkommens (vereinzelt, vorübergehend oder persistent) und nach dem Ausmaß der Passivität oder Aktivität suizidaler Gedanken (Wunsch zu sterben oder Bedürfnis einen Suizidplan zu schmieden) unterschieden (Silverman et al. 2007). 8.3  Epidemiologische Befunde zur Suizidalität

8

Suizid stellt ein bedeutsames gesellschaftliches Gesundheitsproblem dar (World Health Organization 2015a). So wurden weltweit im Jahre 2016 793.000 erfolgreich durchgeführte Suizidversuche ermittelt (Global Health Observatory (GHO) data, 2016). Da Suizid in etlichen Ländern weiterhin ein Tabuthema darstellt, ist davon auszugehen, dass die reelle Anzahl an Selbsttötungen um ein Vielfaches höher liegt (O’Donnell und Farmer 1995). Abgrenzend zu vollendeten Suiziden, ist davon auszugehen, dass 5 % der Amerikaner schon einmal einen Suizidversuch unternommen haben und 15 % Suizidgedanken erlebt haben (Nock et al. 2008). Die Suizidrate variiert stark zwischen den verschiedenen Ländern, mit Guyana, einem Staat an der Atlantikküste Südamerikas, als höchste Suizidrate weltweit mit einer altersstandardisierten Suizidrate von 30,2 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2016 und Litauen als höchste Suizidrate in Europa, mit einer altersstandardisierten Suizidrate von 25,7 pro 100.000 Einwohner (Global Health Observatory (GHO) data, 2016). Hinsichtlich suizidalen Verhaltens bei Jugendlichen zeigen sich auch ethnische Unterschiede: Gebürtige Amerikaner weisen die höchste Rate von Suizidgedanken und suizidalem Verhalten auf, hingegen afrikanische Amerikaner und Asiaten geringere Raten (CDC 2012a; Langhinrichsen-Rohling et al. 2009). Die Suizidrate ist zudem stark geschlechtsabhängig, wobei in nahezu allen Ländern in denen Suizidalität untersucht wurde, Frauen im Vergleich zu Männern vermehrt Suizidgedanken und nicht-tödliche Suizidversuche aufzeigen, hingegen viermal mehr Männer als Frauen einen vollendeten Suizid aufweisen (Nock et al. 2008; WHO 2015a). Erklärt werden diese Unterschiede unter anderem dadurch, dass Männer im Vergleich zu Frauen vermehrt tödliche Suizidmethoden einsetzen, sogenannte harte Methoden, wie z. B. Schusswaffen, und somit ihre Überlebenschancen mindern (Hooley et al. 2017). Ferner erweist sich die Suizidrate als altersabhängig, wobei die höchste Rate begangener Suizide bei Menschen mittleren Alters (45–55 Jahre) auftritt und einen leichten Rückgang über die weitere Lebensspanne aufzeigt (Centers for Disease Control and Prevention 2015c). Suizid bei Jugendlichen erweist sich zudem in Europa und in den USA als zweithäufigste Todesursache (Kokkevi et al. 2012). Hinsichtlich Suizidgedanken im Jugendalter ist folgender Verlauf auffällig: Die Prävalenz von Suizidgedanken und Suizidversuchen steigt im Alter von 12 Jahren an und findet eine rasante Zunahme bis ins frühe Erwachsenenalter (Nock et al. 2013). Etwas mehr als ein Drittel (33,4 %) der

135

Cumulative Prevalence, %

Exkurs: Suizidalität und Mobbing

17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0

Ideation Plan Attempt

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Age, y

. Abb. 8.2  Kurve zum Altersbeginn bei Suizidgedanken, -pläne und -versuche. Grafik aus Nock und Kollegen (2013)

Jugendlichen, welche von Suizidgedanken berichteten, schmieden einen Suizidplan und 33,9 % unternahmen sogar einen Suizidversuch (Nock et al. 2013). Mehr als die Hälfte der Jugendlichen (63,1 %), schmieden noch im gleichen Jahr nach Beginn der Suizidgedanken einen Suizidplan und wiederum 86,1 % gehen zu einem Suizidversuch über (Nock et al. 2013). Hinsichtlich Suizidgedanken liegt die Lebenszeitprävalenz bei Jugendlichen bei 12,1 %, bei Suizidplänen bei 4,0 % und bei Suizidversuchen bei 4,1 % (Nock et al. 2013). Es lässt sich festhalten, dass Suizidgedanken in der Adoleszenz insgesamt stark zunehmen (Siehe . Abb. 8.2). 8.4  Theorien zu suizidalen Verhaltens

Um das Verständnis suizidalen Verhaltens zu erweitern wurden einige aussagekräftige theoretische Modelle vorgelegt (O’Conner und Nock 2014). Im Folgenden werden deren zentrale theoretische Annahmen vorgestellt (. Abb. 8.3): 8.4.1  Interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens (Joiner 2005)

Nach der interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens (Joiner 2005) führt die Wahrnehmung, nicht Teil einer geachteten Gruppe zu sein und der Eindruck für seine Mitmenschen eine Belastung darzustellen, zu dem Wunsch zu sterben. Die erworbene Befähigung sich umzubringen ist im Weiteren ausschlaggebend, ob es zu einer suizidalen Handlung kommt (Van Orden et al. 2010).

8

136

L. Weitzel

Suizidwunsch

Wahrnehmung eine Last zu sein (Perceived burdensomeness) Fehlendes Zugehörigkeitserleben (thwarted belongingness)

Erworbene Fähigkeit (acquired capability)

Schmerzüberwindung und Furchtlosigkeit vor dem Tod

Suizidversuch oder vollende

8

. Abb. 8.3  Interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens (Teismann und Dorrman 2014, S. 26)

Soziale Isolation und die Abwesenheit gegenseitiger fürsorglicher Beziehungen, welches ein grundlegendes menschliches Bedürfnis darstellt, begünstigt die Ausbildung von Suizidwünschen (Baumeister und Leary 1995; Van Orden et al. 2010). Jedoch zeigte sich, dass erst das Zusammenspiel der Überzeugung eine Last für die Menschen zu sein und das fehlende Zugehörigkeitsgefühl zu aktiven Suizidwünschen führt. Das Auftreten einer der beiden Faktoren führt hingegen nur zu passiven Suizidwünschen, also die Beschränkung auf den Wunsch tot zu sein (Van Orden et al. 2010; Joiner 2005). Der Wunsch seinem Leben ein Ende zu bereiten reicht jedoch nicht aus einen Suizidversuch zu begehen. Nach Van Orden und Kollegen (2010) sind Menschen, die eine reduzierte Schmerztoleranz und eine verringerte Angst vor dem Tod erlernt haben, erst fähig ihren Wunsch sich das Leben zu nehmen auch in die Tat umzusetzen. Durch die wiederholte Exposition mit physisch schmerzhaften oder angsteinflößenden Erfahrungen, wie z. B. Selbstverletzung, nimmt die Furcht vor dem Tod und dem Schmerz ab und befähigt die Person zu immer schmerzhafteren Formen der Automutilation. Die empirische Befundlage stützt die Annahmen der interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens, so konnte gezeigt werden, dass die Wahrnehmung eine Last zu sein sowie ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl mit vollendeten Suiziden, Suizidversuchen und Suizidgedanken assoziiert sind (Anestis und Joiner 2011; Conner et al. 2007; Joiner et al. 2009; Van Orden et al. 2008). Ebenso erwies sich die dreifach Interaktion zwischen der Wahrnehmung eine Last zu sein, dem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl und der Schmezüberwindung und Furchtlosigkeit vor dem Tod als signifikanter Prädiktor für Suizidversuche (Anestis und Joiner 2011). 8.4.2  Cry of Pain-Modell (Williams 2001)

Williams (2001) postuliert, dass suizidales Verhalten erst dann entsteht, wenn Menschen stressvollen oder negativen Situationen ausgesetzt sind, die drei Komponenten

137 Exkurs: Suizidalität und Mobbing

aufzeigen: a) Die Stresssituation wird von der Person als niederschmetternd und/oder entwürdigend bewertet, b) aus der sie gerne flüchten möchte, jedoch keine Fluchtmöglichkeit sieht und c) auch für die nahe Zukunft keinen Ausweg erkennt. Dieses Dreigestirn bedingt dann ein psychobiologisches ‚Hilflosigkeitsskript‘, das die Überzeugung der Unveränderbarkeit der momentanen Situation stärkt und als einzige Möglichkeit aus dieser unerträglichen Lebenssituation zu entkommen, den Suizid erkennt (Williams 2001). Das Cry of Pain-Modell betont, dass Defizite in Problemlösefertigkeiten maßgeblich für die Entwicklung suizidalen Verhaltens sind, da sie die Bewertung einer Situation negativ beeinflussen. Ebenso wird der Eindruck, einer Situation komplett ausgeliefert zu sein, durch einen Mangel an positiven Zukunftsperspektiven verstärkt. Der Verfügbarkeit sozialer Unterstützung wird dabei eine puffernde Wirkung zugeschrieben (Williams 2001). Empirische Studien stützen das Cry of Pain-Model, so konnte O’Connor (2003) zeigen, dass wegen Suizidversuch hospitalisierte Patienten, höhere Werte im Erleben niederschmetternder Situationen, niedrigere Werte in Fluchtmöglichkeiten, emotionaler sozialer Unterstützung und positiven zwischenmenschlichen Interaktionen aufweisen als Patienten, die wegen körperlichen Problemen behandelt wurden. Ferner konnte belegt werden, dass das Erleben von niederschmetternden Situationen und Fehlen von Fluchtmöglichkeiten ein Prädiktor für Selbstverletzungen (Slade et al. 2014) und suizidales Verhalten (O’Connor et al. 2013) darstellen, auch nach statistischer Kontrolle von vorherigen Selbstverletzungen, Depression und Hoffnungslosigkeit. Überdies bestätigte die Studie von Rasmussen und Kollegen (2010), dass das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten den Zusammenhang zwischen Erleben von niederschmetternden Situationen und suizidalen Gedanken mediiert. Ferner moderierte positives Zukunftsdenken – nicht jedoch soziale Unterstützung – den Zusammenhang zwischen Fehlen von Fluchtmöglichkeiten und Suizidgedanken (Rasmussen et al. 2010; . Abb. 8.4).

Stress: hauptsächlich niederschmetternde Situation

Keine Fluchtmöglichkeit/ Gefangenschaft

Bewertung der Person: Wie stressreich? Wie gefangen? Wieviel soziale Unterstützung Beeinflusst durch Verzerrungen in der Informationsverarbeitung & Gedächtnisverzerrung

. Abb. 8.4  Cry of Pain Modell (Rasmussen et al. 2010)

Psychobiologisches ‚Hilflosigkeitsskript‘

Faktoren der Befreiung: Soziale Unterstützung & positive Zukunftsdenken

8

138

L. Weitzel

8.4.3  Kognitives Modell suizidaler Handlungen

(Wenzel und Beck 2008)

8

Zentral für suizidales Verhalten sind im kognitiven Modell suizidaler Handlungen dysfunktionale Gedanken und kognitive Prozesse (Wenzel und Beck 2008). In diesem Modell spielt Hoffnungslosigkeit eine zentrale Rolle (Wenzel und Beck 2008). Hierbei unterscheiden Wenzel und Beck (2008) zwischen zwei Suizidschemata: a) habitueller Hoffnungslosigkeit (trait hopelessness), eine pessimistische Zukunftssicht als Persönlichkeitscharakteristikum, und b) die Überzeugung, den unerträglichen Zustand nicht länger aushalten zu können (unbearability). Wenzel und Beck (2008) gehen davon aus, dass Hoffnungslosigkeit bei geplantem suizidalem Verhalten eine entscheidende Rolle spielt, hingegen „das nicht länger Aushalten zu können“ eher bei spontanen Suizidversuchen und Suiziden von Relevanz sind. Dispositionelle Vulnerabilitätsfaktoren, Persönlichkeitsmerkmale wie Impulsivität, Problemlösedefizite, ein dysfunktionaler Kognitionsstil (z. B. voreilige Schlüsse ziehen), ein übergeneralisierter Erinnerungsstil, sowie Perfektionismus und Neurotizismus, können nach Wenzel und Beck (2008), allein oder in Anwesenheit von psychischen Störungen oder Lebensstress suizidrelevante Schemata anstoßen. Beide Suizidschemata interagieren mit Lebensstress und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Person akute Hoffnungslosigkeit erleben wird. Erhöht sich die akute Hoffnungslosigkeit, so nimmt laut Wenzel und Beck (2008), die Wahrscheinlichkeit akuter Suizidgedanken zu. Aktivierte suizidrelevante Schemata stoßen suizidrelevante kognitive Prozesse an: Selektive Aufmerksamkeit für suizidrelevante Stimuli, die Unfähigkeit die Aufmerksamkeit von suizidrelevanten Stimuli abzuwenden, und die Voreingenommenheit, dass Suizid, die einzige Lösung darstellt (Wenzel und Beck 2008). Ein suizidaler Mensch, der sich in einem hoffnungslosen Zustand befindet, betrachtet alles in einem Tunnelblick und nimmt andere Lösungsmöglichkeiten nicht mehr wahr (Wenzel und Beck 2008). Je mehr die Person den Suizid als einzige Lösung wahrnimmt, desto hoffnungsloser steht sie ihrer Lebenssituation entgegen (Wenzel und Beck 2008). Wiederum trübt erhöhte akute Hoffnungslosigkeit das Urteilungsvermögen und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit keinen Ausweg aus dem Leid zu sehen (Wenzel und Beck 2008). Angesichts der steigenden Hoffnungslosigkeit erhöht sich die Auftretenswahrscheinlichkeit von Suizidgedanken und in Funktion der Häufigkeit, Intensität und/oder Dauer dieser Suizidgedanken steigt das Risiko suizidalen Verhaltens (Wenzel und Beck 2008). Zu einem Suizidversuch kommt es aber erst dann, wenn eine Person ihre persönliche Toleranzschwelle überschreitet (Wenzel und Beck 2008; . Abb. 8.5). Die Rolle der Hoffnungslosigkeit, dem im Modell eine bedeutende Rolle für suizidales Erleben und Verhalten zugeschrieben wird, konnte durch etliche Studien gestützt werden (McMillan et al. 2007): So zeigte sich zum Beispiel, dass Hoffnungslosigkeit Suizidgedanken, Suizidversuche und vollendete Suizide über ein 13-Jahres-Follow-up vorhersagte (Kuo et al. 2004). > Merke

Die theoretischen Modelle heben alle drei die Bedeutsamkeit der Hoffnungslosigkeit in der Risikoabschätzung suizidalen Verhaltens hervor, jedoch unterscheiden sie sich in der Betonung anderer psychosozialen Variablen,

139 Exkurs: Suizidalität und Mobbing

Externe Stressoren

Dispositionelle Vulnerabilitätsfaktoren

Suizidschemata Hoffnungslosigkeit (trait)

Prozesse psychischer Störungen

Unaushaltbarkeit

Hoffnungslosigkeit (state)

Prozesse selektiver Aufmerksamkeit Attentionale Fixation

Suizidgedanken

Suizidversuch

. Abb. 8.5  Kognitives Modell suizidaler Handlungen (Wenzel und Beck 2008) aus Teismann und ­Dorrmann 2014, S. 25

wie u. a. Unerträglichkeit, Wahrnehmung eine Last zu sein, fehlende soziale Zugehörigkeit und Furchtlosigkeit. Alle aufgeführten Modelle tragen zur Vorhersage von Suizidalität bei.

8.5  Risiko- und Schutzfaktoren der Suizidalität

Unterschiedliche Risikofaktoren für Suizid und Suizidgedanken sind mittlerweile bekannt. Abgesehen von demografischen Faktoren, wie Geschlecht – männliches Geschlecht als Risikofaktor für Suizid, hingegen das weibliche Geschlecht als Risikofaktor für Suizidgedanken (Grøholt et al. 1999, Lewinsohn et al. 2001) -, Alter und ethnische Zugehörigkeit, stellen insbesondere psychische Erkrankungen bedeutsame Risikofaktoren für Suizidalität dar (Cavanagh et al. 2003). So verweisen psychologische Autopsiestudien, Studien welche post mortem Informationen über die Psychopathologie erfassen, dass bei 87,3 % (SD = 10 %) der Suizidenten im Vorfeld eine psychische Störung vorlag (Arsenault-Lapierre et al. 2004; Bertolote und Fleischmann 2002). Zu den häufigsten diagnostizierten Störungen bei Suizidenten zählten affektive Störungen (43,2 %; SD = 18,5  %), gefolgt von Substanzstörungen (25,7 %; SD = 14,8 %), Persönlichkeitsstörungen (16,2 %;

8

140

8

L. Weitzel

SD = 8,6 %) und psychotischen Störungen (9,2 %; SD =  10,2  %) (Arsenault-­Lapierre et al. 2004). Weitere Studien verweisen darauf, dass bipolare Störungen, gefolgt von unipolaren affektiven Störungen und Schizophrenie bei Männern mit einem stark ­ erhöhten Suizidrisiko verbunden ist (Nordentoft et al. 2011). Bei Frauen hingegen zeigte sich das höchste Suizidrisiko bei Schizophrenie, gefolgt von bipolaren affektiven Störungen (Nordentoft et al. 2011). Das Vorhandensein von zwei psychischen Störungen verdoppelt das Suizidrisiko, wohingegen das Vorliegen von mehr als drei psychischen Störungen das Suizidrisiko um das sechs bis neunfache erhöht (Nock et al. 2008). Zudem wird angenommen, dass das Suizidrisiko für psychische Störungen, wie Depression, Alkoholismus und Schizophrenie bei 5–8 % liegt (Inskip et al. 1998; Nordentoft et al. 2011). Obwohl psychische Störungen mit einem erhöhten Suizidrisiko assoziiert sind, zeigen die meisten Menschen mit psychischen Störungen keine suizidalen Anzeichen, wie Suizidgedanken, Suizidversuche oder vollendente Suizide (O’Connor und Nock 2014). Daneben zeigen sich psychosoziale Risikofaktoren, wie Hoffnungslosigkeit – definiert als Zukunftspessimismus – als starke Prädiktoren von Suizidgedanken und suizidalem Verhalten (Beevers und Miller 2004; Terzi und Kapci 2005). Ebenso sind Perfektionismus, eine Kombination aus hohem Neurotizismus und niedriger Extraversion, vermehrtes Grübeln, Mangel an sozialer Verbundenheit, soziale Isolation und die Wahrnehmung, eine Last für seine Mitmenschen zu sein stark mit Suizidgedanken und/oder Suizid assoziiert (Cukrowicz et al. 2011; Fang et al. 2012; Hatcher und Stubbersfield 2012; Morrison und O’Connor 2008; Roxborough et al. 2012; Van Orden et al. 2010). So fanden Prinstein et al. (2010), dass hohe Werte in wahrgenommener Ablehnung durch Gleichaltrige und niedrige Werte in sozialer Unterstützung durch Freunde mit einem erhöhten Risiko für Suizidgedanken assoziiert sind. Aber auch Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, sowohl emotionaler, physischer als auch sexueller Missbrauch, gehen mit einem erhöhten Risiko für Suizidalität einher (Bruffaerts et al. 2010). So zeigt sich, dass unter den Personen, die einen Suizidversuch unternommen hatten, fast ein Drittel (29,3 %) über körperlichen Missbrauch berichteten, einen von vier (24,8 %) Gewalterfahrungen innerhalb der Familie machten und einen von sechs (14,5 %) sexuell missbraucht wurden (Bruffaerts et al. 2010). Ebenso stellt eine Vorgeschichte suizidalen Verhaltens einen starken Risikofaktor für Suizidversuche und vollendete Suizide dar (Finkelstein et al. 2015). So konnte die Studie von Beautrais (2004) in einem 5 Jahres Follow-up zeigen, dass von Personen, die wegen eines Suizidversuchs stationär behandelt wurden, 37 % mindestens einen weiteren Suizidversuch unternommen hatten und 6,7 % durch Suizid verstarben. Ein Drittel der Personen mit Suizidgedanken unternehmen einen Suizidversuch, demnach stellen Suizidgedanke ebenfalls einen beachtlichen Prädiktor für Suizide dar (Brown et al. 2000; Nock et al. 2008). Proximale Risikofaktoren, welche zeitlich nah am suizidalen Ereignis auftreten und als unmittelbare Auslöser suizidalen Verhaltens angesehen werden, können ebenso das Suizidrisiko erhöhen (Moscicki 1997). In einer repräsentativen irischen Studie zeigte sich, dass 91 % der Menschen, die Suizid begingen, in den 52 Wochen vor ihrem Tod wenigstens einem stressreichen Ereignis ausgesetzt waren (Foster 1997; Foster et al. 1999). Die häufigsten Ereignisse waren ernsthafte Konflikte mit nahen Freunden oder Verwandten (30 %), gefolgt vom Tod eines nahen Freundes oder Familienmitgliedes (25 %), Bruch einer langjährigen Beziehung (24 %), Arbeitslosigkeit (24 %), Konflikte mit der Polizei (19 %) und körperlichen Erkrankungen (18 %) (Foster et al. 1999).

141 Exkurs: Suizidalität und Mobbing

Schutzfaktoren von suizidalem Verhalten wurden, im Gegensatz zu Risikofaktoren, bisher weniger Beachtung geschenkt. Es ist davon auszugehen, dass in Anwesenheit von Stressoren Schutzfaktoren die Ausbildung von suizidalem Verhalten abmildern (Johnson et al. 2011). Als einer der bedeutsamsten Schutzfaktoren für Suizidalität erweist sich soziale Eingebundenheit (Moscicki 2014). Ebenso, scheint ein positiver Attributionsstil, indem negative Ereignisse den situationalen Bedingungen zugeschrieben werden, Problemlösefertigkeiten und ein hohes Selbstwertgefühl das Risiko suizidalen Verhaltens zu mildern (Chang et al. 2007; Hirsch et al. 2009; Johnson et al. 2011; Priester und Clum 1993b). Tatsächlich erhaltene und wahrgenommene soziale Unterstützung sind weitere Faktoren, die im Zusammenhang mit Suizidalität untersucht wurden (Johnson et al. 2011; Renneberg und Hammelstein 2006). Bei der wahrgenommenen sozialen Unterstützung geht eine Person davon aus über ein soziales Netzwerk zu verfügen, welches sich um sein Wohlbefinden sorgt (Pearson 1986). Dabei kann der Glaube an das Vorhandensein eines unterstützenden sozialen Netzwerkes die persönliche Bewertung der Situation ändern (Cohen und Willis 1985). Hier zeigt sich, dass wahrgenommene soziale Unterstützung, also die Erwartung eines Menschen in Zeiten der Not auf andere zurückgreifen zu können, ein besserer Prädiktor für psychische Gesundheit darstellt als tatsächlich erhaltene Unterstützung (McDowell und Serovich 2007). So verweisen Studien auf einen Zusammenhang zwischen niedriger wahrgenommener sozialer Unterstützung von Gleichaltrigen bzw. Eltern und erhöhter Suizidalität (Grøholt et al. 2000; O’Donnell et al. 2004; Prinstein et al. 2001). Merke Demographische Faktoren stellen neben psychischen Erkrankungen, wie affektive Störungen, Substanzstörungen, Persönlichkeitsstörungen, bipolare Störungen und Schizophrenie, bedeutsame Risikofaktoren für Suizidalität dar. Als weitere Risikofaktoren für Suizidalität erweisen sich psychosoziale Faktoren, dazu zählen Hoffnungslosigkeit, Perfektionismus, Rumination, hoher Neurotizismus, Mangel an sozialer Verbundenheit, soziale Isolation, und die Wahrnehmung eine Last für seine Mitmenschen zu sein. Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, sowohl psychischer, physischer als auch sexueller Missbrauch, eine Vorgeschichte suizidalen Verhaltens, als auch akute Stressoren gehen mit einem erhöhten Risiko für Suizidalität einher. Durch das Vorhandensein von Schutzfaktoren, wie wahrgenommene soziale Unterstützung, wird die Ausbildung von suizidalem Verhalten jedoch gemildert.

Auch Mobbingerfahrungen, als soziale Stressoren, können weitreichende negative psychosoziale Konsequenzen mit sich ziehen (Boulton et al. 2008; Kowalski et al. 2014; Roland 2002; Sourander et al. 2010). Zu den gravierendsten Auswirkungen von Mobbingerfahrungen zählen Suizidgedanken und vollendete Suizidversuche (Brunstein-Klomek et al. 2007). Je nach Erhebungsverfahren variieren die Prävalenzdaten erheblich, Modecki et al. (2014) verweisen hier auf eine durchschnittliche Prävalenz von 15 % für Cybermobbing-Opfer sowie 16 % für Cybermobbing-Täter und 36 % für Mobbingopfer in der reellen Welt sowie 35 % für Mobbingtäter.

8

142

L. Weitzel

8.6  Suizidalität und Mobbing

8

Eine von Brunstein-Klomek und Kollegen (2007) durchgeführte Studie belegt einen klaren Zusammenhang zwischen Mobbingerfahrungen und Suizidgedanken. So zeigte sich, dass Mobbing-Opfer, die häufig in der Schule schikaniert werden, ein fast 6-mal höheres Risiko aufweisen unter Suizidgedanken zu leiden (OR = 5,41) als Jugendliche, die nicht Opfer von Mobbing sind. Im Vergleich zeigte sich eine OR von 2,79 für Suizidgedanken bei Jugendlichen, welche weniger als einmal die Woche Opfer von Mobbing in der Schule waren. Ebenso wurden bei Jugendlichen, welche oft im schulischen Kontext gemobbt wurden, eine OR von 4,49 für Suizidversuche gefunden. Zudem, zeigten nicht nur Mobbingopfer ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken und Suizidversuche, sondern auch häufige und gelegentliche Täter (OR = 3,44; OR = 3,64; OR = 2,62; OR = 2,45). Diese Ergebnisse belegen, dass die Häufigkeit der Opfererfahrungen als auch der Täterhandlungen mit einem erhöhten suizidalen Verhalten assoziiert sind. Allerdings waren Jungs erst bei häufigen Mobbingerfahrungen anfälliger für Suizidgedanken, bei Mädchen reichten hingegen schon gelegentliche Mobbingvorfälle aus um das Risiko für Suizidgedanken zu erhöhen. Des Weiteren, steigt das Risiko für Suizidgedanken dramatisch an, je mehr der Jugendliche mit unterschiedlichen Mobbingformen – physisch, verbal oder relational – konfrontiert wird (Brunstein-Klomek et al. 2007). Weitere Geschlechterunterschiede in der Beziehung zwischen Mobbing und Suizidgedanken wurden aufgezeigt. So leiden Mädchen, die Opfer von Mobbing waren 4,2-mal häufiger an Suizidgedanken als Mädchen, die nicht gemobbt wurden, hingegen weisen gemobbte Jungen nur eine 2,5-mal häufigere Wahrscheinlichkeit an Suizidgedanken zu leiden auf als Jungen, die Mobbing nicht ausgesetzt waren (Roland 2002). Mädchen scheinen demnach auf Mobbingerfahrungen stärker mit Suizidgedanken zu reagieren als Jungs, was womöglich durch die Tendenz der Mädchen eher einen selbstwertabwertenden Attributionsstil zu nutzen, erklärt werden kann (Kirschmann und Röhm 1991; Roland 2002). Ferner, litten Mädchen, die andere mobbten, 8 mal häufiger unter Suizidgedanken, als Mädchen, die keine Täter waren, während männliche Täter nur 3,8 mal häufiger unter Suizidgedanken leiden als nicht involvierte Jungen (Roland 2002). Aus der Gruppe der Opfer, Täter und Täter-Opfer, zählen letztgenannte zu der höchsten Risikogruppe für Suizidgedanken (Kaltiala-Heino et al. 1999). Ferner fand die Studie von van der Wal und Kollegen (2003), dass der Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidgedanken stärker bei indirekten Mobbingformen, wie z. B. Gerüchte verbreiten, als bei direkten Mobbingformen, wie z. B. verbale Beschimpfungen, war. Diese Befunde sind auch im Einklang mit der Studie von Weitzel (2019), in der relationales Mobbing im Gegensatz zu physischem Mobbing, ein Prädiktor für suizidale Gedanken darstellt. Diese Ergebnisse heben auch die Bedeutsamkeit von sozialer Eingebundenheit und Zugehörigkeit im Zusammenhang mit Suizidalität hervor (Van Orden et al. 2010). Indirektes Mobbing kann Gefühle der Unsicherheit auslösen, das Selbstwertgefühl minimieren und emotionale Probleme beim Opfer erhöhen (Bjorkquist et al. 1992; Olweus 1993). Nicht nur das klassische Mobbing, sondern auch Cybermobbing, das Schikanieren über elektronische Medien, wird mit Suizidgedanken in Verbindung gebracht (Bonanno und Hymel 2013). So verweist die Studie von Brunstein-Klomek und Kollegen (2008) darauf, dass sowohl Mädchen als auch Jungen, die gelegentlich oder häufig über das Internet gemobbt wurden, ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken aufzeigen. Bezüglich Suizidversuche zeigte sich, dass Cybermobbingopfer 1,9-mal häufiger Suizidversuche

143 Exkurs: Suizidalität und Mobbing

unternahmen als Jugendliche, die nicht über elektronische Medien gemobbt wurden (Hinduja und Patchin 2010). Insgesamt jedoch ist die Richtung des Zusammenhangs kaum geklärt. Zum einen können Schikanen den Jugendlichen zu Suizidgedanken prädisponieren (Alavi et al. 2015), zum anderen können Jugendliche mit suizidalen Gedanken ein einfaches Opfer für Schikanen darstellen. Ebenso können Jugendliche mit Suizidgedanken, welche vermehrt kognitive Verzerrungen aufweisen, harmlose soziale Interaktionen als Mobbing interpretieren (Pinto und Whisman 1996). Eine der wenigen Längsschnittstudien untersuchte den Zusammenhang zwischen Mobbingerfahrungen im Alter von 8 Jahren und Suizidversuche und vollendete Suizide bis zum Alter von 25 Jahren (Brunstein-Klomek et al. 2009). Es zeigte sich, dass nur bei Mädchen, die im Alter von 8 Jahren häufig gemobbt wurden, ein signifikanter Zusammenhang mit späteren Suizidversuchen und vollendetem Suizid festgestellt worden war, und das auch nach Kontrolle von depressiven Symptomen und sonstigem Kindheitsverhalten (Brunstein-Klomek et al. 2009). Unter den 8-jährigen Jungen waren Mobbingerfahrungen hingegen nicht mit späteren Suizidversuchen und vollendeten Suiziden assoziiert, wenn Variablen wie Kindheitsverhalten und depressive Symptome kontrolliert wurden (Brunstein-Klomek et al. 2009). Eine Gruppe, welche in der Mobbingforschung zum Teil vernachlässigt wird, sind die sogenannten Bystander, also Jugendliche, welche Mobbingereignisse beobachten, zum Teil involviert sind, aber weder direkt Täter noch Opfer sind (Salmivalli 1999). Obwohl diese Gruppe den Großteil der Schüler ausmacht, liegen bisher wenige Forschungsergebnisse vor (Smith und Shu 2000). Wie in 7 Kap. 2 beschrieben handelt es sich bei Mobbing um ein Gruppenphänomen, welches nicht nur aus Opfer und Täter besteht, sondern auch noch Bystander umfasst. Bystander können nach Salmivalli und Kollegen (1996) verschiedene Rollen einnehmen: Verteidiger des Opfers, jemand der das Opfer während der Mobbingattacke verteidigt und gegebenenfalls danach tröstet, Assistent des Täters, jemand der dem Täter zur Seite steht, Verstärker des Täters, jemand der den Täter durch Lachen bestärkt und ihm positives Feedback vermittelt, oder Außenstehender, jemand dem das Mobbingereignis zwar bewusst ist, es aber ignoriert. Die verschiedenen Rollen finden sich auch in der virtuellen Welt wieder (Steffgen et al. 2013). Jedoch bietet der jetzige Forschungsstand wenig Wissen über die psychologischen Auswirkungen von Mobbingereignissen auf Bystander. Die Studie von Rivers und Noret (2010) zeigt auf, dass diejenigen die sowohl Täter, Opfer und Bystander bei Mobbingereignissen waren, das höchste Risiko für Suizidgedanken aufweisen. In Einklang mit den Ergebnissen von Mazza und Reynolds (1999), in der Jugendliche, welche Gewaltereignisse beobachtet haben, ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken zeigten, fand Weitzel (2019), dass das Beobachten und Ignorieren von Mobbingepisoden in der digitalen Welt den stärksten Prädiktor für suizidale Gedanken darstellt. Es scheint demnach, dass Außenstehende von Mobbingereignissen in der virtuellen Welt emotional erheblich betroffen sind (Rivers 2012). Eine mögliche Erklärung könnte das Erleben kognitiver Dissonanz sein, eine Unvereinbarkeit zwischen ihrem Verhalten, das Mobbinggeschehen zu ignorieren, und ihren Werten, sich für das Opfer einzusetzen (Craig und Pepler 1997). Die Untätigkeit ihrerseits das Mobbinggeschehen online zu melden, kann zu Schuldgefühlen beitragen, welche mit suizidalen Gedanken assoziiert sind (Hassan 1995). Etliche Studien verweisen darauf, dass Mobbingerfahrungen ein wichtiger Risikofaktor für suizidales Verhalten darstellen, jedoch beziehen sich die Ergebnisse nur auf einkommensstarke Länder (Reed et al. 2015). Studien hingegen zeigten, dass Mobbingerfahrungen,

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auch in einkommensschwachen Ländern ein bedeutsamer Prädiktor für Suizidgedanken und Suizidversuche darstellen (Baiden et al. 2019; Holt et al. 2015). Zudem zeigte die Metaanalyse von Holt et al. (2015), dass der Effekt von Mobbing auf Suizidgedanken durch das Herkunftsland moderiert wird, wohingegen Studien aus Amerika einen stärkeren Effekt aufweisen im Vergleich zu Studien außerhalb von Amerika. Merke Unter Berücksichtigung der vorliegenden Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Mobbing und Suizidalität ist festzustellen, dass ein enger Zusammenhang zwischen beiden Konzepten besteht (Brunstein-Klomek et al. 2008; Holt et al. 2015; Reed et al. 2015)

8.7  Zur Bedeutung von Hoffnungslosigkeit und

wahrgenommener sozialer Unterstützung

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Nicht jeder Jugendliche mit Mobbingerfahrungen entwickelt jedoch suizidales Verhalten, demnach müssen protektive Faktoren vorliegen, die diese negativen Effekte mindern (Liu et al. 2016). Laut Hay und Meldrum (2010) gilt unter anderem ein hohes Maß an Selbstkontrolle als protektiver Faktor, welcher Suizidgedanken unter Mobbingopfern reduziert. Ebenso ist davon auszugehen, dass ein hohes Maß an Verbundenheit mit den Eltern und die wahrgenommene soziale Unterstützung von Freunden den Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidalität beeinflusst (Borowsky et al. 2012). In der Mobbingliteratur wird hervorgehoben, dass Kinder mit Mobbingerfahrungen dazu neigen, vermehrt Hoffnungslosigkeit zu erleben, als Kinder, die nicht von Mobbing betroffen sind (Coggan et al. 2003; Swearer et al. 2004). Da soziale Hoffnungslosigkeit, negative Zukunftserwartungen im interpersonellen Bereich, als ein Wegbereiter für Suizidalität betrachtet wird, stellt sich die Frage, welche Rolle es im Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidalität spielt. In der Studie von Bonanno und Hymel (2013) konnte ein indirekter Einfluss von Mobbing auf Suizidalität, der durch soziale Hoffnungslosigkeit vermittelt wird, festgestellt werden. Somit können Mobbingerfahrungen zur Entwicklung von Hoffnungslosigkeit beitragen, was wiederum zur Entstehung von suizidalem Verhalten führt. Die Befunde weisen darauf hin, dass je mehr Jugendliche gemobbt werden, desto hoffnungsloser sind sie und desto höher ist das Risiko für Suizidgedanken (Bonanno und Hymel 2013). Auch wahrgenommene soziale Unterstützung wird als Vermittler zwischen Mobbing und Suizidalität in Betracht gezogen. Es wird angenommen, dass Mobbingerfahrungen die Wahrnehmung sozialer Unterstützung untergräbt und zu Verzweiflung führt ­(Barrera 1986). Laut der Studie von Liu et al. (2016) konnte ein indirekter Einfluss von Mobbing auf Suizidalität, der durch soziale wahrgenommene soziale Unterstützung vermittelt wird, festgestellt werden. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass durch Mobbing Freundschaften zu Ende gehen, interpersonales Vertrauen sich reduziert und Opfer ihre Mitmenschen als unvorhersehbar einstufen. Unter diesen Umständen kann die Zuversicht Hilfe von anderen Jugendlichen zu erhalten, verloren gehen (Liu et al. 2016). Ebenso mag das Schikanieren von Freunden Gefühle der Einsamkeit hervorrufen, und

145 Exkurs: Suizidalität und Mobbing

als Folge, die wahrgenommene soziale Unterstützung der Opfer sinken lassen (Salmivalli et al. 1996). Wahrgenommene soziale Unterstützung spielt nicht nur als Mediator zwischen Mobbing und Suizidalität, sondern auch als Moderator eine Rolle (Davidson und Demaray 2007). Bezüglich der moderierenden Rolle der wahrgenommenen sozialen Unterstützung ist belegt, dass der Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidgedanken sich als stärker erweist unter geringer wahrgenommener sozialer Unterstützung (Liu et al. 2016). Wahrgenommene soziale Unterstützung von der Familie, nicht jedoch von Freunden, moderierte den Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidgedanken auch in der Studie von Bonanno und Hymel (2013). Des Weiteren belegt die Studie von Hershberger und Augelli (1995), dass hohe Werte in der wahrgenommenen sozialen Unterstützung von der Familie die negativen Auswirkungen von Mobbing auf Suizidalität verringern. Hinsichtlich der Geschlechterunterschiede stellt man fest, dass wahrgenommene soziale Unterstützung von den Eltern bei Mädchen und wahrgenommene soziale Unterstützung von Lehrern, Klassenkameraden und der Schule bei Jungen, eine abpuffernde Wirkung für Mobbingopfer darstellt. Demnach weisen Mobbingopfer mit geringer Wahrnehmung sozialer Unterstützung mehr Suizidgedanken auf (Davidson und Demaray 2007). Jedoch kann man wahrgenommener sozialer Unterstützung nicht per se eine protektive Rolle zuschreiben. Die Studie von Weitzel (2019) zeigt auf, dass hohe wahrgenommene soziale Unterstützung eines engen Freundes in Zeiten erheblichen Mobbings, Suizidgedanken verstärkt. Da das soziale Netzwerk von Jugendlichen eher unstabil ist und enge Freunde schnell gewechselt werden (Stice et al. 2004), kann die hohe Diskrepanz zwischen der erwarteten und tatsächlich erhaltenen sozialen Unterstützung eines Freundes das Opfer enttäuschen und zu suizidalen Gedanken anregen (Baumeister 1993). Ebenso bietet das Konzept der sozialen Homophilie eine Erklärung für den Verstärkereffekt der wahrgenommenen sozialen Unterstützung (Lazarsfeld und Merton 1954). Mobbingopfer, welche von Gleichaltrigen ausgeschlossen werden (Bukowski und Sippola 2001), schließen sich nach dem Konzept der sozialen Homophilie (Lazarsfeld und Merton 1954) Gleichgesinnten an. Der Anschluss mit anderen Mobbingopfern kann Co-Rumination, d. h. wiederholt mit einem Freund über das gleiche Problem reden und festgefahren bleiben, begünstigen (Rose 2002) Diese Co-Rumination kann als Vorreiter für suizidale Gedanken gesehen werden (Izadinia et al. 2010). Merke Nicht nur Mobbingopfer, sondern auch Täter und Bystander, weisen ein erhöhtes Risiko für Suizidalität auf. Als stärkste Risikogruppe für suizidale Gedanken sind sogenannte „Täter-Opfer“ anzusehen. Hinsichtlich des Zusammenhang zwischen Mobbing und Suizidgedanken sind Geschlechtsunterschiede zu berücksichtigen. In Bezug auf die Mobbingformen erweist sich indirektes Mobbing, wie z. B. Gerüchte verbreiten, als stärkerer Prädiktor von suizidalen Gedanken als direktes Mobbing. Soziale Hoffnungslosigkeit und wahrgenommene soziale Unterstützung sind als Vermittler zwischen Mobbing und Suizidalität in Betracht zu ziehen. Wahrgenommener sozialer Unterstützung ist dabei nicht per se eine protektive Rolle zuzuschreiben.

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Welche Maßnahmen und Strategien sind im Umgang mit Mobbing zu beachten? André Franck 9.1 Häufigkeit von Mobbing – 152 9.2 Risikofaktoren und negative Folgen – 152 9.3 Prävention im Unterricht – 153 9.4 Klassifikation von Präventionsmaßnahmen – 153 9.5 Anwendung von Präventionsmaßnahmen – 154 9.6 Intervention im Unterricht – 156 9.7 Involvierte Parteien und ihre Aufgaben – 161 Literatur – 166

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_9

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A. Franck

9.1  Häufigkeit von Mobbing

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Mobbing ist ein gängiger Begriff, der allzu oft falsch angewandt wird. Die Wissenschaft spricht erst von Mobbing, wenn bei Konfliktsituationen Schädigungsabsicht und Wiederholung beim Täter, Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer und Hilfslosigkeit beim Opfer gegeben sind (Olweus 1993). Die Verbreitung von Mobbing und seine Erscheinungsformen an Schulen sind in mehreren Studien dokumentiert worden, wobei die angegebenen Prävalenzdaten zu Mobbing durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Zu diesen Einflussfaktoren, zählen a) das Land in der die Studie erhoben wurde (Olweus 2009), b) die angewandten Untersuchungsmethoden (Solberg und Olweus 2003) und c) die der Studie zugrunde liegende Definition von Mobbing (Vaillancourt et al. 2008). Das im Jahre 2015 durchgeführte „Programme for International Student Assessment“ (PISA), bei dem das naturwissenschaftliche Leistungsniveau von 15-jährigen Schülerinnen und Schüler international verglichen wurde, befasste sich zusätzlich mit der Ermittlung des Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler. In diesem Zusammenhang konnte festgestellt werden, dass in den OECD-Ländern durchschnittlich 11 % der Schülerinnen und Schüler mehrmals monatlich Ziel von Boshaftigkeiten sind weitere 7 % wurden regelmäßig ausgegrenzt und 8 % wiederum Opfer von Gerüchten sind Neben diesen eher verbalen und psychischen Formen von Mobbing, ist die physische Form von Mobbing ebenfalls weit verbreitet. So sind laut der bereits erwähnten PISA-Studie (2015) in den OECD-Ländern durchschnittlich 4 % der Schülerinnen und Schüler mehrmals monatlich physischem Mobbing ausgesetzt (OECD 2017). Diese Zahlen sind kohärent mit den Ergebnissen von Spröber und Kollegen (2008), welche belegen, dass etwa 10 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland von Mobbing betroffen sind. 9.2  Risikofaktoren und negative Folgen

Mobbing an Schulen stellt einen potenziellen Risikofaktor der betroffenen Schülerinnen und Schüler für Depressionen, suizidale Gedanken und Suizid dar (Klomek et al. 2007). Von den negativen Folgen des Mobbings, sind jedoch nicht nur die Mobbing-Opfer, sondern auch die Täter selbst, sowie die gesamte Klasse betroffen (Ttofi und Farrington 2008). Diese negativen Konsequenzen beeinflussen langfristig die psychosoziale Entwicklung der Betroffenen (Ttofi et al. 2011). Klomek und Kollegen (2007) stellten fest, dass die meisten Mobbing-Handlungen im schulischen Kontext auftreten, wobei zu beachten ist, dass Mobbing vermehrt in der unterrichtsfreien Zeit auf dem Schulhof und während den Pausen (Ttofi und Farrington 2011) stattfindet. Hierbei sind nicht nur Täter und Opfer involviert, sondern das ganze Geschehen unterliegt einer gewissen Gruppendynamik (Salmivalli et al. 2004). Zur Gruppe zählen die Täter, welche die Hauptakteure im Mobbinggeschehen darstellen. Dem gegenüber stehen diejenigen, auf die das Mobbing abzielt, die Opfer. Neben diesen beiden Rollen, gibt es noch die Assistenten des Täters, die ihn in seinen Mobbinghandlungen unterstützen und die Verstärker, die den Täter in seinem Mobbing-Vorgang bestärken. Dem Opfer schließen sich die Verteidiger an, die dem Mobbingopfer zur Seite stehen, indem sie sich dem Mobbinggeschehen in den Weg stellen. Eine weitere Rolle besetzen die Außenstehende, die dadurch charakterisiert sind, dass sie weder zum Opfer noch zum Täter stehen (Salmivalli et al. 2004).

153 Welche Maßnahmen und Strategien sind im Umgang …

9.3  Prävention im Unterricht

Aufgrund der Prävalenz (OECD 2017; Spröber et al. 2008), den kurzfristigen und langfristigen negativen Folgen von Mobbing (Klomek et al. 2007) sowie der Anzahl der direkt oder indirekt Beteiligten und Betroffenen (Salmivalli et al. 2004) wird ersichtlich, dass sowohl präventive Maßnahmen als auch Interventionen gegen Mobbing auf der Ebene der Schulen implementiert werden müssen. In vielen Ländern der Welt, wie auch in Deutschland, herrscht Schulpflicht. Die Kinder müssen sich folglich regelmäßig in die Obhut einer Schule begeben. Bei den Bemühungen um Prävention und Intervention gegen Mobbing, besteht deshalb eine der vorrangigen Aufgaben der Bildungseinrichtung darin, präventiv gegen Mobbing vorzugehen und stattfindenden Mobbing zu unterbinden (Huber 2015). Die Schulen sind verpflichtet, sich dieser Herausforderung als Institution zu stellen. 9.4  Klassifikation von Präventionsmaßnahmen

Viele der zahlreichen Präventions- und Interventionsprogramme, die sich in den letzten Jahren etabliert haben, beinhalten spezifische Maßnahmen, greifen aber ebenfalls auf universelle, gut belegte Strategien zurück (Huber 2015; Ttofi und Farrington 2011). Diese gut belegten Gemeinsamkeiten bilden das Grundgerüst dieser diversen Programme und beinhalten a) eine Ist-Aufnahme der schulischen Gegebenheiten zum Thema Mobbing, b) die Prävention verbunden mit Aufklärung und c) die Intervention. Um adäquate Maßnahmen zur Prävention und Intervention auszuarbeiten, sollte die Schule durch eine Ist-Aufnahme den aktuellen Status zum Thema Mobbing in ihrer Institution ermitteln. Dies kann an Hand von einem anonymisierten Fragebogen zur Erfassung des vorherrschenden Schulklimas und der Mobbingprävalenz erfolgen (Rigby et al. 2004). Bevor die Fragebogen-Erhebung durchgeführt wird, muss jedoch Aufklärungsarbeit geleistet werden und die Einwilligung der Erziehungsberechtigten gegeben sein. (Seitz und Hiebl 2012). Anhand der Ergebnisse des anonymisierten Fragebogens, können die Präventionsund Interventionsmaßnahmen im Kollegium der Lehrerinnen und Lehrer ausgearbeitet werden. Der aus dem gesundheitspsychologischen Kontext bekannte Begriff Prävention, bezeichnet Maßnahmen, welche darauf abzielen, das Auftreten von Krankheiten zu verhindern, oder aber deren Auswirkungen zu reduzieren (Schüz und Möller 2006). Hierbei wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden (Caplan 1964). Die Primäre Prävention zielt darauf ab, die Inzidenzraten zu verringern, während die sekundäre Prävention das Verringern der Prävalenzraten anstrebt. Die tertiäre Prävention setzt ihrerseits den Fokus auf die Reduzierung der Auswirkungen psychischer Probleme (Caplan 1964; Spiel et al. 2010). Im Kontext Mobbing richtet sich die primäre Prävention an sämtliche Schülerinnen und Schüler, um soziale Kompetenzen aufzubauen und Mobbingtaten zu unterbinden. Im Fokus der sekundären Prävention stehen die Mobbingopfer, mit dem Ziel die Mobbing-Aktivitäten einzudämmen oder zu unterbrechen, während sich die tertiäre Prävention an alle Mobbing-Betroffene, Opfer sowie Täter und deren Assistenten wendet, um Mobbing-Wiederholung zu vermeiden und negative Folgen von Mobbing zu reduzieren (Prummer und Hasmüller 2015). Scheithauer et al. (2003) erwähnen in ihrem Buch, dass sich die Unterteilung in die oben aufgeführten Arten der Prävention (primär, sekundär und tertiär) bei Mobbing

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A. Franck

schwierig gestalten lässt. So kann z. B. ein und dieselbe Maßnahme in verschieden gelagerten Fällen unterschiedlich angewendet werden. In einem Fall wirkt sie beispielsweise präventiv, in einem anderen setzt sie bereits an einer Mobbing-Problematik an. Gordon postulierte 1983 eine alternative Einteilung in universelle, selektive und indizierte Prävention. Die universelle Prävention richtet sich an die gesamte Bevölkerung, unabhängig davon, ob bereits ein Problem manifest ist oder nicht (Spiel et al. 2010). Wird die universelle Prävention auf das Mobbing im Unterrichtswesen angewandt, dann richtet sie sich, ähnlich wie bei der oben aufgeführten primären Prävention, bei der betroffenen Institution an die gesamte Schule, d. h. sämtliche Schülerinnen und Schüler werden mit in diese Präventionsphase einbezogen (Downes und Cefai 2016). Die selektive Prävention jedoch schränkt den Anwendungskreis ein und richtet sich an die Subgruppen, die ein höheres Risiko aufweisen, von einem Problem betroffen zu sein (Spiel et al. 2010). Bei der Anwendung der selektiven Prävention bei Mobbing in der Schule, richtet sie sich folglich an gefährdete Schülerinnen und Schüler, Opfer als auch Täter, welche ein mittleres Mobbing-Risiko aufzeigen (Downes und Cefai 2016). Die indizierte Prävention richtet sich konkret an Personen, bei denen bereits Probleme aufgetreten sind (Spiel et al. 2010). Im Kontext Schul-Mobbing gehören die Schülerinnen und Schüler, die bereits mehrmals durch ihr aggressives Verhalten aufgefallen sind zu der Zielgruppe der indizierten Prävention (Downes und Cefai 2016).

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PRÄVENTION Caplan (1964)

Gordon (1983)

Primäre Prävention – Inzidenzraten, d. h. die Entstehung neuer Mobbingfälle verringern Sekundäre Prävention – Prävalenzraten, d. h. die Weiterführung vorhandener Mobbingfälle eindämmen Tertiäre Prävention – Reduzierung der Auswirkungen psychischer Probleme

Universelle Prävention – Zielgruppe gesamte Schule Selektive Prävention – Zielgruppe gefährdeter Schülerkreis (Opfer und Täter) Indizierte Prävention – Zielgruppe aggressive Schülerinnen und Schüler (Täter) (Spiel et al. 2010)

9.5  Anwendung von Präventionsmaßnahmen

Bei der Anwendung von Prävention in Schulen besteht der Ansatz in der Vermittlung von sozialen Kompetenzen, welche darauf abzielen, Problemsituationen, ohne die Anwendung von Gewalt zu bewältigen. Die gängigen Präventionsprogramme enthalten gemeinsame Inhalte, wie z. B. Empathie-Training, Konfliktlösungsstrategien, Strategien zur Impulskontrolle sowie Strategien zum Umgang mit Ärger und Wut (Busch und Todt 2006). Mit diesen präventiven Ansätzen wird versucht, das Auftreten von Mobbing durch die Stärkung der sozialen Kompetenzen zu verhindern (Prummer und Hasmüller 2015). Es empfiehlt sich, frühestmöglich dem Mobbing gegen zu steuern, da bereits bei

155 Welche Maßnahmen und Strategien sind im Umgang …

Anzeichen auf einen Mobbing-Fall noch präventive Schritte eingeleitet werden können. Dies setzt voraus, dass die Lehrkräfte und alle anderen Beteiligten Mobbing adäquat einschätzen und die Kennzeichen von Mobbing kennen (Seitz und Hiebl 2012).

Mobbingbeteiligte aus Sicht der Gruppendynamik

Verteidiger

Assistenten

Täter

Verstärker

Opfer

Außenstehende

Den meisten Präventions- und Interventionsmaßnahmen ist gemeinsam, dass sie an mehreren Ebenen ansetzen. So setzt das von Olweus eingeführte Konzept an der Schulebene, der Klassenebene und der individuellen Ebene an (Olweus und Limber 2010). Präventive Ansätze auf Schulebene sollten darauf abzielen, alle an der Schule involvierten Personen (Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen und sonstige Angestellte der Schule) dazu anzuregen genau hinzuschauen, die Merkmale von Mobbing zu erkennen, bereit sein sich zu kümmern und Zivilcourage zu fördern (Scheithauer et al. 2007). Zivilcourage kann beispielsweise in Form von Rollenspielen, welche im Klassenzimmer stattfinden gefördert werden, indem die Schülerinnen und Schüler neues Verhalten einüben. Diese zielen darauf ab, alte Ansichten zu überdenken und anschließend neue Verhaltensweisen zu erproben. Das Selbstvertrauen, die prosozialen Fähigkeiten und die Bewältigungsfähigkeit von Ängsten werden durch diese Rollenspiele verbessert (Jonas et al. 2007). Die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler zur Zivilcourage, wird auch durch eine ausgeprägte Identifizierung mit der Klasse gesteigert. Daneben stellt das Klassenklima einen erheblichen Einflussfaktor auf Mobbing dar und wirkt sich positiv auf die Lehrkräfte, sowie die Schülerinnen und Schüler aus, indem es zu einer Reduktion von Aggressionen und Mobbing sowie zu einer Förderung der schulischen Entwicklung führt (Orponas und Horne 2006). Eine weitere Maßnahme auf Klassenebene zur Mobbing-Prävention stellt das classroom management dar. Classroom management zeigte sich in der Metaanalyse von Ttofi und Farrington (2011) als eine effektive Maßnahme zur Reduzierung von Mobbing. Hierbei handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel aus Fähigkeiten der Lehrkräfte, mit dem sie das Verhalten der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflussen. Lehrkräfte greifen beim classroom management zum Teil auf ihre eigenen Schulerfahrungen und die Beobachtungen, die sie während ihrer Lehrerausbildung machten zurück. Mithilfe dieser Fähigkeiten soll eine Kultur etabliert werden, die mögliche

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aufkommende Probleme im Verhalten der Schülerinnen und Schüler minimiert und es somit zu weniger Mobbing in der Klasse kommt, indem die Lehrkraft auf eine effektive erzieherische Art eingreift (Allen 2010). Neben dem Klassenklima und dem classroom management spielen ebenfalls die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle im Mobbing-Kontext. Es ist die Aufgabe der Lehrkräfte, diese Kompetenzen zu fördern, damit ihre Schülerinnen und Schüler Konfliktsituationen angemessen lösen und möglichem negativen Druck der Freunde und Schulkameraden besser standhalten können (Orpinas und Horne 2006). Im Rahmen der Präventionsmaßnahmen besteht eine der Aufgaben der Lehrkräfte in der Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler bezüglich der Thematik Mobbing. Im Rahmen dieser Sensibilisierung wird das Thema Mobbing gemeinsam in der Klasse erarbeitet, die Schülerinnen und Schüler erhalten Basisinformationen bezüglich der Entstehung sowie den Folgen von Mobbing. Darüber hinaus erhalten die Schülerinnen und Schüler Kontaktadressen, an die sie sich wenden können, wenn sie denken, dass sie gemobbt werden. Im Rahmen der Präventionsarbeit werden interaktive Kommunikationsmedien (z. B. Videos) und Rollenspiele, in denen Mobbingsituationen nachgestellt werden, eingebaut. Neben der Sensibilisierung werden in Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern Klassenregeln aufgestellt. In diesem Regelwerk werden ebenfalls die negativen Konsequenzen, die den Schülerinnen und Schülern bei einem Verstoß drohen, aufgeführt (Rigby et al. 2004). Die aktuelle Stimmung und die vorhandenen Missstände, die in der Klassengemeinschaft vorherrschen sollten mit der Lehrkraft besprochen werden. Es ist deshalb wichtig in regelmäßigen Abständen Klassenbesprechungen durchzuführen, während denen auch die aufgestellten Klassenregeln kommentiert werden. Je nach Verlauf dieser Besprechung wird eine Neuanpassung der aufgestellten Klassenregeln in Betracht gezogen (Milsom und Gallo 2006). „Classroom mangement“ 5 Vielschichtiger Prozess 5 Dient der Schaffung und Aufrechterhaltung von Ordnung im Bildungssystem – Ziele: Lernförderung, sowie emotionales und soziales Wachstums der Schülerinnen und Schüler – Maßnahmen und Strategien zur Verhinderung, Korrektur und Minderung von Schülerfehlverhalten (Emmer und Sabornie 2015)

9.6  Intervention im Unterricht 9.6.1  Generelle Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit der

Intervention

Haben sich bereits manifeste Mobbingfälle an der Schule konkretisiert, ist intervenierendes Handeln vonnöten. Hierbei sollte unbedingt das Alter der Schülerinnen und Schüler bei der Intervention berücksichtigt werden, da dieses einen erwiesenen Einfluss auf die Wirksamkeit der Mobbing-Intervention hat. Die Metaanalyse von Ttofi und Farrington (2011) ergab, dass die Interventionsprogramme bessere Effekte bei Schülerinnen

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und Schülern ab einem Alter von 11 Jahren erzielten. Sie beziehen sich darauf, dass Schülerinnen und Schüler ab 11 Jahren im Vergleich zu jüngeren Schülerinnen und Schülern unter anderem aufgrund ihrer kognitiven Reife und ihrer verminderten Impulsivität vernünftigere Entscheidungen treffen und diese Ansätze deshalb effektiver sind, je älter die Schülerinnen und Schüler sind. Einige Studien zeigten jedoch, entgegen den Annahmen von Ttofi und Farrington (2011), dass Interventionen durchaus bei jüngeren Schülerinnen und Schülern angewandt werden können (Smith et al. 2012). Interventionen bei Kindern unter 8–9 Jahren können durchaus einer negativen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zum Mobber entgegenwirken, wie auch die Verwicklung in die Opferrolle bei gefährdeten Schülerinnen und Schülern verhindern (Pepler et al. 2004). Neben dem Alter der Zielgruppe stellt auch die Dauer einer Intervention einen wichtigen Faktor für die erfolgreiche Beendigung des Mobbinggeschehens dar. Langzeitinterventionen sind den Kurzzeitinterventionen zu bevorzugen. Zusätzlich sollten die Maßnahmen sich nicht nur auf die Wissensvermittlung und Aufklärung beschränken, sondern in einer nachhaltigen Veränderung im Verhalten der Schülerinnen und Schüler resultieren (Scheithauer et al. 2007). 9.6.2  Ansatzpunkte der Intervention

Ausschlaggebend für die Effektivität der Intervention ist ebenfalls wo die Intervention angesetzt wird, unilateral (nur beim Täter oder Opfer), bilateral (beim Täter und Opfer) oder global (beim Täter, Opfer und dem Umfeld des Geschehens). Bei den im Laufe der letzten Jahre etablierten Mobbinginterventionsprogrammen kristallisierten sich bisher zwei generelle Ansatzpunkte heraus. Entweder setzen sie einseitig an, bei gemobbten Schülerinnen und Schülern oder bei den Tätern, die das Mobbing ausführen, oder sie setzen synchron bei beiden Gruppen an. Psychologische Beratung durch den schulpsychologischen Dienst oder externe Psychologen und die Vermittlung von Coping-Strategien kommen beim einseitigen Ansatz zur Anwendung, während Anti-Aggressions-Trainings und Klassenkonferenzen beim synchronen Ansatz zum Tragen kommen (Blum und Beck 2010). Bereits Galloway und Roland (2004) stellten fest, dass Strategien, die ausschließlich nur an diesen beiden Punkten ansetzen nicht ausreichen und postulierten, dass andere Faktoren, die nicht in direkter Beziehung zu Mobbing stehen, ebenfalls mitbeachtet werden müssten. Die Art und Weise wie und welche Maßnahmen zum Einsatz kommen, hängt ebenfalls von der Einschätzung des Mobbing-Problems der Intervenierenden ab. Ist das Problem hauptsächlich auf das aggressive Verhalten des Täters zurückzuführen, so steht dieser im Mittelpunkt der Intervention. Spielt jedoch neben der aggressiven Veranlagung des Täters die Gruppendynamik seiner Mitschülerinnen und -Schüler eine wichtige Rolle im Mobbing-Aufkommen, dann muss der globale Ansatzpunkt gewählt und Maßnahmen ergriffen werden, welche die ganze Gruppe betreffen (Pepler et al. 2004). 9.6.3  Interventionsstrategien

Der Erfolg der Interventionsmaßnahmen gegen Mobbing steht auch im Zusammenhang mit der Art des Lösungsansatzes, der einerseits restriktiv konfrontativ oder

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andererseits problemlösungsorientiert und nicht konfrontativ sein kann. Die konfrontativen Ansätze beinhalten festgelegte Regeln, die bei einer Missachtung mit Strafen geahndet werden. Sie zielen darauf ab, das Mobbingverhalten des Täters abzuschwächen. Dies kann durch Gespräche zwischen den Erziehungsberechtigten des Täters und der Schulleitung sowie dem zeitweiligen Ausschluss des Täters vom Unterricht erreicht werden. Gleichzeitig dienen diese Maßnahmen als Abschreckung gegenüber aufkommendem Mobbing. Die nicht konfrontativen Ansätze setzen eher auf die Mediation zwischen Opfer und Täter (Rigby et al. 2004). Beide Ansätze erwiesen sich in einer Studie von Garandeau et al. (2014) als gleichermaßen effektiv, wenn die Einflussfaktoren, wie z. B. Aggressionstyp und die Dauer des Mobbinggeschehens kontrolliert wurden. Bei mehreren Wochen bis Monaten andauerndem Mobbing gibt es ebenfalls kaum Unterschiede. Bei erst kurz anhaltendem Mobbing erweisen sich jedoch konfrontative Ansätze als effektiver. Nicht konfrontative Ansätze sind in ihrer Effizienz unabhängig von der Dauer des Mobbinggeschehens. Diese Ergebnisse geben den Lehrkräften eine Hilfestellung, bei der Wahl des geeigneten Ansatzes. Hierbei spielen die Bewältigungsstrategien der Schülerinnen und Schüler ebenfalls eine zentrale Rolle. Camodeca und Goossens (2005) berichten in ihrer Studie, dass die Schülerinnen und Schüler am häufigsten auf assertiveness zur Bewältigung von Mobbing Situationen zurückgriffen. Dies lässt darauf schließen, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, dass Mediation einen Effekt auf die Unterbindung von Mobbing hat. Die Täter selbst hingegen, bevorzugen als Bewältigungsstrategie eher Vergeltung. Dies bedeutet, dass sie aus der Sichtweise des Opfers eher Vergeltung anwenden würden. Die Vermittlung von prosozialen und anti-aggressiven Bewältigungsstrategien sollte daher Bestandteil einer Intervention gegen Mobbing sein. > „Assertiveness“ → Selbstbehauptung, Selbstsicherheit im Umgang mit

konfliktreichen Situationen (Fröhlich 2012)

Die Reaktion der direkt betroffenen Personen auf die unterschiedlich anwendbaren Strategien hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die Effektivität der Mobbing-Intervention. Um eine Verhaltensänderung beim Mobbing-Täter zu erwirken, gibt es mehrere Möglichkeiten, die in ihrer Intensität variieren und entsprechend der Ausprägung der psychosozialen Störung des Täters angewandt werden. Hierzu zählen Aufklärung und Schulung zum Thema Mobbing, die beratende Unterstützung in Gesprächen sowie die Förderung und Fokussierung auf andere Interessen. Zusätzlich kann das Auferlegen von Regeln und die unverzügliche Anwendung von Konsequenzen, wie Privilegien-Entzug erfolgen. Schulische Ausschlussverfahren, sowie die Vermittlung an in Kinder-ElternBeratung spezialisierte Institutionen sind weitere Maßnahmen für Härtefälle. Bei der Applikation dieser diversen Ansätze muss beachtet werden, dass der Mobbing-Täter versucht, seine Vormachtstellung und seinen sozialen Status, den er in seiner Gruppe genießt, beizubehalten, obwohl er diese durch unlauteres und unsoziales Verhalten errungen hat (Pepler et al. 2004). Beim Opfer können ebenfalls zwei unterschiedliche Strategien angewandt werden. Die moralische oder psychologische Unterstützung, die über das bereits erwähnte Anvertrauen an Eltern oder Lehrkräfte und den daraus resultierenden Gesprächen erfolgt, stellt eine der Strategien dar. Die andere besteht aus aktiveren Teilen, die ebenso auf moralische Unterstützung setzen, aber schwerpunktmäßig soziale Kompetenzen fördern, welche dem Opfer helfen, in weiteren Mobbing-Konfliktsituationen angemessen zu

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reagieren. Hier kann auch eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe, wie weiter unten beschrieben, mit hinzugezogen werden (Rigby 2007). 9.6.4  Unterstützende Maßnahmen

Weitere unterstützende Maßnahmen können die Effektivität der Intervention steigern. So, können laut Rigby (2007), wenn Mobbing bereits manifest ist, der moralistische, der legalistische und der humanistische Ansatz dazu beitragen, das Mobbinggeschehen zu beenden. Der moralistische Ansatz besteht darin, den Täter auf moralischer Ebene unter Druck zu setzen. Die moralischen Werte der Schule und deren Akzeptanz durch die Schülerinnen und Schüler sind ausschlaggebend für den Erfolg dieses Ansatzes. Bei dem legalistischen Ansatz werden Sanktionen, welche in ihrem Grad der Strenge in Abhängigkeit des Schweregrads des Mobbingverhalten variieren, gegen den Mobber verhängt. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass die Sanktionen direkt anwendbar sind. Bei der Anwendung des humanistischen Ansatzes wird versucht, die Beweggründe des Täters nachzuvollziehen und im bilateralen Gespräch das Verhalten sowie das Denken und Fühlen des Täters positiv zu beeinflussen. Ein allein auf Moral aufbauendes Vorgehen wird in den meisten Schulen sicherlich nicht ausreichen, denn einige Fälle benötigen legalistische Maßnahmen, um eine Verbesserung herbeizuführen. Doch auch die konsequente Sanktionierung hat ihre Grenzen. Hier kann eine humanistische Vorgehensweise weiterhelfen, wobei die Erfolgsaussicht abhängig von der Qualität der Beziehung ist, die mit dem Betroffenen aufgebaut werden kann (Rigby 2007). Merke 5 Moralistischer Ansatz – Täter wird auf moralischer Ebene unter Druck gesetzt 5 Legalistischer Ansatz – Auferlegung von Sanktionen in Abhängigkeit des Schweregrads der Mobbing Handlungen 5 Humanistischer Ansatz – Bilaterale Gespräche zur Hinterfragung der Beweggründe des Täters und zur Herbeiführung einer einvernehmlicher Konfliktlösung (Mediation) (Rigby 2007)

Weitere interessante Möglichkeiten tun sich bei der Bekämpfung von Mobbing auf, wenn man das Ganze unter dem Gesichtspunkt der Rollen-Thematik betrachtet. Ist einmal das Rollenverständnis an die Schülerinnen und Schüler und weitere Beteiligten übermittelt, kann gezielt auf der Ebene der verschiedenen Rollentypen angesetzt werden, um das Mobbingverhalten nachhaltig positiv zu verändern. Bei dieser Vorgehensweise dient die Gruppendynamik als Katalysator. Einerseits erhalten die Täter immer weniger Unterstützung und Zuspruch der sogenannten Assistenten, andererseits erfahren die Opfer immer mehr Unterstützung durch Verteidiger. Außenstehende und Unbeteiligte ergreifen Partei und geben den Tätern klar zu verstehen, dass sie deren Mobbing nicht weiter dulden wollen. Diese Dynamik in der Rollenverschiebung innerhalb der Gruppe

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führt schlussendlich dazu, dass auch der Mobbingtäter sein Verhalten nach und nach anpasst und positiv verändert (Salmivalli et al. 2004). Eine weitere erfolgversprechende Strategie ist die so genannte anti-bullying policy, welche sich im englischsprachigen Raum auf Schulebene etabliert hat. Die in der policy aufgeführten Maßnahmen sollten sich auf evidenzbasierte Programme berufen, deren Effektivität empirisch belegt wurde (Ttofi und Farrington 2011). Rigby (2007) formulierte sechs Komponenten, die es beim Erstellen einer solchen anit-bullying policy zu beachten gilt. Rigby unterstrich, dass die Schule klar und unmissverständlich Stellung zum Thema Mobbing beziehen muss und deutlich mitteilen soll, dass sie jede Art von Mobbing aufs Schärfste verurteilt. Zugleich muss sie verständlich erklären, wie sie Mobbing definiert, und dies eventuell mit Hilfe von konkreten Beispielen dokumentieren. Sie muss über die Rechte der Mobbing-Opfer aufklären und ebenso auf die Pflichten von Mobbing-Zeugen hinweisen. Darüber hinaus muss die Schule die Maßnahmen aufführen, die sie gegen Mobbing unternehmen wird, ohne diese jedoch zu sehr zu detaillieren. Sie sollte ebenfalls erwähnen, dass die policy regelmäßig evaluiert und der aktuellen Entwicklung angepasst wird. Anti-bullying policies enthalten somit generelle Informationen bezüglich der zu ergreifenden Schritte in einem Mobbing-Fall (Pepler et al. 2004). Um jedoch erfolgreich umgesetzt zu werden, brauchen sie eine breite Akzeptanz und die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler (Rigby 2007). Im deutschsprachigen Raum haben sich schulische Richtlinien gegen Mobbing noch nicht etabliert (Scheithauer et al. 2003). Schulische Richtlinien werden in gemeinsamer Zusammenarbeit von der Schulleitung, den Lehrkräften, den Schülerinnen und Schülern und sonstigen Mitarbeitern an der Schule formuliert. Diese Regeln müssen von allen Beteiligten angewandt und akzeptiert werden. Seitz und Hiebl (2012) empfehlen, die erstellten und akzeptierten Regeln in Form eines Plakats, welches von jeder Schülerin und jedem Schüler unterzeichnet wird, in den Klassenräumen an die Wand zu hängen. Merke: Anti-bullying policy → schulische Präambel gegen Mobbing 6 Komponenten die es bei der Erstellung zu beachten gilt: 1. Schulische Stellungnahme gegenüber Mobbing 2. Definition von Mobbing (ggf. mit Veranschaulichungen) 3. Aufklärung über die Rechte und Pflichten bezüglich Mobbing 4. Hinweisen auf die Pflichten von Mobbing- Zeugen 5. Auflistung der Maßnahmen die dem Mobbing entgegenwirken sollen 6. Planung von regelmäßigen Evaluationen der Mobbing Präambel (Rigby 2007)

9.6.5  Intervention im Härtefall

Sollten die, in den vorherigen Abschnitten dargestellten Strategien, Interventionen und unterstützende Maßnahmen fehlschlagen, und keine Besserung in dem aktuellen schulischen Setting in Aussicht sein, kann auch ein Schulwechsel in Erwägung gezogen werden, wobei die Integration in eine neue Schulklasse sich ebenfalls problematisch erweisen könnte (Huber 2015). Hierbei wird es nämlich wahrscheinlich sehr schwierig,

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für die durch das Mobbing belasteten Schülerinnen und Schüler, sich in eine fremde bestehende Gruppe zu integrieren und neue soziale Kontakte zu knüpfen. 9.7  Involvierte Parteien und ihre Aufgaben

Mobbing stellt ein gruppendynamisches Problem dar, wovon alle Beteiligten betroffen sind (Scheithauer et al. 2007). Die Mobbingmaßnahmen an Schulen sollen mehrere Personengruppen miteinbeziehen, wobei die Lehrkräfte eine zentrale Funktion in Hinblick auf die Prävention gegen und die Intervention bei Mobbing im schulischen Kontext einnehmen (Bilz et al. 2015). Es ist von großer Bedeutung, dass sowohl die Schulleitung als auch die Lehrkräfte mit in die Intervention eingebunden werden (Huber 2015). Rolle der Lehrkräfte

Welche Ziele die Lehrkräfte hierbei anvisieren, hat bei der Anwendung der Präventionsund Interventionsmaßnahmen eine große Bedeutung. Dudziak und Kollegen (2017) berichten, dass ein Ziel darin bestehe, die Mobbingsituation möglichst schnell zu unterbinden. Ein anderes zentrales Ziel stellt der Opferschutz dar. Weitere Ziele liegen in der Klärung der Situation und der Unterstützung des Opfers. Laut den Autoren sollte eine Verschiebung auf die Nutzung von Handlungs- und unterstützenden Strategien erfolgen, um die Prävalenz von Mobbing zu reduzieren und zusätzlich die sekundärpräventive Arbeit zu stärken. Die Wahl der Maßnahmen ist abhängig davon, ob die Lehrkräfte kurz- oder längerfristige Ziele verfolgen (Dudziak et al. 2017). Angesichts der Tatsache, dass die Miteinbeziehung der Lehrkräfte in die Mobbing-Prävention und -Intervention von ausschlaggebender Bedeutung ist, stellt sich die Frage, wie Lehrkräfte im Regelfall auf einen Mobbingfall reagieren und welche Strategien sie anwenden. Burger und Kollegen (2015) überprüften dies, indem sie die Lehrkräfte mit hypothetischen Mobbingsituationen konfrontierten. Die Mehrheit der Lehrkräfte gab an, dass sie am häufigsten (82 %) auf restriktive/konfrontative Ansätze zurückgreifen würden. Dies wurde von den Autoren mit einem Mangel an Wissen über die langfristigen negativen Konsequenzen für den Täter und das Opfer sowie einem Mangel an Wissen bezüglich alternativer nicht konfrontativer Maßnahmen in Verbindung gebracht. Rund 44 % der Befragten gaben an, dass sie im Rahmen von Interventionsmaßnahmen mit dem Täter arbeiteten würden Neben den restriktiven und der Arbeit mit dem Täter, folgt als dritthäufigste angewandte Strategie das Hinzuziehen von Drittpersonen, um den Mobbingfall zu lösen. An vorletzter Stelle (26,7 %) wurde die Arbeit mit dem Opfer genannt, gefolgt von dem Ignorieren des Mobbinggeschehens. Zusätzlich wurde festgestellt, dass die wenigsten Lehrkräfte mehr als zwei Strategien anwandten. Rund 59 % wählten eher den restriktiven/konfrontativen Ansatz in Kombination mit einer weiteren der oben aufgeführten Strategien, wobei sie die Arbeit mit dem Opfer ausschließen. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass die Mehrzahl der Lehrkräfte den Täter als Alleinverantwortlichen des Mobbing-Geschehen betrachten. Zudem zeigte sich, dass das Geschlecht und die Dienstzeit der Lehrkräfte einen Einfluss auf die Wahl der angewandten Strategie haben. Somit setzten Frauen eher auf die Arbeit mit dem Opfer und ignorierten im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen seltener Mobbingfälle. Je länger die Lehrkräfte bereits an der Schule beschäftigt

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waren, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie simultan mit Täter und Opfer arbeiten würden (Burger et al. 2015). Strategien der Lehrkräfte gegen Mobbing: (abgestuft nach der Nutzungshäufigkeit) 1. restriktive/konfrontative Ansätze 2. Arbeit mit dem Täter (nicht bestrafender Ansatz) 3. Hinzuziehen von Drittpersonen 4. Arbeit mit dem Opfer 5. Mobbinggeschehen ignorieren (Burger et al. 2015)

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Die Bereitschaft der Lehrkräfte aktiv an der Arbeit gegen Mobbing teilzunehmen reicht somit nicht aus, sie müssen ebenfalls über ausgiebige Kenntnisse bezüglich der Interventionen und deren Anwendung verfügen (Olweus 2009). Unter diesen Voraussetzungen könnten die Lehrkräfte gezielte Aufgaben übernehmen, so z. B. bei der Verbesserung der Aufsicht während den Freistunden mitwirken oder mithelfen, die unterrichtsfreie Zeit neu zu gestalten. Diese Aufgaben sind umso wichtiger, da, wie oben bereits erwähnt, Mobbing vermehrt in der unterrichtsfreien Zeit auf dem Schulhof und während den Pausen stattfindet. Die Lehrkräfte könnten durch ihren aktiven Einsatz Brennpunkte für das Aufkommen von Mobbing frühzeitig identifizieren und veranlassen, dass dort rechtzeitig gezielt interveniert wird. Dieses Element einer Anti-Mobbing Strategie erwies sich in einer Metaanalyse als effektiv und kostengünstig (Ttofi und Farrington 2011). Neben dem Tatort Schulhof, tritt Mobbing oft auch an unbeaufsichtigten Orten auf, wo die Schülerinnen und Schüler unter sich sind, ohne Aufsichtsperson, wie z. B. in den Umkleidekabinen oder dem Schulflur (Ansary et al. 2015). Es ist daher wichtig, nicht nur die Lehrkräfte gegen Mobbing zu mobilisieren. Die Involvierung in die Prävention von Lehrkräften, wie auch weiteren Beschäftigten der Schule, führt zu einer signifikanten Abnahme der Mobbingfälle. Die Einbindung dieser unterschiedlichen Personen erfolgt über Fortbildungen (Vermittlung von Informationen bezüglich Mobbing), interne Konferenzen, das gemeinsame Aufstellen von Klassenregeln, die bereits angesprochene Verbesserung der Freistunden-Aufsicht, die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen und das Zurückgreifen auf eine anit-bullying policy (Ttofi und Farrington 2011). Die Lehrkräfte sollen in den oben erwähnten Fortbildungen das nötige Fachwissen, sowie die nötigen Strategien vermittelt bekommen, um Mobbing effektiv in der Schule zu reduzieren. Solche Fortbildungen sind, aufgrund der Tatsache, dass die Lehrkräfte vorhandene Mobbing Fälle häufig nicht bewusst wahrnehmen, von großer Wichtigkeit (Fekkes et al. 2004). Die hier vermittelten Themen umfassen Grundkenntnisse über die Entstehung von Mobbing, führen die beteiligten Rollen im Mobbinggefüge auf, erläutern die auf Mobbing hindeutende Anzeichen und vermitteln praktisches Wissen bezüglich der präventiven Maßnahmen sowie der möglichen Interventionen (Benítez et al. 2009).

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Fekkes und Kollegen (2004) zeigten in ihrer Studie, dass 47 % der Schülerinnen und Schüler, die gemobbt werden, sich nicht ihrer Lehrkraft anvertrauen. Dem Gegenüber wenden sich jedoch 67 % der Kinder an ihre Eltern, und berichten denen von ihrer aktuellen Situation. Aus diesem Befund kann abgeleitet werden, dass die Einbindung der Eltern wichtig für das Gelingen der Präventions- und Interventionsarbeit an Schulen ist. Sie werden öfters als die Lehrkräfte über Mobbingfälle informiert und können die Lehrkräfte über Mobbinghandlung in Kenntnis setzen. Die Lehrkräfte intervenieren wiederum häufiger als die Eltern, sodass sich diese Lehrer-Eltern Kommunikation positiv auf die Interventionsarbeit an der Schule auswirkt. 9.7.1  Die Rolle der Erziehungsberechtigten

Die Involvierung der Eltern in die Prävention von und die Intervention gegen Mobbing, bestehend aus einem Eltern-Lehrer-Meeting, Eltern-Trainings sowie der Vermittlung relevanter mobbingbezogener Informationen zeigten ebenfalls signifikante Effekte. Die Zahl der Mobbingfälle sank und dementsprechend reduzierte sich auch die Anzahl der Mobbing Täter (Ttofi und Farrington 2011). Diese Einbindung zielt darauf ab, dass die Eltern mit der Schule kooperieren und diese ansprechen, falls ein Verdacht auf Mobbing besteht. Somit kann die Schule frühzeitig reagieren und die nötigen Schritte einleiten, um das Mobbinggeschehen zu beenden (Axford et al. 2015). Des Weiteren können die Eltern durch eine fürsorgliche Erziehung, eine unterstützende Eltern-Kind-Beziehung und eine offene und verständnisvolle Kommunikation mit ihrem Kind dazu beitragen, dass ihr Kind nicht Opfer von Gruppen-Viktimisierung wird (Lereya et al. 2013). Der Erfolg der Einbeziehung der Erziehungsberechtigten hängt unter anderem davon ab, wie die Schule nach Außen kommuniziert. Informationsschreiben in Form von Newslettern können die Eltern auf die Mobbing-Politik der Schule aufmerksam machen und sie auffordern, die Lehrerschaft unverzüglich über auftretende Mobbingfälle bei ihren Kindern zu informieren. Die Schule kann die Eltern ebenfalls zu Lehrveranstaltungen zum Thema Mobbing einladen, um die nötigen Informationen zu übermitteln. Das Thema Mobbing sollte, unabhängig von den gewählten Kommunikationsmitteln, fester Bestandteil des regelmäßigen Eltern-Lehrer-Gesprächs sein (Fekkes et al. 2004). Eine gute Informationspolitik sensibilisiert die Eltern, unterstützt sie bei ihren Entscheidungen und liefert beratende Hinweise. Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Eltern wegen Mobbing ansprechen und sie mit diesem Thema konfrontieren, sollten sie den Aussagen und Ängsten ihres Kindes unbedingt Glauben schenken und diese ernst nehmen. Liegt konkretes Mobbing vor, bieten sich den Eltern und den geschädigten Schülerinnen und Schüler mehrere Handlungsmöglichkeiten. Im günstigsten Fall besteht bereits ein Mobbinginterventionsteam an der Schule, welches kontaktiert werden kann. Weitere mögliche Anlaufstellen sind die schulpsychologischen Beratungsstellen, einzelne Lehrkräfte, wie z. B. Vertrauenslehrer oder Schulsozialarbeiter. Es wird abgeraten, sofort die Beschuldigten oder deren Erziehungsberechtigten mit dem Mobbingfall zu konfrontieren. Der Betroffene sollte jedoch stets in die Planung der Intervention mit involviert werden (Huber 2015).

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9.7.2  Rolle der Schulpsychologen

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Neben den Lehrkräften und den Erziehungsberechtigten können auch Schulpsychologen miteingebunden werden. Die Aufgaben des Schulpsychologen bestehen darin, den Lehrkräften bei der Wahl der geeigneten Interventions- und Präventions-Programme gegen Mobbing und Gewalt zur Seite zu stehen und die betroffenen Eltern, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen (Huber 2015). Er gewährt den durch Mobbing gefährdeten Schülerinnen und Schülern z. B. Unterstützung in der Stärkung ihrer sozialen Kompetenzen und bezüglich ihrer Selbstwirksamkeit. Auf der Klassenebene beteiligt sich der Schulpsychologe ebenfalls bei der Maßnahmen-Implementierung zur Stärkung des sozialen Miteinanders (Drewes et al. 2018). Kam es aber bereits zu Mobbing-Handlungen gegenüber einer Schülerin oder einem Schüler, so ist es, wie bereits oben erwähnt, überaus wichtig, dass sich das Opfer einer anderen Person (Lehrer oder Eltern), anvertrauen kann. Bei Mobbing-Tätern sollte diese Möglichkeit ebenfalls gefördert werden (Huber 2015). Fekkes et al. (2004) berichteten in ihrer Studie, dass nur in rund der Hälfte aller Mobbingfälle (52,1 %), ein klärendes Gespräch, in dem auf das schädigende Verhalten eingegangen wurde, zwischen der Lehrkraft und dem Täter stattfand. Der Prozentsatz der Eltern, die ein solches Gespräch mit ihrem Kind, dem Täter, führten, betrug sogar nur 33,3 %. Das Führen von Gesprächen mit den am Mobbinggeschehen beteiligten Akteuren, dem oder der Täter und dem Opfer unterliegen im Rahmen der Intervention dem Aufgabenbereich der Lehrkräfte und oder der Schulsozialarbeiter. Zu Beginn eines solchen Gesprächs ist es äußerst wichtig, dem Kind, welches gemobbt wurde, klar zu vermitteln, dass dieses Gespräch innerhalb eines geschützten Rahmens stattfindet und dass der Inhalt des Gesprächs streng vertraulich behandelt wird. Ein nächster Schritt besteht darin, das Kind in seinen Äußerungen zu bekräftigen, wenn es über seine aktuelle Gefühlslage berichtet. Das Kind sollte im Rahmen eines solchen Gesprächs stets über die anvisierten nächsten Schritte in Kenntnis gesetzt werden. Darunter fällt z. B. ein konfrontierendes Gespräch mit dem oder den Tätern, das Hinzuziehen von weiteren Lehrkräften oder Schulsozialarbeitern. Denn es sollten, wie bereits oben erwähnt, bei einem Mobbingfall alle an der Schule Beschäftigen, welche in Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern stehen, mit an der Intervention beteiligt werden. Im Anschluss an das Gespräch mit dem Opfer sollte auch immer ein Gespräch mit dem oder den Tätern geführt werden. Die Lehrkraft sollte gut auf das Gespräch vorbereitet sein, indem neben den bereits erhaltenen Informationen vonseiten des Opfers weitere Informationen zum Mobbinghergang in Erfahrung gebracht werden. Im Rahmen des Gesprächs sollten die Fakten und die anstehenden negativen Konsequenzen für den oder die Täter als erstes dargelegt werden. Der Täter wird somit direkt konfrontiert, um eine Verstrickung in Lügengeschichten vorzubeugen. Das weitere Gespräch sollte so gestaltet werden, dass eine Reflektion seitens des Täters bezüglich seines schädigenden Verhaltens erfolgt (Crothers und Kolbert 2008). Im Laufe dieses Buches werden Interventionsprogramme vorgestellt, welche auf die Gesprächsführung mit den beteiligten Akteuren spezialisiert sind. Im Rahmen dieser Programme werden die hier exemplarisch aufgeführten Formen der Gesprächsführung detaillierter beschrieben.

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Schlussfolgernd kann angemerkt werden, dass die Mobbing-Thematik durch eine hohe Komplexität charakterisiert ist. Eine generelle Vorgehensweise, die bei bestehenden Mobbingsituationen immer dieselben Maßnahmen bei der Prävention und immer dieselben Strategien bei der Intervention vorsieht ist illusorisch in Anbetracht der großen Anzahl der Einflussfaktoren, der unterschiedlichen Gruppendynamiken, der vielfältigen Mobbingsituation sowie dem unterschiedlichen Wissensstand des involvierten Personenkreises. Es gibt jedoch, wie oben erläutert, eine Menge Ansatzpunkte, die generell bei der Einführung von Maßnahmen gegen Mobbing in Betracht gezogen werden müssen und situationsbedingt zur Anwendung kommen sollten. Hier kommen die vielen etablierten und validierten Präventions- und Interventionsprogramme zum Einsatz, wobei fallspezifische Besonderheiten schlussendlich ausschlaggebend für die Wahl eines dieser Programme sind, die mit ihren jeweiligen Vorzügen unter Berücksichtigung der in diesem Kapitel aufgeführten generellen Erkenntnissen gezielt zum Einsatz kommen. Bei der Anwendung eines solchen Programmes gilt dieselbe Überlegung wie zur generellen Vorgehensweise. Es gibt nicht das alles lösende Präventions- und Interventionsprogramm für die Mobbingproblematik einer Schule. Es müssen eventuell mehrere Programme für unterschiedliche Mobbingsituationen zum Einsatz kommen. Sollte dies der Fall sein, ist es äußerst wichtig einen allgemeingültigen Mobbing-Leitfaden als gemeinsamen Nenner unabhängig von den eingesetzten Programmen zu definieren. Die in diesem Kapitel aufgeführten Grundsätze können hierfür eine nützliche Orientierung bieten. Zusammenfassung der wichtigsten Punkte, die es bei der Prävention-und Intervention zu beachten gilt 5 Ist-Aufnahme des Mobbing-Status an der Schule (Rigby et al. 2004) 5 Präventions-und Interventionsmaßnahmen sollten an mehreren Ebenen ansetzen (Schulebene, Klassenebene und individuelle Ebene) (Olweus und Limber 2010) 5 Berücksichtigung der Einflussfaktoren bei der Planung (z. B.: Alter der Zielgruppe und Dauer der Intervention) (Pepler et al. 2004; Scheithauer et al. 2007) 5 Vielfalt der Ansatzpunkte beachten (unilateral, bilateral, global) (Blum und Beck 2010) 5 Verschiedene Interventionsstrategien berücksichtigen (restriktiv, problemlöseorientiert) (Rigby et al. 2004) 5 Bewältigungsstrategien der Kinder berücksichtigen (Camodeca und Goossens 2005) 5 Verschiedene Maßnahmen (moralistisch, legalistischer und humanistischer Ansatz) (Rigby 2007) 5 Die „Participant role approach“ spielt eine entscheidende Rolle im Verständnis des Mobbinggeschehens und in der Planung von Präventions-sowie Interventionsmaßnahmen (Salmivalli et al. 2004) 5 Anti-Bullying Policies bilden einen wichtigen Bestandteil der Präventions-und Interventionsarbeit an der Schule (Ttofi und Farrington 2011)

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A. Franck

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169

Exkurs: MobbingInterventionsteams für saarländische Schulen Exkurs zu Kapitel 9 Hagen Berndt 10.1 Problemdarstellung – 170 10.2 Präventionsansatz – 170 10.3 Entstehung der Qualifizierungsmaßnahme – 170 10.4 Ziele – 170 10.5 Zielgruppe – 171 10.6 Inhalt – 171 10.7 Einbindung MIT in das Angebot der AG Cybermobbing – 172 10.8 Projekt „fairplayer“ – 172 10.9 Projekt „Medienhelden“ – 173 10.10 Fallmanagement – 173 10.11 Qualitätssicherung und Evaluation – 174 10.12 Ausblick – 174 Literatur – 175

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_10

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H. Berndt

10.1  Problemdarstellung

Gewalt an Schulen hat als Problem auch im Saarland zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dabei kann festgestellt werden, dass weniger schwere physische Gewalt im Fokus steht, sondern dass die alltägliche Gewalt des Mobbings die Schulen in viel größerem Maße beschäftigt. Die steigende Zahl von Cybermobbing-Fällen hat die Situation weiterhin verschärft. (Cyber) Mobbing hat sich mittlerweile an den weiterführenden Schulen, aber auch schon im Grundschulbereich „etabliert“. (Cyber)Mobbing gehört zum Schulalltag und erzeugt häufig großes Leid. Das Opfer kann sich ohne externe Hilfe nicht aus der Situation befreien. Ein (Cyber)Mobbing-Prozess ist komplex und bedarf kompetenter und aufwendiger Lösungsstrategien. In der Lehrerausbildung werden Handlungsstrategien gegen Gewalt kaum vermittelt, sodass eine Qualifizierung im Rahmen der Lehrerweiterbildung, insbesondere der Lehrkräfte, im Handlungsfeld Mobbing sinnvoll erscheint. Damit Mobbing erst gar nicht auftritt, sollten evaluierte, nachhaltige Präventions-Programme in den Schulen Anwendung finden. 10.2  Präventionsansatz

10

Im Rahmen einer nachhaltigen schulischen Präventionsarbeit verfolgt das Landesinstitut für Präventives Handeln (LPH) den Ansatz der Multiplikatoren-Fortbildung. Im Themenfeld Mobbing an Schulen soll dies durch sogenannte Mobbing-InterventionsTeams (MIT) gewährleistet werden. Im Bereich der „Qualifizierungsreihe Schuleigene Krisenteams (QSK)“, die seit 2010 durch das LPH durchgeführt wird, sammelten das LPH und die Schulen bereits positive Erfahrungen mit dem Teamansatz. Die Idee, mit 2–3 Personen pro Schule in Kompetenzteams zusammenzuarbeiten, hat sich dort als probates Werkzeug der schulischen Präventionsarbeit bewährt. Unterstützung erfahren die Teams durch eine externe Vernetzung, bspw. mit dem Schulpsychologischen Dienst (vgl. Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur o. J.). Somit sind die Voraussetzungen für eine bestmögliche Prävention und Intervention bei schulischen Krisen im Allgemeinen, und bei (Cyber)Mobbing im Speziellen, geschaffen. 10.3  Entstehung der Qualifizierungsmaßnahme

Eine Projektgruppe aus Mitarbeitern des LPH erarbeitete im Jahr 2011 in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse des Saarlandes (TK) sowie dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg eine Qualifizierungsmaßnahme zum Thema „Schuleigene Mobbing-Interventions-Teams (MIT) an saarländischen Schulen“. Die Qualifizierungsmaßnahme konnte vonseiten des LPH im Frühjahr 2013 erstmalig angeboten werden. 10.4  Ziele

Die Mobbing-Interventions-Teams sollen sowohl in Präventions- als auch in Interventionsfragen zum Thema (Cyber)Mobbing kompetente Ansprechpartner ihrer Schule sein und als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Fortbildungsinhalte der

171 Exkurs: Mobbing-Interventionsteams für saarländische Schulen

Qualifizierungsmaßnahme „Schuleigene Mobbing-Interventions-Teams (MIT) an saarländischen Schulen“ in ihre jeweiligen Schulen koordinieren. Durch die in der Qualifizierungsreihe vorgestellten Maßnahmen wird die Lehrerschaft für die Thematik sensibilisiert; ihr wird daneben die Bedeutsamkeit ihrer Vorbildfunktion vor Augen geführt. Außerdem werden die sozialen Kompetenzen sowie das zivilcouragierte Handeln der Schülerinnen und Schüler gefördert. In der Schule existiert eine klare Haltung des Nichtduldens von (Cyber)Mobbing zum Schutz potenzieller wie tatsächlicher Opfer. Außerdem soll das Schul- bzw. Klassenklima verbessert werden. Die Mobbing-Interventions-Teams sind in der Lage, für die jeweilige Schule entwicklungsorientierte Präventionsangebote zu planen, zu organisieren und weiterzuentwickeln. Daneben können sie eigenständig oder unter Zuhilfenahme von externen Netzwerkpartnern auftretende Mobbing-Fälle im Rahmen der Intervention kompetent abarbeiten. Die Aspekte der Prävention und Intervention werden Lehrer- und Schülerschaft anhand ausgewählter, erprobter, evaluierter Methoden und Programme verdeutlicht. Zudem sorgen die Teams dafür, dass eine klare Positionierung der Schule gegen Mobbing festgelegt und im Kollegium einheitlich gelebt und mitgetragen wird. 10.5  Zielgruppe

Die Qualifizierungsreihe „Schuleigene Mobbing-Interventions-Teams (MIT) an saarländischen Schulen“ ist eine Maßnahme für alle weiterführenden Schulen. Zudem steht das Angebot auch für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Schoolworkerinnen und Schoolworker sowie Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zur Verfügung. Dieser Umstand trägt insbesondere dem unter Punkt 2 (Präventionsmaßnahmen) genannten Aspekt der vernetzten Teamarbeit Rechnung. Seit einiger Zeit gehören auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferschutzorganisation „Weisser Ring“ zur Zielgruppe. 10.6  Inhalt

Die angebotene dreitägige Fortbildung für die schuleigenen Mobbing-InterventionsTeams vermittelt in drei Modulen theoretisches Wissen und praktische Ansätze der Prävention und Intervention. Außerdem stellen sich Netzwerkpartner vor. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer erhält am Ende der Maßnahme einen „Anti-Mobbing-Koffer“. Mit dessen Inhalt kann an der jeweiligen Schule eine Projektwoche zum Thema (Cyber)Mobbing konzipiert werden. Im Detail werden folgende Aspekte vermittelt: 5 Merkmale und Definition von (Cyber)Mobbing. 5 Was unterscheidet Cybermobbing von Mobbing und ist die Unterscheidung sinnvoll? 5 Wie reagiere ich, wenn ein (Cyber)Mobbing-Verdacht im Raum steht? 5 Gibt es den typischen Täter? 5 Welche Motive hat er? 5 Gibt es das typische Opfer? 5 Welche Folgen hat (Cyber)Mobbing? 5 Wie verläuft ein Gruppenbildungsprozess? 5 Wie verläuft ein Mobbing-Prozess?

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H. Berndt

5 Welche Rollen gibt es neben Täter und Opfer? 5 Was ist mobbingbegünstigendes Verhalten vonseiten der Lehrerschaft? 5 Vorstellung der Arbeit der Netzwerkpartner Schulpsychologischer Dienst, Polizei und Weißer Ring, 5 Vorstellung von Präventions- und Interventionsprogrammen, 5 Erarbeitung und Vorstellung des „Anti-Mobbing-Koffers“. Die Qualifizierungsmaßnahme setzt sich zusammen aus wird Kurzvorträgen und Filmen, sie wird ergänzt durch praktische Übungen und Rollenspiele angereichert und erhält so einen starken praxisnahen Bezug. Das Referententeam aus dem LPH rekrutiert sich regelmäßig aus je einem pädagogischen Mitarbeiter und einem Polizeibeamten. Die Inhalte der Qualifizierungsreihe (s. o.) werden allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Anschluss an die Veranstaltung über ein Learning Management System (Moodle) zur Verfügung gestellt. 10.7  Einbindung MIT in das Angebot der AG Cybermobbing

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Seit August 2016 erarbeitete das Landesinstitut für Präventives Handeln in der Arbeitsgruppe Cybermobbing gemeinsam mit dem Landesinstitut für Pädagogik und Medien, der Landesmedienanstalt Saarland und dem Landespolizeipräsidium des Saarlandes (Präventionsstelle der saarländischen Polizei) ein kombiniertes Angebotspaket zum Thema Cybermobbing. Die Qualifizierungsreihe „Schuleigene Mobbing-InterventionsTeams (MIT) an saarländischen Schulen“ wird ab dem Schuljahr 2017/2018 als Herzstück in das Angebotspaket eingebunden. Zielgruppe sind Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen. Das Angebotspaket besteht aus zwei verpflichtenden Bausteinen. Baustein 1 besteht in der Teilnahme einer Schule an der Qualifizierung MIT, Baustein 2 in der Durchführung eines Pädagogischen Tages. Danach hat die Schule die Möglichkeit, sich als „Schule gegen Cybermobbing“ zertifizieren zu lassen. Anschließend kann die Schule auf die optionalen Bausteine eines kostenfreien Medienkompetenzprojekts der Unterstützung bei einem themenbezogenen Elternabend, sowie einer kostenfreien Schulung der v. g. Zielgruppe im Programm „Medienhelden“ (vgl. Schultze-Krumbholz et al. 2012) zurückgreifen. Schulen, die bereits die MIT-Fortbildung durchlaufen haben, wird die Möglichkeit eingeräumt, sich nach Durchführung eines Pädagogischen Tages zertifizieren zu lassen. Schulen, die bereits ein MIT-Team implementiert und schon einen Pädagogischen Tag veranstaltet haben, können sich ohne Teilnahme an weiteren Programmen und Maßnahmen als „Schule gegen Cybermobbing“ zertifizieren lassen. 10.8  Projekt „fairplayer“

Ein in der Maßnahme (MIT) vorgestelltes Präventionsprogramm ist das Projekt „fairplayer“ (vgl. Scheithauer und Dele Bull 2008). Dieses hat die „Förderung von sozialen Kompetenzen und Zivilcourage – Prävention von Bullying und Schulgewalt“ zum Thema. Mitarbeiter des Landesinstitutes für Präventives handeln sind als sog. „Teamer“ in diesem Projekt qualifiziert worden. Das LPH bietet seit 2016 das Programm „fairplayer“ für saarländische Schulen in Form eines 4 tägigen Workshops an. Grundlage

173 Exkurs: Mobbing-Interventionsteams für saarländische Schulen

der ­Fortbildungsmaßnahme ist das „fairplayer-manual“. Dort wird der Inhalt des Präventionsprogramms in 11 Schritten dargestellt (vgl. Scheithauer und Dele Bull 2008). 10.9  Projekt „Medienhelden“

Zudem wird begleitend zur MIT-Qualifizierung das Projekt „Medienhelden“ (vgl. Schultze-Krumbholz et al. 2012) angeboten (siehe Punkt 8). Dieses stellt sich als ein Programm zur „Prävention von Cybermobbing und Förderung der Medienkompetenz“ dar. Auch in diesem Kontext sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LPH als TrainerInnen qualifiziert worden. Das Angebot steht den Schulen als zweitägiger Workshop ebenfalls zur Verfügung. Es ist zugleich ein kostenfreies Angebot im Rahmen der Zertifizierung zur „Schule gegen Cybermobbing“ (s. a. Punkt 7). 10.10  Fallmanagement

Die seit Einführung der Qualifizierungsmaßnahme MIT anhaltend hohe Nachfrage saarländischer Schulen zeigt, dass das Thema Mobbing/Cybermobbing weiterhin sehr bedeutsam ist. In der Qualifizierungsreihe werden insbesondere Präventionsund Interventionsprogramme vorgestellt und Praxisbezug hergestellt (siehe Punkt 6). Dennoch lassen sich im Rahmen der Fortbildung nicht alle schulischen Lebenssachverhalte umfassend abbilden, da es sich bei der Fortbildungsmaßnahme um eine „Laborsituation“ handelt. Dies hatte zur Folge, dass sich von Beginn an qualifizierte schulische Teams mit konkreten Mobbing-Lebenssachverhalten an die MIT-Trainer des LPH wandten. Die große Anzahl solcher Anfragen ist nach wie vorgegeben. In solchen Fällen wird vonseiten des LPH Hilfestellung in Form einer Beratung geleistet. Dies beschränkt sich allerdings auf ein Minimum; hierbei wird insbesondere auf den Einsatz der erlernten Instrumente hingezielt. Andererseits melden sich auch Schulen mit Mobbingproblemen, die die Qualifizierungsreihe MIT nicht, aber die Qualifizierungsreihe QSK (Qualifizierungsreihe schuleigene Krisenteams), absolviert haben. Hier kann nicht auf dezidiert erworbenes Wissen aus dem Bereich Mobbing zurückgegriffen werden. Dort hat sich bislang die Verortung des Problems an das etablierte Krisenteam als probates Mittel herausgestellt. Was Inhalte der Qualifizierung und Aufgabenzuweisung anbelangen, sind das schuleigene Krisenteam und das MIT durchaus vergleichbar, zumal Mobbing eine schulische Krise darstellt und ein vergleichbares Bedrohungsmanagement notwendig ist (vgl. ­Hoffmann 2012). Letztendlich wenden sich vermehrt Schulen – auch Grundschulen (s. a. Punkt 10. Ausblick) –, die weder ein schuleigenes Krisenteam noch ein MIT aufweisen können, mit Mobbing-Sachverhalten an unser Institut. Im Rahmen einer telefonischen oder einer „Vorort-Beratung“, oftmals verbunden mit dem Hinweis auf interne bzw. externe Akteure (Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Schoolworkerinnen und -worker, Schulpsychologinnen und -psychologen, Polizeibeamtinnen und – beamten) kann hier Hilfestellung geleistet werden. In der Folge wird auf unser Angebot der in dieser Konzeption beschriebenen Qualifizierungsmaßnahme hingewiesen.

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H. Berndt

10.11  Qualitätssicherung und Evaluation

Die Nachhaltigkeit der MIT-Qualifizierungsmaßnahme wird durch die dem LPH zugrunde liegende Philosophie der Multiplikatoren-Ausbildung gewährleistet (siehe Punkt 2.). Die fortgebildeten Mobbing-Interventions-Teams stellen an ihrer Schule ein auf die jeweilige Schule zugeschnittenes handlungssicheres Kompetenzteam dar, auf das jederzeit zugegriffen werden kann. Die Expertisen dieses Teams sollen sich auf ein grundlegendes positives Schul- und Klassenklima auswirken. Risikofaktoren sollen frühzeitig erkannt und ausgeräumt, Schutzfaktoren gestärkt werden. Zudem sollen konkrete Mobbing-Konflikte kompetent gelöst werden. Das Angebot eines anschließendes Pädagogischen Tages an der teilgenommen Schule wird häufig wahrgenommen. Inhalt des Tages ist insbesondere die Vorstellung der qualifizierten Kolleginnen und Kollegen und deren erworbene Expertise. Die Qualifizierung wird zurzeit im Rahmen einer Kooperation zwischen LPH und der Universität Luxemburg evaluiert. 10.12  Ausblick

10

Die Qualifizierungsreihe „Schuleigene Mobbing-Interventions-Teams für saarländische Schulen (MIT)“ wird seit 2013 für alle saarländischen weiterführenden Schulen angeboten. Die Nachfrage ist ungebrochen, was darauf schließen lässt, dass sich die Maßnahme etabliert hat und dass sich (Cyber-) Mobbing weiterhin als schulische Krise darstellt. Bis zum Ende 2018 wurden bislang 12 Qualifizierungsreihen durchgeführt und die Teams 84 saarländischer Schulen (Berufsschulen, Förderschulen, Waldorfschulen, Gymnasien, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen, Erweiterte Realschulen, eine Grundschule) qualifiziert. Daneben gehörten Mitglieder des luxemburgischen Bildungsministeriums, des Familien-Forums (Institut für angewandte Psychologie), der Schulpsychologischen Dienste, der Sparkasse Neunkirchen sowie eine Freie Referentin der Landesmedienanstalt Saarland zu den Teilnehmern. Aktuelle Untersuchungen an verschiedenen Schulformen haben gezeigt, dass mittlerweile Grundschulen die Schulform darstellen, bei denen Mobbing und Cybermobbing am weitesten verbreitet ist (z. B. doppelt so häufig als an Gymnasien) (vgl. Jannan 2010, S. 23). Zudem haben Forschungsergebnisse gezeigt, dass die im Mobbingprozess maßgebliche Etablierung verschiedener Rollen bereits im Grundschulalter beginnt. Vonseiten unseres Instituts kann festgestellt werden, dass die Anzahl der Hilfeanfragen von Grundschulen ansteigt (siehe Punkt 8). Die Qualifizierungsreihe für Mobbing-Interventionsteams ist grundsätzlich für weiterführende Schulen konzipiert. Für Grundschulen, die i. d. R. wesentlich kleinere Einheiten darstellen, wird zurzeit ein eigenes Mobbing-Präventionsprojekt erarbeitet. Die „Goslaer Zivilcouragenkampagne-Hinsehen-Handeln-Helfen“ richtet sich an die Klassen 1–4 und versucht über das Thema „Zivilcourage“ einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Mobbing zu leisten. Nach Erstellung der Schulungsmaterialien ist vorgesehen im Saarland an Grundschulen „Pilotveranstaltungen“ durchzuführen, um dann im Nachgang ein entsprechendes Angebot auch für Grundschulen anbieten zu können.

175 Exkurs: Mobbing-Interventionsteams für saarländische Schulen

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177

Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme? Lynn Erpelding und Julie Schiel 11.1 „Olweus Bullying Präventionsprogramm“ (OBPP) – 179 11.2 Freiburger Anti-Gewalt Training (FAGT) (Klaus Fröhlich-Gildhoff 2006) – 182 11.3 Friedensstifter Training (Barbara Gasteiger Klicpera und Gudrun Klein 2006) – 185 11.4 KiVa (Turku Universität, Finnland, Christina Salmivalli et al. 2009) – 187 11.5 MindMatters (Peter Paulus, Birgit Nieskens, Franziska Heinold, Claudia Liberona, Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften [ZAG], Leuphana Universität Lüneburg, 2003) – 190 11.6 Training mit aggressiven Kindern (Ulrike Petermann und Franz Petermann 2012) – 193 11.7 WiSK -Wiener Soziales Kompetenztraining für Schüler (Atria und Spiel 2007) – 195 11.8 No Blame Approach (Blum und Beck 2012) – 201 11.9 Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse) – 204

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_11

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11.10 Faustlos (Schick und Cierpka 2005) – 206 11.11 Fairplayer (Scheithauer und Bull 2007) – 213 11.12 Kritische Auseinandersetzung mit Evaluationsstudien: Möglichkeiten der Qualitätsbestimmung von Gewaltpräventionsprogrammen – 213 Literatur – 217

179 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Um Mobbing und seinen Konsequenzen im schulischen Bereich Einhalt zu gebieten entstanden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Anti-Mobbing-Programme in den verschiedensten Ländern. Obwohl diese auf unterschiedliche Schwerpunkte setzen, verfolgen sie alle das gleiche Ziel: Mobbing an Schulen reduzieren und bestenfalls stoppen! Die Vorgehensweise der einzelnen Anti-Mobbing-Programme unterscheidet sich ebenfalls; von generellen Hilfestellungen bis hin zu empirisch unterstützten Verfahren, sowie Programme gegen Aggression oder Verbesserung der sozialen Kompetenzen ist alles dabei. In diesem Kapitel werden nur Anti-Mobbing-Programme erwähnt welche explizit für den Gebrauch an Schulen entwickelt wurden, auf wissenschaftlichen Befunden aufgebaut sind und bereits in Deutschland umgesetzt wurden. In den folgenden Abschnitten werden 11 Anti-Mobbing-Programme detailliert vorgestellt. 11.1  „Olweus Bullying Präventionsprogramm“ (OBPP)

Das „Olweus Bullying Präventionsprogramm“ (OBPP) wurde vom Norweger Dan Olweus im Jahre 1983 entwickelt. Dan Olweus forscht und beschäftigt sich seit mehr als 35 Jahren mit dem Problem des „Bullying“ bei Schulkindern und Jugendlichen. In den 1980er Jahren führte Olweus die erste systematische Intervention gegen Mobbing weltweit durch. Diese zeigte einige positive Effekte, welche er in seinem Anti-Mobbing-Programm OBPP festgehalten hat. Olweus wird demnach als Pionier und Gründungsvater in der Recherche zum Thema Mobbing angesehen (Hazelden 2018). Eine adaptierte deutsche Version des OBPP wurde erstmals 1994 an Schulen in Schleswig-Holstein angewendet (Hanewinkel 2004). 11.1.1  Steckbrief

Das OBPP liegt in vielen verschiedenen Sprachen vor und wurde ebenfalls bereits in deutschen Schulen angewendet. Es eignet sich für Kindergärten, Grundschulen und weiterführende Schulen, mit anderen Worten für Kinder zwischen 5 und 15 Jahren. Dabei kann auf verschiedenen Ebenen interveniert werden: Schulebene, Klassenebene, Individuelle Ebene und Gesellschaftliche Ebene (obwohl letztere nicht immer erwähnt wird). Die einzelnen Ebenen werden im Laufe dieses Kapitels näher erläutert. Für die Durchführung des OBPP betreut und bildet die Olweus-Gruppe (bestehend aus Experten für das OBPP) speziell ausgewählte „Instruktor-Kandidaten“ aus, die dann wiederum sogenannte „Schlüsselpersonen“ aus mehreren Schulen ausbilden und betreuen können (maximal fünf Schulen pro Instruktor-Kandidat). Diese Schlüsselpersonen sind verantwortlich für die Leitung von periodisch stattfindenden Mitarbeitergesprächen an jeder Schule, welche am OBPP teilnehmen. Die Ausbildung der Instruktor-Kandidaten besteht aus 11–12 ganztägigen Versammlungen, die über einen Zeitraum von 12–18 Monaten verteilt sind. In dieser Zeitspanne erhalten die Instruktor-Kandidaten auch zwischen den ganztägigen Besprechungen kontinuierlich Beratungen per Telefon oder E-Mail von den Mitgliedern der Olweus-Gruppe. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung erhalten die Instruktor-Kanditaten für einen Zeitraum von zwei Jahren den Status eines zertifizierten Olweus-Ausbilders. Der

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I­ nstruktor kann nach Erfüllung bestimmter Kriterien nach den zwei Jahren erneut zertifiziert werden (Olweus und Limber 2010). 11.1.2  Beschreibung des Programms 11.1.2.1  Ziel und Dauer

Die primären Ziele des OBPP sind es, das existierende Mobbingproblem zwischen den Schülern in der Schule zu reduzieren, der Entwicklung von neuen Mobbingproblemen vorzubeugen und bessere Beziehungen zwischen Gleichaltrigen in der Schule zu erreichen (Olweus 1993; Olweus et al. 1999, 2007). Diese drei Ziele werden innerhalb einer Restrukturierung des schulischen Umfeldes verfolgt. Diese Umstrukturierung beabsichtigt, die Möglichkeiten und Belohnungen für Mobbing zu verringern und ein Gemeinschaftsgefühl unter den Schülern und Erwachsenen im schulischen Umfeld zu schaffen (Olweus 1993, 2001; Olweus et al. 2007). Mit anderen Worten versucht das OBPP, durch Fördern aktiver Beteiligung der Erwachsenen und Schüler, Mobbingfälle in der Schule zu lösen. Die Dauer des Programms liegt zwischen 18 und 20 Monaten. 11.1.2.2  Aufbau und Inhalt

11

Um ein möglichst umfassendes Ergebnis zu erzielen, setzt das OBPP, wie bereits oben kurz erwähnt, auf mehreren Ebenen an: Auf der Schulebene wird nicht nur die gesamte Schülerschaft mit einbezogen, sondern die gesamte Belegschaft einer Schule. Hierbei richtet sich das Programm darauf, Einstellungen zu entwickeln und Bedingungen zu schaffen, die darauf abzielen, antisoziale Taten wie Mobbing oder Gewalt in der Schule zu reduzieren und die Entwicklung neuer Probleme zu verhindern (Olweus 2006). In Bezug auf die Klassenebene können die gleichen Aspekte genannt werden, jedoch bezieht sich hier das Programm nur auf die Schülerinnen und Schüler einer Klasse. Zweck der individuellen Ebene ist es, das Verhalten oder die Situation eines Schülers oder Schülerin zu verändern. Das Programm richtet sich hier sowohl an Betroffene als auch an Täter der Mobbingproblematik (Olweus 2006). Die gesellschaftliche Ebene zielt einerseits darauf ab Mitglieder aus der Gemeinde in die Koordination des Programms miteinzubinden, andererseits Partnerschaften mit Schulen und Gemeinden aufzubauen, um eine größere Unterstützung zu entwickeln. Mithilfe dieser Ebene sollen aber vor allem die Anti-Mobbing-Botschaft und Prinzipien in der Gesellschaft schneller verbreitet werden (Olweus et al. 2010). Die einzelnen Ebenen des Anti-Mobbing-Programms von Olweus werden in der folgenden . Abb. 11.1 genauer aufgelistet. Des Weiteren stellen für das OBPP vier Komponenten wesentliche Bestandteile des Programmes dar. Diese Komponenten stehen im Zusammenhang mit den zuvor genannten Stufen des Programms, da sie zu effizienteren Ergebnissen führen können. Dazu zählen 1) allgemeine Voraussetzungen: die Sensibilisierung und Beteiligung der Erwachsenen; 2) das Treffen von Maßnahmen auf Schulebene: Fragebogenumfrage, Schulkonferenztag, Betreuung in den Pausen, Treffen von Mitarbeitern der Schule und Eltern von Mobbing-Betroffenen (Opfer und Täter), nachdem Mobbing stattgefunden hat; 3) das Treffen von Maßnahmen auf Klassenebene: Klassenregeln gegen Mobbing, Klassentreffen; 4) das Treffen von Maßnahmen auf individueller Ebene: ernsthafte

181 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Individuelle Ebene • Beaufsichtigen der

Aktivitäten der Schüler • Eingreifen sicherstellen, wenn Mobbing beobachtet wird • Separate Treffen mit den Schülern, die an Mobbing beteiligt sind • Treffen mit den Eltern der beteiligten Schüler • Entwicklung individueller Interventionspläne für die beteiligten Schüler

Klassenebene • Durchsetzen von Regeln

gegen Mobbing in der Klasse • Klassenmeetings, um Mobbing und verwandte Themen zu diskutieren • Elternabende abhalten

Schulebene • Einrichtung eines

Koordinierungsausschusses • Durchführung von Schulungen und Gesprächen • Einführung von Schulregeln gegen Mobbing • Überprüfung und Verfeinerung des Aufsichtssystems der Schule • "Kick-OffVeranstaltung" zum Start des Programms • Eltern einbeziehen

Gesellschaftliche Ebene • Einbeziehung von

Gemeinde-Mitgliedern in das Programm • Entwicklung von Partnerschaften zur Unterstützung des Programms • Hilfe bei der Verbreitung der AntiMobbing-Botschaften

. Abb. 11.1  Einzelne Ebenen des OBPP

Gespräche mit Tätern und Opfern, ernsthafte Gespräche mit Eltern der Beteiligten (Hanewinkel 2004). > Für eine effektive Umsetzung des Programms sollen die ausgebildeten Schlüssel-

personen Diskussionsgruppen für die Mitarbeiter einrichten sowie regelmäßige Treffen organisieren, um über Themen des Programms zu diskutieren. Diese sollen im weiteren Verlauf mit den Schülern behandelt werden (Olweus und Limber 2010).

11.1.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Das OBPP basiert auf vier Grundprinzipien: Um eine erfolgreiche Durchführung des Programms zu gewährleisten, müssen die Mitarbeiter der Schule 1) Wärme und ein positives Interesse an ihren Schülern zeigen; 2) feste Grenzen für inakzeptables Verhalten setzen; 3) bei Regelverstößen konsistent nicht-physische, nicht-feindliche negative Folgen nutzen; und 4) als Autoritätspersonen und positive Vorbilder fungieren (Olweus 1993, 2001; Olweus et al. 2007). 11.1.2.4  Materialien

Um die Ausgangssituation an einer Schule zu ermitteln, gilt es, zu Beginn eine Fragebogenerhebung mit allen Betroffenen des Programms durchzuführen. Diese Umfrage wird mit dem dazu konzipierten „Gewalttäter-/Gewaltopfer-Fragebogen“ durchgeführt (Olweus 2006). Dieser Fragebogen kann nach Abschluss der Intervention ein zweites Mal ausgefüllt werden und zur Erhebung der Wirksamkeit des Programmes genutzt werden. Des Weiteren dient er als ein wichtiges Instrument zur Sensibilisierung von Mitarbeitern, Schülern und Eltern (Olweus und Limber 2010). Weitere Materialen des Interventionsprogramms sind ein Lehrerbuch, eine Elternmappe und Videomaterialien (Olweus 2006).

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11.1.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

11

In der ersten Evaluation des OBPP, welche acht Monate nach der Intervention im Jahre 1983 stattfand, konnte in finnischen Schulen festgestellt werden, dass die Anzahl von Mobbing-Opfern sich um 62 % reduziert hatte (von 10 % auf 3,8 %) sowie eine Verringerung der Anzahl von Mobbing-Tätern um 33 % stattfand (von 7,6 % auf 5,1 %) (Olweus 1997). Bei einer Umfrage zwei Jahre nach dem OBPP konnte eine weitere Steigerung der Wirksamkeit festgestellt werden. Die Evaluation ergab, dass es eine weitere Reduktion um 2 % bei den Schülern gab, die zuvor gemobbt wurden (gesamte Reduktion um 64 %). Noch größere Effekte konnten bei den Mobbing-Tätern festgestellt werden. Hier gab es zwischen der ersten und zweiten Evaluation eine weitere Reduktion von 19,6 % (gesamte Reduktion um 52,6 %) (Olweus 1997). Zudem konnte nicht nur eine Reduktion in Bezug auf das Mobbing gezeigt werden, sondern auch eine deutliche Abnahme des problematischen sozialen Verhaltens wie beispielsweise Vandalismus, Diebstahl, Trunkenheit und Schulschwänzen (Olweus 2006). Des Weiteren konnte auch eine Verbesserung des Sozialklimas in den Klassen verzeichnet werden, einschließlich einer Verbesserung der Zufriedenheit der Schüler in ihrem schulischen Alltag, eine bessere Ordnung und Disziplin sowie positivere soziale Beziehungen und eine positivere Einstellung gegenüber der Schule (Olweus 2010). Zudem wirkte sich das OBPP nicht nur auf schon vorhandene Mobbingprobleme aus, sondern senkte ebenfalls die Zahl von neuen möglichen aufkommenden Mobbingproblemen (Cowen 1984; Olweus 1989, 1992). Das OBPP wurde ebenfalls bereits an einigen deutschen Schule erfolgreich angewendet (Wasilewski 2011). Hierbei ergab sich bei einer Studie von Hanewinkel (2004), dass bei Schülern der 3. bis 10. Klasse die Viktimisierung in unterschiedlichen Graden reduziert werden konnte. Signifikant waren dabei die Veränderungen in der 3., 5., 6. und 7. Klasse. Höhere Klassenstufen, wie beispielsweise die 11. Klassenstufe, konnten leider nicht vom Programm profitieren. Bei der 12. Klassenstufe konnte sogar ein Anstieg von Viktimisierungen festgestellt werden. Fazit Als Fazit ist festzuhalten, dass mithilfe des Olweus Bullying Präventionsprogramms durchaus Mobbing in Schulen reduziert werden kann. Es ist jedoch nur mit einer Teamleistung und einem langfristigen Engagement möglich. Außerdem ist hinzuzufügen, dass es sich beim OBPP weder um ein Curriculum noch um einen Konfliktlösungsansatz handelt, da sich das Programm langjährig in der Schulentwicklung bemerkbar machen soll. Ebenso ist es nicht als Peer-Meditationsprogramm oder Anti-Aggressionsprogramm geeignet.

11.2  Freiburger Anti-Gewalt Training (FAGT)

(Klaus Fröhlich-Gildhoff 2006)

11.2.1  Steckbrief

Das Freiburger Anti-Gewalt Training (FAGT) ist ein multimodales Programm. Es orientiert sich nicht nur am aggressiven Verhalten von Menschen, sondern der Mensch selbst wird mit seinen Ressourcen und Stärken in Verbindung mit seinem Umfeld betrachtet. Das FAGT richtet sich dabei an Jugendliche im Alter von 10 bis 16 oder 17 ­Jahren. Dabei sollten bestenfalls auch die Eltern mit in das Training einbezogen werden (­Fröhlich-Gildhoff 2006).

183 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

11.2.2  Beschreibung des Programms 11.2.2.1  Ziel und Dauer

Insgesamt möchte das FAGT aggressives und/oder gewalttätiges Verhalten bei Jugendlichen reduzieren und dabei gleichzeitig ihre sozialen und emotionalen Kompetenzen stärken. Dies bedeutet, dass die Frustrationstoleranz gesteigert werden soll, um mehr Selbstkontrolle zu entwickeln und somit physischer und verbaler Gewalt in Stress- oder Konfliktsituationen aus dem Wege gehen zu können. Ziel für die Jugendlichen wären im Allgemeinen in Konfliktsituationen „cool“ zu bleiben, das heißt weniger Ärger im Alltag und weniger Stress mit anderen Kommilitonen oder Mitmenschen zu erleben (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006, S. 13). Die Dauer der eigentlichen Intervention beträgt 10 Wochen, bei welcher wöchentlich eine 90-minütige Sitzung stattfindet. 11.2.2.2  Aufbau und Inhalt

Das FAGT umfasst nach einem Einzel- oder Vorgespräch und der darauffolgenden Diagnostik mit den betroffenen Kindern oder Jugendlichen (und bestenfalls auch mit den Eltern) 10 Gruppensitzungen von je 90 min sowie einer abschließenden Aktivität am Ende des Trainings. Zudem werden noch zwei Elternabende abgehalten (Fröhlich-Gildhoff 2006). Die einzelnen Sitzungen können wie folgt festgehalten werden (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006, S. 56; . Abb. 11.2):

1

2

3

4

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6

7, 8, 9

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• Einführung, Regeln, Selbstwahrnehmung

• Selbst- und Fremdwahrnehmung

• Gefühle: Wut, Ärger

• Unterschiedliche Gefühle: Empathie

• Konfliktentstehung und -lösung: Vorbereitung Rollenspiele

• Loben (Selbstwert): Selbstinstruktion • Soziale Kompetenz, Konfliktlösungskompetenz Verhaltenstraining (videogestützte Rollenspiele) • Abschluss, Feedback, Auswertung

. Abb. 11.2  10 Sitzungen des FAGT

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Die Sitzungen sind inhaltlich klar strukturiert und beinhalten Themen wie die Selbst-/Fremdwahrnehmung, Selbstwertstabilisierung, Verbesserung der Selbststeuerung und Ausbau und Verbesserung von sozialen Kompetenzen. Die Struktur jeder Sitzung ähnelt sich dabei. Jede Sitzung beinhaltet ein Anfangs- und Schlussritual, die Verbindung von Übungen und Reflexionen der einzelnen Themen sowie die Integration von Entspannungsübungen (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006, S. 13). 11.2.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Für die Gruppensitzungen ist es wichtig, dass die Größe der Gruppen circa sechs bis acht Jugendliche sowie zwei TrainerInnen umfasst, die dafür ausgebildet wurden, um ein effektiveres Arbeiten zu gewährleisten. Des Weiteren ist es von großer Bedeutung, dass die TrainerInnen eine einheitliche Grundhaltung während der Intervention zutage legen, welche auf Wertschätzung und Respekt sowie Klarheit und Konsequenz beruht. 11.2.2.4  Materialien

Die Materialen für das FAGT beinhalten Informationsmaterial für LehrerInnen, genauer gesagt ein Informationsblatt für die LehrerInnen, Material für Vorgeschichte, das heißt eine Checkliste für Erstgespräche mit den Kindern oder Jugendlichen und deren Eltern sowie einen Fragebogen zur Vorgeschichte. Des Weiteren gibt es noch spezifisches Material für jede der einzelnen Trainingssitzungen sowie die am Ende der Sitzungen stattfindenden Entspannungsübungen. Zusätzlich zur Evaluation des FAGT beinhaltet das Programm noch Evaluationsmaterialien welche sich für die Kinder und Jugendlichen, TrainerInnen und Eltern unterscheiden.

11

11.2.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Die Wirksamkeit des FAGT wurde in sieben Schulen im Jahre 2004/2005 ermittelt. Dabei wurden die sieben Schulen, die das FAGT anwendeten, mit einer Gruppe von Kontrollschulen verglichen (Fröhlich-Gildhoff und Engel 2006). Es wurden sowohl Interviews als auch Prä-Post-Evaluationen durchgeführt. In Bezug auf die quantitative Evaluation des Programms wurden Fragebögen, die am Anfang (Testung 0) und Ende (Testung 1) des Programms von allen Beteiligten ausgefüllt wurden, ausgewertet. Dabei ergab sich, dass die LehrerInnen die SchülerInnen, die am Training teilgenommen haben, zum Zeitpunkt t1 (Testung 1) als weniger aggressiv einstuften als zum Zeitpunkt t0 (Testung 0). Dieses Resultat war jedoch im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht signifikant. Zusätzlich gaben die Eltern an, eine leichte Verringerung des Aggressions-Mittelwertes im Vergleich von t0 auf t1 zu verzeichnen. Diese Evaluation in Bezug auf das aggressive Verhalten der SchülerInnen, welche beim FAGT teilgenommen haben, war jedoch nicht signifikant. Bei den Faktoren Prosoziales Verhalten und Emotionale Probleme konnten die LehrerInnen eine deutlichere positive Veränderung bei den SchülerInnen der Trainingsgruppe verzeichnen. Die Eltern gaben an, dass sie nur eine leichte positive Veränderungen wahrnahmen. Beide Unterschiede, sowohl die der Eltern als auch der LehrerInnen waren jedoch, wie bereits beim aggressiven Verhalten, nicht ­signifikant. Zusammenfassend konnten keine signifikanten Verbesserungen auf quantitativer Ebene festgestellt werden, lediglich tendenziell positive Veränderungen.

185 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Im Kontrast hierzu stehen die Auswertungen der qualitativen Evaluation (Interviews mit den SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern). Hier konnten durchaus positive Effekte des Trainings festgehalten werden. Dabei stellte sich heraus, dass 5 der 6 interviewten LehrerInnen eine Verhaltensänderung bei den SchülerInnen der Interventionsgruppe beschrieben. Zusätzlich konnten 92 % der SchülerInnen Verhaltensänderungen an sich selbst erkennen und benennen. Darüber hinaus wurde der Trainingsaufbau und -ablauf als sinnvoll eingeschätzt, jedoch gab es auch Kritiken über einen hohen Zeitdruck während der einzelnen Sitzungen. Um eine größere Wirksamkeit des Programms zu erreichen, wurde festgehalten, dass man eine Wiederholung des Trainings als sinnvoll erachten würde. Zusammenfassend geben Fröhlich-Gildhoff und Engel (2006) an, dass das „Freiburger Anti-Gewalt-Training“ als ein erfolgreiches Programm zur Reduzierung von aggressivem Verhalten angesehen werden kann. Fazit Wichtig zu erwähnen ist, dass ein solches Training wie der FAGT auf keinen Fall zu grundlegenden Persönlichkeitsveränderungen führt. Des Weiteren sollte man sich bewusst sein, dass das FAGT nicht direkt gegen das Mobbingproblem vorgeht, sondern nur indirekt durch die Stärkung der sozialen und emotionalen Kompetenzen sowie einer Reduzierung von aggressivem Verhalten.

11.3  Friedensstifter Training (Barbara Gasteiger Klicpera und

Gudrun Klein 2006)

11.3.1  Steckbrief

Das Friedensstifter Training stellt eine deutschsprachige Präventionsmaßnahme zum aggressiven Verhalten dar. Das Programm bezieht sich auf die Klassenebene und somit auf jeden einzelnen Schüler, der am Programm mit seiner Klasse teilnimmt (Gasteiger-Klicpera und Klein 2006). Das Programm kann jedoch ebenfalls vom Lehrpersonal auf Schulebene durchgeführt werden. Dabei eignet es sich am besten für Grundschulkinder (Strohmeier und Spiel 2009). 11.3.2  Beschreibung des Programms 11.3.2.1  Ziel und Dauer

Ziel ist vor allem, ein neues Verständnis für die Wechselbeziehungen der Schüler zu bekommen, indem sie sich intensiver mit ihrem eigenen Verhalten und Handeln beschäftigen. Die Dauer des Programms beschränkt sich auf 13 Unterrichtsstunden. 11.3.2.2  Aufbau und Inhalt

Das Friedensstifter Training beinhaltet für die Aggressionsprävention zwei grundlegende schülerzentrierte Prinzipien. Erstens, das Erwerben von neuen Handlungsschemata, um den Umgang mit Konflikten oder Aggressivität besser handzuhaben sowie zweitens,

11

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einen besseren Umgang mit den eigenen Emotionen und eine Entfaltung der sozialen Kompetenzen anderen Mitschülern gegenüber zu erzielen (Strohmeier und Spiel 2009). Das Programm besteht aus vier verschiedenen Bausteinen, die in 13 Unterrichtseinheiten eingeteilt sind. Der erste Baustein des Friedensstifter Trainings dient der Einführung in das Thema Konflikte. Dieser Baustein ist geprägt durch die leitende Frage „Was ist Streit?“. Die Schüler sollen lernen, ihr eigenes Verhalten in Konfliktsituationen zu beobachten und zu interpretieren sowie im späteren Verlauf neue Handlungsmöglichkeiten zu erlernen. Zusätzlich kann auch für die Eltern der Schüler ein Elternabend organisiert werden. Der zweite Baustein thematisiert das Verhalten. Hierbei geht es darum, dass die Kinder lernen, in Konfliktsituationen die Sach- von der Beziehungsebene zu trennen, das heißt, sich nicht auf eine Seite zu schlagen, sondern mit beiden Parteien eine Lösung für die Auseinandersetzung zu finden. Der dritte Baustein beinhaltet den Umgang mit dem eigenen emotionalen Erleben, vor allem den Umgang mit negativen Gefühlen wie Wut oder Ärger. Dabei sollen die Schüler sich erneut bewusstwerden wie sich diese Emotionen anfühlen, wie sie damit bisher umgegangen sind und welche Verhaltensweisen sie bisher genutzt haben. Hierauf folgt, dass die Schüler Handlungsweisen erarbeiten sollen, um damit ihr Verhalten, vor allem auf Ärger bezogen, verbessern zu können. Beim vierten und letzten Baustein lernen die Schüler was eine Mediation ist und wie sie funktioniert. Sie lernen als neutrale Außenstehende den Konflikt zwischen anderen Mitschülern zu schlichten und bestenfalls zu lösen sowie als Friedensstifter zu agieren (Strohmeier und Spiel 2009).

11

11.3.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Bestenfalls sollte das Friedensstifter-Training vom Lehrpersonal durchgeführt werden, da dadurch mit dem größten Erfolg zu rechnen ist. Zusätzlich sollten die Anwendungen nicht nur in der Klasse ihre Bedeutung finden, sondern in den gesamten Schulalltag integriert werden. Laut den Autoren ist es ebenfalls bei der Durchführung wichtig, das gesamte Lehrpersonal zu ermutigen mit ihren Schülern am Training teilzunehmen. Auf diese Art und Weise können sich Lehrer gegenseitig in ihrem Wissen unterstützen und Schüler klassenübergreifend motivieren und sie in ihren neu erlernten Verhaltensweisen stärken (Gasteiger-Klicpera und Klein 2006). 11.3.2.4  Materialien

An Material für das Friedenstifter Training gibt es das gleichnamige Trainingsmanual mit beiliegender CD, welches auf das Lehrpersonal ausgerichtet ist. Es beinhaltet 23 Arbeitsblätter und Abbildungen zu den vier oben genannten Themengruppen sowie Kopiervorlagen für einen Elternabend. Auf der CD befinden sich die Kopiervorlagen der Arbeitsblätter, welche im Unterricht verwendet werden können (Gasteiger-Klicpera und Klein 2006). 11.3.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Das Friedensstifter Training wurde bereits in mehreren wissenschaftlichen Studien evaluiert. Die erste fand 2002 unter Aufsicht von Barbara Gasteiger-Klicpera in zwei Wiener

187 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Schulen statt, wobei eine Schule am Training teilnahm und die andere als Kontrollgruppe diente. Lehrer und Kinder wurden am Anfang und Ende des Trainings hinsichtlich ihrer Einschätzung zum Sozialverhalten und den sozialen Beziehungen in der Klasse befragt. Nach Einschätzung des Lehrpersonals nahm das aggressive Verhalten ab. Des Weiteren nahmen die Lehrer einen Zuwachs an sozialen Kompetenzen wahr. Damit übereinstimmend zeigen die Resultate der Schüler und Schülerinnen einen Rückgang der physischen Aggressionen sowie eine deutliche Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Mitschülern (Gasteiger-Klicpera 2002). Eine Langzeitstudie des Trainings wurde von 2004 bis 2008 in 15 Münchner Grundschulen durchgeführt. Auch hier gab das Lehrpersonal an, dass sich die sozialen Kompetenzen sowie das prosoziale Verhalten der Schüler verbesserte. Jedoch gaben die Lehrer ebenfalls an, dass es eine leichte Steigerung von schwierigem Verhalten, vor allem bei den weiblichen Schülern, zu verzeichnen gab. Die Autoren interpretieren diese Resultate dahingehend, dass die Mädchen durch die Zunahme an Durchsetzungsvermögen gelernt haben, ihre Interessen und Meinungen ebenfalls ein Stück weit durch aggressives Verhalten durchzusetzen (Gasteiger-Klicpera und Klein 2005). Um das Lehrpersonal zu entlasten, wurde in der Langzeitstudie das Friedensstifter Training von Psychologen übernommen. Wie bereits oben in den „Bedingungen der Durchführung“ erwähnt, konnte festgestellt werden, dass die Erfolge allerdings am größten waren, wenn das Training vom Klassenlehrer oder -lehrerin durchgeführt wurde (Gasteiger-Klicpera und Klein 2006). Fazit Das Programm kann nachweislich zu einer deutlichen Reduzierung von aggressiven Verhaltensweisen bei den Schülern beitragen. Man sollte sich bewusst sein, dass es sich beim Friedensstifter Training um ein Training handelt, welches nur von kurzer Dauer ist. Darüber hinaus, geht das Friedensstifter Training nicht direkt das Problem des Mobbings an, sondern versucht durch eine Reduzierung des aggressiven Verhaltens präventiv gegen Mobbing vorzugehen.

11.4  KiVa (Turku Universität, Finnland, Christina Salmivalli et al.

2009)

11.4.1  Steckbrief

KiVa wurde an der finnländischen Universität Turku entwickelt und basiert auf Untersuchungen, die belegen, dass sogenannte „Bystander“ eine wichtige Rolle im Mobbingprozess einnehmen, indem sie Mobbingverhalten aufrechterhalten oder verringern können. Das KiVa Anti-Mobbing-Programm kann bei Schülern zwischen 7 und 15 Jahren der Primar- und Sekundarschulen angewendet werden. Zur Durchführung des Programms werden KiVa-Trainer in die einzelnen interessierten Schulen geschickt, um die Lehrer auszubilden. Aktuell verfügt KiVa über Lizenzpartner beispielsweise in Belgien, in den Niederlanden, in Neuseeland, dem Vereinigten Königreich, in Estland und in Luxemburg (Hutchings und Clarkson 2015).

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11.4.2  Beschreibung des Programms 11.4.2.1  Ziel und Dauer

Die Intervention zielt darauf ab, soziale Normen, Fähigkeiten, Verhalten, Einstellungen sowie das Klassen- und Schulklima zu beeinflussen. Der Fokus bei diesem Programm ist sehr stark auf die Zuschauer, die sogenannten „Bystander“, von Mobbing ausgerichtet. Das Hauptziel ist es, die Bystander zu ermutigen, einerseits die Opfer zu unterstützen und andererseits die Täter in ihrem Vorhaben nicht zu bestärken. Ziel dabei ist es, die Empathiefähigkeit der Bystander zu fördern, damit ihnen die Möglichkeiten zur Unterstützung von Mobbingopfern aufgezeigt werden, sodass diesen adäquat geholfen werden kann. Im Idealfall gelingt es, das eigene oder sogar das Verhalten anderer dementsprechend zu verändern, dass sich wieder alle Mitglieder der Gruppe oder Klasse wohlfühlen. Das KiVa-Programm ist als Langzeitprojekt angelegt, das heißt, dass die Schüler permanent und sogar über mehrere Jahre mit dem Thema Mobbing konfrontiert bleiben sollten. Eine Schule in Finnland beispielsweise arbeitet mittlerweile seit acht Jahren (2009–2017) mit dem KiVa-Programm. Die Gründer erhoffen sich dadurch, dass das Anti-Mobbing-Verhalten zu einem persistenten, alltäglichen Verhalten der Schüler wird (Wild 2017). KiVa ist somit sowohl ein Präventionsprogramm als auch, wie wir im weiteren Verlauf sehen werden, ein Interventions- und Monitoringprogramm. 11.4.2.2  Aufbau und Inhalt

11

Das Programm KiVa umfasst universelle Aktionen, die sich nach den jeweiligen Klassen- und Schulstufen der Schüler richtet (Hutchings und Clarkson 2015). Das Programm besteht aus drei Einheiten, welche sich auf das Alter der Schüler beziehen. Dementsprechend ist die erste Einheit für SchülerInnen im Alter von sieben bis neun Jahren gedacht. Die zweite Einheit ist für die zehn- bis zwölfjährigen und die dritte für die älteren Schüler zwischen 13 und 15 Jahren vorgesehen (Wild 2017). Die universellen Aufgaben in der ersten und zweiten Einheit bestehen jeweils aus 10 strukturierten Lektionen. Diese dauern jeweils etwa anderthalb Stunden, welche in zwei 45-minütige Lektionen pro Monat aufgeteilt werden (Hutchings und Clarkson 2015). Die dritte Einheit ist für Schüler nach dem Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule (KiVa Anti-Bullying Program 2018). Einmal monatlich halten die LehrerInnen eine KiVa-Unterrichtsstunde zum Thema Mobbing. Die Materialien und Informationen für die spezifischen Aktivitäten, Rollenspiele, Aufgaben sowie Diskussionsthemen werden von KiVa zur Verfügung gestellt. Neben den Schulstunden haben die Entwickler von KiVa Computerspiele erstellt, welche von den Kindern ebenfalls benutzt werden können. Diese können von den Kindern sowohl in der Schule als auch zu Hause gespielt werden (Hutchings und Clarkson 2015). Die genannten Lektionen, welche mit den Schülern bearbeitet werden, umfassen das Arbeiten in einem Team, das Lernen über Emotionen, aber auch Themen wie Gruppeninteraktionsprozesse und Gruppendruck. Des Weiteren wird das Thema des Bystanders näher erläutert, wie dieser den Mobbingprozess beeinflussen kann, die resultierenden Folgen und wie sowohl eine Einzelperson als auch eine gesamte Klasse als Gruppe gegen Mobbing vorgehen und dieses reduzieren kann. Dabei werden Diskussionen, Rollenspiele, Videomaterial mit Personen, welche gemobbt wurden, sowie Gruppen- oder Klassenaktivitäten als Hilfsmittel herangezogen (Hutchings und Clarkson 2015).

189 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Wenn die KiVa-Präventionsmaßnahmen nicht ausreichen, bietet das Programm ebenfalls eine gezielte Intervention. Hierbei werden alle beteiligten Schüler, welche in das Mobbinggeschehen verwickelt sind, angesprochen (Klassenebene) und zu einem Gespräch gebeten, um das Mobbingverhalten der einzelnen Schüler zu stoppen. Um die Fortschritte der SchülerInnen und der gesamten Schule zu evaluieren, bietet das KiVa-Programm Materialien an, um den Erfolg und die Verhaltensänderungen zu messen. 11.4.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Beim KiVa sind keine spezifischen Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung zu nennen. 11.4.2.4  Materialien

Das KiVa-Programm bietet Schulungen, Ressourcen, Unterrichtsstunden, OnlineAktivitäten sowie elterliche Beratung und Unterstützung an. Bei den Ressourcen handelt es sich beispielsweise um KiVa-Poster, die in der gesamten Schule angebracht werden können oder KiVa-Westen, die an die Mitarbeiter der Schule verteilt werden können, um in den Pausen die Schüler und Schülerinnen zu erinnern, dass sie sich in einer KiVaSchule befinden (Hutchings und Clarkson 2015). 11.4.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Das Programm basiert auf jahrelanger Forschung. Es wurde zwischen 2006 und 2009 in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 28.000 Schülern in 234 Schulen entwickelt, pilotiert und evaluiert. Nach einem Jahr der Umsetzung des Programms konnte dieses sowohl Mobbing als auch die Viktimisierung in Schulen bei Kindern im Alter von 7 bis 11 Jahren deutlich verringern. Die Resultate für die älteren Kinder variierten je nach Geschlecht. Das Programm zeigte größere Auswirkungen bei männlichen als bei weiblichen Schülern. Dementsprechend gab es größere Effekte in den Klassen mit älteren Schülern, in denen mehr Jungen vertreten waren (Kärnä et al. 2011a). So konnten in 90 % der Fälle in finnischen Schulen, welche das KiVa-Programm anwendeten, erhebliche Vorteile nachgewiesen werden (Hutchings und Clarkson 2015). Zusätzlich konnte die Evaluation von KiVa eine 98-prozentige Verbesserung der Situation der Opfer und eine 86-prozentige Verringerung der gemeldeten Mobbingvorfälle verzeichnen (Kärnä et al. 2011a). Weitere Ergebnisse waren die Verbesserung der schulischen Freude und des Engagements (Salmivalli et al. 2012), eine Erhöhung der Empathie gegenüber den Opfern und des Engagements zur Verteidigung der Opfer (Kärnä et al. 2011b) sowie eine Verringerung der Internalisierungsprobleme und der negativen Wahrnehmung von Gleichaltrigen (Williford et al. 2012). Fazit Das KiVa strebt eine Verhaltensänderung der Bystander im Mobbingprozess an und versucht diese, über die gesamte schulische Laufzeit der Schüler aufrecht zu erhalten. Anmerken sollte man, dass das KiVa Programm in einer deutschen Schule in deutscher Sprache in Finnland durchgeführt und evaluiert wurde, jedoch noch nie in Deutschland selbst. Dementsprechend kann man nicht ausschließen, dass der kulturelle Kontext eine wichtige Einflussvariable auf die Wirksamkeit des Programms darstellt.

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11.5  MindMatters (Peter Paulus, Birgit Nieskens, Franziska

Heinold, Claudia Liberona, Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften [ZAG], Leuphana Universität Lüneburg, 2003)

11.5.1  Steckbrief

Das Programm MindMatters kommt ursprünglich aus Australien. Seit 2003 steht den Schulen jedoch ebenfalls eine deutschsprachige Version von MindMatters zur Verfügung. Das Programm eignet sich für alle Jahrgangsstufen von Grund- und Sekundarschulen sowie für SchülerInnen aus berufsbildenden Schulen. Um das MindMatters-Programm in einer Schule anwenden zu können, gibt es ein Einführungstraining für alle Lehrer und Lehrerinnen. Des Weiteren werden dann freiwillige Personen des Lehrpersonals in fünf weiteren Treffen zu sogenannten Koordinatoren ausgebildet. Dabei erhalten sie weitere Informationen zum MindMatters-Programm und seinen einzelnen Themen. Die Schulen haben später die freie Wahl, ob sie zur Durchführung des MindMatters-Programm eine externe Hilfe in Anspruch nehmen. Das heißt, dass in diesem Fall das Programm von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter durchgeführt werden würde. 11.5.2  Beschreibung des Programms

11

11.5.2.1  Ziel und Dauer

Die Hauptziele von MindMatters sind die Förderung der psychischen Gesundheit sowie die Prävention psychischer Störungen. Daneben versucht MindMatters, den Respekt und die Toleranz im Unterricht zu fördern sowie ein unterstützendes schulisches Umfeld zu schaffen und Partnerschaften mit anderen Schulen einzugehen. Die Autoren erhoffen sich, dadurch zu einem besserem Lernen und Lehren an den Schulen beizutragen, was wiederum die Bildungsqualität der Schulen verbessern soll (Franze und Paulus 2009). Da das MindMatters-Programm eine nachhaltige Schulentwicklung anstrebt, kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um ein Langzeitprojekt handelt. 11.5.2.2  Aufbau und Inhalt

Das MindMatters-Programm richtet sich jedoch nicht nur an die Lehrer und Lehrerinnen einer Schule, sondern ebenfalls an die Schüler, Schulleiter, nicht-akademische Mitarbeiter und alle Personen des schulischen Umfelds. Das Material, welches von MindMatters zur Verfügung gestellt wird, umfasst beispielsweise Themen zur Förderung der psychischen Gesundheit in Schulen oder Suizidprävention. Das zur Verfügung gestellte Material kann in den Regelunterricht mit eingebaut werden. Dabei sind die Materialen den verschiedenen Schwierigkeitsstufen der Klassen angepasst (Franze 2005; Paulus et al. 2005). Die zentralen Bausteine der Lernmaterialen des MindMatters-Programms beziehen sich auf die Entwicklung und Pflege von Freundschaften, den Umgang mit Stress, Mobbing, Trauer und Verlust sowie vereinzelten psychischen Problemen (siehe . Abb. 11.3). Die MindMatters-Unterrichtsstunden können hierbei von Lehrern aus allen Fachbereichen abgehalten werden (Franze und Paulus 2009).

191 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Mobbing? Nicht in unserer Schule!

Rückgrat für die

Wie geht‘s?

Prävention und Handlungsstrategien

Seele- Umgang

Psychische

(Unterrichtsheft für die 5. - 8. Klasse)

mit

Störungen in der

Verlust & Trauer

Schule

(Unterrichtsheft

verstehen lernen

für die 5. - 10.

(Unterrichtsheft

Klasse)

für die 7. - 10. Klasse)

Freunde finden, behalten und dazugehören

Mit Stress umgehen – im

Förderung der Resilienz in der Schule

Gleichgewicht bleiben Förderung

(Unterrichtsheft für die 5. - 6. Klasse) Freundschaft & Spielesammlung Beziehungen Zusammengehörigkeit aufbauen

der Resilienz in der Schule (Unterrichtsheft für die 7. - 10. Klasse) CopingKonstruktiver Umgang mit Stress

Fang den Stress!

LifeMatters

CommunityMatters

Leitfaden für Schulen zur Prävention von Selbstverletzung und Suizid

Die Schule öffnen und vom Umfeld profitieren

SchoolMatters Mit psychischer Gesundheit gute Schule machen

. Abb. 11.3  Übersicht über das deutschsprachige „MindMatters-Programm“ aus Franze et al. (2007, S. 222)

11.5.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Bei MindMatters sind keine spezifischen Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung zu erwähnen. 11.5.2.4  Materialien

MindMatters stellt den Schulen acht Hefte zur Verfügung, die idealerweise in Verbindung mit einem Einführungskurs eingeleitet werden sollten. Bei diesen acht Heften handelt es sich um sechs Unterrichts- und drei Schulentwicklungshefte, unter anderem zum Projektmanagement und zur Suizidprävention. Dazu kommen noch audiovisuelle Ressourcen zum besseren Verständnis von psychischen Erkrankungen. Die

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L. Erpelding und J. Schiel

Schulentwicklungshefte beinhalten Informationen über die Verfahren zur Festlegung eines schulübergreifenden Ansatzes. Die Unterrichtshefte enthalten Anleitungen und Informationen zur Unterstützung von Themen in vier Bereichen: Verstärkung der Resilienz, Umgang mit Mobbing und Belästigungen, Trauer und Verlust sowie das Verständnis von psychischen Erkrankungen (Wyn et al. 2000). 11.5.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

11

Die Wirksamkeit von MindMatters wurde anhand eines fragebogenbasierten Prä-PostDesigns geprüft. An dieser Prä-Post-Evaluation nahmen 633 Lehrkräfte und 4019 Schüler teil. Bei diesem Fragebogen kam heraus, dass das Lehrpersonal und die Mitarbeiter der Schule eine signifikant positivere Einstellung gegenüber ihrer Schule hatten, angaben sich weniger unter Stress und Druck zu fühlen und mehr erreichen würden (Franze und Paulus 2009). Die Ansichten von Schülern, Lehrern und Eltern wurden durch das Programm ähnlicher. In anderen Worten konnte eine Verbesserung des Arbeitens und Lebens in der Schule sowie des Engagements zur Optimierung des Schullebens verzeichnet werden. Da die Schulen die Auswahl hatten, ob das Programm von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter oder von einer Person des Lehrpersonals durchgeführt wurde, gibt es dementsprechend zwei Gruppen der Schülerpopulation: Erstens die Evaluation des Programms, bei dem das Programm von einem externen Mitarbeiter durchgeführt wurde und zweitens die Gruppe, in welcher die KlassenlehrerIn das Programm ü ­ bernahm. Bei den Schülern und Schülerinnen, welche an MindMatters teilnahmen und das Programm von ehrenamtlichen Mitarbeitern durchgeführt wurde, stellte sich heraus, dass die Schüler und Schülerinnen der Meinung waren, dass sich das Förderungsniveau der sozialen Kompetenz in ihrer jeweiligen Schule erhöht sowie die Klarheit und das Einhalten des Verhaltenskodex sich verbessert hätten. Bei diesen Resultaten konnte jedoch nur ein geringer Anstieg berichtet werden. Allerdings wurde ebenfalls bei den MindMatters-Teilnehmern eine Verringerung der Lernbereitschaft, der Beteiligung am Unterricht sowie des Lernens und der Motivation festgestellt. In Bezug auf dieses Ergebnis fällt es den Autoren schwer eine Erklärung zu finden (Franze und Paulus 2009). Wichtig zu erwähnen ist dabei, dass die Autoren in ihrem Bericht keine deskriptiven Statistiken publiziert haben, sodass beispielsweise Mittelwerte, Standartabweichungen und Prozentränge des Alters der Schüler gänzlich fehlen. Bei den Schülern, bei denen die Intervention vom Lehrpersonal durchgeführt wurde, konnten größere Veränderungen gezeigt werden. Es zeigte sich ein Rückgang in Bezug auf psychosomatische Beschwerden, Schulstress, schulischer Druck, negative Emotionen und mangelndes Interesse an der Schule. Allerdings konnte in dieser Bedingung ein noch deutlicherer Rückgang der Lernmotivation gefunden werden. Auch hier fehlen deskriptive Statistiken; es werden lediglich für den Fragebogen einzelne Werte der Reliabilität (Cronbachʼs α) angegeben. Fazit Das MindMatters-Programm zielt nicht direkt auf ein vorhandenes Mobbingproblem ab, sondern beschäftigt sich mit der psychischen Verfassung der Schüler. Hierbei hat sich bei den Analysen des Programms gezeigt, dass, nach Angaben der Autoren von MindMatters,

193 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

die deutlichsten Verbesserungen bei Schülern der Mittelstufe festgestellt werden (Franze und Paulus 2009) und dies, wenn das Programm vom eigenen Klassenlehrer durchgeführt wurde. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass nicht für jede Schule die Wirksamkeit dieses Programms nachgewiesen werden konnte und noch Ergebnisverbesserungen des Programms möglich sind (Franze und Paulus 2009).

11.6  Training mit aggressiven Kindern (Ulrike Petermann und

Franz Petermann 2012)

11.6.1  Steckbrief

Die erste Version des Trainings mit aggressiven Kindern (TAK) erschien bereits im Jahre 1978. Im Laufe der Zeit wurde das TAK mehrfach überarbeitet und den Gegebenheiten der Zeit angepasst, sodass es mittlerweile bereits 13 Auflagen gibt. Die neueste Version des TAK, welche hier beschrieben wird, basiert auf verschiedenen verhaltenstherapeutischen Methoden. Kinder mit aggressivem Verhalten sollen hier Alternativen zu ihrem derzeitigen Verhalten erlernen (Petermann und Petermann 2012). Dabei wird in einer nur sehr kurzen Dauer versucht, dieses oppositionelle und dissoziale Verhalten zu verändern und bei den Kindern das neu erlernte Verhalten zu festigen. Dabei wird nicht nur auf individueller Ebene gearbeitet, sondern es werden ebenfalls die familiären Strukturen mitberücksichtigt und in das Training mit einbezogen. Dementsprechend handelt es sich beim TAK um kein rein schulisches Training, da ebenfalls mit den Eltern oder der Familie gearbeitet werden kann. Nichtsdestotrotz können die Inhalte des TAK in den Schulunterricht mit eingebaut werden, müssen jedoch leicht angepasst werden. Das TAK eignet sich für Kinder ab 6 bis 12 Jahren. 11.6.2  Beschreibung des Programms 11.6.2.1  Ziel und Dauer

Das Programm ist nicht zur langzeitigen Durchführung entwickelt worden, sondern endet nach circa acht Monaten. Dabei zielt das TAK auf das Vermitteln von sozialen Verhaltensweisen, welche in diesem kurzen Zeitrahmen, in Einzel- und Gruppensitzungen, mit den Kindern erlernt und verfestigt werden sollen. Zusätzlich dienen Eltern- oder Familienberatungen dazu, die neu erlernten Verhaltensweisen ebenfalls im familiären Kontext umzusetzen und zu stabilisieren (Nitkowski et al. 2009b). 11.6.2.2  Aufbau und Inhalt

Das TAK besteht aus drei Hauptteilen: 1) einer Einzel-, 2) einer Gruppentherapie und 3) einer Eltern- oder Familienberatung. Hierbei umfasst die Einzeltherapie acht bis 13 Sitzungen von je 50 oder 100 min. Die Gruppentherapie findet in einer kleinen Gruppe mit drei bis vier Kindern statt und erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs bis 12 Sitzungen, ebenfalls von einer Länge von 50 oder 100 min. Der dritte Teil der Elternoder Familienberatung umfasst minimal sechs Termine, welche 100 min dauern. Dabei werden zwei Termine zu Anfang des Trainings festgelegt sowie weitere in einem Zeitabschnitt von drei bis vier Wochen, welche während des Trainings stattfinden. Hierbei

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L. Erpelding und J. Schiel

Ziele der Einzeltherapie • Auseinandersetzung mit aggressiven Verhaltensweisen • Erlernen von Selbstverbalisierungstechniken • Einschätzen der Konsequenzen • Erarbeitung von Problemlösestrategien • Kritische Selbsteinschätzung im Rahmen von Problemlösungen Ziele der Gruppentherapie • Einüben des Einfühlungsvermögen • Erlernen einer bessere Bewätigung mit Emotionen z.B. Wut • Stabilisierung von angemessenem Verhalten • Bewältigung möglicher Rückschläge Ziele der Eltern- & Familienberatung • Auseinandersetzung mit Verhaltensbeobachtung • Erlernen eines angemwessenen Störungskonzeptes • Erlernen des Einsatzes von Punkteplänen • Auseinandersetzung mit Kommunikations- und Erziehungsproblemen • Stabilisierung von Verhaltensveränderungen • Bei Rückfall Unterstützung anbieten

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. Abb. 11.4  Ziele des TAK (vgl. Petermann und Koglin 2013, S. 171)

handelt es sich um eine reine Elternberatung. Die Beendigung des Trainings erfolgt durch ein Abschlussgespräch als Nachkontrolle, meistens circa acht Wochen nach Trainingsende (Petermann et al. 2008). Die spezifischen Ziele der drei Teile werden in . Abb. 11.4 resümiert dargestellt. 11.6.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Eine Bedingung, welche für die Anwendung und Durchführung des TAK erfüllt sein muss, ist, dass die Kinder eine Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT) oder eine Störung des Sozialverhaltens (SSV) ohne ausgeprägte Delinquenz-Symptomatik aufweisen sollten. 11.6.2.4  Materialien

Das Material des TAK befinden sich im gleichnamigen Handbuch „Training mit aggressiven Kindern“ (Petermann und Petermann 2012) welches vorwiegend aus Arbeitsblättern besteht. Zusätzlich zu einer CD befinden sich hier alle Informationen zu den jeweiligen Einzel- und Gruppentrainings sowie der Eltern- oder Familienberatung. Ebenfalls wird angegeben, wie man das TAK auf weitere Bereiche, wie zum Beispiel den schulischen oder stationären Bereich, übertragen kann.

195 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

11.6.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Das TAK wurde mehrmals in verschiedenen Settings analysiert, sodass zum Training Evaluationen aus dem Bereich einer Erziehungsberatungsstelle, einer Jugendhilfeeinrichtung, einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und einer Förderschule vorliegen. Da in diesem Fall der schulische Bereich im Fokus steht, wird die Studie von Petermann et al. (2010) näher erläutert. Hierbei wurde das TAK als schulbasiertes Präventionsprogramm angewendet und evaluiert. Es wurden Daten zu 16 männlichen Schülern im Durchschnittsalter von 14,01 Jahren erhoben, welche alle ein aggressives Verhalten zeigten. Zur Erfassung der psychischen Auffälligkeiten wurde der Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) verwendet und jeweils von Lehrern, Eltern und den Schülern selbst ausgefüllt. Die Kontrollgruppe bei dieser Studie bestand ebenfalls aus 16 SchülerInnen. Dabei wurde erwartet, dass es zu einer Verringerung von aggressivem Verhalten und sozialen Problemen der Versuchsprobanden kommt. Die Effektivitätsanalysen ergaben, dass aus Sicht der Lehrer signifikant positive Veränderungen (starker Effekt) hinsichtlich der Gesamtproblematik und der Verhaltensauffälligkeiten der Schüler mithilfe des TAK erreicht werden konnten. Durch die Auswertungen des SDQ konnte bei den Schülern selbst festgestellt werden, dass vor allem die Probleme mit Gleichaltrigen signifikant (mittlerer Effekt) reduziert werden konnten. Hinsichtlich der Eltern konnte festgehalten werden, dass es zur einer signifikanten Verringerung der Gesamtproblematik (starker Effekt) kam sowie die emotionalen Probleme (starker Effekt) abnahmen (Petermann et al. 2010). Die Langzeitwirksamkeit des TAK, welche nach zehn Monaten analysiert wurde, ergab, dass aus Sicht der Kinder, Eltern und Lernkräfte die Störungen des Sozialverhaltens der Schüler deutlich reduziert werden konnten (genauer Messwerte sind leider nicht vorhanden). Des Weiteren gaben die Eltern und Lehrer ihre Einschätzungen über das TAK ab, woraus gefolgert werden kann, dass ebenfalls die aggressiv-dissozialen Verhaltensweisen reduziert und das prosoziale Verhalten gefördert werden konnte. Diese Follow-up-Studie erfolgte sechs Monate nach dem Ende der Therapie (Nitkowski et al. 2009a). Fazit Durch die Konzeption des TAK bietet sich dieses Programm nicht nur für den schulischen Gebrauch an, sondern kann ebenfalls in weiteren Institutionen, wie zum Beispiel Jugendhilfeeinrichtungen angewendet werden (Nitkowski et al. 2009b). Ein weiterer Vorteil dieses Training ist, dass es sich um ein Kompakttraining handelt, welches wesentliche Verhaltensänderungen in einem sehr kurzen Zeitrahmen zu erreichen versucht. Allerdings muss man beachten, dass die Evidenz der Wirksamkeit auf einer Stichprobe von lediglich 16 Teilnehmern beruht und somit die statistische Power sehr gering ist. Zusätzlich wurde die Langzeitwirksamkeit lediglich nach zehn Monaten erhoben, dementsprechend fehlen Effekte, welche über Jahre hinweg erhoben wurden gänzlich.

11.7  WiSK -Wiener Soziales Kompetenztraining für Schüler

(Atria und Spiel 2007)

11.7.1  Steckbrief

Bei dem WiSK Programm handelt es sich um ein primärpräventives Programm für Schüler im Alter von 10 bis15 Jahren, welches sowohl auf Schulebene, Klassenebene

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L. Erpelding und J. Schiel

als auch Individualebene ansetzt. Das Konzept des WiSK-Programms beruht auf einer nachhaltigen Schulentwicklung, welche sich durch eine Schule, in der Gewalt nicht akzeptiert wird, beschreiben lässt (Strohmeier et al. 2012). Das WiSK-Programm folgt einem Mehr-Ebenen-Ansatz, welcher sich in mehreren internationalen Gewaltpräventionsprogrammen bewährt hat (z. B. Olweus 2006; Strohmeier und Noam 2012). Es sieht also Maßnahmen vor, welche, wie bereits angedeutet, auf mehreren Ebenen – Schule, Klasse, Individuen – ansetzen und dadurch die Beteiligung von vielen Personengruppen ermöglicht (Strohmeier et al. 2008). 11.7.2  Beschreibung des Programms 11.7.2.1  Ziel und Dauer

Das Ziel des WiSK-Programms ist es, die sozialen und interkulturellen Kompetenzen von Schülern und Schülerinnen zu stärken und dadurch aggressives Verhalten zu reduzieren (Strohmeier et al. 2012). Der Grundsatz „Gemeinsam gegen Gewalt“ soll in der Schule verankert werden (Spiel und Strohmeier 2007, 2011). Da das WiSK-Programm eine nachhaltige Schulentwicklung anstrebt, kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um ein Langzeitprogramm handelt. 11.7.2.2  Aufbau und Inhalt

11

Das Programm basiert auf der Theorie der sozialen Informationsverarbeitung (Crick und Dodge 1994), sowie auf empirischen Befunden, welche Mobbing als Gruppenprozess definieren (Salmivalli et al. 1996). Das Programm verfolgt zwei Prinzipien: Partizipation und Anreicherung des behavioralen Repertoires. Das erste Prinzip der Partizipation beruht auf dem Befund, dass auch die Personen, welche nicht aktiv Täter sind, also nicht am Mobbinggeschehen „partizipieren“, trotzdem eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung der Mobbingdynamik spielen. Dadurch, dass das Programm diese Personen dazu sensibilisiert sich einzubringen, kann das Machtgefälle zwischen Täter und Opfer verkleinert werden und somit die Mobbingdynamik beendet werden. Des Weiteren schließt das Programm ganze Gruppen ein und beleuchtet die sozialen Prozesse in der Gruppe. Die Idee dabei ist, dass Jugendliche, welche sich bewusster über ihr Umfeld sind, mehr Verantwortung für das was um sie herum passiert übernehmen. Das zweite Prinzip ist die Anreicherung des behavioralen Repertoires. Die Forschung hat gezeigt, dass aggressive Personen Schwierigkeiten haben, auf nicht-aggressives Verhalten zurückzugreifen (Schwarz et al. 1993). Opfer hingegen zeigen eine Tendenz zu submissivem Handeln (Schwarz, 1993). Das Programm soll dementsprechend Jugendlichen helfen, Zugang zu neuen adaptiveren Reaktionsweisen zu bekommen, indem Täter nicht-aggressive Verhaltensweisen erlernen und Opfer lernen, sich im Sozialkontakt zu behaupten. Das WiSK-Programm umfasst, wie oben erwähnt, Maßnahmen auf Schul-, Klassenund Individualebene. Diese werden im Folgenden genauer erläutert. Maßnahmen auf Schulebene. In erster Linie soll ein Schulteam gebildet werden, welches aus VertreterInnen des Lehrerkollegiums, der Schulleitung und gegebenenfalls aus externen ExpertInnen besteht. Zusätzlich sollen ein bis drei pädagogische Konferenzen zum WiSK Programm organisiert werden sowie eine schulinterne Fortbildung

197 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

im ­Ausmaß von zehn Einheiten. Diese schulinternen Fortbildungen werden von der WiSK-BegleiterIn durchgeführt und beinhalten die folgenden Themen: 1. Präsentation von Fakten und Forschungsergebnissen zum Thema Gewalt an Schulen 2. Erarbeitung eines gemeinsamen Begriffsverständnisses mit den Lehrkräften 3. Besprechung von Modellen der Gesprächsführung zur Intervention im Anlassfall 4. Festlegung von Maßnahmen auf der Schulebene für ein Schuljahr Alle Maßnahmen auf Schulebene beziehen die Schulleitung, alle Lehrkräfte der Schule sowie die WiSK-BegleiterIn mit ein. Maßnahmen auf Klassenebene. Die Maßnahmen auf Klassenebene umfassen eine vertiefende schulinterne Fortbildung zum Klassenprojekt für die WiSK-KlassenlehrerInnen. Diese werden mit den Materialien des WiSK-Klassenprojekts vertraut gemacht und geeignete didaktische Modelle zur Umsetzung des WiSK-Klassenprojekts werden erarbeitet. Darauf folgt die Durchführung des WiSK-Klassenprojektes mit allen SchülerInnen durch die KlassenlehrerInnen. Das WiSK-Klassenprojekt hat drei Ziele: 1. Die Förderung von Empathie und Perspektivenübernahme 2. Das Bewusstmachen der eigenen Verantwortung und der Verantwortungsübernahme in kritischen Situationen 3. Die Erarbeitung von sozial kompetenten Handlungsalternativen in Konfliktsituationen. Das WiSK-Klassenprojekt wird im zweiten Semester des WiSK-Programms in einem Zeitraum von 8 bis 13 Wochen während den Unterrichtsstunden durchgeführt. Insgesamt gibt es 13 Einheiten, wobei die Einheiten 1 bis 9 wöchentlich in einer Doppelstunde durchgeführt werden und die Einheiten 10 bis 13 an einem oder zwei Vormittagen geblockt durchgeführt werden können. Diese 13 Einheiten sind aufgeteilt auf drei Phasen: eine Impulsphase, eine Reflexionsphase und eine Aktionsphase. . Abb. 11.5 gibt einen Überblick über die Inhalte und den Aufbau der drei Phasen. Die Impulsphase beinhaltet strukturierte Einzel- und Gruppenübungen zu sechs großen Themenbereichen. Den KlassenlehrerInnen werden vorgegebene Materialien und detaillierte Ablaufpläne zur Verfügung gestellt. Die Rolle der Lehrkraft besteht darin, den didaktischen Prozess an die Bedürfnisse der Klasse anzupassen. Die Reflexionsphase dient, wie der Name es bereits andeutet, zur Reflexion des Gelernten aus der Impulsphase. Die Schüler sollen eine gemeinsame, durchführbare, positive Aktion planen. Die Lehrkraft beteiligt sich dabei lediglich moderierend am Gestaltungsprozess. In der Aktionsphase soll die von den SchülerInnen geplante Aktion durchgeführt werden. In diesen vier Einheiten übernehmen die SchülerInnen die Verantwortung über den Ablauf, während die Lehrkraft die Kompetenzen der Gruppe durch das Erleben und Bewusstmachen ihrer Fähigkeiten stärkt. Das Ziel der Aktionsphase ist das Kompetenzempfinden und gestärktes Zusammengehörigkeitsgefühl der Klasse. Zudem sehen die SchülerInnen das für alle sichtbare Endprodukt des WiSK-Klassenprojekts. Für die Maßnahmen auf Klassenebene werden also alle interessierten Lehrkräfte, die SchülerInnen der WiSK-Klassen und die WiSK-BegleiterInnen einbezogen. Maßnahmen auf Individualebene. Die Maßnahmen auf Individualebene werden nur bei Gewaltvorfällen oder Mobbingvorfällen durchgeführt, indem die Lehrkräfte Gespräche mit den Tätern, Opfern und deren Eltern führen. Dabei kann externes ­Fachpersonal mit einbezogen werden. Die Lehrkräfte werden in der vorher beschriebenen

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L. Erpelding und J. Schiel

Impulsphase

Reflexionsphase

• 8 Einheiten • Erarbeitung gemeinsamer Regeln • Erkennen von Gewaltsituationen • Handlungsalternativen in Gewaltsituationen als BeobachterIn + BetroffeneR • Emotionserkennen, verständnis und regulation bei sich selbst und anderen • Umgang mit kultureller Vielfalt

• 1 Einheit • Reflexion über das Gelernte • Planung einer gemeinsamen, positiven und durchführbaren Aktion

Aktionsphase • 4 Einheiten • Gemeinsame Durchführung der Aktion → Transfer in den Alltag

. Abb. 11.5  Inhalt und Aufbau des WiSK

11

schulinternen Fortbildung auf die Gespräche vorbereitet. Hier werden Gesprächsführungstaktiken vermittelt, welche den Lehrkräften als Rüstzeug dienen. Dafür beinhaltet das WiSK-Programm detaillierte Leitfäden zur Gesprächsführung mit den verschiedenen Zielgruppen (aufgebaut auf Arbeiten von Roland und Sørensen ­Vaaland 2006). In den Gesprächen mit Opfern sollten die Lehrkräfte Unterstützung zeigen, die Situation klären und dabei nicht verhören. Zudem sollten Informationen über das weitere Vorgehen gegeben werden und ein neuer Gesprächstermin soll vereinbart werden. In dem Gespräch sollten die folgenden Leitgedanken vermittelt werden: 1. Erwachsene zeigen Verantwortlichkeit, indem sie da sind und helfen. 2. Vertrauen zum Betroffenen soll aufgebaut werden und der/die Jugendliche soll ernst genommen werden. 3. Der Betroffene soll gestärkt werden in der Bewältigung der Situation. In den Gesprächen mit TäterInnen sollte die TäterIn mit ihrem Verhalten konfrontiert werden und die Ernsthaftigkeit des Verhaltens aufgezeigt werden. Das Gespräch soll zudem dazu dienen, eine angemessene Wiedergutmachung zu finden. Weiterhin sollte bei diesem Gespräch ein weiterer Termin vereinbart werden, in welchem alternative Handlungsmöglichkeiten besprochen werden können. Die vermittelten Leitgedanken in dem Gespräch mit TäterInnen sind (Strohmeier et al. 2012): 1. Gewalt wird nicht toleriert. 2. Die Tat, also das Verhalten und nicht der Täter, ist zu missbilligen. 3. Die TäterIn soll Tateinsicht zeigen. 4. Die TäterIn soll Empathie mit dem Opfer entwickeln. Zusätzlich sollen Gespräche mit weiteren Beteiligten geführt werden. Hierbei soll, wie bei den Gesprächen zuvor, die Ernsthaftigkeit der Tat gezeigt werden und die Verantwortung der Beteiligten soll bewusst gemacht werden. Zudem sollen Möglichkeiten,

199 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

wie man in Gewaltvorfälle eingreifen kann oder sie gar verhindern kann erarbeitet werden. Auch für das Gespräch mit Beteiligten gibt es Leitgedanken: 1. Gewalt wird nicht toleriert. 2. Empathie mit dem Opfer muss gefördert werden. 3. Die Verantwortung der Beteiligten muss bewusst gemacht werden. Nach allen Gesprächen wird eine Zusammenführung zwischen TäterInnen und Opfer/n anvisiert. Zudem werden die Eltern aller Betroffenen über den Vorfall und die Gespräche informiert. In schwerwiegenden Fällen ist es notwendig, dass externes Fachpersonal (Schulpsychologie, Polizei, Jugendamt, …) eingebunden wird. Lehrkräfte sollen die eigenen Handlungs- und Einflussgrenzen erkennen können und wissen, wann welche externe Hilfen zugeschaltet werden sollen (. Abb. 11.6). 11.7.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Das WiSK-Programm kann nur durchgeführt werden, wenn folgende zentrale Personen mitspielen: 1) eine zertifizierte WiSK-BegleiterIn, 2) die Schulleitung, 3) das WiSK-Schulteam, und 4) die WiSK-KlassenlehrerInnen. Eine genaue Beschreibung der Tätigkeiten der verschiedenen Personen befindet sich in . Tab. 11.1. 11.7.2.4  Materialien

Den WiSK-KlassenlehrerInnen werden Arbeitsmaterialien zur Durchführung des Klassenprojektes sowie Informationsmaterialien für Eltern und SchülerInnen zur ­Verfügung gestellt. Zusätzlich gibt es WiSK-Poster, welche in den schulischen Räumlichkeiten gut sichtbar aufgehängt werden können.

Schulebene

• Bildung eines Schulteams • Pädagogische Konferenzen und Fortbildungen zum Thema Gewalt an Schulen

Klassenebene

• Fortbildung zum Klassenprojekt • WiSK Klassenprojekt

Individualebene

• bei Gewalt- oder Mobbingfällen • Einzelgespräche mit Opfer und Täter • eventuell Einbezug von externen Experten (Jugendamt, Polizei, ...)

. Abb. 11.6  Drei Ebenen des WiSK Programms

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. Tab. 11.1  Überblick der Aufgabenbereiche der implizierten Personen Person

Beschreibung und Funktion

WiSK Begleiter/in

•B  esitzt besondere Qualifikation als PsychologIn, MitarbeiterIn einer pädagogischen Hochschule, oder TrainerIn im Schulsektor •H  at an der Universität Wien einen einjährigen WiSK Lehrgang besucht

WiSK Schulteam

•B  esteht aus drei bis fünf LehrerInnen • F reiwillige Übernahme der Verantwortung für die Ausarbeitung von konkreten Maßnahmen auf Schulebene

WiSK KlassenlehrerInnen

• Übernehmen Verantwortung für die Umsetzung eines Klassenprojekts in ihrer Klasse

11.7.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

11

Das WiSK-Programm wurde im Rahmen einer Evaluationsstudie auf seine Wirksamkeit untersucht (Spiel et al. 2011). Dabei wurde einerseits die Implementierung des Programms an den Schulen untersucht und andererseits das Ausmaß der Zielerreichung, also inwiefern das WiSK-Programm soziale und interkulturelle Kompetenzen bei SchülerInnen sowie LehrerInnen erhöht und aggressives Verhalten in der Schule reduziert. Die Daten wurden zu zwei Messzeitpunkten erhoben (Messzeitpunkt 1: Mai/Juni 2009; Messzeitpunkt 2: Mai/Juni 2010). Die Daten zur Implementierung des WiSK-Programms zeigen, dass das WiSK-Programm erfolgreich in den Schulen umgesetzt werden konnte. Im Durchschnitt war ein Betreuungsaufwand der WiSK-Begleitung von mindestens 42 Einheiten erforderlich, um das WiSK-Programm in den Schulen umzusetzen. Zur Messung der Wirksamkeit des WiSK-Programms wurden Online-Fragebögen zur offenen und relationalen Aggression aus Täter- und Opferperspektive, zu Formen von Viktimisierung und Bullying und zu schulspezifischen Variablen während den Schulstunden von den SchülerInnen ausgefüllt. Die Stichprobe beinhaltete 1377 SchülerInnen, davon 47,6 % Mädchen, mit einem Durchschnittsalter von 12 Jahren (Standardabweichung = 0,99) aus den Interventionsschulen und 665 SchülerInnen (46,5 % Mädchen; Alter = 11,86, Standardabweichung = 0,97) aus den Kontrollschulen. Die Ergebnisse zeigten, dass SchülerInnen der WiSK-Trainingsschulen an Messzeitpunkt 2 signifikant weniger oft Opfer von relationaler und offener Aggression waren. In den Kontrollschulen konnte kein signifikanter Unterschied in der selbstberichteten Aggression zwischen Messzeitpunkt 1 und 2 gefunden werden. Zur Evaluation des WiSK-Klassenprojektes gaben 55 % der SchülerInnen an, dass durch das WiSK-Klassenprojekt weniger Streitereien in der Klasse auftreten. Durch das Klassenprojekt gäbe es weniger Außenseiter (25 %), ein besseres Verstehen zwischen Lehrkräften und SchülerInnen (39,2 %) und eine bessere Klassengemeinschaft (51,6 %). Außerdem gaben 46,7 % der SchülerInnen an, sich besser zu fühlen als vor dem Klassenprojekt, sich in Streitsituationen besser zu verhalten (52,8 %) und mehr Reaktionsmöglichkeiten zu kennen als vor dem Klassenprojekt (57,5 %). Abschließend konnte gezeigt werden, dass Lehrkräfte einen verbesserten Umgang mit Mobbingvorfällen zeigen.

201 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

Fazit Das WiSK-Programm ist ein Mehr-Ebenen-Ansatz, welcher primärpräventiv gegen Gewalt an Schulen vorgeht. Das Programm ist sowohl als rein präventiver Ansatz geeignet, bietet aber auch Strategien zur Intervention bei schweren Gewalttaten in der Schule. Die Lehrer werden ausgebildet, um eine Einschätzung zur eigenen Handlungsfähigkeit und Grenzen dieser vornehmen zu können. Die Forschung konnte zeigen, dass das Programm sehr zufriedenstellende Ergebnisse auf Schulebene erzielen kann, da eine Reduzierung in aggressivem Verhalten und Viktimisierung sowie verbesserte soziale Kompetenzen nachgewiesen werden konnten.

11.8  No Blame Approach (Blum und Beck 2012) 11.8.1  Steckbrief

Der NO BLAME APPROACH wurde ursprünglich in England von Barbara Maines und George Robinson Anfang der 90er Jahre entwickelt (Blum und Beck 2012). Heike Blum und Detlef Beck haben den Ansatz in Anleitung von Christopher Szarday aus der Schweiz in Deutschland weiterentwickelt und evaluiert (Blum und Beck 2012). Der NO BLAME APPROACH wird anlassbezogen durchgeführt, mithilfe von ausgebildeten Trainern im Schulkontext, welche innerhalb von Schulklassen die Mobbingproblematik versuchen zu lösen. Dieser Ansatz beruht dabei auf der systemischen Perspektive, dass an Mobbing nicht nur Täter und Opfer beteiligt sind, sondern Mobbing ein komplexes und dynamisches Gruppenphänomen darstellt (Blum und Beck 2012). Jede Person in diesem komplexen System spielt eine Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Mobbing, auch wenn diese Personen nicht aktiv am Mobbing-Geschehen beteiligt sind. Dadurch, dass diese Personen nicht in das Geschehen eingreifen, wird der Täter stärker und das Mobbing verstärkt sich. Indem man alle Personen in diesem System verantwortlich macht, kippt das Machtgefälle und die Mobbingproblematik kann sich auflösen (Blum und Beck 2012). Genau darauf zielt dieser Interventionsansatz ab. 11.8.2  Beschreibung des Programms 11.8.2.1  Ziel und Dauer

Das Ziel des NO BLAME APPROACHs ist es, Mobbing unter SchülerInnen zeitnah und nachhaltig zu beenden und das, wie der Name es andeutet, ohne Schuldzuweisungen und Bestrafungen. Es handelt sich also hierbei um eine lösungsorientierte Vorgehensweise, welche stark auf das Vertrauen in die Fähigkeiten von Schülern aufgebaut ist. Der NO BLAME APPROACH wird, wie bereits erwähnt, anlassbezogen angewendet, kann also in seiner Dauer variieren. Allerdings kann man den Ansatz als zeitlich begrenzt beschreiben, da es sich hierbei um eine relativ kurze Intervention handelt. 11.8.2.2  Aufbau und Inhalt

Beim NO BLAME APPROACH wird Wert auf eine konsequente Lösungsfokussierung ohne Beschuldigung gelegt. Zur Durchführung durchläuft man drei zeitlich aufeinanderfolgende Schritte. Im ersten Schritt wird ein Gespräch mit der SchülerIn, welche

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L. Erpelding und J. Schiel

von Mobbing betroffen ist geführt. In diesem Gespräch geht es darum, der SchülerIn den NO BLAME APPROACH vorzustellen und ihr Einverständnis für das weitere Vorgehen zu gewinnen. Dafür ist es sehr wichtig, der SchülerIn die Zuversicht zu vermitteln, dass sich die schwierige Situation, in der sie sich befindet, ändern wird. Man sollte ebenfalls der SchülerIn Sicherheit vermitteln, dass sich die Situation nicht verschlimmern wird und dass man alles in der eigenen Verantwortung liegende tun wird, damit sich die Situation zum Besseren verändert. Wichtig ist, dass nicht nachgefragt wird, was genau passiert ist. Es wird lediglich ermittelt, welche MitschülerInnen aus Sicht des Betroffenen dazu beitragen, dass die Situation so schlimm ist und auf welche Personen der/die Betroffene positiv zu sprechen ist. Dem/der Betroffenen werden abschließend Informationen zum weiteren Vorgehen gegeben, vorausgesetzt der/die Betroffene hat ihr Einverständnis für den NO BLAME APPROACH gegeben. Im zweiten Schritt wird eine Unterstützungsgruppe gebildet, welche eine wichtige Rolle in der Behebung der Mobbing-Problematik spielt. Die Unterstützungsgruppe besteht aus ungefähr sechs bis acht SchülerInnen und ist zusammengesetzt aus 50 % Tätern und 50 % Bystandern/Nicht-Aktiven SchülerInnen. Der/die Mobbing-Betroffene(r) ist nicht in der Unterstützungsgruppe. Die Unterstützungsgruppe wird zu einem während der Unterrichtszeit stattfindenden Gespräch eingeladen, in welchem vier Aspekte besprochen werden. An erster Stelle wird das Problem erklärt, also der Unterstützungsgruppe wird berichtet wie sich der/die Betroffene fühlt, ohne dass Details und genaue Vorfälle besprochen werden. Wichtig ist, dass den Tätern keine Schuld zugewiesen wird. Die Lehrkraft beteuert lediglich, dass sich die Situation ändern muss. Dafür wird jedes Gruppenmitglied gefragt, eigene Ideen oder Vorschläge mit in die Diskussion einzubringen, um die Situation zu verbessern. Der Unterstützungsgruppe wird abschließend die Verantwortung zur Problemlösung übertragen. Im dritten Schritt sollen Nachgespräche mit allen Beteiligten geführt werden. Diese finden nach circa 8 bis 14 Tagen statt. Auch hier soll zuerst ein Gespräch mit dem/der Betroffenen geführt werden und danach erst Einzelgespräche mit jedem Mitglied der Unterstützungsgruppe. Das Ziel der Einzelgespräche ist es, zu ermitteln ob sich die Situation weiterentwickelt hat, ob die Mobbing-Situation gestoppt wurde oder ob noch weitere Schritte notwendig sind. Dieser letzte Schritt ist wichtig, damit die Situation beurteilt und die Verantwortlichkeit der Unterstützungsgruppe weiterhin betont werden kann. Die drei Schritte sind in . Abb. 11.7 schematisch dargestellt. Der NO BLAME APPROACH eignet sich vor allem für Angestellte in Schulen (Lehrpersonal, SchulsozialarbeiterInnen, SozialpädagogInnen) aber auch für alle Berufsbilder, welche im Auftrag der Schule mit SchülerInnen und Mobbing in Verbindung treten, wie beispielsweise SchulpsychologInnen und andere externe Beratungskräfte (Blum und Beck 2012). In sehr gravierenden Mobbing-Fällen kann es vorkommen, dass aufgrund der starken Schikanierung der Betroffenen die Polizei oder anderes externes Fachpersonal (Ärzte, Psychologen, …) eingeschaltet werden muss. In dem Fall kann der NO BLAME APPROACH trotzdem hilfreich sein, um die Mobbing-Situation aufzuklären, das Mobbing-System zu verändern und eine bessere Zukunft für den Betroffenen zu garantieren. Der/die Täter bekommt/bekommen somit die Gelegenheit, Ideen und ­Vorschläge für das weitere Vorgehen vorzuschlagen und ihre Verantwortlichkeit dafür zu zeigen (Maines und Robinson 1994).

203 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

1. Gespräch mit dem Mobbing-Betroffenen

• NO BLAME APPROACH vorstellen • Zuversicht vermi eln, dass die Situaƒon veränderbar ist • Sicherheit geben, dass es nicht schlimmer wird • Engagement zeigen

2. Die Unterstützungsgruppe

• 50% Täter + 50% Nicht-akƒv-beteiligte MitschülerInnen • Problem erklären • Keine Schuldzuweisung! • Gruppe nach Ideen und Vorschlägen fragen • Gruppe verantwortlich machen für Problemlösung

3. Nachgespräche einzeln mit allen Beteiligten

• Wie hat sich die Situaƒon entwickelt? • Besteht weiterer Handlungsbedarf?

. Abb. 11.7  Die drei Schritte des NO BLAME APPROACH

11.8.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Da der NO BLAME APPROACH konsequent lösungsfokussiert aufgebaut ist, ist eine Bedingung zur Durchführung, dass man auf Schuldzuweisungen und Bestrafungen verzichtet. Bei zusätzlicher Bestrafung kann die Wirksamkeit dieses Ansatzes nicht garantiert werden. 11.8.2.4  Materialien

Zur Durchführung des NO BLAME APPROACH braucht es keine spezifischen Materialien. Allerdings können die Lehrkräfte sich auf Gesprächsleitfäden von den Autoren (Blum und Beck 2012) beziehen, um alle wichtigen Informationen zu erhalten. 11.8.2.5  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Die Wirksamkeit des NO BLAME APPROACH wurde im englischsprachigen Raum mehrmals nachgewiesen (Maines und Robinson 1994). Der NO BLAME APPROACH wurde 2008 mit finanzieller Unterstützung der Aktion Mensch ebenfalls in Deutschland evaluiert (Bund für Soziale Verteidigung 2008). Die Ziele dieser Evaluation waren die Überprüfung der Umsetzung und Anwendung des NO BLAME APPROACHs in der schulischen Praxis sowie die Überprüfung der Wirksamkeit und das Gewinnen von Ideen und Vorschlägen für die Weiterentwicklung des Materials. Die Evaluation basiert auf insgesamt 220 Mobbing-Fällen. Die Anwender wurden im Rahmen eines Fragebogens u. a. um eine Einschätzung gebeten, für welches Altersspektrum der NO BLAME APPROACH geeignet sei (Mehrfachnennungen waren möglich). Eine Eignung für das Alter von 9 bis 16 Jahren wurde von 95 % der Befragten angegeben und 75 % der Befragten hielten den NO BLAME APPROACH für Jugendliche zwischen 17 und 19 Jahren geeignet. Insgesamt wurde in 192 von 220 Fällen das Mobbing erfolgreich

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gestoppt. Ein erfolgreiches Beenden des Mobbings wurde hier definiert als ein Schutz des Betroffenen in dem Sinne, dass er/sie keine weiteren Schikanen ertragen muss und die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung des Mobbings signifikant reduziert ist. Demnach zeigt der NO BLAME APPROACH eine Erfolgsquote von 87,3 %. Das Mobbing wurde in 33 % der Fälle umgehend gestoppt und in 47,9 % der Fälle konnte das Mobbing innerhalb von 8 bis 14 Tagen gestoppt werden. In lediglich 3,2 % der Fälle kam es zunächst zu einer Verbesserung des Mobbings, welches allerdings nach einiger Zeit in gleicher Form wieder auftrat. Diese Ergebnisse konnten 2016 anhand einer Online-­ Befragung basierend auf 186 Fragebögen repliziert werden (Fairaend 2016). Fazit Der NO BLAME APPROACH stellt eine kurze, im Schulalltag leicht anwendbare, erfolgreiche Interventionsmethode dar, welche nachhaltig Mobbing stoppen kann. Der Ansatz zielt auf ein breites Altersspektrum und kommt ganz ohne Schuldzuweisungen und Bestrafungen aus.

Exkurs: Was tun bei Mobbing zwischen Lehrern? Der SHARED RESPONSIBILITY APPROACH (Blum und Beck 2014)

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Die Autoren des NO BLAME APPROACHs haben diesen weiterentwickelt und auf Mobbing in der Arbeitswelt angepasst. Resultat ist der SHARED RESPONSIBILITY APPROACH (Blum und Beck 2014). Auch im beruflichen Umfeld kann Mobbing mithilfe eines lösungsorientierten Ansatzes gestoppt werden. Der SHARED RESPONSIBILITY APPROACH ist identisch strukturiert wie der NO BLAME APPROACH. Auch hier werden drei Schritte durchlaufen. In dem ersten Schritt erfolgt ein Gespräch mit der/dem Betroffenen, um die Person für das Vorgehen zu gewinnen und die Mitarbeiter zu identifizieren, welche zu der belastenden Situation beitragen. In dem zweiten Schritt wird auch hier eine Unterstützungsgruppe gebildet (ohne den Betroffenen), in welcher die Hauptakteure, sowie Mitarbeiter Lösungen für die schwierige Situation erarbeiten. In dem darauffolgenden dritten Schritt werden Einzelgespräche mit allen Beteiligten (Betroffener und Unterstützungsgruppe) geführt, um die Entwicklung der Situation zu besprechen. Leider konnten keine Studien zur Wirksamkeit des Shared Responsibility Approach gefunden werden.

11.9  Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! (Ministerium

für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse)

11.9.1  Steckbrief

Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! ist eine Aktion der Techniker Krankenkasse und der Beratungsstelle Gewaltprävention des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, welche gegen Mobbing an Schulen vorgeht (Techniker Krankenkasse 17.01.2019). Das Programm ist geeignet für Schüler der 5. und 7. Schulklasse und wird in 15 Bundesländern in Kooperation mit den zuständigen Fachbehörden

205 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

und Ministerien angewendet. Das Projekt findet auf Klassenebene statt und wird von extra geschulten Lehrkräften durchgeführt. Die Eltern der Schüler werden in einem Elternnachmittag in das Projekt mit einbezogen. Dadurch, dass sich alle Angehörigen einer Schule (SchülerInnen, Lehrkräfte, andere Fachkräfte sowie die Eltern) an dem Projekt beteiligen, ist eine nachhaltige Schulentwicklung und Gewaltprävention auf Schulebene möglich. 11.9.2  Beschreibung des Programms 11.9.2.1  Ziel und Dauer

Das Ziel von Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! ist das Stärken des Zusammenhalts der Klasse. Kommunikationsstrukturen sollen aufgebaut und im Schulalltag aufrechterhalten werden. Das Projekt soll als Basis dafür dienen, dass die Schulklasse eine tragfähige Gemeinschaft in der Zukunft wird. Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! ist zeitlich auf eine Woche begrenzt. 11.9.2.2  Aufbau und Inhalt

In der Projektwoche sollen die SchülerInnen lernen, was Mobbing ist und wie man diesem Phänomen begegnen kann. Dabei soll es zu einem Austausch kommen und Wünsche hinsichtlich des Umgangs miteinander sollen geäußert werden. Verschiedene Aktivitäten und spielerische Übungen zur Kooperation und Perspektivenübernahme stehen dabei im Vordergrund. Thematisiert werden sollten auch die Konsequenzen für die von Mobbing betroffenen SchülerInnen sowie das Sammeln von Möglichkeiten zur Prävention. Die SchülerInnen können in diesem Rahmen den Lehrkräften rückmelden, welche Eigenschaften und Fähigkeiten die SchülerInnen an den Lehrkräften schätzen. In einem weiteren Schritt sollen Zukunftspläne für das gemeinsame Zusammenleben in der Schulklasse gebildet werden. So können beispielsweise AnsprechpartnerInnen aus der Klasse gewählt werden, welche bei Konflikten vermitteln sollen. Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! beinhaltet eine Lehrerfortbildung sowie diverses Material für die Implementierung der Projektwoche („Anti-Mobbing-Koffer“). Zudem gibt es Erhebungsinstrumente zur Einschätzung von Mobbing in Schulklassen und eine Broschüre zur konkreten Mobbingintervention. Für eine massive Mobbingproblematik besteht die Möglichkeit einer Fachkräfte-Qualifizierung, welche in einer zweitägigen Fortbildung angeboten wird. 11.9.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Die Lehrkräfte müssen eine verbindliche eintägige Fortbildung absolvieren, in welcher ihnen das erforderliche Material („Anti-Mobbing-Koffer“) sowie die wichtigsten Aspekte der Mobbingprävention nahegebracht wird. 11.9.2.4  Materialien

Zur Durchführung der Projektwoche benötigen die Lehrkräfte den eigens dafür zusammengestellten Anti-Mobbing-Koffer. Dieser beinhaltet ein Lehrerhandbuch in welchem das Konzept, alle Maßnahmen sowie Übungen erklärt sind. Zudem gibt es Arbeitsblätter, Filmmaterial (auf einer DVD) und weiteres Material für die Einbeziehung der Eltern am Ende der Projektwoche (Flyer, Informationsblätter sowie einen Film).

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11.9.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

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Das Projekt Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! wurde im August 2007 an den 12 am Pilotprojekt teilnehmenden Schulen von dem Büro für dialogisches Handeln evaluiert (7 www.dialogischeshandeln.de; Böhm et al. 2009). Die Evaluation soll die Forschungshypothese, dass durch das Projekt die Belastung durch Mobbing verringert wird, anhand eines quasiexperimentellen Untersuchungsdesigns mit drei Messzeitpunkten überprüfen. Die erste Messung erfolgte zwei Wochen bevor die Experimentalgruppe an der Projektwoche teilnahm. Sofort danach erfolgte die zweite Messung für beide Gruppen. Drei Monate später nahm die Kontrollgruppe an der Projektwoche teil. Sofort danach war der dritte Messzeitpunkt für beide Gruppen. Gemessen wurde das Klassenklima mithilfe der Landauer Skalen zum Sozialklima (LASSO; Von Saldern und Littig 1987). Die Autoren benutzten Items aus den Skalen Hilfsbereitschaft, Aggression, Diskriminierung von Mitschülern, Zufriedenheit und Konkurrenzverhalten. Insgesamt nahmen 3417 SchülerInnen (47 % Mädchen) an der Studie teil. Nach der Projektwoche konnte eine signifikante Veränderung im Klassenklima der Experimentalgruppe gefunden werden und dies besonders auf den Skalen Aggression und Diskriminierung. Annähernd signifikant war die Veränderung in den Skalen Hilfsbereitschaft und Zufriedenheit. Lediglich auf der Skala Konkurrenzverhalten konnte kein statistisch signifikanter Unterschied gefunden werden. Diese Effekte bleiben im Drei-Monats-Vergleich stabil. Für die Kontrollgruppe konnte kein statistisch signifikanter Unterschied gefunden werden. Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! zeigt also vielversprechende Ergebnisse. Allerdings wurden in dem Evaluationsbericht keine statistischen Werte veröffentlicht, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert und eine kritische Auseinandersetzung mit diesen nicht ermöglicht. Fazit Das Projekt Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein! zeigte eine gute ­Wirksamkeit zur positiven Veränderung des Klassenklimas und zu Reduktion von Aggression und ­Diskriminierung.

11.10  Faustlos (Schick und Cierpka 2005) 11.10.1  Steckbrief

Faustlos ist ein Präventionsprogramm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen von Kindergarten bis Sekundarstufe. Das Faustlos-Programm wurde auf Basis des US-amerikanischen Programms Second Step (Beland 1988) übersetzt und überarbeitet. Seit dem Jahr 2000 sind die Faustlos-Curricula für Kindergarten und Grundschule bereits Bestandteil der pädagogischen Arbeit in über 10.000 Institutionen in Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz (Schick und Cierpka 2010).

207 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

11.10.2  Beschreibung des Programms 11.10.2.1  Ziel und Dauer

Das übergeordnete Ziel von Faustlos ist es, impulsives und aggressives Verhalten zu reduzieren und die soziale Kompetenz der Kinder und Jugendlichen zu erhöhen. Zudem sollen Defizite in der sozial-emotionalen Entwicklung behoben werden. Das Faustlos-Programm basiert auf dem Modell der sozialen Informationsverarbeitung (Crick und Dodge 1994) und auf wissenschaftlichen Befunden bezüglich entwicklungspsychologischer Theorien über Defizite von aggressiven Kindern (Scheithauer et al. 2003). Für die Entwicklung von Faustlos wurden die zu fördernden Kompetenzen aus diesen Defiziten abgeleitet und in die Informationsverarbeitungsmodelle eingefügt. Diese Informationen wurden um emotionale und motivationale Aspekte ergänzt und als Problemlösemodell dargestellt (siehe . Abb. 11.8). Dieses bietet eine Reihe von Ansatzpunkten für die gezielte Förderung von sozial-­ emotionalen Kompetenzen (Greenberg et al. 1995; Lemerise und Arsenio 2000). Das Faustlos-Programm vermittelt Kindern und Jugendlichen, Signale sozial differenziert wahrzunehmen (Schritt 1) und diese aus mehreren Perspektiven zu interpretieren (Schritt 2). Daraufhin sollen Handlungsziele abgeklärt (Schritt 3) und Lösungsideen via Brainstorming gesammelt werden (Schritt 4). Danach soll eine ­Entscheidung für eine Reaktion getroffen (Schritt 5) und diese abschließend durchgeführt werden (Schritt 6). Dieses Problemlösemodell wird mithilfe des Programms auf mehrere zwischenmenschliche Konfliktsituationen angewendet (Schick und Cierpka 2010), wobei auf

4. Handlungsentwürfe

5. Entscheidung für eine Reaktion

Emotionale Prozesse • Emotionalität/Temperament • Emotionsregulation • Hintergrundsemotion

3. Klären der Ziele

2. Interpretation der Signale

• • • •

Datenbasis Gedächtnis erworbene Regeln soziale Schemata soziales Wissena

6. Ausführen der Reaktion

1. Wahrnehmung von Signalen

. Abb. 11.8  Modell der sozialen Informationsverarbeitung nach Lemerise und Arsenio (2000; übernommen aus Schick und Cierpka 2009)

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. Tab. 11.2  Inhalte von Faustlos (Schick und Cierpka 2010) Bereich

Fähigkeiten

Empathie

Förderung der emotionalen Intelligenz: Gefühle anderer wahrnehmen, verstehen und beantworten (Cierpka 2004)

Impulskontrolle

Interpersonelles kognitives Problemlösen (Erarbeiten von systematischen Gedankenschritten) Training sozialer Verhaltensfertigkeiten („sich entschuldigen“, „mitmachen“)

Umgang mit Ärger und Wut

Wahrnehmung von körperlichen und psychischen Anzeichen von Ärger und Wut Gebrauch positiver Selbst-Verstärkungen Beruhigungstechniken (nicht um Ärger und Wut zu unterdrücken, sondern sich so weit zu beruhigen, dass man das Problem lösen kann)

inhaltlicher Ebene die jeweiligen Informationsverarbeitungs- und Emotionsregulationsdefizite von aggressiven Kindern – Empathie, Impulskontrolle und den Umgang mit Ärger und Wut – im Vordergrund stehen (Schick 2006). Faustlos wird im Klassenraum über einen längeren Zeitraum angewendet. Im Kindergarten beträgt die Dauer circa ein Jahr während in der Grundschule und der Sekundarstufe das Programm einen Zeitrahmen von drei bis vier Jahren umfasst.

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11.10.2.2  Aufbau und Inhalt

Die drei Bereiche Empathie, Impulskontrolle und Umgang mit Ärger und Wut sind in Lektionen aufgeteilt, welche aufeinander aufbauen und mithilfe von verschiedenen altersgerechten didaktischen Standards in den Unterricht eingebettet werden. Die Inhalte der drei Bereiche sind in . Tab. 11.2 dargestellt. Die drei Bereiche werden in aufeinander aufbauenden Lektionen erarbeitet. Das Kindergarten-Programm beinhaltet 28 Lektionen, das Grundschul-Programm 51 Lektionen und das Programm für die Sekundarstufe umfasst 31 Lektionen. Jede Lektion folgt einem so genannten didaktischen Vierschritt: 1) Das Stundenthema wird kognitiv/verbal mittels Bildmaterialien erarbeitet, 2) die Lehrkraft demonstriert ein Verhalten (Modelllernen), 3) die Kinder üben das Verhalten in Rollenspielen und 4) das Verhalten wird in den Alltag übertragen und in konkreten Konfliktsituationen angewendet (Schick und Cierpka 2010). In der Sekundarstufe werden die Lektionen vermehrt auf Gruppendiskussionen aufgebaut und das Verhalten wird von Gleichaltrigen in Videosequenzen gezeigt. Die Modellfunktion wird hier also durch die Peer-Gruppe übernommen (Schick und Cierpka 2010). EXKURS: Beispiellektion aus Faustlos für die Sekundarstufe (übernommen aus Schick und Cierpka 2009, S. 661–663) Vorgestellt wird im Folgenden die Lektion 11 „Sich beschweren“ aus dem Themenbereich „Anwendung der Fähigkeiten“. Folgende zentrale Inhalte und Konzepte werden im Vorbereitungsteil der Lektion vorgegeben: 1) Um sich zu beschweren, muss man bestimmt und selbstbewusst

209 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

auftreten. 2) Konstruktiv auf einen Vorwurf zu reagieren bedeutet, demjenigen, der die Beschwerde vorbringt, zuzuhören und über das Gesagte nachzudenken (trifft der Vorwurf zu oder ist es ungerechtfertigt), bevor man reagiert. Hierfür sollen die Schüler üben, Entspannungstechniken einzusetzen, positive Selbstaussagen zu benutzen und eine Beschwerde offen, freundlich und bestimmt vorzutragen. Zur Unterstützung der Lehrkraft werden jeweils Schlüsselbegriffe aufgeführt („sich beschweren“, „bestimmt auftreten“), die bei der Umsetzung der Lektion gezielt verwendet werden sollen, um den „roten Faden“ der Lektion nicht aus den Augen zu verlieren. Anschließend werden die für die Lektion benötigten Materialien aufgelistet und der inhaltliche Kern der Lektion wird in Form von „Anmerkungen für die Lehrkraft“ ausformuliert. Anmerkungen für die Lehrkraft In dieser Lektion werden Verhaltensschritte für den Umgang mit Ärger und Wut, Ich-Botschaften und bestimmtes/selbstbewusstes Auftreten geübt. Diese Schritte sind den Verhaltensschritten für das „Definieren eines Problems“ ähnlich. Menschen, die nicht in der Lage sind, sich zu beschweren, unterdrücken ihren Ärger und ihre Wut und lenken sie oft in falsche Bahnen, z. B. in Klatsch oder üble Nachrede. Den meisten Menschen fällt es leichter, Kritik an einer Person nicht der betreffenden Person gegenüber zu äußern, sondern anderen Personen davon zu erzählen. Betonen Sie, dass man sich freundlich, aber direkt über ein Problem unterhalten kann, und dass eine solche Haltung zu den besten Ergebnissen führt. Die Check It Out-Filmsequenzen enthalten einen einführenden Abschnitt und fünf Fallbeispiele, die als Modell-Rollenspiele für die jeweiligen Themenbereiche verwendet werden. Die dargestellten Szenen veranschaulichen mögliche Umsetzungsschritte für die in den jeweiligen Lektionen besprochenen sozialen Kompetenzen. Die Filmsequenzen sollten erst gezeigt werden, wenn die jeweiligen Schritte bzw. sozialen Kompetenzen diskutiert wurden und die Schüler ihre eigenen Umsetzungsschritte entwickelt haben. Sie können ihre Schritte gegebenenfalls anpassen, wenn sie die entsprechende Filmszene gesehen haben. Für den Lernerfolg ist es zentral, dass die Schüler zunächst eigene Umsetzungsschritte überlegen. Führen Sie kurz in die Arbeit mit den Filmsequenzen ein, bevor Sie den Schülern die Szene zeigen. Direkt im Anschluss an den Abschnitt „Vorbereitung“ wird im Abschnitt „Unterrichten der Lektion“ das konkrete Vorgehen in dieser Lektion differenziert beschrieben. Unterrichten der Lektion In der letzten Lektion habt ihr geübt, eine Lösung in einzelne Schritte zu unterteilen. Heute werdet ihr üben, euch zu beschweren. 1. Was bedeutet „sich beschweren“? (Einer anderen Person sagen, dass man unzufrieden mit etwas ist, das diese Person betrifft) Lasst uns mal schauen, wie man sich in der folgenden Problemsituation am besten beschweren könnte. Problem-Situation: Bennie hat sich in der Vergangenheit häufiger Nicks Fahrrad geliehen. Jetzt hat er es sich genommen, ohne vorher zu fragen, bringt es Nick dreckig und kaputt zurück und macht sich dann schnell aus dem Staub. 2. Wie führt sich Nick wohl? (verärgert, zornig). Wie glaubt ihr fühlt sich Bennie? (verlegen, nervös)

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3. Was kann Nick tun, um sich zu beruhigen? (vgl. Beruhigungsschritte) 4. Was ist das Problem? (Bennie hat Nicks Fahrrad genommen ohne ihn vorher zu fragen. Er hat es dreckig und beschädigt zurück gegeben und sich dann aus dem Staub gemacht, ohne anzubieten, das Fahrrad zu reparieren oder sauber zu machen) 5. Was könnte Nick tun? (Über Bennie lästern; ihn wütend „anmachen“; er kann Bennie die Freundschaft aufkündigen; er kann ihm sagen, wie er sich fühlt; er kann einen Streit beginnen; er kann ihn auffordern, das Fahrrad zu reparieren) 6. Was könnte passieren wenn…? (Leiten Sie zu einer Bewertung der Lösungsvorschläge anhand der Bewertungsfragen an) Es ist nicht einfach, sich zu beschweren. Oft unterdrücken Menschen ihren Ärger und ihre Wut so lange, bis sie ihre Beschwerde schließlich in einer verletzenden Weise vorbringen oder in einer anderen Situation plötzlich explodieren. Weil es so schwierig ist, sich direkt zu beschweren, lästern Personen oft lieber über den anderen, als sich direkt mit ihm auseinander zu setzen. Die beste Lösung besteht jedoch darin, sich direkt bei der betreffenden Person zu beschweren, weil man nur dann eine reelle Chance hat, dass sich etwas ändert. Nick entscheidet sich deshalb dafür, sich bei Bennie zu beschweren. 7. Wann sollte Nick mit Bennie sprechen? (Wenn er sich beruhigt hat und sie Zeit und Ruhe haben, miteinander zu sprechen) 8. Was sollte Nick sagen und wie sollte er es sagen? (Diskutieren Sie die Verwendung von Ich-Botschaften in einer selbstbewussten, klaren aber nicht aggressiven Art und Weise) (Option: Führen Sie die Szene, in der Nick mit Bennie spricht, in einem Rollenspiel vor, und zwar zunächst in aggressiver Form und anschließend in einer ruhigen, bestimmt auftretenden Art und Weise. Lassen Sie die Schüler die beiden Rollenspiele miteinander vergleichen und sich für die bessere Methode entscheiden.) Overheadfolie Nr. 19: Sich beschweren Lasst uns die einzelnen Verhaltensschritte für „sich beschweren“ aufschreiben (an folgenden Schritten können Sie sich orientieren): – Ruhig bleiben – Einen Zeitpunkt wählen, zu dem man ruhig miteinander sprechen kann – Dem anderen in die Augen schauen – Sagen, wie man sich fühlt – Eine Bitte/Aufforderung formulieren (höflich aber bestimmt) 9. Wie könnte Bennie am besten auf Nicks Beschwerde reagieren? (Zuhören und darüber nachdenken, was Nick sagt; sich entschuldigen; anbieten, das Fahrrad zu reparieren)

11.10.2.3  Bedingungen zur Durchführung

Voraussetzung für die Arbeit mit dem Programm ist die Teilnahme an der entsprechenden eintägigen Fortbildung durch das Heidelberger Präventionszentrum (7 www.h-p-z.de). Idealerweise nehmen alle Lehrkräfte der Schule an der Fortbildung teil, so kann der Transfer in den Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen nachhaltig

211 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

unterstützt werden (Schick und Cierpka 2010). Die Lehrkräfte sollen zudem über einen längeren Zeitraum mit einer Klasse arbeiten und dabei eine ausgewogene Balance zwischen der individuellen und authentischen Ausgestaltung der Lektionen und der Befolgung der Anweisungen der zentralen Lektionsinhalte erreichen (Schick und Cierpka 2010). 11.10.2.4  Materialien

Die Faustlos-Materialien beinhalten ein Handbuch, ein Anweisungsheft, Bildmaterialien und Handpuppen (im Kindergartenprogramm) beziehungsweise Videosequenzen (im Sekundarstufenprogramm). Im Handbuch findet man eine Beschreibung des theoretischen Hintergrunds von Faustlos, Informationen zur Anwendung des Curriculums sowie einen umfangreichen Anhang mit Anregungen zur spielerischen Vertiefung der Inhalte des Kindergarten- und Grundschul-Programms. Im Anweisungsheft findet man eine detaillierte Beschreibung aller Lektionen in der Reihenfolge der Durchführung. Auf dem Fotomaterial sind soziale Situationen dargestellt, welche anhand der Lernziele erarbeitet werden sollen (Schick und Cierpka 2010). Faustlos für Kindergärten. Die Materialien für Kindergärten bestehen aus einem Manual, einem Handbuch, großformatigen Fotokarten und zwei Handpuppen „Wilder Willi“ und „Ruhiger Schneck“. (Bild: 7 http://h-p-z.de/faustlos-kindergarten/materialien) Faustlos für Grundschulen. Der Faustlos-Koffer für die Grundschule beinhaltet ein Handbuch, ein Manual und 51 Fotofolien. (Bild: 7 http://h-p-z.de/faustlos-grundschule/materialien) Faustlos für die Sekundarstufe. Das Faustlos-Material beinhaltet ein Handbuch, einen Ordner mit Unterrichtsmaterialien (inklusive Arbeitsblättern, Rollenspielkarten und Overheadfolien) sowie eine DVD mit Videovignetten zur Illustration der Kompetenzbereiche. (Bild: 7 http://h-p-z.de/faustlos-sekundarstufe/materialien) 11.10.3  Evidenz/Wirksamkeit/Forschung

Faustlos Kindergarten. Die Studienergebnisse der ersten Evaluation des Faustlos-Curriculums für den Kindergarten zeigten, dass Kinder, welche am Faustlos-Programm teilgenommen hatten, die Gefühle anderer Menschen differenzierter beschreiben und identifizieren konnten (Schick und Cierpka 2006). Sie entwickelten mehr Lösungsmöglichkeiten für zwischenmenschliche Konflikte und gaben an, in solchen Situationen häufiger sozial kompetent zu reagieren. Zudem antizipierten die „Faustlos-Kinder“ negative Konsequenzen von aggressiven Verhaltensweisen und beherrschten eine größere Auswahl an Beruhigungstechniken als Kinder der Kontrollgruppe. Die neu erlernten sozial-kognitiven Kompetenzen konnten von den Faustlos-Kindern nach einem Jahr allerdings nicht in sichtbare Verhaltensänderungen umgesetzt werden, so die Sicht der Eltern und der Lehrkräfte. Im Rahmen von objektiven Verhaltensbeobachtungen in den Kindergärten zeigte sich, dass die Faustlos-Kinder sich seltener verbal aggressiv ausdrückten als Kinder der Kontrollgruppe. Das Faustlos-Programm bewirkte also einen deutlichen Zuwachs an sozial-kognitiven, empathischen und emotionalen Basiskompetenzen (Schick und Cierpka 2010). Das Programm wurde zudem von den

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Lehrkräften als sehr positiv beschrieben; viele gaben an, selber von dem Programm zu profitieren (Schick und Cierpka 2010). Faustlos Grundschule. Die Ergebnisse der Evaluation zu Faustlos Grundschule zeigen, dass Faustlos besonders im Bereich der Emotionen Veränderungen bewirken kann (Schick und Cierpka 2003). Sowohl aus der Sicht der Kinder als auch der Eltern war die Ängstlichkeit der Kinder geringer geworden (Schick und Cierpka 2003, 2005). Die Faustlos-Kinder berichteten zudem von geringeren „Kontrollverlustängsten“ als die Kinder der Kontrollgruppe (Schick und Cierpka 2003). Geschlechterspezifische Analysen zeigen, dass besonders Jungen sowohl aus der Faustlos-Gruppe als auch der Kontrollgruppe bezüglich ihrer Externalisierungsstörungen, der Perspektivenübernahmefähigkeit und des kooperativen Verhaltens profitieren (Schick und Cierpka 2010). Mädchen scheinen durch den Regelunterricht in diesen Bereichen nicht genügend gefördert zu werden. In einer Replizierungsstudie konnte gezeigt werden, dass die Faustlos-Kinder einen stärkeren Rückgang in Aggressionskennwerten als die Kontrollgruppe aufzeigten (Bowi et al. 2008), und dies besonders bei den Jungen und den Schülern mit hohen Aggressionskennwerten zu Beginn des Curriculums. Die Faustlos-Schüler zeigten ebenfalls einen deutlichen Zuwachs in der Empathiefähigkeit im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Die Lehrkräfte berichteten zudem von einer deutlich spürbaren Verbesserung des Klassenklimas und des Sozialverhaltens, welches wiederum einen positiven Effekt auf das Lernklima hatte (Schick und Cierpka 2010). Durch Faustlos wurden die Schüler selbstständiger in der Konfliktregelung und es kam zu weniger Eskalationen (Bowi et al. 2008). Faustlos für die Sekundarstufe. Eine Evaluation des Faustlos-Curriculums für die Sekundarstufe steht noch aus.

11 Fazit Faustlos kann als wirksames Programm zur Förderung von sozialer Kompetenz, emotionaler Intelligenz und zur Reduktion von impulsivem und emotionsgeleitetem Verhalten beschrieben werden. Die Wirksamkeit wurde in vielen beispielhaften Studien, sowohl von den Programmentwicklern als auch von unabhängigen Forschergruppen, nachgewiesen. Lediglich die Wirksamkeit von Faustlos für die Sekundarstufe konnte noch nicht gezeigt werden, steht aber in Planung.

11.11  Fairplayer (Scheithauer und Bull 2007)

Bei fairplayer (7 www.fairplayer.de; Scheithauer und Bull 2007) handelt es sich um ein manualisiertes und strukturiertes Präventionsprogramm, welches unterrichtsbegleitend zur Förderung von sozialen Kompetenzen und zur Prävention von Mobbing verwendet wird. Die Zielgruppe von fairplayer sind Schüler der fünften bis sechsten und der siebten bis neunten Schulklasse. Das Programm wird in 16 Schuldoppelstunden während ungefähr vier Monaten durchgeführt. Eine genauere Beschreibung von fairplayer kann im Kapitel Abschn. 10.8 nachgelesen werden.

213 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

11.12  Kritische Auseinandersetzung mit Evaluationsstudien:

Möglichkeiten der Qualitätsbestimmung von Gewaltpräventionsprogrammen

Zur Implementierung von Präventionsprogrammen sollte deren Wirksamkeit durch Evaluationsstudien nachgewiesen werden. Diese evidenzbasierte Prävention wurde von Eisner und Ribeaud (2008, S. 173) definiert als „das Bestreben, Fehlschlüsse über die Wirkungen von Präventionsmaßnahmen zu vermeiden und Maßnahmen zur Verminderung oder Verhinderung von unerwünschten Verhaltensweisen möglichst weitgehend auf gesichertes empirisches Wissen abzustützen“. Grundsätzlich gilt, dass man zuverlässige Kenntnisse über wirksame Maßnahmen durch die wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit von Präventionsprogrammen sowie die Betrachtung von Forschungsergebnissen gewinnt (Eisner und Ribeaud 2008). Wichtig dabei ist auch das Erkennen von potenziell schädlichen Maßnahmen und Kenntnisse darüber, wie die Maßnahmen in der Praxis umgesetzt werden können (Eisner und Ribeaud 2008). Zur Beurteilung von präventiven Maßnahmen kann man sich auf die von Hartke (2005) speziell hierfür formulierten Aussagen beziehen. Präventionsmaßnahmen lassen sich demzufolge in drei Kategorien einteilen. Erstens, wenn die Präventionsmaßnahme durch eine wissenschaftliche Theorie begründet ist und die Wirksamkeit dieser Maßnahme durch empirische Studien belegt ist, kann man von einer empfehlenswerten Präventionsmaßnahme sprechen. Zweitens, wenn die Präventionsmaßnahme auf einer wissenschaftlichen Theorie basiert und es erste Hinweise auf die Wirksamkeit dieser Maßnahme in empirischen Studien gibt, dann ist diese Maßnahme nur bedingt empfehlenswert. Drittens spricht man von einer nicht empfehlenswerten Präventionsmaßnahme, wenn es für diese keine empirischen Hinweise auf ihre Wirksamkeit trotz einer theoretischen Begründung gibt oder es deutliche empirische Hinweise auf problematische Effekte gibt oder Erfolge dieser Maßnahme ohne ausreichende theoretische oder empirische Begründung gibt (siehe . Tab. 11.3). Wenn es Erfolge einer Maßnahme gibt ohne ausreichende theoretische oder empirische Begründung, sollte man diese weiter erforschen ohne sie sofort als präventive Maßnahme im Alltag zu übernehmen. Empfehlenswerte Präventionsmaßnahmen sollen also einerseits theoriebegründet sein und andererseits ihre Wirksamkeit in empirischen Studien zeigen. Obschon Politik und Praxis eine große Bereitschaft für evidenzbasierte Prävention zeigen, sollte die Forschung so durchgeführt werden, dass die Ergebnisse der Studien die tatsächliche Wirksamkeit eines Programms ohne Verzerrung wiedergibt (Eisner und Ribeaud 2008). Allerdings können viele Faktoren die Qualität von Studien und somit auch deren Aussagekraft beeinflussen. Bei der Planung einer Evaluationsstudie oder deren Begutachtung, sollten in einem ersten Schritt Kernvariablen ermittelt werden, welche das Verhalten (als Gegenstand der Prävention) bedingen. Hier unterscheidet man zwischen Variablen, die als Ursache für dieses Verhalten gelten und Variablen, die einen moderierenden Effekt auf die Ursachen haben und somit deren Wirkung verstärken oder abschwächen (Hartke und Koch 2008). Durch eine Messung dieser Kernvariablen und des anvisierten Verhaltens (Gegenstand der Prävention) zu mindestens zwei Zeitpunkten, vor und nach der Durchführung des Präventionsprogramms, kann man ermitteln, ob das Programm diese Kernvariablen verändert und diese Veränderung den

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. Tab. 11.3  Drei qualitativ abstufende Kategorien zur Beurteilung von präventiven Maßnahmen (Hartke 2005) Kategorie 1

Empfehlenswert: ausreichender Bewährungsgrad

Maßnahme durch eine wissenschaftliche Theorie begründet UND Wirksamkeit der Maßnahme in der Praxis durch empirische Studien belegt Kategorie 2

Bedingt empfehlenswert: knapp ausreichender Bewährungsgrad

Maßnahme durch eine wissenschaftliche Theorie begründet UND erste Hinweise in empirischen Studien auf Wirksamkeit Kategorie 3

Nicht empfehlenswert: nicht ausreichender Bewährungsgrad

Bisher keine empirischen Hinweise auf Wirksamkeit trotz theoretischer Begründung ODER deutliche empirische Hinweise auf problematische Effekte ODER Erfolge ohne ausreichend theoretische oder empirische Begründung, also ohne Hinweise auf eine allgemeine Gültigkeit

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Gegenstand der Prävention verändert hat (Hartke und Koch 2008). Zu den weiteren Anforderungen an Evaluationsstudien zu präventiven Maßnahmen zählen die Randomisierung von Studienteilnehmern und das Etablieren von Kontrollgruppen (Campbell und Stanley 1966; Cochrane 1972; Cook und Campbell 1979). Die größte Aussagekraft über präventive Maßnahmen haben Studien, welche idealerweise die Teilnehmer randomisiert aus der Zielpopulation auswählen und diese zufällig den Behandlungsbedingungen zuteilen. Durch den Vergleich von einer Interventionsgruppe und einer Kontrollgruppe können Veränderungen durch die präventive Maßnahme und somit deren Wirksamkeit mit der höchstmöglichen Gültigkeit ermittelt werden. Neben diesen methodischen Fehlerquellen können die Studienergebnisse auch durch andere Faktoren beeinflusst werden. Dazu gehören Eigenevaluationen, also Studien zur Wirkung der präventiven Maßnahme von den Entwicklern und somit auch kommerziellen Vertreibern des Produktes (Eisner und Ribeaud 2008). Eine Metaanalyse von Petrosino und Soydan (2005) ging der Frage nach, wie stark die Ergebnisse zur Wirksamkeit von Maßnahmen in Evaluationsstudien davon abhängen, ob die Studie durch die Programmentwickler/Programmvertreiber oder durch unabhängige Forscher durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 300 randomisierte Studien zur Wirkung von Interventionsprogrammen auf die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern geprüft. Die Ergebnisse zeigten, dass in Eigenevaluationen ein positiver Effekt der Maßnahmen gefunden wurde, während in Fremdevaluationen kein Effekt der Maßnahmen gefunden werden konnte. Die Interventionsprogramme waren also wirksam in Eigenevaluationen, aber in Fremdevaluationen konnte diese Wirksamkeit nicht repliziert werden. Petrosino und Soydan (2005) gaben für diese Diskrepanz mehrere Gründe an. Die erste Interpretation basiert auf der Umsetzungsperspektive („high fidelity view“), welche besagt, dass die aktive Beteiligung der Programmvertreiber dazu führt, dass das Programm mit Enthusiasmus und großer Umsetzungstreue durchgeführt wird. Beachten muss man hierbei, dass im Regelfall das Programm nicht mit der persönlichen Beteiligung von

215 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

den Programmentwicklern durchgeführt wird. Die zweite Interpretation der Ergebnisse beruht auf der zynischen Perspektive („cynical view“), welche besagt, dass die Programmentwickler durch eine Reihe von mehr oder weniger subtilen Faktoren unter Druck gesetzt werden, um positive Ergebnisse zu produzieren. Das Eigeninteresse der Programmentwickler hat dabei einen Einfluss auf viele verschiedene Bereiche. Dazu zählt u. a. das wissenschaftliche Ansehen, da man mit dem Programm die eigenen theoretischen Annahmen prüft. Die zeitliche Investition in die Entwicklung und Evaluation eines Programms soll sich für die Programmentwickler lohnen. Forschungsgelder spielen ganz klar eine Rolle, da positive Evaluationsergebnisse mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von weiterer finanzieller Unterstützung verbunden sind. Auch der politische Einfluss und direkte finanzielle Eigeninteressen können Druck auf die Programmentwickler ausüben (Petrosino und Soydan 2005). Sofern Eigenevaluationen ausreichend hinsichtlich verzerrter Darstellungen der erzielten Wirksamkeit von Programmen kontrolliert werden, sind diese nicht als problematisch anzusehen (Eisner und Ribeaud 2008). Beim Vergleich der Evaluationsstudien der oben aufgeführten Präventions- und Interventionsprogramme mit den hier vorgestellten Kriterien zur Qualitätsgarantie fällt auf, dass viele der Studien methodische Schwachstellen aufzeigen. So werden oft die Outcomevariablen operationalisiert und die Kernvariablen der unterliegenden Theorie nicht, was keine Indikation für die Wirksamkeit des Programms darstellt, da die Veränderung durch andere Einflussfaktoren bedingt sein kann. Zudem ist die Randomisierung der Studienteilnehmer nicht immer gegeben. Auch werden erschreckend oft die Ergebnisse der Studien nicht statistisch begründet (also keine statistischen Kennwerte im Fließtext), womit eine kritische Auseinandersetzung mit der Interpretation der Ergebnisse unmöglich wird. Schlussendlich sind sehr viele der Evaluationsstudien Eigenevaluationen, welche durch die vorher dargestellten Gründe verzerrte Konklusionen zur Wirksamkeit der Programme postulieren können. Natürlich ist es in der Forschungspraxis schwierig, alle vorher genannten methodischen Faktoren zu berücksichtigen und die Programme neben den Eigenevaluationen auch durch unabhängige Forschergruppen evaluieren zu lassen. Nichtsdestotrotz wäre eine qualitativ hochwertige Evaluationsdurchführung/-politik wünschenswert, um die Wirksamkeit der Programme eindeutig zu bestimmen und somit nur nachweislich wirksame Programme an Schulen anzubieten. Dementsprechend sollte zur Auswahl eines passenden Präventions- oder Interventionsprogramms dessen Wirksamkeit mithilfe der zuvor genannten Kriterien kritisch hinterfragt werden, damit das Programm auch erfolgreich gegen Mobbing an Schulen eingesetzt werden kann. Eine weitere Hilfe zur Auswahl eines geeigneten Programmes soll der folgende Entscheidungsbaum darstellen. Die Entscheidung für ein Programm wird mithilfe der folgenden einzelnen Kriterien getroffen: 1. Altersklasse der Schüler 2. Dauer des jeweiligen Programms 3. Ziel des Programms Leider konnten für die Programme MindMatters und WiSK keine genauen Angaben über die Dauer des Programms gefunden werden. Allerdings kann aufgrund des Zieles einer nachhaltigen Schulentwicklung geschlussfolgert werden, dass es sich bei beiden Programmen um Langzeitprogramme handelt (. Abb. 11.9).

11

216

L. Erpelding und J. Schiel

sozial-emotionale Kompetenzen

Faustlos

Mobbing

OBPP (Olweus)

Woche

Aggressives Verhalten

Friedensstifter Training

Aggressives Verhalten

Training mit aggressiven Kindern

sozizle Kompetenzen

Fairplayer

Mobbing

OBPP (Olweus)

sozial-emotionale Kompetenzen

Faustlos

psychische Gesundheit

MindMatters

Verhaltensänderung Bystander

KiVa

soziale Kompetenzen

WiSK

Mobbing

No-Blame-Approach

Aggressives Verhalten

WiSK

Aufbau von Kommunikationsstrukturen

Mobbingfreie Schule

soziale Kompetenoen

Freiburger-AntiGewalt-Training

Aggressives Verhalten

Training mit aggressiven Kindern

soziale Kompetenoen

Fairplayer

Mobbing

OBPP (Olweus)

sozial-emotionale Kompetenzen

Faustlos

psychische Gesundheit

MindMatters

Kindergarten

Monate

Grundschule Jahre



Mobbingprogramme

Anlassbezogen

11

Woche

Sekundarstufe

Monate

Jahre



Lehrer

Shared Responsability Approach

. Abb. 11.9  Entscheidungsbaum der Mobbingprogramme

Verhaltensänderung Bystander

KiVa

217 Was sind die bekanntesten Mobbingprogramme?

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Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention von Mobbing in der Schule – Das Präventionsprogramm Fairplayer. Manual – Klasse 7–9 Exkurs zu Kapitel 11 Herbert Scheithauer, Viola Braun und Anton Walcher

12.1 Einleitung: Zur Ausgangslage – 224 12.2 Das Programm Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 – 225 Literatur – 235

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_12

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H. Scheithauer et al.

12.1  Einleitung: Zur Ausgangslage

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Schulen stellen weitaus mehr dar als Bildungsorganisationen: sie sind ein zentraler Lebensraum für Kinder und Jugendliche, die im Rahmen alltäglicher Interaktionen miteinander und voneinander lernen, miteinander interagieren und im Rahmen sozialer Austauschprozesse wichtige Entwicklungsaufgaben bearbeiten (z. B. Aneignung s­ ozialer Kompetenzen, Aufbau von Peerbeziehungen und Freundschaften; vgl. Scheithauer et al. 2018). Dabei spielen soziale Aushandlungsprozesse, aber auch unterschiedliche z. B. familiäre Werte, Traditionen und soziale Hintergründe eine wichtige Rolle, die von den Kindern und Jugendlichen ebenso in die Schule und Schulklasse „getragen“ werden, wie mögliche Defizite in sozialen und emotionalen Kompetenzen, die gelingende Interaktionen unter Peers, aber auch mit Lehrkräften und Schulpersonal, erschweren. Schulen sind somit Orte, an denen es im Rahmen der formalen Bildung, aber auch über non-formale Bildungsprozesse, darum geht, wichtige Lebenskompetenzen zu fördern, wie z. B. gegenseitige Achtung, Toleranz, Unterstützung und Kooperation, auch um ggf. Chancengleichheit herzustellen und Diskriminierungen zu unterbinden, um somit ­negative Entwicklungsverläufe zu verhindern. Mangelnde soziale Kompetenzen, aber auch Mobbing in der Schule bzw. Schulklasse stellen Phänomene dar, die der Herausbildung von Lebenskompetenzen entgegenwirken und zudem mit negativen Auswirkungen in unterschiedlichen Entwicklungsdomänen, bis hin zu psychischen Störungen, einhergehen können (Hess und Scheithauer 2015; Wachs et al. 2016). Die Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention von Mobbing stellen somit wichtige Ziele dar, die bestenfalls flächendeckend in Schulen anzugehen sind (Jerusalem und Klein-Heßling 2002). Eine flächendeckende Umsetzung von Maßnahmen und Programmen zur Prävention von Mobbing und zur Förderung sozialer Kompetenzen erweist sich jedoch als schwierig, da i. d. R. zwar ein solcher Auftrag in den Landesschulgesetzen zu finden ist, die Realisierung jedoch oftmals wenig – oder gar nicht – strategisch angegangen, diese den Schulen selbst überlassen wird, in wenigen Fällen Rahmenempfehlungen vorliegen und nur selten in der grundständigen Lehrkräftebildung angehende Lehrkräfte ausgebildet werden, solche Maßnahmen später im Unterricht usw. einzusetzen (vgl. Warncke und Scheithauer 2015). Erschwerend kommt hinzu – wie auch generell in der Gewaltprävention (Scheithauer et al. 2012a) – dass sich bisher nur in geringem Maße durchgesetzt hat, wissenschaftlich fundierte, qualitätsgesicherte, wirksamkeitsevaluierte Maßnahmen und Programme auszuwählen und umzusetzen, sondern dass oftmals selbst entwickelte, nicht-evaluierte Ansätze, Materialsammlungen usw. zum Einsatz kommen. „Diese Rahmenbedingungen führen an vielen Schulen zu folgenden Schwierigkeiten: 5 Aufgrund eines fehlenden zeitlichen Rahmens (z. B. fest zugeordnete „Präventionsstunde“ in der Schulwoche) kann Prävention nur im Rahmen zeitlich befristeter oder additiver Aktionen stattfinden (z. B. Projekttage oder Projektwoche). 5 Viele Initiativen sind vom Engagement einzelner Protagonisten abhängig, wechselt der/die betreffende Person die Schule, endet auch das Projekt. 5 Aufgrund der vielen Einzelinitiativen mangelt es oft an entsprechender Vernetzung und viele Themen werden mehrfach oder teilweise überschneidend bearbeitet. Dadurch ist auch möglich, dass Jugendliche – je nach Lehrkraft – zu einem Thema selektiv etwas machen und zu einem anderen Thema in ihrer gesamten Schullaufbahn gar nichts hören.

225 Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention …

5 Viele im Schuldienst tätige Personen klagen über die Vielzahl der unzusammen-­ hängenden Projekte („Projektitis“). Dies führt oft sogar dazu, dass Lehrende ­Präventionsarbeit per se zunächst abweisend gegenüberstehen. 5 Die Wirksamkeit vieler Präventionsansätze wurde wissenschaftlich nie untersucht, sondern wird nur angenommen. Bei einigen Maßnahmen führt dies sogar zu gegenläufigen Wirkeffekten, was insbesondere bei kurzen Projekten problematisch ist.“ (Warncke und Scheithauer 2015, S. 294 f.). Zusammengenommen erwächst daraus die Notwendigkeit, nicht nur wissenschaftlich fundierte, wirksamkeitsevaluierte Maßnahmen zu entwickeln, sondern zudem Strategien, diese auch nachhaltig und qualitätsgesichert in Schulen umgesetzt zu bekommen (Implementationskonzept; vgl. Scheithauer 2016). Beim Programm Fairplayer.Manual (Scheithauer et al. 2019; s. auch Braun et al. 2019) handelt es sich um einen wissenschaftlich fundierten und nachhaltigen Ansatz zur Erreichung dieser Ziele. 12.2  Das Programm Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 12.2.1  Zielgruppen und Umfang

Das manualisierte Programm Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 (Scheithauer et al. 2019) zielt im Kern auf Schülerinnen und Schüler der 7. bis 9. Jahrgangsstufe (also ca. im Alter von 11 bis 16 Jahren) an allgemeinbildenden Schulen bzw. deren Lehkräfte, SchulsozialarbeiterInnen sowie weiteres pädagogisches Fachpersonal. Das Programm wurde aber auch schon erfolgreich in niedrigeren Klassenstufen, in Berufsschulen oder sogar anderen Settings (z. B. Jugendforensik) eingesetzt. Zudem liegt inzwischen eine adaptierte, manualisierte Version des Programms für die 5. und 6. Jahrgangsstufe vor (Fairplayer. Manual – Klasse 5–6; Braun et al. 2019). Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 besteht in der aktuellen Programmversion aus mindestens 16 aufeinander aufbauenden Terminen à 90 min, die in der Schulklasse durchgeführt werden und die bei Bedarf auch wiederholt durchgeführt werden können (s. Abb. 1). Mit Vor- und Nachbereitungen, zwei Elternabenden usw. wird das Programm ungefähr über ein Schulhalbjahr durchgeführt. Als universelles Präventionsprogramm arbeitet die gesamte Schulklasse mit, und im Prinzip kann es an jeder Schule durchgeführt werden. Fairplayer.Manual enthält zudem Maßnahmen, die insbesondere auf Jugendliche abzielen, die bereits ein erhöhtes Risiko aufweisen, gemobbt zu werden oder andere zu mobben (z. B. wenige Gleichaltrigenbeziehungen; selektive Prävention) sowie Maßnahmen, die Jugendliche erreichen, die bereits erste Anzeichen von Mobbing zeigen (indizierte Prävention). Fairplayer.Manual wurde entwickelt zur längerfristigen, nachhaltigen Arbeit in Schulklassen – empirische Befunde zeigen, dass Kurzprogramme, Projekttage usw. keine, eine geringe Wirkung oder sogar gegenläufige Effekte erzielen (Scheithauer et al. 2012a; Ttofi und Farrington 2011). 12.2.2  Programmziele, -prinzipien und Wirkmechanismen

Zentrale Grob- und Feinziele des Programms sowie die Inhalte der einzelnen Programmtermine sind in . Abb. 12.1 zusammenfassend dargestellt.

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Sensibilisierung der Wahrnehmung von Gruppenprozessen beim Mobbing, mögliche Beteiligung erkennen u. reflektieren, sowie sich selbst in verschiedenen Teilnehmerrollen erleben Empathie fördern und eigene Gefühle reflektieren Kennenlernen alternativer Handlungsmöglichkeiten Förderung positiver Interaktionen zwischen den Jugendlichen

Wahrnehmung von Körpersignalen und Gefühlen anderer Personen verbessern Empathie entwickeln und eigene Gefühle reflektieren Gefühle und Stimmungen selbst so ausdrücken, dass andere Personen erkennen können, wie es einem selbst gerade geht Förderung positiver Interaktionen zwischen den Jugendlichen

Wahrnehmung dissozialen Verhaltens

Prävention von Mobbing und Schulgewalt

Förderung sozialer Kompetenzen -

Handelns in Mobbingsituationen

Förderung zivilcouragierten -

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Grobziele

Handlungsalternativen /-strategien fördern

moralische(s) Sensibilität / Urteilen fördern

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sozial-emotionale Kompetenzen fördern

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fördern

Empathie, kognitive Perspektivenübernahme

schärfen

Bewusstsein für Notlagen/Gewaltsituation

fördern

Verständnis für persönliche Verantwortung

Wissen um prosoziales Verhalten vermitteln

fördern

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Feinziele

. Abb. 12.1  Elemente und Ziele des Programms Fairplayer.Manual – Klasse 7–9. (Aus Scheithauer et al. 2019, S. 28 f.)

Termin 7 u. 8: Soziale Rollen beim Mobbing I u. II

Termin 5: Wie es mir geht Kennenlernen von und umgehen mit Emotionen Termin 6: Emotionen im Kontext

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Termin 4: Zivilcourage – Hinsehen und klug handeln statt wegsehen

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unterschiedliche Formen von Mobbing diskutieren Sensibilisierung der Wahrnehmung der verschiedenen Mobbingformen Unterschiede in der subjektiven Wahrnehmung bzw. dem subjektiven Erleben von verschiedenen Mobbingformen, Meinungen und Sichtweisen erkennen (Perspektivwechsel)

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Termin 3: Was ist Mobbing?

differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Zivilcourage und Erarbeitung einer gemeinsamen Definition des Begriffs Erarbeitung intelligenter („kluger“) Handlungsformen Förderung positiver Interaktionen zwischen den Jugendlichen

Einführung in die Arbeitsmethoden und Aufstellen verbindlicher Klassenregeln Erarbeitung von Konsequenzen

Termin 2: Wie gehen wir miteinander um? – Absprache gemeinsamer Umgangsformen

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Termin 1: Einführung ins Thema: Was ist Fairplayer?

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Kennenlernen, erste Auseinandersetzung mit dem Thema und Interesse wecken Gemeinsame u. demokratische Erarbeitung von Klassenregeln

Unmittelbare Ziele

Programm-Elemente

226 H. Scheithauer et al.

. Abb. 12.1 (Fortsetzung)

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Termin 11: Unsere Klasse

Termin 12 u. 13: Moralisches Dilemma I u. II

siehe Ziele Termin 12 u. 13 Rückmeldung der Jugendlichen zu Fairplayer.Manual Möglichkeiten der Integration in den Unterrichtsalltag Planung der Elternveranstaltung nach Fairplayer.Manual Förderung der Selbstwirksamkeit

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Termin 15: Moralisches Dilemma III Termin 16: Abschlussrunde und Vorbereitung 2. Elternabend

Förderung von Perspektivenübernahme und Empathie Eigen- und Fremdwahrnehmung fördern Wertschätzung der Meinungen Anderer Förderung eines positiven Klassenklimas

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Förderung der Perspektivenübernahme Ke nnenlernen anderer Argumente und respektieren anderer Meinungen Förderung der moralischen Sensitivität und des moralischen Urteilens/Argumentierens Handlungsmöglichkeiten kennenlernen und Förderung des Verständnisses für Handlungsabfolgen Transfer auf die eigene Situation/das eigene Leben Förderung von Problemlösefertigkeiten

Selbstreflexion zur Situation in der Klasse Positive Identifikation mit der Klasse bzw. Gruppe Förderung von Kommunikationsfertigkeiten und Interaktionsmustern Verbesserung des Klassenklimas Förderung von Problemlösefertigkeiten Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und -motivation

Forderung von Perspektivenübernahme und Empathie Entwicklung und Erprobung alternativer Handlungsmöglichkeiten Transfer auf eigene Lebenssituation Forderung von Problemlösefertigkeiten

Termin 14: „Das ist mal wieder typisch!“

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Termin 9 u. 10: Was ich tun kann – richtig eingreifen I u. II

Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention … 227

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H. Scheithauer et al.

Das Programm hat nicht nur zum Ziel, Mobbing vorzubeugen bzw. Jugendliche darin zu fördern, auf adäquate Weise bei Mobbing im Schulkontext zivilcouragiert einzugreifen, es fördert zudem das Klassenklima und wichtige soziale Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die folgenden Grundprinzipien können – als grober Überblick – für die Wirkungsweise des Programms Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 angeführt werden (Warncke und Scheithauer 2014, S. 8; Scheithauer et al. 2019, S. 27). 1. Jugendliche erhalten das nötige Wissen, um unterschiedliche Gewaltformen und Begriffe wie soziales Engagement, Zivilcourage und Verantwortungsbewusstsein einordnen, verstehen und nachzuvollziehen zu können. 2. Mittels gezielter Programmschritte (z. B. zu Empathie und Perspektivenübernahme) und deren Diskussion in der Schulklasse werden die Fertigkeiten zur Einschätzung und Bewertung von Mobbingsituationen trainiert und die Klassengemeinschaft gefestigt. Zudem wird ein Verständnis für die mögliche Beteiligung am Mobbingeschehen vor dem Hintergrund sozialer Rollen (s. Kasten 1) erarbeitet. 3. Im schulischen Alltag soll ein Umfeld und soziales Miteinander hergestellt werden, dass die Jugendlichen dazu anregt, soziale Situationen differenziert und aus mehreren Blickwinkeln zu analysieren. Darauf aufbauend entwickeln die Jugendlichen ein eigenes Moral- und Wertesystem und können in der Folge Handlungsintentionen und Verhaltensmöglichkeiten erarbeiten und auch – in Abstimmung mit anderen Jugendlichen und den LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen- in Handlungen umsetzen. 4. Durch Fairplayer.Manual werden die sozialen Gruppennormen und -werte in der Schulklasse dahingehend modifiziert, dass Mobbing in der Klasse nicht mehr toleriert, sondern geächtet wird (Wölfer und Scheithauer 2014). Insgesamt verbessert sich das Klassenklima.

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Neben einer Wissensvermittlung und der Förderung wichtiger Kompetenzen, ­werden bei den Jugendlichen durch das aktive Erarbeiten der Inhalte (z. B. in Rollenspielen) auch ein Selbstwirksamkeitserleben sowie die Einstellung der Jugendlichen zum Mobbing gefördert bzw. modifiziert. Die SchülerInnen üben gemeinsam im Rollenspiel, soziale Situationen zu analysieren, geeignete und sozial intelligente Handlungsstrategien zu erarbeiten und sich anzueignen, mit deren Hilfe sie sich angemessen in einer Mobbingsituation verhalten können. Dabei wird viel Wert darauf gelegt, dass die SchülerInnen ihr eigenes Verhalten, ihre Einstellungen sowie mögliche Verhaltensweisen zur Lösung der Situation miteinander diskutieren und ihre Standpunkte z. B. in moralischen Dilemma-Diskussionen vertreten. Somit bezieht das Programm in seiner Arbeit und mit seinen Methoden wesentliche Aspekte des sozialen Konstruktivismus mit ein. Die Jugendlichen machen in sozialen Interaktionen und ihrer sozialen Umwelt sozial-kognitive und emotionale Erfahrungen und “konstruieren” gemeinsam die Wirklichkeit, in der sie leben, durch Prozesse menschlicher Kommunikation (Youniss 1994). Somit kommt den gleichaltrigen MitschülerInnen bei der Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen eine wichtige Bedeutung zu.

229 Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention …

Wichtige Wirkungsgrundlage: Der Ansatz sozialer Rollen (Participant Role Ansatz; vgl. Scheithauer et al. 2019, S. 15 ff.) Christina Salmivalli (Salmivalli et al. 1996) hat zur Beschreibung von Mobbingprozessen in Gruppen den Ansatz sozialer Rollen (Participant Role Ansatz) entwickelt, der Mobbing als einen gruppendynamischen Prozess versteht, an dem alle SchülerInnen einer Schulklasse – in Form verschiedener Rollenzugehörigkeiten – beteiligt sein können. Folgende Rollen haben Salmivalli et al. (Scheithauer et al. 2019, S. 16) beschrieben: 5 Als Täter werden Jugendliche bezeichnet, die aggressive Handlungen initiieren und andere dazu bringen, beim Mobben mitzumachen. 5 Als Opfer werden Jugendliche bezeichnet, die wiederholt verbal oder physisch angegriffen, oder gezielt sozial diskreditiert werden (relationales Mobbing). 5 Assistenten machen beim Mobben mit und unterstützen Täter aktiv (z. B. Festhalten des Opfers). 5 Als Verstärker werden Jugendliche bezeichnet, wenn sie Täter beim Mobben indirekt unterstützen, z. B. indem sie sich in der Nähe aufhalten, nicht einschreiten oder durch Lachen ermutigen. 5 Jugendlichen, die sich von der Situation fernhalten oder sie ignorieren, werden als Außenstehende bezeichnet. 5 (Potenzielle) Verteidiger spenden Gemobbten Trost, sprechen ihnen Mut zu oder helfen aktiv, wenn sie angegriffen werden. In verschiedenen Studien – in verschiedenen Ländern – konnten diese Rollenzugehörigkeiten repliziert werden. Beispielsweise Olweus et al. (1999) ermittelten in ihrer Studie folgende prozentuale Verteilung der Rollen, wobei sich die Prozente nicht auf 100 aufsummieren, da einigen Jugendlichen keine eindeutige Rolle zugeordnet werden konnte: 12 % Täter, 8 % Opfer, 7 % Assistenten, 20 % Verstärker, 17 % potenzielle Verteidiger und 24 % Außenstehende. Mobbing ist demnach nicht nur eine negative Interaktion zwischen Täter(n) und Opfer(n), sondern (fast) alle SchülerInnen in einer Klasse sind in irgendeiner Weise beteiligt – daraus folgt also, dass man im Rahmen der Mobbingarbeit bzw. -prävention an Schulen die gesamte Schulklasse und ggfs. sogar weitere (Parallel-)Schulklassen einbeziehen und die Beteiligung im Rahmen sozialer Rollen thematisieren und bearbeiten muss. In verschiedenen Studien und Ansätzen konnte herausgearbeitet werden, warum in sozialen Gruppen, wie z. B. Schulklassen, NICHT in Mobbingsituationen eingegriffen wird: 5 Das „Nicht-Wahrnehmen“ einer Notfallsituation, z. B. aufgrund nicht ausreichend ausgeprägter Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Empathie bzw. aufgrund fehlender Motivation dazu. Die Situation wird z. B. als nicht bedrohlich für den/die Gemobbte/n angesehen. 5 Das Fehlen klarer, akzeptierter, sozialer Normen, die Mobbing in der Schulklasse ächten (Perkins et al. 2011). Der „Bystander-Effekt“ (Darley und Latané 1968): Sind sehr viele Personen in einer Situation anwesend, so fühlt sich der Einzelne nur wenig verpflichtet, selbst einzugreifen. Dies wird verstärkt bei mangelnder Identifikation der einzelnen Schülerinnen und Schüler mit der Gruppe.

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H. Scheithauer et al.

12.2.3  Beispiele aus dem Programm

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Alle in . Abb. 12.1 aufgeführten Termine werden im Begleitmanual hochstrukturiert, inklusiver aller Materialien und nach einem gleichbleibenden Aufbau, erläutert, sodass sich Lehrkräfte usw. optimal auf die Durchführung der Termine vorbereiten können. Im Folgenden werden – verkürzt und zusammengefasst – ausgewählte Methoden („Soziale Rollen beim Mobbing“ sowie „Moralisches Dilemma“; s. Abb. 1 für die Ziele der entsprechenden Termine) zur Verdeutlichung der konkreten Methoden, die im Programm verwendet werden, vorgestellt. In darauf folgenden Schritten werden Lösungen erarbeitet und in weiteren Rollenspielen umgesetzt (u. a. soziales Fertigkeitentraining, Aufbau prosozialen Verhaltens, Problemlösetraining). Soziale Rollen beim Mobbing. Zu zwei Terminen werden soziale Rollen beim Mobbing behandelt (gefolgt von weiteren Terminen, in denen es um adäquates Verhalten, Eingreifen usw. in Mobbingsituationen geht), wobei insbesondere Rollenspiele als Methode im Mittelpunkt stehen. Die SchülerInnen sollen die verschiedenen sozialen Rollen, aber auch ihre ggfs. – gewollt oder ungewollt – selbst eingenommene Rolle beim Mobbing in der Schule verstehen sowie Möglichkeiten kennenlernen, sich in Mobbingsituationen adäquat zu verhalten. Für die Termine stehen umfangreiche Materialien (u. a. Rollenspielszenarien mit unterschiedlichem Schweregrad) zur Verfügung und vorab werden genaue Regeln für das Rollenspiel festgelegt (. Abb. 12.2). Die SchülerInnen nehmen unterschiedliche Rollen im Rollenspiel ein, wobei sie zuvor schriftliche Anweisungen zum Verhalten im Rollenspiel gegeben werden. In anschließenden Gesprächen und Diskussionen in der gesamten Klasse wird das Rollenspiel, Emotionen und Gedanken während des Rollenspiels, die sozialen Rollen etc. ­kritisch reflektiert. Moralisches Dilemma. Zu drei Terminen wird in der Klasse mit den SchülerInnen zu moralischen Konfliktsituationen gearbeitet und sie darin angeleitet, zu üben, in sogenannten Dilemma-Diskussionen angeleitet ihre Meinung zu den Konfliktsituationen mit Bezug zu Mobbing (in Form von bebilderten Geschichten) zu bilden und zu vertreten bzw. zu diskutieren (moralisches Argumentieren). Diese Situationen sind im Schulalltag von großer Bedeutung, da es oft Situationen gibt, in denen verschiedene Interessen, Werte und Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen werden müssen. Diese komplexe Methode wird über mehrere Termine – nach einem grundlegenden Kennenlernen des konkreten Vorgehens – eingesetzt. Grundidee ist, dass es oft in sozialen Situationen Entscheidungsnotwendigkeiten und es nicht die einzig richtige Handlungsweise gibt, sondern dass man schlichtweg abwägen muss, wie man sich verhält, weil man es für richtig hält. In den Diskussionen lernen die SchülerInnen zudem andere Perspektiven zum selben sozialen Problem kennen und lernen, dass es durchaus unterschiedliche Perspektiven, Sichtweisen und (begründete) Meinungen geben kann. Verschiedene Dilemma-Situationen werden im Manual vorgegeben sowie ein genauer Ablauf der einzelnen Termine. Im Rahmen der Dilemma-Diskussionen steigern sich zudem die Schwierigkeitsgrade der einzelnen, zu behandelnden Dilemmadiskussionen (. Abb. 12.3).

. Abb. 12.2  Beispiel für einen strukturierten Kurzüberblick und Ablaufplan zum Termin 7 sowie Beispiel für ein Rollenspielscenario. (Aus Scheithauer et al. 2019, S. 87 f.)

Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention … 231

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. Abb. 12.3  Beispiel für einen strukturierten Kurzüberblick und Ablaufplan zum Termin 12 sowie ein Beispielbild zu einem Dilemma. (Aus Scheithauer et al. 2019, S. 118 f.)

232 H. Scheithauer et al.

233 Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention …

Multiplikatorenfortbildung Fairplayer.Manual 4 Tage (2x2 Tage oder als 4-Tage-Block)

Selbstständige Durchführung des Programms in einer Schulklasse, Beratung durch die FU Berlin

Zertifizierungsveranstaltung Zertifizierung als Fairplayer.Multiplikator/in Durchführung in weiteren Schulklassen durch die Multiplikatoren/innen, Beratungsangebot

Qualitätsverbund 1x jährlich

. Abb. 12.4  Qualifikationsprozess zum/zur Fairplayer.MultiplikatorIn

12.2.4  Implementation und Training

Das Manual zum Programm gibt alle wesentlichen Informationen, die helfen das Programm in seinen einzelnen Schritten erfolgreich durchzuführen. Alle Materialien werden, inkl. ergänzender Online-Materialien, zur Verfügung gestellt. Lehrkräfte, SchulsozialarbeiterInnen und/oder andere an Schulen tätige PädagogInnen werden im Rahmen von berufsbegleitenden Weiterbildungen zu sogenannten Fairplayer.MultiplikatorInnen fortgebildet1. Der Qualifikationsprozess zum/zur Fairplayer.MultiplikatorIn, der/die das Programm nach erfolgreicher Fortbildung in der eigenen Schule umsetzt, also „multipliziert“, durch das wiederholte Anwenden, erfolgt in einem mehrstufigen Prozess (s. . Abb. 12.4): 5 Besuch einer Fairplayer.Fortbildung: Entweder an der Freien Universität Berlin2 oder auch – im Rahmen von externen Projektfinanzierungen – dezentral werden die 2 × 2-tägigen Fortbildungen angeboten und durch erfahrene Fairplayer-TrainerInnen durchgeführt. Neben der Vorstellung der einzelnen Methoden und Termine im Programm, wird auch den Themen Umsetzung an der eigenen Schule, organisatorische Vorarbeiten und Gewinnung von weiteren Ressourcen in der eigenen Einrichtung viel Zeit eingeräumt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind anschließend in der Lage, das Programm selbstständig in einer Schulklasse durchzuführen. 5 Eigenständige Durchführung von Fairplayer.Manual mit begleitendem Beratungsangebot: Während der eigenständigen Durchführung des Programms werden die FortbildungsteilnehmerInnen durch erfahrene Fairplayer-TrainerInnen telefonisch und per Email beraten und unterstützt, die Durchführung wird dokumentiert. 5 Zertifizierungstreffen: Die Zertifizierungstreffen sind in der Regel eintägig und finden in Berlin und in Kooperation mit Implementierungspartnern (Bundesländern, Städten, Landkreisen und Gemeinden) auch im gesamten übrigen Bundesgebiet statt. Für die weitere Betreuung der MultiplikatorInnen gibt es regelmäßige Qualitätsverbundtreffen. 1 2

s. dazu 7 www.fairplayer.de. s. dazu 7 www.fairplayer-fortbildung.de.

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Für das Programm Fairplayer.Manual – Klasse 5–6 besteht zudem in Berlin an der Freien Universität Berlin die Möglichkeit, im Rahmen der grundständigen Lehrkräftebildung (Lehramt) im Rahmen einer Lehrveranstaltung das Programm und seine Methoden kennenzulernen. Insgesamt wurden bisher (Stand April 2019) bundesweit ca. 1000 Personen (Lehrkräfte, PädagogInnen, SchulsozialarbeiterInnen, Studierende usw.) in den Programmen Fairplayer.Manual – Klasse 5–6 und Klasse 7–9 fortgebildet. Zudem wurde das Programm auch in anderen, deutschsprachigen Regionen (z. B. in Belgien) umgesetzt. 12.2.5  Evaluation und Auszeichnungen

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Im Rahmen verschiedener wissenschaftliche Untersuchungen, in Schulen unterschiedlicher Schulformen, wurden die positiven (Aus)Wirkungen des Programms Fairplayer. Manual – Klasse 7 bis 9 beschrieben. Eine Beschreibung der verwendeten Instrumente, zum Studiendesign usw. können z. B. Scheithauer und Bull (2007) sowie Scheithauer et al. (2012b). entnommen werden. Im Folgenden werden überblicksartig Ergebnisse der Evaluationsstudien zusammenfassend dargestellt (aus Scheithauer et al. 2019, S. 45 f.): 5 Im Rahmen einer ersten Pilot-Überprüfung der Wirksamkeit des Programms, das seinerzeit noch weniger Termine umfasste, wurde die Wirksamkeit vor und nach der Durchführung des Programms an zwei Berliner Schulen untersucht (Scheithauer und Bull 2010). „Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: In der Selbstbeurteilung der Schüler ließ sich nach Durchführung der Maßnahme ein deutlicher Rückgang hinsichtlich der Anzahl an SchülerInnen, die andere mobben, SchülerInnen, die gemobbt werden sowie SchülerInnen, die sowohl andere mobben als auch selbst gemobbt werden verzeichnen – auf der Opferseite sogar mit einem signifikanten Rückgang von 50 %. Zudem zeigte sich eine Zunahme an Prosozialitat, Empathie und eine Abnahme der Aggressivität/Gewaltlegitimation, in Abhängigkeit von der Umsetzungstreue in den Schulklassen. Damit einhergehend berichten die Lehrer nach Durchführung der Maßnahme von einer Zunahme prosozialen Verhaltens, einer Zunahme an Reflexion unter den Schülern zu Themen wie Gewalt und Zivilcourage, einen Rückgang aggressiven Verhaltens sowie von einer hohen Relevanz der eingesetzten Materialien.“ 5 Eine weitere, kontrollierte Studie (prä-post-follow-up) zur Wirksamkeit des modifizierten und erweiterten Fairplayer.Manual – Klasse 7–9 (s. Scheithauer und Bull 2007, 2010; Scheithauer et al. 2012b), in der einige Klassen das Programm über eine längere (16 Wochen), andere über eine kürzere (10 Wochen) Zeit erhielten, erbrachte (Bull et al. 2009; Scheithauer et al. 2012b), dass die Anzahl an Mobbingtätern und –opfern abnahm bzw. sich in den Interventionsgruppen nicht wesentlich veränderte, während sie in der Kontrollgruppe zunahm. Zudem nahm die Häufigkeit von Mobbingattacken in beiden Interventionsgruppen signifikant ab, aber nicht in der Kontrollgruppe. Auch das Ausmaß relationaler Aggression nahm in den Interventionsgruppen ab, in der Kontrollgruppe zeigte sich kein Unterschied. Fasst man soziale Rollenzugehörigkeiten zusammen zu einer Gruppe von mobbingbefürwortenden/-ausführenden SchülerInnen sowie zu einer Gruppe nicht-involvierter SchulerInnen, so zeigen sich positive Veränderungen in der mobbingbefürwortenden Gruppe hinsichtlich Mobbings und relationaler Aggression.

235 Exkurs: Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention …

5 Schließlich konnten Wölfer und Scheithauer (2014) mit Hilfe von sozialen Netzwerkanalysen die Veränderung der Stellung von mobbenden SchülerInnen im sozialen Netzwerk nach Durchführung von Fairplayer.Manual ermitteln, wobei SchülerInnen, die andere mobben, ihre bedeutsame und einflussreiche Positionierung im sozialen Netzwerk mit Programmdurchführung verloren haben. 5 Eine erste Überprüfung der Umsetzbarkeit für Multiplikatoren nach der Fortbildung erbrachte ebenfalls positive Ergebnisse (Warncke et al. 2013). Das Programm Fairplayer.Manual (zusammen mit dem Programm Fairplayer.Sport; Hess et al. 2015) bekam 2011 als erster deutscher Beitrag den European Crime Prevention Award verliehen. Zudem wurde Fairplayer.Manual in der vom Landespräventionsrat Niedersachsen betriebenen Präventionsdatenbank “Grüne Liste Prävention”3 mit der höchsten Stufe bewertet.

Literatur Braun, V., König, L., Walcher, A., Warncke, S., & Scheithauer, H. (2019). Fairplayer.Manual – Klasse 5–6. Förderung von sozialen Kompetenzen – Prävention von Mobbing und Schulgewalt. Praxismanual für die Arbeit in Schulklassen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Bull, H., Schultze, M., & Scheithauer, H. (2009). School-based prevention of bullying and relational aggression: The fairplayer.manual. European Journal of Developmental Science, 3, 312–317. 7 https:// doi.org/10.3233/DEV-2009-3310. Darley, J. M., & Latané, B. (1968). Bystander intervention in emergencies: Diffusion of responsibility. Journal of Personality and Social Psychology, 8, 377–383. Hess, M., & Scheithauer, H.(2015). Bullying. In T. P. R. Gullotta, W. Plant, & M. A. Evans (Hrsg.), The handbook of adolescent behavioral problems. Evidence-based approaches to prevention and treatment, 2nd edition (S. 429–443). New York: Springer Academic Publishing. 7 https://doi.org/10.1007/978-14899-7497-6_23. Hess, M., Weller, C., & Scheithauer, H. (2015). Fairplayer.Sport – Soziale Kompetenz und Fairplay spielerisch fördern. Göttingen: Hogrefe. Jerusalem, M., & Klein-Heßling, J. (2002). Soziale Kompetenz: Entwicklungstrends und Förderung in der Schule. Zeitschrift für Psychologie, 210, 164–174. 7 https://doi.org/10.1026//0044-3409.210.4.164. Olweus, D., Limber, S., & Mihalic, S. (1999). Blueprints for violence prevention. Book nine: Bullying prevention program. Colorado: Institute of Behavioral Science & University of Colorado. Perkins, H. W., Craig, D. W., & Perkins, J. M. (2011). Using social norms to reduce bullying: A research intervention among adolescents in five middle schools. Group Processes and Intergroup Relations, 14, 703–722. Salmivalli, C., Lagerspetz, K., Björkvist, K., Österman, K., & Kaukiainen, A. (1996). Bullying as a group process: Participant roles and their relations to social status within the group. Aggressive Behavior, 22, 1–15. Scheithauer, H. (2016). Implementationsbarrieren und andere zu beachtende Aspekte bei der flächendeckenden Umsetzung wirksamkeitsevaluierter und qualitätsgesicherter (Gewalt)Präventionsprogramme. In W. Kahl & Deutsches Forum für Kriminalprävention (Hrsg.), Entwicklungsförderung & Gewaltprävention – Aktuelle Beiträge aus Wissenschaft und Praxis 2015/2016 (S. 67–78). Bonn: Deutsche Forum für Kriminalprävention. Scheithauer, H., Braun, V., König, L., Bruckmann, L., & Warncke, S. (2018). Soziale Kompetenzen im Jugendalter. In B. Gniewosz & P. Titzmann (Hrsg.), Handbuch Jugend (S. 217–236). Stuttgart: Kohlhammer.

3 s. 7 www.grueneliste-praevention.de.

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H. Scheithauer et al.

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Wie kann Mobbingnach­ sorge gestaltet werden? Selina Ronja Keppeler

13.1 Warum ist Mobbingnachsorge wichtig? – 238 13.2 Welche Programme zur Mobbingnachsorge gibt es? – 239 13.3 Auf welchen Ebenen kann Mobbingnachsorge erfolgen? – 241 Literatur – 254

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_13

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In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits dargestellt, welche kurz- aber auch langfristigen Folgen Mobbing für Opfer und Täter nach sich ziehen können. Die Einführung effektiver Präventions- und Interventionsprogramme ist daher essenziell, um Mobbing vorzubeugen und zu beenden. Dennoch bleibt die Frage offen, welche konkrete Nachsorge Betroffenen während und nach Mobbingvorfällen zukommen sollte. Im Folgenden wird daher darauf eingegangen warum Mobbingnachsorge für die Beteiligten wichtig ist und wie sie auf verschiedenen Ebenen gestaltet werden kann. In manchen Bereichen sind dabei die Grenzen zwischen Intervention, Prävention und Nachsorge fließend. Eine strikte Trennung erscheint nicht zielführend, da eine Kombination verschiedener Maßnahmen für eine umfassende Nachsorge zu empfehlen ist. 13.1  Warum ist Mobbingnachsorge wichtig?

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Der aktuellen PISA Studie von 2015 zufolge stellt Mobbing immer noch ein alarmierendes Problem in den teilnehmenden Ländern dar und beeinträchtigt das Wohlbefinden vieler Schüler (OECD 2017). Während 4 % der Schüler von erlebten physischen Gewalthandlungen berichten, fühlen sich ganze 11 % der befragten Schüler mindestens einmal im Monat mit verbalem Mobbing konfrontiert (OECD 2017). In Deutschland kam es durch Gewaltprävention zwar zu einem Rückgang von Mobbing, dennoch sehen sich im deutschsprachigen Raum immer noch zwischen 6,1–7,9 % aller Schüler regelmäßig Mobbing ausgesetzt (Melzer et al. 2012; OECD 2017). Da das Thema „Mobbing“ in den vergangenen Jahrzehnten mehr in das Interesse der Gesellschaft gerückt ist, wurden eine Vielzahl wichtiger Präventions- und Interventionsprogrammen entwickelt, die Mobbing vorbeugen und unterbinden sollen (Smith et al. 2003). Obwohl einige Programme zu einem Rückgang von Mobbing führen, finden sich in Metastudien eher gemischte Ergebnisse zur Wirksamkeit verschiedenster Interventionen und offenbaren deutliche Schwachpunkte (Vreeman und Carroll 2007; Smith et al 2003). Einer Längsschnittstudie zufolge zeigen sich Mobbingrollen zudem als relativ stabil über einen Zeitraum von acht Jahren. Zwar nimmt das Mobbingverhalten grundsätzlich über die Jahre hinweg ab, Täter bleiben im Biografieverlauf aber Täter und Opfer Opfer (Sourander et al. 2000). Daraus folgt, dass junge Menschen oftmals auch über Jahre Belastungen durch Mobbing ausgesetzt sind. Ergänzend zu Präventions- und Interventionsprogrammen zur Reduktion von Mobbing, sollten daher Programme der Mobbingnachsorge ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, um den psychischen Belastungen Betroffener angemessen zu begegnen. Wie bereits in vorhergegangenen Kapiteln dargestellt, sind sowohl Opfer als auch Täter bestimmten Folgen von Mobbing ausgesetzt. Während Opfer und Täter gleichermaßen an psychosomatischen Problemen leiden, bestehen Zusammenhänge besonders zwischen Mobbingopfern und niedrigem Selbstwert, späteren Depressionen, Schwierigkeiten in intimen Beziehungen und Gefühle der Unsicherheit in der Schule (Gini und Pozzoli 2009; Olweus 1993; Glew et al. 2005). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Mobbing tiefe Spuren bei Beteiligten zurücklässt. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich deshalb mit einem bisher wenig beachteten Aspekt: Die Nachsorge nach Mobbing. Diesem Thema muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, um aktuelles Leid und langfristige Folgen zu mindern und die Betroffenen nach einem Vorfall „auffangen“ zu können.

239 Wie kann Mobbingnach­sorge gestaltet werden?

13.2  Welche Programme zur Mobbingnachsorge gibt es?

Während in Deutschland kaum Programme zur Mobbingnachsorge bekannt sind, wurden in Nordamerika bereits eine Vielzahl entwickelt, welche Kinder dazu befähigen sollen einen guten Umgang mit Mobbing zu erlernen (Fox und Boulton 2003b). Einen Überblick geben die Autoren Fox und Boulton (2003a) in einem Artikel: 5 5 5 5 5 5

The Kellerman Programme (Kellerman 1981) The Ross Teasing Programme (Ross und Ross 1984) The Smith Programme (Smith 1986) The Phillips Programme (Phillips 1989) The Assertiveness Training Programme (ATP; Sharp et al. 1994) Social Skills Training for victims of bullying (SST; Fox und Boulton 2003a)

Diese Programme basieren auf Studienergebnissen, die folgenden Zusammenhang zeigen: In der Wahrnehmung von Gleichaltrigen, Lehrern und Opfern trägt das Verhalten des Mobbingopfers dazu bei, Opfer zu werden (Hodges und Perry 1999; Fox und Boulton 2005). Dies soll dem Opfer in keiner Weise Schuld zusprechen, denn es ist das aggressive Verhalten, das inakzeptabel ist und im Mittelpunkt der Bemühungen von Intervention und Prävention stehen sollte (Fox und Boulton 2005). Dennoch kann in diesen Erkenntnissen der vielversprechende Ansatz gesehen werden, dass durch positive Veränderungen im Verhalten Mobbingbetroffener das Risiko reduziert werden könnte selbst Mobbingopfer zu werden (Fox und Boulton 2003b). Die entwickelten Programme zielen daher auf den Aufbau von Verhaltensweisen bei Opfern von Mobbing ab, um sich in konkreten Mobbingsituationen dem Täter gegenüber zur Wehr setzen zu können (Fox und Boulton 2003a). Die im Kasten aufgeführten Programme weisen neben individuellen Stärken und Schwächen jedoch teilweise schwere methodische Mängel im Programmdesign auf, wie beispielsweise das Fehlen einer Kontrollgruppe, was eine gute Evaluation erheblich erschwert. Dementsprechend liegen nur wenige Studien zur Wirksamkeit vor, weshalb die meisten Programme nur eingeschränkt empfohlen werden können (Fox und Boulton 2003a). Eine Ausnahme stellt das „Social Skills Training for victims of bullying“ (SST; Fox und Boulton 2003a) dar, welches aufgrund des Missstands bezüglich methodisch gut evaluierter Nachsorgeprogramme für Mobbingopfer entwickelt wurde und im Folgenden kurz skizziert wird. Das SST kann mit zwei Trainern sowohl in Kleingruppen, als auch innerhalb der ganzen Klasse durchgeführt werden, um Stigmatisierung zu vermeiden. In wöchentlich stattfindenden einstündigen Trainingseinheiten über acht Wochen hinweg, werden den Betroffenen verbale und non-verbale Strategien vermittelt, die ihnen helfen mit Mobbing umzugehen. Es wird des Weiteren Verhalten reduziert, welches anderen signalisieren könnte ein „leichtes Ziel“ zu sein (z. B. ängstlich aussehen) und welches den Täter in seinem Mobbingverhalten verstärken kann (z. B. weinen). Ein weiterer Schwerpunkt des Programms liegt auf dem gezielten Aufbau sozialer Kompetenzen, die Mobbingbetroffenen helfen sollen zu einem geschätzten Mitglied einer Gruppe zu werden. Daher werden Teilnehmer darin geschult, wie Unterhaltungen initiiert und aufrechterhalten werden, wie an Spielen mit anderen teilgenommen werden kann und wie Komplimente

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gemacht und Dinge mit anderen geteilt werden können. Innerhalb des Trainings werden dabei die unterschiedlichen Techniken Modell-Rollenspiele, Rollenspiele, Feedback, Verstärkung und Techniken zur Förderung von Generalisierung eingesetzt, um Kompetenzen bei den Teilnehmern aufzubauen und zu festigen. Übungen zur Verbesserung des Selbstwertgefühls, Hinterfragung negativer Gedanken, Vermittlung sozialen Problemlösens und Entspannungsfertigkeiten sind ebenfalls Teil des Trainings. Über Modell-Rollenspiele der Trainer erlernen die Teilnehmer das erwünschte Verhalten und üben es selbst im geschützten Rahmen in Rollenspielen ein. Durch Feedback, bestehend aus Ratschlägen zur Verbesserung oder Lob bei erfolgreichem Verhalten als verstärkendes Element, wird dabei Verhalten weiterentwickelt und gefestigt. Für die detailliertere Einsicht in den Aufbau und Ablauf des Trainings kann der betreffende Artikel, welcher das Programm vorstellt, eingesehen werden (Fox und Boulton 2003a). Das SST enthält damit viele Kernelemente klassischer sozialer Kompetenztrainings und macht deutlich, dass es sich bei diesem expliziten Nachsorge Programm für Mobbingopfer auch um ein Interventions- und Präventionsprogramm handelt. Der Aufbau sozialer Kompetenzen soll Mobbingbetroffene darin unterstützen, selbst kompetent mit Mobbingsituationen umgehen zu können, damit das aktuelle Mobbing beendet und zukünftiges Mobbing verhindert wird. Die Befähigung eines Mobbingopfers dazu, sozial kompetent handeln zu können, sollte jedoch nicht der alleinige Ansatz von Nachsorge sein, weshalb im weiteren Verlauf des Kapitels auf zusätzliche Maßnahmen eingegangen wird, wie und auf welchen Ebenen sich Mobbingnachsorge außerdem gestalten lässt. In der Evaluation des SST durch die Autoren Fox und Boulton (2003b) konnte demonstriert werden, dass es bei Teilnehmern des Programms im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einem signifikanten und über drei Monate hinweg stabil bleibenden Anstieg des Selbstwertgefühls kam. Andere untersuchte Variablen wie Depression, Angst oder Anzahl von Freunden konnten lediglich positive Trends zeigen, die jedoch keine statistische Signifikanz aufwiesen. Überraschenderweise konnten keine positiven Trends für soziale Kompetenzprobleme gefunden werden, vielmehr verschlechterten sich diese vom Zeitpunkt direkt nach der Intervention bis zur abschließenden Befragung drei Monate später. Egan und Perry (1998) vermuten auf Grundlage ihrer Studie, dass ein hoher Selbstwert davor schützen könnte, Opfer von Mobbing zu werden. Demnach kann das SST als wirksame Intervention gesehen werden, um den Selbstwert zu erhöhen und darüber das Risiko Mobbingopfer zu werden reduzieren (Fox und Boulton 2003b). Die Autoren des Programms schlagen jedoch aufgrund der begrenzten Wirksamkeit vor, den Interventionsfokus mehr auf störende Gedanken und Emotionen und individuelle Bedürfnisse der Mobbingopfer zu legen. Da ein standardisiertes Programm, welches für Gruppen konzipiert wurde dies kaum leisten kann, wird an späterer Stelle auch auf individuelle Nachsorge-Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen eingegangen. Wie bereits dargestellt, weisen vorangegangene Programme Mängel in ihrer Evaluation oder Wirksamkeit auf, wie beispielsweise das SST, welches darauf abzielt soziale Kompetenzen aufzubauen, jedoch lediglich den Selbstwert zu verbessern scheint (Fox und Boulton 2003b). Dennoch zeigen Mobbingopfer nicht nur Selbstwertproblematiken, sondern weisen auch Defizite in bestimmten Bereichen sozialer Kompetenz auf. Wenn Mobbingnachsorge auch als Möglichkeit verstanden wird, Betroffenen wieder Sicherheit und Vertrauen in ihr eigenes Verhalten zurück zu geben, scheinen soziale Kompetenztrainings daher prinzipiell einen guten Ansatz zur Nachsorge darzustellen (Olweus 1993; Fox und Boulton 2005). Im deutschsprachigen Raum wurden soziale Kompetenztrainings nicht explizit zur Mobbingnachsorge konzipiert, könnten aber aufgrund ihrer empirischen

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Wirksamkeit zur Anwendung kommen. Eine Auswahl an etablierten Trainings wird im Folgenden dargestellt: 5 Das Assertiveness-Training-Programm (ATP; Ullrich de Muynck und Ullrich 2002) 5 Sozialtraining in der Schule (Petermann et al. 2012) 5 Gruppentraining sozialer Kompetenzen für Kinder und Jugendliche (GSK-KJ; Jürgens und Lübben 2014) 5 Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK; Hinsch und Pfingsten 2015) 5 Training sozialer Kompetenzen (TSK; Güroff 2017)

Diese Empfehlungen richten sich an Opfer von Mobbing. Denn das Bild des typischen „Mobbers“ als weniger intelligenten Menschen, welchem lediglich die sozialen Kompetenzen fehlen, andere Mittel als Gewalt anzuwenden, um Interessen durchzusetzen, scheint laut Sutton et al. (2001) nicht akkurat zu sein. Mobbing stellt zwar ein antisoziales Verhalten dar, spielt sich jedoch in einem sozialen Kontext ab da die meisten Täter dadurch ihre Macht vor anderen demonstrieren wollen. Die Autoren betonen, dass Mobbing weitestgehend auf der Fähigkeit beruht, sich in andere hineinversetzen und diese manipulieren zu können. Auch Mobbingformen wie soziale Ausgrenzung und das Verbreiten von Gerüchten setzen diese Fähigkeiten voraus, die Bereichen sozialer Kompetenz zugeordnet werden können. Da jedoch eher kalkulierende, „kühle“ Täter über ein hohes Maß an Wissen sozialer Kompetenzen verfügen, im Gegensatz zu hitzköpfigen, impulsiven Tätern, erwägen Sutton und Kollegen, dass eventuell eine Unterscheidung zwischen diesen Tätertypen notwendig sei. Während bei Letztgenannten der Einsatz von sozialen Kompetenztrainings sinnvoll sein könnte, liefe man bei den kalkulierenden Tätern Gefahr sie durch das Training darin zu unterstützen ihr Wissen zu sozialen Kompetenzen zum Nachteil von Mobbingopfern einzusetzen (Sutton et al. 2001). Diese Überlegungen sollten bei der Auswahl eines sozialen Kompetenztrainings für Täter unbedingt berücksichtigt werden. 13.3  Auf welchen Ebenen kann Mobbingnachsorge erfolgen?

Soziale Kompetenztrainings setzen an Defiziten im Verhalten bei Opfern und Tätern von Mobbing an. Während lediglich eines der Programme explizit für Mobbingopfer konzipiert wurde, können andere soziale Kompetenztrainings nur eingeschränkt für die Nachsorge empfohlen werden, da bislang keine Studien zur Wirksamkeit bezüglich der expliziten Mobbingproblematik bekannt sind. Die sozialen Kompetenzen Mobbingbeteiligter zu stärken stellt einen wichtigen Ansatz dar, der jedoch die verschiedenen Bedürfnisse Betroffener nicht gänzlich abdecken kann. Neben möglichen sozialen Kompetenzdefiziten sollten auch innere emotionale Vorgänge, das Klassen- oder auch Schulklima im Blick bei der Mobbingnachsorge bleiben. Whitted und Dupper (2005) sprechen sich für Ansätze aus, die Interventionen auf Schul-, Klassen- und Schülerebene kombinieren, um Mobbing zu verhindern oder zu minimieren. Dementsprechend könnte es sinnvoll sein, Nachsorge für Mobbingbetroffene ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen zu gewährleisten. Im Folgenden werden daher die verschiedenen Ebenen vorgestellt auf welchen Nachsorge erfolgen kann und wie sie

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sich jeweils gestalten lässt. Im Idealfall kann so ein interdisziplinäres Netzwerk für die Betroffenen geschaffen werden, um diese nach Mobbingvorfällen angemessen „aufzufangen“. Die folgenden Maßnahmen wurden auf Grundlage von Literaturrecherchen anhand der Anwendung in der Praxis und deren empirischen Wirksamkeitsnachweisen zusammengestellt, erfüllen jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 13.3.1  Individualebene

Auf der Individualebene steht das Opfer oder der Täter eines Mobbinggeschehens im Vordergrund. Wie bereits dargestellt, leiden Mobbingopfer, als auch -täter unter einer Vielzahl an negativen psychischen Folgen, die das Leben Betroffener auch langfristig ungünstig beeinflussen kann. Bei Ansätzen auf der Individualebene werden daher insbesondere durch Mobbing ausgelöste belastende innere Vorgänge und eventuelle Kompetenzdefizite fokussiert. Ziel der Maßnahmen auf dieser Ebene ist die psychische Nachsorge und die Befähigung der Mobbingbeteiligten zu einem kompetenten Umgang mit Mobbingproblematiken. Dabei können folgende Maßnahmen eingesetzt werden: 5 Täter-Opfer-Ausgleich 5 Verhaltenstherapeutische Einzel- und Gruppentherapie 5 Verhaltenstherapeutische lösungsorientierte Kurzzeittherapie im Schulkontext 5 Soziale Kompetenztrainings

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Ein Täter-Opfer-Ausgleich (TOA; gem. § 46 a StGB, Schadenswiedergutmachung; Fischer 2018) kann im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung eines schwerwiegenden Mobbingvorfalls angestrebt werden. Dieser stellt ein Verfahren dar, dessen Ziel es ist die Tat zwischen Opfer und Täter gemeinsam aufzuarbeiten und sich auf einen außergerichtlichen Schadensausgleich zu einigen (Täter-Opfer-Ausgleich 2018). Häufig stellt der Vermittler einen Mitarbeiter der Gerichtshilfe oder einer Konfliktschlichtungsstelle dar, der den TOA durchführt. Angeregt kann dieser nur werden, sofern das Opfer mit dem Verfahren einverstanden ist. Innerhalb von Gesprächen zwischen den drei Parteien Vermittler, Geschädigter und Schädiger werden die vorliegenden Probleme bearbeitet, um die Beratung und Schlichtung des Konflikts und die Vereinbarung einer Wiedergutmachung zu erzielen. Die vereinbarte Wiedergutmachung kann dabei individuell variieren und beispielsweise eine Entschuldigung, Schadenersatz oder eine gemeinsame Aktivität von Schädiger und Geschädigtem darstellen. Während bei Gerichtsverhandlungen der Täter im Vordergrund steht, ist beim TOA in besonderer Weise das Opfer im Mittelpunkt und kann sich selbst ausdrücken und verbalisieren, was für eine Entschädigung erwartet wird (Täter-Opfer-Ausgleich 2018). Das Gericht entscheidet aufgrund der Täterbemühungen abschließend, ob von der Strafe abgesehen wird oder diese zumindest strafmildernd berücksichtigt werden (Fischer 2011). Durch die Möglichkeit, einerseits Ansprüche auf formale Wiedergutmachung stellen zu können und andererseits den Vorfall emotional mit dem Täter gemeinsam zu bearbeiten, kann ein heilsamer Ansatz der Mobbingnachsorge für schwer Betroffene darstellen, auch wenn aktuell zur Zufriedenheit mit der Maßnahme keine Zahlen verfügbar sind (­Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur Saarland 2009). Für die Durchführung von verhaltenstherapeutischer Einzel- oder Gruppentherapie bei Patienten mit Mobbingproblematik liegen im Kontext von Mobbing am Arbeitsplatz Vorgehensweisen zu Therapie und eine Evaluation zur Wirksamkeit vor

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(Schwickerath 2001). Der Autor entwickelte das Vorgehen ursprünglich im Rahmen stationärer Behandlung an einer Psychosomatischen Klinik, die sich jedoch auch in der ambulanten Einzel- und Gruppentherapie anwenden lässt. Bei der Konzeptualisierung der Therapie stand der Mobbingkontext Arbeitsplatz im Vordergrund. Bei schwerwiegenden Mobbingfällen in der Schule, welche eine therapeutische Behandlung erfordern, kann die grundlegende Vorgehensweise vermutlich jedoch auf die Problematik übertragen werden. Im Folgenden wird der Therapieablauf anhand Schwickeraths Artikel (2001) ­skizziert. Vor Behandlungsbeginn sollte stets individuell entschieden werden, ob eine verhaltenstherapeutische Behandlung erwünscht ist und die Eigenmotivation geklärt werden. Der Ablauf sieht die Analyse und Bearbeitung externer Anteile der Mobbingproblematik vor, die Analyse der Beziehung zum Mobber, der Eigenschaften und Handlungsimpulse des Mobbingtäters und schließlich die Analyse und Bearbeitung der Eigenanteile. Neben dem Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, werden Informationen zu Mobbingsituationen vermittelt und ein individuelles, nachvollziehbares Modell der Situation mitsamt möglichen körperlichen Symptomen entwickelt. Innerhalb einer Verhaltens- und Bedingungsanalyse wird versucht das Verhalten des Mobbingtäters bezüglich seiner inneren Vorgänge zu analysieren, was neue Erkenntnisse, aber auch gewünschte Distanz zum Vorfall schaffen kann. Genauso werden Anteile des Mobbingopfers analysiert, persönliche Ressourcen identifiziert und therapeutische Ansatzpunkte entwickelt. Wenn ein für die betroffene Person plausibles Modell zur Mobbingproblematik entwickelt wurde, können konkrete Therapieziele erarbeitet ­werden, wofür auch die grundsätzliche Entscheidung getroffen werden muss, ob die Person nach einem schweren Mobbingfall an den Arbeitsplatz, respektive in die Klasse, zurückkehren sollte oder nicht. Im weiteren Therapieverlauf werden Elemente auf der Verhaltensebene (z. B. durch Rollenspiele), kognitiven Ebene (z. B. durch kognitive Umstrukturierung), emotionalen Ebene (z. B. durch Ärgerbewältigung) und der physiologischen Ebene (z. B. durch Entspannungsverfahren) eingesetzt, um Bewältigungsstrategien zu entwickeln und das Selbstwertgefühl aufzubauen. Dieses Vorgehen in der Einzeltherapie kann weitestgehend auf Gruppentherapien übertragen werden. Im Gruppensetting können Patienten in besonderer Weise davon profitieren, dass sie sich durch ähnliche Erfahrungen anderer verstanden fühlen, in diesem Umfeld soziale Unterstützung erfahren, die in der Mobbingsituation fehlt und durch gemeinsame Bearbeitung der Problematik das bessere Verständnis dieser und ihre Veränderung fördern. Die Evaluation des therapeutischen Vorgehens zeigt „u. a. signifikante Veränderungen im Erleben und Verhalten, eine signifikante Reduktion der grundsätzlichen psychischen Belastung und v. a. der depressiven Symptomatik“ (Schwickerath und Kneip 2001; zitiert nach Schwickerath 2001, S. 212). Demnach scheint die verhaltenstherapeutische Therapie in der Mobbingnachsorge für alle Mobbingbeteiligten eine tragende Rolle spielen zu können, um psychische Belastungen zu reduzieren. Die Lösungsorientierte Kurzzeittherapie hat sich in einer Studie von Young und Holdorf (2003) als wirksam gezeigt bei der Behandlung von Opfern von Mobbing im Schulkontext. Die Autoren stellen dabei das detaillierte Vorgehen innerhalb einer Sitzung vor, welches in ihrem dazu veröffentlichten Artikel eingesehen werden kann. Diese Therapieform aus der Verhaltenstherapie zeichnet sich in besonderer Weise dadurch aus, dass in der Behandlung weniger auf das Problem und mehr auf die Lösung dessen fokussiert wird. Sie beruht auf der Annahme, dass persönliche Ideen und Strategien des

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Betroffenen die wirksamsten sind zur Lösung der Problematik. Auf Ratschläge seitens des Therapeuten wird weitestgehend verzichtet und der Therapeut nimmt eine unterstützende, optimistische und neugierige Haltung des „Nicht-Wissens“ ein. Der Ablauf dieser Therapieform sieht vor, dass das Gespräch nicht mit der Frage nach dem Problem eröffnet wird, sondern mit Fragen nach Kompetenzen und Fähigkeiten, um den Selbstwert des Schülers zu stärken. Ein weiterer Kernpunkt sind Skalierungsfragen, die den aktuellen Zustand und den gewünschten Zielzustand erfragen, wodurch über mehrere Sitzungen auch der Fortschritt des Schülers gut visualisiert werden kann. Hier soll der Betroffene sein Wohlbefinden in Zahlen auf einer Skala einordnen. Wenn dabei keine Einordnung auf der untersten Zahl erfolgt, können zusätzlich Ressourcen des Opfers aktiviert werden, indem der Therapeut diese hohe Position anerkennt und ausführlich Gründe dafür erfragt. Dies signalisiert, dass der Schüler bereits über Strategien verfügt mit der Situation umzugehen und stellt eine Möglichkeit dar, das Selbstwertgefühl zu stärken. Auch die Erfragung des Zielzustands schenkt Zuversicht, dass in Zukunft sich die Situation verbessern wird. Eine weitere Technik ist das Fragen nach Ausnahmen, bei denen berichtet werden soll, was im Alltag anders ist, wenn die Mobbingproblematik nicht da ist. Auch dies offenbart dem Betroffenen weitere Strategien und Ressourcen. Des Weiteren wird oftmals die „Wunderfrage“ eingesetzt. Diese erfragt sehr detailliert, woran im Alltag bemerkt wird, dass ein Wunder über Nacht geschehen ist und das Problem verschwunden ist. Durch die Antworten des Schülers können so eigene Lösungsstrategien entdeckt werden. Der Einsatz von Komplimenten zu berichteten Handlungen schätzen bisher unternommene Anstrengungen des Opfers wert und stärken das Kontrollerleben. Zudem können Vorschläge vom Therapeuten formuliert werden, die in der kommenden Woche vom Schüler ausprobiert werden sollen. Die Vorschläge sollten sich dabei an Elementen orientieren, die vom Betroffenen selbst ins Gespräch eingebracht wurden. Abschließend legt das Opfer fest, wann es sich für eine weitere Sitzung treffen möchte. In einer Evaluation der Behandlung nach Mobbing nahmen ca. 22 % der Mobbingopfer lediglich eine Sitzung in Anspruch, um die erlebte Mobbingproblematik zu bearbeiten, was als Hinweis auf die Wirksamkeit der Intervention verstanden werden kann (Young und Holdorf 2003). Insgesamt wurden durchschnittlich 2,8 Sitzungen in Anspruch genommen. Von den verbliebenen Schülern, die mehrere Sitzungen in Anspruch nahmen schlossen 92 % die Therapie mit dem Gefühl ab, zufrieden mit der Verbesserung ihrer Situation zu sein und ausreichend Unterstützung erlebt zu haben. (Young und Holdorf 2003). Diese Schüler nahmen durchschnittlich 3,4 Sitzungen in Anspruch. Die Autoren empfehlen die lösungsorientierte Kurzzeittherapie daher aufgrund ihrer Effektivität, der Vermeidung von Abhängigkeit, ihrer kurzen Dauer und ihrer Langzeit-Wirkung, die mit anderen therapeutischen Ansätzen vergleichbar ist (George et al. 1999). Da diese Therapieform zu einer subjektiven Verbesserung der Situation von Mobbingbetroffenen führt, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich positiv auf psychische Belastungen auswirkt und für Opfer von Mobbing zur Nachsorge empfehlenswert ist. Ein bereits dargestellter Ansatz stellen soziale Kompetenztrainings dar, die ebenfalls am Individuum, jedoch an den sozialen Kompetenzdefiziten ansetzen. Je nach individuellem Problembereich des Mobbingbeteiligten sollte ein entsprechendes Programm ausgewählt werden.

245 Wie kann Mobbingnach­sorge gestaltet werden?

13.3.2  Familienebene

Die Familienebene betrifft Interventionen, die mit der ganzen Familie Mobbingbeteiligter durchgeführt werden. Die soziale Unterstützung durch Eltern beeinflusst das Wohlbefinden von Kindern positiv und sie sind glücklicher, berichten über mehr Lebenszufriedenheit und weniger psychischen Stress (Amato 1994). Darüber hinaus konnte eine Studie zeigen, dass liebevolle Eltern zudem Stress und Schmerz ihrer Kinder reduzieren können, die Opfer von Mobbing geworden sind (Rivara und Le Menestrel 2016; zitiert nach OECD 2017 S. 147.). Eine weitere Studie konnte zeigen, dass Unterstützung durch Eltern bei allen Mobbingbeteiligten mit weniger berichteten depressiven Symptomen zusammenhängt (Conners-Burrow et al. 2009). Zudem sind Kinder, die keine Unterstützung bei Schwierigkeiten in der Schule durch ihre Eltern erfahren häufiger Opfer von Mobbing, als Kinder, die viel Unterstützung erfahren (OECD 2017). Dass auch Mobbingtäter von einem unterstützenden Familienklima profitieren, zeigt eine Studie von Gorman-Smith et al. (2004): Jugendliche mit guten Beziehungen zu ihren Familien werden weniger gewalttätig, als gleichermaßen gewaltausgesetzte Jugendliche ohne gute Familienbeziehungen. Diese Studienergebnisse machen deutlich, dass stabile Beziehungen in der Familie und Unterstützung liebevoller Eltern mit weniger Leiden Mobbingbeteiligter zusammenhängt. Gerade auch Eltern, die sich hilflos fühlen wenn ihr Kind unter Mobbing in der Schule leidet, können daher ermutigt werden, dass sich depressive Symptome reduzieren lassen durch Zuhören, Ratschläge Geben, Hilfe Probleme zu lösen und dem Signalisieren, dass man sich um das Kind sorgt und kümmert (Connors-Burrow et al. 2009). Darüber hinaus können für die Mobbingnachsorge auch Ansätze auf der Familienebene vielversprechend sein, die Beziehungen stärken und die Unterstützung durch Eltern fördern. Bisher hat sich vor allem die Brief Strategic Family Therapy (BSFT; Szapocznik et al. 1978) aus der strukturell-strategischen Familien-Systemtherapie (Minuchin 1974) als wirksame Maßnahme erwiesen. Für die BSFT liegen bisher lediglich Studien zur Wirksamkeit bezüglich Mobbingtäter vor, weshalb sie an dieser Stelle vorerst nur für diese empfohlen wird. In Anbetracht dessen, dass auch Mobbingopfer von Unterstützung ihrer Eltern profitieren können (Amato 1994; Rivara und Le Menestrel 2016; zitiert nach OECD 2017 S. 147; Conners-Burrow et al. 2009), stellt diese Intervention auch einen vielversprechenden Ansatz für diese dar, ­dessen Wirksamkeit in weiteren Studien untersucht werden sollte. Die Brief Strategic Family Therapy (BSFT) stellt einen systemischen Ansatz dar, der die Familie als Gesamtorganismus sieht und im Folgenden auf Grundlage eines Artikels von Horigian et al. (2008) näher dargestellt wird. Familie wird in der BSFT als System verstanden mit in Wechselbeziehung stehenden Mitgliedern. Verhaltensweisen beeinflussen sich und das System gegenseitig und können nur durch die Untersuchung des Kontextes der Familie verstanden werden. Um die voneinander abhängigen familiären Beziehungen berücksichtigen zu können müssen daher Interventionen auf der Ebene Familie ansetzen. Die BSFT ist eine prozess-, problem- und beziehungsorientierte Intervention, die innerhalb kurzer Zeit effektiv Symptome beenden soll und für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 17 Jahren konzipiert wurde. Der Schwerpunkt der Therapie liegt darauf, wiederkehrende fehlangepasste Interaktionsmuster zu identifizieren, zu verändern und konstruktive Interaktionsmuster innerhalb des Systems Familie aufzubauen. Dabei können inhaltliche Themen von Familienmitgliedern eingebracht werden, die dazu genutzt werden Beziehungen zu stärken und den Therapieprozess zu

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fördern, nicht jedoch für die Ableitung individueller Interventionen. Eine Technik der BSFT stellt „Joining“ dar. Der Therapeut soll dabei zu jedem Familienmitglied eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen und gleichzeitig ein neues System schaffen, in dem der Therapeut selbst Mitglied und Führungsperson ist, um dadurch Veränderungen in der Familie einbringen zu können. Durch eine andere Technik, die sogenannte klinische Diagnostik, werden Interaktionsmuster und Strukturen innerhalb des Systems Familie identifiziert, die Verhaltensproblematiken des Kindes ermöglichen. Diese können in einem nächsten Schritt bei der Umstrukturierung anhand eines Interventionsplans durch verschiedene weitere Techniken verändert werden. Dadurch können zukünftig effektivere Interaktionen an ihren Platz treten, die die Problematik auflösen sollen. Nickel und Kollegen (2005) untersuchten die Wirksamkeit der BSFT bei 15-­jährigen Mobbingtäterinnen und ihren Familien innerhalb wöchentlicher Sitzungen über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Während die Mädchen zu Beginn der Th ­ erapie gewalttätiges Verhalten, sexuelles Risikoverhalten, hohe Ärgerwerte und gestörte interpersonelle Beziehungsmuster zeigten, führte BSFT zu Verbesserungen in allen Bereichen. In besonderer Weise reduzierte sich das Mobbingverhalten, das Risikoverhalten und der Aggressionsausdruck. In einer weiteren Studie konnten Nickels und Kollegen (2006) ähnlich vielversprechende Ergebnisse zur Wirksamkeit von BSFT bei 14–15-jährigen Mobbingtätern gefunden werden. Unter den gleichen Interventionsbedingungen wie in der Studie von Nickel und Kollegen (2005) führte BSFT ebenfalls zu weniger Mobbingverhalten und Ärgererleben, wobei die Tendenz zur Wutkontrolle signifikant gestärkt wurde. Diese Studie zeigt daher nicht nur die Wirksamkeit der Intervention, sondern auch, dass aggressive Jugendliche erfolgreich an der BSFT teilnehmen können. Mobbingverhalten steht im Zusammenhang mit einem hohen Ärger Level und geringer elterlicher Unterstützung (Stockdale et al. 2002; Demaray und Malecki 2003). Die BSFT stärkt familiäre Beziehung, indem Interaktionsmuster funktional umstrukturiert werden und führt sowohl zu einer Reduktion des Mobbingverhalten, als auch des Ärgererlebens (Horigian et al. 2008; Nickel et al. 2005; Nickel et al. 2006). Entsprechend kann die BSFT als effektive Mobbingnachsorge für Täter betrachtet werden. 13.3.3  Klassenebene

Auch auf Klassenebene können Maßnahmen nach Mobbing zur Nachsorge sinnvoll sein. Auf der Klassenebene steht die Etablierung eines angenehmen Klassenklimas im Mittelpunkt, das durch eine Lehrperson erfolgt. Ziel der Maßnahmen ist, dass innerhalb der Klasse deutlich wird, dass Mobbing inakzeptables Verhalten darstellt. Dazu sollten gemeinsam Klassenregeln erarbeitet werden, Täter zur Verantwortung für ihr Verhalten gezogen und Präventionsmaßnahmen ergriffen werden, sodass sich Opfer wieder wohlfühlen können. Mobbing hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden von Schülern. Laut der aktuellen PISA Studie berichten 26 % der Mobbingbetroffenen von deutlich niederer Lebenszufriedenheit, verglichen mit Mobbingunbeteiligten (OECD 2017). Gleichzeitig beeinflussen Beziehungen zu Gleichaltrigen das Wohlbefinden von Jugendlichen positiv, Lebenszufriedenheit und das Sprechen und Treffen mit Freunden sind miteinander verbunden (OECD 2017). Wenig überraschend scheint daher das Ergebnis einer Studie, dass Unterstützung durch Gleichaltrige die negativen Effekte von Viktimisierung im Hinblick

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auf das Wohlbefinden abschwächen können (Flaspohler et al. 2009). Bemerkenswert ist jedoch, dass sowohl Opfer als auch Täter von Mobbing über geringeres Wohlbefinden und weniger Unterstützung durch Mitschüler berichten (Flashpoler et al. 2009). Dabei bleibt unklar, ob diese Zusammenhänge durch einen negativen Einfluss von Opfer- oder Täterschaft auf die Lebenszufriedenheit und Unterstützung durch Gleichaltrige erklärt werden können, oder vielmehr Lebenszufriedenheit und Unterstützung Schutzfaktoren darstellen Opfer oder Täter von Mobbing zu werden. Von Relevanz könnten dann entweder Präventionsprogramme zur Verhinderung des Auftretens von Mobbing sein, oder die Entwicklung von Programmen, die das Wohlbefinden und die Beziehungen innerhalb der Schule fördern sollen (Flashpoler et al. 2009). Dass Mobbingopfer Unterstützung durch Mitschüler erfahren, kann durch Maßnahmen gezielt gefördert werden, die hier in „informelle“ und „formelle“ Maßnahmen eingeteilt werden. Durch informelle Maßnahmen soll nach einem Mobbingvorfall ein angenehmes Klassenklima erzielt, ein klares Statement gegen Mobbing ausgedrückt und dadurch Rückhalt, Solidarität und Unterstützung gegenüber dem Mobbingopfer gefördert werden. Diese können von Pädagogen auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden und werden daher als informell bezeichnet. Formelle Maßnahmen zielen darauf ab dem Mobbingopfer durch eine Helfergruppe soziale Unterstützung zukommen zu lassen. Diese stellen Programme dar, die einem festgelegten Schema folgen und daher in diesem Kontext als formell bezeichnet werden. Folgende informelle Empfehlungen sind dem Notfallplan für saarländische Schulen des Ministeriums für Bildung, Familie, Frauen und Kultur Saarland entnommen, welche online eingesehen werden können (Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur Saarland 2009): Informelle Maßnahmen im Überblick 5 5 5 5 5

Mobbingverhalten ablehnen Mobbingverhalten sanktionieren Übernahme der Verantwortung durch Mobbingtäter fördern Vorschläge zur Wiedergutmachung entwickeln lassen Präventionsmaßnahmen einleiten

Innerhalb der Klasse sollte vermittelt werden, dass Mobbingverhalten ­grundsätzlich abzulehnen ist. Dies kann auch im Rahmen von Klassenregeln etabliert werden, die

gemeinsam mit den Schülern erarbeiten werden können. Den Mobbingbeteiligten sollte bewusst gemacht werden, dass Mobbing zu verurteilen ist und in der Klasse nicht geduldet wird. Dadurch kann dem Mobbingopfer Legitimität für psychisch erfahrene Belastungen zugesprochen werden und die Basis für einen Gerechtigkeitsausgleich gelegt werden. Darüber hinaus kann gegebenenfalls in Betracht gezogen werden Mobbingverhalten zu sanktionieren. Durch Sanktionen wird die Wertung von Mobbing als Regelverstoß bekräftigt und kann den Tätern die „Kosten“ ihres Verhaltens verdeutlichen. In einer Studie, die sich mit Mobbing am Arbeitsplatz beschäftigt wurde zudem gezeigt, dass Mitarbeiter Sanktionen gegenüber Mobbingtätern als geeignete Reaktion auf Mobbingverhalten ansehen (Howard et al. 2015). Auf den Kontext Schule übertragen könnte

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die Akzeptanz für Sanktionen dem Mobber gegenüber daher ebenfalls hoch sein. Angemessene Sanktionen können auch gemeinsam mit der Klasse vereinbart werden. Des Weiteren wird empfohlen die Übernahme der Verantwortung durch Mobbingtäter zu fördern. Dies kann auf verschiedene Weisen erfolgen, dabei sollte jedoch beachtet werden, dass Täter sich grundsätzlich vor der gleichen Gruppe entschuldigen sollten, vor der das Mobbingverhalten auch gezeigt wurde. Eine Möglichkeit zur Verantwortungsübernahme, die ohne Schulzuweisung auskommt ist der „No Blame Approach“ (Maines und Robinson 1992), bei dem der Täter Teil einer Unterstützergruppe für das Opfer wird. Dadurch wird dieser in die Verantwortung genommen, dem Opfer in seiner schwierigen Situation zu unterstützen. Näheres wird zu einem späteren Zeitpunkt erläutert. Im Zuge der Entschädigung des Mobbingopfers sollte zudem angestoßen ­werden, Vorschläge zur Wiedergutmachung entwickeln zu lassen. Eine Studie zeigt, dass Mobber, die selbst Täter und Opfer sind, sich zwar ihres Fehlverhaltens bewusst sind, dieses jedoch unterdrücken, anstatt Verantwortung dafür zu übernehmen und Wiedergutmachung zu leisten. Vor dem Hintergrund, dass auch reine Täter in Mobbingproblematiken weniger Strategien der Wiedergutmachung anwenden wird deutlich, dass dies unbedingt gefördert und auch die Einhaltung von Vereinbarungen kontrolliert ­werden sollte (Morrison 2006). Eine letzte Maßnahme stellt das Einleiten von Präventionsmaßnahmen innerhalb der Klasse dar. Die Relevanz von Präventionsmaßnahmen wurde in vorherigen Kapiteln bereits verdeutlicht, verschiedene Programme und deren Wirksamkeit detailliert dargestellt und kann an dieser Stelle bei der Auswahl eines geeigneten Programms zurate gezogen werden. Formelle Maßnahmen im Überblick

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5 No Blame Approach (Maines und Robinson 1992) 5 Support Group Approach (Young 1998) 5 Peer Support Scheme

Der „No Blame Approach“ (Maines und Robinson 1992) stellt eine systematische Möglichkeit dar als „Ansatz ohne Schuldzuweisung“ Mobbing schnell und nachhaltig zu beenden, ohne auf Schuldzuweisungen oder Sanktionen zurückzugreifen. Dazu wird zuerst das Gespräch mit dem Mobbingopfer geführt, wodurch identifiziert werden soll, welche Mitschüler zur Mobbingproblematik beitragen. In einem zweiten Schritt wird das Gespräch mit der Unterstützungsgruppe gesucht, wozu insgesamt sechs bis acht Schüler bestehend aus Mobbingtäter, Mitläufer und unbeteiligter Schüler eingeladen werden. Diese Gruppe ist die Helfergruppe und das Herzstück des Ansatzes. Jedes Mitglied der Gruppe bringt ein, wie persönlich dazu beigetragen werden kann, dass es dem Mobbingbetroffenen in der Schule besser gehen kann. Nach ein bis zwei Wochen wird abschließend das Gespräch mit jedem Mitglied der Unterstützergruppe und Mobbingopfer einzeln gesucht und evaluiert, wie sich die Situation inzwischen entwickelt hat. Diese Einzelgespräche sorgen für Verbindlichkeit, nehmen in Verantwortung und verhindern nachhaltig, dass das Mobbingverhalten erneut gezeigt wird (Blum und Beck 2016). Mehrere Evaluationen konnten die Wirksamkeit des Ansatzes bestätigen (Maines und Robinson 1998). Nahezu alle evaluierten Schulen berichteten von sehr guten

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Erfolgsquoten, gemessen an der subjektiven Wahrnehmung des Erfolgs und Zufriedenheit der Beteiligten mit der Intervention. Zu beachten ist jedoch, dass aufgrund ethischer Gründe keine Kontrollgruppen ins Evaluationsdesign miteinbezogen wurden. Dennoch scheint der Ansatz für die Mobbingnachsorge empfehlenswert: die erlebte soziale Unterstützung reduziert einerseits das Risiko erneut Opfer zu werden und wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden des Mobbingbetroffenen aus (Flashpoler et al. 2009). Andererseits zeugt die hohe berichtete Zufriedenheit der Betroffenen mit dem Ansatz von weniger erlebten Leid nach Mobbing, was ein wichtiges Ziel von Nachsorge sein sollte. Der von Young 1998 entwickelte Support Group Approach basiert auf dem „No Blame Approach“ (Maines und Robinson 1992), weshalb viele Schritte im Vorgehen vergleichbar sind. Das Herzstück der Intervention stellt ebenfalls die „support group“ dar, die Unterstützergruppe. Diese besteht jedoch nicht nur aus Tätern, Mitläufern und an der Mobbingproblematik Unbeteiligten, sondern zusätzlich vom Opfer benannte Mitschüler, die unterstützend wahrgenommen werden. Die bedeutsamsten Unterschiede bestehen außerdem im Verzicht auf das stigmatisierte Wort „Mobbing“, in der Förderung von Empathie in der Unterstützergruppe, indem nach eigenen Erfahrungen zu Schwierigkeiten in der Schule gefragt wird, der Wertschätzung der Bemühungen des Mobbingopfers und dass Nachgespräche so oft stattfinden können, wie nötig und auch die Sicht der Eltern auf die Entwicklungen miteinbezogen werden. Laut einer Evaluation der Autorin Young (1998) ist der Ansatz sehr wirksam mit einer Erfolgsrate von 100 %, gemessen an der berichteten Zufriedenheit der Mobbingopfer nach der Maßnahme. Zwar benötigen manche Betroffene mehrmalige Nachgespräche, doch kamen alle abgeschlossenen Interventionen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis für das Opfer. Wenn Mobbingbetroffene von Zufriedenheit mit der Intervention sprechen, kann dies auch als Hinweis verstanden werden, dass sich die psychische Belastung durch die Maßnahme verringert hat. Neben den positiven Effekten sozialer Unterstützung stellt dies ein wünschenswertes Ergebnis dar, weshalb der Ansatz für die Mobbingnachsorge ­empfohlen werden kann. Einen anderen Ansatz stellt das „Peer Support Scheme“ dar, welches auf dem Prinzip der Unterstützung durch Gleichaltrige, sogenannte „peers“, basiert. Dabei werden Schüler auf freiwilliger Basis zu Mentoren ausgebildet, um ihre Mitschüler in verschiedenen Bereichen zu unterstützen. Die Mentoren sollen innerhalb ihrer Gruppe von Gleichaltrigen prosoziale Verhaltensweisen fördern und antisozialen Verhaltensweisen entgegenwirken, um dadurch nach und nach zur Entwicklung eines angenehmen Schulklimas beizutragen (Mannerheimin Lastensuojeluliitto 2011). Üblicherweise wird das Unterstützersystem durch einen Erwachsenen koordiniert und Trainingsinhalte vermittelt, wie dem Erlernen von Basisfertigkeiten in aktivem Zuhören, Empathie, Problemlösen und Hilfsbereitschaft. Nach abgeschlossenem Training sollen die Mentoren dazu in der Lage sein ihre Mitschüler bei Konfliktschlichtung zu unterstützen, Begleitung und Beratung anzubieten und beim Knüpfen von Freundschaften zu helfen (Naylor und Cowie 1999). Durch Mobbing ausgelöste negative Effekte können einer Studie zufolge durch diese Form der Unterstützung durch Gleichaltrige reduziert werden. Eine Reduktion von Mobbing insgesamt konnte nicht festgestellt werden. Ein möglicher Grund könnte die höhere Prozentzahl berichteter Mobbingvorfälle darstellen. Im Vergleich zu Studien ohne „Peer Support Scheme“, fühlen sich Schüler an Schulen mit dieser Form der Unterstützung eher dazu ermutigt über Mobbing zu sprechen (Naylor und Cowie 1999; Cowie et al. 2008). Obgleich innerhalb dieser Studie die Hilfe der Mentoren durch Mitschüler von nur 20 % angenommen

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wurde, berichteten 82 % der Nutzer es als hilfreich oder sehr hilfreich empfunden zu haben. Für die Mobbingbetroffenen wurden negative Mobbingeffekte vor allem in dem Sinne reduziert, dass sie durch die erfahrene Unterstützung die Stärke bekommen hätten, die Mobbingproblematik zu überwinden (Naylor und Cowie 1999). Zudem scheint das bloße Wissen Unterstützung durch Mentoren in Anspruch nehmen zu können, Schülern ein Gefühl der Sicherheit an der Schule zu geben (Cowie et al. 2008). Da im Interesse einer guten Mobbingnachsorge vor allem die Reduktion negativer Effekte Mobbings und ein Zurückgewinnen des Sicherheitsgefühls an der Schule sind, kann dieser Ansatz daher für die Nachsorge empfohlen werden. 13.3.4  Mitschülerebene

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Die Mitschülerebene ist eng mit der Klassenebene verbunden. Die Unterscheidung ergibt sich aus den unterschiedlichen Fokussen der Maßnahmen. Während auf der Klassenebene im Vordergrund steht, die Klasse als System durch gezielte Interventionen zu einem sicheren Ort für das Opfer zu gestalten, soll der Schwerpunkt auf der Mitschülerebene auf den Individuen innerhalb der Klasse liegen und ihre mögliche Rolle bei der Mobbingnachsorge dargestellt werden. Ziel der Maßnahmen ist Gleichaltrigen zu vermitteln, welche Rolle ihnen bei Mobbing zukommt und wie sie Mobbingbetroffene innerhalb der Nachsorge unterstützen können. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Mobbingmotive Macht und ein hoher Status innerhalb der Gruppe Gleichaltriger darstellen (Salmivalli 2010; Sijtsema et al. 2009). Damit wird deutlich, dass für Mobbingtäter die Anwesenheit anderer wichtig ist, die Zeugen ihres Verhaltens und Machtdemonstration sind (Salmivalli 2014). Mitschülern kommt dadurch eine wichtige Rolle innerhalb der Mobbingproblematik zu, denn sie können durch ihr Verhalten das des Täters verstärken. Ihre Reaktion auf das Mobbingverhalten des Täters stellt eine soziale Belohnung für sie dar, sofern sie keine deutliche Ablehnung ausdrücken (Salmivalli 2010; Salmivalli 2014). Dabei könnte vielen Mitschülern nicht bewusst sein, dass selbst das stille Mitverfolgen von Mobbinggeschehen als sogenannte „bystanders“ als Bestätigung vom Täter interpretiert werden kann. Mitschüler sollten daher darauf aufmerksam gemacht werden, welche wichtige Rolle ihr Verhalten beim Auftreten und Aufrechterhalten von Mobbing zukommt und wie sie dadurch beitragen können Mobbing zu beenden (Salmivalli 2014). Salmivalli (2014) schlägt dazu folgende Maßnahmen vor, welche innerhalb der Klasse durch Pädagogen vermittelt werden sollten: Schüler sollen eine Einführung zu den verschiedenen Rollen bei Mobbinggeschehen erhalten und dadurch aufgeklärt werden, dass das Verhalten jedes Einzelnen eine Auswirkung auf Mobbing haben kann. Im Zuge des Kennen Lernens dieser Rollen sollen die Schüler dazu ermutigt werden ihr eigenes Verhalten in Mobbingsituationen zu reflektieren. In einem nächsten Schritt können die Schüler auch Feedback durch Lehrperson und Mitschüler zu ihrer typischen Rolle erhalten und gemeinsam in der Klasse durch Brainstorming alternative Verhaltensweisen sammeln, wie konstruktive Reaktionen auf Mobbing aussehen sollten. Um die Motivation von Schüler zu stärken, sich in Mobbingvorfällen für das Opfer einzusetzen, sollte das empathische Verständnis für die Situation des Opfers gefördert werden. Dazu können Filme gezeigt werden, in denen frühere Mobbingopfer davon berichten, wie Mobbing ihr Leben in der Schule und bis heute noch beeinflusst. Auch

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Rollenspiele können durchgeführt werden, um sich zusätzlich in alle Rollen eines Mobbinggeschehens besser hineinversetzen zu können. Des Weiteren sollen den Schülern sichere Strategien vermittelt werden, wie Opfern geholfen werden kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Darunter werden subtile Vorgehensweisen verstanden, die das Mobbingopfer innerhalb der Klasse besser integrieren und es dadurch Unterstützung erfährt. Grundsätzlich soll den Schülern nahegelegt werden, dass das gemeinsame Ablehnen von Mobbing als Gruppe die Gruppe einflussreicher macht und ihr selbst mehr Sicherheit vor Mobbing gibt. Gemeinsam mit den Schülern können Strategien gesammelt werden, wie Mobbing als Einzelperson oder Gruppe entgegengetreten werden kann und diese dann in Übungen geprobt werden. Durch diese Maßnahmen kann sich langfristig eine wünschenswerte Struktur innerhalb der Klasse entwickeln, in der das Verteidigen und Unterstützen von Mobbingbetroffenen verstärkt und damit belohnt wird. Schulische Programme, die auf die Veränderung des Verhaltens von „bystanders“ abzielen, wurden in einer Metastudie von Polanins et al. 2012 untersucht, die ­Salmivalli (2014) in seiner Studie zusammenfassend darstellt. Demnach konnten durch die Programme durchschnittlich signifikante Veränderungen im Verhalten unbeteiligter ­ Mobbingzeugen erzielt werden, sodass es zu mehr Eingreifen bei Mobbingvorfällen kam. Dass der Ansatz der Verhaltensänderung von Gleichaltrigen eine wirksame Methode darstellt, um Mobbing zu reduzieren konnte eine andere Studie demonstrieren (Saarento et al. 2014). Demnach führt die Wahrnehmung von durch Mitschüler gezeigtes Verteidigungsverhalten bei Mobbing, zu weniger eigener Verwicklung in Mobbingverhalten. Dies liefert Evidenz dafür, dass Maßnahmen, die in Klassen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Mobbing führen, Mobbing reduzieren können. Gemeinsam mit den bereits dargestellten positiven Einflüssen sozialer Unterstützung auf Mobbingbetroffene, können auch diese Maßnahmen als Teil von Mobbingnachsorge eingesetzt werden. 13.3.5  Lehrerebene

Auf Lehrerebene können zur Nachsorge nach Mobbingvorfällen viele der oben genannten Maßnahmen durchgesetzt werden, da es zur Vermittlung von Wissen, Durchführung von Übungen und für gemeinsames Erarbeiten von Klassenregeln eine Lehrperson braucht. Neben der Etablierung eines angenehmen Klassenklimas ist es jedoch auch von Relevanz, dass bei Lehrern das Bewusstsein geweckt wird, welchen Einfluss sie auf Mobbing haben und wie sie individuell Mobbingopfer unterstützen können. Dies sollte Ziel dieser Maßnahmen sein. In einer Reihe von Studien wurde bereits der positive Einfluss von Unterstützung durch Lehrer ihren Schülern gegenüber demonstriert, wie im Folgenden näher dargestellt wird. So zeigen Schüler, die sich durch ihre Lehrer unterstützt fühlen nicht nur bessere schulische Leistungen, sondern berichten zudem von einem gesteigerten Wohlbefinden (Chen 2005; Vedder et al. 2005). Zusätzlich wirkt sich die Unterstützung des Mobbingbetroffenen durch Lehrer vor allem dann positiv auf depressive Symptome des Opfers aus, wenn es nur wenig elterliche Unterstützung Zuhause erfährt (Connors-­ Burrow et al. 2009). Dieser Zusammenhang wurde jedoch nur für Mobbingopfer gefunden, die auch selbst Mobbingverhalten zeigen, was dennoch dem Lehrkörper eine wichtige Rolle zumisst.

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Murray-Harvey und Slee (2010) unterstreichen daher, dass Lehrern bewusst gemacht werden sollte, dass die Entwicklung guter, unterstützender Beziehungen zu ihren Schülern positive Auswirkungen haben, die auch einen Einfluss auf die Reduktion von Mobbing haben können. Dadurch haben Lehrer nicht nur einen starken Einfluss auf das akademische Lernen ihrer Schüler, sondern auch auf das Leben dieser in der Schule. Das Aufbauen vertrauensvoller Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern sollte daher durch Schulungen der Lehrpersonen in Fertigkeiten des Beziehungsaufbaus gefördert werden, um ein positives Klassenklima fördern. Lehrer sollten sich über ihre Positionen bewusst werden, dass sie dazu beitragen können die Schule zu einem Ort zu machen, der soziale, emotionale, physische und spirituelle Bedürfnisse von Schülern erfüllen kann, die sie für ihr Wohlbefinden benötigen (Murray-Harvey und Slee 2010). Empfohlene Maßnahmen auf Lehrerebene können daher Fortbildungen für Lehrpersonen sein, die Relevanz ihrer Rolle und Handlungsmöglichkeiten vermitteln könnten. Dadurch könnte beim Pädagogen das Bewusstsein geweckt werden, welchen positiven Einfluss Lehrkräfte auf ihre Schüler haben können. Außerdem können Schulungen zum Beziehungsaufbau durchgeführt werden, die Lehrer dabei unterstützen können eine tragfähige und angemessene Beziehung zu ihrer Klasse aufzubauen. Zusätzlich scheint es von Bedeutung den Lehrkörper auch in ganzheitliche Interventions- und Präventionsprogrammen zu involvieren, wie es beispielsweise beim Olweus Programm geschieht (Olweus 1994). Im Rahmen der Mobbingnachsorge können daher Maßnahmen empfohlen werden, die die Unterstützung von Mobbingbetroffenen durch Lehrer stärkt. Dadurch werden besonders bei Opfern mit geringer elterlicher Unterstützung depressive Symptome reduziert und auch das allgemeine Wohlbefinden könnte gesteigert werden. Neben den bisher erwähnten programmatischen Maßnahmen können Pädagogen ihre Unterstützung Schülern gegenüber auch im Alltag ausdrücken. Vorschläge wie solch eine soziale Unterstützung gestaltet werden kann, liefern Connors-Burrow und Kollegen (2009): 5 Zuhören 5 Ratschläge anbieten 5 Beim Lösen von Problemen helfen 5 Sorge und Zuwendung signalisieren 13.3.6  Schulleitungsebene

Der Schulleitung kommt bei der Mobbingnachsorge ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Auf Schulleitungsebene können Richtlinien und Leitbilder entwickelt und implementiert werden, die für die ganze Schule geltend gemacht werden können. Dadurch kann das Schulklima dahingehend verändert werden, dass Mobbing als inakzeptables Verhalten anerkannt wird und dadurch weniger auftreten könnte. Dazu können auch klassenübergreifende Maßnahmen von der Schulleitung durchgesetzt werden wie der „No Blame Approach“ (Maines und Robinson 1992), der „Support Group Approach“ (Young 1998) oder das „Peer Support Scheme“. Ziel der Maßnahmen ist gemeinsam mit allen Schulbeteiligten ein Schulklima zu entwickeln, das Mobbing ablehnt und dadurch zu einer Reduktion von Mobbingverhalten führt. Das Gefühl von Unsicherheit in der Schule und Opfer von Mobbing zu sein, hängt eng zusammen. Schüler, die Mobbing erleben fühlen sich unsicherer in der Schule und berichten häufiger davon sich nicht zugehörig zu fühlen, als von Mobbing nicht

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betroffene Schüler (Glew et al. 2005). Darum ist es wichtig im Rahmen der Mobbingnachsorge Schülern wieder das Gefühl von Sicherheit an der eigenen Schule zu geben und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern. Murray-Harvey und Slee (2010) schlagen zur Verbesserung des Wohlbefindens von Schülern einerseits vor, den Aufbau unterstützender Beziehungen zu fördern und andererseits Stressoren zu reduzieren. Dazu müsse ein ganzheitlicher Schulansatz eingeführt werden, der Familien, Lehrkörper und Schüler miteinschließt, um das System Schule grundlegend zu verändern. Individuelle Unterstützung eines jeden einzelnen betroffenen Schülers soll dabei nicht reduziert werden, eine echte Veränderung in der Schulkultur baue jedoch auf der Unterstützung aller Schulmitglieder auf. Dem schließen sich Flashpoler und Kollegen (2009) an, wenn sie vermuten, dass Schulklimaprogramme nur dann wirksamer werden können, wenn Beziehungen zwischen Schülern und Mitarbeitern der Schule im Mittpunkt stehen. Dabei scheint der wirksamste Ansatz Schulkultur und Schulklima zu verändern um Mobbing zu reduzieren, eine umfassende Strategie auf mehreren Ebenen zu verfolgen, die an Tätern, Opfern, Unbeteiligten, sowie Familien und ganzen Gemeinden ansetzt (Whitted und Dupper 2005). Im Vordergrund von Interventionen auf Schulebene sollte daher die Kommunikation von Verhaltensnormen stehen, indem Klassen- und Schulregeln gegen Mobbing entwickelt werden und Erwachsene Vorbilder sind im respektvollen und friedlichen Umgang mit anderen (Whitted und Dupper 2005). Innerhalb einer Studie, die eine Inhaltsanalyse bezüglich an Schulen etablierten Anti-Mobbing Richtlinien durchführte, stellen die Autoren Smith und Kollegen (2012) heraus, welche Komponenten eine umfassende Richtlinie beinhalten sollte. Dabei sehen sie die vier Kategorien Definition von Mobbingverhalten, Berichterstattung und Reaktion auf Mobbingvorfälle, Schriftliches Festhalten von Mobbing, Kommunikation und Evaluation der Richtlinie und Präventionsstrategien von Mobbing vor, welche jeweils mehrere weitere

detaillierte Differenzierungen beinhalten sollten. Für die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung solcher Maßnahmen, die Schulkultur und das Schulklima verändern sollen, machen Whitted und Dupper (2005) im Folgenden Vorschläge: 1. Beurteilung der Mobbingproblematik an der Schule sollte durch Fragebögen erhoben und beurteilt werden. 2. Der Schulleiter sollte eine Führungspersönlichkeit einnehmen bei der Implementierung der Leitlinie. 3. Verwaltende Mitarbeiter sollten das Programm unterstützen und sich der langfristigen Umsetzung dessen verpflichten. 4. Anonyme Verfahren zum Melden von Problemen sollten etabliert werden. 5. Alle Bereiche der Schule sollten beaufsichtigt werden. 6. Die Richtlinie sollte von einer Gruppe aller Interessenvertretern (Eltern, Schüler, Gesundheitspersonal, Lehrer, weitere schulische Mitarbeiter) entwickelt, implementiert, aufrechterhalten und evaluiert werden. 7. Regeln für erforderliche Sanktionen sollten entwickelt und konsequent durchgesetzt werden. Zudem sollte ein Verhaltenskodex entwickelt werden mit strikten Antimobbing Regeln, die für alle Mitarbeiter, Schüler und Freiwillige gültig sind. 8. Laufendes Training sollte für alle Mitarbeiter der Schule und Eltern bereitgestellt werden, um Fertigkeiten zu entwickeln, die ein sicheres Schulumfeld schaffen und unterstützen. 9. Zusätzlich sollten regelmäßig Evaluationen durchgeführt werden.

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Durch die Implementierung eines Leitbildes und Richtlinien, die eine eindeutige Anti-Mobbing Haltung ausdrücken und das Schulklima verbessern sollen, kann so im besten Falle wieder der sichere Ort Schule für Mobbingbetroffene geschaffen werden. Die Durchsetzung solcher Maßnahmen obliegen der Schulleitung und stellen damit eine Möglichkeit auf der Schulleitungsebene dar, Mobbingnachsorge zu gestalten. Fazit Im vorliegenden Kapitel wurde die Notwendigkeit von Mobbingnachsorge demonstriert und ein Überblick über Gestaltungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen gegeben. Die Nachsorge nach Mobbing steckt im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen und scheint bislang nur wenig Interesse in der Forschung gefunden zu haben. Ohne Zweifel ist die Implementierung von Präventions- und Interventionsprogrammen notwendig, um Mobbing effektiv vorzubeugen und zu beenden. Dennoch sollte ein weiterer Fokus auf den Bedürfnissen Mobbingbeteiligter liegen, die nicht nur innerhalb des Mobbinggeschehens großes Leid erfahren, sondern auch unter langfristigen Folgen leiden können. Um dies zu vermeiden, sollten daher nicht nur mehr Programme zur Mobbingnachsorge entwickelt werden, sondern auch ihre Anwendung in der Praxis finden. Das Ziel umfassender Mobbingnachsorge sollte sein, nachhaltige und im Biografieverlauf positive Entwicklungen sowohl für Mobbingopfer, als auch -täter zu ermöglichen.

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257

Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften Exkurs zu Kapitel 13 Moritz Holz und Josef Schwickerath 14.1 Einleitung – 258 14.2 Relevanz und Behandlung – 258 14.3 Was ist Mobbing am Arbeitsplatz Schule – 260 14.4 Therapeutisches Vorgehen – 264 14.5 Fallbeispiele – 268 14.6 Evaluation – 269 14.7 Fazit und Ausblick – 270 Literatur – 271

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_14

14

258

M. Holz und J. Schwickerath

14.1  Einleitung

Mobbing steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Lehrergesundheit1 (Jäger 2013). Die Belastungen, denen Lehrkräfte heutzutage ausgesetzt sind, erscheinen mannigfaltig. Aber nicht nur schwierige Schüler, die Klassengröße und die Stundenanzahl sind belastende Faktoren. Auch das Verhalten der Eltern, das Klima im Kollegium und die Zusammenarbeit mit der Schulleitung sowie der zuständigen Aufsichtsbehörde sind problematische Bereiche, die zur erschöpfenden Beanspruchung werden können. Wenn hier Konflikte eskalieren und einzelne mehrfach und langanhaltend Ziel von abwertenden oder ausgrenzenden Attacken werden, kann von Mobbing gesprochen werden. Die gesundheitlichen Folgen sind für die Betroffenen oft verheerend und sie bedürfen nicht selten professioneller Unterstützung. In diesem Kapitel wird ein verhaltenstherapeutischer Behandlungsansatz vorgestellt, der sich in der Praxis bewährt hat (vgl. Schwickerath 2009, 2011). Dieser erklärt, wie Lehrer unter den Folgen von Mobbing leiden und erkranken, wie sie ihre Symptome zielführend bewältigen und sich aus der belastenden Situation befreien können. 14.2  Relevanz und Behandlung 14.2.1  Auswirkungen auf die Gesundheit

14

Mobbing kann zur Entwicklung von funktionellen Syndromen, chronischen Schmerzen, Herz-Kreislauferkrankungen und psychischen Störungen beitragen (Köllner und Söllner 2016). Teuschel (2010) beschreibt typische psychosomatische Symptome, die Schwickerath und Holz (2012) wie folgt auflisten: 5 Schlafstörungen 5 Grübeln 5 Reizbarkeit 5 Konzentrationsschwierigkeiten 5 Antriebsminderung 5 Rückenschmerzen 5 Kopfschmerzen 5 Hilflosigkeitserleben 5 Gedrückte Stimmung 5 Angstreaktionen 5 Somatisierungsphänomene 5 Kreislaufbeschwerden 5 usw. Zumeist zeichnet sich ein chronifizierender Verlauf ab. Der Zusammenhang zwischen psychischer Störung und der Mobbingproblematik kann jedoch nicht einfach unikausal beschrieben werden. Köllner und Söllner (2016) unterscheiden hierbei drei Möglichkeiten:

1

Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Form benutzt, Frauen sind dabei eingeschlossen.

259 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

5 Komorbides Auftreten ohne Zusammenhang 5 Psychische Störung als prädisponierender Faktor oder auslösende Bedingung. Dieser Zusammenhang erscheint nachvollziehbar für Persönlichkeitsstörungen oder blande verlaufende Psychosen. Patienten mit Angststörungen können ebenso leicht zu Betroffenen werden wie Überengagierte mit zwanghafter Persönlichkeitsstruktur oder wenig Abgrenzungsfähige oder Durchsetzungsstarke mit depressiver Erkrankung 5 Entstehung oder Verschlimmerung der psychischen Störung als Reaktion auf das Mobbing Trotz unklarer Zusammenhänge bleibt zu bemerken, dass Mobbing als psychosozialer Stress bei Betroffenen häufig zu starken Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, der körperlichen und seelischen Gesundheit führt. Nach Meschkutat et al. (2002) erkranken in Folge von Mobbing 43.9 % der Betroffenen, davon wiederum annähernd die Hälfte über eine Dauer von mehr als 6 Wochen. Am häufigsten werden depressive Verstimmungen berichtet (Schwickerath 2009). 14.2.2  Diagnostik, Therapieindikation und

Behandlungsangebote

Im Rahmen der klinischen Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-V ist Mobbing keine eigene Diagnoseeinheit. Um differentialdiagnostischen Überlegungen gerecht zu werden, sind erste Ansätze das Vergeben von Zusatzdiagnosen nach ICD 10 (Dilling et al. 2011) wie Z 56 (Probleme in Verbindung mit Berufstätigkeit und Arbeitslosigkeit) oder Z 73 (Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung). Bei durchgängiger Vergabe solcher Diagnosen könnte die Anzahl der durch Mobbingsituationen erkrankten Menschen, die Leistungen im Gesundheitswesen in Anspruch nehmen, einfacher geschätzt werden. Köllner und Söllner (2016) ziehen Mobbing als (Mit-)Ursache bei folgenden Diagnosen in Betracht: 5 Anpassungsstörungen und depressive Störungen 5 Angststörungen (v. a. Panikattacken und arbeitsplatzbezogene Ängste) 5 Somatoforme und funktionelle Störungen 5 chronische Schmerzerkrankungen 5 Schlafstörungen 5 Arterielle Hypertonie 5 Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zum Myokardinfarkt Andere (bspw. Einarsen und Mikkelsen 2003) diskutieren, ob Mobbingerleben eine Posttraumatische Belastungsstörung hervorruft oder wie hoch die Dunkelziffer an Suiziden ist, die im Zusammenhang eskalierter Arbeitsplatzkonflikte assoziiert werden müssten. Hierzu liegen jedoch keine belastbaren Zahlen vor. Zur einfachen und sicheren Erfassung von Mobbingerleben liegen folgende Fragebogen vor: 5 LIPT (Leymann Inventory of Psychological Terror; Leymann 1996) 5 TMKS (Trierer Mobbing-Kurz-Skala; Klusemann et al. 2008) 5 LWMS (The Luxembourg Workplace Mobbing Scale; Steffgen et al. 2019)

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260

M. Holz und J. Schwickerath

Mobbingbetroffene benötigen bei starker Ausprägung der oben beschriebenen Krankheitssymptomatik bzw. längeren AU-Zeiten eine Behandlung. Hierbei bleibt zu klären, ob ambulante Angebote ausreichen oder bei bereits fortgeschrittener Chronifizierung eine stationäre Maßnahme notwendig geworden ist. Die entsprechenden Voraussetzungen für eine medizinische Rehabilitation müssen dann geprüft werden (Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, positive Prognose hinsichtlich des Rehabilitationszieles). In Deutschland existieren mittlerweile einige spezialisierte Kliniken, die sich dem Thema „Mobbing“ mit einem Behandlungsangebot im Rahmen psychosomatischer Rehabilitation, ggf. mit einer arbeits- und berufsbezogenen Orientierung („MBOR“, Löffler et al. 2012) angenommen haben. Die Herausnahme aus dem krankmachenden Umfeld, die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie ergänzt um Sport, Entspannung, Ergo-, Sozio- und ggfs. Physiotherapie, stellt dabei den Kern der medizinischen Rehabilitation dar. Unabhängig vom Setting zielt jede Therapie darauf ab, die Bewältigungsfähigkeit zu fördern. Die betroffenen Menschen sollen Strategien lernen, besser mit der krankmachenden Situation am Arbeitsplatz umzugehen, sich mehr und mehr daraus befreien zu können und zu gesunden. 14.3  Was ist Mobbing am Arbeitsplatz Schule 14.3.1  Begriffsklärung

14

Begrifflich leitet sich „Mobbing“ von dem englischen Verb „to mob“ ab. Dies bedeutet so viel wie „herfallen über, sich stürzen auf, anpöbeln“. Adaptiert von der biologischen Verhaltensforschung Konrad Lorenz` übertrug Leymann (1993) den Begriff in die menschliche Arbeitswelt. Einfach formuliert bedeutet Mobbing das Schikanieren von Mitarbeitern im beruflichen Alltag über längere Zeit. Schwickerath und Holz (2012) fassen verschiedene Definitionen (vgl. Zapf 1999; Leymann 1993; Niedl 1995) wie folgt zusammen: „Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch und während längerer Zeit mit dem Ziel der Ausgrenzung direkt oder indirekt angegriffen wird.“ Mobbing ist somit nichts Zufälliges. Leymann (1993) beschreibt folgende Kategorien von Strategien: 5 Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen 5 Angriffe auf soziale Beziehungen 5 Angriffe auf das soziale Ansehen 5 Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation 5 Angriffe auf die Gesundheit Beispiele für direkte Mobbinghandlungen sind hierbei: beleidigen, beschimpfen, handgreiflich werden, anzügliche Äußerungen machen, kränken, demütigen oder diskriminieren. Indirekte Mobbinghandlungen können sein: kollegiale Hilfe vorenthalten, Anerkennung verweigern, gezielt unter- oder überfordern, Informationen vorenthalten, Kommunikation vermeiden, Gerüchte verbreiten oder jemanden ignorieren. Jäger et al. (2014) unterscheiden von dem bereits definierten „traditionellen“ Mobbing noch das Cybermobbing. Einerseits beschreiben sie hierfür gleiche Kriterien wie: 5 Ungleichgewicht der Kräfte zwischen einem stärkeren Täter und einem schwächeren Opfer 5 eine wiederholte Durchführung der Tat

261 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

5 eine Schädigungsabsicht seitens des Täters 5 eine Schädigung des Opfers sowie 5 ein Gefühl der Hilflosigkeit aufseiten des Opfers Andererseits präzisieren sie ein recht heterogenes Phänomen, für das die Täter neue Technologien nutzen (SMS, MMS, E-Mail, Handys und Smartphones, Chatrooms, Soziale Netzwerke, Diskussionsforen, Gästebücher, Instant Messaging, Video- oder Fotoplattformen oder Webseiten). Sie klassifizieren Cybermobbing nach: 5 Flaming (Beleidigungen, Beschimpfungen) 5 Harassment (Bedrohungen, Belästigungen) 5 Denigration (Verunglimpfungen) 5 Impersonation (betrügerisches Auftreten, Identitätsklau) 5 Outing & Trickery (Vertrauensbrüche) 5 Sexting (Verbreitung von Erotikinhalten) 5 Exclusion (Ausschluss) Die Auftretenshäufigkeit von Mobbing liegt nach dem Mobbingreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bei einer Quote von ca. 2,7 % der erwerbstätigen Bevölkerung (Meschkutat et al. 2002), die 12-Monatsprävalenz betrug damals 5,5 %. Jäger (2014) kommt in eigenen Untersuchungen zu einer wesentlich höheren Auftretenshäufigkeit von „traditionellem“ Mobbing unter Lehrkräften. Das Risiko beträgt demnach für männliche Lehrer 16 % und für weibliche Lehrkräfte 22 %. Insgesamt ist das Risiko, als Lehrkraft Opfer von „traditionellem“ Mobbing zu werden, mindestens um das dreizehnfache höher, als Opfer von Cybermobbing zu werden. Insgesamt schätzte er die Auftretenswahrscheinlichkeit für Cybermobbing als eher gering ein. Es ist leicht einsichtig, dass es nie eine einzige Ursache für Mobbing gibt. Zur Klärung der Frage: „Was ist Ursache und was ist Folge?“ lohnt ein Blick auf den Prozess der Eskalation und die beteiligten Strukturen. 14.3.2  Mobbing als Prozess

Es gibt verschiedene Verlaufsmodelle zur Beschreibung von Mobbing. Der gemeinsame Startpunkt ist immer ein Konflikt. Haeske (2003) unterscheidet vier Konfliktarten: 5 Wertekonflikte 5 soziale Konflikte 5 Sachfragen und Verteilungskonflikte 5 Kompetenzkonflikte Werden diese Konflikte nicht offen ausgetragen oder für die Beteiligten zufriedenstellend gelöst, besteht das Risiko, dass sie eskalieren und sich zu Mobbingprozessen entwickeln. Glasl (2002) ordnet Mobbing in sein Phasenmodell der Konflikteskalation zwischen Phase 6 und 7 ein: 1. Verhärtung (Meinungen und Standpunkte verhärten sich) 2. Polarisation & Debatte (Polarisation im Denken, Fühlen und Handeln) 3. Taten statt Worte (Keiner will nachgeben; Gegenüber soll einlenken) 4. Sorge um Image & Koalition (Gegner wird zum Feind und die Lager spalten sich)

14

262

M. Holz und J. Schwickerath

5. 6. 7. 8. 9.

Gesichtsverlust (Gegner wird bloßgestellt und diffamiert) Drohstrategien (Drohungen werden gegenseitig ausgesprochen) Begrenzte Vernichtung (systematische Destruktionskampagnen) Völlige Vernichtung (Angriff auf die gegnerischen „power nerves“) Gemeinsam in den Abgrund (Untergang und völlige Zerstörung)

Eskalationsstufen

Verhärtung

1

Polarisierung & Debatte

»winwin«

2

Taten statt Worte

3 4

Sorge um Image & Koalition »winlose«

Gesichtsverlust

5

Drohstrategien

6

Begrenzte Vernichtung »loselose«

7

Völlige Vernichtung

8

Gemeinsam in den Abgrund

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9

Abstieg zu primitiveren, unmenschlicheren und unkontrollierbareren Formen der Auseinandersetzung

Stufen der Konflikteskalation nach Glasl (2002)

Phasen 7 bis 9 beschreiben eine „Lose-Lose-Situation“, im Endeffekt verlieren alle Beteiligten. Die eskalierenden Konflikte können nach Zapf (2004) sowie Esser und Wolmerath (2011) durch folgende Mobbingstrategien erzeugt werden: 5 Organisationale Maßnahmen (bspw. der Entzug von Arbeitsaufgaben oder Entscheidungskompetenzen, Anweisung zu sinnlosen oder entwürdigenden Tätigkeiten etc.) 5 Soziale Isolation (Unterbindung von Kommunikationsmöglichkeiten, Meidung, Ausgrenzung, Isolation etc.)

263 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

5 Angriffe auf das soziale Ansehen (Verleumdung, Verbreitung von Gerüchten, Demütigen, lächerlich machen, ständiges Kritisieren etc.) 5 Angriffe auf die Gesundheit (Androhung oder Ausüben körperlicher Gewalt, unterlassene Hilfeleistung, Anordnung von gesundheitsschädlichen Tätigkeiten etc.) Ein spezifisches Prozessmerkmal bildet das „Sündenbockmotiv“. Hierbei muss ein Betroffener für eine konfliktträchtige Gruppe als Ventil herhalten. Die kurzfristige Entlastung für einige Beteiligte erweist sich langfristig allerdings meist als Schaden, wenn nach Ausfall des Sündenbocks die gesamte Arbeitsgruppe zusammen zu brechen droht (Schwickerath und Holz 2012). 14.3.3  Strukturelle Aspekte von Mobbing

Strukturelle Aspekte von Mobbing sind: 5 Merkmale des Unternehmens 5 Merkmale des Mobbingtäters 5 Merkmale des Mobbingbetroffenen Die Merkmale des Unternehmens sind bspw. die Arbeitsorganisation, das Führungsverhalten sowie die Unternehmenskultur – diese tragen in nicht unerheblichem Maße zur Entstehung von Mobbing bei (Meschkutat et al. 2002). Zapf (1999) benennt hierbei als entscheidende Merkmale den mangelnden Einfluss und mangelnde Entscheidungskompetenzen, den schlechten Informationsfluss und die fehlende Transparenz bzw. widersprüchliche Anweisungen, eine schlechte Zusammenarbeit mit Kollegen und mangelnde gegenseitige Akzeptanz, Rollenkonflikte oder unklare Verantwortungsbereiche sowie fehlende soziale Unterstützung und stressreiche Arbeitsbedingungen. Bei der Betrachtung der Binnenstruktur des Arbeitsplatzes Schule, fokussieren Jäger et al. (2014) auf die unterschiedlichen Akteure einer Organisation der besonderen Art: 5 Schüler 5 Eltern 5 Kollegen 5 Schulleitung 5 Schulaufsicht 5 Andere Hierbei wird deutlich, wie komplex die Konstellationen aussehen können. Auch wenn nach Bründel (2014) die Mehrzahl der Mobbinghandlungen in der Schule zwischen Schülern stattfindet, richten wir unseren Blick in diesem Beitrag auf die Lehrer als Betroffene. Diese werden nach Jäger (2013) am häufigsten durch die Schulleitung, gefolgt von Kollegen, Eltern und dann Schülern gemobbt. Beim Mobbing im Kollegium ist die systemische Sicht auf die Mobbingsituation hilfreich, wenn auch nicht weniger einfach. Blum und Beck (2014) weisen darauf hin, Mobbing nicht nur als Interaktion zweier Beteiligter – „Opfer“ und „Täter“ – zu verstehen, sondern als Interaktion innerhalb einer Gruppe. Hier nehmen verschiedene Personen unterschiedliche

14

264

M. Holz und J. Schwickerath

Rollen ein: Hauptakteur und Mitläufer, Mobbing-Betroffener, Zuschauer, Verteidiger des Betroffenen und andere. Auf besondere Problembereiche wie Mobbing im Lehrerzimmer gehen Schwickerath und Holz (2012) ein und verweisen auf das Merkmal des „Feinen Gemeinen“ im Dunstkreis des Lehrerkollegiums (siehe auch Fallbeispiele: stationäre Behandlung). Die Merkmale der Mobbingtäter finden sich in der Motivation und der Persönlichkeit der Akteure. Zapf (1999) beschreibt hier zum einen die sogenannte „inoffizielle Personalarbeit“ und meint damit mikropolitisches Mobbing. Hier wird durch einen oder mehrere Täter ganz bewusst die Reduzierung des Personalstandes betrieben. Als persönliche Merkmale werden Konkurrenzerleben, Missgunst, Minderwertigkeitsgefühle, Angst oder Bedrohung des eigenen Selbstwerts genannt. Hierbei häufen sich Hinweise auf narzisstische Persönlichkeitsstile. Eine besonders typische Konstellation zeigt sich bisweilen bei nicht souveränen Führungskräfte und leistungsstarken beliebten Mitarbeitern. Letztlich kann auch von unbewusstem Mobbing gesprochen werden, wenn beispielsweise Ärger so lange ertragen wird, bis es schließlich zu Überreaktionen kommt. Jeder kann Opfer von Mobbing werden, die Merkmale der Betroffenen werden kontrovers diskutiert. Bisherige Untersuchungen konnten nicht eindeutig klären, welche Merkmale bereits vor dem Mobbing bestanden und welche erst durch langanhaltendes Ertragen von Schikanen entstanden. Schwickerath (2009) findet jedoch typische Besonderheiten von Betroffenen bei Persönlichkeitsmerkmalen und arbeitsrelevanten Einstellungen: eine erhöhte Ablehnungssensibilität und ein erhöhtes Ungerechtigkeitserleben, niedrigere Selbstbehauptungsfähigkeiten und geringer ausgeprägtes Selbstvertrauen. Zusätzlich können der Stellenwert der Arbeit im Leben und die Bereitschaft, sich zu verausgaben, erhöht sein. Reduziert sind insbesondere die Fähigkeit sich zu distanzieren und die Kompetenzen zur psychischen Erholung von der Arbeit. Eine schlechte Problembewältigungsfähigkeit sowie die Resignationstendenz bei Misserfolgen bleiben ebenso zu nennen. 14.4  Therapeutisches Vorgehen

14

Das nachfolgend beschriebene Vorgehen beruht auf einem verhaltenstherapeutischen Ansatz (Schwickerath 2009; Schwickerath und Zapf 2011; Schwickerath und Holz 2012). Es beruht auf klinischer Erfahrung und wurde im stationären Setting in der MEDIAN Klinik Berus entwickelt. Es kann jedoch problemlos für die ambulante Therapie adaptiert werden (Schwickerath 2016) und ist eine hilfreiche Orientierung für Betroffene (Schwickerath 2014). Dieses Therapierational beinhaltet im Kern vier Phasen: Distanzieren, Verstehen, Entscheiden und Handeln. Wesentlich für eine erfolgreiche Therapie ist besonders bei Mobbingbetroffenen, über den Verlauf der Phasen für Transparenz zu sorgen und damit ein stabiles Arbeitsbündnis zu gestalten. Unverzichtbar ist zudem der Aufbau einer aktiven Veränderungsmotivation für die Auseinandersetzung mit der weiteren beruflichen Perspektive, eigenen Werten und dem Lebensmotto.

265 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

Therapeutischer Prozess in Phasen:

Handeln Entscheiden Verstehen Distanz

Übergeordnete Perspektive: meine Werte, meine Motivation, meine Lebensmotto

14.4.1  Distanz schaffen

Mobbingbetroffenen ist in einem eskalierten Konfliktverlauf zuletzt die Fähigkeit zur psychischen Erholung von den Belastungen am Arbeitsplatz abhandengekommen. Durch die räumliche Trennung vom häuslichen und beruflichen Umfeld in der stationären Rehabilitation sollen sie Abstand vom Konfliktgeschehen bekommen und Hoffnung auf Besserung der Situation schöpfen. Das Setting unterstützt damit die Entlastung der Patienten und schafft so die Grundlage, sich der Problematik „Mobbing“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern und sich auf die Therapie einzulassen. Folgende Therapieangebote kommen zur Geltung: 5 Entspannungstraining (bspw. Progressive Muskelrelaxation, Entspannung nach Weitzmann etc.) 5 Euthyme Angebote (bspw. Atemtherapie, Yoga, Tai-Chi etc.) 5 Achtsamkeitstraining oder Meditation 5 Sport und Fitnesstraining 5 Ablenkung durch soziale Aktivitäten 5 ggf. Medikation 14.4.2  Verstehen

Die Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells zum plausiblen und konstruktiv-orientierten Verstehen der Hintergründe und Zusammenhänge der persönlichen Mobbingsituation ist zentrales Ziel dieser Phase. Dies kann im stationären Setting einer spezialisierten Klinik sowohl in den psychotherapeutischen Einzelsitzungen als auch in der „Mobbinggruppe“ stattfinden. Aus den Antworten auf die Fragen: „Was ist mir da

14

266

M. Holz und J. Schwickerath

eigentlich passiert?“ und „Was hat das alles mit mir zu tun?“ ergeben sich Ansatzpunkte zur Einflussnahme und Bewältigung. Zunächst werden im Rahmen der Psychoedukation grundlegende Informationen zum Thema Mobbing (siehe unter Punkt 3.) vermittelt. Anschließend wird das Verstehen durch weitere Therapiebausteine differenziert, die es dem Patienten ermöglichen, hinter die Kulissen seines erlebten Mobbinggeschehens zu schauen. Hierbei hat sich ein Vorgehen bewährt (Schwickerath und Holz 2012), dass zunächst die organisatorischen oder strukturellen Probleme des Arbeitsumfeldes betrachtet, dann die Merkmale der Mobber fokussiert und zuletzt Eigenanteile reflektiert.

Therapeutischer Prozeß: Verstehen

Unternehmen

Konflikte Mobber

14

Ich

Diese Reihenfolge entspricht am ehesten dem Erleben des Betroffenen und verringert aufkommende Widerstände im therapeutischen Prozess. Einige Methoden nach Schwickerath und Holz (2012) sollen hier exemplarisch dargestellt werden: 5 Das Arbeitsumfeld wird mit seinen Beteiligten in einem Organigramm visualisiert und damit besondere Beziehungen, Koalitionen und Intrigengemeinschaften offengelegt. 5 Mit Techniken des Perspektivwechsels werden die vermuteten Motive, Absichten und Probleme der Mobber herausgearbeitet. 5 Mittels klassischer Verhaltensanalyse (Kanfer et al. 2006) werden eigene Reaktionen (Gedanken, Gefühle, Körper, Verhalten) in spezifischen Mobbingsituationen beschrieben. Gerade in Gruppensitzungen erleben die Teilnehmer hierdurch die Ähnlichkeiten von Mobbingerfahrungen, fühlen sich nicht mehr allein und erleben Wertschätzung in ihrem Leid, da sie sich ernst- und wahrgenommen fühlen. 5 Innere Antreiber und Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (vgl. AVEM, Schaarschmidt und Fischer 2006) werden eruiert und diskutiert. 5 Mittels Rollenspielen, Fragebögen oder sokratischem Dialog werden Kommunikationsstil, Kompetenzen, Bedürfnisse sowie die persönliche Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Beziehungen aufgedeckt.

267 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

14.4.3  Entscheidungen treffen

In dieser Phase wird mit dem Patienten an einer Entscheidung bezüglich seiner weiteren beruflichen Zukunft gearbeitet. Das Treffen dieser Entscheidung ist häufig das Finden einer Antwort auf die Fragen: „Wie kann ich an diesen Arbeitsplatz zurückkehren?“ oder „Ist eine Rückkehr an meinen Arbeitsplatz überhaupt noch möglich?“ Leider ist dies eine Aufgabe, deren Bewältigung sich der Betroffene ohne die Mobbingsituation nicht selbstständig ausgesucht hätte. Dennoch obliegt ihm diese oft durch mangelhafte Alternativen und ungewünschte Konsequenzen gekennzeichnete Entscheidung. Für die Gesundung der Patienten ist diese Klärung unerlässlich. Bis hierhin hieß die Entscheidung meist: „Aushalten und Kämpfen!“ Es werden Verfahren zur Bilanzierung mithilfe der Zweispaltentechnik mit gewichteten Pro- und Kontraargumenten eingesetzt, darüber hinaus gegebenenfalls das Vier-Felder-Schema, welches jeweilige Vor- und Nachteile zweier Alternativen visualisieren kann. Ein Entscheidungsbaum kann die vielfältigen Konsequenzen sichtbar machen. Mit der Zweistuhltechnik können ambivalente Emotionen oder Kognitionen herausgearbeitet werden. Mittels Entscheidung durch Münzwurf können unbewusst wirkende Prioritäten aufgedeckt werden. Der Mobbingpatient beschäftigt sich spätestens an dieser Stelle mit der Frage, was für ihn in seinem Leben noch wichtig ist. Im Hintergrund arbeitet somit immer die bereits erwähnte übergeordnete Perspektive seiner Werte, seiner Motivation und seines Lebensmottos. Dies ist ein Blick nach vorne statt der engen Sicht auf die Vergangenheit und damit für die meisten Patienten geradezu ein Paradigmenwechsel. Es geht um die Sinnfrage für ihr persönliches Leben (Schwickerath 2014). 14.4.4  Handeln

Diese Phase fokussiert auf den Erwerb oder Ausbau spezifischer Kompetenzen zur Bewältigung der Mobbingsituation. Dies kann analog des Therapiemanuals von ­Schwickerath und Holz (2012) folgendes beinhalten: 5 Problemlösefähigkeiten 5 Umgang mit inneren Antreibern 5 Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit 5 Distanzierungs- und Abgrenzungsfähigkeit 5 Konstruktives Kommunikationsverhalten 5 Emotionsregulation (bspw. Trauerbewältigung oder Ärgerbewältigung) 5 Gelassenheit durch Akzeptanz und Achtsamkeit 5 Weisheit (Verzeihen und Vergeben) Zentral im stationären Setting ist die Übung in der Gruppe. In der Ergotherapie kann das Arbeiten unter realitätsnahen Arbeitsbedingungen trainiert werden. Es geht neben Selbstkontrolle, Regeleinhaltung und Arbeitsgrundhaltung ebenso um die Fähigkeit, Fremdbewertungen anzunehmen und sich konstruktiv mit eigenen Defiziten auseinanderzusetzen. Schließlich gilt es auch noch die zuvor getroffene Entscheidung bzgl. der weiteren beruflichen Perspektive umzusetzen. Unterstützt durch Sozialarbeiter, die Soziotherapie bzw. den Sozialdienst werden Kontakte zur Schulleitung, Schulaufsicht, Personalrat, BEM-Beauftragten, dem Integrationsfachdienst oder Beratungsstellen aufgenommen.

14

268

M. Holz und J. Schwickerath

Es können eine stufenweise Wiedereingliederung oder Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben umgesetzt werden. Letztendlich können auch Informationen zur Kündigung oder Anlaufstellen für Rechtsberatung gegeben und eine psychotherapeutische Nachsorge eingeleitet werden. 14.5  Fallbeispiele

Im Folgenden werden zwei kurze Fallvignetten beschrieben, die eine aus dem stationären und die andere aus dem ambulanten Setting. z Stationäre Behandlung:

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Die 46-jährige Gymnasiallehrerin arbeitet seit einigen Jahren in einem Gymnasium. Ihren zusätzlichen Angeboten von Arbeitsgemeinschaften, die Beliebtheit bei den Schülern und gute Rückmeldungen aus Elternabenden werden von anderen Kolleginnen und Kollegen neidvoll wahrgenommen und negativ bzw. zwiespältig kommentiert. Man redet heimlich über sie, aber so, dass sie einige Andeutungen mitbekommt, was sie im Gespräch aber nicht klären kann. Sie erhält teilweise wichtige Informationen nicht rechtzeitig, fühlt sich alleingelassen und zieht sich zunehmend zurück. Kurze Andeutungen oder unterschwellige negative Botschaften in den Fünf-Minuten-Pausen von Kollegen und Schulleitung verunsichern sie völlig. Sie fühlt sich zwar von den Schülern akzeptiert, die Arbeit wird aber insgesamt zur Belastung. Kleine Fehler werden ihr unter die Nase gehalten, sie fühlt die ihr entgegengebrachte Kälte als nicht mehr akzeptabel. Sie gerät zunehmend in einen Teufelskreis von Rückzug und depressiver Verarbeitung. Im Rahmen einer Krankschreibung mit der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode versucht sie, sich zu entlasten. In der daraufhin erfolgenden stationären Therapie erkennt sie als Eigenanteil, dass sie selbst sehr konfliktscheu und harmoniebedürftig ist und sich nicht in der Lage sieht, auftretende Unstimmigkeiten direkt anzusprechen. Vor allem belastet sie, dass sie sich durch die Schulleitung nicht akzeptiert fühlt. Sie erkennt, dass sie gemäß ihrem neugewonnenen Lebensmotto „Ich will einfach nur meine Arbeit mit Schülern machen“ an dieser Schule nicht bleiben kann. Sie beantragt eine Versetzung. Die Schulleitung unterstützt dies, da sie „sie los werden wolle“. Sie wird nach den Ferien an eine andere Schule versetzt. Dabei wird ihr als ein typisches Merkmal des oft zu beobachtenden „Feinen Gemeinen“ im Rahmen von Mobbing unter Lehrern (Schwickerath und Holz 2012), eine normalerweise übliche Verabschiedung verwehrt. Im Rahmen einer kurzen Nachsorge berichtet sie, dass sie mit dem Schulleiter an der neuen Schule bei Beginn direkt vereinbart hat, dass sie sich eine gute Zusammenarbeit wünsche, sie aber Konflikte nicht gerne in den Fünf-Minuten-Pausen besprechen will, sondern dass sie dafür einen entsprechenden Rahmen beansprucht. Die ersten Monate im neuen Schuljahr liefen für sie zufriedenstellend. z Ambulante Behandlung

Die 43-jährige Lehrerin Frau B., tätig an einem Berufsbildungszentrum, arbeitet seit Jahren sehr engagiert mit Schülern, sie hat ein gewisses Anspruchsniveau realisieren können und ist in ihren Augen in der Unterrichtsvorbereitung und in ihrem Unterricht selbst sehr zufrieden.

269 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

Durch eine neue Abteilungsleiterin gerät sie in das Schussfeld von Neid und Missgunst, die Vorgesetzte fühlt sich von ihr als leistungsstarker Mitarbeiterin infrage gestellt. Es kommt zu Herabwürdigung in Konferenzen, sie fühlt sich vor „versammelter Mannschaft“ kritisiert, sie erhält zusätzliche Aufgaben u. a. als Prüferin, kann die Konflikte nicht klären und sieht sich in ihrer Rolle als Lehrerin von der Schulleitung nicht mehr akzeptiert. Der zuständige Schulleiter verhält sich ambivalent ihr gegenüber, ist zwar freundlich, ändert aber prinzipiell nichts. Zusätzlich belastet durch aufkeimende familiäre Konflikte mit ihren pubertierenden Töchtern und einer belastenden Beziehungsproblematik gerät sie in eine depressive Krise, die gekennzeichnet ist durch Erschöpfung, massive Schlafprobleme, beginnenden Antriebsmangel. In ihrer Hilflosigkeit kann sie sich den Anfeindungen nicht mehr zu Wehr setzen, bräuchte eine kurzfristige Entlastung, schafft die Arbeit in der Schule nicht mehr und lässt sich vorübergehend krankschreiben. Sie erhält die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode. Im Laufe der Therapie werden ihre Eigenanteile sichtbar. Sie erkennt ihre leichte Kränkbarkeit und gleichzeitig die Haltung, dass sie ihre Vorgesetzte in ihrer Rolle nicht akzeptieren kann. Als Ziele der Behandlung und als Lebensmotto formuliert sie, dass sie „in der Schule überleben“ möchte. Es gelingt ihr, ihren Anspruch infrage zu stellen, ihn zu reduzieren und sich deutlich zu machen, dass diese fehlende Rollenakzeptanz der Vorgesetzten das Problem mitaufrechterhält. Sie lässt sich im folgenden Schuljahr auf weniger anspruchsvolle Klassen ein, was ihr auch gewährt wird, kann ihren Hang zum Perfektionismus relativieren und akzeptiert, dass sie auch normalen Unterricht machen will. Die Rolle der Vorgesetzten versucht sie besser zu akzeptieren bzw. zu ertragen. Nach einer längeren problemlosen Unterrichtsphase im ersten Halbjahr sieht sie sich in ihrer Haltung bestärkt. Sie arbeitet nach ihrer Einschätzung weniger anspruchsvoll, gelassener und hat keine Krankheitszeiten mehr. 14.6  Evaluation

Seit 20 Jahren werden in der MEDIAN Klinik Berus (vormals AHG Klinik Berus, Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin) Patienten behandelt, die ihren Angaben nach aufgrund von Mobbing am Arbeitsplatz psychisch und/oder physisch erkrankt sind. Das oben dargestellte und in dieser psychosomatischen Fachklinik realisierte Behandlungskonzept wurde über Jahre hinweg evaluiert, zuletzt in 2017 (Schwickerath et al. 2017). Fragestellung und Ziel der Untersuchungen lauten: Wie gestalten sich die Behandlungsergebnisse kurz- und langfristig hinsichtlich Symptombelastung, Depressivität, psychosomatischen Beschwerden und Verhaltens- und Erlebnismerkmalen. Es wurden Wirkfaktoren untersucht, die Arbeitsfähigkeit analysiert und die geänderte Sichtweise der Betroffenen sowie der weitere berufliche Werdegang beleuchtet. Die Daten zu Beginn und Ende der Therapie sowie bei der Katamnese zeigten eine verringerte Symptombelastung und Depressivität sowie eine optimistischere Sichtweise im Verhalten und Erleben. Es wurde eine hohe Akzeptanz und Zufriedenheit mit der Therapie attestiert. Eine Mehrheit der Patienten gab an, in der Therapie auf die

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M. Holz und J. Schwickerath

Bewältigung der beruflichen Konfliktsituation gut vorbereitet worden zu sein. Als subjektive Wirkfaktoren waren die häufigsten Nennungen: 5 „Ich habe die Erfahrung gemacht, ich bin nicht allein!“ 5 „Ich habe meine Werte und Ziele neu festgelegt!“ 5 „Ich habe eine Entscheidung getroffen!“ Somit profitieren nach Untersuchungslage insgesamt die meisten Patienten vom therapeutischen Angebot und erleben es als wirksam. Ihnen gelingt eine Veränderung – und das auch nachhaltig. Zum weiteren Fortgang bleibt zu erwähnen, dass knapp 30 % unserer Patienten an der Arbeitsstelle geblieben sind, ca. 10 % versetzt wurden und annähernd 60 % das Arbeitsverhältnis beendeten. 14.7  Fazit und Ausblick

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Mobbing am Arbeitsplatz Schule stellt eine außerordentliche Belastung dar, die nicht selten zu einer psychosomatischen Erkrankung führen kann. Das in diesem Beitrag beschriebene therapeutische Vorgehen im Rahmen einer stationären Behandlung wurde in der MEDIAN Klinik Berus entwickelt (Schwickerath 2009; Schwickerath und Holz 2012), evaluiert (Schwickerath et al. 2017) und hat sich dort seit nunmehr zwei Jahrzehnten in der Praxis bewährt. Auch wenn nicht explizit für Lehrer entwickelt, konnten mittlerweile zahlreiche Lehrkräfte von dem Behandlungsplan profitieren. Das Vorgehen in Phasen ermöglicht es ihnen, mit dem nötigen Abstand besser zu begreifen, was ihnen wiederfahren ist und eine Entscheidung für die persönliche Zukunft zu treffen als auch um zu setzen. Hierbei zeigte sich ein Vorgehen als zielführend, bei dem zunächst die Auseinandersetzung mit externen Aspekten wie dem Arbeitsumfeld sowie den Mobbingakteuren gefördert wird und dann erst auf interne Aspekte eigener Verhaltens- und Erlebensmuster fokussiert wird. Der Aufbau einer Perspektive und die Entscheidung zum Handeln in einer bisweilen ausweglos eskalierten Konfliktlage am Arbeitsplatz sind für die häufig mit Hoffnungslosigkeit reagierenden Patienten wichtige antidepressive Bewältigungsstrategien. Von zentraler gesundheitlicher Bedeutung für den Einzelnen bleibt die längerfristige Integration in den Arbeitsprozess, sei es durch Rückkehr, Versetzung oder eine neue Arbeitsstelle. Prognostisch gilt unserer Erfahrung nach leider: je länger der Betroffene in Arbeitsunfähigkeit die Konfliktund Perspektivklärung sowie den Wiedereinstieg in seine berufliche Tätigkeit meidet, desto unwahrscheinlicher wird die vollumfängliche Wiedererlangung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit. Vor dieser individuellen Bewältigungsaufgabe, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sollte bestenfalls allerdings die Prävention stehen. Jäger und Bade (2014) benennen hierfür drei Typen: 5 Primäre Prävention (Voraussetzungen schaffen, dass das problematische Verhalten überhaupt nicht erst auftritt) 5 Sekundäre Prävention (Bereits eingetretenes problematisches Verhalten reduzieren) 5 Tertiäre Prävention (Problematisches Verhalten, das bereits eingetreten ist, in seinen Auswirkungen begrenzen) Diesen am ehesten systemorientierten Präventionsstrategien folgen viele Anti-Mobbing-Programme an Schulen. Wir wollen hoffen, dass sie zukünftig immer mehr Betroffene vor Erkrankung bewahren können.

271 Exkurs: Psychotherapie bei Mobbing von Lehrkräften

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M. Holz und J. Schwickerath

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Was ist Cybermobbing? Lara Schenk

15.1 Einleitung – 274 15.2 Was ist Cybermobbing? – 274 15.3 Cybermobbing als Unterkategorie traditionellen Mobbings? – 275 15.4 Cybermobbing-Rollen – 282 15.5 Cybermobbing-Täter – 282 15.6 Cybermobbing-Opfer – 284 15.7 Folgen von Cybermobbing – 288 Literatur – 295

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Böhmer, G. Steffgen (Hrsg.), Mobbing an Schulen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26456-7_15

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15.1  Einleitung

„Megan war 13 und über beide Ohren in eine Internet-Bekanntschaft verliebt. Als ihr virtueller Freund sie plötzlich verschmähte, erhängte sich das Mädchen. Doch der virtuelle Freund war in Wahrheit eine ehemalige Freundin, die sich rächen wollte.“ (­Patalong 2007) – Es sind Fälle wie diese, die dazu beitragen, dass das Thema Cybermobbing Einzug in das öffentliche Bewusstsein findet. Auch in der Fachliteratur kann Cybermobbing als populäres Thema bezeichnet werden, das mittlerweile zu einem eigenen Forschungsfeld herangewachsen ist (Smith und Steffgen 2013); mit erweiterten Zugangsmöglichkeiten zu elektronischen Geräten kam es nicht nur zu einem Anstieg von Cybermobbing-Vorfällen (Mishna et al. 2010), sondern auch zu einer Zunahme wissenschaftlicher Publikationen zu diesem Thema (siehe z. B. Web of Science Record Count). In diesem Exkurs soll eine Übersicht über den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf die Definition, die Prävalenz, unterschiedliche Cybermobbing-Rollen sowie die Folgen und Interventionsmöglichkeiten von Cybermobbing gegeben werden. 15.2  Was ist Cybermobbing?

Jemanden online zu beschimpfen, Gerüchte über diese Person zu verbreiten und ihm oder ihr ausfällige Kommentare über Instant Messanger, Chatrooms, Email oder Social Networking Sites zukommen zu lassen – dies sind die häufigsten Formen von Cybermobbing (Price und Dalgleish 2010).

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Von Cybermobbing spricht man auch, wenn es um die folgenden OnlineVerhaltensweisen geht (Weitzmann 2017): 5 Belästigung: Massives Versenden belästigender Nachrichten, Verschicken anstößiger bzw. unerwünschter Inhalte an das oder im Namen des Opfers an Dritte; 5 Bloßstellung: Verbreitung privater Informationen über das Opfer via Internet; 5 Diffamierung und Rufschädigung: Verbreitung von Fälschungen, z. B. gefälschte Nachrichten, Postings, und Ähnliches; 5 Demütigung: Verbreitung demütigenden Materials; besonders beliebt sind hierbei sogenannte „Happy-Slapping-Videos“, in denen Mobbingopfer gefilmt wurden, während sie von anderen verprügelt wurden; hierunter fällt aber auch Verbreitung von Nacktbildern und ähnlichem Material; 5 Bedrohung: Findet oft in anonymisierter Form statt.

Das Aufzählen Cybermobbing-assoziierter Verhaltensweisen allein aber reicht nicht aus, um das Phänomen zu verstehen, geschweige denn zu definieren. Zur Frage der Definition finden sich in der Literatur diverse Ansätze. Beispielsweise beschreiben Smith und Kollegen (2008) Cybermobbing als aggressive und intentionale Handlung, die von einer Gruppe oder einem Individuum auf elektronischem Wege ausgeführt wird und gegen ein Opfer, welches sich nicht oder nur schwerlich selbst verteidigen kann, gerichtet ist (“aggressive intentional act carried out by a group or individual, using electronic forms of contact, repeatedly and over time against a victim who cannot easily defend him or herself ”; S. 376). In einem anderen Ansatz (Smith et al. 2006) wird Cybermobbing anhand

275 Was ist Cybermobbing?

des genutzten Mediums definiert, woraus sich sieben Cybermobbing-Unterkategorien ergeben: Mobbing durch Textnachrichten; Bilder oder Videos; Anruf; Email; Chat; ­Instant Messaging; und Websites. Langos (2012) unterscheidet weiter zwischen direktem (private Kommunikation, z. B. in Form von Textnachrichten) und indirektem (Kommunikation im öffentlichen Bereich, z. B. in sozialen Netzwerken) Cybermobbing. Neben diesen Definitionsansätzen finden sich noch einige andere, die sich in ihrem Fokus mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Den meisten Definitionen gemein ist, dass sie einen Bezug zum „Offline“-Mobbing (im Folgenden als „traditionelles Mobbing“ bezeichnet) herstellen, indem sie Cybermobbing als eine Entsprechung in der digitalen Welt verstehen. Cybermobbing ist demnach eine Form des traditionellen Mobbings, welches aber nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern in einer digitalen Umgebung ausgetragen wird. Um Cybermobbing zu verstehen, muss demnach ebenso deutlich sein, was traditionelles Mobbing bedeutet und was es (nicht) ist. Doch auch in Bezug auf traditionelles Mobbing lässt sich eine universale, einheitlich genutzte Definition nicht finden (siehe z. B. Griffin und Gross 2004; Smith 2004). Die Definition, über die der größte wissenschaftliche Konsens herrscht, stammt von Olweus (1999) und beinhaltet die folgenden Kriterien: 5 Intentionalität: Beim Mobbing handelt es sich um aggressives Verhalten, das ein absichtliches Verletzen der anderen Person zum Ziel hat; 5 Wiederholung: Mobbing beinhaltet eine wiederholte Handlung über einen längeren Zeitraum; findet verletzendes Verhalten einmalig statt, kann nicht von Mobbing die Rede sein; 5 Machtungleichgewicht: Mobbing findet immer in einer interpersonellen Beziehung statt, die durch ein Machtungleichgewicht zugunsten des Täters charakterisiert ist; 5 Provokation: Das Mobbingverhalten wurde nicht durch das Opfer provoziert; 5 Bekanntheit: Das Verhalten findet in bekannten sozialen Gruppen statt. 15.3  Cybermobbing als Unterkategorie traditionellen Mobbings?

Überträgt man die Definitionskriterien des traditionellen Mobbings auf den OnlineKontext, so lässt sich feststellen, dass beim Cybermobbing in aller Regel zentrale Annahmen des traditionellen Mobbings verletzt werden. In den folgenden Abschnitten wird dies anhand der oben genannten Definitionskriterien traditionellen Mobbings sowie über die Definition hinausgehende Unterscheidungsmerkmale erläutert; eine Übersicht der Ergebnisse findet sich in . Tab. 15.1. 15.3.1  Intentionalität und Provokation

Online-Kommunikation ist per Definition als indirekt zu bezeichnen, denn ein Gespräch findet über entsprechende Kommunikationsgeräte statt und nicht von Angesicht zu Angesicht. Die indirekte Natur digitaler Kommunikation geht einher mit der Abwesenheit nonverbaler Kommunikationselemente wie Blickkontakt oder Betonung, welche in der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation maßgeblich dazu beitragen, die Intention der Gesprächsinhalte richtig einzuschätzen. Fehlen diese Kommunikationselemente, kann dies leicht zu Missverständnissen bis hin zur Eskalation führen (Baruch 2005). So können beispielsweise Situationen entstehen, die sich für das

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. Tab. 15.1  Vergleich von Cybermobbing und traditionellem Mobbing hinsichtlich der Definitionskriterien traditionellen Mobbings und Cybermobbing-spezifischer Charakteristika

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Merkmal

Traditionelles Mobbing

Cybermobbing

Intention

Intention, dem Opfer schaden zu wollen, muss gegeben sein

Verschiedene Ansätze: Intention muss vorhanden sein vs. negativer Effekt auf Opfer ist ausschlaggebend

Wiederholung

Muss gegeben sein

Uneinigkeit über Definition von „Wiederholung“: jede neue ­Handlung vs. Klicks

Anonymität

Nicht gegeben

Gegeben → weniger direkte Konfrontation mit Reaktion des Opfers, daher weniger Möglichkeiten für die Entstehung von Empathie oder Reue

Machtverhältnis

Machtungleichgewicht zugunsten des Täters

Machtungleichgewicht zugunsten des Täters; Macht kann im Internet verschiedene Formen annehmen (z. B. Anonymität als Dominanz, Reichweite und Öffentlichkeit); Effekt ist immer der, dass Opfer sich machtlos fühlt und Gefühl hat, sich nicht verteidigen zu können

Reichweite

Relativ kleiner Personenkreis: Opfer, Täter, ggf. Außenstehende

Potenziell sehr groß (Bsp.: Verbreitung von Videomaterial auf YouTube)

Konfrontationsgrad

In der Schule; in der Regel kommt das Opfer nach Hause und ist bis zum folgenden Schultag „mobbingfrei“; das Zuhause wird als sicherer Hafen und geschützter Raum wahrgenommen

Allgegenwärtig; Cybermobbing kann immer und überall stattfinden, so lange elektronische Geräte genutzt werden, und das an jedem Ort und zu jeder Zeit

Belohnung

Reaktion des Opfers während oder unmittelbar nach der Tat für Täter sichtbar

Belohnung wird verzögert, da das Opfer den Angriff nicht unbedingt direkt wahrnimmt; Belohnung eher Mobbingverhalten selbst als Reaktion des Opfers oder Betrachtung durch Außenstehende

vermeintliche Opfer wie Cybermobbing anfühlen, oder in denen der vermeintliche Täter sich gegen eine als solche empfundene Provokation wehrt, ohne dass dies vom jeweiligen Gesprächspartner auf diese Weise intendiert gewesen wäre. Ein von Gesprächspartner A spaßhaft gemeinter Satz könnte dann von Gesprächspartner B nicht als solcher, sondern als bitterer Ernst verstanden werden – Gesprächspartner B empfindet dies als Provokation und reagiert für A unerwartet heftig. Die Kriterien Intentionalität und Provokation sind in diesem Beispiel gleichzeitig erfüllt und nicht erfüllt, je nachdem, von wessen subjektiver Realität ausgegangen wird. Hieran zeigt sich, wie schwierig sich die Integration dieser Kriterien in die Definition des Begriffs Cybermobbing gestaltet.

277 Was ist Cybermobbing?

Aus diesen Überlegungen heraus könnte hinterfragt werden, ob Intentionalität und Provokation in Bezug auf Cybermobbing überhaupt definierende Kriterien darstellen sollten oder ob sie in diesem Kontext nicht eine eher untergeordnete Rolle spielen. Eine qualitative Befragung von 2257 Schülern ergab unter anderem, dass die Mehrheit der Befragten der Meinung war, dass nicht die Intention einer Handlung für die Definition von Cybermobbing ausschlaggebend sei, sondern der Effekt, den eine Handlung auf das Opfer hat (Menesini et al. 2013). Dieser Auffassung nach wäre auch dann von Mobbing die Rede, wenn es unbeabsichtigt war. Eine ältere, methodisch vergleichbare Befragung (Vandebosch und Van Cleemput 2008) hingegen ergab, dass Cybermobbing laut Teilnehmern zwar schwierig zu definieren und immer kontextabhängig sei, die Intention, das Opfer zu verletzen, aber eine entscheidende Rolle spiele. Verfolgt man diesen Ansatz, würde das oben beschriebene Beispiel ganz im Sinne der klassischen Mobbingdefinition nach Olweus (1999) nicht als Cybermobbing verstanden werden dürfen. 15.3.2  Wiederholung

Das Kriterium der Wiederholung stellt insofern eine Schwierigkeit dar, als dass Uneinigkeit darüber herrscht, wie genau eine Wiederholung definiert wird. Gilt eine Handlung dann als wiederholt, wenn ein gänzlich neuer Angriff stattfindet, oder zählt jeder Klick auf einen verletzenden Mobbing-Inhalt, der geteilt und somit öffentlich gemacht wurde, bereits als Wiederholung (Slonje und Smith 2008)? Ist das Wiederholungskriterium in diesem Kontext überhaupt wichtig? Corcoran et al. (2015) argumentieren, dass bereits ein einziger Cybermobbing-Angriff aufgrund der potenziell großen Reichweite (siehe Abschnitt „Reichweite“) enorme psychische Folgen haben kann; fielen derartige Situationen lediglich aufgrund des Wiederholungskriteriums aus der Mobbing-Definition heraus, hätte dies zur Folge, dass schwerwiegende Taten, welche stark negative Auswirkungen auf das Opfer haben, schlicht nicht anerkannt werden. 15.3.3  Anonymität

Der Aspekt der Anonymität ist einer der Hauptunterscheidungspunkte zwischen traditionellem und Cybermobbing. Während das Opfer den Täter beim traditionellen Mobbing kennt, da er diesem direkt ausgesetzt ist, können Angriffe beim Cybermobbing anonym erfolgen, zum Beispiel durch anonymisierte Emails oder eine unterdrückte ­Rufnummer. Dieser Umstand hat zur Folge, dass auch der Aspekt des Machtungleichgewichts zwischen Opfer und Täter nicht zwangsläufig gegeben ist (Greene 2006), denn ein Machtgefüge kann nur schwerlich charakterisiert werden, wenn eine der Parteien unbekannt ist und die Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht interpersoneller Natur ist. Diesem Ansatz nach erschwert die Anonymität in der digitalen Welt die Feststellung der Machtverteilung. Ybarra und Mitchell (2004a) hingegen argumentieren, dass die Möglichkeit der Anonymität gerade zu einer Machtungleichheit zugunsten des Täters beiträgt, da diese als Mittel der Dominanz eingesetzt werden kann – die Tatsache, dass das Opfer nicht weiß, wer hinter den Angriffen steckt, verleiht dem Täter zusätzliche Macht.

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15.3.4  Bekanntheit

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist die Online-Kommunikation maßgeblich durch ihre indirekte Natur (siehe Abschnitt „Intentionalität und Provokation“) charakterisiert, was neben Kommunikationsproblemen und Missverständnissen außerdem dazu beitragen kann, dass die Entstehung von Empathie bei Tätern im Vergleich zu traditionellem Mobbing verringert ist (Slonje und Smith 2008). Dadurch, dass der Täter die Folgen seines Handelns nicht direkt beobachten kann (siehe auch Abschnitt „Belohnung“) und sich gegebenenfalls sogar bemüht, seine Anonymität zu wahren und sich daher unbeteiligt gibt oder Konfrontationen mit dem Opfer vermeidet, wird die Möglichkeit auf Situationen, die im Täter Empfindungen von Empathie oder Reue wecken könnten, signifikant verringert. Dies kann Cybermobbing potenziell umso gefährlicher machen als traditionelles Mobbing (Sourander et al. 2010). 15.3.5  Reichweite

Die Direktheit der Verbreitung sowie die große Reichweite von Cybermobbing-­ Angriffen spielen für das Verständnis des Phänomens eine wichtige Rolle (Slonje und Smith 2008). Teilt der Täter zum Beispiel ein Bild des Opfers in einem sozialen Netzwerk, wird dieses unmittelbar für jeden Nutzer dieses Netzwerks zugänglich. Während beim traditionellen Mobbing also nur das Opfer, der Täter bzw. die Tätergruppe und gegebenenfalls einige Außenstehende von dem Angriff erfahren, ist die Reichweite beim Cybermobbing theoretisch grenzenlos (Butler et al. 2009; Langos 2012). Dieser Umstand macht Cybermobbing besonders gefährlich (Huang und Chou 2010) und führt dazu, dass die Demütigung des Opfers im Vergleich zu traditionellem Mobbing besonders ­extrem ist (Kernagan und Elwood 2013). 15.3.6  Konfrontationsgrad

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Charakteristisch für Cybermobbing ist die Allgegenwärtigkeit, mit der es stattfinden kann. Während es beim traditionellen Mobbing in der Regel so ist, dass der Schüler in der Schule mit dem Mobbingverhalten des Täters konfrontiert wird, dann aber nach Hause kommt und bis zum nächsten Schultag „mobbingfrei“ ist, kann Cybermobbing immer und überall stattfinden (O’Moore und Minton 2009), zumindest so lange das Opfer online ist. 15.3.7  Belohnung

Ein weiterer Unterschied zwischen traditionellem und Cybermobbing bezieht sich auf den Belohnungsaspekt des Mobbingverhaltens für den Täter. Beim traditionellen Mobbing können Täter die Effekte ihres Handelns direkt erkennen – sie erhalten ihre „Belohnung“ unmittelbar –, während dieser Effekt beim Cybermobbing auf den Zeitpunkt verschoben wird, in dem das Opfer die Mobbingaktivitäten wahrnimmt. Die Belohnung ist beim Cybermobbing somit oft verzögert (Vannucci et al. 2012) und es besteht die Möglichkeit, dass der Täter die direkten Folgen seines Handelns überhaupt

279 Was ist Cybermobbing?

nicht sehen kann. Kowalski und Kollegen (2014) schlossen hieraus, dass die Belohnung beim Cybermobbing eher mit dem Mobbingverhalten selbst als mit dem Erleben der Konsequenzen dieser Taten bzw. damit, dass Umstehende den Täter beim Ausführen des verletzenden Verhaltens beobachten, zu tun hat. Da die Definition von Cybermobbing viele Fragen aufwirft und großen Spielraum bietet, schlug Grigg bereits 2010 in einem alternativen Ansatz vor, nicht von Cybermobbing, sondern von Cyberaggression zu reden. Cyberaggression wird definiert als Handlung, bei der einer Person durch digitale Mittel Schaden zugefügt, die unabhängig vom Alter verstanden und die von der Person als beleidigend, abwertend, schädlich oder unerwünscht aufgefasst wird (“intentional harm delivered by the use of electronic means to a person or a group of people irrespective of their age, who perceive(s) such acts as offensive, derogatory, harmful or unwanted”, Grigg 2010, S. 152). In diesem Sinne stellte Pyzalski im Jahr 2012 eine Typologie elektronischer Aggression vor, bei welcher der Definitionsfokus auf der Zielgruppe liegt: Unterschieden wird zwischen Cyberaggression, die auf Gleichaltrige bzw. Peers abzielt einerseits, und Cyberaggression, die auf Prominente, Gruppen, vulnerable Individuen, Schulbelegschaft und zufällige Opfer abzielt andererseits. Von dieser Typologie abgesehen erfuhr Griggs Argumentation in der Literatur wenig Beachtung (Corcoran et al. 2015). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine eindeutige Definition von Cybermobbing nicht existiert und es zu kurz gegriffen erscheint, Cybermobbing schlicht als digitale Form traditionellen Mobbings zu verstehen, da diverse Cybermobbing-spezifische Aspekte vorliegen. Aus diesem Grund wurde oftmals dafür plädiert, Cybermobbing als eigenständiges Phänomen anzuerkennen (Kubiszewski et al. 2015; Pieschl et al. 2015), das zwar einige Gemeinsamkeiten mit traditionellem Mobbing aufweist, sich in vielerlei Hinsicht aber von diesem unterscheidet.

15.3.8  Prävalenz

Geht man der Frage nach, wie oft Cybermobbing vorkommt, so lassen sich in der Literatur unterschiedlichste Prozentsätze finden. In der Regel wird die Prävalenz entweder aus Täter- oder aus Opfersicht erfasst, sodass zwei Prävalenzraten entstehen. Die Prävalenzraten aus Tätersicht, die also angeben, wie viele der Befragten Cybermobbing-Verhalten zeigen, liegen je nach Studie zwischen 0 % (Didden et al. 2009) und 60,4 % (Xiao und Wong 2013). Die Prävalenzraten aus Opfersicht, die angeben, welcher Anteil der Befragten schon einmal Opfer von Cybermobbing war bzw. aktuell ist, weisen eine ähnliche Spannweite auf: abhängig von der Studie liegen sie zwischen 1,5 % (Ortega et al. 2008) und 72 % (Juvonen und Gross 2008) bei jugendlichen Schülern. Diese enormen Unterschiede müssen nicht zwangsläufig mit tatsächlichen Schwankungen des Cybermobbing-Vorkommens zu tun haben, sondern können auf diverse methodische Faktoren zurückgeführt werden, auf die im Folgenden jeweils kurz eingegangen wird.

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15.3.9  Stichprobe

Bei Betrachtung der obigen Prozentsätze wird bereits deutlich, dass die in den unterschiedlichen Studien untersuchten Stichproben nicht immer vergleichbar und daher ungleiche Prävalenzraten nicht nur nicht überraschend, sondern sogar zu erwarten sind. So ist es wenig verwunderlich, dass eine Population von Schülern mit Lernbehinderung wie bei Didden und Kollegen (2009) nicht zwangsläufig dieselbe Prävalenzrate aufweist wie eine „normale“ Schülergruppe, die bei Xiao und Wong (2013) befragt wurde. Ebenso spielt die Größe der Stichprobe eine Rolle (Kowalski et al. 2008) – größere Stichproben sind repräsentativer als kleine und zeichnen die Prävalenz realistischer ab; zu kleine Stichprobengrößen können zu Verzerrungen und Über- bzw. Unterschätzungen der wahren Prävalenz führen. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass die Studien nicht unbedingt aus Ländern mit vergleichbar vorangeschrittener Digitalisierung stammen, was Einfluss darauf haben kann, wie groß der Anteil der Jugendlichen ist, der regelmäßigen Zugang zu internetfähigen Geräten hat – vergleicht man ein digital fortgeschrittenes Land mit einem, in dem die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen steckt, ergeben sich beinahe zwangsläufig Unterschiede in der Prävalenz. Ähnlich verhält es sich mit dem Zeitpunkt der Erhebung; in der Welt des digitalen Fortschritts machen bereits einige wenige Jahre einen enormen Unterschied aus (Mishna et al. 2010). 15.3.10  Definition

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Ein anderer einflussreicher Faktor ist die in der jeweiligen Studie verwendete Definition von Cybermobbing (Kowalski et al. 2008), was bei dem unter Forschern herrschenden Dissens in Bezug auf die Definition von Cybermobbing wenig verwunderlich ist. Ob in der Studie beispielsweise das Kriterium der Intention (siehe Abschnitt „Intentionalität und Provokation“) als definierend für Cybermobbing betrachtet wird oder nicht, hat Einfluss darauf, wie die Daten erhoben werden und folglich auf die hieraus ermittelte Prävalenzrate. Ähnlich könnte es sich mit anderen Definitionskriterien verhalten. Diese Definitionsunsicherheit hat allerdings nicht nur Einfluss auf die Erfassung der Prävalenz – laut Tokunaga (2010) hat diese sogar dazu geführt, dass verschiedene Forscher unterschiedliche Phänomene unter demselben Namen untersucht haben. 15.3.11  Messmethode

In der Cybermobbing-Forschung werden zur Erfassung der Prävalenz häufig zwei Messmethoden eingesetzt. Auf der einen Seite die direkte Befragung: Teilnehmer müssen beantworten, ob sie schon einmal Opfer bzw. Täter bzw. Außenstehende von Cybermobbing waren. Auf der anderen Seite wird die indirekte Befragung häufig genutzt, in der diverse Verhaltensweisen, die mit Cybermobbing assoziiert sind, abgefragt ­werden, ohne dass ein direkter Transfer der Mobbingkriterien stattfindet. Teilnehmer ­werden beispielsweise gefragt, ob sie schon einmal anonyme Emails oder Beleidigungen per SMS verschickt haben. Wie man sich vorstellen kann, sind beide Befragungsarten höchst subjektiv. Ein Studienteilnehmer könnte bei einer direkten Befragung angeben,

281 Was ist Cybermobbing?

Opfer von Cybermobbing zu sein, da er dies so empfindet, ohne aber die Kriterien für Cybermobbing zu erfüllen – die Prävalenzrate würde womöglich überschätzt. Oder ein Studienteilnehmer könnte bei einer indirekten Befragung zu wenige der Cybermobbingkriterien erfüllen, um als Täter charakterisiert zu werden, da er beispielsweise beleidigende Inhalte nicht als solche empfindet, diese beim Empfänger aber sehr wohl als Beleidigung ankommen – die Prävalenzrate würde möglicherweise unterschätzt. Der zuletzt aufgeführte Punkt wird auch von Vandebosch und Van Cleemput (2009) in ihrer Kritik der indirekten Messmethode aufgegriffen. Es sei methodisch nicht ausreichend, Aktivitäten zu erfassen, von denen angenommen wird, dass sie Cybermobbing-spezifische Verhaltensweisen darstellen, ohne den Kontext und die individuelle Interpretation zu berücksichtigen. Denn erstens würden nicht alle Handlungen, die vom vermeintlichen Täter als Cybermobbing intendiert waren, auch als solches wahrgenommen. So könnte eine als solche gemeinte Beleidigung beispielsweise als Spaß oder Diskussion aufgefasst werden. Zweitens müsse immer der spezifische Kontext und die Beziehung zwischen Opfer und Täter berücksichtigt werden. Bricht zum Beispiel eine Diskussion unter Freunden aus, könnten einige Cybermobbingkriterien erfüllt sein, ohne dass die Situation von einer der Parteien als Mobbingsituation wahrgenommen wird. Greift man also auf die simple Überprüfung des Vorhandenseins von Cybermobbing-Definitionskriterien zurück, so ist die Gefahr der Überschätzung der Cybermobbing-Prävalenz hoch (Vandebosch und Van Cleemput 2009). Doch auch die direkte Befragungsmethode ist nicht uneingeschränkt zu bevorzugen. Neben der bereits beschriebenen Subjektivität der Beantwortung wird die Prävalenzrate außerdem stark von der Anzahl gestellter Fragen beeinflusst. Es konnte gezeigt werden, dass die Prävalenzrate um etwa 50 % variiert, abhängig davon, ob nur eine einzige oder mehrere direkte Frage(n) gestellt wurden. Wurden mehrere Fragen gestellt, war die Prävalenzrate in derselben Stichprobe doppelt hoch wie in der Befragungssituation mit nur einer einzigen Frage (Zych et al. 2016). Die aufgeführten Faktoren, die einen Einfluss auf die in Studien erfasste Prävalenzrate haben, sind nur einige Beispiele und nicht erschöpfend. Doch bereits die Betrachtung dieser wenigen Faktoren zeigt deutlich, wie relativ sich die aufgeführten Prävalenzraten erweisen. Dass Uneinigkeit in Bezug auf Definition und Prävalenz von Cybermobbing herrscht, bedeutet aber nicht, dass das Phänomen als solches nicht ernst genommen und untersucht werden sollte – es stellt in jedem Fall ein signifikantes Problem für die heutige Jugend dar (Kowalski et al. 2014). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Prävalenzrate von Cybermobbing ebenso wie die Definition des Phänomens nicht eindeutig ist. Faktoren, die Einfluss auf die Prävalenzrate habe, sind unter anderem: 5 Stichprobe: Die in den Studien untersuchten Stichproben sind oftmals nicht vergleichbar, was sich auch auf die Prävalenzrate auswirken kann; 5 Definition: Je nach in der Erhebung der Prävalenz verwendeten Definition können sich die Prävalenzraten voneinander unterscheiden; 5 Messmethode: Die Art der Befragung (indirekte vs. direkte Methode) kann sich ebenso auf die festgestellte Prävalenzrate auswirken wie die Anzahl der gestellten Fragen.

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15.4  Cybermobbing-Rollen

In der Forschung zum traditionellen Mobbing wurden bestimmte Rollen definiert, innerhalb welcher sich die am Mobbing beteiligten Parteien bewegen. Eine populäre Einteilung ist die in Täter, Opfer und Außenstehende. Diese Rollenverteilung findet sich auch in der Literatur zum Thema Cybermobbing. Die folgenden Abschnitte sollen einen Überblick über Cybermobbing-Täter-, -Opfer-, und -Außenstehenden-Charakteristika geben. 15.5  Cybermobbing-Täter 15.5.1  Sind Cybermobber Täter, die auch „traditionell“ mobben,

oder unterscheiden sie sich von diesen?

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In Bezug auf Individuen, die Cybermobbing-Verhalten zeigen, wird in der Literatur oftmals die Frage gestellt, ob sie exklusiv online mobben, oder ob sie ebenfalls traditionelle Mobbingtäter sind. Die wissenschaftlichen Befunde hierzu sind nicht einheitlich. So konnte einerseits festgestellt werden, dass die überwiegende Mehrheit der Cybermobbing-Täter gleichzeitig auch traditionelle Mobbing-Täter waren (Raskausas und Stoltz 2007). Auch Vandebosch und van Cleemput (2009) fanden einen starken Zusammenhang zwischen traditionellem und Cybermobbing und schlossen hieraus, dass Mobbing, welches im Schulalltag stattfindet, online weitergeführt und die Rollen beibehalten werden. Andererseits existieren Studien, die in die entgegengesetzte Richtung weisen (zum Beispiel Waasdorp und Bradshaw 2015; Ybarra et al. 2007): Hier waren die Cybermobbing-Täter in der Regel nicht diejenigen, die auch offline mobbten. Ybarra und Mitchell stellten 2004a die Hypothese auf, dass viele Opfer traditionellen Mobbings das Internet als eine Art Kompensation nutzen und ihrerseits zu Cybermobbern werden. In der Tat scheint die Wahrscheinlichkeit erhöht, Cybermobbing-­Verhalten auszuführen, wenn man zuvor selber Opfer von Cybermobbing wurde (Marcum et al. 2014). In diesem Sinne ergab eine Befragung aus dem Jahr 2009 (Mishna et al. 2009), dass viele Schüler der Meinung sind, dass das Internet für diejenigen, die im „wahren“ Leben zu ängstlich sind, um Mobbing zu betreiben, eine Mobbing-Plattform bietet. Gerade die Möglichkeit zur Anonymität bietet hier eine Art Deckmantel. 15.5.2  Soziodemografische Faktoren

Als das Phänomen Cybermobbing zu einem populären Forschungsthema heranwuchs, wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Cybermobbing eher von Mädchen als von Jungen ausgeführt wird, da Cybermobbing eine Form verbaler Aggression ist, und Mädchen eher zu verbaler als zu physischer Aggression neigen (Keith und Martin 2005). Diese Hypothese konnte nicht bestätigt werden. In der Regel werden keine Geschlechterunterschiede festgestellt (Slonje und Smith 2008), Jungen und Mädchen sind also vergleichbar oft Cybermobbing-Täter(in). Anderen Studien nach wird Cybermobbing häufiger von Jungen ausgeführt (Bayraktar et al. 2015; Walrave und Heirman 2011), laut Li (2006) sogar fast doppelt so häufig wie durch Mädchen.

283 Was ist Cybermobbing?

Ebenso gemischt sind die Befunde, wenn es um das Alter geht. Während Williams und Guerra (2007) berichten, dass Online-Mobbing-Verhalten am häufigsten bei 14-­Jährigen auftritt und dann stetig abnimmt, konnten in anderen Studien keine signifikanten Altersunterschiede bei Jugendlichen festgestellt werden (Patchin und Hinduja 2006; Waasdorp und Bradshaw 2015). In einer belgischen Studie von Walrave und Heirman (2011) stieg die Rate des Cybermobbing-Vorkommens sogar mit zunehmendem Alter leicht an. Ein dritter Faktor bezieht sich auf die Häufigkeit der Computer- und Internetnutzung. Viele Befunde deuten darauf hin, dass ein im Vergleich zu Gleichaltrigen allgemein erhöhter Internetgebrauch (Li 2007; Smith et al. 2008; Ybarra 2004) kennzeichnend für Cybermobbing-Täter ist. So wurden ein fähiger Umgang mit dem Computer sowie riskantes Verhalten im Internet (wie beispielswiese das Herausgeben persönlicher Informationen) als wichtige Prädiktoren für Verhaltensweise im Sinne von Cybermobbing herausgestellt (Erdur-Baker 2010; Juvonen und Gross 2008; Li 2007). 15.5.3  Psychosoziale Charakteristika

Der soziale Umgang stellt einen wichtigen Faktor im Zusammenhang mit Cybermobbing dar. Cybermobbing-Täter zeigen aggressive Tendenzen im Umgang mit ihren Mitmenschen (Brighi et al. 2009, 2012) oder andere Formen antisozialen Verhaltens wie Schulschwänzen oder Regelbrechen (Ang et al. 2011; Gradinger et al. 2009; Katzer et al. 2009). Sie pflegen häufig den Umgang mit Peers, also Personen vergleichbaren Alters und Lebensumstandes, die ebenso abweichendes Verhalten zeigen (Card und Little 2006; Dodge et al. 2006), wodurch sich Letzteres umso mehr verstärken könnte. Zusammen mit Freunden oder auch alleine führen Cybermobbing-Tätern deutlich öfter als Gleichaltrige, die nicht in Cybermobbing-Aktivitäten involviert sind, riskante Verhaltensweisen wie zum Beispiel den Konsum von Alkohol und/oder Zigaretten, manchmal sogar „­harten Drogen“, aus (Hinduja und Patchin 2008, 2009; Ybarra 2004). Täter zeichnen sich auf dispositionaler Ebene zudem aus durch die moralische Befürwortung von Mobbing (Williams und Guerra 2007), welche möglicherweise aber eher eine Rechtfertigung als eine tatsächliche Überzeugung darstellen könnte. Die Fähigkeit zur Empathie ist im Vergleich zu Gleichaltrigen deutlich verringert (Steffgen et al. 2011; Willard 2006). Dieser Umstand ist besonders in Hinblick darauf nennenswert, dass die Möglichkeit, Empathie zu entwickeln, beim Cybermobbing stark eingeschränkt ist (Slonje und Smith 2008), da die unmittelbaren Folgen des eigenen Handelns nicht direkt durch den Täter beobachtet werden können. In Kombination mit einer grundsätzlichen mangelnden Empathie-Fähigkeit könnte dies zu besonderes verletzenden Cybermobbing-Angriffen führen. Durch die Anonymität und Unsichtbarkeit im Internet wird zudem die verringerte Selbstkontrolle gefördert (Heirman und Walrave 2008), die für Cybermobbing-Täter kennzeichnend ist (Bossler und Holt 2010; Marcum et al. 2014). In Bezug auf die Schule haben Täter von Cybermobbing häufig unterdurchschnittliche Noten (Li 2007). Im Vergleich zu Gleichaltrigen berichten sie besonders oft ein Gefühl der Nicht-Verbundenheit mit der Schule (Williams und Guerra 2007). Ebenso wenig verbunden sind sie mit ihren Mitschülern: In der Regel nehmen sie die Unterstützung durch Peers als mangelhaft wahr (Williams und Guerra 2007). Eine wichtige Rolle spielen außerdem die Eltern bzw. deren Erziehung. Grundsätzlich stellen sie einen der wichtigsten Einflüsse auf Mobbingverhalten, auch auf traditionelles, dar (Ahmed und Braithwaite 2004; Festl et al. 2013). So zeigen Studienteilnehmer,

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deren Eltern weniger involviert in deren Internetnutzung waren, eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu Cybermobbern zu werden (Vandebosch und Van Cleemput 2009). Je weniger Unterstützung Jugendliche von ihren Eltern erhalten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie (jede Art von, nicht nur Cyber-)Mobbingverhalten ausführen (Wang et al. 2009). In Bezug auf den Erziehungsstil konnte gezeigt werden, dass ein punitiver Erziehungsstil, welcher gekennzeichnet ist durch Strenge und häufige Strafen, assoziiert ist mit erhöhtem Mobbingverhalten, während ein autoritativer Erziehungsstil, der gleichzeitig unterstützend und strikt ist, mit weniger Mobbing einhergeht (Baldry und Farrington 2005). Außerdem weisen Eltern, die eher zu autonomiefördernden Strategien greifen (sprich: die Perspektive des Jugendlichen verstehen, Wahlmöglichkeiten bieten, Erklärungen für Verbote liefern), weniger häufiger Kinder auf, die in Cybermobbing-Aktivitäten involviert sind, als Eltern, die kontrollierende Strategien nutzen (Legate et al. 2018). In einer aktuellen Meta-Analyse aus dem Jahr 2016 stellt Guo ein für Cybermobbing-Täter wahrscheinliches Profil vor, das sich aus der Analyse von 77 Studien ergab. Hiernach sind typische Merkmale eines Cybermobbers: 5 Älteres Jugendalter, männliches Geschlecht; 5 Involviert in (vergangene) Aktionen traditionellen Mobbings; 5 Starke Verhaltensauffälligkeiten; 5 Wahrnehmung von Aggression als angemessen, vorteilhaft oder sogar moralisch gerechtfertigt; 5 Häufige Internetnutzung; 5 Erfahrungen von traditionellem Mobbing in der Rolle des Opfers; 5 Züge antisozialer Persönlichkeit (z. B. Narzissmus, Impulsivität); 5 Mangel an Empathie oder Reue gegenüber Mitmenschen; 5 Familienleben geprägt durch viel elterliches Konfliktverhalten oder wenig elterliche Betreuung; 5 Aktuell in Schule mit negativem Schulklima; 5 Schlechte Beziehungen zu Gleichaltrigen mit Anfälligkeit für gewalttätige oder abweichendes Verhalten zeigenden Peers.

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15.6  Cybermobbing-Opfer 15.6.1  Sind Opfer von Cybermobbing Personen, die auch

„traditionell“ gemobbt werden, oder unterscheiden sie sich von diesen?

Wie schon bei den Cybermobbing-Tätern stellt sich auch in Bezug auf die Opfer von Cybermobbing die Frage, inwieweit sie Opfern traditionellen Mobbings entsprechen. Eine Vielzahl an Befunden spricht dafür, dass die meisten Cybermobbing-Opfer auch traditionelles Mobbing erlebt haben (Deheu und Bolman 2008; Juvonen und Gross 2008; Raskauskas und Stoltz 2007; Waasdorp und Bradshaw 2015). Li (2007) konnte zeigen, dass ungefähr ein Drittel der traditionell Gemobbten auch online gemobbt wird, ein Drittel der Cybermobbing-Opfer aber zuvor Täter traditionellen Mobbings waren.

285 Was ist Cybermobbing?

Dieser Befund deutet wiederum in Richtung der von Ybara und Mitchell (2004b) ­aufgestellten Hypothese, dass eine Dynamik bzw. ein Zusammenhang besteht zwischen früherer Mobbing-Viktimisierung und aktueller Cybermobbing-Ausführung. 15.6.2  Soziodemografische Faktoren

In Bezug auf den Faktor „Geschlecht“ finden sich in der Literatur keine einheitlichen Befunde. Einerseits scheinen Mädchen deutlich häufiger Opfer von Cybermobbing zu werden als Jungen (Bayraktar et al. 2015; Waasdorp und Bradshaw 2015; Walrave und Heirman 2011), insbesondere durch Textnachrichten und Anrufe (Smith et al. 2006). Andererseits konnte nicht festgestellt werden, dass ein Geschlecht besonders häufig Opfer von Cybermobbing-Angriffen wird (Beran und Li 2007; Patchin und Hinduja 2006; Williams und Guerra 2007; Ybarra et al. 2007). Wie schon beim Geschlecht kann auch beim Alter kein eindeutiger Trend aufgezeigt werden. Laut einiger Studien besteht besonders bei jüngeren Jugendlichen ein erhöhtes Risiko darauf, Opfer von Cybermobbing zu werden (Raskauskas und Stoltz 2007; Smith et al. 2008). Andere Studien konnten hingegen keinen Zusammenhang feststellen (Beran und Li 2007; Didden et al. 2009; Varjas et al. 2009; Wolak et al. 2007). Auch in Bezug auf die Häufigkeit der Computernutzung zeigen sich variierende Befunde. Grundsätzlich scheinen diejenigen Jugendlichen, die sich öfter online aufhalten, auch häufiger Opfer von Cybermobbing werden (Patchin und Hinduja 2006). Anderen Studien belegen, dass nicht Computer- bzw. Internetnutzung generell, sondern die Nutzung von Instant Messaging und Webcams die Wahrscheinlichkeit wiederholten Cybermobbings erhöht (Junoven und Gross 2008), oder dass die wichtigsten Prädiktoren bei weiblichen, nicht aber männlichen Cybermobbing-Opfern die Häufigkeit der Nutzung von Instant Messaging Programmen ist (Ybarra 2004). Li (2007) wiederum konnte keine signifikante Beziehung zwischen der Häufigkeit der Computernutzug und der Wahrscheinlichkeit, Opfer von Cybermobbing zu werden, feststellen. Offenbar spielt nicht die Zeit, die man am Computer verbringt, die entscheidende Rolle, sondern vielmehr, wie das Internet genutzt wird. So zeigen diejenigen, die mehr Risiken im Internet eingehen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Opfer bestimmter Cybermobbing-Formen zu werden (Vandebosch und Van Cleemput 2009). 15.6.3  Psychosoziale Charakteristika

Opfer von Cybermobbing zeigen in der Regel eine große Spannbreite psychosozialer Probleme. So berichten sie oft von depressiven Symptomen und auch körperlichen (Stress- und Angst-)Reaktionen (Gradinger et al. 2009), von Angst und Einsamkeit (­Perren et  al. 2010), und haben im Vergleich zu Gleichaltrigen, die nicht Opfer von Cybermobbing wurden, ein verringertes Selbstwertgefühl (Brighi et al. 2012; Kowalski et al. 2008; Patchin und Hinduja 2010; Ybarra und Mitchell 2004a, b). Ob all diese Faktoren aber Konsequenz oder Ursache von Cybermobbing-Viktimisierung ist, lässt sich derzeit nicht belegen. Einen weiteren Anhaltspunkt bietet die Art der Beziehung zu Gleichaltrigen. Oft haben Opfer von Cybermobbing Probleme damit, stabile Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten (Patchin und Hinduja 2010). Sie berichten häufig, wenig Unterstützung

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und dafür viel Zurückweisung durch Gleichaltrige zu erfahren (Calvete et al. 2010; Vandebosch und van Cleemput 2009). Somit stellt das Gefühl, unbeliebt zu sein und keine Freunde zu haben, einen Risikofaktor für Cybermobbing-Viktimisierung dar (Calvete et al. 2010; Wachs et al. 2010). Wie auch bei den Tätern von Cybermobbing spielen Eltern und Erziehung für Cybermobbing-Opfer eine wichtige Rolle. So steht ein Elternhaus, das gekennzeichnet ist durch viele Konflikte, mangelhaftes Familienmanagement, unzulänglichem Monitoring und schwachem Zusammenhalt, im Zusammenhang mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auf Cybermobbing-Viktimisierung (Ybarra und Mitchell 2004b). Auch für das typische Cybermobbing-Opfer stellte Guo (2016) eine Liste kennzeichnender Merkmale zusammen. Diese sind: 5 Weibliches Geschlecht; 5 Erfahrungen von traditionellem Mobbing in der Rolle des Opfers; 5 Hohes Maß an Depression, Hilflosigkeit, Stress oder Einsamkeit; 5 Häufige Internetnutzung; 5 Erfahrungen von traditionellem Mobbing in der Rolle des Täters; 5 Zeigen einer ganzen Reihe von Verhaltensauffälligkeiten; 5 Züge antisozialer Persönlichkeit; 5 Geringes Ausmaß an Selbstzufriedenheit, Selbstwertgefühl oder positivem Selbstkonzept; 5 Relativ positive Überzeugungen oder Attitüden bezüglich Aggression; 5 Negative Familienumgebung; 5 Wenig Schulverbundenheit; 5 Zurückweisung durch und Isolation von Gleichaltrigen.

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Vergleicht man nun typische Merkmale von Cybermobbing-Tätern und -Opfern, so lässt sich eine auffällige Überschneidung an kennzeichnenden Faktoren feststellen, wie zum Beispiel in Hinblick auf antisoziale Persönlichkeitszüge oder das familiäre Lebensumfeld. Hieran zeigt sich der starke Einfluss kontextueller Faktoren in der Entstehung der beiden Cybermobbing-Rollen (Guo 2016). Gleichzeitig zeigen diese Ergebnisse, dass die Betrachtung einzelner Faktoren nicht dazu befähigt, Rückschlüsse darüber zu ziehen, ob ein Individuum besonders wahrscheinlich Täter bzw. Opfer von Cybermobbing sein oder werden könnte, insbesondere dann, wenn diese Faktoren sich in beiden Gruppen überschneiden. 15.6.4  Cybermobbing-Außenstehende

In Literatur zu traditionellem Mobbing werden Mobbing-Taten nicht als einfache Interaktion zwischen Opfer und Täter verstanden, sondern als Gruppenprozess (Salmivalli 2010). In diesem dynamischen Prozess spielen auch Außenstehende, also diejenigen, die Zeuge der Mobbing-Taten werden, sogenannte Bystander, eine wichtige Rolle. Denn die Reaktion der Bystander kann die Dynamik der Situation verändern. Beispielsweise können Mobbing-Täter von der Weiterführung ihres schadenden Verhaltens abgebracht werden, wenn Bystander sich aktiv für Mobbing-Opfer einsetzen (Macklem 2003), oder

287 Was ist Cybermobbing?

aber der Täter kann sich bestärkt fühlen, wenn Bystander nur passiv zusehen (Salmivalli 2010). Letzteres passiert sehr häufig (Craig et al. 2000), und ist ein Phänomen, das in der Sozialpsychologie und Kriminologie unter dem Begriff Bystander-Effekt (Darley und Latané 1968) bekannt ist. Im Cybermobbing-Kontext zeichnen Bystander sich aus durch das Betrachten oder sogar Teilen und Liken verletzender Inhalte (Vandebosch und Van Cleemput 2009). Die Außenstehenden spielen in diesem Zusammenhang eine prekäre Rolle, denn die Reichweite von Cybermobbing-Attacken ist theoretisch grenzenlos, und um den Schaden für das Opfer zu maximieren, muss der Täter ein breites Publikum erreichen (Long 2008). Auch in Bezug auf den Bystander-Effekt ergeben sich in diesen Zusammenhang einige Besonderheiten. Aufgrund der bereits erwähnten Anonymität des Internets sowie der indirekten Kommunikation können Bystander nur schwer einschätzen oder wissen gar nicht, wie viele andere Bystander es außer ihnen in dem Moment noch gibt (­Machackova et al. 2010). Oder, anders herum, sie gehen davon aus, dass gleichzeitig viele andere Menschen zusehen. In beiden Situationen kommt es oftmals zur sogenannten Verantwortungsdiffusion, in welcher jeder davon ausgeht, dass ein anderer sich schon um das Problem kümmern wird, und letztendlich niemand die Initiative ergreift, es also insgesamt zu einer Inhibition unterstützenden Verhaltens kommt (Thornberg 2007). Ebenso wie es für Bystander nicht möglich ist, die Anzahl an weiteren Tatzeugen auszumachen, besteht nicht die Chance, die emotionale Reaktion des Opfers zu sehen (Heirman und Walrave 2008; Slonje und Smith 2008; Suler 2004). Dies kann dazu führen, dass die Ernsthaftigkeit der Lage unterschätzt und die Situation als Spaß interpretiert wird (Machackova et al. 2010). Das Opfer und seine emotionale Reaktion nicht beobachten zu können, kann außerdem dazu beitragen, dass die Möglichkeit, Empathie mit dem Opfer zu entwickeln, verringert wird und somit auch der Drang zu intervenieren (Machackova et al. 2010). Andersherum ist es auch für das Opfer nicht möglich, die Reaktion der Bystander zu beobachten, so lange diese nicht aktiv geteilt wird. Bystander könnten beispielsweise schockiert oder betroffen reagieren, ohne dass das Cybermobbing-Opfer dies mitbekäme, denn derartige Reaktionen müssen – im Gegensatz zu traditionellem Mobbing – explizit kommuniziert werden. Doch nicht in allen Fällen entfaltet der Bystander-Effekt seine Wirkung. Es kommt durchaus vor, dass Bystander helfend einschreiten. Diese Hilfe kann unterschiedlichste Formen annehmen, wie zum Beispiel offline mit dem Täter zu reden oder ihm zu drohen, dem Opfer Ratschläge zu erteilen oder ihm Gesellschaft zu leisten, oder es sogar (vorübergehend) in die eigene Freundesgruppe aufzunehmen (DeSmet et al. 2012). Entschließt sich der Bystander dazu, direkt mit dem Täter zu reden, werden hierbei oft Strategien eingesetzt, die dazu beitragen sollen, dass der Bystander in Zukunft nicht selbst Opfer von (Cyber-) Mobbing wird. Zu populären Methoden gehören zum Beispiel, den Täter alleine und privat, also nicht in aller Öffentlichkeit, zu konfrontieren, zu diesem Gespräch Freunde mitzubringen und den Täter nicht bloßzustellen (DeSmet et al. 2012). Faktoren, die begünstigen, dass der Bystander sich dazu entschließt, das Cybermobbing-Opfer zu unterstützen, sind vielfältig. So ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Bystander interveniert, wenn er grundsätzlich zu prosozialem Verhalten (Machackova et al. 2010) neigt oder schnell Empathie entwickelt (Barlinska et al. 2013). Auch die interpersonelle Beziehung spielt eine wichtige Rolle: Bystander greifen eher ein, wenn Bystander und Opfer eine gute Beziehung haben, oder wenn Bystander und Täter in keiner oder einer schlechten Beziehung zueinander stehen (Machackova et al. 2010). DeSmet und Kollegen (2012) konnten zeigen, dass der Beliebtheitsgrad von

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sowohl Opfer als auch Täter entscheidend ist. Eine Intervention durch Bystander ist nämlich dann wahrscheinlicher, wenn das Opfer beliebt ist, da in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass auch andere Bystander das Opfer verteidigen; oder wenn der Täter nicht beliebt ist, denn in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass andere Mobbing-Bystander zum Täter halten (DeSmet et al. 2012). Zuletzt sind in diesem Zusammenhang kontextuelle Umstände zu erwähnen. Wird die Mobbing-­ Handlung als schwerwiegend (DeSmet et al. 2012; Bastiaensens et al. 2014) oder unfair, d. h. wenn Mobbing aufgrund von Opfermerkmalen stattfindet, über die das Opfer keine Kontrolle hat (z. B. Aussehen, Behinderung, etc.), oder wenn Gruppennormen angegriffen werden (z. B. bei rassistischen Äußerungen; Desmet et al. 2012), erhöht sich die Bereitschaft von Bystandern, dem Opfer zu helfen. 15.7  Folgen von Cybermobbing 15.7.1  Folgen von Cybermobbing auf Täter

Betrachtet man die Folgen von Cybermobbing, sollten nicht nur die CybermobbingOpfer, sondern auch die -Täter erwähnt werden, denn auch bei diesen zeichnen sich negative Mobbing-Folgen ab. So weisen Cybermobbing-Täter im Vergleich zu denjenigen, die nicht in Cybermobbing-Aktivitäten involviert sind, deutlich stärkere Defizite in der mentalen Gesundheit auf (Campbell et al. 2013). Insbesondere steht Depressivität mit dem Ausführen von Cybermobbing-Verhalten im Zusammenhang (Campbell et al. 2013). Selki et al. (2015) konnten zeigen, dass die Depressivitätswerte bei den unterschiedlichen Cybermobbing-Rollen erhöht sind. Ebenso besteht ein Zusammenhang zwischen Cybermobbing und Ängsten (Lam et al. 2013). Zuletzt konnte gezeigt werden, dass das Selbstwertgefühl bei Cybermobbing-Tätern im Vergleich zu Gleichaltrigen stark ­verringert ist (Patchin und Hinduja 2010). 15.7.2  Folgen von Cybermobbing auf Opfer

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Wenig überraschend belegen zahlreiche Studien (siehe z. B. Patchin und Hinduja 2006), dass die Erfahrung mit Cybermobbing negative Konsequenzen für die Betroffenen hervorruft. So gaben in einer Studie von Sbarbaro und Smith (2011) 84 % der Studienteilnehmer an, schon einmal Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein; hiervon berichteten 22,6 %, dass dies ein ernstes Problem darstellte und extreme physische und emotionale Reaktionen hervorrief. Diese Reaktionen sollen in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet werden. Grundsätzlich führt Cyberviktimisierung zu psychologischem Stress, und das unabhängig von traditionellem Mobbing – Cyber- und traditionelles Mobbing üben also beide ernste, aber voneinander unabhängige und teilweise unterscheidbare Einflüsse auf Opfer aus (Dempsey et al. 2011; Waasdorp und Bradshaw 2015). In beiden Fällen sind aber in aller Regel Auswirkungen auf die mentale Gesundheit zu erkennen (Przybylski und Bowes 2017). Die am häufigsten zitierten Folgen von Cybermobbing sind ein erhöhtes Risiko auf Depression (Kowalski und Fedina 2011; Machmutow et al. 2012; Schenk und Fremouw 2012; Schneider et al. 2012), emotionales Leid (Kubiszewski et al. 2015; Misnha et al. 2012; Sleglova und Cerna 2011) und selbstverletzendes (Lam et al. 2013) bis hin zu

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suizidalem Verhalten (Price und Dalgeish 2010; Schneider et al. 2012) bis ins Erwachsenenalter hinein (Copeland et al. 2013). Jugendliche, die das Opfer von Cybermobbing-­ Angriffen waren, zeigten außerdem ein signifikant verringertes Selbstwertegefühl im Vergleich zu Gleichaltrigen, die keine Mobbingerfahrung gemacht hatten (Fernandes et al. 2015). Neben psychosomatischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Schlaflosigkeit (Sourander et al. 2010) ist nicht zuletzt der positive Zusammenhang zwischen der Anzahl an Mobbingerfahrungen und dem Level an Angst (Juvonen und Gross 2008; Price et al. 2013), insbesondere sozialer Angst (Dempsey et al. 2009; Landoll et al. 2015), zu nennen. Opfer von Cybermobbing zeigen also ein besonders ausgeprägtes Angstgefühl, und das vor allem in der Interaktion mit anderen. Derartige Ängste setzen sich im weiteren Lebensverlauf fort, wenn neue Bekanntschaften gemacht werden: Opfer von Cybermobbing sind oft misstrauisch und vorsichtig gegenüber neuen Bekanntschaften (Crosslin und Crosslin 2014), da sie eigenen Angaben nach aufgrund der gemachten Mobbingerfahrungen ein grundsätzliches Gefühl von Misstrauen gegenüber anderen ­Personen entwickelt haben (Rivituso 2014). Obwohl Cybermobbing-Angriffe im Gegensatz zu traditionellem Mobbing nicht zwangsläufig im Schulkontext angesiedelt sind, erstrecken sich die Folgen von Cybermobbing oftmals auf das schulische Umfeld. So berichten Cybermobbing-Opfer oft von schulischen Problemen (Beran und Li 2007), die unter anderem mit Konzentrationsstörungen, hervorgerufen durch die gedankliche Auseinandersetzung mit der Situation und den Tätern (Beran und Li 2007; Patchin und Hinduja 2006), einhergehen. Hinzu kommt, dass die Schule oft nicht mehr als sicherer Ort wahrgenommen wird (Varjas et al. 2009). Insgesamt kann dies zu einer Entwicklung von Schulangst oder sogar Schulschwänzen oder anderem schulvermeidenden Verhalten führen (West 2015). Manche Autoren vertreten die Auffassung, dass Cybermobbing im Vergleich zu traditionellem zu besonders starken negativen Folgen führt, da Cybermobbing sich durch Allgegenwärtigkeit auszeichnet, es also potenziell immer und überall stattfinden kann (Cross et al. 2015; Wang et al. 2011). Andere Studienergebnisse hingegen weisen in die gegenteilige Richtung, nämlich dass aus Cybermobbing resultierende Konsequenzen weniger extrem sind als diejenigen, die durch traditionelles Mobbing hervorgerufen werden (Bauman und Newman 2013). Diese Diskrepanz lässt sich beispielsweise durch nicht-vergleichbare Stichproben oder methodische Unterschiede erklären. Wenig strittig ist, dass der durch Cybermobbing hervorgerufene Schaden groß und vor allem extrem langanhaltend sein kann, da alle Aktivitäten im Netz einen „digitalen Fußbadruck“ (Rosen 2012) hinterlassen und zumindest theoretisch permanent abrufbar sind und somit nachhaltige Schädigungen weit über die eigentliche Mobbingsituation hinaus begünstigen können (Borgia und Myers 2010). In Bezug auf die Folgen von Mobbing lassen sich also wie bei den Täter- bzw. Opfer-typischen Charakteristika auch interessante Überschneidungen finden. Es zeigt aber auch, dass Cybermobbing für keinen der Beteiligten (langfristig) positive Konsequenzen bedeutet. 15.7.3  Rechtliche Konsequenzen von Cybermobbing

Aus der Beschäftigung mit den schwerwiegenden Folgen von Cybermobbing entsteht die Frage, ob derartiges Verhalten strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Laut deutscher Rechtsprechung ist Cybermobbing selbst kein Straftatbestand (Deutscher Bundestag 2016).

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Allerdings können bestimmte Verhaltensweisen, die im Zuge von Cybermobbing auftreten, sehr wohl strafbar sein. So können die folgenden Straftatbestände gelten (Deutscher Bundestag 2016): 5 Beleidigung (§ 185 StGB); 5 Üble Nachrede (§ 186 StGB); 5 Verleumdung (§ 187 StGB); 5 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB); 5 Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB); 5 Nötigung (§ 240 StGB); 5 Bedrohung (§ 241 StGB); 5 Gewaltdarstellung (§ 131 StGB). Dies gilt allerdings nur für Personen ab 14 Jahren; Kinder unter dieser Altersgrenze gelten per Gesetz als schuldunfähig (§ 19 StGB). Eine juristische Alternative im Umgang mit Cybermobbing-Tätern ist der zivilrechtliche Weg; hier kann durch eine Unterlassung veranlasst werden, dass der Täter sein Verhalten einstellt, ohne strafrechtliche Schritte einzuleiten (Weitzmann 2017). Die Möglichkeiten in diesem Bereich reichen von einer informellen Aufforderung durch das Opfer über die rechtlichen Mittel der Abmahnung und der Unterlassungsklage bis hin zu einer einstweiligen Verfügung. Wann welches Mittel das richtige ist, hängt letztlich von der individuellen Situation und dem Schweregrad des Mobbingverhaltens zusammen ab. Eine grundsätzliche Empfehlung an Cybermobbing-Opfer lautet, sich im ersten Schritt an Vertrauenspersonen zu wenden und weitere Handlungsschritte gemeinsam zu erörtern (Weitzmann 2017). Neben juristischen Schritten existiert eine ganze Reihe an psychosozialen Interventionsstrategien zur Bekämpfung von Cybermobbing, die an verschiedensten Ebenen ansetzen und oft effektiver als juristische oder polizeiliche Maßnahmen sein können (Weitzmann 2017). Einige dieser Interventionsansätze sollen im letzten Abschnitt dieses Exkurses exemplarisch vorgestellt werden.

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Cybermobbing-Interventionen  Laut Olweus (2013) ist es nicht zwangsläufig nötig, neue und Cybermobbing-spezifische Programme zu entwerfen und zu implementieren, da auf bestehende Programme für traditionelles Mobbing zurückgegriffen werden kann. So könnten beispielsweise Schulen Cybermobber identifizieren und Details der jeweiligen Cybermobbing-Angriffe in anonymisierter Form zur Fallbesprechung an Schüler kommunizieren. In Bezug auf Cybermobbing stellt aber die Anonymität des Internets, die kennzeichnend für diese Form von Mobbing ist, ein Problem dar. Denn aufgrund der Anonymität ist es nicht einfach, Täter zu identifizieren; selbst wenn die Möglichkeit besteht, den Account, von dem aus Angriffe stattgefunden haben, ausfindig zu machen, bedeutet dies nicht, automatisch den Täter gefunden zu haben, da der Account kann auch einer anderen Person gehören und zweckentfremdet hätte werden können (Beale und Hall 2007). Insofern scheint es doch von Belang zu sein, bei Interventionen auf Merkmale und Faktoren einzugehen, die das Phänomen Cybermobbing kennzeichnen.

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In diesem Sinne haben Papatraianou, Levine and West (2014) insbesondere in Hinblick darauf, dass Cybermobbing allgegenwärtig ist und Angriffe immer und überall stattfinden können, hervorgehoben, dass Cybermobbing multifaktoriell verstanden werden muss, so dass sich fünf mögliche Interventionslevels ergeben: 5 Persönlich: Beinhaltet alle Faktoren auf individueller Ebene, z. B. psychosoziale Charakteristika; 5 Familiär: Bezieht sich auf Familienstruktur und durch Familie vermittelte Werte; 5 Schulisch: Schließt das Schulklima, aber auch Beziehung zu Mitschülern und Lehrern mit ein; 5 Öffentlich: Bezieht sich darauf, wie Cybermobbing in der Gesellschaft, in sozialen Gruppen, etc. wahrgenommen und kommuniziert wird; 5 Cyber: Dreht sich darum, wie junge Leute mit Online-Medien umgehen.

Nach diesen Levels gegliedert sollen im Folgenden exemplarische einige Ansatzpunkte und Strategien von Cybermobbing-Interventionen vorgestellt werden. Zu beachten ist, dass an dieser Stelle lediglich eine Auswahl an Interventionsansätzen vorgestellt wird (für eine umfassende Übersicht siehe Betts 2016). 15.7.4  Persönliches Level

Obwohl von Tätern als auch Opfern eine ganze Reihe psychosozialer Charakteristika bekannt ist, gestalten sich klassische Interventionsansätze auf diesem Level oftmals schwierig, da viele Merkmale eher psychotherapeutischer als interventionspsychologischer Behandlung bedürfen, so etwa antisoziale Persönlichkeitszüge, Depression, (soziale) Angst, etc. Doch für Cybermobbing-Opfer sowie auch für -Täter existieren diverse Interventionen, von denen je eine im Folgenden exemplarisch dargestellt wird. Für die Opfer von Cybermobbing scheint ihre Reaktion bzw. ihr Umgang mit Cyber-Angriffen eine wichtige Rolle in der Entwicklung negativer Folgen zu spielen. So wird es von Opfern oft als hilfreich wahrgenommen, den Täter online zu blockieren (Price und Dalgleish 2010) oder beleidigende Nachrichten zu löschen bzw. (zeitweilig) auf Internetgebrauch zu verzichten (Hoff und Mitchell 2009; Kowalski und Limber, 2008; Junoven und Gross 2008). Derartige Reaktionen fasst man zusammen unter dem Begriff „Coping“, was definiert wird als der (kognitive) Aufwand, der betrieben wird, um die internen und externen Anforderungen, die sich aus stressreichen Ereignissen ergeben, zu reduzieren, zu bewältigen oder zu tolerieren (Lazarus und Folkman 1984). In Bezug auf Cybermobbing konnte belegt werden, dass eine Assoziation zwischen besorgtem (also: extreme Sorgen, Selbstvorwürfe, etc.) sowie vermeidendem (also: Ignorieren, Verheimlichen, etc. des Problems) Coping und verringertem Wohlbefinden bei 11–17-jährigen weiblichen Cybermobbing-Opfern besteht (Lodge und Frydenberg 2007). Somit scheint Coping einen geeigneten Interventionsansatz darzustellen. Auf die Entwicklung positiver Coping-Skills im Umgang mit Cybermobbing-Angriffen ist auch das niederländische Interventionsprogramm „Online Pestkoppenstoppen“, was so viel bedeutet wie „Cybermobber stoppen“, von Jacobs et al. (2014) ausgerichtet. Dieses Online-Programm zielt auf 12- bis 15-jährige Opfer von Cybermobbing und besteht aus drei Beratungsstunden, die im Laufe von drei Monaten umgesetzt werden. In diesen Stunden werden erstens eigene

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irrationale Gedanken identifiziert und diese gegebenenfalls in hilfreiche umgewandelt, zweitens die Entstehung sowie förderndes Verhalten von Cybermobbing ebenso wie Möglichkeiten zum Umgang mit derartigen Situationen analysiert, und drittens Feedback über eigene Coping-Skills sowie Ermutigungen, diese weiterzuentwickeln und anzuwenden, gegeben. Laut den Autoren werden mit dieser Methode positive Effekte in Hinsicht auf die Entwicklung angemessener Coping-Strategien erzielt. Bei Tätern von Cybermobbing ist ein bereits an früherer Stelle zitiertes häufiges Merkmal Empathie-Mangel. Steffgen und Kollegen (2011) schlugen das Training von Empathie daher als potenziellen Interventionsansatz vor. Ein Interventionsprogramm, welches an genau diesem Punkt ansetzt, heißt „Cyberprogram 2.0“ (Garaigordobil und Marinez-Valderrey 2015). Es ist für 13- bis 15-jährige Jugendliche konzipiert und besteht aus 19 einstündigen Sitzungen, in denen folgende vier Aktivitäten stattfinden: Identifikation und Konzeptualisierung von Cybermobbing-Aktivitäten und hiermit assoziierten Rollen; Analysieren der Konsequenzen, die für Opfer entstehen; Entwicklung von Coping-Strategien; Entwicklung anderer positiver Fähigkeiten. Garaigordobil und Marinez-Valderrey (2015) konnten zeigen, dass die Teilnahme an diesem Programm zu einer Erhöhung der Empathie sowie zu einer (kurzzeitigen) Abnahme von Cybermobbing-Aktivitäten führte. 15.7.5  Familiäres Level

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Eltern scheinen eine besonders wichtige Rolle zu spielen, wenn es darum geht, Cybermobbing-Angriffe gar nicht erst entstehen zu lassen, zum Beispiel durch altersgerechte Grenzen bei der Computer- und Internetnutzung; wenn der Cybermobbing-Fall aber bereits eingetreten ist, sind elterliche Strategien tendenziell weniger effektiv (Cowie 2013). Letzteres hängt vor allem damit zusammen, dass Eltern oft mit Internetverbot reagieren, was für Jugendliche heutzutage beinahe einem Ausschluss aus ihrer PeerGroup gleichkommt (Betts 2016). Diese Reaktion birgt die Gefahr, dass die Opfer von Cybermobbing ihren Eltern nichts mehr davon erzählen, da sie fürchten, Internetverbot zu erhalten (Mishna et al. 2009). Andere Strategien im Umgang mit Kindern und deren Internetnutzung sind in Hinblick auf die Intervention und auch Prävention von Cybermobbing – sei es in der Rolle des Täters oder des Opfers – demnach ratsam. Grundsätzlich scheint es bedeutsam und effektiv zu sein, wenn Eltern in die Internetnutzung ihrer Kinder involviert sind und wissen, wie diese das Internet benutzen (Law et al. 2010). Keith und Martin (2005) stellten eine Reihe konkreter Handlungsund Verhaltensvorschläge für Eltern vor: so sollten sie darauf achten, wie genau Kinder das Internet nutzen; selber internetrelevante Fähigkeiten entwickeln; nicht-jugendfreie Inhalte blockieren; Kinder ermutigen, von Cybermobbing-Erfahrungen zu berichten; und die Zeit, die Kinder online verbringen dürfen, einschränken, am besten in Form eines Familienvertrags, in dem festgehalten wird, wie lange, wann und wie sie das Internet nutzen dürfen, wie sie reagieren, wenn sie sich durch Aktivitäten anderer unbehaglich fühlen und wie sie sich selbst im Internet verhalten sollen. Derartige Regeln sollten im Idealfall mit der ersten Internetnutzung implementiert werden (Robinson 2013), um auch präventiv wirken zu können. Diese Verhaltensweisen sind zwar im familiären Level anzusiedeln, beziehen sich gleichzeitig aber auch auf das Cyber-Level, da darauf eingegangen wird, wie und zu welchem Zweck Kinder das Internet nutzen. Auch hieran zeigt sich die multifaktorielle Natur des Phänomens Cybermobbing.

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15.7.6  Schulisches Level

Die Schule spielt insbesondere in Hinblick auf traditionelles Mobbing eine wichtige Rolle, da dieses in aller Regel in der Schule stattfindet und dementsprechend dort thematisiert wird (Olweus 2013). In Bezug auf Cybermobbing hingegen herrscht eine rege Diskussion, inwiefern die Schule bzw. Lehrer für das Online-Verhalten von Schülern verantwortlich sind. Einige Autoren hinterfragen, inwiefern es überhaupt sinnvoll ist, Schulen miteinzubeziehen, wenn nur ca. 1 % der Betroffenen ihren Lehreren überhaupt von Cybermobbing-Vorfällen berichten (z. B. Aricak et al. 2008). Campbell (2011) hingegen argumentiert, dass die Schule in der Verantwortung steht, sich mit dem Thema Cybermobbing zu befassen und die Initiative zu ergreifen, da Schulen für die Sicherheit ihrer Schüler verantwortlich sind und Cybermobbing darüber hinaus (negativen) Einfluss auf das Schulklima oder auch die schulische Leistung haben kann. Intervenierend und präventiv könnten Schulen beispielsweise alle Cybermobbing-Vorkommnisse dokumentieren, die Nicht-Akzeptanz von Cybermobbing in die Schulleitlinien aufnehmen oder ein Schulklima sowie Möglichkeiten schaffen, in dem Schüler sich gerne Lehrern oder anderen Vertrauenspersonen anvertrauen (Simmons und Bynum 2014). 15.7.7  Öffentliches Level

Basierend auf ihrem Studienergebnis, dass diejenigen, die mehr Risiken im Internet eingehen, eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, Opfer bestimmter Cybermobbing-Formen zu werden, schlagen Vandebosch und van Cleemput (2009) groß angelegte Kampagnen zur Bewusstseinsschaffung als Interventionsansatz von Cybermobbing vor. Hierdurch könnten Internetznutzer dazu angeregt werden, ihr eigenes Online-Verhalten zu überdenken und gegebenenfalls weniger Risiken einzugehen. Ein deutsches Beispiel für eine derartige Kampagne ist die unter dem Hashtag #AugenAuf bekannt gewordene Anti-Cybermobbing-Initiative, die 2017 in Internet und Fernsehen verbreitet wurde und in der bekannte Personen des öffentlichen Lebens mitwirken, indem sie gegen sie gerichtete Hasskommentare vortragen (für weiterführende Informationen siehe 7 www.sat1.de/augenauf). Öffentliche Kampagnen müssen sich aber nicht auf das Ziel der Bewusstseinsschaffung beschränken, wie „klicksafe.de – Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz“ (für weiterführende Informationen siehe 7 www.klicksafe.de) zeigt. Denn hier geht es nicht nur um Cybermobbing, sondern auch um problematische Web-Inhalte, Online-Shopping, Rechtsfragen im Netz, und viele weitere Online-Inhalte. Und über diese Themen wird zwar einerseits Wissen vermittelt und so ein Problembewusstsein geschaffen, andererseits aber auch praktische Fähigkeiten (z. B. die Einhaltung erwünschter Verhaltensweisen in kritischen Momenten) geübt mit dem Ziel, diese erfolgreich in den Lebensalltag zu integrieren. 15.7.8  Cyber Level

Wie bereits erwähnt, ist das Cyber-Level mit anderen Levels, insbesondere dem familiären, eng verknüpft: Wenn Eltern Regeln aufstellen, die sich die Art und den Zweck der Internetnutzung ihrer Kinder bezieht, so werden einerseits familiäre Werte und

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Normen (familiäres Level) vermittelt, andererseits aber auch auf den Umgang junger Leute mit Online-Medien eingegangen (Cyber-Level). Ein anderes Beispiel für einen Interventionsansatz auf Cyber-Level ist das Aufstellen sogenannter „Netiquetten“, also Regeln bzw. ein Verhaltenskodex zum Umgang mit anderen Usernin sozialen Netzwerken, Chatforen, etc. Eine andere Möglichkeit ist das Einführen von Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten bei Cybermobbing, beispielsweise in Form von Melde-Buttons, mit denen von Cybermobbing betroffene Nutzer diejenigen melden können, von denen sie angegriffen wurden. Sowohl das Vorstellen einer Netiquette als auch die Melde-Funktion sind mittlerweile als Standard in sozialen Netzwerken anzusehen (Pfetsch et al. 2014). Zusammenfassung

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In diesem Exkurs zum Phänomen Cybermobbing wurde ein Überblick darüber gegeben, wie Cybermobbing definiert wird, wie häufig es vorkommt, was Opfer, Täter und Außenstehende ausmacht, welche Auswirkungen Cybermobbing auf eben jene Personengruppen hat und welche Möglichkeiten der Intervention bestehen. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass bezüglich der Definition von Cybermobbing Uneinigkeit herrscht. Einige Autoren plädieren dafür, Cybermobbing als eine digitale Form des traditionellen Mobbings, welches von Angesicht zu Angesicht und oftmals im Schulkontext stattfindet, anzusehen. Andere Autoren argumentieren dagegen, dass Cybermobbing sich in einigen Punkten essenziell von der traditionellen Form unterscheide (für eine Zusammenfassung dieser Unterscheidungsmerkmale siehe . Tab. 15.1), und es daher als eigenständiges Phänomen anzuerkennen sei. Diese Uneindeutigkeit setzt sich in der Prävalenz von Cybermobbing fort. Unter anderem wegen der unterschiedlichen Definitionen des Phänomens unterscheiden sich die Prozentzahlen, mit denen erfasst werden soll, wie stark verbreitet Cybermobbing ist, zum Teil stark. Aber auch andere Faktoren wie zum Beispiel nicht vergleichbare Stichproben der unterschiedliche Messmethoden tragen zu stark abweichenden Zahlen bei. Dass Uneinigkeit in Bezug auf Definition und Prävalenz von Cybermobbing herrscht, bedeutet aber nicht, dass das Phänomen als solches nicht ernst genommen und untersucht werden sollte – es stellt in jedem Fall ein signifikantes Problem für die heutige Jugend dar (Kowalski et al. 2014). In Bezug auf Charakteristika von Cybermobbing-Tätern bzw. Opfern lässt sich interessanterweise eine große Schnittmenge feststellen. So ist sowohl für Täter als auch für Opfer kennzeichnend, bereits frühere Mobbingerfahrungen gemacht zu haben, Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen, häufig das Internet zu nutzen, Züge einer antisozialen Persönlichkeit zu besitzen, in einem familiär problematischen Umfeld zu leben und eher schlechte Peer-Beziehungen zu haben. Dies zeigt, dass hier viele kontextuelle Faktoren eine Rolle zu spielen scheinen und dass die Betrachtung einzelner Faktoren nicht dazu befähigt, Rückschlüsse darüber zu ziehen, ob ein Individuum besonders wahrscheinlich Täter bzw. Opfer von Cybermobbing sein oder werden könnte. Bei Cybermobbing-Außenstehenden ist oft der sogenannte Bystander-Effekt (Darley und Latané 1968) zu beobachten. Dabei verfolgen Außenstehende das Cybermobbing-­ Geschehen, ohne aktiv einzugreifen. Dies muss aber nicht der Fall sein. Faktoren, die das Nicht-Auftreten des Bystander-Effekts begünstigen, sind neben kontextuellen Umständen unter anderem eine persönliche Beziehung zum Opfer oder Persönlichkeitsmerkmale des Außenstehenden wie zum Beispiel prosoziales Verhalten oder ein hohes Maß an Empathie.

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Cybermobbing bedeutet für keinen der Beteiligten (langfristige) positive Konsequenzen. Als Folgen von Cybermobbing zeichnen sich insbesondere psychische Beschwerden wie depressive Symptome, Angststörungen oder ein stark verringerter Selbstwert ab – und das sowohl bei Cybermobbing-Tätern als auch bei Opfern. Auch in Bezug auf die Folgen von Mobbing lassen sich also interessante Überschneidungen finden. Cybermobbing-Interventionen können an verschiedensten Ebenen bzw. Levels ansetzen. So können im schulischen, familiären oder auch individuell-persönlichen Kontext Ansatzpunkte der Intervention gefunden werden. Aber auch die Öffentlichkeit kann mit groß angelegten Kampagnen zur Intervention und Prävention beitragen. So können mögliche Ansätze vom Ausarbeiten eines Familienvertrags zur Internetnutzung, in dem festgelegt wird, wofür, wie lange und auf welche Art Kinder das Internet benutzen, bis hin zu einer deutschland- oder gar europaweiten Initiative für Internetsicherheit reichen. Wie wirksam diese Methoden sind, wird sich zeigen. Denn die Digitalisierung schreitet immer weiter voran und technische Möglichkeiten werden stetig weiterentwickelt. So ist zu erwarten, dass das Thema Cybermobbing weiterhin eine wichtige Rolle sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch im öffentlichen Bewusstsein spielen wird.

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