Leben und Liebe im alten Rom

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1. Heirat • Scheidung • Verstoßung

Heiratsgründe »Wie arm bin ich doch!« ruft der Geizhals des Plautus traurig aus, »da habe ich eine erwachsene Tochter am Hals, ohne Mitgift, und ich kann sie nicht an den Mann bringen!« Dieses Lamento ist in Rom oft zu hören: Das Geld ist entscheidend für die Eheschließung; ein Mädchen ohne Vermögen bleibt sitzen, wenn nicht ein selbstloser junger Mann sie ihrer Schönheit wegen nimmt. Das ist selten, aber nicht ausgeschlossen. »Seht nur die Mütter«, sagt Terenz, »wie sie ihren Töchtern schmale Schultern machen möchten und sie schnüren, um sie schlanker erscheinen zulassen! Wenn eine zur Fülle neigt, sagt die Mutter: Sie ist eben kräftig; und sie läßt sie hungern, bis sie, entgegen ihrem Temperament, dünn und biegsam ist wie ein Schilfrohr.« Wenn kein Freier sich einstellt, gerät die Familie in Panik: Freunde des Hauses werden mobilisiert und auf die Suche geschickt mit dem Auftrag. Dabei ist das Töchterchen kaum noch dreizehn; da aber das römi-

sehe Gesetz die Mädchen mit zwölf für mannbar erklärt, werden die Mütter unruhig, sobald die Töchter dieses gesetzliche Alter erreicht haben. Endlich findet sich ein Bräutigam, der weder ein Verwandter noch ein Fremder ist - zwei kategorische Hindernisse, obwohl das erste den Kaiser Claudius nicht abhielt, seine Nichte Agrippina zu heiraten. Wenn jedoch ein Fremder das römische Bürgerrecht erlangt, steht der Verbindung nichts mehr im Wege: »Justae sunt nuptiae quas cives Romani contrahunt.« Angenommen aber, der Zukünftige ist weder Verwandter noch Fremder; außerdem gefällt er der Tochter und findet selber Gefallen an ihr oder an ihrem Reichtum. »Ich gebe dir meine liebe Tochter«, sagt der Vater, »möge es mir, dir und ihr zum Glück ausschlagen.« Diese Einwilligung bedeutet nur ein einfaches Versprechen; damit sie rechtskräftig wird, muß sie mit einer formellen Verlobung besiegelt werden, die stets sehr bald darauf folgt und für die Gültigkeit der Ehe unerläßlich ist. Weilt der künftige Gatte in der Ferne, genügen Briefe oder eine Vollmacht.

Zwei junge römische Paare: das eine verliebt, das andere nachdenklich. Der Name des zweiten ist bekannt: es war das Ehepaar Pacino Proculo.

Die Verlobung Als günstigste Zeit für eine Verlobung gilt die erste oder zweite Stunde des Tages. Die Familie und die Freunde sind seit dem Morgen im Vaterhaus versammelt: und im Kreise dieser Versammlung wiederholt der Freier, mit seinen schönsten Gewändern angetan und vom Barbiermeister in Person frisiert und rasiert. seine Bitte an den Vater, indem er erklärt, er wünsche dessen Tochter zum rechtmäßigen Weibe zu nehmen. Der Vater erteilt seine Einwilligung, und diese gewinnt nun in Gegenwart der Zeugen Rechtskraft. Wollte der junge Mann sich danach noch zurückziehen, könnten die Eltern des Mädchens ihn gerichtlich verklagen. Meist wird ein Vertrag aufgesetzt und von den Anwesenden unterzeichnet. Damit ist die Verbindüng perfekt, und man verwendet von diesem Augenblick an schon die Bezeichnungen »Schwiegersohn« 8

und »Schwiegervater«. Alle Beteiligten haben sich einverstanden erklärt: Man hat das Mädchen gefragt, ob sie etwas einzuwenden habe, und wenn sie keinen Einspruch gegen den Vertrag erhebt, gilt ihr Stillschweigen schon als Zustimmung, Diebeiden jungen Leute sind also verlobt. Als Zeichen der Liebe und Treue gibt der Bräutigam der Braut einen eisernen Ring ohne Verzierung und Schmuck als Symbol der strengen ehelichen Tugend, Die Braut steckt ihn sich an den Ringfinger der linken Hand, von dem es heißt, er sei direkt mit dem Herzen verbunden. Sobald der Verlobungsvertrag unterzeichnet ist, wird der Hochzeitstag festgesetzt, und es werden alsogleich die Einladungen an die Verwandten und Freunde beider Familien ausgesandt, Die Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit beträgt gewöhnlich ein Jahr, doch wartet man nicht immer so

Links: Ein Bild gegenseitigen Vertrauens und gemeinsamer Hoffnung. Zur Römerzeit bedeutete die Verlobung eine Verpflichtung ersten Ranges: Ein Mann, der seine Verlobung lösen wollte, konnte von den Eltern des Mädchens gerichtlich verfolgt werden.

lang. In der »Aulularia« des Plautus finden Verlobung und Hochzeit am selben Tag statt. Nicht jeder Zeitp'unkt gilt als glückbringend für die Ehe, und der Tag der Hochzeitsfeier wird mit sorgfältiger Überlegung gewählt. So gilt der Mai als Unglücksmonat wegen der »lemurales«: »In diesen Tagen soll weder Witwe noch Jungfrau die Fackel des Hymenäus entzünden: eine, die in dieser Zeit heiratet, lebt nicht mehr lang.« Es gibt ein Sprichwort: Nur schlechte Frauen heiraten im Mai. Der Juni ist günstig, aber nur nach den Iden, also vom 13. an; die ersten zwölf Tage bringen Unglück. Das sagt noch Ovid; er wußte es von keiner Geringern als der Frau des »flamen dialis«, des Jupiterpriesters: »Man muß warten, bis der Tiber allen Unrat aus dem Vesta-Tempel ins Meer geschwemmt hat. «Anscheinend war das erst am 13. Juni der Fall. Auch die Kalenden des Juli sind ungünstig für die Eheschließung: Das sind Feiertage, an denen man niemanden verletzen darf. Nur Witwen können zu dieser Zeit heiraten: Sie sind erfahren, wissen, was sie tun, und müssen nicht mehr defloriert werden. Desgleichen ist jeweils der Tag nach den Kaienden, den Nonen und den Iden unheilbringend: »Toedis aliena tempora.« Vor der Hochzeit opfert man der Juno, der Venus und den Grazien. Der Vater überreicht seiner Tochter Geschenke, meist Stoffe und Edelsteine. Doch der Freigebigkeit des Bräutigams sind Grenzen gesetzt durch einen Brauch, der verlangt, daß die Gattenliebe durch kein materielles Interesse getrübt werde: Die Frau soll ihren Mann um seiner selbst willen lieben. Am Tag vor der Hochzeit wird der Ehevertrag aufgesetzt: Darin sind die Höhe der Mitgift und der Termin ihrer Auszahlung verzeichnet. Töchter aus gutem Haus bekommen gewöhnlich eine Million Sesterzen mit. Der Vertragstext endet mit folgender Formel: »Möge all dies rechtens und zum besten geraten.« In der Frühzeit pflegte der Bräutigam in Begleitung eines älteren Verwandten den nächsten Tempel aufzusuchen, um sich wahrsagen zu lassen und zu den Göttern Pilumnus und Picumnus zu beten. Später geriet dieser Brauch in Vergessenheit, und die Auguren kamen am Hochzeitsmorgen selbst ins Haus, um wahrzusagen. Zum letztenmal schläft in dieser Nacht die Braut in ihrem jungfräulichen Bett, bekleidet mit einer safrangelben Tunika und einem weißen Umhang. Das ist das Kostüm, das auch der Jüngling am Abend vor der

Verleihung der Männertoga trägt. Mit der Unterzeichnung des Ehevertrags und dem Jawort der Brautleute ist die Ehe gesetzlich geschlossen. Die folgenden Feierlichkeiten und Zeremonien sind zu ihrer Gültigkeit nicht notwendig,

Unten: Innigkeit und Zärtlichkeit sind eines der großen Themen der römischen Kunst. Im Vergleich zur Welt der Griechen ist unbestreitbar ein großer Fortschritt in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern festzustellen.

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t i- i. .o i, Die eheliche Gewalt Auf dreierlei Weise kam eine Frau in die Gewalt eines Mannes und wurde in seine Familie aufgenommen (»inmanumconveniebat«): durch Gewohnheitsrecht, durch »coemptio« und durch »confarreatio«. Sobald eine Frau ein ganzes Jahr im Haus eines Mannes gewohnt hat, ohne drei Nächte fortzubleiben, fällt sie in die Gewalt ihres Mannes: Nicht einmal ihr Vater kann sie aus der Wohnung, die zur ehelichen Wohnung geworden ist, wegführen; sein Recht ist verjährt. So kann eine Eheschließung ohne Hochzeit und ohne religiöse Zeremonien vollzogen werden. Aber der Ehemann gewinnt auf diese Weise nicht die Rechte und die Macht eines »pater familias«, die nur durch »justae nuptiae« erworben werden können. Wahrhaft unter die Gewalt des Mannes fällt die Frau durch die Zeremonie der »coemptio« oder durch die noch feierlichere der »confarreatio«. Die »coemptio« ist ein simulierter, fiktiver Kaufhandel, bei dem die beiden Gatten einander zu eigen geben. Er wird milden üblichen Zeremonien der »mancipatio«, des Sklavenkaufs, vollzogen. Die Frau kommt in den 10

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Tempel . F^.mit drei ,, Münzen,' von denen , TT sie eine .im Schuh tragt. Diese dient dazu, Penaten (Hausgötter) zu kaufen und damit das Recht zu erwerben, an den Hauskulten der Familie, in die sie aufgenommen wird, teilzunehmen. Mit der zweiten »kauft« sie ihren Mann und mit der dritten schließlich, die sie in ein eilig hergestelltes Hausmodell legt, gewinnt sie das Recht, ihre neue Wohnung zu betreten. »Frau, willst du die Mutter meiner Kinder sein?« - »Ich will es.« - »Mann, willst du der Vater meiner Kinder sein?« - »Ich will es.« Das ist die vorgeschriebene Formel, und damit ist die Zeremonie beendet. Diese Eheschließung kann nur durch »remancipatio«. Loskauf, gelöst werden, Die Hochzeit in Form der »confarreatio« ist die feierlichste und heiligste. Diesen religiösen Akt vollzieht der oberste Priester, der »flamen« des Jupiter, in Gegenwart von zehn Zeugen mit geheiligten Formeln. Das ist der »Hymen« nach den heiligen Gesetzen. Es wird ein Opfer gebracht, bestehend aus einem Kuchen, der aus einer Getreideart namens »far« zubereitet ist. Wurde diese sehr lange dauernde Feier durch einen Donnerschlag unterbrochen, dann mußte man von vorn anfangen.

Das links abgebildete Fresko zeigt recht deutlich die traditionelle Auffassung vom Verhältnis zwischen Mann und Frau. - Unten: noch eine intime Szene.

Verschiedene Augenblicke der Hochzeitszeremonie: Kinder bringen Geschenke; die Brautleute reichen einander, meist in Gegenwart von Zeugen, die Hände, um ihren Bund zu besiegeln (links oben, in der Mitte und unten). Am Abend ziehen sich die Neuvermählten in ihre Wohnung zurück. Der Hochzeitstag Die Tür des Brauthauses wird für die Hochzeitsfeier geschmückt: Sie wird zur Gänze mit weißen Tuehern und Blumengirlanden verkleidet. Das Brautkleid ist eine regelrechte Allegorie. Der orangerote Schleier, das safrangelbe »flammeum« - das ist die übliche Kleidung der Frau des »flamen«, der die Scheidung verboten ist; die weiße Tunika symbolisiert die Jungfräulichkeit: die turmiörmige Frisur ähnelt der Haartracht der Vestalinnen; der im Haar stekkende Stab erinnert an den Raub der Sabinerinnen oder deutet die Unterwerfung der Frau unter ihren Mann an; der Verbenenkranz ist ein Fruchtbarkeitssymbol; der wollene Gürtel um die Hüften bezeugt Schamhaftigkeit. So geschmückt, setzt sich die Braut auf einen Sessel, der mit dem Fell eines Opferlammes bedeckt ist; daneben sitzt der Bräutigam auf einem ebensolchen Stuhl: beidesind verschleiert. Der Oberpriester opfert den Göttern Milch und Honigwein, dann reicht er den Brautleuten den heiligen Kuchen (»far«), legt ihre Hände ineinander und traut die junge Frau dem Mann an, der ihr Freund, Lehrer und Vater sein soll. Bald darauf, wenn der Tag zur Neige geht, führt man die Neuvermählten zur ehelichen Wohnung im Hause des Gatten. Bevor die junge Frau das Haus ihrer Kindheit verläßt, nimmt der Vater die Auspizien. Man tut so, als wollte man ihm die Tochter gewaltsam entreißen, in Erinnerung an den Raub der Sabinerinnen; Kinder, die noch bei den Eltern wohnen, begleiten die Braut: Zwei halten sie an den Händen, ein drittes geht voran und vertreibt das Unglück mit einer Weißdornfackel. Zwei weitere Kinder gehen hinter ihr, sie tragen eine Spindel, einen Spinnrocken und einen Korb mit allen Utensilien der weiblichen Hausarbeit. Vier verheiratete Frauen, jede mit einer Fackel aus Kiefernholz in der Hand, folgen dem kleinen Geleitzug; im Fackelschein erreicht die Jungverheiratete ihr neues Heim. Unterwegs versuchen junge Leute von allen Seiten die Zeremonie durch Scherze und Anzüglichkeiten aufzulockern. An der Schwelle des ehelichen Hauses erwartet der Bräutigam die Braut und fragt sie, wer sie sei; sie antwortet: »Wo du Gaius bist, will ich Gaia sein« (Ubi tu Gaius, ego Gaia). Man reicht ihr Wasser und eine brennende Fackel; sie berührt die Fackel und bespritzt sich mit ein paar Tropfen Wasser

- eine Art Reinigung oder vielmehr Zeichen und Symbol der Reinheit. Ihre Begleiterinnen heben sie über die Schwelle: Ihr Fuß darf die Schwelle, die der Vesta, der Göttin der Jungfräulichkeit, geweiht ist, nicht berühren. Währenddessen wirft der Bräutigam den Kindern Nüsse zu und nimmt damit Abschied von den Spielen der Kindheit. Ein Abendessen ist vorbereitet, ein üppiges Mahl, an dem die ganze Familie teilnimmt; gegen Ende reicht man den Gästen »mustacea«, in Süßwein getränkte, mit Lorbeerblättern gebackene Kuchen, die sie mit nach Hause nehmen, Schließlich, da es Nacht geworden ist, führen einige ältere Frauen die Braut zum Ehebett. Dieses ist mit Purpur und goldverbrämten Tüchern bedeckt und steht auf einer Estrade aus Elfenbein. Auch der folgende Tag ist ein Festtag. Nochmals vereinigt sich die ganze Familie zu einem Essen, das »repotia« heißt, Von nun an überläßt man die Jungvermählten sich selbst. Werden sie glücklich sein? Man hofft es; aber es von vornherein anzunehmen, hieße für jemanden, der einen Blick ins römische Familienleben getan hat, zuviel voraussetzen.

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Zu allen Zeiten pries man die wichtige Rolle der römischen Frau im Haushalt und sogar in der Gesellschaft, ihren Liebreiz, ihre Vernunft, ihre Festigkeit, obgleich die Gesetze dem Ehegatten die beherrschende Stellung einräumten.

Die Lage der Frauen Fragt man die Juristen, die gewöhnlich die Institutionen nur nach den Gesetzestexten beurteilen, so werden sie die Lage der Frau im alten Rom in den düstersten Farben schildern: Sie besaß keines der Schutzrechte, die in den freundlicheren griechischen Gesetzen enthalten waren, sie war wehrlos auf Leben und Tod der Despotie ihres Vaters oder ihres Ehemannes ausgeliefert, sie wurde verkauf t und gekauft wie ein Sklave oder ein Stück Vieh, und ihre Rechtlosigkeit, ihre Knechtschaft endeten erst mit dem Tod; wenn sie der Tyrannei ihres Vaters oder ihres Gatten entfloh, kam sie unter die Tyrannei ihrer Verwandten. Sieht man jedoch ab von den juristischen Formeln und betrachtet die Stellung der Frau in den Sitten, im gesellschaftlidien Leben, kurz, in der Wirklichkeit, da ändert sich das Bild mit einem Schlag: da ist die Frau nicht mehr die ohnmächtige Sklavin, sondern die Matrone, die Familienmutter, verehrt von Dienern und Dienerinnen, Klienten und Kindern, von ihrem Mann geachtet, von allen geschätzt, die Herrin im Haus, deren Einfluß bis in die Volksversammlungen und den Senat reicht. Die Römer verbannten die Frau nicht in die Abgeschiedenheit und Stille des Gynäkäums: sie gewährten ihr Zugang zum Theater, zu Festen und Mählern; man ließ ihr den Vortritt, der Konsul und die Liktoren gaben ihr den Weg frei. Übrigens sah man sie nur selten in der Öffentlichkeit und bei Volks Veranstaltungen: sie lebte aus Tugend so zurückgezogen, wie die griechische Frau es gezwungenermaßen tat, und ihr gewohnter Platz war am heimischen Herd, im Atrium. Das Atrium war zum Unterschied vom Gynäkäum kein abgelegener Raum im Obergeschoß des Hauses, verborgen und unzugänglich. Es war das Zentrum der römischen Wohnung, der Gemeinschaftsraum, wo die Familie sich versammelte und Freunde wie auch 14

fremde Gäste empfangen wurden: hier, beim Herdplatz, stand der Laren-Altar, umgeben von allem, was der Familie teuer und heilig war: dem Hochzeitsbett, den Ahnenbildern, dem Leinen und den Spindeln der Hausfrau, der Truhe, in der die Hauslisten und das Familiensilber verwahrt wurden. Diese Schätze standen unter der Obhut der Frau; genau wie der Hausherr opferte sie den Laren; sie überwachte die Arbeit der Haussklaven; sie leitete die Erziehung der Kinder, die ihrer Autorität bis zur Adoleszenz unterstellt waren; und schließlich teilte sie sich mit ihrem Mann in die Verwaltung des Vermögens und die Führung des Haushalts. Von dem Augenblick an, da die Neuvermählte den Fuß über die Schwelle des Atriums ihres Mannes setzte, nahm sie teil an all seinen Rechten. Das ist der Sinn der alten Formel, der Worte, die die Braut beim Überschreiten der Schwelle zu ihrem Mann sprach: »TJbi tu Caius, ibi ego Caia« - Wo du der Herr bist, werde ich die Herrin sein. Tatsächlich war die Frau Herrin über alles, worüber ihr Mann Herr war: jedermann im Haus, auch ihr Gatte, nannte sie »domina«; Cato der Ältere übertrieb nur ein wenig, als er scherzhaft schrieb: »Überall regieren Männer über Männer, und wir, die über alle anderen gebieten, werden von unseren Frauen beherrscht.« Solchen Einfluß besaß die Frau nicht nur in der Stille des Hauses und im engen Kreis der Familie. Auf jeder Seite der römischen Geschichte tritt die Frau hervor. Vergeblich verbieten ihr die Gesetze die Teilnähme an öffentlichen Geschäften: ohne Unterlaß greift sie, offen oder versteckt, in die Geschicke des Staats ein. Es scheint sogar, als hätte es den Römern gefallen, in ihren Annalen und Legenden jede ihrer glorreichsten Erinnerungen mit dem Namen einer Heldin zu verbinden; und wenn man der Überlieferung glauben kann, dann hatte Rom der Tugend seiner Matronen nicht weniger zu verdanken als der Weisheit seiner Gesetzgeber und der Tapferkeit seiner Krieger. Während Philosophen und Gesetzgeber die Frauen in Unmündigkeit zu halten suchten, hat die Volksmeinung sie emanzipiert. Das kam wahrscheinlich von der hohen Vorstellung, die die Römer sich von der Ehe machten. Sie betrachteten sie als »Mischung zweier Leben«, und diese Mischung konnte nicht vollständig sein, wenn die Gatten nicht alles gemein hat-

ten. »Als ich dich heiratete«, sagte Brutus zur edlen Porcia, »geschah es, um meinen Teil an allem Guten und Bösen, das dir widerfahren mag, zu übernehmen«. Diese gleiche Teilung von Gutem und Bösem führte den Gleichheitsgrundsatz in die Familie ein. In der Folge konnte nichts sich diesem Prinzip widersetzen: es überwand schließlich die Vorurteile der Welt, die Theorien der Philosophen, die Vorschriften des Gesetzes. Die strengen Regeln für die Frauen wurden zwangsläufig umgangen oder abgeschafft. Die Rechtsgelehrten haben nachgewiesen, mit welch geschickten Manövern es den Frauen gelang, die Barrieren des alten Zivilrechts umzustoßen und ihren Männern gleich zu werden. Wenn man wissen will, wie frei die römischen Frauen waren, dann braucht man nur die Inschriften zu lesen. Nach der Lektüre dieser Dokumente sind wir weniger geneigt, das Schicksal der alten Römerinnen zu beklagen. Sie hatten das Recht, Vereine gegen die Männer zu bilden und ihre Führerinnen zu wählen. Einer dieser Vereine trug den respektablen Namen »Gesellschaft zum Schütze der Schamhaftigkeit«. Es kam vor, daß diese Gruppen in die öffentliche Verwaltung eingriffen und dort eine gewisse Rolle spielten.

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Man darf nicht vergessen, daß trotz einer fortgeschrittenen Auffassung vom Verhältnis zwischen den Geschlechtern der Ehemann immer noch das furchtbare Recht hatte, seine Frau zu verstoßen, »l foras, mulier« - diese Formel genügte, und die Scheidung war vollzogen. Eheliche Leiden Die frommen Zeremonien und feierlichen Riten bei der Hochzeit erwecken die Vorstellung eines strengen und reinen Familienlebens in Rom; aber das ist leider alles nur äußerlich. Die Formeln und Förmlichkeiten sind geblieben, weil das römische Volk sehr auf die Bewahrung der Formen bedacht ist; sie entsprechen aber keinem Gefühl, keinem Wunsch mehr, sie sind nicht mehr symbolischer Ausdruck der Wirklichkeit, sondern nur noch toter Buchstabe, leere Hülle. Werfen wir einen Blick auf das häusliche Leben der Römer zur Zeit des Plautus - was sehen wir? Da beklagt sich eine junge Frau bei ihrem Vater, ihr Mann verschmähe sie und ziehe ihr Kurtisanen vor; und der Vater antwortet: »Habe ich dich nicht ermahnt, deinem Mann gehorsam zu sein und ihm nicht nachzuspionieren, was er tut und wohin er geht?« - »Aber er hat eine Geliebte, eine Kurtisane, hier ganz in der Nähe!« - »Recht hat er; und er sollte sie dir zur Strafe noch mehr lieben!« Das ist die ganze Unterstützung, die diese Frau von ihrem eigenen Vater erhält. Und dann sind da zwei Frauen, von denen die eine sich beklagt, während die andere sie tröstet und ermahnt: »Höre, sagt die Ratgeberin, kämpfe nicht gegen deinen Mann; laß ihn herumpoussieren, soviel er Lust hat, denn dir geht dadurch nichts verloren; hüte dich vor dem schrecklichen Wort: Hinweg, Weib!« Das ist die gefürchtete Formel: »I foras, mulier«, die Scheidungsformel, die jede Frau zwingt, ihre Krankung und ihren Schmerz zu schlucken. Sie bringt einen Sohn zur Welt, eine Quelle des Trosts und der Hoffnung; aber der Mann kann sich weigern, das Kind als das seine anzuerkennen. Mag der Mann ihr auch noch so verhaßt sein, sie muß ihm entgegengehen, wenn er heimkommt; aber sie darf ihn nicht fragen, wo er war. Erspart sie sich etwas Geld ohne sein Wissen, wird sie verachtet; geht sie heimlich aus, wird sie verstoßen. So verstieß, wie Valerius Maximus berichtet, Sempronius Sophus seine Frau, weil sie, ohne es ihm vorher zu sägen, zu den Zirkusspielen gegangen war. Ehebruch wird mit dem Tode bestraft. Während die Frau in soleher Sklaverei lebt, nimmt der Mann ihr ihre Kleider, um sie seiner Geliebten zu schenken. Du staunst? Der Dichter antwortet dir: Man muß es so machen wie die anderen. Vater und Sohn streiten sich um eine Dirne

oder teilen sich in sie. So ist das Familienleben: Ausschweifung überall, schwere, massive, trunkene AusSchweifung bis zur Erschöpfung. »Wir würden euch dieses Schauspiel nicht geben«, sagt der Mime, »hätten wir nicht dergleichen gesehen.« Neben Ehen dieser Art gibt es auch andere. Dort sind die Rollen vertauscht: Die Frau dominiert, herrscht, regiert. Hochfahrend und gebieterisch, zwingt sie alle unter ihren Willen; putzsüchtig und verschwenderisch, läßt sie sich spazierenfahren, und ihr Haus ist voll von Kaufleuten und Gläubigern. Der Mann hat zu zahlen und den Mund zu halten. Wagt er aufzumucken, fährt sie ihn an: Was! Wer hat dich denn reich gemacht? Ist nicht meine Mitgift dein ganzes Vermögen? Habe ich nicht das Recht, mir etwas zu gönnen? Wenn sie ihm Anlaß gäbe, an ihrer Treue zu zweifein, könnte er sie verstoßen, und die ganze Mitgift würde ihm bleiben. Aber sie ist streng moralisch; was soll der Mann also tun? Soll er die Scheidung verlangen wegen Unverträglichkeit des Geschmacks und des Temperaments? Ach, wie gern möchte er das, doch da sind die Zwölf-Tafel-Gesetze, an denen ist nicht zu rütteln: Wenn der Mann die Scheidung verschuldet, erhält die Frau, auch wenn sie einwilligt, die Mitgift zurück, und die Kinder bleiben unter der Obhut des Vaters. Da heißt es also seinen Kummer mit Geduld ertragen. Gewöhnlich sucht der Mann dann Trost außer Haus, um seine ehelichen Leiden zu vergessen. Auf der einen Seite also die tyrannisierte Frau, die geduldig alle Kränkungen erträgt, um nicht die schrecklichen Worte: »Iforas, mulier!« zu hören; auf der anderen die zänkische, keifende, verschwenderisehe, die ihren Mann bis aufs Blut sekkiert und sich sieher fühlt, geschützt durch ihre Mitgift und ihr Vermögen. Die Scheidung ist daher fast immer eine Geldfrage. Meist heiratet der Mann, um in den Besitz einer Mitgift zu kommen, und bleibt verheiratet, um sie nicht zu verlieren. Folglich ist in jeder Ehe einer der beiden Partner unglücklich. »Die Frau ohne Mitgift ist ihrem Mann ausgelief ert; die Frauen mit Mitgif t sind die Geißeln und Henker ihrer Männer.« Links: Zeitvertreib zweier junger Paare. Drückt das unten abgebildete Gesicht Ekstase oder Leiden aus? 17

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Der Alltag der Römerin, ähnlich dem so vieler anderer Frauen im Laufe der Jahrhunderte: Haus- und Küchenarbeit, ein wenig Klatsch, Schönheitspflege . . . Man bewunden die edlen, offenen, von Klugheit und Liebe leuchtenden Züge der links unten abgebildeten Römerin; das nebenstehende Gesicht läßt an Fruchtbarkeit denken.

Die Grabsku/pturen bestätigen die enge Verbundenheit der meisten römischen Ehepaare. Nicht selten wollte eine Frau ihrem Mann in den Tod folgen. Die sakramentale Formel: »Ubi tu Gaius, ibi ego Caia« (Wo du hingehst, will auch ich hingehen), diese so vielsagende Formel ist auf die Nachwelt gekommen. Auf der letzten Abbildung gegenüber sieht man einen kleinen Hund, der damals regelrecht zur Familie gehörte. 21

Das seltsame Fresko gegenüber, aus der Zeit des Augustus, zeigt eine eheliche Szene: Mann und Frau in heftigem Streit, der bis zu Handgreiflichkeiten geht- die Frau erhebt den Arm gegen ihren Mann; ein anwesender Dritter sucht sie zurückzuhalten.

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Ein Weiberfeind Nach der Niederlage von Cannae war Rom in soleher Bedrängnis, daß der Staat die Mittel seiner Bürger in Anspruch nehmen mußte. Ein von dem Tribunen Oppius eingebrachtes Gesetz untersagte es jeder Römerin, mehr als eine halbe Unze (13,5 g) Gold zu besitzen, mit Purpur gesäumte oder bestickte Stoffe zu tragen und in einer Stadt, vor allem in Rom, mit dem Wagen zu fahren, außer an religiösen Festtagen. Dieses Gesetz blieb zwanzig Jahre lang in Kraft, bis dann unter dem Konsulat Catos die Tribunen vorschlugen, es aufzuheben. Titus Livius legt ihnen geistreiche, galante Reden in den Mund, so wie ein Tribun am Hof des Augustus sie gehalten haben könnte. Der wahre Grund für die Aufhebung des Gesetzes war jedoch, daß niemand mehr sich daran hielt. In den Tagen, als numidische Reiter ihre Erkundungsaktionen bis an die Tore Roms herantrugen, dachten die Damen weniger an ihren Putz als daran, für ihre Manner, Brüder und Söhne zu den Göttern zu beten. Die Nähe Hannibals, der vom Esquilin-Plateau herab rachelüsterne, begehrliche Blicke auf die Stadt warf, sorgte für die Bescheidenheit der Frauen. Doch sobald die Gefahr vorüber war, dachte man wieder weniger an die Götter und mehr an die Toiletten. Daher sah man, als der Senat über die Aufhebung der Lex Oppia beriet, die großen Damen aus der Umgebung in Massen herbeiströmen. Sie füllten die Via sacra, Plätze und Straßen; sie überfluteten das Forum und forderten sanft oder gebieterisch das Recht, sich zu schmükken. Sie traten zum Sturm gegen das Gesetz mit der gleichen Entschlossenheit an, mit der ihre Männer und Brüder die Festungen Mazedoniens berannten. Zwei Tribunen, die versucht hatten, ihr Veto einzulegen, wagten es nicht, diesem Sturm zu trotzen: sie schlössen sich in ihre Häuser ein, wo die Frauen sie belagerten. Cato war nicht der Mann, sich zu verstecken: er besaß alle Arten von Mut, vor allem Zivilcourage, die viel seltener ist als kriegerische Tapferkeit, und Mannesmut. Dennoch, als er auf dem Weg zum Senat an jenem Frauenhaufen vorbeikam, errötete er. Von der Rede, die er dann hielt, sind nur kurze Bruchstücke erhalten; eines davon ist es wert, zitiert zu werden: »Der Schmuck der Frauen sind nicht Gold, Juwelen und gestickte Purpurkleider, sondern Schamhaftigkeit, Liebe zum Gatten und zu den Kindern, Unter22

Ordnung, Bescheidenheit.« Er wandte sich erst an die Männer, die von ihren Rechten und ihrer Gewalt keinen Gebrauch machten: »Weil ihr es nicht verstanden habt, eure Frauen im Zaum zu halten, müßt ihr jetzt, wo sie sich zusammenrotten, vor ihnen zittern. Nehmt euch in acht: Es gibt eine Insel - den Namen habe ich vergessen -, dort haben die Frauen alle Männer ausgerottet.« Und dann apostrophierte er die Frauen: »Welcher Teufel juckt euch, auf die Straße zu gehen und Männer anzureden, die ihr nicht kennt? Könnt ihr euer Anliegen nicht bei euren Ehemännern, zu Hause, vorbringen? Seid ihr vielleicht zufällig daheim und für eure Männer weniger liebenswert als in der Öffentlichkeit und für Fremde?«

Die Scheidung Als die Hochzeitszeremonien in Verfall gerieten, als auch die Frau den Mann verlassen durfte - selbst in seiner Abwesenheit - und Scheidungen alltäglich und allgemein wurden, bildete Unverträglichkeit der Temperamente beiderseits den häufigsten Scheidungsgrund. Kein Haß, keine Feindschaft: Man hat es einfach satt, zusammen zu leben, also geht man auseinander - was wäre einfacher und natürlicher? Jeder nimmt seinen Teil des Vermögens und lebt, wie es ihm paßt. Was wurde aus dem alten Gesetz, nach dem der Mann seine Frau nur dann verstoßen durfte, wenn sie seine Kinder vergiftet, Nachschlüssel verwendet oder Ehebruch begangen hat? »Heutzutage«, sagt Seneca, »zählen die Frauen die Jahre nicht mehr nach Konsuln, sondern nach Ehegatten.« Zur Zeit, als Unverträglichkeit noch kein ausreichender Scheidungsgrund war, gingen Eheleute, die sich zerstritten hatten, in den kleinen Tempel der Viri placa, der Göttin der ehelichen Aussöhnung. Dort sprachen sie sich aus und vertrugen sich dann zumeist wieder. Viri placa ist heute vergessen, ihr Tempel ist leer und verlassen, seit man zum Prätor geht, um sich scheiden zu lassen, ebenso fröhlich und manchmal noch fröhlicher, als man am Hochzeitstag war. Es kommt jedoch vor, daß der Mann im Augenblick, wo die Scheidung ausgesprochen werden soll, neuerlich von der Schönheit seiner Frau geblendet ist; er läßt die Heiratstäfelchen, die er zerbrechen sollte, fallen und gibt sich geschlagen. So war es mit dem jungen Mann,

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von dem Ovid spricht: Er sah seine Frau aus der Sänfte steigen, um beim Prätor einzutreten, wohin er sie bestellt hatte, lief zu ihr hin, umarmte sie und rief aus: »Deine Schönheit hat gesiegt!« So verstieß Maecenas tagtäglich seine Frau und machte ihr sofort darauf wieder den Hof, um die halbzerrissenen Ehebände von neuem zu knüpfen; tausendmal, heißt es, habe er geheiratet, aber immer ein und dieselbe Frau. Die Scheidung kann nur in Gegenwart eines Beamten vollzogen werden; sieben Zeugen, alles erwachsene römische Bürger, müssen anwesend sein; vor ihnen zerbricht man die Täfelchen mit dem Ehevertrag. Die Verstoßung ist ein weniger feierlicher Vorgang.

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Sie spielt sich zu Hause und in aller Eintracht ab. Der Mann lädt seine Freunde ein und bringt seine Klagen vor, denen sie zustimmen. Danach gibt er seine Absieht den Zensoren bekannt und schwört, daß seine Gründe rein und rechtmäßig seien. Sodann läßt er seine Frau vor seinen Freunden erscheinen; er verlangt ihr die Schlüssel ab und sagt ihr vor allen Zeugen: »Leb wohl, nimmt dein Vermögen; gib mir das meine.« Ist die Frau abwesend, wird ihr die Verstoßungsurkunde durch einen Freigelassenen zugestellt, In manchen Fällen verstößt die Frau den Mann; die Formel ist dieselbe: »Nimm dein Vermögen; gib mir das meine.« 23

Ein ewiges Thema der Kunst, und zweifellos das rührendste: Mutter und Kind.

2. Die Kinder

Die Wahl des Vaters Die tyrannische Allmacht des römischen Familienvaters, »patria majestas«, ergreift Besitz vom Kind in dem Augenblick, wo es aus dem Mutterschoß kommt, sagt Livius; der Vater kann es anerkennen oder ablehnen, er hat das Recht über Leben und Tod des Kindes. Hebt er es hoch, so erkennt er es an: Es darf leben. Läßt er es liegen, wird das Kind an einer Wegkreuzung ausgesetzt, wo es bald stirbt. Es kommt jedoch vor, daß ein Barmherziger oder ein Sklavenhändler das Ausgesetzte aufnimmt und großzieht. In so mancher Komödie löst sich die Verwicklung damit, daß die Heldin von ihren Eltern, die sie als Kind weggelegt haben, wiedererkannt wird. Verschiedene Gründe können den Vater zu einer solchen Grausamkeit veranlassen: vor allem die Ungewißheit seiner Vaterschaft, manchmal aber auch Armut, Not, eine schon zu zahlreiche Kinderschar. Warum ein armes Wurm leben lassen, das im Leben nur Elend kennenlernen würde? Not ist ein schlechter Ratgeber. Manche Väter wie der arme Chremes im »Heautontimorumenos« töten lieber ihr neugeborenes Töchterchen, statt es auf einem Kreuzweg auszusetzen. Ein alter Geizhals könnte das Kind dort finden und es zehn oder zwölf Jahre später an einen Sklavenhändler verkaufen. Besser der Tod als die Schande! Schwächlichkeit oder Mißbildung bedeutete das Todesurteil: Das Kind wurde erstickt oder ertränkt. Rom wollte kräftige Soldaten und robuste Bauern haben. War der Vater abwesend, wurde das Urteil bis zu seiner Rückkehr aufgeschoben; das Neugeborene wurde vorläufig gefüttert. Manchmal gab der Vater, bevor er seine Penaten verließ, die Weisung: »Quod erit gnatum me absente lollito« - Zieht auf, was in meiner Abwesenheit geboren wird. Eine düstere, harte Formulierung- »was geboren wird«! So könnte man auch von Vieh sprechen. Für den Römer ist die Vaterschaft ein Rechtstitel, den er ausnützt. »Jura parentis habes«, sagt Juvenal, das heißt: Du bist im Bürgerregister eingetragen; der Name deines Sohnes ist mit dem Tag seiner Geburt und dem Namen des regierenden Konsuls verzeichnet; von nun an gebührt dir ein Anteil an fälligen Erbschaften; von nun an wirst du, wenn du dich um ein Amt bewirbst, deinen Konkurrenten vorgezogen werden; als Beamter wirst

du Priorität vor deinen Kollegen genießen. Was wird also geschehen, wenn du einen dritten Sohn bekommst? Du wirst weitere Privilegien und Begünstigungen erhalten. Die Vaterschaft ist daher in Rom ein Ehrentitel und zugleich seit Augustus und der »Lex Papia Poppaea« auch gewinnbringend. In alten Zeiten bedeutete ein Sohn eine zusätzliche Arbeitskraft für die Familie, einen zusätzlichen Soldaten für die Republik und außerdem eine Gewähr für den Fortbestand des Volkes, eine Sicherheit, daß der Ahnenkult nicht erlöschen würde. Daher der Ausdruck »auctus filio«, um einen Sohn vermehrt.

Der Säugling an der Brust . . . Viele reiche Römerinnen ließen ihre Kinder von Ammen stillen.

Kind und Amme. Diese liebte das Kind oft wie ihr eigenes. Die Amme war gewöhnlich eine kräftige Frau, und viele junge Römerinnen wollten ihre Kinder nicht selber stillen, um nicht die Figur zu verlieren. Festlichkeiten Die Geburt eines Kindes ist ein Glücksfall, der freudig gefeiert wird. Es ist ein Freudentag, der gebührend begangen werden muß. Das ganze Haus ist in Bewegung, schmückt sich, nimmt festliches Aussehenan.DieHaustüre wird mit Laub und Blumen verziert: überall Kränze, Girlanden, ein Frühlingsfest. Wenn die Familie gerade in Trauer ist, legt sie die schwarzen Kleider ab; die gegenwärtige Freude läßt den vergangenen Schmerz vergessen. Von allen Seiten kommen Verwandte und Freunde, um dem Vater zu gratulieren, besonders wenn das Neugeborene ihm ähnlich sieht. Ein Tisch wird zu Ehren der Juno gerichtet, damit sie das Kind beschütze und gesund erhalte, und die Brust des Kleinen wird mit Bändern geschmückt, die in Tempeln und an anderen heiligen Stätten bestickt worden sind.

Die Amme Meist wird das Kind einer Amme anvertraut. Es wurde viel geklagt über die Mütter, die ihre Kleinen in Dienerhände legen; die römischen Damen entschuldigen sich mit ihrem Alter: Man hat sie sehr jung verheiratet; die Rasse hat ihre ursprüngliche Kraft verloren. Das sind nicht mehr, sagt Juvenal, jene energischen Frauen, die ihren Gatten im Gebirge ein Bett aus Laub, Schilf und Tierfellen machten; es sind die weiche, schwache Penthea und die empfindsame Lesbia, die über den Tod eines Sperlings in Verzweiflung geraten können. Manch eine Römerin läßt die Milch, die ihre Brust schwellt, vertrocknen, um nicht ihren schönen Busen zu verlieren. Man begreift nun, warum Ammen gebraucht wurden. Die Amme ist eine robuste Sklavin mit üppigen Brüsten, eigens zu diesem Zweck gekauft. Zumeist gewinnt sie ihr Brustkind lieb, pflegt es selbstlos, schützt es vor dem bösen Blick und vor Unglück, indem sie die Wiege unter das Bild des Gottes Fascinus stellt. Hört sie ein unheilverkündendes Wort, eine schlechte Vorhersage, dann spuckt sie schnell dreimal auf die Brust des Säuglings, um alle bösen Einflüsse von ihm fernzuhalten. Manchmal wird diese reine, berechtigte Liebe durch eine Leidenschaf t getrübt, zum Schaden des Säuglings. Es kommt vor, daß eine Amme aus einem barbarischen Volk

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stammt, daß sie boshaft, falsch, unverschämt und dem Wein verfallen ist. Der achte Tag ist für die Mädchen der Tag der Reinigung; für die Knaben ist es der neunte. Diese Zeremonie ist Anlaß zu einem Familientreffen, sie wird mit einem Festmahl gefeiert. Die älteste Frau unter den Verwandten verkündet mit lauter Stimme Wünsche für das Neugeborene. »Es ist«, sagt Persus, »entweder die Großmutter oder eine Tante mütterlicherseits, eine gottesfürchtige Frau, die das Kindchen aus der Wiege nimmt; erst reibt sie mit dem Mittelfinger die Stirn und die feuchten Lippen des Neugeborenen, um es zu reinigen; dann klatscht sieleicht in die Hände und erfleht für das Kleine den Besitz der reichen Güter des Licinius.« Nach Beendigung dieser Zeremonie wird der Name des Gereinigten ins Bürgerregister eingetragen.

Geburtstage Das Kind bewahrt stets eine religiöse Ehrfurcht für den Tag seiner Geburt und feiert ihn sein Leben lang alle Jahre. Zu diesem Fest lädt das Geburtstagskind alle Mitglieder seiner Familie ein und opfert den Laren und seiner Schutzgottheit. »Erwartest du«, sagt der verbannte Ovid traurig an seinem Geburtstag, »daß ein weißes Gewand meine Schultern bedecke; erwartest du, daß der flammende Altar mit Blumengirlanden geschmückt sei? Erwartest du, daß dort Weihrauch brenne und daß ich Wünsche und Gebete erschallen lasse?« Es werden keine Opfertiere geschlachtet; das Bild des Todes soll den klaren Horizont des Geburtstags nicht trüben. Wer sich kein weißes Gewand leisten kann, zieht wenigstens ein neues, frisch vom Walker, an. Von einem fein angezogenen und herausgeputzten Menschen sagt man, er sei gekleidet wie am Geburtstag. Es ist auch ein Tag der Gaben. Dem liebenswürdigen Dichter, der Liebeslieder verfaßt, bringen junge Mädchen Geschenke. Im allgemeinen aber sind es die Verwandten, die Freunde, die Untergebenen und die Vorgesetzten, die kleine Gaben bringen. Eine Unterlassung dieses Brauches gilt als Unhöflichkeit und kann zu einem Bruch führen. Martial zum Beispiel ist wegen eines solchen Vergessens böse auf

Sextus. Der hat seinem Freund kein Geschenk gebracht, dieser lädt ihn deshalb nicht zum Festschmaus ein. Zum Geburtstag können junge Mädchen, ohne zu erröten, ihren Liebhabern Andenken schicken; und sie können von ihnen ihrerseits Geschenke erwarten und annehmen. Ein Tibull oder ein Properz entledigt sich dieser alljährlichen Verpflichtung mit einer Elegie oder sonst einem Gelegenheitsgedicht. Das ist das Vorrecht des Dichters. Gewöhnliche Liebhaber schenken ein Schmuckstück, ein Kästchen, ein Tüchlein, einen Sonnenschirm, manchmal auch schöne Stoffe. Die jungen Damen entfalten alle ihre Koketterie, um die Freigebigkeit ihrer Verehrer anzufeuern. Ein Kaufmann ist ins Haus gekommen und breitet seine Stoffe aus; dieses Kleid, jener Mantel muß gekauft werden! Zögerst du, überredet sie dich mit einem Kuß: jetzt wird sie lange nichts mehr von dir verlangen. Wie könntest du dich weigern, für deine Angebetete ein Opfer zu bringen! Gib also ihren zärtlichen, verführerischen Bitten nach und sei froh, daß sie nicht fünf- oder sechsmal im Jahr Geburtstag hat.

Die Adoption Jede römische Familie hütet ihre Überlieferung, ihren Namen, ihr Vermögen und ihre Hausgötter wie einen heiligen Schatz. Diese wertvollen Güter werden getreulich von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn keine Kinder da sind, erlaubt es das Gesetz dem Familienoberhaupt, sich einen Erben zu wählen, einen Adoptivsohn, der, wie Kaiser Hadrian meinte, einem leiblichen Sohn vorzuziehen sei, denn ein soleher sei ein Geschenk des Zufalls, ein Adoptivsohn aber ein Gegenstand freier Wahl. Der Adoptivvater darf keinen eigenen Sohn haben und muß mindestens sechzig Jahre alt sein oder sich in einem Gesundheitszustand befinden, der die Zeugung eigener Kinder ausschließt. Es wäre ja auch ungerecht, wenn ein Fremder die Kinder aus ihren Rechten verdrängte oder von der Adoption keinen Vorteil hätte. Der Adoptivsohn erbt den Namen, das Vermögen, die Hausgötter. Er verbindet sich nicht mit der ganzen Familie, sondern nur mit deren Oberhaupt, und wer diesem blutsverwandt ist, die Tochter beispielsweise, die nun die Schwester des Adoptierten wird, kann ihn nicht heiraten. 211

Römische Kinderspiele: Reifen, eine Art Kinderfest, das ewige Bockspringen. Links: ein hübsches, gesundes kleines Mädchen. Man beachte die Frisur, die ähnlich der eines Jungen ist.

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3. Die Erziehung. Die Männertoga

Mütterliche Fürsorge Die Erziehung der Kinder wurde bei den Römern nicht so wie bei den Spartanern vom Staat geleitet; die »patria postestas« stand einem solchen Eingreifen entgegen. Das Kind wurde zuerst in die Obhut der Mutter gegeben. So mancher berühmte Mann verdankt seine Größe der Erziehung, die seine Mutter ihm angedeihen ließ. Cornelia, die Mutter der Gracchen, Aurelia, die Mutter Caesars, und Attia, die Mutter Augustus", wurden gepriesen für ihre Sorgfalt und Hingabe bei der Erziehung ihrer Söhne. In der letzten Zeit der Republik und unter den Kaisern lokkerte sich die häusliche Disziplin. Die Mütter dachten nun mehr an Putz und Vergnügungen als an die Erziehung ihrer Kinder. Obgleich bei den Römern, zum Unterschied von den Griechen, die Erziehung nicht öffentlich und nicht einmal durch Gesetze geregelt war, wurde sie doch nicht völlig dem Belieben der Eltern überlassen: Die Zensoren, die über die Sitten der Bürger wachten, beaufsichtigten auch die Unterweisung der Kinder. Die Erziehung dauerte bei den Söhnen bis zu ihrem Ein-

tritt ins öffentliche Leben, das heißt bis zum siebzehnten Geburtstag; dann erhielt der junge Mann die »toga virilis«, die Männertoga. Er schloß sich danach einigen erfahrenen Männern an, begleitete sie aufs Forum und zu den Gerichten und achtete sorgsam auf ihre Ratschläge.

Die Schule Den ersten Unterricht erhielten die Kinder im Vaterhaus, manchmal vom Vater selbst, gewöhnlich aber vom »paedagogus«, einem gebildeten Sklaven, der die Funktion eines Lehrers erfüllte. Als erstes lernte das Kind lesen; um ihm das zu erleichtern, gab man ihm Buchstaben aus Elfenbein zum Spielen. Dann kamen Schreiben und Rechnen an die Reihe. Da aber nicht alle Eltern ihre Kinder selbst unterrichten konnten und dafür geeignete Sklaven selten waren, brauchte man öffentliche Schulen; diese wurden aber nicht vom Staat eingerichtet. Ein tüchtiger Lehrer eröffnete eine Schule, und die Eltern schickten die Kinder hin und zahlten dafür

Links: der berühmte Dionysos in der Villa Adriana: schön, aber nicht sehr männlich. Unten: Schüler mit seinem Lehrer.

Schulgeld. Die Schulen hießen »ludi litterarum«, »Bildungsspiele«, denn das Studium wurde im Vergleich zum Ernst der Staatsgeschäfte als eine angenehme Erholung angesehen. Aus der Zeit der Decemvirn stammt die erste Erwähnung einer Schule für erwachsene Töchter; Knabenschulen muß es schon viel früher gegeben haben. Die Elementarschulen waren so gelegen, daß die Kinder sie leicht erreichen konnten. Plutarch zufolge war der Freigelassene Sp. Carvilius der erste, der gegen regelmäßiges Schulgeld unterrichtete; bis dahin hatte man die Lehrer nur mit gelegentlichen Geschenken entschädigt. Als die Römer mit der griechischen Kultur besser vertraut wurden, lernten sie Kunst und Wissenschaft schätzen. In allen Schulen wurde der Griechisch-Unterricht eingeführt: der »grammaticus« (Grammatiklehrer) erläuterte seinen Schülern den Homer, nicht nur um ihnen den Text verständlich zu machen, sondem auch um sie auf die Rhetorik vorzubereiten. Dazu kam das Studium der Geschichte und der Hel-

dentalen der Vorfahren. Neben Geschichte und Literatur wurde auch Mythologie unterrichtet. Der Spanier Hygin, ein Freigelassener des Augustus, verfaßte ein Lehrbuch der Mythologie. Das alles zusammen bildete das humanistische Studium (»studia humanitatis, artes liberales«). Im zweiten Jahrhundert vor Christus lebten Polybius und achäische Emigranten in Rom; ihnen ist es zu verdanken, daß die Römer, die bereits von Karneadis, Diogenes und Kritolaus in die Philosophie eingeführt worden waren, nun auch mehr Interesse für die griechische Literatur fanden. Das Studium der griechisehen Grammatik wurde von Krates, dem Gesandten des Königs Attalus von Pergamon, eingeführt. Die dritte Stufe des Studiums war die Rhetorik; diese Kunst wurde erst von Griechen gelehrt, später von Römern, die in lateinischer Sprache unterrichteten. Die Redekunst, so notwendig in einer Republik, sollte sich auf eine genaue Kenntnis der Verfassung und des Rechts stützen. Deshalb ließ man die Kinder

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in den Schulen die Zwölf-Tafel-Gesetze, die als Grundlage des römischen Rechts galten, auswendig lernen; rhetorisch Begabte besuchten Rednerschulen; da aber die Rhetoren meist Griechen waren, beschäftigten sie sich wenig mit den römischen Gesetzen; sie stellten den Schülern Themen, lehrten sie den Gebrauch von Metaphern, den Aufbau einer Rede und die Methode, pro und kontra zu plädieren. Noch mehr Mißbrauch wurde mit dem Philosophie-Unterricht getrieben. Die Philosophie kam nach Rom zuerst nur in Gestalt der Dialektik und gefiel sich in gekünstelten Gedankengängen und Spitzfindigkeiten; deshalb wurde sie von den meisten Römern verachtet. Dennoch wuchs das Interesse für griechische Bildung fortwährend; junge Römer gingen sogar nach Athen, nach Rhodos usw., um sich von bedeutenden Rhetoren ausbilden zu lassen. Augustus ließ seinen Enkel von einem gelehrten Freigelassenen, Verrius Flaccus, unterrichten; diesem schenkte er dafür nicht nur ein Haus auf dem Palatin, sondern setzte ihm auch eine Jahresrente von 100000 Sesterzen aus. Im Kaiserreich wurde das Wissensbedürfnis so stark, daß der Staat Maßnahmen zur Förderung des Unterrichtswesens ergreifen mußte. Unter Augustus wurden bestimmte öffentliche Gebäude zu Schulzwecken freigegeben, und die Lehrer wurden aus der Staatskasse besoldet. . Vespasian gewährte griechisehen und lateinischen Rhetoren ansehnliche Gehälter. Hadrian ließ auf dem Kapitol eine Schule der freien Künste errichten und behandelte prominente Lehrer mit großer Hochachtung. Antoninus der Fromme erweiterte die Institutionen Hadrians noch. Mark Aurel, der Philosoph, ernannte in Athen Professoren für die vier Richtungen der Philosophie, die Stoiker, die Peripathetiker, die Akademiker und die Epikuräer. Konstantin befreite die Lehrer vom Wehrdienst und sogar von verschiedenen Steuern. Julian wollte erreichen, daß der Staat die Einsetzung eines jeden Lehrers approbierte und dabei strenge Kriterien der moralischen und rhetorischen Eignung für diesen Beruf anwendete. Dank Konstantin dem Großen wurde das Christentum zur Staatsreligion und übte einen starken Einfluß auf das Schulwesen aus. Julian suchte die alte Lehrweise wiederherzustellen und verbot die Ernennung von Christen zu Lehrern. Unter Theodor II. und Valentinian III. bekämpften die Christen energisch den alten heidnischen Unter-

rieht; die neue Gesellschaft, sagten sie, brauche die griechische Literatur nicht, und die Wissenschaft solle sich auf das Studium der Heiligen Schrift beschränken, Das hinderte die christlichen Schriftsteller jener Zeit jedoch nicht, die griechische Literatur mit Eifer und Nutzen zu studieren, wie ihre Werke beweisen,

Strafen Das Gedächtnis, sagt Plinius der Ältere, hat seinen Sitz im unteren Teil des Ohres; um es zu schulen, entwickelten die Lehrer einen erbarmungslosen Eifer. Sie hatten aber noch stärkere Mittel der Bestrafung. Ihr bevorzugtes Erziehungsinstrument war die Rute. Schule und Rute waren in den Vorstellungen der Römer nicht voneinander zu trennen. Juvenal verlegt diese Verbindung bis ins Heldenzeitalter zurück: »Die Rute fürchtend, sang Achill, schon erwachsen, in den Bergen seiner Heimat.« Die Rute war das Zepter der Schule: sie erforderte passiven Gehorsam. Die Kinder mußten die Handflächen hinhalten, damit es mehr schmerzte. In schweren Fällen verwendete man Riemen aus Schlangenhaut oder Leder. Die Geißel, deren Stricke geknotet und an den Enden mit Eisenspitzen besetzt waren, scheint in der Schule nicht gebraucht worden zu sein. Ein Bild in Herculanum zeigt, wie die Prügelstrafe vollzogen wurde: Der Sünder lehnt an den Schultern eines älteren Kameraden; ein zweiter hält ihm die Beine fest; die anderen sehen gefaßt und still zu, als ob das Schauspiel ihnen vertraut wäre. Der Lehrer, ernst und ruhig, hält einen Riemen in der Hand und schlägt kräftig zu. Das Kind windet sich, und sein weit offener Mund scheint Schmerzensschreie auszustoßen. Manchmal machte man weniger Umstände: der Lehrer packte mit einer Hand den Schüler um die Leibesmitte, hob ihn hoch, so daß der Kopf nach unten hing, und schwang mit der anderen Hand sein schreckliches Werkzeug,

Links: Rhetorik-Unterricht, von den Griechen übernommen, aber der römischen Art angepaßt. 33

Die Männertoga Der schönste Tag im Leben eines Römers, der Tag, an den er sich am liebsten erinnert, ist der, an dem er die Männertoga erhalten hat. Diese Toga hat gleichsam magische Kraft: Sie macht das Kind zum Mann; sie öffnet ihm den Weg in die Politik, sie verleiht ihm den Rang eines aktiven Staatsbürgers. Die Anlegung der Männertoga ist für den Römer eine Art zweiter Geburt. An diesem Tag nimmt er Abschied von seinen jugendlichen Vergnügungen, vom Nüssespiel, vom Kreisel, vom Steckenpferd; er legt die »toga 34

praetexta«, das purpurgesäumte Kinderkleid, ab und hängt seine Bulle aus Gold oder Leder um den Hals seiner Laren. Von diesem Tag an datieren Persus, Ovid, Properz, Seneca ihre Existenz: Da begannen sie zu leben, Männer zu sein, frei und mit hocherhobenem Haupt zu gehen; sie konnten nun überall die Augen heben, »sogar in der Suburra«; sie waren, wie der Schüler des Cornutus sagt, angelangt an jener Kreuzung des Lebens, wo alle Wege verführerisch und verheißungsvoll erscheinen; sie hielten einen Augenblick inne und trafen dann ihre Wahl. Diese plötzliche Wandlung hinterließ ihnen einen dauernden Eindruck

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Selbstbewußt und stolz auf die Toga, die ihn zum Mann macht: so erscheint der junge Römer auf den Abbildungen gegenüber. Der Tag, an dem er die Toga erhält, ist der wichtigste seines Lebens. Die Zeremonie findet immer im März statt, an den »Liberalia«, dem Bacchusfest.

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und eine unvergeßliche Erinnerung. Alle denken an diesen Zeitpunkt freudig oder wehmütig zurück; alle lieben es, immer wieder von den Zeremonien an diesem Festtag zu sprechen. Die Verleihung der Männertoga findet alljährlich am 17. März statt während der »Liberalia«, der Bacchusfeier. Selbstverständlich wurde eine so wichtige Zeremonie unter den Schutz einer mächtigen Gottheit gestellt. Zur religiösen Würde kommt der imposante Ernst einer Versammlung der ganzen Familie hinzu. Man schart sich um den Vater oder den nächsten Verwandten, der dem Jüngling die Männertoga, auch freie oder reine Toga genannt, umhängt. Mit diesen drei Bezeichnungen ist sie umschrieben: rein, weil sie weiß ist, ohne Purpurrand wie die »praetexta«; frei, weil ihr Träger nun aus dem strengen Zwang der ersten Erziehung entlassen wird; und »virilis«, weil sie den Träger zum Mann und Bürger macht. Dieses Kleid wird angelegt im Angesicht der Götter, die angerufen werden: »Ante deos libera sumpta toga«, sagt Properz. Um die Götter günstig zu stimmen und ein gutes Vorzeichen zu setzen, hat der junge Mann die letzte Nacht in einer weißen Tunika und unter einer safrangelben Decke verbracht. Die ganze Familie geleitet den jungen Mann zum Kapital, manchmal auch in einen Tempel, wo man ein Opfer darbringt. Von dort bewegt sich der Zug mit dem vor Freude und Glück strahlenden Jüngling zum Forum. Am Tag der Liberalia sind die Straßen Roms voll von efeubekränzten alten Frauen, die selbstgebackene heilige Kuchen verkaufen, dem Bacchus gefällige Priesterinnen. »Warum Honigkuchen?« fragt Ovid. »Weil Bacchus den Honig entdeckt hat. Warum von Frauen gebacken? Weil Bacchus mit seinem Thyrsus den Chor der Frauen anführt. Warum von alten Frauen? Weil das Alter den Wein liebt und die Gaben der schweren Traube. Warum efeubekränzt? Weil der Efeu Bacchus vor einer bösen Stiefmutter geschützt hat.« So beeilt sich jede Familie, heilige Kuchen zu kaufen, und der junge Mann trägt einige davon zum Altar des Gottes, der den Menschen den Honig und die Rebe geschenkt hat. Wahrscheinlich zu Ehren des Bacchus endet dieses Fest stets mit einem großen Gelage, bei dem man fleißig dem Wein zuspricht. Am nächsten Tag beginnt wieder der Ernst des Lebens für alle Teilnehmer. 35

Links: Eine Göttin? Zweifellos, zugleich aber der Körper einer schönen jungen Frau, fein schlank und rassig . . . Oben: Ein Ehepaar, im Jenseits wieder vereinigt; rechts eine Statue, deren religiöser Symbolwert letztlich von untergeordneter Bedeutung ist: sie zeigt die Verschmelzung von Mann und Frau in eines, das Doppelantlitz des ewig Mannlich-Weiblichen . . . Einfacher ist darunter die schöne Darstellung von Mutter und Kind, voll von Würde und Ernst-noch ein zeitloses Thema.

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4. Kleidung.

Die Toga Von den frühesten Tagen bis in die Kaiserzeit hinein trugen die Römer im Alltag stets die gleiche Kleidüng, die Launen der Mode änderten daran weder Schnitt noch Material; als der Luxus in Rom Platz griff, beeinflußte er die Männertracht nur insofern, als man nun die früher ärmellose Tunika mit Ärmeln trug und die Toga länger, weiter und kunstvoll gefältelt. Die Toga war das Kennzeichen des römischen Bürgers; er trug sie in Friedenszeiten immer, unabhängig von seiner Klasse und seinem Alter; er trennte sich von ihr nur in großer Gefahr, wenn ein Krieg unmittelbar bevorstand. Wer kein römischer Bürger war, hatte kein Recht auf die Toga; hatte jemand durch Verbannung das Bürgerrecht verloren, mußte er die Toga ablegen. Auch in fremden Ländern trugen die Römer die Toga. Da dieses Kleidungsstück den ganzen Körper bedeckte und nur einem Arm etwas Freiheit ließ, konnte man sie bei der Arbeit, bei haus- und landwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht anbehalten. Die Landleute und die Bewohner der Munizipien trugen die Toga nur bei feierlichen Anlässen oder wenn sie Rom besuchten. Die Toga, das Oberkleid, war ebenso wie die Tunika, das Unterkleid, in den ersten Jahrhunderten stets aus Wolle. Am begehrtesten war die Wolle aus Apulien, aus dem Gebiet von Tarent und Canusium. Erst später unter den Kaisern machte man Togen auch aus Seide. Die Farbe war weiß, die Naturfarbe der Wolle: man mußte sie daher oft reinigen, was die Aufgabe der Walker war. Wer sich um ein öffentliches Amt bewarb, präsentierte sich vor dem Volk in einer Toga, deren natürliches Weiß durch eine Behandlung mit Kreide noch gehoben wurde; man nannte deshalb die Bewerber »candidati«, Weißgekleidete-daher der »Kandidat«. Die braune Toga (»pulla«) war ein Zeichen von Trauer oder Armut. Wenn ein Angeklagter ans Volk appellierte, zeigte er sich in beschmutzter, unordentlicher Kleidung. Die »toga praetexta«, eine lange, reinweiße Robe mit einem einfachen Purpurrand, war das Kleid der Beamten und seit Tarquinius dem Älteren auch die Bekleidung der Kinder bis zur Verleihung der »toga virilis«. Die Kaiser trugen eine purpurne Toga, »trabea«

genannt. Schon zur Zeit des Augustus wurde die Toga nicht mehr allgemein getragen; der Kaiser war darüber verärgert und befahl den Ädilen, es nicht zu dulden, daß in der Volksversammlung jemand in der »lacerna«, einer Art Regenmantel, erschien. Unter den späteren Kaisern kamen seidene Togen auf.

Links: Die Kunst des Befestigens der Schulterspange am »Pallium«. Unten: Die klassische Kleidung des Römers.

Links: Tunika und Panula (mit Regenkapuze). Bequemlichkeit und weiter Schnitt waren kennzeichnend für die altrömischen Kleider, wie die Reste einer schönen Büste (rechts) zeigen. Die Kleidung war dem Klima angepaßt und unterlag noch nicht den mehr oder minder fragwürdigen Vorschriften der Mode.

Die Tunika Das Kleidungsstück, das die Römer, Männer und Frauen, unmittelbar am Körper trugen, war die Tunika. Sie war kürzer und enger als die Toga, mit einem Gürtel versehen, weil man sie beim Arbeiten anbehielt. Ursprünglich war sie ärmellos; später wurden die Männertuniken mit kurzen Ärmeln versehen, die nicht ganz bis zum Ellbogen reichten. Wenn Männer lange Ärmel trugen, warf man ihnen Verweichlichung vor; bei Frauen aber hatte man nichts dagegen. Kleidete sich ein Mann in eine lange, bis zu den Füßen reichende Tunika, dann galt er als geckenhaft und weibisch. Aulu-Gelle berichtet, daß man die Toga ursprünglich ohne Tunika trug; später zog man unter die Toga eine Tunika an und verwendete diese als Arbeitsgewand. Schließlich begnügte man sich nicht mehr mit einer einzigen Tunika, sondern trug mehrere übereinander. Die Tunika war aus weißer Wolle. In der Spätzeit ließen die Reichen sich Tuniken aus Leinen machen. Die gewöhnliche Tunika war völlig schmucklos; aber die Senatoren trugen das »laticlave«, eine Tunika, die von der Brust bis zum unteren Rand mit einem breiten Purpurband verziert war. Die der Auszeichnung des »laticlave« Teilhaftigen durften damit nur das Unterkleid schmücken; Caesar hatte sich allein das Privileg vorbehalten, es außen zu tragen. Augustus gewährte den Senatorensöhnen das Recht, zugleich mit der Männertoga auch das »laticlave« anzulegen. In Munizipien und Kolonien hatten auch die Söhne der Reichen oder vielleicht der Duumvirn dieses Recht. Der Triumphator trug unter der Toga eine purpurne, mit goldenen Palmblättern bestickte Tunika; die gleiche Tunika wurde dem zugebilligt, der den Festzug zur Eröffnung der Zirkusspiele anführte.

Andere Kleidungsstücke Außer Tunika und Toga trugen die Römer vor allem in der Kaiserzeit noch andere Kleidungsstücke, die unter der Republik nur bei gewissen Anlässen üblich waren. Auf der Reise ersetzten sie, um sich gegen Regen und Staub zu schützen, die Toga durch die »paenula«.

einer ärmellosen Pelerine; sie war von oben bis unten zugenäht; in seinem Plädoyer für Milo sagte Cicero, sein Klient sei mit einer »paenula« bekleidet gewesen und hätte daher Clodius nicht angreifen können. Dieses Kleidungsstück war auch mit einer Kapuze versehen. In der Stadt trug man die »paenula« nur bei Regenwetter, doch wurde sie allgemein als Reisemantel verwendet. Sie war fast immer aus Wolle, nur selten aus Leder. Ein anderes sehr häufiges Kleidungsstück, das oft die Toga ersetzte, war die »lacerna«, ein vorne offener Mantel wie das »pallium« der Griechen, an der Schulter mit einer Spange zusammengehalten. Ovid spricht davon, daß es die »lacerna« schon zur Zeit des letzten römischen Königs gegeben habe, und schildert Lucretia, wie sie eine »lacerna« für ihren Gatten Collatio näht. In der Kaiserzeit trug man die »lacerna« über der Toga, um diese zu schützen, und auch anstelle der Toga. Zur Zeit Ciceros war sie noch nicht sehr verbreitet: Er warf nämlich dem Antonius vor, eine »lacerna« zu tragen. Man verwendete sie meist bei Spielen, teils weil sie besser vor Regen und Staub schützte, teils wie sie, da sie nicht immer weiß war, nicht so leicht schmutzig wurde. Vornehme Leute zogen die Toga der »lacerna« vor — dies galt als gewöhnlicher. Auch die »lacerna« hatte eine Kapuze, mit der man nachts den Kopf und selbst das Gesicht bedeckte, so daß man unkenntlich war. Als Kleidungsstücke für Männer sind noch zu nennen die »laena«, ein weiter Wintermantel, der über der Tunika getragen wurde, besonders bei religiösen Feierlichkeiten; die »laena coccinea«, die scharlachrot war und als Kennzeichen von Reichtum und Würde galt; die »abolla«, ein purpurrotes griechisches Prunkgewand: König Ptolemäus trug es in Rom, desgleichen der Stoiker Egnatius und die Philosophen der Zynikerschule; die »endromida«, ein Mantel, den man besonders nach sportlichen Übungen anzog, um sich nicht zu erkälten; die »synthesis«, ein Kleidungsstück für Mahlzeiten, das deshalb bequemer geschnitten war als die Toga. Nero zeigte sich darin auf offener Straße und verstieß damit gegen die Anstandsregeln, denn nur bei den Saturnalien trug man die »synthesis« außer Haus.

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Schusterwerkstatt.

Die Schuhe Die Schuhe der Römer lassen sich trotz den verschiedenen Bezeichnungen auf zwei Arten reduzieren: 1. Der »calceus«. Er bedeckte den ganzen Fuß und wurde auf der Straße getragen; er umfaßte den Fuß fester als die Sandale (»solea«), und Paulus Aemilius beklagte sich darüber. Der »calceus« war einfach, einfarbig, manchmal rot. Er war mit vier Riemen am Bein befestigt. Die Schuhe der Senatoren hatten au42

ßerdem eine »lunula« aus Silber oder Elfenbein, eine Spange in Form eines kleinen Halbmonds oder eines C: Dieser Buchstabe ist die römische Ziffer für hundert und zeigte, nach Plutarch, die ursprüngliche Anzahl der Senatoren an. Die »lunula« saß wahrscheinlieh am Schnittpunkt der vier Riemen. Die Römer, die weder Senatoren noch kurulische Beamte waren, trugen Halbschuhe, die bis zu den Knöcheln reichten und keine »lunula« hatten; sie waren plump geschnitten, während die Schuhe der vornehmen Römer elegant geformt und aus feinem, oft auch farbigem Leder wa-

Einige Arten von Sandalen. Sie waren das meistgetragene Schuhwerk, wenn sie auch in der Stadt nicht als schicklich galten.

ren. Die gewöhnlichen Schuhe hatten nur einen Riemen statt vier. 2. Die Sandale (»solea«), die man zur Tunika trug, wie den »calceus« zur Toga; sie war also eine Art Hausschuh, und man nahm Anstoß an einem Mann, der in der Öffentlichkeit in Sandalen erschien. In den Provinzen aber, wo man die römische Tunika nicht trug, galt diese Fußbekleidung nicht als unschicklich. Man zog Sandalen auch zu den Mahlzeiten an, wenn man die Toga ablegte, um es sich bequem zu machen. Die Sandalen waren leicht und mit dünnen Schnüren am Fuß befestigt, aber so, daß der ganze Fuß bis auf die Sohle frei war. Der Unterschied zwischen der eigentlichen »solea« und einer anderen Sandalenart, die »crepida« hieß, bestand wahrscheinlich darin, daß die erste flach war, die zweite aber einen Absatz hatte. Die Sandalen waren gewöhnlich aus Leder; die Armen trugen jedoch Holzpantoffeln, manchmal mit Eisen beschlagen. Die »sculponx« waren Holzschuhe, die auf dem Land getragen wurden.

Mütze, Hut Im Alltag trugen die Römer keine Kopfbedeckung, nur bei religiösen Feierlichkeiten: beispielsweise bei den Saturnalien den »pileus«, eine Kopfbedeckung, die sonst für zur Freilassung oder zum Verkauf bestimmte Sklaven üblich war. Der »pileus« war aus Wolle und mehr eine Mütze als ein Hut. Der »petasus« war dem »pileus« sehr ähnlich, hatte aber einen breiten Rand, und man trug ihn auf Reisen, um sich vor Sonne und Regen zu schützen. Der »galerus« war eine lederne Kappe ohne Rand. Viel häufiger verwendete man als Kopfbedeckung die Kapuze der »penula« oder der »lacerna«. Auch das über die linke Schulter geworfene Ende der Toga diente zur Bedeckung des Kopfes; aber man ließ es herabfallen, wenn man sich einem Menschen näherte, dem man Respekt bezeigen wollte.

Die Kleidung der Frau unterschied sich nur wenig von der des Mannes. Mit der Zeit änderten sich Stoffe und Muster, nicht aber die Hauptformen. Die Frauen trugen fast immer Sandalen. Rechts unten: ein Unterkleid, recht ähnlich denen unserer Tage.

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Frauenkleider

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Die Kleidung der Frauen unterlag ebensowenig dem Einfluß von Zeit und Mode wie die der Männer; es änderten sich die Accessoires, die Stoffe und die Verzierungen, nicht aber die Grundformen. Die Tunika war für die Frau das erste und wichtigste Unterkleid; sie trug es gern, auch zu Hause. Als Material diente zuerst Wollstoff; doch in der letzten Zeit der Republik, als die Römer in engeren Kontakt mit Ägypten kamen, wurde die Wolle allgemein durch Leinen ersetzt. Seidene Gewänder wie die feinen, durchsichtigen Gewebe aus Kos waren beliebte Putzund Luxusartikel. Die Stola war eine lange weiße Robe, die von den Frauen über der Tunika getragen und auf den Schultern mit Spangen befestigt wurde; sie reichte bis zum Boden und bedeckte sogar die Füße; am unteren Rand war sie mit einem Volant besetzt, der als wichtiger Teil der Stola galt, und das Oberteil war mit Gold- oder Purpurbordüren gesäumt. Die Stola war für die Frau, was die Toga für den Mann war; bei allem Luxus änderte sich nichts an dieser charakteristischen Kleidung der römischen Bürger, doch trugen die Frauen, die es sich leisten konnten, über der Stola so manche anderen Gewänder, Umhänge oder Mäntel aus den verschiedensten Stoffen und in allen möglichen Farben, vor allem in Purpur. Die Aufzählung einiger solcher Kleidungsstücke könnte interessant sein: Die »calthula« war ein kurzes Mäntelchen von der Farbe der Ringelblume (»caltha«), der sie ihren Namen verdankte; das »cerinum« war ein blaßgelbes Gewand, der Name ist von der Farbe des Wachses abgeleitet; die »crocultula« war eine safranfarbene Tunika die Kybele-Priester trugen solche Roben; das »cymatilum« war ein meerwasserfarbenes Gewand - die Färbung war so beschaffen, daß man, wenn man den Stoff aus einem bestimmten Winkel betrachtete, Wellen zu sehen glaubte; die »impluviala« war braun und viereckig geschnitten u e as ' ^ »irnpluvium« (Regenvordach) eines Hauses; Varro bezeichnet mit »impluvia« einen Regenmantel; die »intusiata« war ein Hemd oder Kleid, das die Frauen zu Hause trugen; die »patagiata« war eine mit großen Gold- und

Purpurblumen bestickte und mit Fransen verzierte Tunika; das »plumatilum« erzeugte einen ähnlichen optischen Effekt wie das »cymatilum«: der Stoff erweckte den Eindruck von Vogelfedern; die »ralla« war ein dünner Mantel aus hellem, leichtem Material; das »ricinium« war ein viereckiges Tuch, eine Art Schleier oder Schärpe, und wurde halb über dem Kopf, halb über den Schultern getragen. Außerdem gab es noch den »basilicus«, den »exoticus«, das »laconicum«, das »linteolum caesicium«, das »melinum«, die »mendicula«, die »regilla«, die »spissa«, das »subparum«; auf deren Beschreibung wollen wir verzichten. Auf der Straße war die Frau fast unkenntlich, man sah nur ihre Umrisse; die Stola reichte ihr bis zu den Fersen; außerdem war sie in einen weiten Mantel (»palla«) gehüllt, der kaum etwas von ihrer Figur sehen ließ. Fast alle Frauen trugen auch einen Schleier, der das halbe Gesicht verdeckte; sie wollen damit aber eher Neugier erwecken als einer alten Sitte gehorchen, die es den Römerinnen verbot, mit unverhülltem Antlitz auszugehen. Beschuht waren die Frauen fast immer mit Sandalen (»soleae« oder »crepidae«), selten mit Schnürstiefeln (»calcei«).

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Gegenüber: Haarpflege. Unten: Ein junges Mädchen bestäubt sich mit Parfüm, anmutig und gewissenhaft. Rechts: zwei fein gearbeitete Schmuckstücke, das zweite mit Edelsteinen besetzt.

Parfüms und Schönheitsmittel Bei den Römern wurden Parfüms im Übermaß verwendet, besonders als die Sitten sich zu lockern begannen; kein Fest war vollständig ohne Wohlgerüche, denen große Bedeutung beigemessen wurde. Parfüms wurden zumeist aus Substanzen hergestellt, die aus Ägypten, Arabien und Indien kamen; man nahm auch in Italien wachsende Pflanzen: Lilien, Iris, Narzissen, Majoran ; Rosen aus Paestum waren weithin berühmt, desgleichen die aus Phaselis. Die Duftbinse lieferte das billigste Parfüm: es kostete kaum den Gegenwert von zwölf bis dreizehn Francs das Pfund. Außer den direkt aus Pflanzen gewonnenen Wohlgerüchen gab es auch viele synthetische Parfüms. Die begehrtesten waren »megalium«, »telinum« (aus Telos), »malobrathum« aus Sidon, »nardum«, hauptsächlich aus Persien, »opobalsanum« und andere. Die Zusammensetzung dieser Duftstoffe war nicht bekannt, die Rezepte wurden von den Herstellern geheimgehalten. Jeder Parfümeur hatte übrigens seine eigenen Methoden. Das »nicerotianum« hieß nach seinem Erfinder Nikeros; es gab einen Parfümhersteller namens Cosmus; von Folia stammte das »foliatum«, eine Sorte persischen Nardenöls. Die Parfüms wurden in Alabasterfläschchen oder in Onyxgefäßen aufbewahrt; zur Konservierung verwendete man Öl, und man färbte die Mixturen rot mit Zinnober oder Färberflechte. Das Badewasser wurde oft parfümiert, auch Zimmer und Betten besprühte man mit Duftstoffen. Im Theater parfümierte man die Luft mit Safran und Zimt. Selbst den beliebtesten Weinen wurden aromatische Substanzen zugesetzt, ja sogar dem Lampenöl. Und schließlich verbrannte man Parfüms auf den Scheiterhaufen, auf denen die Toten eingeäschert wurden. Es gab eine überaus große Anzahl von Haarkosmetika Um das Haar schwarz zu färben, nahm man wilde Melde, Linsen, Myrtenwein, Zypressenblätter, Absud aus Birnenschale. Gegen das Bleichen des Haars verwendete man eine Tinktur aus Öl und Regenwurmasche. Als Mittel gegen Haarausfall galt Bärenfett oder auch die Asche der Haut von der linken Seite der Stirn eines Flußpferdes. Zum Blondieren gebrauchte man Essighefe, Mastixöl, Quittensaft gemischt mit Ligustersaft. Man krauste das Haar mit 46

Spondylion und wellte es mit dem Blut einer jungen Eule. Auch Perücken und falsche Haare waren stark verbreitet. Ein junges Mädchen mit rötlichen Haaren verlor sie bei dem Versuch, sie schwarz zu färben, Ovid tröstete sie: »Germanien wird dir Sklavenhaar schicken; ein unterworfenes Volk wird für deine Schönheit sorgen.« Martial spricht an vielen Stellen von Perücken und gefärbten Haaren und richtet Epigramme an die Adresse jener, die so die Natur korrigieren. Die Frauen schwärzten sich die Augenbrauen mit Ameiseneiern oder einfacher mit einer rauchgeschwärzten Nadel. Man hatte Mittelchen, um den Teint frisch und die Haut geschmeidig zu halten. Eselsmilch war zu diesem Zweck sehr geschätzt, auch Bierschaum wurde dazu verwendet. Aus Schafwolle wurde ein öliger Saft gewonnen, dessen Geruch man mit Parfüm überdeckte: der Saft gab dem Teint mehr Glanz. »Kleine Weinbergschnecken, an der Sonne getrocknet, dann zerrieben und in Bohnenbrühe gemischt, geben ein vorzügliches Schönheitsmittel, das die Haut weiß und weich macht«, sagt Plinius. Die beliebteste Seife kam aus Gallien; es gab sie in zwei Sorten, weich oder fliissig; sie war aus Ziegenfett und Buchenasche gemacht, Bei den Dichtern ist alle Augenblicke von Schminke die Rede; man bleichte die Haut mit Bleiweiß und Kreide; als Rouge verwendete man Karmin, eine aus Krokodilexkrementen gewonnene Substanz und sogar Kuhmist. Martial, gar nicht galant, sagt zu einer Frau: »Wenn du zu Hause bist, ist dein Haar in der Suburra zum Auffrisieren; nachts legst du deine Zähne mit der gleichen Leichtigkeit ab wie dein Seidenkleid; dein Gesicht, auf hundert Pomadentiegel verstreut, schläft nicht mit dir.« Anderswo schreibt er: »Lycoris, die schwärzer ist als eine reife Maulbeere, fühlt sich erst wohl, wenn sie sich mit Bleiweiß gebleicht hat.« Petronius verwendet ein phantasievolles Bild, um einen analogen Gedanken auszudrücken: »Über ihre schweißgebadete Stirn rannen Bäche von Schminke, und in den Falten ihrer Wangen hatte sich eine solche Menge von Kreide angesammelt, daß es aussah wie eine alte, verfallene Mauer, vom Regen überströmt.« Ovid hat ein Gedicht mit dem Titel »Schönheitspflege« geschrieben; davon ist nur ein Fragment von etwa hundert Versen erhalten geblieben. Hier die Formel eines Präparats, das die Gesichtshaut glatter und

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leuchtender machen soll: zwei Pfund geschälte libysche Gerste, zwei Pfund Ervenmehl, ein Sechstelpfund Hirschhorn, zwei Unzen Gummi, zwei Unzen toskanischer Spelz, achtzehn Unzen Honig, zehn Eier, zwölf geschälte Narzissenzwiebeln. Ovid führt noch zwei andere sehr komplizierte Formeln an, die eine für ein Mittel, das Unsauberkeiten der Haut entfernt, die andere für eine Gesichtsschminke. Er schließt mit den folgenden Versen: »Ich sah eine Frau, die Mohnfrüchte in kaltem Wasser einweichte, sie dann schälte und sich damit die Wangen einrieb.« Die Autoren sprechen sehr oft von Enthaarung. Man enthaarte sich das Gesicht, die Achselhöhlen, die Arme, die Hände, die Beine. Nach Martial ist ein eleganter Mann einer, der »sein Haar gut frisiert, den Duft der besten Parfüms verströmt, ägyptische oder spanische Weisen trällert und seine enthaarten Arme anmutig auszubreiten versteht«. Es gab Enthaarungsläden ebenso wie Barbierläden; außer Pinzetten verwendete man zum Enthaaren verschiedene Mittel: Blut und Hirn von Fledermäusen, Pech, Galle und Asche vom Igel, Bimsstein. Manchmal begnügte man sich damit, sich zu rasieren.

Frisuren: Vorliebe für Blond Die Frisur war ein wichtiger Teil der Toilette. Die Römerinnen steckten ihr Haar in ein dünnes Netz oder umwanden es mit Seiden- oder Purpurbändern; sie trugen auch eine Mitra, eine turbanartige orientalische Kopfbedeckung, oder eine phrygische Mütze mit Kinnband. Junge Mädchen flochten sich Bänder aus weißer Wolle ins Haar, wie es auch die Vestalinnen und die Priester taten. Römerinnen, die kein schönes Haar hatten, setzten Perücken auf, die »galeri« genannt wurden; manche hießen »corymbia«, weil sie in Form von Efeutrauben frisiert waren. Die Perückenhaare kamen vor allem aus Germanien, wo es die hellsten Blondinen gab: helle Haare wurden vorgezogen, weil sie in Italien selten waren. Die römische Dame legte großen Wert darauf, hellblondes, goldblondes oder aschblondes Haar zu haben. Wenn sie kein falsches Haar tragen wollte, färbte sie sich das ihre entweder mit einem Nußabsud, mit Essig oder mit walisischer Seife, die als Paste oder in flüssiger Form aufgetragen wurde und aus Buchenasche und Talg bestand. Brünetten behielten nur dann ihre natürliche Haarfarbe, wenn sie ihnen besser paßte. Der »tubulus« war eine hohe, kegelförmige Turmfrisur. Die Frau des Oberpriesters trug ihr Haar auf diese Weise und umflocht es mit Purpurbändern. Manche Frauen frisierten sich Stirnlöckchen, andere trugen einen Haarknoten, umwunden mit einer Kette aus indischen Perlen, wieder andere ließen ihre Haare wellig auf die Brust herabfallen; man trug das Haar auch glatt mit Mittelscheitel, zu einer Tolle auffrisiert und mit einem Kamm befestigt, Korkzieherlocken und einen kleinen Knoten über der Stirn. Eigene Sklavinnen waren dazu da, ihre Herrinnen zu frisieren und ihnen Locken zu drehen; waren sie nicht flink und geschickt genug, trug ihnen dies oft Mißhandlungen ein: Die Herrin packte den silbernen Spiegel, den eine Sklavin ihr vorhielt, und warf ihn der Unglücklichen, die ihren Zorn erregt hatte, an den Kopf, ließ sie auspeitschen oder trieb die Grausamkeit so weit, ihr die Zähne eines nadelspitzen Kamms in den Arm zu stoßen; oder sie holte gar öffentliche Folterknechte zu Hilfe. Mit einem Wort, nie waren die Frauen fürchterlicher zu ihren Sklavinnen als während der Toilette. 48

»Cibiflones« hießen die Sklavinnen, die die Aufgäbe hatten, die Haare ihrer Herrin mit einem Pulver, das sie drüberbliesen, zu färben; andere, die »eineraiae«, erhitzten in glühender Asche dicke Frisiernadein; die »calamistrae« wellten die Haare, indem sie sie um diese Nadeln wickelten; und schließlich parfümierte die »psecas« das Haar mit duftendem öl.

man entweder in Safrantinktur oder in eine Masse aus fettem Ruß getaucht hatte. Schließlich klebten sich die Frauen, um ihre Reize zu steigern, auch noch Schönheitspflästerchen ins Gesicht,

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Gesichtspflege Um ihren Teint frisch zu erhalten, verwendeten die Römerinnen eine duftende Creme, mit der sie sich abends beim Zubettgehen das Gesicht dick einstrichen. Andere nahmen eine Paste aus geriebenem Käse, vermischt mit Eselsmilch. Zum Bleichen der Haut gebrauchte man Bleiweiß, das man aus Rhodos bezog. Um den Glanz der Augen hervorzuheben, bestrich man sich die Lider mit einer langen Nadel, die

Haarpflege und zwei typische römische Damenfrisuren. Nebenstehend: Man beachte, wie kritisch die Dame sich im Spiegel betrachtet, wahrscheinlich, um anzuordnen, wie sie ihren Zopf gelegt haben will. 49

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5. Das Haus • Die Einrichtung

Das römische Haus Wüßten wir über das römische Haus nicht mehr, als wir den vereinzelten Beschreibungen bei den antiken Autoren entnehmen können, dann wäre es schwer, wenn nicht unmöglich, uns ein Bild davon zu machen; sogar das Werk des Vitruvius über die römische Architektur ist ungenügend. Zum Glück haben die Ausgrabungen in Pompeji und Herculanum Licht in diese Frage gebracht. In der Frühzeit waren die Häuser Roms sehr bescheiden; es ist die Rede von der »Hütte des Romulus« und von »Strohdächern«. Als die Römer unter Tarquinius dem Älteren die etruskische Baukunst übernahmen, wurden zweifellos sehr schöne Häuser errichtet; aber sie wurden bei der Gallierinvasion zerstört. Die Schnelligkeit des Wiederaufbaus und der damals herrschende Geldmangel waren der Schönheit Roms gewiß nicht förderlich; viele Häuser wurden mit Schindeln gedeckt. Dieser Zustand dauerte bis zum Zweiten Punischen Krieg und bis zum Sieg über Philipp und Antiochus; nun hatten die Römer die griechische Kunst kennengelernt und bedienten sich ihrer zur Verschönerung ihrer Heimstätten. Was wir Über die Häuser der reichen Römer wissen, bezieht sich auf die Zeit nach der Diktatur Sullas und auf die Kaiserzeit. Das Vestibül war ein Säulengang, mehreren Autoren zufolge zwischen der Fassade des Hauses und der Straße gelegen, in Wirklichkeit aber zwischen der Fassade und dem Haustor; es war der freie Raum zwischen den beiden Flügeln des Gebäudes. Das Vestibül war häufig mit Statuen geschmückt. Vom Vestibül gelangte man ins Atrium durch eine Tür, deren beide Flügel, umrahmt von Pfeilern und überdeckt von einem Sims, mit Bronze verkleidet und mit »Bullen«, dicken, vergoldeten Nägeln, verziert waren. Die Tür war oft mit Gold, Elfenbein und Schildpatt geschmückt; in fast allen Privathäusern ging sie nach innen auf; es war ein besonderes Privileg, eine Tür zu haben, die sich zur Straße hin öffnete; diese Auszeichnung wurde P. Valerius Publicola zuteil als Anerkennung für die Dienste, die er der Republik im Krieg gegen die Sabiner geleistet hatte. Nachts wurde die Tür verschlossen, entweder mit hölzernen Querbalken oder mit Riegeln, die mit einem Hängeschloß vor den beiden Türflügeln befestigt wurden. Wenn man ins Haus wollte, klopfte man an die Tür,

um den »ostiarius« (Türhüter) herbeizurufen; zu diesem Zweck war ein Hammer an der Tür befestigt; oft gab es auch eine Glocke. Der Türhüter fragte den Besucher nach seinem Namen, und je nach Weisung des Herrn ließ er ihn ein oder wies ihn ab. Durch die Tür betrat man das Atrium, einen der L/nfc} oben. erstaun/ich gut erhaitene häuser

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wichtigsten Räume im römischen Wohnhaus; von da gelangte man in die anderen Teile des Raumes, und hier hielten sich die Familie und die Klienten auf; in der Frühzeit arbeitete die Hausfrau mit ihren Sklavinnen im Atrium. Unweit der Tür stand der Altar der Laren. Das Atrium wurde oft verwechselt mit dem »cavaedium«, das jedoch in der Mitte des Hauses lag und nicht überdeckt war. Im Atrium standen das Hochzeitsbett (»lectus genialis«) und die Webstühle der Sklavinnen; man sah auch Ahnenbilder, jedes in einer kleinen Nische, und darunter eine Inschrift, in der die Titel, die Ehren und die Heldentaten des Abgebildeten vermerkt waren. Auch vor jedem Tempel war ein Atrium, in dem die Senatoren oder die hohen Beamten sich versammelten. Die »Atria Licinia« waren die Wohnung der Herolde. Das »cavaedium« war ein in der Mitte ungedeckter Hof, in den von den umliegenden Dächern das Regenwasser abfloß. Er war auf allen vier Seiten von Gebäuden umgeben, und der freie Raum war umringt von Galerien, deren Dächer entweder auf Mauern oder auf Säulen ruhten. Vitruvius nennt fünf Arten von Galerien: l. das Atrium toscanum, bestehend aus vier Balken von der Breite des Atriums, die sich rechtwinklig kreuzten und deren Enden in den Hausmauern befestigt waren; das Wasser floß in das »compluvium«, ein Becken in der Mitte des Hofes; 2. das 52

»corinthianum«, bei dem die Balken, die Sparren und die Regenrinnen von Säulen getragen waren; 3. das »tetrastylum«, das, wie der Name besagt, mit vier Säulen an den Schnittpunkten der Balken geschmückt war, sonst aber die gleiche Anordnung aufwies wie das »toscanum«; 4. das »displuvialum«, das den Vorteil hatte, mehr Licht in die angrenzenden Räume einfallen zu lassen - aber hier floß das Wasser nicht direkt in den Hof, sondern in eine Art Regenrinne, von der aus es über die Mauern rieselte; 5. das »testudinalum«, das von oben einem Schildkrötenpanzer glich. Die Säulengänge rund um das »impluvium« (den offenen Teil oder Hof) waren mit Statuen geschmückt; die Säulen selbst waren schön und kunstvoll, oft in einem Stück aus Luna-Marmor gehauen. Die Wände waren bis zur Höhe des Sockels mit dem gleichen Marmor verkleidet und darüber bemalt; die Decke der Säulengänge wies Mosaiken griechischer Künstler auf. Rund um das »cavaedium« lagen die Räume, in denen man Wein, Korn und Obst aufbewahrte; außerdem die Schlafzimmer, die Speiseräume und die SklavenUnterkünfte. Zu den ans »cavaedium« angrenzenden Räumen zählt das »tablinum«, Familienarchiv und Bibliothek, In einem »tablinum« zu Pompeji sieht man an einem Tisch einen Mann - Philosoph, Redner oder Dich-

Pompeji: Atrium im sogenannten »Haus der Geldheirat«. Die Weite des Raums läßt erkennen, daß es ein schönes Patrizierhaus gewesen sein muß. Unten: Reste einer Zentralheizung.

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eine Glastür mit dem Schlafzimmer verbunden. Wie Vitruvius berichtet, gab es in den Häusern der Reichen auch eine Bildergalerie, Pinakothek genannt; sie ging stets nach Norden, sei es, weil dies eine gleichmäßigere Beleuchtung sicherte oder weil es die Bilder vor der direkten Sonnenstrahlung schützte; in dieser Galerie waren auch Statuen und kunstvoll gearbeitete Vasen aus Metall oder Stein aufgestellt. Im Inneren der Häuser gab es nur selten Holzböden; die Fußböden waren gewöhnlich mit Platten gepflastert oder mit Steinen in verschiedenen Farben, die Ornamente und Bilder ergaben, belegt. Die Fenster waren aus dünnen Glasplatten oder aus durchsichtigen Steinen, die erst spät in Gebrauch kamen. Da nur sehr wenige Fenster auf die Straße hinaus gingen, brauchte man Glas nur in den Winterzimmern, in den

ter —, der eine Schriftrolle in der Hand hält und zwei anderen Personen daraus vorliest; Apollo und eine Muse ihm zur Seite. Dieser Raum ist prächtig geschmückt; der Fußboden ist mit einem Mosaik ausgelegt: Es zeigt vier maskierte Personen, die eine fünfte umgeben, welche deklamiert und von einem Flötenspieler begleitet wird. Zu beiden Seiten des Tabulinums führen Gänge ins Peristyl, einen Portikus, der länger als breit und von Säulen getragen ist. Außerdem enthielt das römische Haus noch andere Räume von wechselnder Lage: Tag- und Nachträume, Winter- und Sommerzimmer. Die »triclinia« waren Speiseräume; es gab Winter-»triclinia«, die nach Westen gingen, solche für Frühling und Herbst, nach Osten gerichtet, und solche für den Sommer mit den Fenstern auf der Nordseite. Sie waren fast alle doppelt so lang wie breit. Der »oecus«, ein großer Arbeitsraum, in dem sich die Frauen aufhielten, diente auch als Eßzimmer. Das »exedrium«, im Westen gelegen, war eine große Galerie, wo man zusammenkam, um über Kunst und Wissenschaft oder über Geschäfte zu reden; es war rundum mit Sitzen ausgestattet, auf denen man Platz nehmen konnte. Die »diaeta« war ein Salon, in dem man Besucher empfing; das »Solarium« war eine Dachterrasse und diente als Wandelgang; die »zotheca« war ein Kabinett, in vielen Fällen durch

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Fassade, Hof und Inneres von Häusern in Herculanum und Rom. Der Schrank unten stammt aus dem Aurea-Haus in Rom. Rechts: Triclinium aus dem »Haus Neptuns und der Amphitrite« in Herculanum.

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Links: Nachbildung des Inneren eines römischen Hauses. Rechts: Läden auf dem »Trajansmarkt« aus der Römerzeit.

obachtung des Vogelflugs hinderten, niederreißen zu lassen. »Area« hieß die Parzelle, auf der das Haus stand, und »angiportus« nannte man die Verbindungswege, die zwischen den »Inseln« hindurchgingen und die Straßen miteinander verbanden; die Wege waren manchmal so schmal, daß man nur schwer hindurchkonnte. Nach einer Statistik, die wir Publius Victor verdanken, gab es unter den Kaisern Valens und Valentinian in Rom 46602 Häuser, davon 44792 »insulae« oder Miethäuser; es ist nicht verwunderlich, daß es in einer Großstadt wie Rom so viel mehr Miethäuser als Eigenheime gab.

»triclinia« und den »oeci«: Vorhänge hielten im Winter die Kälte und im Sommer die Sonne ab. Die Dächer waren mit großen Ziegeln gedeckt; manche waren flach und mit Blumen und kleinen Bäumen bepflanzt. In strengen Wintern wurden die Wohnungen geheizt ; man machte Feuer in einem beweglichen Ofen und verwendete als Brennmaterial sehr trockenes, leicht brennbares Holz. Gab es im Haus ein Bad, dann wurde die Wärme vom »hypocaustus« (einer Heizan-

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läge im Keller) durch Rohre in die darüberliegenden ff 5 ' Die Stadt umfaßte m lhrer Blütezelt 46602 ,. Hauser, von denen die meisten Miethäuser Rä

Man weiß nicht genau, wo in den romischen Hausern die Küche und die Backstube gelegen war; wahrscheinlich in der Nähe des »cavaediums«, ebenso wie die Speisekammer. Man hat keine Kamine gefunden; der Rauch zog durch eine Öffnung im Dach oder durch hochgelegene Fenster ab. Daher litten die Hausbewohner, selbst wenn man mit sehr trockenem Holz heizte, unter dem Rauch, der sogar die Ahnenbilder im Atrium beschädigte. Die eigentlichen Häuser, »domus«, waren in Reihen gebaut. Freistehende Häuser hießen »insulae«, Inseln; das waren gewöhnlich die größten. Sie unterschieden sich von den »domus« auch darin, daß sie vermietet und jeweils von mehreren Familien bewohnt wurden. Nach dem großen Brand, der unter Nero Rom zerstörte, durften »insulae« nicht höher als 70 Fuß (20 Meter) gebaut werden; von jedem Stockwerk führte eine Stiege direkt auf die Straße. Sie waren gewöhnlich von Einfriedungsmauern umgeben. Die Auguren hatten das Recht, Häuser, die sie an der Be56

waren.

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Volkswohnungen Nicht jedermann in Rom hatte sein eigenes Haus, nur die Reichen; doch neben deren geräumigen Wohnstätten gab es viele Kollektivhäuser, wo die Menge sich drängte, um dort einige Stunden des Tages und besonders der Nacht zu verbringen, wenn man selbst in diesem Land, wo man sich so viel im Freien aufhielt, nicht draußen sein konnte. Leute mit bescheidenen Mitteln bewohnten ein Zehntel, ein Zwanzigstel, manchmal auch einen noch kleineren Teil eines dieser großen Häuser und zahlten dafür eine kleine Miete; sie brauchten nur die Möbel beizustellen. Es gab sogar möblierte Wohnungen zu mieten. Diese wurden hauptsächlich von Proletariern in Anspruch genommen. Zwischen den Armen und den Reichen gab es eine Mittelschicht, die auf Eigenheime Wert legte, weil sie es als Schande betrachtete, in Miethäusern zu wohnen.

Diese Halbreichen taten sich zu dritt und zu viert zusammen, um auf gemeinsame Kosten ein Haus zu kaufen oder zu bauen, das sie dann miteinander teilten: die eine Familie wohnte im Erdgeschoß, die zweite im ersten Stock, die dritte noch ein Stockwerk höher, und so weiter. Diese Halb-, Drittel- oder Viertel-Hauseigentümer waren jedoch gering an Zahl, verglichen mit der gesamten Einwohnerschaft Roms; die weitaus meisten waren Mieter, Miethäuser waren Spekulationsobjekte, sehr günstige Anlagewerte, und es gab reiche Leute, die fast ihr ganzes Einkommen aus solchen Häusern bezogen. Man annoncierte freie Wohnungen, ihre Größe und sogar den Namen des Wohnungsvermittlers in Maueraufschriften. Diese waren oft in armlangen Lettern geschrieben, schwarz, bis auf die letzte Zeile mit dem Namen des Eigentümers, die rot war, um mehr Aufmerksamkeit zu erregen. 57

Links oben: Dieses schöne Fresko von Stabies zeigt die Weite und Harmonie einer schönen römischen Villa. Desgleichen die Abbildung unten, die ebenfalls von einem Fresko Stabies' stammt. Links unten das bemerkenswerte »Meerestheater« der Hadriansvilla in Tivoli.

Die »villa« Wir wissen mehr von den Landhäusern der Römer als von ihren Stadthäusern, dank den Schilderungen bei Plinius dem Jüngeren, Vitruvius, Varro und Columelles; auch die Beschreibung, die Cicero von seinem Wohnsitz außerhalb der Stadt und vom Landsitz seines Bruders gibt, vermittelt uns eine Vorstellung von diesen Häusern, in denen Pracht und Luxus herrschte, Die Größe der »villa rustica« richtete sich nach dem Ausmaß des Grundbesitzes; denn sie mußte die ganze Ernte fassen und die Sklaven der »familia rustica«, die die landwirtschaftlichen Arbeiten besorgten, sowie das Vieh beherbergen. Sie bestand aus drei Teilen, die einen Komplex bildeten: Die »urbana« diente dem Herrn als Wohnung, in der »rustica« lebten die Sklaven und die Tiere, und die »fructuaria« war der Speicher. In der »urbana« gab es Räumlichkeiten für alle Jahreszeiten: im Süden eine Winterwohnung, im Norden eine Sommerwohnung, im Osten die Zimmer für Frühling und Herbst. Im Südwesten lagen die Bäder. Diese Gebäude waren aus Ziegeln und mit Verputz versehen; sie hatten ein Gesimse aus Terrakotta. Die »rustica« war - nach Varus - in zwei Höfe geteilt. Im ersten wohnte der »villicus«, der Obersklave, der alle landwirtschaftlichen Arbeiten leitete; er hatte die Gesamtaufsicht über alles, was sich im Gutshof befand: Sklaven, Vieh, Nahrungsvorräte, Kleidung; mit ihm wohnte die »villica«, seine Frau. Die Wohnung des »villicus» lag gegenüber dem Eingangstor; dies ermöglichte es ihm, genau zu beobachten, wer aus- und einging. Daneben befand sich die Küche, die groß genug war, daß die Sklaven dort auch ruhen konnten. Draußen an der Mauer waren die Ställe der Rinder, die von ihren Krippen aus das Herdfeuer sehen konnten. In der Nähe der Küche befanden sich die Baderäume und darüber die »apotheca«, wo man den jungen Wein lagerte, damit er unter der Einwirkung der Dämpfe schneller gäre. Neben den Rinderställen waren die Stallungen für die Schafe und Ziegen sowie der Pferdestall - dieser von der Küche abgewandt, weil man meinte, daß der Anblick des Feuers den Pferden schaden könnte. Unter der Wohnung des »villicus« befand sich das »ergastulum«, ein Kellergefängnis, wo man Sklaven

einsperrte, die Füße in Eisen. Unweit davon lag das »valetudinarium«, die Krankenstube, in der kranke Sklaven gepflegt wurden. Die übrigen Sklaven wohnten in Verschlagen, die nach Süden gingen und in einer Reihe nebeneinander angeordnet waren. Entlang der Mauer des Unterhofes befanden sich die Vogelkäfige, der Hühnerstall, der Schweinestall und der Schuppen. Nahe der Wohnung des »villicus« schließlich stand ein Magazin, »horreum« genannt; dort wurden alle landwirtschaftlichen Geräte aufbewahrt, mit Ausnahme der eisernen, die an einem besonderen Ort verschlossen waren. Der dritte Teil der »villa rustica«, die »fructaria«, lag im Süden und umfaßte das »torcularum«, die 01und Weinpresse, und die »cellae«. Kellerräume zur Lagerung von Öl und Wein. Man wählte dafür die Südlage, um die Sonnenwärme, nicht aber die Kälte

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eindringen zu lassen - sonst wäre nämlich das öl im Winter erstarrt, während es unter der Einwirkung der Sonnenwärme seine Schärfe verlor. Der Weinkeller war fast völlig finster und in manchen Fällen nach Norden und Süden, in anderen nur nach Süden hin offen. Die Vorratskammer, »penus«, ging nach Norden; man wählte dafür gewöhnlich einen frischen, trockenen Platz. Dort bewahrte man Lebensmittel auf, die zur Konservierung bestimmt waren, wie Bohnen und ähnliche Gemüse, Feigen, Vogelbeeren, Quitten und Eier. Daneben befand sich der Ostkeller, »oropotheca«, wo man Äpfel, Birnen und dergleichen konservierte. Der Getreidespeicher, das »horreum«, war trocken, kühl, luftig, hochgelegen: ein gewölbter Lagerraum, an der Nordseite mit kleinen Fenstern versehen; der Boden war massives Mauerwerk, mit Zement verputzt. Der Speicher war in Kammern geteilt, in denen man die verschiedenen Getreidearten lagerte. Zur »villa rustica« gehörte schließlich noch ein zweiter Hof, außerhalb gelegen und mit einem Wasserbecken ausgestattet, das dazu diente, Weidenruten, Trockenerbsen u.a. einzuweichen; ferner die »sterquilinia« oder Mistgruben; die »pistrina«, wo das aus dem Bad Überfließende Wasser Mühlsteine trieb; die Backstube und der Holzschuppen; das »fenile«, der Heuboden, und das »palearium«, der Strohschuppen; die »area«, die Dreschtenne; der Obstgarten, der Gemüsegarten, die Bienenstöcke, der Fischteich. So sah die richtige »villa« aus; hier gab es keinen zwecklosen Luxus; sie entsprach den Erfordernissen jenes Berufes, der den Römern in der ersten Zeit als der beste, fruchtbarste, eines freien Mannes würdigste galt: der Landwirtschaft.

Landhäuser Die Anlage der Landhäuser glich im allgemeinen jener der Stadthäuser mit dem Unterschied, daß jene, da auf dem Land mehr Raum zur Verfügung stand, größer und schöner waren, zumal man sie mit Parks umgab. Sie waren mit hübschen Türmen versehen; und vom Obergeschoß hatte man eine schöne Aussicht. Diese Häuser umfaßten ein »sphaeristicum«, einen Saal für Ballspiele und andere Sportarten; ferner einen »cryptoporticus«, ein unterirdisches Gewölbe, 60

Gegenüber: Hof und Nebengebäude eines Landhauses. Unten: Szenen aus dem Landleben. Links: der traditionelle Hundauf dem berühmten Mosaik mit der Aufschrift »Cave canem« (Achtung vor dem Hund). wo man in der Sommerhitze erfrischende Kühlung fand. Wie die »insulae«, die freistehenden Stadthäuser, hatten auch die Landhäuser drei bis vier Stockwerke. Die Obergeschosse gehörten jedoch nicht zum Hauptteil des Hauses, wie man aus den schmalen Stiegen, die hinaufführten, schließen kann. Die Häuser waren mit schönen Mosaiken verziert. Außer jenen, die die Fußböden und die Innenwände schmückten, sah man am Hauseingang auf einem schönen Mosaik einen Kettenhund mit der Inschrift: »Cave canem« - Achtung vor dem Hund! Die bedeutendsten Kunstwerke dieser Art befinden sich im Museum von Neapel. In Pompeji sieht man auch viele Wandmalereien. Siezeigen Arabesken, Schleifen, phantastische Szenen aus der Tierwelt und der Mythologie, und alle sind mit sicherem Geschmack und höchster Kunstfertigkeit

ausgeführt. Das Haus eines-Tragödiendichters enthält schöne mythologische Malereien, so die Entführung der Briseis durch Agamemnon, Theseus und Ariadne, die Opferung der Iphigenie. Die Farben sind so gut erhalten, daß sie die meisten späteren Malereien und Fresken an Leuchtkraft übertreffen,

Wenn man schon im Inneren der kleinen Häuser Pompejis so viel Schönheit und Kunst findet, wie prächtig müssen da erst die Häuser von Rom gewesen sein, dieser Hauptstadt der Welt, in der die Meister werke der Kunst gesammelt waren und die öffentlieben Bauwerke ebenso viel Geschmack und Kunstgefühl wie Prunk zeigten! Was das Mobiliar betrifft, so war es in den LandHäusern gewöhnlich das gleiche wie in den Stadthäusern.

Die Möbel Von den unentbehrlichen Möbeln sind als erstes die Stühle zu nennen; sie waren entweder einfach aus Holz oder mit Elfenbein, Silber und Bronze verziert; manehe hatten keine Rückenlehne und ähnelten unseren Hockern, andere hatten eine halbkreisförmige Lehne. Sie waren mit Wolle oder mit Schwanenfedern gepolstert oder mit weichem Stoff bespannt. Das »solium« war ein Ehrensitz, auf dem der Patron Platz nahm, wenn er seine Klienten empfing, sei es, um ihnen juristische Ratschläge zu geben, sei es, um ihre Streitigkeilen zu schlichten. Es gab auch Sofas für Kranke oder Schwache. Auf Stühlen saßen die Römer gewöhnlich nur, um sich miteinander zu unterhalten, um zu lesen, zu schreiben oder zu arbeiten; so verwendeten Handwerker und Künstler Stühle. Bei den Mahlzeiten hingegen benützen die Römer keine Sessel, sondern Betten, die so aufgestellt waren, daß ein Tisch auf drei Seiten von Betten umgeben war; beim Essen lag man, auf den linken Ellbogen gestützt, in der Regel höchstens zu dritt auf einem Bett - für mehr als drei war es unbequem. In der ersten Zeit war es für Frauen üblich, bei Tisch zu sitzen, bald aber lagen auch sie wie die Männer auf den »triclinia«. Tische waren nicht wie bei uns unerläßliche Möbelstücke; nur für Handwerker waren sie unentbehrlich. 62

In Läden gab es oft steinerne Tische, die zum Auslegen der Waren dienten; die Metzger legten das Fleisch auf den Tisch, die Geldwechsler die Münzen. Als jedoch in Rom der Luxus um sich griff, wurden die Tische zu den wichtigsten und prächtigsten Möbelstücken in den »oeci« und »triclinia«. Anfangs waren sie sehr einfach, drei- oder vierfüßig, ganz aus Ahorn gemacht. einem Holz, das man wegen seiner Härte und Weiße schätzte; in älterer Zeit waren die Tische viereckig, später dann rund mit einem einzigen Fuß aus Silber, Elfenbein oder Bronze, die Platte aus seltenen, kostbaren Hölzern und mit Schnitzereien verziert, Die begehrtesten Tische waren aus »citrus«, einem Baum, der in Mauretanien wuchs. Die einen wurden wegen der streifenförmigen Maserung des Holzes »tigrinae« genannt; andere, die eine wirbelförmige Zeichnung aufwiesen, hießen »pantherinae«; wieder andere waren gesprenkelt. Die größeren dieser runden Tische hatten einen Durchmesser von vier Fuß. Der größte bekannte Tisch zur Zeit des Augustus kam von Ptolemäus, dem König von Mauretanien: Sein Durchmesser betrug viereinhalb Fuß, seine Dicke drei Daumen. »Abacus« nannte man kleinere Tische, auf denen man gewöhnlich kostbare Vasen aufstellte; sie hatten einen Rand, der verhindern sollte, daß etwas herunterfiel; man verwendete diese Tische zum Würfein und für andere Spiele. Sie waren Luxusartikel, die, nach Livius, die Römer den Asiaten verdankten.



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Römische Möbel: Bett aus Bronze und Holz, Schrank, Gartentisch aus Marmor. Gegenüber: Tischler bei der Arbeit. Es gab Kleiderschränke, Schränke für Lebensmittel und andere für Wertsachen und Bücher.

Außer dem im Atrium aufgestellten Hochzeitsbett gab es in den Schlafzimmern Betten aus feinem Holz, oft mit Elfenbein, Schildpatt oder Silber eingelegt; manche Betten waren ganz aus Bronze oder mit Füßen aus Bronze oder Elfenbein versehen und so hoch, daß man einen Schemel brauchte, um hineinzusteigen. In Schränken (»armaria«) bewahrte man Geld und Wertgegenstände auf; andere dienten zur Aufbewahrung von Kleidern, Lebensmitteln und Büchern. In den Mauern rund um das Atrium waren Nischen, in denen wächserne Ahnenbilder lagen. Zum Reisen verwendete man Koffer aus dünnem Holz; die »Daktiliothek« war eine Kassette für Ringe; und schließlich hingen vor Türen und Fenstern Vorhänge, »aulaea«.

Gegenüber: verzierte Truhe, Heizgerät. Rechte Seite: verschiedene Lampen mitStändern.

Beleuchtung Die Zimmer wurden mit einer Lampe, »lucerna«, beleuchtet; das war ein längliches Gefäß, seitlich mit ein oder zwei Leuchtertellern versehen, auf die man die Dochte legte; mit einer kleinen Kette war an diesem Gefäß ein Deckel mit Griff befestigt, so daß man die Lampe leicht transportieren konnte. Die Lampen waren aus Eisen oder aus Ton, mit Bronze verziert; in den Bädern von Pompeji hat man mehr als hundert davon gefunden. Der Docht war eine Schnur aus Werg, mit öl, Talg oder Wachs getränkt; man verwendete auch die dicken, fetten Blätter einer Pflanze namens »lynchitis« als Dochte. Die Kerze (»candela«) war eine Schnur oder ein Schilfstengel, umgeben mit Wachs oder Talg; man scheint Kerzen mehr verwendet zu haben als Lampen. Die Kerze steckte in einem Kandelaber, der nicht auf dem Tisch, sondern auf dem Boden stand. Die Kandelaber waren aus Bronze oder aus korinthischem Erz, manche auch aus Holz, gewöhnlich zweieinhalb Fuß hoch; In Pompeji wurden Kandelaber von bis zu fünf Fuß Höhe gefunden. Die Römer stellten sie im Atrium und in den Zimmern auf, um das Haus zu beleuchten. Der »lychnus«, eine Lampe mit vielen Dochten, verbreitete sehr helles Licht; Domitian verwendete

»lychni« bei Spielen und nächtlichen Jagden. Plinius spricht von einem »lychnulus« im Tempel des Apollo Palatinus und vergleicht ihn mit einem früchtetragenden Baum: Es war offenbar ein mehrarmiger Leuchter. Solche Leuchter wurden vor allem in Tempeln verwendet. Die »toeda«, eine Fackel aus harzigem Holz, diente lange Zeit bei Hochzeiten und Trauerfeiern als Leuchte. Bei Hochzeiten zündete man fünf solcher Fackeln an; der Braut voran trug man eine Fackel aus Weißdornholz, von dem man glaubte, daß es Unheil fernhalte. In der ältesten Zeit nahm man Fackeln, um das Haus zu beleuchten oder wenn man nachts ausgingIn Pompeji fand man viele kleine Pinzetten, mit denen die Römer die Lampendochte herauszogen oder putzten. Sie hatten auch Trichter, mit denen das öl in die Lampen eingefüllt wurde. Die Lampen wurden entweder auf den Tisch gestellt oder mit einer Kette an die Zimmerdecke gehängt. Manchmal verwendete man anstelle von Kandelabern Leuchter, auf denen mehrere Lampen angebracht waren; auch Bäume und Statuen dienten diesem Zweck. Die Leute aus dem Volk verwendeten, wenn sie nachts ausgingen, Lampen aus Hornblättern, aus Blasenhaut oder aus ölgetränkten Leinenstückchen. 65

Unten: Beginn eines Banketts. Diener bieten Getränke an und ziehen den Gästen die Schuhe aus. Die Mahlzeiten, besonders die um vier Uhr nachmittags, waren zwar von ungewöhnlicher Auserlesenheit, doch achtete man allgemein darauf daß die Gäste nicht zu zahlreich waren: sieben galten als die ideale Anzahl. Rechts: vornehme Mahlzeit — ganz privat.

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6. Mahlzeiten • Spiele

Gut essen und trinken Im Lateinischen sind zwei Wörter nicht voneinander zu trennen: »amare« und »polare«, lieben und trinken. Dies waren tatsächlich die beiden Hauptelemente im Leben eines Römers zur Kaiserzeit und in den letzten Jahrzehnten der Republik. Tafelfragen standen im Mittelpunkt des römischen Lebens; um ihre Völlerei in ihren eigenen Augen zu rechtfertigen, machten die Römer aus ihren Mahlzeiten heilige Handlungen. Gut essen und trinken hieß seinem Schutzgeist huldigen (»genio indulgere«); kärglich und sparsam leben hieß ihn beleidigen, ihn berauben (»genio defraudare«). Die Römer nahmen jede Gelegenheit wahr, diesem gefälligen Genius Respekt und

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Sympathie zu erweisen. Kein Kult wurde je gewissenhafter und pünktlicher betrieben. Willkommensschmaus für den Ankömmling, Abschiedsmahl für den Abreisenden; Trauerschmaus neun Tage nach dem Begräbnis, Gastmähler nach Opfern, an Geburtstagen, für Freunde, für die Familie, mit Kurtisanen; kurzum, Gelage immer und überall, Selten waren die Gäste zahlreich; es gab ein Sprichwort: »Septem conviviae, convivium; novem, convicium« - Sieben Gäste, ein Mahl - neun Gäste, eine Qual. Die Tafelfreuden sollten nicht durch Lärm gestört werden. Diese privaten Mahlzeiten waren gewohnlich Soupers um die zehnte Stunde des Tages, das heißt gegen vier Uhr nachmittags; vorher nahm man nur leichte Imbisse.

Dieses amüsante Fresko zeigt Sklaven beim Herrichten der Getränke, ferner die Gäste und dann einen Diener, der die Reste wegräumt.

Die verschiedenen Mahlzeiten Da ist einmal am Morgen das Frühstück, »jentaculum«, bestehend aus einem Stück Brot, das in Wein getaucht oder trocken gegessen wird. Tacitus aß niemals etwas anderes zum Frühstück, berichtet Vopiscus. Manchmal ist es Brot mit Käse oder etwas Obst: »Nos in essedo panem et palmulas gustavimus«, sagt der heilige Augustin - »Wir aßen im Wagen Brot und Datteln«. Andere nehmen bloß Wein mit einer Frucht, »silum« genannt, weshalb das Frühstück auch manchmal als »silatum« bezeichnet wird. Das »prandium« oder Mittagessen wird um die sechste Stunde, das heißt um zwölf Uhr, eingenommen; es ist eine sehr leichte, sehr frugale Mahlzeit, man ißt meist nur kalt und setzt sich oft gar nicht zu Tisch. Es heißt sich gedulden bis zum Abendessen, der »coena«, welche die Hauptmahlzeit ist. Bei manchen Leutenistdas Mittagessen eine regelmäßige Mahlzeit, zu der sie jedoch keinen Gast einladen: andere nehmen danach noch einen weiteren Imbiß, genannt »merenda« (Nachmittagsmahl), kurz vor dem Abendessen (»proxima coenae«). Dieses Essen wurde Arbeitern von ihren Dienstherren zur Verfügung gestellt. Und schließlich kam das Abendessen, die Mahlzeit par excellence, um die neunte oder zehnte Stunde, also um drei oder vier Uhr nachmittags oder später, beispielsweise im Winter, wenn man nicht so früh mit der Arbeit begann und die Senatssitzung oder die Volksversammlung bis zum Abend dauerte, was nicht selten vorkam. Schlemmer oder Müßiggänger setzen sich schon um die achte Stunde zu Tisch; das ist aber nicht die Regel. Nach dem Souper folgt manchmal noch eine »commissatio«, eine Art Nachtmahl, wobei mit Wein nicht gespart wird; oft handelt es sich dabei um Trinkgelage junger Männer mit Kurtisanen. Manchmal folgt einer üppigen »coena« eine nicht minder üppige »commissatio«. Kinder bekommen nicht alle diese fünf Mahlzeiten; ihr Frühstück besteht aus kleinen gebackenen Kuchen, die von wandernden Zuckerbäckern verkauft werden. Ältere Leute begnügen sich mit drei Mahlzeiten, manchmal sogar mit zwei, Mittag- und Abendessen. Ohne gleich ein historisches Bild von der Entwicklung der Kochkunst im alten Rom zu zeichnen, kann

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man doch zeigen, wie der Tafelluxus die einzelnen Phasen der Zivilisation begleitete. In der ersten Zeit waren die Mahlzeiten sehr schlicht und von primitiver Frugalität; es war die Zeit der Armut und der Frömmigkeit. »Einst«, sagt Ovid, »saß man auf hölzernen Bänken und glaubte, daß die Götter am Mahle teilnähmen.« Cincinnatus gab sicherlich keine opulenten Festmähler. Curius Dentatus aß zu Mittag selbstgekochte Wurzeln. Man kannte damals noch nicht mehrere, aus verschiedenen Speisen bestehende Gänge. Selbst die üppigsten Mahlzeiten bestanden nur aus einem Stück Kochfleisch und einer Art Brei, »pulsus« genannt. Die Römer der Frühzeit kannten noch nicht einmal das Nahrungsmittel, das heute die einzige Kost der Armen bildet und in den Palästen der Reichen im Überfluß vorhanden ist: das Brot. »Sie nährten sich nicht von Brot«, sagt Plinius, »sondern von >pulsus

12. Theater und Schauspieler

Größe und Pracht der Theater

tausend Personen Platz.

Die Bühnenspiele, im römischen Jahr 390 (363 vor Christus) eingeführt, um den Zorn der Götter zu besänftigen und das Ende einer schrecklichen Epidemie, welche die Stadt verheerte, herbeizuführen, wurden alljährlich von den kurulischen Ädilen veranstaltet und dauerten ein bis vier Tage. Manchmal waren sie nur ein Teil der Darbietungen, manchmal bildeten sie allein den Inhalt eines Festes. Ursprünglich waren die Theater nur zeitweilige Einrichtungen. Von den ständigen Theatern war die Venus-Bühnelange Zeit das einzige aus Stein erbaute Schauspielhaus in Rom, man spielte dort alle Buhnenstücke. Später wurden zwei andere errichtet: das Balbus-Theater, im Jahre 12 vor Christus eröffnet, faßte 30 245 Zuschauer, und das im selben Jahr von Augustus eingeweihte Marcellus-Theater bot dreißig-

Das Theater von Pompeji hatte vierzigtausend Plätze und übertraf die beiden anderen an Schönheit und Größe. Es war im Inneren halbkreisförmig angelegt, die Sitzreihen stiegen stufenartig an; »Theater« hieß der Zuschauerraum. Das »Proszenium« war die Bühne, wo die Schauspieler agierten, und begann am Durchmesser des Halbkreises; der freie Raum zwisehen »Theater« und »Proszenium« wurde »Orchestra« genannt. Die Ritter saßen auf den ersten vierzehn Rängen, deren unterster rund um das Orchester verlief, während der oberste von den nächsten durch eine Balustrade getrennt war. Der Ädil warb und engagierte die Schauspieler, las die Theaterstücke und kaufte sie, wenn er sie für geeignet befand; im Haus des Ädils wurden die Rollen verteilt und die Proben abgehalten. Es kam der Tag der Aufführung. Der riesige Vorhang, der vor der

Zwei Theater: Ventimiglia und Ost/a. Links unten: Komödienszene.

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Das Mosaik links zeigt eine Theaterszene, die, kaum übertrieben, ein Straßenbild darstellt. Unten: zwei dekorative Figuren aus dem Theater von Ostia. Hechts: eine komische Person, der Bauer Macchus, verfressen, dumm, einfältig, eine Art Vorläufer des Kasperls. Bühne aufgehängt war und von Soldaten bedient wurde, senkte sich; ein Schauspieler trat vor und rezitierte den Prolog, in dem er den Inhalt des Stückes kurz erläuterte. Die Zuschauer konnten infolge der Größe des Theaters die Schauspieler nicht immer gut hören; der Prolog war daher unerläßlich, um es dem Publikum zu ermöglichen, dem Gang der Handlung zu folgen. In den Zwischenakten wurde das Publikum von Flötenspielern, die hinter der Bühne saßen, unterhalten. Die Schauspieler trugen Masken, die zugleich als Schalltrichter wirkten und es überdies ermöglichten, daß auch die Frauenrollen von Männern gespielt wurden. Nach Ende des Stückes sprach der Schauspieler, der gerade auf der Bühne war, die übliche Schlußformel aller Komödien: »Plaudite, amici« - applaudiert, Freunde. Aber mehr als einmal beantwortete das Publikum diese Aufforderung mit Pfiffen und Pfuirufen. Die Schauspieler »Seht«, sagt Seneca, »diesen Herrscher, der hocherhobenen Hauptes an die Rampe tritt und stolz ausruft: Ich bin der König von Argos, Pelops hat mir ein Reich hinterlassen, das vom Hellespont bis zum Ionischen Meer reicht. Es ist ein Sklave, der im Tag fünf Maß Weizen und fünf Denare erhält.« Donnergeräusch erzeugt man, indem man auf den Bühnenbrettern erzene Gefäße hin und her rollt. Jupiter steigt vom Olymp hernieder, den Blitzstrahl in der Hand und umgeben von den Attributen seiner allerhöchsten Macht: Heute, sagt er, bin ich Jupiter, der am höchsten Ort der Welt wohnt. Und das Publikum lacht. Denn in Wirklichkeit ist Jupiter ein Sklave oder ein armer Freigelassener, der nach der Vorstellung in seine traurige Dachkammer zurückkehren wird — er wohnt wirklich am höchsten Ort, im »aenacula maxima mundi«. Der Kontrast zwischen scheinbarer Größe und wirklicher Armseligkeit, der plötzlich in einer Anspielung zutage tritt, reizt die Zuschauer immer zum Lachen. Das römische Volk liebte es, unter dem prächtigen Kostüm eines Gottes oder Herrschers den armen Schauspieler zu erkennen, den Sklaven, den man bezahlte, damit er dem Publikum gefalle. Seit urdenklichen Zeiten galten die Schauspieler als ehrlos und waren vom römischen Bürgerrecht ausge-

schlössen; setzte ein römischer Bürger seinen Fuß auf die Bühne, war er entehrt; er wurde von den Zensoren degradiert und von seiner Sippe verstoßen. Gewiß, später nahm man es nicht mehr so genau, man betrachtete das Theater mit anderen Augen; selbst Ritter glaubten sich nichts zu vergeben, wenn sie im Orchester tanzten, und Augustus mußte ihnen dies durch einen formellen Senatsbeschluß verbieten, Der Schauspieler hat nichts als sein Gedächtnis und sein Talent; der Ädil und der Theaterleiter müssen ihm alle Kostüme liefern. Reiche Leute rechnen es sich zu Ehren, Theaterunternehmern Chlamyden und Tuniken zu spendieren; besonders Lucullus war in dieser Hinsicht sehr freigebig. Die Theaterkostüme sind genau der Wirklichkeit nachgebildet; sie sind um so reicher, in je höherem Rang die dargestellte Person steht; nur durch ihre Größe unterscheiden sie sich von gewöhnlichen Kleidern. Sie sind überaus weit, innen aber genau dem Körper angepaßt. Der Schauspieler erscheint nicht nur breiter, sondern auch höher als in Wirklichkeit, dank den Kothurnen, die ihm eine übermenschliche Größe geben,

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Unten: zwei Bühnenmasken; rechts ein Schauspieler, über seine Rolle nachdenkend, bevorerdie ihm gebotene Maske nimmt. Unten: ein Komiker.

Die Masken Da der Kopf dann nicht mehr in richtiger Proportion zum Körper war, kam man auf den Gedanken, eine Maske aufzusetzen, welche die Gesichtszüge verstärkte und damit deutlicher sichtbar machte. Das Mienenspiel ging dabei verloren; man ersetzte es durch Form und Ausdruck der Maske. Jede Figur hatte ihren spezifischen Charakter, je nach der Rolle. So trug ein und derselbe Schauspieler nacheinander die Maske des Dorfbewohners, des Schmarotzers, des gutmütigen oder betrogenen Vaters. Oft hatte auch eine Maske auf ihren beiden Seiten zwei verschiedene Gesichter, und je nachdem, ob der Schauspieler traurig oder fröhlich, gelassen oder zornig sein sollte, drehte er einmal diese, einmal jene Seite der Maske nach vorn. In der Komödie gab es für Greise acht Masken, ebenso viele für Sklaven, für junge Männer zehn und für Frauen achtzehn. In der Tragödie verwendete man für Greise sechs verschiedene Masken, für junge Männer sieben, für Sklaven drei und für Frauen zehn.

In den Atellanen oder Atellan-Fabeln, einer Art von Lokalsatiren, die in oskischer Sprache für die Bühne eingerichtet waren und in denen junge Edelleute nicht auftreten konnten, ohne Titel und Rechte eines römischen Bürgers zu verlieren, gab es eine feste, begrenzte Anzahl von Charakteren, an der nicht gerüttelt wurde. Das waren der »macchus«,-ein einfältiger, tölpischer, gefräßiger Bauer, entsprechend dem späteren »Hanswurst«; der »bucco«, so genannt wegen seiner ungeheuer aufgeblasenen Backen, ebenso tölpelhaft und dumm wie der »macchus«, aber obendrein noch geschwätzig und selbstzufrieden: »Garrulus, et caeteros oris loquacitate, non sensu superans«; dann der »pappus«, ein ehrgeiziger Alter, den jedermann zum Narren hält; der »panniculus« in buntscheckigem Gewand wie unser Harlekin; und schließlieh der »dorsellus«, ein Buckliger, weise, sternkundig und sehr geizig, der pedantische Doktor des italienisehen Schwanks. Dazu noch zwei Gespenstertypen, der »mancutus« und die »mania«, furchteinflößende Geister, mit denen man die Kinder erschreckte. Die Erfindung der Maske wird einem Schauspieler

namens Roscius Gallus zugeschrieben, der sein häßliches Gesicht verstecken wollte. »Unter der Maske sah man jedoch noch die Augen des Schauspielers und die Leidenschaft, die sie beseelte«, sagte Cicero. Ein anderer Vorteil der Maske war, daß sie die Stimme des Schauspielers bis ans äußerste Ende des Theaters trug: sie hatte eine Art Schalltrichter eingebaut, ausgestattet mit Blättchen aus Erz, die als Verstärker wirkten. Das war keineswegs Überflüssig, denn das Theater war riesengroß, und es herrschte durchaus keine völlige Stille im Zuschauerraum, wo es Übermütige und Betrunkene gab — »potus et extex«, wie Horaz sagt.

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Rechts: Ein robuster Arzt fühlt einem beängstigend mageren Patienten den Puls. Unten: ein anderer Arzt in seiner Kammer vor einem Instrumentenschrank.

13. Ärzte und Wahrsager

Die Schüler des Aeskulap Wie überall erzählte man auch in Rom über die Ärzte Anekdoten, empfing und feierte sie und bezahlte sie gut. »Wann immer«, schrieb der alte Cato an seinen Sohn, »die Griechen uns mit ihren Künsten beglücken, schicken sie uns ihre Unsitten als Draufgäbe; nicht anders ist es mit ihren Ärzten. Sie scheinen sich verschworen zu haben, mit ihrer Medizin alle Barbaren, das heißt alle Fremden, auszurotten. Schon die Honorare, die sie verlangen, sind ein Mittel ihrer Kunst, Vertrauen zu erwecken und nach Herzenslust töten zu können.« Und er beschließt seinen Brief mit dem kategorischen Imperativ: »Ich verbiete dir, zu Ärzten zu gehen!« Die Heilkunst war in Rom also ein Importartikel, ein Geschenk Griechenlands. Bis dahin hatte die Empirie die Wissenschaft ersetzt; es war üblich, daß die Genesenen selbst zum Fiebertempel auf der Höhe des »vicus longus« gingen und die Rezepte aufschrieben, denen sie ihre Heilung verdankten. Der Tempel stand auf einer Tiberinsel; dorthin schickte man kranke Sklaven zum Sterben. Nachdem Archagathus in Rom sein Glück gemacht hatte, kamen viele Griechen hin, die sich als Ärzte ausgaben, aber nichts konnten als zur Ader lassen, Zähne reißen und ähnliches. Bald aber kamen Kundigere. Den Asklepiades aus Prusa in Bythinien erachtete Cicero seiner Freundschaft für würdig. Er hatte den Hippokrates und dessen Nachfolger studiert und gründete die methodische Schule; die Krankheiten kamen seiner Meinung nach entweder von einer Erschlaffung (»Asthenie«) oder von einer Überanspannung (»Hypersthenie«) der Organe. Zu den Schülern des Asklepiades zählten Artorius, Themiso Eudemius und Antonius Musa, der Augustus von einer gefährlichen Krankheit heilte und in den Ritterstand erhoben wurde. Berühmte Ärzte. Galienus Um die gleiche Zeit lebte in Rom ein anderer berühmter Arzt, der Grieche Athenäus aus Attalia in Kilikien; seine Anschauungen waren denen seiner Zeitgenossen entgegengesetzt, und er gründete die pneumatische Schule; in seinen philosophischen An-

sichten näherte er sich den Peripathetikern. Gleich den Stoikern erklärte er die Entstehung des Körpers aus der Entwicklung von Keimen, die seit aller Ewigkeit existiert hätten; der Geist, meinte er, werde durch die Zeugung weitergegeben. Der Körper entstehe nicht aus einer Verbindung einzelner stofflicher Moleküle, sondern aus einem geistigen Prinzip. Der Pulsschlag war für Athenäus der Beweis einer unmittelbar wirksamen Lebenskraft. In der Diätetik ging er von der Atmosphäre und deren Einfluß auf die Gesundheit aus; er betrachtete die Diagnostik nicht als eigene Wissenschaft, sondern verband sie mit der Therapeutik. Agathinus aus Sparta, ein Schüler des Athenäus, stand den Empirikern und den Methodikern nahe und suchte deren Theorien mit der Lehre des Athenäus zu verbinden; so entwickelte er das System der Eklektiker. Einer seiner Schüler, Archigenes von Apameia, praktizierte in Rom unter den Kaisern Domitian, Nerva und Trajan. Zur selben Zeit lebte in Rom Aretäus von Kappadozien, ein Eklektiker, der sich durch seine scharfen Beobachtungen und seinen schönen Stil auszeichnete. Seiner Meinung nach besteht der menschliche Körper aus flüssigen und festen geistigen Molekülen; die richtige Mischung dieser Moleküle ergebe die Gesundheit. Diese verschiedenen Systeme und die Anwendung der Dialektik auf die Medizin führten zu Divergenzen, die auch in der Praxis unheilvolle Auswirkungen hatten. Der berühmte Claudius Galienus suchte die Medizin von diesen künstlichen Theorien zu befreien und sie auf die Beobachtung der Natur zurückzuführen. In der Philosophie stützte er sich auf Plato und Aristoteles und bemühte sich, deren Lehren mit den Auffassungen des Hippokrates zu versöhnen. Alle Bereiche der Medizin, über die er schrieb, erhielten dank seinen Theorien eine neue wissenschaftliche Form; seine Lehren fanden bei allen seriösen Medizinern so allgemein Anklang, daß sie zur Grundlage der medizinischen Wissenschaft wurden. Bevor die Griechen kamen, vertrat bei den Römern die Erfahrung die Stelle der medizinischen Wissenschaft. Kaum war die Heilkunst zum System geworden, entstanden rivalisierende Schulen. Schließlich überwand Galien die Theorien und kehrte zur Naturbeobachtung zurück.

Ein Arzt behandelt einen Krieger. Unten: Nadel und Skalpell aus Herculanum. Rechts: Fresko, das den Titel »Anatomie-Unterricht« tragen könnte.

Zweifelhafte Heilkunst Neben den Gelehrten gab es viele Phantasten und Kurpfuscher; die Läden, in denen sie ihre Medizinen zusammenbrauten und verkauften, teilten mit den Barbierstuben die Ehre, Treffpunkte der Müßiggänger und Schwätzer Roms zu sein. Eine Stelle in den »Menechmen« zeigt, daß die Ärzte zugleich auch Chirurgen waren. Plautus stellte einen prahlerischen Arzt auf die Bühne, der sich brüstete, das gebrochene Bein Äskulaps und den Arm Apolls, der beiden Väter der Medizin, geheilt zu haben. Später trennten sich die drei Zweige: Die Pharmazeutik wurde eine eigene Kunst, reich an Betrug und Schwindel, wenn man Plinius glauben kann. Auch der Chirurg und der Arzt waren nicht mehr ein und dieselbe Person, wenngleich man sie beide oft mit dem Gattungsnamen »Heilkünstler« bezeichnete. Die Chirurgen verdienten in der Regel mehr und mit Recht. Was die Ärzte betrifft, so hatte Plinius keine gute Meinung von ihnen: Er schildert sie als gewinnsüchtige Ignoranten, die sich die Leichtgläubigkeit der Menschen zunutze machten und die Krankheiten künstlich verschlimmerten, um die Gewinne aus der Behandlung zu vergrößern; sie führten Operationen nur zur Hälfte aus, um sie alsbald von neuem beginnen zu können. War diese bittere Kritik begründet? Es ist zu bezweifeln, da doch Caesar sich bemühte, die Ärzte in Rom festzuhalten, indem er ihnen das Bürgerrecht verlieh; und Augustus, der während einer Hungersnot alle Fremden aus der Stadt auswies, machte mit den Ärzten eine Ausnahme und verlieh ihnen später das Recht, den Goldring zu tragen. Die Ärzte waren tatsächlich durch die Bank Griechen und in vielen Fällen Sklaven. »Niemals«, sagt Plinius stolz, »hat ein edler Römer sich zur Heilkunst herabgelassen.« Doch die edlen Römer haben sich auch nie dazu herabgelassen, Händler oder Lehrer zu werden. Sie ließen ihre Kinder von Sklaven unterrichten. Auch der römische Handel wurde von Sklaven getragen. Was läßt sich daraus schließen? Daß diese Berufe in der Tat entehrend waren? Nein, sondern daß die römischen Bürger mit fanatischer Eifersucht ihren Müßiggang und ihre vermeintliche Unabhängigkeit hüteten. Sie glaubten, ihrer Würde und ihrer Freiheit Abbruch zu tun, wenn sie ihr Wissen einem Kind oder einem Kranken zugute kommen ließen;

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also überließen sie die Wissenschaft den Fremden und den Sklaven. Zu bedauern ist vielleicht, daß die Ausübung der Heilkunst keiner Kontrolle unterlag. Kurieren, zur Ader lassen, purgieren durfte, wer wollte, solange er nur griechisch sprach. Vergebens erließ Sulla ein Gesetz, das nachlässige oder ungeschickte Ärzte mit Verbannung oder Tod bedrohte, dieses Gesetz fiel bald ganz von selbst. Denn wie hätte man die Schuld eines Arztes feststellen sollen? Stets konnte er zu seiner Verteidigung gewichtige Gründe ins Treffen führen: Seine Anweisungen seien nicht oder mangelhaft befolgt worden, der Patient habe ein unmäßiges Leben geführt. Das beste Mittel für einen Arzt, reich zu werden, war, eine neue Medizin oder Heilmethode zu erfinden.

Dies tat auch der berühmte Asklepiades, dessen Ruf so groß war, daß Mithridates ihn in sein Königreich einlud. Plinius spricht von zwei Ärzten, den Brüdern Stertinius, die riesige Summen für die Verschönerung ihrer Heimatstadt spendeten und dann nach ihrem Tod immer noch dreißig Millionen Sesterzen hinterließen. Neben den erfolgreichen Ärzten gab es andere, die sich kaum über Wasser halten konnten und im Konkurrenzkampf zu kurz kamen. Das war so zu allen Zeiten. In Rom gab es auch schon die Konsilien mit ihren endlosen Debatten, während nebenan der Patient starb; und es gab bereits den verzweifelten Ausweg der Heilbäder. Wenn ein Arzt am Ende seiner Kunst angelangt war, schickte er seinen Patienten nach Cutilia oder nach Aquae Sextae. 127

14. Der Aberglaube

Ein abergläubisches Volk Ein permanentes Element in der Politik des Senats war das Bemühen, wie einen kostbaren Schatz die Leichtgläubigkeit des Volkes, dessen primitive Naivitat zu bewahren. Er hielt alle Fäden der Religion in der Hand und zog sie nach Gutdünken; und er liebte Leute, die bereit waren, zu glauben und sich ohne Widerspruch zu fügen. Das Volk sollte stets in Furcht vor dem Blitz und den heiligen Vögeln leben. Cicero, der sagte, er habe nie einen Augurn sehen können, ohne lachen zu müssen, schrieb zwei ernsthafte Bücher über die Wahrsagerei. Die Zahl der abergläubischen Vorurteile, denen die Römer huldigten, ist unglaublich. Ein Niesen war etwas Schreckliches; ein falscher Tritt bedeutete entsetzliches Unglück; wenn es zu lange trocken war, rollte man einen großen Stein durch die Straßen Roms, und siehe da, bald darauf begann es zu regnen; hatte eine Frau eine schwere Entbindung, dann mußte man über das Haus, in dem sie lag, einen Stein schleudern oder einen Pfeil schießen, mit dem schon ein Mensch, ein Eber und ein Bär getötet worden war, und die Geburt wäre alsogleich glücklich zu Ende. Auch der Speichel spielte eine große Rolle. Hatte man ein unheilverkündendes Wort gehört, spuckte man dreimal aus, und das Unglück war gebannt; auch auf einen Epileptiker mußte man spucken; wenn man jemanden verletzt hatte, spuckte man auf die Hand, und die Verletzung war geheilt - das behauptet zumindest Plinius.

Triumph der Astrologie Zahlreich waren in Rom die Chaldäer, die aus den Sternen Glück und Unglück weissagten. Sie gründeten ihre Horoskope auf die Stellung der Gestirne im Augenblick der Geburt desjenigen, um dessen Schicksal es ging. Aus dem Alter des Betreffenden errechneten sie, welche Sterne bei seiner Geburt regiert hatten, und weissagten daraus sein weiteres Leben. Bei Plutarch findet sich die folgende erstaunliche Geschichte: M. Varro forderte den Tarratius, einen berühmten Philosophen und Mathematiker, der sich auch sehr erfolgreich mit Astrologie befaßte, auf, aus der Lebensgeschichte des Romulus dessen Geburtsstunde zu errechnen: Der Philosoph löste die Aufgabe glänzend. 128

Zu beklagen ist der, welcher unter dem bösen Zeichen des Skorpions geboren ist: »Vielleicht stand meine Geburt im Zeichen der Waage, vielleicht im Zeichen des Skorpions oder des Steinbocks, dieses Tyrannen, der Italien überschwemmt«, schrieb Horaz an den Kranken Maecenas. Die Waage ist ein günstiges Sternbild; dagegen ist der Steinbock zu fürchten, ein Tyrann und Feind Italiens; denn er bringt schwere Regenfälle, die für die Ernte gefährlich sind. Die Konjunktion von Jupiter und Venus bedeutet Glück, die von Mars und Saturn Unglück und Mißgeschick. Immerhin war der Steinbock für Augustus nicht verhängnisvoll; wie Sueto berichtet, fühlte sich Augustus auf Grund der Vorhersagen eines Astrologen namens Theogenes so sicher, daß er sein Horoskop öffentlich bekanntgeben und eine Silbermünze mit dem Zeichen des Steinbocks, des Regenten seiner Geburtsstunde, prägen ließ. Nicht nur die Konstellation der Geburtsstunde war zu fürchten, sondern auch die des gegenwärtigen Tages. Es gab Bücher, sogenannte Ephemeriden, mit astrologischen Tabellen, die von Mathematikern errechnet worden waren. Bevor man irgend etwas unternahm oder eine Reise antrat, konsultierte man die Ephemeriden des Petosiris, eines ägyptischen Astronomen, der allgemeines Vertrauen genoß: Waren die Zahlen günstig, dann keine Sorgen; waren sie ungünstig, unterließ man das Unternehmen oder wartete auf einen besseren Zeitpunkt. Die Frauen trieben diesen Aberglauben bis zum Extrem: Sie blätterten so viel in ihren Ephemeriden, daß diese bald gelb wie Bernstein waren, sagt Juvenal. »Zu den Chaldäern«, fährt er fort, »hatten sie grenzenloses Vertrauen. Sie glaubten alles, was die Chaldäer sagten, als käme es aus dem Tempel des Jupiter Ammon. Das meiste Ansehen genießt der, welcher am öftesten verbannt war. Ist er lange im Gefängnis gesessen, dann kennt das Zutrauen zu ihm keine Schranken mehr. Einer, der nie verbannt war, ist ein gewöhnlicher Mann. Aber wenn er den Tod von der Nähe gesehen, wenn er das Glück gehabt hat, nur auf die Kykladen verschickt zu werden, dann rennt man ihm nach. Deine Frau, eine neue Tanaquil, konsultiert diesen großen Mann wegen der Gelbsucht ihrer Mutter und deren zu langsamen Sterbens, nachdem sie sich über deinen Tod erkundigt hat. Und ihr Liebhaber, wird er leben? Welche Gunst hat sie von der Güte der Unsterblichen zu erhoffen?«

Diese Köpfe stellen Gottheiten dar, von denen jede einen Monat des Jahres regiert. Es sind ihrer zwölf, so daß sie an den Tierkreis erinnern. In Rom wimmelte es von Astrologen, Wahrsagern und Zauberern, die großen Einfluß besaßen.

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Wahrsager für schmale Börsen Das Unglück ist, daß die Chaldäer ihr Wissen nicht verschenken und für ihre Weissagungen einen hohen Preis verlangen; Nicht jeder kann sich das leisten. Für die Minderbemittelten gibt es billige Wahrsager; in Rom bekommt man Prophezeiungen in jeder Preisläge. »Da kommt eine Jüdin«, sagt Juvenal, »und bettelt einen flüsternd an; aber sie ist eine Deuterin der Solyma, der Großpriesterin des Waldes von Aricia, mit einem Wort, eine treue Überbringerin himmlischer Beschlüsse. Man zahlt ihr, aber nicht viel, denn die Juden verkaufen ihre Visionen billig.« Arme Juden, sie mußten groschenweise die Summen zusammenscharren, die sie brauchten, um die Habgier der Römer zu befriedigen; diese hatten die Juden zuerst in tiefstes Elend gestürzt und ließen sie jetzt für alles zahlen, sogar für den Baumschatten im Wald von Aricia, wo die Juden sich gewöhnlich aufhielten. Die kleinen Leute bekommen Weissagungen für eine Kupfermünze. Das Velabrum, das Forum, das Marsfeld und der große Zirkus sind voll von armen Wahrsagern. Horaz gesteht, daß er sich oft unter die Gaffer mischte, um die kleinen Propheten zu beobachten. Während die Reichen sich um viel Geld an einen vorgeblich aus Indien oder Phrygien kommenden Augurn oder an kundige Haruspices wandten, verkündeten, wie Juvenal berichtet, »die Volkswahrsager mitten im Zirkus ihre Orakel; hier, bei den Holztürmen und den mit Fischmäulern gekrönten Säulen, erfährt die Plebejerin, ob sie den Wirt verlassen und den Trödler heiraten soll.« Dort stehen auch die »sortilegi«, die aus Würfeln, deren Seiten verschiedene symbolische Zeichen tragen, die Zukunft vorhersagen. Die meisten Wahrsager schicken ihren Prophezeiungen gewisse Zeremonien und Formeln voraus. Ein Haruspex aus Armenien betrachtet die zitternde Lunge einer Taube, bevor er dem jungen Mädchen einen treuen Geliebten verspricht; ein Magus legt ein Ei in heiße Asche und beobachtet, auf welcher Seite es zuerst platzt, bevor er seine Antwort erteilt. Andere

machen nicht so viele Umstände und weissagen sofort, als hätten sie eine plötzliche Offenbarung oder Eingebung gehabt; das sind die »harioli«. Um sich ein frenetisch-inspiriertes Aussehen zu geben, trinken sie den Absud einer giftigen Pflanze, genannt Halicacabo, von der Plinius der Ältere spricht. Eine andere Wahrsagerart sind die »conjectores«, die Traumdeuter. Diese Form der Wahrsagerei erscheint Cicero nicht vernünfti

g er als die anderen: Es wahrscheinlich, daß die Götter sich ans Bett edes einzelnen J Schläfers begeben und dann zum Tr aumdeuter eilen, um ihm die Träume zu erklären Horaz edoch erzählt wie er einen Rat J ' befol te g > den Q^nmu ihm nach Mitternacht, wenn die Träume wahrhafti g sind' ge8eben hattedünkt ihm in keiner Weise

Schicksalsbeschwörung Doch es genügt nicht, die Zukunft zu kennen, man muß auch verstehen, das Schicksal zu beschwören, Man sucht die böse Vorbedeutung von Träumen abzuwenden, indem man auf den Altären des Jupiter Prodigialis und der Schutzgötter (Du Averruncii) gesalzene Kuchen, Weihrauch und alle möglichen Sühneopfer darbot. Vor allem die Magi waren darauf spezialisiert, den Leuten in Form langer Zaubersprüche und feierlicher, geheimnisvoller Beschwörungen Schutz vor dem Schicksal zu geben oder genauer gesagt zu verkaufen. Auch die Zauberinnen, die »sagae«, kannten das Geheimnis dieser Beschwörungen; sie verstanden sich darauf, übermenschliche Fähigkeiten zu verleihen, Glück in der Liebe zu sichern und Stillung des Rachedurstes zu verschaffen. Sie waren Beschützerinnen der Liebhaber auf Kosten der Ehemänner. »Wenn eine Frau«, sagt Juvenal, »den Verstand ihres Mannes trüben will, um ihn ungestraft betrügen zu können, kauf t sie da eine magische Formel, dort einen thessalisehen Zaubertrank. Daher die Unordnung in deinem Geist, daher die Wolken, die ihn verdunkeln, so daß du völlig vergißt, was du eben erst getan hast.« Ovid, der im Augenblick, als er seine Liebesrezepte schrieb, weniger Grund hatte, daran zu glauben, zeigt sich ein wenig skeptisch in bezug auf die Wirksamkeit von Beschwörungen, Zaubersprüchen und Wundertränken; er bevorzugt harmlosere und weniger gefährliche Methoden. 129

15. Hausgeister und Feuerpriesterinnen

Die religiöse Idee

Kultstätten im Heim

Man muß verstehen, welche Rolle die Religion im Leben der alten Römer spielte. Für sie war das Haus, was für uns die Kirche ist; im Haus hatten sie ihre Götter und ihren Gottesdienst. Der Herd war eine Gottheit; die Mauern, die Türen, die Schwelle waren Götter; auch die Quellen rings um die Felder wurden als Götter verehrt. Das Grab war ein Altar, und die Ahnen waren göttliche Wesen. Jede alltägliche Handlung des Römers war ein Ritus; der ganze Tag war der Religion geweiht. Morgens und abends betete der Römer zu seiner Herdstatt, seinen Penaten, seinen Ahnen; wenn er aus dem Haus ging und wenn er zurückkehrte, richtete er an sie ein Gebet. Die Geburt, die Initiation, die Togaverleihung, die Hochzeit und die Jahrestage all diese Ereignisse waren feierliche Kulthandlungen. Der Römer trat nur mit dem rechten Fuß voran aus seinem Haus. Er ließ sich das Haar nur bei Vollmond schneiden. Er trug stets Amulette bei sich. Um sein Haus vor Feuer zu schützen, bedeckte er die Mauern mit magischen Inschriften. Er kannte Formeln, um Krankheiten zu vermeiden, und andere, um sie zu heilen; aber man mußte die Formeln siebenundzwanzigmal wiederholen und dabei jedesmal auf eine bestimmte Art und Weise ausspucken. Die römische Religion beschränkte sich auf den Kult; doch dieser Kult war beladen mit einer Fülle kleiner Details, von denen keines fehlen durfte. Ein Opfer mußte, um wirksam zu sein, nach den Riten vollzogen werden, und die einzige Sorge des Betenden war, die religiöse Vorschrift streng einzuhalten. Um den Seelenzustand beim Gebet kümmerte sich die römische Religion nicht, ihr ging es nur um die Praxis. Als die Frömmsten galten diejenigen, welche die Riten am besten kannten und die Götter nach den Gesetzen des Landes zu ehren verstanden. Die Frömmigkeit bestand vor allem darin, den Tempel in der vorgeschriebenen Kleidung zu betreten und vor den Göttern die vorgeschriebene Haltung einzunehmen. Die Römer waren ein Volk der Tat; Träumerei, mystische Kontemplation waren ihnen fremd und suspekt. Sie schätzten vor allen Dingen Ruhe, Ordnung, Regelmäßigkeit; alles, was die Seele erregt und beunruhigt, mißfiel ihnen. Ihre Religion vermied sorgfältig alles, was Erregung bewirken konnte.

Wenngleich die römische Religion hauptsächlich aus Riten und Äußerlichkeiten bestand, umfaßte sie doch einige bemerkenswerte Instituionen wie den La renkult und den Vestalinnenorden. Die Laren waren Hausgeister, an die das Volk glaubte, Seelen verstorbener Menschen; man schrieb ihnen einen schützenden Einfluß auf jeden Menschen, seine Familie und selbst sein Hab und Gut zu. Es waren Götter etruskischen Ursprungs, welche die Sabiner übernommen hatten. »Das Vaterhaus und seine teuren Erinnerungen«, schreibt ein Historiker, »das schützende Dach, unter dem wir geboren wurden und aufgewachsen sind, die süße Gewohnheit, die beruhigende Vertrautheit mit den Örtlichkeiten, die wir seit unserer Kindheit kennen, all diese Vorstellungen in ihren tausendfältigen Schattierungen sind enthalten in dem etruskischen Wort >lar