Kant und die Frage nach Gott: Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants 9783110846331, 3110123304, 9783110123302

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Kant und die Frage nach Gott: Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants
 9783110846331, 3110123304, 9783110123302

Table of contents :
Einleitung
1. Ziel der vorliegenden Studie
2. Inhalt: Beweise und Kritik an den Beweisen der Existenz Gottes
3. Quellen der Gotteslehre bei Kant
4. Zitierweise der Schriften Kants
5. Zur benutzten Sekundärliteratur
6. Literatur zur Gottesfrage in der Philosophie Kants
Erster Teil. Die Frage nach Gott im Jahre 1755: Die "Allgemeine Naturgeschichte" und die "Nova dilucidatio"
I. Kapitel: Die "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels": Naturforschung und Gottesglaube
Literatur zur "Naturgeschichte"
1. Der Inhalt des Werkes
2. Die mechanische Weltentstehung
3. Kants erste Physikotheologie
4. Problemgeschichtliche Einordnung der ersten Physikotheologie Kants
5. Die "Naturgeschichte" als Verbindung von Newtons Mechanik und Leibniz’ Schöpfergott
6. Das Fragment von 1753 über den Optimismus: Ein Vorspiel zur Physikotheologie
II. Kapitel: Die Frage nach Gott im Rahmen der metaphysischen Prinzipienlehre der "Nova dilucidatio"
Literatur
Kontext und Inhalt der Dissertation
III. Kapitel: Das Prinzip vom Grunde und der Cartesianische Gottesbeweis
1. Propositio VI: "Existentiae suae rationem aliquid in habere in se ipso, absonum est"
a) Neubestimmung des Begriffs vom ens necessarium
b) Zum Problem der "causa sui"
2. Die Widerlegung des Cartesianischen Grottesbeweises
Literatur
a) Kants Widerlegung schließt sich an die Tradition an
b) Der springende Punkt der Widerlegung: Illegitimer Übergang von einer gedachten zu einer realen Existenz, oder Künstlichkeit des zugrundegelegten Gottesbegriffs?
3. Das sachliche Problem
a) Die dreigliedrige Struktur der menschlichen Erkenntnis und das Urteil als Wahrheits- und Wirklichkeitskriterium
b) Liegt dem Cartesianischen Gottesbeweis ein konstruktiver Begriff zugrunde, oder fehlt ihm der Beweis, daß der Begriff wahr ist?
c) Zum "logischen" Einwand gegen Descartes
IV. Kapitel: Die erste Fassung des ontotheologischen Beweises
Literatur
1. Der ontotheologische Beweis
a) Vom Realinhalt des Möglichen zur notwendigen Existenz desselben Inhalts
b) Die notwendig existierenden Realinhalte der Möglichkeiten machen das unendliche und einzige Wesen aus, das wir Gott nennen
b 1) Die Unendlichkeit des notwendigen Daseins
Exkurs: Die unserem Verstande gegebene "alle Realität"
b 2) Die Einzigkeit des notwendigen Daseins
2. Scholion
a) Ein "maxime essentialis" Gottesbeweis
b) Nicht die Wesenheiten der Dinge, sondern das Materialprinzip derselben ist notwendig
c) In Gott ist "exsistentia prior possibilitate"
3. Quellen des Kantischen ontotheologischen Gottesbeweises
V. Kapitel: Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft der Weltdinge
Literatur
1. Das principium successionis und das principium coexistentiae im dritten Teil der Dissertation "Nova dilucidatio"
2. Der Grottesbeweis aus der dynamischen Gemeinschaft der Substanzen
3. Gottesbeweis aus dem commercium substantiarum und Physikotheologie
4. Die Neubehandlung und -bewertung des Gottesbeweises in der Dissertation von 1770
Zweiter Teil. Die Frage nach Gott im metaphysischen Werk vom Jahre 1762: Der einzig mögliche Beweisgrund
VI. Kapitel: Einführung in "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes"
Literatur zum Werk insgesamt
1. Inhalt des Werkes
2. Kants neue Position: Die Wendung zum Optimismus
3. Die Vorrede des EmBg
VII. Kapitel: Die neue Fassung des ontotheologischen Gottesbeweises
Literatur
Gliederung des Beweises
Erste Betrachtung. Vom Dasein überhaupt
Literatur
1. Das Dasein ist gar kein Prädikat oder Determination von irgendeinem Dinge
2. Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges
3. Kann ich wohl sagen, daß im Dasein mehr als in der bloßen Mögichkeit sei?
4. Kants Stellungnahme zu Wolffs, Baumgartens und Crusius’ Lehre vom Sein
5. Stellung der vorliegenden Seinslehre zum ontotheologischen Argument
Zweite Betrachtung. Von der inneren Möglichkeit, insofern sie ein Dasein voraussetzt
1. Von der Möglichkeit
2. Die innere Möglichkeit setzt irgend ein Dasein voraus
3. Es ist schlechterdings unmöglich, daß gar nichts existiere
Exkurs: Zum apriorischen Charakter des Kantischen Beweises oder zur Unmöglichkeit des Nichts
4. Alle Möglichkeit ist in irgend etwas Wirklichem gegeben, entweder in demselben als eine Bestimmung, oder durch dasselbe als eine Folge
Dritte Betrachtung. Von dem schlechterdings notwendigen Dasein
1. Begriff der absolut notwendigen Existenz
Exkurs: Zu welcher Erkenntnis Gottes führt die Ontotheologie?
2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen
3.-5. Die ontologischen Eigenschaften des notwendig Existierenden
6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität
Literatur
Vierte Betrachtung. Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes
1.-2. Das notwendige Wesen ist ein Geist, deshalb ist es Gott
3. Anmerkung
4. Beschluß
1. Abs. Ich und die Welt sind nicht das bewiesene notwendige Dasein
2. Abs. Vorzüge der Ontotheologie
3. Abs. Ontotheologie und Kontingenzbeweis
4.-5. Abs. Überleitung zur Physikotheologie
VIII. Kapitel: Die Neufassung der Physikotheologie
Gliederung der II. Abteilung
Literatur
1. Betrachtung. Der Kern der verbesserten Physikotheologie
2. Betrachtung. Die doppelte Naturordnung
3.-4. Betrachtung. Erhellung einiger Grundsätze der Naturforschung anhand der in der Ontotheologie bewiesenen Abhängigkeit der Wesen der Dinge von Gott
5. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der gewöhnlichen Methode
6.-7. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der verbesserten Methode
8. Betrachtung. Von der göttlichen Allgenugsamkeit
IX. Kapitel: Die Systematik aller möglichen Gottesbeweise in der III. Abteilung des "Beweisgrundes"
1. Der Maßstab für eine Demonstration Gottes
2. Die vier möglichen Gottesbeweise
X. Kapitel: Prüfung des Cartesianischen Beweises
1. Der Cartesianische Beweis
2. Widerlegung
3. "Das Dasein ist kein Prädikat" - ein empiristischer Einwand?
4. Eine systematische Überlegung zur Widerlegung des Cartesianischen Beweises: Die metaphysische und die erkenntnistheoretische Seite des Problems
XI. Kapitel. Prüfung des ontotheologischen Beweises
1. Der ontotheologische Beweis
2. Nur die Ontotheologie beweist das absolut Realnotwendige
3. Es ist nicht nötig, daß man das Dasein Gottes demonstriere
XII. Kapitel: Prüfung des Kontingenzbeweises
Literatur
1. Der erste Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zur unabhängigen Ursache
2. Der zweite Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zum logisch notwendigen Dasein
3. Der dritte Schritt des Kontingenzbeweises: Die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum setzt die Gültigkeit des Cartesianischen Beweises voraus
4. Eine Überlegung zum dritten Schritt: Die Reziprokabilität der Begriffe von Notwendigkeit und Unendlichkeit stellt keinen Einwand gegen den Kontingenzbeweis dar
5. Der Kontingenzbeweis ist also nach Kant ein Beweis auf dem begrifflichen Weg
XIII. Kapitel: Prüfung des physikotheologischen Beweises
Literatur
1. Rekonstruktion des Beweises: teleologische und kontingente Aspekte der Welt als Ansatz des Beweises
2. Kritik am Beweis: Das Prinzip der Proportion erlaubt keinen Schluß auf einen vollkommensten und einzigen Welturheber
3. Zwei Beweise, aber nur eine Demonstration des Daseins Gottes
4. Zu den hier angeführten Physikotheologen
5. Zur Benennung der vier Grottesbeweise
XIV. Kapitel: Vom ens realissimum des EmBg zum transzendentalen Ideal der KrV
Literatur
1. Die neue Auffassung von der Möglichkeit
2. Von den limitierten Dingen zum uneingeschränkten Wesen
3. Der bloß subjektive Charakter der Ableitung des ens realissimum
4. Die Lehre vom theoretischen Ideal in der Dissertation von 1770
5. Auf dem Weg zur KrV
Dritter Teil. Die Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der Kritik der reinen Vernunft
XV. Kapitel: Das Theologie-Hauptstück in der transzendentalen Dialektik
1. Zum Ursprung der Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der KrV
2. Gliederung des Hauptstückes
3. Zur Sekundärliteratur
XVI. Kapitel: Von dem Ideal überhaupt
Literatur
Kommentar zum Text
XVII. Kapitel: Von dem transzendentalen Ideal
Literatur
Kommentar zum Text
1. Vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung zum Inbegriff aller Prädikate als transzendentale Voraussetzung
2. Der Inbegriff aller möglichen Prädikate ist die Idee von einem All der Realität
3. Die Idee von einem All der Realität ist der Gottesbegriff in transzendentalem Sinne (Abs. 8, 10-15)
4. Zweite Deduktion des Ideals der reinen Vernunft: Das Ideal ist ein transzendentaler Schein (Abs. 16-18)
XVIII. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines Kontingenzbeweises
Literatur
Kommentar zum Text
XIX. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises
Literatur
I. Einleitung
II. Zum Begriff des absolut notwendigen Wesens
III. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Distinktion von logischer und realer Möglichkeit
IV. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Lehre: Sein ist kein reales Prädikat
Literatur
V. Abschließende Betrachtung
XX. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Gottesbeweises
Literatur
Kommentar zum Text
Anhang: Erläuterung des dialektischen Scheins in den transzendentalen Gottesbeweisen
XXI. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines physikotheologischen Beweises
Literatur
Einleitung
Kommentar zum Text
XXII. Kapitel: Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft
Kommentar zum Text
Anhang: Die Grottesproblematik in der Antinomie der reinen Vernunft
Literatur
1. Die Entstehungsgeschichte der KrV erklärt, warum im Antinomie-Hauptstück auch theologische Probleme behandelt werden
2. Der theologische Sinn der Freiheitsantinomie
Literatur
3. Das Problem eines notwendigen Wesens in der vierten Antinomie
Literatur
Vierter Teil. Der moralische Gottesbeweis in den drei Kritiken und in der Religionsschrift
XXIII. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der transzendentalen Methodenlehre der KrV
Literatur zum moralischen Grottesbeweis bei Kant
Literatur zum "Kanon der reinen Vernunft"
1. Das praktische Interesse der reinen Vernunft
2. Kommentar zum zweiten Abschnitt des "Kanons der reinen Vernunft"
A] Der moralische Gottesbeweis
B] Bestätigung des Beweises
C] Moraltheologie und die Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft
D] Eine systematische Überlegung zum moralischen Gottesbeweis in der Version der KrV
3. Der moralische Glaube
Literatur
4. Die weitere Entwicklung in der Ethik und ihre Konsequenzen für den moralischen Gottesbeweis
5. Die zwei möglichen Fassungen eines moralischen Gottesbeweises
a) Die Version von der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes her
b) Die Version vom Zielobjekt des moralischen Gesetzes her
XXIV. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der Dialektik der KpV
Literatur
1. Eine praktisch begründete Metaphysik
2. Der Begriff vom höchsten Gut in der KpV
Literatur zum höchsten Gut
A] Höchstes Gut und Antinomie der praktischen Vernunft
B] Die Verknüpfung beider Bestandteile des höchsten Gutes
3. Die Dialektik der praktischen Vernunft
4. Gott als Postulat der reinen praktischen Vernunft
5. Das Gebot, das höchste Gut zu befördern
6. Postulate und Vernunftglaube
XXV. Kapitel: Teleologie und moralischer Grottesbeweis in der Kritik der Urteilskraft
Literatur
1. Das Problem der Zweckmäßigkeit in der KU
2. Von der inneren Zweckmäßigkeit in der Natur zum Menschen als Endzweck der Schöpfung
3. Die neue Fassung des physikotheologischen Beweises
Literatur
a) § 85. Von der Physikotheologie
b) § 90. Von der Art des Fürwahrhaltens in einem teleologischen Beweis des Daseins Gottes
c) "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie"
4. § 86. Die Ethikotheologie
5. § 87. "Von dem moralischen Beweis des Daseins Gottes"
6. § 88. Eine dritte Behandlung des moralischen Gottesbeweises
XXVI. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der Religionsschrift
1. Gott als Bedingung der Möglichkeit der notwendigen Folge unserer Willensbestimmung
2. "Es ist ein Gott" als synthetischer Satz, der aus der Moral hervorgeht
Personen- und Literaturregister

Citation preview

Giovanni B. Sala Kant und die Frage nach Gott

IWl G DE

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann f herausgegeben von Gerhard Funke und Rudolf Malter

122

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1990

Giovanni B. Sala

Kant und die Frage nach Gott Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

CIP-Titelaufnabme der Deutschen Bibliothek Sala, Giovanni: Kant und die Frage nach Gott : Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants / Giovanni B. Sala. Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 122) ISBN 3-11-012330-4 NE: Kantstudien / Ergänzungshefte

© Copyright 1989 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrandt, D-1000 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61

Dem Andenken an Bernard F. J. Lonergan 3. J.

1904 - 1984 meinen Lehrer an der Gregoriana Universität zu Rom

Vorwort Vorliegender Band soll einem breiteren Publikum ein Resultat meiner Untersuchungen im Bereich der Philosophie Kants zugänglich machen. Meine Vorlesungen und Seminare an der "Hochschule für Philosophie, Philosophische Fakultät S. J." haben in den letzten Jahren die Gottesproblematik, in erster Linie die Erkennbarkeit Gottes durch die Vernunft bei Kant zum Thema gehabt. Es ging mir darum, die Rolle und den Stellenwert dieser Frage durch eine textnahe Analyse der Schriften Kants zu verfolgen und nachzuzeichnen. Dem Leser werden hier die Hauptstationen der Lehre Kants über die Beweisbarkeit der Existenz Gottes in ihrer chronologischen Folge dargelegt: Wo hat Kant was zur Frage eines rationalen Zuganges zur Erkenntnis Gottes gesagt? Das Buch versteht sich somit weitgehend als ein Kommentar zu den Schriften Kants. Außer der genannten immanenten Exegese des Textes und möglichst deutlich von ihr getrennt habe ich versucht, eine argumentative Stellungnahme zu den jeweiligen Beweisen und Widerlegungen Kants auszuarbeiten, und zwar von einem thomistischen Standpunkt aus. Über die damals heftig kontroverse Frage nach der Möglichkeit einer von Ewigkeit her existierenden Welt schrieb Thomas von Aquin: "Studium philosophiae non est ad hoc quod sciatur quid homines senserint sed qualiter se habeat veritas rerum" (In De Caelo et Mundo, Liber I, lectio 22). Dies bringt mit sich, daß man das Risiko und die Verantwortung seiner eigener Beurteilung auf sich nimmt. Eine umfangreiche bibliographische Information soll schließlich dem Leser dienen, den einen oder anderen Teil bzw. Aspekt der Gotteslehre Kants weiter zu untersuchen. Von denen, die mir bei der Abfassung des Buches behilflich gewesen sind, ist es meine dankbare Pflicht, meinen Mitbruder P. Dr. Kurt Neumeier zu nennen, der mir in allen Phasen der Bearbeitung von den ersten Entwürfen bis zur Drucklegung mit seiner Kenntnis der deutschen Sprache und durch seine unermüdliche Suche nach Schreibfehlern beigestanden ist. Herr und Frau Ceglarek, Studenten an der Hochschule, haben freundlicherweise sämtliche Zitate und bibliographische Angaben überprüft und das Literaturregister erstellt.

viii

Vorwort

Daß meine Arbeit in den Kantstudien-Ergänzungsheften erscheinen darf, geht in erster Linie auf das tatkräftige Interesse von Herrn Professor Gerhard Funke zurück. Ihm sei an dieser Stelle mein aufrichtiger Dank ausgesprochen. Giovanni B. Sala S. J. München, im September 1989

Inhalt Einleitung 1. Ziel der vorliegenden Studie 2. Inhalt: Beweise und Kritik an den Beweisen der Existenz Gottes 3. Quellen der Gotteslehre bei Kant 4. Zitierweise der Schriften Kants 5. Zur benutzten Sekundärliteratur 6. Literatur zur Gottesfrage in der Philosophie Kants

4 6 8 10 12

Erster Teil. Die Frage nach Gott im Jahre 1755: Die "Allgemeine Naturgeschichte" und die "Nova dilucidatio"

15

I. Kapitel: Die "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels": Naturforschung und Gottesglaube Literatur zur "Naturgeschichte" 1. Der Inhalt des Werkes 2. Die mechanische Weltentstehung 3. Kants erste Physikotheologie 4. Problemgeschichtliche Einordnung der ersten Physikotheologie Kants 5. Die "Naturgeschichte" als Verbindung von Newtons Mechanik und Leibniz' Schöpfergott 6. Das Fragment von 1753 über den Optimismus: Ein Vorspiel zur Physikotheologie

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19 19 20 21 25 28 33 36

II. Kapitel: Die Frage nach Gott im Rahmen der metaphysischen Prinzipienlehre der "Nova dilucidatio" 39 Literatur 39 Kontext und Inhalt der Dissertation 39 III. Kapitel: Das Prinzip vom Grunde und der Cartesianische Gottesbeweis 1. Propositio VI: "Existentiae suae rationem aliquid in habere in se ipso, absonum est" a) Neubestimmung des Begriffs vom ens necessarium b) Zum Problem der "causa sui"

45 46 46 47

Inhalt 2. Die Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises Literatur a) Kants Widerlegung schließt sich an die Tradition an b) Der springende Punkt der Widerlegung: Illegitimer Übergang von einer gedachten zu einer realen Existenz, oder Künstlichkeit des zugrundegelegten Gottesbegriffs? 3. Das sachliche Problem a) Die dreigliedrige Struktur der menschlichen Erkenntnis und das Urteil als Wahrheits- und Wirklichkeitskriterium b) Liegt dem Cartesianischen Gottesbeweis ein konstruktiver Begriff zugrunde, oder fehlt ihm der Beweis, daß der Begriff wahr ist? c) Zum "logischen" Einwand gegen Descartes IV. Kapitel: Die erste Fassung des ontotheologischen Beweises Literatur 1. Der ontotheologische Beweis a) Vom Realinhalt des Möglichen zur notwendigen Existenz desselben Inhalts b) Die notwendig existierenden Realinhalte der Möglichkeiten machen das unendliche und einzige Wesen aus, das wir Gott nennen b 1) Die Unendlichkeit des notwendigen Daseins Exkurs: Die unserem Verstande gegebene "alle Realität" b 2) Die Einzigkeit des notwendigen Daseins 2. Scholion a) Ein "maxime essentialis" Gottesbeweis b) Nicht die Wesenheiten der Dinge, sondern das Materialprinzip derselben ist notwendig c) In Gott ist "exsistentia prior possibilitate" 3. Quellen des Kantischen ontotheologischen Gottesbeweises V. Kapitel: Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft der Weltdinge Literatur 1. Das principium successionis und das principium cosxistentiae im dritten Teil der Dissertation "Nova dilucidatio"

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53 60 61

65 66 68 68 69 69

72 73 74 75 76 76 78 79 80

83 83 83

Inhalt 2. Der Gottesbeweis aus der dynamischen Gemeinschaft der Substanzen 3. Gottesbeweis aus dem commercium substantiarum und Physikotheologie 4. Die Neubehandlung und -bewertung des Gottesbeweises in der Dissertation von 1770

xi 86 90 92

Zweiter Teil. Die Frage nach Gott im metaphysischen Werk vom Jahre 1762: Der einzig mögliche Beweisgrund

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VI. Kapitel: Einführung in "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" Literatur zum Werk insgesamt 1. Inhalt des Werkes 2. Kants neue Position: Die Wendung zum Optimismus 3. Die Vorrede des EmBg

97 97 97 98 102

VII. Kapitel: Die neue Fassung des ontotheologischen Gottesbeweises Literatur Gliederung des Beweises Erste Betrachtung. Vom Dasein überhaupt Literatur 1. Das Dasein ist gar kein Prädikat oder Determination von irgendeinem Dinge 2. Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges 3. Kann ich wohl sagen, daß im Dasein mehr als in der bloßen Mögichkeit sei? 4. Kants Stellungnahme zu Wolffs, Baumgartens und Crusius' Lehre vom Sein 5. Stellung der vorliegenden Seinslehre zum ontotheologischen Argument Zweite Betrachtung. Von der inneren Möglichkeit, insofern sie ein Dasein voraussetzt 1. Von der Möglichkeit 2. Die innere Möglichkeit setzt irgend ein Dasein voraus 3. Es ist schlechterdings unmöglich, daß gar nichts existiere

105 105 105 106 106 107 109 112 112 114 116 117 119 121

xii

Inhalt

Exkurs: Zum apriorischen Charakter des Kantischen Beweises oder zur Unmöglichkeit des Nichts 4. Alle Möglichkeit ist in irgend etwas Wirklichem gegeben, entweder in demselben als eine Bestimmung, oder durch dasselbe als eine Folge Dritte Betrachtung. Von dem schlechterdings notwendigen Dasein 1. Begriff der absolut notwendigen Existenz Exkurs: Zu welcher Erkenntnis Gottes führt die Ontotheologie? 2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen 3.-5. Die ontologischen Eigenschaften des notwendig Existierenden 6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität Literatur Vierte Betrachtung. Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes 1.-2. Das notwendige Wesen ist ein Geist, deshalb ist es Gott 3. Anmerkung 4. Beschluß 1. Abs. Ich und die Welt sind nicht das bewiesene notwendige Dasein 2. Abs. Vorzüge der Ontotheologie 3. Abs. Ontotheologie und Kontingenzbeweis 4.-5. Abs. Überleitung zur Physikotheologie VIII. Kapitel: Die Neufassung der Physikotheologie Gliederung der II. Abteilung Literatur 1. Betrachtung. Der Kern der verbesserten Physikotheologie 2. Betrachtung. Die doppelte Naturordnung 3.-4. Betrachtung. Erhellung einiger Grundsätze der Naturforschung anhand der in der Ontotheologie bewiesenen Abhängigkeit der Wesen der Dinge von Gott 5. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der gewöhnlichen Methode 6.-7. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der verbesserten Methode 8. Betrachtung. Von der göttlichen Allgenugsamkeit

122 124 126 126 128 130 131 132 132 136 137 137 139 139 140 140 144 146 146 147 147 149

152 153 155 157

Inhalt IX. Kapitel: Die Systematik aller möglichen Gottesbeweise in der III. Abteilung des "Beweisgrundes" 1. Der Maßstab für eine Demonstration Gottes 2. Die vier möglichen Gottesbeweise

xiii 162 162 163

X. Kapitel: Prüfung des Cartesianischen Beweises 1. Der Cartesianische Beweis 2. Widerlegung 3. "Das Dasein ist kein Prädikat" - ein empiristischer Einwand? 4. Eine systematische Überlegung zur Widerlegung des Cartesianischen Beweises: Die metaphysische und die erkenntnistheoretische Seite des Problems

165 165 166 167

XI. Kapitel. Prüfung des ontotheologischen Beweises 1. Der ontotheologische Beweis 2. Nur die Ontotheologie beweist das absolut Realnotwendige 3. Es ist nicht nötig, daß man das Dasein Gottes demonstriere

174 174 175 175

XII. Kapitel: Prüfung des Kontingenzbeweises Literatur 1. Der erste Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zur unabhängigen Ursache 2. Der zweite Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zum logisch notwendigen Dasein 3. Der dritte Schritt des Kontingenzbeweises: Die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum setzt die Gültigkeit des Cartesianischen Beweises voraus 4. Eine Überlegung zum dritten Schritt: Die Reziprokabilität der Begriffe von Notwendigkeit und Unendlichkeit stellt keinen Einwand gegen den Kontingenzbeweis dar 5. Der Kontingenzbeweis ist also nach Kant ein Beweis auf dem begrifflichen Weg

177 177

XIII. Kapitel: Prüfung des physikotheologischen Beweises Literatur 1. Rekonstruktion des Beweises: teleologische und kontingente Aspekte der Welt als Ansatz des Beweises

170

178 178

181

184 186 188 188 188

xiv

Inhalt

2. Kritik am Beweis: Das Prinzip der Proportion erlaubt keinen Schluß auf einen vollkommensten und einzigen Welturheber 3. Zwei Beweise, aber nur eine Demonstration des Daseins Gottes 4. Zu den hier angeführten Physikotheologen 5. Zur Benennung der vier Gottesbeweise XIV. Kapitel: Vom ens realissimum des EmBg zum transzendentalen Ideal der KrV Literatur 1. Die neue Auffassung von der Möglichkeit 2. Von den limitierten Dingen zum uneingeschränkten Wesen 3. Der bloß subjektive Charakter der Ableitung des ens realissimum 4. Die Lehre vom theoretischen Ideal in der Dissertation von 1770 5. Auf dem Weg zur KrV Dritter Teil. Die Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der Kritik der reinen Vernunft

192 195 196 198 200 200 201 204 207 210 213 219

XV. Kapitel: Das Theologie-Hauptstück in der transzendentalen Dialektik 1. Zum Ursprung der Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der KrV 2. Gliederung des Hauptstückes 3. Zur Sekundärliteratur

221 223 225

XVI. Kapitel: Von dem Ideal überhaupt Literatur Kommentar zum Text

229 229 231

XVII. Kapitel: Von dem transzendentalen Ideal Literatur Kommentar zum Text 1. Vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung zum Inbegriff aller Prädikate als transzendentale Voraussetzung 2. Der Inbegriff aller möglichen Prädikate ist die Idee von einem All der Realität

237 238 239

221

239 243

Inhalt

xv

3. Die Idee von einem All der Realität ist der Gottesbegriff in transzendentalem Sinne (Abs. 8, 10-15) 4. Zweite Deduktion des Ideals der reinen Vernunft: Das Ideal ist ein transzendentaler Schein (Abs. 16-18)

252

XVIII. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines Kontingenzbeweises Literatur Kommentar zum Text

256 256 259

XDL Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises Literatur I. Einleitung II. Zum Begriff des absolut notwendigen Wesens III. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Distinktion von logischer und realer Möglichkeit IV. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Lehre: Sein ist kein reales Prädikat Literatur V. Abschließende Betrachtung XX. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Gottesbeweises Literatur Kommentar zum Text Anhang: Erläuterung des dialektischen Scheins in den transzendentalen Gottesbeweisen

248

270 270 271 278 281 286 286 296

297 297 298 315

XXI. Kapitel: Von der Unmöglichkeit eines physikotheologischen Beweises Literatur Einleitung Kommentar zum Text

321 321 321 329

XXII. Kapitel: Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft Kommentar zum Text

344 344

xvi

Inhalt

Anhang: Die Gottesproblematik in der Antinomie der reinen Vernunft Literatur 1. Die Entstehungsgeschichte der KrV erklärt, warum im Antinomie-Hauptstück auch theologische Probleme behandelt werden 2. Der theologische Sinn der Freiheitsantinomie Literatur 3. Das Problem eines notwendigen Wesens in der vierten Antinomie Literatur Vierter Teil. Der moralische Gottesbeweis in den drei Kritiken und in der Religionsschrift XXIII. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der transzendentalen Methodenlehre der KrV Literatur zum moralischen Gottesbeweis bei Kant Literatur zum "Kanon der reinen Vernunft" 1. Das praktische Interesse der reinen Vernunft 2. Kommentar zum zweiten Abschnitt des "Kanons der reinen Vernunft" A] Der moralische Gottesbeweis B] Bestätigung des Beweises C] Moraltheologie und die Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft D] Eine systematische Überlegung zum moralischen Gottesbeweis in der Version der KrV 3. Der moralische Glaube Literatur 4. Die weitere Entwicklung in der Ethik und ihre Konsequenzen für den moralischen Gottesbeweis 5. Die zwei möglichen Fassungen eines moralischen Gottesbeweises a) Die Version von der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes her b) Die Version vom Zielobjekt des moralischen Gesetzes her

356 356 356 359 359 361 361

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367 367 368 369 371 371 376 377 378 381 381 383 388 389 392

Inhalt

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XXTV. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der Dialektik der KpV Literatur 1. Eine praktisch begründete Metaphysik 2. Der Begriff vom höchsten Gut in der KpV Literatur zum höchsten Gut A] Höchstes Gut und Antinomie der praktischen Vernunft B] Die Verknüpfung beider Bestandteile des höchsten Gutes 3. Die Dialektik der praktischen Vernunft 4. Gott als Postulat der reinen praktischen Vernunft 5. Das Gebot, das höchste Gut zu befördern 6. Postulate und Vernunftglaube XXV. Kapitel: Teleologie und moralischer Gottesbeweis in der Kritik der Urteilskraft Literatur 1. Das Problem der Zweckmäßigkeit in der KU 2. Von der inneren Zweckmäßigkeit in der Natur zum Menschen als Endzweck der Schöpfung 3. Die neue Fassung des physikotheologischen Beweises Literatur a) § 85. Von der Physikotheologie b) § 90. Von der Art des Fürwahrhaltens in einem teleologischen Beweis des Daseins Gottes c) "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie" 4. § 86. Die Ethikotheologie 5. § 87. "Von dem moralischen Beweis des Daseins Gottes" 6. § 88. Eine dritte Behandlung des moralischen Gottesbeweises XXVI. Kapitel: Der moralische Gottesbeweis in der Religionsschrift 1. Gott als Bedingung der Möglichkeit der notwendigen Folge unserer Willensbestimmung 2. "Es ist ein Gott" als synthetischer Satz, der aus der Moral hervorgeht Personen- und Literaturregister

397 397 397 399 399 401 404 407 412 416 421

426 426 426 428 431 431 432 433 434 435 438 446

451 451 453 456-470

Einleitung 1. Ziel der vorliegenden Studie Seitdem Moses Mendelssohn den Verfasser der "Kritik der reinen Vernunft" kurz nach der Veröffentlichung des Werkes wegen seiner "Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft" * den "alles zermalmenden Kant" genannt hat 2, hat das Interesse an diesem Strang der Kritik nicht mehr nachgelassen. Zeugnis dafür ist eine unübersehbare Menge von Publikationen zur Gottesfrage bei Kant und ganz besonders zu seiner Kritik an sämtlichen "Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft" (KrV A 590). Gerade wegen der Fülle von Veröffentlichungen bedarf wohl eine neue zum selben Thema einer Erklärung. Bei meiner langjährigen Bemühung, die Philosophie Kants zu vermitteln, habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, wie schwierig es fiiir die Studenten ist, den Argumentationsgang Kants genau zu übersehen. Dies in einer doppelten Hinsicht: 1) Die Schwierigkeit, den springenden Punkt der Argumentation zu erfassen, und 2) auch nachdem der springende Punkt ermittelt wurde, bleibt oft immer noch die Schwierigkeit, den Passus als ganzen zu überblicken. Denn an derselben Stelle findet der Leser Ausführungen, deren Zusammenhang mit dem eigentlichen Beweis ihm nicht einleuchtet. Hinzu kommt, daß der historische Kontext, aus dem heraus Kant argumentiert, heute vielfach unbekannt ist. Dies gilt natürlich für die Behandlung der Gottesfrage in den vorkritischen Schriften, deren Kontext weitgehend die damalige Schulphilosophie ist; es gilt aber auch für die sog. kritischen Schriften, in erster Linie für die KrV. Es war Kants Überzeugung, mit seiner ersten Kritik eine ganze philosophische Tradition hinter sich gelassen zu haben - eine Sichtweise, die

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So lautet die Überschrift des letzten Abschnittes im Theologie-Hauptatück der Kritik der reinen Vernunft: A 631. * Moses MENDELSSOHN, Morgenstunden, oder Vorlesungen über das Dasein Gottes, in: Werke , 2, S. 3, Stuttgart 1974.

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der darauffolgende Deutsche Idealismus radikalisiert hat. Dies ist aber nur eine Seite der Stellung der Kantischen Transzendentalphilosophie in der Geschichte der Philosophie. Denn je mehr einer sich mit der KrV beschäftigt, desto mehr spürt er das Bedürfnis, den Kontext der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts wiederzugewinnen, den Kant selbst durch seine Revolution ausgeblendet hat. Die KrV ist zu einem großen Teil aus Kants Auseinandersetzung mit den Lehrbüchern herausgewachsen, die er seinen Vorlesungen zugrundelegte, und die alle der Wolffschen Schule angehörten - sicher zu einem größeren Teil, als man zunächst vermuten möchte, wegen des Brauches Kants, seine Quellen und seine Gesprächspartner (zumal die "Kleineren") unbenannt zu lassen 3. Es war daher mein Bemühen, den historischen Kontext soweit wie möglich zu erhellen und Gesprächspartner und Vorlagen Kants in seiner Gotteslehre ausfindig zu machen. All dies soll eine immanente Exegese der Schriften Kants zur philosophischen Gotteslehre ermöglichen, die die damalige Problemlage und die Stellungnahme Kants in ihrer Eigentümlichkeit und ihrem objektiven Sinn an den Tag bringt. Diese textnahe Interpretation stellt das Hauptziel vorliegender Veröffentlichung dar: Das Buch will in die Lektüre der einschlägigen Texte Kants einführen und den Leser Schritt für Schritt begleiten. Es versteht sich auf lange Strecken als ein Kommentar zu den Schriften Kants. Gliederung des Buches, Art und Länge meiner Ausführungen hängen weitgehend von der Eigenart des jeweiligen Textes Kants ab. Dies erklärt auch meine nicht einheitliche Vorgehensweise und die nicht zu vermeidenden Wiederholungen. Das praktische Ziel der Erschließung der wichtigsten Schriften, in denen Kant mehrmals auf die Gottesfrage durch dieselben oder ähnliche Argumente eingegangen ist, hat mich bei der Abfassung des Buches geleitet. In der Überzeugung, daß für nicht wenige Leser das erste und unüberspringbare Ziel, nämlich den Text Kants möglichst genau in seinem Wortlaut und objektiven Sinn zu verstehen, immer noch eine zu bewältigende Aufgabe ist, wird hier keine weiterführende Rekon-

* Ich habe versucht, einem Strang nachzugehen, durch den die erste Kritik mit der Schulphilosophie zusammenhängt: Die transzendentale Logik Kants und die Ontotogie der deutschen Schulphilosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 95 (1988) 18-53.

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struktion oder spekulative Aktualisierung angestrebt. Die entwicklungsgeschichtliche Perspektive, unter der ich an die Schriften Kants herangehe, soll ermöglichen, die verschiedenen Positionen und Wandlungen in Kants Gotteslehre zu Gesicht zu bekommen, ohne sie durch eine eigene umfassende Darstellung zu ersetzen, d. h. ohne "aus divergierenden Gedanken Kants ein interpretatorisches Gemisch herzustellen, das keinen Bezug auf ein bestimmtes Werk erkennen läßt" 4. Dem genannten Hauptzweck dient die ganze Zurüstung der vorliegenden Studie. Eine möglichst objektive Auslegung beruht auf der Erhellung des Textes und Kontextes des Autors. Aber diese philologisch-historische Untersuchung bedeutete für mich keinen Rückzug auf eine bloß historisierende Betrachtung, um den Sachproblemen auszuweichen. Sie wurde unternommen eher als die unerläßliche Bedingung, um schließlich die Probleme anzugehen, mit denen Kant sein Leben lang gerungen hat. Nun aber konnte für diese "äußere" oder systematische Interpretation kein anderes Kriterium angewandt werden als die rationalen Gründe, die für die zur Debatte stehende Sache sprechen. Hier kann der Exeget die Verantwortung und auch das Risiko des eigenen bewertenden Urteils keinem anderen abtreten. Es gilt, was Kant 1790 in seiner Streitschrift gegen Eberhard bemerkt hat: "Denn was philosophisch-richtig sei, kann und muß keiner aus Leibnizen lernen, sondern der Probierstein, der dem einen so nahe liegt wie dem anderen, ist die gemeinschaftliche Menschenvernunft, und es gibt keinen klassischen Autor der Philosophie" *. Ich habe mich bemüht, die zwei Momente in meiner Interpretation, die immanente und die externe Interpretation, zu unterscheiden, soweit dies überhaupt möglich ist. Der Versuch, den objektiven Sinn eines Autors freizulegen, setzt ja gar nicht voraus, daß man dem hermeneutischen "Prinzip des leeren Kopfes" huldigt7. Aus diesem Grund kann hoffentlich das Buch auch von einem Leser mit Frucht

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Michael ALBBECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim 1978, 17. "äußere" im Hinblick auf den untersuchten Autor, nicht aber im Hinblick auf die Sache selbst, mit der er eich konfrontiert hat. ' Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, A 63a = VIII 219. Zur "allgemeinen Menschenvernunft" - einem typischen Begriff der Aufklärung - vgl. Norbert HOTSKE, Kant als Herausforderung an die Gegenwart, Freiburg 1980, Kap. II: "Kant und die Aufklärung. Kants Theorie von der Unmöglichkeit des totalen Irrtums". 7 Vgl. Bernard LONKBGAN S. J., Method in Theology, London 1972, 157 f, 203, 224. 1

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verwendet werden, der meine erkenntnistheoretisch-metaphysischen Voraussetzungen und deshalb meine Beurteilung der Argumentationen Kants nicht teilt. Welches diese Voraussetzungen sind, konnte ich hier nur andeuten, sonst hätte ich diesem exegetischen Werk über Kant ein systematisches Werk über Erkenntnis- und Seinslehre voranschicken müssen. Dennoch hoffe ich, genügend Informationen gegeben zu haben, damit der Leser sieht, aus welcher philosophischen Position ich an Kant herangegangen bin.

2. Inhalt: Beweise und Kritik an den Beweisen der Existenz Gottes In diesem Buch geht es nicht ausschließlich um die Kritik der Gottesbeweise bei Kant. Diese pars desfruens wurde während der vergangenen zweihundert Jahre vielfach isoliert hervorgehoben. Zu Unrecht. Denn Kants lebenslange Bemühung um die Gottesproblematik war von der Absicht getragen, "alles ihm vordergründig und unzulänglich Erscheinende Schicht um Schicht abzutragen, wenn und soweit sich darunter Festeres und Sichereres abzeichnete, so daß niemals der Eindruck mutwilliger Zerstörung aufkommt, wenn man die Entwicklung seines Denkens im Zusammenhang sieht" *. Es soll deshalb hier auch den Wegen nachgegangen werden, auf denen unsere Vernunft zu einer gültigen Erkenntnis gelangen kann, daß es Gott gibt, seien es die verschiedenen Wege, die der frühe Kant als für die spekulative Vernunft begehbar ansah, sei es der Weg der praktischmoralischen Vernunft, den Kant seit der Mitte der sechziger Jahre als einzigen noch zuließ. Vorliegende Schrift verfolgt die Gottesproblematik bei Kant in ihrer Entwicklung und ihren Hauptmomenten. Die vorkritischen Schriften sind für diese Problematik keine bloße Vorbereitung auf das, was Kant schließlich in seiner kritischen Periode geleistet hat; sie bringen vielmehr eine Stellungnahme zur Sprache, die Kant, zumindest in ihrem kritisch-negativen Aspekt, auch weiterhin vertreten 8 Alois WINTER, Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft, in: Um Möglichkeit oder Unmöglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis heute, hrsg. von Klaus KREMER, Leiden 1985, 114.

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hat. In einem ersten Teil wird das Denken Kants im Jahre 1755 untersucht. Beide Aspekte seiner Gotteslehre treten schon hier auf: Der Versuch eines rational verantwortbaren Weges zur Gotteserkenntnis sowohl naturphilosophischer als auch metaphysischer Art (der physikotheologische und der ontotheologische Beweis) neben der Kritik an bestimmten herkömmlichen Formen des Gottesbeweises, insbesondere des Cartesianischen. Der zweite Teil ist dem Werk von 1762 gewidmet, das den programmatischen Titel trägt: "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" ". Außer diesem einzig möglichen Zugang zur Erkenntnis Gottes ist hier (noch lange vor der transzendentalphilosophischen Wende!) die Position Kants hinsichtlich seiner Kritik an sämtlichen herkömmlichen Gottesbeweisen im wesentlichen schon festgelegt. Der dritte Teil des Buches befaßt sich mit der Wiederaufnahme der Gottesfrage in der KrV. Die Kritik an den traditionellen Gottesbeweisen, die Kant 1762 skizziert hatte, wird in der ersten Kritik ohne wesentliche Änderungen ausgeführt. Aber im langen TheologieHauptstück ist der Leser mit dem kompositorischen Stil des Werkes und der sprunghaften Vorgehensweise Kants konfrontiert. Aus diesem Grund ist hier eine textbezogene Auslegung besonders nötig. Durchgehender Kommentar des Hauptstückes und Nachweis des uorkritizistischen 10 Charakters dieser weltberühmten Gottesbeweiskritik bilden die Richtlinien meiner Ausführungen in diesem Teil. Der vierte Teil geht dem Zugang zu Gott nach, den Kant als einzigen anerkannte, nachdem er alle Wege zu Gott aus spekulativer Vernunft als verbaut ansah. Was bereits in den "Träumen eines Geistersehers" angedeutet und in der KrV in einer ersten Fassung entwickelt wurde, wird in der KpV in seiner endgültigen Form vorgelegt: Die moralische Verfassung des Menschen öffnet ihm den einzig gültigen Weg zur Erkenntnis Gottes - eine Erkenntnis, die den besonderen Stellenwert eines "Postulats der reinen praktischen Vernunft"

• Diese metaphysische Abhandlung, die bedeutendste in der vorkritischen Periode, erschien Ende 1762. 10 Mit dem Terminus "vorkritizistisch" möchte ich die Kritik Kante an den Gottesbeweisen aus spekulativer Vernunft bezeichnen, die zeitlich vor der KrV ausgearbeitet wurde, und die deshalb nicht vom Kritizismus der ersten Kritik abhängt. Die Aufmerksamkeit auf diesen Charakter der durch die KrV bekannt gewordenen Gottesbeweiskritik Kants bildet eines der Hauptanliegen meiner Studie.

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aufweist. Die dritte Kritik behandelt nochmals, im Rahmen der Kritik der teleologi sehen Urteilskraft, die Gottesfrage sowohl durch eine neue Fassung des Pinalitätsbeweises als auch, vor allem, durch den moralischen Beweis, von dem eine wichtige Konsequenz erst hier expliziert wird. Die Untersuchung der Religionsschrift von 1793 mit ihrer nochmaligen Darlegung des moralischen Beweises schließt diese Studie ab. Es sind also die Hauptstationen der Gotteslehre Kants, unter dem Gesichtswinkel der Beweisbarkeit der Existenz Gottes, die hier untersucht werden. Sie sind nicht alle Stellen der Schriften Kants, an denen die Frage nach Gott erörtert wird, wohl aber die wichtigsten, und sie markieren den Verlauf des diesbezüglichen Denkens Kants.

3. Quellen der Gotteslehre bei Kant Von den Schriften Kants stehen die Druckschriften im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Ein weiteres, zum Teil anders gelagertes Thema, wäre die Gottesproblematik im handschriftlichen Nachlaß. Von ihm sind drei Bereiche namentlich zu erwähnen, um dem Leser zumindest eine Idee über die Quellen und den Inhalt der Gottesproblematik im gesamten uns zur Verfügung stehenden Schrifttum Kants zu vermitteln. Erstens, die von Erich Adickes in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre für die Akademie-Ausgabe, Bd. XVII und XVIII, edierten Reflexionen zur Metaphysik. Es sind meistens kurze Notizen, die Kant in seinem mit Oktavblättern durchschossenen Handexemplar der Metaphysik Bamgartens (und in der "Vorbereitung zur natürlichen Theologie" des Wolffianers Johann August Eberhard) im Hinblick auf seinen mündlichen, freien Vortrag in den Vorlesungen niedergeschrieben hat. Was Kant für sich in jahrzehntelangen Überlegungen zu Papier gebracht hat, gestattet uns heute, "in das Keimen und Wachsen [seiner] Gedanken zu blicken" ". Besonders wichtig sind diese Materialien, um den Umschwung zu verfolgen, den Kant durchmachte, als er kurz nach 1762, im Rahmen einer neuen, sich

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XIV, S. xxiv.

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allmählich entwickelnden Auffassung von Wesen und Methode der Metaphysik, seinen "einzig möglichen" Gottesbeweis als Beweis fallen ließ, um ihm schließlich die Form zu geben, die wir im viel späteren Theologie-Hauptstück der KrV unter dem Stichwort "transzendentales Ideal" treffen. Um den Übergang vom allgenugsamen Wesen des EmBg zum transzendentalen Ideal der KrV zu belegen, werde ich deshalb im Kap. XTV hauptsächlich die Reflexionen (zusammen mit der Dissertation von 1770) verwenden müssen, da sonst Herkunft und Sinn der ersten zwei Abschnitte des Theologie-Hauptstückes kaum zu erschließen sind. Aber auch um die einzelnen herkömmlichen Grottesbeweise bzw. ihre Kritik durch Kant genau zu erfassen, sind diese Notizen äußerst nützlich. Im vorliegenden Buch ist aber nur eine beschränkte Benutzung dieses Materials im Hinblick auf die Auslegung der jeweils behandelten Stellen aus den Druckschriften möglich. Eine eingehende Untersuchung, wie Kant in den Reflexionen die verschiedenen Grottesbeweise zu verschiedenen Zeiten anders rekonstruiert hat, und wie er durch mannigfaltige Versuche zu der Kritik dieser Beweise gelangt ist, die er dann auch veröffentlichte, kann hier nur in einem sehr beschränkten Ausmaß erfolgen, und zwar lediglich als zusätzliches Mittel zum Verständnis der veröffentlichten Werke 12. Zweitens, die Vorlesungsnachschriften über Metaphysik und Rationaltheologie, die Gerhard Lehmann 1968-1972 im Band XXVIII der Akademie-Ausgabe ediert hat - das Gegenstück zu den Bänden XVII und XVIII und gewiß der wichtigste Teil der uns erhaltenen Vorlesungen. In ihnen kommt das Thema Grottesbeweis immer wieder vor: besonders ausführlich in den Vorlesungen über Rationaltheologie, aber auch in denen über Metaphysik. Auch diese Quellen des theologischen Denkens Kants, deren Treue zu seinem gesprochenen Wort in den verschiedenen Kollegsheften unterschiedlich stark gegeben ist, konnten hier nur gelegentlich verwertet werden. Drittens, das Opus postumum, das Lehmann in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre nach einem ersten Versuch Adickes' in den Bänu Adickes hat den ganzen Stoff des handschriftlichen Nachlasses nach 33 Zeitabschnitten geordnet und in jedem Zeitabschnitt nach dem Thema, um das es in den Reflexionen geht. Anhand der Überschriften (aus der Metaphysik Baumgartens), die die Themen bezeichnen, kann man leicht die Reflexionen finden, die sich direkt mit der Gottesproblematik beschäftigen.

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den XXI und XXII der Akademie-Ausgabe diplomatisch getreu ediert hat. Dieses Alterswerk Kants zum "Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik" 1S, auf das Kant seine nachlassenden Kräfte mehrere Jahre hindurch verwandte, ist bekanntlich allzu rätselhaft und widerspruchsvoll, als daß ich es im Rahmen meiner Arbeit benutzen könnte. Die Tatsache, daß es bis heute keine zuverlässige Interpretation des Ganzen gibt, - und höchst wahrscheinlich die sachliche Unmöglichkeit einer solchen, - gestattet nur, daß man von den dreizehn Konvoluten, aus denen die veröffentlichte Handschrift besteht, einzelne Stellen als für sich bestehende Aussagen oder Aphorismen heranzieht, ohne sie in eine Gesamtlehre von Gott einbeziehen zu können. Die Gottesproblematik kommt insbesondere im zeitlich spätesten 1. Konvolut (XXI, 1-158) sowie in Teilen des 7. Konvoluts (XXII, 1-131) vor M. Als Ergänzung zu meiner Auslegung der Texte Kants soll das Buch auch Informationen über die einschlägige Sekundärliteratur liefern. Vollständigkeit ist hierin nicht beabsichtigt. Sinnvoller scheint eine ausgewählte Literatur zu den verschiedenen hier behandelten Abschnitten, Problemen und Begriffen (vor allem dort, wo die Titel besonders zahlreich sind), die die Arbeiten angibt, die eine gewisse historische oder systematische Bedeutung haben und die für ein weiteres Studium heute noch von Nutzen sind.

4. Zitierweise der Schriften Kants Das Buch ist als Einleitung und Begleitung für das direkte Studium der Schriften Kants gedacht. Deshalb war mein Bemühen, möglichst präzise Verweise auf die Schriften Kants und der anderen herangezogenen Autoren zu geben. Dem selben Zweck dienen auch die ausgie-

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Vgl.

, 373.

" Von den Sekundärliteratur verweise ich, außer den Monographien zum Opus postumum insgesamt oder zu spezifischen Themen, auf F. LKNHARD, Die Gottesidee in Kants Opus postumum, Bern 1923. Vgl. auch im angeführten Aufsatz WINTEBS, "Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft", die Anm. 160 auf S. 145-147, wo mehreres znr Gottesproblematik im Opus postumum zusammengetragen und diskutiert wird. Zur Gotteslehre im Opus postumum sei auch auf das vorzüglichste Sachregister LEHMANNS verwiesen: Stichwort "Gott": XXII, 672-674.

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bigen Verweise auf Stellen im corpus kantianum, die parallel zum besprochenen Passus sind oder sachlich mit ihm zusammenhängen. Vielfach aber mußte ich mich aus Raummangel mit bloßen Stellenangaben begnügen. Diese Verweise sollen dem Leser zu einem weiteren Studium verhelfen, um den Sinn und die Tragweite des jeweils behandelten Passus nachzuprüfen und zu präzisieren. Angesichts der Eigenart eines Autors wie Kant ist äußerste Vorsicht geboten, damit man nicht als die Lehre Kants nimmt, was in der Tat eine seiner Positionen war. Andererseits ging es mir darum, die Grundlinie seiner Entwicklung herauszustellen, damit der Leser aus lauter Einzelheiten und Zitaten das für Kant Wesentliche (zumindest zu einer bestimmten Zeit) nicht übersieht. Das genannte Ziel des Buches hat auch eine etwas umständliche Zitierweise erfordert, um dem Leser das tatsächliche Auffinden der Stellen aus den Schriften Kants ohne allzu große Schwierigkeiten zu ermöglichen. Denn neben der Akademie-Ausgabe (die einzige, die auch den ganzen handschriftlichen Nachlaß und die Vorlesungen enthält) sind gegenwärtig zwei andere Gesamtausgaben der (Druck)Schriften Kants erhältlich. Erstens: die 1905 von Karl Vorländer initiierte Edition in der "Philosophischen Bibliothek" des Meiner-Verlags, zu der dann im Laufe der Jahre auch andere Gelehrte als Herausgeber hinzugekommen sind. Wegen der Einleitungen, der Register, aber auch der besonders gut lesbaren Drucklegung eignet sich diese Ausgabe vorzüglich als Arbeitsinstrument. Was die Seitenzählung anbelangt, bringt sie am Seitenrande bei manchen Werken die Originalpaginierung, bei anderen die Seitenzählung der Akademie-Ausgabe. Zweitens: die von Wilhelm Weischedel zwischen den fünfziger und sechziger Jahren veranstaltete und in erster Linie von Norbert Hinske durchgeführte Edition ist zu der Originalpaginierung zurückgekehrt, die sie am Seitenende angibt. Diese Edition ist inzwischen sowohl bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft als auch bei Suhrkamp herausgegeben. Angesichts dieser Editionslage blieb mir keine andere Wahl als die einer doppelten Zitierweise für die Druckschriften Kants, nämlich die Originalpaginierung (soweit sie in der Weischedel-Ausgabe zu finden ist) und die Seitenzählung der Akademie-Ausgabe (die römische Ziffer, ohne weitere Angabe, bezeichnet den Band der Akademie-

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Ausgabe; der folgt eine arabische Ziffer für die Seitenzahl). Die RrV wird, wie üblich, nur nach der Auflage A oder, für die Sonderteile, nach der Auflage B zitiert. Für andere oder ältere Editionen muß der Leser auf die von W. Weischedel und N. Hinske bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, herausgegebene "Kant-Seitenkonkordanz" zurückgreifen.

5. Zur benutzten Sekundärliteratur Es versteht sich von selbst, daß ein Buch, das aus Vorlesungen und Seminaren herausgewachsen ist, auch vieles den speziellen Studien verdankt, die ich im Laufe der Jahre zu Rate ziehen konnte. Auf diese Quellen werde ich an den entsprechenden Stellen verweisen, soweit diese Angaben über die Sekundärliteratur für den Leser von Nutzen sein können und soweit ich selber noch weiß, bei wem ich bestimmte Ideen oder auch Redewendungen getroffen habe - was nicht immer der Fall ist. Zwei Autoren muß ich aber namentlich erwähnen. Der erste ist Josef Schmucker, Professor an der Universität Regensburg, der jahrzehntelang die Gottesproblematik bei Kant, insbesondere in dessen vorkritischen Schriften untersucht hat. Mit exemplarischem Respekt vor dem Text in allen seinen Einzelheiten und Windungen hat er den endgültigen Nachweis erbracht, daß die Kantische Gottesbeweiskritik im wesentlichen vorkritizistischen Ursprungs ist, d. h. also sowohl vom transzendentalen Idealismus der KrV als auch von der ihm zugrundeliegenden sensualistischen Grenzbestimmung unserer Erkenntnis unabhängig. Diese These, die für das Verständnis der Argumente Kants gegen die Rationaltheologie enorme Konsequenzen hat, habe ich in den ersten zwei Teilen meiner Studie übernommen und meiner Zielsetzung gemäß wiedergegeben. Ohne die Untersuchungen Schmuckers hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Was aber die spekulative Verwertung der philologisch-historischen Forschung Schmuckers anbelangt, scheiden sich oft unsere Wege. Der andere Autor, dem ich vieles für die Entstehung des Buches schuldig bin, ist Heinz Heimsoeth, der führende Gelehrte in der seit den 20er Jahren inaugurierten metaphysischen Kantinterpretation. Sein Verdienst ist es, die Auseinandersetzung Kants mit der speziel-

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len Metaphysik nicht ausschließlich durch die stereotype Schablone einer Vermittlung zwischen Rationalismus und Empirismus gesehen zu haben, sondern näherhin in der metaphysischen Tradition der Schulphilosophie. Als Resultat seiner Untersuchungen in diesem Gebiet konnte er der transzendentalen Dialektik und Methodenlehre, dem Aschenbrödel der Kantforschung, eine gebührende Behandlung mit einem 850 Seiten starken Werk erweisen: Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants KrV, Berlin 1966-1971. Für den dritten Teil meines Buches habe ich in diesem Kommentar einen zuverlässigen und kenntnisreichen Führer gefunden. Leider optiert Heimsoeth von Anfang an, ohne irgendeine Begründung, für die These, daß "Kant einheitlich und im ganzen konsequent gedacht hat", so daß im Laufe des sonst wertvollen Kommentars viele Probleme, die der Text aufwirft, übergangen werden. Es sind meistens die Probleme, auf die die entwicklungsgeschichtliche Kantinterpretation gegen Ende des vorigen und am Anfang unseres Jahrhunderts hingewiesen hatte und die gerade Heimsoeth mit seinen Kenntnissen der Tradition, aus der die KrV hervorgegangen ist, am fundiertesten hätte angehen können. Die Grundfrage, auf die jegliche Kantinterpretation stößt, ist ja, ob die lange und durch mehrere "Umkippungen" 1S gekennzeichnete Entwicklung des Denkens Kants vor 1781 nur zur Vorgeschichte der KrV gehört, oder ob diese wechselreiche Geschichte auch in die Endfassung des Werkes eingegangen ist, so daß die KrV eher als die Nachzeichnung der verschiedenen Versuche Kants anzusehen ist, über eine Vielfalt von Problemen klar zu werden, als ein einheitliches und konsistentes Werk. Die Veröffentlichungen Schmuckers haben bezüglich des theologischen Hauptstückes eindeutig gezeigt, daß die Vorgeschichte der Kritik Kants an der Rationaltheologie während der vorkritischen Periode derart massiv in die KrV eingegangen ist, daß dieses Hauptstück ohne Rückgriff auf die vorhergehende transzendentale Analytik verstanden werden kann und muß ". Ich konnte deshalb mit dem von Heimsoeth Kant immer wieder zugeschriebenen Vorausdenken - im Hinblick nämlich

a u

Vgl. Kants Brief vom 31. XII. 1766 an Lambert. Vgl. meinen Aufsatz, Bausteine zur Entstehungsgeschichte der Kritik der reinen Vernunft Kants, in: Kant-Studien 78 (1987) 153-169.

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auf die spätere kritizistische Position - nichts anfangen ". Auch hier also, aus anderen Gründen als im Falle Schmuckers, mußte ich mich von meinem Gewährsmann trennen und seine wertvollen philologischhistorischen Analysen unter der entwicklungsgeschichtlichen Perspektive verwenden.

6. Literatur zur Gottesfrage in der Philosophie Kants Sasao, Kumetaro, Prolegomena zur Bestimmung des Gottesbegriffes bei Kant (Abhandlungen z. Phil, und ihrer Geschichte, 13, hrsg. von Benno Erdmann), Halle a. d. S. 1900. Guttmann, Julius, Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwicklung (KS EH 1), Berlin 1906. Franke, Hermann, Kants Stellung zu den Gottesbeweisen im Zusammenhange mit der Entwicklung seines kritischen Systems, Diss. Breslau 1908. Weyhing, Emil, Kants Gottesbegriff in den drei Kritiken. Ein Beitrag zu seiner Ideenlehre, Gießen 1909. Thome, J., Kants Stellung zu den Gottesbeweisen in seiner vorkritischen Periode, in: Philosophisches Jahrbuch 28 (1915), 380-396. Schreiber, Christian, Kant und die Gottesbeweise, Dresden 1922. Lienhard, F., Die Gottesidee in Kants opus postumum, Bern 1923. Rossi, Guido, II problema dell'esistenza di Dio nette varie fasi del pensiero Kantiano, in: A Gemelli (Hrsg.), I. Kant (1724-1924), Milano 1924, 187-281. Inauen, Andreas S. J., Kantische und scholastische Einschätzung der natürlichen Gotteserkenntnis (Philosophie und Grenzwissenschaften, Bd. l, Heft 5), Innsbruck 1925. England, F. E. Kant's conception of God. A critical exposition of its metaphysical development together with a translation of the Nova dilucidatio, London 1929. Kotsuka, Shinichiro, Die Gottesbeweise in der Philosophie Kants, Berlin, 1931. Cottier, Athanas, Die Gottesbeweise in der Geschichte der modernen Aufklärungsphilosophie. Descartes, Spinoza, Leibniz, Wolff, Kant (Diss. Fribourg), Bern 1943. Zu Kant: 117-154.

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Gelegentlich ist doch auch HEIMSOETH gezwungen, von seiner harmonisierend-verharmlosenden Auslegung abzurücken und sich differenzierter auszudrücken. Vgl. z. B. 753, Anm. 169; 829.

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Kopper, Joachim, Kants Gotteslehre, in: KS 47 (1955/56) 31-61. An diese Studie über die Rolle des Gottesgedankens in allen Perioden des Kantischen Philosophierens schloß sich eine "Diskussion. Zu Kants Gotteslehre" zwischen Kopper und W. A Schulze an, in: KS 48 (1956/57) 80-85. Klausen, Sverre, Das Problem der Erkennbarkeit der Existenz Gottes bei Kant, Oslo 1959. Redmann, Horst-Günter, Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants, Göttingen 1962. Schmucker, Josef, Die Gottesbeweise beim vorkritischen Kant, in: KS 54 (1963) 445-463. Ders., Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise. Ein Schlüssel zur Interpretation des theologischen Hauptstücks der transzendentalen Dialektik der KrV (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Mainz. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaflichen Klasse, Jahrgang 1983, Nr. 2), Wiesbaden 1983. Cramer, Wolfgang, Die absolute Reflexion. Bd.2. Gottesbeweise und ihre Kritik. Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt 1967. Moreau, J., Le Dieu des Philosophes. Leibniz, Kant et nous, Paris 1969. Lamacchia, Ada, La filosofia della religione in Kant. I. Dal dogmatismo teologico al teismo morale (1755-1783), Manduria 1969. Vor allem der erste Teil: "La ricerca di Dio negli scritti precritici", 75-359. Sullivan, William, J., Kant on the Existence of God in the Opus postumum, in: The Modern Schoolman 48 (1971) 117-133. Laberge, Pierre, La th4ologie Kantienne precritique, Ottawa 1973. Ernst, Ursula, Der Gottesbegriff innerhalb der transzendentalen Ontologie Kants, Diss. Wien 1975. Walsh, W. H., Kant's Criticism of Metaphysics, Edinburgh 1975, §§ 37-38 zu Kants Kritik der Rationaltheologie in der KrV. Wood, Allen W., Kant's Rational Theology, Ithaca 1978. Brugger, Walter S. J., Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979. Zu Kant: 250-258 und Bibliographie 525-530. Huber, Herbert, Die Gottesidee bei I. Kant, in: Theologie und Philosophie 55 (1980) 1-43, 230-249. Schroll-Fleischer, Niels Otto, Der Gottesgedanke in der Philosophie Kants, Odense U. P. 1981. Cortina Orts, Adela, Dios en la filosofia trascendental de Kant (Bibliotheca Salmanticensis, 36), Salamanca 1981. Dies., Die Auflösung des religiösen Gottesbegriffs im Opus postumum Kants, in: KS 75 (1984) 280-293. Michel, Karl-Heinz, I. Kant und die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes. Eine kritische Untersuchung der transzendentalen Ästhetik in der KrV und ihrer theologischen Konsequenz, Wuppertal 1987.

Erster Teil Die Frage nach Gott im Jahre 1755: Die "Allgemeine Naturgeschichte" und die "Nova dilucidatio"

Im Jahre 1755 veröffentlichte Kant zwei Werke, in denen die Frage nach Gott zwar nicht das Hauptthema ist, wohl aber eine wichtige Stellung einnimmt. Daß diese zwei Werke, die "Allgemeine Naturgeschichte" und die "Nova dilucidatio", von so verschiedenem Charakter sind - das erstere ist nämlich eine naturphilosophische und das andere eine erkenntnistheoretisch-metaphysische Untersuchung, - spiegelt in der Tat die zwei Grundzüge der vorkritischen Schriften Kants wieder. Erstens, der geistesgeschichtliche Kontext, in dem Kant seine philosophische Ausbildung absolvierte, war der Kontext der Schulphilosophie und damit der Kontext einer metaphysischen Tradition, die trotz vielerlei Umwälzungen noch einen unübersehbaren Zusammenhang letztlich mit der Scholastik des Mittelalters aufwies, unmittelbar aber mit den Denkern, Dominikanern und Jesuiten, die im XVI. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel eine Renaissance der Scholastik herbeigeführt und gerade im deutschsprachigen Raum einen entscheidenden Einfluß ausgeübt hatten. "Die deutsche Schulmetaphysik des XVII. Jahrhunderts", der die gleichnamige Monographie Max Wundts von 1939 galt, signalisiert am deutlichsten Herkunft und Inhalt der Philosophie auf deutschem Boden im Jahrhundert vor Kant. Ihre Fortsetzung, "Die Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung", wie die nachfolgende Studie Wundts von 1945 sie genannt hat ', trug das Gepräge Wolffs, der mit seiner Rückkehr zur Tradition nach deren Infragestellung durch die erste Generation der Aufklärung um Christian Thomasius in wenigen Jahren einen Siegeszug durch fast alle Hochschulen des deutschsprachigen Raums erleben konnte. Auch dort, wo sich bald eine Gegenbewegung zum Wolffianismus gebildet hatte, war dennoch die Schulphilosophie in der Neufassung Wolffs der dominierende Bezugspunkt, der den Anhängern wie den Gegnern des "praeceptor Europae" Probleme und Perspektive vorgab. Letzteres war der Fall bei Kant, den Giorgio Tonelli anhand einer umfangreichen Forschung der zeitgenössischen Quellen als ei1 Vgl. jetzt das umfangreiche Standardwerk zur deutschen Schulphilosophie von Ulrich Gottfried LHNBLE, Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik, Augsburg 1985, für die Zeit zwischen 1590 und 1640 und die Fortsetzung bis 1730: Reformversuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus, Augsburg 1988.

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nen eklektischen und unabhängigen Antiwolffianer charakterisieren konnte a. Das andere Element, das den geistesgeschichtlichen Kontext der ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts kennzeichnete, war das naturwissenschaftliche Interesse, und zwar in einer engen Verbindung mit der philosophischen Reflexion, da ja der Prozeß zur Anerkennung, daß die experimentelle Naturwissenschaft ihre eigene Methode, ihre Prinzipien und ihren Bereich selbst festlegen kann, ohne sie von einem übergeordneten philosophischen Denken zu bekommen, noch nicht abgeschlossen war *. Die Mechanik Newtons stellte für Kant sowie für seine Zeitgenossen einen umfassenden Horizont naturwissenschaftlichen Denkens auf, dem alle Gebildeten verpflichtet waren. Es wundert deshalb nicht, daß diese zwei Komponenten der kulturellen Lage im XVIII. Jahrhundert ihren Niederschlag auch in den Frühschriften Kants fanden: Metaphysische und naturwissenschaftliche Themen wechseln sich in den 29 Schriften ab, die in den ersten zwei Bänden der Akademie-Ausgabe enthalten sind. Ja über die Hälfte dieser Schriften, vor allem die frühesten, sind naturphilosophischen Inhalts, wobei allerdings auch in diesen der Blick auf methodologische und metaphysische Fragen durchaus nicht fehlt. Dieser doppelten Richtung des Denkens Kants entspricht genau die doppelte Behandlung der Gottesfrage im Jahre 1755: Die eine von einem naturphilosophischen Ansatz her in einer Kosmogonie "nach Newtonschen Grundsätzen", die andere von einer metaphysischen Prinzipienforschung her, nämlich vom damals intensiv diskutierten Prinzip vom zureichenden Grund Leibnizianischer Prägung. Der ersten Behandlung in der "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" ist das I. Kapitel dieses Buches gewidmet; mit der zweiten Behandlung in der Dissertation "Nova dilucidatio" befassen sich die Kapitel II bis V.

1 G. TONHU, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, Torino 1959; vor allem die Vorrede. * Der Titel, den NEWTON seinem Hauptwerk gab: Philosophiae naturalis principia mathemaüca, legt nahe, seine Mechanik sei keine Wissenschaft, die för sich selbst besteht, sondern ein Gesamt mathematischer Prinzipien für jenen Bereich der Philosophie, der Naturphilosophie heißt. Diese Zweideutigkeit setzt sich auch bei Kant fort, obwohl er seine KrV ausdrücklich als "einen Traktat von der Methode" versteht (KrV B ). Sein naturphilosophisches Werk von 1786 tragt den Titel Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.

I. Kapitel Die "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels": Naturforschung und Grottesglaube Literatur zu "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels" Adickes, Erich, Kant als Naturforscher, Band I-II, Berlin 1924-25. Das Standardwerk für das naturwissenschaftliche Denken Kants. Zur "Naturgeschichte": II, 206-315. Campo, Mariano, La genesi del criticismo kantiano, Varese 1953, 47-65. Tonelli, Giorgio, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, Torino 1959. Kap. II: La polemica kantiana contra la teleologia cosmologica (1754-1756), 43-126. Der Verfasser galt als der beste Kenner des 18. Jahrhunderts, vor allem bezüglich des deutschsprachigen Kulturraumes. Seine Studien sind eine erstklassige und vielfach erschöpfende Quellenforschung. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principio di ragion sufficiente. Boyle, Maupertuis, Wolff, Kant, Milano 1971, insbesondere 75-87. Laberge, Pierre, La theologie Kantienne pricritique, Ottawa 1973, Kap. I: La Phyaico-Theologie de L istoire g n rale de la Nature et de la Theorie du del (1755), 11-47. Klaus, Georg, Die F^rühschriften Kants - ihre philosophiehistorische und wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, in: G. Klaus, Philosophiehistorische Abhandlungen, Berlin 1977, 139-220. Arana Canedo-Argüelles, Juan, Ciencia y Metaffsica en el Kant precritico (1746-1764). Una contribucion a la historia de las relaciones entre ciencia y filosofta en el siglo XVIII, Salamanca 1982 ( Mit einer umfangreichen Sekundärliteratur), 54-74.

Direkt zum Thema: Aufbau und Entstehung des Weltalls: Dieterich, K., Kant und Newton, Tübingen 1876. Eberhard, Gustav, Die Cosmogonie von Kant, München 1893. Stolzier, Robert, Ist die Bezeichnung Kant-Laplacesche-Hypothese berechtigt?, in: Philosophisches Jahrbuch, 20 (1907) 324-327. Busco, P., Kant ei Laplace, in: Revue Philosophique de la France et de Wtranger, Paris 100 (1925) 237-279.

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Paneth, F. A., Die Erkenntnis des Weltbaus durch Thomas Wright und I. Kant, in: KS 47 (1955/56) 337-349. Redmann, Horst-Günter, Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants, Göttingen 1962. Kap. VI: Weltentstehung und Weltschöpfung, 73-113. Schneider, Friedrich, Kants "Allgemeine Naturgeschichte" und ihre philosophische Bedeutung, in: KS 57 (1966) 167-177. Heimsoeth, Heinz, Astronomisches und Theologisches in Kants Weltverständnis, in: Studien zur Philosophie I. Kants. II (KS EH 100), Bonn 1970, 86-108. Jones, Kenneth Glenn, The Observational Basis for Kant's Cosmogony: A Critical Analysis, in: Journal of the History of Astronomy, 2 (1971) 29-34. Waschkies, Hans-Joachim, Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Amsterdam 1986. Diese umfangreiche Habilitationsschrift untersucht gründlich die Vorgeschichte und das wissenschaftliche Milieu, aus dem Kants naturwissenschaftlicher Versuch hervorgegangen ist. Unmittelbarer zur Schrift Kants die letzten Paragraphen, 20-24.

1. Der Inhalt des Werkes Der Ansatzpunkt für die Überlegungen Kants ist der damalige Stand der Naturwissenschaft, in erster Linie der Himmelsmechanik, wie sie vor allem durch Johannes Keplers (1571-1630) Gesetze der Planetenbewegungen und durch Isaac Newtons (1643-1727) physikalische Begründung derselben mittels des Gravitationsgesetzes festgelegt war. Von hier aus versuchte der dreißigjährige Kant die mechanische Welterklärung in zwei Richtungen weiterzuführen. Erstens in Richtung auf den systematischen Bau des gesamten Weltalls, zweitens in Richtung auf die Entstehung desselben. Dieser doppelten Zielsetzung entsprechen die ersten zwei Teile von seinem Werk: "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprünge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonschen Grundsätzen abgehandelt". Der erste Teil entwickelt eine "Theorie des Himmels", eine Theorie nämlich über die Verfassung des Weltalls, die dann im zweiten Teil, vor allem im 7. Hauptstück, durch verschiedene Elemente (etwa die räumliche Unendlichkeit und den Mittelpunkt des Universums) ver-

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vollständigt wird *. Angeregt vom Buch des Zeitgenossen Thomas Wright aus Durham (A XXXVI = I 231): "An Original Theory or New Hypothesis of the Universe" entwickelt Kant die Hypothese, daß die sog. Fixsterne der Milchstraße als ebensoviele Mittelpunkte von ähnlichen Systemen wie unser Sonnensystem in einer systematischen Beziehung zueinander stehen und daß die noch weiter liegenden "neblichten Sterne" (A 13 = I, 254) andere ebenfalls geordnete Milchstraßensysteme sind. Das Verfahren Kants in diesem ersten Teil, sowie in seiner ganzen astronomischen Hypothesenbildung, ist ein Analogieschluß: Hier geht er von der Verfassung unseres Planetensystems auf eine ähnliche systematische Verfassung des Weltbaus überhaupt über. Der zweite Teil dringt vom geordneten Bestand der Welt zu ihrer Entstehung vor, entwickelt also die eigentliche Kosmqgoni'e, nämlich die These, daß das Weltgebäude einen mechanischen Ursprung hat. Es ist dies der genialste Teil des Werkes, der seinem Verfasser einen Platz in der Geschichte der Naturwissenschaft eingetragen hat. Der dritte Teil greift das damalige Lieblingsthema für Denker und Schwärmer von den Bewohnern anderer Gestirne auf. Hier artet der Gebrauch der Analogie, der das ganze Werk durchzieht, in einen Mißbrauch aus. Bezeichnenderweise hat Kant diese Spekulationen später fallen gelassen. Im "Einzig möglichen Beweisgrund" versuchte Kant, sein totgeborenes Kind von 1755 doch noch der gelehrten Welt bekannt zu machen, indem er in der II. Abteilung, 7. Betrachtung seine "Kosmogonie" in ihrem Hauptinhalt zusammenfaßte; dabei aber führte er seine früheren "etwas gewagten Hypothesen" (A 13 = II 69) über außerirdische rationale Wesen nicht mehr an.

2. Die mechanische Weltentstehung Während Kant im ersten Teil sich an die vorhandene mechanische Erklärung des Sonnensystems anschließt und sie auf das ganze Uni1 Das 7. Hauptstück des II. Teils entwickelt eine kosmologische Konzeption, die im Umfeld des ontotheologischen Beweises der Nova dilucidatio steht. Gemeint ist vor allem die Lehre von der Unendlichkeit des Universums, die als eine "unmittelbare Folge des göttlichen Daseins" angesehen wird (A 107 = I 310). Der Zusammenhang dieser Lehre mit der Ontotheologie soll im Kap. IV, l, b l Exkurs erörtert werden.

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versum ausdehnt, ist sein Ansatz im zweiten Teil das Fehlen einer mechanischen Theorie über die Entstehung des Weltalls. Denn Newton hatte den Raum, in dem sich die Körper unseres Sonnensystems bewegen, als von Anfang an "vollkommen leer" aufgefaßt. Aus diesem Grunde konnte er keine Materialursache finden, die den Planeten "ihre Bewegung eindrücken oder richten konnte", und sah sich deshalb gezwungen, malgr£ lui, auf "die unmittelbare Hand Gottes" zu rekurrieren (A 25 = I 262), die die Himmelskörper zusammenballte und sie mit dem nötigen Zentrifugalschwung ins All warf, "damit sie in Verbindung mit ihrer Schwere sich in Kreisen bewegen sollten" (EmBg, A 165 = II 144). Demselben direkten Eingreifen Gottes schrieb Newton konsequenterweise auch die bekannte, staunenswerte Tatsache zu, daß sich alle Planeten ungefähr auf der verlängerten Äquatorialfläche der Sonne befinden, und daß alle Himmelskörper im Sonnensystem eine Umdrehung und einen Umlauf gegen den Uhrzeigersinn aufweisen. Genau diese übereinstimmende Stellung und Bewegungsrichtung nahm Kant" als Ansatz zu einer Theorie, die den erfolgreichen newtonschen Mechanismus auf die Entstehung nicht nur unseres Sonnensystems, sondern auch des ganzen Weltbaus ausdehnen sollte 8. Denn, so argumentiert Kant, wenn die Verfassung der Welt unmittelbar von einer "Wahl Gottes" stammt, sieht man keinen Grund, warum sich diese Wahl nicht "mit mehrerer Freiheit und allerlei Abwechselungen und Verschiedenheit" zeigt. Die "Gleichförmigkeit" der Position und der Bewegungen legt nahe, daß sie dem "Mechanismus ihrer Erzeugung" zu verdanken ist (A 152 = I 336). "Alles zeigt, daß die erste Ursache an die mechanischen Regeln der Bewegung gebunden gewesen und nicht durch eine freie Wahl gehandelt hat" (A 166 = I 344). Diesen Mechanismus der Weltentstehung denkt sich Kant folgendermaßen. Der Urzustand des Universums, der "auf das Nichts folg2 dazu angeregt von BUFTONS "Histoire naturelle" aus dem Jahre 1749 (vgl. A 166 und 23 ff = I, 345 und 261 f). Schon der Buchtitel Kants: "Naturgeschichte" erinnert an Buffon. 1 Auch in diesem Versuch hat Kant Vorgänger gehabt. Für die Neuzeit ist Descartes zu nennen, der vom Urchaos durch die Naturgesetze die Welt entstehen ließ. Aber dies blieb bei Descartes eine bloße Hypothese, die er im Detail nicht ausführte. Vgl. "Trait6 de la lumiere", in: Oeuvres, hrsg. von ADAM und TANNERY, Bd XI, Paris 1909, 34 f.

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te" (A 27 = I 263), war der eines chaotischen Urstoffes in Form einer Staubwolke oder Meteoritenwolke, die den ganzen Raum erfüllte. Es ist dies die sog. Nebularhypothese, die Kant als erster in ihrer ganzen Bedeutung für die Kosmogonie erkannt hat. Damit war eine "Gemeinschaft der Bewegkräfte durch alle Gegenden" (EmBg, A 166 = II 144) gegeben und das Haupthindernis ausgeräumt, das Newton genötigt hatte, die Hoffnung auf eine mechanische Erklärung der Entstehung der Welt aufzugeben (A 156 = I, 338). Nun aber war dieser elementare Grundstoff an den verschiedenen Stellen von unterschiedlicher spezifischer Schwere, so daß die einzelnen Teilchen unmittelbar nach dem göttlichen Schöpfungsakt begannen, sich zu bewegen und sich um die schwereren Punkte zu sammeln und zu ordnen. Auf diese Weise sind sowohl die Himmelskörper (Zentralkörper und Planeten) als auch (durch die inneren Kräfte der Materie und die infolge ihrer gegenseitigen Einwirkung erzeugten Bewegungen) die Rotationsbewegung und die kreisförmigen Laufbahnen derselben entstanden. Kant faßt die allmähliche Selbstbildung des Alls als eine "sukzessive Vollendung der Schöpfung" auf (A 111 = I 312) und zwar in einem doppelten Sinn. Erstens, insofern vom "allgemeinen Mittelpunkt des ganzen [unendlichen!] Weltalls" aus (A 117 = I 316) die mechanischen Kräfte der Materie, die Anziehungs- und die Zurückstoßungskraft, nach und nach die Himmelskörper und die geordnete Verfassung derselben herbeiführten. Zweitens, insofern der Bildung und Fortdauer der einzelnen geordneten Weltgebäude ein Zusammenbruch folgt, der aber kein endgültiger Kollaps oder gar Vernichtung ist, sondern der Anfang eines neuen Bildungsprozesses. Kant vertritt also eine zyklische Kosmogonie, die sich in der räumlichen und zeitlichen Unendlichkeit der Schöpfung abspielt nach Art des mythischen Phoenix aus der Asche (A 125 = I 321). Den wunden Punkt der Kantischen Kosmogonie hat man von jeher darin gesehen, daß sie aufs gröbste gegen die Prinzipien der Newtonschen Mechanik verstößt. Newton glaubte dagegen, das Hineinwirken eines außermechanischen göttlichen Ordnungsprinzips voraussetzen zu müssen, weil er sonst keine Möglichkeit sah, durch die "Kräfte der Materie" die Umdrehung der Himmelskörper und ihre kreisförmigen Laufbahnen erklären zu können (A 156, 25 = I 338, 262).

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Vom hier geschilderten Ansatz her versucht Kant, durch mehrere Kapitel hindurch die einzelnen Schritte zu rekonstruieren, die die mechanische Entwicklung nehmen mußte, bis sie diejenige Weltordnung hervorbrachte, die sich jetzt "der Betrachtung vernünftiger Wesen" bietet *. Deshalb vertieft sich Kant hier mehr als in anderen Schriften in empirisch-naturwissenschaftliche Details. Trotz des vorauszusehenden Einwands, sein Vorhaben überschreite "sehr weit die Kräfte der menschlichen Vernunft" (A IX = I 221), ist Kant zuversichtlich, den Schlüssel zur Entstehung der Welt gefunden zu haben, da ja die betreffenden Naturgesetze einer "mathematischen Bestimmung fähig" (A XXXVI = I 230) sind: "Gebet mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen! das ist, gebet mir Materie, ich will zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll" (A XXXIII = I 230)". Diese mechanische Erklärung von der Entstehung der Welt hat aber eine Grenze: sie gilt nicht für die Lebewesen, weil die mechanische (!) Erzeugung eines Organismus zu kompliziert ist, als daß sie uns "deutlich und vollständig kund werden" könnte. Hier kann man nach Kant nicht sagen: "Gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden kann" (A XXXIV f = I, 230). Der EmBg wird dagegen ohne weiteres annehmen, daß die Erzeugung der organischen Gebilde sich nicht aus den "allgemeinen" (d. h. mechanischen!) Naturgesetzen erklären läßt, sondern nur aus besonderen göttlichen Anordnungen (II. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 2). Die Weltweisheit sieht sich genötigt, den Weg des Mechanismus zu verlassen und zwei verschiedene Naturordnungen anzunehmen ·.

4 In dieser Hinordnung auf betrachtende Wesen sieht Kant, gemäß der allgemeinen Überzeugung der damaligen Teleologen, den "Zweck der Natur" (A 176 = I 352). 6 Dieses Wort, das bereits MAUHEHTUIS benutzt hatte, um das, wie er meinte, "extravagante" Unternehmen der Cartesianer zu bezeichnen ("Quelques Philosophes ont 6t6 assez t6me>aires pour entreprendre d'en [de ce Monde visible] expliquer par ces seules loix [du mouvement] toute la möchanique, et mSme la premiere formation: donneznous, ont Us dit, de la matiere et du mouvement, et nous allons former un Monde tel que celui-ci", Essai de cosmologie, in: Oeuvres, Lyon 1756, I, 45 f. Vgl. TONELLI, Elementi, 113), geht auf VOLTAIBE in seinen "Elements de la philosophic de Newton" zurück, der ebenfalls unter Anführung von Descartes schreibt: "... des qu'on ose dire: Donnezmoi du mouvement et de la matiere, et je vais faire un monde" (5. Absatz nach dem Anfang, in: Oeuvres, Paris 1869, Bd 5, 674). * Vgl. Tillmann FINDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, Di s. Berlin 1969, 151-153.

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3. Kants erste Physikotheologie In den Kontext des eigentlichen Themas des Werkes, nämlich der mechanischen Erklärung des Weltalls, schiebt Kant die erste Fassung seines physikotheologischen Beweises ein, und zwar als Antwort auf einen Einwand, den seine mechanische Welterklärung bei manchen hervorrufen könnte. Diese vom Plan des Werkes her eher beiläufige Behandlung der Gottesfrage 7 bedeutet allerdings keineswegs, daß diese Frage gerade in ihrer Beziehung zur Naturwissenschaft und insbesondere der sog. physikotheologische Beweis in den Augen Kants nur eine sekundäre Rolle spielt. Sein ganzes Leben lang, auch nach der kritischen Wende, hat Kant den Beweis Gottes aus der Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit der Welt hoch geschätzt. Was Kant mit seiner mechanischen Welterklärung beabsichtigt, ist, die Zulänglichkeit der Kräfte der Materie zur Hervorbringung und Erhaltung der geordneten und zweckmäßigen Verfassung der Welt zu zeigen - in dieser Hinsicht also das Gegenteil der Naturphilosophie Newtons, der zwar das große Verdienst gehabt hatte, die mathematisch-mechanischen Prinzipien für die Welterklärung auszuarbeiten, aber für die Entstehung der Weltordnung und dazu noch für die Regulation von Störungen im makrokosmischen Geschehen seinen Mechanismus verließ, um ein direktes Eingreifen Gottes zu postulieren. Kants Naturgeschichte faßt die Welt als einen von Anfang an gleichsam autonomen Mechanismus, als ein selbständiges System nach Gesetzen auf. Der genannte Einwand wird in Form eines Syllogismus conditionalis vorgetragen: "Wenn man zu aller Ordnung des Weltbaues natürliche Gründe entdecken kann", so hat der Rekurs auf eine "oberste Regierung" keine rationale Rechtfertigung mehr. Nun aber hat die Naturforschung schon viele geordnete und zweckmäßige Natureinrichtungen "aus den allgemeinen und wesentlichen Eigenschaften der Materie" erklärt, während Kant selbst hier diese mechanische Erklärung auf die Verfassung und Entstehung der Welt insgesamt ausdeh-

7 Im ersten Teil der Vorrede: A = I 221-228 und wieder im 2. Teü des Werkes, letztes Hauptstück. Vgl. auch den Vorredeentwurf in: , 11-13.

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nen möchte. Also ist der physikotheologische * Beweis "völlig entkräftet" (A XI ff = I 222 f). Der Obersatz wird nun sowohl von den "Verteidigern der Religion" als auch von den "Naturalisten" vertreten, die sich dann (nur) bezüglich des Untersatzes trennen, d. h. bezüglich des Tatsachenurteils, ob "die Natur sich selbst genugsam ist" (A XII = I 222). Die "Rechtgläubigen" (A XV = I 223) sehen sich gezwungen, um ihren Glauben an Gott aufrechtzuerhalten, die Natur zu "verringern", insofern diese "ihren allgemeinen Gesetzen überlassen nichts als Unordnung zuwege bringen würde". Der Naturalist kann seinerseits unbedenklich Beispiele auftreiben, "die die Fruchtbarkeit der allgemeinen Naturgesetze an vollkommen schönen Folgen beweisen" (A XV = I 223). Kant selbst bringt im Sinne der Naturalisten das damalige Paradebeispiel der Insel Jamaica, in der der tagsüber wehende Seewind diese heiße Gegend erst bewohnbar macht (A XVI-XVIII = 223 f). Ein solches für die Menschen vorteilhaftes Phänomen läßt sich völlig mittels der "allgemeinen Beschaffenheit der Luft und der Wärme" erklären *. Dem Dilemma - entweder Gottesglaube oder Naturwissenschaft entzieht sich Kant, indem er die "consequentia" im Obersatz bestreitet. Mit den Theisten anerkennt er den Wert des Gottesbeweises aus der Schönheit und Anordnung des Weltbaues, meint aber, daß nicht die "Unfähigkeit der Natur" (A 146 f = I 333), sondern im Gegenteil ihre Hinlänglichkeit Gott als ihren Urheber beweist: "Es ist ein Gott eben deswegen, weil die Natur auch selbst im Chaos nicht anders als regelmäßig und ordentlich verfahren kann" (A XXVIII f = I 228). Deshalb bedienen sich die Verteidiger der Religion in ihrem Beweis Gottes aus der Natur "dieser Gründe", nämlich der geordneten und zweckmäßigen Einrichtungen der Welt, "auf eine schlechte Art" (A XIII = I 222). Kant gelingt es, die Folgerung umzukehren, die die Atheisten aus den gesicherten Resultaten der Naturforschung ziehen, indem er

* Diese damals schon geläufige Bezeichnung für den Finalitätsbeweis kommt in dieser Schrift nicht vor. * Was Kant hier bloß andeutet, hat er ein Jahr später in seinen "Anmerkungen zur Erklärung der Theorie der Winde" ausgeführt. Diese kleine Abhandlung lieferte einen wissenschaftlich wertvollen, wenn auch wirkungsgeschichtlich erfolglosen, Beitrag zur Erklärung der Winde - ein von der damaligen Naturwissenschaft intensiv diskutiertes und von den Teleologen gerne angeführtes Thema.

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klärt, in welchem Sinne die Natur durch ihre mechanischen Gesetze Ordnung und Zweckmäßigkeit hervorzubringen vermag. Der springende Punkt in seiner Argumentation ist folgender. Ihre nützlichen Folgen bringt die Natur nicht durch einen Zufall hervor, sondern notwendigerweise kraft ihrer Gesetze, wie das Beispiel der Seewinde zeigt. Nun aber ist es unmöglich, daß so viele Dinge "von verschiedenen Naturen in Verbindung miteinander so vortreffliche Übereinstimmungen und Schönheiten zu bewirken trachten sollten, sogar zu Zwecken solcher Dinge, die sich gewissermaßen außer dem Umfange der toten Materie befinden, nämlich zum Nutzen der Menschen und Tiere, wenn sie nicht einen gemeinschaftlichen Ursprung erkennten, nämlich einen unendlichen Verstand, in welchem aller Dinge wesentliche Beschaffenheiten beziehend entworfen worden" (A XXI = I 225) 1 . Es ist ja das Kennzeichen des Verstandes, Beziehungen zu entdecken oder zu entwerfen, sowie es das Kennzeichen einer "klugen Wahl" ist (A XXII = I 225), unter den vielen Möglichkeiten den Entwurf auszuwählen und zu verwirklichen, in dem die verschiedenen Substanzen am besten in einem geordneten Verhältnis stehen. Anders gewendet: Wenn "viele Dinge, deren jedes seine von den anderen unabhängige Natur hat", ein "wohlgeordnetes Ganzes ausmachen", so ist dies ein "Beweis von der Gemeinschaft ihres ersten Ursprunges, der ein allgenugsamer höchster Verstand sein muß, in welchem die Naturen der Dinge zu vereinbarten Absichten entworfen worden" (A XXVII f = I 227 f). Die Physikotheologie Kants verzichtet auf den Rekurs auf das Wirken Gottes in "besonderen Veranstaltungen" (A XVII = I 224). Denn dies würde eine anthropomorphistische Interpretation des transzendenten Wirkens Gottes nahelegen, und außerdem einer "faulen Weltweisheit" Vorschub leisten (A 148 = I 334), insofern die angebliche letzte Erklärung der Naturvorgänge durch ein ad hoc angenommenes Eingreifen Gottes allzu leicht von der Forschung nach den

u Noch deutlicher hat Kant dasselbe Prinzip in seiner späteren Fassung der Physikotheologie formuliert: Es ist "geradezu unmöglich, daß Ordnung und Regelmäßigkeit entweder von ungefähr, oder auch unter viel Dingen, die ihr verschiedenes Dasein haben, so von selbst sollte stattfinden, denn nimmermehr ist ausgebreitete Harmonie ohne einen verständigen Grund ihrer Möglichkeit nach zureichend gegeben" (EmBg A 119 = 124).

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natürlichen Ursachen entbindet ". Statt Gottes Wirken in einzelnen, für den Menschen günstigen Naturvorgängen zu sehen, bezieht Kant die Natur insgesamt auf Gott als denjenigen, der "die Quelle der Wesen selber und ihrer ersten Wirkungsgesetze in sich hat" (A XXIII = I 226). Dies liefert offensichtlich "einen desto sichereren Beweistum der Gottheit" (A 148 = I 334).

4. Problemgeschichtliche Einordnung der ersten Physikotheologie Kants Grundanliegen Kants in diesem Werk ist die Versöhnung von Wirkursachen (auf deren Entdeckung die Naturwissenschaftler aus sind) und Finalursachen (denen die Teleologen nachgehen) in der Welt. Aber um die Position genau zu verstehen, die Kant einnimmt, muß man sich die Lehre von der Teleologie bei einigen seiner Vorgänger und Zeitgenossen vergegenwärtigen a. Einerseits gab es eine extrem antimechanistische Position, für die die Gesetze der Mechanik völlig unzureichend sind, die Naturvorgänge zu erklären, und die deshalb zu Finalursachen griff. So in England Henri More (1614-1687) und in Deutschland Christian Thomasius mit seinem Kreis. Andererseits gab es eine Tendenz, von der Naturforschung die Finalursachen auszuweisen. Bacon bestritt zwar die Finalität in der Welt prinzipiell nicht, hob aber den methodologischen Irrweg hervor, zu dem sie de facto verleitet: "Tractatio enim Causarum Finalium in Physicis ... effecit ut homines in istiusmodi speciosis et umbratilibus causis acquiescerent, nee inquisitionem causarum realium et vere physicarum strenue urgerent; ingenti scientiarum

11 Dies wird ein Anliegen während der ganzen Entwicklung des Denkens Kants bleiben. Ich verweise auf seine Polemik gegen die "philosophia pigrorum" in der Dissertation von 1770, § 16, Corollarium und gegen die faule Vernunft" in der KrV: A 689, 773 uaw. Die kritizistische Lehre vom "regulativen Gebrauch" der transzendentalen Ideen liegt auf derselben Linie. Der regulative Gebrauch im Unterschied zum konstitutiven bringt Physikotheologie und Naturforschung in das richtige Verhältnis, indem er die zwei entgegengesetzten Fehler der "faulen Vernunft" (die die Naturforechung umgeht) und der· "verkehrten Vernunft" (die der Natur Zwecke aufdrängt) vermeidet (A 691u0. Vgl. TONBLLI, Elementi, 61-61.

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detrimento" 13. Vor allem ist die sog. "philosophia mechanica" von Descartes " und seiner Schule sowie von Spinoza, den Materialisten und einem großen Teil der Enzyklopädisten zu nennen. Viele Autoren aber bezogen eine mittlere Position, die sich in der Tat auf ein sehr breites Spektrum ausdehnte. Hier sei an einige erinnert. Auszeichnender Zug Malebranches war der Versuch, die Naturgesetze auf möglichst wenige und einfache zurückzuführen, ohne daß man in der Natur auf einzelne besondere Einrichtungen Gottes oder Finalursachen zu rekurrieren braucht ". Newton trug mit seinem attraktionistischen Mechanismus wesentlich zu einer mechanischen Welterklärung bei. Er benutzte aber auch Finalursachen in der Naturwissenschaft; vor allem bestritt er, daß mit mechanischen Prinzipien allein die Entstehung des Universums erklärt werden könne. Vielmehr wurde das Weltall in seiner tatsächlichen Ordnung direkt von Gott gemäß seiner Wahl gesetzt1 . Gerade in den Newton nahestehenden Kreisen Englands verzeichnete die Physikotheologie eine eindrucksvolle Entfaltung. Allerdings vertraten die meisten Newtonianer, wie schon Newton, keine rein mechanische Kosmogonie. Eine Mittelposition vertraten in Deutschland Leibniz und Wolff. Leibniz sprach sich zugunsten der Finalursachen aus, wollte aber deren Verwendung in der Naturwissenschaft möglichst beschränken. Wolffs Lehre ist insofern schwer einzuordnen, als er mit einem strengen Mechanismus (auch bezüglich der Lebewesen!) einen nicht weniger ausgedehnten Finalismus verband. Ja er verfaßte als erster einen Traktat über die Teleologie: "Vernünftige Gedanken von den Absichten der natürlichen Dinge", in dem die Finalursachen aller möglichen Naturphänomene genau angegeben werden. Entscheidend bei Wolff ist seine These von der Einzigkeit des Gottesbeweises - und dieser einzige Beweis ist für ihn (im Prinzip!) der Kontingenzbeweis. u F. BACON, "De Augmentis Scientiarum", 1. III, c. IV, in: The Works of Francis Bacon, London 1867-1874. Neudruck, Stuttgart 1963, Bd I, 669. 11 Von DESCARTES sei hier auf die grundsätzliche Aussage in den Principes de la Philosophie, I, § 28 hingewiesen: "Wir wollen uns auch nicht dabei aufhalten, die Zwecke zu untersuchen, die Gott sich bei der Schaffung der Welt gesetzt hat, und wollen die Untersuchung der Zweckursachen gänzlich aus unserer Philosophie verbannen." " MALEBHANCHB, "Miditations chretiennes et metaphysiques", Vn, 6-9, in: Oeuvres completes, hrsg. von H. GOUHIKH und A. ROBINET, Paris 1959, Bd X, 70-72. " Vgl. NEWTON, Optics, Book , Query 31, in: Opera quae exstant omnia, London 1779-1785; Neudruck, Stuttgart 1964, Bd 4, 261 f.

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Wolff fordert zwar auf, überall in der Natur Zwecke zu suchen. Diese Zwecke liefern aber für sich allein keinen Goitesbeweis, sondern bestätigen nur die Eigenschaften Gottes, die auf einem anderen Weg behauptet werden können. Nicht die Ordnung einfachhin, sondern die kontingente Ordnung setzt einen "ordinans" voraus ". Deswegen ist es für Wolff so wichtig, die Kontingenz der Bewegungsgesetze zu beweisen u. Hierin liegt der Hauptunterschied zwischen Wolff und Kant. Wie Kant, so will auch Wolff das Geschehen in der Welt durch das Wesen der Dinge erklären , meint aber, daß man zuerst die Kontingenz der Bewegungsgesetze beweisen muß "*, um einen physikotheologischen Beweis fuhren zu können. Für Kant dagegen (für den die Existenz der einzelnen Substanzen von sich aus noch keine Verknüpfung unter ihnen besagt ") ist jegliche Ordnung bzw. Verknüpfung der Dinge eine ausreichende Grundlage, um auf einen einzigen und weisen Urheber zu schließen: "Der eine Schluß ist ganz richtig: Wenn in der Verfassung der Welt Ordnung und Schönheit hervorleuchten, so ist ein Gott. Allein der andere ist nicht weniger gegründet: Wenn diese Ordnung aus allgemeinen Naturgesetzen hat herfließen können [und in diesem Sinne notwendig ist], so ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der höchsten Weisheit" (A 168 = I 346). Dieses Prinzip hat Kant später im EmBg, II. Abtig., 6. Betrachtung, Nr. l so formuliert: "Die Ordnung und vielfältige Zusammenstimmung überhaupt bezeichnet einen verständigen Urheber, noch ehe man daran denkt, ob diese Beziehung den Dingen notwendig oder zufällig sei". In der Tat ging der Einfluß der Lehre Wolffs dahin, daß in seiner Schule und auch außerhalb derselben alle möglichen Physikotheologien entstanden als eine Mischung von Forschung über spezifische Naturdinge (Wasser, Feuer, Steine, Winde, usw.) und Gottesbeweis aus der je besonderen Finalität. Gegen die inflationäre Teleologie bei den Wolffianern wandte sich der langjährige Präsident der Berliner

11 u

WOLFF, Ratio praelectionum, Sectio , cap. , §§ 41-42. WOLFF, De methodo existentiam Dei ex Ordine Naturae demonstrandi, § 5, in: Horae subsecivae Marburgenses, Frankfurt 1731, Nr. . Neudruck, Hildesheim 1983, , 676-678. " WOLFF, Cosmologia generalis, § 138. " Ebd, § 527. 11 Nova dUucidatio, Prop. . Vgl. weiter unten Kap. V, Nr. 1.

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Akademie der Wissenschaften Maupertuis, der sich hierin an Malebranche anschloß. Maupertuis vertrat (vor allem in seinem "Essai de Cosmologie", 1751) eine Erklärung der Naturvorgänge mittels weniger einfacher Gesetze, war aber zugleich der Überzeugung, daß gerade dies den besten Beweis der göttlichen Weisheit liefert. In diesem sehr differenzierten naturphilosophischen Rahmen bezog der junge Kant eine Position, die deutlich auf der Linie Maupertuis' lag - was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß Kant unter dem Einfluß des Antiwolffianismus Maupertuis' stand. Mit Tonelli können wir die Position Kants als einen gemäßigten Teleologismus bezeichnen. Diese Lehre kann folgendermaßen zusammengefaßt werden M: Die Natur ist auf ein Ziel hingeordnet, das vor ihr in mente Dei vorliegt. In diesem Sinne muß man von einer Finalursache der Natur sprechen. Aber dieselbe Natur wurde so eingerichtet, daß sie das ihr vorgesetzte Ziel auf einem rein mechanischen Weg oder durch einen rein wirkursächlichen Prozeß erreichen kann. Kant gründet also die wahre Physikotheologie auf diejenige mechanische Naturerklärung, der seine "Naturgeschichte" gewidmet ist. Die Finalität liegt vor und über der Natur; in der Natur selber ist dagegen alles durch wenige und einfache mechanische Gesetze erklärbar. Dies hindert allerdings nicht, daß der Ursprung dieser mechanischen Gesetze nur von einem Ziel her, also teleologisch, zu verstehen ist. Wenn Kant sich dagegen wehrt, Finalursachen zur Erklärung der einzelnen Naturvorgänge zu verwenden, mit der methodologischen Absicht, man solle die Kräfte der Natur (und dies bedeutete für ihn mechanische Kräfte) aufsuchen, die den Vorgang hinreichend erklären, so verlegt er doch die Finalität in die allgemeinen, grundlegenden, mechanischen Naturgesetze, d. h. in die Gesetze, denen gemäß die Kräfte der Materie wirken. Dies entspricht dem, was wir bei der Darlegung der Kosmogonie Kants sahen: ihr Ziel ist es, das göttliche Eingreifen bei der Weltbildung möglichst auf einen einzigen Akt, die Schöpfung der Materie mit ihren Gesetzen, zu beschränken. Mit seinen Ausführungen in der Vorrede, und noch tiefer auf den ersten Seiten des 8. Hauptstücks des 2. Teils, versucht Kant, eine Position zu beziehen, die einerseits den Mirakulismus gewisser Te-

* Vgl. TONELLI, Elementi, 60 f.

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leologen, andererseits aber den Determinismus epikureisch-spinozistischer Art vermeidet. Ausgehend von der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt als Resultat der Wirkung vieler verschiedener Wesen schließt Kant auf einen allumfassenden "Entwurf einer höchsten Weisheit" (A XX = I 225). Ein solcher Entwurf wurde "schon in die wesentlichen Beziehungen der ewigen Naturen gelegt und in die allgemeinen Bewegungsgesetze gepflanzt" (A 144 = I 332). Dies bedeutet, daß "die Natur auch sogar ihrer Möglichkeit nach" von einem "unendlichen Verstand" und einer "selbständigen Weisheit" ihren Ursprung bezieht (A 148 = I 334). Eine derartige Natur kann "auf keine andere als diese Weise" wirken (A XX f = I 225). Sie ist an die "allgemeinen" (A XIX = I 225), "notwendigen" (A XXVIII = I 227), "ewigen" (A 145 = I 332) und "unwandelbaren" (A 148 = I 334) Gesetze gebunden, die ihr Wesen selbst ausmachen, und hat keine Freiheit, davon abzuweichen M. Gerade so, als zu sämtlichen Naturvorgängen hinreichend, ist die Natur überhaupt eine Natur und nicht eine Reihe von "Wundern" durch die "unmittelbare Hand Gottes" (A 146 = I 333). Diese selbstgenugsame Natur erscheint uns "würdiger" (A 146 = I 332). M. a. W. von Natur kann man sprechen, wenn man

* Dieser Charakter von Notwendigkeit wird ausdrücklich als Grundlage für die Physikotheologie in der II. Abtig, des EmBg genommen. Der Kern der Kantischen Physikotheologie ist in der These enthalten, daß "notwendige Ordnung der Natur selbst einen Urheber der Materie bezeichnet, die so geordnet ist" (A 120 = II 124). Um welche Notwendigkeit handelt es sich? Kant will nicht Position gegen Wolff beziehen, der in seiner Cosmologia, § 527, die Kontingenz der Bewegungsgesetze bewiesen hatte, und noch weniger will er die metaphysische Kontingenz der Weltdinge bestreiten. Er will eher eine künstliche und willkürliche Verknüpfung (nexus) der Bewegungsgesetze mit der Materie unserer Welt ausschließen, um auf Gott als Urheber der Materie selbst schließen zu können. In den Naturdingen ist die Materie bereits im Zusammenhang mit den in unserer Welt tatsächlich wirkenden mechanischen Gesetzen vom göttlichen Verstand entworfen, wie Kant schon in der "Naturgeschichte" behauptet (A 147 f = I 333 f) und in der "Nova dilucidatio" (Prop. , Demonstratio) wiederholt. Damit ist aber nicht gesagt, daß diese Struktur der Materie absolut notwendig sei, so daß eine materielle Welt mit anderen physikalischen Gesetzen widersprüchlich wäre. Kurzum, die verbesserte Physikotheologie Kants verlangt, daß eine Mannigfaltigkeit besonderer Anordnungen notwendig mit der Grundordnung der Natur zusammenhängt und so von ihr ableitbar ist, ohne einzelne Anordnungen ad hoc von Seiten Gottes. Mehr nicht. Vgl. M. PAOUNELU, Fisico-teologia e principio di ragion sufßciente, 86-87. Zum Thema vgl. auch G. TONELLJ, La nocessiW des lois de la nature au XVQI' siecle et chez Kant en 1762, in: Revue d'histoire des sciences et de leurs applications 12 (1959) 225-241, wo bewiesen wird, daß die Vorstellung, nach der Gott der Materie bei deren Erschaffung zugleich die Gesetze zuordnete, von denen die Bewegungen in dem uns umgebenden Kosmos geregelt werden, um 1750 weit verbreitet war.

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ein (relativ!) geschlossenes, nach inneren Wesensgesetzen handelndes Ganzes anerkennt "*. Andererseits zeigt gerade die vorgenommene Analyse der Natur, daß sie "kein selbständiges und ohne Gott notwendiges Principium ist" (A 145 = I 332), daß "ihre wesentlichen Eigenschaften keine unabhängige Notwendigkeit haben können" (A 147 = I 333). Die Notwendigkeit der Natur ist das Ergebnis einer "klugen Wahl" des Schöpfers (A XXI = I 225) und ist somit eine "necessitas hypothetica" M. Damit vermag Kant Notwendigkeit und Zulänglichkeit, die die Natur erst zur Natur machen, aufrechtzuerhalten, ohne in den blinden Determinismus einer absoluten Notwendigkeit im Sinne von Epikur (und Spinoza) zu fallen, für den die Natur ein "von der Gottheit unabhängiges Principium und ein ewiges blindes Schicksal" ist (A 145 = I 332), also eine "unabhängige Notwendigkeit" besitzt (A 147 = I 333).

5. Die "Naturgeschichte" als Verbindung von Newtons Mechanik und Leibniz' Schöpfergott Mit dem oben Ausgeführten haben wir das Werk von 1755 in den damaligen allgemeinen geistesgeschichtlichen Kontext eingeordnet, aber weder das engere philosophische Milieu, in dem Kant seinen kosmologisch-kosmogonischen Entwurf konzipierte, noch den unmittelbaren Anlaß zur Abfassung des Werkes namhaft gemacht. Dazu hat neulich Waschkies einen wertvollen Beitrag geleistet, indem er die Vorgeschichte des Werkes in einer eingehenden Quellenforschung aufgehellt hat *. M Sind die Kräfte mit ihren mechanischen Gesetzen in die Materie eingepflanzt, dann ist die letzte Quelle der Weltordnung zugleich die Quelle der Weltmaterie. Ohne darauf ausdrücklich hinzuweisen, ist Kant in der "Naturgeschichte" bereits über die "gewöhnliche" Physikotheologie, die nur auf einen Weltordner schließen kann, zu seiner "verbesserten" Physikotheologie hinausgegangen (vgl. EmBg, . Abt., 5. und 6. Betrachtung), die imstande ist zu beweisen, daß der Weltbaumeister zugleich Weltschöpfer ist. Der Urheber der Art, wie das Universum zusammengefügt ist, ist zugleich Urheber des Grundstoffes der Naturdinge (Ebd. A 126 = 126 f). " Vgl. BAUMGAKTBN, Metaphysica, § 102 im Zusammenhang mit §§ 15 f und 882 f. " H.- J. WASCHKIES, Physik und Physikotheologie des jungen Kant, vor allem den § 21: "Ein Thema aus dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke als Leitmotiv der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels".

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Das philosophische Milieu, in dem Kant seine Ideen entwickelte, war der Kreis um seinen Lehrer Martin Knutzen, der ein außerordentliches naturphilosophisches Interesse mit einer metaphysischen Position Leibnizianischer Herkunft verband. Es war Knutzen, der Kant in das Studium der Physik nach Newtonschen Prinzipien einführte und auf den damals viel diskutierten Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke aufmerksam machte. In der Kontroverse zwischen Leibniz und dem Wortführer Newtons ging es schließlich um eine vor der Vernunft (und der Offenbarung!) verantwortbare Vorstellung von Gott und dessen Werken, die sich mit dem Weltbild der Newtonschen Mechanik in Einklang bringen ließe. Dieser kosmologisch-theologische Disput, der im Kreis um Martin Knutzen weiter geführt wurde, veranlaßte Kant, der bereits in seiner Erstlingsschrift versucht hatte, zwischen Newton und Leibniz durch eine eigene Synthesis zu vermitteln, über die Frage nach dem Wesen von Gott und dessen Schöpfungswerk weiter zu denken und schließlich eine eigene Lösung auszuarbeiten. Kant war ein dezidierter Anhänger der Physik Newtons, stand aber dessen theologischen Spekulationen ablehnend gegenüber. Damit war ihm das Problem gestellt, ein Weltbild nach Newtonschen Prinzipien zu entwerfen, das zugleich den Schluß auf einen Schöpfergott Leibnizianischer Prägung zuließe, das also Newtons theologische Hypothese einer von Zeit zu Zeit stattfindenden Nachbesserung der Welt überflüssig machen würde. Dieses Ziel stellt nun das Leitmotiv der Kantischen "Naturgeschichte" dar. Ein weiteres Indiz, daß das von Newton und Leibniz aufgeworfene Problem im Kreis um Martin Knutzen diskutiert wurde, ist das "Lehrgebäude vom Untergang der Erden", das ein anderer KnutzenSchüler, J. Fr. Weitenkampf, 1754 veröffentlichte und in dem sich Parallelen zu Kants "Naturgeschichte" ausmachen lassen. Der Autor vertrat eine zyklisch ablaufende Kosmogonie in Anlehnung an den 2. Petrusbrief der Bibel, 3. Kapitel, wo von einem Vergehen des Himmels und der Erde die Rede ist. Aber der Untergang der Weltordnung, den Weitenkampf als eine Veränderung interpretierte, erforderte ein unmittelbares Eingreifen Gottes, der die Gesetze der Natur aufhebt. Schon viel früher hatte W. Whiston, ein Vertrauter Newtons, in seiner "Nova telluris theoria" (englisch 1696, deutsch 1713) das Programm zu einer gesamten Weltdeutung nach dem neuesten Stand

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der Naturwissenschaft entworfen, und zwar in der Form einer wiederkehrenden Kosmogonie, die nach der Erschaffung der Materie aus dem Nichts kein weiteres unmittelbares Eingreifen Gottes in den Prozeß vorsah. Dieses vielbeachtete Werk muß in die Diskussion des Knutzenkreises einbezogen worden sein. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß aus diesem engeren Milieu das Vorhaben Kants entstand, Newtons naturwissenschaftliche Lehre, der er in diesem Zusammenhang uneingeschränkt die Priorität gab, mit dem Bild eines Gottes Leibnizscher Prägung in Einklang zu bringen. In der Tat arbeitete Kant in seiner "Naturgeschichte" eine zyklisch ablaufende Kosmogonie "nach Newtonschen Grundsätzen" aus. Darin versuchte er, nicht nur die allererste Entstehung geordneter Systeme im Weltall, sondern auch ihr Vergehen rein mechanisch zu erklären. Ja, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden, hat Kant eine gravierende Einschränkung im Gottesbegriff von Leibniz überwunden. Nach Leibniz, Theodizee, III, § 335, "ist Gott keineswegs der Schöpfer der Wesenheiten, solange diese bloße Möglichkeiten sind". Für Kant dagegen ist Gott "sogar die Quelle der Wesen selbst und ihrer ersten Wirkungsgesetze" (A XXIII = I 226). Denn indem Kant die metaphysische vorherbestimmte Harmonie Leibniz' durch die physikalischen Grundgesetze ersetzte, nach denen die der Materie innewohnenden Kräfte wirken, unterstellte er mit einem Schlag das Wesen selbst der Dinge, d. h. ihre Möglichkeit, völlig der Macht Gottes. Sein Programm hat Kant durch eine eigene, kreative Kombination unterschiedlicher Elemente vor allem von Buffon, Thomas Wright und Maupertuis durchgeführt, allerdings ohne jegliche mathematischformale Ableitung. Eine solche Kosmogonie diente ihm, wie wir oben gesehen haben, als empirische Basis für eine solidere Physikotheologie. Der höchst weise Gott, den Leibniz immer noch als einen bloßen Ingenieur aufgefaßt hatte, wurde bei Kant zum wahren Schöpfer des Weltalls.

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6. Das Fragment von 1753 über den Optimismus: Ein Vorspiel zur Physikotheologie Literatur Menzer Paul, Kants Lehre von der Entwicklung in Natur und Geschichte, Berlin 1911, 68-70. Campo, Mariano, La genesi del criticismo kantiano, Varese 1953, 271-277. Henrich, Dieter, Über Kants früheste Ethik, in: KS 54 (1963) 409-411. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principio di ragion sufficiente. Boyle, Maupertuis, Wolff, Kant, Milano 1971, 116-119. Finder, Tillmann, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, Diss. Berlin 1969, 136-147. Schmucker, Josef, Die Ontotheologie des vorkritischen Kant (KS EH 112), Berlin 1980, 132-135. Waschkies, Hans-Joachim, Physik und Physikotheologie des jungen Kant, Amsterdam 1987, 578 ff.

Die RR 3703-3705 (XVII 229-239) enthalten Entwürfe zu einer Preisfrage über den Optimismus bei dem englischen Dichter Alexander Pope, die die Berliner Akademie 1753 für das Jahr 1755 gestellt hatte. Von Interesse für uns in diesen Losen Blättern ist die Kritik an Leibniz, die den Ansatz zu der Physikotheologie enthält, die Kant kurz nachher in der "Naturgeschichte" ausgearbeitet hat. Dem Optimismus, den Leibniz entwickelt hatte, um Gott wegen der Zulassung der Übel in der Welt zu entschuldigen, wirft Kant vor, er schreibe der "ewigen Natur" der Dinge und damit ihren wesentlichen Bestimmungen eine von Gottes Weisheit und Güte unabhängige Notwendigkeit zu. Das einzige, was Gott mit dem aus der Natur der Dinge hervorgehenden Übel tun kann, ist, daß er das Übel im Ganzen der Welt, die er als die bestmögliche gewählt hat, zu "vergüten" weiß. Kant bestreitet keineswegs "Abweichungen und Mängel" in der Welt, "die als wahre Übel die Wohlgesinnten in Bekümmernis setzen". Aber weil er die Natur der Dinge als völlig der Macht und dem Willen Gottes unterworfen sieht, kann er behaupten, daß die Welt derart ist, daß aus ihr selbst die Existenz eines göttlichen Urhebers hervorleuchtet. Genau dies ist der Sinn des physikotheologischen Beweises. Für Leibniz dagegen muß man "aus anderen Gründen", d. h. eben nicht aus den Eigenschaften der Welt, sondern durch "meta-

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physische Beweise" (wohl den Cartesianischen und den Kontingenzbeweis), bereits um die Güte, Weisheit und Macht Gottes wissen, um daraus "hoffen" zu dürfen, daß Gott doch vermag, das von ihm unabhängige Übel "mit Vorteilen" auszugleichen (XVII 231-233). Kant findet die von ihm vorgeschlagene Alternative zum Optimismus in seinem Lieblingsdichter Pope. Denn dieser "unterwirft sogar alle Möglichkeit der Herrschaft eines allgenugsamen Urwesens, unter welchem die Dinge keine anderen Eigenschaften, auch sogar nicht solche, die man wesentlich notwendige nennt, haben können, die nicht vollkommem zu Ausdrückung seiner Vollkommenheit zusammen stimmen" (XVII 233 f) ". Genau dies aber ist der Kern der Physikotheologie der "Naturgeschichte". Ich verweise nur auf die schon angeführte Stelle (oben Nr. 4): "Also ist ein Wesen aller Wesen, ein unendlicher Verstand und selbständige Weisheit, vorhanden, daraus die Natur sogar ihrer Möglichkeit nach in dem ganzen Inbegriffe der Bestimmungen ihren Ursprung hat" (A 148 = I 334). Ob nun dieser Grundgedanke ursprünglich Popes sei oder aber Kants eigener, ist für unsere Untersuchung sekundär. Entscheidend ist vielmehr, daß wir in diesem Fragment eine deutliche Vorwegnahme der "Naturgeschichte" und zugleich die geistesgeschichtliche Einordnung derselben haben. Kant übernimmt hier den Leibnizschen Begriff von einem "allgenugsamen" Schöpfergott (XVII 238 f), reinigt ihn aber von einem gravierenden Mangel, so wie er in der "Naturgeschichte" die Einschränkung Newtons vom Begriff Gottes entfernt hat (oben Nr. 5). Im Optimismus-Fragment bekommt Kant den Kern seiner verbesserten Physikotheologie in den Griff: Verbindung und Ordnung hängen von der Natur der Dinge selbst ab. Damit ist das für den Leibnizschen Optimismus charakteristische Auseinanderfallen von Gottes 17 Der Herausgeber von Kants handschriftlichem Nachlaß, Adickes, bemerkt zu dieser Stelle: Der Gedanke "von der Unterwerfung sogar aller Möglichkeit unter die Herrschaft des Urwesens, der Pope von Leibniz unterscheiden soll ... bewegt sich ganz in der Richtung auf Kants Gottesbeweis von 1755 und 1763", nämlich auf den ontotheologischen (XVII 233). Dem hält PINDBB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 145 f, mit Recht entgegen, daß der betreffende Gedanke und das Fragment als ganzes sich vielmehr in der Richtung auf den physikotheologischen Beweis der "Naturgeschichte" bewegen. SCHMUCKES, Ontotheologie, 133-135, sieht in diesen Losen Blattern "vor allem" die Grundgedanken des verbesserten physikotheologischen Beweises Kants, während der ontotheologische Beweis eine sekundäre Weiterentwicklung durch Kant selbst aus den Prinzipien der Physikotheologie sein dürfte.

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Verstand und Willen überwunden. Für Leibniz ist dem Verstand Gottes das ganze Feld der Möglichkeiten (die unendlich vielen Welten) offen; sein Wille aber, der das Gute zu verwirklichen trachtet, ist durch diese ihm vorgegebenen Möglichkeiten eingeschränkt: Er kann nur das (komparative) Beste wählen. "So bedingt die Unabhängigkeit der Möglichkeiten vom Willen Gottes die Unerkennbarkeit der göttlichen Weisheit in der Welt" M. Kants Lösung des Theodizee-Problems geschieht nicht mittels des "principe du meilleur", das eine Unterwerfung Gottes unter ein ihn nötigendes Schicksal einschließt, sondern durch die universalen JVofwrgesetze, die, weil sie alle von Gott stammen, das Übel in die Einheit eines Ganzen stellen, das von der Weisheit Gottes Zeugnis ablegt. Die Physikotheologie ist für Kant die wahre Theodizee.

' FINDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 142.

. Kapitel Die Frage nach Gott im Rahmen der metaphysischen Prinzipienlehre der "Nova dilucidatio" Literatur Thiele, Günther, Die Philosophie I. Kants nach ihrem systematischen Zusammenhange und ihrer logisch-historischen Entwicklung dargestellt und gewürdigt, Erster Band, Erste Abteilung, Halle 1882. Zur Nova dilucidatio, 85-127. Busse, Ludwig, Kants erkenntnistheoretischer Standpunkt in der "Nova dilucidatio". Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie, in: Zur Erinnerung an L Kant. Abhandlungen aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr des Tages seines Todes, hrsg. von der Universität Königsberg, Halle 1904, 15-53. Campo, Mariano, La genesi del criticismo kantiano, Varese 1953, 91-141. Tonelli, Giorgio, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, Torino 1959, Kap. Ill: II primo tentativo ontologico (1755), 127-171. Kahl-Furthmann, Gertrud, Der Satz vom zureichenden Grund von Leibniz bis Kant, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 30 (1976) 107-122. Reuscher, John A., A Clarification and Critique of Kant's "Principiorum Primorum Cognitionis Metaphysicae Nova Dilucidatio", in: KS 68 (1977) 1832. Titze, Hans, Der Satz vom zureichenden und bestimmenden Grunde bei Leibniz und seine Auswirkungen, in: Studio Leibnitiana Supplementa, Volumen XXI, Bd III, Wiesbaden 1980, 51-58

Kontext und Inhalt der Dissertation In seiner zweiten lateinischen Dissertation: "Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio", die Kant 1755 als Habilitationsschrift verteidigte, verläßt er seine gewohnten Themen der Naturphilosophie, um schwierigere Probleme der Ontologie und der speziellen Metaphysik anzugehen. Der geistesgeschichtliche Kontext ist der der Leibniz-Wolffschen Philosophie, gegen die aber eine Re-

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aktion, vor allem gegen Wolff, voll im Gang war. Einer dieser Gegner war Christian August Crusius, der, nach Wolff, bedeutendste Philosoph um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts (1715-1775) ', Professor der Philosophie und Theologie zu Leipzig. Der Einfluß Crusius' auf Kant hatte sich schon in der Schrift über die "Lebendigen Kräfte" bemerkbar gemacht; jetzt aber und noch für ein Jahrzehnt wird dieser Einfluß entscheidend. Kant bezeichnet ihn als "acutissimus Crusius, quern inter Germaniae ... philosophiae promotores profiteer vix cuiquam secundum" (Prop. K: I 398).

Literatur zu Crusius Marquardt, Anton, Kant und Crusius. Ein Beitrag zum richtigen Verständnis der Crusianischen Philosophie, Kiel, Diss. 1885. Seite, Anton, Die Willensfreiheit in der Philosophie des Chr. Aug. Crusius gegenüber dem Leibniz-Wolffschen Determinismus in historisch-psychologischer Begründung und systematischem Zusammenhang, Würzburg 1899. Wundt, Max, Kant als Metaphysiker, Stuttgart 1924, 60-81. Ders., Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945, 254-264. Heimsoeth, Heinz, Metaphysik und Kritik bei Chr. A. Crusius, in: Studien zur Philosophie I. Kants (KS EH 71), Köln 1956, 125-188. Carboncini, Sonia, Crusius und die Leibniz-Wolffsche Philosophie, in: Leibniz. Werk und Wirkung. IV. Internationaler Leibniz-Kongreß, hrsg. von der G.-W.-Leibniz-Gesellschaft, Hannover 1983, Bd. I, 110-116. Von den Schriften Crusius' sind vor allem folgende philosophische Traktate zu erwähnen: Anweisung, vernünftig zu leben [Ethik], 1744. Entwurf der notwendigen Vernunftwahrheiten, wiefern sie den zufalligen entgegengesetzt werden [Metaphysik], 1745. Weg zur Gewißheit und Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis [Logik und empirische Psychologie], 1747. Neudruck dieser "Philosophischen Hauptwerke", mit einer Einleitung von G. Tonelli (VII-LXV), Bd I-III, Hildesheim 1969. Bd. IV, Hildesheim 1987, hrsg. von S. Carboncini und R. Finster, enthält "Kleinere philosophische Schriften", unter ihnen auch die "Dissertatio philosophica de usu et limitibus principii rationis determinantis, vulgo sufficientis", 182-267.

1 TONELLI, Einleitung in seiner Ausgabe der Philosophischen Hauptwerke von Crusius, ffildesheim 1969, Bd I, XLIV.

Die "Nova dilucidatio"

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1743 veröffentlichte Crusius eine "Dissertatio philosophica de usu et limitibus principii rationis determinantis, vulgo sufficientis", an die sich zwölf Jahre später die "Nova dilucidatio" Kants anschloß *. In dieser Abhandlung bestreitet Crusius die Wölfische Allgenugsamkeit des Widerspruchsprinzips zur Begründung der Metaphysik s, insbesondere daß der Satz vom zureichenden Grund aus dem Widerspruchsprinzip ableitbar sei (§ 14). Demgegenüber stellt Crusius drei erste Prinzipien der menschlichen Vernunft auf: das principium contradictionis, das principium inseparabilium und das principium inconiungibilium (§ 27) *. In der Nova dilucidatio anerkennt Kant vier Prinzipien metaphysischer Erkenntnis: Das Identitätsprinzip (Sectio I), das principium rationis determinantis (Sectio II), das principium successionis und das principium coexistentiae (Sectio III). Das Identitätsprinzip (dessen Vorrang vor dem Satz des Widerspruchs hervorgehoben wird) besteht eigentlich aus zwei schlechthin ersten Prinzipien: dem einen für die bejahenden Sätze (quicquid est, est) und dem anderen für die verneinenden (quicquid non est, non est). Von der Kantischen Fassung des Prinzips vom zureichenden Grund ist es nicht klar, ob es vom Identitäts- und Widerspruchsprinzip ableitbar ist oder nicht; näherhin ob es ihnen etwas Neues und auf sie Unzurückführbares hinzufügt oder nicht. Jedenfalls rechnet

1

In seiner Habilitationsschrift geht Kant ausdrücklich und mehrmals auf den Cruuianischen Standpunkt ein. Bereits an der ersten Stelle (I 393) beruft sich Kant auf Crusius, um seine eigene Bezeichnung "ratio determinans" statt "ratio sufficiens" zu rechtfertigen. Problemstellung und etliche Ähnlichkeiten beider Dissertationen legen eine starke Vermutung nahe, daß Kant die Dissertation Crusius' gelesen hat. Andererseits aber stellt Kant nirgends einen direkten Bezug zur Dissertation Crusius' her noch zitiert er andere lateinische Abhandlungen desselben. Es ist also nicht mit völliger Sicherheit auszumachen, wie Kant in den fünfziger Jahren Crusius rezepierte: ob aus den lateinischen (und wenn ja, aus welchen) oder deutschen Werken. Vgl. CABBONCINI in ihrer Einleitung zu Bd IV, S. VÜI f. ' Vgl. auch Kants Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral von 1764: A 90 f = 293 f. * Vgl. dieselbe Lehre in der Metaphysik, § 16. Es muß allerdings bemerkt werden, daß nach Wolff das Identitäts- bzw. Widerspruchsprinzip zwar ausreicht, um alle menschlichen Erkenntnisse in die angemessene richtige Ordnung zu bringen; es selber aber bringt nicht all unsere Begriffe hervor nach der Art eines logischen Prinzips ä la Hegel. Denn far Wolff, wie schon für Locke, rührt unsere Erkenntnis von den Sinnen her, während der Verstand sie durchdringt und ordnet. Vgl. TOKELLI, Elemenü, 158, Anm. 37.

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sich Kant im Scholion der Prop. VIII. zur Ehre an, daß ihm gelungen sei, trotz der gegenteiligen Ansicht Crusius' das Prinzip vom bestimmenden Grund zu beweisen. Demnach handelt es sich, so scheint es, nicht um ein erstes Prinzip, sondern um ein von einem anderen ableitbares. Andererseits geht Kant auf den Haupteinwand Crusius' gegen das Wolffsche Prinzip vom zureichenden Grund nicht ein, daß es nämlich nicht aus dem Identitätsprinzip erfließt. Es scheint also, daß Kant sich zu diesem Problem nicht endgültig äußern will 8. Den zwei Prinzipien, die Kant in der Sectio III den zwei bereits behandelten Leibnizianischen hinzufugt, wird der Rang von ersten Prinzipien zugeschrieben, ohne den vielen Zwischenstufen Rechnung zu tragen, die die Schulphilosophie durchgehen würde, bevor sie von den Prinzipien der Identität und des bestimmenden Grundes zu ihnen übergeht *. Als "consectariorum feracissima" werden im Zusammenhang mit ihnen Probleme der Kosmologie, der Psychologie und der Gotteslehre erörtet. Der wichtigste Teil des Werkes ist der zweite. Seitdem Leibniz sein "Grand principe" vom zureichenden Grund 7 zu einem Angelprinzip der Philosophie gemacht hatte, bildete es ein alljährlich wiederkehrendes Dissertationsthema an den deutschen Universitäten. Nach Crusius betrifft das Prinzip Ursachen und Wirkungen, die alle außerhalb der reinen Identität liegen und kann deshalb -gegen Wolffs Versuch - nicht aus ihr abgeleitet werden (§ 14). Außerdem zieht er die Bezeichnung "principium rationis determinantis" vor, die genauer angibt, in welchem Sinne etwas als Prinzip zureichend ist und dem Geist des Leibniz-Wolffschen Denkens besser entspricht (§ 3). Damit verschärft Crusius das Merkmal der Notwendigkeit, das die ratio sufficiens kennzeichnet, und kann umso eindringlicher den Vorwurf des Fatalismus und der Zerstörung der Moral gegen Wolff erheben *. Aus demselben Grund vertritt Crusius die These, daß die freien Handlungen dem Prinzip des determinierenden oder bestimmenden Grundes nicht unterstehen (§§ 41, 45).

' Vgl. TONBLU, Elementi, 135. ' Vgl. TONBLLI, Elementi, 148. 1 LEIBNIZ, Principes de la Nature et de la Grace, fondis en raison, in: Die philosophischen Schriften, hrsg. von Gerhardt, VI 602. * In seiner Ontologia (§ 117) lehnt WOLFF die "ratio determinans" ab, gerade weil sie eine Notwendigkeit nahelegt.

Die "Nova dilucidatio"

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In seiner Nova dilucidatio übernimmt Kant die Crusianische Bezeichnung "Principium rationis determinantis". "Denn", so erläutert er, "das Wort zureichend ist ... zweideutig, weil nicht sofort ersichtlich ist, wie weit der Grund zureicht; bestimmen aber heißt, so zu setzen, daß jedes Gegenteil ausgeschlossen ist, und bedeutet daher das, was mit Gewißheit ausreicht, eine Sache so und nicht anders zu begreifen" (Prop. IV, Ende). In der Prop. IV unterscheidet Kant zwei Grundbedeutungen von ratio determinans, wobei allerdings im weiteren Verlauf der Ausführungen kleinere Abweichungen von dieser Festlegung vorkommen: (1) ratio antecedenter determinans, oder ratio cur, oder ratio essendi vel fiendi, oder auch ratio veritatis (vgl. Prop. IX: I 398); (2) ratio consequenter determinans, oder ratio quod, oder ratio cognoscendi, die bloße Gewißheit des Faktums vermittelt. (Vgl. Prop. V, Scholion). Was nun den Geltungsbereich anbelangt, hat, nach Kant, das Prinzip vom bestimmenden Grund eine uneingeschränkte Anwendung in der Ordnung der Erkenntnis oder der Wahrheit (Prop. V). Im Bereich der Existenz und damit der Seinsordnung muß man unterscheiden: Das Prinzip gilt für das ens absolute necessarium nicht, während es für das kontingent Seiende uneingeschränkt gilt einschließlich der freien Willensentscheidung. Die Geltung des Existenzgrundes bildet das Kernproblem der Habilitationsschrift Kants; ihm sind die Propositionen VI bis IX gewidmet. In der damaligen Kontroverse über die Universalität des Prinzips vom Grunde bezieht somit Kant eine eigene Position. Leibniz hatte die Gültigkeit des Prinzips sowohl für das absolut als auch für das kontingent Daseiende behauptet. Crusius hatte die Gültigkeit des Prinzips für die freie Willensentscheidung bestritten, um die Freiheit sicherzustellen. Kant nimmt eine Zwischenstellung ein: Er vertritt mit Leibniz und der Wolffschen Schule die Gültigkeit des Prinzips vom bestimmenden Grund für den gesamten Bereich des kontingent Seienden einschließlich der freien Willenshandlungen gegen Crusius (Prop. VIII und K) *, negiert jedoch seine Gültigkeit für das notwendig Daseiende (Prop. VI).

* Wir haben hier eine merkwürdige Allianz. In seiner antiwolffianischen Einstellung findet Kant eine willkommene Autorität im "berühmten Crusius" (Prop. : 397),

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In dieser Erörterung über die Tragweite eines Prinzips, das damals im Mittelpunkt der Diskussion stand, geht Kant auf die Gottesfrage ein, wobei er die Gelegenheit ergreift, in der Kontroverse über die Möglichkeit einer apriorischen Gotteserkenntnis einen eigenen gewichtigen Beitrag zu leisten 10. Kennzeichen dieser ersten ausführlichen Behandlung ist ihre durchaus positive Einstellung zur Erkennbarkeit Gottes auf dem Weg der spekulativen Vernunft: Kant anerkennt mehrere schlüssige Gottesbeweise, auch wenn er schon hier an der herkömmlichen Rationaltheologie mehreres auszusetzen hat.

unter dessen Einfluß er in dieser Zeit steht; dennoch lehnt er ausgerechnet das Lehrstück ab, das der ganzen Polemik Crusius' gegen Wolff zugrundeliegt, daß nämlich das Prinzip vom Grunde nicht für die freien Handlungen gilt. Genauer gesagt: nach CKUSTOB haben wohl die freien Handlungen eine "ratio sufficiens", aber diese ratio oder causa ist nicht "ad unicum tantum agendi modum determinate" (De usu principii, § 45 und auchu § 17. Vgl. Metaphysik §§ 380 und 85). SCHMUCKER, Ontotheologie, 15 f.

III. Kapitel Das Prinzip vom Grunde und der Cartesianische Gottesbeweis An erster Stelle in dieser Behandlung der Gottesfrage in der Nova dilucidatio steht die Widerlegung des traditionellen apriorischen Gottesbeweises, der auf Anselm zurückgeht, und der in der Neuzeit durch Descartes wiederum Eingang in die philosophische Diskussion gefunden hat. Die Perspektive, unter der Kant an diesen Gottesbeweis herangeht, ist seine These, daß nichts den Grund seiner eigenen Existenz in sich selbst haben kann (Prop. VI). In der Tat ist innerhalb des theistischen Horizontes, in dem Kant steht, das einzige Existierende, für das eine solche Eigenschaft in Frage kommt, Gott als das notwendig Daseiende. Genau im Hinblick auf Gott stellt Kant seine These auf, um Gott als Erstursache der Welt aus dem Geltungsbereich des Prinzips vom Grunde, im Sinne einer ratio antecedenter determinans oder ratio essendi, herauszunehmen. Damit entzieht Kant jeglichem Gottesbeweis das Fundament, der im Wesen Gottes als ens perfectissimum oder realissimum * den Grund sieht, 1 Der Terminus ens realissimum (von "realitas" gebildet) bzw. allerrealstes Wesen, mit dem Gott nach einer seiner drei grundlegenden Eigenschaften (Einzigkeit, Allrealität und Notwendigkeit) in der Schulphilosophie genannt wurde (vgl. z. B. EmBg A 194 = 158: Notwendigkeit, Vollkommenheit, Einheit), ist nicht im Sinne von Existenz zu nehmem (ein Superlativ von existere hätte keinen Sinn), sondern im Sinne dessen, was in einer Bestimmung positiv ist im Gegensatz zur Negation oder Limitation. Ens realissimum ist deshalb ein ens, das alle Bestimmungen in ihrem höchsten Grad enthält. Vgl. BAUMGAHTENS Metaphysica, § 36 zu realitas, §§ 190, 248 und 806 zu ens realissimum. Dazu TONBUJ, Elementi, 201, 202 und 139. Realitas, im Gegensatz zu existentia, ist bei Wolff "entweder ein Stück der Wesenheit oder diese selbst" (A. MAIKH, Kants Qualitätskategorien, 12). Ens perfectissimum, ens realissimum, allgenugsames Wesen sind also äquivalent. Von dieser Bedeutung her ist der Cartesianische Gottesbeweis und seine verschiedenen Fassungen auch im . Jahrhundert zu verstehen: als Obergang von der Realität im Sinne von Essenz zur Existenz. Zu dieser terminologischen Tradition gehört auch die Kantische Quo/ittttskategorie "Realität" im Unterschied zur Modalkategorie "Dasein" oder "Wirklichkeit" in der KrV. Vgl. dazu die vorzügliche Monographie von Anneliese MAIEB, Kants Qualitätskategorien (KS EH 65), Berlin 1930; auch H. HBMSOETH, Christian Wolffs Ontotogie und die Prinzipienforschung I. Kants, in: Studien zur Philosophie 1. Kants. I. (KS EH 71), Köln 1956, 52-56.

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warum Gott als existierend und zwar als notwendigerweise existierend von uns erkannt werden kann. Ein solches Fundament kann es nicht geben, weil "es ungereimt ist, daß überhaupt etwas den Grund seines Daseins in sich selbst hat". Wir wollen zuerst die allgemeine These untersuchen und dann ihre Anwendung auf Gott.

1. Propositio VJ: "Exsistentiae suae rationem aliquid höhere in se ipso, absonum est" Der Beweis der These ist folgender. Grund eines Existierenden als solches ist die Ursache desselben. Causa wird also definiert als die ratio antecedenter determinans im Sinne von principium fiendi oder principium existentiae. Wenn nun etwas den Grund seines Daseins in sich hätte, dann wäre es Ursache seiner selbst (sui ipsius causa). Die Ursache aber geht ihrer Wirkung voraus ("re", wenn auch nicht immer "tempore"), während die Wirkung nachher kommt. Was den Grund seines Daseins in sich hat, müßte also vor und nach sich selbst existieren. Dies ist aber absurd *. Es ist also unmöglich, daß etwas den Grund seiner eigenen Existenz in sich selbst hat. Andererseits kann Gott den Grund (causa) seiner Existenz nicht in einem anderen Wesen haben (Vgl. die beiläufige Erwähnung im Scholion). Also hat Gott, der ohne Zweifel notwendig existiert, überhaupt keinen Grund seiner eigenen Existenz. Infolgedessen gilt der Satz vom Grund für ihn nicht.

a) Neubestünmung des Begriffs vom ens necessarium (Corollarium und 1. Teil des Mit dieser These wendet sich Leibniz' und Wolffs, derzufolge seins im eigenen Wesen oder

Scholion bis "per se patet") Kant bewußt gegen die Auffassung im Absoluten der Grund seines Dain der eigenen inneren Möglichkeit

* Die secunda via des THOMAS VON Aqura "ex ratione causae efßcientis" argumentiert: "non eet posaibile, quod aliquid sit causa efficiens sui ipsius, quia sie esset prius seipso, quod est impossibile". Summa Theologiae I, q. 2, a. 3. Zu bemerken ist, daß Thomas ausdrücklich von einer causa efficiens sui spricht und sie ablehnt.

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liege a. Für Kant existiert das ens absolute necessarium nicht "propter rationem quandam", sondern "quia oppositum cogitabile plane non est". Warum aber das Gegenteil des ens necessarium (d. h. seine NichtExistenz) gar nicht denkbar ist, wird an unserer Stelle nicht erklärt. Kant begnügt sich mit der Bemerkung, daß "diese Unmöglichkeit des Gegenteils der Erkenntnisgrund" (für uns!) seines Daseins ist. Es gibt also eine ratio consequenter determinans (ratio cognoscendi) der Existenz Gottes, aber keine ratio antecedenter determinans. Es scheint, daß Kant mit diesem Erkenntnisgrund an seinen eigenen Gottesbeweis in der Prop. VII denkt, demzufolge es unmöglich ist, daß das ens necessarium nicht existiert, weil eine solche Nicht-Existenz alle Realmöglichkeit überhaupt aufheben würde und damit allen objektiven Inhalt des Denkens. Durch diese Ablehnung des Begriffs eines auf Grund seines eigenen Wesens Existierenden hat Kant eine Neubestimmung des Begriffs des ens necessarium vorgenommen, die die entscheidende Weichenstellung bedeutet, von der Kants Kritik der traditionellen Gotteslehre ausgeht. In seiner Untersuchung legt Schmucker großen Wert auf diese Neubestimmung des absolut Notwendigen: "Das absolut notwendig Existierende muß grundsätzlich als ein grundlos Existierendes gedacht werden" 4.

b) Zum Problem der "causa sui" 1) Es war Descartes, der die Redewendung "causa sui" einführte,

1 "Dieu est un Etre de soi ..., ens a se, c'est-ä-dire qui existe par son essence", LOHNE, De la demonstration cartesienne de l'existence de Dieu, in: Die philosophischen Schriften, hrsg. von Gerhardt, IV 405. Vgl. TONBLU, Elemenü, 161, Anm. 79. In seinem Gottesbeweis a posteriori sucht WOLRP die ratio sufticiens unserer Existenz und gelangt somit zu einem Seienden, "quod existentiae suae rationem sufficientem in seipso habet": Theologia naturalis, I, § 24. Das "ens necessarium ... vi propria existit, seu sibimetipsi sufTicit ad existendum", ebd. § 26. Dasselbe schon in der deutschen Metaphysik, § 929, wo das "selbständige Wesen", Gott, als dasjenige Ding definiert wird, "welches den Grund seiner Wirklichkeit in sich hat". Ich weiß nicht, ob Leibniz und Wolff irgendwo Gott "causa sui" nennen. Zur Stellungnahme Wolffs bezüglich der Lehre Spinozas vgl. weiter unten Fußnote 6. 4

SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 15; vgl. Ders., Ontotheologie, 25.

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um Gott zu bezeichnen '. Vor allem aber hat dieser Begriff bei Spinoza eine zentrale Stellung gewonnen. Seine Ethica ordine geometrico demonstrate, beginnt mit der Definition von Gott als "causa sui", wobei causa sui das ist, "cuius essentia involvit existentiam, sive id, cuius natura non potest concipi, nisi existens". Was von Gott gilt, gilt nach Spinoza von der Substanz überhaupt: "Substantia non potest produci ab alio ... erit itaque causa sui" (Ethica, Prop. VII). Bei seiner Auseinandersetzung mit dem Spinozismus interpretiert Wolff die "causa sui" im Sinne seines eigenen "ens a se" '. In seiner Dissertation "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde", § 8, hat Schopenhauer die Lehre Spinozas von einer "causa sui" einer scharfen Kritik unterzogen. Insofern Kant mit der Prop. VI eine solche spinozistische Auffassung Gottes meint, ist seiner These zuzustimmen. (Vgl. auch Prop. VIII, Scholion, 2. Absatz: das ens, das "absolute necessario exsistit", hat keine "ratio antecedenter determinans".) 2) Mit der Prop. VI will Kant dem Versuch von Descartes und Leibniz entgegentreten, etwas der Existenz Gottes Vorgängiges zu statuieren, von dem diese Existenz abhängt, und von dem sie deshalb a priori abgeleitet werden kann. Diesem Anliegen Kants ist ebenfalls zuzustimmen: Es gibt in Gott keinen Grund seiner Existenz, der uns ermöglichen würde, daraus diese Existenz a priori abzuleiten. Für Leibniz vgl. u. a. die schon zitierte Schrift: "De la demonstration cartesienne de l'existence de Dieu du R. P. Lamy" vom Jahre 1701 7. 3) Positiv vertritt Kant die These, daß der Begriff, das Wesen, die Möglichkeit Gottes (die Termini entsprechen einander in der scholastischen Tradition) durch die Absolutheit seiner Existenz zu definieren ist. In Gott, und zwar in ihm allein, "exsistentia prior est vel, si mavis, identica cum possibilitate" (Prop. VII am Ende). Diese These war in der Tradition durchaus geläufig: von Thomas, für den Gott das "ipsum esse subsistens" ist, bis zu Leibniz und Wolff. (Vgl. Wolffs Theologia Naturalis, II, § 27: "Deus per essentiam existit, seu existentia ipsi essentialis est".) ' DZSCABTES, Primae responsiones, Oeuvres (Adam et Tannery), , 109. Vgl. WOLFF, Theologia naturalis, 1. Neudruck des Werks, Hildesheim 1978, 1170 f die Anmerkung des Herausgebers J. Ecole zum Thema causa sui. ' WOLW, Theologia Naturalis, , § 676; I, § 27. 7 LEIBNIZ, Philosophische Schriften, IV 405 f.

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4) Mit der Verneinung einer ratio antecedenter determinans will Kant die naheliegende, aber irrige Übertragung der Frage nach dem Warum auch auf die Existenz Gottes, und zwar im Sinne der Frage nach einer von Gott selbst verschiedenen Ursache, ausschließen. "Denn sobald man in der Kette der Gründe zum ersten Grund gelangt ist, erhellt von selbst, daß man Halt macht und die Frage durch die Vollendung der Antwort völlig aufgehoben wird". Gott ist nicht ein weiter zu Erklärendes, sondern, objektiv, die Erklärung der Existenz überhaupt. Daß wir diese Erklärung in sich selbst durch eine cognitio propria nicht einsehen können, ist wohl wahr. Nun aber ist es nicht das Ziel eines Gottesbeweises, eine Erkenntnis Gottes nach dem, was er an sich selbst ist, zu vermitteln, sondern "nur", daß wir rational, d. h. begründeterweise behaupten können: Gott, als Ursprung und Ziel des Alls, existiert. Weil aber das rationale Urteil das Kriterium der Wahrheit und damit der Existenz für uns Menschen ist, vermittelt uns dieses Urteil eine echte Erkenntnis der Existenz Gottes - eine analoge Erkenntnis, da ja unser Begriff Gottes von der Welt her gebildet wird. Die irreführende Übertragung der Frage nach dem Grund auf Gott hat Bertrand Russell in seinem Vortrag von 1927: "Why I am not a Christian" populär gemacht anhand der aus dem Lockeschen "Essay Concerning Human Understanding" stammenden Story der Schildkröte. 5) Dennoch scheint mir die in der Schule geläufige Auffassung von Gott als dem Wesen, das den Grund seiner eigenen Existenz in sich selbst hat, durchaus vertretbar, ja unverzichtbar - unter der Voraussetzung freilich, daß man die Analogie in all unserem Reden von Gott (nicht bloß in der Frage seiner Existenz!) ernst nimmt. Gott ist derjenige, der das sonst factum brutum der Existenz der Welt erklärt, indem er zugleich seine eigene Existenz erklärt. In diesem Sinne ist der Wölfischen These, daß Gott "existentiae suae rationem sufficientem in se ipso habet" *, zuzustimmen. • WOLW, Theologia Naturalis, I, §§ 24, 26, 27. Vgl. auch die entsprechende Definition vom ens necessarium in der Ontologia, § 309: "... quod rationem sufficientem existentiae suae in essentia sua habet". Auch bei LEIBNIZ heißt es: "... per se necessarium est, quod rationem scilicet existentiae et veritatis euae habet intra se, quales sunt Geometricae veritates; ex rebus existentibus, Deus solus ...", in: Confessio philosophi.

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In Gott sind Erklärung und Erklärtes, Grund und Begründetes ein und dasselbe. Die diesbezügliche Dualität in creatis wird in eine vollkommene Einheit aufgehoben. Gerade deshalb ist es unangebracht, von einem Fehlen des Existenzgrundes in Gott zu sprechen. Ich kann der undifferenzierten Behauptung Schmuckers: "Das absolut notwendig Existierende muß grundsätzlich als ein grundlos Existierendes gedacht werden" * nicht beipflichten. Die Begriffe ratio, Grund, Erklärung sind wohl inadäquat, wenn sie von Gott ausgesagt werden, wie alle unsere Begriffe; absurd sind sie nicht. Andererseits ist die Bezeichnung Gottes als "causa sui" insofern bedenklich, als der Ursachenbegriff eine Dualität einschließt , die in Gott nicht statt hat. Diese Dualität muß durch die Analogie überstiegen werden, so daß in Gott der Grund, die Erklärung, nicht auf etwas anderes als sich selbst bezogen ist. Nun aber ist Aufhebung im Sinne des Überstiege nicht dasselbe wie Aufhebung im Sinne des Mangels. Die von uns ständig vorausgesetzte Rationalität des Seins (ens et verum convertuntur), weswegen wir an alles kontingent Existierende die Frage nach der Ursache seiner Existenz stellen, findet in Gott ihre letzte Quelle: Das Sein Gottes ist die Rationalität, die Begründetheit selbst. Sie läßt deshalb kein "warum?" mehr übrig. Genau weil Gott die Erklärung des Seins, die völlige Intelligibilität des Seins, und in diesem Sinne der Grund des Seins ist, gilt es, wie Kant sagt, "daß die Frage [nach dem Sein] durch die Vollendung der Antwort völlig aufgehoben wird" u.

Ein Dialog, Kritische Ausgabe mit Einl., Übers, und Kommentar von O. Saame, Frankfurt 1967, 66; und in den "Principes de la Nature et de la Grace, fondes en raison", § 8: Gott ist "un Etre necessaire, portant la raison de son existence avec soy" (Philosophische Schriften, VT 602). • SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 15. 10 Vgl. WOLFF, Ontologia, § 881: "Causa est principium, a quo existentia sive actualitas alterius ab ipso diversi dependet." 11 Mit den Endbegriffen, die unsere Vernunft gerade durch die Anwendung des Satzes vom Grunde erreicht, hat Kant in den 60er Jahren nach der Veröffentlichung des EmBg lange gerungen. Vgl. weiter unten, Kap. XIV, Nr. 3. Einer dieser Begriffe ist der vom ens necessarium. In ihm schlägt die "passive" Intelligibilität der materiellen Welt in die "aktive" Intelligibilität des Geistes um, der nicht nur intelligibel, sondern intelligent ist. Nun aber verweist das, was intelligent ist (insofern es intelligent ist, nicht insofern es in seiner Intelligenz begrenzt ist), auf keine weitere Begründung seiner Intelligibilität; es ist ja intelligibel, weil aus sich selbst intelligent. In dieser Richtung ist der Sinn des ens necessarium als causa sui anzusiedeln - ein Sinn, der sich mit der Auffassung vom höchsten Sein als noesis noeseos deckt.

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2. Die Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises Literatur Henrich, Dieter, Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960, 180-183. Laberge, Pierre, La thaologie kantienne precritique, Ottawa 1973, 50-56. Schmucker, Josef, Die Gottesbeweise beim vorkritischen Kant, in: KS 54 (1963) 445 f. Ders., Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise, Wiesbaden, 1983, 1. Kapitel.

Auf die Ablehnung der Lehre, Gott als ens necessarium habe den Grund seiner eigenen Existenz in sich selbst, folgt nun im Scholion ("Novi quidem ...) die Widerlegung des Cartesianischen Arguments, das genau die notwendige Existenz Gottes im Wesen des ens perfectissimum begründet sein läßt und sie deshalb daraus (!) ableitet.

a) Kants Widerlegung schließt sich an die Tradition an Kants Argumentation folgt der Widerlegung Crusius' in seiner Metaphysik, § 235, aus nächster Nähe. Crusius' Widerlegung hängt ihrerseits mit seiner Auffassung des Widerspruchsprinzips zusammen, daß es nämlich von sich allein aus unfähig sei, die Existenz von irgend etwas erkennen zu lassen. "Einige berühmte Gelehrte ... [haben] einen Versuch getan, ob sich nicht die Existenz Gottes, völlig nach der geometrischen Manier, nämlich durch den bloßen Satz vom Widerspruch erweisen ließe." Zu dieser Beweisart gehöre die Argumentation Descartes' aus dem Begriff des vollkommensten Wesens, das als solches die Existenz in sich selbst schließt. Ein nicht existierendes ens perfectissimum wäre deshalb eine contradictio in terminis. Nach Crusius ist der Schluß "in forma nicht richtig". Denn in den Prämissen (dem Axiom vom vollkommensten Wesen als seine eigene Existenz einschließend und der Definition Gottes als vollkommensten Wesens) "ist von der Existenz im Verstande die Rede ... In der Conclusion aber ist von der realen Existenz außerhalb der Gedanken die Rede".

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Indem sich Kant an diese Vorlage anschließt, macht er sich eine Widerlegung zu eigen, die bis auf Thomas von Aquin zurückgeht M. In den fünf kurzen Sätzen der Nova dilucidatio sind Darlegung und Widerlegung des Cartesianischen Arguments miteinander vermischt, die Sache ist aber klar. Mit der Definition Gottes als das Seiende, "in quo est omnitudo realitatis" beruft man sich auf einen Begriff von Gott, "durch den man sein Dasein bestimmt sein läßt", insofern man, wie es am Ende des vierten Satzes erläutert wird, den Begriff Gottes in der Weise bestimmt hat, daß er auch das Dasein einschließt. Das Gegenargument Kants wiederholt zweimal die Crusianische Distinktion zwischen Existenz im Verstande und Existenz außerhalb der Gedanken. 1. Satz: Der genannte Begriff Gottes bestimmt (d. h. schließt in sich ein) die Existenz "idealiter ... non realiter". 3. Satz: Wenn in einem Seienden (in Wirklichkeit) alle Realitäten ohne Grad vereinigt sind, so existiert es auch wirklich 1S; wenn diese Realitäten nur vereinigt gedacht werden, so liegt die darin eingeschlossene Existenz desselben "in ideis tantum". Kurzum: Aus dem Begriff des ens realissimum kann man nicht folgern, daß das in diesem Begriffe Gedachte auch wirklich existiere, sondern nur, daß die Existenz als sein Merkmal gedacht werden müsse. Die Schlußfolgerung des Anselmianisch-Cartesianisch-Leibnizianischen Gottesbeweises geht also illegitimerweise von einer gedachten Existenz zu einer als real verstandenen und behaupteten Existenz über. Diese Widerlegung deckt sich im wesentlichen mit der des Thomas von Aquin (abgesehen freilich davon, daß der Kontext bei beiden Autoren, nämlich die zugrundeliegende Erkenntnis- und Seinslehre, Grundverschiedenheiten aufweist), der daraufhinweist, daß das "illud quo maius cogitari non potest" zwar die Existenz hat, aber zunächst einmal "in apprehensione intellectus tantum". Daß dasselbe "in rerum natura" existiere, muß eigens durch ein Argument bewiesen werden, das sich nicht bloß auf die an sich richtige Nominaldefinition Gottes stützt.

u

THOMAS VON AQUIN, Summa Theologiae I, q. 2, a. l ad 2. "illud exsistet [in re]", so ist der Text zu verstehen wegen des Gegensatzes zum folgenden: "exsistentia ... in ideis tantum versatur". n

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b) Der springende Punkt der Kantischen Widerlegung: Illegitimer Übergang von einer gedachten zu einer realen Existenz, oder Künstlichkeit des zugrundegelegten Gottesbegriffs? Dieser naheliegenden und meiner Meinung nach stichhaltigen Kantischen Widerlegung von Descartes hat man entgegengehalten, sie stehe nicht in Einklang mit ihrem Kontext, näherhin mit der These der Propositio VI. Denn in ihr hat Kant bewiesen, daß kein Seiendes den Grund seiner eigenen Existenz in sich selbst haben kann. Hier dagegen gibt Kant zu, daß das ens realissimum den Grund seiner Existenz wohl in seiner Wesenheit (die durch den Begriff ausgedrückt wird) hat - genau also das, was er kurz vorher absurd genannt hatte. Nur, fügt Kant hinzu, dieser Realgrund kann für uns keinen Erkenntnisgrund abgeben: Wir können nur den Zusammenhang zwischen ens perfectissimum und ens necessario existens einsehen, aber ohne damit aus der begrifflichen Ordnung herauszugehen. D. Henrich hat auf diese Inkongruenz hingewiesen und die Ansicht geäußert, daß Kant auch deshalb diese traditionelle Widerlegung später im EmBg fallen gelassen und statt dessen eine andere anhand des Prinzips, das Dasein ist kein Prädikat, entwickelt hat. In seiner letzten umfangreichen Arbeit zum Thema Gottesbeweiskritik hat Schmucker die Frage wieder aufgegriffen, ob die These der Prop. VI und die anschließende Widerlegung des Cartesianischen Beweises miteinander übereinstimmen und ist zu einer anderen Interpretation gelangt: Nicht der Gedankengang Kants sei unlogisch, sondern die Art und Weise, wie er bisher verstanden worden ist, sei falsch. Kant widerlege Descartes nicht durch die Distinktion: idealiter - realiter (den von Henrich so genannten logischen Einwand), sondern setze viel tiefer an, nämlich beim Cartesianischen Begriff Gottes. "Kant negiert hier die These seiner Gegner (daß durch den Gottesbegriff als solchen bereits seine reale Existenz bestimmt sei), nicht deswegen, weil er den Schluß von der begrifflichen auf die reale Ordnung grundsätzlich für illegitim hielte, sondern weil für ihn die objektive Gültigkeit bzw. die reale Bedeutung des ontologischen Gottesbegriffs (ens, in quo est omnitudo realitatis) problematisch ist. Sein Zweifel betrifft also die genannte erste Voraussetzung des ontologi-

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sehen Arguments" w. In dem der Argumentation zugrundeliegenden problematischen Charakter des Gottesbegriffes liegt also die eigentliche vis der Kantischen Widerlegung. Denn es handelt sich für Kant (wie Schmucker ihn versteht) um einen "konstruktiven Begriff von bloß subjektiver Bedeutung" IS, um einen "gekünstelten und willkürlichen Begriff' 1 . Nun aber, so interpretiert Schmucker die mens Kants weiter, "wenn ich mir konstruktiv den Begriff von einem bestimmten Seienden bilde, in dem alle Realitäten ... im höchsten Grad vereinigt sind, dann ist damit allein noch nicht gewährleistet, daß ein derartiger Begriff objektive Realbedeutung haben müsse" ". Worin liegt genau dieses Bedenken Kants nach der Auslegung Schmuckers? Wenn ich den Interpreten richtig verstanden habe, ist die Schwierigkeit und damit die eigentliche vis probationis gegen Descartes folgende. Wir haben einen Begriff Gottes gebildet, der, insofern er ein von uns konstruierter Begriff ist, zunächst einmal bloß subjektive Bedeutung hat; wir wissen also (noch) nicht, ob "diesem Begriff unseres Geistes eine Wirklichkeit entspricht". Der Überschritt zur Wirklichkeit könnte (auch nach Thomas 1 ) nur erfolgen, "wenn man voraussetzte, daß es in Wirklichkeit etwas gibt, im Vergleich zu dem nichts Größeres gedacht werden kann, m. a. W., wenn man wüßte, daß diesem Begriff unseres Geistes eine Wirklichkeit entspricht"; oder mit einer anderen Formulierung: wenn man "zuvor" die "objektive Gültigkeit" des Begriffes beweist 19. Dazu möchte ich folgendes bemerken. Wenn ich schon voraussetze, daß es in der Wirklichkeit ein ens realissimum gibt, wenn ich schon weiß, daß diesem Begriff die Wirklichkeit eines so gedachten Seienden entspricht, dann brauche ich überhaupt keinen Gottesbeweis! Nun sind alle unsere Begriffe mentale Gebilde, Produkte, die wir selber infolge und kraft einer Einsicht in die Daten bilden. Alle Begriffe haben zunächst einmal "bloß subjektive Bedeutung"; sie sind alle "problematisch": Wir begegnen all unseren Ideen - seien sie auch

" SCHMÜCKER, Kants vorkritische Kritik, 17. " SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 19. " SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 25. 17 SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 17. 18 Schmucker meint, die Kantische Widerlegung Descartes' (wie er Kant hier versteht!) sei im wesentlichen dieselbe wie die Thomanische Widerlegung Anselms. Dazu soll später Stellung genommen werden. a SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 19.

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Vorstellungen von Weltdingen - mit der kritischen Frage: Ist es so? Aus diesem erkenntnismäßigen Status der Begriffe folgt überhaupt nichts in bezug auf ihre objektive Bedeutung oder Wahrheit, weder pro noch contra. Zu verlangen, daß wir schon um die objektive Bedeutung des Begriffs wüßten, hat keinen Sinn. Das eigentliche Problem mit den Begriffen liegt vielmehr darin: Wie wir vom Begriff als bloßem verbum mentis, also vom Denken, zu der Erkenntnis gelangen können, daß der Begriff den Sachverhalt trifft, der Wirklichkeit entspricht, wahr ist (die Redewendungen kommen auf dasselbe hinaus). Dies ist bekanntlich das Grundproblem in jeder Erkenntnislehre, worauf ich hier nur kurz eingehen kann. Für die Seienden im Bereich unserer Erfahrung ist der Faktor, der uns den genannten Übergang vom Verstande zur extramentalen Wirklichkeit ermöglicht, die Erfahrung selbst *°. Das Eigentümliche am traditionellen ontologischen Beweis liegt darin, daß man gemeint hat, wir haben hier einen Begriff (wohl den einzigen), der schon kraft seines mentalen Inhaltes uns den Überschritt von der gedachten zur realen Wirklichkeit ermöglicht. Die ganze Auseinandersetzung um den ontologischen Gottesbeweis betrifft eben die Frage, ob es stimmt, daß dieser Begriff von sich selbst den Übergang zur Wirklichkeit ermöglicht, ob er also die Erkenntnis der Existenz Gottes vermittelt. Es hat keinen Sinn entgegenzuhalten, wir müßten schon zuvor wissen, ob es die dem Begriff entsprechende Wirklichkeit gibt. Wüßten wir dies (auf welchem Weg?!), so würde sich der versuchte apriorische Weg völlig erübrigen! Zusammen mit dieser mir unverständlichen erkenntnistheoretischen Forderung findet sich in der Schmuckerschen Interpretation Kants ein anderes Element, das zeigen soll, daß die bisherige Lektüre der Nova dilucidatio falsch ist. Der Begriff Gottes als ens "in quo est omnitudo realitatis" ist, wie Kant ihn nennt, eine "praeconcepta notio", d. h. ein "vorgefaßter Begriff' ", ein "konstruktiver Begriff' *. Mehr noch, bei der nochmaligen Widerlegung Descartes' im EmBg umschreibt Kant den zugrundegelegten Begriff als "eine willkürliche

" Dies muß allerdings genauer präzisiert werden; sonst fallt man in eine sensualistieche Position! Darüber mehr im nächstfolgenden Abschnitt. 11 SCHMUCKEH, Kants vorkritische Kritik, 16. * SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 19.

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Vereinbarung" verschiedener Prädikate" (EmBg: A 191 f = II 156), und in der KrV, am Anfang des Abschnittes über den kosmologischen Gottesbeweis, ist von einer "ganz willkürlich entworfenen Idee" die Rede (A 603). Nach Schmucker setzt Kant "den Nachdruck auf die Künstlichkeit und Konstruktivität und damit die bloß subjektive Gültigkeit des Begriffs ens realissimum" M. Genau hier liege der springende Punkt der Kantischen Widerlegung: "Denn die Künstlichkeit des Begriffs ens realissimum, sowohl als Synthesis aller Realität wie auch hinsichtlich des Einschlusses des Daseins als Realitätsmoments, bleibt für ihn ein grundlegendes Element, ja in gewissem Sinn das grundlegende der Widerlegung des ontologischen Arguments in aller kommenden Entwicklung." Auch später, schreibt Schmucker weiter, betont Kant "immer noch den konstruktiven und gekünstelten Charakter dieses Begriffs bzw. das willkürlich Definitorische desselben, das verbietet, ihn für einen objektiven Möglichkeitsbegriff, der eine reale Dingmöglichkeit ausdrückt, zu nehmen" M. Ich glaube nicht, daß hier die vis probationis Kants gegen Descartes liegt. Der Terminus "praeconcepta notio" kann ganz wohl einen neutralen, bloß zeitlichen Sinn haben: vorgefaßte, im voraus gebildete Notion. Und dies ist in unserer Erkenntnisstruktur tatsächlich der Fall: Wir bilden zuerst den Begriff und fragen dann, ob er objektive Geltung hat. "Notionem tibi formas entis cuiusdam ..." Auch die "willkürliche Vereinbarung verschiedener Prädikate" kann wohl bedeuten, daß die Vereinbarung zunächst einmal unser Werk ist. Soviel ich weiß, hatte der Terminus "willkürlich" in der deutschen Sprache des XVIII. Jahrhunderts nicht unsere negative Bedeutung (= ohne Rücksicht auf die betreffenden Faktoren oder Gegebenheiten), sondern besagte einfach, daß es sich um etwas handelt, das vom Willen (von der "Willkür") abhängt M. Kant will zwar hervorheben, daß der Begriff von uns selbst gebildet ist, und daß er deshalb umso mehr eines Beweises seiner ob" SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 27. 24 SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 28.

* Auf englisch wäre also der Terminus mit "voluntary" und nicht mit "arbitrary" zu übersetzen. Dies ist sicher der Sinn des Terminus in der Zusammensetzung: "willkürliche Bewegung" von EmBg, A 121 = II 126. Auch die Definition Kants von Willkür im Unterschied zu Wille (die dann von Kant selbst nicht konsequent eingehalten wird) bestätigt diese Interpretation. Vgl. Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Einleitung, I: A 5 = VI 213.

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jektiven Geltung bedarf **. Aber dies ist nicht für Kant das Argument, um eine solche objektive Bedeutung a limine auszuschließen. In der R 3706, die einen vorbereitenden Entwurf zum EmBg enthält, geht Kant wieder auf die Konstruktivität des Begriffs ens realissimum ein und sagt, die Vereinbarung von Prädikaten kommt einem Ding nur im Gedanken zu, "wenn man willkürlich etwas mit einem Begriff verbindet, das nicht notwendigerweise dadurch gesetzt wird". Als Beispiel bringt er den Pegasus, ein Pferd mit Flügeln. Damit unterscheidet Kant deutlich zwischen Pegasus und dem Begriff eines Dinges, in welchem alle Realitäten auzutreffen sind. Letztere Verbindung wird von Kant nicht als eine solche beanstandet, die in der Wirklichkeit nicht anzutreffen sei. Sein anticartesianisches Argument ist dort, daß das Dasein keine Realität ist, kein (reales) Prädikat eines Dinges. Mit diesem anders gelagerten Argument haben wir uns jetzt nicht zu befassen. Aber auch dieser Text unterstützt die Ansicht Schmuckers nicht, daß nämlich "die These der Künstlichkeit und Willkürlichkeit des Begriffs ens realissimum, schon insofern er die Synthesis aller Realtät im höchsten Grad oder ohne Limitationen besagt ... das Grundmotiv der Kantischen Widerlegung des ontologischen Arguments" sei ". In der Tat behauptet Kant auch nirgends, daß Gott kein allerrealstes Wesen sei! Im Gegenteil: Einzigkeit, Allrealität und Notwendigkeit sind für ihn die drei grundlegenden Auszeichnungen dessen, was unter dem Namen Gott zu verstehen ist. Dies gilt sicher für den späteren EmBg und noch für die KrV, Theologie-Hauptstück, Abschnitte II und VII: Das transzendentale Ideal (ens realissimum) stellt ein "fehlerfreies Ideal" dar (A 641). Er bestreitet nur, daß von diesem Begriff allein her, der als Begriff problematisch ist M, ein Weg sich öffnet zur Behauptung seiner Wahrheit bzw. seiner objektiven Bedeutung, weil (a) dies ein unbegründeter Übergang von der Erkenntnis- zur Seinsordnung ist (Nova dilucidatio), später aber weil (b) unter den Realitäten, die das allgenug-

* Vgl. auch die R 3907: "Alle großen Eigenschaften, die ich von Gott aus der willkürlichen Idee desselben sage, sind nur Expositionen der Hypothesis ..." (XVII 337). r SCHMUCKEH, Kants vorkritische Kritik, 29 * Dies gilt, wie schon bemerkt, für alle unsere Begriffe. Daß diese Eigenschaft im Falle des Gottesbegriffes besonders zu beachten sei, hängt damit zusammen, daß der Gottesbegriff ein bloß analoger Begriff ist, den wir nicht direkt von den Daten Gottes, sondern von den Daten der Welt ausgehend bilden.

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same Wesen Gottes ausmachen, das Prädikat Dasein sich nicht findet (EmBg). Schmucker hat mit Recht auf eine gravierende Inkongruenz hingewiesen, die im Gedankengang Kants liegt, falls dessen Widerlegung Descartes' wie bisher verstanden wird. Wenn es in Gott selber keine "ratio exsistentiae suae" geben kann, weil dies überhaupt ungereimt (absonum) ist, so darf er wohl den Cartesianischen Beweis nicht deshalb ablehnen, weil die Essenz Gottes zwar Grund seiner Existenz ist, für uns aber diese "ratio essendi als bloß gedachte nicht zu einer ratio cognoscendi der (realen) Existenz werden kann" ". Ich gebe zu, daß die Lehre vom Prinzip des bestimmenden Grundes in der Nova dilucidatio einen Beweis der Existenz Gottes von seinem Begriff und damit von seiner Essenz her von vornherein ausschließt. Andererseits fand Kant einen solchen Beweis in einer philosophischen Tradition etabliert vor. Dieser Tradition hätte er von seinem Standpunkt aus einfach ein "nego suppositum" entgegenhalten können. Er hat es nicht getan, sondern vorgezogen, auf das Argument Descartes' einzugehen und es anhand einer Distinktion zu widerlegen, die er unmittelbar bei seinem Gewährsmann Crusius vorgefunden hatte. Die fünf Sätze der Kantischen Darlegung und Kritik können in ihrem Wortlaut nicht anders verstanden werden. Kant räumt sowohl im zweiten als auch im dritten Satz ein, daß der Begriff einer omnitudo realitatis das Dasein nach sich zieht; aber er unterscheidet zugleich zwischen idealiter und realiter, bzw. zwischen in ideis und in re. Und am Ende sagt er, die Betrachtung der Definition allein könne nicht darüber befinden, ob sie "wahr" sei. Dies muß auf einem anderen Weg geschehen - etwa auf dem Weg von der Welt her; "aus seinen Werken", wie Crusius sagte **. Im ganzen Passus ist gar nicht davon die Rede, daß (1) es absurd ist, sich auf eine solche "notio Dei" zu berufen, die dessen Existenz bestimmt bzw. begründet, und auch nicht, daß (2) der genannte Begriff als Vereinigung aller Realitäten nur subjektive Bedeutung haben kann, weil eben ein künstlicher Begriff, so daß es sich erübrigt, einen Beweis seiner Wahrheit zu versuchen. An dieser Stelle, wie nicht selten bei Kant, ist die entscheidende Frage nicht die der Logik, sondern die der Geschichte:

" SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 21. " CBUSTOS, Metaphysik, § 235.

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Wie sein Gedankengang de facto vor sich geht, aus welchen oft nicht leicht auszumachenden Gründen und Einflüssen auch immer. Ich fasse zusammen. Bezüglich der hier vorliegenden Widerlegung des Cartesianischen Beweises muß man ein Doppeltes unterscheiden. (1) Die Widerlegung findet im Kontext der Prop. VI statt, für die der dem Beweis zugrundeliegende Begriff absurd ist, insofern er nach Kant auf eine causa sui hinausläuft. Dieser radikale Einwand gegen den ontologischen Gottesbeweis wird aber von Kant nicht geltend gemacht - unlogischerweise, zugegeben. (2) Der dem Beweis zugrundegelegte Begriff besagt eine von uns gebildete Zusammensetzung aller Realitäten. Eine solche Kennzeichnung des Gottesbegriffes (a) stellt sachlich kein prinzipielles Hindernis gegen die Wahrheit desselben dar, (b) wird von Kant nicht als Einwand - gewiß nicht als der Einwand - gegen Descartes ins Feld geführt. In seiner Dissertation, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 104-107, hat Finder ein ganz anderes Verständnis der Widerlegung des Cartesianischen Beweises vorgeschlagen. In ihr schließe sich Kant zwar an Crusius an, aber nicht an dessen traditionelle Widerlegung von Descartes im § 235 der Metaphysik; vielmehr habe er den § 320 vor Augen, in dem der Begriff des unabhängigen Dings gegen die Wölfische Interpretation geschützt wird. Für Wolff ist Gott ein unabhängiges Wesen, weil er seinen Realgrund in sich selbst hat, weil er also causa sui ist. Für Crusius dagegen kann man eigentlich nur von einem Idealgrund in Gott sprechen: "Gott habe ein solches Wesen, woraus man, so bald man es einmal als existierend setzt, verstehen kann, warum er immer gewesen sei und sein werde." Dementsprechend sehe Kant den Fehler des Cartesianischen Gottesbeweises in einer Verwechselung von Wahrheits- und Existenzgrund (diese Distinktion hat Kant weiter unten, Prop. VIII, Scholion, 2. Absatz, thematisiert). Die Auslegung Pinders ist beachtenswert und löst u. a. am einfachsten die besprochene Inkongruenz, die die Lektüre des Textes im Zusammenhang mit der Prop. VI. einerseits und mit dem § 235 der Crusianischen Metaphysik andererseits nach sich zieht. Trotz allem aber spricht m. E. der Wortlaut des Textes Kants sowie der Duktus der Argumentation doch zugunsten der traditionellen Auslegung. Die Interpretation Pinders ist selber mit einer gewichtigen Schwierigkeit belastet. Denn auf das Cartesianische Argument, daß

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der Begriff Gottes derart ist, daß er seine Existenz bestimmt, antwortet Kant mit der Distinktion: "hoc idealiter fieri, non realiter". Die Distinktion bedeutet in der Interpretation Finders, Kant halte den Cartesianern die Verwechselung von Wahrheits- und Existenzgrund entgegen. Nun aber handelt es sich hier nicht um irgendeinen Wahrheitsgrund (daß uns ein Grund zur Verfügung steht, der die Wahrheit unserer Aussage, "Gott ist", rechtfertigt, ist für Kant wie für die Cartesianer unumstritten; die Frage ist nur, welcher Grund es ist), sondern um den Wahrheitsgrund, der im Begriff Gottes als omnitudo realitatis angeblich liegt. Würde Kant diesen Begriff als Wahrheitsgrund gelten lassen, so würde er zugeben, daß wir mittels des Begriffs die (reale!) Existenz Gottes erkennen. Eine wahre Aussage ist ja eine solche, die die Erkenntnis der Wirklichkeit vermittelt. Deshalb vermag ich keinen anderen Sinn in der Distinktion Kants zu finden als diesen: Der Begriff Gottes zwingt uns konsequenterweise, dieses Wesen als existierend zu denken ("exsistentia quoque ipsius in ideis", aber eben "tantum"), läßt uns aber darüber immer noch in Unkenntnis, ob es "realiter" existiert.

3. Das sachliche Problem Die Beurteilung über die Schlüssigkeit des von Anselm zuerst vorgelegten und von Kant selbst so genannten ontologischen Gottesbeweises hängt von der Erkenntnislehre ab, die jemand vertritt. Ein Gottesbeweis ist ja nichts anderes als die Formalisierung des mentalen Weges, auf dem wir zur Erkenntnis gelangen, daß es einen Gott gibt. Der ontologische Gottesbeweis beansprucht, den Weg bzw. einen der Wege wiederzugeben, auf dem wir mit besonderer Evidenz die Gewißheit über die Existenz Gottes erlangen. Crusius sieht in diesem Beweis "nach der geometrischen Manier" einen Versuch, "um den Atheisten auch in diesem Stücke, so viel möglich, Genüge zu tun" 8l. Hier möchte ich kurz darlegen, warum ich die Crusianisch-Kantische Widerlegung Descartes' als sachlich stichhaltig ansehe M.

31 0

CBUSIUB, Metaphysik, § 236. Zur hier vorausgesetzten Thomanischen Erkenntnislehre vgl. Bernard LONEHGAN S. J., Insight. A Study of Human Understanding, London 1957. Ein ausgezeichnetes

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a) Die dreigliedrige Struktur der menschlichen Erkenntnis und das Urteil als Wahrheits- und Wirklichkeitskriterium Die menschliche Erkenntnis im vollen Sinne des Wortes (als Erkenntnis der Wirklichkeit) besteht in einer dreigliedrigen Struktur aus Erfahrung, Einsicht und Urteil M. Dies bedeutet, daß wir erst im Urteil als rationaler Setzung einer auf der Ebene der Intelligenz (des Begriffes) gebildeten mentalen Synthesis die Wirklichkeit als Wirklichkeit erkennen. Auf der Ebene der bloßen (äußeren oder auch inneren) Erfahrung haben wir nur Daten, ohne noch zu wissen, was sie sind, und ob eine (durch die Einsicht in die Daten der Erfahrung) so verstandene Wirklichkeit existiert. Auf der Ebene der Einsicht (die sich im Begriff ausdrückt) denken wir an eine bestimmte Wirklichkeit, aber wir wissen noch nicht, ob das so Gedachte auch in sich existiert. Aufgabe des Urteils als absoluter Position der mentalen Synthesis ("est!") ist es, unserer Frage nach dem Sein als Frage nach dem Transzendenten (im Sinne dessen, was schlechthin "ist" und auch das erkennende Subjekt transzendiert) Genüge zu leisten. Erst im Urteil findet der Überschritt statt von der Immanenz (d. h. von den Erkenntnishandlungen als Handlungen des Subjekts, die freilich einen Inhalt als Objekt haben) zur Transzendenz im Sinne des Überschritts zum Sein, zu dem also, was "ist" und in seinem Sein keine restringierenden Qualifikationen mehr hat. Dies bedeutet, daß das Kriterium der Wahrheit das rationale Urteil ist, in das die vorausgehenden Phasen der Erfahrung und Ein-

Reeümee seiner Erkenntnislehre bietet derselbe Autor im Aufsatz "Cognitional Structure", in: Collection (Collected Works of Bernard Lonergan, Bd 4), University of Toronto Press, 1988, 205-221. Deutsche Obersetzung in: B. LONEBGAK, Theologie im Pluralismus heutiger Kulturen, Freiburg 1975, 88-108). Vgl. weiter G. SALA, Das Apriori in der menschlichen Erkenntnis. Eine Studie über Kants Kritik der reinen Vernunft und Lonergans Insight, Meisenheim am Glan 1971, Kap. XV; ders. Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistische Version des Intuitionismus, in Theologie und Phüosophie, 57 (1982) 329-340; ders. Intentionalitat contra Intuition, Ebd., 59 (1984) 249-264. n Damit sind die wesentlich verschiedenen Ebenen bezeichnet, denen gemäß unsere Intentionalit&t handelt. Auf jeder Ebene finden mehrere Erkenntnishandlungen statt, die eine verschiedene Gestalt annehmen, je nach dem Gebiet, das es zu erkennen gilt, und der Erkenntnisart, die angestrebt wird. Dementsprechend ist bei Thomas von einer Sinneshandlung die Rede, der eine "duplex mentis operatic" folgt: das intelligere und das hidicare.

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sieht als unabdingbare Komponenten eingehen M. Dies gilt für unsere ganze Erkenntnis der Wirklichkeit. Die grundlegende Unterscheidung zwischen eigentlicher und analoger Erkenntnis (cognito propria und cognitio analogica) - der die ebenfalls grundlegende Unterscheidung im Bereich der Wirklichkeit entspricht, die Unterscheidung nämlich zwischen dem unserer Erkennntisart proportionierten Sein (die Welt) und dem absolut transzendenten Sein (das, was außerhalb unserer Erkenntnisart liegt, insofern sie von den Sinnes- oder Bewußtseinsdaten anhebt; freilich nicht außerhalb unserer uneingeschränkten Intentionalität als Frage nach dem Sein!) - hängt vom unterschiedlichen Weg ab, auf dem wir zum rationalen Urteil gelangen. Im Falle der cognitio propria fangen wir (letztlich) bei den Daten der Wirklichkeit an, die es zu erkennen gilt, und vermögen das Urteil zu fällen durch eine kritisch-nachprüfende Rückkehr vom Begriff zu diesen Daten. Das unserer Erkenntnis proportionierte Sein ist also das, was erfahren, verstanden und bejaht werden kann. Im Falle der cognitio analogica gehen wir von den Daten einer anderen Wirklichkeit aus als von der, die es zu erkennen gilt, bilden einen (bloß) analogen Begriff der intendierten Wirklichkeit und gelangen zum Urteil kraft einer kritischen Rückkehr vom Begriff der absolut transzendenten Wirklichkeit zur schon als existierend erkannten proportionierten Wirklichkeit, von der wir ausgegangen sind. Es ist der bekannte Weg von der Welt zu Gott, wobei Gott als die letzte Erklärung der Welt erkannt wird. Entscheidend in der Diskussion um den ontologischen Gottesbeweis ist, daß in beiden Fällen (also in allen Fällen von Erkenntnis der Wirklichkeit) das Wahrheits- und damit das Wirklichkeitskriterium ein und dasselbe ist: eben das rationale Urteil. Verschieden ist der Weg, auf dem wir zum Urteil gelangen, insofern die absolut transzendente Wirklichkeit zwar intelligent gedacht und rational bejaht, aber prinzipiell nicht erfahren werden kann. 14 Vgl. die Lehre THOMAS': "proprie loquendo veritas est in intellectu component« et dividente", in: Summa Theologiae I, q. 16, a. 2. "Compositio et divisio" ist die geläufige Bezeichnung des Urteils bei Thomas, die auf die Aristotelische Auffassung vom Urteil als "synthesis noematon" zurückgeht (De anima, , 6: 430a 27 0. In der Tat ist diese Redewendung unzulänglich und auch irreführend. Aber Thomas weiß, daß das Urteil eigentlich nicht in der Synthesis des Subjeks mit einem Prädikat, sondern in der absoluten Setzung der mentalen Synthesis besteht. Vgl. dazu Bernard LONEBGAN, Verbum. Word and Idea in Aquinas, Notre Dame U. P. 1967, 48-66.

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Findet unsere Erkenntnis der Wirklichkeit durch eine dreigliedrige Struktur statt, die im Urteil gipfelt, dann ist ohne weiteres klar, daß wir durch die bloße Konzeption Gottes als ens realissimum und durch die richtige (!) Einsicht, daß in einem solchen Wesen die Existenz eingeschlossen ist, ja daß dieses Wesen seine eigene Existenz selbst ist, noch keine Erkenntnis haben, daß das so gedachte Wesen auch wirklich existiert. Kurzum: Wir können die Existenz Gottes nicht durch den Begriff Gottes allein erkennen, weil wir überhaupt kein Seiendes (auch nicht die Weltdinge!) durch den Begriff (und noch weniger durch die Erfahrung) allein erkennen. Es ist wohl wahr, daß der richtige Begriff Gottes schon dessen Existenz einschließt (darin unterscheidet er sich vom Begriff aller anderen Seienden). Aber wir können die Struktur unserer Erkenntnis nicht überspringen, die zwar im Begriff die Wirklichkeit denkt, sie aber erst im Urteil und durch das Urteil erkennt. Nun aber liefert der Begriff für sich allein (auch unser endlicher Begriff des Unendlichen!) keinen zureichenden Grund für ein Existenzurteil M. In demselben Sinne verstehe ich die Thomanische Widerlegung Anselms. Thomas hält dem Anselmianischen Beweis aus der Definition Gottes als "id quo maius cogitari non possit" entgegen, daß daraus allein noch nicht feststeht, ob das so Gedachte "in rerum natura" ist, oder "in apprehensione intellectus tantum" **. D. h. also: Auf Grund

* Ich bin deshalb mit SCHMUCKES einverstanden, wenn er schreibt: "wir müssen sie [die Seinsweise Gottes] in den Begriffen des Endlichen denken, durch die wir die Differenz von Dasein und Sosein nicht überspringen können. Folglich ist für alle unsere begrifflichen Vorstellungen, auch für die des ens perfectissimum, das Verhältnis zwischen Dasein und Wesenheit synthetisch (Dasein ist kein Prädikat), und das hat wiederum zur Folge, daß wir auch das ens perfectissimum als nicht existent denken können, ohne uns zu widersprechen" (Die Frühgestalt des Kantischen ontotheologischen Arguments in der Nova dilucidatio und ihr Verhältnis zum EmBg von 1762, in: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, hrsg. von H. Heimsoeth u. a., Hildesheim 1967, 56, Anm. 34). Unter Existenzurteil verstehe ich ein Urteil, das im uneingeschränkten Horizont unserer Intentionalität als Horizont des Seine gefallt wird. Ein solches Urteil ist nur möglich, wenn der Erkenntnisprozeß von den Daten der Sinne oder des Bewußtseins ausgeht und durch die Rückkehr zu denselben die in ihnen erfaßte Intelligibilität nachprüft. Die Urteile, die auf der Grundlage von Definitionen, Suppositionen, Setzungen von welcher Art auch immer gefällt werden, werden in dem begrenzten Horizont gefällt, der durch diese Setzungen bestimmt wird und vermitteln als solche keine Erkenntnis der Wirklichkeit. Man denke z. B. an die mathematischen Urteile oder an die Urteile eines hypothetisch-deduktiven Systems. Vgl. dazu B. LONEBGAN, "Metaphysics as Horizon", in: Collection, 191 f. * THOMAS VON AQUIN, Summa Theologiae I, q. 2, a. l ad 2.

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unserer Einsicht allein hat der Überschritt von der Immanenz der Erkenntnis zur Transzendenz eines als existierend erkannten Seienden noch nicht stattgefunden. Wie können wir diesen entscheidenden Schritt tun? Darüber läßt Thomas seine Leser nicht im unklaren. Bei der Behandlung der Frage: "Utrum in Deo sit idem essentia et esse", also dort wo genau die Auffassung Gottes zur Debatte steht, die den ontologischen Gottesbeweis zu unterstützen scheint, antwortet Thomas auf die Frage, wie wir erkennen, daß Gott ist: "scimus enim quod haec propositio quam formamus de Deo, cum dicimus Deus est, vera est". Und wie kommen wir zur Erkenntnis der Wahrheit dieses Satzes? Die Antwort lautet: "Et hoc scimus ex eius effectibus, ut supra dictum est" " - "aus seinen Werken" sagte Crusius M. Nach dieser Stelle wissen wir um das esse Dei im Sinne des "actus essendi" durch das esse des Satzes M. M. a. W. das "ist" des Urteils ist das intentionale Korrelat des Seins, das das Kompositum aus Materie und Form (im Falle der Weltdinge) in die Existenz setzt. Die These, daß wir uns überhaupt (und nicht nur im Falle der absolut transzendenten Wirklichkeit) mit dem bloßen (!) Urteil als Wirklichkeitskriterium "zufrieden" geben müssen, bedeutet in der Tat die Aufforderung dazu, den Mythos der Anschauung nach dem Modell der sinnlichen Anschauung (Vgl. KrV A 19) fallen zu lassen, um die Rationalität des Urteils als das menschliche "Sehen" der Wirklichkeit anzuerkennen. Dies ist es ja, was jeder Mensch im Vollzug tut, wenn er um die Wirklichkeit wissen will, einschließlich des Lesers dieser Seiten, der darauf aus ist, diejenige Wirklichkeit zu erreichen, die unsere Erkenntnis selbst ist.

97 THOMAS VON AQUTN, Summa theologiae I, q. 3, a. 4 ad 2. Vgl. auch den sehr klaren Paralleltext in der Summa contra GentUes, II, Kap. 12, Nr. 78. " CausnjB, Metaphysik, § 235. Vgl. oben Fußnote 30. " THOMAS sagt an dieser Stelle, daß das esse des Satzes, d. h. des Urteils "significat compositionem propositionis". Weiter oben, Fußnote 34, habe ich schon die Unzulänglichkeit dieser Bezeichnung des Urteile besprochen. Der Setzung eines Dinges in sich selbst durch seinen actus essendi entspricht die Setzung der mentalen Synthesis (compositio) im Urteil. Zur Entsprechung zwischen dem esse des Urteils und dem esse des Dinges (so daß das erstere uns die Erkenntnis des anderen vermittelt) vgl. wiederum die Parallelstelle in Contra Gentiles, II, Kap. 12. Nr. 78.

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b) Liegt dem Cartesianischen Gottesbeweis ein konstruktiver Begriff zugrunde, oder fehlt ihm der Beweis, daß der Begriff wahr ist? Der zuletzt angeführte Text, der in der Erkenntnis- und Seinslehre Thomas' wurzelt, genügt meiner Meinung nach, um die Vereinnahmung Thomas' durch Schmucker zu widerlegen: "Auch bei dem Aquinaten ist also der entscheidende Einwand, daß es sich bei ihm [dem Begriff Gottes als ens quo maius cogitari non possit], gerade auch sofern er das Dasein einschließt, um einen konstruktiven Begriff von bloß subjektiver Bedeutung handelt oder handeln könnte (in apprehensione intellectus tantum) und daß deshalb aus ihm für die objektive, vom Denken unabhängige Ordnung des Seins nichts gefolgert werden kann, außer man beweist zuvor seine Wahrheit bzw. objektive Gültigkeit" * Soviel ich verstehen kann, erfolgt die Argumentation Schmuckers auf zwei Wegen: (1) Der in Frage stehende Gottesbegriff ist ein konstruktiver Begriff, der als solcher bloß subjektive Bedeutung hat, und dem deshalb (d. h. wegen dieser Eigenschaft) keine Wirklichkeit entsprechen kann. Insofern Schmucker dies meint - und dies ist der Fall an allen Stellen, wo er behauptet, Kant halte den Cartesianischen Beweis für unschlüssig eigentlich nicht wegen des sog. logischen Fehlers, sondern von vornherein wegen des Begriffes, von dem er ausgeht - übergeht er einfach die Widerlegung Kants, so wie sie nun einmal in der Prop. VI lautet und ist. (2) Der in Frage stehende Gottesbegriff ist ein konstruktiver Begriff und deshalb kann seine objektive Bedeutung, d. h. daß ihm eine Wirklichkeit entspricht, nur dann behauptet werden, wenn seine Wahrheit bewiesen wird. Nach dieser zweiten Interpretation ist die Konstruktivität des Begriffes nicht der Grund, um seine objektive Bedeutung zu bestreiten und damit einen Beweis dieser objektiven Bedeutung a limine auszuschließen. Insofern nun Schmucker dies meint, weist er auf eine Eigenschaft hin, die nicht nur für den Got-

SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 19.

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tesbegriff, sondern für alle unsere Begriffe gilt41. Für alle gilt es, daß man ihre objektive Bedeutung nur dann behaupten kann, wenn man ihre Wahrheit bewiesen hat. Genau dies ist die Funktion der dritten Phase in der menschlichen Erkenntnis: die kritische Phase, die durch die Frage, ob es so ist, eingeleitet wird, und die zur absoluten Position des Urteils fuhrt, in dem wir allererst erkennen, daß dem Begriff eine Wirklichkeit entspricht. Dies ist die Interpretation des Begriffes, die der traditionellen Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises zugrundeliegt. Demnach schreibt Kant im 5. Satz seiner Widerlegung: Wenn die im voraus gebildete Notion wahr ist, so ist auch wahr, daß Gott existiert. Nun aber vermißt man im ontologischen Gottesbeweis genau den Beweis der Wahrheit des Begriffes ens realissimum. Demnach ist der Einwand Thomas' gegen Anselm der, daß die Wahrheit des Begriffs "ens quo maius cogitari non possit", und damit die Wahrheit der Aussage: "Deus est", sich uns nur auf dem Weg der als existierend erkannten Welt erschließt.

c) Zum "logischen" Einwand gegen Descartes In seiner Erörterung der Kantischen Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises in der Nova dilucidatio nennt D. Henrich den von 41 Natürlich weist der Gottesbegriff eine eigene Konstruktivität auf, insofern er ein analoger Begriff ist. Aber dies macht prinzipiell keinen Unterschied zu den eigentlichen Begriffen (conceptus proprii) hinsichtlich des hypothetischen Charakters des Begriffes als solchen. Wenn Schmucker folgenden Unterschied zwischen dem Existenzurteil bezüglich Gottes und den Existenzurteilen bezüglich der Dinge im Bereich unserer Erfahrung aufstellt: "Hier ist die Existenz des im Begriff vorgestellten Wesens problematisch und muß erst bewiesen werden, während sie in den anderen Fällen eben durch den Ursprung des Begriffes, als eines aus der Erfahrung gewonnenen, selber unmittelbar gewährleistet ist" (SCHMUCKES, "J. Moreaus Interpretation der Kantischen Gottesbeweiskritik in «Le Dieu des philosophes»", in: Archiv für Geschichte der Philosophie 54 (1972) 70), verrät er eine gravierende Unklarheit über die Funktion des Begriffs in unserem Erkenntnisprozeß. Daß (alle!) unsere Begriffe letztlich aus der Erfahrung gewonnen werden, und zwar mittels des Aktes, den Thomas Aristoteles folgend "intelligere in sensibili" nennt, ist keine Garantie dafür, daß der Begriff wahr ist und somit, daß er schon allein die Erkenntnis des Existierenden vermittelt. Denn neben dem Verstehen der Daten gibt es prinzipiell immer die Möglichkeit, sie mißzuverstehen. Die kritische Phase der Überprüfung des Begriffs auf die Daten hin, die zum Urteil führt, läßt sich nicht umgehen. Darin gibt es keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Existenzurteilen. Die Erfahrung allein vermittelt keine Erkenntnis der Wirklichkeit; dies tut sie nur als konstitutives Moment des rationalen Urteils (vgl. Fußnote 20).

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Kant erhobenen Einwand den "logischen Einwand". Diese Stelle sei "die einzige des ganzen Kantischen Werkes, in der dieser Einwand zu finden ist" u. Mit dieser Bezeichnung meint Henrich wohl den Einwand, daß der ontologische Gottesbeweis unzulässigerweise von der Bestimmung der Existenz Gottes (infolge des zugrundegelegten Gottesbegrüfs) "idealiter" zur Bestimmung der Existenz "realiter" übergeht. Im selben Sinne bemerkte schon Crusius, der Schluß sei "in forma nicht richtig, sondern ein Syllogismus mit vier Terminis", insofern der Terminus Existenz in der "Grundproposition" die Existenz im Verstande meint, während "in der Conclusion von der realen Existenz die Rede ist" **. Mit dieser Benennung Henrichs, die dann von anderen Autoren übernommen wurde, bin ich einverstanden, insofern man damit meint, daß der ontologische Gottesbeweis deshalb unschlüssig ist, weil er beansprucht, durch den Begriff allein (zumindest im Falle des Gottesbegriffs) eine Wirklichkeit erkennen zu können. Die Redewendung "logischer" Einwand weist auf die Doppeldeutigkeit des Terminus Existenz im Syllogismus hin, mit dem der Beweis formalisiert werden kann. Aber der letzte Grund der Unschlüssigkeit des ontologischen Gottesbeweises liegt darin, daß er gegen die Grundstruktur der menschlichen Erkenntnis verstößt, in der das Denken nie die Erkenntnis der Wahrheit vermittelt. Der Syllogismus des ontologischen Gottesbeweises ist ein logischer Trugschluß, weil er gegen die transzendentale Struktur der menschlichen Erkenntnis verstößt. Es geht also um mehr als bloß um formale Logik.

' HKNBICH, Der ontologische Gottesbeweis, 181 f. 1 CBUHTOB, Metaphysik, § 235.

IV. Kapitel Die erste Fassung des ontotheologischen Beweises Literatur Vgl. die Sekundärliteratur zur Nova dilucidatio zu Beginn des II. Kapitels: Campo und Tonelli. Außerdem: Schmucker, Josef, Die Originalität des ontotheologischen Argumentes gegenüber verwandten Gedankengängen bei Leibniz und in der Schulphilosophie der Zeit, in: Kritik und Metaphysik (Festschrift H. Heimsoeth), hrsg. von Fr. Kaulbach und J. Ritter, Berlin 1966, 120-133. Ders., Die Frühgestalt des ontotheologischen Arguments in der Nova Dilucidatio und ihr Verhältnis zum «Einzig möglichen Beweisgrund» von 1762, in: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, hrsg. von H. Heimsoeth, D. Henrich und G. Tonelli, Hildesheim 1967, 39-55. Ders., Die Ontotheologie des vorkritischen Kant (KS EH 112) Berlin 1980, 11-49. Finder, Tillmann, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit. Untersuchungen zur Vorgeschichte der "transzendentalen Theologie", Berlin 1969. Diese vorzügliche Dissertation liefert eine gründliche Untersuchung des Gottesbeweises von Prop. VII der Nova dilucidatio (47-147), in der auf Leibniz und die Wolffsche Schule zur Klärung des Kantischen Textes zurückgegriffen wird.

Wenn auch das Prinzip vom Grunde im Sinne einer ratio antecedenter determinans, also im Sinne eines Seinsgrundes, auf das absolut Daseinsnotwendige nicht anwendbar ist, ist es doch im Sinne einer ratio consequenter determinans, also im Sinne eines Erkenntnisgrundes auf dasselbe anwendbar. Kant ist demnach gegen Crusius der Meinung, daß ein Gottesbeweis a priori möglich ist. Dieser von Kant als Alternative zu Descartes entwickelte Beweis geht vom Möglichen als Mögliches aus und schließt auf ein notwendiges Dasein. Ausgangspunkt ist nicht der Begriff der Möglichkeit Gottes (sein Wesen), wie in der Neuzeit Descartes versucht hatte, sondern die ontologische Möglichkeit der Dinge.

Der ontotheologische Beweis

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Dieser Beweis Kants hat in der Nova dilucidatio keine eigene Bezeichnung; im EmBg (A 199 = II 160) erhält er die Bezeichnung "ontologischer" Beweis. Da aber Kant selber als erster in der KrV den von ihm sonst genannten Cartesianischen Beweis als "ontologischen" Gottesbeweis getauft (A 591), und da diese Bezeichnung sich weitgehend durchgesetzt hat, werde ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, den Kantischen apriorischen Gottesbeweis in den Schriften von 1755 und 1762 "ontotheologischen" Beweis bzw. "Ontotheologie" nennen. Kant selbst hat zumindest einmal diesen Terminus für seinen eigenen Beweis benutzt, nämlich in der R 4647 von 1773 1. 1. Der ontotheologische Beweis Kants These lautet: "Es gibt ein Seiendes, dessen Dasein selbst seiner eigenen und aller Dinge Möglichkeit vorangeht, das demnach als unbedingt notwendig daseiend bezeichnet werden kann. Es wird Gott genannt" (Prop. VII: I 395 f). a) Vom Realinhalt des Möglichen zur notwendigen Existenz desselben Inhalts Ausgangspunkt der Ontotheologie ist das Mögliche als Mögliches, also die Möglichkeit der Dinge, die wir in ihrem Status von Möglichkeit, vorgängig zu ihrer Existenz, denken können. Dabei ist wichtig, daß der Ausgangspunkt des Beweises der Realgehalt oder objektive Gehalt unserer Möglichkeitsbegriffe ist und nicht formal die Möglichkeit des Denkens oder des Gedankens, wie mehrere Autoren das Argument Kants mißverstanden haben.

1

In der KrV A 632, als einziger Stelle in den Druckschriften Kants, kommt der Terminus Ontotheologie als Unterteilung der transzendentalen Theologie vor, um den traditionellen Anselmianisch-Cartesianischen Gottesbeweis zu bezeichnen. Dieselbe Bezeichnung ist in den Vorlesungen über Rationaltheologie geläufig: XXVIII, 598, 692, 824, 1013-1047, 1155 ff, 1249 ff, und auch in der R 6214. In den Vorlesungsnachschriften finden sich auch gelegentliche Erwähnungen des apriorischen Gottesbeweises Kants: XXVIU 132 f, 917 f (Metaphysik Herder), 1033 f (Philosophische Religionslehre Pölitz).

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In seiner Analyse des Begriffs vom Möglichen unterscheidet Kant zwei Elemente, die wir das Formale und das Materielle der Möglichkeit nennen können a. Unter dem Formalen der Möglichkeit wird hier die Zusammenfügung und Vergleichung der nachher genannten "Realien" verstanden, d. h. also eine Verstandeshandlung, die sich nicht in einem bloß logischen Moment erschöpft (Feststellung der Nichtrepugnanz durch Vergleichung), sondern ein grundlegendes synthetisches Moment einschließt. Im folgenden Scholion sagt Kant, daß unsere Möglichkeitsbegriffe "combinando, limitando, determinando" entstehen. In der Prop. X. spricht er von einem "formale idearum" (im Unterschied zum "materiale idearum"), das "in der Kombination der Begriffe besteht" (I 408). Das so verstandene Formale der Möglichkeitsbegriffe setzt ein "Reale" voraus, näherhin Realien, die "zu Gebote" stehen müssen. Dieses Reale ist als solches an sich bestimmt, und zwar so, wie es in der Schulontologie verstanden wurde: Es ist das metaphysisch Positive im Gegensatz zur metaphysischen Verneinung (Mangel oder Begrenzung der Realität) 3. Dies erhellt an unserer Stelle schon daraus, daß der Inbegriff aller Realien eine "omnimoda realitas" im Sinne einer durchgängig bestimmten Realität ausmacht, wie wir sehen werden. Das so verstandene Reale der Möglichkeitsbegriffe wird von Kant auch, eher beiläufig, Materiale genannt: "velut materiale" (I 395, Z. 15 f). Aber welche genau diese Elementarinhalte sind, aus denen unsere Möglichkeitsbegriffe, die Begriffe der verschiedenen Wesenheiten, entstehen, wird von Kant nirgends näher angegeben *. Der erste Schritt des ontotheologischen Beweises schließt daraus, daß in allen Begriffen des Möglichen ein uns gegebenes Reale enthal* Diese Terminologie hat Kant selbst im EmBg, I. Abtig., 2. Betrachtung, Nr. 2 eingeführt. Allerdings ist der Sinn der Distinktion an beiden Stellen nicht der gleiche! Dies hängt mit der Umwandlung zusammen, die der ontotheologische Beweis in seiner zweiten Fassung erfahren hat. Vgl. PDJDEB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit,3 182-189. Vgl. MAIER, Kants Qualitätskategorien, die ersten zwei Kapitel; BAUMGAHTEN, Metaphysica, § 36, wo das "reale" von den "determinationes" her definiert wird, und §§ 135 ff. 4 Im EmBg, I. Abt., 1. Betrachtung, Nr. 2, wo Kant versucht, positiv den Begriff vom Sein als Position zu klären, spricht er von "unauflöslichen Begriffen", in die "unsere gesamte Erkenntnis ... endigt". Weiteres erfahren wir auch dort nicht. Ebenfalls in der kurz danach verfaßten Preisschrift über die "Deutlichkeit der Grundsätze" ist bloß von ungemein vielen "unauflöslichen Begriffen" oder "Elementarbegriffen" die Rede: A 75 f = II 280.

Der ontotheologische Beweis

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ten ist, auf das Dasein dieses gegebenen Realen: "sequitur, quod nihil tanquam possibile concipi possit, nisi, quicquid est in omni possibili notione reale, exsistat". Unserem Verstand kann nicht zum Denken gegeben werden, was nicht existiert - so argumentiert Kant. Mehr noch, das Dasein der Realgehalte unserer Möglichkeitsbegriffe ist ein absolut notwendiges Dasein. Dieser für einen Gottesbeweis entscheidende Schloß auf die notwendige Existenz der Möglichkeitsinhalte wird seinerseits wie folgt begründet: "da, wenn man davon [von dieser Existenz des Materialen des Möglichen] abgeht, es überhaupt nichts Mögliches, d. h. nur Unmögliches gäbe". Was bedeutet dieses "nihil omnino possibile, h. e. nonnisi impossibile foret"? Über den genauen Sinn dieser Aussage - den springenden Punkt des ontotheologischen Beweises - gehen die Meinungen der Kommentatoren auseinander. Tonelli und andere vermuten hier die Vermengung zweier verschiedener Begriffe: Wenn kein Datum vorliegt, so gibt es evidentermaßen nichts Mögliches, keine Möglichkeit". Dies aber, so Tonelli, sei nicht dasselbe wie Unmögliches im Sinne vom Widersprüchlichen. Wo nichts vorliegt, dort kann es auch keinen Widerspruch geben. Es gibt schlechterdings nichts - und damit basta. Jedenfalls würde nach dieser Interpretation der nervus probandi für Kant darin liegen, daß sich aus der Verneinung der notwendigen Existenz der Realgehalte unserer MöglichkeitsbegrifFe ein Widerspruch ergibt. Gegen die genannte Interpretation weist Schmucker darauf hin T, daß das Argument Kants vom Materialen der MöglichkeitsbegrifFe ausgeht, nicht vom Formalen derselben (ihrer Widerspruchsfreiheit). Deshalb kann das in Frage stehende "impossibile" schwerlich "Widersprüchliches" bedeuten; man muß es im Sinne einer Jfea/unmöglichkeit, als das Korrelativ zur absoluten ÄeoZnotwendigkeit, verstehen. Unter Realnotwendigem versteht Kant in seiner zweiten Fassung der Ontotheologie das, dessen "Nichtsein das Materiale zu allem Denkli-

e

Vgl. TOMELU, Elementi, 138 f. ' In diesem Sinne hatte schon CBUSIUS dahingehend argumentiert, daß das Wirkliche der Natur nach dem Möglichen vorhergeht: "Denn wenn nichts Wirkliches wäre: so wäre auch nichts Mögliches, weil alle Möglichkeit eines noch nicht existierenden Dinges eine Kauaalverknüpfung zwischen einem Existierenden und zwischen einem noch nicht existierenden Ding ist" (Metaphysik, § 67). 7 SCHMUCKER, Ontotheologie, 48 f.

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chen und alle Data dazu aufhebt" (EmBg, A 28 = II 82). Nach dieser Interpretation beweist also Kant die notwendige Existenz dessen, was die ontologische Dimension des Möglichen überhaupt begründet, dadurch, daß die Verneinung des so Notwendigen, alle Möglichkeit des Seins (und des Denkens) radikal vertilgen würde *; eine solche Verneinung hätte das völlige Nichts zur Konsequenz. Das Nichts aber ist, nach Kant, unmöglich! Anders gesagt: Die Aufhebung der Möglichkeit des Möglichen bedeutet schlechthinnige Unmöglichkeit. Also ist ihr Gegenteil (nämlich das schlechthin notwendig Existierende als Grund des Möglichen) absolut notwendig. Als Hebel des Schlusses der Beweisführung dient der Grundsatz: "Necessarium est. cuius oppositum est impossibile" e. Diese Interpretation, die dem Grundgedanken der Kantischen Ontotheologie gerechter wird, wirft folgende Frage auf. Der Beweis scheint darauf zu beruhen, daß die ÄeaZunmöglichkeit unmöglich ist. Warum aber ist das völlige Nichts (= kein Existierendes und deshalb auch kein Mögliches) unmöglich? Warum ist die Aufhebung aller Möglichkeit absolut unmöglich? Auf diese Frage soll später im Zusammenhang mit dem EmBg, I. Abtig., 2. Betrachtung, Nr. 3 eingegangen werden 1 .

b) Die notwendig existierenden Realgehalte der Möglichkeiten machen das unendliche und einzige Wesen aus, das wir Gott nennen Der erste Schritt hat bewiesen, "daß die Materialgehalte des Möglichen absolut notwendig existieren müssen, damit sie unserem Denken als objektive Realgehalte zur Bildung unserer Möglichkeitsbegriffe gegeben sein können" ". Der zweite Schritt schließt von den absolut notwendig existierenden Realien der Möglichkeitsbegriffe darauf, daß sie alle in einem einzigen Wesen vereinigt sein müssen, d. h., wie

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SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 40. ' BAUMGABTEN, Metaphysica, § 101. Vgl. SCHMUCKER, "Die Originalität des ontotheologischen Arguments", 131. u Vgl. weiter unten, Kap. VII, Exkurs zur Unmöglichkeit des Nichts. 11 SCHMUCKES, Ontotheologie, 22.

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Kant gegen Ende der Prop. VII sich ausdrückt, "in Deo". Also gibt es das ens absolute necessarium, das Gott genannt wird, wie es in der Formulierung der Proposition heißt. Der Beweisgang, der im zweiten Abs. durchgeführt wird, geht aus von der schon bewiesenen absoluten Notwendigkeit der Realien unserer Möglichkeitsbegriffe und schließt auf die Unendlichkeit und Einzigkeit des Seienden, in dem sie vereinigt sind.

b 1) Die Unendlichkeit des notwendigen Daseins Die Überleitung vom ersten zum zweiten Schritt geschieht durch die Aussage: "Porro omnimoda haec realitas in ente unico adunata sit necesse est". Diese Bezeichnung des notwendigen Daseins hat zunächst einen bloß vorwegnehmenden Sinn. Existieren kann nur das, was "singulare" ist, wobei Individualitätskriterium für die Schulphilosophie die "omnimoda determinatio" (durchgängige Bestimmung) ist a. Da nun das zur Debatte stehende notwendig Existierende das "reale" ist, erklärt sich, warum Kant die "omnimoda determinatio" des ens necessarium eine "omnimoda realitas" nennt. Die Frage ist die, ob diese "omnimoda realitas" eine (die!) AZ/-Realität ist, d. h. ob sie das "possibilium omnium conceptuum ... materiale" (I 395, Z. 15 f) umfaßt und damit eine unendliche (d. h. uneingeschränkte) Realität ist. Der Beweis der Unendlichkeit des notwendigen Daseins wird wie folgt geführt. Wenn die existierenden Realgehalte auf mehrere Existierende verteilt wären, so wäre jedes dieser Seienden durch Privationen eingeschränkt (in jedem von ihnen würde ja die Realität der anderen fehlen). Den Privationen aber kann die absolute Notwendigkeit nicht zukommen; ja ihnen als Nichtseienden kommt direkt keine Seinsnotwendigkeit zu ". Andererseits gehören diese verschiedenen Privationen zu jedem der mehreren angenommenen endlich Seienden als deren Bestimmungen, weil nur das bis zur Individualität durchgängig Bestimmte existieren kann. Infolgedessen sind die Seienden, auf die die notwendig existierenden Realgehalte verteilt sind, wegen u u

Vgl. WOUP, Ontologia, § 229; BAUMGAKTKN, Metaphysica, § 148. Vgl. Baumgarten, Metaphysica, §§ 137 f und 255-258.

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der ihnen zukommenden (kontingenten) Privationen, selber Kontingent. Dies ist aber widersprüchlich. Also ist die am Anfang gemachte Annahme falsch. Die notwendig existierenden Realgehalte sind deshalb alle in einem unendlichen Ding vereinigt.

Exkurs: Die unserem Verstande gegebene "alle Realität" Der Beweis der Unendlichkeit des notwendigen Daseins geht von der Voraussetzung aus, daß die Realien, die uns als Stoff zu unseren möglichen Begriffen gegeben sind, das All der Realität sind. Worauf beruht diese Voraussetzung, daß alle Realität unserem Verstande gegeben ist? In der Prop. X spricht Kant, Leibnizianisch, von einer "infinita, quae semper animae interne praesto est, quanquam obscura admodum totius universi perceptio" (I 408). Und noch in der späteren Schrift über die "negativen Größen" heißt es: "Die Seele befaßt das ganze Universum mit ihrer Vorstellungskraft" (A 62 = II 199). Inhalt der unendlichen Vorstellung unserer Seele sind nach Kant nicht die wechselnden Weltzustände, d. h. die Wesenheiten, die die Seele selbst "notionum combinatione" hervorbringt, sondern das ihnen zugrundeliegende Reale. Deswegen kann er schreiben: das "materiale idearum ... manet idem" (I 408). Der "infinita ... totius universi perceptio" muß nun die Unendlichkeit des Weltalls, näherhin der Materie, entsprechen. In der Tat ist dies eine der Grundlehren der im selben Jahr veröffentlichten "Naturgeschichte". Im 7. Hauptstück des II. Teils schreibt Kant folgendes: Die "Grundmaterie", aus der "in einer Folge der Zeit" nach und nach die Einrichtungen des Weltgebäudes entstehen, "ist eine unmittelbare Folge des göttlichen Daseins: selbige muß also auf einmal so reich, so vollständig sein, daß die Entwickelung ihrer Zusammensetzungen in dem Abflüsse der Ewigkeit sich über einen Plan ausbreiten könne, der alles in sich schließt, was sein kann, der kein Maß annimmt, kurz, der unendlich ist" (A 107 = I 310). Wir haben also bei Kant eine enge Verbindung von Unendlichkeit des Realen unserer Vorstellungen, Unendlichkeit des Weltalls und Unendlichkeit Gottes. Aus dieser metaphysischen Unendlichkeitslehre erhellt, wieso Kant im ontotheologischen Beweis die Realität, die uns gegeben sein muß, damit wir uns durch synthetische Handlungen die

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Möglichkeiten vorstellen können, ohne weiteres als eine Allrealität versteht, die uns gegeben ist. Von dieser Annahme her schließt er (d. h. schließt er zurück!) im Gottesbeweis auf die Unendlichkeit des absolut notwendigen Daseins. Die hier festgestellte Lehre von der Unendlichkeit des Inhalts unseres Denkens, des Universums und des Schöpfers, weswegen Kant von dem einem zum anderen fast unmerklich übergeht - so z. B. von der Notwendigkeit des Realen als Stoff der Begriffe zur Notwendigkeit des Realen selbst, so daß dieses göttlichen Charakter annimmt -, erklärt den Umstand, daß viele Kantforscher einen pantheistischen Zug im ontotheologischen Beweis der Nova dilucidatio herausgestellt haben. Derselbe Zug ist gewiß der Hauptgrund gewesen, warum Kant seine zweite Version der Ontotheologie in der Schrift von 1762 trotz des gleichlaufenden Gedankengangs an entscheidenden Lehrstücken geändert hat. Die Grundperspektive der Nova dilucidatio als Beweis der notwendigen Existenz des Realen der Möglichkeiten, die die Göttlichkeit aller Realität nahelegt, wurde durch den Begriff vom Realgrund umgangen. Der Begriff vom ens infinitum, in dem die "durchgängige Realität" vereinigt vorliegt, wurde durch die Anwendung der Lehre von der Realrepugnanz in seinem Inhalt geläutert und durch den Aufweis seiner Geistigkeit vom Realen der materiellen Welt deutlich unterschieden und zugleich mit der Physikotheologie als Beweis einer verständigen Erstursache in Verbindung gesetzt ".

b 2) Die Einzigkeit des notwendigen Daseins. Nehmen wir an, daß es mehrere Individuen als unendliche Wesen gäbe. Nun aber ist die Zahl dieser Individuen nicht vom Wesen eines unendlich Seienden festgelegt, sondern nur als eine beliebige denkbar. Dies aber widerspricht der bereits bewiesenen absoluten Notwendigkeit der Existenz. Der hier entwickelte Unizitätsbeweis findet sich in dieser Form bei Kant nur in der vorliegenden Prop. VII. In seiner deutschen Metaphysik (§ 1080) hatte Wolff im Anschluß an Leibniz' Monadologie, §

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Vgl. PBTOKB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 151.

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39, bewiesen, daß es nicht nötig ist, mehr als einen Gott anzunehmen, aber nicht, daß eine Mehrzahl unendlicher Wesen unmöglich ist. Daher hatten Bilfinger und andere Wolffianer versucht, die Einzigkeit Gottes positiv aus dem Begriff Gottes als ens a se zu beweisen, vielfach durch den Rekurs auf das ontologisch verstandene principium indiscernibilium (Vgl. z. B. Baumgartens Metaphysica, § 846). Kant geht hier einen eigenen Weg. Eine Vielheit unendlicher Dinge wäre eine einigemale gemachte Wiederholung, sie würde also Kontingenz bedeuten. Ist nun diese rein numerische Vervielfachung beliebig ("pluralitas, si quam fingas"), so ist die Nichtexistenz der weiteren unendlichen Dinge denkbar, während die Nichtexistenz des ens absolute necessarium derart ist, daß, wie in der Prop. VI. bewiesen, "oppositum cogitabile plane non est". Auf Grund seines Begriffes vom ens necessarium vermag Kant also, aus der Beliebigkeit der Vervielfachung desselben die Kontingenz solcher fingierten entia infinita abzuleiten, und damit sie auszuschließen. Demnach lautet die Schlußfolgerung: "Datur itaque Deus et unicus, absolute necessarium possibilitatis omnis principium".

2. Scholion Das Scholion erörtert drei Fragen, die mit dem vorstehenden Beweis zusammenhängen.

a) Ein "maxime essentialis" Gottesbeweis Der hier entwickelte Beweis der Existenz Gottes ist "so wesentlich er nur dafür sein kann", da er sich auf das ursprünglichste Belegstück, nämlich die Möglichkeit der Dinge selber, stützt. Im Gegensatz zum klassischen, von Wolff "sehr in Ansehen gebrachten" (EmBg A 194 = II 157) Kontingenzbeweis, der die Existenz der Welt oder zumindest unseres Ich voraussetzt, greift die Ontotheologie zur Möglichkeit als einer "ontologischen Dimension, die der Ordnung der Existenz der Welt und der denkenden Personen metaphysisch vorangeht und von

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ihr unabhängig ist" 1 . Dieser Vorrang der Möglichkeit gegenüber der Wirklichkeit ist nach Kant ein solcher, daß, während es durchaus möglich ist, daß nichts Kontingentes existiert, es unmöglich ist, daß das Mögliche nicht möglich ist. Nun aber wäre das Mögliche gerade nicht möglich, wenn ein ens absolute necessarium nicht existierte. Also ist es notwendig, daß Gott existiert, genau so wie (!) es notwendig ist, daß das (endliche) Mögliche möglich ist. Das zweite ist für uns die ratio consequenter determinans (Erkenntnisgrund) des ersteren. Obwohl der von Kant gelieferte Gottesbeweis "so wesentlich ist, wie er nur sein kann", ist er genau genommen kein "genetischer" Beweis. Der Begriff der genetischen Definition (!) bzw. einer Definition mittels einer ratio genetica findet sich öfters in den damaligen Handbüchern der Logik und Methodologie ". Eine solche Definition gibt an (allerdings mit Varianten bei den verschiedenen Autoren), wie ein Ding entsteht, und somit, wie es möglich ist. Daß der Terminus zwar in den systematischen Einteilungen der Zeit Geltung erlangt hatte, aber seine Bedeutung etwas schwankend war, erhellt auch schon aus seinem Gebrauch bei Kant. Im Scholion der Prop. V hat Kant die "ratio genetica" als dasselbe wie die "ratio antecedenter determinans" genommen. In diesem Sinne ist die ratio genetica eine ratio essendi vel fiendi (nach dem Schema der Prop. IV), und deshalb kann es sie in Gott, laut Prop. VI, nicht geben. Gibt es in Gott keinen Seinsgrund, dann ist von ihm auch kein genetischer Beweis möglich. Am Ende seiner ontotheologischen Argumentation im EmBg beurteilt Kant dennoch den Beweis "als recht genetisch", insofern er uns das Dasein Gottes aus demjenigen erkennen läßt, "was wirklich die absolute Notwendigkeit desselben ausmacht" (EmBg A 47 = II 91). Da also nach Kant seine Ontotheologie von ihrem Ansatz her die später so genannte "absolute Realnotwendigkeit" (im Unterschied zur bloß

* SCHMUCKKB, Ontotheologie, 272. u Vgl. Mariano CAMFO, Cristiano Wolff e U razionalismo precritieo, Milano 1939, I, 30-34. DEBS., La genesi del criticismo kantiano, Varese 1953, 120. TONEUJ, Elementi, 159 f, Anm. 67.

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"logischen Notwendigkeit") Gottes " einsehen läßt (EmBg, A 27 = II 82), wird sie in ihrer zweiten Fassung als "genetisch" eingestuft.

b) Nicht die Wesenheiten der Dinge, sondern das Materialprinzip derselben ist notwendig ("Hinc patet ... concipi plane non posset": I 395, Z. 29 - 396, Z. 2. Vgl. dazu, Schmucker, Ontotheologie, 21; Finder, Kants Gedanke, 7488) In einem zweiten Schritt erläutert Kant weiter, worin genau der Ansatz seiner Ontotheologie liegt. Da Kant von den möglichen Dingen ausgeht, könnte man meinen, der Ansatz liege in den Wesenheiten der Dinge. In einer bis auf Augustinus zurückgehenden Tradition hat man von den notwendigen Wesen oder Essenzen der Dinge gesprochen, die als Urbilder der Dinge (causae exemplares) oder ewige Wahrheiten in Gott - genauer im göttlichen Verstande - als dessen Ideen ihren Ort haben u. Kant bestreitet, daß die Wesenheiten in sich notwendig sind, weil er im Unterschied zu Wolff (für den die Wesenheiten mit dem Verstand Gottes verknüpft sind als dessen Vorstellungen) in diesem Kontext den göttlichen Verstand gar nicht in Betracht zieht. Die Möglichkeiten, von denen der Gottesbeweis in der Nova dilucidatio ausgeht, sind keine metaphysischen Prinzipien, die in einem unendlichen Verstande anzusiedeln sind; sie beruhen vielmehr auf materialen Prinzipien, die einem endlichen Verstande zu denken gegeben sind 19. Den Wesenheiten kommt deshalb nur eine bedingte Notwendigkeit zu in dem Sinne, daß, wenn wir z. B. uns ein Dreieck vorstellen, bestimmte Grundelemente in einer bestimmten Beziehung von ihm notwendigerweise ausgesagt werden müssen. Aber weder die reale Existenz noch das Denken eines Dreiecks ist notwen17

Gemäß dem schon zitierten Grundsatz BAUMGABTENS (Metaphysica, § 101) ist realnotwendig das, dessen Gegenteil unmöglich ist im Sinne der Aufhebung alles Möglichen; logisch notwendig ist das, dessen Gegenteil unmöglich ist im Sinne von Widersprüchlichem. u Vgl. bei WOLFF die Lehre, daß "essentiae rerum sunt necessariae", ja "absolute necessariae" (Ontologia, §§ 299-303). In der deutschen Metaphysik, § 975, heißt es: "deswegen ist eben etwas möglich, weil es von dem göttlichen Verstande vorgestellt wird". * PDTOEB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 97.

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dig, und damit sind die genannten Wesenheiten als je besondere Wesensbeziehungen nicht notwendig. Deshalb liefern sie keinen Ansatz für einen Aufstieg zum absolut Realnotwendigen. Kants Fragestellung setzt nicht bei den Wesenheiten als solchen, sondern tiefer beim Materialprinzip der Wesenheiten oder Möglichkeiten an: Wie kommt es, daß unserem Denken Denkinhalte zur Verfügung stehen, woraus dann unser Verstand Wesensbegriffe nach dem Widerspruchsprinzip bilden kann? Von hier aus gelangt Kant zu Gott "dem Quell aller Realität" M.

c) In Gott ist "exsistentia prior possibilitate" In den letzten drei Sätzen kommt Kant zum Thema Gott zurück. Ist Gott der "unbedingt notwendige Grund [principium] aller Möglichkeit", wie es unmittelbar vor dem Scholion gesagt wurde, so ist er als notwendig Existierendes auch Prinzip seiner eigenen Möglichkeit. Nur in Gott "geht die Existenz der Möglichkeit [Essenz] voraus, oder, wenn man lieber will, ist die Existenz mit der Möglichkeit identisch". Damit kehrt Kant, in einem gewissen Sinne, die Position eines Leibniz und eines Wolff um, für die das ens necessarium kraft seiner eigenen Möglichkeit existiert". Mit dieser letzten Bemerkung zieht Kant aus seiner Beweisführung eine Konsequenz, die einen Teil der am Anfang aufgestellten These betrifft; dieser Teil aber war bisher unberücksichtigt geblieben. Das Dasein Gottes geht nicht nur der Möglichkeit der Dinge, sondern auch seiner eigenen Möglichkeit voraus, so daß, wie es im EmBg heißt, "in seinem Dasein seine eigene Möglichkeit ursprünglich gegeben ist" (A 37 = II 86). Hierin liegt ein Gegensatz zum Cartesianischen Beweis, der die Existenz Gottes aus seiner Möglichkeit folgert.

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SCHMUCKES, "Die Originalität des ontotheologischen Arguments", 123-127. LEIBMZ, De la demonstration carte'eienne de l'existence de Dieu, in: Philosophischen Schriften, IV 405 f: Gott existiert "par sa possibilite". WOLFF, Theologia Naturalis, II, § 27: "Deus per essentiam existit". Vgl. Kap. , la.

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3. Quellen des Kantischen ontotheologischen Beweises Ein noch zu erörterndes Problem betrifft die Quellen des Kantischen ontotheologischen Beweises M. Der Gedanke, daß das Mögliches etwas Abkünftiges ist und als solches ein Existierendes voraussetzt, ist naheliegend. Crusius bringt diese Einsicht in seiner Metaphysik, § 57, folgendennassen zur Sprache: "Der Begriff des Wirklichen [ist] sowohl der Natur nach, als unserer Erkenntnis nach eher, als der Begriff des Möglichen." Damit polemisiert Crusius gegen die Wolffsche Auffassung von der Philosophie als Wissenschaft des Möglichen. Kein Wunder also, daß bei zahlreichen Autoren der Zeit ein Beweis der Existenz Gottes von der Möglichkeit oder den möglichen Dingen her anzutreffen ist. Aber die meisten von ihnen nehmen die sog. äußere Möglichkeit der Dinge als Ausgangspunkt: Sind die Essenzen möglich, dann muß es ein notwendig Existierendes geben, das sie als causa efficiens verwirklichen kann. So z. B. wird in den "Dilucidationes philosophicae" des angesehenen Wolffianers Bilfinger gleich zu Beginn des Ontologie-Teils der Begriff des Möglichen folgendermaßes eingeführt: "Ut aliquid possit existere, requiritur inter alia, ut aliquid existat. Si enim nihil existat: a nihilo nil fit aut fieri potest; nihil igitur eo casu erit possibile. Ita possibilitas infert aliquem respectum ad aliquid existens, tanquam fontem et principium omnis realitatis" (Sectio I, cap. I, § 7). Auch wenn hier kein eigentlicher Gottesbeweis gemeint ist, so wird doch offenkundig die Basis für einen Gottesbeweis ex possibilibus mittels der Wirkursache gelegt: Das "possibile" kann nur durch ein Exsistierendes als "potens" hervorgebracht werden. Es finden sich aber auch Gottesbeweise, die von der inneren oder absoluten Möglichkeit ausgehen. Hier ist vor allem Leibniz zu nennen, dessen Gottesbeweis aus der Realität der ewigen Wahrheiten in der Monadologie, §§ 43-45, zweifellos bei der Ontotheologie der Nova dilucidatio Pate gestanden hat. Nach Leibniz liegt die Quelle der

a Vgl. TONBUJ, Elementi, 138 und die Anmeldungen 79-85 auf S. 161 f. HENRICH, Der ontologlsche Gottesbeweis, 46 f, und viel ausführlicher SCHMUCKER, "Die Originalität des ontotheologischen Arguments", 120-133. FINDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 89-98, führt die Diskussion weiter durch eine präzise Analyse des Textes Kants und den Vergleich mit der primären Quelle des hier vorliegenden Gottesbeweises, nämlich Leibniz, im Umfeld der Wölfischen Gedankenwelt.

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Wesen, sofern sie Realität besitzen, in Gott (§ 43). Er geht vom allgemeinen Prinzip aus, das er in der Theodizee, § 184, formuliert hat: "Alle Realität muß in etwas Existierendem gründen." Auf die Realität der Möglichkeiten angewandt bedeutet dies ein Doppeltes: a) Weil die Möglichkeiten Vorstellungen sind, muß ihre Realität in einem existierenden Verstande gründen (§ 43). Er nennt deshalb die Wesenheiten auch "ewige Wahrheiten", b) Dieses verständige Dasein als Grund der Möglichkeiten muß ein "Etre ^cessaire" sein (§ 44). Leibniz schließt also von den Möglichkeiten auf das ens necessarium, näherhin auf einen göttlichen Verstand als Grund "dessen, was in der Möglichkeit real ist" (§ 43) M. Was den ontotheologischen Beweis Kants anbelangt, so haben wir weiter oben gesehen, daß die Möglichkeiten, von denen er ausgeht, synthetische Begriffe des menschlichen Verstandes sind, die die Realitäten als Materialprinzipien voraussetzen. Von den Möglichkeiten als Vorstellungen, die die Existenz in einem Verstand haben, ist bei Kant keine Rede. Es sagt vielmehr, daß die Materialprinzipien der Möglichkeitsbegriffe selbst notwendig existieren müssen, und zwar so, daß sie das Wesen des notwendigen und unendlichen Daseins ausmachen. Dies ist der Sinn der abschließenden Aussage, daß "quicquid est in notione reale" "in Deo" existieren muß (I 396, Z. l f) "*. Leibniz hatte das synthetische Moment der Möglichkeitsbegriffe auf den Verstand Gottes zurückgeführt und sprach deshalb von den Möglichkeiten als "ewigen Wahrheiten". Bei Kant ist dagegen das Formale der Möglichkeitsbegriffe eine Leistung des menschlichen Verstandes und daher das Subjektive an den Begriffen, wie er im Scholion ausführt, während das Materiale oder objektive Moment als ein Teil oder Aspekt des notwendigen Daseins ausgewiesen wird. Für Leibniz ist die Existenz, die der Realität der Möglichkeiten zugrundeliegt, eine solche Möglichkeit, die durch sich selbst wirklich ist (§ 44 der Monadologie). Daher stellt für ihn der Gedankengang von den ** Genauer spricht LEIBNIZ von Gott, bzw. dessen Verstand, als "source" (§ 43); dieselbe gilt aber im § 44 als Fundament des Möglichen. Dies wird auch der Gedankengang Kants im EmBg sein, aber nicht ohne weiteres in der Nova dilucidatio! u Es soll allerdings nicht übersehen werden, daß die hinzugefügte Qualifikation Gottes als "omnis realitatis fons" doch, gegen die sonstige Tendenz des Beweises, in Richtung auf eine Auffassung des ens realissimum als Grund der Möglichkeiten, also in Richtung auf dessen Transzendenz geht. Von der Logik der Beweisführung her scheinen die Materialgehalte unserer Begriffe zugleich Attribute Gottes zu sein.

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Möglichkeiten her eine Vorbereitung auf den Cartesianischen Beweis dar (§ 45). Für Kant, der anders als Leibniz im Möglichkeitsbegriff das Formale und Materiale unterscheidet, ist die absolut notwendige Existenz die der Materialprinzipien selbst. Ohne sie könnte unserem Verstand nichts gegeben werden, "quod cogitari possit" (I 395). Die Ontologie der Nova dilucidatio ist als ein apriorischer Gottesbeweis für sich selbst gedacht.

V. Kapitel Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft der Weltdinge Literatur Tonelli, Giorgio, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, 141-146. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principio di ragion sufficiente, 81-85. Schmucker, Josef, Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise, 11 f, 47-50. Finder, Tillman, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 125-135.

L Das principium successionis und das principium coexistentiae im dritten Teil der Dissertation "Nova dilucidatio" Im 3. Teil der Nova dilucidatio fügt Kant den allgemeinen ontologischen Prinzipien der Identität bzw. des Widerspruchs und des Grundes zwei metaphysische Prinzipien: der Aufeinanderfolge und des Zugleichseins, hinzu, welche das Verhältnis der existierenden Substanzen zueinander bestimmen. Daraus folgert er mehrere metaphysische Konsequenzen im Bereich der drei Sparten der speziellen Metaphysik. Hier interessieren uns die Konsequenzen hinsichtlich des Gottesproblems. Prop. . Eine Substanz hat schon durch ihre innere Konstitution alle ihr zukommenden Bestimmungen. Findet eine Veränderung in ihr statt (d. h. ihr Zustand ändert sich), so muß es einen bestimmenden Grund dafür geben. Da aber dieser nicht in der sich verändernden Substanz selbst zu finden ist (sonst wäre die Veränderung immer schon da gewesen), so muß er in einer anderen Substanz liegen, mit der die erstere in Verknüpfung steht. Das "principium successionis" lautet demnach: "Substanzen können eine Veränderung nur erfahren, sofern sie mit anderen verknüpft sind; ihre wechselseitige Abhängigkeit bestimmt die beiderseitige Veränderung des Zustandes."

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Dieses Prinzip wirft die Frage auf, wie die Gemeinschaft (Verknüpfung) zweier, ja aller Substanzen auf der Welt zu erklären ist, so daß sie einander bestimmen und damit eine Aufeinanderfolge verschiedener Zustände (und überhaupt die Zeit) hervorrufen können. Das "principium coexistentiae" der Prop. XllI gibt die Antwort auf diese Frage: "Die endlichen Substanzen stehen durch ihr bloßes Dasein in keinem Verhältnis zueinander und haben gar keine Gemeinschaft, als nur sofern sie von dem gemeinsamen Grund ihres Daseins, nämlich dem göttlichen Verstand, in wechselseitigen Beziehungen gestaltet erhalten werden." In der darauffolgenden "Demonstratio" und weiter in der anschließenden "Dilucidatio" stellt Kant eine metaphysische Analyse der endlichen Substanzen an, die diese Begründung der Gemeinschaft der Weltdinge erklären soll. Eine endliche Substanz ist keine Ursache des Daseins einer anderen. D. h. also (?), die einzelnen Substanzen auf der Welt haben ein getrenntes Dasein, das unter Absehung aller anderen Substanzen durchaus verständlich ist. Die Relation zwischen den Substanzen ist eine respektive Bestimmung, die aus dem für sich gesetzten Dasein jeder Substanz nicht verstanden werden kann. Wenn deshalb außer dem Dasein der einzelnen Substanzen nichts weiter hinzuträte, so gäbe es keine Relation zwischen den Substanzen und gar keine Gemeinschaft (commercium). Nun aber zeigt die Alltagserfahrung (wobei die Erforschung der Natur diese Beobachtung bestätigt und erweitert), daß alles (?) im Weltall in wechselseitiger Verknüpfung verbunden steht; deshalb muß man darauf schließen, daß diese allumfassende Beziehung der Dinge von der Gemeinsamkeit ihrer Ursache abhängt, d. h. von Gott als dem allgemeinen Grund alles Existierenden. Andererseits wurde schon gesagt, daß einfach daraus, daß Gott den Dingen die Existenz gegeben hat, noch keine wechselseitige Beziehung unter ihnen folgt. Also müssen wir schließen, daß der göttliche Verstand, insofern er das Dasein der Substanzen als in Wechselbeziehung stehend entwirft, nicht nur die Substanzen, sondern zugleich auch ihre Beziehungen gründet. In diesem Sinne spricht Kant sowohl in der "Demonstratio" als auch in der "Dilucidatio" vom "intellectus divini schema" und nennt es "exsistentiarum origo". Kurzum: Für Kant fordert schon die Möglichkeit einer Welt, im Unterschied zu einer Mannigfaltigkeit getrennter Substanzen, einen göttlichen Ver-

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stand - ohne daß es nötig sei, eigens den Beweis zu erbringen, daß die Welt kontingent ist. Die Ausführungen zur Prop. XIII zeugen von einer Substanzauffassung, die nicht mehr die Wolffs ist '. In seiner Ontologie löst Wolff die (endlichen) Substanzen in essentialia, attribute und modi auf, wobei letztere dem accidens praedicabile der Scholastik entsprechen 2. Die modi haben den Grund ihrer Möglichkeit in den essentialia, den Grund ihres tatsächlichen Vorhandenseins letztlich in einem anderen Seienden als das, dem sie innewohnen 3. Andererseits gilt für Wolff (sowie auch für Kant, wie er es in der Prop. VII andeutet: "ad omnimodam rei determinationem, absque qua res exsistere nequit"), daß das Existierende durchgängig bestimmt sein muß *. Da nun zu jedem endlich Seienden modi gehören, und da dies nicht durch die Essenz desselben Seienden allein gewährleistet werden kann, so muß dies durch andere Seiende geschehen. Es ist also nicht möglich, daß Substanzen getrennt und für sich allein existieren, weil sie für sich allein noch nicht durchgängig bestimmt sind. Das endlich Seiende verweist wegen seiner inneren Struktur auf ein anderes, das den Grund der Bestimmung dessen enthält, was in ihm kraft seiner eigenen Essenz allein noch unbestimmt ist. Die Existenz einer endlichen Substanz schließt bereits eine Verknüpfung (nexus) unter den Substanzen mit ein. Für Wolff hat es also keinen Sinn, nach dem Grund der Verknüpfung unter den Substanzen zu fragen, wenn die Existenz von Substanzen feststeht. Sinnvoll ist nur die Frage nach dem Grund der Existenz der endlichen Substanzen, wobei die Existenz bereits den Zusammenhang unter denselben einschließt. Die Frage nach der Verknüpfung der Substanzen stellt sich eigens, wenn man bewiesen hat, daß eine besondere Verknüpfung kontingent ist 5 . Kant vertritt eine andere Auffassung von der Substanz, derzufolge die endlichen Substanzen auch eine getrennte, d. h. ohne alle anderen Substanzen durchaus verständliche Existenz haben könnten, so1

Zum folgenden vgl. vor allem PAOLINELLI, Fisico-Teologia e principle di ragion sufficients, 82-87. 1 WOLFF, Ontologia, §§ 143-149. '4 Ebd. § 876. Vgl. auch §§ 874 und 854. Ebd. § 226. * Dies ist der Fall bei der gewöhnlichen Methode der Physikotheologie, deren Ansatzpunkt die "zufällige Ordnung der Natur" ist. Vgl. EmBg, . Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 2.

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wie auch eine andere Auffassung von der Beziehung unter den Substanzen, insofern er die Möglichkeit rein äußerlicher Bestimmungen behauptet *. Infolgedessen fragt Kant nach dem Grund der Verknüpfung (nexus) unter den Substanzen einfach als Verknüpfung, abgesehen davon, ob sie notwendig oder kontingent ist. Ein solcher radikaler, "monadischer", Substanzbegriff findet sich bei Kant bereits in der Erstlingsschrift über die "Lebendigen Kräfte". Im § 7 lesen wir: "Weil ein jedwedes selbständiges Wesen die vollständige Quelle aller seiner Bestimmungen in sich enthält, so ist nicht notwendig zu seinem Dasein, daß es mit anderen Dingen in Verbindung stehe". Daraus folgert Kant, daß es möglich ist, "daß ein Ding wirklich existiere, aber doch nirgends in der ganzen Welt vorhanden sei".

2. Der Gottesbeweis aus der dynamischen Gemeinschaß der Substanzen Beide Prinzipien des dritten Teils der Dissertation von 1755 zusammen genommen liefern einen regelrechten Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft der Substanzen in der Welt: Die Veränderungen der Substanzen setzen eine Verknüpfung derselben voraus; dieses Verhältnis der Substanzen zueinander hängt seinerseits vom göttlichen Verstand ab, der sie in wechselseitigen Beziehungen entwirft und erhält. Der dritte "Usus" des Satzes vom Zugleichsein faßt den tragenden Gedankengang dieser Lehre zu einem Gottesbeweis zusammen: "Da demnach das einfache Dasein der Substanzen für die wechselseitige Gemeinschaft und die Beziehungen der Bestimmungen völlig unzureichend ist, und folglich durch die äußere Verknüpfung eine gemeinsame Ursache aller dartut, in der ihr Dasein als in Beziehung stehend entworfen ist, und da ohne diese Gemeinsamkeit des Grundes die allgemeine Verknüpfung nicht denkbar wäre, so kann hieraus für eine oberste Ursache aller Dinge, d. h. für Gott und zwar einen

* Z. B. macht Kant gegen das principium indiscernibilium Leibniz' geltend, daß der "Ort" eine rein äußerliche Bestimmung des Seienden ist. Durch ihn können vollkommen ähnliche Seiende unterschieden werden, ohne daß die Ununterscheidbarkeit der Dinge in sich selbst aufgehoben wird. Vgl. Prop. XI, Nr. 2: I 409.

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einzigen, ein höchst einleuchtendes Zeugnis entlehnt werden, das, wenigstens meiner Meinung nach, jenen Beweis aus der Zufälligkeit wohl bei weitem übertrifft" (II 414). Der am Ende des Zitats stehende Hinweis auf den Beweis aus der Kontingenz gilt gewiß Wolff, der, im Prinzip, nur einen einzigen Gottesbeweis anerkannte, nämlich den Beweis aus der Kontingenz der Welt. Er hat ihn in seiner deutschen Metaphysik (§§ 928 ff) und ausführlicher im 1. Teil der Theologia Naturalis entwickelt. Das hier von Kant angeführte Argument ist aber ein Bestandteil des Wölfischen Kontingenzbeweises. Nachdem nämlich Wolff bewiesen hat, daß es ein selbständiges, von der Welt verschiedenes Wesen, also Gott, gibt (§ 946), untersucht er im einzelnen die Eigenschaften Gottes in sich selbst und in seinem Verhältnis zur Welt. In diesem Kontext wird die Einzigkeit Gottes anhand dessen bewiesen, daß "alles in der Welt mit einander verknüpft ist", daß die Welt also "eine Maschine" ist (§ 1081). Dem entspricht, daß Kant in seinem Gottesbeweis den Akzent darauf legt, daß der "nexus universalis" in der Welt ein "evidentissimum ... Dei, et quidem unius, testimonium" liefert. Aber Kant nimmt die dynamische Gemeinschaft der Weltsubstanzen als Ansatz nicht nur für den Beweis der Einzigkeit Gottes, sondern auch, in einem, für den Beweis der Existenz desselben. Im dritten "Usus" haben wir nicht bloß eine Vervollständigung des Kontingenzbeweises, sondern einen eigenen Beweis für sich. Daß nun die (angenommene!) universelle Gemeinschaft der Substanzen in der Welt einen einzigen Urheber der Verknüpfung beweist, ist naheliegend; nicht so aber, daß der Urheber des "nexus" zugleich auch Urheber der Existenz der Welt ist. Die Erklärung dieser Position Kants findet sich in derselben Prop. XIII. In der Formulierung des principium coexistentiae ist die Rede davon, daß der göttliche Verstand Grund des Daseins und der Gemeinschaft der endlichen Substanzen ist. Dies wird von Kant folgendermaßen erläutert: "Dasselbe Schema des göttlichen Verstandes, welches das Dasein gibt, [hat] auch ihre [der existierenden Dinge] Beziehung festgelegt, sofern es ihr Dasein als in Wechselbeziehung stehend entworfen hat" (I 413). Im selben Akt des göttlichen Verstandes, in dem die Gemeinschaft wurzelt, wurzelt ebenfalls die Existenz der Substanzen. Aber wieso führt Kant die Existenz auf einen

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Akt des Verstandes und nicht, wie üblich, auf einen Akt des Willens Gottes zurück? Eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage ist möglich, wenn man annimmt, daß Kant zu dieser Zeit die Lehre Baumgartens teilte, dergemäß die Existenz in der durchgängigen Bestimmung eines Dinges besteht. Für Baumgarten sind Individuations- und Existenzprinzip ein und dasselbe. Er definiert, wie in der Wölfischen Schule üblich, das Individuum als das, was "omnino determinatum" ist, d. h. als das durch den "complexus omnium determinationum in ente compossibilium" Bestimmte (Metaphysica, § 148). Genau auf dieselbe Weise definiert er aber auch die Existenz als "complexus affectionum in aliquo compossibilium" (§ 55); das ens actuale ist deshalb das "determinatum, qua omnes affectiones etiam in ipso compossibiles" (§ 54). Daß durchgängige Bestimmung (Individualität) und Existenz Wechselbegriffe sind, wird in der Tat von Baumgarten behauptet, indem er von der ersteren die zweite ableitet: "Singularia sunt interne prorsus determinata, § 148, hinc actualia, § 54" (§ 152) 7. Nun aber ist eine Bestimmung dadurch intelligibel, daß in ihr das Verhältnis zu einem bestimmenden Grund liegt, wie Kant in der Prop. VIII erwiesen hat - mit Ausnahme des ens absolute necessarium. Infolgedessen "ist die durchgängige Bestimmung hinsichtlich ihrer Beziehung auf ihr Prinzip - worin immer dies liege - ein Gegenstand des Verstandes" *, d. h. der Verstand erfaßt, in bezug auf was eine Substanz durchgängig bestimmt ist und somit existiert. Je nachdem nun der göttliche Verstand "nach göttlichem Belieben" (Usus 2) sich eine Substanz als für sich allein durchgängig bestimmt vorstellt (in diesem Falle ist das Prinzip der durchgängigen Bestimmung Gott allein) oder aber als in bezug auf alle anderen Substanzen durchgängig bestimmt, existiert die genannte Substanz völlig isoliert

7 Vgl. PDJDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 246, Anm. 70, weist auch auf den Sprachgebrauch Kants an einer anderen Stelle der Nova dilucidatio hin, der ebenfalls eine Gleichsetzung von Existenz und durchgängiger Bestimmung nahelegt. Im Beweis der Prop. VII spricht Kant vom endlichen Wesen, das als solches nicht die "omnimoda realitas", d. h. nicht alle Bestimmungen der Möglichkeiten in sich umfaßt, als von einer "exsistentia ... limitata". In dieselbe Richtung weist auch eine Redewendung in der Prop. Vni., die das Gegenteil der "exsistentia" einfach als das Gegenteil der "omnimoda determinatio" nennt (I 396, Z. 11 f). ' FINDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 128. Zum folgenden: Ebd. 128-130.

Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft

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oder existiert eine Gemeinschaft aller Substanzen (I 414, Z. 1-8: letzter Satz in der Dilucidatio der Prop. XIII). Das zweite ist der Fall, da ja "alles im All in wechselseitiger Verknüpfung verbunden angetroffen wird" (I 413, Z. 13). Also findet sich der Ursprung der Welt im "intellectus divini schema", insofern das Prinzip der Existenz der Welt im Prinzip des Zusammenhanges aller endlichen Substanzen liegt; denn durch ihren Zusammenhang erhalten die Weltsubstanzen jene durchgängige Bestimmung, in der ihr Sosein und Dasein zugleich besteht. Der wunde Punkt dieses von Kant hochgeschätzten Gottesbeweises liegt darin, daß das principium coexistentiae sich selbst aufhebt. Denn nach ihm sind isolierte Substanzen (d. h. "außer" der Welt) möglich; dann aber müssen auch (andere!) Urheber solcher Substanzen existieren können. Mit dem principium coexistentiae ist somit die Existenz einer "summae rerum omnium causae, i.e. Dei, et quidem unius" alles andere als bewiesen. Es scheint also, zunächst einmal, Kant habe die Einheit der Welt für empirisch erkennbar gehalten. Dagegen aber spricht sein Substanzbegriff, der es ihm unmöglich machte, die a posteriori feststellbare Einheit als universal zu betrachten. Als einzige Erklärung, wieso Kant dennoch das commercium substantiarum als Zeugnis für die Existenz Gottes nehmen konnte, bleibt nur seine metaphysische Unendlichkeitslehre übrig, die sich auch in der Naturgeschichte, II. Teil, 7. Hauptstück, äußert, und die wir im Zusammenhang mit dem ontotheologischen Beweis besprochen haben 9. Diese Lehre hat ihn aller Wahrscheinlichkeit nach zu der Annahme einer unendlichen und damit einzigen Schöpfung bewegen und so die Grundlage für den vorliegenden Gottesbeweis geliefert. Dies bedeutet, daß Kant selbst den Radikalismus seines Substanzbegriffs mit der Möglichkeit isolierter endlicher Substanzen nicht ernst genommen hat. Ein solcher Gedanke hätte ja nicht nur den Gottesbeweis der Prop. XIII zunichte gemacht, sondern auch die Ontotheologie der Prop. VII. Denn (1) wenn die Gemeinschaft des Alls nicht notwendig zur endlichen Existenz gehört, dann liegt es nicht im Wesen der Gemeinschaft (unserer Welt), daß sie alle existierenden endlichen Substanzen umfaßt. Fehlt aber die Universalität

• Vgl. Kap. IV, l, b l, Exkurs.

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der Gemeinschaft, dann fehlt das Moment, von dem aus auf eine gemeinsame Ursache von allen Substanzen geschlossen werden kann, d. h. auf die Einzigkeit Gottes (ohne die von Gott keine Rede sein kann). (2) Wenn endliche Substanzen außerhalb unserer Welt existieren können, dann ist unserem Verstand alle Realität, d. h. das "possibilium omnium conceptuum ... materiale" (I 395, Z. 15 f), nicht gegeben. Damit aber fällt auch der Gottesbeweis aus der Realität der Möglichkeiten nach der Fassung der Nova dilucidatio in sich zusammen.

3. Gottesbeweis aus dem commercium substantiarum und Physikotheologie Im Kap. I, 3. haben wir gesehen, daß der Grundgedanke des Gottesbeweises in der "Naturgeschichte" darin besteht, daß der geordnete und zweckmäßig gerichtete Zusammenhang der Dinge in der Welt (die Welt als Kosmos) in den Bewegungsgesetzen gegründet ist, die zur Natur der materiellen Dinge gehören. Dieses Grundmerkmal der Welt erklärt, daß die sich selbst überlassene Natur "nicht anders als regelmäßig und ordentlich verfahren kann" (A XXK = I 228). Nun aber müssen diese Essenzen oder Naturen der Dinge gerade in ihrer Übereinstimmung mittels der physikalischen Gesetze erklärt werden. In dieser Richtung argumentiert die Physikotheologie der "Naturgeschichte". Im 8. Hauptstück des U. Teils faßt Kant den Kern seines physikotheologischen Beweises folgendermaßen zusammen: "Die Natur, ihren allgemeinen Eigenschaften überlassen, ist an lauter schönen und vollkommenen Früchten fruchtbar ... Hieraus folgt, daß ihre wesentlichen Eigenschaften ... ihren Ursprung in einem einzigen Verstande, als dem Grunde und der Quelle aller Wesen, haben müssen, in welchem sie unter gemeinschaftlichen Beziehungen entworfen sind. Alles, was sich auf einander zu einer gewechselten Harmonie bezieht, muß in einem einzigen Wesen, von welchem es insgesamt abhängt, unter einander verbunden werden. Also ist ein Wesen aller Wesen, ein unendlicher Verstand und selbständige Weisheit, vorhanden, daraus die Natur auch sogar ihrer Möglichkeit nach in dem ganzen Inbegriffe der Bestimmungen ihren Ursprung zieht" (A 147 f = I 333 f).

Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft

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Der springende Punkt der Physikotheologie Kants ist nicht bloß die Einsicht, die sich bereits bei Leibniz findet, daß die (einzelnen) Essenzen als intelligible Einheiten im göttlichen Verstande gegründet sind, sondern daß die Harmonie zwischen den verschiedenen Substanzen und damit ihre geordnete Wirkgemeinschaft, welche Schönheit und Zweckmäßigkeit im Weltall gründet, auf einen weisen Entwurf des göttlichen Verstandes zurückgeführt werden muß. Ich verweise auf die im I. Kapitel, Nr. 4, schon zitierten Stellen. So ist z. B. in der "Naturgeschichte", A XXI = I 225, von einem unendlichen Verstand die Rede, "in welchem aller Dinge wesentliche Beschaffenheiten beziehend entworfen worden". Dies ist offenkundig ein anderer Ausdruck für das "intellectus divini schema, quatenus exsistentias ipsarum correlates concepit" der Nova dilucidatio. Die Habilitationsschrift arbeitet nun eine metaphysische Fundierung der Physikotheologie der "Naturgeschichte" aus. Denn sie zeigt, daß und warum Gemeinschaft und Existenz der Substanzen innigst zusammenhängen. Die Gemeinschaft der Weltdinge als gegenseitige durchgängige Bestimmung derselben, die die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt erklärt, ist für Kant, infolge seines essentialistischen Seinsbegriffs, zugleich das Prinzip ihrer Existenz. Nach der "Naturgeschichte" hängt die Natur "auch sogar ihrer Möglichkeit nach" von einem unendlichen Verstande ab (A 148 = I 334); dies bedeutet, daß nicht bloß eine äußerliche, künstliche Anordnung der Substanzen, sondern die Substanzen in ihrem Wesen selbst vom göttlichen Verstande ihren Ursprung haben. Dies wird in der Nova dilucidatio metaphysisch dahingehend erklärt, daß die durchgängige Bestimmung der Substanzen, kraft deren sie existieren (das vollständige Wesen ist ja das Existierende), keine Bestimmung isolierter Substanzen ("solitario"), sondern eine Bestimmung in Beziehung zueinander ("respective") ist, wie die Prop. XIII am Ende der "Dilucidatio" ausführt. Da nun "das Schema des göttlichen Verstandes Ursprung des Daseins [exsistentiarum origo]" ist (ebd), so ist es nur konsequent, wenn Kant der Meinung ist, seine Version der Physikotheologie schließe auf einen Architekten, der zugleich Schöpfer ist. Die Abhängigkeit der Welt von ihrem Urheber erweist sich als eine restlose Abhängigkeit; aber gerade deshalb erhält die Natur eine eigene Eigenständigkeit. Denn sie ist derart, daß sie selber, d. h. die Weltsubstanzen, von sich aus Ordnung und Zweckmäßigkeit hervorbringen können, insofern

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ihre Existenz zugleich und wesentlich ein "commercium" im Sinne eines harmonischen, gegenseitig abgestimmten Existierens ausmacht. Mit den Worten der "Naturgeschichte" sind die "Eigenschaften" der Natur (Ordnung und Zweckmäßigkeit) ihr zwar "wesentlich", haben aber "keine unabhängige Notwendigkeit", weil sie Resultat einer Weltharmonie sind, die ihren Ursprung in einem "unendlichen Verstande" hat, von dem die Natur "in dem ganzen Inbegriff der Bestimmungen ihren Ursprung zieht" (A 147 f = I 333 f). Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen: Beide Gottesbeweise der Nova dilucidatio gehen von den Möglichkeiten oder Essenzen aus; aber die Ontotheologie der Prop. VII. setzt beim Materiellen der Möglichkeiten an; der Beweis der Prop. XIII. setzt beim Formalen der Möglichkeiten an, nämlich bei ihrer Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist eine Wirkgemeinschaft, aus der Harmonie und Zweckmäßigkeit der Welt hervorgehen, wie in der "Naturgeschichte" ausgeführt wurde.

4. Die Neubehandlung und -bewertung des Gottesbeweises in der Dissertation von 1770 Das Problem einer Wirkgemeinschaft der Substanzen spielte weiterhin auch nach der Habilitationsschrift eine Rolle bei Kant. Dieser Zug unserer Welt zeige, daß die Dinge der Welt kontingent sind (RR 3730, 4086), daß die Welt als eine solche Einheit von einer einzigen Erstursache ihren Ursprung hat (RR 3730, 3806, 4048). Allerdings ist aus diesen spärlichen Notizen der 60er Jahre die genaue Stellungnahme Kants zu dem in der Nova dilucidatio entwickelten Gottesbeweis nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Klarheit darüber verschafft die vierte und letzte lateinische Dissertation. Im Zusammenhang mit dem Thema der IV. Sektion: "Von dem Prinzip der Form der Verstandeswelt" geht Kant ausführlich auf das empirische Faktum der dynamischen Gemeinschaft der Weltdinge ein. Die Frage nach dem Prinzip der Verstandeswelt ist ja die Frage danach, "auf welche Weise es möglich ist, daß mehrere Substanzen in

Der Gottesbeweis aus der Wirkgemeinschaft

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einer wechselseitigen Gemeinschaft stehen und auf diese Art zu demselben Ganzen [totum] gehören, das man Welt nennt" (§ 16) . Im § 17 stellt Kant folgendes Prinzip auf: "Sind mehrere Substanzen gegeben, so steht der Grund einer möglichen Gemeinschaft zwischen ihnen nicht mit ihrem bloßen Dasein fest, sondern es wird außerdem etwas anderes gefordert, aus dem sich ihre wechselseitigen Verhältnisse verstehen lassen ... Mithin bedarf es, wenn sie mit anderen eine gewisse Gemeinschaft haben, eines besonderen Grundes, der dies genau bestimmt." § 18. Ein Ganzes kann nicht aus notwendigen Substanzen bestehen. Denn das notwendig Existierende schließt jede Abhängigkeit von anderen aus, während die in Frage stehende Gemeinschaft von Substanzen genau eine wechselseitige Abhängigkeit der Zustände besagt. § 19. "Ein Ganzes von Substanzen ist demnach ein Ganzes von kontingenten Dingen, und die Welt besteht, ihrem Wesen nach, aus lauter kontingenten Dingen". Von hier aus folgert der Beweisgang ein "ens extramundanum" als Ursache der Welt n. § 20 präzisiert die erschlossene außerweltliche Erstursache als eine einzige, aber unter der Voraussetzung, daß das Weltall eine Einheit bildet: "Ergo Unitas in coniunctione substantiarum universi est consectarium dependentiae omnium ab uno". Wir haben hier in der

10 Zur Form der Welt, die in der Zusammenordnung (coordinatio) der Substanzen besteht, und durch die die Weltdinge gegenseitig aufeinander bezogen sind, vgl. § 2, II. Man merke an, daß es in der IV. Sektion um die Form des "mundus intelligibilis" geht, wobei Kant zu diesem Zeitpunkt noch der Ansicht war, die noumenale Welt sei uns durch den sog. "realen Verstandesgebrauch" zugänglich (§§ 4 und 5). Die Frage nach dem Prinzip der Einheit dieser Welt beantwortet Kant in dieser Sektion ganz im Sinne des Prinzips der Koexistenz seiner Habilitationsschrift: Das Prinzip der Einheit der noumenalen Welt ist Gott selber als der gemeinsame Ursprung und das gemeinsame Maß aller Dinge; daraus ergibt sich als Form der noumenalen Welt die allgemein gegründete Harmonie der Substanzen. Uns interessiert hier die Frage, inwieweit in dieser kosmologisch-metaphysischen Lehre ein Gottesbeweis enthalten ist. 11 Dieser Aspekt der Welt als eine Wirkgemeinschaft (nämlich die Kontingenz der Einzelsubstanzen) kommt im Gottesbeweis der Prop. . der Nova dilucidatio nicht zum Tragen. Deswegen kann ich die Ansicht SCHMUCKEBS nicht teilen, der den Gottesbeweis e commercio substantiarum schließlich dem genus "Kontingenzargumente" zurechnen möchte: Ontotheologie, 223 f, Kants vorkritische Kritik, 47-50. Die Perspektive des Beweises ist viel näher zur Physikotheologie der "Naturgeschichte". Wahr an der Auslegung Schmuckers ist allerdings, daß Kant in seinen verschiedenen Fassungen des physikotheologischen Beweises dahin tendiert, die Trennlinie zwischen diesem Beweis und dem Kontingenzbeweis zu verwischen, insofern er sich im physikotheologischen Beweis auch auf die Zufälligkeit der Dinge beruft: EmBg, A 197 = 159; KrV A 622, 625, 629.

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Die Frage nach Gott im Jahre 1755

Inauguraldissertation einen Kontingenzbeweis, bei dem die Gemeinschaft der Weltsubstanzen den Beweis durch die Einzigkeit des ens necessarium vervollständigt - also wie bei Wolff. Allerdings wird hier die Kontingenz der Welt aus der Gemeinschaft selbst (totum substantiarum) erschlossen. Umgekehrt, argumentiert Kant im § 21, "wenn sich mehrere wirkliche Welten außereinander finden, so gibt es mehrere erste und notwendige Ursachen, doch so, daß weder eine Welt mit einer anderen, noch die Ursache der einen Welt mit der von einer anderen Ursache verursachten Welt in irgendeiner Gemeinschaft stehen." Wie steht es nun mit der Einheit, d. h. Einzigkeit der Welt? Im Gegensatz zu Wolff a gibt Kant im selben § 21 zu bedenken, daß der Begriff von Welt eine Mehrzahl von zueinander beziehungslosen Welten nicht ausschließt. Mit der Möglichkeit mehrerer voneinander unabhängiger Welten als Konsequenz aus der Möglichkeit verschiedener Raumarten hatte Kant schon in den "Lebendigen Kräften", §§ 10 und 11, gerechnet. In der Nova dilucidatio, Prop. XIII, Usus 2, faßt Kant wiederum die Möglichkeit mehrerer beziehungsloser Welten ins Auge, "falls es Gott gefallen hätte". Merkwürdigerweise zieht er daraus im Usus 3 nicht die Folgerung, daß es dann auch mehrere, voneinander unabhängige Weltprinzipien geben könnte. Solche Weltprinzipien wären aber nicht das, was wir unter Gott verstehen. Diese Konsequenz hat Kant zumindest 1770 gezogen, und damit seinen 1755 hoch geschätzten Gottesbeweis e commercio substantiarum als streng gültigen Beweis fallen lassen. Vermutlich aber auch schon früher, wie der Umstand nahelegt, daß in der Diskussion um die verschiedenen Gottesbeweise in der dritten Abteilung des EmBg von 1762 dieser Gottesbeweis mit keinem Wort erwähnt wird.

u Die uns heute fern gerückte Frage nach Einzigkeit oder Vielheit von Welten ist bei WOLFF ein mehrmals wiederkehrendes Thema. In der deutschen Metaphysik, Kap. IV: "Von der Welt" stellt Wolff die These von der Einheit (Einzigkeit) der Welt auf wegen der Verknüpfung aller Dinge dem Raum und der Zeit nach (§§ 648-560). Einen anderen Beweis gegen die Mehrheit von Welten mittels des Prinzips vom zureichenden Grunde bringt er im Kontext der Gotteslehre, §§ 948-950. Die Frage wird in der Cosmologia generalis wieder aufgegriffen: §§ 48, 60, 61, wobei es wiederum heißt: "mundi unitatem a rerum nexu pendere" (§ 60), und noch später in der Theologia naturalis, I, § 117, wo wiederum eine Mehrzahl von Welten, ob similes oder dissimiles, anhand des Satzes vom Grunde ausgeschlossen wird.

Zweiter Teil Die Frage nach Gott im metaphysischen Werk vom Jahre 1762: Der einzig mögliche Beweisgrund

VI. Kapitel Einführung in "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" Literatur zum Werk insgesamt Thiele, Günther, Die Philosophie I. Kants nach ihrem systematischen Zusammenhange und ihrer logisch-historischen Entwicklung dargestellt und gewürdigt. Erster Band, Zweite Abteilung, Halle 1882. Zum EmBg 90-171. Campo, Mariano, La genesi del criticismo kantiano, Varese 1953, 269-310. Lamacchia, Ada, La filosofia della religione in Kant. I. Manduria 1969, 181-224. Laberge, Pierre, La thuologie Kantienne procritique, Ottawa 1973, 81-139. Schmucker, Josef, Die Ontotheologie des vorkritischen Kant (KS EH 112), Berlin 1980.

1. Inhalt des Werkes In dieser umfangreichen Abhandlung, die gegen Ende von 1762 erschien, und die die bedeutendste metaphysische Veröffentlichung des vorkritischen Kant ausmacht, wird die Gottesfrage zum direkten und umfassenden Thema. Auch in ihr wird in erster Linie eine positive Lösung der Frage intendiert. In der Tat bieten die ersten zwei Teile des Werkes zwei ausfuhrlich ausgearbeitete Beweise der Existenz Gottes, die die zwei Hauptbeweise von 1755 wiederaufnehmen und entfalten: den ontotheologischen Beweis der Prop. VI der Nova dilucidatio und den physikotheologischen Beweis der "Naturgeschichte". Aber auch die Gottesbeweiskritik nimmt jetzt deutliche Konturen an. Im dritten Teil wird ein Schema aufgestellt, das alle Beweisarten umfaßt, und nach ihm werden dann sämtliche Gottesbeweise "außer dem ausgeführten Beweisgrunde" (EmBg, A 188 = II 155), von dem der Buchtitel spricht, einer negativen Kritik unterzogen. Diese Inhaltsangabe des Werkes ruft unmittelbar folgende Fragen hervor: (1) Wenn der on to theologische Beweis der einzig möglich ist, was für einen Stellenwert hat die im zweiten Teil breit entwickelte

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Der einzig mögliche Beweisgrund

und positiv eingeschätzte Physikotheologie? Aber auch abgesehen von der Frage: einer oder doch zwei Gottesbeweise, drängt sich die weitere Frage auf, (2) ob und welcher Zusammenhang zwischen beiden Beweisen besteht. Die Kapitel VII und VIII werden jeweils die Ontotheologie und die Physikotheologie untersuchen und dabei auch die Frage nach ihrem Zusammenhang klären. Die erste Frage soll im Kap. XIII, Nr. 3, behandelt werden, nachdem wir die Kritik der Gottesbeweise im dritten Teil des Werkes analysiert haben.

2. Kants neue Position: Die Wendung zum Optimismus Die Ontotheologie des EmBg schließt sich offensichtlich an die der Nova dilucidatio an: Beide entwickeln einen metaphysischen Gottesbeweis aus der Möglichkeit der Dinge - Kants eigene Leistung gegenüber sowohl Descartes als auch Leibniz. Beide Fassungen weisen aber auch je eigene Merkmale auf. Schmucker * hat auf die eher formalen Unterschiede hingewiesen: Ausmaß an Ausführlichkeit, Kontext und Form der Darbietung. Es gibt aber auch inhaltliche Unterschiede, die vor allem Finder durch eine eindringliche Analyse des Textes herausgestellt hat. Diese Unterschiede lassen sich daraus erklären, daß Kant während des Zeitraumes von 1755 bis 1762 eine neue naturphilosophisch-metaphysische Position bezogen hat, die global als "Wendung zum Optimismus" bezeichnet werden kann *. Im Jahre 1759 veröffentlichte Kant einen "Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus" (II 27-35), in dem er sich mit den Einwänden der Crusianer gegen den Optimismus auseinandersetzte. Damit gab Kant, zumindest der Logik seiner neuen Position nach, wichtige Lehrstücke auf, die sowohl für die Physikotheologie als auch für die Ontotheologie von 1755 eine entscheidende Rolle gespielt hatten. Denn die verbesserte Physikotheologie der "Naturgeschichte" setzte voraus, daß alle Möglichkeiten (Wesenheiten) der Macht und Weisheit Gottes völlig unterstehen. Gerade deswegen kann aus ihnen nur Ordnung und Zweckmäßigkeit hervorgehen. Infolgedessen legt die 1 1

SCHMUCKER, Ontotheologie, 14-17, 53-61. FINDER, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 148-168.

Einführung

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Natur von selbst durch ihre (mechanischen) Gesetze und ihre Produkte Zeugnis von Gott als ihrem Schöpfer ab - ohne daß es nötig sei, metaphysische Gottesbeweise vorauszusetzen (vgl. das Fragment von 1753 über den Optimismus in den Reflexionen zur Metaphysik: XVII 229-239). Der Optimismus beruht dagegen auf dem Auseinanderfallen von den unendlich vielen möglichen Welten und der wirklichen Welt. Nur die letztere untersteht der Weisheit und dem Willen Gottes: Gott wählt unter den seinem Ratschluß vorgegebenen möglichen Welten die (relativ) beste, in der das Gesamtgute die von den Wesenheiten stammenden Übel gleichsam aufwiegt. Die Ontotheologie der Nova dilucidatio hing ihrerseits mit der Unendlichkeitslehre zusammen, d. h. mit der Koextension der Realitäten, die unserer Vorstellung gegeben sind, und mit denen wir die Möglichkeiten bilden, und der Realität Gottes. Der ganze uns gegebene Stoff als das Reale der möglichen Welt existiert als ein einziges, unendliches und notwendiges Wesen, d. h. als Gott. Dies aber bedeutete wiederum eine Absage an die Theorie von den möglichen Welten, die nach dem Optimismus nur der göttlichen Vorstellung offenbar und in diesem Sinne nur ihr gegeben sind. Es scheint, daß Kants Wendung zum Optimismus einige Jahre später aus zwei Motiven veranlaßt wurde. Erstens, aus den bereits angedeuteten theologisch-metaphysischen Erwägungen, nämlich dem Zug der Unendlichkeitslehre zum Pantheismus bzw. Spinozismus *. Dieser Zug bestand in der Ontotheologie der Nova dilucidatio darin, daß sie das uns gegebene Reale der Möglichkeiten mit dem unendlichen ens necessarium identifizierte, oder zu identifizieren schien. Aber um diese Tendenz zu beseitigen, mußte Kant die Lehre von dem Unterschied zwischen den möglichen Welten, die nicht dem menschlichen, sondern nur dem göttlichen Verstande offen liegen, und der wirklichen Welt, die der weisen Wahl Gottes untersteht, in Kauf nehmen, d. h. also jene Einschränkung im Gottesbegriff, die für den Optimismus charakteristisch ist und die gegen die Lehre von der Allgenugsamkeit Gottes verstößt. Nichtsdestoweniger blieb der Aufweis der "göttlichen Allgenugsamkeit" auch 1762 das

1

Vgl. Kap. IV, l, den Exkurs zu b 1.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Ziel und die Krönung der Ontotheologie! (Vgl. EmBg, letzte Betrachtung.) Zweitens, aus naturphilosophischen Erwägungen. Die Physikotheologie der "Naturgeschichte", wie sie vor allem im 7. Hauptstück des II. Teils entwickelt wird, basierte auf einer rein mechanischen Naturerklärung: Der allumfassende Mechanismus reicht aus, die notwendige Selbstentfaltung der unendlichen Materie im Laufe der unendlichen Zeit zustandezubringen. Die Physikotheologie des EmBg (II. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 2) vertritt dagegen eine doppelte Naturordnung: eine notwendige und eine zufällige. Grund für diese neue Lehre Kants muß die Einsicht gewesen sein, daß sich die Erzeugung der Organismen wegen ihrer "Künstlichkeit" nicht aus den allgemeinen (mechanischen) Gesetzen, sondern nur aus besonderen göttlichen Anordnungen erklären läßt (EmBg A 96 f = II 114). Während in der "Naturgeschichte" wir "die Erzeugung eines einzigen Krauts ... aus mechanischen Gründen" wegen seiner Komplexität nicht "deutlich und vollständig" einsehen können (A XXXV = I 230), behauptet Kant im EmBg, "die allgemeinen und notwendigen Naturgesetze" seien überhaupt "unzulänglich", den "Bau der Pflanzen und Tiere" zu erklären (A 97 = II 114). Diese naturphilosophische Position hat ebenfalls theologische Konsequenzen, die genau in Richtung auf den Gottes- und Schöpfungsbegriff des Optimismus gehen. Wie nämlich nach dem Fragment von 1753 die "ewigen Naturen", die Leibniz annahm, von der Weisheit Gottes unabhängig sind (XVII 238), so daß Gott nur unter ihnen zwecks der Realisierung der besten Welt wählen kann, so kann und muß Gott, nach dem EmBg, II. Abtig., 2. Betrachtung, die mechanische notwendige Naturordnung als "unmoralische" Folge seiner eigenen Natur durch seinen weisen Willen zur Hervorbringung der künstlichen Naturordnung anwenden. Während also Kant 1755 an die Frage nach der Existenz Gottes von der Lehre einer Natur her , die unendlich ("Naturgeschichte" und Nova dilucidatio, Prop. VII) und einheitlich ist (Naturgeschichte: die mechanischen Gesetze der Materie begründen alle Naturphänomene), herangehen konnte, lieferte die Wendung zum Optimismus und die Infragestellung des Mechanismus als einzigen Erklärungsprinzips der Naturordnung eine andere Grundlage und einen anderen Kontext für beide Gottesbeweise. Der ontotheologische Beweis braucht jetzt nicht

Einführung

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mehr in eine gefahrliche Nähe zum Pantheismus zu geraten, insofern die uns gegebene unendliche Realität sich als das existierende unendliche Wesen herausstellte. Zugleich aber hat die Absage an die Unendlichkeitsmetaphysik zur Folge, daß der Schluß auf das notwendig existierende "ens infinitum" nicht mehr so unmittelbar und geradlinig gezogen werden kann. Der physikotheologische Beweis kann jetzt von zwei Naturordnungen ausgehen. Aber diese differenziertere Basis stellt die Einheit der Natur in Frage: Es gibt notwendige Möglichkeiten und es gibt zufällige Möglichkeiten; die einen hängen vom Wesen Gottes ab, die anderen sind der Weisheit Gottes unterworfen, die aber auf etwas rekurrieren muß, das nicht von ihr abhängt. Ist die Einheit der Möglichkeiten nicht mehr gegeben, so ist die Einheit ihres Ursprungs nicht mehr gesichert. Angesichts der neuen Problemlage wundert es nicht, daß eine aufmerksame Lektüre der Ontotheologie des EmBg 'Verwirrung und Widerspruch in der Grundkonzeption" 4 feststellt und mit einer "geradezu unerträglichen inneren Spannung in der Bedeutung aller wichtigen Begriffe" konfrontiert wird '. Die verhältnismäßig einfache und konsequente Argumentation in der ersten Version des ontotheologischen Beweises hatte Kant um den Preis einer unübersehbaren Tendenz zum Spinozimus erkauft. Und die Auffassung von einer allumfassenden Naturordnung, die unmittelbar aus dem Wesen der Materie hervorgeht, ermöglichte zwar den Schluß auf einen einzigen und unendlichen Weltschöpfer, aber unter Vernachlässigung von Gebilden und Wirkungsweisen, die nicht unter diese streng mechanistische Weltsicht fallen konnten. Im folgenden Kapitel werde ich die zweite Version der Ontotheologie Schritt für Schritt untersuchen. Eine eingehende Analyse der dort verwendeten Begriffe und Lehrsätze würde weit über den Rahmen dieses Buches hinausgehen. Das einzige, was in dieser Studie über Kants Gotteslehre insgesamt möglich ist, ist der Versuch, die tragenden Momente im Gedankengang der I. Abtig, herauszustellen. Trotz der erwähnten Schwankungen, Inkonsequenzen und Umwege 4

PINDEB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 214. ' PINDEB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 233. Finder behauptet sogar, daß "durch eine Art von Montage der Schein jener kontinuierlichen Erweiterung eines einzigen Gedankens erzeugt wird, auf die Kant - wie wir aus der Preisschrift [über die Deutlichkeit der Grundsatze] wissen - abzielt" (Ebd. 165).

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Der einzig mögliche Beweisgrund

ist doch ein Leitfaden ersichtlich, der sich von der Betrachtung über das Sein bis zur abschließenden Aussage: "Es ist ein Gott" zieht. Dem gilt es nachzugehen.

3. Die Vorrede des EmBg Kant legt dar, wie er seinen eigenen Gottesbeweis einschätzt. Er sei nicht der Meinung, daß die für den Menschen so wichtige Erkenntnis: "Es ist ein Gott" ohne tiefe metaphysische Untersuchungen ins Wanken kommt. Denn die Vorsehung hat nicht gewollt, daß "unsere zur Glückseligkeit höchstnötigen Einsichten auf der Spitzfindigkeit feiner Schlüsse beruhen sollten". Sie hat vielmehr solche Erkenntnisse dem "natürlichen gemeinen Verstand" anvertraut *. Im selben Sinne drückt sich Kant auch im Schlußsatz des Werkes aus: "Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nötig, daß man es demonstriere." Für diese existentielle Überzeugung gibt es "genugsam überführende Beweistümer", die der "gesunden Vernunft" zugänglich sind. Trotzdem hält Kant es für billig, im Hinblick auf den "der Nachforschung gewohnten Verstand" eine regelrechte "Demonstration zu suchen" (A 4 = II 65). Hier sind einige terminologische Präzisierungen nötig. Erstens, schon der Buchtitel legt eine Distinktion zwischen "Beweisgrund" einerseits und "Demonstration" bzw. "Beweis" andererseits nahe. Trotz mancher Schwankungen bezeichnet Kant mit "Beweisgrund" (oder auch "Beweistum": A 102 = II 116) nicht die Argumentation selbst, sondern das, worauf sie beruht: die Grundlage des Beweises, die ratio probandi. Die Vierteilung "aller möglichen Beweisgründe" am Anfang der III. Abtig, nennt als ratio probandi, die die Ontotheologie von allen anderen Gottesbeweisen unterscheidet, "das Mögliche als eine Folge" des zu beweisenden allgenugsamen Wesens

' Hier darf man den Anklang einer Grundidee der Aufklärung hören, nämlich der Idee einer "allgemeinen Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat" (KrV A 752). Diese prinzipielle Fähigkeit einer wahren Erkenntnis, und in erster Linie der Erkenntnis der "höchsten Zwecke unseres Daseins'' (KrV B 395 a), ist kein Vorrecht nur einiger weniger. Derselbe Gedanke kommt auch im letzten Absatz der "Träume eines Geistersehers" an einer Stelle vor, die von Rousseau inspiriert wurde. Vgl. auch weiter oben, Einleitung, Anm. 6.

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(A 189 = II 156). M. a. W. Kant sieht den einzigen Beweisgrund, der imstande ist, eine Demonstration des Daseins Gottes zu tragen, in der Abhängigkeit aller Essenzen von Gott 7 . Zum Kantischen "einzig möglichen Beweisgrund" bemerkte ein Rezensent: "Nachdem man in der Republik der Gelehrten alles beinahe in den Wissenschaften und in der Natur, von den algebraischen Formeln an bis zu dem kleinsten Wurme, der im Staube kriecht, zu Beweisgründen für das Dasein Gottes gebraucht hat, wagt es der Hr. M. Immanuel Kant ... den einzigmöglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes der Welt anzuzeigen" *. Zweitens, vom genannten Beweisgrund her soll eine "Demonstration" des Daseins Gottes entwickelt werden. Mit Demonstration bezeichnet Kant, im Prinzip, eine besondere Art von Beweis, nämlich, wie es am Anfang der III. Abtig, angegeben wird, einen Beweis der Existenz Gottes (1) "mit mathematischer Evidenz", (2) und zwar als allerhöchsten und (3) einzigen Wesens. Dieser strenge Maßstab für eine Demonstration ist zum Verständnis der Kantischen These von einem einzig möglichen Beweisgrund unentbehrlich. Mit Beweis im allgemeinen Sinn meint er dagegen eine Argumentation, die für den gesunden Verstand ausreicht, die aber einer strengen Nachprüfung durch die spekulative Vernunft nicht standhält 9. Drittens, was Kant hier vorhat, ist eigentlich nicht eine so verstandene Demonstration; er begnügt sich damit, den "Beweisgrund zu einer Demonstration" zu liefern. Andere mögen mit dem von ihm "mühsam gesammelten Baugerät" das Gebäude einer Demonstration 7 Diese These spielte bei Kant seit 1756 eine entscheidende Rolle. Die "Naturgeschichte" hatte die gewöhnliche Physikotheologie auf dieser Linie verbessert, indem sie den Grund der Ordnung in der Welt in den wesentlichen Eigenschaften der Dinge selbst setzte, um dann Gott als letzte Erklärung dieser Wesen zu statuieren. Die Nova dilucidatio setzte bei dem "Realen" der Möglichkeit an, um auf ein notwendig existierendes Allerrealstes zu schließen. Der EmBg geht in der I. Abtig, von der inneren Möglichkeit aus, wahrend die . Abtig, die Ordnung der Welt als Auegangspunkt nimmt, insofern sie im Wesen der geordneten Dinge selbst gegründet ist. Unter verschiedenen Gesichtspunkten und unter Anwendung einer jeweils etwas anderen Terminologie ist es immer derselbe Grundgedanke der Abhängigkeit aller Essenzen von Gott, der den "Beweisgrund" liefert: Gott ist der Grund der a priori erkannten ontologischen Dimension der Möglichkeit; zugleich ist er das Prinzip der a posteriori feststellbaren Ordnung der Welt. • Briefe, die neueste Literatur betreffend, XVuT" Teil, Berlin 1764, 69. Zitiert nach PAOUNKLLI, La Fisico-Teologia, 72. Dort 71-75 auch Belege aus den Schriften Kants und anderer Autoren der Zeit zum hier besprochenen terminologischen Problem. ' Vgl. Kap. , Nr. 3.

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herrichten. In diesem Sinne habe das vorliegende Werk "das Merkmal einer unvollendeten Ausarbeitung" (A 7 = II 66). Bedenkt man aber, mit welcher Ausführlichkeit vorliegende Abhandlung, im Unterschied zur Nova dilucidatio, die Ontotheologie entwickelt, so sieht man nicht recht ein, was noch hinzukommen sollte, damit wir eine Demonstration haben. Gegen Ende der Vorrede erwähnt Kant den physikotheologischen Beweis der II. Abtig. Wie schon angedeutet, stellt dieser aposteriorische Beweis ein schwieriges Interpretationsproblem dar, insofern es nicht ohne weiteres ersichtlich ist, was diese ausführliche Physikotheologie mit der Ontotheologie zu tun hat. Der für das Verständnis des Werkes zu beachtende innere Zusammenhang beider Teile wird erst im "Beschluß" der I. Abtig, zur Sprache gebracht 1 .

10 Beide Beweise gehen von der Möglichkeit der Dinge aus. Einmal von der Möglichkeit als einer Dimension der Wirklichkeit überhaupt, die aller (kontingenten) Existenz vorangeht; ein anderes Mal von der Möglichkeit, wie sie sich durch die Eigenschaften der in unserer Welt verwirklichten Wesenheiten (Ordnung und Zweckmäßigkeit) offenbart.

VII. Kapitel Die zweite Fassung des ontotheologischen Beweises Literatur Zur ganzen I. Abteilung des EmBg vgl. die ausführliche Analyse Schmuckers in seiner "Ontotheologie des vorkritischen Kant", 62-106. Jeppel, Carl Friedrich, Kant's ontologische Beweisversuche für das Dasein Gottes in ihrem systematischen Zusammenhange dargestellt und gewürdigt, Dies. Halle 1883, 21-42. Reich, Klaus, Kants einzig möglicher Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Ein Beitrag zum Verständnis des Verhältnisses von Dogmatismus und Kritizismus in der Metaphysik, Leipzig 1937. Ders., Der einzig mögliche Beweisgrund im Lichte von Kants Entwicklung zur KrV, in der Edition des EmBg für die "Philosophische Bibliothek", Hamburg 1963, VII-XXDL Redmann, Horst-Günter, Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants. Göttingen 1962. Kap. VII, Kants Ontologie und ihre Bedeutung für sein Verständnis von der Offenbarung und vom Wesen Gottes, 114-148. Bauer, Johannes, Zum einzig möglichen Beweisgrund, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie und Psychologie 7 (1964) 161-174. Finder, Tillmann, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, Diss. Berlin 1969, 148-235. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principio di ragion sufficiente, Mila.no 1971, 87-114. Laberge, Pierre, La thoologie Kantienne pracritique, Ottawa 1973, 82-117. Frankenberger, Horst, Kant und die Frage nach der göttlichen Allgenugsamkeit. Zur transzendentalen Wende in der philosophischen Gotteslehre, Frankfurt 1984, 31-94.

Gliederung des Beweises Das ontotheologische Argument ist in 4 Betrachtungen gegliedert: 1. Das Dasein im Verhältnis zur inneren Möglichkeit der Dinge; 2. die innere Möglichkeit der Dinge setzt ein Dasein voraus; 3. ja ein notwendiges Dasein; 4. dieses ist Gott, da es geistige Eigenschaften hat. Der eigentliche ontotheologische Beweis erstreckt sich von der 1. bis zur 3. Betrachtung, Nr. 2. Das

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übrige in der 3. Betrachtung expliziert die ontologischen Eigenschaften, die im Begriff des notwendigen Daseins enthalten sind. Die 4. Betrachtung über den personalen Charakter des notwendig Existierenden argumentiert nicht mehr auf Grund des ontotheologischen Ansatzes (der Möglichkeit der Dinge). Die Betrachtungen 1-3 sind jeweils einer der Modalkategorien: Dasein, Möglichkeit und Notwendigkeit gewidmet, wobei der Grundbegriff der des Daseins ist.

Erste Betrachtung. Vom Dasein überhaupt Literatur Maier, Anneliese, Kants Qualitätskategorien (KS EH 65), Berlin 1930, 2527.

Röd, Wolfgang, Über die Bedeutung von Existentialaussagen, in KS 56 (1965/66) 208-231. Howe, L· T., Existence as a Perfection: A Reconsideration of the Ontological Argument, in: Religious Studies 4 (1968/69) 78-101. Vick, George R., Existence was a Predicate for Kant, in: KS 61 (1970) 357371. Wagner, Hans, Über den Satz Kants, das Dasein sei kein Prädikat, in: Archiv f. Geschichte d. Philosophie 53 (1971) 183-186. Bonevac, Daniel, Kant on Existence and Modality, Ebd 64 (1982) 289-300. Hintikka, Jaakko, Kant on Existence, Predication, and the Ontological Argument, in: Dialectica 35 (1981) 127-146. ND in: Simo Knuuttila and Jaakko Hintikka (Ed.), The Logic of Being, Dordrecht 1986, 249-2687. Schmucker, Josef, Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise, Wiesbaden 1983, vor allem 19-26. Heidegger, Martin, Die Grundprobleme der Phänomenologie, in: Werke, Bd. 24, Frankfurt 1975. Vorlesung SS 1927. Zur These Kants: Sein ist kein reales Prädikat, 35-107. Ders., Kants These über das Sein, in: Existenz und Ordnung (Festschrift E. Wolf), Frankfurt 1962. 217-245.

Kant fangt mit dem Begriff vom Sein an, da er ja zeigen will, daß das Mögliche als Mögliches ein Existierendes voraussetzt, näherhin ein notwendig Existierendes. Daß dieser Begriff in unserem Falle, wo es darum geht, das notwendige Dasein zu erschließen, einer Klärung bedarf, erhellt aus den "irrigen Schlüssen", die man aus diesem an-

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sonsten "sehr reinen Begriff' gezogen hat - nämlich im Cartesianischen Beweis!

1. Das Dasein ist gar kein Prädikat oder Determination von irgendeinem Dinge 1 Das Dasein wird zunächst negativ festgelegt: Es ist niemals eine inhaltliche Bestimmung eines Möglichkeitsbegriffs; es stellt keine Antwort auf eine Was-Frage dar. Ich kann ein Ding denken und zwar als durchgängig bestimmt bis zu den sog. "notae individuantes", etwa eine historische Person, ohne daß ich deswegen dieses Individuum als tatsächlich existierend denken muß. Dies zeigt, daß die Existenz nicht zu den Bestimmungen eines Dinges gehört. Ein Existierendes weist keine eigenen Bestimmungen auf, die es im Unterschied zum selben Ding als bloß möglich auszeichnen würden; sonst wäre das, was existiert, nicht genau das, was als möglich gedacht wurde, sondern wegen der hinzukommenden Bestimmung etwas anderes. Sein kann wohl, grammatisch, in einem einstelligen Gebrauch, als Prädikat fungieren, nämlich als "Verbalprädikat". Etwa in der Aussage: Das See-Einhorn ist (im Unterschied zum "Nominalprädikat" in einem kopulativen Gebrauch, etwa im Satz: Peter ist fleißig). Aber auch hier bedeutet Sein kein Prädikat im Sinne einer Bestimmung, sondern das Verhältnis des gemeinten Objektes zum Erkenntnisvermögen, nämlich daß das Objekt die Erkenntnis transzendiert (Vgl. Nr. 2: Sein als absolute Position eines Dinges). Diese Lehre wird in der KrV, A 219, im Rahmen der Grundsätze, die die Modalkategorien betreffen, weiter ausgeführt. An unserer Stelle erläutert Kant den Satz: Das See-Einhorn ist, folgendermaßen: "die Vorstellung des SeeEinhorns ist ein Erfahrungsbegriff, das ist die Vorstellung eines existierenden Dinges". Die Problematik, die in dieser Aussage steckt, soll in der folgenden Ziffer zur Sprache gebracht werden. In der KrV, im Abschnitt über den ontologischen Gottesbeweis, führt Kant eine terminologische Klärung ein, indem er seine These

1 "Ding" war z. Zt. Kants die geläufige Verdeutschung von ens. Vgl. WOLFF, Deutsche Metaphysik, § 16; BAUMGABTBN, Metaphysica, § 61.

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etwas anders formuliert: "Sein ist kein reales Prädikat" (A 598), d. h. es gehört nicht zur Kategorie der Realität (Qualitätskategorie), sondern zu den Modalkategorien (Vgl. KrV A 80). Letztere sind nach der Aristotelisch-Scholastischen Philosophie eigentlich keine Kategorien, keine "praedicamenta", sondern überkategorial (transzendent). Mit dieser terminologischen Präzisierung will Kant sagen: Sein kann ein Prädikat sein, aber nur im Sinne von Verbalprädikat, nicht im Sinne von Bestimmung eines Dinges. An der Lehre dieses Abschnittes ist folgendes zu beachten: a) Prädikat oder Determination sind sämtliche positive oder negative Merkmale oder Bestimmungen eines möglichen Dinges. (Vgl. Baumgarten, Metaphysica, § 36 zu "determinatio" und, im Zusammenhang mit ihr, zu "realitas".) Prädikat bedeutet also in der These Kants soviel wie positives Wesens- oder Soseinsmerkmal eines Dinges. b) Der Begriff eines möglichen Dinges umfaßt alle Soseinsmerkmale, einschließlich der individuellen; also auch die sog. durchgängige Bestimmung, die in der Schulphilosophie als Individuationskriterium gilt *. Ein realmögliches Ding muß in sich schon durchgängig bestimmt sein, so daß seine Versetzung in die Wirklichkeit nicht durch die Hinzufügung eines neuen Merkmals geschieht, sondern durch das Sein, das eben kein neues Merkmal ist *.

1 Dies bedeutet allerdings nicht, daß wir einen conceptus singularis bilden können; vielmehr beziehen wir den allgemeinen Begriff vermöge eines demonstrativen Ausdrucks oder eines geeigneten Sprachmittels (etwa eines Eigennamens) auf ein Individuum. Der Grund, warum wir das Singulare nur durch das Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand erkennen können, ist letztlich, daß wir zwar die materia individualis erfahren, sie aber nicht auf den Begriff bringen können, weil sie als solche unintelligibel ist (Vgl. B. LONEBGAN, Verbum. Word and Idea in Aquinas, 168-176). Wenn im folgenden vom "einzelnen" Begriff die Rede ist, so ist damit gemeint, daß wir ein Seiendes als an sich durchgängig bestimmt denken, aber ohne daß unser Begriff bis zur Individualität bestimmt sei. Vgl. Svend ANDEBSEN, Ideal und Singularität. Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie (KS EH 116), Berlin 1983, 94-111. 9 Vgl. gegen Ende dieser ersten Betrachtung im Kontext der Auseinandersetzung mit Wolff: "Uberdem kann der Satz, daß ein mögliches Ding als ein solches betrachtet in Ansehung vieler Prädikate unbestimmt sei ... eine große Unrichtigkeit veranlassen" (A 14 = 76). Entsprechend heißt es in der KrV: "Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung" (A 571). In der R 3761 um die Mitte der 60er Jahre wird klar herausgestellt, daß die Distinktion zwischen allgemeinem Begriff (der kein durchgängig bestimmter Begriff ist) und einzelnem Begriff (der durchgängig bestimmt ist) nicht identisch mit der Distinktion zwischen Begriff eines Möglichen und Begriff eines Existierenden ist, insofern der

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Durch die hier aufgestellte These hat Kant im Prinzip den Essentialismus der Schulphilosophie überwunden, für den das Seiende völlig in seinen Bestimmungen aufgeht. Programmatisch schreibt Wolff, Ontologia, § 104: "... cum ipsam notionem entis in genere ... ex notione determinationis deducamus". Weiteres werden wir in Nr. 4 sehen. Kant will dagegen die Existenz von den Bestimmungen eines Dinges ausgenommen wissen. Die These: "Sein ist kein Prädikat" kommt mehrmals in den RR vor 4. So in den RR 3725, 3736. Besonders wichtig ist die R 3706 (XVII 240-243) gegen Ende der 50er Jahre, die nach Schmucker * die klassische Widerlegung des Cartesianischen Beweises rein anhand des Prinzips: "Sein ist kein Prädikat" darstellt. Dieses "lose Blatt" gehört also in den Bereich der vorbereitenden Entwürfe zum EmBg. Dieselbe These im Kontext der anticartesianischen Argumentation ist ein wiederkehrendes Thema auch in den Vorlesungsnachschriften zur Metaphysik und Rationaltheologie. Vgl. etwa XXVIII 313, 493 f, 554 f, 692, 783, 919.

2. Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges und unterscheidet sich dadurch auch von jeglichem Prädikate, wekhes als ein solches jederzeit bloß beziehungsweise auf ein anderes Ding gesetzt wird Hier wird positiv angegeben, was Dasein ist. Dafür bedient sich Kant des Begriffs der Position (Setzung). Man muß aber zwei Arten von Setzung unterscheiden: a) eine respektive oder relative Setzung: Etwas als Prädikat wird in bezug auf etwas anderes als Subjekt gesetzt. Z. B. "Gott ist allmächtig". Sein als relative Setzung übt im Urteil die Funktion einer copula (Verbindungsmittel) aus, um ein Merkmal einem Subjekt zu-

einzelne Begriff auch ein bloß Mögliches bezeichnen kann: "Ein allgemeiner und bloß möglicher Begriff ist nicht omnimode determiniert. Aber ein einzelner Begriff ist es und4 kann doch bloß möglich sein." Vgl. die Untersuchung Guido SCHNEEBEBGEBS, Kants Konzeption der Modalbegriffe, Basel 1952, zweiter Teil. ' SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 24-26.

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zuweisen. Ob das so qualifizierte Subjekt existiert, ist damit nicht ausgemacht. Die gängige Definition vom Urteil als Verbindung eines Subjektes mit einem Prädikat sieht im Urteil genau (und nur) diese Setzung. Vgl. in diesem Sinne Kants Urteilstheorie in RrV A 6 "; b) eine absolute Setzung: Etwas wird mit all seinen Prädikaten absolut und damit in sich selbst gesetzt, z. B. "Gott ist". In diesem Falle bezeichnet das "ist" das Dasein im Sinne von Existenz. Deshalb werden solche Urteile Existenzurteile genannt. "Die Sache wird an und für sich selbst gesetzt." Damit meint Kant die Setzung des Subjekts mit all seinen Prädikaten außerhalb der Vorstellung. In aller Ausdrücklichkeit finden wir dies im § 76 der KU gesagt, wo Kant wieder den Begriff der absoluten Position für das Dasein gebraucht: Während das Mögliche "die Position der Vorstellung respektiv auf unseren Begriff bedeutet", bedeutet das Wirkliche "die Setzung des Dinges an sich selbst (außer diesem Begriff)" (B 340 = V 402). Die These: "Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges" ist m. E. sachlich richtig und fundamental. Allerdings gibt Kant weder hier noch an der Parallelstelle der KrV A 598 f das erkenntnismäßige Pendant zu dieser metaphysischen These an. Es geht nämlich darum zu wissen, wie wir zur Erkenntnis gelangen, daß etwas ist, in sich selbst gesetzt, extra causas ist. Durch welchen Erkenntnisakt wissen wir, daß ein zunächst bloß gedachtes Ding in sich selbst gesetzt ist? Dort wo Kant auf diese entscheidende Frage eingeht, verfällt er in eine sensualistische Interpretation der Wirklichkeit. So im Postulat der Wirklichkeit, KrV A 225 f, und schon vorher im programmatischen Text am Anfang der transzendentalen Ästhetik: A 19. Gewiß, wenn wir den Begriff in der Erfahrung verifizieren, erkennen wir die Existenz dessen, was der Begriff meint. Aber welches ist das Wahr' Kants Lehre vom Urteil ist durchgängig die Lehre von einem Verhältnis zwischen Subjekt- und Prädikatbegriff; d. h. er betrachtet das "ist" in seiner grammatischen Funktion einer copula, ohne die Funktion der Setzung zu thematisieren, in der das Proprium des Urteils als ein eigenes Moment im Vollzug unserer Erkenntnisstruktur besteht. In der R 3920 (um 1769) heißt es: "In aüen Urteilen ist die Materie und die Form zu erwägen. Das erstere sind die Begriffe des Subjekts (y + a) = x. und des Prädikats b. Zweitens die Form, welche bei den Logikern der Verbindungsbegriff heißt (copula)". Dieser Mangel in der Erkenntnislehre hat enorme Konsequenzen in der Seinelehre. Dieselbe Lehre vom Urteil liegt der "klassischen" Einteilung (Prolegomena, § 3) aller Urteile in analytische und synthetische zugrunde. Vgl. KrV B, Einleitung IV (B 10).

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heits- und Wirklichkeitskriterium? Ist es die Erfahrung selbst? Mit dieser Frage werden wir uns mehrmals zu beschäftigen haben T. Thomas von Aquin sieht das erkenntnismäßige Pendant zum Sein als absoluter Position eines Dinges im Urteil als absoluter Position einer mentalen Synthesis (die absolute Position also einer zunächst bloß relativen Position, d. h. einer Verbindung von Subjekt und Prädikat); m. a. W. im Urteil als Bejahung, als "est". Es ist diese zweite Position, die uns die erstere vermittelt *. "Der ungreifbare [impalpable] Akt der rationalen Bejahung ist die notwendige und zureichende Bedingung für die Erkenntnis der Wirklichkeit" e. Eine weitere Präzisierung ist allerdings nötig. Genau genommen sind nicht alle Urteile als Setzungen Existenzurteile, d. h. Erkenntnisakte, die uns die Wirklichkeit als Wirklichkeit vermitteln, sondern nur die Urteile, deren Setzung im uneingeschränkten Horizont des Seins stattfindet. Mit Horizont des Seins meine ich den unbegrenzten Horizont unserer Intentionalität, die nach dem Sein fragt (quid sit, an sit); dieser Horizont hängt in seiner Tragweite nicht von unseren Definitionen, Annahmen, Setzungen ab 1 . Aus diesem Grund ist das Urteil "Die Quadratwurzel von - l ist" (= es gibt sie) zwar eine Setzung, aber eigentlich keine absolute. Denn ein solches Urteil gilt nur auf der Grundlage bestimmter Definitionen und Regeln, etwa der Definition von natürlichen Zahlen, Quadratwurzel, negativen Zahlen, imaginären Zahlen. Das heißt also, das Urteil findet im qualifizierten und damit eingeschränkten Horizont der Mathematik statt. Existenzurteil ist dagegen das Urteil: "Der Mond ist." Hier beruht die Setzung auf keiner von uns gesetzten Definition oder Vereinbarung; sie ist in diesem Sinne eine absolute Setzung. Ausgangspunkt einer solchen absoluten Position sind unmittelbar oder mittelbar die Daten der Sinne oder des Bewußtseins, in denen eine Intelligibilität zuerst entdeckt und dann durch die kritische Reflexion verifiziert wird ohne Rückgriff auf eine von uns gemachte Setzung,

' Vgl. vor allem Kap. X, 3. • Vgl. oben ffl. Kapitel, Nr. 3, a, Anm. 39 und auch Anm. 34 zur (absoluten) Setzung im Unterschied zur mentalen Synthesis - eine Distinktion, die der Distinktion Kants zwischen "absolut" und "beziehungsweise"-Setzen entspricht. '10 LONBRGAN, Insight. A Study of Human Understanding, 538. Vgl. oben m. Kapitel, 3, a, Anm. 35.

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die einen begrenzten Horizont innerhalb des unbegrenzten Horizontes der Intentionalität festlegen würde.

3. Kann ich wohl sagen, daß im Dasein mehr als in der bloßen Möglichkeit sei? Sachlich fügt Kant hier dem schon Gesagten nichts Neues hinzu, sondern behandelt nochmals den Unterschied zwischen Möglichem und Wirklichem. Dasein besagt nicht, was gesetzt sei, sondern wie etwas gesetzt sei, nämlich daß die Bestimmungen, die im Möglichen nur in bezug auf ein Subjekt gesetzt sind, "absolute" gesetzt werden, d. h. "die Sache selbst zusamt diesen Beziehungen". Oder wiederum durch ein anderes Sprachmittel: 7m Existierenden wird dasselbe gesetzt wie im Möglichen, aber durch das Existierende wird mehr gesetzt als durch das Mögliche.

4. Kants Stellungnahme zu Wolffs, Baumgartens und Crusius' Lehre vom Sein Die nun folgende Auseinandersetzung mit den Hauptvertretern der Schulphilosophie zeigt, daß Kant sich seiner Trennung von deren Seinsauffassung bewußt war. a) Wolff habe das Dasein als eine "Ergänzung der Möglichkeit" erklärt. Diese Auskunft über das Sein sei aber sehr unbestimmt, solange nicht gesagt wird, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört. In seiner deutschen Metaphysik, § 14, behauptet zwar Wolff, daß zur Möglichkeit "noch was mehreres" hinzukommen muß, damit sie zu einer Wirklichkeit wird, erklärt aber nicht, worin "diese Erfüllung des Möglichen" besteht. Denn an der Stelle der Gotteslehre, auf die er verweist (§§ 928 f), wird gesagt, daß Gott den Grund seiner Wirklichkeit in sich hat, die übrigen Dinge aber in Gott (§ 930). An der ebenfalls zitierten Stelle der Kosmologie (§§ 565 ff, vor allem 572) wird weiter gesagt, daß der Grund, warum etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet bzw. existiert, "in dem Zusammenhang der Dinge [= mechanischer Determinismus]" liegt. Wolff geht also eher

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auf die Frage nach dem zureichenden Grund bzw. der Wirkursache des Daseins ein und läßt die Frage unbeantwortet, was das Dasein in sich selbst sei. Ähnliches in der Ontologia § 174: "Existentiam definio per complementum possibilitatis". Auch hier verweist Wolff auf spätere Erörterungen über das Dasein Gottes und der kontingent Seienden im Sinne des zureichenden Grundes bzw. der Wirkursache des Daseins. b) Baumgarten hat die noch unbestimmte Definition der Existenz bei Wolff als "complementum possibilitatis" eindeutig in einem essentialistischen Sinne ausgelegt. Er hat das Prinzip der durchgängigen Bestimmung, das zunächst die vollständige Determination der Essenz bis zur Individualität besagt, in eine Erklärung der Existenz verwandelt, wie wir im Kap. V, Nr. 2 gesehen haben, als wir untersuchten, in welchem Sinne nach Kant das Schema des göttlichen Verstandes das Dasein gibt. Man kann bei Baumgarten vielleicht eine doppelte Weise unterscheiden, wie er die durchgängige Bestimmung als Existenzprinzip versteht. In seiner Metaphysica zerlegt er das ens in Bestimmungen, und zwar in die wesentlichen (essentialia: § 39) und die folgenden Bestimmungen (affectiones: § 41). Letztere sind entweder Eigenschaften (attributa) oder Akzidentien (accidentia praedicabilia oder modi): § 50. Auf der Basis dieser Analyse definiert Baumgarten das Existierende als das Mögliche, das hinsichtlich aller "affectiones", die in ihm zusammenbestehen können, bestimmt ist (§ 54 f). Das "complementum essentiae sive possibilitatis" (§ 55), in dem die Existenz besteht, scheint also in den "folgenden Bestimmungen" (Attributen und modi) zu liegen. Nach einer anderen Stelle (§§ 132-134) rechnet Baumgarten die attributa ohne weiteres zu der Essenz, so daß die Existenz als "complementum essentiae" in die modi allein gesetzt wird. In diesem Sinne wird die Existenz als ein modus definiert (§ 134): Sie ist ein kontingentes Prädikat des Wesensbegriffes, nämlich seine Letztbestimmung. An unserer Stelle scheint, daß Kant sich auf diese zweite Analyse bezieht. Entscheidend ist aber in beiden Fällen, daß die Bestimmungen, die zu den essentialia hinzukommen und die Essenz individualisieren, zugleich bewirken, daß diese Essenz existiert. Genau hierin liegt der Essentialismus, der die Existenz als eigene metaphysische Komponente der endlich Seienden über die Essenz hinaus übersieht.

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Gegen diese Seinslehre wendet Kant ein: (1) Der Inbegriff aller Prädikate macht keinen Unterschied zwischen Existierendem und Möglichem, wie Kant vorher durch das Beispiel des Julius Cäsar erläutert hat. (2) Schon das Mögliche steht unter dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung (vgl. KrV A 571 f) und damit unter der "Regel der Ausschließung eines Mittleren". Wir haben an dieser Stelle die ausdrückliche Ablehnung einer Lehre vom Sein, die Kant in der Nova dilucidatio selber vertreten hatte. c) "Der berühmte Crusius rechnet das Irgendwo und Irgendwann zu den untrüglichen Bestimmungen des Daseins." In seiner Metaphysik stellt Crusius die These auf: "Die Existenz ist dasjenige Prädikat eines Dinges, vermöge dessen es auch außerhalb der Gedanken irgendwo und zu irgend einer Zeit anzutreffen ist" (§ 46. Weiteres in den §§ 47 ff). Diese These steht wohl im Zusammenhang mit der Aussage des § 57, dergemäß "unsere ersten Begriffe existierende Dinge sind, nämlich Empfindungen". Gegen die Crusianische Auffassung vom Sein macht Kant zwei Bemerkungen geltend: Erstens, er deutet zunächst seine Bedenken gegen die These an, daß "alles" Existierende "irgendwo oder irgendwann sein müsse" (vgl. Crusius, § 48). Die Inauguraldissertation von 1770, § 27, nennt das Axiom "quicquid est, est alicubi et aliquando" erschlichen. Zweitens, er verweist vor allem auf das über die Bestimmungen (Prädikate) schon Gesagte, daß nämlich sie alle "noch immer auch zu bloß möglichen Dingen" gehören, zur durchgängigen Bestimmung, die das Individuum, egal ob ein wirkliches oder ein bloß mögliches, kennzeichnet. Wahr an der These Crusius' ist, daß das Wann und das Wo für uns das naheliegendste ExistenzArtferium liefern; aber nicht, daß in diesen Prädikamenten das Dasein selbst besteht.

5. Stellung der vorliegenden Seinslehre zum ontotkeologischen Argument Was für eine Stellung hat diese in der 1. Betrachtung entwickelte Seinslehre zum ontotheologischen Argument der nachfolgenden Betrachtungen? Meistens wird diese Seinslehre im Zusammenhang (nur)

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mit der Widerlegung des Cartesianischen Beweises in der III. Abt. gesehen. Daß die negative Bestimmung des Seins: "Dasein ist kein Prädikat oder Determination von irgendeinem Dinge" den Schlüssel zum Argument gegen Descartes liefert, ist klar. Ebenfalls hat die positive Bestimmung des Seins als Position eine offenkundige Relevanz gegen Descartes. Denn wenn die Wesenheiten oder Möglichkeiten respektive Setzungen besagen, d. h. Setzungen der Merkmale in bezug auf die dadurch konstituierten Wesenheiten, so kann unmöglich aus dem Begriff eines Wesens das Dasein desselben, d. h. seine absolute Setzung, abgeleitet werden. Mit seiner These: "Sein ist kein Prädikat" entzieht Kant der Auffassung von der Existenz Gottes als einer logischen Notwendigkeit die Grundlage. Damit allein aber ist kein Zusammenhang mit dem ontotheologischen Beweis selbst ersichtlich, zu dem die Lehre der 1. Betrachtung einleiten soll. In der Tat stellt für Kant die Lehre vom Sein als absoluter Position eines Dinges eine unabdingbare Voraussetzung für seinen apriorischen Gottesbeweis aus den Möglichkeiten der Dinge dar. Denn der Beweis geht von den Möglichkeiten, genau vom Materialen der Möglichkeiten aus als etwas unserem Denken objektiv Gegebenes und in diesem Sinne als etwas Gesetztes. Nun aber, argumentiert Kant, kann ein solches Gegebensein des Möglichen nur in einem Existierenden als absoluter Position begründet sein. "Wenn nun alles Dasein aufgehoben wird, so ist nichts schlechthin gesetzt, es ist überhaupt gar nichts gegeben, kein Materiale zu irgend etwas Denklichem, und alle Möglichkeit fällt gänzlich weg" (A 18 f = II 78). Es ist das ursprüngliche Gesetztsein des Seins, das das abkünftige Gesetztsein des Möglichen begründet. Diese schlechthinnige Setzung, von der die Setzung des Materialen der Möglichkeit abhängt, ist das absolut Daseiende. Mit der Auffassung vom Sein als Setzung hängt der Begriff der absoluten .Realnotwendigkeit zusammen, den Kant in der 3. Betrachtung Nr. l einführt: Absolut Realnotwendiges ist das, dessen Verneinung unmöglich ist, nicht weil eine solche Verneinung einen Widerspruch einschließt (die Aufhebung des Seins läßt nichts übrig, auch kein Material zum Denken; deswegen kann durch die Aufhebung des Seins kein Widerspruch zwischen zwei Wirklichkeiten oder Begriffen entstehen), sondern weil sie das absolute Nichts, das Verschwinden aller Möglichkeit zur Folge hat (was für Kant dem Unmöglichen

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schlechthin gleichkommt!). Nun zielt der onto theologische Beweis genau auf das ens necessarium im Sinne des absolut Realnotwendigen ab. Vom so inhaltlich erfüllten Sein hängt nun sowohl die kontingente Existenz als auch die Möglichkeit der Dinge ab. Denn die möglichen Dinge sind Realinhalte, denen an sich (unabhängig von ihrer Existenz sowie von unserem Denken, ja auch vom göttlichen Verstand. Vgl. R 3706: XVII 240 f) bestimmte Beziehungen, d. h. die relativen Setzungen zukommen, in denen das Formale der Möglichkeit besteht. Der ontotheologische Beweis steigt von der Möglichkeit der Dinge zum Dasein Gottes auf, von dem als absolut Realnotwendigem sowohl die Existenz des Seienden als auch der Inhalt des Möglichen völlig abhängt. In dieser Hinsicht weist das mit dem Kantischen Argument erschlossene notwendige Dasein eine gewisse Nähe zum Thomanischen esse auf, von dem es heißt: "Hoc quod dico esse est actualitas omnium actuum, et propter hoc est perfectio omnium perfectionum" "; oder "Esse est perfectissimum omnium: comparatur enim ad omnia ut actus" ia.

Zweite Betrachtung. Von der inneren Möglichkeit, insofern sie ein Dasein voraussetzt Nach der vorbereitenden Klärung des Seinsbegriffs fängt hier der eigentliche Beweis an, der in zwei Schritte gegliedert ist. Erstens wird die Existenz eines notwendigen Wesens bewiesen (bis zur 3. Betrachtung, Nr. 2), dann werden die Eigenschaften dieses Wesens ausgearbeitet, um aufzuzeigen, daß das notwendige Wesen Gott ist. Ein solches Verfahren ist durchaus herkömmlich. Es findet sich schon bei den mittelalterlichen Meistern der Scholastik. Das Muster, das Kant unmittelbar vor Augen stand, war der Kontingenzbeweis bei Wolff in der deutschen Metaphysik, §§ 928-946 und in der Theologia Naturalis, I, §§ 24-69, der durch eine scharfe Trennung gekennzeichnet ist zwischen dem ersten Schritt, der auf irgendein selbständiges (notwen-

11 u

THOMAS VON AQUDJ, De Potentia, q. 7, a. 2 ad 9. THOMAS VON AQUIN, Summa Theologiae I, q. 4, a. l ad 3.

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diges) Wesen schließt, und dem zweiten, der die Identität dieses Wesens mit Gott durch die Untersuchung seiner Eigenschaften nachweist. Der erste Schritt erfolgt bei Kant in zwei Momenten: (1) Das Mögliche setzt irgendein Dasein voraus: 2. Betrachtung. (2) Dieses Dasein ist schlechterdings notwendig: 3. Betrachtung, Nr. 1-2. Bezüglich des zweiten Schrittes muß man unterscheiden zwischen der Ableitung der rein ontologischen Eigenschaften des ens necessarium aus dem ursprünglichen Ansatz der Ontotheologie, nämlich der Möglichkeit der Dinge (3. Betrachtung, Nr. 3-6), und der Ermittlung des personalen Charakters desselben auf dem Weg einer natürlichen Theologie (vgl. KrV A 631) und damit a posteriori (4. Betrachtung). Die Grundstruktur des Arguments beruht, wie schon gesagt, "auf dem Verhältnis der Realgehalte des Möglichen als Folgen zu dem Inbegriff aller Realität ... als Grund: Das Reale der Möglichkeiten ist in sich etwas und als solches dem Denken gegeben, auch wenn es aktuell niemand denkt, und als solche Gegebenheit verlangt es einen Grund, der letztlich nur als ein notwendig existierender, alle Realität in sich befassender ... denkbar ist" ". Es muß deshalb mit einer Analyse der Möglichkeit angefangen werden.

1. Von der Möglichkeit Ausgangspunkt der Argumentation ist die innere oder absolute Möglichkeit der Dinge (im Unterschied zur äußeren, die den Bezug auf eine Wirkursache besagt). Das Mögliche wird von Kant, Baumgarten folgend (Metaphysica, § 8), vom Unmöglichen her erläutert. Im (innerlich) Unmöglichen muß man das Materiale, die objektiven Gehalte, die an sich selbst etwas sind und die gedacht werden können, und das Formale, nämlich den Widerspruch, dessentwegen die Realgehalte einander aufheben, unterscheiden. "Ebenso muß in jeder Möglichkeit" das Materialprinzip und das Formalprinzip unterschieden werden. Wir haben hier die terminologische Fixierung beider Prinzipien des Möglichen, bei denen Kant bereits in seiner ersten Version der

u

SoniucKBB, Kants vorkritische Kritik, 66.

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Ontotheologie angesetzt hat u. Aber der Sinn dieser Bestandteile ist anders geworden. Denn jetzt ist das Hauptmittel für die Analyse des Unmöglichen und von da her des Möglichen das Widerspruchsprinzip. In der logischen Beziehung des Widerspruchs bzw. des Ausschlusses des Widerspruchs besteht das Formale der Unmöglichkeit bzw. der Möglichkeit. Von einem synthetischen Moment der Verstandeshandlung ist in der vorliegenden Erklärung des Formalen des Möglichen nicht mehr die Rede. Das Formale wird lediglich durch die "Vergleichung der Prädikate mit ihren Subjekten" nach dem Widerspruchsprinzip definiert. Finder hebt deshalb im EmBg eine "folgenreiche Einengung des Begriffs vom Formalen der Möglichkeit auf das Logische" hervor. Das Materiale der Unmöglichkeit bzw. der Möglichkeit wird entsprechend als das definiert, was in der logischen Beziehung des Streits oder der Übereinstimmung "steht". Der Unterschied zur Nova dilucidatio fallt ins Auge. Dort war der Grundbegriff für die Analyse des Möglichen der des "reale" im Sinne der Schulphilosophie: "realitas" war für Baumgarten (Metaphysica, § 36) das metaphysisch Positive, das durch eine affirmative Bestimmung bezeichnet wird. Von hier aus war der Übergang vom gegebenen "reale" in all unseren Möglichkeitsbegriffen zur existierenden "omnimoda realitas" unmittelbar. Erst sekundär nannte Kant in der Nova dilucidatio das reale auch "velut (!) materiale". Im EmBg bezeichnet der Terminus "Materiale" das, was bloß durch die logische Beziehung des Widerspruchs bzw. der Übereinstimmung festgelegt wird. Was dieses Materiale der Möglichkeit in sich selbst sei, bleibt somit völlig unbestimmt. Finder sieht hier eine "Entleerung" dieser Komponente des Möglichen ". Es ist deshalb kein Zufall, wenn Kant hier die Reihenfolge der Bezeichnungen umdreht, die er in der Nova dilucidatio verwendet hatte: Das Materiale, d. h. "das Etwas oder was in dieser Übereinstimmung steht, wird bisweilen (!) das Reale der Möglichkeit heißen". In der Tat kommt der ontologische Terminus "Reale" im weiteren Verlauf des EmBg kaum noch vor 1 .

14

Vgl. Kap. IV, l, a. " PWDEB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichen, 183 f. " Soviel ich sehe, nur noch in A 47 = II 91. Vgl. auch in der zweiten Fassung der Physikotheologie: A 66 = 100.

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Diese beachtenswerte Änderung in der Analyse des Möglichen hängt mit Kants Versuch zusammen, das pantheistische Gefalle seiner ersten Fassung der Ontotheologie zu umgehen. Ist das Reale der Möglichkeit gegeben, dann scheint dieses Reale nur dadurch erklärbar, daß es sich in einer "durchgängigen Realität" findet, die sich, weil durchgängig bestimmt, als das existierende ens realissimum erweist. Infolge der Umwandlung des Realen in ein Materiale der Möglichkeit, dessen metaphysischer Inhalt unbestimmt bleibt, bahnt sich eine andere Erklärung an: Die Erklärung unserer Möglichkeitsbegriffe liegt in einem Jtealgrund, der nicht der existierende Inbegriff der Realien unserer Möglichkeitsbegriffe, sondern der transzendente Grund der Möglichkeiten schlechthin ist.

2. Die innere Möglichkeit setzt irgendein Dasein voraus Aus der Analyse der Möglichkeit in ihren zwei Komponenten folgt, daß die Möglichkeit wegfallt, erstens, wenn die Materialgehalte miteinander nicht übereinstimmen, wenn sie also gegen das Formalprinzip der Möglichkeit verstoßen; zweitens, noch radikaler, wenn das Materialprinzip selbst fehlt. "Denn alsdann ist nichts Denkliches gegeben, alles Mögliche aber ist etwas, was gedacht werden kann und dem die logische Beziehung gemäß dem Satze des Widerspruchs zukommt." Dies ist der Fall, "wenn alles Dasein aufgehoben wird." Diese These wird an unserer Stelle mit verschiedenen Formulierungen zumindest dreimal wiederholt. Sie besagt, daß das Mögliche in seinem Inhalt etwas Abkünftiges ist, etwas dem Dasein Nachgeordnetes, wie schon Crusius mit Entschiedenheit behauptet hatte ". Nur wegen des Daseins als schlechthin Gesetztseins kann das Mögliche selbst gegeben sein, d. h. kann etwas überhaupt möglich sein. Es ist dies das erste Prinzip des ontotheologischen Beweises: Die Möglichkeit ist in ihrem Inhalt nur auf Grund eines Existierenden denkbar. Aber welches Existierende? Für die Nova dilucidatio war die vorausgesetzte Existenz die der "omnimoda realitas", die bestimmt ist,

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Vgl. Kap. IV zu Beginn von Nr. 3.

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genau so wie und weil die Realien der Möglichkeiten bestimmt sind. Für den EmBg wird "irgendein Dasein" vorausgesetzt. Die Analyse der inneren Möglichkeit in der vorigen Nummer erklärt diese Änderung in der Folgerung dieses ersten Schrittes, insofern das Materiale der Möglichkeit bloß relativ durch die logische Beziehung der Widerspruchslosigkeit definiert wurde. Vom so verstandenen Möglichen her kann unmöglich auf ein bestimmtes Dasein geschlossen werden 1 . Es ist dies der Preis, um den Kant die pantheistische Tendenz der Nova dilucidatio zu überwinden versucht. Dieselbe Schlußfolgerung stimmt mit Kants neuer Konzeption des Daseins überein. In der ersten Betrachtung haben wir gesehen, daß Kant sich vom Essentialismus Baumgartens entfernt hat, für den das Dasein als die durchgängige Bestimmung eines Dinges direkt auf der Linie der Bestimmung des Realen lag. Für Kant besteht jetzt das Sein in einer absoluten Setzung, die als solche die Prädikate des Gesetzten unbestimmt läßt. Die Ablehnung des Essentialismus kommt der Anerkennung einer realen Distinktion zwischen Intelligibilität und Existenz der Wirklichkeit gleich. Eine begrenzte Intelligibilität schließt zwar eine transzendentale Verwiesenheit auf die Existenz mit ein, und in diesem Sinne besagt sie ein Mögliches, ist selber aber nicht die Existenz. Nur auf dem Weg der Analogie, die die Identität von inhaltlicher Bestimmung (Prädikat) und Existenz (absolute Position) auf einer höheren Ebene wiederherstellt, kann das von der inneren Möglichkeit vorausgesetzte Dasein bestimmt werden. Andererseits gelingt es Kant, von der inneren Möglichkeit der Dinge auf irgendein Dasein zu schließen, weil er das Mögliche, trotz der Analyse in der vorigen Nummer, mit der Schultradition immer noch in einem ontologischen Sinne versteht. Der objektive Gehalt eines nichtwidersprüchlichen Gegenstandes des Denkens bedeutet bereits die reale Möglichkeit des gedachten Dinges. Warum aber, fragt Kant, hat das Nichtwidersprüchliche, das allein Inhalt des Denkens sein kann, eine transzendentale Beziehung zum Sein, so daß es ein possibile esse ist? Und er antwortet: Weil es im Wesen dessen gegründet ist, das das notwendig Existierende ist, in dem also die Möglichkeit (oder das Wesen) als eine Bestimmung mit dem Sein u Diesem Mangel seiner Ontotheologie versucht Kant in Nr. 4 vorliegender Betrachtung abzuhelfen und zwar auf einer anderen Argumentationslinie.

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identisch ist. Der nichtwidersprüchlichen Synthese von Bestimmungen kommt Seinscharakter zu, weil die Materialgehalte der Synthese im Wesen des notwendig Existierenden ihren Grund haben 1 . Mit derselben These, daß die innere Möglichkeit vom Dasein abhängt, näherhin, wie wir sehen werden, vom notwendigen Dasein, tritt Kant der Auffassung Leibniz' entgegen, der, so wie Kant ihn versteht, die ewigen Wahrheiten und das Reich der Möglichkeiten als von Gott unabhängig annahm (Vgl. A 180 f = II 151 zum Thema "göttliche Allgenugsamkeit").

3. Es ist schlechterdings unmöglich, daß gar nichts existiere Bisher wurde gesagt: Wenn es etwas Mögliches gibt, dann muß es irgendein Existierendes geben. Jetzt geht Kant über diese unbestrittene These hinaus und behauptet: Es muß unbedingt etwas Existierendes geben, weil sonst alle Möglichkeit aufgehoben wird - und genau dieses letztere ist schlechterdings unmöglich! Nach der vorhin durchgeführten Analyse des Möglichen kann alle Möglichkeit auf zwei Weisen aufgehoben werden entsprechend den zwei Komponenten des Möglichen. Erstens, durch die Negierung des Widerspruchsprinzips, die das Formalprinzip der Möglichkeit tilgen und damit die völlige Undenklichkeit und so die schlechthinnige Unmöglichkeit nach sich ziehen würde. Zweitens, durch die Negierung alles Seins, die "das Materiale und die Data zu allem Möglichen" aufheben würde, da ja das Gegebensein des Inhalts des Möglichen vom Gesetztsein des Seins abhängt. Dieser zweite Fall eines völligen Nichts infolge der Aufhebung alles Daseins wird hier in Betracht gezogen. Nun ist eine derartige Hypothese schlechthin unmöglich; denn "Wodurch alle Möglichkeit überhaupt aufgehoben wird, das ist schlechterdings unmöglich". Hierin liegt das zweite tragende Prinzip der Ontotheologie. Anders gesagt: Absolut unmöglich ist das, was zur u Vgl. SCHMUCKER, Ontotheologie, 97-101, der auch auf Übereinstimmungen und Unterschiede dieser Lehre vom Möglichen zu Suarez eingeht. Allerdings übersieht Schmucker, daß das "Materiale" der Möglichkeit im EmBg nicht ohne weiteres mit dem "Realen" der Nova dilucidatio identisch ist, daß also der Ansatz zum Beweis Gottes metaphysisch dünner geworden ist.

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Folge hat, daß Nichts möglich ist. Dieses "das" ist das Nichtexistieren des Seins "*. Wenn aber die Aufhebung des Seins schlechterdings unmöglich ist, dann ist es absolut notwendig, daß es das Sein gibt. Denn "necessarium est, cuius oppositum est impossibile" M. Wir haben hier die Gleichsetzung von "keine Möglichkeit" (als Konsequenz der Aufhebung des Seins) mit "Unmöglichkeit", oder die Gleichsetzung von "Nichts Mögliches" mit "unmöglich", so wie es in der Nova dilucidatio hieß: nihil reale exsistit —> nihil est possibile = est impossibile. Für Kant sind völliges Fehlen aller Möglichkeit und Unmöglichkeit "gleichbedeutende Ausdrücke". Wenn es nun schlechterdings unmöglich ist, daß es kein Mögliches gibt, dann ist es absolut notwendig, daß es Mögliches gibt und weiter (laut dem ersten Prinzip der Ontotheologie), daß es Daseiendes gibt. Mit anderen Kantinterpreten bin ich der Ansicht, hier liege eine Äquivokation zwischen "völlig nichts" bzw. "Nichts Mögliches" als Inhaltsaussage und "unmöglich" als Modalaussage vor M. Wobei diese Äquivokation nicht dieselbe ist wie die, die andere Autoren Kant vorgeworfen haben, daß er nämlich den Begriff "unmöglich" einmal im logischen Sinne (= widersprüchlich) und einmal im realen Sinne (= absolutes Nichts) nimmt M.

Exkurs: Zum apriorischen Charakter des Kantischen Beweises, oder zur Unmöglichkeit des Nichts Die Ontotheologie Kants steht oder fallt mit dem hier eingeführten zweiten Prinzip von der Unmöglichkeit der Aufhebung aller Möglichkeit der Dinge, oder, was auf dasselbe hinauskommt, mit dem Prin-

*° Es ist anzumerken, daß das zu Beginn des Abschnittes formulierte Prinzip auch die absolute Unmöglichkeit des Widersprechenden beweist (!), insofern das Widersprechende zur Verneinung aller Möglichkeit fuhrt, wobei diese Konsequenz für Kant "schlechterdings unmöglich ist". Aber diese Anwendung des Prinzips bleibt außerhalb der eigentlichen ontotheologischen Argumentation. Das erste und letzte ist für Kant die Unaufhebbarkeit der Möglichkeit in ihrer "materialen" Komponente. " BAUMGAHTBN, Metaphysics, § 101. Vgl. Kap. IV, Nr. l, a am Ende. " In der 3. Betrachtung, Nr. l, kommt die falsche Gleichsetzung deutlich zur Sprache: "was ich schlechterdings als nichts und unmöglich ansehen soll" (A 27 = 82). " Vgl. SCHMUCKES, Ontotheologie, 78.

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zip von der Unmöglichkeit des absoluten Nichts. Schmucker M hebt mit besonderem Nachdruck hervor, daß, während die (Neu-)Scholastiker in ihrer Possibilienlehre aus den Möglichkeiten lediglich (!) einen Beweis der Existenz Gottes als des letzten Fundaments der Möglichkeiten gewonnen haben, Kant tiefer vorgestoßen ist. Für ihn würde sich aus dem Nichtsein des Realprinzips der Möglichkeiten nicht einfach (!) die Aufhebung der Möglichkeiten, sondern die grundsätzliche Aufhebung der Möglichkeit von Möglichkeiten überhaupt ergeben und damit die radikalste Form des Unmöglichen. Denn das absolute Nichts als Aufhebung der Möglichkeit vom Möglichen ist das absolut Unmögliche. Dazu möchte ich folgende Fragen stellen: (1) Worin besteht der sachliche Unterschied zwischen der einfachen (aber doch totalen) Aufhebung des Möglichen und der Aufhebung aller Möglichkeit des Möglichen? (2) Liegt nicht genau in der Gleichsetzung von "absolutes Nichts" als Aufhebung alles Möglichen und "absolut Unmögliches" die von mehreren Seiten Kant vorgeworfene Äquivokation? * Das Argument Kants zugunsten des absolut notwendigen Daseins ist deshalb a priori, weil es davon ausgeht, daß das absolute Nichts unmöglich ist! Ein solcher Ausgangspunkt impliziert schon, daß das Dasein absolut notwendig ist. Der vorliegende Beweis eines ens necessarium ist deshalb a priori, weil für Kant die Möglichkeiten, d. h. die objektiven Realinhalte des Denkens, schlechterdings unaufhebbar sind; sie sind notwendig genauso wie das sie begründende Dasein M. So heißt es in der R 3712: "... die Möglichkeit überhaupt ... ist notwendig"; in der R 3736, Nr. 3: "Ideo nota propria existentiae necessariae reperiunda erit in respectu ipsius ad possibilitatem, quae itidem est necessaria". Das Mögliche als Mögliches muß sein; also muß auch das ens necessarium sein! Warum ist das völlige Nichts unmöglich? Oder warum ist "die grundsätzliche Aufhebung der Möglichkeit von Möglichkeiten überhaupt" unmöglich? ". Die Frage, wie die Unaufhebbarkeit aller Mög-

M

Vgl. SCHMUCKES, Ontotheologie, 101-106. * Vgl. SCHMUCKER, Ontotheologie, 301 f. * Vgl. SCHMUCKES, Ontotheologie, 86. * SCHMUCKER, Ontotheologie, 106. Meine Stellungnahme zur Abhandlung Schmuckers und seiner Beurteilung der Ontotheologie Kants siehe in Theologie und Philosophie, 68 (1983) 114-118.

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lichkeit begründet werden kann, bleibt in beiden Fassungen der Ontotheologie ungelöst. Die Frage stellt sich im EmBg um so dringlicher, weil Kant hier von der Identifizierung des Realen unserer Möglichkeitsbegriffe mit dem Existierenden abgegangen ist ("nisi quicquid est in omni possibili notione reale exsistat" hieß es in der Nova dilucidatio: I 395). Die entscheidende Frage, um über einen Grottesbeweis von den Possibilien her zu befinden, ist m. E. folgende: Wie wissen wir, daß es überhaupt Mögliches gibt, daß das Mögliche möglich (und deshalb alle Möglichkeit) ist? Oder, wie wissen wir, daß die innere Möglichkeit stattfindet "? Es ist einleuchtend, daß Möglichkeit im ontologischen Sinne etwas Abkünftiges gegenüber dem Dasein ist, und daß deswegen der Schluß von der ersteren auf das zweite stichhaltig ist (vgl. R 5559). Aber wir wissen um das Antezedens dieser Schlußfolgerung erst daraus, daß wir logisch vorher zur Erkenntnis gelangt sind, daß etwas existiert (die Welt, wir selber). Da nun letztere Erkenntnis lediglich a posteriori zu erreichen ist, erweist sich der Ausgangspunkt der Ontotheologie und damit der ganze Gottesbeweis von der Möglichkeit her als a posteriori.

4. Alle Möglichkeit ist in irgend etwas Wirklichem gegeben, entweder in demselben als eine Bestimmung, oder durch dasselbe als eine Folge Der letzte Abschnitt der 2. Betrachtung verfolgt ein doppeltes Ziel: Er soll das Verhältnis: Möglichkeit - Wirklichkeit grundsätzlich erörtern, zugleich aber auch das Wirkliche, das vom Möglichen vorausgesetzt wird, in seinem Wesen bestimmen, nachdem der zweite Abschnitt unbestimmt von "irgendeinem" Dasein gesprochen hat. Kant unterscheidet zwei Fälle, wie die Möglichkeit im Wirklichen gegründet sein kann:

** "Die Frage, wie und woher uns denn das Materiale der Möglichkeiten gegeben wird ..., wird weder in der Nova dilucidatio noch im EmBg gestellt; vielmehr argumentiert Kant in beiden so, als ob unserem Denken die Materialgehalte der möglichen Dinge ... unmittelbar als Folgen ihres letzten Realgrundes gegeben seien" (SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 63). Die Existenz des Realgrundes aber soll zuerst vom Möglichen her bewiesen werden!

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a) Etwas ist möglich, weil es selber wirklich ist; d. h. die Möglichkeit ist eine Bestimmung seiner eigenen Existenz. Von dem, was wir in der ersten Fassung der Ontotheologie gesehen haben (Nova dilucidatio, Prop. VTI am Ende), ist es klar, daß damit Gott als ens necessarium gemeint ist, in dem die Möglichkeit dem Dasein nicht vorausgeht, sondern (logisch) ihm folgt, bzw. mit dem Dasein als seiner Bestimmung identisch ist. Gott ist das Existierende, das deswegen möglich ist, weil es existiert, so daß es nicht bloß möglich sein kann. b) Etwas ist möglich, "weil etwas anderes wirklich ist, d.i. seine innere Möglichkeit ist als eine Folge durch ein anderes Dasein gegeben". Es soll wiederum daran erinnert werden, daß hier nicht die äußere Möglichkeit zur Debatte steht, dergemäß etwas möglich ist, weil eine von ihm unterschiedene Wirkursache existiert, die es hervorbringen kann. Es handelt sich vielmehr um die innere Möglichkeit, die in einem Existierenden gegründet ist, insofern es "die Data und das Materiale im Denklichen liefert". Dieses Existierende wird "der erste Realgrund dieser absoluten Möglichkeit" genannt. Der Begriff vom Realgrund der Möglichkeit stellt den Grundbegriff der Ontotheologie von 1762 dar, die auf dem Folge-Grund-Verhältnis beruht. Dieser zweite Fall der Begründung des Möglichen im Wirklichen wird anhand einiger Dinge erörtert, deren innere Möglichkeit in die sie konstituierenden einfachen Data aufgelöst wird. Letztere sind nur durch die Berufung auf ein Dasein zu erklären, dessen Folgen sie sind. Diesen Gedanken einer Analyse unserer Begriffe hat Kant kurz darauf in der Preisschrift über die Deutlichkeit der Grundsätze weiter ausgeführt (1. Betrachtung, § 3 und passim). Damit operiert die Ontotheologie des EmBg mit einem von der Nova dilucidatio verschiedenen Argumentationsschema. Der Gottesbeweis in der Nova dilucidatio erhält seinen Sinn von der Idee der Synthesis: Wir bilden unsere Begriffe durch Zusammensetzung von Realgehalten; von hier aus folgert der Beweis, daß der Stoff zu aller Synthesis existieren muß, und zwar als unendlicher und einer. Dieses synthetische Argumentationsschema wird im EmBg durch ein analytisches abgelöst: Unsere Möglichkeitsbegriffe werden in ihre letzten Data aufgelöst; von diesen

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als Folgen schließt der Beweis auf einen Realgrund, dessen Unendlichkeit und Einheit noch zu ermitteln ist e.

Dritte Betrachtung. Von dem schlechterdings notwendigen Dasein In Nr. 1-2 dieser Betrachtung wird der ontotheologische Beweis im wesentlichen zu Ende geführt: Das von der inneren Möglichkeit vorausgesetzte Dasein ist ein notwendiges Dasein. Nr. l erläutert, was ein notwendiges Dasein ist; Nr. 2 beweist, daß es ein notwendiges Dasein gibt.

l, Begriff der absolut notwendigen Existenz Um den Begriff der notwendigen Existenz zu klären, geht Kant von der bereits mehrmals zitierten Baumgartenschen Nominaldefinition aus: "Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst unmöglich ist" M. M. a. W. das Dasein eines Dinges ist absolut notwendig, wenn dessen Nichtsein in sich selbst unmöglich ist. Es gilt deshalb zu ermitteln, warum das Nichtsein eines Dinges in sich unmöglich ist; damit hätten wir die Realerklärung der notwendigen Existenz. Gemäß der in der 2. Betrachtung, Nr. l, durchgeführten Analyse des Möglichen unterscheidet Kant zwei Fälle von Unmöglichkeit: 1) Das Nichtsein eines Dinges ist in sich unmöglich, weil ein solches Nichtsein einen Widerspruch impliziert und damit die Negierung des logischen Prinzips der Möglichkeit überhaupt ". Diese Unmöglich" Vgl. PDJDBB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 204-213. 30 BAUMGASTEN, Metaphysica, §§ 101 f. 11 Zum Satz des Widerspruchs als "dem letzten logischen Grund alles Deutlichen" wird an unserer Stelle gesagt, daß durch dessen Aufhebung "alle Möglichkeit verschwinde, und nichts mehr zu denken sei". Der Unterschied des Formalen und Materialen der Möglichkeit wird hier de facto beiseite geschoben. In der 2. Betrachtung, Nr. l, bei der Einführung der Distinktion von Formalem und Materialem der Möglichkeit, hieß es dagegen, daß durch den Widerspruch das Formale der Möglichkeit ("Die Beziehung von einem Denklichen zum anderen") und damit die gemeinte Sache unmöglich wird (etwa ein viereckiger Triangel), das Materiale aber derselben (die Data zu diesem widersprachlichen Begriff) "ist an sich selber etwas und kann gedacht werden". Eine solche Änderung in der Bestimmung der Grundbegriffe ist das Anzeichen des span-

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keit betrifft ein Ding in bezug auf seine Eigenschaften (Prädikate); den Fall also, in dem Eigenschaften aufgehoben werden, die in die Definition des Subjektes gehören. Etwa: Das Dreieck ist viereckig. Diese Unmöglichkeit findet bezüglich des Daseins eines Dinges nicht statt, weil die Negierung des Daseins eines Dinges die völlige Negierung desselben bedeutet. In einem solchen Fall kann evidentermaßen kein Widerspruch zwischen einem (gesetzten) Subjekt und seinem Prädikat (das das Subjekt bzw. seine Bestimmungen aufhebt) entstehen, weil die Negierung des Daseins bedeutet, daß kein Subjekt gesetzt wird. M. a. W. "das Dasein ist gar kein Prädikat und die Aufhebung des Daseins keine Verneinung eines [im Subjekt gesetzten] Prädikats". 2) Das Nichtsein eines Dinges ist in sich unmöglich, weil ein solches Nichtsein "das Materiale" aller Möglichkeit aufhebt und damit die Negierung des realen Prinzips der Möglichkeit nach sich zieht M. Diese zweite Art der Unmöglichkeit eines Dinges betrifft genau (und nur) jenes Dasein, das, wie in der 2. Betrachtung Nr. 4 erläutert, "der erste Realgrund" aller (inneren) Möglichkeit ist. Ist nun das Notwendige das, dessen Gegenteil unmöglich ist, so ergibt sich aus der doppelten Art der Unmöglichkeit eine doppelte Art von Notwendigkeit: 1 b) Die logische Notwendigkeit ist die Notwendigkeit dessen, von dem das Gegenteil (das Nichtsein) unmöglich, weil widersprüchlich ist. Derart ist die Notwendigkeit "in den Prädikaten bloß möglicher Begriffe". 2 b) Die absolute ÄeaZnotwendigkeit ist die Notwendigkeit dessen, von dem das Gegenteil unmöglich ist, weil es "das Materiale zu allem Denklichen und alle Data dazu aufhebt". Derart ist die Notwendigkeit des Daseins, und zwar desjenigen (bisher noch unbestimmten) Daseins, von dem "die innere Möglichkeit aller Dinge" (2. Betrachtung, Nr. 2) abhängt, die Notwendigkeit also des realen Grundes der Möglichkeit überhaupt. Ens necessarium und absolute Realnotwendigkeit gehören zusammen.

nungsgeladenen Argumentationsgangs, über den Kant das Ziel eines Gottesbeweises von der Möglichkeit der Dinge her verfolgt. " Die Argumentation beruht natürlich auf der absoluten Unmöglichkeit des Nichts, wie schon im Exkurs nach der 2. Betrachtung, Nr. 3 ausgeführt wurde.

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Exkurs. Zu welcher Erkenntnis Gottes fuhrt die Ontotheologie? Der Sinn der vorigen Erörterung ist nicht bloß terminologisch. Kant ist der Meinung, wir vermögen die unbedingte Realnotwendigkeit des ens necessarium zu verstehen, und zwar allein von der Möglichkeit her als der ontologischen Dimension, die der bedingten Existenz vorhergeht. Genau hierin sieht Kant das Auszeichnende seiner Ontotheologie, weshalb sie als "der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" gilt. Nur der Weg vom Möglichen als Mögliches macht die absolute Daseinsnotwendigkeit aus ihrem eigentlichen Wesen einsichtig: Das Daseinsnotwendige, das wir Gott nennen, ist ein absolut Äeo/notwendiges, das die Realität der Dinge und damit ihr Wesen als etwas Mögliches begründet. Im "Beschluß" der I. Abtig, schreibt Kant: "Er [der Beweis] ist in der Tat von dem inneren Kennzeichen der absoluten Notwendigkeit hergenommen. Man erkennt auf diese Weise das Dasein dieses Wesens aus demjenigen, was wirklich die absolute Notwendigkeit desselben ausmacht, also recht genetisch" (A 46 f = II 91). Und am Ende der III. Abtig, heißt es: "Es ist nur ein Gott und nur ein Beweisgrund, durch welchen es möglich ist, sein Dasein mit der Wahrnehmung derjenigen Notwendigkeit [= der absoluten Realnotwendigkeit] einzusehen, die schlechterdings alles Gegenteil vernichtigt" (A 204 = II 162). Der Weg a posteriori, der von den kontingenten Dingen aus mittels des Satzes vom Grunde auf das ens necessarium schließt, gelangt nur zu einer logischen Notwendigkeit des ens necessarium - diese aber ist für das Dasein irrelevant, weil das Dasein kein Prädikat ist. Dieser Punkt, der für die ganze Gottesproblematik Kants von grundlegender Bedeutung ist und auf den Schmucker immer wieder zurückkommt, muß hier weiter besprochen werden. (1) Wir haben gesehen, daß unsere Erkenntnis der Möglichkeit überhaupt von der Erkenntnis des Existierenden (der Welt) ihren Ursprung hat, wobei letztere nur a posteriori stattfindet. Damit fällt der Weg a priori zur Erkenntnis Gottes weg. (2) Aber auch abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand halte ich Schmuckers Einschätzung des ontotheologischen Beweises (die in dieser Ausdrücklichkeit bei Kant selber nicht vorliegt) für durchaus anfechtbar. Es stimmt einfach nicht, daß der Beweisgang

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von der Möglichkeit her im Unterschied zum Kontingenzbeweis "die Natur dieser Notwendigkeit [uns] begreiflich mach[t]" (A 47 = II 91), oder, wie Schmucker die Aussage paraphrasiert, sie "aus ihrem eigentlichen Wesen einsichtig" macht w . Beide Beweise wenden das Prinzip vom Grunde an: der eine auf das Mögliche, der andere auf das kontingent Existierende; der eine erreicht somit ein absolutes Dasein, das das Mögliche als Mögliches fundiert, der andere ein absolutes Dasein, das das kontingent Seiende (und damit prinzipiell alles Kontingente) fundiert. Beide Male hat die Negierung des absoluten Daseins die Negierung alles Möglichen bzw. alles Existierenden (und Möglichen!) zur Folge. Beide Male bilden wir einen nur analogen Begriff des ens necessarium, weil die Einsicht, aus der unser Begriff Gottes hervorgeht, nicht die Einsicht in das Wesen Gottes selbst ist, sondern in das Wesen der endlichen Dinge (endliche Möglichkeiten und endliche Existierende) M. Genau weil beide Male der Übergang vom Endlichen zum ens necessarium mittels des Satzes vom Grunde geschieht **, erkennen wir Gott als den letzten Grund der Wirklichkeit sowohl in ihrer Dimension der Möglichkeit als auch in der Dimension der Existenz.

* SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 67. Ebensowenig stimmt es, daß Kants Beweis aus den Möglichkeiten der Dinge "die Notwendigkeit seines [Gottes] Daseins aus ihrem Grunde verstehen" läßt (Ebd. 36). Denn, wie Kant selbst in der Nova dilucidatio ausdrücklich bemerkt hat, sind die möglichen Dinge eine ratio cognoscendi des ens necessarium, aber keine ratio essendi. In der Ontotheologie, 96, heißt es, die KausalschlüBse von der Welt her lassen uns nicht (wohl im Unterschied zum Schluß von den Möglichkeiten her) "die absolute Notwendigkeit des Daseins jener prima causa einsehen". Vgl. auch: SCHMUCKES, Wolfgang Cramers Widerlegung der Gottesbeweiskritik Kants, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970) 299. 14 Dies wurde, freilich in einem anderen Kontext, auch von Kant anerkannt, als er nach 1763 Voraussetzungen und Ergebnis seiner Ontotheologie einer Kritik unterzog. So heißt es z. B. in der R 4248 am Ende der 60er Jahre: "Wir erkennen also das Urwesen und dessen Notwendigkeit nicht aus sich selbst, d. i. aus den Begriffen, die wir irgend von den inneren Prädikaten eines Wesens haben, in denen das Dasein eingeschlossen sei, sondern relativisch aus dem Verhältnisse desselben zu unseren Begriffen von der Möglichkeit aller Dinge." Diese Erkenntnis Gottes in bezug auf das andere von ihm Abhängige ist das, was unter analoger Erkenntnis Gottes verstanden wird. * In der Nova dilucidatio versteht Kant den ontotheologischen Beweis ausdrücklich als Anwendung des Satzes vom Grunde auf das kontingent Seiende in seiner ontologischen Dimension der Möglichkeit (im Unterschied zum Cartesianischen, der das Prinzip direkt auf das ens perfectissimum anwendet); im EmBg heißt es, die Ontotheologie schließe "aus dem Möglichen als einer Folge auf die göttliche Existenz als einen Grund": A 189 = 156.

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(3) Weil beide Beweise nicht zur Erkenntnis dessen fuhren, was Gott in sich selbst ist **, deshalb können wir ohne Widerspruch die Existenz Gottes verneinen, die Existenz nämlich sowohl des ens necessarium, das das Mögliche begründet, als auch des (d. h. desselben!) ens necessarium, das das kontingent Existierende begründet. Dieser Umstand bedeutet aber nicht, daß wir den Begriff eines nur "logisch" Notwendigen gebildet hätten; vielmehr haben wir zwar rational (= begründeterweise) eine absolute reale Notwendigkeit behauptet und damit erkannt - die Notwendigkeit des Seins als der Fülle der Wirklichkeit -, aber ohne dieselbe in ihrem Wesen begriffen zu haben.

2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen Nach der Erklärung dessen, was ein absolut notwendiges Dasein (im Sinne der Realnotwendigkeit) ist, beweist Kant, daß es ein solches Dasein tatsächlich gibt. Der Beweis, der die ersten fünf Sätze umfaßt, tut nichts anderes, als die vorhergehenden Ausführungen kurz zusammenzufassen. Die innere Möglichkeit setzt "eine gewisse Wirklichkeit" voraus, so daß umgekehrt die Aufhebung des Daseins die Aufhebung aller inneren Möglichkeit bedeutet und damit das absolute Nichts. Aber gerade diese Verneinung aller Möglichkeit ist schlechterdings unmöglich (wie Kant in der 2. Betrachtung, Nr. 3 programmatisch formuliert hat. Hier liegt das zweite Prinzip der Kantischen Ontotheologie, das den eigentlichen springenden Punkt der Demonstration ausmacht). Wenn nun die Verneinung des Daseins eine schlechthinnige Unmöglichkeit zur Folge hat, so ist das Dasein selbst "schlechterdings notwendig" denn "necessarium est, cuius oppositum est impossibile" ". Also es

" Vgl. die mehrmals bei THOMAS wiederkehrende These: "De Deo scire .possumus quod est, sed non quid est" (De pofentia, q. 8, a. l ad 12. Vgl. auch Summa Theol. I, q. 3, prol.; q. 12, aa. 4, 11, 12., und die bekannte Aussage der Summa contra Gentiles, , cap. 49, Nr. 8: "De Deo quid non sit cognoscimus, quid vero sit penitus manet ignotum". Eine solche These ist völlig verstandlich, wenn man bedenkt, daß wir nach Thomas, wie nach Aristoteles, was etwas sei (quid sit), eigentlich (proprie) nur durch eine Einsicht in seine eigenen Daten verstehen. Die Daten Gottes haben wir aber nicht! * BAUMGAHTBN, Metaphysica, § 101.

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"existiert etwas absolut notwendigerweise". Das Hauptziel des Beweisganges ist damit erreicht: Es wurde a priori (vom Möglichen als Mögliches, abgesehen von jeglichem durch die Erfahrung zu erkennenden Existierenden) aufgezeigt, daß es irgend ein ens necessarium gibt. Der in diesem Abschnitt durchgeführte Beweis der Existenz des ens necessarium wiederholt offensichtlich, was schon zur Definition des absolut Realnotwendigen in Nr. l und weiter oben in Nr. 3 der zweiten Betrachtung gesagt wurde. Dies ist insofern nicht überraschend, als Kants Realerklärung des notwendigen Daseins bereits einen Existenzialsatz einschließt, nämlich die Unmöglichkeit, daß es keine Möglichkeit gibt. Daß das Nichtsein der Möglichkeit schlechterdings unmöglich ist, ist bereits ein Modalsatz, d. h. in ihm ist schon von einem "Existierenden" die Rede: Das Mögliche ist. Das die Möglichkeit überhaupt begründende Existierende ist ebenso unaufhebbar wie die Möglichkeit selbst. Immer wieder kehren wir zu der These zurück, die die ganze Ontotheologie trägt: Das Mögliche ist schlechterdings unaufhebbar; also ist das das Mögliche begründende Dasein ebenfalls schlechterdings notwendig ".

3.- 5. Die ontologischen Eigenschaften des notwendig Existierenden Aus dem Begriff des schlechterdings notwendigen Wesens leitet Kant im folgenden seine ontologischen Attribute ab, um damit aufzuzeigen, daß das alle Möglichkeit begründende Dasein das ist, "quod omnes intelligunt Deum". Diese Ableitung ist nichts anderes als eine Explizierung dessen, was im schon ausgewiesenen ens necessarium enthalten ist. 3) Das notwendige Wesen ist einzig. Denn es ist das Wesen, das alle Möglichkeit begründet. Eine Mehrzahl notwendiger Wesen würde bedeuten, daß entweder die einzelnen nicht alle Möglichkeit begründen, oder daß das eine das andere (notwendige!) Wesen begründet.

' Vgl. oben den Exkurs nach der 2. Betrachtung, Nr. 3.

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4) Das notwendige Wesen ist einfach, d. h. es ist nicht aus mehreren Substanzen zusammengesetzt ". Denn ist nur eine dieser Teilsubstanzen notwendig, so sind die anderen ihre Folgen; sind mehrere Teilsubstanzen notwendig, so begründet keine von ihnen alle Möglichkeit; sind alle Teilsubstanzen kontingent, so ist es auch deren Aggregat. 5) Das notwendige Wesen ist unveränderlich und ewig. Denn als ein einziges Wesen (Individuum) ist es durchgängig bestimmt. Da andererseits im notwendigen Wesen die Möglichkeit eine Bestimmung der Wirklichkeit ist **, so sind alle seine möglichen Bestimmungen immer schon verwirklicht. Daher ist es unveränderlich und kann weder entstehen noch aufhören.

6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität Literatur Schmucker, Josef, Die Ontotheologie, 87-91. Frankenberger, Horst, Kant und die Frage nach der göttlichen Allgenugsamkeit, Frankfurt 1984. Kap. I: "Das ens realissimum als absolut erster Realgrund aller Möglichkeit im EmBg", 31-132. Maier, Anneliese, Kants Qualitätskategorien (KS EH 65), Berlin 1930, 2729, 38-43. Heimsoeth, Heinz, Chr. Wolffs Ontotogie und die Prinzipienforschung Kants, in: Studien zur Philosophie I. Kants. I. (KS EH 71), Köln 1956, 57-63.

Abs. 1. Daß das ens necessarium als solches alle Realität und zwar in höchstem Grad enthält, ist die wichtigste seiner ontologischen Eigenschaften 41. Die Auffassung Gottes als ens realissimum oder allgenugsames Wesen (vgl. II. Abtig., 8. Betrachtung) bedeutet ein Doppeltes:

" In der Nova dilucidatio hatte Kant bewiesen, daß die notwendig existierenden Realien unserer Möglichkeitsbegriffe nicht auf verschiedene Substanzen verteilt sein können. Der Beweis der Simplizität richtet sich gegen den Atheismus, der die aus Substanzen zusammengesetzte Welt rar das absolutnotwendige Wesen hält. 40 D. h. es ist nur möglich, weil es wirklich ist. Vgl. 2. Betrachtung, Nr. 4. 41 Vgl. . Kap., Anm. 1.

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1) Das notwendige Wesen enthält alle Materialgehalte der Möglichkeiten in irgendeiner Weise - sonst könnte es sie nicht begründen. Aber es enthält sie nicht summenhaft; es ist kein Inbegriff aller Realität in dem Sinne, daß alle Realitäten des Möglichen zu ihm als seine Bestimmungen gehören würden (ens realissimum in pantheistischem Sinne) **. Das Verhältnis: Gott-Reales der Möglichkeit ist nicht nach dem Modell einer extensiven Größe zu ihren Teilgrößen zu verstehen, sondern als das Verhältnis einer intensiven Größe zu ihren möglichen Wirkungen. Vgl. R 3775: "Ens (transscendentaliter) maximum est realissimum ... in quo ... est quantitas ... intensive". 2) Die Möglichkeiten sind im "realsten" Wesen begründet entweder als dessen Bestimmungen (also formell in ihm) oder als dessen Folgen (virtuell oder fundamental in ihm, d. h. durch ihn) a. Insofern nun die Realgehalte der Möglichkeiten Bestimmungen des notwendigen Wesens sind, werden sie ihm in absolut höchstem Grad zugeschrieben **. Auch dieser Gedanke kommt in den RR im Zusammenhang mit dem genannten Modell einer intensiven Größe vor. Vgl. R 3727: "Gradus maior non est minorum totum, sed ratio". R 3889: "Die höchste Realität besteht nicht darin, daß alles in ihr sei, sondern durch ihr [= sie] als einem Grund." Der These, die "alle möglichen Realitäten" den Bestimmungen Gottes undifferenziert zuschreibt, tritt Kant mit folgenden Überlegungen entgegen: a) Es gibt Bestimmungen, etwa die materiellen Realitäten, die mit der Geistigkeit des höchsten Wesens nicht zusammenbestehen können.

" In diese Richtung ging, wie wir gesehen haben, die erste Ontotheologie, für die "alles, was in jedem Begriff real ist, existieren muß" und zwar "in einem einzigen Seienden vereinigt". Sie schloß unmittelbar vom Realen in jedem Möglichkeitsbegriff auf die "omnimoda realitas" im Sinne des ens realissimum. 43 Daß alle Möglichkeit entweder im Wirklichen oder durch das Wirkliche gegründet ist, haben wir schon in der 2. Betrachtung, Nr. 4 gesehen. Aber dort hat sich die Aufmerksamkeit Kants bezüglich des ersten Falls auf die Möglichkeit (Essenz) Gottes selbst gewendet, so daß der Sinn der Aussage ein anderer ist als der hier diskutierte. 44 Vgl. BAUMGAKTBN, Metaphysica, § 190: "... Realissimum ergo est, in quo maximae plurimae realitates". Im Kontext der damaligen Schulphilosophie schließt sich Kant damit an eine traditionelle Lehre der Scholastik an, die zwischen den "perfectiones simpliciter simplices" und den "perfectionee mixtae" unterschied. Die ersteren sind in Gott formaliter (aber eminenter!), die anderen virtualiter eminenter. Vgl. J. GEBET, Elemente. Philosophiae Aristotelico-Thomisticae, Friburgi Br., '1937, , §§ 796 f.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

b) Die genannten Realitäten sind aber nicht deswegen von Gott fernzuhalten, weil sie keine wahre Realitäten wären! c) Letztere Interpretation wird von ihren Vertretern durch eine falsche Anwendung des Prinzips untermauert: Realitäten als solche (nämlich als Positionen **) können einander nicht widersprechen; wenn sie nun der Realität des notwendigen Wesens widersprechen, so sind sie keine Realitäten, sondern eher Negationen *·. Und gerade als Nichtrealitäten können sie nicht dem höchsten Wesen zugeschrieben werden. Kant hält sie dagegen für Realitäten (materielle Realitäten, negative Empfindungen, u. dgl. m.), schließt sie aber dennoch vom allerrealsten Wesen aus, insofern sie mit dessen geistigen Eigenschaften und seiner Vollkommenheit nicht zusammenbestehen können. Zusätzlich präzisiert Kant das Prinzip "Realität und Realität widersprechen einander niemals", indem er außer dem logischen Widerstreit (Position und zugleich Negation derselben Realität) auf einen realen Widerstreit (Realrepugnanz) hinweist, der in den Dingen vorliegt, "wenn etwas als Grund die Folge von etwas anderem durch eine reale Entgegensetzung vernichtigt". Das Resultat einer Realrepugnanz ist ein Defekt; deshalb kann sie nicht im allerrealsten Wesen stattfinden: infolgedessen können nicht alle Realitäten in ihm als seine Bestimmungen liegen. Kurzum, Realität und Realität widersprechen logisch einander nicht, können aber real einander widersprechen. Aus diesem Grund können nicht alle Realitäten im allerrealsten Wesen liegen. Das hier zum ersten Mal in den Druckschriften angeschnittene Thema der Realrepugnanz hat Kant kurz darauf in seinem "Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" (II 165-204) weiter behandelt. In der KrV wird dieselbe Lehre im Am-

* Vgl. BAUMGAKTEN, Metaphysica, § 36. " Vgl. BAUMGABTEN, Metaphysica, § 135 zu den Negationen. Besonders stark betont Georg Friedrich MEIEB dieses Prinzip: "Daß alle Realitäten bei einander möglich sind, erhellt daraus, weil keine wahre Realität einer anderen wahren Realität widersprechen kann". Daraus folgert er, daß z. B. die Ausdehnung, die offensichtlich in Gott nicht statthat, keine Realität ist (Metaphysik, Halle '1765, § 816). Anhand dieses Prinzips hat Leibniz versucht zu beweisen, daß das ens perfectiseimum möglich ist, um dadurch den Cartesianischen Beweis zu vervollständigen (Vgl. KrV A 601 f). Dazu PAOLINELU, Fisico-Teologia e principle di ragion sufficiente, 66-69.

Der ontotheologische Beweis

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phiboliekapitel unter dem Begriffspaar "Einstimmung und Widerstreit" wieder zur Sprache gebracht (A 264, 273 f). Die Abs. 2-4 gehen auf einen Einwand ein, dessen Lösung zur weiteren Klärung der Frage beiträgt, welche Realitäten im notwendigen Wesen enthalten sind. Der Einwand lautet: Ist das notwendige Wesen der Grund aller anderen Möglichkeiten, so ist es auch der Grund ihrer Mängel und Negationen, die deshalb zu seinen Bestimmungen gehören müssen. Zur Lösung dieser Schwierigkeit weist Kant darauf hin, daß die anderen Möglichkeiten (deren Begründung im notwendigen Wesen liegt) und die eigene Möglichkeit des ens necessarium Möglichkeiten in zwei radikal verschiedenen Bedeutungen sind. Im ens necessarium ist die Möglichkeit durch sein eigenes Dasein selbst ursprünglich gegeben, wie in der Prop. VII der Nova dilucidatio ausgeführt worden ist, während die anderen Möglichkeiten vom ens necessarium abhängen. Dieser Unterschied erklärt schon, daß die anderen Möglichkeiten Mängel und Negationen enthalten, ohne daß dieselben im ens necessarium sein müssen. Das Urwesen ist Realgrund der Positionen an den Möglichkeiten und (bloß) logischer Grund des Mangelhaften an denselben. Schlußendlich gibt es in den Weltdingen Mängel und Verneinungen, weil sie limitierte Positionen (Realitäten) sind. Als solche enthalten sie schon, nach dem Satz der Identität, Verneinungen in sich. Die Endlichkeit der Dinge ist der logische Grund ihrer negativen Bestimmungen. Indem Kant hier die Negation als nur durch die entgegengesetzte Position oder Realität denkbar erklärt, entfernt er sich von der Baumgartenschen Lehre, für die Realität und Negation gleich ursprüngliche Bestimmungen zu sein scheinen ". Die zweite Fassung der Ontotheologie endet, von ihrem Ansatz her, beim allgenugsamen Wesen. Damit übernimmt sie den Begriff des uneingeschränkten Wesens der Nova dilucidatio, aber in zwei Hinsichten gereinigt bzw. präzisiert. Erstens, in seinem Inhalt durch die Lehre von der Realrepugnanz und den Verneinungen; zweitens, in seiner Transzendenz gegenüber allen Möglichkeiten, insofern es als deren Realgrund gilt. Vom allgenugsamen Wesen des EmBg führt der

BAUHGARTBN, Metaphysica, § 36. Vgl. A. MAKB, Kants Qualitätskategorien, 28 f.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Weg zum transzendentalen Ideal der KrV. Denn die Konzeption der Möglichkeiten als limitierte Grade jenes maximum realitatis, das das notwendige Wesen ist, spielte bei der weiteren Entwicklung Kants eine wichtige Rolle, die durch die RR und die Inauguraldissertation von 1770 verfolgt werden kann, bis sie ihren umfassenden Niederschlag in der KrV fand. Das transzendentale Ideal der reinen Vernunft zu Beginn des Theologie-Hauptstückes ist nichts anderes als die Umwandlung und Kritik der früheren Ontotheologie, die auf Gott als ens realissimum oder omnisufficiens geschlossen hatte a.

Vierte Betrachtung. Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes Bisher hat Kant aus dem Möglichen als Möglichem und deshalb vollkommen a priori argumentiert. Von diesem Ansatz her vermochte er, ein schlechterdings notwendig Existierendes und seine ontologischen Eigenschaften zu beweisen. In dieser letzten Betrachtung unter dem irreführenden Titel: "Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" will er aufzeigen, daß dieses absolut notwendige Dasein das Dasein Gottes ist. Damit wäre das Ziel der Ontotheologie erreicht (was in der Nova dilucidatio formell nicht geleistet wurde). Hier aber verläßt Kant (notgedrungen!) die Ebene der ontologischen Argumentation, um von den durch die Erfahrung erkannten Eigenschaften der existierenden Wirklichkeit, insbesondere von den den Menschen auszeichnenden Merkmalen des Verstandes und Willens, die geistig-moralischen Eigenschaften des ens necessarium und damit seinen personalen Charakter zu ermitteln. Auf diese Weise geht Kant von einer transzendentalen zu einer natürlichen Theologie über (vgl. KrV A 631).

Vgl. unten Kap. XIV.

Der ontotheologische Beweis

137

l,-2. Das notwendige Wesen ist ein Geist, deshalb ist es Gott Drei Beweisansätze werden in Anspruch genommen: 1) Verstand und Wille sind wahre Realitäten, die nach ihrem größtmöglichen Grund zusammenbestehen können. Also sind auch sie formell im notwendigen Wesen. 2) Verstand und Wille sind von solcher Art, daß ihr Mangel durch keine andere Realität ersetzt werden kann. Wären sie nicht im höchsten Wesen vorhanden, dann wären seine Wirkungen (der Mensch) in dieser Hinsicht größer als ihr Grund (Vgl. auch den 1. Abs. der nachfolgenden "Anmerkung"). 3) Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit in allem, was möglich ist, setzen einen intelligenten Grund voraus. Dies gilt sowohl für den Fall, in dem die genannten Eigenschaften aus der Möglichkeit der Dinge (aus ihren "Data") selbst hervorgehen, als auch für den Fall, in dem sie den Dingen als künstliche Anordnung auferlegt werden, etwa in den Organismen. Damit scheint Kant in einer nicht allzu deutlichen Weise auf die doppelte Art der Physikotheologie hinzuweisen, die in der II. Abt. des Werkes thematisiert werden soll. Vor allem für die gewöhnliche Physikotheologie gilt es, daß die Wirkungen des höchsten Wesens analog zur menschlichen Welt ("regelmäßige Blumenstücke, Alleen") einen "dem Verstande gemäßen Willen" voraussetzen. Als Fazit der Ontotheologie gilt, um eine Formulierung der II. Abtig, zu benutzen, "daß darum nur, weil ein Gott ist, etwas anderes möglich sei" (A 92 = II 112).

3. Anmerkung Kant entschuldigt sich gleichsam, daß er in seinem nunmehr zu Ende geführten Beweisgang, in dem es darum ging, das notwendige Wesen als die höchste Realität zu beweisen, den Begriff der Vollkommenheit nicht angewandt hat. In der Tat werden in der Neuzeit vielfach Realität und Vollkommenheit gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung findet bei Spinoza ihre ausdrückliche Formulierung. In den "Principia philosophiae Cartesianae" heißt es: "per perfectionem intelligo tantum

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Der einzig mögliche Beweisgrund

realitatem, sive esse" ". Infolgedessen gilt es: "Quicquid est realitatis, sive perfectionis in aliqua re, est formaliter, vel eminenter in prima, et adaequata eius causa" M. Und in der "Ethica" lesen wir: "per realitatem, et perfectionem idem intelligo" ". Baumgarten fängt seine Gotteslehre mit der Definition vom "ens perfectissimum" an ra. Was oben in der 3. Betrachtung, Nr. 6 über die Realität im Hinblick auf die Vorstellung Gottes als höchster Realität ausgeführt wurde, zeigt, daß das Ineins-Setzen von realitas und perfectio für Kant fragwürdig geworden ist M. Die Entdeckung des realen Gegensatzes in der Welt zeigt, daß es "wahrhaftig Positives", also Realität, gibt, das dennoch keine Vollkommenheit ausmacht. Infolgedessen ist der Grad der Vollkommenheit nicht ohne weiteres mit dem Grad der Realität gleichzusetzen. Hinter dieser Erwähnung des Vollkommenheitsbegriffes steht aber vor allem die Distanzierung Kants von den ethischen Thesen der Schulphilosophie M. Vollkommenheit (oder das Gute) hatte in der Psychologie sowie in der Ethik Wolffs eine zentrale Stellung. Vollkommenheit war für ihn grundlegend eine ontologische Bestimmung des Seienden, nämlich die Zusammenstimmung der verschiedenen Teile eines Wesens zur Einheit seiner Natur. Entsprechend bestand für Wolff die Vollkommenheit des Willens in der Übereinstimmung des menschlichen Handelns mit sich selbst im Kontext des ganzen Lebens ". Wolff faßte also die Vollkommenheit ontologisch - im Zusammenhang mit seiner Naturrechtslehre - und formal auf: sie besagt eine ontologische Vorgegebenheit. Das spezifisch Sittliche an der Vollkommenheit kommt daraus, daß es die freien Handlungen sind, die durch ihre Konformität zur Struktur der Wirklichkeit die Vervollkommnung der menschlichen Natur bewirken.

" SPINOZA, Opera, hrsg. von C. Gebhardt, Heidelberg, I, 165. 50 Ebd. 165.

" Ebd. II, 85. n

BAUMGAHTEN, Metaphysica, § 803. Gegen BAUMGAHTEN: Metaphysica, §§ 147, 190. " Vgl. J. SCHMUCKER, Die Ursprünge der Ethik Kants, Meisenheim am Glan 1961, 53-56. D. HENMCH, Über Kants früheste Ethik, in: KS 54 (1963) 411-413. M. FOBSCHNEB, Gesetz und Freiheit. Zum Problem der Autonomie bei I. Kant, München und Salzburg 1974, 56-67. " WOLFF, Deutsche Metaphysik, §§ 152, 907 f.

Der ontotheologische Beweis

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An unserer Stelle drückt Kant seine Abwendung von Wolff mit den Worten aus, daß eine genaue Kenntnis dessen, was Vollkommenheit ist, "die Natur eines Geistes, unser eigenes Gefühl und selbst die ersten Begriffe der praktischen Weltweisheit aufklären kann". Denn Vollkommenheit "setzt allemal eine Beziehung auf ein Wesen voraus, welches Erkenntnis und Begierde hat". In dieser Aussage kündigt sich eine Subjektivierung des Vollkommenheitsbegriffs an: "Vollkommenheit wird nunmehr in der Realisierung dem Subjekt entsprungener Zwecke gesehen und nicht mehr in der formalen Ordnung von Gegenstandsbeziehungen" M. Anstatt in der Zusammenstimmung von Vielem zum Einen, oder in einer natürlichen vorgegebenen Ordnung, besteht für Kant das Gute und die Vollkommenheit in der Übereinkunft von Realität und wesentlicher Absicht eines Willens (Vgl. A 48 = II 91 f; auch A 84 f = II 108 f). Im ontotheologischen Beweis hätte es deswegen einen Sinn, von der Vollkommenheit zu sprechen, wenn er von seinem ontologischen Ansatz her bis zum Verstand und Willen Gottes durchgeführt würde, also bis zum personalen Charakter des ens necessarium. Dies sei zwar möglich, sagt Kant, aber zu weitläufig - was mit Recht bezweifelt werden darf ".

4. Beschluß Abs. 1. Ich und die Welt sind nicht das bewiesene notwendige Dasein Kant hat zuerst die Existenz eines absolut notwendigen Wesens bewiesen und dann die Eigenschaften dieses Wesens erschlossen, so daß er zur Schlußfolgerung kommen konnte: "Es ist ein Gott". Hier wiederholt er auf eine andere Weise den 2. Schritt seines Beweises, der, wie wir sahen, charakteristisch für den Aufbau des Wölfischen Kontingenzbeweises ist, nämlich die Identifizierung des ens necessarium mit Gott M. Nachdem Wolff von der Existenz des Ich her ein selbständiges Wesen als Grund des Ich und alles anderen Existierenden

* FOBSCHNEB, Gesetz und Freiheit, 63. " Vgl. SCHMUCKES, Ontotheologie, 57. * Vgl. oben zu Beginn der 2. Betrachtung

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Der einzig mögliche Beweisgrund

bewiesen hat, leitet er aus dem Begriff des selbständigen Wesens seine Eigenschaften ab: ewig, unermeßlich, einfach, usw. Da nun weder die Welt noch das Ich derartige Eigenschaften aufweisen, deshalb ist das selbständige Wesen von all diesen verschieden; also genau das, was man unter Gott versteht. Ähnlich ist das Verfahren Kants an vorliegender Stelle.

Abs. 2. Vorzüge der Ontotheologie Kant hebt den apriorischen Charakter des ontotheologischen Beweises hervor: Der Beweis setzt weder die Existenz des Ich noch die der Welt voraus, sondern geht davon aus, daß "etwas möglich ist". Der nunmehr abgeschlossene Beweisgang ist außerdem (a) "von dem inneren Kennzeichen der absoluten Notwendigkeit hergenommen" und (b) läßt Gott aus demjenigen erkennen, "was wirklich die absolute Notwendigkeit desselben ausmacht". In der Tat (a) liegt das Kennzeichen der absoluten Notwendigkeit darin, daß ihr "Gegenteil an sich selbst unmöglich ist" (A 26 = II 81), insofern es alle Möglichkeit in ihrem Realinhalt aufheben würde; (b) indem der ontotheologische Beweis vom Materialen der Möglichkeit zum notwendigen Wesen als Grund schließt, erschließt er dieses Wesen in dem, was seine absolute Realnotwendigkeit ausmacht, nämlich daß es der Grund selbst der inneren Möglichkeit ist.

Abs. 3. Ontotheologie und Kontingenzbeweis Dieser Absatz, der eine Charakterisierung des ontotheologischen Beweises vornimmt und denselben mit dem Kontingenzbeweis kontrastiert, ist von fundamentaler Bedeutung für die Stellung Kants in der Frage der Beweisbarkeit und Erkennbarkeit Gottes überhaupt. Vorliegender Passus muß mit den Ausführungen zum selben Thema am Ende des Werkes gelesen werden: "Es ist nur ein Gott, und nur ein Beweisgrund ..." (A 204 f = II 162 f). In einem Gottesbeweis geht es um den Beweis des ens necessarium, wobei die gemeinte Notwendigkeit die Aea/notwendigkeit ist, die Notwendigkeit nämlich desjenigen Daseins, dessen Gegenteil alles

Der ontotheologische Beweis

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(kontingent) Seiende und alles Mögliche aufheben würde. Eine solche Realnotwendigkeit kann rational behauptet und eingesehen werden ("die Natur dieser Notwendigkeit begreiflich machen") nur von der ontologischen Dimension der Möglichkeit als solcher aus. Auf dem Weg der Ontotheologie erreichen wir ein "schlechterdings notwendig" Existierendes, das "eine erste Ursache von anderem" sein kann. Denn dieses Existierende ist der Grund des Möglichen als Möglichen, dessen also, was sein kann; deshalb, argumentiert Kant weiter, vermag es als Erstursache (Wirkursache) dasselbe in die Existenz zu überfuhren. Die Vernunftschlüsse dagegen, die "von den Wirkungen" des ens necessarium, d. h. von der kontingent existierenden Welt ausgehen, können zwar zu einer Erstursache gelangen, d. h. zu einer Ursache, die von keiner anderen mehr abhängt, lassen aber das Dasein dieser Erstursache nur unter der Bedingung eben der Existenz der Welt erkennen, also nur als hypothetische Notwendigkeit - im Unterschied zu einer ab-soluten, d. h. von aller Bedingung los-gelösten Notwendigkeit. M. a. W. der klassische Kontingenzbeweis fährt bis zu einer unabhängigen Erstursache u, aber nicht bis zum schlechterdings notwendigen Wesen. Denn "daraus, daß etwas eine erste, das ist unabhängige Ursache, ist, folgt nur, daß, wenn die Wirkungen da sind, sie auch existieren müsse, nicht aber, daß sie schlechterdings notwendigerweise da sei" "*. Von dieser prinzipiellen Unzulänglichkeit aller Kausalargumentationen, die auf eine causa prima der Welt schließen, spricht Kant in mehreren RR aus der Zeit des EmBg.

" Kant äußert im Vorübergehen Zweifel euch an der Stichhaltigkeit des so verstandenen Schrittes aber die Welt hinaus: "gesetzt, daß sie auch so strenge beweisen möchten, als sie es nicht tun". Darüber mehr in der . Abtig, bei der Kritik am Kontingenzbeweis. *° Der Text Kants ist mir nicht ganz eindeutig. Zuerst scheint er sagen zu wollen, daß der Kontingenzbeweis die Natur der (Erst-)Ureache als schlechterdings notwendiger Ursache nicht begreifen oder einsehen läßt. Dann aber scheint er sagen zu wollen, daß wir von den kontingent Existierenden (Wirkungen) her zwar "eine erste, das ist, unabhängige Ursache", aber überhaupt nicht eine schlechterdings notwendige Ursache (das ens necesearium) erreichen, d. h. erkennen können. Oder sind doch beide Probleme eins und dasselbe? Wir stehen wieder vor der Frage, die in der 3. Betrachtung, Nr. l, Exkurs erörtert wurde. Beide Probleme sind in der Tat dasselbe, wenn man die analoge Erkenntnis ignoriert, oder jedenfalls sie nicht für Erkenntnis der Wirklichkeit

halt.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

R 3712: "Das Merkmal des absolut notwendigen Wesens kann nicht sein das Zufällige in dem Dasein der anderen Dinge, denn alsdenn ist diese Notwendigkeit nur hypothetica antecedents; also nicht darin, daß es als ein letzter Grund von allem, was da ist, angesehen wird, sondern daß es ein Grund ist von allem überhaupt, sowohl was da ist, als was möglich ist ...". R 3731: durch einen Begriff Gottes, der "aus dem [Verhältnis] zur Wirklichkeit anderer Dinge" gewonnen wird, läßt sich nur "eine necessitas hypothetica consequentiae" beweisen. "Consequentiae": wohl insofern Gott nur als Folgerung aus unserer Welterkenntnis erkannt wird. R 3812: "Im Wölfischen Beweise kann man wohl die Independenz, aber nicht die (innere) Notwendigkeit erkennen: denn sein Dasein ist nur um der Welt willen notwendig ..." (Vgl. auch RR 3813 und 3875). Zu dieser Kritik Kants am Kontingenzbeweis, die für seine Stellung zur Beweisbarkeit Gottes von nun an von fundamentaler Bedeutung bleiben wird, sei folgendes angemerkt: a) Es ist überhaupt nicht Aufgabe (weil ja prinzipiell unmöglich!) eines Gottesbeweises, die Natur des ens necessarium "begreiflich" zu machen. Denn diese Natur ist nur einer uneingeschränkten Einsicht zugänglich; also nicht unserem Verstehen, das wesentlich eine Einsicht in die (limitierten!) Daten der Sinne oder des Bewußtseins ist. Hätten wir eine solche uneingeschränkte Einsicht in die Natur des notwendigen Daseins, so brauchten wir es nicht zu beweisen. Ein uneingeschränktes Verstehen ist eo ipso Garantie seiner eigenen Wahrheit. Hier sehe ich keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Beweis aus dem Möglichen und dem aus dem Wirklichen (1. ™ Vgl. das weiter oben bei der 3. Betrachtung, Nr. l, Exkurs, Gesagte. Schmucker weist immer wieder auf die "grundsätzliche Unmöglichkeit unseres Denkens" hin, "das ens necessarium so zu bestimmen, daß wir nun wirklich verstehen würden ..., was notwendige Existenz bedeutet". Deshalb "muß sich die menschliche Vernunft in dieser Frage mit dem bescheiden, was ihr wirklich erreichbar ist" (SCHMUCKER, Wolfgang Cramers Widerlegung der Gottesbeweiskritik Kants, in: Archiv für Geschichte der Phil. 52 (1970) 300 f)· Was uns nun beschieden ist, ist, sagt Schmucker an einer anderen Stelle, daß durch den Kontingenzbeweis die Existenz Gottes "als Tatsache gesichert", aber "noch nicht einsichtig gemacht" ist (Das Problem der Kontingenz der Welt, Freiburg 1969, 41). Genau dies ist die herkömmliche Lehre der Scholastik. So schreibt THOMAS VON AQUIN: "nos non scimus de Deo quid est" (Summa Theologiae I, q. 2, a. 1). Daraus folgert Thomas, daß Gottes Dasein nur "demonstrabile est per effectus nobis notos" (ebd., a. 2); und dies tut er im a. 3 durch die quinque viae. Kurzum, unsere Gotteserkenntnis kommt ohne eine "cognitio propria" des ens necessarium aus! Ja gerade

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143

b) Der Kontingenzbeweis besteht in einem Syllogismus conditionalis nach dem modus ponens: Wenn p, dann q; nun aber p; also q. Wenn die Welt (das Kontingente) existiert, dann existiert Gott (das Absolutnotwendige). Nun aber, usw. Als Grundregel des modus ponens gilt: "purificata conditione conditionatum transit in absolutum". Kants Einwand mißversteht die Bedingung unserer Gotteserkenntnis (kognitive Ebene) als eine Bedingung Gottes selbst (ontologische Ebene) n. Hypothetisch notwendig ist schon das Kontingente selbst! Es gibt kein Seiendes, das nicht notwendig wäre - dem entspricht die universale Geltung des Widerspruchsprinzips. Eine bedingte Erkenntnis, die kontingent ist so wie alle Seienden im Bereich unserer Erfahrung, kann durchaus das schlechterdings Unbedingte erschließen - wenngleich auf dem Umweg der Analogie -, weil die unsere Erkenntnis tragende Intentionalität eine uneingeschränkte Reichweite hat, und deshalb des Unbedingten fähig ist M. Welcher ist der richtige Sinn der Distinktion Kants zwischen "schlechterdings notwendig Existierendem", das Erstursache von anderem sein kann, und "unabhängiger Erstursache", die zwar existieren muß, wenn die Wirkungen da sind, aber nicht schlechterdings notwendigerweise da ist? Richtig an der Distinktion ist, daß die Ursache reduplicative als Ursache von der Wirkung als einer denominatio extrinseca abhängt M. Dies bedeutet, daß unsere Erkenntnis des absolut notwendig Existierenden über die Erkenntnis desselben als Erstursache (was das ens necessarium nicht zu sein braucht!) zustandekommt; es bedeutet aber nicht, daß wir die Erstursache nicht als deshalb stellt sich überhaupt das Problem eines Gotteebeweises. In welchem Sinne ist nun unsere Gotteserkenntnis eine bloße Tatsache"? Im selben Sinne, wie alle unsere Wirklichkeitserkenntnisse nichts mehr als kontingente Tatsachen sind. Denn (a) sie geht vom kontingenten Faktum aus, daß eine Welt existiert; (b) sie selber als wahres Existenzurteil ist eine bloße Tatsache, insofern das wahre Urteil ein Vollzug unserer Intentionalität ist, die hätte auch irren können. Schmucker scheint der rationalistischen Einstellung zu huldigen, die für die Wahrheit "rationes necessariae" fordert. " "Sein [Gottes] Dasein ist nur um der Welt willen notwendig" (R 3812) - dies ist quoad nos wahr, d. h. bezüglich unserer Erkenntnis Gottes, aber nicht bezüglich des Wesens Gottes! Ich kann dem Grundsatz Kants nicht zustimmen: "Die absolute Notwendigkeit eines Dinges muß ohne alle bestimmte Bedingung erkannt werden" (R 8731). * VgL bei Emerich CORBTH S. J., Metaphysik. Eine methodisch-systematische Grundlegung, Innsbruck 1961, die zusammenhängenden §§ 11: Das Sein als das Unbedingte, und 12: Das Sein als das Unbegrenzte. ** Vgl. Bernard LONBBGAN S. J., Grace and Freedom. Operative Grace in the Thought ofSt.Thomas Aquinas, London 1971, 64-69.

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schlechterdings notwendige erkennen. Die Distinktion von ens necessarium und causa prima läuft somit auf die hier oben besprochene Distinktion zwischen Gottes "modus essendi" und unserem "modus cognoscendi" hinaus: Wir erkennen Gott unter dem Aspekt von Weltursache, die er nicht zu sein braucht. Dies aber hat nicht zur Folge, daß wir ihn nicht als das schlechterdings notwendige Wesen zu erkennen vermögen. Zu dieser Frage gehört auch, was ich in der Fußnote 61 über den doppelten Grund vorgetragen habe, warum unsere Erkenntnis des Absoluten den Status einer kontingenten Wirklichkeit hat - wie auch alle unsere Wirklichkeitserkenntnisse.

Abs. 4-5. Überleitung zur Physikotheologie Die letzten zwei Absätze leiten zur II. Abteilung des Werkes über, indem sie den Zusammenhang zwischen dem apriorischen Gottesbeweis (Ontotheologie) und dem aposteriorischen (verbesserte Physikotheologie) klären. Aus der I. Abtig erhellt, daß "das Reale aller Möglichkeit" in einem einzigen Prinzip, nämlich im Wesen Gottes als schlechterdings Daseinsnotwendigem gegründet ist. Nun aber hat sich gezeigt, daß diese göttliche Natur mit Verstand und Willen und zwar im höchsten Grad ausgestattet ist, wobei göttliche Natur und Begierde "in der größten Zusammenstimmung" stehen. Die göttliche Natur ist nun vermittelst des göttlichen Verstandes Ursprung der Wesen der Dinge, d. h. der Möglichkeiten. Infolgedessen kennt Gott die in seinem eigenen Wesen gegründeten inneren Möglichkeiten der Dinge und will die mit seinem Wesen gegebenen größten Folgen verwirklichen, weil sein Wille mit seinem Wesen übereinstimmt. Daraus erhellt weiter, daß in den Möglichkeiten der Dinge, weil sie alle mit und in dem einen Wesen Gottes als ihrem Prinzip übereinstimmen, "Einheit, Harmonie und Ordnung anzutreffen sein werden". Der springende Punkt der Physikotheologie Kants ist nun genau die Harmonie der Wesenheiten, wie wir bereits in der "Naturgeschichte" gesehen haben. Diese Harmonie ergibt sich aus der gemeinsamen Abhängigkeit der Möglichkeiten vom Wesen Gottes via dessen Verstand und Wille. Es ist also die Geistigkeit des notwendigen Daseins, die die Verbindung von Ontotheologie und Physikotheologie herstellt.

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Der zu Ende geführte Gottesbeweis aus den Möglichkeiten regt deshalb an, auch den umgekehrten Weg zu gehen; nämlich erstens, die "Eigenschaften der Dinge, die uns durch Erfahrung bekannt werden", daraufhin zu untersuchen, ob sie unmittelbar im Wesen der Dinge selbst gegründet sind. Eine solche durch den vorhergehenden metaphysischen Beweis nahegelegte Erwartung wird tatsächlich durch die Naturwissenschaft bestätigt, die zeigt, daß Harmonie und Zweckmäßigkeit der Dinge von den der Materie innewohnenden wesentlichen mechanischen Gesetzen abhängt. Mit den Worten Kants: "Wir nehmen selbst in den notwendigen Bestimmungen ihrer inneren Möglichkeit eine Einheit im Mannigfaltigen und Wohlgereimtheit in dem Getrennten wahr." Zweitens, eine solche a posteriori erkannte innere Möglichkeit der Dinge läßt uns "auf ein einiges Prinzip aller Möglichkeit zurückschließen", nämlich auf ein notwendiges Wesen, das mit einer unendlichen Intelligenz und einem moralischen Willen übereinstimmt, ja identisch ist; das heißt also auf denselben letzten Grund aller Dinge, auf den der Weg a priori geschlossen hatte. Mit dieser kurzen Beschreibung des nunmehr folgenden verbesserten physikotheologischen Beweises hat Kant schon auf die zwei Schritte des Beweises hingewiesen: (1) Von der Ordnung und Harmonie in der Welt auf die Ordnung und Harmonie der der Welt zugrundeliegenden Wesenheiten. (2) Von den so verfaßten Wesenheiten auf den Realgrund aller Wesenheiten und Möglichkeiten und somit auf das schlechterdings notwendige Wesen. Beide, Ontotheologie und Physikotheologie, gehen von der Möglichkeit oder dem Wesen der Dinge aus: Die eine von den Möglichkeiten als einer ontologischen Dimension, die der kontingenten Existenz vorangeht; die andere, als aposteriorisches Pendant zur ersteren, von denselben Möglichkeiten, insofern sie existieren und in ihren wesentlichen Gesetzen von der Naturwissenschaft erhellt werden.

VIII. Kapitel Die Neufassung der Physikotheologie Die umfangreiche zweite Abteilung des Werkes, die die Überschrift trägt: "Von dem weitläufigen Nutzen, der dieser Beweisart besonders eigen ist", soll hier nur unter folgenden zwei Gesichtspunkten untersucht werden: erstens, der Aufbau und der Gedankengang der Abteilung als ganzer; zweitens, der verbesserte physikotheologische Beweis in seinen Grundzügen. Gliederung der II. Abteilung Die 1. Betrachtung legt den Kern der Neufassung der Physikotheologie dar. Die 2.-4. Betrachtung kehrt die Schlußrichtung um: Nicht mehr die aufsteigende Argumentation der Physikotheologie, sondern eine absteigende, die von dem durch den "einzigen Beweisgrund" erschlossenen obersten Prinzip des Wesens der Dinge das Verhältnis der Weltbegebenheiten zu Gott und zueinander bestimmt. Damit werden auch die Grundsätze für die wissenschaftliche Erforschung der Natur metaphysisch erklärt. In diesem Sinne wird der "Nutzen" der Ontotheologie gezeigt, wie es in der Überschrift der ganzen Abteilung heißt. Die 5.-7. Betrachtung führt die Physikotheologie zunächst nach der gewöhnlichen, dann aber nach einer verbesserten Methode aus. Die 8. Betrachtung diskutiert die Allgenugsamkeit als den Begriff Gottes, der sich aus dem physikotheologischen Beweis ergibt.

Wie bereits am Ende des vorigen Kapitels angedeutet, ist der Beweisgang in zwei Momente gegliedert. Er fuhrt, erstens, im Einklang mit der neuzeitlichen Naturforschung, die Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Welt auf die allgemeinen Naturgesetze zurück, mit denen die Materie ausgestattet ist und somit auf die Wesenheiten der Dinge. Er schließt, zweitens, von diesen Wesenheiten oder Möglichkeiten auf den Realgrund aller Möglichkeiten und damit auf das notwendige Wesen, wie sowohl in der "Naturgeschichte" als auch prinzipiell in der Prop. XIII der Nova dilucidatio (das "schema

Die Physikotheologie

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intellectus divini" als Begründung des nexus, mit dem die Weltsubstanzen durch die Naturgesetze zusammenhängen) argumentiert wurde. Kurzum: Der physikotheologische Beweis geht zuerst von der durch die Naturwissenschaft entdeckten Naturgesetzlichkeit auf die Wesenheiten und dann von diesen auf den Realgrund aller Wesenheiten über.

Literatur Von den zu Beginn des VI. Kapitels angeführten Werken vgL insbesondere die eingehende Analyse in Schmuckers "Ontotheologie des vorkritischen Kant", 107-135. Tonelli, Giorgio, La necessite des lois de la nature au XVIII' siede et chez Kant en 1762, in: Revue d'Histoire des Sciences et de leurs applications 12 (1959) 225-241. Frankenberger, Horst, Kant und die Frage nach der göttlichen Allgenugsamkeit, 1984, 95-132.

1. Betrachtung. Der Kern der verbesserten Physikotheologie Hier wird das Wesentliche der Physikotheologie dargelegt als eine neue Version der damals sehr verbreiteten, auf der erfolgreichen neuzeitlichen Naturforschung und auf den geographischen Entdeckungen basierenden Physikotheologien. Kant untersucht zunächst die Eigenschaften des Raumes und dann die der Naturgesetze, d. h. der Bewegungsgesetze nach der damaligen mechanischen Interpretation der Natur. Eine geometrische Figur (und damit der Raum), z. B. der Kreis, weist eine "Unermeßlichkeit ... harmonischer Beziehungen" auf (A 55 = II 95), die alle ihren Grund in der einfachen Definition des Kreises haben. Das Gleiche und noch mehr geht aus der Erforschung der Natur hervor: die einfachen mechanischen Naturgesetze sind Ursprung "einer Unendlichkeit von schönen Folgen" (A 59 = II 97), d. h. sie bringen notwendigerweise viele Zweckmäßigkeiten hervor, ohne daß dazu besondere Anordnungen einer obersten Weisheit nötig wären. Zur Verdeutlichung kommt Kant wieder auf sein Lieblingsbeispiel des Windwechsels in den heißen Ländern zu sprechen, das er schon in der "Naturgeschichte" angeführt, sowie auf das "principe de

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la moindre quantito d'action" (Sparsamkeitsprinzip), das Maupertuis in seinem "Essai de cosmologie" formuliert hatte. Dies alles zeigt, daß die "einfachen und sehr allgemeinen Bewegungsgesetze der Materie" durch die Notwendigkeit ihres Wesens "Beziehungen ... auf Ordnung und Wohlgereimtheit haben" (A 62 = II 98). Nun aber gilt von diesen mechanischen Gesetzen der Materie, (1) daß sie notwendig sind l, und (2) daß sie gerade als Prinzip von Einheit und Ordnung "von einem großen gemeinschaftlichen Urwesen ... abhängen müssen". Denn die bewunderungswürdige Harmonie der Welt kann nicht von einem "befremdlichen Ungefähr" stammen (A 65 = II 99. Vgl. auch A 58 = II 97). Im Unterschied zur gewöhnlichen Physikotheologie will Kant den Rekurs auf positive Anordnungen eines transzendenten Wesens als Erklärung von Harmonie und Zwecken möglichst vermeiden, um damit Raum für die Erforschung der unmittelbaren mechanischen Ursachen der Naturvorgänge zu schaffen. Zugleich aber setzt Kant die Möglichkeiten oder Wesenheiten der Dinge in Beziehung auf einen transzendenten Ursprung, weil "ein so allgemeiner Zusammenhang in den einfachsten Naturen der Dinge einen weit tauglicheren Grund an die Hand [gibt], irgend in einem vollkommenen Urwesen die letzte Ursache von allem in der Welt mit Gewißheit anzutreffen, als alle

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Kant hebt die Notwendigkeit der mechanischen Gesetze mit Nachdruck hervor. Was er damit meint, ist folgendes: Die Grundgesetze der Materie sind notwendig, insofern sie far die Materie unseres Weltalls konstitutiv sind; sie gehen aus dem Wesen der Materie hervor. Diesbezüglich behauptet Kant, daß, "wenn die Möglichkeit der Materie vorausgesetzt wird, es ihr widerspreche, nach anderen Gesetzen zu wirken". Dies aber hindert nicht, daß "die innere Möglichkeit der Materie selbst, nämlich die Data und das Reale" des Denklichen (A 65 f = 100) sowie auch die Verknüpfung verschiedener Arten von Dingen in unserer Welt (A 79 f = 106, A 118 = II 123) zufällig sind. In diesem Sinne anerkennt Kant am Ende der 1. Betrachtung durchaus die "Zufälligkeit der Bewegungsgesetze im Realverstande". Dieses Kontingente bildet die Voraussetzung für das Wirken der Weltdinge nach den notwendigen Naturgesetzen (Vgl. Schmucker, Kants vorkritische Kritik, 63). Hierher gehört auch das, was ich im I. Kapitel, 4, Anm. 26 über die Notwendigkeit der mechanischen Gesetze der Materie als Grundlage für die Physikotheologie Kants ausgeführt habe. Kant will ausschließen, daß Zweckmäßigkeit und Harmonie auf künstliche, jeweils ad hoc von Gott geschaffene Zusammenhänge der Dinge zurückgeführt werden. Die teleologischen Züge der Welt sind vielmehr das Resultat von Zusammenhängen, die wesentlich zu den Dingen gehören, weil sie in den mechanischen Gesetzen der Natur begründet sind. Dies ist die erfahrungsmäßige Basis der Kantischen Physikotheologie, die durchaus mit der metaphysischen These von der Kontingenz derselben Gesetze vereinbar ist. Aber der metaphysische Aspekt der Frage fällt nicht in den Kreis der Überlegungen Kants.

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Wahrnehmung verschiedener zufalliger und veränderlicher Anordnung nach besonderen Gesetzen" (A 64 = II 99). Damit ist der Grottesbeweis a posteriori von den Wesenheiten her in seinen Grundzügen abgeschlossen, der für Kant als Pendant zum apriorischen Beweis aus den Möglichkeiten gilt.

2. Betrachtung. Die doppelte Naturordnung Trotz der wesentlichen Kontinuität zwischen der Physikotheologie der "Naturgeschichte" und der des EmBg ist ein wichtiger Unterschied nicht zu übersehen, nämlich die Einschränkung der mechanischen Naturordnung. Der springende Punkt des Beweises ist nach wie vor die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt als Resultat derjenigen mechanischen Gesetze, die zur Konstitution der Materie gehören, weil nur von diesem Ansatz her der Beweis vermag, über einen "Werkmeister" hinaus auf einen "Schöpfer der Welt" zu schließen (A 116 = II 122 f). Diesbezüglich spricht Kant zu Beginn der 2. Betrachtung von einer "unmoralischen" Abhängigkeit der Dinge von Gott. Die innere Möglichkeit der Dinge sowie die "Vereinigung vieler und mannigfaltiger Folgen untereinander", die sich aus den mechanischen Gesetzen der Materie als gemeinsamem Grund ergeben (A 68 = II 101), hängen vom Wesen Gottes ab als dem "letzten Grund selbst der inneren Möglichkeit der Dinge", aber nicht durch seinen Willen (A 66 f = II 100). Es gibt aber auch eine "moralische" Abhängigkeit der Dinge von Gott, insofern sie vom höchsten Wesen "vermittelst seiner Weisheit" bzw. seines Willens stammen. Diese andere, zufällige, Naturordnung sieht Kant in zwei Bereichen der Welt. Erstens in den organischen Wesen: "Der Bau der Pflanzen und Tiere zeigt eine solche Anstalt, wozu die allgemeinen und notwendigen Naturgesetze unzulänglich sind." Kennzeichen der Organismen ist eine derartig "künstliche" Ordnung, die nur vermittelst einer "willkürlichen", freien Einrichtung eines höchsten intelligenten Wesens entstanden sein kann. Dies gilt vor allem für die Erzeugung der Organismen durch ihresgleichen. In diesem Bereich sieht sich die Weltweisheit genötigt, den Weg einer

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mechanischen Erklärung zu verlassen (A 96 f = II 113) *. Zweitens, auch im anorganischen Bereich sieht Kant Einrichtungen, die "zufallig und insofern bloß der Willkür des obersten Urhebers beizumessen" sind, nämlich die Verteilung der verschiedenen Stoffe und Materien in der Welt, wobei dann diese künstliche Ordnung die Voraussetzung für das Wirken der Weltdinge nach den notwendigen Naturgesetzen bildet (A 78 f = II 106) ». Kurzum, die Existenz der Natur insgesamt hängt vom Willen Gottes ab (= moralische Abhängigkeit). Was die Möglichkeit der Naturordnung anbelangt, muß man unterscheiden: Es gibt eine Naturordnung, die "selbst in der Möglichkeit der Dinge liegt" (A 73 = II 103), d. h. in ihrem Wesen, und in diesem Sinne notwendig ist (= unmoralische Abhängigkeit); es gibt aber auch eine zufällige Naturordnung, die wie die Wirklichkeit selbst in einer moralischen Abhängigkeit vom höchsten Wesen steht. Wie weiter oben, Kap. VI, 2, schon erwähnt, hat die Lehre von einer doppelten Naturordnung eine negative Konsequenz für den angestrebten physikotheologischen Beweis, insofern von dieser doppelten Art von Möglichkeiten der Schluß auf ein einziges Prinzip der Welt nicht mehr stringent ist. Menzer äußert deshalb die Ansicht, daß die vorliegende Lehre den Beweis Kants für das Dasein Gottes zerstört4. In der Tat drückt sich Kant gelegentlich so aus, daß die innere Möglichkeit (im Sinne einer Möglichkeit, die durch die Materie mit ihren mechanischen Gesetzen konstituiert ist) eine Selbständigkeit im Verhältnis zum notwendigen Wesen erhält, die wie diejenige zu sein scheint, die er Leibniz vorgeworfen hatte. So heißt es in unserer 2. Betrachtung: "Es bietet nämlich die innere Möglichkeit der Dinge demjenigen, der ihr Dasein beschloß, Materialien dar, die eine 1 In der "Naturgeschichte" war nirgends von besonderen Naturgesetzen die Rede, die auf eine freie Wahl Gottes zurückgehen, sondern nur von unserer Unfähigkeit, das mechanische Funktionieren der Lebewesen zu durchschauen (Vgl. Kap. I, 2 am Ende). In der Kosmogonie der 7. Betrachtung (A 151 f = 138) übernimmt Kant dennoch seine mechanistische Position von 1755. Dies läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß Kant in dieser Betrachtung nichts anderes tut, als seine frühere mechanische Weltentstehung zu wiederholen. 1 Vgl. auch die 6. Betrachtung, Nr. l, wo die Abfolge und Verknüpfung der Weltveränderungen erwähnt wird, "an deren Stelle eine andere möglich war". Vgl. SCHMUKKEB,4Kants vorkritische Kritik, 53. Vgl. Paul MKNZEB, Kants Lehre von der Entwicklung in Natur und Geschichte, Berlin 1911, 56.

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ungemeine Tauglichkeit zur Übereinstimmung und eine in ihrem Wesen liegende Zusammenpassung zu einem auf vielfältige Art ordentlichen und schönen Ganzen enthalten" (A 67 = II 100). Die eigentliche Position Kants im EmBg und seine Grundrichtung in der Neufassung des physikotheologischen Arguments scheinen mir dennoch folgende zu sein. Die Aufmerksamkeit ist hier in erster Linie auf die Frage gerichtet, wie vom Wesen der Dinge, d. h. von der mechanisch verfaßten Materie, sowohl notwendigerweise (und damit ohne einen besonderen Eingriff Gottes) Ordnung und Finalität in der (anorganischen) Welt entstehen als auch eine andere, sozusagen zusätzliche Art von Harmonie und Zweckmäßigkeit hervorgeht, die einen weisen und freien Eingriff ad hoc von Seiten Gottes verlangt. Die zweite Naturordnung hängt auch von der Materie und damit von den mechanischen Gesetzen ab (den einzigen, mit denen die Materie überhaupt wirkt); aber in ihrer Spezifizität geht sie über die Möglichkeit dieser Gesetze hinaus. Deshalb verlangt sie ein besonderes Naturgesetz, das auf die weise Wahl eines verständigen Urwesens zurückgeht. Nun aber bleibt bei dieser Untersuchung der Naturordnung die genaue Bestimmung, wie die "innere" Möglichkeit der Dinge und mit ihr die notwendige Naturordnung von Gott abhängt, eher am Rande. Kant betont immer wieder die völlige Abhängigkeit der inneren Möglichkeit der Dinge (der Kern der Ontotheologie und der verbesserten Physikotheologie) von Gott als erstem Grund, aber er gibt nicht näher an, wie dies zu verstehen ist. Jedenfalls macht Kant klar, daß es sich um die Abhängigkeit von demjenigen Wesen handelt, "in welchem alles mit den Eigenschaften der Weisheit und Güte zusammenstimmt". Deshalb kann man "erwarten", daß die Möglichkeiten, die ihren Ursprung im höchsten Wesen haben, von sich aus eine wohlgeordnete Welt hervorbringen (A 87 = II 109 f). Eine Bestätigung dieser Interpretation darf darin gesehen werden, daß Kant im Anschluß an die Ausführungen über die doppelte Naturordnung gegen Leibniz' Lehre polemisiert, daß die innere Möglichkeit der Dinge der Natur "für sich unabhängig und ohne einen fremden Grund sei" (A 92 = II 112). D. h. also, auch die notwendige Naturordnung hat schließlich keine Selbständigkeit gegenüber Gott. Dies wurde übrigens bereits in der "Naturgeschichte" ausdrücklich behauptet: Die Natur und die ewigen Gesetze sind "kein selbständiges und ohne Gott notwendiges Prinzip" (A 145 = I 332; auch A 147 = I 333).

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Im Kap. I, 4 gegen Ende, habe ich versucht, genauer anzugeben, in welchem Sinne Kant von einer notwendigen Ordnung der Natur spricht. Im vorliegenden VIII. Kap., 8. Betrachtung, zu Abs. 1-3, ist die Rede davon, daß im Wesen Gottes sowohl die Weisheit Gottes als auch die Möglichkeit der Dinge gründet. Insofern also die nötige Naturordnung die Abhängigkeit von Gott nicht ausschließt und insofern die zufällige Naturordnung die Natur mit ihren notwendigen Gesetzen zur Bildung von Wesenheiten verwendet, die direkt von der Intelligenz ihres Urhebers zeugen, scheint doch der Schluß auf einen einzigen Weltordner, der zugleich Weltschöpfer ist, stichhaltig. Was man in der zweiten Fassung der Physikotheologie vermißt, ist, daß Kant nirgends das Verhältnis beider Formen von physikotheologischer Argumentation thematisch klärt.

3. -4. Betrachtung. Erhellung einiger Grundsätze der Naturforschung anhand der in der Ontotheologie bewiesenen Abhängigkeit der Wesen der Dinge von Gott Die 3. Betrachtung untersucht eine dritte Art von Weltbegebenheiten, die auf ganz besondere Weise vom freien Willensentschluß Gottes abhängen, insofern sie nicht durch die Wirkungsgesetze der Natur vermittelt werden. Damit bezieht Kant die übernatürlichen Begebenheiten, die Wunder, in sein allgemeines Schema ein und legt die Basis für eine Behandlung der damals, im anfänglichen Stadium der Naturwissenschaft, brennenden Frage nach dem Verhältnis der wissenschaftlichen Erforschung der Natur zur Möglichkeit von Wundern. Nach den begrifflichen und sachlichen Präzisierungen der 2. und 3. Betrachtung geht die 4. Betrachtung auf das Thema ein, das im Titel der II. Abtig, angesprochen wird. Der in der I. Abtig, durchgeführte Beweis ermöglicht, gewisse Grundsätze bzw. Grundannahmen der Naturforschung zu erhellen *. Es sind deren zwei: 5 Wir treffen hier auf ein Stadium der Naturwissenschaft, in dem diese noch nicht deutlich von der Metaphysik unterschieden ist. Kennzeichen der Naturwissenschaft als Experimentalwiasenschaft ist, daß sie ihre Grundbegriffe und Grundsätze selber erarbeitet, so daß sie eine eigene Autonomie gegenüber der Metaphysik genießt. Auch in den kritischen Schriften, einschließlich der KrV, ist das Ringen Kants um eine Klärung der Grundlage und des erkenntnistheoretischen Status der Naturwissenschaft noch

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1) "daß man ohne die erheblichste Ursache nichts für ein Wunder oder eine übernatürliche Begebenheit halten soll" (A 83 f = II 108). Denn die Wesenheiten der Dinge hängen "von einem weisen Wesen" ab, wie es in der 5. Betrachtung heißt (A 108 = II 119). Deswegen vermögen die Naturgesetze, die zu diesen Wesenheiten gehören, die Harmonie der Welt zustandezubringen, ohne daß "unmittelbare göttliche Ausbesserungen dazwischenkommen" müssen (A 87 = II 110). 2) Die Einzigkeit des höchsten Grundes erklärt auch das Prinzip der "Einheit der Natur" (A 94 = II 113), dem die Naturwissenschaftler als Leitprinzip folgen, indem sie versuchen, vielerlei Wirkungen in der Natur möglichst auf wenige, ja auf ein einziges Naturgesetz zurückzuführen '. Das Prinzip gilt allerdings nicht für die Lebewesen, bei denen eine "zufällige" Verbindung von einzelnen Gesetzen stattfindet (A 96 = II 114; auch A 80 = II 106) - obwohl auch in ihrem Bereich das genannte Leitprinzip eine gewisse Anwendung hat, insofern "auch in der organisierten Natur eine größere notwendige Einheit, als sie geradezu in die Augen fällt", vermutet werden darf (A 124 = II 126; auch A 82 = II 107). Mit den Überlegungen in den Betrachtungen 2-4 als Konsequenz seiner Ontotheologie hat Kant sich die Voraussetzungen verschafft, um seine von der notwendigen Naturordnung ausgehende Physikotheologie von der gewöhnlichen zu unterscheiden, die auf der künstlichen Naturordnung basiert.

5. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der gewöhnlichen Methode In einem ersten Schritt legt Kant ausführlich jene Form des physikotheologischen Beweises dar (und kritisiert sie auch), die er direkt vor

nicht zu der Position gelangt, auf die sie eigentlich seit Galilei tendierte. Vgl. Kap. I, Fußnote 3. ' Das Thema wird in der KrV unter der Perspektive des regulativen Gebrauchs der Ideen der reinen Vernunft wiederaufgenommen. Vgl. A 648 ff, wo das Prinzip der "systematischen oder Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verstandeserkenntnis" erörtert wird. Das allgenugsame Wesen, worauf die Ontotheologie von 1762 schließt, fungiert im Anhang der transzendentalen Dialektik der KrV unter der Bezeichnung von "transzendentalem Ideal" der Vernunft als heuristisches Prinzip für die Naturforschung.

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Augen hat, wenn er sich in der III. Abtig, des EmBg und im Theologie-Hauptstück der KrV mit der Physikotheologie auseinandersetzt. Die 5. Betrachtung kann deshalb als ein Kommentar zu den genannten Stellen der Kantischen Gottesbeweiskritik angesehen werden. Es gibt drei Wege, das Dasein Gottes aus seinen Wirkungen zu erkennen, und diese drei Wege entsprechen den drei Arten der Abhängigkeit der Weltbegebenheiten von Gott, die in der 3. Betrachtung erörtert wurden: 1) aus den übernatürlichen Begebenheiten, 2) aus der zufälligen Naturordnung, 3) aus der notwendigen Naturordnung. Der 2. und der 3. Weg bezeichnen verschiedene Methoden der Physikotheologie, d. h. "aus den Betrachtungen über die Natur zur Erkenntnis Gottes hinaufzusteigen" (A 102 = II 117). Der 2. Weg ist der am meisten begangene ("gewöhnliche Physikotheologie"); er hat eine gewisse Berechtigung innerhalb seiner Grenzen, denn es gibt tatsächlich in der Natur Anstalten, die eine künstliche Ordnung verschiedener Arten von Dingen mit je verschiedener Gesetzlichkeit zeigen; er hat den Vorteil einer lebhaften Überzeugungskraft für den gemeinen Verstand, aber er weist auch beträchtliche Fehler auf: a) Er gilt für die Lebewesen, die mechanisch nicht erklärt werden können; im Bereich der anorganischen Natur dagegen sind die allgemeinen mechanischen Gesetze durch ihre notwendige Wirkweise imstande, zweckmäßige Resultate hervorzubringen. Diese Hinlänglichkeit der Natur will Kant anerkannt wissen und sie nicht den Gegnern der Religion in die Hand als einen Einwand gegen die Existenz Gottes überspielen, wie er schon in der Vorrede zur "Naturgeschichte" ausgeführt hat. b) Infolge des Rekurses auf eine unmittelbare göttliche Anstalt als Erklärung der Naturphänomene unterlaßt man, die "physischen Gründe" zu erforschen. An dieser Stelle hört man deutlich das Echo der lebhaften und seit langem dauernden Polemik zwischen einer mechanischen und einer finalistischen Erklärung der Natur 1: "Es hindere die Erweiterung der philosophischen Einsicht, sich an die moralischen Gründe, das ist an die Erläuterung aus Zwecken, zu wenden, da wo es noch zu vermuten ist, daß physische Gründe durch eine Verknüpfung mit notwendigen allgemeineren Gesetzen die Folge be-

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Vgl. I. Kapitel, Nr. 4.

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stimmen" (A 115 = II 122). Diese Warnung davor, an der Erforschung der Naturursachen vorbeizugehen, wurde schon in der "Naturgeschichte" erhoben, indem Kant eine solche Tendenz als ein Vorurteil der faulen Weltweisheit (A 148 = I 334) brandmarkte, und wird in der KrV unter der Bezeichnung der "faulen Vernunft" (A 689 f, 773) wiederholt. c) Er führt nur bis zu einem Werkmeister als "Urheber der Verknüpfungen und künstlichen Zusammenfügungen der Welt", aber nicht zu einem Schöpfer, der auch das Material der künstlichen Ordnung erschaffen hat (A 116 = II 122 f).

6.-7. Betrachtung. Darlegung der Physikotheologie nach der verbesserten Methode In einem zweiten Schritt (6. Betrachtung) fuhrt Kant seine eigene verbesserte Physikotheologie aus. Das Grundprinzip des physikotheologischen Beweises ist, daß Ordnung und Zweckmäßigkeit überhaupt auf einen "verständigen Urheber" hinweisen, "noch ehe man daran denkt, ob diese Beziehung den Dingen notwendig oder zufällig sei" (A 118 = II 123 f). Mit diesem Prinzip trennt sich Kant bewußt von Wolff *. Schon in seiner Programmschrift von 1718 hatte Wolff dem Gottesbeweis aus der Ordnung der Welt entgegengehalten, er sei nicht schlüssig, falls die Kontingenz dieser Ordnung nicht eigens aufgewiesen wird. Damit aber fallt die Physikotheologie als eigenständiger Beweis weg; denn sie wird auf den Kontingenzbeweis zurückgeführt - gemäß der Grundthese Wolffs von einem einzigen Gottesbeweis. Nach Wolff gilt das Prinzip: "Ubi ordo, ibi ordinans" nicht simpliciter, sondern nur secundum quid, nämlich nur für die kontingente Ordnung (man würde sonst einem äußeren Prinzip zuschreiben, was das Werk einer inneren Notwendigkeit ist) *. • Vgl. Kap. I, 4.

' Wolff, Ratio praelectionum Wolßanarum, Sect. II, cap. , §§ 41 f. Man muß also bei Wolff zweierlei unterscheiden: (a) Die teleologische Untersuchung der Natur, und zwar auch im Hinblick auf die Gottesfrage. Wolff fordert dazu auf und tut es selber, (b) Einen Gcttesbeweis aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Natur. Letzterer vermag nach Wolff nicht, die Existenz Gottes zu beweisen. Die Physikotheologie dient

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Für Kant dagegen verweisen Ordnung und Harmonie überhaupt auf einen "verständigen Urheber". Die Erklärung seiner Position liegt in dem, was wir im Rahmen des Grottesbeweises e commercio substantiarum in der Prop. XIII der Nova dilucidatio gesehen haben: Ein Zusammenhang unter den Substanzen der Welt hat in der bloßen Existenz derselben noch keinen Grund; dazu wird etwas mehr erfordert. Dieses Mehr sah Kant im "intellectus divini schema" (I 413), d. h. in ihrer gemeinsamen Abhängigkeit von einem verständigen höchsten Grund. Ein geordneter Zusammenhang der Weltdinge verweist auf einen göttlichen Verstand, weil der Zusammenhang der Dinge überhaupt einen schöpferischen Verstand fordert. Aus dieser Sicht (die, wie schon im Kap. V, Nr. l ausgeführt, eine verschiedene Auffassung von der Substanz impliziert) braucht Kant sich nicht auf die Frage nach der Notwendigkeit oder Zufälligkeit der Ordnung einzulassen. Dies wäre ein "verwickeltes und schlüpfriges" Unternehmen, das außerdem "wenig Wirkung" hat, dem gemeinen Verstand "die Vermutung eines Urhebers zu veranlassen". Dagegen "mag die eine Regel der Anständigkeit in der anderen schon wesentlich liegen oder willkürlich damit verbunden sein, so findet man es geradezu unmöglich, daß Ordnung und Regelmäßigkeit entweder von ungefähr, oder auch unter viel Dingen, die ihr verschiedenes Dasein haben, so von selbst sollte stattfinden, denn nimmermehr ist ausgebreitete Harmonie ohne einen verständigen Grund ihrer Möglichkeit nach zureichend gegeben" (A 118 f = II 124). Mehr noch, es ist gerade die "notwendige Ordnung der Natur", die "selber einen Urheber der Materie bezeichnet, die so geordnet ist", wie die Überschrift von Nr. 2 angibt. Weit entfernt davon, daß die Naturforschung mit ihrer Entdeckung der notwendigen Ordnung der Natur den traditionellen Finalitätsbeweis widerlegt, liefert sie vielmehr das Beweisstück, um die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Physikotheologie zu beheben und so über einen bloßen Baumeister hinaus auf einen "Schöpfer der Welt" zu schließen (A 116 = II 123). Denn wenn die Ordnung in den Möglichkeiten der Dinge selbst gegründet ist, dann muß ihr verständiger Urheber der Grund der Mög-

nur dazu, die Eigenschaften Gottes zu bestätigen, die wir schon auf einem anderen Weg erkannt haben. Vgl. PAOLINEUJ, Fisico-Teologia e principle di ragion sufficiente, 3745.

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lichkeit selbst sein - welches die völlige Abhängigkeit der Natur von Gott besagt. Die Methode dieser verbesserten Physikotheologie wird in sechs Regeln analysiert und dann anhand geographischer und geologischer Phänomene der Erde erläutert. Als Konkretisierung der Regeln der verbesserten Physikotheologie gibt die 7. Betrachtung die kosmogonische Theorie des naturphilosophischen Werkes von 1755 wieder. Die "Regel der Einheit" als Grundsatz der Naturforschung, von der in der 4. Betrachtung die Rede gewesen ist, feiert hier ihren großen Triumph: Von der Hypothese einer feineren Materie her, die in völliger Unordnung das Weltall erfüllte, wird mittels des Gravitationsgesetzes die Entstehung der Welt und insbesondere unseres Sonnensystems abgeleitet. Auch hier (vor allem am Anfang der "Anmerkung") kommt eindringlich das Anliegen zur Sprache, das Kant bereits in der Vorrede zur "Naturgeschichte" erörtert hatte, nämlich die Versöhnung der Naturwissenschaft mit dem religiösen Glauben 10. Die verbesserte Methode der Physikotheologie entzieht nichts "dem Schöpfungsrechte des obersten Urhebers" (A 151 = II 138), zugleich aber öffnet "sie durch [ihr] Zutrauen zu der Regelmäßigkeit und Ordnung, die aus allgemeinen Naturgesetzen fließen kann, ... der natürlichen Weltweisheit ein freieres Feld" (A 173 = II 148).

8. Betrachtung. Von der göttlichen Allgenugsamkeit Abs. 1-3. Die verbesserte physikotheologische Argumentation führt zu Gott als dem "allgenugsamen" Wesen, genauso wie die ontotheologische Argumentation zu einem notwendig Existierenden führte, das "allgenugsam in Ansehung alles Möglichen und Wirklichen" ist ". 10 Direkt im Hinblick auf die "physischen Erläuterungen" der . Abtig, kündigte Kant in der Vorrede an: "Meine Absicht ist in diesen Fällen auf die Methode gerichtet, vermittelst der Naturwissenschaft zur Erkenntnis Gottes hinaufzusteigen" (A 12 = II 68).11 I. Abtig., 4. Betrachtung, Nr. 2. Was dies bedeutet, hat Kant schon in derselben Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 6: "Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität" ausgeführt. Zur selben Auffassung Gottes, die als "die Summe aller dieser Betrachtungen" gilt, ist auch der vorletzte Abs. der I. Abtig, relevant, in dem es heißt, daß die unendliche Natur Gottes "die Beziehung eines Grundes auf alle Wesen der Dinge hat", oder, anders gewendet, daß "die Möglichkeiten der Dinge selbst ... durch die göttliche Natur gegeben sind". In der "Naturgeschichte", Vorrede, hat Kant vom "allgenugsamen

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Damit will Kant sagen, in Übereinstimmung sowohl mit seiner Ontotheologie als auch mit seiner Physikotheologie, daß Gott "ein Wesen ist, ... welches nebst den Gründen der Wirklichkeit auch die von aller Möglichkeit enthält" (A 184 = II 152). Und dies macht die Erhabenheit und Unbegreiflichkeit Gottes aus. Durch die Analogie mit unserem Schaffen können wir uns wohl einen "Begriff davon machen, wie ein Wesen die Ursache von etwas Wirklichem sein könne, nimmermehr aber, wie es den Grund der inneren Möglichkeit von anderen Dingen enthalte" (A 184 = II 153). Gott ist die absolute ÄeaZnotwendigkeit (vgl. I. Abtig., 3. Betrachtung, 1). Der Nachdruck, den Kant auf diese Auffassung Gottes legt, ist auch als Polemik gegen Leibniz gemeint, für den das Reich der Wesenheiten und die ewigen Wahrheiten einen von Gottes Wesen unabhängigen ontologischen Status haben. Sie sind, nach Leibniz, nicht "eine Folge von diesem unbegreiflichen Wesen". Gott in seiner Weisheit erkennt sie nur, und durch seinen Willen kann er sie verwirklichen; damit aber sind ihm "Schranken" gesetzt, insofern "diese Möglichkeiten nicht in ihm gegründet" sind (A 180 f = II 151). Außerdem macht das Fehlen eines gemeinsamen Grundes der Möglichkeiten ihre Harmonie unerklärlich ia. Dieselbe Polemik gegen Leibniz fanden wir schon im Fragment von 1753 über den Optimismus 13. In der Lehre Leibniz' von der besten Welt "geht die Unabhängigkeit der ewigen Naturen voran. Die Abhängigkeit besteht nur in dem Plan, darin sie Gott nach den Regeln des Besten so gut zu ordnen trachtet, als ihre wesentlichen Bestimmungen es verstatten" (R 3705: XVII 238). Damit aber, wendet Kant ein, wird ein "ewiges Schicksal" statuiert, "welches die Macht der vermögenden Ursache so sehr einschränkt und die Einwilligung

höchsten Verstand" gesprochen, der die Naturen der Dinge entworfen hat (A XXVni = I 227 f). Zur Allgenugsamkeit vgl. auch die Metaphysik Herder, XXVm 136 f. u Diese Problematik einer totalen Abhängigkeit der Möglichkeiten stand auch hinter den Ausführungen Kants über die innere Möglichkeit als von einem schlechterdings notwendigen Dasein abhängige (vgl. Kap. VII, 2. Betrachtung, Nr. 2 am Ende). Sie kam wieder in der 4. Betrachtung der . Abtig, vor, wo Kant sich von "dem Begriff von den Dingen der Natur" distanzierte, demzufolge "ihre innere Möglichkeit far sich unabhängig und ohne einen fremden Grund sei" (A 91 f = II 112). An dieser letzten Stelle zog Kant aus dieser Dependenz von einem einzigen "großen Principium" (A 92 = 112) die Konsequenz, daß die Dinge in ihrer Mannigfaltigkeit untereinander zusammenstimmen. a Vgl. Kap. I, 6.

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grober Übel ihr abnötigt, raubet ihr dadurch die Allgenugsamkeit und unterwirft sie eben derselben Notwendigkeit" (Ebd. 239). Diese Einschränkung im Gottesbegriff, die den Leibnizschen Optimismus kennzeichnet, verstößt gegen die Allgenugsamkeit, die Gott eigen und wesentlich ist. Für Kant dagegen ist die Welt der Möglichkeiten im Wesen Gottes gegründet. In diesem Wesen gründen sowohl die Weisheit Gottes selbst als auch die Naturen der Dinge. Das zweite erklärt, wieso diese mannigfaltigen Naturen jene wunderbare Harmonie hervorbringen, die die Naturwissenschaft entdeckt; das erstere erklärt, daß solche Naturen sich der göttlichen Weisheit zur Wahl darbieten ("Gegenstand der göttlichen Weisheit": A 180 = II 151), ohne daß daraus eine Abhängigkeit Gottes von etwas anderem und so eine Einschränkung seiner Macht sich ergäbe. Diesen Gedanken hat Kant sehr deutlich hier oben in der 6. Betrachtung, Nr. 2 entwickelt: "Fragt man nun: wie hängen diese Naturen von solchem Wesen ab, damit ich daraus die Übereinstimmung mit den Regeln der Weisheit verstehen könne? Ich antworte: sie hängen von demjenigen in diesem Wesen ab, was, indem es den Grund der Möglichkeit der Dinge enthält, auch der Grund seiner eigenen Weisheit ist; denn diese setzt jene überhaupt voraus. Bei dieser Einheit aber des Grundes sowohl des Wesens aller Dinge als der Weisheit, Güte und Macht ist es notwendig: daß alle Möglichkeit mit diesen Eigenschaften harmoniere" (A 122 f = II 125 f. Vgl. auch die weitere Erläuterung in der dazugehörigen Fußnote). Abs. 4. In den vorangehenden Absätzen hat Kant die göttliche Allgenugsamkeit als den "Begriff von dem höchsten Wesen" (A 180 = II 151) in Betracht gezogen, zu dem der Weg von unten, nämlich von den Möglichkeiten der Dinge her fuhrt. Gemäß der in der Gotteslehre üblichen doppelten gegenläufigen Argumentation zieht nun Kant von diesem Begriff Gottes, also gleichsam von oben her, einige Konsequenzen "über die Beschaffenheit möglicher Dinge" u. Es geht in erster Linie um die damals im Zuge der Leibnizschen Theodizee heiß diskutierte Frage, ob unsere Welt die beste aller möglichen sei. Die 14

Dieselbe absteigende Argumentation hat Kant in den Betrachtungen 2-4 angewandt, um die Leitprinzipien der wissenschaftlichen Forschung zu begründen; hier aber, um metaphysische Fragen zu lösen.

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Einsicht in Gott als Grund der Möglichkeiten selbst erlaubt, diese Frage a priori positiv zu beantworten. Allerdings ist der an sich gültige doppelte Weg in der Gotteslehre an unserer Stelle nicht imbedenklich. Denn Kant schließt sich hier an seinen Versuch von 1759 über den Optimismus an ", in dem er in Auseinandersetzung mit Crusius folgende Position bezogen hatte: (1) eine beste Welt ist möglich, (2) und zwar als eine einzige, (3) unsere Welt ist genau diese beste Welt. Jetzt aber scheint es, daß Kant die Schwäche seiner früheren Argumentation gegen Crusius eingesehen hat, so daß er bezweifelt, ob durch die Analyse der Begriffe von möglichen Dingen und bester Welt ("aus der Betrachtung möglicher Dinge allein") die Frage entschieden werden kann. Eine solche Analyse sei aber nicht nötig, nachdem der EmBg sowohl in der I. als auch in der II. Abtig, zum allgenugsamen Wesen gelangt ist. Nach der Lehre des EmBg müssen alle Möglichkeiten mit der göttlichen Natur harmonieren, insofern sie alle von Gott abhängen. Zur göttlichen Natur gehört nun, daß Gott nur das Beste wollen kann. Also muß unsere Welt die beste sein. Durch das "Hilfsmittel" des gewonnenen Gottesbegriffes (A 184 = II 153) wird die Frage (a priori) entschieden. Aber die ursprüngliche Lehre vom Optimismus basiert auf einer Einschränkung im Wesen Gottes, wie Kant im Fragment von 1753 gegen Leibniz herausgestellt hatte - also auf der Verneinung der Allgenugsamkeit Gottes. Nach Leibniz schafft die Weisheit Gottes die beste (d. h. die bestmögliche!) Welt, indem sie unter mehreren möglichen Dingen wählt, die in "ihrer inneren Möglichkeit für sich unabhängig und ohne einen fremden Grund" sind (A 92 = II 112). Die zwei hier aufeinanderfolgenden Argumentationen: Allgenugsamkeit und Optimismus signalisieren eine Spannung zwischen zwei Lehren: die Lehre von 1753 (und 1755) mit ihrer Ablehnung des Optimismus im Namen der Allgenugsamkeit Gottes und die Lehre von 1759 (Versuch über den Optimismus) mit ihrer Auffassung von den Möglichkeiten, die die Allgenugsamkeit Gottes ausschließt. So viel ich die verschlungene Argumentation Kants zu durchschauen vermag, scheint Kant im EmBg Allgenugsamkeit und Optimismus auf folgende Weise versöhnt zu haben. Vom Optimismus

* Vgl. Kap. VI, 2 über Kants Wendung zum Optimismus.

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behält er die Kluft zwischen realer Welt und möglichen Welten bei, sodaß das unserem Denken gegebene Reale, mit dem wir die Möglichkeitsbegriffe bilden, nicht die unendliche Realität Gottes zu sein braucht. Damit ist die pantheistische Tendenz der Nova dilucidatio gebannt. Andererseits aber sieht der EmBg im Wesen Gottes sowohl den Grund aller Möglichkeit (aller möglichen Welten) als auch den Grund der Weisheit Gottes, die die beste Welt entwirft. Nach dieser Auffassung Gottes ist die Weisheit Gottes nicht mit etwas konfrontiert, das ihr fremd ist, und deshalb braucht Kants Optimismus keine Einschränkung in Gott einzuführen. Abs. 5. Die hier erreichte Allgenugsamkeit Gottes gibt einen logisch richtigeren Begriff Gottes als der Begriff der Unendlichkeit. Denn der letztere legt als mathematischer Begriff eine Gleichartigkeit zwischen den Eigenschaften Gottes und denen der erschaffenen Dinge nahe. Die Bevorzugung des Begriffs der "Allgenugsamkeit" hängt bei Kant auch damit zusammen, daß er in den RR der Zeit das höchste Wesen als ein Maximum nach dem Modell der intensiven Größen und nicht der extensiven Größen auffaßt Ie. Wir dürfen in dieser Zurückhaltung gegenüber dem Begriff der Unendlichkeit aber auch ein Zeichen des Bestrebens Kants sehen, sich von seiner Unendlichkeitslehre zu distanzieren, die beiden Schriften von 1755 zugrundelag und die einen pantheistischen Zug in Kants Gotteslehre mit sich brachte ". Dies hindert allerdings nicht, daß bei Kant an anderen Stellen die Begriffe ens omnisufficiens, ens infinitum und ens realissimum weiterhin als gleichbedeutend verwendet werden.

" Vgl. auch oben Kap. VII, 3. Betrachtung, Nr. 6. " Vgl. Kap. IV, l, b l Exkurs.

DC. Kapitel Die Systematik aller möglichen Gottesbeweise in der III. Abteilung des "Beweisgrundes" Ziffer l der III. Abtig, dient als Einleitung in die nachfolgende "Prüfung" aller möglichen Beweisgründe vom Dasein Gottes. Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieser Abtig, liegt darin, daß Kant hier eine Kritik der Gottesbeweise vorlegt, die im wesentlichen unverändert bleiben wird durch alle "Umkippungen" l seines Denkens während der nachfolgenden Jahrzehnte hindurch, ja die im berühmten Theologie-Hauptstück der KrV, trotz der inzwischen stattgefundenen "kopernikanischen Wende", wiederkehren wird. Da nun im Jahre 1762 die kritizistische Wende nicht einmal von der Ferne in Sicht war, genügt die einfache Gegenüberstellung der III. Abtig, des EmBg mit der Kritik der Rationaltheologie in der KrV, um zum Schluß zu kommen, daß die letztere nicht vom transzendentalen Idealismus der ersten Kritik abhängen kann. Deshalb gehört die landläufige Ansicht, die gerade im Theologie-Hauptstück die Spitze des Kritizismus sieht, in die hartnäckigen Legenden verwiesen, die um die Kritik Kants hervorgesprossen sind *.

1. Der Maßstab für eine Demonstration Gottes Die Abs. 1-2 stellen den Maßstab auf, an dem ein Gottesbeweis bemessen werden soll, um als eine quasi mathematische Demonstration gelten zu können. Genau dieses erst hier eingeführte formale Kriterium erklärt den neuen, weitgehend negativen Standpunkt zur rationalen Erkennbarkeit Gottes, den Kant im EmBg im Unterschied zur Nova dilucidatio einnimmt *. 1 1

Kants Brief an Lambert vom 31. . 1765. Eine andere Sache ist natürlich die These, die in dieser frühen Kritik an der Rationaltheologie eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Kritizismus sieht. 9 Zur Frage nach der Mathematik als das Modell für die menschliche Erkenntnis überhaupt vgl. Kap. XXI zum Abs. 7.

Die Systematik aller möglichen Beweise

163

Gleich zu Beginn wird gesagt, daß "die Überzeugung von der großen Wahrheit: es ist ein Gott, wenn sie den höchsten Grad mathematischer Gewißheit haben soll ..., durch einen einzigen Weg erlangt werden kann". Kurz vor dem Ende der Abtig, heißt es: "Es ist nur ein Gott und nur ein Beweisgrund" dafür (A 204 = II 162) 4. Der anvisierte Beweis muß folgende Forderungen erfüllen: 1) das Dasein des allerhöchsten Wesens (ens realissimum oder allgenugsames Wesen) beweisen. Der Beweis einer "sehr großen und sehr vollkommenen ersten Ursache" genügt nicht; 2) die Einzigkeit dieses Wesens beweisen; 3) "mit mathematischer Evidenz" beweisen. Einen so verstandenen Beweis hat Kant in der Vorrede gemeint, als er von einer "Demonstration" sprach, die Überzeugungskraft für "einen der Nachforschung gewohnten Verstand" haben soll (A 4 = II 65). 2. Die vier möglichen Gottesbeweise Abs. 3 teilt alle möglichen Gottesbeweise in zwei Zweiergruppen ein: A) Die von den Verstandesbegriffen (ontologischen Begriffen) ausgehenden Beweise, und zwar 1. Der Beweis von einem bestimmten Begriff des Möglichen als Grund auf das Dasein Gottes als Folge: Cartesianischer Beweis. Der gemeinte bestimmte Begriff des Möglichen ist der Begriff des ens perfectissimum oder realissimum. Dieser Begriff und somit das entsprechende Wesen gilt als Grund der Existenz desselben Wesens. 2. Der Beweis vom Begriff des Möglichen als Mögliches auf die Existenz Gottes als Grund des Möglichen überhaupt: Der ontotheologische Beweis Kants. B) Die vom Erfahrungsbegriff des Existierenden ausgehenden Beweise, und zwar 4

Schon WOLW hatte in seiner Programmschrift: Ratio praelectionum von 1718 seine Skepsis gegenüber den vielfältigen Gottesbeweisen geäußert, die im Umlauf waren (See. , cap. , § 37 fl) und für einen einzigen "firmier, evidentior ac commodior" plädiert (§ 48 ff). Später in der Pars I seiner Theologia Naturalis von 1736 stellte er die These auf: "In Theologia natural! nee opus est, nee fieri commode potest, ut existentiam Dei phiribus argumentis evinces; sed unum auffielt". Denn, bemerkt er, im Unterschied zu bloß wahrscheinlichen Argumenten "demonstrationes plures non magig convincunt, quam una" (§ 10). In jedem System von philosophischer Gotteslehre gibt es also nach Wolff eigentlich nur einen einzigen Beweis der Existenz Gottes.

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Die Frage nach Gott im Jahre 1755

3. Vom Existierenden (die Welt), bloß insofern es existiert, auf die Existenz Gottes: Der Wolffsche Beweis. Schon hier weist Kant auf die zwei Momente dieses Kontingenzbeweises hin ': a) Vom kontingent Existierenden, um das wir auf Grund der Erfahrung wissen, wird "auf die Existenz einer ersten und unabhängigen Ursache" geschlossen. b) Durch die Analyse des Begriffs der unabhängigen Ursache wird dieselbe als mit göttlichen Eigenschaften ausgestattet und damit als Gott ausgewiesen. 4. Vom Existierenden, insofern es bestimmte Eigenschaften aufweist, wird auf das Dasein und zugleich auf die Eigenschaften eines höchsten Wesens als Gott geschlossen: Kosmologischer Beweis *. Was die Beweiskraft dieser vier Beweise anbelangt, wird es sich herausstellen, daß nur der zweite als logisch stringenter Beweis anerkannt wird, also als Demonstration. Dem vierten Beweis wird nur eine moralische Gewißheit zugebilligt, die für ein menschliches Leben ausreicht. Der Cartesianische und der Wolffsche werden als schlechthin falsch abgelehnt. Es fragt sich, wie sich diese Vierteilung "aller möglichen Beweisgründe vom Dasein Gottes" zu der ebenfalls als vollständig gemeinten Dreiteilung der KrV (A 590) verhält. Wenn wir bedenken, daß die Ontotheologie Kants zu Beginn des Theologie-Hauptstückes der KrV in umgewandelter Form als transzendentales Ideal der Vernunft wiederkehrt, und daß die drei dort genannten und kritisierten Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft genau dem ersten, dritten und vierten an unserer Stelle entsprechen, so erhellt, daß wir schon hier das Schema der späteren Kantischen Kritik der Rationaltheologie vor uns haben.

' Dieselbe Zwei-Schritt-Struktur fanden wir bereits in der Ontotheologie Kants. Vgl. Kap. VII, 2. Betrachtung am Anfang. * Der Terminus hat hier, wie wir sehen werden, nicht genau dieselbe Bedeutung wie im Theologie-Hauptstack der KrV, weil er auch, ja vor allem, den physikotheologischen Beweis meint. Beide Bezeichnungen: "ontologischer" und "kosmologischer" Gottesbeweis sind Bildungen Kants, die hier (A 199 = II 160) zum ersten Mal in seinen Druckschriften auftreten.

X. Kapitel Prüfung des Cartesianischen Beweises 1. Der Cartesianische Beweis Als erster wird in Nr. 2, Abs. 1-2 der Cartesianische Beweis einer Prüfung unterzogen. Kant nennt diesen herkömmlichen apriorischen Gottesbeweis "Cartesianisch". Die Bezeichnung ist insofern richtig, als es in der Neuzeit Descartes war, der ihn wieder aufnahm und somit die Diskussion darüber in Gang brachte. In den grossen Systemen des 17. und 18. Jahrhunderts erlangte der Beweis eine weitgehend unbestrittene Geltung. Durch Leibniz ging er in Wolff und in die Schulphilosophie ein. Der Beweis wird wie folgt rekonstruiert: "Man erdenkt sich zuvörderst einen Begriff von einem möglichen Dinge, in welchem man alle wahre Vollkommenheit sich vereinbart vorstellt. Nun nimmt man an, das Dasein sei auch eine Vollkommenheit der Dinge: also schließt man aus der Möglichkeit eines vollkommensten Wesens auf seine Existenz" (A 191 = II 156). Kurzum: Das vollkommenste Wesen muß existieren; denn würde es nicht existieren, so würde ihm die Vollkommenheit des Daseins fehlen und damit wäre es nicht das vollkommenste Wesen '. Es ist offensichtlich dasselbe Argument Anselms, mit dem Unterschied, daß hier als Begriff Gottes mit Descartes der vom ens perfectissimum genommen wird anstatt des ihm äquivalenten Begriffes vom ens quo maius cogitari nequit. Der Beweis geht insofern vom Begriff des Möglichen aus, als er vom Begriff Gottes ausgeht - was dasselbe ist wie Wesen, Essenz, Möglichkeit. Dieses Wesen ist solcherart, daß es sich als Grund seiner eigenen Existenz herausstellt: Jenes Mögliche, das ein vollkommenstes Wesen ist, muß kraft seines eigenen Wesens existieren 2. Der Beweis basiert lediglich auf 1 In der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik faßt Kant den Beweis folgendermaßen zusammen: "Ein metaphysisch allervollkommenstes Wesen muß notwendig existieren, denn wenn es nicht existierte, so würde ihm eine Vollkommenheit, nämlich die Existenz fehlen" (XX 303). 1 In der R 3706 heißt es: "dem allerrealsten Wesen kommt das Dasein um seiner

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Der einzig mögliche Beweisgrund

der Definition Gk>ttes und dem Widerspruchsprinzip.

2. Widerlegung a) Zunächst legt Kant ein Gegenargument ad hominem vor, wie es schon der Mönch Gaunilo im "Ldber pro insipiente" Anselm entgegengehalten hatte, daß nämlich auf gleiche Weise die Existenz einer vollkommenen Insel sich würde folgern lassen. Mit den Worten Kants: "Ebenso könnte man aus dem Begriff einer jeden Sache, welche auch nur als die vollkommenste ihrer Art vorgestellt wird, ... auf ihr Dasein schließen." (A 191 = II 156). b) Die eigentliche Widerlegung erfolgt unter Zuhilfenahme der Lehre vom Sein aus der 1. Betrachtung der I. Abtig. s, "daß nämlich das Dasein gar kein Prädikat, mithin auch kein Prädikat der Voll-

inneren Möglichkeit willen zu": XVII 240. 3 Eine erste, ausführliche Fassung des Cartesianischen Beweises mit der Widerlegung mittels der genannten Lehre vom Sein - eine Widerlegung, die nach der Nova dilucidatio far Kant die Standardargumentation gegen den ontologischen Beweis wurde - findet sich in der R 3706, die auf die Zeit gegen Ende der fünfziger Jahre datiert wird. Nach SCHMUCKER (Kants vorkritische Kritik, 24-30) ist deshalb dieses Lose Blatt wichtig, weil Kant hier gegen Descartes ausschließlich mittels des Prinzips: "Dasein ist kein Prädikat" vorgeht, während im EmBg und in der KrV eine nicht ganz glückliche Verquickung des Arguments der Nova dilucidatio (Gekünsteltheit und Willkürlichkeit des angesetzten Gottesbegriffes) mit dem Argument: "Dasein ist kein Prädikat" stattfindet. Dazu vgl. meine Stellungnahme im Kap. , 2 b. Aus den dort angeführten Gründen kann ich nicht die Interpretation teilen, Kant widerlege im EmBg Descartes "aus zwei verschiedenen Gründen und zwar so, daß die Willkürlichkeit und Geküneteltheit des Begriffs offenbar auch im Beweisgrund als der grundlegende betrachtet wird" (Ebd. 37). Wäre es so, dann würde man schwer verstehen, warum Kant am Anfang des Werkes die genannte Lehre vom Sein so ausführlich und mit Nachdruck ausarbeitet. Gewiß wird diese Lehre nicht primär im Hinblick auf Descartes vorgelegt (sondern, wie schon gesehen, um den Begriff der absoluten Realnotwendigkeit zu gewinnen), wohl aber auch! Deshalb griff Kant auf sie immer wieder zurück, auch nachdem er die Ontotheologie fallen gelassen hatte. Die scharfsinnige Analyse Schmukkers auf S. 27 f hebt zwar Spannungen im Text Kants hervor (die Spannung vor allem zwischen dem Kriterium der Widerspruchsfreiheit als Kriterium ontologischer Möglichkeit und der These der Nova dilucidatio, daß im ens necessarium keine der Existenz vorangehende Möglichkeit vorliegt), scheitert aber letztlich daran, daß Kant selbst in der R 3706 genau angegeben hat, was er unter einem willkürlichen Begriff versteht: "wenn man ... etwas mit einem Begriff verbindet, was nicht notwendigerweise dadurch gesetzt wird", wie wenn man z. B. die Flügel mit dem Begriff Pferd verbindet. Nun aber sagt Kant nirgends, daß die Synthese aller rein und uneingeschränkt positiven Prädikate einen so verstandenen willkürlichen Begriff ausmacht (auch nicht in KrV A 601 f)! Im Gegenteil hält er für selbstverständlich, daß im ens realissimum alle positiven Prädikate "durch das Wesen der Sache selbst verbunden" sind (R 3706).

Prüfung des Cartesianischen Beweises

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kommenheit sei und daher aus einer Erklärung, welche eine willkürliche Vereinbarung verschiedener Prädikate enthält, um den Begriff von irgendeinem möglichen Dinge auszumachen, nimmermehr auf das Dasein dieses Dinges und folglich auch nicht auf das Dasein Gottes könne geschlossen werden". Das "daher" weist unmißverständlich darauf hin, daß Kant genau kraft des vorhin genannten Prinzips ("Das Dasein ist kein Prädikat") die Schlußfolgerung Descartes' ablehnt.

3. "Dos Dasein ist kein Prädikat" - ein empiristischer Einwand?" D. Henrich * nennt das von Kant gegen Descartes verwendete Prinzip: "Das Dasein ist kein Prädikat" den empiristischen Einwand. Kant habe es 1762 benutzt, nachdem ihm selber die Schwäche seines früheren logischen Einwands aufgegangen war. Warum Henrich Kants Widerlegung im EmBg als "empiristisch" bezeichnet, erklärt er nicht näher. Sehr wahrscheinlich will er mit Kant sagen, daß das Dasein sich nicht durch Analyse eines Möglichkeitsbegriffs erkennen läßt, sondern durch Erfahrung. In der Tat schreibt Kant in der I. Abtig., 1. Betrachtung, Nr. 1: Wenn ich die Existenz eines Dinges behaupte, so nicht weil ich das Dasein aus dem Begriff dieses Dinges hergeleitet habe, sondern weil der Begriff "ein Erfahrungsbegriff ist" (A 6 = II 72). So weit so gut: Ein Ding als existierend und damit als Wirklichkeit kann letzten Endes nicht ohne Erfahrung erkannt werden. Es bleibt aber noch eine weitere, und zwar entscheidende Frage übrig: Wie vermittelt die Erfahrung das Sein? Diese Frage blieb in der 1. Betrachtung des Werkes noch offen. Dort bestand Kant darauf, negativ, daß das Dasein kein Prädikat ist und also nicht durch Begriffsanalyse erkannt werden kann und, positiv, daß das Dasein die absolute Position eines Dinges ist, erklärte aber nicht, wie diese Position des Dinges in sich selbst erkannt wird. Das Dasein wird nicht durch den Begriff erkannt; was soll noch hinzukommen? Hier schei-

4

3,c.

Vgl. HENBICH, Der ontologische Gottesbeweis, 182 f. Vgl. hier weiter oben Kap.

,

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Der einzig mögliche Beweisgrund

den sich die Wege in der Erkenntnislehre und konsequenterweise auch in der Seinslehre. a) Nach einer ersten Interpretation muß man vom Begriff zur sinnlichen Erfahrung zurückkehren, weil nur diese den gedachten Gegenstand in seiner Wirklichkeit erreicht. Was auch immer das intellektuelle Moment (der Begriff und das Urteil, soweit letzteres als ein eigenes Moment im Erkenntnisprozeß zu Gesicht kommt!) zur Erkenntnis beitragen mag, es ist doch die Erfahrung allein, die die Wirklichkeit als Wirklichkeit vermittelt. Meiner Meinung nach ist sicher dies die Position Kants in der KrV. Hier kann ich diese These, die an den eigentlichen Nerv der KrV rührt, nicht eingehend darlegen '. Es mögen einige Hinweise genügen. Zuerst verweise ich auf den programmatischen Einleitungsabsatz der transzendentalen Ästhetik (A 19), in dem die sinnliche Anschauung als die einzige Erkenntnishandlung hingestellt wird, die den Gegenstand erreicht. Diesem Text gemäß wird dann unzählige Male wiederholt: Durch die (sinnliche) Anschauung allein werde ein Gegenstand (als Wirklichkeit!) gegeben. Von derselben sensualistischen Prägung ist auch der Grundsatz von der Wirklichkeit im Abschnitt über die Postulate des empirischen Denkens: "die Wahrnehmung, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit" (A 225). Aus dieser erkenntnistheoretischen Lehre folgt, daß unsere Erkenntnis auf den Bereich der möglichen Erfahrung, den Horizont der Welt, eingeschränkt ist; d. h. also jegliche Gotteserkenntnis ist limine ausgeschlossen, egal ob zu diesem Sensualismus ein transzendental-idealistischer Überbau hinzukommt oder nicht. Soviel ich die Entwicklung des Denkens Kants übersehen kann, neige ich zu der Ansicht, daß dieser Sensualismus, der die tragende Grundlage der KrV und insbesondere der sog. "kritischen" Grenzbestimmung darstellt, alten Datums bei Kant ist. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre konnte er z. B. der Baumgartenschen Definition von existentia entgegenhalten: "Die Existenz kann kein Prädikat sein, denn sonst würde ein Ding als existierend nur durch ein Urteil und

* Ich verweise auf meinen Aufsatz: Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistische Version des Intuitionismus, in: Theologie und Philosophie 57 (1982) 202-224, 321-347. Zu den hier besprochenen zwei Wegen vgl. insbesondere S. 342-347.

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vermittelst des Verstandes erkannt werden. So aber erkennen wir das Dasein der Dinge durch Empfindung" (R 3761: XVII 286) ·. Nach dieser ersten Interpretation muß man sagen: Die These: "Das Dasein ist kein Prädikat" hat an sich nichts mit dem Empirismus zu tun, wohl aber wie sie de facto von Kant verstanden wird. Aber man kann die Lehre vertreten, das Dasein könne nicht durch bloße Begriffsanalyse erkannt werden, ohne zur These gezwungen zu werden, das Dasein werde durch die Erfahrung erkannt. Wie kommen wir also zur Erkenntnis des Seins? b) Nach einer anderen Interpretation muß man vom Begriff zum Urteil weitergehen, weil nur dieses den gedachten Gegenstand als Wirklichkeit erreicht. Diese zweite Interpretation vernachlässigt keineswegs den Beitrag der Erfahrung zur Erkenntnis der Wirklichkeit: Die Erfahrung ist unerläßlich als eine Komponente des Tatsachenurteils. Was aber die Wirklichkeit vermittelt, ist nicht die Erfahrung (die liefert nur Daten für den Erkenntnisprozeß), sondern das Urteil als der Akt, in dem der ganze Erkenntnisprozeß von der bloßen Erfahrung über das Verstehen und den Begriff bis zum Erfassen des virtuell Unbedingten als Grund der Setzung des Urteils gipfelt. Das Weitergehen zum Urteil, von dem hier die Rede ist, besteht darin, daß der Begriff auf die vorhandenen Daten hin nachgeprüft wird und schließt deshalb eine Rückkehr zur Sinnlichkeit mit ein. Aber eine Sache ist die Rückkehr zur Anschauung als zur Handlung, die von sich allein die Wirklichkeit erreicht, wie die erste Interpretation meinte, eine ganz andere Sache ist die Rückkehr zur sinnlichen Anschauung gemäß der zweiten Interpretation, nämlich um den notwendigen und hinreichenden Grund zu finden, das virtuell Unbedingte (die Erfüllung der Bedingungen des Begriffs in den entsprechenden, tatsächlich vorhandenen Daten), das die unbedingte Setzung des Urteils ermöglicht, in dem die Wirklichkeit allererst erkannt wird 7.

' Ich würde genau sagen: "Ein Ding als existierend wird nur durch ein Urteil und vermittelst des Verstandes erkannt." Was heißt aber "nur"? "Erst" im Urteil - das eine Verstandeshandlung ist. In diesem Sinne teile ich die These. Im Urteil, zu dem keine (innere oder äußere) Erfahrung als konstitutiver Bestandteil gehört. In diesem Sinne lehne ich die These ab, weil ein Existenzurteil nicht ohne Erfahrung zustandekommt. Vgl.7 Kap. , 3, a; insbesondere die Fußnote 35 zum Existenzurteil. Vgl. LONEBGAN, Insight, Kap. X. zum Urteil.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Nach dieser zweiten Interpretation der Rolle der Erfahrung zur Erkenntnis der Wirklichkeit * bedeutet die Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises mittels des Grundsatzes: "Dasein ist kein Prädikat" an und für sich keine Widerlegung mittels eines empiristischen Einwands. Mit diesem Grundsatz wird der Begriffsanalyse des Descartes entgegengehalten: Das Dasein ist die absolute Position des Dinges an sich selbst (metaphysische Seite des Problems), und als solches wird es durch die absolute Position des Urteils - das Urteil als Behauptung, als "est" - erkannt (erkenntnistheoretische Seite des Problems), und eben nicht durch die Analyse des Subjektbegriffs.

4. Eine systematische Überlegung zur Widerlegung des Cartesianischen Beweises: Die metaphysische und die erkenntnistheoretische Seite des Problems An das im vorhergehenden Abschnitt über das Sein und das Urteil Gesagte schließe ich folgende systematische Stellungnahme zur Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises im EmBg an *. Wie gesehen argumentiert Kant folgendermaßen: Vom "Begriff von irgendeinem möglichen Dinge" kann nimmermehr "auf das Dasein dieses Dinges" geschlossen werden, "folglich auch nicht auf das Dasein Gottes". Um in diesem Problemkomplex Konfusionen ohne Ende zu vermeiden, muß man deutlich zwischen der seinsmäßigen und der erkenntnismäßigen Seite des Problems unterscheiden. Der Grundsatz: "Sein ist kein (reales) Prädikat" enthält in der Tat zwei zusammenhängende Thesen: a) Eine metaphysische These: Das Sein gehört zu keinem (endlich!) Seienden als Bestandteil seines Soseins, oder seines Wesens, oder seiner Essenz. Mit dieser These ist der Essentialismus im Prinzip überwunden, für den das Seiende im Wesen bzw. in den Be-

' Dieser Interpretation kann man mit Fug und Recht die Bezeichnung "kritischer Realismus" geben, insofern sie den naiven Realismus entlarvt, der das Selbstverständliche in der Erkenntnis, nämlich die (sinnliche) Anschauung, mit dem verwechselt, was die menschliche Erkenntnis selbstverständlich ist. ' Damit führe ich die Überlegungen weiter, die ich im Kapitel , 3 zum selben Thema angestellt habe.

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standteilen des Wesens (scholastisch: Materie und Form für die materiellen Dinge) aufgeht. Der Essentialismus ignoriert das Sein als Akt und so als dritte metaphysische Komponente des materiell Seienden über die Materie und die Form hinaus l". b) Eine erkenntnistheoretische These: Das Sein wird nicht durch den Begriff erkannt, sondern (dieses Positive fehlt bei Kant!) durch das Urteil als absolute Position der mentalen Synthesis. Die metaphysische These des Grundsatzes gilt nun für Gott nicht. In Gott gehört das Sein zu den Prädikaten seines Wesens, ja es ist das Prädikat oder die Bestimmung seines Wesens. Das "folglich" am Ende der Widerlegung, wo Kant von den übrigen Dingen zu Gott übergeht, muß also präzisiert werden. Freilich weiß auch Kant, daß das Wesen Gottes sein eigenes Dasein ist "; wenn es aber darum geht, mit dem Prinzip: "Das Dasein ist kein Prädikat" gegen Descartes vorzugehen, läßt er diese bekannte Definition Gottes beiseite. Der Grund dafür dürfte folgender sein. Kant unterscheidet nicht sauber die zwei oben formulierten Thesen, die im Grundsatz "Das Dasein ist kein Prädikat" enthalten sind; da nun die erkenntnistheoretische These nicht nur für unsere Erkenntnis der endlich Seienden, sondern auch für unsere Erkenntnis Gottes gilt, wird er dazu verleitet, die metaphysische These ebenfalls auf Gott anzuwenden. Letzteres ist sachlich falsch, und außerdem gar nicht nötig, um den Cartesianischen Gottesbeweis mittels des Prinzips "Sein ist kein Prädikat" zu widerlegen (Die Widerlegung spielt sich nur auf der erkenntnistheoretischen Seite ab!). u 11

Vgl. Kap. VII, 1. Betrachtung, Nr. 1. Vgl. die Propositio VII der Nova dilucidatio: "Datur ens, cuius exsistentia praevertit et ipsius et omnium rerum possibüitatem". Dies wird am Ende der Prop, wiederholt, und hinzu heißt es noch: "et huius [Dei] nulla manet netto, simulatque ab exsistentia eius discesseris". Dies bedeutet offensichtlich, daß das Dasein Gottes seinen Begriff, und also sein Wesen, seine Möglichkeit ausmacht. In einem ganz anderen Kontext spricht Kant in der KU, § 76 vom Urgrund als notwendig existierend, "an welchem Möglichkeit und Wirklichkeit gar nicht mehr unterschieden werden" (B 341 = V 402). Diese These ist in der philosophischen Tradition wohl bekannt. Für THOMAS ist die Existenz Gottes per se (nicht "quoad nos"l) nota, weil "Deus enim est suum esse" (Summa Theol. I, q. 2, a. 1), und in der q. 3. a. 4 schreibt er: "Sua [Dei] igitur essentia est suum esse". Lemmz spricht von Gott als "Ens unum metaphysicae necessitatis, seu de cuius essentia sit existentia" (De rerum originatione radicali, Phil. Schriften, VU 303). Und bei Wouv gilt als feste Lehre: "Deus per essentiam existit, seu existentia ipsi essentialis est", Theologia Naturalis, , § 27. In seiner Ontotogie heißt es zum ens necessarium, daß in ihm "existentia per essentiam determinatur" (§ 308), weil eben Gottes Essenz die Existenz selber ist.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Die erkenntnistheoretische These, als These über unsere Erkenntnisart, gilt uneingeschränkt, also auch bezüglich unserer Erkenntnis Gottes - und darum geht es in der ganzen Problematik der Gottesbeweise! Im Falle Gottes sollte der Einwand gegen den Cartesianischen Beweis genau genommen so formuliert werden: Sein ist das Prädikat Gottes, dennoch vermögen wir nicht, "durch die Zergliederung dieses Begriffes" (A 190 = II 156) das Sein (Existenz) Gottes zu erkennen. Durch Zergliederung des Gottesbegriffes vermögen wir nur zu denken, daß Gott notwendigerweise (und nicht kontingenterweise) existiert. Wenn dies der Sinn der These: "Das Dasein ist kein Prädikat" nach ihrer erkenntnistheoretischen Seite ist, da wo sie gegen den apriorischen Gottesbeweis verwendet wird, so erhellt, daß der Einwand des EmBg: "Sein ist kein Prädikat" (der sog. empiristische Einwand) und der Einwand der Nova dilucidatio, der ontologische Beweis begehe einen unzulässigen Übergang von der gedachten zur realen Existenz (der sog. logische Einwand), letztlich auf dasselbe hinauskommen. Nur daß der letztere direkt und ausschließlich die erkenntnistheoretische Seite des Problems berücksichtigt, während der Grundsatz: "Sein ist kein Prädikat" de facto beide Seiten (die metaphysische und die erkenntnistheoretische) betrifft, so daß er im Falle Gottes, wo beide Seiten sich trennen, präzisiert werden muß, um Paralogismen oder Argumentationen zu vermeiden, die an der in Frage stehenden Wirklichkeit vorbei argumentieren 12. Sage ich, wie Kant sich ausdrückt, das Dasein Gottes kann nicht vom Begriff Gottes hergeleitet werden, weil das Sein nicht zu den Prädikaten des vollkommensten Wesens gehört, so widerlege ich keineswegs den Car-

u Aus diesem Grund halte ich die zu Beginn von Nr. 3 zitierte Beurteilung Henrietta für sachlich falsch, Kant habe nämlich im EmBg zu einem anderen Einwand gegriffen, nachdem ihm die Schwäche seiner Widerlegung des Cartesianischen Beweises in der Nova dilucidatio aufgegangen war. Die Äquivalenz beider Widerlegungen kann auch folgendermaßen verdeutlicht werden. EmBg: Das Dasein ist kein Prädikat, sondern die absolute Position des Dinges (metaphysische These). Die entsprechende erkenntnistheoretische These lautet: Das Dasein kann nur durch die absolute Position des Urteile erkannt werden - wobei dieses Urteil eine erfahrungsmäßige Komponente einschließt. Damit sind wir bei der Widerlegung des Cartesianischen Beweises in der Nova dilucidatio mit ihrer Distinktion zwischen gedachter und realer Existenz - wobei die reale Existenz durch die absolute Position des Urteils (im Unterschied zur Analyse des Begriffs) erkannt wird.

Prüfung des Cartesianischen Beweises

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tesianischen Beweis 13. Sage ich, das Dasein Gottes kann nicht vom Begriff Gottes hergeleitet (d. h. erkannt) werden, weil kein Begriff, auch unser Begriff des Unendlichen nicht, uns die Erkenntnis der Wirklichkeit vermittelt, so habe ich den Cartesianischen Beweis auf den Kopf getroffen, der den Fehler begeht, von der metaphysischen zu der erkenntnistheoretischen Seite überzuspringen. M. a. W.: Wesen und Existenz sind in Gott ein und dasselbe (dies ist wahr!); also - argumentiert der Cartesianische Beweis - können wir vom Begriff Gottes die Existenz Gottes ableiten, d. h. diese Existenz erkennen (dies ist falsch!). Etwas anders ausgedrückt. Bei dem Problem: Sein - Erkenntnis betrachtet der Grundsatz: "Sein ist kein reales Prädikat" das Problem direkt von der Seite der Wirklichkeit her (wenn man "Prädikat" als Bestimmung nimmt). Sein Sinn ist also: Das Sein als Existenz, Akt, ist eine realiter verschiedene metaphysische Komponente der Wirklichkeit als die Form, die Soseinsbestimmung der Wirklichkeit. Der sog. logische Einwand gegen den Cartesianischen Beweis betrachtet dasselbe Problem von der Seite der Erkenntnis her, indem er darauf hinweist, daß das Denken, der Begriff, noch keine Erkenntnis der Wirklichkeit als Wirklichkeit liefert. Nun ist im Falle unseres Problems: (Gottes-)Dasein - (menschliche) Erkenntnis auf der metaphysischen Seite die Dualität (die Distinktion von Form und Akt, Sosein und Dasein) in eine vollkommene Einheit aufgehoben; aber auf der erkenntnistheoretischen Seite bleibt die Dualität: Denken bzw. Begriff und Erkennen bzw. Urteil voll in Geltung. Wir haben ja nur ein Erkenntnisvermögen, dessen Handlungsweise sich nicht ändert, je nachdem die zu erkennende Wirklichkeit ihm proportioniert oder transzendent ist. Deswegen hilft die Einheit auf der metaphysischen Seite nicht, um einen apriorischen Gottesbeweis zu ermöglichen. Was in Gott vollkommen eins ist (Essenz und Existenz), wird von uns auf dem Weg einer ErkenntnissiruAiur erkannt, in der Begriff und Urteil, Denken und Erkennen zwei real verschiedene Momente sind, und zwar so, daß der Fortgang vom Begriff zum Existenzurteil den Rückgriff auf die Daten erfordert, nämlich auf die Welt als existierend, von der aus wir bereits unseren Begriff Gottes gebildet haben. u Ich lehne den Cartesianischen Beweis ab, gebe aber auf diese Weise den stichhaltigen Grund nicht an.

XI. Kapitel Prüfung des ontotheologischen Beweises 1. Der ontotheologische Beweis Als zweiter Beweis der ersten Art (Beweise aus den Begriffen des bloß Möglichen) prüft Kant in Nr. 2, Abs. 3 seinen eigenen "Schluß von den Möglichkeiten der Dinge als Folgen auf das Dasein Gottes als einen Grund". Die Prüfung besteht in einer Zusammenfassung der I. Abtig, des Werkes (A 192 f = II 157). Satz 2 gibt den Beweis in seinen zwei Hauptschritten wieder: (a) "ob nicht dazu, daß etwas möglich sei, irgend etwas Existierendes vorausgesetzt sein müsse" (vgl. I. Abtig., 2. Betrachtung, Nr. 2), und (b) "ob dasjenige Dasein, ohne welches selbst keine innere Möglichkeit stattfindet, nicht solche Eigenschaften enthalte, als wir zusammen in dem Begriff der Gottheit verbinden", wobei die erste Eigenschaft des vorausgesetzten Existierenden ist, daß es ein schlechterdings notwendig Existierendes ist. Das übrige bis Ende des Abs. präzisiert weiter den Ansatzpunkt des Beweises durch einen doppelten Gegensatz: (1) Der Beweis geht nicht von einer bedingten Möglichkeit aus, d. h. von einer Möglichkeit, die in einer bestimmten Verknüpfung mit einer existierenden Ursache besteht und um die ich weiß, weil diese Möglichkeit als Folge tatsächlich existiert (oder weil ich um die Existenz seiner Ursache weiß). Der Beweis beruht vielmehr auf der vor jeglicher (kontingenten) Existenz vorausgehenden inneren Möglichkeit der Dinge. (2) Der Beweis geht nicht von einer bestimmten Art des Möglichen aus. Die Bestimmung des Möglichen, die im Unterschied der Prädikate besteht, verweist als solche nicht auf ein Existierendes. Zwei Wesenheiten unterscheiden sich, egal ob sie existieren oder nicht; und ein Wesen bleibt als Wesen identisch, egal ob es bloß möglich ist oder existiert. Insbesondere will Kant seinen Beweis vom Cartesianischen absetzen, der von einem bestimmten Möglichen aus-

Prüfung des ontotheologischen Beweises

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geht, nämlich dem vollkommensten Wesen '. M. a. W. der Beweis schließt auf "ein göttliches Dasein" nicht durch die Analyse bestimmter möglicher Begriffe, sondern durch die Analyse des Begriffs der Möglichkeit überhaupt.

2. Nur die Ontotheologie beweist das absolut Realnotwendige (regen Ende der III. Abtig., in der zweiten Hälfte von Ziffer 5, wird die Ontotheologie wieder zur Sprache gebracht. Diesmal hebt Kant hervor, daß nur der Beweis aus den Möglichkeiten zum ens necessarium als absoluter ßea/notwendigkeit gelangt im Unterschied zum Beweis aus dem kontingent Existierenden, der, wie schon im "Beschluß" der L Abtig., 3. Abs. erläutert wurde, nur bis zu einer necessitas conditionata oder hypothetica führt. "Es ist nur ein Gott und nur ein Beweisgrund, durch welchen es möglich ist, sein Dasein mit der Wahrnehmung derjenigen Notwendigkeit einzusehen, die schlechterdings alles Gegenteil vernichtigt" (A 204 = II 162). Kurzum, Auszeichnendes der Ontotheologie ist erstens, daß sie ein ens absolute necessarium erschließt, weil sie von der inneren Möglichkeit als unaufhebbarer ontologischer Dimension der Wirklichkeit ausgeht; zweitens, daß sie das absolut Äec/notwendige erschließt, weil ihr Ansatz im Realen oder Materialen der Möglichkeit liegt. Zur Diskussion der Sachprobleme, die in dieser Charakterisierung der Ontotheologie im Verhältnis zum Kontingenzbeweis enthalten sind, verweise ich auf Kap. VII, 4. Betrachtung, "Beschluß", Abs. 3.

3. Es ist nicht nötig, daß man das Dasein Gottes demonstriere Am Ende seines Werkes, in dem Kant mit großer Entschiedenheit die quasi mathematische Beweiskraft und die Einzigkeit seines ontotheo-

1 Allerdings haben wir schon gesehen, daß Kant doch in der letzten Betrachtung der I. Abtig, zu bestimmten Möglichkeiten, die sich durch besondere Prädikate auszeichnen, rekurrieren mußte, um das notwendig Existierende als Gott ausweisen zu können.

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logischen Beweises verfochten hat, schlägt er wieder die bescheidenen (und unsicheren?) Töne an, die in der Vorrede angeklungen sind: "Hierin sucht den Beweistum, und wenn ihr ihn nicht daselbst anzutreffen vermeint, so schlaget euch von diesem ungebahnten Fußsteige auf die große Heeresstraße der menschlichen Vernunft. Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nötig, daß man es demonstriere." Der erste Satz des Werkes war folgenden Tenors: "Ich habe keine so hohe Meinung von dem Nutzen einer Bemühung, wie die gegenwärtige ist, als wenn die wichtigste aller unserer Erkenntnisse: Es ist ein Gott, ohne Beihilfe tiefer metaphysischer Untersuchungen wanke und in Gefahr sei" 2. In der Tat hat Kant bald danach seinen hochgeschätzten Beweis fallenlassen, den er 1762 im Unterschied zu 1755 zum Rang des einzig möglichen erhoben hatte. Da er bereits alle anderen Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft als Beweise im engeren Sinne abgelehnt hatte, blieb er ohne jeglichen spekulativ-theoretischen Zugang zur "wichtigsten aller unserer Erkenntnisse". Aber im Horizont des Denkens Kants war schon, zumindest anfanglich, die Einsicht aufgegangen, daß die moralische Verfaßtheit des Menschen ihn durch einen "moralischen Glauben" sicherer und "ohne Umschweife zu seinen wahren Zwecken fuhrt". Diese Worte am Ende der "Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik" von 1766 zeugen von einer Einsicht, die bestimmt war, im Werdegang Kants eine langfristige und entscheidende Rolle zu spielen.

1 Auch an einigen Stellen im Laufe des Werkes hat Kant eine gewisse Skepsis gegenüber seinem "metaphysischen Beweis" durchblicken lassen, und zwar was seine Überzeugungskraft für den gemeinen Verstand anbelangt im Unterschied zur Faßlichkeit und Unmittelbarkeit der gewöhnlichen Physikotheologie (Vgl. A 104 f = 118; A 201 f = II 161).

XII. Kapitel Prüfung des Kontingenzbeweises Literatur Schmucker, Josef, Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise, 38-44.

In Nr. 3, Abs. 1-2 (A 193-197 = II 157-159), unterzieht Kant den Beweis einer Prüfung, der von einem Existierenden im Bereich unserer Erfahrung ausgeht. Es ist ein sehr alter Beweis, der zu Recht als der klassische Gottesbeweis gilt. Dieser Beweis war damals "durch die Schule der Wolffischen Philosophen sehr in Ansehung gebracht worden", insofern Wolff im Prinzip einen einzigen Gottesbeweis gelten ließ ', nämlich den Kontingenzbeweis, den er zuerst in seiner Deutschen Metaphysik (§ 928-946) und dann ausführlicher im I. Teil seiner Theologia Naturalis (§ 24-69) ausarbeitete. Zunächst wird eine Kurzfassung des Beweises vorangeschickt: 1. Schritt: "Von dem, was da ist, auf die Existenz einer ersten und unabhängigen Ursache nach den Regeln der Kausalschlüsse". 2. Schritt: Von dieser Erstursache "durch logische Zergliederung des Begriffes auf die Eigenschaften derselben, welche eine Gottheit bezeichnen". Charakteristisch für die Wölfische Fassung ist die scharfe Trennung des Beweises irgendeines notwendigen Wesens (bei Wolff genau eines "selbständigen Wesens", Deutsche Metaphysik § 929, bzw. eines "ens a se", Theologia Naturalis I, § 29) vom (weiteren) Beweis, daß dieses Wesen Gott ist. In seiner Rekonstruktion des Kontingenzbeweises übernimmt und radikalisiert Kant diese Zäsur: Erst der zweite Schritt führt zur Erkenntnis der Existenz Gottes. Ein solcher Schritt ist für Kant nicht nur wesentlich verschieden vom ersteren, sondern auch, wie es sich herausstellen wird, gar nicht stichhaltig. In der unmittelbar danach anschließenden ausführlicheren Darlegung und 1 Vgl. Kap. K, Fußnote 4. In der Tat aber fahrte Wolff seine These so aus, daß der Kontingenzbeweis verschiedene Fassungen (darunter auch die des Finalitätsbeweises) erhielt und außerdem auch dem Cartesianisch-Leibnizianischen apriorischen Beweis Wert und Vorteile anerkannt wurden.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Kritik des Beweises: "Ich räume ein ..." wird der erste Schritt in zwei Momente unterteilt, so daß der ganze Beweis hier drei Schritte umfaßt ·. 1. Der erste Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zur unabhängigen Ursache "Wenn etwas da ist [die Welt, oder auch nur Ich. Vgl. Wolff], so existiert auch etwas, was von keinem anderen Dinge abhängt." Man kann ja in der Reihe der Ursachen nicht in infinitum zurückgehen, sondern man muß schließlich zu einer ersten und unabhängigen Ursache gelangen. Wolff nennt sie "selbständiges Wesen" *. Genauer, sagt Kant, man muß zum Dasein irgendeines oder mehrerer unabhängiger Dinge gelangen. Die Einzigkeit der Erstursache ist explizites Beweisziel des 3. Schrittes, in dem es darum geht, das unabhängige notwendige Wesen als Gott auszuweisen. 2. Der zweite Schritt des Kontingenzbeweises: Der Schritt zum logisch notwendigen Dasein Der 2. Schritt schließt "vermittelst des Satzes vom zureichenden Grunde" vom unabhängigen Ding zum selben als schlechterdings not-

* Entscheidend bleibt aber die Zwei-Schritte-Gliederung: (1) Vom kontingent Existierenden zum notwendig Existierenden und (2) vom notwendig Existierenden zum ens infinitum, d. h. Gott, so daß das eigentliche Problem beim Kontingenzbeweis, BÖ wie Kant ihn versteht, das der Identifizierung des noch unbestimmten ens necessarium mit dem ens realissimum, d. h. mit Gott, ist. Bei Wolff liegt die Distinktion Kants zwischen dem Schritt zur unabhängigen Erstureache und dem weiteren Schritt zum notwendigen Wesen nicht vor. Der Grund dieses zusätzlichen Schrittes bei Kant ist wohl, der Argumentation von dem durch Erfahrung erkannten Existierenden überhaupt einen terminus ad quem zu geben, nachdem die Schlüssigkeit des Schrittes auf das ens necessarium (bei Wolff und überhaupt in der herkömmlichen Fassung des Kontingenzbeweises) von Kant, wegen seiner Einschränkung des Anwendungsbereiches des Satzes vom Grunde, in Zweifel gezogen worden war. In den zwei Behandlungen des Kontingenzbeweises im theologischen Hauptstück der KrV, wo Kant das Problem der causa sui (das Resultat der Argumentation anhand des Satzes vom Grunde) nicht berücksichtigt, laßt er deshalb diesen zusätzlichen ersten Schluß auf ein unabhängiges Ding wieder fallen. Vgl. A 584, 604 f. ' WOLW, Deutsche Metaphysik, § 929.

Prüfung des Kontingenzbeweises

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wendig. Gerade weil der Schluß auf das ens necessarium mittels des Satzes vom Grunde stattfindet, beurteilt Kant ihn als "schon viel weniger zuverläßig". In der Nova dilucidatio, Prop. VI, hat Kant die These aufgestellt, der Satz vom Grande gelte für das ens necessarium nicht. Denn, wenn der Grundsatz auch auf das Daseinsnotwendige anwendbar ist, so faßt man konsequenterweise das ens necessarium als eine causa sui auf - und dieser Begriff ist absurd. Nun aber schließt der Kontingenzbeweis von den Dingen, die zwar existieren, aber keinen zureichenden Grund in sich haben, warum sie sind und nicht vielmehr nicht sind, auf ein Ding, das in sich selbst, nämlich in seinem Wesen, den Grund hat, warum es ist 4. Der Kontingenzbeweis kommt somit zu einem Daseinsnotwendigen im Sinne eines wesensnotwendigen Daseins, was eben eine causa sui bedeutet5. Der (absurde) Begriff des wesensnotwendigen Daseins impliziert seinerseits den Begriff der logischen Notwendigkeit, die Kant als Gegensatz zur absoluten Notwendigkeit erläutert hat *: Ein Seiendes ist logisch notwendig, wenn es auf Grund des Widerspruchsprinzips notwendig ist; d. h. also, wenn die Verneinung seiner Existenz einen Widerspruch einschließt. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn das Sein als ein Merkmal des Subjektbegriffs gilt. In diesem Sinne definiert Kant die logische Notwendigkeit als "die Notwendigkeit in den Prädikaten bloß möglicher Begriffe" (A 27 = II 82). Es scheint also, daß Kant die These von der unabhängigen Ursache als notwendigem Wesen dahingehend versteht, daß der Grund ihrer Existenz, den sie gemäß dem Satz vom Grunde in sich selbst haben muß, das Sein selbst sei; das Sein gehöre somit zu den Prädikaten ihres Wesens (oder sei das Prädikat ihres Wesens). Die Erstursache sei ein Wesensnotwendiges und deshalb auch ein Lcgtscnnotwendiges. 4

Vgl. WÖLKT, Deutsche Metaphysik, § 928.

' Man könnte gegen Kant einwenden, daß auch seine Ontotheologie auf ein ens necessarium mittels des Satzes vom Grunde schließt, und daß auch sie deshalb zu einer causa sui kommen muß. In der Tat ist es nicht so. Durch den Satz vom Grunde schließt Kant vom Möglichen auf ein notwendig Existierendes als Grund des Möglichen, aber er wendet dasselbe Prinzip nicht auf dieses Existierende selbst an, so daß letzteres als notwendig angesehen werden sollte, weil es in sich selbst den Grund seiner eigenen Existenz habe. Der letzte Grund des Möglichen ist nach Kant deshalb schlechterdings notwendig, weil seine Verneinung die Aufhebung aller Möglichkeit bedeuten würde - und dies ist nach Kant schlechterdings unmöglich. • Vgl. Kap. VE zur I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 1.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Trotz dieses grundsätzlichen Bedenkens will Kant hier den Schluß auf das ens necessarium mittels des Satzes vom Grunde auf sich beruhen lassen 7. Der Hauptgrund dieses "transeat" dürfte darin liegen, daß es Kant bei der Widerlegung des Kontingenzbeweises auf den 3. Schritt ankommt. Denn, auch zugegeben, daß es irgend etwas notwendig Existierendes geben muß, sind wir dennoch nicht imstande, dieses Existierende als Gott auszuweisen. Damit verliert der 2. Schritt seine eigentliche Bedeutung für den angestrebten Gottesbeweis. Er besagt nur, daß es etwas schlechterdings Notwendiges gibt, das nicht auf anderes als Begründung seiner Existenz verweist. Dies wird freilich auch von den Atheisten eingeräumt. Genau besehen aber, wenn man nämlich dem weiteren Verlauf der Rekonstruktion und Kritik Kants im 3. Schritt Rechnung trägt, muß man sagen, daß Kant die Gültigkeit des 2. Schrittes nur bis zu einem gewissen Punkt konzediert. Denn der Umstand, daß die Existenz eines notwendigen Wesens mittels des Satzes vom Grunde erreicht wurde, hat nach Kant zur Folge, daß dieses Wesen ein logisch notwendiges Wesen ist. Nun ist es die logische Notwendigkeit der Erstursache, die im 3. Schritt die Identifizierung derselben mit dem ens realissimum oder perfectissimum in einer Weise ermöglicht, die die Gültigkeit des (schon widerlegten) Cartesianischen Beweises einschließt bzw. voraussetzt. Das Versagen des 3. Schrittes und damit das Versagen des Kontingenzbeweises als Goftesbeweises beruht doch letztlich auf dem, was Kant im 2. Schritt als nicht zuverlässig erachtet. Bezüglich des Schlusses des 2. Schrittes auf das ens necessarium sei folgendes bemerkt. Der Schritt gelangt zwar zu einem Wesen, das deshalb existiert, weil es das Sein als sein Wesen hat; dies bedeutet aber keineswegs, daß das ens necessarium ein logisch notwendiges Wesen sei, dessen Existenz wir ohne Widerspruch nicht bestreiten können. Das als existierend mittels eines rationalen Urteils erkannte 7 Zur Kritik am Kontingenzbeweis gehören auch alle Stellen, denen zufolge der Beweis nur bis zu einer hypothetischen Notwendigkeit gelangt, nicht zu einer absoluten. Vgl. EmBg I. Abtig., Beschluß, Abs. 3 und meine Ausführungen dazu im Kap. VII. Diese etwas anders gelagerte Kritik ist auch deswegen aufschlußreich, weil an den einschlägigen Stellen die Vorbehalte und Zugeständnisse der vorliegenden "Prüfung" fallen gelassen werden. Nach dieser anderen Interpretation stellt sich das Problem der Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum nicht, weil der Beweis in der Tat zu keiner absoluten Notwendigkeit gelangt.

Prüfung des Kontingenzbeweises

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ens necessarium bleibt für uns immer noch in seinem eigenen Wesen uneinsichtig. Wir sind ja zur Erkenntnis seiner Existenz gelangt nicht infolge einer Einsicht in dieses Wesen (= in dieses Sein), sondern infolge der Existenz der Welt. Deshalb bleibt uns immer noch die Möglichkeit, ohne Widerspruch diese Existenz zu verneinen. Der Sinn einer solchen Verneinung ist: Das gedachte ens necessarium (das notwendige Dasein) existiert in der Wirklichkeit nicht. Darin liegt kein Widerspruch. Kurzum: die Verneinung des von uns als u?esercsnotwendig Gedachten impliziert keinen Widerspruch, weil wir dessen Existenz nicht auf Grund seines Wesens erkennen.

3. Der dritte Schritt des Kontingenzbeweises: Die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum setzt die Gültigkeit des Cartesianischen Beweises voraus Der 3. Schritt soll nun das ens necessarium als mit den Eigenschaften Gottes ausgestattet ausweisen, um die Identifizierung des schon als existierend erkannten Daseinsnotwendigen mit Gott zu ermöglichen. Da nun die grundlegenden Attribute des ontologischen Gottesbegriffes nach der Schulphilosophie die der Einzigkeit, Allrealität und Notwendigkeit sind *, fällt dem 3. Schritt im Kontingenzbeweis die Aufgabe zu, das ens necessarium als mit dem ens realissimum (infinitum) et unicum identisch zu beweisen. Das schon erreichte ens necessarium ist nach Kant ein logisch notwendiges Dasein. Um dieses Daseinsnotwendige mit dem Ding zu identifizieren, "in welchem alle Vollkommenheit oder Realität anzutreffen" ist, muß gezeigt werden, daß das Gegenteil (= Nichtexistenz) des ens realissimum "sich selbst widerspreche", genau so wie das Gegenteil des ens necessarium als logischer Notwendigkeit sich selbst widerspricht, und daß also "dasjenige Wesen einzig und allein schlechterdings notwendig im Dasein sei [ens necessarium], dessen Prädikate alle wahrhaftig bejahend sind [ens realissimum]". Das gelingt, weil, wie der Cartesianische Beweis argumentiert, das ens perfectissimum oder realissimum notwendigerweise existieren muß, inso-

• Vgl. Kap.

, Anm. 1.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

fern das Dasein zu seinen Prädikaten gehört (logische Notwendigkeit). Da nun weiter das Wesen, in dem alle Realität durchgängig vereint ist, ein einziges ist, so folgt, daß das ens necessarium (das eben notwendigerweise existiert) mit diesem einzigen ens realissimum identisch sein muß (das ebenfalls notwendigerweise existiert). Also ist das existierende Daseinsnotwendige Gott. Kurzum, der 3. Schritt argumentiert folgendermaßen: Das ens necessarium, das im 2. Schritt erschlossen wurde, kann nicht ohne Widerspruch verneint werden, weil es logisch notwendig ist. Die Frage: "Wer ist dieses ens necessarium?" kann deshalb beantwortet werden: "Es ist das ens realissimum", d. h. Gott, weil unter allen (bestimmten) Seienden nur das ens realissimum (das ein einziges Wesen ist) derart ist, daß seine Existenz nicht ohne Widerspruch verneint werden kann *. Aber der Weg, auf dem der Kontingenzbeweis im 3. Schritt ans Ziel kommt, impliziert die Ungültigkeit dieses Schrittes und damit die Ungültigkeit des Kontingenzbeweises als Goitesbeweises. Denn die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum geschieht durch die "Zergliederung der Begriffe [des Begriffes?] des Notwendigen": Notwendig ist das, dessen Gegenteil unmöglich ist, weil widersprüchlich (logische Notwendigkeit). Genau diese Auffassung von der Daseinsnotwendigkeit, die die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum (das ebenfalls logisch notwendig ist) ermöglicht, liegt auch dem Cartesianischen Beweis zugrunde,

' Es gäbe eine Möglichkeit, diese Identifizierung des ena necessarium mit dem ens realissimum auf dem Weg der Daseinsnotwendigkeit als begrifflicher Notwendigkeit zu bestreiten und damit aufzuzeigen, daß der Kontingenzbeweis nicht ans Ziel kommt. Dies wäre die Ansicht, daß nicht ausschließlich das ens infinitum ein ens necessarium sei, daß es also auch andere (endliche) Wesen geben könnte, die notwendigerweise existieren, obwohl ihr Begriff das Dasein nicht einschließt. Auf die Frage: "Wer ist das ens necessarium?" könnten wir nicht antworten: "Es ist das ens realissimum", weil nach dieser Ansicht auch andere (endliche) Wesen entia necessaria sein könnten. Damit hätten wir eine Widerlegung des Kontingenzbeweises, ohne zum Einwand zu greifen, daß dieser Beweis den Cartesianischen einschließt bzw. voraussetzt. Der Kontingenzbeweis wäre also unschlüssig, weil er nicht eindeutig das ens necessarium mit dem ens realissimum zu identifizieren vermag (d. h. das vom Kontingenten her erschlossene ens necessarium könnte auch mit einem endlich Seienden identisch sein, etwa mit der Welt als ganzer). Im Theologie-Hauptstück der KrV, . Abschnitt, argumentiert Kant auf diese andere Weise gegen den Kontingenzbeweis. Hier dagegen läßt er den 3. Schritt des Beweises gelingen (eindeutige Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum), aber so, daß dieses Gelingen des 3. Schrittes sich in der Tat als das Versagen des Beweises herausstellt.

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d. h. sie ermöglicht auch "umgekehrt" zu schließen: "worin alle Realität ist, das existiert notwendigerweise", weil wir sonst einen Widerspruch hätten, wie der Cartesianische Beweis tatsächlich argumentiert ". Fassen wir also das Daseinsnotwendige als logische Notwendigkeit (wie es der Kontingenzbeweis im 2. Schritt tut, insofern er den Satz vom Grunde auch auf das Daseinsnotwendige anwendet), so haben wir einen Begriff Gottes, der die Existenz Gottes ganz a priori zu beweisen ermöglicht, ohne jeglichen Rekurs auf die Erfahrung. Der 3. Schritt des Kontingenzbeweises argumentiert nach Kants Analyse folgendermaßen: a) Er setzt den (ungültigen!) Cartesianischen Beweis voraus, indem er argumentiert: das ens necessarium ist ein ens realissimum, weil das ens realissimum (das ein einziges Wesen ist) notwendigerweise existiert (im Sinne der logischen Notwendigkeit); b) er verwendet den aposteriorischen Ansatz gar nicht. Denn entscheidend für den 3. Schritt ist nicht die Wirklichkeit des ens necessarium (daß es nämlich von der existierenden Welt her bewiesen wurde), sondern die logische Notwendigkeit desselben, d. h. seine begriffliche Notwendigkeit: Das Wesen (das im Begriff ausgedrückt wird) der ersten und unabhängigen Ursache ist derart, daß ihm das Nichtsein widerspricht (es hat ja den Grund der Existenz in sich selbst) - genau so wie dem ens realissimum das Nichtsein widerspricht. Die Fußnote wiederholt in einer etwas klareren Weise dieselbe Interpretation und Kritik des Kontingenzbeweises: "Wenn ich die Notwendigkeit eines Begriffes darin setze, daß sich das Gegenteil widerspricht [derart ist der Begriff des Daseinsnotwendigen als Schluß des 2. Schrittes], und alsdann behaupte, das Unendliche sei so beschaffen [Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum], so war es ganz unnötig, die Existenz des notwendigen Wesens vorauszusetzen, indem sie schon aus dem Begriff des Unendlichen folgt [Cartesianischer Beweis]. Ja, jene vorangeschickte Existenz [die durch die Existenzbasis des ganzen Arguments erschlossen wurde] ist in dem Beweise selbst völlig müßig. Denn da in dem Fortgang desselben der Begriff der Notwendigkeit und der Unendlichkeit als Wech-

u Vgl. Kap. X, l am Ende: Der Beweis Descartes' "basiert lediglich auf der Definition Gottes und dem Widerspruchsprinzip".

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Der einzig mögliche Beweisgrund

seibegriffe angesehen werden ", so wird wirklich darum aus der Existenz des Notwendigen auf die Unendlichkeit geschlossen [Identifizierung des ersteren mit dem zweiten], weil das Unendliche (und zwar allein) notwendig existiert". Das Notwendige ist unendlich (= ist Gott), weil das Unendliche logisch notwendig ist genau so wie das in Frage stehende Notwendige - wobei der Grund der Identifizierung ("weil") nichts anderes als eine andere Formulierung des (ungültigen!) Cartesianischen Beweises ist. Aus dieser Erläuterung erhellt, daß der Kern des Kontingenzbeweises nach Kant darin liegt, daß er zu einem wesensnotwendigen Dasein führt und damit zu einem logisch notwendigen Dasein. Dies bringt den Kontingenzbeweis in die unmittelbare Nähe des Cartesianischen Beweises, der ebenfalls mit dem Begriff der logischen Notwendigkeit operiert. Es ist nun dieser Begriff der logischen Notwendigkeit, der beide Beweise als apriorische Gottesbeweise ermöglicht. Im Falle des Kontingenzbeweises ermöglicht er den Übergang vom notwendig Daseienden zur Unendlichkeit oder Allrealität desselben; im Falle des Cartesianischen Beweises ermöglicht er den Übergang vom Begriff des ens realissimum oder perfectissimum zum notwendigen Dasein desselben.

4. Eine Überlegung zum dritten Schritt: Die Reziprokabilität der Begriffe der Notwendigkeit und Unendlichkeit stellt keinen Einwand gegen den Kontingenzbeweis dar Es stimmt, daß Notwendigkeit und Unendlichkeit Wechselbegriffe oder korrelative Begriffe sind, die einander einschließen. In der KrV, A 788 f, spricht Kant von der "Reziprokabilität der Begriffe vom realsten und notwendigen Wesen". Denn ein ens necessarium ist ein ens, das deshalb notwendigerweise existieren muß, weil es das Sein selbst ist. Ist es das Sein selbst, so hat es alle Realität in sich; es ist ja nur Sein, kein Nichtsein, keine Negation. Also ist es unendlich. Ein unendliches Wesen kann seinerseits nur deshalb unendlich sein, weil es 11 a) logisch notwendig ist das, dessen Gegenteil (Nichtsein) sich selbst widerspricht; b) ein unendliches Wesen ist derart, daß sein Nichtsein sich selbst widerspricht, insofern das Unendliche das Dasein als Prädikat in seinem Wesen enthält.

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das Sein selbst ist: Nur das Sein besagt Affirmation ohne Negation und damit ohne Einschränkung. Ist das unendliche Wesen das Sein selbst, dann existiert es notwendigerweise. Daraus folgt, daß im unendlichen Wesen das Sein das Prädikat bzw. die Wesensbestimmung ausmacht. Dies ist, wie schon ausgeführt, die ontologische Seite des Gottesproblems. Dieses einzigartige ontologische Kennzeichen des Seienden, das wir Gott nennen, hebt, wie ebenfalls schon ausgeführt, keineswegs die Dualität von Begriff und Urteil, Denken und Erkennen auf der Seite unserer Erkenntnis auf 12 - um die es in der Frage der Gottesbeweisbarkeit geht! Aus dieser Reziprokabilität (was den Inhalt von notwendigem und unendlichem Wesen anbelangt) folgt wohl, daß das Denken des einen logisch das Denken des anderen nach sich zieht. Damit aber erkennen wir weder die Existenz des notwendigen noch die des vollkommensten Wesens. Um zur Erkenntnis der Wirklichkeit überhaupt zu gelangen, müssen wir ein rationales Tatsachenurteil fällen (d. h. ein Urteil im unbegrenzten Horizont des Seins auf der Basis - letztlich - einer inneren oder äußeren Erfahrung): "X ist". Im Falle Gottes vermögen wir zu diesem Urteil zu gelangen, nur indem wir von der Erkenntnis des kontingent Existierenden (der Welt) ausgehen und zum Urteil gelangen: "Es gibt ein schlechterdings notwendiges Wesen als Begründung der Welt." Die weitere begriffliche Klärung des ens necessarium als infinitum bedeutet eine Erkenntnis Gottes, weil wir uns schon auf der Ebene der Erkenntnis der Wirklichkeit befinden. Wir haben ja das Tatsachenurteil gefällt: Das ens necessarium ist (2. Schritt). Fangen wir dagegen von der anderen Seite an, d. h. vom Denken des ens infinitum, dann bleiben wir auf der Ebene des Denkens, so daß die (richtige!) Einsicht, daß das ens infinitum ein ens necessarium ist, uns keine Erkenntnis der Existenz des ens infinitum vermitteln kann (wir denken nur seine notwendige Existenz als im Denken seiner Unendlichkeit miteinbegriffen). Insbesondere ist gegen die Kantische Interpretation des 2. Schrittes anzumerken, daß der Gedankengang von der existierenden Welt her nicht zu einem logischen Daseinsnotwendigen, d. h. zu einer rein begrifflichen Notwendigkeit des Daseins führt, so wie Kant dies ver-

u

Vgl. die systematische Überlegung im Kapitel X, 4.

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steht. In einem doppelten Sinn ist das ens necessarium des Kontingenzbeweises kein bloß logisches Daseinsnotwendiges. Erstens, der Beweis setzt bei einer existierenden Realität (der existierenden Welt) an und gelangt somit zu einem absolut Notwendigen, das ein Realnotwendiges sein muß. Zweitens, der Beweis gelangt zwar zu einem Wesensnotwendigen (zu einem Wesen, das das Sein selbst ist), aber nicht in dem Sinne, daß dieses Wesensnotwendige für uns eine logische Notwendigkeit sei, so daß wir seine Existenz nicht ohne Widerspruch verneinen können. Wie schon gesagt, hebt die oniologische Identität von Wesen und Dasein in Gott die erkenntnismäßige Differenz von Begriff und Urteil bei uns Menschen nicht auf. Wenn dem so ist, folgt aus der Identität von Wesen und Dasein in Gott kein Widerspruch zwischen dem Begriff Gottes als Wesensnotwendigen und dem Urteil, daß dieses Wesensnotwendige nicht existiert. Denn das "ist" des Urteils ist nicht ein Begriff, sondern die absolute Setzung des im Begriff Gedachten. Eine solche absolute Setzung kann ich kraft des Begriffes allein nicht vollziehen, weil ein endlicher Begriff (wie allemal unsere Begriffe sind) keine Garantie seiner Wahrheit liefert - er besagt bloß eine Intelligibilität und damit eine Möglichkeit zu sein. M. a. W., ich kann ohne Widerspruch das Urteil fallen: "Gott (als transzendente Erstursache der Welt) ist nicht." Das ens necessarium ist für uns kein logisches Daseinsnotwendiges. Ich falle ein negatives Urteil und verneine die Realität eines gedachten Wesensnotwendigen. Der Fall Gottes ist nicht verschieden von allen anderen Fällen von Erkenntnis: Wir denken zuerst eine Wirklichkeit (ein Seiendes), und auf dem Weg einer rationalen Reflexion gehen wir weiter zur Bejahung oder Verneinung derselben. 5. Der Kontingenzbeweis ist also nach Kant ein Beweis auf dem begrifflichen Weg Abs. 2 zieht das Fazit: Die Gottesbeweise aus dem Erfahrungsbegriff des Existierenden weisen zwar verschiedene Fassungen bei den verschiedenen Autoren auf, kommem aber alle darin überein, daß sie "niemals etwas anderes als Schlüsse aus Begriffen möglicher Dinge ... werden können". Als Gottesbeweise basieren sie auf dem Begriff des Wesens, das in sich selbst den Grund seiner eigenen Existenz hat

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(von dieser Basis her erfolgte ja die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum); sie schließen also "von dem Möglichen als einem Grunde auf das Dasein Gottes als eine Folge" (A 189 = II 156), wie der Cartesianische Beweis, und sehen in der Tat davon ab, daß dieses Wesen von der Erfahrung her erreicht wurde.

XIII. Kapitel Prüfung des physikotheologischen Beweises Literatur Vgl. insbesondere J. Schmucker, Kants vorkritische Kritik, 45-54.

Die Behandlung der vierten Art von Grottesbeweisen in der III. Abtig, umfaßt den 3. Abs. von Nr. 3 und die ganze Nr. 4. Bei der Darlegung dieses Beweises hier, sowie auch an anderen Stellen (vgl. in der KrV den VI. Abschnitt des Theologie-Hauptstückes), hebt Kant mit auffallendem Nachdruck die "Vortrefflichkeit" dieser Beweisart hervor. "Dieser kosmologische Beweis ist ... so alt wie die menschliche Vernunft." In ihm nimmt das "vernünftige Geschöpf ... an der edlen Betrachtung teil ..., Gott aus seinen Werken zu erkennen" (A 199 = II 160). In diesen Worten Kants hören wir das Echo der hohen Einschätzung und Popularität, die im damaligen Kontext der Aufklärung dieser Zugang zu Gott von der Natur aus, vor allem infolge der Entdeckungen der Naturwissenschaft, genoß *. In den Vorlesungen über Metaphysik Pölitz heißt es: "Dieser Beweis sollte jedermann, auch dem Einfaltigsten in der Kinderlehre vorgetragen werden; auch auf den Kanzeln kann er sehr gut angebracht werden" (XXVIII 316 f).

1. Rekonstruktion des Beweises: teleologische und kontingente Aspekte der Welt als Ansatz des Beweises Dieser Gottesbeweis schließt von den existierenden Dingen im Bereich unserer Erfahrung "auf das Dasein Gottes und zugleich seine Eigenschaften". Hierin liegt der wesentliche Unterschied zum Wölfischen Beweis, der erst in einem zweiten Schritt zu den göttlichen Eigenschaften der ersten und unabhängigen Ursache gelangt. 1 Vgl. das im I. Kapitel im Zusammenhang mit der Kosmogonie Kants Gesagte, vor allem m Nr. 4.

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Der Grund ist, daß der jetzt zu untersuchende Gottesbeweis von der Welt als durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet ausgeht: "Die Dinge der Welt, welche sich unseren Sinnen offenbaren, zeigen [1] sowohl deutliche Merkmale ihrer Zufälligkeit, [2] als auch durch die Größe, die Ordnung und zweckmäßige Anstalten, die man allenthalben gewahr wird, Beweistümer eines vernünftigen Urhebers von großer Weisheit, Macht und Güte. Die große Einheit in einem so weitläufigen Ganzen läßt abnehmen, daß nur ein einziger Urheber aller dieser Dinge sei." a) In den Ansatz des im EmBg so genannten kosmologischen Beweises gehen also nicht nur [2] die eigentlich teleologischen Aspekte der Welt ein (Ordnung, Zweckmäßigkeit und Einheit), sondern auch [1] die in derselben Welt feststellbaren Merkmale (Mehrzahl!) der Zufälligkeit, d. h. der Kontingenz. An welche Aspekte der Kontingenz der Welt Kant denkt, sagt er hier nicht. An der Parallelstelle der KrV, A 622, umschreibt er diese Aspekte näher: "Allerwärts sehen wir eine Kette von Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmäßigkeit im Entstehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weist es immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache ..." Zu den Merkmalen der Zufälligkeit der Dinge gehört auch das, was Kant in der II. Abtig. 3. Betrachtung, Nr. 2 (A 78-80 = II 106) über die Zufälligkeit der Dinge der Natur in sich selbst und der Verknüpfung verschiedener Arten von Dingen (Stoffen) als Voraussetzung der notwendigen Einheit vieler Naturgesetze bemerkt hat ', sowie auch die Ausführungen in der 6. Betrachtung, Nr. l (A 118 = II 123 f) über die Zeichen der Zufälligkeit von Dingen und Veränderungen in der Welt. Offensichtlich gehören zu dieser Komponente des kosmologischen Beweises auch die wiederholten Überlegungen zur künstlichen Ordnung der Natur, bei der die Physikotheologie nach ihrer gewöhnlichen Methode ansetzt. b) Es fragt sich, was für eine Funktion der Aspekt der Zufälligkeit der Welt in dem zur Prüfung stehenden Gottesbeweis ausübt. Der Beweis liegt, zumindest hauptsächlich, auf der Linie des her-

* Vgl. oben Kap. VIII, Fußnoten l und 3.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

kömmlichen Beweises Gottes aus der Ordnung und Finalität in der Welt; er ist also als ein physikotheologischer Beweis gemeint, wenn man die damalige geläufige Bezeichnung verwenden will. Das Prinzip eines solchen Beweises ist nun, daß Ordnung und Zweckmäßigkeit in den materiellen Dingen nur durch ein von ihnen verschiedenes intelligentes Wesen hervorgebracht werden können. Denn Verstehen, zumal als intelligere in sensibili, bedeutet genau eine Beziehung, einen Zusammenhang zwischen den Sinnesdaten entdecken bzw. entwerfen, so daß wir dort, wo jene komplexe Beziehung unter verschiedenen, mannigfaltigen Dingen vorhanden ist, die wir Ordnung oder Finalität nennen (Hinordnung verschiedener materieller Bestandteile auf einen Zweck), spontan an einen intelligenten Ordner als Ursache denken. Kurzum: Das Intelligible hat in einem Intelligenten seinen Ursprung. Man könnte die Kontingenz als Bestandteil des Ansatzes des vorliegenden Gottesbeweises so verstehen, daß diese Merkmale der Zufälligkeit uns nahelegen (oder besser einen zusätzlichen Grund liefern), eine Erklärung der genannten ideologischen Aspekte als kontingente Aspekte zu suchen, und zwar außerhalb der Welt, worauf eben die Kontingenz der Welt hinweist. Genau besehen aber ist der Rekurs Kants auf die Kontingenz der Weltdinge, insofern die Kontingenz ein von der Ordnung und Finalität verschiedener Aspekt der Dinge ist, eher ein verwirrendes Element im Aufbau des Beweises. Denn das Spezifikum eines Kontingenzbeweises ist, daß er auf eine transzendente Erstursache schließt, die imstande ist zu erklären, warum die Welt ist und nicht vielmehr nicht ist. Ob nun die Welt schön und geordnet ist, spielt dabei keine Rolle. Auch eine nicht final geordnete Wirklichkeit, die keinen Grund ihrer Existenz in sich selbst hat, verweist auf eine letztlich transzendente Ursache, die das Sein selbst ist *. Kurzum: Finalitätsbeweis und Kontingenzbeweis sind zwei verschiedene Beweise, die von zwei verschiedenen Ansätzen ausgehen, und deren jeder einen stichhaltigen Gottesbeweis darstellt. Ich sehe deshalb nicht ein, was für eine Funktion die Momente der Kontingenz an der Welt in der Kantischen Rekonstruktion des Finalitätsbeweises spielen. Dies scheint mir um so mehr der Fall zu sein, wenn man bedenkt, daß Kant den Wolffschen Kontingenzbeweis ' Eine andere Frage ist, ob es denkbar ist, daß die transzendente Ursache, die ein geistiges Wesen sein muß, eine Welt ohne Ordnung, Sinn und Zweck schaffen könnte.

Prüfung des physikotheologischen Beweises

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(zusammen mit dem Cartesianischen) kurzerhand für "falsch und gänzlich unmöglich" hält (A 204 = II 162). Das Problematische an dieser Mischung von Kontingenz und Finalität im Ansatz des kosmologischen Beweises erhellt schließlich auch daraus, daß Kant in der nachfolgenden Prüfung des Beweises nur die teleologischen Elemente in Erwägung zieht und in ihrer Beweiskraft untersucht. Von den Elementen der Zufälligkeit ist dort keine Rede mehr! c) Das zweite Element des kosmologischen Arguments ist, nach dem zu Beginn dieses Abschnittes zitierten Text, das der Größe, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Einheit - also die Aspekte der Welt, auf denen der Finalitätsbeweis beruht. Da aber Kant im EmBg (und implizit schon vorher in der "Naturgeschichte") zwischen einem gewöhnlichen und einem verbesserten physikotheologischen Beweis unterscheidet, fragt es sich, welche von den beiden Arten er in der III. Abtig, des Werkes vor Augen hat. Der Umstand, daß Kant diesen für ihn wichtigen Unterschied an unserer Stelle gar nicht erwähnt, könnte so interpretiert werden, daß er beide Formen der Physikotheologie meint, daß also in den Ansatz des hier zur Prüfung stehenden Gottesbeweises sowohl die künstliche Ordnung und Zweckmäßigkeit in der (organischen, aber auch in der anorganischen) Welt als auch die Ordnung, Zweckmäßigkeit und Einheit eingehen, die in den Wesenheiten der Dinge gründen, und die deshalb notwendig sind. Gegen diese Interpretation aber spricht der weitere Umstand, daß die Art und Weise, wie Kant an unserer Stelle von den Vorzügen des kosmologischen Beweises redet, eher auf die gewöhnliche Physikotheologie hinweist. Dieser Beweis sei nämlich durch "Faßlichkeit für den gemeinen richtigen Begriff, Lebhaftigkeit des Eindrucks, Schönheit und Bewegkraft auf die moralischen Triebfedern der menschlichen Natur" gekennzeichnet (A 201 = II 161). Es sind dies genau die Vorzüge, die Kant in der II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. l der gewöhnlichen Methode der Physikotheologie zuerkannt hat, die von der "zufalligen Schönheit und zweckmässigen Verbindung" in der Welt ausgeht (A 102 = II 116) 4. Eine solche gewöhnliche Physikotheologie sei imstan4

An unserer Stelle wird der kosmologische Beweis als "der Schluß ... durch die in den Dingen der Welt wahrgenommenen Eigenschaften und die zufällige Anordnung des Weltganzen" charakterisiert (A 198 f = II 160). "Zuftülig" ist hier aller Wahrscheinlichkeit nach im selben Sinne wie in A 102 = 116 zu nehmen, wo von der "zufälligen" Ordnung der Natur die Rede ist, und nicht im Sinne der Kontingenzmerkmale

192

Der einzig mögliche Beweisgrund

de den "gesunden Verstand" zu überzeugen (A 201 f = II 161), während die verbesserte Physikotheologie "Weltweisheit", d. h. philosophische Reflexion erfordert, dafür aber zu einem höheren Grad von Klarheit und Überzeugung führt (A 102 = II 116). Aus all dem bleibt meiner Meinung nach ein nicht zufriedenstellend erklärbares Faktum, daß Kant weder in seiner systematischen "Einteilung aller möglichen Beweisgründe vom Dasein Gottes" noch in den Ausführungen zum "Vorzug" (A 201 = II 161), aber auch zu den Grenzen des kosmologischen Beweises den in der II. Abtig, breit dargelegten und hoch geschätzten Gottesbeweis aus der "notwendigen Einheit" und "wesentlichen Ordnung der Dinge" (A 101 = II 116) überhaupt erwähnt. Man liest die ganze III. Abtig, über die verschiedenen Beweisarten ohne einen Hinweis auf den Gottesbeweis zu treffen, dem drei Fünftel des Werkes gewidmet sind! Ob auch für den EmBg in einem gewissen Ausmaß die These von einem kompositorischen Charakter zutrifft, die ohne Zweifel für die KrV gilt?

2. Kritik am Beweis: Das Prinzip der Proportion erlaubt keinen Schluß auf einen vollkommensten und einzigen Welturheber Nr. 4, 2. Abs. "Man wird jederzeit ..." bis Ende. Die ersten zwei Sätze erwähnen die zwei Eigenschaften der Erstursache, die es zu beweisen gilt: "vollkommenstes Wesen", "einiger [einziger] Urheber", gemäß den ersten zwei am Anfang der III. Abtig, genannten Kriterien einer Demonstration. Dann werden sie nacheinander diskutiert: Zuerst die Unendlichkeit: "Das macht ..." (hier unten Abschnitte a bis c); dann die Einzigkeit: "Es ist ein unermeßliches Ganzes ..." (hier Abschnitt d). a) Zur Unendlichkeit der Erstursache. Kant stellt das Prinzip auf: "Wir können nicht auf mehr oder größere Eigenschaften in der Ursache schließen, als wir gerade nötig finden, um den Grad und die Beschaffenheit der Wirkungen daraus zu verstehen" - das Prinzip der Proportion zwischen Ursache und Wirkung von der Wirkung her ge-

der Welt, die in A 197 =

159 erwähnt wurden.

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sehen, insofern letztere den Ausgangspunkt des Beweises liefert. An der Parallelstelle der KrV, A 627, spricht Kant vom "Schluß ... von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung [gewöhnliche Physikotheologie!], auf das Dasein einer ihr proportionierten Ursache". Da nun die Vollkommenheit der Welt endlich ist, so können wir "mit logischer Schärfe" nicht auf ein allgenugsames Wesen (allwissend, a/lmächtig, /gütig) als Urheber der Welt schließen. b) Das Prinzip der Proportion wird auch in den späteren Behandlungen der Physikotheologie der Haupteinwand Kants bleiben. So im VI. Abschnitt des Theologie-Hauptstückes der KrV; in der KpV A 251-253 = V 139 f; in der KU, § 85, vor allem Abs. 6 (vgl. auch die "Allgemeine Anmerkung" am Ende des Werkes, Abs. 10); so auch in der R 6110 von 1783/84, wo es heißt: "Keine Wahrscheinlichkeit kann einen Schluß von einer beschränkten Wirkung auf eine uneingeschränkte Ursache berechtigen" (XVIII 458). Das von Kant gebrauchte Argument erinnert an Humes "Enquiry concerning Human Understanding", Kap. 11, wo dasselbe Prinzip eindringlich vertreten wird: "Wo wir irgend eine bestimmte Ursache aus einer Wirkung herleiten, müssen wir die eine zur anderen ins Verhältnis setzen und können uns niemals gestatten, der Ursache mehr Eigenschaften zuzuschreiben, als gerade benötigt werden, die Wirkung zu erzielen" s. Ob Kant in seiner Argumentation tatsächlich von Hume beeinflußt wurde, läßt sich schwer entscheiden. Es ist hier nicht der Ort, das lange diskutierte Problem, wann und worin eine Einwirkung Humes auf Kant anzusetzen sei, wiederaufzunehmen *. Ich erwähne nur einige Daten, die für unsere Frage direkt relevant sind. Das 1748 erschienene Enquiry wurde 1755 als zweiter Teil der vierbändigen 'Vermischten Schriften" Humes auf deutsch veröffentlicht. Mehrere Umstände sprechen dafür, daß Kant diese Veröffentli-

1

D. HUMB, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hrsg. von R. Richter, Leipzig '1907, 160. Vgl. die weiteren Ausführungen in demselben Kapitel. Auch Hegel verurteilt im Kontext seiner Diskussion der Kantischen Kritik am physikotheologischen Beweis den unbegründeten Obergang: "Von «groß» springt man über zu «absolut»" (Vorlesungen über die Philosophie der Religion, . Teil, 2. Abschnitt, B 3: "Die Zweckmäßigkeit", in: HKGBL, Sämtliche Werke, hrsg. von H. Glockner, Stuttgart 1928, Bd XVI, 37). * Vgl. den Materialbericht von H. HOIZHEY, Kants Erfahrungsbegriff, Basel 1970, 144-150.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

chung zumindest später gekannt hat. In der Vorrede der Prolegomena: A 9a = IV 258, zitiert Kant genau den vierten Teil der genannten "Vermischten Schriften". In der Logik Blomberg, einer Vorlesungsnachschrift aus dem Jahre 1784, bespricht Kant die "Vermischten Schriften" (XXIV 217). c) Gemäß dem Proportionsprinzip bleibt ausgeschlossen, daß der physikotheologische Beweis zu einem Urheber der Welt im Sinne eines "allerhöchsten Wesens" (A 189 = II 155) - ein unendliches oder allgenugsames Wesen - also zu Gott, gelangen kann. Von der empirischen Basis der Physikotheologie her, und dies bedeutet von dem Teil der Welt, den wir tatsächlich kennen, vermögen wir nur auf dem Weg einer Extrapolation die Ordnung und Zweckmäßigkeit des übrigen Teils des Weltalls zu behaupten. Aber auch so bleiben wir immer noch auf einer endlichen Basis (und dazu noch in einer Erkenntnis, die den Charakter einer bloßen Wahrscheinlichkeit hat), so daß wir wegen des Proportionsprinzips unmöglich demonstrativ auf einen unendlichen Urheber schließen können. Der hier erhobene Einwand wird mit besonderer Eindringlichkeit an der oben zitierten Stelle der KpV vorgetragen, wo es u.a. heißt: "Durch Metaphysik aber von der Erkenntnis dieser Welt zum Begriffe von Gott und dem Beweise seiner Existenz durch sichere Schlüsse zu gelangen, ist darum unmöglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste mögliche Ganze, mithin zu diesem Behuf alle möglichen Welten (um sie mit dieser vergleichen zu können) erkennen, mithin allwissend sein müßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen Gott (wie wir uns diesen Begriff denken müssen) möglich war" (A 250 = V 138 f). Es wäre andererseits noch folgendes zu bedenken bezüglich der Frage nach der Beweisbarkeit eines unendlichen Wesens von der empirischen Basis der Physikotheologie aus. Das Auszeichnende der verbesserten (!) Physikotheologie ist, daß sie von den verwirklichten Möglichkeiten unserer Erfahrungswelt ausgeht, insofern in ihnen Harmonie und Schönheit von den Wesensgesetzen der Materie, d. h. also von den der Materie innewohnenden Kräften, hervorgehen. Auf diesem Weg, meint Kant zu Recht, werde nicht nur ein Ordner des Stoffes der Welt, sondern auch ein Schöpfer der Materie und damit der Welt im Ganzen bewiesen (A 120-123 = II 124-126). Wenn dem so ist, dann fragt sich, ob der so erschlossene "Schöpfer der Welt" nicht doch ein allgenugsames bzw. unendliches Wesen sein muß.

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Denn ein Wesen, das ein Seiendes hervorbringen kann, ohne irgendetwas Vorgegebenes vorauszusetzen, ist schon deshalb imstande alles (endlich) Seiende und so alle (existierenden und möglichen) Welten zu erschaffen 7, genauso wie im Kontingenzbeweis das Wesen, das imstande ist ein kontingent Seiendes (bzw. eine endliche Welt) zu erschaffen, hoc ipso alle Seienden erschaffen kann. Wir würden also doch auf dem aposteriorischen Weg der verbesserten Physikotheologie zu einem allmächtigen und allwissenden Urheber der Welt, d. h. zu Gott gelangen. d) Daß der Urheber der Welt einzig sei, läßt sich vernünftigerweise von der "Einheit und durchgängigen Verknüpfung" des uns bekannten Teils der Welt (wie sie z. B. aus der Wirkgemeinschaft der Weltsubstanzen erhellt) behaupten. Da aber die Ausdehnung dieser Einheit auf den uns unbekannten Teil, ja auf alle möglichen Welten, eine bloß wahrscheinliche Extrapolation ist, reicht die uns zur Verfügung stehende Basis für eine Demonstration der Einzigkeit des Urwesens nicht aus. Ein nicht einheitliches Weltall, oder sogar mehrere voneinander unabhängige Welten *, sind kein Beweisgrund einer Erstursache.

3. Zwei Beweise, aber nur eine Demonstration des Daseins Gottes Nr. 4 trägt die Überschrift: "Es sind überhaupt nur zwei Beweise vom Dasein Gottes möglich", während die Überschrift von Nr. 5 lautet: 7 Diese Konsequenz hat Kant selber an der wichtigen Stelle gezogen, wo er drei Arten unterscheidet, das Dasein Gottes aus seinen Wirkungen zu erkennen. Die dritte ist die verbesserte Physikotheologie: "die notwendige Einheit ... in der Natur ... und die wesentliche Ordnung der Dinge ... leit[en] auf ein oberstes Principium nicht allein dieses Daseins, sondern selbst aller Möglichkeit" (II. Abt., 5. Betrachtung, 1: A 101 = II 116). Aus dieser metaphysischen Überlegung ist m. E. der bei Schmucker mehrmals wiederkehrende Hinweis auf die begrenzte Basis der Physikotheologie Kants (die in unserer Welt verwirklichten Wesenheiten) als Grund, warum der Weg a posteriori, auch in der Form der verbesserten Physikotheologie, doch nicht zum selben Realgrund aller Möglichkeit gelangen kann, auf den die Ontotheologie geschlossen hatte, sachlich nicht richtig (Vgl. SCHMUCKER, Ontotheologie, 96, 129, 284, 289; ders. Kants vorkritische Kritik, 52). Würde dieser Einwand - die empirische Basis sei zu schmal - gültig sein, so wäre ein Gottesbeweis von der Welt her überhaupt nicht möglich, welche Momente auch immer an der Welt als Ansatzpunkt genommen werden. • Vgl. Kap. V, 4 zur Dissertation von 1770, § 21.

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"Es ist nicht mehr als eine einzige Demonstration vom Dasein Gottes möglich" entsprechend dem Buchtitel. Nimmt man den Maßstab für einen Gottesbeweis, den Kant in Nr. l, Abs. 2 aufgestellt hat, so gibt es nur einen "strengen Beweis" (A 204 = II 162), der in der Vorrede Demonstration im eigentlichen Sinne genannt wurde. Als Beweisgrund zu einer solchen einzigen Demonstration gilt nur "die innere Möglichkeit aller Dinge" (A 198 = II 159), wie Kant in der I. Abtig, ausgeführt hat. Nur der "ontologische" Beweis gelangt mit mathematischer Evidenz zum Daseinsnotwendigen im Sinne einer "absoluten Realnotwendigkeit", also zu Gott als allgenugsamem Wesen. Wenn man unter Gottesbeweis einen Gedankengang versteht, der zwar "der Schärfe einer Demonstration" nicht fähig ist (A 204 = II 162), aber den gesunden Menschenverstand von der Existenz Gottes zu überzeugen und somit die nötige Gewißheit für ein moralisches Leben zu vermitteln vermag, dann kann (auch) der Physikotheologie der Rang eines Beweises nicht abgesprochen werden. Sie hat sogar den Vorzug der Faßlichkeit und Bewegkraft vor der "feineren Spekulation" (A 202 = II 161) eines metaphysischen Beweises wie die Ontotheologie. Noch 25 Jahre später wird Kant in der Vorrede zur 2. Aufl. der KrV mit bewegten Worten Partei für "die große (für uns achtungswürdige) Menge" ergreifen, für die "die herrliche Ordnung, Schönheit und Fürsorge, die allerwärts in der Natur hervorblickt, allein den Glauben an einen weisen und großen Welturheber" bewirken kann (B XXXIII).

4. Zu den hier angeführten Physikotheologen Im Zusammenhang mit seiner positiven Bewertung des kosmologischen Beweises nennt Kant einige Autoren, die sich besondere Verdienste in der Physikotheologie erworben haben *, wobei er nicht versäumt, auf Übertreibungen und schiefe Ausbeutungen wegen eines unaufgeklärten "Religionseifers" (A 199 = II 160) hinzuweisen. Der Seitenhieb gilt sehr wahrscheinlich der Inflation der Teleologie im ' Vgl. die bibliographischen Angaben von Joh. Aug. EBERHARD in seiner Vorbereitung zur natürlichen Theologie, Halle 1781 (XVIII 571 f).

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197

Dienst des Gottesglaubens bei den Wolffianern 1 . In dieselbe Richtung gingen schon die Ausführungen über die Fehler der gewöhnlichen Physikotheologie in der II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. 2, wo Kant sich dagegen gewehrt hat, überall in der Natur "besondere Absichten Gottes" zu sehen, oder genauer zu "erdichten". William Derham (1657-1735) gehörte zum Kreis der Newtonianer in England und gilt mit seinem Werk: "Physicotheology Or, A Demonstration of the Being and Attributes of God, from his Works of Creation", London 1713 (ND Hildesheim 1976) als derjenige, der den Terminus Physikotheologie eingeführt hat. Derselbe Autor veröffentlichte 1715 auch eine "Astro-Theology Or, A Demonstration of the Being and Attributes of God, from a Survey of the Heaven (ND Hildesheim 1976). Zum Terminus Physikotheologie ist zu bemerken, daß schon 1655 Samuel Parker in London ein Werk veröffentlichte mit dem Titel: 'Tentamina physico-theologica de Deo". Der Geograph John Ray, 1627-1705 " gab schon vor Derham "Three Physico-Theological Discourses" heraus . Bernhard Nieuwentijt (1654-1718) verfaßte ein berühmtes Werk über die Teleologie, das 1725 auch im Französischen erschien: "L'existence de Dieu, d6montre"e par les merveilles de la nature; oü traite de la structure du corps de homme, des oloments, des astres et de leurs divers effets" (Titel der Übersetzung von 1727). 1732 wurde das Buch von W. C. Baumann ins Deutsche übersetzt ("Erkenntnis der Weisheit, Macht und Güte des göttlichen Wesens"), wofür Wolff selbst eine Einleitung schrieb. Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) veröffentlichte 1754 "Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion in zehn Abhandlungen auf eine begreifliche Art erklärt und gerettet", die ganz von teleologischen, vor allem (aber nicht ausschließlich) aus Lebewesen genommenen Motiven durchzogen sind ". Allerdings führt Reimarus

" Vgl. Kap. I, 4. Gegen derartige Übertreibungen hatten sich schon auch andere Autoren gewendet, insbesondere Maupertuis. Vgl. PAOUNELU, Fisico-Teologia e principle di ragion sufflciente, 24 ff. 11 Von Kant in seiner "Geschichte und Naturbeschreibung" des Erdbebens von 1755: I 444, und im EmBg A 75a = 104 erwähnt. u Vgl. G. TONZLJJ, Kant, dall'estetica metafisica all'estetica psicoempirica. Studi sulla genest del criticismo (1754-1771) e sulle sue fonti, Torino 1955, 43 f. DXBS., Elementi, 53-66. u H. S. REDIABUB, Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, mit einer

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keinen physikotheologischen Beweis. Der Beweis der Existenz Gottes wird auf dem Weg der Kontingenz erbracht (kosmologischer Beweis nach der Bedeutung des Terminus in der RrV). Auf der Grundlage der teleologischen Momente in der Welt sucht dann Reimarus die Absicht Gottes in der Natur zu erkennen, um diejenigen Eigenschaften Gottes zu beweisen, die für die natürliche Religion relevant sind.

5. Zur Benennung der vier Gottesbeweise a) Der erste Gottesbeweis heißt "der sogenannte Cartesianische" (Nr. 2, Abs. 2). Diese Benennung wird auch in der ErV beibehalten (A 602), in der dieser traditionelle Beweis den neuen Namen "ontologisch" erhält (A 591), unter dem er seitdem am meisten bezeichnet wird. b) Kants eigener Beweis vom Begriff des Möglichen überhaupt (den ich durchgehend als "ontotheologischen" bezeichnet habe) wird ontologisch genannt: "man erlaube mir ..." (Nr. 4, Abs. 1). Mit dieser Benennung, die von Kant stammt, soll darauf hingewiesen werden, daß dieser Beweis a priori aus bloßen Begriffen geführt wird. Da nun Kant nach 1762 seinen "ontologischen" Beweis fallen ließ, ging die Bezeichnung "ontologisch" im Sinne von Beweis a priori, gemäß der Auffassung von der Ontologie als Wissenschaft a priori vom Sein, zu dem anderen übriggebliebenen apriorischen Beweis, nämlich dem Cartesianischen über. c) Der Kontingenzbeweis, der hier (III. Abtig., Nr. 3) namentlich der Wolffschen Schule zugeschrieben wird, hat im EmBg keine eigene Bezeichnung. Im Theologie-Hauptstück der KrV wird er zweimal behandelt, im Abschnitt III und im Abschnitt V. Im letzteren bekommt er den Namen "kosmologisch", weil er "von der Erfahrung anhebt", wobei "der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt" (A 605). d) Der Beweis, der von dem ausgeht, "was uns Erfahrung von existierenden Dingen lehrt" (Nr. 4, Abs. 1), um auf Dasein und Eigenschaften Gottes zu schließen, wird hier "kosmologisch" genannt. Auch Einleitung [9-52] unter Mitarbeit von M. Emsbach und W. Schröder hrsg. von G. Gawlik, Göttingen 1985, 18.

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dieser Terminus als Bezeichnung einer Klasse von Grottesbeweisen wurde erst von Kant eingeführt ("Man erlaube mir"). Der Terminus als Bezeichnung für einen Beweis von der Welt her (RrV A 605) ist an sich neutral, insofern er nicht besagt, daß der Beweis bestimmte "Eigenschaften" der Welt (Ordnung und Zweckmäßigkeit) als Ansatzpunkt nimmt w. Schmucker bringt als Erklärung dafür, daß Kant "vom kosmologischen und nicht [wie man erwarten würde] vom physikotheologischen Argument spricht", den "umfassenderen" Ansatz des Beweises, in den nicht bloß die teleologischen, sondern auch "die in den Erfahrungsdingen feststellbaren Momente der Zufälligkeit, also der Kontingenz der Dinge" eingehen ". Gegen diese Erklärung läßt sich folgendes einwenden: (1) Der Terminus kosmologisch als solcher weist nicht auf die Kontingenz der Welt hin; (2) wäre dies der Grund für die Auswahl des Terminus, dann hätte Kant denselben auch in der KrV gebrauchen müssen, weil auch dort, A 622, die Kontingenzmomente (und zwar ausführlicher als im EmBg!) in den Ansatz des physikotheologischen Beweises einbezogen werden. (3) Der Terminus Physikotheologie (und zusammen mit ihm die Redewendung "physikotheologischer Beweis") waren damals, als Kant den EmBg verfaßte, durchaus geläufig als Bezeichnung des mannigfaltigen und beliebten Arguments, um "Gott aus seinen Werken zu erkennen" (A 199 = II 160). Warum Kant diese Bezeichnung nicht schon 1762 benutzt hat, dafür konnte ich keine überzeugende Erklärung finden.

14 Es sei denn, daß Kant an die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Terminus "kosmos" denkt, nämlich "Einteilung", "Ordnung", und von da her "Weltordnung". Zur Vieldeutigkeit der Redewendung "kosmologischer" Gottesbeweis vgl. Walter BBUGGBB S. J., Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979, 79.

" SCHMUCKES, Ontotheologie, 130.

XIV. Kapitel Vom ens realissimum des "Einzig möglichen Beweisgrundes" zum transzendentalen Ideal der KrV Literatur Schmucker, Josef, Joseph Moreaus Interpretation der Kantischen Gottesbeweiskritik in "Le Dieu des philosophes", in: Archiv für Geschichte der Philosophie 54 (1972) 60-64. Ders., On the Development of Kant's Transcendental Theology, in: Proceedings of the Third International Kant Congress, Dordrecht 1972, 497-500. Ders., Kants kritischer Standpunkt zur Zeit der Träume eines Geistersehers, im Verhältnis zu dem der KrV, in: Beiträge zur KrV 1781 * 1981, hrsg. von I. Heidemann und W. Ritzel, Berlin 1981, 1-36; insb. 28-31 und 33 f. Ders., Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise, Wiesbaden 1983, Kap. 3: Kants vorkritische Entwicklung vom "einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" zum bloß subjektiv gältigen Vernunftideal. Winter, Alois, Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft. Das Argument Kants und seine Tragfähigkeit vor dem Hintergrund der Vernunftkritik, in: Klaus Kremer (Hrsg.), Um Möglichkeit oder Unmöglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis heute, Leiden 1985, 130-134.

In der III. Abtig, des EmBg findet sich im wesentlichen die klassische Kritik Kants an den Gottesbeweisen, wie sie dann durch ihre Wiederaufnahme in die KrV eine kaum zu überschätzende Bekanntheit erlangt hat. Damit aber ist die Entstehung des theologischen Hauptstückes der KrV noch nicht ganz geklärt. Denn dieses Hauptstuck bringt als Vorspann zur Kritik an den einzelnen Grottesbeweisen zwei Abschnitte über das Ideal der reinen Vernunft, das dort "transzendentales Ideal" genannt wird. Nun ist der Zusammenhang dieses einleitenden Lehrstückes mit der darauffolgenden Kritik der Gottesbeweise nicht ohne weiteres einsichtig. Es ist wiederum die Untersuchung der Entwicklung des Denkens Kants in seiner vorkritischen Zeit, die imstande ist, die Vorgeschichte und damit auch den Sinn dieser zwei Abschnitte zu klären: So wie die Abschnicte III und folgende die Kritik an der Rationaltheologie aus der III. Abtig, des

Vom ens realissimum zum transzendentalen Ideal

201

EmBg wiederaufnehmen, so schließt sich der einleitende Abschnitt II (zusammen mit dem Abschnitt I) an die I. Abtig, an. Das Stück über das Vernunftideal ist selber in der Tat die Wiederaufnahme einer Kritik an einem Gottesbeweis, und zwar am einzig möglichen Gottesbeweis von 1762. Aber eine solche Kritik, die vor der KrV entwickelt wurde, war zugleich eine Transformation des ontotheologischen Beweises, deren Resultat im Theologie-Hauptstück der KrV als Einleitung und gewissermaßen Grundlage der Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft vorangestellt wird. Es gilt nun, die Entwicklung des Denkens Kants nach 1762 zu rekonstruieren. Diese Entwicklung bestand hauptsächlich in einer Kritik der rationalistischen Ontologie, die sowohl den schon widerlegten Gottesbeweisen als auch der Ontotheologie Kants zugrundelag. Konsequenz davon war, daß Kant auch seine eigene Theologie aus spekulativer Vernunft fallen ließ. Diese negative Seite war aber mit einem positiven Gegenstück verbunden: Das ens realissimum von 1755 und 1762 wurde zum notwendigen Ideal der reinen Vernunft ein "fehlerfreies Ideal" (A 641), das den Gottesbegriff der theoretischen Vernunft darstellt und die Funktion eines Kriteriums aller anderen Theologie (in der Tat der Moraltheologie) ausübt. In dieser Entwicklung liegt das einzig Neue in Kants Gotteslehre, das die Position von 1781 von der von 1762 unterscheidet.

1. Die neue Auffassung von der Möglichkeit Bald nach 1762 hat bei Kant eine Kritik seines eigenen ontotheologischen Arguments eingesetzt im Rahmen einer neuen, sich allmählich entwickelnden Auffassung von Wesen und Methode der Metaphysik. Diese Entwicklung, die bereits um die Mitte der 60er Jahre zur Ablehnung, aber zugleich Umwandlung der Ontotheologie führte, ging eindeutig auf eine empiristische Position zu. Dies ist um so naheliegender, wenn man den anderen Schriften Rechnung trägt, die Kant um dieselbe Zeit verfaßte, vor allem der Preisschrift "über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral". Die Methode, dergemäß die Philosophie und insbesondere die Metaphysik verfahren soll, weist in dieser Abhandlung einen unübersehbaren empiristischen Einschlag auf. Denn Kant sieht den Ausgangs-

202

Der einzig mögliche Beweisgrund

punkt der Philosophie in den "unerweislichen Sätzen", die jene Merkmale der Dinge aussagen, die wir an ihnen unmittelbar wahrnehmen. Die Philosophie hat die Aufgabe, diese gegebenen Begriffe in ihre Elemente aufzulösen, um daraus immer weitere Folgerungen zu ziehen. Eine solche Methode der Metaphysik ist, wie Kant selbst bemerkt, im Grund einerlei mit der Newtonschen Methode in der Naturwissenschaft. In dieselbe empiristische Richtung ging auch der Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen". Die Argumentationen der Ontotheologie Kants, die sich ganz und gar auf der Ebene der spekulativ-dogmatischen Metaphysik bewegen, standen deshalb von Anfang an in einer gewissen Spannung zu dem, was bei Kant um diese Zeit am Hervortreten war. Ein solcher Gegensatz verstärkte sich zusehends nach der Veröffentlichung des EmBg. Schmucker hat dies genau belegt anhand der Ausführungen Kants über die spekulative Metaphysik vor und nach 1765 *, nämlich in den Briefen an Lambert und Mendelssohn, in denen Kant dafür plädiert, daß der Metaphysik ihr "dogmatisches Kleid" abgezogen wird s; in den Berliner Losen Blättern von 1763/64 (R 3716 und 3717); im späteren autobiographischen Fragment von 1776-78 (R 5116), in dem Kant an die Zeit erinnert, zu der er "noch immer glaubte, die Methode zu finden, das dogmatische Erkenntnis durch reine Vernunft zu erweitern" (XVIII 96) und in den "Träumen eines Geistersehers" von 1766. Konkreteres zu den Überlegungen in diesen Jahren, die Kant als eine "Krise der Gelehrsamkeit" erlebte, die ihm zugleich die Hoffnung gab, "die so längst gewünschte große Revolution der Wissenschaften sei nicht mehr so weit entfernt" 3, erfahren wir durch die Notizen, die Kant in sein mit Oktavblättern durchschossenes Baumgartensches Kompendium der Metaphysik hineinschrieb 4. Die RR aus dieser Zeit stellen sowohl die Konklusion als auch die Voraussetzung des ontotheologischen Arguments in Frage. So heißt es

1 Vgl. SCHMUCKER, "Kants kritischer Standpunkt zur Zeit der Träume eines Geistersehers", 1-20. * Brief an Mendelssohn vom 8. 4. 1766: X 70. '4 Brief an Lambert vom 31. 12. 1765: X 57. Vgl. SCHMUCKER, "Kants kritischer Standpunkt zur Zeit der Träume eines Geistersehers", 28-31; DEBS., Kants vorkritische Kritik, 57 ff.

Vom ens realissimum zum transzendentalen Ideal

203

in der R 3795: "nondum constat, utrum maxima realitas in ente compossibilis sit simultaneo vel in serie successiva". Während Kant in der Abhandlung von 1762 aus den (endlichen) Möglichkeiten die Existenz eines ens realissimum erschlossen hatte, stellt er jetzt in Frage, ob ein solches maximum realitatis als ein einzig Seiendes (= als Gott) überhaupt möglich sei, oder aber nur als als series successiva, d. h. also als Welt. Der Begriff von einem solchen Realitätsgrad wird somit, wie auch der andere Schlüsselbegriff des EmBg, nämlich der einer absoluten Daseinsnotwendigkeit, zu den "problematischen", d. h. uneinsichtigen Begriffen gezählt (vgl. R 3732). Die Voraussetzung des Arguments von 1762 war ein Reich möglicher Dinge, das vorgängig zu ihrer Existenz ist und als ontologische Dimension sich über den Bereich der existierenden Welt hinaus erstreckt. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der ungeklärte Punkt an dieser Grundlage des apriorischen Gottesbeweises die Frage war, woher wir um diese der Existenz vorgängige ontologische Dimension des Möglichen wissen *. Als Ansatz zu einem Beweisgang, den wir vollziehen sollen, muß ja etwas vorliegen, worum wir wissen. Die empiristische Entwicklung dieser Epoche zwang Kant, sich diese Frage zu stellen; und sobald er es tat, konnte er unmöglich die angeblich apriorische Basis des Arguments weiter aufrechterhalten. Denn er kam zur Einsicht, daß unser Begriff vom Realen oder Materialen der Möglichkeiten ein empirischer Begriff ist: "Das Reale der Möglichkeit ist zugleich das Materiale derselben, und unser Begriff von demselben erstreckt sich so weit wie das Einfache unserer Empfindungen, imgleichen wie die primitiven Verhältnisse (respectus reales), die wir durch Erfahrung kennen lernen" (R 3756). Die R 3809 erläutert weiter, daß realmöglich das ist, was an Kombinationsmöglichkeiten in den existierenden Dingen vorliegt und was dieselben Dinge durch ihre Kausalität hervorbringen können. "Die logische Zusammensetzbarkeit allein stellt noch kein hinreichendes Kriterium für die Bedeutung eines Begriffe als einer realen Dingmöglichkeit dar" ·. ' Vgl. Kap. VE, 2. Betrachtung, Nr. 3, Exkurs. ' SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 62. Bin ähnliches Problem hatte LOCKE in seinem Essay Concerning Human Understanding, Buch IV, Kap. IV: "Über die Realität des Wissens" behandelt. Nach Locke stellen unsere Substanzideen ein Wissen der Wirklichkeit dar, insofern sie aus einfachen Ideen bestehen (wobei letztere Erzeugnisse

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Damit hat Kant unseren Begriff vom Realmöglichen von der Erfahrung abhängig gemacht, sowohl was die Daten (die einfachen Denkinhalte) als auch was die Vereinbarkeit derselben anbelangt. Die reale Möglichkeit ist nur mehr im Wirklichen gegeben, das zum Bereich unserer Erfahrung gehört. Mit dieser neuen Aurfassung vom Möglichen 7 war die Grundvoraussetzung des EmBg aufgehoben.

2. Von den limitierten Dingen zum uneingeschränkten Wesen Die oben herausgestellte Neubestimmung des Bereiches des Möglichen hat aber Kant nicht dazu veranlaßt, sein ontotheologisches Argument einfach fallen zu lassen. Die RR nach 1762 zeugen vielmehr von einer Umformung des Gedankenganges, in der dieselben Strukturelemente in einer anderen Systematisierung verwendet werden und so zu einem anderen Resultat führen, das doch eine Analogie zum Endergebnis der Ontotheologie unübersehbar aufweist. Der Ansatzpunkt des umgewandelten Gedankenganges ist jetzt, daß die von der Erfahrung vermittelten Materialgehalte der Möglichkeiten begrenzte Realitäten sind. Eine solche Erkenntnis impliziert den Begriff einer unbegrenzten Realität, an dem gemessen die Dinge (und damit auch die Realgehalte der Möglichkeiten) als begrenzte Realitäten erkannt werden können. Dieses Moment der Begrenzung, das als sekundärer Strang schon in der Ontotheologie vorlag (die Möglichkeiten weisen wegen ihrer Vielheit einen begrenzten Realitätsgehalt gegenüber dem unendlichen Realitätsgehalt ihres notwen-

der Dinge außer uns sind), "deren Koexistenz [d. h. Zusammenhang] in der Natur festgestellt worden ist" (§ 12). Kant hat den Lockeschen "Versuch" in der lateinischen Obersetzung gelesen, wie u. a. aus einigen Zitaten in den RR hervorgeht. Vgl. Reinhard BRANDT, Materialien zur Entstehung der KrV (John Locke und Johann Schultze), in: Beiträge zur KrV 1781 * 1981, hrsg. von I. Heidemann und W. Ritzel, Berlin 1981, 41. ' Wir treffen hier der Sache nach zum ersten Mal die Unterscheidung von logischer und realer Möglichkeit bei Kant an. Eine der Grundlehren des Rationalismus war die Gleichsetzung von widerspruchsloser Denkmöglichkeit mit realer Seinsmöglichkeit. Die Widerspruchsfreiheit für sich allein gilt far Kant von nun an als bloß logische Möglichkeit (als "Gegenstand des Gedankens": R 3999). Zur Realmöglichkeit ist ein von der Erfahrung stammender Inhalt nötig; darüber hinaus ist, als formales Prinzip der Möglichkeit, die Vereinbarkeit der inhaltlichen Merkmale nötig, von der wir ebenfalls nur insofern wissen, als auch sie in der Erfahrung gegeben ist. Es sind die "respectus reales" der R 3766.

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dig existierenden Grundes auf), wird jetzt zum tragenden Argument: Die Endlichkeit der Dinge, die wir durch Erfahrung kennen, fuhrt logisch zu einem unendlichen Wesen. Wie ist aber genau das Verhältnis zwischen beiden - limitierten Dingen und unendlichem Wesen - zu denken? Um auf diese Frage zu antworten, greift Kant auf das Grund-Folgeverhältnis zurück. Was also in der Ontotheologie das tragende Argument ausmachte (das Mögliche als Folge eines notwendig Daseienden), kehrt hier als sekundärer Strang des Gedankenganges wieder: Die endlichen Dinge sind nicht als Einschränkungen der höchsten Realität aufzufassen, sondern als Folgen derselben. So heißt es in der R 3811: "Alle negationes sind Schranken. Die Schranken überhaupt sind nur möglich durch das Unbeschränkte. Demnach ist das Unbeschränkte das, wodurch alles andere möglich ist." Daß nun das unendliche Wesen kein materielles Substrat oder potentielles Prinzip ist, welches durch das Formprinzip der Begrenzung zu den verschiedenen, endlichen Realgehalten ausgeformt wird (wie im Falle des Verhältnisses: unendlicher Raum - besondere Raumgestalten), vermochte Kant zu vertreten, indem er den Grund der Möglichkeiten als unendliches Wesen oder ens realissimum nach der Art einer intensiven (nicht extensiven!) Größe auffaßte - also als maximum intensionis, während die beschränkten Realitätsgrade Folgen im Sinne von Wirkungen desselben sind. Bei dieser Umstellung des früheren ontotheologischen Beweises hat der Abschnitt der Metaphysik Baumgartens über "Finitum et infinitum" (§§ 246-264) eine wichtige Rolle gespielt. Dort entwickelt Baumgarten die Lehre von Endlichem und Unendlichem und von ihrem Unterschied nach den Prinzipien der intensiven Größen, wie er sie in einer vorhergehenden Sektion: "Prima matheseos intensorum principia" (§§ 165-190) ausgearbeitet hat. Ausgehend von der Definition von Grad als "quantitas qualitatis" (§ 246) definiert Baumgarten das ens realissimum als "ens gradum realitatis maximum Habens", während das ens finitum einen "limes" in seinem Realitätsgrad hat (§ 248). Wenn Kant diese Sichtweise in seine Lehre vom ens infinitum oder realissimum übernimmt, weiß er auch seinen "Autor" in einem entscheidenden Punkt zu korrigieren. Nach Baumgarten gilt: "gradus maiores sunt plurium minimorum [minorum?] tota", so daß "in quovis gradu maiore est multitudo graduum" (§ 247). Dementsprechend faßt

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Baumgarten die "summa perfectio" als "maxime composite" auf (§ 185). Demgegenüber versucht Kant die Lehre von der Realität anhand der Prinzipien der intensiven Größen konsequenter zu entwikkeln. Die Einheit einer intensiven Größe sei nicht die Einheit eines totum aus niedrigeren Graden: "Gradus maior non est minorum totum, sed ratio" (R 3727). Damit ist eine Zusammensetzung im höheren Grad ausgeschlossen. Und während ein totum Grund von anderen nur durch Verminderung oder Abtrennung sein kann, wie es bei den extensiven Größen der Fall ist, vermag eine intensive Größe ohne Verminderung Grund von anderen zu sein (vgl. R 3839). Anders als bei den extensiven Größen gibt es in der Synthesis der intensiven Größen ein absolutes maximum: "Conceptus (absolute) maximi et minimi in synthesi mathematica (et ideali) sunt conceptus deceptores; sed in synthesi reali qualitatum sunt possibiles et aequantur omnitudini, sed in repetendo eodem non datur omnitudo absolute" (R 3776). Für das ens, das zur Qualität gerechnet wird, ist dieses maximum das ens, in quo est omnitudo realitatis, oder ens realissimun (vgl. Baumgarten, Metaphysik § 248), wobei aber Kant, im Gegensatz zu Baumgarten, eine Summierung niedriger Grade im höheren bzw. höchsten Wesen ausschließt: "Quantitas unius ut totius est extensive spectata. Quantitas unius ut rationis est intensive spectata" (R 3793). Dieser Unterschied zwischen einem intensive maximum (dem ens realissimum) und dem allumfassenden totum (dem Raum) wird deutlich zur Sprache gebracht durch die Art und Weise, wie sie zu ihren respektiven Limitierungen stehen: "Die höchste Realität besteht nicht darin, daß alles in ihr sei, sondern durch ihr [sie] als einen Grund; denn das maximum der Realität ist nicht synthetisch möglich oder durch Koordination, sondern mindere Grade sind nur durch Einschränkung des größesten möglich. Nun ist die höchste Realität die, welche nicht eingeschränkt werden kann; also ist diejenige, welche das Maß aller Dinge ist und darin aller Dinge Realität liegt, nur die Folge von dem ente summo" (R 3889) 8. Damit haben wir bereits zu diesem Zeitpunkt, d. h. in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, den Entwurf der Lehre vom transzendentalen Ideal, so wie wir es aus dem II. Abschnitt des theologischen Haupt-

* Vgl. dazu, SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 72.

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Stücks der KrV kennen. Und zwar so, daß in diesem Entwurf nicht nur der ursprüngliche, tragende Gedanke von der Ableitung des ens realissimum aus der limitierten Realität der Möglichkeiten ausgeführt wird, sondern auch der Gedanke von der durchgängigen Bestimmung eines jeden limitierten Dinges, die auf den Inbegriff aller Prädikate als den Urgrund desselben Dinges verweist *. Aus den zahlreichen KR, in denen dieser Gedanke der durchgängigen Bestimmung ausgeführt wird, sei folgende hier zitiert: "Alle Dinge scheinen in einer Unendlichkeit zu liegen; denn sie können in Ansehung keines Möglichen unbestimmt sein, und, da sie quoad praedicata affirmantia ein Teil dieses Unendlichen sind, quoad negantia aber limitiert sind: so sind sie notwendig in einer [sie!] durchgängigen Verhältnis, und die vollständige Vorstellung eines jeden Dinges muß diese bestimmt oder unbestimmt ausdrücken ... Alle endlichen Dinge sind also ihrer Möglichkeit nach abhängend von einem Wesen aller Wesen, welches alle Realität enthält und unabhängig von allen anderen ist; denn in ihrer durchgängigen Bestimmung beziehen sie sich doch jederzeit auf die höchste Realität, welche der Urgrund ihrer Möglichkeit ist" (R 4245. Vgl. auch die übrigen RR 4242 - 4261 zu den Prolegomena der Theologie naturalis, die alle auf die Zeit von 1769/70 zurückgehen). Dieses Verhältnis der durchgängig bestimmten individuellen Dinge zur höchsten Realität als Inbegriff aller Prädikate wird in der KrV zum Grundgedanken der Ableitung des Vernunftideals, während das Verhältnis der limitierten Möglichkeiten zum uneingeschränkten Wesen zum sekundären Strang wird.

3. Der bloß subjektive Charakter der Ableitung des ens realissimum Es stellt sich die Frage, ob die oben gesehene Rückführung der beschränkten, durch die Erfahrung erkannten Realitäten, auf ein uneingeschränktes Wesen nicht doch zu einem existierenden ens realissi-

' Die Lehre von der omnimoda determinatio als (Existenz- und) Individuationsprinzip haben wir schon am Anfang des EmBg angetroffen, wo Kant scharf zwischen Dasein und Bestimmung eines Dinges unterschieden hat. Vgl. Kap. , 1. Betrachtung, Nr. 1.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

mum fuhrt; damit hätten wir in der genannten Umformung der Ontotheologie einen gültigen, wenn auch aposteriorischen Gottesbeweis. Dies ist aber für Kant schon um diese Zeit nicht der Fall. Denn mehrere RR aus den Jahren 1769/70, die auf die Frage der Gültigkeit dieses Schlusses eingehen, heben den bloß subjektiven und hypothetischen Charakter des Arguments bzw. seines Endbegriffes hervor. Nach Kant sind zwar die endlichen Realitätsgrade nur als Limitationen eines höchsten Realitätsgrads denkbar, aber diese Bedingung unseres Verstehens der Möglichkeit endlicher Dinge braucht nicht eine konstitutive Bedingung derselben Möglichkeiten zu sein. Nach den RR 3716 und 3717 geht die metaphysische Analyse im allgemeinen bloß auf das Subjekt, nämlich auf dessen Vernunftgesetze ein. Dieselbe rein subjektive Gültigkeit wird in der R 3931 der rationalen Erklärung der Möglichkeiten durch ein notwendig Existierendes zugeschrieben: "... von rationalen Sätzen können wir nur durch analysin subiectivam Gründe geben, e. g. von dem Satz, daß ein Wesen notwendig existiere, weil nämlich unsere Gedanken von einer Möglichkeit ohne alle Wirklichkeit nichtig sind, indem alle Möglichkeit von etwas Wirklichem muß geborgt werden." Bezüglich unserer Gottesvorstellung insbesondere heißt es in der R 3907: "Alle großen Eigenschaften, die ich von Gott aus der willkürlichen Idee desselben sage [darunter in erster Linie, daß er die omnitudo realitatis ist], sind nur Expositionen der Hypothesis, die ich annehme. Aber die ich aus dem Werk ziehe (diese aber sind nur praktisch vollkommen), treffen ein reales und durch wirkliche Dokumente gegebenes Wesen." Deutlich drückt sich Kant in der R 4249 zu seiner umgewandelten ontotheologischen Argumentation aus: "Die Verschiedenheit der Dinge beruht nach unseren Begriffen auf Einschränkungen gegebener Realitäten ... folglich entsteht sie aus der Einschränkung des Dinges oder seiner Folgen, dessen Begriff alle Realität enthält ... Die Schlüsse hieraus sind aus der Möglichkeit der Erkenntnis durch unsere Vernunft, nicht aus den Sachen gegeben, folglich gilt das argumentum ad homines." Und die R 4253: "... da ein jedes ens limitatum nur durch Voraussetzung eines realis möglich ist, so setzt alles ein realissimum voraus; dieses aber ist die notwendige Subordination der Begriffe nach dem Gesetz des menschlichen Verstandes. - Die absolute Notwendigkeit eines Dinges ist ein Grenzbegriff."

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Damit reiht sich unser Begriff vom ens realissimum als Grenzbegriff an die anderen "conceptus terminatores" an, von denen Kant öfters spricht: Es sind die Begriffe, zu denen unsere Vernunft gelangt, wenn sie das Gegebene analysiert, die aber selber nicht mehr einsichtig gemacht werden können, weil sie als Grenzbegriffe genau das verneinen, wodurch allein unsere Vernunft sie begreifen könnte: "Conceptus, de cuius possibilitate nihil constat, remanens dempta conditione, sub qua sola ipsius possibilitatem iudicare licet, est problematicus. Sie necessitas entis absolute, elementum corporis simplex, actio nulla ratione determinata" (R 3732) 10. Dieser Gedanke, daß die Endbegriffe der metaphysischen Analyse genau die Bedingungen aufheben, welche unsere Vernunft fordert, um sie zu verstehen (unsere Vernunft erkennt nur durch einen Grund), äußert sich bei Kant in der These, daß die Erkenntnisse der Metaphysik der spezifischen Eigenart unserer Vernunft zuzuschreiben sind und als solche nur subjektiv gültig sind. So z. B. in den RR 3937, 3976, 3985, 4039 ". Fazit. Die neue, empiristische Auffassung von der realen Möglichkeit (Nr. 1) hat zu einer Umformung des ontotheologischen Beweises aus den Möglichkeiten geführt (Nr. 2), in der der Schluß auf das ens realissimum als bloß subjektiv notwendig und gültig betrachtet wird (Nr. 3). Was 1762 ein metaphysisches Argument war, das von der Möglichkeit der Dinge auf ihren allgenugsamen Grund schloß, ist somit auf die Ebene des bloß Begrifflichen verschoben worden. In dieser Form, die eine Umgestaltung und zugleich eine Kritik der früheren Ontotheologie ist, wurde dann die Ableitung des ens realissimum in das theologische Hauptstück der KrV aufgenommen. So wie die vorkritische Auseinandersetzung mit Leibniz und der Wolffschule schon im EmBg zur klassischen Kritik Kants an den herkömmlichen Gottesbeweisen gefuhrt hatte, so zwang die sich nachher durchsetzende Einsicht in den dialektischen Charakter der speziellen Metaphysik zu einer neuen Auffassung von Wesen und Methode der Metaphysik überhaupt. Konkretes Ergebnis dieser weiteren Entwicklung war die Lehre vom subjektiv notwendigen, aber objektiv problematischen Vernunftideal, die bald nach 1762 aus der Ontotheologie herauswuchs ia.

10 11 u

Vgl. die vierte, zweite und dritte Antinomie in der Dialektik der KrV! Vgl. SCHMUCKE», Kants vorkritische Kritik, 94 f. Vgl. SCHMUCKES, Ontotheologie, 192.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

Den letzten Schritt dieser Entwicklung werden wir im nächsten Abschnitt untersuchen. In der Vorlesungsnachschrift Pölitz über Religionslehre, die wahrscheinlich aus dem Wintersemester 1783/84 stammt, verweist Kant auf seinen früheren EmBg, wobei er ausdrücklich "den Grund der Möglichkeit aller anderen Dinge" auch als Erklärung ihrer Limitation ansieht. Er fügt aber hinzu: "Doch ist auch dieser Beweis nicht apodiktisch gewiß; denn er kann nicht die objektive Notwendigkeit eines solchen Urwesens dartun, sondern nur die subjektive Notwendigkeit, es anzunehmen. Allein widerleget kann er auf keine Weise werden, weil er in der Natur der menschlichen Vernunft seinen Grund hat; denn diese nötiget mich durchaus, ein Wesen anzunehmen, das der Grund von allem Möglichen ist, weil ich sonst überall nicht erkennen könnte, worin etwas möglich sei" (XXVIII, 1034).

4. Die Lehre vom theoretischen Ideal in der Dissertation von 1770 Im § 9 der Dissertation von 1770 spricht Kant von einem doppelten Zweck der intellektuellen Prinzipien der Erkenntnis: einem kritischen, um die sinnliche Erkenntnis von den Gegenständen der intellektuellen (den "noumena") fernzuhalten, und einem dogmatischen. Vom letzteren wird gesagt: "principia generalia intellectus puri, qualia exhibet ontologia, aut psychologia rationalis, exeunt in exemplar aliquod, nonnisi intellectu puro concipiendum et omnium aliorum quoad realitates mensuram communem, quod est perfectio noumenon". Diese Vollkommenheit, die als Maß aller anderen Realitäten fungiert, kann ihrerseits entweder im theoretischen oder im praktischen Sinne genommen werden. Damit haben wir ein doppeltes Urbild (exemplar): das "ens summum", Gott, als Urbild dessen, was einem Seienden als solchem zukommt, und die "perfectio moralis". Dieses Urbild, das zugleich ein "maximum perfectionis" ist, heißt heutzutage "ideale", was dasselbe meint wie der Terminus Idee bei Plato. Nun geht Kant näher auf das Verhältnis dieses Ideals zu den verschiedenen Realitäten ein: Es ist der Grund (principium) von allem, was unter dem Begriff irgendeiner Vollkommenheit enthalten ist, "insofern die minderen Grade nur durch Einschränkung des größten Grades bestimmt

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werden können". Dies bedeutet folgendes in bezug auf Gott: "Deus autem, cum, ut ideale perfectionis, sit principium cognoscendi, ut realiter exsistens, simul est omnis omnino perfectionis principium fiendi." Wir haben hier einen Schluß, der auf der Linie dessen liegt, was wir oben gesehen haben: Wir vermögen die verschiedenen Realitätsgrade zu erkennen kraft jenes "maximum", bzw. "ideale perfectionis" im theoretischen Sinne, das hier ausdrücklich als Gott bezeichnet wird. Dies ist so, weil, wie die RR der früheren Jahre immer wieder hervorhoben und wie auch hier behauptet wird, eine Erkenntnis von niedrigeren Graden die Idee eines höchsten impliziert, dessen Limitierungen sie nun sind. Aber gerade auf dem Hintergrund des Denkens Kants zu dieser Zeit, wie es aus den gleichzeitigen RR erhellt, kann dieser Schluß auf ein maximum realitatis als Prinzip der limitierten Realität der möglichen Dinge nur subjektive Geltung haben. Aber auch die Art und Weise, wie Kant in der Dissertation seinen Gedankengang formuliert, legt dieselbe Interpretation nahe. Erstens, das "exemplar" im theoretischen Sinne wird als parallel zum "exemplar" im praktischen Sinne angesehen. Letzteres ist sicher nicht als ein real existierendes Urbild gemeint, sondern als ein Urbild unseres Geistes (das Ideal der Moralität, nach dem wir uns richten sollen); dasselbe gilt also, wegen der Parallelisierung, auch für das theoretische Ideal, Gott. Zweitens, am Ende des Passus wird Gott als das "ideale perfectionis" und "principium cognoscendi" der limitierten Dinge Gott als dem "realiter exsistens" und "principium fiendi" derselben Dinge gegenübergestellt. Aus dieser Gegenüberstellung erhellt, daß Gott als Ideal nicht ein wirklich Existierendes zu sein braucht, um die Punktion eines Erkenntnisprinzips in unserem Geist auszuüben. § 5 der Dissertation vertritt einen "usus realis intellectus", nach dem die Begriffe des reinen Verstandes (die späteren Kategorien) uns die Dinge in ihrer Wirklichkeit vermitteln. Diese Lehre von der objektiven Gültigkeit der intellektuellen Grundbegriffe betrifft die Anwendung derselben auf Erfahrungsgegenstände. Im Unterschied dazu spricht § 9 von den Prinzipien der Vernunft (um eine spätere Distinktion Kants hier zu benutzen), die zwar auf das Gegebene angewandt werden, aber um die erste und absolute Bedingung des Gegebenen zu finden (analysis metaphysica). In diesem Falle gelangen wir

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nur zu problematischen Endbegriffen, die formell das negieren, wodurch allein sie von der Vernunft in ihrer eigenen Möglichkeit begriffen werden könnten. Denn es ist unserer Vernunft spezifisch, daß sie nur indirekt, durch das Prinzip vom Grunde, erkennen kann: Etwas rational erkennen ist das erkennen, woraus dieses Etwas abgeleitet werden kann. Sobald aber diese Erkenntnisart verallgemeinert wird (um zu den Endbegriffen zu gelangen, die die Metaphysik fordert), vermag sie das Gesuchte nur zu erreichen, indem sie ihre Eigenart aufhebt - damit gibt sie auf, das gesuchte Prinzip zu begreifen (Vgl. RR 3732, 3937, 4039). Die Setzung eines Ersten und Absoluten, das unsere Vernunft braucht, um das in der Erfahrung Gegebene a priori verständlich zu machen, das selbst aber in seiner Möglichkeit unerklärlich bleibt, weil von keinem anderen ableitbar, kann evidentermaßen keine objektiv gültige Erkenntnis des Absoluten hergeben. Gerade weil der reale Verstandesgebrauch, von dem im § 5 die Rede ist, und der "dogmatische" Gebrauch der (Vernunft-)Prinzipien im § 9 anders gelagert sind, stellt die erste Lehre keinen Einwand dagegen dar, daß wir im Ideal des § 9 einen Endbegriff bloß subjektiver Geltung sehen dürfen in Übereinstimmung mit der sonstigen Lehre Kants von der Metaphysik in den RR vor und um 1770. D. h. der vorliegende Schluß von den Realitätsgraden der Dinge auf Gott als theoretisches Ideal ist der Schluß auf die höchste für uns notwendige, aber an sich problematische Bedingung der Dinge 1S. Als Ergebnis der Untersuchung gilt also, daß wir im § 9 der Inauguraldissertation die erste Darlegung des theoretischen Ideals der reinen Vernunft vor uns haben, die (nach der langen und verwickelten Entwicklung, die sich in Kants privaten Aufzeichnungen der 60er Jahre verfolgen läßt) in einer Veröffentlichung Kants zu finden ist: Ein Ideal, dem eine grundlegende Funktion für die reine Vernunfterkenntnis zugeschrieben wird, das aber als solches keinen Anspruch auf objektive Geltung erheben kann. Elf Jahre später wird die KrV dieselbe Lehre, ohne wesentliche Änderungen, in den Anfang ihres Theologie-Hauptstückes wieder aufnehmen. Nur daß dort das genannte Ideal als apriorisches Erkenntnisprinzip nach der eigenen Terminologie der Kritik als "transzendentales Ideal" bezeichnet wird. a Vgl. SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 88 ff, der diesen Einwand ausführlich behandelt.

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Der Grundgedanke, der die Entwicklung Kants nach 1762 vorangetrieben hat, ist die Ableitung der limitierten Realitätsgehalte der Dinge von einer höchsten Realität im Sinne eines maximum intensiver Größe. Die Dinge gelten als Folgen und Wirkungen dieses maximum, während die höchste Realität selbst als Endbegriff unseres Vernunftschlusses (Ableitungsschlusses) ein bloß subjektiv gültiger Begriff ist : Wir brauchen ihn, können ihn aber nicht einsehen.

5. Auf dem Weg zur KrV Wir haben die Gotteslehre Kants in den vorkritischen Schriften untersucht; in dieser Lehre hat sich das kritisch-negative Moment nach und nach verstärkt. In der Abhandlung von 1762 wird die ganze Rationaltheologie nach der damaligen Version der Schulphilosophie einer Kritik unterzogen und abgelehnt. In den Jahren danach wurde zum Opfer der Kritik Kants auch sein eigener EmBg, und zwar zu einer Zeit (Mitte der 60er Jahre), in der im Denken Kants die Einsicht sich begann durchzusetzen, daß durch den "moralischen Glauben" besser als durch "die große Zurüstung der Gelehrsamkeit" die "wahren Zwecke" des menschlichen Daseins, Religion und Moral, in salvo sind w. Schon aus zeitlichen Gründen steht also fest, daß diese Kritik unabhängig von den Prinzipien des Kritizismus, d. h. von der eigentlich transzendental-idealistischen Lehre der KrV ist. Damit erhellt auch, daß die klassische Kritik Kants an der Rationaltheologie das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Leibniz-Wolffschen Philosophie darstellt. Dies ist insofern kein Wunder, als das Denken Kants von Anfang an durch eine eklektische und antiwolffianische Einstellung gekennzeichnet war - bei aller wesentlichen Abhängigkeit von dieser Philosophie, die in der Zeit um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts immer noch das philosophische Milieu, zumal den aka-

14 Kant, Träume eines Geistersehers, letzter Absatz. Vgl. auch in den "Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" eine Reflexion Kants über die "moralische" Erkenntnis Gottes an einer Stelle, die von Rousseau inspiriert ist (XX 57). Weiteres bei SCHMUCKES, Die Ursprünge der Ethik Kants, Meisenheim am Glan 1961, 157-160.

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demischen Unterricht, prägte . Die nach 1762 erfolgte Kritik und Umformung des eigenen ontotheologischen Beweises fand im Rahmen einer radikalen Überprüfung der rationalistischen Metaphysik statt, wie wir oben gesehen haben. Die Kritik an den einzelnen Gottesbeweisen in der III. Abtig, des EmBg und die nachfolgende an der Metaphysik der Schulphilosophie erklären zur Genüge die Kritik "aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft" in der KrV. Die Entwicklung Kants nach 1762 ging direkt auf die großen Themen der metaphysica specialis, also auf das Problem der Erkenntnis des Letzten und Absoluten mittels einer analysis metaphysica des in der Erfahrung Gegebenen. Das Resultat dieser Untersuchung war eine neue Konzeption von Wesen und Methode der Metaphysik, die die Grundlehren der etablierten speziellen Metaphysik in Frage stellte. Dies gilt offensichtlich für die Rationaltheologie, auf die sich unsere Aufmerksamkeit konzentriert hat. Aber dasselbe gilt auch für die rationale Psychologie - wofür auf die RR 3921, 3922 und 3931 hingewiesen sei. Der rationalen Kosmologie schenkte Kant besondere Aufmerksamkeit, insofern in ihr die analysis metaphysica in regelrechte Antinomien gerät " - ein Phänomen der menschlichen Erkenntnis, das Kant viel zu denken gab und das, wie seit der Untersuchung Benno Erdmanns im Zusammenhang mit seiner Edition der Reflexionen Kants (1884) allgemein anerkannt wird, als entscheidender Faktor für die Entstehung der KrV wirkte. In der Tat zählt Kant in der R 3732 unter die conceptus terminatores, die einen bloß subjektiven Charakter aufweisen, die necessitas entis absolute (das ens necessarium: Theologie), das elementum corporis simplex (Kosmologie) und die actio nulla ratione determinate (Freiheit: Psychologie). Hinzu kommen der Anfang der Welt (R 3922), die Grenzen der Welt (RR 3937, 4039), das Problem der unendlichen Teilbarkeit (vgl. die 2. Antinomie) und der unendlichen Zusammensetzung (Ewigkeit, vgl. die 1. Antinomie) in der R 3985, und wieder die Begriffe des ens absolute

" Vgl. TONELLI, Elemenü, Vorrede. u Allerdings beschränken sich die Antinomien, wie sie schließlich in der KrV behandelt wurden, nicht auf rein kosmologische Probleme. Die dritte und die vierte Antinomie gehen auf psychologische bzw. theologische Probleme ein. Vgl. G. SALA, Bausteine zur Entstehungsgeschichte der KrV, in: KS 78 (1987) 163-169; insbesondere 160 f. In diesem Artikel versuche ich, den Werdegang Kants bis zur KrV in seinen treibenden Faktoren und wichtigsten Etappen zu rekonstruieren.

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necessarium, der Freiheit, des Einfachen, der Grenze der Welt in der R 4039. Es läßt sich also im Denken Kants eine grundlegende Entwicklungslinie verfolgen, die in den 60er Jahren zu einer neuen (empiristischen) Auffassung der Metaphysik führte und die sich mit einer Kritik an der speziellen Metaphysik weiter zog, bis sie in die transzendentale Dialektik der KrV einging. Auf dieser Linie liegt ohne Zweifel die vorwärtstreibende Kraft, die zu der "großen Revolution" führte, die Kant 1765 im schon angeführten Brief an Lambert in Aussicht stellte ", und die wir in der Form des späteren Hauptwerkes, der KrV, kennen. Innerhalb dieses übergeordneten Rahmens haben die Umbrüche von 1769 (subjektive Deutung von Raum und Zeit) und von 1772 (Problemstellung der transzendentalen Deduktion, die zur Subjektivierung auch der reinen Verstandesbegriffe führte) stattgefunden. Das heißt also die spezifische Grundsteinlegung des Kritizismus durch die Lehre von Raum und Zeit als Formen a priori der sinnlichen Anschauung, die nach allgemeiner Einschätzung die Scheidung von vorkritischer und kritischer Periode markiert, und die Formulierung des antithetischen Problems, die für die Geburtsstunde der KrV gehalten wird, sind in der dargelegten Lehre der metaphysischen Erkenntnis als reiner Vernunfterkenntnis und in ihrer Infragestellung durch Kant anzusiedeln und zu verstehen. Die Zeit nach dem "großen Licht" von 1769 war also die Zeit, in der Kant infolge der Resultate, zu denen seine Untersuchung der Probleme der speziellen Metaphysik gelangt war (unsere Erkenntnis kommt darin nur zu problematischen Schlüssen und Endbegriffen), von der Auseinandersetzung mit der speziellen Metaphysik zum Fundament derselben in der allgemeinen Metaphysik (die Ontologie Wolffs) zurückkehrte, und zwar mit besonderer Rücksicht auf die erkenntnistheoretische Erklärung der Naturwissenschaft Newtons. Die Überprüfung des Fundaments, von der die Lehre der Dissertation über Raum und Zeit und die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe die zwei wichtigsten Momente waren, ergab als

Vgl. oben Fußnote 3.

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Resultat den transzendentalen Idealismus der Ästhetik und Analytik der KrV. In dieser neuen Auffassung von der Erkenntnis als objektkonstituierenden Tätigkeit und vom Sein (Scheidung von Erscheinung und Ding an sich) sah Kant in erster Linie die Fundierung der Newtonschen Physik. Zugleich aber stellte diese transzendentalidealistische Basis eine radikalere und wohl auch einfachere Kritik der Dialektik der reinen Vernunfterkenntnis dar, d. h. der mühsam aufgespürten, bloß subjektiven Resultate der speziellen Metaphysik. Die Metaphysik ist "der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten" (KrV A VIII), weil sie sich über den Bereich der möglichen Erfahrung hinauswagt, für den allein unser Verstand zuständig ist. Von dieser Basis her konnte (und mußte) Kant zur metaphysica specialis zurückkehren, um seine Analyse und Kritik derselben gemäß dem neuen Standpunkt des transzendentalen Idealismus umzuarbeiten. Das aber tat Kant nur zum Teil, und zwar in verschiedenem Umfang, in den drei Hauptstücken des zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik. Am allerwenigsten im theologischen Hauptstück. Hier hat er im wesentlichen unverändert seine Umwandlung und Kritik der Ontotheologie in die Abschnitte I - II und seine Kritik an den traditionellen Gottesbeweisen der III. Abteilung des EmBg in die Abschnitte III-VI übernommen. Der vorkritizistische Charakter des Theologie-Hauptstückes ist so evident, daß wir in der nun folgenden Analyse desselben mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Stellen aussondern können, in denen das Problem der Erkennbarkeit Gottes vom Standpunkt der transzendentalen Analytik, und dies heißt vom Standpunkt des transzendentalen Idealismus aus, angegangen wird. Es sind spätere Versuche Kants, durch einzelne Überarbeitungen oder Einschübe seine schon vorliegende Gottesbeweiskritik auf den Stand des Phänomenalismus der KrV zu bringen. Diese Stellen wirken nun im Ganzen der vorkritizistischen Argumentation als Fremdkörper. Denn infolge der prinzipiellen Beschränkung unserer objektiv gültigen Erkenntnis auf den Bereich der sinnlichen Anschauung (und innerhalb dieses Bereiches sogar auf die Erscheinungen) erweist sich ein Eingehen auf die traditionellen Beweisführungen, die sich eine Erkenntnis des absolut Transzendenten anmaßen, als von vornherein überflüssig. Es hat keinen Sinn, den exakten springenden Punkt dieser Beweise ausmachen zu wollen, um

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ihn dann auf seine Beweiskraft hin zu überprüfen, wenn es schon von Anfang an feststeht, daß wir lediglich die Wirklichkeit erkennen, die durch unsere sinnliche Anschauung vermittelt wird. Von dem schließlich durch die Kopernikanische Wende erreichten Standpunkt des transzendentalen Idealismus enthüllten sich die Probleme, mit denen Kant in den 60er Jahren mühsam gerungen hatte, als Pseudoprobleme eines Verstandes, der außerhalb des Bereiches, für den er eigentlich zugeschnitten ist: den Bereich der Erscheinungswirklichkeit, Urteile fällen will. Die sensualistische Grenzbestimmung, die Kant in der Ästhetik und Analytik der KrV ausarbeitet, läßt die metaphysischen Probleme der Wirklichkeit an sich, zumal der absolut transzendenten Wirklichkeit, für unsere theoretische Erkenntnis verschwinden, wie die aufgehende Sonne die trügerischen Nebelbänke zerstreut (Vgl. KrV A 235 f). Der Aufbau der KrV, wie Kant sie endlich herausgab, ist deshalb irreführend, weil er nahelegt, daß der dritte, größte Teil des Werkes, die transzendentale Dialektik und darin die Kritik der Rationaltheologie, eine Konsequenz aus den vorangehenden grundlegenden Teilen sei, nämlich der Ästhetik und Analytik; daß Kant also hier mit seinem transzendentalen Idealismus an das ehrwürdige Gebäude der rationalen Gotteslehre herangeht und es dem Erdboden gleich macht. Interessanterweise hat Kant selbst in einem Brief vom Mai 1781 an Marcus Herz unmittelbar nach dem Erscheinen der KrV einen anderen Plan seines Hauptwerkes entworfen, der, so meinte er, zur Popularität des Buches hätte beitragen können, der aber in der Tat, so meine ich, sowohl der Entstehung als auch dem Inhalt der KrV besser entsprochen hätte: "... sonst hätte ich nur von demjenigen, was ich unter dem Titel der Antinomie der r. V. vorgetragen habe, anfangen dürfen, welches in sehr blühendem Vortrage hätte geschehen können und dem Leser Lust gemacht hätte, hinter die Quellen dieses Widerstreits zu forschen" 18. Der Anfang des Werkes mit der Antinomienproblematik 1 bedeutet den Anfang von jener natürlichen Dialektik der Vernunftschlüsse, mit der sich Kant während der 60er Jahre in seiner Überprüfung der speziellen Metaphysik auseinander-

u

X 270. Vgl. dazu SCHMUCKES, "Kants kritischer Standpunkt", 34-36. " Von der tatsächlich nach dem Zeugnis im Brief an Garve vom 21.DC.1798 der Weg zur KrV ausgegangen war.

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Der einzig mögliche Beweisgrund

gesetzt hatte. In diese Dialektik gerät die philosophische Reflexion, wenn sie von der realistischen Voraussetzung des gemeinen Verstandes ausgehend sich an die letzte Erklärung der Erfahrungswelt heranwagt. Gerade dies zwingt (wie es wiederum in der Entwicklung des Denkens Kants tatsächlich geschehen war), "hinter die Quellen dieses Widerstreits zu forschen" und führt so zur Einsicht in die Unhaltbarkeit des transzendentalen Realismus (KrV A 369) und damit zur Entdeckung des transzendentalen Idealismus als die eigentliche Lösung der genannten Dialektik. Der darauffolgende Teil des Werkes, die jetzige Ästhetik und Analytik der KrV, hätte dann (d. h. nach der Behandlung der speziellen Metaphysik) diese neue Grundlage ausarbeiten, d. h. die "Ontologie" durch eine "Analytik des reinen Verstandes" ersetzen sollen (KrV A 247). Von der kritischen Unterscheidung zwischen Erscheinung (dem Bereich unserer objektiv gültigen Erkenntnis) und Ding an sich, in der die transzendentale Analytik gipfelt, hätte das Werk wieder an die drei Disziplinen der speziellen Metaphysik herangehen müssen, um anhand dieser Unterscheidung die eigentliche Lösung der Dialektik der reinen Vernunft zu liefern. Eine solche Lösung, die wirklich die Konsequenz aus dem in der Analytik entwickelten Kritizismus gewesen wäre, hätte sich viel einfacher und radikaler erwiesen als das, was die transzendentale Dialektik in ihrer tatsächlichen Gestalt ausführt: Schlüsse und Endbegriffe der reinen Vernunft sind deshalb problematisch, weil sie Wirklichkeiten betreffen, die außerhalb dessen liegen, was für uns "das Land der Wahrheit" ist (KrV A 235). Andererseits aber ist es gerade diese kritizistische Grenzbestimmung, die mit ihrer Lehre von den Dingen an sich auf einen offenen "Platz" hinweist, in der der praktisch-moralische Gebrauch der Vernunft dieselben Wirklichkeiten realisieren kann (KrV, B XXVI ff).

Dritter Teil Die Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der Kritik der reinen Vernunft

XV. Kapitel Das Theologie-Hauptstück in der transzendentalen Dialektik 1. Zum Ursprung der Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft in der KrV Das letzte der drei Hauptstücke, in denen Kant in der KrV seine Kritik an den herkömmlichen drei Disziplinen der metaphysica specialis ausführt, ist der Rationaltheologie gewidmet. Der Gesamtrahmen, in dem diese Kritik angesiedelt ist, ist die transzendentale Dialektik. In ihr arbeitet Kant seine Lehre von der Vernunft aus, nachdem er in der transzendentalen Ästhetik und Analytik Sinnlichkeit und Verstand in ihren Punktionen beim Zustandekommen der menschlichen Erkenntnis untersucht hat. Während nun Ästhetik und Analytik die pars construens der Kantischen Erkenntnistheorie bilden - eine Theorie, die freilich auf eine Kritik am transzendentalen Realismus (A 369) hinausläuft ' -, stellt die transzendentale Dialektik die pars destruens dar. Sie soll den "transzendentalen Schein" (A 293), d. h. jene "natürliche und unvermeidliche Illusion" auflösen, die "der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängt" ( A 298). Es ist die Illusion, die sich aus dem "transzendentalen Gebrauch" * der Vernunft ergibt. Die Idee des Unbedingten hat eine regulative, aber keine konstitutive Funktion, d. h. sie ist ein systematisierender Faktor für unsere objektiv gültige Erkenntnis (die Erkenntnis aus sinnlicher Anschauung und Verstandesbegriff), aber 1 Kant bringt selbstbewußt die hohe Einschätzung seiner eigenen Leistung mit den Worten Bacons im Motto zur Sprache, das er der zweiten Auflage der KrV hinzugefugt hat: Seine Kritik sei nicht anderes als "infiniti erroris finis et terminus legitimus". * Kant verwendet in der KrV durchgehend die Redewendung "transzendentaler Gebrauch" im Sinne eines Gebrauchs "über die Erfahrungsgrenze hinaus" (A 296). Dieser feste Ausdruck ist einer der vielen Fälle, in denen Kant transzendental im Sinne von transzendent nimmt. Im Anhang der Prolegomena hat Kant, eher beiläufig, die Grundbedeutung des Terminus transzendental festgelegt und damit auch die Stelle A 296 korrigiert in die folgerichtige Redewendung "transzendenter Gebrauch" (A 204 = IV 373 f) der in der Tat "einzigen theoretischen Vernunftidee" (R 6414), nämlich der Idee des Unbedingten.

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Die Kritik der reinen Vernunft

kein Faktor, der uns einen Gegenstand in seinem Ansichsein erkennen ließe - weder das Ding an sich der Erfahrungsgegenstände (die unserer Erfahrung nur in ihrem Status von Erscheinungen zugänglich sind) und noch weniger das Ding an sich eines absolut transzendenten Gegenstandes, wie Gott es per definitionem ist. Mit den Worten der Einleitung in die transzendentale Dialektik: Der transzendentale Schein entsteht deshalb, weil "die subjektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zugunsten des Verstandes, für eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird" (A 297). Die folgenden drei Hauptstücke im zweiten Buch der Dialektik sollen dieses "Blendwerk" der Vernunft "aufdecken" (A 298). Dies geschieht in der Tat, aber mit einer wesentlichen Einschränkung. Wie ich in der letzten Sektion des vorigen Kapitels dargelegt habe, ist die vorliegende Kritik an der speziellen Metaphysik in ihren drei Teilen zeitlich und inhaltlich zu einem guten Teil vorkritizistischen Ursprungs. Die damit sich ergebende Unabhängigkeit vom transzendentalen Idealismus gilt, wie ebenfalls schon erwähnt, in verschiedenem Maße für die einzelnen drei Hauptstücke; am meisten trifft sie für das Theologie-Hauptstück zu. Dies bedeutet, daß das jetzt zu untersuchende Hauptstück zwar eine "Illusion" in den verschiedenen Gottesbeweisen aufdecken wird, aber nicht auf der Basis der in der Ästhetik und Analytik statuierten objektkonstituierenden Funktion der reinen Formen der Sinnlichkeit und der reinen Verstandesbegriffe; also nicht auf der Basis der kritizistischen (lies: sensualistischen. Vgl. A 19) Grenzbestimmung, sondern aus anderen Gründen. Es sind die Gründe gegen die Geltung der Rationaltheologie, die wir schon in unserer Untersuchung der vorkritischen Schriften aufgedeckt haben. Jetzt gilt es, die gleiche "vorkritizistische" Kritik nochmals durchzugehen, die Kant schon lange vor der Veröffentlichung der KrV ausgearbeitet hatte in seiner Auseinandersetzung mit der Tradition, als er prinzipiell die realistische Voraussetzung derselben Tradition teilte. Dies will nicht sagen, daß Kant bei der Abfassung seines Hauptwerkes im Zeitraum von vier bis fünf Monaten, wie er 1783 in Briefen an Garve und Mendelssohn mitteilte, seine frühere, schon feststehende Gottesbeweiskritik hie und da nicht überarbeitet bzw. daß er nicht versucht hat, sie durch Einschübe auf seinen neuesten

Das Theologie-Hauptstück

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Standpunkt der Transzendentalphilosophie zu bringen. Diese "kritizistischen" Stellen lassen sich verhältnismäßig leicht ermitteln und von der sonst nicht kritizistischen Kritik an den metaphysischen Gottesbeweisen scheiden. Auch schon die "Schlußanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft" (A 565-567) versucht, das folgende dritte Hauptstück unter kritizistische Vorzeichen zu stellen, indem sie das jetzt zu behandelnde "schlechterdings notwendige Wesen" mit den Erscheinungen in der Welt unserer Erfahrung kontrastiert, um die es bisher ging. Der nun folgende dritte Teil meiner Studie wird die Form eines durchgehenden Kommentars zum Text des Hauptstückes über "das Ideal der reinen Vernunft" (A 567-642) annehmen. Auch hier soll der Hauptzweck die Anleitung zum Verständnis des Textes Kants sein. Rekonstruktion des historischen Hintergrundes, textnahe Erläuterungen der Ausführungen Kants und systematische Überlegungen zielen alle auf diesen Zweck ab. Ausführlichkeit und Art des Kommentars werden sich der Eigenart des jeweiligen Textes anpassen. Vieles, was für das Verständnis des Textes unentbehrlich ist, das aber schon zur Erläuterung der Frühschriften gesagt wurde, soll hier, wenn nötig, nur kurz in Erinnerung gebracht werden.

2. Gliederung des Hauptstücks Das Hauptstück läßt sich in drei Teile aufgliedern: 1) Die Abschnitte I-II handeln vom transzendentalen Ideal der reinen Vernunft. Wir haben hier eine Darlegung der Gottesidee als apriorischer Idee, die sich nicht an die Ausführungen des ersten Buches der Dialektik anschließt. Dort hatte Kant die drei transzendentalen Ideen anhand des logischen Vernunftgebrauchs "entdeckt". Die Vernunft ist, vom Standpunkt der formalen Logik, das Vermögen des Schließens. Kant verwendet nun dieses formallogische Verfahren, um einen "reinen Gebrauch der Vernunft", und damit ein transzendentallogisches Prinzip der Vernunft aufzufinden. Dieses Prinzip ist, daß zu jeglichem gegebenen Bedingten "die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben ist" (A 307 f). Welches nun dieses Unbedingte sei, wird anhand der drei Syllogismen - die den drei Urteilen unter dem Titel der Relation (A

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Die Kritik der reinen Vernunft

70) entsprechen -, nämlich des kategorischen, des hypothetischen und des disjunktiven Syllogismus, abgeleitet. Auf diesem Weg kommt Kant zu den transzendentalen Ideen der reinen Vernunft: Ich, Welt und Gott. Nach dierer höchst künstlichen Ableitung der Vernunftideen entspricht die Gottesidee dem disjunktiven Syllogismus. Sie ist die Idee des Unbedingten "der disjunktiven Synthesis der Teile in einem System" (A 323); oder nach einer anderen Deduktion "die absolute Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt" (A 334). Die Gottesidee in den Abschnitten I und II des TheologieHauptstücks hat dagegen einen anderen Ursprung: Sie wird nicht auf dem Weg des transzendentalen Gebrauchs der Vernunft gewonnen, der seinerseits nach dem Modell des logischen Gebrauchs aufgefaßt wird. Ihr Ursprung ist vielmehr der metaphysische Kontext einer Fundierung des Möglichen in einem schlechterdings notwendigen Wesen, wie Kant sie in seinem EmBg entwickelt hat, und zwar nachdem diese Idee Gottes durch die darauffolgende Kritik an der rationalistischen Metaphysik hindurchgegangen war. Das notwendig Existierende, das im EmBg als die höchste Realität galt (A 34 = II 85), wurde bereits im § 9 der Inauguraldissertation zur apriorischen Idee eines "maximum perfectionis", das uns die Erkenntnis der "minores gradus" perfectionis, d. h. der Weltdinge, ermöglicht. Mit dem transzendentalen Ideal zu Beginn des Theologie-Hauptstücks nimmt Kant die kritische Rezension seines ehemaligen ontotheologischen Beweises wieder auf. 2) Die Abschnitte III-VI unterziehen die drei herkömmlichen Beweise der rationalen Theologie einer Kritik und lehnen sie als unschlüssig ab. Formal gesehen, d. h. wenn wir die Struktur der Kantischen Widerlegungen betrachten, liegt der springende Punkt der Kritik im ontologischen Gottesbeweis. Denn nach Kants Rekonstruktion des kosmologischen und physikotheologischen Beweises schließen diese beiden Denkwege auf die Existenz eines Urhebers der Welt nur deshalb, weil sie auf das ontologische Argument rekurrieren. Die Widerlegung des letzteren bringt deshalb zugleich den Beweis, daß die zwei anderen Argumente keinen rational gültigen Weg zu Gott darstellen. In der Tat aber liegt das Schwergewicht der ganzen Auseinandersetzung mit der Rationaltheologie in der Problematik des ens necessarium. "Die unbedingte Notwendigkeit ... ist der wahre Ab-

Das Theologie-Hauptstück

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grund für die menschliche Vernunft" (A 613) schreibt Kant, nachdem er den kosmologischen Grottesbeweis widerlegt hat. Unsere Vernunft braucht, angesichts der kontingent Seienden in unserer Welterkenntnis, eine schlechthin notwendige Existenz. Während aber Kant im EmBg noch meinte, dieses notwendig Existierende in seinen realen Eigenschaften als Gott erweisen zu können, ist ihm jetzt das absolut Realnotwendige uneinsichtig und damit als Gott (und infolgedessen als von allen anderen Dingen, den Geschöpfen, unterschieden) unerkennbar geworden. Kein Wunder deshalb, daß Kant in diesem zentralen Teil des Theologie-Hauptstücks dreimal den Gottesbeweis behandelt, der von den kontingent Seienden auf das absolut Seiende schließt: im III. Abschnitt, in den ersten sechs Absätzen des IV. Abschnittes und im V. Abschnitt. Diese Interpretation wird auch durch die Überschrift des Anhangs zum Abschnitt V bestätigt, die, sich auf den ontologischen und den kosmologischen Beweis (und damit auch auf den Kontingenzbeweis) beziehend, von "allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens" spricht (A 614). 3) Der letzte Teil umfaßt den VII. Abschnitt. Dieser enthält abschließende und zusammenfassende Überlegungen; insbesondere aber zwei weitere Widerlegungen der Rationaltheologie, die eindeutig auf dem transzendentalen Idealismus beruhen. Der Abschnitt gehört deshalb zum großen Teil zu den Partien, die Kant niedergeschrieben hat, nachdem er die Position des Kritizismus erreicht hatte. Der darauffolgende Anhang "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft" ist, wie die Überschrift Kants selbst besagt, ein "Anhang zur transzendentalen Dialektik" insgesamt und nicht zum VII. Abschnitt des Theologie-Hauptstückes, wie die Überschrift an den einzelnen Seiten der Originalausgabe nahelegt. Er liefert die pars construens der transzendentalen Dialektik, nämlich den sog. regulativen Gebrauch aller drei transzendentalen Ideen. Als solcher gehört der Anhang der Problematik einer Überprüfung und Kritik der Rationaltheologie nicht an.

3. Zur Sekundärliteratur Außer der in der Einleitung dieses Buches schon angegebenen allgemeinen Literatur zur Gottesfrage bei Kant und der speziellen Litera-

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Die Kritik der reinen Vernunft

tur, die ich bei der Behandlung der Gottesbeweise bzw. der Gottesbeweiskritik Kants bereits angeführt habe, werde ich hier weitere bibliographische Angaben liefern zu den jeweils untersuchten Gottesbeweisen und zu den einzelnen Begriffen. Im auffallenden Gegensatz zu der umfangreichen soeben genannten speziellen Sekundärliteratur stehen die äußerst wenigen Arbeiten zur transzendentalen Dialektik der KrV insgesamt, die das Ziel einer durchgehenden Erläuterung des Textes verfolgen. Die Geschichte der Rezeption Kants erklärt zur Genüge, wieso der transzendentalen Dialektik (d. h. mehr als der Hälfte der KrV) das Schicksal des Aschenbrödels beschieden wurde. Denn diese Rezeption ging bald, noch zu Kants Lebzeiten, mit dem Deutschen Idealismus über die HalbwegPosition Kants hinaus, indem sie den Kern der Transzendentalphilosophie, nämlich die objektkonstituierende Funktion des transzendentalen Subjekts (Ästhetik und Analytik der KrV) konsequent entfaltete. Schon aus diesem Grund hatte der Deutsche Idealismus kein besonderes Interesse am Dialektik-Teil, der vor der Kopernikanischen Wende entstanden war und nur zum Teil der neuen Grundlehre Kants Rechnung trug. Nicht viel günstiger für eine intensive Beschäftigung mit der transzendentalen Dialektik war der Neukantianismus der zweiten Hälfte des vorigen und der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts, vor allem seine Hauptströmung, die Marburger Schule. Ihr wissenschaftstheoretisches Interesse galt der Ästhetik und der Analytik der KrV im Hinblick auf eine Begründung von Mathematik und Naturwissenschaft. Die Probleme der speziellen Metaphysik, mit denen Kant jahrelang gerungen hatte und aus denen die Transzendentalphilosophie hervorgegangen war, waren für den Neukantianismus wegen seiner streng transzendentalen Perspektive und seiner wissenschaftstheoretischen Zielsetzung keine Probleme mehr. Erst in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts ist die metaphysische Kantinterpretation aus diesem Engpaß herausgebrochen, indem sie die KrV auf dem sie tragenden Hintergrund der metaphysischen Tradition der Schulphilosophie untersuchte. Dem führenden Kopf dieser neuen Interpretation Heinz Heimsoeth verdanken wir die erste

Das Theologie-Hauptstück

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gebührende Behandlung der transzendentalen Dialektik 3. Diesem erstklassigen Kommentar bin ich in meiner Untersuchung der Gottesbeweiskritik in der KrV weitgehend verpflichtet. Der einschlägige Teil erstreckt sich von S. 409 bis S. 545. Zugleich aber, wie ich in der Einleitung, Nr. 5, bereits dargelegt habe, verwende ich oft die zuverlässigen Informationen und die Erläuterungen Heimsoeths unter einer von der seinen verschiedenen Perspektive. Denn ich sehe ein unheilbares Spannungsverhältnis zwischen der in der transzendentalen Dialektik wieder aufgenommenen vorkritizistischen Kritik an der Rationaltheologie und den gelegentlichen Überarbeitungen und Einschüben, mit denen Kant viel später versucht hat, seine frühere Kritik der Gottesbeweise auf den Standpunkt des Transzendentalidealismus zu bringen. Zu erwähnen ist auch der Kommentar zur KrV, den Norman Kemp Smith 1918 veröffentlicht hat 4 . Der Vf wendet die entwicklungsgeschichtliche Methode Vaihingers an - ohne allerdings dessen philologische und bibliographische Kenntnisse zu besitzen. Kemp Smiths Erläuterungen zum Theologie-Hauptstück sind sehr knapp geraten (S. 522-542) und tragen dem Umstand nicht genügend Rechnung, daß Kants Kritik an den Gottesbeweisen vorkritizistischen Ursprungs und Charakters ist. Im Rahmen der entwicklungsgeschichtlichen Interpretation ist auch die Ausgabe der KrV zu nennen, die Erich Adickes 1889 besorgt hat. Eine Faksimile-Auflage wurde 1983 von der "University Microfilms International" der Ann Arbor Universität, Michigan, veranstaltet. Neben einigen umfassenden Fußnoten hat Adickes den Text durchgehend mit stichwortartigen Randbemerkungen versehen, mit denen er die verschiedenen Stücke der einzelnen Abschnitte und die verschiedenen Schritte der Beweisführungen herausstellt. Auch wenn der damals 23 Jahre alte Adickes noch nicht die außerordentlich ausgedehnten Kenntnisse der Schriften Kants besaß, die er sich später in seiner mustergültigen Edition des handschriftlichen Nachlasses erworben hat, kann diese Ausgabe gute Dienste dem Leser leisten,

1

Heinz HEMSOETH, Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants KrV, Berlin 1966-1971. 4 Norman KEMP Surra, A Commentary to Kanfs "Critique of Pure Reason", London 1918, Second Edition, Revised and Enlarged, 1923.

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Die Kritik der reinen Vernunft

der sich über den kompositorischen Aufbau der KrV als Voraussetzung für eine objektive Interpretation orientieren will. Unter den angelsächsischen analytischen Kantinterpretationen der Gegenwart verweise ich auf den Dialektik-Kommentar von Jonathan Bennett, Kant's Dialectic, Cambridge 1974, der sich an den AnalytikKommentar desselben Autors anschließt. Das Theologie-Hauptstück wird auf S. 228-257 behandelt. Da ich in den ersten zwei Teilen die Gotteslehre Kants während seiner vorkritischen Periode im engen Anschluß an die Untersuchungen Josef Schmuckers dargelegt habe, versteht sich von selbst, daß ich auch im dritten Teil demselben Autor sehr viel verdanke. Ich verweise außerdem auf seine kurze, aber aufschlußreiche Erläuterung zu den Abschnitten III bis V des Theologie-Hauptstücks der KrV '. Auch hier trennt sich meine sachliche Beurteilung der Resultate, zu denen die Analyse des Hauptstücks unter der entwicklungsgeschichtlichen Perspektive führt, in wesentlichen Punkten von der Bewertung Schmuckers.

' Josef SCHMUCKES, Das Problem der Kontingenz der Welt. Versuch einer positiven Aufarbeitung der Kritik Kants am kosmologischen Argument, Freiburg 1969, 34-71.

XVI. Kapitel Von dem Ideal überhaupt Literatur. Zu "Ideal" Axelos, Christos, "Ideal", im Hist. Wb der Phil. 4, 25-27. Schlesinger, Abraham, Der Begriff des Ideals: eine historisch-psychologische Analyse, Leipzig 1908. Zu Kant: 27-32. Picht, Georg, Wahrheit, Vernunft, Verantwortung. Philosophische Studien, Stuttgart 1969. Der Abschnitt: "Das Wesen des Ideals", 203-228.

Zu "transzendentales Ideal" Düsing, Klaus, "Transz. Ideal", im Hist. Wb der Phil 4, 27 f. Kellermann, Benzion, Das Ideal im System der Kantischen Philosophie, Berlin 1920. Maier, Anneliese, Kants Qualitätskategorien (KS EH 65), Berlin 1930, 3843. Mylius, Irmgard, Das transzendentale Ideal in der transzendentalen Frage Kants, dargestellt im Ausgang von der Wolffschen Metaphysik, Freiburg 1941. Cramer, Wolfgang, Gottesbeweise und ihre Kritik. Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt 1967. Über Kants Begriff vom transzendentalen Ideal, 143154. Dazu kritisch J. Schmucker in "W. Cramers Widerlegung der Gottesbeweiskritik Kants", in: Archiv f. Geschichte d. Philosophie 52 (1970) 287-301. Walsh, W. H., Kant's Criticism of Metaphysics, Edinburgh 1975. § 37: "Speculative Theology and the Transcendental Ideal" (214-219). Andersen, Svend, Ideal und Singularität. Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie (KS EH 116), Berlin 1983. Kap. V: Das transzendentale Ideal, 185-254. Der Vf gibt eine Erläuterung des II. Abschnittes des Theologie-Hauptstückes. Picha, Claude, Das Ideal. Ein Problem der Kantischen Ideenlehre, Bonn 1984 (Kap. I: Das transzendentale Ideal, 13-119). Frankenberger, Horst, Kant und die Frage nach der göttlichen Allgenugsamkeit. Zur transzendentalen Wende in der philosophischen Gotteslehre, Frankfurt 1984 (Kap. II: Die Idee des ens realissimum als ein unabweisliches Probem für die Erkenntnis in der KrV, 133-189).

Die Wortbildung "Ideal" als Substantiv ist eine neuzeitliche Ableitung vom Platonischen Terminus "idea". Nach Lessings Auskunft

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Die Kritik der reinen Vernunft

(Collectanea, Berlin 1771-1794, Nr. 244, in: Sämtliche Schriften, Bd. 15, 288) war es der Jesuit Francesco de Lana, der im Rahmen einer Abhandlung über Ästhetik ("Prodromo", Brescia 1670) den Terminus prägte. Durch die Ästhetik und Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts (Winckelmann) hat der Terminus zunächst in diesem Bereich einen festen Platz gewonnen; später ist er durch Kant, Schiller und Hegel auch in die philosophische Fachsprache eingegangen.

Gliederung Der erste Absatz faßt die Erkenntniskritik der transzendentalen Ästhetik und Analytik zusammen und ist deshalb späteren Ursprungs. Die folgenden Absätze erläutern in Absetzung von den Ideen, was unter Ideal zu verstehen ist. Der letzte Absatz schafft den Übergang zum II. Abschnitt.

Wie schon in den zwei letzten Kapiteln angedeutet, ist Kants Lehre vom Ideal, näherhin vom transzendentalen Ideal, nicht als eine Präzisierung der Gottesidee zu verstehen, die er im 1. Buch der Dialektik anhand des disjunktiven Syllogismus abgeleitet hat. Das transzendentale Ideal der reinen Vernunft ist vielmehr in seinem begrifflichen Inhalt und in seinem ontologischen Status eine Umwandlung und zugleich eine Kritik der Ontotheologie von 1762. Daß das Kapitel über das transzendentale Ideal eine Umwandlung des ehemaligen EmBg darstellt, ist leicht ersichtlich und daher auch allgemein anerkannt. Die weitere Frage ist aber die, ob diese umgewandelte Form vom transzendentalen Idealismus der KrV abhängt oder aber einen anderen Ursprung hat. Die herkömmliche Auffassung antwortet im Sinne der ersteren Interpretation. Im Kap. XTV habe ich mit Schmucker die These aufgestellt, daß Kants Lehre vom Wesen der Metaphysik nach 1762, die zur Kritik und Umwandlung der Ontotheologie führte, nicht die der KrV eigene Lehre vom transzendentalen Idealismus ist. Es gibt bei Kant eine vorkritizistische Kritik der reinen Vernunfterkenntnisse, die zur Anerkennung der bloß subjektiven Gültigkeit der conceptus terminatores unserer reinen Vernunftschlüsse gefuhrt hat. Genau diese Kritik wird in der transzendentalen Dialektik, insbesondere im Theologie-Hauptstück übernommen.

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Abs. 1. Kant eröffnet seine Kritik der Rationaltheologie mit einer Zusammenfassung des transzendentalen Idealismus, wie er ihn in der Ästhetik und Analytik ausgearbeitet hat. Aber, wie schon gesagt, spielt diese Erkenntnis- und Seinslehre keine Rolle in der folgenden Grottesbeweiskritik - ausgenommen an den später interpolierten kritizistischen Stellen. Der Beitrag der einzelnen Momente zur Entstehung der Erkenntnis ist wie folgt: (2) Die reinen Verstandesbegriffe sind bloße Formen des Denkens, die nur durch Anwendung auf (1) sinnliche Anschauungen zu Erkenntnissen der (Erscheinungs-)Wirklichkeit werden, während (3) die Ideen mangels eines korrespondierenden Gegenstandes in der Anschauung keine konstitutive Funktion beim Zustandekommen unserer objektiv gültigen Erkenntnis ausüben. Es ist genau dieselbe Erkenntnistheorie, wie sie programmatisch im ersten Abs. der transz. Ästhetik formuliert worden ist (A 19): (1) Das Wesen der Erkenntnis besteht im Anschauen (Prinzip Anschauung), insofern nur eine anschauungsmäßige Handlung (d. h. eine Handlung, die das tut, was für uns modellhaft im "Sehen" stattfindet) imstande ist, einen vom Subjekt verschiedenen Gegenstand zu vermitteln; nur eine Art von Sehen vermag die Brücke vom Subjekt zum Objekt zu schlagen. Nun aber ist das Anschauungsvermögen, mit dem wir ausgestattet sind, nur sinnlich und als solches vermittelt es nur die Wirklichkeit, wie sie unseren Sinnen erscheint - also nur die Erscheinungswirklichkeit. Damit ist bereits der Phänomenalismus als Systembegriff der Kantischen Erkenntnis- und Seinslehre eingeführt. (2) Das Denken, d. h. das begriffliche Moment, ist zwar konstitutiv für unsere Erkenntnis, weil die menschliche Erkenntnis eine intellektuelle Bearbeitung bzw. Interpretation des "Stoffes" der Sinnlichkeit besagt, kann aber von sich aus keinen neuen, nicht schon durch die sinnliche Anschauung erreichten Realinhalt vermitteln aus dem einfachen Grund, weil es keine anschauungsmäßige Handlung ist. M. a. W. das Denken hat einen nicht-kognitiven Charakter. Der Grundtext, wo diese zweigliedrige Struktur der Erkenntnis ausgearbeitet wird, sind die ersten zwei Absätze der transzendentalen Logik (A 50-52). (3) Die Folge dieser Auffassung von der Erkenntnis als einer Struktur aus Anschauung und Begriff (wobei der Begriff von sich aus

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Die Kritik der reinen Vernunft

nicht kognitiv ist) ist, daß die Vernunft erst dann ihre eigene Funktion ausüben kann, wenn die uns allein mögliche Erkenntnis der Erscheinungswirklichkeit schon stattgefunden hat. Da sie weder das Unbedingte des welthaften Dinges an sich noch, a fortiori, das Unbedingte des absolut transzendenten Seienden erreichen kann, fungiert sie als Suche nach einer umfassenden und systematischen Einheit unserer Verstandeserkenntnisse. Dieser regulative Gebrauch der Vernunft ist das Thema des Anhangs zur transzendentalen Dialektik. Aus der Rolle, die Kant Sinn, Verstand und Vernunft zuerkennt, ergibt sich auch, wie er die Beziehung von Anschauung, Begriff und Ideen zum Gegenstand auffaßt. Die Anschauung hat eine unmittelbare Beziehung zum Gegenstand (A 19); der Begriff (und mit ihm, für Kant, das Urteil) hat eine mittelbare Beziehung zum Gegenstand (A 68); die Idee hat eine doppelt vermittelte Beziehung zum Gegenstand (unsere Stelle und A 302, 643). Folgendes Schema verdeutlicht die verschiedene Funktion von Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft beim Zustandekommen der Erkenntnis, sowie die entsprechende Beziehung von Anschauung, Begriff und Idee zum Gegenstand.

Gegenstand (Erscheinung) Subjekt

Ding an sich Konsekutiver Gebrauch der Ideen

Die Frage, die m. E. über die Richtigkeit der Kantischen Erkenntnis- und Seinslehre entscheidet, ist, ob die Anschauung die transzendentale Bedingung unserer Erkenntnis der Wirklichkeit darstellt, oder aber unsere Intentionalität diese Bedingung ausmacht, d. h. also die bewußte, unbegrenzte Dynamik unseres Geistes, die Fragen stellt und intelligente und begründete Antworten gibt. Das sinnliche Moment (die Erfahrung) ist zwar unentbehrlich zur Erkenntnis der Wirklichkeit - denn ohne Daten der Erfahrung können wir keine Fragen stellen und keine Antwort geben -, es ist ab^r nicht selber

Vom Ideal überhaupt

233

Kriterium der Wahrheit und damit der Wirklichkeit. Dieses Kriterium ist vielmehr das rationale Urteil, das den Erkenntnisprozeß aus Erfahrung, Einsicht und Urteil zu Ende fuhrt, und in dem allererst die Wirklichkeit erkannt wird *. Abs. 2 definiert das Ideal als "die Idee, nicht bloß in concrete, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding". Bei der Ersteinfuhrung des Terminus (A 339 f) hat Kant, parallel zu "Paralogismen" und "Antinomie", mit "Ideal der reinen Vernunft" als Überschrift des TheologieHauptstücks den "dialektischen Vernunftschluß" verstanden, der der Rationaltheologie zugrundeliegt. Dieser Charakter der dritten transzendentalen Idee wird jetzt nicht mehr erwähnt. Auszeichnendes des Ideals ist vielmehr ein Doppeltes: a) Es hat ein Einzelnes zum Inhalt, ein Seiendes in individuo, welches bei den Ideen Seele und Welt nicht notwendig der Fall ist. Damit legt Kant die Idee des Urgrundes aller Dinge im Sinne der monotheistisch-christlichen Tradition fest. b) Es ist durch sich selbst, d. h. durch das, was es bezeichnet, bis zu einem Individuum bestimmt. Es ist ja die Idee der omnitudo realitatis, wie Kant das notwendig Existierende im EmBg von seinem Ansatz her - den limitierten Möglichkeiten - erwiesen hat (A 34-38 = II 85-87). Dies gilt nur für diese Idee, während alle anderen Begriffe, wie z. B. der Begriff Mensch, etwas besagen, das vielen Individuen zukommen kann (Universalbegriffe!). Gerade diese Eigenschaft des Ideals bildet den Kern der Ausführungen im II. Abschnitt: Jedes Ding, das als Individuum durchgängig bestimmt ist (aber nicht schon kraft seines allgemeinen Begriffs!), ist nur in bezug auf das Ideal als "Inbegriff aller Möglichkeit" (A 573) oder als "Allbesitz der Realität" (A 576) bestimmbar. Mit diesem Begriff Gottes schließt sich Kant an Baumgarten an, der als erster das ens perfectissimum der Tradition (Descartes,

1 Zur Erkenntnislehre Kants und zur zuletzt angedeuteten Alternative im Sinne der Aristotelisch-thomistischen Tradition vgl. Bernard LONERGAN, Erkenntnisstruktur, in: Theologie im Pluralismus heutiger Kulturen, Freiburg 1975, 88-108. Giovanni B. SALA, Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistische Version des Intuitionismus, in: Theologie und Philosophie 57 (1982) 202-224, 321-347. Ders. Intentionalitat contra Intuition, Ebd. 59 (1984) 249-264.

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Die Kritik der reinen Vernunft

Leibniz, Wolff) mit der omnitudo realitatum in Zusammenhang gebracht hatte (Metaphysica § 803-807). Da nun die omnitudo realitatum die omnimoda determinatio (durchgängige Bestimmung) miteinschließt, und da letztere für Baumgarten nicht nur Individuationskriterium, sondern auch Existenzkriterium ist (Metaphysica § 54 f), deshalb fuhrt Baumgarten über den Begriff der omnimoda determinatio als Existenzkriterium eine eigene Variante des ontologischen Gottesbeweises durch (§ 818). Auch für Kant gilt Gott als omnitudo realitatis; aber er kommt zu diesem Gottesbegriff nicht auf dem ontologischen Weg der Vollkommenheiten, sondern auf dem Weg der durchgängigen Bestimmung, die jedem existierenden Einzelding angehört, also auf dem Weg der Erkenntnisfunktion der Gottesidee ". Während die hier angedeutete Thematik im II. Abschnitt ausgeführt wird, erläutert Kant im folgenden den Terminus Ideal durch Heranziehung seines philosophischen und auch allgemeinen Sprachgebrauchs. Als Beispiel eines Ideals bringt Abs. 3 "unsere Idee der vollkommenen Menschheit", die bis zur platonischen Idee im göttlichen Verstand gesteigert wird. Schon im 1. Buch der Dialektik (A 312-320) hat Kant an die Ideenlehre Platos angeknüpft. Die in diesem Abs. dazwischen eingeschobene Vorwegnahme des Themas des II. Abschnittes ("durchgängige Bestimmung") wirkt hier eher störend. Abs. 4. Auch ohne auf Plato zu rekurrieren erhellt, daß die menschliche Vernunft Ideale enthält, nämlich moralisch-praktische Vorstellungen, die zum "Richtmaß unserer Handlungen" dienen, etwa Tugend und Weisheit. Idee und Ideal werden hier als Synonym genommen. Der an dieser Stelle erwähnte Weise der stoischen Tradition, den Kant als "göttlichen Menschen in uns" bezeichnet, fungiert in der Religionsschrift als Schlüssel für die aufklärerisch-moralische Umdeutung der Christologie: Der historische Jesus wird dort zum "Ideal der moralischen Vollkommenheit, d. h. zum Urbild der sittlichen Gesinnung in ihrer ganzen Lauterkeit", das in uns wohnt

1

Vgl. Svend ANDEBSEN, Ideal und Singularität, 75, 214 Anm. 28. Allerdings ist die Erkenntnisfunktion der Gottesidee das Resultat der Umbildung und Kritik an dem früheren ontologischen Weg, den Kant im EmBg beschritten hatte.

Vom Ideal überhaupt

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(Menschwerdung Gottes!): Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 73 ff = VI 60 ff. Abs. 5. Außer Vernunftidealen gibt es auch Idealbildungen im Bereich der künstlerischen Phantasie, die aber kein begrifflich fixierbares Richtmaß liefern. Es sind Ideale der Sinnlichkeit: Nicht erreichbare Muster möglicher empirischer Anschauungen, die als solche keine eigentlichen Regeln hergeben. Ideengeschichtlich stehen diese Andeutungen im Jahrhundert Winckelmanns, also im Kontext der damaligen rationalistisch-klassizistischen Ästhetik. Im § 17 seiner Kritik der ästhetischen Urteilskraft entwickelt Kant unter dem Titel "Vom Ideal der Schönheit" eine Theorie der Geschmacksnorm: Das Ideal des Schönen (im Unterschied zur Normalidee des Schönen) kann allein an der menschlichen Gestalt erwartet werden, und zwar im Ausdruck des Sittlichen. Abs. 6 schafft den Übergang von der vorigen, allgemein gehaltenen Erklärung des Begriffs Ideal zum nächsten Abschnitt, in dem Kant sein früheres ontotheologisches Argument, umgestaltet in die Lehre vom bloß subjektiv gültigen Vernunftideal, darlegt. Die Absicht der Vernunft mit ihrem Ideal ist die durchgängige Bestimmung aller Dinge, die wir erkennen können, nach Regeln a priori. Diese Regel ist die Gottesidee selbst als das All der Realität. Die omnitudo realitatis ist zugleich das omnimode determinatum, in bezug auf welches alle uns erkennbaren Dinge im Prinzip durchgängig bestimmt werden können - also bis zu ihrer Individualität. In diesem Sinne ist vermutlich die Überschrift des II. Abschnittes zu verstehen: Das Ideal der spekulativen Vernunft ist ein "transzendentales Ideal", insofern es "vor aller Erfahrung (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen" gemäß der Hauptbedeutung von transzendental, so wie Kant sie mit der Definition im Anhang der Prolegomena festgelegt hat (A 204a = IV 373). Erfahrungserkenntnis ist ja Erkenntnis des Einzelnen, und das transzendentale Ideal macht den Begriff eines durchgängigen Bestimmten (= eines singulare) möglich. Abgesehen von dieser Punktion in unserer Erkenntnis ist aber das genannte Ideal in sich selbst transzendent, d. h. der Begriff einer die Erfahrung überschreitenden Wirklichkeit.

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Die Kritik der reinen Vernunft

Dieser letzte Absatz gehört aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Stellen, die Kant erst später niedergeschrieben hat, als es ihm darum ging, seine schon aufgestapelten Schriften in die KrV zu übernehmen und womöglich seiner transzendentalen Wende anzupassen.

XVII. Kapitel Von dem transzendentalen Ideal Der II. Abschnitt verfolgt das Ziel, den Begriff Gottes zu bestimmen. Dieser Begriff, der nicht bloß eine Idee der Vernunft, sondern ein Ideal im oben erläuterten Sinn ist, wird als transzendental bezeichnet. Was genau transzendental hier bedeutet, läßt sich nicht mit voller Sicherheit ermitteln. Wie oft in der transzendentalen Dialektik, wo Kant sich mit der speziellen Metaphysik auseinandersetzt, scheint der Terminus den alten Sinn von "ontologisch" zu haben (die Transzendentalien sind die Eigenschaften des Seins) - vgl. weiter unten den Abs. 14 sowie auch den letzten Abs. des VII. Abschnittes: dieses fehlerfreie Ideal besteht aus lauter "transzendentalen" Prädikaten. Zugleich aber dürfte auch der Kantische Sinn von Vorstellung a priori, die Bedingung der Möglichkeit unserer Erkenntnis der Dinge ist, mitgemeint sein, wie ich am Ende des vorigen Kapitels erläutert habe. Um diesen zweiten Sinn kreisen ja die Ausführungen, mit denen Kant bis zum Abs. 15 den Gottesbegriff deduziert. Mit der Bestimmung des Begriffes verknüpft sich eine Kritik an dessen Wirklichkeitsstatus dahingehend, daß die Gründe, die zur Anerkennung dieses Ideals der reinen Vernunft fuhren, von sich aus nichts mehr als eine Vorstellung in uns fordern, wie es im Abs. 10 heißt. Diese Ableitung und Kritik des transzendentalen Ideals geschieht im wesentlichen in der Form, die das on to theologische Argument in der zweiten Hälfte der 60er Jahre angenommen hatte *. Erst nachdem Kant den Gottesbegriff als transzendentales Ideal der theoretischen Vernunft entwickelt hat, geht er in den Abschnitten III bis VI allen Wegen nach, die die Vernunft eingeschlagen hat, um die Realgültigkeit des Ideals zu beweisen. Der Untertitel des Abschnittes: "Prototypen transzendentale" wird im Abs. 10 erläutert: "Das Ideal ist also das Urbild (Prototypon) aller Dinge, welche insgesamt, als mangelhafte Kopien (ectypd), den Stoff zu ihrer Möglichkeit daher nehmen." Prototypen ist also dasselbe wie 1

Vgl. Kap. XIV.

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Urbild und wie Archetypen; damit spielt Kant auf die Funktion, die das transzendentale Ideal in unserer Erkenntnis der Dinge (der ectypa) ausübt. Der Kontext ist offensichtlich die metaphysische Ideenlehre Platos.

Gliederung Der 1. Teil (Abs. 1-3) schließt vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung auf den Inbegriff aller Prädikate als transzendentale Voraussetzung fiir die durchgängige Bestimmung der Dinge. Der 2. Teil (Abs. 4-7 und 9) bestimmt diesen transzendental vorausgesetzten Inbegriff aller möglichen Prädikate als die Idee von einem All der Realität näher, das im 3. Teil (Abs. 8 und 10-15) mit dem Gottesbegriff in transzendentalem Sinn identifiziert wird. Der 4. Teil (Abs. 16-18) liefert eine zweite Deduktion des Ideals der reinen Vernunft, die dieses Ideal als einen transzendentalen Schein aufdeckt. Diese Einteilung des Abschnittes, wie auch die folgenden, will nur eine Hilfe sein zu einer ersten Orientierung, um den Gedankengang Kants zu durchschauen. Bei der viel beklagten Unordnung in der Argumentation und den zahlreichen Wiederholungen im Text Kants ist die von mir vorgeschlagene Aufgliederung oft nicht die einzig mögliche und wird auch nicht ohne eine gewisse Gewalt am Text vorgenommen. Mehr ist meistens nicht möglich.

Literatur Außer der im Kap. XVII angegebenen Bibliographie zum transzendentalen Ideal vgl. Peter Rohs, Kants Prinzip der durchgängigen Bestimmung alles Seienden, in: KS 69 (1978) 170-180. Der Vf hebt die Inkonsequenzen im Beweis Kants hervor, die darin liegen, daß Kant von der eigentlich erkenntnistheoretischen Problematik des Grundsatzes zur theologischen Problematik übergeht, um in den Gottesbegriff als Inbegriff aller Prädikate einzumünden. Ein derartiger Schluß ergebe sich nicht vom Grundsatz der durchgängigen Bestimmung. In der Tat ist der Gedankengang Kants nur auf dem Hintergrund seiner früheren Ontotheologie und der darauffolgenden Umformung und Kritik derselben zu verstehen. Die Argumentationen der Schriften von 1755 und 1762 hat Kant zwar auf der ontologischen Ebene aufgegeben, auf der (transzendental)kognitiven Ebene jedoch soviel wie möglich beibehalten 2.

* PMÄB, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, 29-33, hebt mit Nachdruck

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Es ist hier angebracht, an eine wichtige methodologische Bemerkung Tonellis zu erinnern. Der innere Prozeß, durch den Kant zu seinen Schlüssen gelangt, ist normalerweise sehr verschieden vom Prozeß, durch den er vorgibt, diese Schlüsse zu beweisen. Folgerungsordnung und Beweisanordnung gehen völlig auseinander *. In unserem Fall heißt dies: Der Begriff Gottes als ens realissimum, den Kant 1762 auf dem Weg ontologischer Prinzipien gewonnen hat, wird jetzt anhand logisch-erkenntnistheoretischer Prinzipien "bewiesen". Auch hier erweist sich das exegetische Problem als ein Problem der Geschichte und nicht so sehr als ein Problem der Logik. Zum 1. Teil des Abschnittes vgl. auch Kants Reflexionen zu Eberhards Kompendium: Vorbereitung zur natürlichen Theologie, Halle 1781, Einleitung: XVIII 489 ff; Von der Bildung des Begriffes von Gott: XVIII 530 ff. Insb. RR 6207, 6208, 6209, 6251, 6256, 6290.

Erster Teil: Vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung zum Inbegriff aller Prädikate als transzendentale Voraussetzung Abs. 1. "Ein jeder Begriff ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht enhalten ist, unbestimmt, und steht unter dem Grundsatze der Bestimmbarkeit; daß nur eines, von jeden zweien einander kontradik-

die Übereinstimmung der Propositio der Nova dilucidatio mit dem Grundsatz der durchgängigen Bestimmung in der KrV hervor. In der Tat läuft von der "omnimoda realitas" der Nova dilucidatio, aus der "combinando, limitando, determinando" jeder Begriff eines möglichen Dinges abgeleitet wird, zum "transzendentalen Substratum" (A 575) derjenigen "Synthesis des Mannigfaltigen", in der die Möglichkeit eines jeden Dinges besteht (A 678), ein direkterer Weg als es vom Begriff eines absolut notwendigen Realgrundes aller Möglichkeit aus (dem Kernbegriff des EmBg) der Fall ist. Weiterhin zielt Kant im EmBg auf einen "Realgrund" ab, der alle "Möglichkeit", d. h. "Denklichkeit" erklärt; im Abschnitt der KrV "Von dem transzendentalen Ideal" ist Kant ebenfalls auf der Suche nach dem Grund aller "Möglichkeit", diesmal aber im Sinne der "Bestimmung". Deswegen ist jetzt der Grund ein "Substrat" der durchgängigen Bestimmung aller Dinge (A 575 i). Also wieder eine größere Nähe zur ursprünglichen Gestalt der Ontotheologie in der Nova dilucidatio (vgl. PINDBR, ebd. 14). Da aber die durchgängige Bestimmung, wie sie im . Abschnitt des Theologie-Hauptstuckes verstanden wird, nur durch die Gemeinschaft aller endlichen Substanzen (Einzigkeit der Welt) ermöglicht wird, so erklärt sich die Wendung Kants vom "possibilitatis omnis principium" der Nova dilucidatio zum Grund der durchgängigen Bestimmung (Pnrora, ebd. 130). 1 TONEUJ, Elementi, 146; auch 43-45 mit Endnote 5.

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torisch-entgegengesetzten Prädikaten, ihm zukommen könne, welcher auf dem Satze des Widerspruchs beruht, und daher ein bloß logisches Prinzip ist." Was Kant hier zum Grundsatz der Bestimmbarkeit schreibt, unter dem jeder Begriff steht, ist im Kontext der Begriffslehre zu verstehen. Erstens, insofern der Begriff ein Allgemeinbegriff ist, enthält er nur Teilvorstellungen (= Merkmale) der Anschauung, aus der er abstrahiert wurde, wobei die Anschauung auf ein singulare geht. Würde der Begriff alle Merkmale des Individuums aussagen, so wäre er nicht mehr ein Allgemeinbegriff, sondern ein conceptus singularis. Dies ist aber für unseren nicht intuitiven Verstand unmöglich, der deshalb zu einem demonstrativen Ausdruck rekurrieren muß, indem er den Begriff auf eine Anschauung bezieht. Der Begriff als abstrakter und daher allgemeiner Begriff kann durch Hinzufügung anderer Merkmale immer weiter bestimmt werden. Zweitens, insofern der Begriff ein Gattungsbegriff ist, geschieht seine Bestimmung nicht durch Rückgriff auf irgendwelche Begriffspaare, sondern durch die niedrigeren Begriffe, die nicht in ihm (in seinem Inhalt), wohl aber unter ihm (in seinem Umfang) enthalten sind, und die die "logische Einteilung" desselben ausmachen. Vgl. Abs. 9; Logik § 110-113, und oft in den Vorlesungen über Logik: XXTV 576 f, 760-762, 925-928. In beiden Fällen gilt es, daß, wo immer ein zu bestimmender Begriff mit einem Paar einander kontradiktorischer Prädikate verglichen wird, nur eines ihm zukommen kann, ja muß. Der Grundsatz der Bestimmbarkeit der Begriffe ist ein Anwendungsfall des Widerspruchsprinzips, näherhin des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten. Er sagt nichts über bestimmte Begriffsinhalte und auch nichts über die Bedingungen, die uns ermöglichen, einen Begriff zu bestimmen. Er ist ein "bloß logisches Prinzip". Abs. 2. In offenbarem Gegensatz zum Begriff und zu dessen Bestimmbarkeit geht Kant nun zum Ding als Individuum über: "Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durchgängigen Bestimmung." Damit knüpft Kant an die Lehre der Schulphilosophie an, für die die durchgängige Bestimmung Individuations- und Existenzprinzip war. Eine solche Lehre gehört zur essentialistischen Sichtweise der

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Ontotogie 4. In der Ontologia Wolffs (De notione entis: § 132-178) kommt die Lehre vom Seienden weitgehend einer Lehre von der essentia gleich, d. h. einer Lehre von den kategorialen Bestimmungen des Seienden: essentialia, attribute und modi. Diese Perspektive wird in der Metaphysica Baumgartens radikalisiert, die die ganze Behandlung des ens als "Tractatio de praedicatis entium" überschreibt. Baumgartens Analyse des ens (§ 34-71) beginnt mit dem Begriff der Bestimmung, unterscheidet die verschiedenen Arten von Bestimmung (essentialia, affectiones und relationes), und definiert dann die Essenz als "complexus essentialium in possibili" (§ 40) und die Existenz als "complexus affectionum in aliquo compossibilium, i. e. complementum essentiae sive possibilitatis internae" (§ 55). Baumgarten hat also die Lehre Wolffs von der existentia als "complementum possibilitatis" (Ontologia § 174) eindeutig in einem essentialistischen Sinne ausgelegt: Die Existenz ist der Inbegriff aller zusammen-bestehen-könnenden affectiones (d. h. der inneren folgenden Bestimmungen); sie kommt also der durchgängigen Bestimmung eines Dinges gleich. Kant hat die Lehre von der durchgängigen Bestimmung als Individuationsprinzip übernommen: Was existiert, ist ein Individuum und muß als solches durchgängig bestimmt sein. Dasselbe gilt aber auch für das Realmögliche: Etwas kann existieren, nur wenn es schon durchgängig bestimmt ist. Gerade aus diesem Grund lehnt Kant im EmBg die extrem essentialistische These ab, dergemäß die durchgängige Bestimmung auch Existenzkriterium ist, und stellt hingegen seine These auf: "Das Dasein ist gar kein Prädikat oder Determination von irgendeinem Dinge" (I. Abtg., 1. Betrachtung, Nr. 1. Vgl. auch die Kritik an Wolff und Baumgarten in Nr. 3): weder ein eigenes Prädikat (Bestimmung) noch der Inbegriff aller Prädikate. Diese Lehre von der durchgängigen Bestimmung jedes Dinges dient Kant in seiner Neugestaltung des ontotheologischen Arguments, um auf den "Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt" zu schließen. Denn nur im Bezug auf die Gesamtheit der Prädikate ist der vollständige Begriff eines Dinges und damit das Ding selbst "seiner Möglichkeit nach", bzw. als existierend, möglich. Dieses Verhältnis zum Inbegriff aller Prädikate als der "Materie zu aller Möglichkeit" * Vgl. Giovanni B. SALA, Die transzendentale Logik Kants und die Ontotogie der deutschen Schulphilosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 96 (1988) 24-27.

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stellt die "transzendentale Voraussetzung" dar, die der synthetische Grundsatz der durchgängigen Bestimmung des Dinges dem analytischen Grundsatz der Bestimmbarkeit des Begriffs hinzufügt. Bei der Bildung des durchgängig bestimmten Begriffs eines Dinges werden freilich viele Prädikate in der Form von Negation ausgesagt. Denn "um ein Ding ganz zu erkennen, muß man nicht allein wissen, was es enthält, sondern überdem alles, was ihm fehlt, damit man es auch in Relation erkenne" (R 6209). Ohne solche negativen Prädikate, die ihrerseits "nur durch die opposite realia" denkbar sind, würde von einem Ding noch unbestimmt bleiben, "ob außer dem, was an ihm erkannt wird, ihm noch mehr zukommt" (R 4244). Die Ausführungen der R 6207 machen deutlich, daß diese Lehre von der durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges von Kant zur Umwandlung seines früheren ontotheologischen Beweises in Anspruch genommen wird: "Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung sagt, daß der Begriff eines Dinges überhaupt, um die Vorstellung eines einzelnen auszumachen, mit allen möglichen praedicatis oppositis müsse verglichen werden, so daß ... es als Ding überhaupt durch das Verhältnis zum ente realissimo allein bestimmt gedacht werden könne." Das realste Wesen der Ontotheologie ist zur (bloßen) Bedingung unseres Begreifens der durchgängigen Bestimmtheit der Dinge als bestimmte Ausschnitte des Gesamtrealen geworden *. Auch in dieser Lehre Kants findet sich ein Zusammenhang mit Baumgarten. Baumgarten definiert das Bestimmen (determinare) anhand des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten: "Quod aut ponitur esse A, aut ponitur non esse A, determinatur" (§ 34). Nun aber liegen bei Baumgarten zwei Formulierungen des Prinzips vor: "[1] Omne possibile aut est A, aut non-A, seu [2], omni subiecto ex omnibus praedicatis contradictoriis alterutrum convenit" (§ 10). Die zweite Formulierung stellt den nicht selbstverständlichen Bezug des (logischen) Prinzips exclusi tertii zum Gedanken von der Allheit kontradiktorischer Prädikate her. Abs. 3 hebt nochmals hervor, daß durch den Satz "alles Existierende ist durchgängig bestimmt" "das Ding selbst mit dem Inbegriff aller

' SCHMUCKER, Das Problem der Kontingenz der Welt, 39.

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möglichen Prädikate transzendental verglichen" wird. Aus der dargelegten These zieht Kant zwei Konsequenzen: 1) "Um ein Ding vollständig [d. h. in seiner Singularität] zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen." Dazu schreibt Schmukker: "Damit ist implizit gesagt, daß die Realität eines möglichen Dinges einen bestimmten begrenzten Ausschnitt aus der Gesamtheit alles Realen darstellt und daß die Grenze seines Realgehaltes durch den Ausschluß aller übrigen Realitäten vermittelst aller seiner negativen Prädikate bestimmt wird, was bedeutet, daß man ein mögliches Ding auch nach seinen positiven Prädikaten nur dann ganz erkennen könnte, wenn man alles Mögliche, das es nicht ist, erkennen würde." * Diese Ableitung des Vernunftideals, die ihren Ausgang von der omnimoda determinatio nimmt, ist erstmals in den Quellen durch die R 3920 aus dem Jahre 1769 belegt und seitdem ein immer wiederkehrendes Thema bei Kant. 2) Am Ende des Abs. nennt Kant die durchgängige Bestimmung eine (bloß) regulative Idee der Vernunft. Dem entspricht die Aussage der R 6209: "... die durchgängige Bestimmung, die doch keinem Verstande auszuführen möglich ist".

Zweiter Teil: Der Inbegriff aller möglichen Prädikate ist die Idee von einem All der Realität Abs. 4. Die Idee vom Inbegriff aller Prädikate als transzendentale Bedingung der durchgängigen Bestimmung jedes Dinges ist "selbst noch unbestimmt", insofern wir nicht wissen, was alles an Prädikaten sie enthält. Aber anhand ihrer Eigenschaft als l/rbegriff und ihrer Funktion in unserer Erkenntnis der Dinge läßt sie sich doch in doppelter Hinsicht näher bestimmen. Erstens hinsichtlich ihrer Prädikate, insofern sie eine Menge von Prädikaten ausstößtT. Kant nennt zwei Arten solcher Prädikate:

* SCHMUCKBR, Kants vorkritische Kritik, 101.

7 Hier wäre der Fall jener Unlogik, die P. Rohe der Kantischen Ableitung des transzendentalen Ideals vorgeworfen hat. Das Verfahren Kants ist durchaus verständlich, wenn es als Umwandlung seines früheren ontotheologischen Beweises gesehen wird. Unter dem Gesichtepunkt des "Inbegriffes aller Prädikate" zielt Kant hier in der Tat auf die ontologische Idee dee ens realissimum ab.

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a) Die abgeleiteten Prädikate können evidentermaßen nicht zur ursprünglichen Idee gehören. Als solche erörtert Kant in den Abs. 5-6 die transzendentalen Negationen. b) Die Prädikate, die zueinander in einer Gegensatz-Relation stehen, können auch nicht im transzendentalen Ideal als einer Idee nebeneinander stehen. Kant hat dieses Thema in der Schrift von 1763: 'Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" behandelt. Außer der bekannten logischen Repugnanz, kraft derer zwei kontradiktorische Begriffe einander ausschließen, hat Kant dort auf eine "Realrepugnanz" in den Dingen hingewiesen. Diese findet statt, "insofern zwei Dinge als positive Gründe eines die Folge des anderen aufhebt" (A 13 = II 175). Es handelt sich also um positive Realitäten, die dennoch einander ausschließen bzw. aufheben. Damit lehnt Kant die Lehre der Schulphilosophie ab, dergemäß Realität und Realität niemals einander widersprechen und deshalb immer zusammen bestehen können. Zur Lehre von der Realrepugnanz hatte Kant schon kurz vorher im EmBg gegriffen, um, ähnlich wie an unserer Stelle, den Begriff des allerrealsten Wesens zu bestimmen, in dem offenkundig kein Widerstreit stattfindet (I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 6). Auch der Inbegriff aller Prädikate, insofern er die Idee einer einzigen Wirklichkeit darstellt (dahin steuert ja Kants Argumentation), schließt derartige Prädikate aus. Zweitens hinsichtlich ihrer Individualität. Der Inbegriff aller Prädikate ist eo ipso durchgängig bestimmt; nun aber gilt die omnimoda determinatio als principium individuationis; also ist er die Idee eines einzelnen Gegenstandes. Infolgedessen muß diese Idee "ein Ideal der reinen Vernunft genannt werden" gemäß der Definition von I, Abs. 2 8. Es ist das einzige Ideal, dessen unsere Vernunft fähig ist, weil nur der Inbegriff aller Prädikate unmittelbar seinen Gegenstand als Individuum bestimmt. Abs. 5-6 handeln von den negativen Prädikaten, die als solche von unserem Urbegriff aller Prädikate ausscheiden. Kant geht in diesem Kontext hin und her zwischen den Ausdrücken "Inbegriff aller möglichen Prädikate" und "Inbegriff aller Möglichkeit". Dies erklärt sich * Der Kürze halber werde ich in meiner Erläuterung des Theologie-Hauptstückes Abschnitt und Absatz desselben auf diese Weise kenntlich machen.

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daraus, daß der Inbegriff aller möglichen Prädikate die Materie (den Inhalt) liefert, durch die erst die einzelnen limitierten Dinge möglich sind. Kants Überlegungen gehen in Richtung auf den "Inbegriff aller Realität" (Abs. 9), zu dem er gelangt, indem er zeigt, daß die Prädikate, die unsere "Idee von dem Inbegriff aller Möglichkeit" ausmachen, transzendentale Bejahungen (= Realitäten) sind. "Wenn wir alle möglichen Prädikate ... transzendental, d. i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht werden kann, erwägen, so finden wir, daß durch einige derselben ein Sein, durch andere ein bloßes Nichtsein vorgestellt wird." Hier geht es nicht um den spezifisch verschiedenen Inhalt der Prädikate - den kennen wir nur durch Erfahrung -, sondern um den Inhalt unserer Begriffe überhaupt, die als Prädikate (Bestimmungen) der einzelnen Dinge fungieren. Dieser Inhalt ist nun entweder ein Sein (Realität, Sachheit) oder ein Nichtsein (Mangel an Realität). Kant präzisiert, was er unter Nichtsein versteht, indem er von einer transzendentalen Verneinung im Unterschied zu einer bloß logischen Verneinung spricht. Logische Verneinung ist ein verneinendes Urteil (S ist nicht P), bei dem noch unausgemacht ist, ob P eine Realität oder einen Mangel an Realität besagt; transzendentale Verneinung ist ein Begriff, der ein "Nichtsein an sich selbst" bedeutet etwa Finsternis, Armut, Unwissenheit. Nun aber sind solche transzendentalen Verneinungen (Nichtsein) nur von den entgegengesetzten Bejahungen (Sein) her zu verstehen. Gerade wegen dieses abkünftigen Charakters gehören sie nicht in das transzendentale Ideal als ursprünglichen Begriff. Die beiläufige Erwähnung von "Nichtsterblich" als Beispiel einer logischen Verneinung ist hier deshalb irreführend, weil sie den Anschein erweckt, Kant verstehe unter logischen Negationen die in A 71-73 erörterten "unendlichen" Urteile wie "Die Seele ist nichtsterblich". Dies ist aber schon deswegen nicht der Fall, weil die unendlichen Urteile transzendentallogisch eine eigene Klasse ausmachen außer den bejahenden und den verneinenden. In seinem Vorhaben, das transzendentale Ideal inhaltlich zu bestimmen, rekurriert Kant auf die Begriffe "Realität", "Mangel" an Realität (Abs. 5) und "Einschränkung" (Abs. 9), die offenkundig den drei Qualitätskategorien: Realität, Negation und Limitation entsprechen. In der Tat aber sind die an unserer Stelle verwendeten Begriffe

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die alten ontologischen Begriffe der Schulphilosophie (wohl durch die neue Auffassung Kants vom Wesen der Metaphysik modifiziert), die die transzendental-idealistische Wendung noch nicht gemacht haben 9. Abs. 7. Aus dem Gesagten über den Inbegriff aller Prädikate, der die transzendentale Voraussetzung zur durchgängigen Bestimmung jedes Dinges darstellt (nämlich über die Ausscheidung der transzendentalen Negationen als Realitätsmängel), ergibt sich, daß die Prädikate, die den genannten Inbegriff ausmachen, transzendentale Bejahungen, d. h. Realitäten sind (wobei allerdings auch die realwiderstreitenden Prädikate ausscheiden, obwohl sie transzendentale Bejahungen sind). Der Inbegriff aller möglichen Prädikate als Urbegriff erweist sich somit als "die Idee von einem [= dem!] All der Realität (omnitudo realitatis)" 1 . Die transzendentale Voraussetzung der durchgängigen Bestimmung ist die Idee eines "transzendentalen Substratums ..., welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält". Die transzendentalen Verneinungen, die wir schon erörtert haben, und die zu den Prädikaten der (endlichen) Dinge gehören, sind ihrerseits nicht einfach Nichtvorhandensein von Realitäten, sondern Einschränkungen ("Schranken") dieses Alls der Realität. Im EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 6 am Ende hatte Kant schon, und zwar deutlicher, die hier sog. transzendentalen Verneinungen dadurch erklärt, daß "Positionen möglich sind, die nicht die größten sind", also limitierte Positionen. Und wiederum in der Inauguraldissertation, § 9: Die "minores gradus" der Vollkommenheit sind Limitationen eines "maximum perfectionis", das heutzutage "ideale" genannt wird ".

• Vgl. MAIES, Kants Qualitäiskategorien, 38 f. Vgl. Kap. XIX zum Abs. 8 des IV. Abschnittes. 10 Wie bereits gesagt (Kap. XVI, zum Abs. 2), war auch schon Baumgarten vom Cartesianisch-Leibnizianischen Begriff des ens perfectissimum zum Begriff der "omnitudo realitatum" (Met. § 807) gelangt. Kant benutzt die Redewendung "omnitudo realitatis" vielleicht im Hinblick auf den Individualcharakter dieser Idee, wie im Abs. 4 angedeutet und im Abs. 8 weiter ausgeführt wird. Das Urwesen ist kein Aggregat endlicher Realitäten. 11 Vgl. Kap. XIV, 4.

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Abs. 9 legt Ähnlichkeit und Differenz zwischen logischer Bestimmung eines Begriffes und durchgängiger Bestimmung eines Dinges fest. Damit kehrt Kant zum Thema des 1. Teils zurück, aber im Lichte der inzwischen erfolgten Klärung der transzendentalen Voraussetzung der durchgängigen Bestimmung eines Dinges. Für die logische Bestimmung eines Begriffs verweist Kant auf die Lehre von der logischen Einteilung eines Begriffes, die nach dem Schema des disjunktiven Vernunftschlusses geschieht. Der Obersatz ist die Sphäre des Allgemeinbegriffes (etwa die verschiedenen Arten, die unter der Gattung Wirbeltier enthalten sind). Der Untersatz schränkt diese Extension "bis auf einen Teil" ein (Der Walfisch ist weder ein Fisch, noch ein Amphibium, noch ein Kriechtier, noch ein Vogel). Der Schlußsatz bestimmt den Begriff durch den Teil, auf den die Sphäre eingeschränkt wurde (Der Walfisch ist ein Säugetier). Bei der durchgängigen Bestimmung eines Dinges ist der Obersatz kein allgemeiner Begriff, sondern ein allumfassender Begriff - eben "der Inbegriff aller Realität". Als solcher enthält er nicht niedrigere Begriffe unter sich, sondern verschiedene (alle!) endliche Realitäten in sich. Er enthält "alle Prädikate ihrem transzendentalen Inhalt nach ... in sich" u. Nach dieser Differenz im Obersatz erfolgt die Bestimmung des Dinges ebenfalls durch ein disjunktives Verfahren. Das Ding wird durchgängig bestimmt, indem ihm die im All der Realität enthaltenen (endlichen) Realitäten nach dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten zu- oder abgesprochen werden ls. Darin, daß das transzendentale Ideal (die Idee von einem All der Realität) den Ausgangspunkt für einen disjunktiven Vernunftschluß zur Bestimmung aller Dinge darstellt, sieht Kant eine Bestätigung seiner metaphysischen Deduktion der transzendentalen Ideen im 1. Buch der Dialektik, bei der die Gottesidee in Anlehnung an das logische Verfahren des disjunktiven Vernunftschlusses abgeleitet wurde (A 323). u Daß "man ohne Erfahrung keine bestimmten Arten von Realität kennt", ist wohl wahr, aber es ist nicht der eigentliche Grund, warum "der transzendentale Obersatz der durchgangigen Bestimmung aller Dinge" kein AllgemeinbegriiT in logischem Sinne sein kann! " Vgl. eine Parallelstelle in der Religionslehre Pölitz - eine Vorlesung wahrscheinlich aus dem WS 1783/84, wo also die Grenzbestimmung im Sinne der KrV ausdrücklich vorausgesetzt wird ("Principien möglicher Erfahrung"). Dort auch der Verweis auf den EmBg, der aber jetzt als "nicht apodiktisch gewiß" gilt: XXVHI 1033 f.

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Es ist angebracht, auf die Strukturanalogie hinzuweisen, die zwischen dem transzendentalen Ideal der Vernunft und der Raum- (und Zeit-)Vorstellung der Sinnlichkeit vorliegt. Im 4. Raumargument der Aufl. B heißt es: Die Raumvorstellung enthalte nicht eine "unendliche Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen" unter sich, wie dies bei dem Allgemeinbegriff der Fall ist, wohl aber "in sich" (B 40). Das vorhergehende 3. Raumargument (4. Raumargument in der Aufl. A) faßt das Mannigfaltige im Raum, d. h. die verschiedenen Räume, als "Einschränkungen" der einen Anschauung a priori vom Raum auf (A 24 f = B 39. Vgl. auch A 619). Was wiederum der "Einschränkung dieses Alls der Realität" in unserem Abs. 9 entspricht. Diese Strukturanalogie wird im folgenden Kant zu einer schiefen Darlegung des Verhältnisses zwischen dem All der Realität und den endüchen Dingen verleiten, insofern die Dinge als Einschränkungen des Alls der Realität im Sinne von Teilen desselben aufgefaßt werden, wohingegen sie Polgen oder Produkte des höchsten Wesens sind. Dies ist um so merkwürdiger, als Kant im EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 6, wo er vom notwendigen Wesen als der höchsten Realität handelt, im Prinzip die Unhaltbarkeit der Analogie des genannten Verhältnisses mit dem Raum schon durchschaut hat. Genau in diesem Punkt lag einer der wichtigen Klärungen, die die zweite Fassung der Ontotheologie über die erste hinaus gebracht hatte. In der Nova dilucidatio hatte Kant einfach darauf geschlossen, daß "omnimoda haec realitas [das Reale aller Möglichkeiten] in ente unico adunata sit necesse est".

Dritter Teil: Die Idee von einem All der Realität ist der Gottesbegriff in transzendentalem Sinne (Abs. 8, 10-15) Die schon freigelegte Idee vom All der Realität wird als der Gottesbegriff in transzendentalem Verstande aufgewiesen, indem Kant den Läuterungsprozeß aller Prädikate zu Ende führt, den er im Abs. 4 in Aussicht gestellt hat. Ich werde zuerst Abs. 8 und 11-14 erläutern, die eher auf den Inhalt der Idee eingehen und nachher Abs. 10 und 15, die sich mit der Frage nach der Existenz befassen.

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Abs. 8. Die oben erschlossene Idee von der omnitudo realitatis wird mit der damals geläufigen Gottesbezeichnung "ens realissimum" genannt und von ihr wird gesagt, daß sie zugleich der Begriff eines einzelnen Wesens ist. Der Grund dieser ihr allein zukommenden Auszeichnung ist, daß sie selber die Regel an die Hand gibt, wodurch das von ihr gemeinte Objekt zu bestimmen ist, wie Kant sich in der R 6256 ausdrückt. Diese Regel ist, so an unserer Stelle, daß "von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines [bestimmtes!], nämlich das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird" - also gehören nur die reinen, uneingeschränkten Realitäten zum ens realissimum. Alle anderen Dinge außer dem ens realissimum sind zwar auch durchgängig bestimmt, aber nicht kraft ihres AWgemembegriffes. Infolgedessen ist die Idee vom All der Realität ein transzendentales Ideal gemäß I, Abs. 2. Daß nur der Begriff des ens realissimum ein, im hier dargelegten Sinne, conceptus singularis ist, kommt mehrmals in den RR vor: 4444, 6245, 6256; auch in der Metaphysik Dohna: XXVIII 694. Der erste Teil des Abs. 11 erläutert das Verhältnis zwischen der ursprünglichen Möglichkeit des Alls der Realität als Individuum und der abgeleiteten Möglichkeit der (endlichen) Dinge als ein Verhältnis der Einschränkungen der höchsten Realität. Im Zuge dieses Gedankens gilt die höchste Realität als das gemeinschaftliche Substrat der mannigfaltigen abgeleiteten Dinge (vgl. auch R 4950). Dieses Verhältnis wird hier (so wie auch in den RR 3886, 4257) mit dem Verhältnis der einzelnen Figuren zum unendlichen Raum verglichen gemäß jener Strukturanalogie zwischen transzendentalem Ideal und Raumvorstellung, auf die ich schon im Abs. 9 hingewiesen habe. Die Gefahr, daß diese Analogie zu einem spinozistischen Gottesverständnis verleiten könnte, liegt auf der Hand. In der sehr späten R 6404 bemerkt Kant dazu: "Weil die Realität, die in allen Dingen teilweise angetroffen wird, in Gott zusammen gedacht wird, so entspringt daraus der Spinozism: daß alle Dinge Gott inhalieren, weil ihr Wesen nur als Teil seines Wesens möglich ist." " Wegen seines Ursprünglichkeitscharakters wird im zweiten Teil 14 Vgl. HKMSOETH, Transzendentale Dialektik, 448, Anm. 62; 441, Anm. 52. SCHMUKKEB, Kants vorkritische Kritik, 71 f.

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des Abs. der Gegenstand des transzendentalen Ideals als Urwesen gekennzeichnet; dem schließen sich zwei andere Differenzierungen an: höchstes Wesen und Wesen aller Wesen. Diese "drei Begriffe von Gott" bilden in der Religionslehre Pölitz die Grundlage der Transzendentaltheologie (XXVIII 1012 f). Trotz der recht zweideutigen Vorstellung des Verhältnisses zwischen Urwesen und den vielen abgeleiteten Wesen mittels des Begriffs von Substrat wird dem ens realissimum außer dem Grundcharakter der Einzigkeit (Abs. 8) im Abs. 12 die Eigenschaft der Einfachheit zuerkannt, wie schon im EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 3. Abs. 13. Die Erwähnung der Einfachheit Gottes zwingt, das im Abs. 11 Gesagte zu klären bzw. zu korrigieren: "Die Ableitung aller anderen Möglichkeit von diesem" ist, "genau zu reden", weder als Einschränkung noch als Teilung des Urwesens in seiner höchsten Realität aufzufassen. Das Verhältnis ist vielmehr das der Folgen zum Grunde (Der kritizistische, wohl spätere, Gedanke, daß zu diesen Folgen auch unsere Sinnlichkeit samt aller Erscheinungswirklichkeit gehört, wirkt in diesem Kontext wie ein Fremdkörper). Diesen richtigen Gedanken von Gott als Grund der Möglichkeiten hatte Kant bereits im EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 6, vorgetragen: Alle (endlichen) Realitäten sind nicht im allerrealsten Wesen als seine Prädikate oder Bestimmungen; sie sind vielmehr "durch ihn als den ersten Realgrund gegeben" - sie sind also Folgen. Diese These hat sich ungebrochen durchgehalten, auch nachdem Kant seinen EmBg hat fallen lassen. Ja die RR der 60er und 70er Jahre haben dieses Verhältnis dahingehend präzisiert, daß sie das ens realissimum nach Art eines maximum der intensiven Größe auffaßten, welches als "ratio" die niedrigeren Grade in sich schließt1 . Es überrascht daher (wie ich am Ende des Abs. 9 bemerkt habe), daß Kant im vorliegenden Kontext immer wieder vom Urwesen als "Inbegriff1 (Abs. 4, 9), oder auch "Substrat" (Abs. 7, 11) und entsprechend von den abgeleiteten Dingen als "Einschränkungen" (Abs. 9, 11) spricht, um erst nachträglich die nötige Korrektur (Grund-Folgen) einzubringen 1 .

" Vgl. Kap. XIV, 2. ™ Vgl. MAIKB, Kants Qualitätskategorien, 27, 41, (mit Anmerkungen).

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Auch in den Entwürfen zur Preisschrift von 1791 über die Fortschritte der Metaphysik hat sich Kant zugunsten der Auffassung Gottes als Grund anstatt Inbegriff oder Aggregat ausgesprochen. Letztere verleite zu anthropomorphistischen Vorstellungen (A 197 f= XX 330; XX 342, 348 f, 350 f; auch Metaphysik Dohna XXVIII 692 f). Abs. 14 fuhrt den Gedankengang des ganzen Abschnittes zum Abschluß (Abs. 16-18 sind spätere Einschübe). Die vom Grundsatz der durchgängigen Bestimmung her abgeleitete Idee vom All der Realität ist der Gottesbegriff in transzendentalem Verstande. Denn wenn wir diese Idee hypostasieren, d. h. als eine Substanz denken und diese Substanz analysieren, so weist sie alle Eigenschaften auf, die Gott zukommen: Sie ist einzig, einfach, allgenugsam, ewig usw. Die gleiche Schlußfolgerung hatte auch schon der EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung gezogen: Das notwendige Wesen ist einzig, einfach, unveränderlich und ewig; es enthält die höchste Realität. Im Abschnitt VII unseres Theologie-Hauptstückes, im ersten und letzten Absatz, bringt Kant eine Liste solcher transzendentaler Begriffe bzw. Prädikate, die den von Anfang an (II, Abs. 4) anvisierten "gereinigten Begriff* Gottes ausmachen. Es ist der Begriff Gottes, der der "transzendentalen Theologie" eigen ist. Der Terminus transzendental hat im vorliegenden Kontext (sowie auch an anderen Stellen der KrV) den alten Sinn der ontologischen Tradition, für die die Transzendentalien die analogen Grundbestimmungen des Seins sind (vgl. das zu Beginn dieses Kapitels dazu Gesagte). Die transzendentale Theologie (im Unterschied zur natürlichen Theologie: VII, Abs. 1) faßt Gott nach den Prädikaten auf, die sie von der Ontologie als Prädikate des Seins überhaupt entlehnt. Zur transzendentalen Theologie, "die unabhängig von aller Erfahrung, bloß aus reinem Verstande und der Vernunft ihren Ursprung hat", vgl. die Religionslehre Pölitz: XXVIII 999-1001. Abs. 10. Wie schon in den Ausführungen angeklungen, die sich mit dem Inhalt des transzendentalen Ideals befassen (vgl. Abs. 11 am Ende), ist die transzendentale Voraussetzung der Vernunft zur durchgängigen Bestimmung der Dinge (der Inbegriff aller Prädikate - das All der Realität - der Begriff Gottes in transzendentalem Sinne) nur eine Idee. Wir brauchen die Idee "von einer unbedingten Totalität der

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durchgängigen Bestimmung", um die "bedingte" Totalität des eingeschränkten Dinges abzuleiten. Es liegt in der Natur der menschlichen Vernunft, ein solches Wesen "anzunehmen, das der Grund von allem Möglichen ist" (Religionslehre Pölitz, XXVIII 1034). Aber aus diesem Verhältnis beider Totalitäten auf der kognitiven Ebene folgt kein Argument für die Existenz eines solchen Wesens. Genau dies war die Kritik und die sich daraus ergebende Umwandlung des früheren ontotheologischen Arguments ohne jeglichen Rekurs auf die Prinzipien des Kritizismus, die Kant schon in den 60er Jahren durchgeführt hatte ". Abs. 15 wiederholt dieselbe Kritik: zur Realisierung des in einem "besonderen Wesen" zusammengefaßten Alls der Realität haben wir "keine Befugnis". Mehr noch, wir dürfen die Existenz eines solchen Wesens nicht einmal als Hypothese direkt annehmen, um daraus Folgerungen (etwa Harmonie und Finalität in der Welt) abzuleiten, die auf die Bestimmung der Dinge Einfluß üben sollten. Diese Bestimmung soll vielmehr durch empirische Forschung geschehen, wie Kant öfters in der KrV einschärft; "wohl aber dürfen, ja müssen, die jeweils aufgefundenen Realitäten, ihre Zusammenhänge, ihre Gegensätze und Zusammenstimmungen aufsteigend auf den Einen Idealgrund hinbezogen werden" 18.

Vierter Teil: Zweite Deduktion des Ideals der reinen Vernunft: Das Ideal ist ein transzendentaler Schein (Abs. 16-18) Dieser letzte Teil unternimmt eine neue Deduktion des Ideals der Vernunft und zwar auf Grund der Prinzipien des Kritizismus, wie der Verweis auf die "Verhandlungen der transzendentalen Analytik" schon deutlich macht. Kant will offensichtlich einen Zusammenhang zwischen seiner vorkritizistischen Lehre vom transzendentalen Ideal, die er bisher dargelegt hat, und dem transzendentalen Idealismus

17

Vgl. Kap. XIV, Nr. 3. " HJOMSOOTH, Transzendentale Dialektik, 466.

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herstellen. Gerade deshalb haben wir es hier mit einem späteren Zusatz zur schon bestehenden Kritik und Umformung der Ontotheologie zu tun. Dies hatte bereits Adickes in seiner Edition der KrV hervorgehoben (468) und wurde dann von J. Schmucker infolge einer ausführlicheren Analyse des Textes mit Nachdruck geltend gemacht 1 . Das hier in Angriff genomme Unternehmern ist auch deswegen höchst problematisch, weil das transzendentale Ideal als bloß "natürliche Illusion" die wichtige Funktion gar nicht erfüllen kann, die ihm in unserem Hauptstück zugeschrieben wird - vor allem im Abs. 14 des gegenwärtigen und im letzten Abs. des VII. Abschnittes ("fehlerfreies Ideal"; "gereinigter Begriff', der unentbehrlich ist). Abs. 16. Die bisher beschriebene Dialektik unserer Vernunft bezüglich des transzendentalen Ideals (dies ist in der Tat nicht der Fall gewesen!) soll jetzt in ihrem Charakter eines (transzendentalen) "Scheins" (vgl. A 293-298) erklärt werden. Es gilt folgenden Fragen nachzugehen: 1) Wie kommt die Vernunft dazu, ein Ableitungsverhältnis zu sehen zwischen aller Möglichkeit der Dinge und einer höchsten Realität? 2) Wieso setzt die Vernunft voraus, daß diese höchste Realität "in einem besonderen Urwesen" enthalten ist? Kant antwortet auf diese Fragen (aber ohne eine eindeutige Trennung beider Probleme) in den folgenden Absätzen: Die ersten zwei Schritte von Abs. 17 gehen auf die erste Frage ein; der dritte Schritt und Abs. 18 gehen auf die zweite Frage ein. Der Gedankengang des Abs. 17 gliedert sich in drei Schritte: Der erste Schritt (bis "nicht vorgestellt werden könnte") wiederholt die bekannte Lehre von der zweigliedrigen Struktur unserer Objekterkenntnis, deren locus classicus in der Einleitung zur transzendentalen Logik sich findet (A 50-52): Die Möglichkeit der Gegenstände der Sinne umfaßt ein Doppeltes: 1) eine in der Erfahrung gegebene Materie und 2) das Verhältnis des Gegebenen zu unserem Denken, in bezug auf welches allein (als reines Denken!) die empiri-

™ J. SCHMUCKER, On the Development of Kant's Transcendental Theology, in: Proceedings of the Third Intern. Kant Congress, hrsg. von L. W. Beck, Dordrecht 1972, 495500. Ders., Ontotheologie, 152 f.

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sehe Form gedacht und so ein mögliches Ding vorgestellt werden kann. Der zweite Schritt (bis "Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt") geht von den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände zu den Bedingungen der Möglichkeit derselben als durchgängig bestimmter Gegenstände, also als Individuen, über. Diese durchgängige Bestimmung kann nur in bezug auf alle Prädikate stattfinden gemäß dem "Grundsatz der durchgängigen Bestimmung" vom Abs. 2. Im transzendentalidealistischen Kontext dieser Ableitung kann der vom Grundsatz implizierte Inbegriff aller Prädikate kein anderer sein als der Inbegriff aller Prädikate der Erscheinungen. Im ersten Schritt aber wurde bereits gesagt, daß das Prädikat im Sinne der empirischen Form nur im Verhältnis des Gegebenen (Materie, Realität) zum Denken gedacht werden kann; infolgedessen kann der Inbegriff aller Prädikate nur im Verhältnis des Gegebenen als Ganzen, d. h. der Materie aller Gegenstände der Sinne, zum Denken gedacht werden. Die ganze Materie kann ihrerseits nur in einer "allbefassenden Erfahrung" gegeben werden. "Folglich ist nichts für uns ein Gegenstand [im Sinne eines durchgängig bestimmten Gegenstandes], wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realität [= aller Materie] ... voraussetzt." Zu bemerken ist, daß hier der einzelne Gegenstand wieder als Einschränkung derjenigen Totalität aufgefaßt wird, die die Materie zur Möglichkeit aller Gegenstände der Sinne ist. Ein solches Verhältnis ist, wie schon im Abs. 11 gesehen, nicht unproblematisch. Der dritte Schritt geht von der Vorausetzung des Alls der empirischen Realität (= All der Materie) zur Voraussetzung eines Alls der Realität an sich, also einer höchsten Realität an sich, über. In diesem Schritt liegt eine "natürliche Illusion", die den Grundsatz der durchgängigen Bestimmung der Dinge als Erscheinungen für einen Grundsatz mißversteht, der für die Dinge an sich gilt. M. a. W. wir statuieren ein All der Realität (ein allerrealstes Wesen) im Sinne des transzendentalen Realismus als Bedingung der Möglichkeit der Weltdinge. Genau diese Illusion liegt der herkömmlichen Rationaltheologie zugrunde. Abs. 18. Der oben im zweiten Schritt erschlossene "Inbegriff aller Realität" gehört zur distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs

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des Verstandes, d. h. zur summenhaften Totalität aller Erfahrungen, in bezug auf welche allein der Verstand sämtliche empirischen Formen denken kann. Wir verwandeln aber dialektisch diese distributive Einheit in eine kollektive, d. h. in eine allumfassende Erfahrung, der alle Realität als ebenfalls eine Einheit entspricht. Damit hypostasieren wir alle empirische Realität, d. h. denken sie als in einem Individuum enthalten. In einem weiteren Schritt (vgl. oben den dritten Schritt) machen wir aus diesem Individuum der Erscheinungswirklichkeit ein Ding an sich; damit denken wir das All der Realität in absolutem Sinn als höchste Bedingung der Möglichkeit der Dinge. Anders gesagt: Das Vernunftideal ist nach dieser späteren Interpretation das Ergebnis einer zweifachen dialektischen Verwandlung: 1) der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs in ein Erfahrungsganzes als ein einzelnes Ding, 2) des Erfahrungsganzen selbst in ein Ding an sich. Nach dieser Interpretation wäre also schon die Auffassung des Inbegriffs aller Prädikate bzw. des Alls der Realität als einer einzigen Realität (Hypostasierung) ein unzulässiger Schritt was in der vorhergehenden älteren Ableitung des transzendentalen Ideals nicht der Fall war. Die Fußnote schildert auf eine wiederum etwas andere Weise die drei Schritte vom Ideal der reinen Vernunft zum allerrealsten Wesen im Sinne der Theologie: Realisierung der Vorstellung des Alls der Realität, Hypostasierung dieser Realität (sie wird zu einer Substanz), Personifizierung dieser Substanz. Zum letzten Schritt werden wir durch die transzendentale Apperzeption verleitet, die in uns als Spontaneität, also als Intelligenz, die höchste Quelle der regulativen Einheit der Erfahrung ist. Diese Lehre von der transzendentalen Apperzeption als Intelligenz kommt mehrmals in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe vor. (Vgl. insbesondere die freilich spätere Stelle im § 25, Fußnote: B 157 f.)

XVIII. Kapitel Von der Unmöglichkeit eines Kontingenzbeweises Literatur Zu den Abschnitten III-V des Theologie-Hauptstückes vgl. J. Schmucker, Das Problem der Kontingenz der Welt. Versuch einer positiven Aufarbeitung der Kritik Kants am kosmologischen Argument, Freiburg 1969, 37-58.

Kant hat in den ersten zwei Abschnitten unter dem Titel "Transzendentales Ideal" den Begriff Gottes als Gegenstand einer transzendentalen Theologie dargelegt. Im zweiten Teil des Hauptstückes, den Abschnitten III-VI, geht er auf die Argumente ein, mit denen die philosophische Reflexion versucht hat, das Dasein Gottes zu beweisen. Wenn wir zunächst den Abschnitt VI beiseite lassen, der dem physikotheologischen Beweis gewidmet ist, bilden die Abschnitte III-V eine eigene Einheit. Denn sie behandeln die Gottesbeweise der "transzendentalen" Theologie im Unterschied zur "natürlichen" Theologie, gemäß der Aufgliederung der "rationalen" Theologie im Abschnitt VII, Abs. 1-2. Dieselbe Einheit ist im Anhang zum Abschnitt V mitangedeutet, wo von der "Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens" die Rede ist. Im Mittelpunkt dieser transzendentalen Beweise - also des Kontingenzbeweises und des ontologischen Beweises - steht der Modalbegriff der Notwendigkeit: der Begriff einer schlechthin notwendigen Existenz. Die zu prüfenden Gottesbeweise zielen darauf ab, das ens realissimum, dessen Begriff die Abschnitte I-II dargelegt haben, als ens necessarium, d. h. als notwendig existierend auszuweisen. Dies tun sie auf zwei verschiedenen Wegen: Der eine (ontologischer Beweis) geht vom Begriff des ens realissimum aus und beweist, daß ihm die notwendige Existenz zukommt, daß es deshalb notwendigerweise existiert; der andere geht von einem (kontingent) Existierenden im Bereich unserer Erfahrungswelt aus und beweist zuerst ein not-

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wendig Existierendes, das dann als unendlich, also mit dem ens realissimum identisch ausgewiesen wird l. Diese zweite Argumentationsart wird hier zweimal einer Prüfung unterzogen: im III. und V. Abschnitt. Kant nennt den Gottesbeweis des Abschnittes V kosmologischen Beweis. Den von Kant unbenannten Beweis des Abschnittes III können wir sachgemäß Kontingenzbeweis nennen. Es ist der klassische Beweis "a contingentia mundi", wie Kant ihn im Abschnitt V im Zusammenhang mit dem Namen Leibniz' bezeichnet (A 604. Vgl. auch XXVIII 456, 692, 694), und der ihm vor allem durch Wolff bekannt war (EmBg A 194 = II 157) 2. Wenn wir nun den Inhalt dieser drei Abschnitte näher betrachten, stellen wir fest, daß ihr Schwerpunkt im Begriff der notwendigen Existenz im Sinne einer Realnotwendigkeit liegts. Dies gilt auch für den ontologischen Beweis. Der Kern der Argumentation Kants ist, daß unsere Vernunft einerseits ein unbedingt Existierendes braucht, um aus dem immer weiter gehenden Verweis jedes bedingt Existierenden auf ein anderes Existierendes hinauszukommen; daß wir aber andererseits über keine Einsicht ins Wesen eines unbedingt Existierenden verfügen. Die Konsequenz der Forderung einerseits und der Unfähigkeit andererseits ist, daß wir nicht wissen, was oder wer das ens necessarium ist. Gerade ein solches Wissen beanspruchen die Gottesbeweise, wie immer auch ihr Beweisgang verläuft. Unter einem systematischen Aspekt, der aber nicht der Erkenntnislehre Kants entspricht, geht es in den Abschnitten III-V um den Übergang vom Denken zum Erkennen Gottes. Bezüglich dieser zwei verschiedenen Momente unserer Erkenntnisstruktur ist folgendes anzumerken. Unser Denken Gottes findet mittels eines analogen Begriffs statt, der von der Welt her gebildet wird. Deshalb ist von

1 Zu diesen zwei "transzendentalen" bzw. "ontologischen" Beweisen vgl. den wichtigen Abschnitt in den "Fortschritten der Metaphysik", der die Überschrift "transzendente Theologie" tragt: XX 301-304. 1 Es stellt sich die Frage, wieso Kant denselben Beweis zweimal behandelt und zwar so, daß er das erste Mal den Beweis weder in der Überschrift des Abschnittes noch im Verlauf desselben bei Namen nennt. Die Antwort kann keine andere sein als der kompositorische Charakter der KrV. Die Abschnitte und V dürften die Niederschrift zweier zeitlich getrennter Auseinandersetzungen mit dem Gottesbeweis aus der Kontingenz der Welt sein. Jedesmal nimmt Kant - wie es bei ihm oft der Fall ist keine Rücksicht auf seine andere Behandlung desselben Problems und gibt deshalb auch1 keine Erklärung, warum sein jeweiliger Angriffspunkt ein anderer ist. Vgl. Kap. XV, 2, 2.

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vornherein eine Einsicht in das Wesen Gottes ausgeschlossen. Die Einsicht, auf Grund deren wir den Begriff Gottes bilden, ist die Einsicht in die "Welt". Infolgedessen gelangen wir zur Erkenntnis, daß Gott existiert, nicht weil wir das absolut Realnotwendige eingesehen haben, sondern durch das rationale Urteil, mit dem wir auf der Basis der existierenden Welt den analogen Begriff Gottes absolut setzen und damit sein Sein erkennen *. Die Überschrift des Abschnittes lautet: "Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen". Sie bezieht sich offenkundig auf die letzten zwei Absätze, die wieder eine ähnliche Überschrift tragen: "Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich." Diese Systematik aller möglichen Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft am Ende des Abschnittes muß später niedergeschrieben worden sein, und zwar als Vorspann zu den drei Gottesbeweisen, die im folgenden untersucht werden (Abschnitte IV-VI); sie wurde aber dann ungeschickterweise einer anderen, älteren Behandlung des Kontingenzbeweises angehängt. Die sich daraus ergebende Unstimmigkeit zwischen Überschrift und Inhalt ist bei Kant keine Seltenheit. Adikkes (Edition der KrV, 140) bemerkt dasselbe zu den Überschriften der Paragraphen der transzendentalen Deduktion B. Eine ähnliche Feststellung macht Tonelli in seiner Studie über das Wort Zweckmäßigkeit zu den Paragraphentiteln der dritten Kritik 5. Spekulative Vernunft ist hier im Unterschied zu (moralisch-) praktischer Vernunft gemeint. Was Kant hier seiner Prüfung unterziehen will, sind sämtliche rationalen Gottesbeweise, deren Ansatz nicht im moralisch-praktischen Gebrauch der Vernunft liegt. Es ist daran zu erinnern ', daß es gerade die Einsicht in eine praktische Begründung des Gottesglaubens war (die sicherer ist und unmittelbar zur Erkenntnis der moralischen Eigenschaften Gottes führt, auf die es entscheidend ankommt), die Kant den Weg zur Widerlegung aller * Vgl. das weiter oben zum Thema: "Ontotheologie und Kontingenzbeweis", Kap. , 4. Betrachtung gegen Ende, Gesagte. Auf der Basis der hier vertretenen Erkenntnislehre sind beide Aussagen des THOMAS VON AQUN: "nos non scimus de Deo quid est" (Summa Theologiae, I, q. 2, a. 1) und "scimus quod haec propoaitio quam formamus de Deo, cum dicimus Deus est, vera est" (Ebd. q. 3, a. 4 ad 2) sehr wohl vereinbar. ' TONELLI, Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Zweckmäßigkeit in der Kritik der Urteilskraft, in: KS 49 (1957) 164. • Vgl. Kap. XIV, 5.

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Grottesbeweise aus spekulativer Vernunft, einschließlich seines "einzigen Beweisgrundes", frei machte. Eine solche Einsicht ist in den Druckschriften zum ersten Mal in den "Träumen eines Geistersehers" belegt (letzter Abs. des Werkes).

Gliederung des Abschnittes 1. Abs. Umriß des Kontingenzbeweises. 2. Abs. Erster Schritt: Vom ens contingens zum ens necessarium. 3. -5. Abs. Zweiter Schritt: Vom ens necessarium zum ens realissimum. 6. Abs. Wiederholung des Beweises. 8. Abs. Kritik des zweiten Schrittes. 7. und 9. Abs. Objektive Unzulänglichkeit des Beweises für die spekulative Vernunft; Zusatz der praktischen Vernunft zur praktischen Zulänglichkeit desselben. 10. Abs. Der Kontingenzbeweis gibt den natürlichen Gang der gemeinen Vernunft wieder. 11. -12. Abs. Die drei Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft.

Abs. l faßt zunächst die Lehre vom transzendentalen Ideal zusammen: Die Möglichkeit der durchgängigen Bestimmung der Dinge setzt in unserer Vernunft die Idee vom Inbegriff aller Prädikate voraus, die sich als Gottesbegriff in transzendentalem Verstande erweist. Aber, wie schon in II, Abs. 10 und 15 ausgeführt, wird dabei nur die Idee vom All der Realität als einem Individuum vorausgesetzt, nicht seine Existenz. (Auch hier, wie im letzten Teil des vorigen Kapitels, treffen wir Qualifikationen der Gottesidee an - "das Idealische und bloß Gedichtete", "bloßes Selbstgeschöpf' -, die ihrem Status von Ideal und der ihr zugeschriebenen Funktion nicht gerecht werden.) Aber dieselbe Vernunft ist zugleich das Vermögen des Unbedingten 7. Als solche fühlt sie sich "gedrungen", im Rückgang vom 7 Diese Auffassung von der Vernunft wird im I. Buch der Dialektik im Zusammenhang mit der Ideenlehre erörtert. Dort wird das Prinzip der reinen Vernunft folgendermaßen definiert: "Wenn daa Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben" (A 307 f). Besonders lehrreich sind die Ausführungen der Vorrede B XX f über die Vernunfttendenz zum Unbedingten. Diese Lehre von der Vernunft als dem Vermögen des Unbedingten ist allerdings an sich noch keine kritizistische Lehre. Kritizistisch ist die Auffassung, daß die Tendenz zum Unbedingten einen bloß regulativen Gebrauch hat, so daß das Unbedingte keine Komponente unserer Erkenntnisstruktur ausmacht. Auf eine solche kritizistische Lehre beruft sich die hier vorliegende Widerlegung des Kontin-

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Bedingten, das gegeben ist, zu dessen Bedingungen einen "Ruhestand" zu suchen - das Unbedingte -, das den Regressus beendet. Der Kontingenzbeweis beschreitet genau diesen "natürlichen Gang" * und zwar in zwei Schritten. Zuerst geht er von einem durch die Erfahrung erkannten Existierenden 9 zu jenem Existierenden über, das notwendig existiert. Nach scholastischem Verständnis wäre damit der Gottesbeweis ans Ziel gekommen. Die weitere Reflexion über die absolut notwendige causa prima ist (nur) eine Explizierung des schon rational Erkannten: Wie muß die Erstursache beschaffen sein, damit sie die Funktion einer Letztbegründung des Kontingenten ausüben kann? Die Antwort lautet: Sie muß das Sein selbst und damit das All der Wirklichkeit sein ("der Realität nach unendlich"). Nach Kant dagegen stellt der Übergang vom Notwendigen zum Unendlichen einen weiteren, wesentlich verschiedenen und zugleich unentbehrlichen Schritt hin zum Ziel einer Gotteserkenntnis dar, der mittels eines eigenen Arguments getan werden muß - und de facto nicht getan werden kann! Der natürliche Gang der Vernunft läßt uns also wohl wissen, daß es irgendein Absolutnotwendiges gibt, nicht aber, wer dieses sei: Ob Gott in theistischem Sinne, oder die Welt, oder sonst etwas anderes. Zur Gliederung des Kontingenzbeweises in zwei wesentlich verschiedene Momente, die ein Charakteristikum der Wolffschen Fassung des Beweises ist, vgl. den Beginn von Kap. XII. Abs. 2 erläutert den ersten Schritt: Vom zufallig Existierenden zu irgend etwas notwendigerweise Existierendem. "Zufallig" war die damalige Verdeutschung von "contingens" (Vgl. Baumgarten, Metaphysica § 101). An dieser Stelle scheint es, daß Kant nichts gegen

genzbeweises nicht! • Durch diese Bezeichnung dürfte Kant auch auf den kosmologischen Ursprung des Begriffes vom ens neceasarium als Bestandteil des klassischen Gottesbeweises hinweisen.9 Aber das Existierende als Existierendes wird nicht durch die Erfahrung allein erkannt! Hierin liegt die fatale Falle für den Empirismus aller Art (Was meint Kant, wenn er im Abs. 3 von einem "gegebenen Dasein" spricht?). Eigentlich und erst wird die Wirklichkeit, auch die materielle Wirklichkeit, in einem rationalen Urteil erkannt. D. h. in der Erfahrung werden zwar Daten, aber es wird kein Dasein gegeben (erkannt). Die Erfahrung ist nun eine notwendige, aber nicht zureichende Komponente des Existenzurteils! In diesem Grundproblem der Erkenntnis wird die Frage nach einem stichhaltigen Gottesbeweis in der Tat entschieden.

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den Schluß vom Kontingenten zum Notwendigen einzuwenden hat. Dies war an den zwei Stellen des EmBg, an denen der Kontingenzbeweis schon zur Sprache gekommen ist, nicht ohne weiteres der Fall. So im Beschluß der I. Abtig., Abs. 3: Der Schritt gelangt nur zu einem hypothetice necessarium; wiederum bei der Prüfung des Beweises in der III. Abtig., Nr. 3, 1. Abs.: Der Schritt führt zu einem logisch notwendigen Dasein. Abs. 3-5 erläutern den zweiten Schritt, in dem das Absolutnotwendige in seiner Wesensart als Gott näher bestimmt wird. Da nun im Abschnitt II schon erwiesen wurde, daß der Gottesbegriff in ontologischem Sinne (der alle Eigenschaften Gottes miteinschließt) der Begriff vom ens realissimum ist, gilt es jetzt, das ens necessarium mit dem ens realissimum zu identifizieren. Aber um diesen Schritt zu tun, analysiert Kant nicht das als existierend schon erwiesene ens necessarium, um zu ermitteln, was für Eigenschaften es hat, und damit die Frage entscheiden zu können, ob es Gott in theistischem Sinne ist. Dies wäre der naheliegende Weg. Denn mittels des Kausalitätsprinzips sind wir zu einer Erstursache gelangt, die das Sein der kontingenten Dinge und ihr eigenes erklärt. Es gälte also zu untersuchen, wie die Erstursache beschaffen sein muß, um die Funktion zu erfüllen, die sie als Erstursache (als ens a se im ersten Schritt Wolffs) tatsächlich erfüllt. Gerade als Erstursache der Welt und als absolutnotwendig muß sie auch andere Eigenschaften haben, die alle zu dem passen, was wir unter Gott verstehen. Diese Analyse stellt die Scholastik an, nachdem sie bewiesen hat, daß es eine Erstursache gibt. Auf ähnliche Weise versteht und fuhrt Wolff das zweite Moment in seinem Kontingenzbeweis aus - auch wenn er, im Unterschied zur scholastischen Tradition, das zweite Moment für mehr als eine "bloße" Explizierung des Resultats des ersten Schrittes hält. Hier dagegen verläßt Kant, zumindest vorläufig, das schon Erreichte und forscht unter allen Begriffen möglicher Dinge, um den Begriff zu finden, der 1) "nichts der absoluten Notwendigkeit Widerstreitendes in sich hat" - dies gelingt ihm -, und der zugleich 2) allein sich mit dieser Notwendigkeit verträgt (Wenn die Vernunft "alles wegschaffen kann, was sich mit dieser Notwendigkeit nicht verträgt, außer einem ..."). Dies, wie wir sehen werden, gelingt ihm nicht. Anders formuliert, es gilt, einen Begriff * zu finden, der ein Wesen

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bezeichnet, das (1) mit dem ens necessarium identisch sein kann, (2) und zwar in einem exklusiven Sinne. Nur so können wir schließen: Dieses Wesen ist ein ens necessarium, d. h. ihm kommt die schon erwiesene notwendige Existenz zu. Der gesuchte Begriff ist, so scheint es, "der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität". Dies ist, wie schon gesehen, der eigentliche Begriff Gottes in transzendentalem Sinne: das ens realissimum. Denn als das All der Realität enthält das ens realissimum "zu allem Warum das Darum"; es ist im Besitz "aller Bedingungen zu allem Möglichen" und bedarf deshalb "selbst keiner Bedingung" außer ihm. Kurzum: der Begriff des ens realissimum qualifiziert sich positiv zum ens necessarium, weil er, und zwar er allein, das "Merkmal der Unabhängigkeit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt". Das All der Realität hängt ja per definitionem von keiner anderen Realität ab. Diese Unabhängigkeit ist das "Merkzeichen", durch das die Vernunft a priori ein Wesen als unbedingt, als ens necessarium, erkennen kann. Die Vernunft sieht a priori ein, daß das ens realissimum ein Absolutnotwendiges ist, weil es ein unabhängiges Wesen ist (Auf diese Einsicht stützt sich der Anselmianisch-Cartesianische Gottesbeweis). Dies gilt für keinen anderen Begriff sonst. Deswegen kann die Vernunft den Schluß ziehen: Das ens realissimum (Gott) existiert notwendigerweise, nicht im Sinne einer Ableitung der Existenz vom Begriff des ens realissimum (apriorischer Beweis), sondern in dem Sinne, daß das bereits a posteriori erreichte ens necessarium als ens realissimum und damit als Gott erwiesen wird. Ausdrücklich gegen Ende des Abs. 4 und andeutungsweise im Abs. 5 nimmt Kant seinen Einwand gegen die Schlüssigkeit des zweiten Schrittes vorweg. Diesen Einwand werden wir an seiner Stelle, im Abs. 8, erörtern. Hier ist es wichtig, die Eigenart des zweiten Schrittes in der Rekonstruktion Kants zu bemerken: Er analysiert nicht das schon als existierend erkannte ens necessarium; er analysiert vielmehr die Begriffe, um zu ermitteln, welcher von ihnen zum ens necessarium (d. h. zur notwendigen Existenz) paßt oder passen könnte! Somit übernimmt er den eigentlichen Ansatz des ontologischen Beweises. Abs. wiederholt den ganzen Kontingenzbeweis, geht aber dabei ausführlicher auf den zweiten Schritt ein. Auch hier ist es die Un-

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abhängigkeit, die der zweite Schritt als Merkmal desjenigen Begriffes sucht, der für die unbedingte Existenz zu Recht kandidieren kann. Und wiederum ist es das, was alle Realität enthält, das die gesuchte Unabhängigkeit von allen Bedingungen aufweist. Beiläufig erwähnt Kant, daß das All der Realität Einheit im Sinne von Einfachheit und Einzigkeit besagt, wie er bereits im II. Abschnitt erläutert hat (vor allem Abs. 8 und 12). Also ist das höchste Wesen identisch mit dem ens necessarium. Abs. 8 widerlegt den Kontingenzbeweis, indem er die Unschlüssigkeit des zweiten Schrittes zeigt. Es stimmt wohl, daß das ens realissimum sich positiv "zur absoluten Notwendigkeit schickt". Daraus folgt aber nicht, daß diese Geeignetheit ihm sensu exclusive zukommt. Umgekehrt ist im Begriff des endlich Seienden die Unbedingtheit nicht enthalten; damit allein aber können wir nicht ausschließen, daß auch ein "eingeschränktes Wesen" eine unbedingte Existenz hat. M. a. W. Kant gibt zu, daß das ens infinitum (oder realissimum) ein ens necessarium ist; hält aber für unbewiesen, daß nur das ens infinitum ein ens necessarium ist. Es wird also uns "unbenommen bleiben, alle [!] übrigen eingeschränkten Wesen ebensowohl für unbedingt notwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht schließen können". Anders formuliert: Der natürliche Gang der Vernunft anhand des Kausalitätsprinzips läßt uns zu der Einsicht gelangen, daß es ein absolut notwendiges Wesen geben muß, aber so, daß wir nicht entscheiden können, "ob diese absolute Notwendigkeit einer Vielheit endlicher Dinge und damit der Welt selber, oder aber nur einem einzigen unendlichen und damit welttranszendenten Wesen zukommen kann" 10. Welche nun diese endlichen und dennoch notwendigen Wesen sind, gibt Kant nicht näher an. Man könnte an letzte Weltsubstanzen, an die Welt insgesamt, an mehrere Götter, an zwei letzte Prinzipien der Wirklichkeit nach der Lehre einer dualistischen Metaphysik denken ". Dieser von Kant mit einer stark rationalistischen Argumentation erhobene Einwand gibt in der Tat eine gar nicht seltene

SCHMUCKES, Joseph Moreaus Interpretation der Kantischen Gottesbeweiskritik in "Le 11Dieu des philosophes", in: Archiv für Geschichte der Philosophie 54 (1972) 49. Vgl. HBMSOBIH, Transzendentale Dialektik 468.

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Ansicht wieder. Man gibt nämlich zu, daß nicht alles geworden sein kann; daß es ein Erstes in der Wirklichkeit geben muß, und in diesem Sinne eine unabhängige Ursache. Aber dieses erste und notwendige Prinzip läßt sich verschieden denken; es braucht nicht der Gott des Theismus zu sein. Der Übergang von der positiven Qualifikation des ens realissimum im Hinblick auf eine notwendige Existenz zur exklusiven Qualifikation ist nach Kant ein Fall von hypothetischem Vernunftschluß nach der ungültigen Form des modus tollens: ex negatione conditionis ad negationem conditionati (vgl. Logik Philippi: XXIV 476). Eine solche Argumentation ist nur gültig, wenn die Bedingung (in unserem Falle die Unendlichkeit) nicht nur hinreichende, sondern auch notwendige Bedingung (der Notwendigkeit) ist. Dies ist aber nach Kant nicht der Fall. Zur Frage, ob ein eingeschränktes Wesen mit einer schlechthin notwendigen Existenz ausgestattet sein kann, sind zwei Überlegungen angebracht: Die eine über die Lehre Kants an anderen Stellen, die andere über das sachliche Problem. 1) In der ersten Fassung der Ontotheologie der "Nova dilucidatio" hat Kant dahingehend argumentiert, daß die Realgehalte der Möglichkeiten, von denen er zuerst bewiesen hat, daß sie notwendig existieren müssen, ohne jede Einschränkung in einem einzigen Seienden existieren, "hoc est, ens constituent infinitum", weil sie sonst als getrennte begrenzte Wesen kontingent existieren würden. D. h. er hat argumentiert auf der Grundlage der in der Schulphilosophie allgemein anerkannten Ansicht, daß ens infinitum und ens necessarium, bzw. ens finitum und ens contingens einander in exklusivem Sinne einschließen 12. Auf dieselbe Weise hat Kant auch in seiner zweiten Version der Ontotheologie argumentiert. Im "Beschluß" der I. Abtig., 1. Absatz, heißt es, daß "kein veränderliches Ding oder in welchem Schranken sind, mithin auch nicht die Welt von einer solchen Natur ist", nämlich ein "schlechterdings notwendiges Wesen".

u Vgl. Kap. IV, l, b l, BAUMGABTEN, Metaphysica, § 255-260. Für seinen Beweis, daß Gott keine "limites" haben kann, setzt Friedrich Christian BAUMEISTEE als Obersatz die These: "Cum omne id, quod possidet limites, debeat esse ens contingens", in: Institutiones metaphysicae, 1738, § 800.

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Dieselbe Position kommt in der III. Abtig, bei der Widerlegung des Kontingenzbeweises zur Sprache. Kant räumt ein, daß "Notwendigkeit und Unendlichkeit ... Wechselbegriffe" sind, so daß ein notwendiges Wesen unendlich sein muß, "weil das Unendliche (und zwar allein) notwendig existiert" (A 196a = II 158). Gerade deswegen, wendet Kant ein, setzt der Kontingenzbeweis den ontologischen Beweis voraus, der aus der Unendlichkeit (ens realissimum) die Existenz ableitet. In mehreren RR wird dieselbe Lehre vertreten: 4086 ("Die Einschränkung jedes Dinges ist ein Beweis der Zufälligkeit"), 4242, 4253, 4258, 5628, 6323 und 6324 ("Ein notwendiges Wesen muß alle Realität haben"). In beiden letztgenannten RR beweist Kant ausdrücklich, daß ein Wesen, dem etwas mangelt, zufallig ist: XVIII 642, 645), 6436. In der Metaphysik Volckmann heißt es: "Ein ens limitatum non est necessarium" (XXVIII 456). In diesen Kontext paßt die wichtige Lehre der vierten Antinomie, aus der hervorgeht, daß wir nicht zu erkennen vermögen, ob die Welt überhaupt kontingent in metaphysischem Sinne ist oder nicht. Nach der Anmerkung zur Thesis, Abs. 4 und 5 (A 458-460), wissen wir zwar um die "empirische Zufälligkeit" der Dinge aus den Veränderungen in der Welt. Aber eine solche Kontingenz verlangt (nur) eine Ursache im vorigen Zustand, so daß wir auf diesem Weg immer innerhalb der weltlichen Wirklichkeit bleiben. Von dieser empirischen Zufälligkeit können wir nicht auf die metaphysische Zufälligkeit schließen ("Zufälligkeit nach Begriffen des reinen Verstandes"), daß nämlich die Dinge, die da sind, auch nicht sein könnten. M. a. W. wir wissen nur, daß X, bzw. sein Zustand, zu einem späteren Zeitpunkt auch nicht sein kann, weil es sich de facto verändert hat und insofern es nicht mehr da ist; aber wir wissen nicht, ob es im selben Moment, wo es ist, auch nicht sein könnte (= metaphysische Kontingenz). Die Dinge in der Welt könnten also trotz ihrer Veränderlichkeit und damit Endlichkeit auch notwendig existieren. Diese Position läuft evidentermaßen auf die These unseres Abs. 8 hinaus, dergemäß ein begrenztes Wesen ein notwendiges Wesen sein kann. Damit wird, bei Licht besehen, der erste Schritt selbst des Kontingenzbeweises hinfällig, insofern er beansprucht, von der Kontingenz der Weltdinge auf ein transzendentes notwendiges Wesen zu schließen. Genau dies

266

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ist der Schluß der These in der vierten Antinomie: Das "Absolutnotwendige" (!) "gehört selber zur Sinnenwelt" (A 452) 13. Dieselbe Bestreitung der Kontingenz der Welt in metaphysischem Sinne treffen wir in mehreren RR: 3768, 3771, 3838 (letzte trennt ausdrücklich Zufälligkeit und Einschränkung eines Dinges). 2) Zur Sache. Was bedeutet die metaphorische Redewendung von "eingeschränkten" oder "endlichen" Wesen? Sie bedeutet offensichtlich, daß ein solches Wesen nicht alle Realitäten in sich enthält: Es ist x, y, z ..., zugleich aber ist es nicht m, n, p ... Warum kann von ihm ausgesagt werden: Es ist nicht m, n, p ...? Ich kann keine andere Antwort finden als die: Weil sein Wesen nicht das Sein selbst ist. Denn vom Sein kann nicht ausgesagt werden: Es ist nicht. Das Sein besagt nur Realität, keine Negation. Das Sein, und es allein, ist unendlich. Ist ein Wesen das Sein selbst, dann existiert es notwendigerweise; denn das Sein kann nicht nicht sein. Also gilt die Gleichsetzung: ens infinitum = ens necessarium; und umgekehrt: ens finitum (ein Wesen, das nicht das Sein selbst ist) = ens contingens. Unter einem anderen Gesichtspunkt: Eine beschränkte Intelligibilität besagt von sich aus nur die Möglichkeit-zu-sein; sie ist nicht imstande, ihre eigene tatsächliche Existenz zu begründen. Dies wissen wir auf Grund der Operativität unserer Intentionalität, die an jedes beschränkte Intelligible (und derart ist der Inhalt aller unserer Begriffe, einschließlich unseres endlichen Begriffes des Unendlichen, wie ich in meiner Besprechung des Cartesianischen Beweises dargelegt habe. Vgl. Kap. XII, 3) die Existenzfrage stellt: Ist es wirklich? Ein beschränktes Wesen erkennen wir eo ipso als metaphysisch kontingent. Abs. 7 und 9 legen Mängel und Wert des Beweises dar. Der Beweis kann keinen Anspruch auf Stichhaltigkeit vor der spekulativen Vernunft erheben ("wenn es um Beurteilung zu tun ist, wieviel wir von dieser Aufgabe wissen ..."), insofern die Gründe für die Identifizierung des bewiesenen ens necessarium mit Gott "nicht objektiv zulänglich" sind. Andererseits aber gibt Kant zu bedenken, daß wir "nichts Besseres" und Überzeugenderes finden können, so daß dem

u

Vgl. weiter unten Kap.

, Anhang, Nr. 3.

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Kontingenzbeweis doch "eine gewisse Gründlichkeit " nicht abgesprochen werden kann. Wenn es aber um den Gebrauch der moralischpraktischen Vernunft, d. h. um eine freie und verantwortliche Entscheidung (um "Entschließungen") geht, die die Existenz Gottes voraussetzt, dann sind wir "genötigt", das Absolutnotwendige als die "absolute Einheit der vollständigen Realität", "den Urquell der Möglichkeit", also als Gott anzuerkennen. In diesem Sinne und aus diesem Grund erkennen wir dem Kontingenzbeweis, faute de mieux, einen Wert zu. Dies wird im Abs. 9 weiter erläutert, und zwar im selben Sinne wie die Version des moralischen Gottesbeweises in der transzendentalen Methodenlehre (A 804 ff). Wir können aus praktischen Gründen nicht in der Unschlüssigkeit bezüglich der Gottesfrage verharren. Denn die sittlichen "Verbindlichkeiten" würden uns nicht zu entsprechender Entscheidung bewegen, wenn es kein höchstes Wesen gäbe, das "den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck" verleiht. Der kategorische Imperativ schließt deshalb die Pflicht mit ein, ein solches Wesen vorauszusetzen. Genau diese Voraussetzung macht den "praktischen Zusatz" aus, weswegen die spekulative Vernunft die genannte Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum vornehmen kann. Derselbe Gedanke, in dem der Kern des moralischen Gottesbeweises Kants (nach einer seiner Fassungen!) liegt, kommt wieder im Abschnitt VII, Abs. 5 vor: Das Dasein Gottes ist die Bedingung der Möglichkeit der "verbindenden Kraft" der moralischen Gesetze. Dieses Thema: Sollensanspruch - Gottesglaube, das bereits in den "Träumen eines Geistersehers" angeklungen ist 14, und im Laufe der Zeit immer mehr an Gewicht gewonnen hat, soll im letzten Teil dieser Studie zur Sprache gebracht werden. Wichtig ist, daß für Kant (1) der Gottesbeweis aus spekulativer Vernunft "objektiv" unzulänglich ist, und daß, (2) was durch die praktische Vernunft hinzukommt, ein "praktischer Zusatz" ist, der in sich selbst keinen objektiv gültigen Beweis darstellt. Damit haben wir das Thema des Erkenntniswertes eines Postulats der praktischen Vernunft oder des moralischen Glaubens angeschnitten. Dazu schreibt Kant in einem späteren Entwurf zur

14

Vgl. Kap. XIV, 5 in initio.

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Preisschrift über die "Fortschritte der Metaphysik": Dieser Beweisgrund ist "kein Beweis von der Wahrheit dieser Sätze [Gott, Freiheit und Unsterblichkeit], als theoretischer betrachtet, mithin keine objektive Belehrung von der Wirklichkeit der Gegenstände derselben... , sondern nur eine subjektiv- und zwar praktisch-gültige, und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob wir wüßten, daß diese Gegenstände wirklich wären... indem wir uns jene Objekte, Gott, Freiheit in praktischer Qualität, und Unsterblichkeit, nur der Forderung der moralischen Gesetze an uns zu Folge selbst machen und ihnen objektive Realität freiwillig geben" (A 115 f = XX 298 f). Abs. 10 wiederholt den Beweis, der, weil "einfaltig und natürlich", zum Monotheismus bei allen Völkern geführt hat. An sich aber ist er ein transzendentaler (vgl. zu Beginn dieses Kapitels), d. h. metaphysischer Beweis, insofern er auf der metaphysischen Kontingenz der Dinge beruht. Abs. 11-12 geben die in der Überschrift angekündigte Einteilung aller metaphysischen Gottesbeweise "aus spekulativer Vernunft" an. Die drei hier aufgezählten Beweise entsprechen (wenn auch nicht ihrem Namen nach) dem ersten, dritten und vierten in der Systematik zu Beginn der III. Abtig, des EmBg. Der dort an zweiter Stelle genannte ontotheologische Beweis (von Kant als "ontologischer" Beweis bezeichnet) wird hier zwar mit Stillschweigen übergangen; in der Tat wurde er in umgewandelter Form bereits im Abschnitt II unseres Theologie-Hauptstückes behandelt und als Beweis der Existenz Gottes (ens realissimum) abgelehnt. Die drei Beweisarten werden folgendermaßen eingeteilt und kurz charakterisiert: A. Die Beweise auf einem empirischen Weg gehen entweder von einer bestimmten Erfahrung aus (Ordnung und Finalität in der Welt): (1) physikotheologischer Beweis, oder von einer unbestimmten Erfahrung aus, nämlich vom Existierenden als bloß kontingent existierend: (2) kosmologischer Beweis. B. Der Beweis auf dem transzendentalen Weg, d. h. "a priori aus bloßen Begriffen", wobei die gemeinten Begriffe ontologische Begriffe sind: (3) ontologischer Beweis.

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In terminologischer Hinsicht ist die Äquivalenz zu bemerken zwischen "Weg a priori aus bloßen Begriffen", "ontologischer Beweis", "transzendentaler Weg". Die hier angegebene "ordo inventionis" der Gottesbeweise wird in der folgenden Darlegung der einzelnen Beweise ("ordo doctrinae") umgedreht, weil die von der Erfahrung ausgehenden Beweise in ihrem letzten und entscheidenden Schritt doch auf den ontologischen Beweis rekurrieren bzw. ihn voraussetzen M. Deshalb bildet, von einem formal-systematischen Standpunkt aus, die Widerlegung des ontologischen Beweises den Kern der Kantischen Gottesbeweiskritik. In der Tat aber, wie bereits angemerkt, liegt der sachliche Schwerpunkt der Überlegungen Kants in der Behandlung des Daseinsnotwendigen. Der Cartesianische Beweis bildete seit der Nova Dilucidatio kein ernsthaftes Problem mehr für Kant.

" Diee ist aber fttr den Kontingenzbeweis, so wie er hier dargelegt und widerlegt wurde, nicht der Fall. Ein weiteres Indiz dafür, daß Abschnitt eine Auseinandersetzung mit dem Kontingenzbeweis wiedergibt, die früheren Datums als die ihm angehängte Systematik ist.

XIX. Kapitel Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises Literatur Brugger, Walter S. J., Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979, 501-506 (ausführliche neuere Bibliographie). Schmucker, Josef, Das Problem der Kontingenz der Welt, Freiburg 1969, 45-58. Bohatec, Joseph, Zur neuesten Geschichte des ontologischen Gottesbeweises, Leipzig 1906. Herrlin, O., The Ontological Proof in Thomistic and Kantian Interpretation, Upsala l Leipzig 1950. Henrich, Dieter, Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960. Engel, S. Morris, Kant's "Refutation" of the Ontological Argument, in: Kant. A Collection of Critical Essays, hrsg. von R. P. Wolff, 1968, 189-208. Paolinelli, Marco, San Tommaso e Ch. Wolff sull'argomento ontologico, in: Rivista di Filosofia Neo-scolastica 66 (1974) 897-945. Das ontologische Argument in der Geschichte der Philosophie, hrsg. von Helmut Kohlenberger, in: Analecta Anselmiana. Untersuchungen über Person und Werk Anselms von Canterbury, IV11, Frankfurt 1975, 59-347. Payot, Roger, L'argument ontologique et le fondement de la metaphysique, in: Archives de Philosophie 39 (1976) 227-268, 427-444, 629-645. Schurr, Adolf, Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes, in: L ritage de Kant (Melanges philosophiques offerts au P. Marcel Ragnier), Paris 1982, 81-94. MC Grath, P. J., Where does the Ontological Argument go Wrong?, in: Philosophical Studies 30 (1984) 144-164. Rohls, Jan, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritik, Gütersloh 1987. Zu Kants Kritik am ontologischen Beweis: 271289. Latz, Johannes Baptist S. J., Der im ontologischen Gottesargument enthaltene Tiefsinn. Zu Kants Kritik der Gottesbeweise, in: Sinngestalten, Metaphysik in der Vielfalt menschlichen Fragens (Festschrift E. Coreth S. J.), hrsg. von Otto Muck S. J., Innsbruck 1989, 117-130. Insbesondere zu Leibniz: Martin, Gottfried, Existenz und Widerspruchsfreiheit in der Logik von Leibniz, in: KS 48 (1956/57) 202-215.

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271

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I. Einleitung 1. Kant unterzieht hier seiner Kritik den apriorischen Gottesbeweis, der zuerst von Anselm von Canterbury in seinem "Proslogion", c. 2-3, entwickelt wurde. Der Verweis auf Anselm findet sich bei Kant erst an zwei späteren Stellen seines Nachlasses. In der R 6214 aus der ersten Hälfte der 80er Jahre notiert Kant: "Anseimus: Ontotheologie" (XVIII 500). Adickes bringt diesen Collegszettel über die verschiedenen Gottesbeweise in Zusammenhang mit Johann August Eberhards 'Torbereitung zur natürlichen Theologie", 1781. Kant hat dieses Buch als Kompendium für seine Vorlesungen über die Rationaltheologie benutzt oder mitbenutzt (vgl. XXVIII 1360). Der Text ist in XVIII 491-606 abgedruckt. Eberhard legt den Beweis dar und fuhrt ihn auf Anselm zurück: XVIII 556, 525. Die zweite Stelle findet sich in den Entwürfen zur Preisschrift von 1791 über die Fortschritte der Metaphysik: "Leibnizens Ergänzung des Arguments Anselmi" (XX 349). Außerdem wird in der Vorlesung über Metaphysik Kj aus dem Jahre 1794 zu diesem Beweis gesagt: "Anseimus, ein Scholastiker in Paris [!], gab ihn zuerst, darauf stützte ihn Cartesius und Leibniz auf' (XXVIII 782). Anselm wird auch in der Religionslehre Pölitz (XXVIII 1003) und in der Danzinger Rationaltheologie (XXVIII 1243) erwähnt. Kant hat vermutlich aus Eberhard von der Herkunft des Beweises erfahren, also nach der Veröffentlichung der KrV - obwohl er von Anselm auch durch Wolffs Theologia Naturalis II, § 13 gehört haben könnte. Normalerweise setzt er den Beweis in Zusammenhang

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mit Descartes (Nova dilucidatio und EmBg) oder auch mit Leibniz (so im vorletzten Abs. unseres Abschnittes). Mit dem Aufkommen des Rationalismus in der Neuzeit gelangte das Anselmianische Argument bei den großen Systemen des XVII. und XVIII. Jahrhunderts zur Geltung; allerdings in verschiedenen Varianten bei den verschiedenen Autoren. In diesem Sinne bemerkte schon Eberhard: "Der Beweis aus dem Begriffe des metaphysisch Unendlichen ist bereits von einigen scholastischen Weltweisen und Gottesgelehrten versucht, von Cartesius wieder erneuert, und von Leibniz vollständiger gemacht worden" (XVIII 556). Descartes entwickelte diesen apriorischen Gottesbeweis von der Idee des "ens summe perfectum" aus in der V. seiner "Meditationes de Prima Philosophia", sowie auch in den "Principia Philosophiae" I, 14 f. In den Antworten auf die Einwände, die den Meditationes beigegeben wurden, wird der Beweis wieder erörtert. Leibniz hat sich wiederholte Male mit dem Cartesianischen Beweis beschäftigt: Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum. Ad art. 14 (Philosophische Schriften, hrsg. von Gerhardt IV 358 f); Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (ebd. IV 424 f); Nouveaux Essais sur l'entendement humain, Livre IV, chap. X, § 7 (ebd. V 418 f); Monadologie, Ziffer 45 (ebd. VI 614). Es war Leibniz, der für den Beweis eine Ergänzung durch einen Möglichkeitsnachweis forderte, daß nämlich die summa perfectio möglich ist. Diesen versuchte er 1676 in einer kurzen Abhandlung: "Quod ens perfectissimum existit" (ebd. VII 261 f), in der er die Widerspruchsfreiheit des Begriffes ens perfectissimum zeigte, wobei die Widerspruchsfreiheit für ihn zureichendes Kriterium für die reale Möglichkeit ist l.

1 Vgl. auch die Diskussion der Leibnizschen Forderung bei WOLF? in "De differentia nexus rerum sapientis et fatalis necessitatis", § 5: Gesammelte Werke, . Abtig., Bd. 9 "Opuscule metaphysica", S. 12 f. Wolff legt dort einen Beweis auf der Linie von Leibniz dar: Die perfectio summa ist widerspruchsfrei, weil ein Widerspruch in der gleichzeitigen Bejahung und Verneinung besteht, während nun in der höchsten Vollkommenheit keine Verneinung vorliegt, da sie unbegrenzt ist ("Tenendum est, omnem negationem provenire ab entitatis defectu atque adeo non habere locum in eo, quod expers omnis limitationis censetur"). Vgl. die Stellenangaben aus den Schriften von Descartes und Leibniz in der Anmerkung von J. Ecole zum Neudruck der Theologia Naturalis Wolffs, S 791-793.

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Wolff hat im zweiten Teil seiner Theologia Naturalis, §§ 1-28, dem Kontingenzbeweis des ersten Teils einen anderen Beweis zugesellt, in dem "die Existenz und die Eigenschaften Gottes vom Begriff des vollkommensten Wesens und vom Wesen der Seele her bewiesen werden". Allerdings ist der apriorische Charakter des Beweises nicht so eindeutig, weil Wolff darauf besteht, daß nur aus den Realitäten der Seele erschlossen werden kann, was das vollkommenste Wesen sei. Über den Meister ist dann der ontologische Gottesbeweis zum Gemeingut der Wolffschen Schule geworden. 2. Der geistesgeschichtliche Kontext, in dem der Beweis Gottes aus dessen Begriff zu einer fast allgemein unbestrittenen Geltung kam, war der Rationalismus. Im Mittelpunkt der Erkenntnis- und Seinslehre des Rationalismus stand der Begriff. Der Ursprung des Begriffs in der Erfahrung, vor allem bei Wolff, wurde zwar anerkannt; aber Hauptaufgabe und -mittel der philosophischen Reflexion war die Analyse der begrifflichen Vorstellungen, um ihre logischen Zusammenhänge und Implikationen zu ermitteln. Gerade die Rationalität und Denknotwendigkeit der Begriffe verbürgten ihre Realgeltung. Wir sahen bereits, daß Kant aus dieser Grundaufassung der Ansicht war, daß wir mit unseren Begriffen die ontologische Dimension der realen Möglichkeit überhaupt erreichen, von der aus wir dann auf ein notwendig Existierendes schließen können (ontotheologischer Beweis). Dem Primat des Begriffs zufolge kommt die Untersuchung des Seins in erster Linie auf eine Untersuchung des Möglichen hinaus. Wolff hat diese Sichtweise in seiner bekannten Definition von der Philosophie zur Sprache gebracht: "Est mihi philosophia scientia omnium possibilium qua talium" (Ratio praelectionum Wolfianarum, 1718, 21734, Sectio I, cap. I, § 3). Dos Urteil als absolute Setzung der mentalen Synthesis, das als Existentialurteil eine empirische Komponente haben muß, war die große Unbekannte beim Rationalismus *. Kein Wunder, daß auf der Grundlage dieser Erkenntnislehre Wahrheit des Gottesbegriffes und Wirklichkeit Gottes durch die logischrationale Durchdringung des Begriffes zu erhärten sind. * Dieser Grundmangel in der Erkenntnislehre, der sein Gegenstück in der Seinslehre hat, ist allerdings nicht nur bei den Rationalisten festzustellen. Er gilt nicht weniger auch für die Empiristen, für die die Erfahrung - eben nicht erst das Urteil - uns die Wirklichkeit erschließt. Genau in die Richtung eines sensualistischen Intuitionismus hat sich Kant teilweise vom Rationalismus abgewandt.

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Das ontologische Gegenstück zum Primat des Begriffes und damit des Möglichen war der sog. Essentialismus, nämlich die Reduktion des Seienden auf die Essenz. Die Lehre vom Seienden kam weitgehend einer Lehre von der essentia gleich, also einer Lehre von den kategorialen Bestimmungen des Seienden: essentialia, attribute und modi3. Für Wolff galt die Existenz als die "Erfüllung des Möglichen" (Deutsche Metaphysik § 14) bzw. "complementum possibilitatis" (Ontologia § 174). Der Sinn dieser bekannten Formel ist trotz der Erläuterungen Wolffs nicht ganz eindeutig: Sie kann die Existenz auf die Essenz als ihre Letztbestimmung zurückfuhren; aber sie kann auch im Sinne einer Unrückfuhrbarkeit des Daseins auf die Essenz verstanden werden. Baumgarten hat diese Lehre Wolffs eindeutig in einem essentialistischen Sinne ausgelegt: Die Existenz ist der Inbegriff aller zusammenbestehen-könnenden affectiones (d. h. aller inneren folgenden Bestimmungen). Sie besteht also in der durchgängigen Bestimmung eines Dinges (Metaphysica § 54 f). Für Baumgarten ist die durchgängige Bestimmung nicht nur Individuations-, sondern auch Existenzkriterium. Kant hat ihn im EmBg so verstanden und abgelehnt (A 13-15 = II 76) 4 . 3. Die Benennung "ontologischer" Gottesbeweis stammt von Kant selbst. Er hatte sie bereits im EmBg eingeführt, um seinen eigenen Beweis a priori zu bezeichnen (den ich "ontotheologischen" Beweis genannt habe), und überträgt sie in der KrV auf den apriorischen Beweis des Descartes, nachdem er seine Ontotheologie fallen gelassen hatte. Zum Sinn dieser Benennung sei vor allem auf einen Exkurs von Clemens Baeumker verwiesen *. Kant nennt diesen Beweis, der a priori aus bloßen Begriffen geführt wird, ontologisch, weil die Ontologie als grundlegender Teil der Metaphysik nach dem Wolff-Baumgartenschen Verständnis die Lehre vom Sein a priori aus reinen Begriffen entwickelt. Der Vergleich folgender Stellen im TheologieHauptstück: III, Abs. 11 (A 590 f: Der "ontologische Beweis" schließt "gänzlich a priori aus bloßen Begriffen"), V, Abs. 3 (A 605: Der kos3 Vgl. Giovanni B. SALÄ, Die transzendentale Logik Kants und die Ontologie der deutschen Schulphilosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 96 (1988), vor allem 24-35. 4 Vgl. weiter oben Kap. VTL 1. Betrachtung, 4. ' Clemens BAEUMKEH, Witelo, ein Philosoph und Naturforscher des XIII. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. III-2), Münster 1908, 297-299.

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mologische Beweis "ist nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch"), V, Abs. 5 (A 606: Der ontologische Beweis "setzt sein ganzes Vertrauen auf lauter reine Begriffe a priori"), V, Abs. 11 (A 610: Der kosmologische Beweis zielt darauf ab, "dem Beweis des Daseins eines notwendigen Wesens a priori durch bloße Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte"), sowie auch in der Metaphysik Dohna: "Rein ontologischer Beweis ist der aus bloßen Begriffen" (XXVIII 692) beweist mit voller Sicherheit die Richtigkeit dieser Interpretation. Auch die Terminologie der zwei letzten Absätze des III. Abschnittes geht in dieselbe Richtung, wie wir am Ende des vorigen Kapitels gesehen haben. Zur Ontologie bzw. Metaphysik als Erkenntnis aus reiner Vernunft bzw. aus bloßen Begriffen vgl. A 841; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A VII f und 47 = IV 469 und 505; Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Einleitung II: A 10 = VI 216); R 5936. Derselbe Beweis wird auch "transzendental" genannt (vgl. die Überschrift des Anhangs zum V. Abschnitt: A 614 und die Metaphysik L,: XXVIII 313), bzw. wird zur "transzendentalen" Theologie gerechnet (VII, Abs. 2: A 632 und Religionslehre Pölitz: XXVIII 10121047), wobei "transzendental" den alten Sinn von "zum Sein als solchem gehörig", also "metaphysisch", hat. 4. Vorliegender Abschnitt ist der schwierigste unter allen des Theologie-Hauptstückes. Die Gründe dafür dürften folgende sein: a) Formal gesehen ist der Fortgang der ganzen Beweisführung schwer durchschaubar. Darlegung und Kritik des ontologischen Beweises sind vielfach miteinander vermischt. Mehrmals wird ein Argument angeschnitten und bald danach von einem anderen abgelöst, noch bevor das erstere ganz entwickelt worden ist, wobei der Übergang von einem zum anderen sich nicht genau ermitteln läßt. b) Inhaltlich geht es in diesem Abschnitt viel mehr um den Begriff des Daseinsnotwendigen als um den Begriff des ens realissimum. D. h. das Problem, um das Kant in diesem Abschnitt ringt, ist, ob wir den Begriff des ens necessarium in seinem eigentlichen Inhalt bestimmen können, ähnlich wie in den anderen zwei Abschnitten, die den "transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen We-

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sens" (A 614) gewidmet sind e. Der neue Ansatz vom Begriff des ens realissimum, der den ontologischen Beweis charakterisiert, wird hauptsächlich unter diesem Gesichtspunkt untersucht: Ob er uns dazu führen kann, den Wesensgehalt des Daseinsnotwendigen zu erfassen. Das Resultat dieser Untersuchung ist negativ wie schon im Falle des Ansatzes vom kontingent Seienden. Daß vom Begriff eines Dinges nicht auf dessen Existenz geschlossen werden kann, war für Kant, gegen den Haupttrend der Zeit, schon seit seiner Kritik am Cartesianischen Beweis in der Nova dilucidatio und im EmBg ausgemachte Sache. Jetzt gilt es, insbesondere zu zeigen, daß auf alle Fälle die vom Begriff des ens realissimum her erschlossene Existenz, wenn überhaupt, dann nur eine logisch notwendige Existenz sein kann. c) Zum Einstieg in die Erläuterung des Abschnittes IV ist es angebracht, die Frage nach unserer Erkenntnis des ens necessarium zu erörtern. Gegen die Kantische Interpretation des Kontingenzbeweises ist ein Doppeltes einzuwenden. Erstens, es ist prinzipiell nicht Aufgabe eines Gottesbeweises, das ens necessarium in seinem Wesensgehalt einsichtig zu machen. Wir vermögen überhaupt nicht, das Wesen Gottes so inhaltlich zu bestimmen, daß, wie Schmucker Kant zustimmend immer wieder fordert, "dieses «etwas» ... als das Seiende dieses Daseinsmodus [nämlich des absolut notwendigen Daseins] verstanden werden könnte" 7. Genau dies ist der Sinn der Thomanischen These, derzufolge wir nicht einzusehen vermögen, was Gott ist: "nos non scimus de Deo quid est" *. Zweitens, aus dieser Unmöglichkeit folgt nicht, daß wir vom ens necessarium nur eine logische Notwendigkeit erreichen können. Letz-

' Gegen Ende der Dialektik der KpV spricht Kant vom Begriff "eines schlechterdings notwendigen Wesens" als einem "problematischen, aber doch unvermeidlichen Begriff der Vernunft". Dieser Begriff eines notwendigen Wesens, "welches anderen zum Urgründe dienen soll", "will nun bestimmt sein", d. h. kenntlich gemacht werden (A 256a7 = V 142). Vgl. auch Kap. XV, 2, 2). SCHMUCKER, Das Problem der Kontingenz der Welt, 47. Für die gegenwärtige Diskussion sind besonders die Seiten 46 f und 66-59 zu berücksichtigen. Zu meiner Position, daß es nämlich nicht Aufgabe eines Gottesbeweises sein kann, das ens necessarium begreiflich zu machen, vgl. Kap. VII, Beschluß, Abs. 3, a). 8 THOMAS VON AQUIN, Summa Theologiae, I, q. 2, a. 1; vgl. ebd. q. 12, a. 4, 11 und 12. De potentia q. 8, a. l ad 12. Contra Gentiles , 49, § 8. Vgl. Giovanni B. SALA, L'origine del concetto. Un problema kantiano e una risposta tomista, in: Rivisia di Filosoßa Neo-scolastica 66 (1974) 990.

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teres ist wohl wahr für den ontologischen Gottesbeweis, weil sein Ansatz ein Begriff ist, aber nicht für den Kontingenzbeweis, dessen Ansatz eine existierende Realität ist. Vom letzteren Ansatz her gelangen wir zu einem Etwas, dessen Daseinsmodus das absolute Dasein ist, ja zu einer Realität, die mit diesem absoluten Dasein identisch ist, auch wenn wir sie in sich selbst nicht verstehen. Von Anfang an befindet sich der Kontingenzbeweis im Bereich der Wirklichkeit und nicht des bloßen Denkens mit seiner logischen Notwendigkeit. Im Grunde geht es um die Frage der Analogie: Hat eine analoge Erkenntnis nur mit dem Denken zu tun, weil sie keine direkte Einsicht in die zur Debatte stehende Wirklichkeit einschließt? So viel ich sehe, argumentiert Schmucker auf der Basis folgenden Dilemmas *: Eine absolute Notwendigkeit ist nur auf diesen zwei Wegen erreichbar. Entweder auf dem Weg einer direkten und positiven Einsicht in "die innere Notwendigkeit des notwendigen Daseienden". Derart ist die absolute Äeo/notwendigkeit Gottes, deren Aufhebung alle Wirklichkeit und alle Möglichkeit vertilgen würde. Eine Einsicht in die absolute Realnotwendigkeit haben wir offenkundig nicht l°. Oder aber auf dem Weg des Widerspruchs, insofern der Begriff von Gott mit solchen Merkmalen bestimmt wird (nämlich als ens realissimum), daß der Gedanke von der Aufhebung seines Daseins widersprechend sein würde. Letzterem Weg hält Kant entgegen: a) Das Dasein gehöre nicht zu den Merkmalen oder Realitäten eines Wesens, so daß der Satz: "Gott ist nicht" keinen Widerspruch enthält. b) Die auf dem Weg der Analyse des Subjektbegriffes erreichte Notwendigkeit sei jedenfalls eine bloß logische Notwendigkeit. Damit würde uns die reale Notwendigkeit des ens necessarium immer noch entgehen. Das "tertium datur" ist m. E. kein anderes als der Weg über die kontingent existierende Welt: Von einer kontingenten Realität zum absoluten .Realnotwendigen, ohne die "Einsichtigkeit" seiner Notwendigkeit zu verlangen oder sich anzumaßen. Der springende Punkt des Kontingenzbeweises ist weder "die Einsicht in das Wesen des absolut Notwendigen" noch der (vermeintliche) Widerspruch in der Negation:

' SCHMUCKES, Das Problem der Kontingenz der Welt, 57-59.

u In der Metaphysik Volckmann lesen wir: "Die absolute Notwendigkeit eines Dinges kann kein Mensch einsehen" (XXVIII 456).

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"Das ens necessarium (Gott) ist nicht", sondern das bloß kontingente Faktum, daß etwas (die Welt) existiert ". Wir sind wieder bei der bereits besprochenen These, daß unsere Erkenntnis des ens necessarium selber nicht necessaria ist 12. In dem Urteil, das den Kontingenzbeweis abschließt: "Es gibt tatsächlich das ens absolute necessarium" liegt die Eigentümlichkeit unserer Gotteserkenntnis. Dieses Urteil als wahr ist nichts mehr als eine Tatsache, die als solche weder auf der "Einsicht in das Wesen des absolut Notwendigen" noch auf dem Widerspruchsprinzip beruht. Was das Urteil uns vermittelt, ist aber die Erkenntnis eines nicht bloß tatsächlich Existierenden! Einfacher gesagt: Die kontingente Realität weist auf die absolute Realität hin!

Gliederung Abs. 1-5 erörtern weiter den Begriff eines absolut notwendigen Wesens: Wir können eine unbedingte logische Notwendigkeit, aber keine reale Notwendigkeit erfassen. Abs. 6: Übergang zum ontologischen Gottesbeweis. Abs. 7 und 13: Darlegung und Kritik des ontologischen Beweises anhand der Distinktion zwischen logischer und realer Möglichkeit (speziell gegen Leibniz). Abs. 8-12: Kritik des ontologischen Beweises anhand der Lehre: Sein ist kein reales Prädikat. Abs. 14: abschließende negative Beurteilung des Beweises.

//. Zum Begriff des absolut notwendigen Wesens Abs. l gibt zunächst an, was der Begriff eines absolut notwendigen Wesens sei, und dann, warum dieser Begriff für uns uneinsichtig bleibt (und damit, nach Kant, seine "objektive Notwendigkeit" unbeweisbar bleibt). Es ist ein Vollständigkeitsbegriff, insofern er die Forderung nach der vollständigen Reihe der Bedingungen des kontingent Seienden enthält; als solcher ist er eine Idee, wie Kant im 1. Buch der Dialektik dargelegt hat (vgl. A 307 f, 309). Eine Idee begrenzt 11 u

Vgl. Kap. , 4. Vgl. Kap. VII, 4. Beschluß, Abs. 3 am Ende.

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nun den Verstand, indem sie ihn sich dessen bewußt macht, daß er immer diesseits der angestrebten Vollständigkeit bleibt. Im System des transzendentalen Idealismus wird diese Funktion der Ideen als "regulativer Gebrauch" bezeichnet. Der zweite Satz erläutert insbesondere, warum unser Verstand sich keinen Begriff von einer absoluten Notwendigkeit machen kann, d. h. warum dieser Vernunftbegriff ihm uneinsichtig bleibt. Die hier angedeutete Erklärung übernimmt eine von uns bereits in Kap. XIV, 3 bedachte Auffassung Kants aus den 60er Jahren bezüglich der "conceptus terminatores" oder Endbegriffe der metaphysischen Schlüsse, daß sie nämlich die subjektive Notwendigkeit der Vernunft zum Ausdruck bringen, die Reihe der Bedingungen abzuschließen (vgl. R 4039). Um diese Vollständigkeit herbeizuführen, verneinen solche Endbegriffe genau jene Bedingungen, wodurch allein die Vernunft dieselben Begriffe verständlich machen kann. Infolgedessen zählt Kant sie zu den problematischen Begriffen (vgl. R 3732). In unserem Fall verneint die absolute Notwendigkeit genau den "zureichenden Grund", von dem aus allein eine Notwendigkeit überhaupt verstanden werden kann. Abs. 2. Warum aber hat man sich die Mühe gegeben, das Dasein eines absolut notwendigen Wesens zu beweisen und dabei die Sinnhaftigkeit eines solchen Begriffes einfach vorausgesetzt? Ein erster Grund ist die Nominaldefinition vom ens necesssarium: Dasjenige, "dessen Nichtsein unmöglich ist". Aber die Definition gibt keine Auskunft über die Bedingungen, die es unmöglich machen, das Nichtsein eines Dinges zu denken. Dann aber hat der Begriff keinen bestimmten Inhalt - er könnte auch ein leerer Begriff sein, von dem es sinnlos wäre zu beweisen, daß der entsprechende Gegenstand existiert. Einen ähnlichen Einwand siehe in V, Abs. 10 (A 610). Diesem Einwand würde ich mit dem Hinweis auf den analogischen Charakter unseres Begriffs vom ens necessarium begegnen. Sein Inhalt ist weder die rein verbale Negation im Terminus "unbedingt" noch die Notwendigkeit des absolut Daseienden in sich selbst, sondern die tatsächliche Äea/notwendigkeit des bedingt Seienden, insofern sie auf eine zureichende Begründung verweist. Ein kontingent Seiendes, das wir im Bereich der Erfahrung erkennen, besagt von sich aus Notwendigkeit. Denn das, was ist, schließt, insofern es

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ist, das Nichtsein absolut aus. In diesem Sinne heißt es bei Thomas von Aquin: "Nihil est adeo contingens, quin in se aliquid necessarium habeat" (Summa Theol. I, q. 86, a. 3). Andererseits könnte es auch nicht sein, weil die es kontituierende Intelligibilität zwar Möglichkeit, aber nicht Wirklichkeit besagt. Aus welchem Grund also existiert es? Die tatsächliche Existenz des Kontingenten und die sich ergebende Frage nach der Erklärung dieser Existenz stellen die Grundlage dar, von wo her wir den analogen Begriff einer absoluten Äea/notwendigkeit bilden, durch die das Faktum der Existenz vom sich selbst erklärenden ens necessarium eingeholt wird. Abs. 8-4. Der zweite Grund sind die vermeintlichen Beispiele von absoluter Notwendigkeit, etwa die Sätze der Geometrie. Z. B. "daß ein Triangel drei Winkel habe". Nun aber handelt es sich bei diesen Beispielen um die absolute Notwendigkeit des Verhältnisses zwischen Prädikat und Subjekt bzw. zwischen den Merkmalen und dem durch sie konstituierten Wesen, und damit um die Notwendigkeit des Urteils, insofern das Urteil als Verbindung von Subjekt und Prädikat verstanden wird. Von dieser Notwendigkeit aus aber kann die notwendige Existenz des Subjektes bzw. des Wesens nicht gefolgert werden. Terminologisch fixiert Kant die Distinktion als Notwendigkeit der Urteile (oder logischer Notwendigkeit) und Notwendigkeit der Dinge. Die Ableitung der notwendigen Existenz Gottes aus seinem Begriff ist ein Fall dieser Illusion, d. h. des unberechtigten Schlusses von einer Notwendigkeit auf die andere. Die hier vorgebrachte Lehre reicht bis in die Frühschriften Kants. Wir haben sie in der Nova dilucidatio, Prop. VII, Scholion, angetroffen, wo Kant den Wesenheiten die Notwendigkeit des "Zukommens" (competere), d. h. die Notwendigkeit eines Verhältnisses zuerkannt hat, aber nicht die Notwendigkeit der Existenz. Und wiederum im EmBg, I. Abtg., 1. Betrachtung, Nr. 2 und 3, wo Kant ebenfalls die absolute Position eines Dinges durch das Sein von der respektiven Position eines Merkmals zum Subjekt in einem Möglichen oder in einem Wesen unterschieden hat. Vgl. auch die RR 3725 und 4033. All diese Ausführungen zielen darauf ab, zu zeigen, daß "die absolute Notwendigkeit des Urteils nur eine bedingte Notwendigkeit der Sache ist", so daß die erstere keinen Beweis dafür liefert, daß wir

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verstehen können, was die absolute Notwendigkeit einer Sache, d. h. was das ens necessarium sei. Abs. 5 wendet das Gesagte auf das ens necessarium an, um zu zeigen, daß wir das absolut Daseinsnotwendige nicht begreifen können, so daß es von vornherein zwecklos ist, seine Existenz beweisen zu wollen. In einem identischen Urteil, d. h. in einem affirmativen Urteil, in dem die ausgesagte Identität von Subjekt und Prädikat eine (begrifflich oder auch nicht begrifflich) formale ist - in einem analytischen Urteil, nach einer anderen Begrifflichkeit Kants - ist es nicht möglich, das Subjekt beizubehalten und zugleich das Prädikat aufzuheben. Das Urteil "S ist nicht P" würde einen Widerspruch enthalten. Wenn ich aber das Subjekt selbst (zusammen mit den ihm notwendig zukommenden Prädikaten) verneine, so entsteht kein Widerspruch; "denn es gibt nichts mehr, welchem widersprochen werden könnte". Die R 3813 bringt diesen Gedanken auf die prägnante Formel: "Kein Gegenteil des Daseins widerspricht sich". Ähnliches in der R 3736. Was am Beispiel des "Dreiecks" mit seinem Prädikat "dreiwinkelig" einleuchtet, gilt ebenso für den Begriff des "absolut notwendigen Wesens" mit den ihm zugehörigen Prädikaten. Das Urteil: "Das ens necessarium ist nicht" enthält keinen Widerspruch. Damit hat Kant den Vertretern des ontologischen Gottesbeweises ihren Beweisgrund entzogen, nämlich den Widerspruch, den die Leugnung Gottes angeblich enthält.

III. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Distinktion von logischer und realer Möglichkeit Abs. 6-7. Von der Diskussion um das ens necessarium geht Kant zur Prüfung des ontologischen Beweises über. Eigentlich hat sich aus dem Ausgeführten bereits ergeben, daß ein Beweis a priori der These: "x ist", wobei das "ist" den Sinn einer absoluten Notwendigkeit haben soll (so daß es gar nicht verneint werden kann), unmöglich ist. Denn die Verneinung des Prädikats "ist" besagt (im Unterschied zu allen anderen Prädikaten) die völlige Aufhebung des Subjekts, so daß das Urteil "x ist nicht" von vornherein keinen Widerspruch zwischen dem negierten Prädikat und einem noch gesetzten Subjekt (bzw. den noch

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gesetzten Merkmalen des Subjekts) impliziert. Nun aber "habe ich ohne den Widerspruch, durch bloße reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmöglichkeit". Also ist es möglich, jegliches Subjekt zu verneinen, bzw. der Weg a priori über das Widerspruchsprinzip vermag nicht die These: "x ist" zu beweisen. Dies zeigt - so der Sinn der ganzen oben geführten Diskussion -, daß wir eine absolut notwendige Existenz gar nicht verstehen. Denn sonst könnten wir sie nicht widerspruchslos verneinen. Trotz dieser radikalen Kritik geht Kant im folgenden auf die Argumentation des ontologischen Beweises ein, und zwar von zwei verschiedenen Ansatzpunkten her, wobei seine zweite Widerlegung nichts anderes tut, als das im Abs. 5 bereits vorgelegte Argument von der widerspruchsfreien Aufhebbarkeit des Seins als Prädikat zu wiederholen. Die Vertreter des ontologischen Gottesbeweises sind der Ansicht, daß es ein Subjekt gibt, das nicht aufgehoben werden kann (für das also die widerspruchsfreie Behauptung: "x ist nicht" unmöglich ist). Dieser Begriff, dem das Aufheben seines Gegenstandes widerspricht, sei nun "der Begriff des allerrealsten Wesens". Anschließend faßt Kant den ontologischen Beweis zusammen, indem er wahrscheinlich die Fassung Wolffs in der Theologia Naturalis II, vor allem § 6, 12, 13, 20-28 vor Augen hat. Der Begriff des allerrealsten Wesens 13 ist der Begriff von einem Möglichen ("Es hat alle Realität, und ihr seid berechtigt, ein solches Wesen als möglich anzunehmen"); in ihm aber ist das Dasein als Realität mitinbegriffen (es hat ja alle Realität); wird nun das Dasein des allerrealsten Wesens verneint, so wird seine Möglichkeit aufgehoben (in diesem Fall kommt die Verneinung der Wirklichkeit der Verneinung der Möglichkeit gleich, weil das Sein zu der Möglichkeit selbst, d. h. zum Wesen gehört). Dies aber widerspricht dem Obersatz, demgemäß das allerrealste Wesen möglich ist. Also existiert das allerrealste Wesen. In der Argumentation des ontologischen Gottesbeweises, so wie er Kant vorlag, laufen zwei Gedankengänge zusammen: 1) Der Inbegriff

Im Kap. XVI zum Abs. 2 habe ich schon darauf hingewiesen, daß Kant im Anschluß an Baumgarten das ens perfectissünum der Tradition (Descartes, Leibniz, Wolff) in Zusammenhang mit dem ens realissimum gesetzt hat. Vgl. auch Kap. zum Abs. 7.

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aller Realität besagt innere Seinsmöglichkeit (reale Möglichkeit), weil er widerspruchsfrei ist. 2) Der Inbegriff aller Realität (der realmöglich ist!) kann nicht bloß möglich sein, sondern existiert notwendig, weil das Dasein zu ihm gehört. Damit bieten sich Kant zwei Wege für seine Kritik des Beweises an. Er kann entweder 1) widerlegen, daß der Begriff des ens realissimum von sich aus innere Möglichkeit besagt. Damit wird dem zweiten Schritt des ontologischen Beweises (nach der Fassung Leibniz') die Ausgangsbasis entzogen, dem Schritt nämlich, daß in diesem Falle das Mögliche zugleich notwendig existierend ist w; oder aber 2) den Obersatz (das allerrealste Wesen ist möglich) auf sich beruhen lassen und die Schlußfolgerung vom Möglichen zum Wirklichen ablehnen, weil das Dasein kein Prädikat ist und deshalb nicht zur inneren Möglichkeit des ens realissimum gehört. Die Fußnote des Abs. 7 und der Abs. 13 gehen den ersten Weg (allerdings auf verschiedene Weisen!) und so beziehen sie sich speziell auf Leibniz' Ergänzung des Cartesianischen Arguments. Abs. 8-13 gehen den zweiten Weg, indem sie ausführlicher die Widerlegung ausarbeiten, die Kant bereits in der III. Abtig, des EmBg dargelegt hat. Die Fußnote greift nun wieder die im Text des Abs. 7 angedeutete Distinktion auf: "... obgleich der sich nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Möglichkeit des Gegenstandes beweist". Es handelt sich um die Distinktion zwischen logischer und realer Möglichkeit, die Kant schon in den vorkritischen Schriften dahingehend verstanden hat, daß sich die zweite nicht ohne weiteres aus der ersteren ergibt15. Warum aber ein solcher Schluß bzw. Übergang unzulässig ist, hat Kant an den verschiedenen Stellen unterschiedlich begründet. An unserer Stelle gehört der angegebene Grund zur kritizistischen Lehre der KrV ("wie oben gezeigt worden"), so daß die Stelle späteren Ursprungs sein muß.

" "... divinae naturae privilegium, ut st modo sit possibilis eo ipso existat" (Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum, 14: LEIBNIZ, Philosophischeu Schriften, IV 359). Vgl. Kap. XIV, 1. Im Kontext dieser Scheidung von bloß logischer Möglichkeit einerseits und realer Möglichkeit andererseits sind die Bemerkungen Schmuckers zur Künstlichkeit unseres Gottesbegriffes z. T. relevant. Vgl. weiter oben Kap. , 2, b.

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Nach dem Postulat der Möglichkeit (A 218-224) ist ein Begriff in transzendentallogischem Sinne möglich, wenn die Synthesis 1 zur Erfahrung gehört entweder als von ihr erborgt (empirischer Begriff) oder als selber Bedingung der Erfahrung (reiner Verstandesbegriff). Zur kritizistischen Unterscheidung von logischer und realer Möglichkeit vgl. auch A 75, 243 f, im Amphiboliekapitel (vor allem A 272274), B XXVIa; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft: A K = IV 470; Fortschritte der Metaphysik: A 183 f = XX 325 f. Auch wenn also der Begriff des allerrealsten Wesens eine widerspruchsfreie Synthesis aller Realitäten und so ein logisch möglicher Begriff ist (der sich als solcher vom nihil negativum unterscheidet. Vgl. A 292), entspricht ihm bzw. der von ihm gemeinten Synthesis offenkundig im Bereich unserer Erfahrung nichts. Die Synthesis aller Realität ist weder in der Erfahrung zu finden noch bezieht sie sich auf die Erfahrung als Bedingung derselben ". In diesem Sinne ist er ein leerer Begriff ohne Gegenstand (vgl. A 292) und wir sind nicht berechtigt, vom logisch möglichen Begriff auf die reale Möglichkeit desselben zu schließen. Abs. 13 entwickelt dieselbe Kritik gegen Leibniz weiter. Wie schon im Abschnitt II dargelegt, ist der Begriff eines höchsten Wesens eine Idee, genauer ein transzendentales Ideal, das eine positive Funktion in unserer Erkenntnis ausübt, nämlich die Funktion einer Voraussetzung zur durchgängigen Bestimmung der Dinge, das aber als solches uns die Erkenntnis der entsprechenden Wirklichkeit nicht vermittelt. Mehr noch, wir wissen nicht einmal von der Äea/möglichkeit eines solchen Wesens. Denn die Idee weist zwar das analytische Merkmal der Möglichkeit auf (logische Möglichkeit), d. h. die Widerspruchsfreiheit ihrer Bestandteile, insofern sie alle Positionen (Bejahungen im transzendentalen Sinne. Vgl. II, Abs. 5: A 574), also Realitäten

" Nach § 15 besagt der Begriff eine Verstandeshandlung, näherhin eine Synthesis des 11Mannigfaltigen der Vorstellungen in einer Anschauung: B 129-131. Allerdings hat Kant im . Abschnitt des Theologie-Hauptstücks dahingehend argumentiert, daß die Idee von einem All der Realität Bedingung der durchgängigen Bestimmung jenes Gegenstandes sei, der Objekt unserer Erfahrung ist, nämlich des eingulare. Man kannte dieser Schwierigkeit im Sinne Kants begegnen, daß die genannte Bedingung eine regulative, nicht eine konstitutive Funktion ausübt. Deswegen, so argumentiert Kant weiter, ist das transzendentale Ideal zwar eine Voraussetzung unserer Vernunft, ihm braucht aber kein Existierendes zu entsprechen.

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sind u. Aber daraus allein folgt nicht, daß alle damit gemeinten Realitäten sich in einem Subjekt vereinigen lassen. Dies aus zwei Gründen: 1) Wir kennen die in Frage kommenden Realitäten in ihrem spezifischen Inhalt nicht (etwa einen unendlichen Verstand, eine unendliche Personalität). Sie sind uns ja nicht gegeben; 2) aber auch wenn wir sie kennen würden, wären wir nicht imstande, über ihre Vereinbarkeit zu urteilen, "weil das Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß", während andererseits ein solcher Gegenstand, in dem alle Vollkommenheiten verknüpft sind, nicht zur Erfahrung gehört. Diese zwei Gründe gegen den Übergang von der logischen zur realen Möglichkeit stammen offensichtlich aus der empiristischen Wendung Kants nach 1762. Denn nach der Veröffentlichung seines EmBg machte Kant unsere Erkenntnis der Möglichkeit (die Grundlage des ontotheologischen Beweises), sowohl im Sinne des Materialen der Möglichkeit (die letzten Daten) als auch im Sinne des Formalen der Möglichkeit (die Vereinbarkeit derselben), von der Erfahrung abhängig . Beide Gründe gegen den Schluß von der Möglichkeit des Begriffes zur Möglichkeit der Sache und damit (in diesem Falle) zur Existenz derselben sind an sich vom Kritizismus der Transzendentalphilosophie unabhängig. Allerdings verrät die Formulierung des zweiten Grundes: "weil das Merkmal synthetischer Erkenntnis immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß, zu welcher aber der Gegenstand einer Idee nicht gehören kann" einen kritizistischen Einschlag. Wir haben dies bereits in der Fußnote zum Abs. 7 gesehen und wir werden dasselbe wieder in V, Abs. 10, Nr. 4 (A 610) antreffen. An allen drei Stellen versucht Kant, seine schon vorliegende Kritik am ontologischen Beweis auf den Stand des Kritizismus der KrV zu bringen ".

u Vgl. A 272 f, wo Kant auf die Realrepugnanz hinweist, die es zwischen Realitäten (Positionen) geben kann. An unserer Stelle wird dieser zusätzliche Einwand gegen das Prinzip: Realitäten erzeugen keinen Widerspruch, nicht erwähnt. ™ Vgl. Kap. XIV, 1; insbesondere die dort angefahrte R 3756.

" Vgl. SCHMUCKES, Kants vorkritische Kritik, 60, 28.

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IV. Kritik des ontologischen Beweises anhand der Lehre: Sein ist kein reales Prädikat Literatur Schneeberger, Guido, Kants Konzeption der Modalbegriffe, Basel 1952 (2. Teil: der Begriff der Wirklichheit, 65-79, anhand vor allem der RR). Heidegger, Martin, Kants These über das Sein (Festschrift E. Wolf), 1962. Röd, Wolfgang, Über die Bedeutung von Existentialaussagen, in: KS 56 (1965/66), 208-231. Howe, L. T., Existence as a Perfection: A Reconsideration of the Ontological Argument, in: Religious Studies 4 (1968-69) 78-101. Vick, G. R., Existence was a Predicate for Kant, in: KS 61 (1970) 357-371. Wagner, Hans, Über den Satz Kants, das Dasein sei kein Prädikat, in: Archiv f. Geschichte d. Philosophie 53 (1971) 183-186. Seigfried, Hans, Kant's Thesis about Being anticipated by Suarez?, in: Proceedings of the Third Internat. Kant Congress, Dordrecht 1972, 510-520. Holzhey, Helmut, Das philosophische Realitätsproblem. Zu Kants Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit, in: 200 Jahre KrV, hrsg. von J. Kopper und W. Marx, Hildesheim 1981, 79-111. Bonevac, Daniel, Kant on Existence and Modality, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 64 (1982) 289-300. Hintikka, Jaakko, Kant on Existence, Predication, and the Ontological Argument, in: Dialectica 35 (1981) 127-146.

Abs. 8-9. Hier setzt der zweite Weg an, auf dem Kant den ontologischen Beweis widerlegt. Die Widerlegung kreist zwar um die Lehre: "Sein ist kein reales Prädikat", aber diese Grundthese wird unter verschiedenen Aspekten gesehen und angewandt, ohne daß die verschiedenen Teilargumentationen deutlich voneinander abgehoben werden. In den Abs. 8-9 können in etwa vier Gedankengänge unterschieden werden: A] Der ontologische Beweis wendet einen widerspruchsvollen Möglichkeitsbegriff an, kraft dessen der Beweis auf eine Tautologie hinausläuft; B] Ist der Existentialsatz analytisch oder synthetisch?; C] Realität und Existenz sind zweierlei; D] Verwechselung eines logischen Prädikats mit einem realen. A] Kant knüpft an den oben dargelegten Cartesianischen Beweis an, dem ein Begriff von einem Möglichen zugrundeliegt, in den bereits die Existenz hineingebracht wurde. Es hieß ja im Abs. 7: "unter

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aller Realität ist auch das Dasein mitbegriffen". Dies ist insofern widersprüchlich, als der angebliche Begriff eines Dinges bloß seiner Möglichkeit nach in der Tat der Begriff desselben seiner Existenz nach ist. Auf dieser Basis läuft dann der Beweis der Existenz dieses Dinges auf die Tautologie hinaus: Das Existierende existiert. Sed contra ". In Gott ist die Möglichkeit (Essenz) mit der Existenz identisch; infolgedessen denken wir mit Recht in unserem Gottesbegriff diese Identität. Dies aber hebt die Nichtidentität von Begriff (Denken) und Urteil (Erkennen) in unserer Erkenntnisstruktur nicht auf. Dies bedeutet, daß wir das von uns als existierend gedachte Mögliche nicht schon deshalb als real existierend erkennen. M. a. W. die Identität auf der ontologischen Seite, d. h. auf der Seite des Objekts (Möglichkeit = Wirklichkeit), setzt sich nicht notwendig in eine Identität auf der erkenntnismäßigen Seite um, so daß wir mit dem Begriff schon das Existierende erkennen würden. Der Cartesianische Beweis enthält deshalb genau gesehen keine Tautologie; vielmehr verstößt er gegen die Struktur unserer Erkenntnis, für die der Begriff (von welcher Wirklichkeit auch immer) nie die Erkenntnis der Wirklichkeit vermittelt. Obwohl wir im Begriff Gottes zu Recht auch die Existenz denken, läßt uns der Begriff immer noch nur ein bloß Mögliches erkennen (d. h. denken!). B] In einem zweiten Schritt versucht Kant, dem erkenntnismäßigen Aspekt des Problems Rechnung zu tragen, indem er die Frage stellt: Ist der Existentialsatz analytisch oder synthetisch? B. 1. Daß das Urteil: "Dieses Ding existiert" analytisch ist, kann auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden: a) Das in Frage stehende Ding ist unser Gedanke selbst. In diesem Falle genügt, daß wir denken, um behaupten zu können: "Dieses Ding (der Gedanke!) existiert". Der Satz: "Gott existiert" kann kein analytischer Satz in diesem Sinne sein, weil das Sein Gottes per definitionem unser Denken transzendiert. b) Wir haben das Dasein als zur Möglichkeit (Essenz) des Dinges gehörig vorausgesetzt. Dieser Fall wurde schon unter A] besprochen. B. 2. (Ende des Abs. 8) Ist dagegen das Existenzialsatz "Dieses Ding existiert" synthetisch, so können wir das Prädikat "existiert"

Vgl. Kap.

, 3 a und Kap. X, 4.

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bzw. "ist" verneinen, ohne daß wir damit einen Widerspruch begehen. Das Prädikat kommt ja zum Subjekt hinzu, so daß die Verneinung des Prädikats nicht im Widerspruch zum Subjekt steht. Das Urteil: "Peter ist fleißig" ist synthetisch. Damit kann ich das Prädikat ohne Widerspruch verneinen: "Peter ist nicht fleißig" (Das Urteil kann u. U. falsch sein; aber seine Falschheit ist nicht anhand des Widerspruchsprinzips allein zu ermitteln). Dazu folgendes. Streng genommen betrifft die für die ganze KrV grundlegende Distinktion von analytischen und synthetischen Urteilen gar nicht das Proprium des Urteils. Sie betrifft eher zwei verschiedene Arten unseres Verstehens und gehört also noch zur zweiten Phase unserer dreigliedrigen Erkenntnisstruktur. Im sog. analytischen Urteil fungiert als Prädikat ein Merkmal, das schon im Subjektbegriff gedacht wird; im synthetischen Urteil fungiert als Prädikat ein Merkmal, das erst nachher auf Grund einer (weiteren) Einsicht in die Daten entdeckt wurde und so dem Subjektbegriff hinzugefugt wird. In beiden Fällen steht noch die Bejahung (das Ja oder das Nein), die absolute Setzung der mentalen Synthesis (P gehört zu S), aus. Erst in dieser Setzung liegt Wahrheit und erst durch sie wissen wir, daß das von uns so Verstandene und Gedachte ist. Die These: "Ein jeder Existenzialsatz ist synthetisch" stellt bei Kant den nachträglichen Versuch dar, das Proprium des Urteils wieder zu gewinnen, nachdem er das Urteil unangemessenerweise als Verknüpfung von S und P definiert hat (vgl. A 6). Genauer sollte es heißen: Das Urteil ist ein wesentlich weiteres Moment im Erkenntnisprozeß, das auf das Denken (den Begriff) nicht reduziert werden kann. Man sieht, daß, wenn man die unpassende Terminologie Kants gebrauchen will, man sagen müßte: Alle Urteile als Tatsachenurteile (Existenzurteile) sind synthetisch ". Sie sind nicht auf das Moment " Ich verweise auf die Präzisierung im Kap. , Fußnote 35. Zur Debatte stehen also Urteile wie: gibt den Mond" und nicht Urteile wie: "Es gibt die Quadratwurzel von minus eins" und auch nicht Urteile wie: "Das Pferd ist ein Vierfüßler". Letztere sind die sog. Wesensurteile, deren Wahrheit und Wirklichkeitsreferenz vom Tatsachenurteil: "Das (ein) Pferd existiert" abhängt. In den Tatsachen- oder Existenzurteilen kommt das Proprium des Urteils als dritten Moments in unserer Erkenntnisstruktur zum Tragen. Entscheidend für das Verständnis des Urteils ist nicht die Analyse seiner sprachlichen Struktur: Subjekt, Copula und Prädikat, sondern die Analyse des Vollzugs unserer Intentionalität. Auch die Nichtexistenzurteile sind Setzungen. Aber diese Setzungen werden durch die bloße Kohärenz dessen begründet, was wir auf der Ebene der Einsicht und des Begriffs denken bzw. definieren; sie bilden also kein wesentlich

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des Denkens (das Moment der Einsicht in die zunächst einmal hypothetische oder bloß mögliche Zugehörigkeit von P zu S) reduzierbar, und was durch sie erkannt wird, ist das Sein, das mehr als die (bloß gedachte) Essenz ist. Der dreigliedrigen Struktur der Erkenntnis entspricht ja die dreigliedrige Struktur der uns proportionierten Wirklichkeit, die aus Materie, Form und Akt (Sein) besteht. C] "Realität" im Begriff des Dinges (die inhaltliche Bestimmung des Dinges) und "Existenz" im Begriff des Prädikats sind zwar beide Setzungen, aber verschiedener Art. Die erstere ist eine relative Setzung, bei der das Prädikat in Beziehung auf das Subjekt gesetzt wird ("Gott ist allmächtig"); die andere eine absolute Setzung ("Gott ist"), bei der das Ding mit all seinen Prädikaten in sich selbst gesetzt wird. Es ist nun eine unzulässige Verwechselung, wenn man Setzung und Realität einfachhin als gleichbedeutend nimmt und so die absolute Setzung zu einer relativen Setzung macht (d. h. das Sein dem Wesen zurechnet), um nachher aus dem Inbegriff aller Realität das Sein ableiten zu können. Damit wären wir wiederum im Falle A], in dem vom Begriff des Alls der Realität auf die Realität desselben (aber jetzt im Sinne von Existenz!) geschlossen wird. Wir wären bei einer Tautologie, weil das Mögliche (die Essenz) in der Tat als schon existierend gedacht wird; bzw. wir würden unzulässigerweise von der Setzung im Sinne von Realität (ein Prädikat wird als Bestimmung zum Subjekt gesetzt) auf die Setzung im Sinne von Existenz (das Subjekt wird schlechthin in sich selbst gesetzt) schließen. Die Unterscheidung von Realität als Qualitätskategorie und Existenz (Dasein) als Modalitätskategorie hat eine grundlegende Bedeutung in der KrV, angefangen von der Kategorientafel über das Schematismuskapitel (in dem Realität und Existenz zwei verschiedene Schemata entsprechen) bis zu den synthetischen Grundsätzen des reinen Verstandes, in denen den Qualitätskategorien die Antizipationen der Wahrnehmung und den Modalkategorien die Postulate des empirischen Denkens entsprechen. Allerdings geht das, was Kant hier ausführt, nicht über das hinaus, was er bereits im EmBg, 1. Betrachtung über das Dasein, gesagt hat. Dort hat Kant schon zwischen weiteres Moment (das Erfassen des virtuell Unbedingten durch die Rückkehr auf die Daten) über das Moment des Denkens hinaus. In diesem Sinne sind sie nicht synthetisch.

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Determination oder relativer Setzung und Position im Sinne einer absoluten Setzung unterschieden. Gemäß dem vorkritizistischen Ursprung der Kantischen Widerlegung des Cartesianischen Gottesbeweises haben die hier angewendeten Begriffe von Realität und Existenz noch nicht die transzendentalidealistische Wendung mitgemacht M. Letztere würde ja den Beweis eines absolut transzendenten Wesens von vornherein sinnlos machen. D] (Abs. 9). Was Kant vom Sein durch die Lehre von der absoluten Position und vom synthetischen Charakter des Existenzialsatzes gesagt hat, wiederholt er hier mit einer etwas anderen Terminologie, nämlich mit der Distinktion zwischen logischem und realem Prädikat (vgl. EmBg, I. Abtig., 1. Betrachtung, Nr. l und 2). Das Sein ist ein logisches Prädikat, insofern es im Existenzialsatz die Stellung des Prädikats einnimmt (Gott ist). Als solches unterscheidet es sich von den Bestimmungen des Dinges, die reale Prädikate sind, in welchem Falle dann das Sein die Stellung der Kopula einnimmt (Gott ist allmächtig)-24. Am Ende des Abs. scheint es, daß Kant reales Prädikat (Bestimmung des Dinges) mit Erweiterungsprädikat gleichsetzt im Sinne von A 6 ff. Eine solche Äquivalenz besteht aber nicht, weil eine Bestim-

* Vgl. MAUS», Kants Qualitätskategorien, 38 f. Vgl. weiter oben Kap. XVII zu den Abs. 5-6. M. a. W. bereits in der vorkritischen Periode hat Kant Objektbestimmung und Existenz des Objektes unterschieden. In seiner kritischen Periode hat Kant die Auffassung beibehalten, daß die Kategorien der Modalität (Kategorien der Existenz) "den Begriff, dem sie als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objektes nicht im mindesten vermehren". Neu kam hinzu, wie das "Verhältnis zum Erkenntnisvermögen", das diese Kategorien "ausdrucken", zu verstehen sei (A 219). Dieses Verhältnis wird in der KrV grundlegend gemäß dem sensualistischen Intuitionismus verstanden (vgl. A 225 f, A 19); dem gesellt sich aber das thetische Moment des Idealismus in einer letztlich nicht einheitlichen Konzeption von der menschlichen Erkenntnis zu. Für die Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises rekurriert Kant hier bei diesem zweiten Weg lediglich auf seine frühere Lehre. M Es kann helfen, um sich in der nicht ganz konsequenten Terminologie Kants zu orientieren, folgende dreifache Distinktion gegenwärtig zu halten: 1) Prädikativer Satz: "Gott ist allmächtig" - "allmächtig" ist ein reales Prädikat; 2) Existenzsatz: "Gott ist" "ist" ist ein logisches Prädikat; 3) "Gott ist allmächtig" - "ist" ist überhaupt kein Prädikat, sondern die Copula zwischen beiden Begriffen. Im Abs. 10 sagt Kant, daß die Copula "nicht noch ein Prädikat obenein ist", nennt sie aber Sein "im logischen Gebrauch". Man muß also, zumindest nach der vorliegenden terminologischen Festlegung, zwischen Sein als "logischem Prädikat" (Gott ist) und Sein "im logischen Gebrauch" (Gott isi allmächtig) unterscheiden.

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mung auch als Prädikat in einem analytischen Urteil vorkommen kann. Abs. 10. Nach der vorbereitenden Klärung des Existenzialsatzes beruft sich Kant auf seine Lehre zu Beginn des EmBg: "Das Dasein ist gar kein Prädikat" und "Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges", um wiederum zu erläutern, warum wir auf dem Weg der Subjektanalyse nicht zu einem Existenzialsatz gelangen können. "Sein ist kein reales Prädikat". Mit dieser Präzisierung gegenüber dem Losen Blatt Kuffner (R 3706) M und dem EmBg, in denen es einfach hieß: "Dasein ist kein Prädikat", trägt Kant auch sprachlich dem Umstand Rechnung, den er bereits im EmBg erörtert hat, daß nämlich Sein doch grammatisch als Prädikat eines Urteils fungieren kann, etwa im Satz: "Ein See-Einhorn ist." In diesem Falle handelt es sich um ein "logisches" Prädikat im Unterschied zum "realen" Prädikat, wie es im Abs. 9 gesagt wurde. Wenn nun Sein kein reales Prädikat ist, so kann es nicht durch die bloße Analyse des Subjektbegriffes erkannt werden. Damit ist der ontologische Gottesbeweis widerlegt. Die R 5255 um 1778 faßt das Ganze wie folgt zusammen: "Praedicatum est vel constitutivum vel modale, prius determinatio. Das Dasein ist kein konstitutives Prädikat (determinatio), es kann also nicht per analysin aus dem Begriff eines Dinges gefunden werden als zu seinem Inhalt gehörig. Also kann es aus Begriffen nicht objektiv bewiesen werden." ** Positiv bedeutet Sein die Position des Subjekts in sich selbst mit all seinen Prädikaten. Anders ausgedrückt, mit dem Urteil: "Gott ist" setze ich "den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff' in dem Sinne, daß, wie Kant gegen Ende des Abs. erläutert, "der Gegenstand bei der Wirklichkeit ... zu meinem Begriff ... synthetisch hinzukommt": der Gegenstand ist "außerhalb meinem Begriffe". Die hier gemeinte Beziehung des Gegenstandes zu meinem Begriff ist also die Unabhängigkeit desselben von meinem Begriff: Der Gegenstand transzendiert den Begriff w. " Vgl. Kap. X, Fußnote 3. " Eine systematische Überlegung und Stellungnahme zu dieser Widerlegung des Cartesianischen Beweises siehe in Kap. X, 4. n Zu "synthetisch" vgl. weiter oben zu Abs. 8-9, B. 2. Die Unabhängigkeit des Gegenstandes vom Denken hängt damit zusammen, daß das Urteil als Position ein weite-

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Im Abs. 12 schreibt Kant: "... so müssen wir doch aus ihm [unserem Begriff von einem Gegenstand] herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen". Herausgehen, aber wohin? Zurück zur Erfahrung oder vorwärts zum rationalen Urteil? Kant optiert für das erstere. Thomas optiert an der schon besprochenen Stelle der Summa Theologiae I, q. 3, a. 4 ad 2 M für das zweite, ohne allerdings die unentbehrliche Rolle der Erfahrung beim Zustandekommen des Urteils: "Deus est" zu bestreiten. Ist die Erfahrung das Kriterium für die Erkenntnis der Wirklichkeit, dann können wir keine Erkenntnis des transzendenten Wesens erlangen, weil es nicht zum Bereich unserer Erfahrung gehört. Ist das rationale (= begründete!) Urteil das Kriterium für die Erkenntnis der Wirklichkeit, dann stellt sich die Frage, ob wir einen zureichenden Grund haben, um das Urteil: "Gott ist" zu fällen. Nach Thomas ist dieser zureichende Grund die Existenz der Welt, zu deren Erkenntnis wir ebenfalls durch ein rationales Urteil gelangen - aber diesmal ein Urteil, für dessen rationale Begründung wir auf die Erfahrung der Welt selbst rekurrieren können ". Im Rahmen seiner Diskussion über das Postulat Gottes in der KpV schreibt Kant folgendes zur Unmöglichkeit, die Existenz Gottes "aus bloßen Begriffen zu erkennen": "Ein jeder Existenzialsatz, d. i. der, so von einem Wesen, von dem ich mir einen Begriff mache, sagt, daß es existiere, ist ein synthetischer Satz, d. i. ein solcher, dadurch ich über jenen Begriff hinausgehe und mehr von ihm sage, als im Begriff gedacht war: nämlich daß diesem Begriffe im Verstande noch ein Gegenstand außer dem Verstande korrespondierend gesetzt sei" (A 250 = V 139). Man sieht deutlich, daß Kant mit der irreführenden Bezeichnung "synthetischer Satz" in der Tat das Urteil in seiner Eigenschaft als weiteres Moment im Erkenntnisprozeß, über das begriffliche Moment hinaus, meint. Was bei ihm fehlt, ist eine Gesamt-

res Moment über das Denken hinaus ist. " Vgl. weiter oben Kap. , 3 a gegen Ende. " Zu einer präziseren Analyse des Grundes für die absolute Setzung der mentalen Synthesis im Urteil vgl. Bernard LONEBGAN, Insight. A Study of Human Understanding, London 1957, Kap. X. Giovanni B. SALA, Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistische Version des Intuitionismus, in: Theologie und Philosophie 57 (1982) 343 f, Anm. 79. Den., Intentionalitat contra Intuition, Ebd. 59 (1984) 259-263.

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Konzeption der Erkenntnisstruktur, in der diese Einsicht ihre eigentliche Stellung und die angemessene Interpretation finden kann. Im mittleren Teil des Abs. besteht Kant darauf, daß Begriff (des Möglichen) und Gegenstand (das Wirkliche) dasselbe, d. h. dieselben Bestimmungen enthalten, da es ja das Mögliche ist, das kraft des Seins zu einem Wirklichen wird, das Sein aber kein reales Prädikat (keine weitere Bestimmung) ist. Darüber hat sich Kant in der ersten Betrachtung des EmBg ausführlich geäußert, wo er dieses Lehrstück mit dem Beispiel eines historischen Individuums als durchgängig bestimmt belegt hat. Zum selben Zweck bringt er an unserer Stelle das Alltagsbeispiel der hundert Taler ". Die von mir vertretene Auffassung vom vorkritizistischen Ursprung der vorliegenden Gottesbeweiskritik erklärt ungezwungen, wieso Kant hier die These in Anspruch nehmen kann: "Sein ist die Position eines Dinges an sich selbst", bzw. vom "Sein außerhalb meinem Begriff' sprechen kann. Würde das Theologie-Hauptstück auf dem transzendentalen Idealismus der Ästhetik und Analytik basieren, für den unsere Erkenntnis auf Erscheinungen beschränkt ist, die "nur in uns existieren" (A 42), oder die "in mir, d. i. Bestimmungen meines identischen Selbst sind" (A 129), so hätte hier eine solche Lehre vom Sein keinen Platz. Abs. 11-12. Die beiden letzten Absätze der Widerlegung des ontologischen Beweises anhand des Grundsatzes: "Sein ist kein reales Prädikat" gehen hauptsächlich auf die längst überfällige erkenntnismäßige Seite des Problems ein: Wie wir nämlich das Sein überhaupt erkennen. Kants Lösung der Frage lautet: Außer dem Denken des Objektes muß ein bestimmtes "Verhältnis des Objektes zu unserem ganzen Zustande des Denkens" hinzukommen und zwar, "daß die Erkenntnis jenes Objektes auch a posteriori möglich sei". Im Falle eines "Gegenstandes der Sinne" ist dieses Verhältnis in der Erfahrung gegeben, entweder unmittelbar oder mittelbar "durch den Zusammenhang mit irgendeiner meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen", während "für Objekte des reinen Denkens" dies nicht möglich ist. Die Folge davon ist, daß, nachdem die Erkenntnis der Existenz des aller-

Vgl.

, Transzendentale Dialektik, 483.

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realsten Wesens mittels seines Begriffes allein bereits ausgeschlossen wurde, wir "ganz und gar kein Mittel" haben, sein Dasein zu erkennen. Aus dieser Begrenzung unserer Erkenntnis "aller Existenz" auf das Feld möglicher Erfahrung folgt allerdings, bemerkt Kant abschließend, daß wir auch nicht die Nicht-Existenz des transzendenten Wesens beweisen können. Die Summe der "Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft" (A 631) ist deshalb ein Zustand der "Unschlüssigkeit", wie schon in III, Abs. 9 (A 589) gesagt wurde und in VII, Abs. 14 (A 640 f) wiederholt wird. An unserer Stelle klingen die Ausführungen über die Art und Weise an, wie wir zur Erkenntnis der Existenz gelangen, unüberhörbar nach dem Postulat der Wirklichkeit (A 225 f). Dort hieß es: "Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung ..., zwar nicht eben unmittelbar von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen." Dies wird dahingehend präzisiert, daß "die Wahrnehmung, die den Stoff zum Begriff hergibt, der einzige Charakter der Wirklichkeit ist". Der Bereich unserer möglichen Erkenntnis der Wirklichkeit wird demnach folgendermaßen abgesteckt: "Wo also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht, dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge." Bereits die Betrachtung über das Dasein im EmBg hatte, noch ziemlich vage, erklärt, daß wir um die Existenz eines Dinges nicht auf Grund der Analyse des Begriffes dieses Dinges wissen, sondern weil der Begriff ein "Erfahrungsbegriff1 ist (A 6 = II 72). Der Übergang von dieser vorkritizistischen Position zur (wie ich meine) selben Lehre an unserer Stelle, d. h. doch im Kontext der KrV, war für Kant um so naheliegender, als in der KrV ein doppelter Strang vorliegt: der sensualistisch-empiristische und der rationalistisch-idealistische, gleichsam als Unterbau und Überbau der Lehre vom Erkennen und Sein. Mehr noch, bei näherem Zusehen erweisen sich Unterbau und Überbau als weitgehend voneinander unabhängig. Der Empirismus stellt die Komponente dar, aus der sich fast alle eigentümlichen und bekannten Lehrstücke der KrV ergeben. In erster Linie die Grenzbestimmung unserer Erkenntnis, daß sie nämlich auf den Be-

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reich der möglichen Erfahrung beschränkt ist. Ausgehend von diesem Unterbau versucht Kant, in der KrV den rationalen Bestandteil der menschlichen Erkenntnis zurückzugewinnen. Aber zu einer Infragestellung seiner intuitionistischen Grundthese, dergemäß nur die (sinnliche) Anschauung uns letzten Endes die Wirklichkeit vermittelt, und dementsprechend zur Anerkennung des eigenen kognitiven Charakters der Verstandeshandlungen und damit zur Anerkennung der dreigliedrigen Struktur unserer Erkenntnis ist er nicht gekommen. Die programmatischen Aussagen etwa von A 19 oder auch an der oben besprochenen Stelle am Anfang des Theologie-Hauptstückes zeugen unmißverständlich vom sensualistischen Intuitionismus der KrV. An unserer Stelle konnte Kant deshalb seine seit langem erarbeitete Argumentation problemlos mit kritizistischen Formulierungen der KrV ausdrücken, weil dieser empiristische Strang bei ihm älteren Datums war als die Wende zum transzendentalen Idealismus n und auch in der KrV weitgehend vom idealistischen Strang unabhängig geblieben ist (letzterer würde ja jegliche Prüfung der traditionellen Gottesbeweise überflüssig machen).

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In der R 3761 aus der zweiten Hälfte der 60er Jahre zur Baumgartenschen Definition von existentia ist zu lesen: "So aber erkennen wir das Dasein der Dinge durch Empfindung." Man möge auf die irreführende Zweideutigkeit der gängigen Redewendung von einer "Erfahrung der Wirklichkeit" achten. Daß wir mit unseren Sinnen das Wirkliche erfahren, ist wahr. Daß wir bereits durch die Erfahrung um das Wirkliche wissen, ist falsch. Das Wirkliche erkennen wir erst und allein durch das Urteil, zu dessen Zustandekommen freilich die äußere oder innere Erfahrung unentbehrlich ist. Folgendes Beispiel mag helfen, der genannten Distinktion auf die Spur zu kommen: Ein Hund und ein Mensch sehen beide einen wirklichen Knochen, aber nur der Mensch weiß, daß der Knochen "ist", daß er eine Wirklichkeit ist. Erfahrung vermittelt dem Hund und dem Menschen Daten. Aber der Hund nimmt diese Daten in seine extravertierte Antizipation auf, die auf das psychisch-biologisch Relevante ausgerichtet ist. Insofern nun die Daten seiner Antizipation entsprechen, erschließt sich ihm die Wirklichkeit (nicht als Wirklichkeit!, sondern als das psychisch-biologische Relevante) und so unterscheidet er den "wirklichen" Knochen von einer Attrappe. Der Mensch nimmt dagegen dieselben Daten in seine intelligente und rationale Antizipation des Seins auf und fragt deshalb, was das sei und ob das so und so Verstandene wirklich sei. Auf diesem Weg erschließt sich ihm die Wirklichkeit als Wirklichkeit, näherhin als ein bestimmtes Seiendes.

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V. Abschließende Betrachtung Die Vertreter des ontologischen Gottesbeweises weisen mit Recht auf die Sonderstellung des Gottesbegriffes hin, insofern hier zum Begriff der Essenz schon die Existenz gehört. Kant als Kritiker dieses Beweises hat nicht minder recht, wenn er kontert, daß wir mittels der Analyse des Gottesbegriffes nicht zur Erkenntnis kommen, daß Gott existiert. Die ersteren haben recht, insofern sie sich auf die seinsmäßige Seite des Problems beziehen; Kant hat recht, insofern er sich auf die erkenntnismäßige Seite des Problems bezieht. Die ersteren ziehen aus ihrer richtigen ontologischen Prämisse die falsche Konsequenz, daß zur Erkenntis der Existenz Gottes unser Begriff Gottes als alierrealsten Wesens ausreicht. Kant zieht aus seiner richtigen Prämisse, daß der Begriff keine Erkennntnis des Daseins vermittelt, die falsche Konsequenz, daß auch in Gott das Dasein kein reales Prädikat ist M. Die Lösung des Konfliktes liegt in der Unterscheidung beider Aspekte der Frage: Der Sonderstellung des Wesens Gottes und damit des Begriffes Gottes einerseits und der Unüberspringbarkeit unserer dreigliedrigen Erkenntnisstruktur andererseits auch im Falle der Erkenntnis Gottes. Anders formuliert: Im unendlichen Wesen ist die Essenz die Existenz selber; aber unser endlicher Begriff des unendlichen Wesens begründet von sich allein kein Existenzurteil.

* Ganz dezidiert z. B. in der Metaphysik Pölitz: "Der Begriff der höchsten Realität enthalt nicht das Dasein in sich, weil das Dasein keine Realität ist" ( 313). Dagegen schreibt THOMAS: "Haec propositio, Deus est, quantum in se est, per se nota est: quia praedicatum ["est"] est idem cum subiecto; Deus enim est suum esse" (Summa Theologiae, I, q. 2, a. 1).

XX. Kapitel Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Gottesbeweises Literatur Schmucker, Josef, Das Problem der Kontingent der Welt (Quaestiones Disputatae, 43), Freiburg 1969, 58-69. Dazu: Hans Wagner, Kants Kritik des kosmologischen Gottesbeweises, in: Archiv f. Geschichte d. Philosophie 52 (1970) 187-199. Casula, Mario, L'argomento cosmologico in Kant e nel razionalismo, in: Giornale di Metafisica 11 (1956) 225-247. Ders., L'argomento cosmologico: Confutazione kantiana e controconfutazioni scolastiche, in: Gregorianum 37 (1956) 634-643. Ders., L'argomento cosmologico: Validita storica della formulazione e validita teoretica della confutazione, in: Atti del XII Congresso Internationale di Filosofia, Firenze 1961, Bd. XII, 71-79. Ders., Studi Kantiani sul trascendente, Milano 1963. I. Teil: La negazione del trascendente: La confutazione Kantiana dell'argomento cosmologico, 15-91. Baumer, William H., Kant on cosmological arguments, in: The Monist 51 (1967) 519-535. Dasselbe in: Kant Studies Today, edit. L· W. Beck, La Solle, III 1969, 392-408. Thum, Beda, OSB, Der kosmologische Gottesbeweis nach Kant und das Kontingenzargument der Metaphysik, in: Salzburger Jahrbuch d. Philosophie 17-18 (1973-74) 145-174.

Gliederung Abs. 1-2: Der kosmologische Beweis als der natürliche Gang der Vernunft im Gegensatz zum ontologischen. Abs. 3-4 analysieren den Beweis in seinen zwei Schritten. 1) Von etwas Existierendem zu einem schlechthin notwendigen Wesen. 2) Das notwendige Wesen wird auf Grund seiner durchgängigen Bestimmung a priori mit dem ens realissimum identifiziert. Abs. 5 widerlegt den Beweis, weil er nur mittels des ontologischen Beweises ans Ziel kommt. Abs. 6-7: Formalisierte Fassung derselben Widerlegung. Abs. 8: Der kosmologische Beweis begeht einen Trugschluß.

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Abs. 9-10. Im Beweis sind vier täuschende Grundsätze enthalten. Abs. 11: Dritte Widerlegung. Abs. 12-15: Abschließende Bemerkungen zu unserem Unvermögen, Gott als ens necessarium zu erkennen.

Abs. 1. Der "natürliche Gang" der Vernunft geht von einem Existierenden (im Bereich unserer Erfahrung) zu "irgend etwas Notwendigem". Da nun "diese Notwendigkeit unbedingt und a priori gewiß sein muß", sucht die Vernunft den Begriff eines Dinges, der ein Dasein a priori zu erkennen gibt. Dies glaubt sie im Begriff des allerrealsten Wesens zu finden. Deshalb gebraucht sie diesen Begriff, um das zunächst völlig unbestimmte ens necessarium näher, und zwar als Gott (vgl. II, Abs. 14: A 580), zu bestimmen. Diese Rekonstruktion des Beweises folgt offenkundig den zwei Schritten Wolffs, die im Kap. XII besprochen wurden. Die Notwendigkeit des ens necessarium muß eine unbedingte sein (vgl. das zum Beschluß des EmBg, I. Abtig., 3. Abs., im Kap. VII Gesagte). Dieselbe Notwendigkeit muß a priori gewiß sein. Letztere im Vorübergehen gemachte Aussage über die Notwendigkeit, deren die Vernunft zur Erklärung der gegebenen weltlichen Existenz bedarf, liefert in der Tat den Schlüssel zum Verständnis, warum Kant auch diesen "natürlichen" Gottesbeweis für nicht stichhaltig hält. Von der Erfahrung und damit vom bloß Tatsächlichen her können wir zu keiner Erkenntnis des Absolutnotwendigen gelangen gemäß dem Grundprinzip: "Notwendigkeit und Allgemeinheit sind sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori" (B 4). Dementsprechend heißt es im Abs. 5: "die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen" (A 607) und im Abs. 13: "als schlechthin notwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinen Begriffen notwendig ist", und demnach aus seinen Begriffen - in diesem Sinne a priori - erkannt werden kann. Dazu möchte ich wieder daran erinnern, daß wir die ÄeoZnotwendigkeit der Erstursache nicht aus dem Begriff erkennen, den wir von ihr bilden, sondern aus der Realnotwendigkeit, die das kontingent Seiende auszeichnet (und aus dem wir einen analogen Begriff Gottes bilden). Pur Kant kann von einer Erkenntnis der unbedingten Notwendigkeit nur dann die Rede sein, wenn man "die Natur dieser Notwendigkeit" begreift (EmBg, A 47 = II 91), und zwar in sich

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selbst, sodaß ihre Verneinung unmöglich ist (EmBg, A 26 = II 81). Damit aber wird ein Beweis Gottes von etwas anderem her überflüssig, wie Kant selbst weiter unten zugibt: Könnten wir die Notwendigkeit des Daseins aus seinem Begriff einsehen, "so hätten wir keine empirische Voraussetzung nötig" (A 611). Jedenfalls verschiebt die hier erhobene Forderung nach einem Begriff, "der ein Dasein a priori zu erkennen gibt", den anvisierten Gottesbeweis a posteriori auf den Weg der bloßen Begriffe, wie ich bereits im Kommentar zum Kontingenzbeweis, Abs. 3-5 bemerkt habe, und läßt ihn so in den ontologischen Beweis einmünden. Zum Charakter eines "natürlichen Ganges", der dem Kontingenzbeweis im Gegensatz zum ontologischen beschieden wird, vgl. schon in III, Abs. 6 (A 586) und III, Abs. 10 (A 590). Abs. 2 kontrastiert den kosmologischen Beweis mit dem ontologischen bezüglich der Zuordnung beider Begriffe, um die es bei der Frage nach der Existenz Gottes geht: der Begriff der absoluten Notwendigkeit und der der höchsten Realität. Der Kontingenzbeweis behält zwar die Verbindung beider Begriffe bei, schließt aber "von der zum voraus gegebenen notwendigen Existenz irgendeines Wesens, auf dessen unbegrenzte Realität". In diesem Sinne stellt er die natürliche Schlußart dar sowohl für den spekulativen als auch für den gemeinen Verstand. Gemäß der Systematik aller möglichen Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft (A 591) wird hier der Beweis "kosmologisch" genannt, weil - wie der Abs. 3 den Terminus erläutert - "der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt [kosmos] heißt". Die Benennung hat Kant selber im EmBg, III. Abtig., Nr. 4 eingeführt; dort aber bezeichnete sie direkt den physikotheologischen Beweis. Auch in der vierten Antinomie, die vom notwendigen Wesen als Ursache der Welt handelt, sprach Kant in der Anmerkung zur Thesis vom "kosmologischen" Argument bzw. Beweis (A 456). In der Metaphysik Volckmann wird die Benennung folgendermaßen erläutert: "Den Leibnizschen Beweis a contingentia mundi nenne ich den kosmologischen, weil darin das Dasein eines Dinges zum Gegenstand der Erfahrung vorausgesetzt wird, welches Welt heißt. Die Prinzipien des Beweises sind aus der Erfahrung entlehnt, aber nicht aus einigen Eigenschaften der Welt, demnach gehört dieser Beweis zur transzendentalen

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Philosophie, denn ob ich zwar eine Erfahrung annehme, so schließe ich doch aus keinen Prinzipien a posteriori, daher ist es transzendental, wird aber nicht ontologisch, sondern kosmologisch genannt, weil ihm eine Erfahrung zum Grunde liegt" (XXVIII 456) *. Der Beweis "a contingentia mundi" wird an unserer Stelle speziell in Verbindung mit Leibniz gesetzt, im EmBg mit der Wölfischen Schule (A 194 = II 157). Leibniz' Hauptstellen zum Kontingenzbeweis sind: Theodizee, I. Teil § 7 (Philosophische Schriften, VI 106 f); Principes de la Nature et de la Grace, §§ 7-9 * (ebd., VI 602 f) ; Monadologie, §§ 37-42 (ebd., VI 613). Auch Wolff nennt den Beweis "a contingentia mundi" (Theologia Naturalis I, § 799), bzw. "a contingentia huius universi" (De differentia nexus rerum, Sect. I, § 3). Es stellt sich die Frage, welchen Autor Kant in seiner Darlegung des kosmologischen Beweises vor Augen hat. Charakteristische Merkmale des vorliegenden Beweises sind: 1) Die Nominaldefinition Gottes als ens realissimum, die, wie weiter oben bewiesen (II, Abs. 14: A 580), unserem Begriff Gottes in transzendentalem Verstande entspricht. 2) Die Gliederung des Beweises in zwei Schritte. 3) Die Auffassung vom ens necessarium als a priori durchgängig bestimmt. Durch eine Untersuchung des aposteriorischen Gottesbeweises bei Leibniz, Wolff und Baumgarten hat Casula gezeigt *, daß zwar einzelne Elemente des kosmologischen Beweises Kants im selben oder ähnlichen Sinne bei diesen Autoren vorkommen, aber so, daß die Fassung des Beweises in unserem Abschnitt Kant allein eigen ist; er hat sie selber entwickelt unter Rückgriff auf rationalistisch-Wolffsche Lehrstücke. Schon aus diesem Grund scheint die landläufige Ansicht

1

Der Terminus "Cosmologia" als Bezeichnung der philosophischen Untersuchung der Welt geht auf Woiw zurück. Vgl. Cosmologia generalis, § 1: "Dedimus hanc Cosmologiae generalis definitionem in Discursu praeliminari Logicae praemisso (§ 78). Monuimus quoque ibidem, quod ignotum vulgo sit hoc nomen, etai principia quaedam ad earn spectantia non ignorentur. Quamobrem et transcendentalem appellare soleo, quia nonnisi talia de mundo hie demonstrantur, quae ipsi tamquam enti composite et modificabili conveniunt, ut adeo eodem modo se habeat ad Physicam, quo Ontologia seu phüosophia prima ad phibsophiam universam." Aus dieser Erläuterung des Terminus "transzendental" erhellt, wie Kant an diese Tradition anknüpfend ihn oft (auch in der KrV) im Sinne von "ontologisch" verwenden kann. * Im § 7 beruft sich LEIBNIZ auf das "Grand principe" vom zureichenden Grund: "Ce principe , la premiere question qu'on a droit de faire, sera, Pourquoy il y a plustot quelque chose que rien?". 3 Vgl. CASULA, Studi Kantiani sul trascendente, 84-88

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bedenklich zu sein, Kant habe den kosmologischen bzw. den Kontingenzbeweis widerlegt. Abs. 3 legt den ersten Schritt des Beweises dar, der in einem hypothetischen Vernunftschluß besteht (vgl. Logik, § 75 f). Der Obersatz: "Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren", enthält "die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Notwendigen", aber ohne das Kausalitätsprinzip ausdrücklich zu erwähnen, das den Übergang vom kontingent zum notwendig Seienden ermöglicht. Dieses Prinzip wird in der mindestens z. T. später hinzugefügten Fußnote formuliert: "das vermeintlich transzendentale Naturgesetz der Kausalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe". Transzendental hat hier den herkömmlichen ontologischen Sinn von: das Sein überhaupt betreffend. Daß es nicht den kritizistischen Sinn haben kann, erhellt aus der präzisen Definition im Anhang der Prolegomena, dergemäß "transzendental ... bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinaus geht" (A 204a = IV 373), während im Gottesbeweis das Prinzip gerade dazu verwendet wird, um den Schritt über den Bereich der Erfahrung hinaus zu tun. Allerdings wird dieser ontologische Sinn und die entsprechende Tragweite des Prinzips bereits in Frage gestellt: Das Prinzip sei "vermeintlich" transzendental; mehr noch, es wird "Jvafurgesetz der Kausalität" genannt, womit die kritizistische Beschränkung des Prinzips auf die Erfahrung (Natur) gemäß der Lehre der zweiten Analogie der Erfahrung gemeint sein dürfte. Im Beweis selbst aber, der hier zunächst referiert wird, wird die kritizistische Interpretation und Restriktion des Prinzips nicht in Anspruch genommen. Bei der Endredaktion der KrV hat Kant diese Fußnote hinzugefügt bzw. modifiziert *, ohne die eigentliche, radikale Konsequenz für den Kontingenzbeweis selbst zu ziehen (nämlich die prinzipielle Unmöglichkeit, zu einem absolut notwendigen Wesen zu führen). Der vorkritizistische Ursprung der Kantischen Kritik am Gottesbeweis wird auch von dem weiter unten im Abschnitt erhobe-

* In der "Prüfung" des Kontingenzbeweises im ErpBg hatte Kant schon Vorbehalte gegen das Prinzip angemeldet, kraft dessen der Beweis den Oberschritt zum Transzendenten tut: "da er vermittelst des Satzes vom zureichenden Grunde, der noch immer angefochten wird, geführt werden muß" (A 194 = 158. Vgl. weiter oben Kap. , 2).

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nen entscheidenden Einwand bestätigt, der nichts mit dem transzendentalen Idealismus der KrV zu tun hat. Der Untersatz besteht in der Behauptung eines Existierenden aus dem Bereich unserer Erfahrung - bloß insofern es existiert, abgesehen von seinen Eigenschaften. In der Tat geht der Beweis von der Cartesianischen Erstevidenz des Ich aus. Dasselbe schon vorher in III, Abs. 8 (A 588) sowie auch später in der KU, "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie": B 469 = V 476. Bereits Wolffs Kontingenzbeweis setzte beim Ich an: Deutsche Metaphysik § 928; Theologie Naturalis I, § 24. Abs. 4 legt den zweiten Schritt des Beweises dar, d. h. die Identifizierung des schon bewiesenen notwendigen Wesens mit dem ens realissimum und damit mit Gott. Dafür rekurriert Kant auf ein besonderes Lehrstück der Schulphilosophie, daß nämlich "das notwendige Wesen nur auf eine einzige Art, d. i. in Ansehung aller möglichen entgegengesetzten Prädikate nur durch eines derselben, bestimmt werden kann". Zu Kontext und Anwendung des Prinzips sei folgendes bemerkt. 1. "Das Existierende ist durchgängig bestimmt". Diese These wurde schon in II, Abs. 2-3 (A 571-573) ausgeführt. Existieren kann nur das, was ein Individuum ist, das Individuum aber ist durchgängig bestimmt. Diese Lehre findet sich in der Ontologia Wolffs, § 225 ff (§ 229: Principium individuationis est omnimoda determinatio) und in der Metaphysica Baumgartens, § 148 ff. 2. "Das notwendige Wesen kann nur auf eine einzige Art durchgängig bestimmt sein". Das ens necessarium ist als existierendes Individuum nicht nur durchgängig bestimmt, indem ihm von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines tatsächlich zukommt, sondern es ist außerdem auf eine einzige Art durchgängig bestimmt, indem von allen möglichen kontradiktorischen Prädikatspaaren (A, non-A) ihm ein bestimmtes Prädikat zukommt, und zwar das Prädikat, das eine (unendliche und notwendige) Vollkommenheit besagt, bzw. die Negation der Prädikate, die nicht solcherart sind. Denn jegliche Bestimmung des ens necessarium ist eo ipso necessaria, und somit die einzige, während die kontradiktorische für es unmöglich ist. Dies gilt für das kontingent Seiende nicht. Nach der Wölfischen Analyse sind die "modi" genau die Bestimmungen, die nicht notwendig

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dem betreffenden Seienden zukommen. So kann z. B. ein Mensch gelehrt oder auch ungelehrt sein. Auch diese These findet sich in Wolffs Ontologia. § 284: "Quod necessarium est, id unico modo determinabile est." Umgekehrt, § 285: "Quod unico modo determinabile est, id necessarium est." Baumgarten übernimmt diese Lehre und dehnt sie entsprechend auf das ens contingens aus. Metaphysica, § 114: "Necessaria sunt unico tantum modo ac ratione determinabilia ... lam pone necessarium esse determinabile per A; non-A est huius determinationis oppositum, hinc impossibile ... Contingentia ... sunt duplici modo determinabilia." Vgl. auch die dazugehörigen RR 5754-5787 (insbesondere RR 5776-5787); Fortschritte der Metaphysik, XX 349; Metaphysik Volckmann, XXVIII 456. Dieselbe Lehre vom Standpunkt der modi oder accidentia praedicabilia (Baumgarten, Metaphysica, § 50) lautet: "In ente necessario non sunt modi ... Ergo cui modi insunt, est ens contingens" (§ 111); "Deus est ens necessarium ... In ente necessario non sunt modi ... Ergo in Deo non sunt modi" (§ 825). 2 a. Ist das ens necessarium auf eine einzige Art durchgängig bestimmt, so ist es "durch seinen Begriff [und damit a priori] durchgängig bestimmt". Mittels dieser unmittelbaren Konsequenz, die Kant zieht, geht er zum dritten Lehrstück über, durch das er das notwendige Wesen mit dem allerrealsten identifiziert. 3. "Nun ist nur ein einziger Begriff von einem Dinge möglich, der dasselbe a priori durchgängig bestimmt, nämlich der des entis realissimi." Zu dieser These vgl. II, Abs. 8 (A 576), wo gesagt wird, daß die Bestimmungen des ens realissimum alle und nur die Prädikate sind, die "zum Sein schlechthin gehören"; auch VI, Abs. 11 (A 628); Fortschritte der Metaphysik, A 124-127 = XX 301 f. Wenn nun einerseits das ens necessarium durch seinen eigenen Begriff durchgängig bestimmt sein muß, und wenn andererseits das ens realissimum das einzige Ding ist, das durch seinen eigenen Begriff durchgängig bestimmt ist, so ist das notwendig Existierende das ens realissimum selbst, d. h. "Gott in transzendentalem Verstande" (A 580). M. a. W., insofern das ens necessarium mit einem a priori durchgängig bestimmten Seienden koinzidieren muß, kann es nur mit dem ens realissimum oder perfectissimum koinzidieren. Dieselbe Argumentation findet sich in der kurzen Besprechung des "metaphysisch-kosmologischen Beweises" gegen Ende der KU: B

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469 f = V 476. Wiederum in den Fortschritten der Metaphysik, A 128 = XX 303; XX 349 und in den KR 6322 und 6323 aus der ersten Hälfte der 90er Jahre. Im zweiten Schritt des kosmologischen Beweises wird also "das Moment der apriori einsichtigen und notwendigen individuellen Bestimmtheit als dasjenige Moment des ens realissimum angesetzt, das dieses für das notwendige Dasein positiv [und exklusiv!] qualifiziert" 5. Damit ist die Frage, wer das notwendige Wesen sei, auf eine eindeutige Weise beantwortet; was im Kontingenzbeweis, so wie er im III. Abschnitt rekonstruiert wurde, nämlich durch Heranziehung des Moments der "Unabhängigkeit" des ens realissimum (A 585), nicht erreicht werden konnte. Abs. 5 erwähnt zunächst die "vernünftelnden Grundsätze", die in diesem Beweis am Werk sind, "um den größtmöglichen transzendentalen Schein zustande zu bringen". Von der hier angedeuteten kritizistischen Lehre wird in den Abs. 9-10 die Rede sein, aber nicht in der nun folgenden Widerlegung des kosmologischen Beweises, die gar keinen transzendentalen Schein im Sinne der Einleitung in die transzendentalen Dialektik aufdeckt. Die Widerlegung richtet sich gegen den zweiten Schritt des Beweises, indem sie zeigt, daß die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum den ontologischen Gottesbeweis miteinschließt - letzter aber wurde bereits widerlegt. Der erste Schritt habe eine notwendige Existenz erreicht, aber ohne angeben zu können, wem sie zuzuschreiben sei. Es gilt deshalb herauszubringen, "welches unter allen möglichen Dingen die erforderlichen Bedingungen (requisite) zu einer absoluten Notwendigkeit in sich enthalte". Die Vernunft glaubt nun, diese Bedingungen einzig und allein im allerrealsten Wesen anzutreffen, weil nur der Begriff des ens realissimum seinen Gegenstand a priori durchgängig, also als ein Individuum, bestimmt (vgl. II, Abs. 8: A 576) - genau so wie das notwendige Wesen "durch seinen Begriff durchgängig bestimmt" ist.

' SCHMUCKER, Das Problem der Kontingenz der Welt, 61. Im Abs. 5, A 607, heißt es: "Der Begriff des entis realissimi ist ... der einzige, der zu dem notwendigen Dasein passend und ihm adäquat ist."

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Wenn nun, wendet Kant ein, der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität sich positiv und exklusiv zur Notwendigkeit im Dasein qualifiziert, d. h. wenn er allein alle requisite dazu hat, dann können wir aus diesem Begriff folgern, daß sein Gegenstand notwendig existiert, ohne den Umweg über eine von der Erfahrung her erwiesene Daseinsnotwendigkeit. Der Ansatz in der Erfahrung stellt sich als "ganz müßig" heraus (vgl. auch an der entsprechenden Stelle des EmBg: A 196a = II 158), insofern der Begriff eines ens realissimum, zu dem der kosmologische Beweis greift, um die notwendige Existenz als die Gottes auszuweisen, so verstanden und eingesetzt wird, daß er von sich allein einen vollständigen apriorischen Grottesbeweis ausmacht. In diesem Abschnitt übernimmt Kant offenkundig die Widerlegung des Wolffschen Beweises, die er in der III. Abtig, des EmBg erarbeitet hat (vgl. Kap. XII). In beiden Fällen sieht Kant die Achillesferse des Beweises darin, daß er den Schritt zur Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum darauf gründet, daß der Begriff der Notwendigkeit und der der Unendlichkeit "Wechselbegriffe" sind in dem Sinne, daß sie einander einschließen. Gerade diese "Reziprokabilität der Begriffe" (A 788 f), die den Übergang von der Daseinsnotwendigkeit zur höchsten Realität ermöglicht, ermöglicht auch den Übergang in die entgegengesetzte Richtung - letzteres ist aber der apriorische ontologische Gottesbeweis. Also, argumentiert Kant, sind entweder beide Beweise stichhaltig (wobei doch der kosmologische Beweis kein unabhängiger und von sich aus kompletter Beweis wäre) oder aber keiner. Es gibt allerdings auch einen Unterschied zwischen beiden Widerlegungen. Im EmBg gelten Notwendigkeit und Unendlichkeit als Wechselbegriffe, insofern beide eine logische Notwendigkeit besagen (die Notwendigkeit, zu der der Kontingenzbeweis mittels des Satzes vom Grunde gelangt, ist die Notwendigkeit dessen, was in sich den Grund seiner eigenen Existenz hat; die Notwendigkeit des ens infinitum ist die Notwendigkeit des Seienden, das alle Realität, einschließlich des Daseins, in sich hat); im Abschnitt V des TheologieHauptstückes schließen beide Begriffe einander ein, weil notwendiges Wesen und allerrealstes Wesen (und zwar sie allein) a apriori durch ihren eigenen Begriff durchgängig bestimmt sind.

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Zu dieser Widerlegung des kosmologischen Gottesbeweises brauche ich nur auf das zu verweisen, was ich zur Widerlegung des Cartesianischen Beweises in der Nova dilucidatio (Kap. III, 3 a) und im EmBg (Kap. X, 4) über die Struktur unserer Erkenntnis ausgeführt habe. Kurzum: Der gegenseitige Einschluß der Begriffe vom ens necessarium und ens realissimum ermöglicht wohl, das a posteriori erkannte notwendige Wesen als das ens realissimum und somit als Gott zu explizieren, begründet aber keinen gegenseitigen Einschluß des Kontingenz&etüeises und des ontologischen Beweises. Denn ein Beweis im Sinne einer Erkenntnis der Wirklichkeit erfordert ein TatsacheniirieiZ; dieses aber vermögen wir nie auf dem Weg einer bloßen Begriffsanalyse zu fällen. Anders gesagt: Wir können von einem Begriff Gottes zum anderen in beiden Richtungen gehen; wir können aber zum Existenzurteil nur von der Erfahrung her gelangen, d. h. also nur auf dem Weg des Kontingenzbeweises. Diese Vermengung zweier verschiedener Erkenntnisebenen wurde von vielen Autoren bemängelt. Adickes bemerkt in seiner Edition der KrV, S. 485: Hat man von der Erfahrung her die Existenz eines notwendigen Wesens bewiesen, so sei die nähere Bestimmung desselben durch den Begriff des Alls der Realität als den einzig passenden Begriff für ein notwendiges Wesen durchaus stichhaltig. Kant stütze seine Interpretation und Widerlegung des Kontingenzbeweises allein auf "die ganz willkürliche Erklärung der absoluten Notwendigkeit als eines Daseins aus bloßen Begriffen". Kants Fazit aus seiner Kritik ist: Wenn der kosmologische Beweis vorgibt, ein notwendiges Wesen erreicht zu haben, so habe er es in der Tat aus dem reinen Begriff des ens realissimum abgeleitet, da ja die Erfahrung uns keine absolute Notwendigkeit zu erkennen gibt. Abs. 6-7 wiederholen die gleiche Widerlegung in einer logischen Formalisierung, nämlich durch den Rekurs auf die Lehre von der Umkehrung der Sätze (vgl. Logik § 52 f). Der zweite Schritt des Beweises ist zur Aussage gelangt: "Alle notwendigen Wesen sind allerrealste Wesen." Nun aber läßt sich ein bejahender Allsatz "per accidens" umkehren. Also: "Einige allerrealste Wesen sind notwendige Wesen".

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Da aber die allerrealsten Wesen einander völlig gleich sind ', so läßt sich der Allsatz in diesem Fall (ratione materiae) "simpliciter" umkehren: "Alle allerrealsten Wesen sind notwendige Wesen." Dies bedeutet, daß "der bloße Begriff des realsten Wesens" bereits "die absolute Notwendigkeit desselben bei sich" fährt; genau dies ist nun der ontologische Gottesbeweis. M. a. W. die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum impliziert den (ungültigen!) ontologischen Gottesbeweis. Zu beachten ist insbesondere die Behauptung am Anfang des Abs. 7 über die Gleichsetzung des notwendigen Wesens mit dem allerrealsten Wesen: Der zweite Schritt des Kontingenzbeweises, der für die Scholastik als eine Explizierung des absolut Notwendigen galt, wird bei Kant zu einem wesentlich anderen Schritt, ja zum "nervus probandi". Dazu vgl. die Fußnote 2 im Kap. XII. Abs. 8 nennt den Fehlschluß des Beweises Gottes aus der Erfahrung "ignoratio elenchi". Abs. 9-10 nehmen die Andeutung am Anfang des Abs. 5 wieder auf, indem sie auf der Grundlage des transzendentalen Idealismus der Analytik das im kosmologischen Beweis (angeblich) verborgene "Nest von dialektischen Anmaßungen" aufstöbern. Es sind ihrer vier. 1. "Der transzendentale Grundsatz, vom Zufälligen auf eine Ursache zu schließen." Der kosmologische Gottesbeweis beansprucht, von einem metaphysisch Kontigenten aus 7 durch das ontologisch verstandene Kausalitätsprinzip zu einem absolut Notwendigen zu gelangen. Der Beweis tut also im ersten Schritt das, was die kritizistische Auffassung sowohl vom Zufälligen (dritte Modalkategorie) als auch vom Grundsatz der Kausalität (zweite Analogie der Erfahrung) nicht erlaubt. Letztere (wie alle Kategorien) hat, wie Kant hier in

' Kant hat eigentlich in II, Abs. 8 bereits bewiesen, daß der Begriff des ens realissimum der Begriff eines einzelnen Wesens ist! Wieder hier unten Abs. 11: A 611 f. Infolgedessen erübrigt sich die ganze Argumentation von "allen" zu "einigen" und dann wieder zu "allen"! 7 das wir eigentlich nicht kennen! - wie in der Anmerkung zur Thesis der vierten Antinomie ausgeführt wurde: A 456-460. Vgl. weiter unten Kap. XXII, Anhang, 3. ' Kant sagt: "transzendentaler Grundsatz". Vgl. Abram GIDEON, Der Begriff Transcendental in Kants KrV, Marburg 1903 (ND Darmstadt 1977), 164 f.

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Erinnerung bringt, Bedeutung und Anwendung "nur in der Sinnenwelt". 2. Der Grundsatz von der "Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe übereinander gegebener Ursachen". Nach kritizistischem Verständnis des Vernunftgebrauchs können wir diesen Grundsatz nicht anwenden, um auf eine .Ersfursache in der Welt, viel weniger, um auf eine transzendente Erstursache zu schließen. Der Grundsatz ist schon in der ersten und vierten Antinomie zur Sprache gekommen. Er hat, wie Kant im Dialektik-Anhang erläutert, nur regulativen Gebrauch: In der Erklärung gegebener Erscheinungen sollen wir so verfahren, als ob die Reihe unendlich wäre (vgl. A 685, 700); d. h. wir sollen eine empirische, zeitlich vorhergehende Ursache immer weiter suchen, um damit zur größtmöglichen Erweiterung unserer Erkenntnis vorzustoßen. Die Aufdeckung dieser ersten zwei "trüglichen Grundsätze", die in einem metaphysisch gewendeten kosmologischen Beweis in Anspruch genommen werden, hat offensichtlich ihre Quelle im System des Kritizismus. Vom Standpunkt des transzendentalen Idealismus, der in der KrV mit einer sensualistischen Grenzbestimmung verbunden ist, erweist sich der Versuch, "über die Sinnenwelt hinaus zu kommen" (A 609 am Ende), von vornherein als eine aussichtslose Anmaßung. In der Tat aber rekurriert die eigentliche Widerlegung des kosmologischen Gottesbeweises im vorliegenden Abschnitt gar nicht auf die kritizistische Lehre, sondern auf das Argument, das Kant schon im EmBg, III. Abtig, vorgebracht hatte. Damit ist die These vom vorkritizistischen Ursprung der Gottesbeweiskritik im Theologie-Hauptstück bestätigt. Abs. 10 ist offensichtlich ein späterer Zusatz. Die zwei anderen Grundsätze werden ebenfalls vom Standpunkt des Kritizismus formuliert und zur Kritik des kosmologischen Gottesbeweises angewandt, gehören aber der Substanz nach noch dem vorkritizistischen Philosophieren Kants an. Als solche, d. h. in ihrem vorkritizistischen Verständnis, haben sie im Abschnitt IV. Abs. l, 7 und 13, eine wichtige Rolle gespielt. An den angegebenen Stellen habe ich bereits auf die dortige kritizistische Interpolation dieser Grundsätze hingewiesen '.

• Vgl. SCHMUCKER, Das Problem der Kontingenz der Welt, 67.

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3. Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, die glaubt, durch den Begriff der unbedingten Notwendigkeit die Reihe der Bedingungen vollenden zu können. Dies tut sie, indem sie von der vermeintlich ersten Ursache alle Bedingungen wegschafft. Dadurch aber schafft sie das weg, was allein uns ermöglicht, Notwendigkeit überhaupt zu verstehen. Schon in seiner vorkritischen Periode hatte Kant bemerkt, daß wir das Notwendige nur mittels des Satzes vom Grunde verstehen, d. h. durch einen Grund, der das betreffende Seiende notwendig macht. Infolgedessen ist eine "necessitas entis absoluta" für uns ein problematischer Begriff. Vgl. weiter oben IV, Abs. l (A 592), und Kap. XIV, 3. 4. Als vierter dialektischer Grundsatz, der im kosmologischen Beweis enthalten ist, gilt die Verwechselung der logischen Möglichkeit des Begriffes ens realissimum mit der transzendentalen (d. h. realen im kritizistischen Sinne) Möglichkeit desselben. Letztere schließt die Tunlichkeit in der Erfahrung der Synthesis ein, die der Begriff ausdrückt. Nun aber ist die Synthesis aller Realität in einem einzigen Individuum in keiner Erfahrung anzutreffen. Also ist die Möglichkeit des ens realissimum eine bloß logische. Der kosmologische Beweis setzt dagegen in seinem zweiten Schritt voraus, daß das ens realissimum real möglich ist, so daß es durch die Identifizierung mit dem ens necessarium als existierend ausgewiesen wird. Diese Distinktion von logischer und realer Möglichkeit wurde bereits im Abschnitt IV, Abs. 7 und 13 gegen die Leibnizianische Fassung des ontologischen Gottesbeweises angewandt. Abs. 11 faßt in den ersten fünf Sätzen den kosmologischen Gottesbeweis wieder zusammen und widerlegt ihn dann im sechsten langen Satz zum dritten Mal. Der letzte Teil des Abs.: "Der Begriff des höchsten Wesens ..." erläutert nochmals, was der Begriff des ens realissimum vermag bzw. nicht vermag. Darlegung und Kritik bringen nichts Neues. Von einem gewissen Interesse sind zwei Aussagen. 1. Wir haben die Möglichkeit des notwendig Existierenden "nicht nötig zu erklären", da der erste Schritt schon auf dessen Existenz schließt. Mit dieser naheliegenden Bemerkung will Kant vielleicht auf den Unterschied des kosmologischen Beweises zur Leibnizschen Version des ontologischen Beweises hinweisen, die zuerst die Möglichkeit des ens realissimum nachweist (vgl. IV, Abs. 13).

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Direkter aber hebt die angeführte Bemerkung den Unterschied zum aposteriorischen (!) Beweis Baumgartens hervor, für den der Ansatz von der Welt her zunächst nicht die Existenz, sondern nur die Möglichkeit einer notwendigen Substanz beweist, die dann a priori als existierend kraft ihrer Möglichkeit selbst eingesehen wird. "Hie mundus habet causam efficientem extramundanam eamque substantiam necessariam. Ergo substantia necessaria est possibilis. Si substantia necessaria est possibilis, est actualis et sempiterna. Ergo substantia necessaria exsistit. Deus est substantia necessaria. Ergo Deus exsistit" (Metaphysica, § 854) 10. 2. Von besonderem Interesse sind die Sätze 5 und 6, in denen Kant nochmals erläutert, warum der medius terminus für die Identifizierung des ens necessarium mit dem ens realissimum den ontologischen Gottesbeweis einschließt. Dieser medius terminus war, wie im Abs. 4 dargelegt, das Merkmal der durchgängigen Bestimmung des ens necessarium durch seinen eigenen Begriff, das sich im ens realissimum wiederfinden läßt. Dieses Merkmal könnte zunächst als "negative Bedingung" angesehen werden, "ohne welche ein Wesen nicht absolut notwendig sein würde", d. h. als conditio necessaria sed non sufficiens. Das ens realissimum also, in dem diese Bedingung vorliegt (vgl. II, Abs. 8), könnte dennoch kein absolut notwendiges Wesen sein. Diese Hypothese scheidet aus, weil die genannte "Bedingung, die man zur absoluten Notwendigkeit fordert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kann", nämlich nur im ens realissimum, und dieses ist von seinem Wesen aus ein einziges. Anders gesagt: Das, was durch seinen Begriff durchgängig bestimmt ist, ist a priori als Individuum bestimmt. Das ens realissimum ist also ein einzelnes Wesen (vgl. wieder II, Abs. 8). Da es nun ein ens necessarium geben muß (das a priori durchgängig bestimmt ist! Vgl. Abs. 4), wie der erste Schritt des kosmologischen Beweises gezeigt hat, und da die Bedingung der apriorisch einsehbaren durchgängigen Bestimmung nur in dem individuellen Ding vorliegt, das das ens realissimum ist, so kann keinem anderen Ding die absolute Notwendigkeit zukommen als dem ens realissimum. Das ens realissimum und nur es ist das existierende ens necessarium. Die conditio sine qua non

Vgl. CASULA, Studi Kantiani sul trascendenfe, 46-52.

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stellt sich als conditio sufficiens heraus. In diesem Sinne schreibt Kant: Das ens realissimum enthält "alles, was zur absoluten Notwendigkeit erforderlich ist". Genau bei diesem auszeichnenden Merkmal des ens realissimum setzt Kant an, um seine eigene Schlußfolgerung zu ziehen, die zugleich seinen Einwand gegen den kosmologischen Beweis darstellt: Das genannte Merkmal des ens realissimum "macht einen Schluß a priori auf dieselbe [d. h. auf die absolute Notwendigkeit, also auf die Existenz] möglich". Welchem Ding der Begriff der höchsten Realität zukommt, das ist schlechterdings notwendig, existiert also. Diese Schlußfolgerung ist offensichtlich der ontologische Beweis selbst. Das Gelingen der Identifizierung der absoluten Notwendigkeit mit Gott impliziert demnach den ontologischen Gottesbeweis, ja es macht die empirische Prämisse des kosmologischen Beweises überflüssig; deshalb ist die genannte Identifizierung ungültig. Zum Zusammenhang von ontologischem und kosmologischem Beweis vgl. R 6214 (XVIII 503). Gemäß dem, was ich bereits mehrmals ausgeführt habe, gilt die Umkehrung des kosmologischen Beweises, die sich daraus ergibt, daß die Bedingung der apriorischen durchgängigen Bestimmung nur in einem Individuum (dem ens realissimum) angetroffen wird, wohl auf der begrifflichen Ebene. Das ens necessarium ist dasselbe wie das ens realissimum und umgekehrt ist das ens realissimum ein ens necessarium und deshalb existiert es. M. a. W. ich muß das a posteriori bewiesene ens necessarium als ein ens realissimum auffassen und zwar in dem Sinne, daß das ens realissimum nicht nicht-existieren kann. In der ersten Richtung habe ich den Goiiesbeweis: Vom existierenden ens necessarium schließe ich auf das existierende ens realissimum (kosmologischer Beweis). In der Gegenrichtung habe ich keinen Beweis: Von dem als notwendig existierend gedachten ens realissimum folgt keine Erkenntnis davon, ob es tatsächlich existiert oder nicht. Es folgt lediglich, daß ich das ens realissimum als existierend denken muß, insofern es die conditio necessaria et sufficiens der notwendigen Existenz erfüllt. Unser Denken aber - was immer wir auch denken - vermittelt keine Erkenntnis der Wirklichkeit. Abs. 12. Das Resultat der oben ausgearbeiteten Kritik ist, daß wir vom Dasein eines höchsten Wesens nur im Sinne einer Annahme

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oder Hypothese im Hinblick auf die Einheit der mannigfaltigen "Erklärungsgründe" im Bereich der Erfahrung sprechen können. Damit nimmt Kant das Thema des Dialektik-Anhangs vorweg, nämlich den "regulativen Gebrauch" der Vernunft (Vgl. insbesondere die Ausführungen über den "hypothetischen Gebrauch der Vernunft": A 647 ff). "Denn, was man als schlechthin notwendig zu erkennen vorgibt, davon muß auch die Erkenntnis absolute Notwendigkeit bei sich führen." Wir treffen hier eine Forderung an unsere Erkenntnis des ens necessarium an, die Kant immer wieder stellt. Kant scheint folgendermaßen zu argumentieren: Habe ich das absolut Notwendige erkannt, so weiß ich, daß sein Gegenteil (das ens necessarium existiert nicht) unmöglich ist. Kant hat ja das schlechterdings Notwendige als das definiert, "dessen Gegenteil an sich selbst unmöglich ist" (EmBg, I. Abtig., 3. Betrachtung, Nr. 1). Da nun Kant bald nach 1762 seinen Denkweg von den möglichen Dingen zur "absoluten .ReoZnotwendigkeit" fallen gelassen hat, meint er mit den Worten: "was man als schlechthin notwendig zu erkennen vorgibt" aller Wahrscheinlichkeit nach ein logisch Notwendiges, nämlich das, dessen Gegenteil unmöglich ist, weil es widersprüchlich ist u. Demgemäß heißt es im Abs. 5: "die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen" (A 607); im Abs. 13: "als schlechthin notwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriff notwendig ist". Zum selben Thema vgl. auch das im Abs. l Gesagte. Mit dieser Forderung wird der Kontingenzbeweis in die Bahn des ontologischen Beweises hinübergeleitet, so daß der zweite Schritt als Forschung "hinter lauter Begriffen" (A 606) zu einem Schritt wird, der wesentlich vom ersteren verschieden ist. Es geht ja um die Suche nach dem Begriff, der absolute Notwendigkeit bei sich führt. Durch dieselbe Forderung wird der Kontingenzbeweis zum Scheitern verurteilt, weil Kant schon gezeigt hat, daß von jeglichem Gegenstand, den wir denken, sich die Existenz ohne Widerspruch aufheben läßt. Kurzum: Wer die absolute Notwendigkeit als "ein Dasein aus bloßen Begriffen" definiert (A 607), sagt zugleich, daß wir sie nicht erkennen können 12.

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Zur Distinktion von realer und logischer Notwendigkeit vgl. Kap. VII, 3. Betrachtung, 1. u Man könnte im Sinne Kants auch folgendermaßen argumentieren. Erstens, einen

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Zum Problemkomplex würde ich sagen: 1) Unser Erkennen als kontingent Seiendes ist selber nie absolut notwendig. Die Setzung eines fundierten und deshalb wahren Urteils ergibt sich nicht notwendigerweise aus unserer intelligenten und rationalen Intentionalität, sondern ist eine persönliche Leistung des Subjekts, dessen Gegenteil prinzipiell immer möglich ist, wie das Faktum falscher Urteile zeigt1S. 2) Unsere Erkenntnis des Unbedingten (dessen also, was absolute Notwendigkeit bei sich führt) ist durch unsere Welterkenntnis bedingt M. Abs. 13 wiederholt dieselbe Forderung an den Kontingenzbeweis: Er muß "zu der absoluten Notwendigkeit [zu der der erste Schritt gelangt ist] einen Begriff ... finden", und zwar einen solchen, der sich positiv und exklusiv zur Daseinsnotwendigkeit qualifiziert. Damit aber schlägt, nach Kants Dafürhalten, der vermeintlich aposteriorische Gottesbeweis in den apriorischen ontologischen Gottesbeweis um. Umgekehrt gilt es: "zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge", näherhin zum Begriff des allerrealsten Wesens, "die absolute Notwendigkeit desselben zu finden". Dies ist aber unmöglich, weil das Dasein in den Begriff keines Dinges gehört. Kontingenzbeweis und ontologischer Beweis sind die zwei Wege, auf denen wir versuchen, die Frage nach der Existenz des transzendentalen Ideals zu beantworten. Diese Wege bilden die "transzendentalen Beweise", von denen im Anhang zum Abschnitt V weiter die Rede ist 15. Bezüglich einer solchen Frage kann unser Verstand weder

Begriff des ens necessarium als reo/notwendig haben wir nicht. Denn wir vermögen seine Existenz zu verneinen und zugleich anzuerkennen, daß es eine Welt gibt. Zweitens, ein Begriff des ens necessarium als logisch notwendig ist unmöglich, weil das Sein kein reales Prädikat ist, und deshalb läßt sich das ens necessarium ohne Widerspruch verneinen. a Vgl. Giovanni B. SALA, Intentionalität contra Intuition, in: Theologie und Philosophie14 59 (1984) 259-263. Vgl. Kap. VII, zum "Beschluß", 3. Abs. gegen Ende. ™ Vgl. auch die eindringliche Diskussion in den "Fortschritten der Metaphysik", A 124-134 = XX 301-304, unter dem Titel: "Transzendente Theologie". Dort ist folgender Satz zu lesen, der die rationalistische Grundforderung zur Sprache bringt, die die ganze Frage der transzendentalen Beweise vom Dasein Gottes beherrscht: "Da wir nun die Notwendigkeit der Existenz eines Dinges, wie überhaupt jede Notwendigkeit, nur so fern erkennen können, als dadurch, daß wir dessen Dasein aus Begriffen a priori ableiten ... "

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zu einer befriedigenden Antwort kommen noch sich mit seinem Unvermögen abfinden! Abs. 14. Die "unbedingte Notwendigkeit ... ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft", noch geheimnisvoller als die Ewigkeit. Es geht um die höchste Schwierigkeit für uns, eine causa incausata zu denken. Diese abschließenden Überlegungen Kants sind eine Bestätigung der vorhin geäußerten Ansicht, daß das Zentrum der Bemühungen Kants um die rationale Theologie die Problematik des ens necessarium ist. Der Text Albrecht von Hallers (1708-1777), auf den Kant sich beruft, wurde schon im EmBg, A 180 = II 151, angeführt in der Betrachtung über die göttliche Allgenugsamkeit. In den Werken Kants kommen Anspielungen auf die "Unvollkommene Ode über die Ewigkeit" des "erhabensten unter den deutschen Dichtern" mehrmals vor: Von der "Allgemeinen Naturgeschichte" (A 115 = I 314 f, A 126 = I 321) über die "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" (Am Ende des 1. Abschnittes) bis zum späten Aufsatz "Das Ende aller Dinge" (zu Beginn des Aufsatzes). Abs. 15 bringt eine Überlegung, die zeigen soll, daß das Ideal der reinen Vernunft, dessen Existenz unsere spekulative Vernunft nicht erkennen kann, doch nicht unerforschlich ist! Unerforschlich sind viele Kräfte der Natur, insofern wir in unserer Erforschung nicht so weit vorstoßen, daß wir die Einheit dieser Naturkräfte in einer einzigen Grundkraft zu entdecken vermögen (vgl. z. B. A 648-650 zu den seelischen Kräften). Unerforschlich ist das den Erscheinungen zugrundeliegende "transzendentale [transzendente!] Objekt" - wobei die selbstverständliche realistische Einstellung Kants zu bemerken ist, die bei ihm unangefochten geblieben ist, trotz des idealistischen Ausgangs seiner transzendentalen Analytik. Als Beispiel nennt Kant das menschliche Subjekt als Ding an sich, von dem unsere Sinnlichkeit mit ihren zwei Formen a priori, Raum und Zeit, abhängt. Vgl. B 145 f. Unerforschlich ist dagegen das Ideal der reinen Vernunft nicht, insofern es "als bloße Idee in der Natur der Vernunft seinen Sitz hat". Als solches, also als "Selbstgeschöpf' der Vernunft (III, Abs. 1: A 584), ist von ihm, wie von allen transzendentalen Ideen, wohl eine "subjektive Ableitung aus der Natur unserer Vernunft" möglich (A 336). Es zeigt sich, daß es im Bedürfnis der Vernunft, "alle syntheti-

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sehe Einheit zu vollenden" (d. h. im regulativen Gebrauch der Vernunft) aufgeht. Die vorliegende extrem subjektivistische Einschätzung des transzendentalen Ideals ist mit anderen Äußerungen Kants kaum vereinbar, wie z. B. in II, Abs. 14 (A 580); VII, letzter Abs. (A 641 f).

Anhang: Erläuterung des dialektischen Scheins in den transzendentalen Gottesbeweisen Der Abschnitt stellt einen Anhang zu den beiden bisher untersuchten Gottesbeweisen dar: dem ontologischen und dem kosmologischen (bzw. Kontingenzbeweis). Beide werden "transzendental" genannt, gemäß der Systematik von VII, Abs. l- 2 . Die transzendentale Theologie als Teil der theologia rationalis denkt sich das Urwesen "bloß durch reine Vernunft, vermittelst lauter transzendentaler Begriffe" (A 631), d. h. sie operiert mit ontologischen Begriffen und Prinzipien, und umfaßt die Kosmotheologie und die Ontotheologie (A 632). Denn der kosmologische Gottesbeweis, erläutert Kant im Abs. l, setzt zwar bei einer Erfahrung an, aber bedient sich dann in seinen entscheidenden Schritten nicht empirischer, d. h. transzendentaler Prinzipien ", nämlich des transzendentalen (ontologischen) Kausalitätsprinzips im ersten Schritt und lauter reiner Begriffe im zweiten Schritt. In diesem Anhang wird keine direkte Gottesbeweiskritik betrieben. Es werden eher die Widersprüche herausgestellt, in die die spekulative Vernunft bei ihrer Bemühung, das Dasein Gottes zu beweisen, gerät. Diese Widersprüche werden hier als Bestätigung für den kritizistischen Standpunkt angeführt. Der Anhang ist deshalb eindeutig späteren Ursprungs als die vorhin untersuchte Kritik an den Gottesbeweisen. Wir haben ja gesehen, daß diese Gottesbeweiskritik sich im wesentlichen mit der Widerlegung im EmBg deckt.

" In der "Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie" am Ende der KU werden beide Beweise "metaphysisch" genannt: B 469 = V 476 f. 17 Es ist daran zu erinnern, daß die Ontotogie nach dem Verständnis, das Kant von der Schulphilosophie übernommen hat, Wissenschaft der Gegenstände überhaupt mittels reiner Vernunftbegriffe ist. Noch in der Dissertation, § 8, umfaßt die philosophia prima die "prima principia usus intellectus puri". Die R 4360 um die erste Hälfte der 70er Jahre definiert die Metaphysik als "logica intellectus puri". Vgl. auch Kap. XIX, Einleitung, 3, zu transzendental im Sinne von metaphysisch.

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Abs. 2. "Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt, etwas existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch irgend etwas notwendigerweise existiere ... Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß sein Dasein niemals von mir als schlechterdings notwendig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere ..., das Nichtsein desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden überhaupt etwas Notwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber selbst als an sich notwendig denken könne." An dieser Stelle kann man besonders klar begreifen, wie Kant einen Gottesbeweis auffaßt, (a) Einerseits anerkennt er, daß die Vernunft nicht umhin kann, von etwas Existierendem, das wir im Bereich der Erfahrung erkennen, auf etwas notwendigerweise Existierendes zu schließen, (b) Andererseits aber fordert er, damit ich diese notwendige Existenz in etwas Bestimmtem (in einem bestimmten Ding) ausweisen und erkennen kann, daß ich einen Begriff von einem Ding finde, dessen Dasein von mir als schlechterdings notwendig gedacht wird, so daß ich nicht ohne Widerspruch die Existenz dieses Dinges verneinen kann 1 . Die Anforderung (b) ist nun keine andere als die des ontologischen Gottesbeweises w. Ist nun der ontologische Beweis gültig, dann ist der erste Schritt - der eigentliche Schritt a posteriori des Kontingenzbeweises - überflüssig. Ist er ungültig (wie es tatsächlich der Fall ist, weil ich jedes gedachte Ding ohne Widerspruch aufheben kann), dann kommt der Kontingenzbeweis nicht ans Ziel. Dagegen ist m. E. einzuwenden, daß das von einem Existierenden erschlossene notwendig Existierende bereits bestimmt ist, d. h. einen Begriif des notwendig Daseienden enthält. Freilich handelt es sich um einen conceptus analogue, d. h. einen Begriff, den wir von den kontingenten Weltdingen her bilden. Es ist der Begriff eines Dinges, das "respektiv auf die Welt schlechthin (unbedingt) notwendig" ist (A 620). Der Kontingenzbeweis führt zu etwas, das in seiner Existenz

" In der Tat aber denken wir das erwiesene Daseinsnotwendige mit einem Begriff, der zwar das ens necessarium als ens realissünum und damit als Gott versteht, aber nicht selber die Erkenntnis der Existenz vermittelt - weil die Erkenntnis der Existenz überhaupt nie mit einem Begriff allein zustandekommt! u Genau wegen der Forderung, die im zweiten Schritt enthalten ist, behauptet Kant im folgenden Abschnitt VI, Abs. 14, daß der kosmologische Beweis "ein versteckter ontologischer Beweis ist": A 629.

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von keinem anderen abhängt; das in sich selbst den Grund seiner eigenen Existenz hat; dessen Wesen das Sein selbst ist. Weiter läßt sich aus der Funktion, die das notwendige Wesen in bezug auf die Welt tatsächlich ausübt, ableiten, daß es allmächtig, allwissend und wollend, einzig, usw. ist. Kurzum: Das Resultat des ersten Schrittes bietet von selbst die ausreichende Grundlage für den zweiten Schritt des Kontingenzbeweises. Aber es handelt sich eben um einen analogen Begriff, kraft dessen unsere Aussage: "Etwas existiert schlechterdings notwendig" sinnvoll ist. Denn eine Aussage, deren Subjekt in keiner Weise bestimmt ist, wäre keine sinnvolle Aussage, weil sie ein Prädikat niemandem zuschreiben würde. Andererseits aber, weil das Subjekt einen bloß analogen Begriff des notwendig Existierenden enthält, vermögen wir nicht kraft des Subjektbegriffs allein ein Existenzurteil zu fällen (gerade wegen dieses Unvermögens geht der Gottesbeweis, der mit einem Tatsachenurteil enden muß, von der existierenden Welt aus). Dies bedeutet, daß der Satz: "Das notwendig Existierende existiert nicht" für uns keinen Widerspruch enthält. In der Tat ist die Verneinung der realen Existenz eines bloß gedachten Existierenden kein Widerspruch, insofern Existenz im Subjekt und im Prädikat jeweils anders genommen wird. Das gleiche gilt für die zwei Aussagen, mit denen der Absatz endet, und die auf denselben Gegensatz hinweisen: Ich kann von einem Existierenden (in der Welt) aus ein notwendiges Wesen erkennen, nämlich durch das Tatsachenurteil, zu dem dieser Weg führt; ich kann aber nicht vom analogen Begriff Gottes anfangen, weil der Begriff allein kein Tatsachenurteil begründet. Die eigentliche Frage ist meiner Meinung nach nicht die nach einem (uns nicht möglichen!) conceptus proprius der absoluten Notwendigkeit, sondern eine andere, nämlich, ob wir vernünftigerweise behaupten können: Es existiert de facto die Welt; sie könnte auch nicht existieren; aber es gibt keinen zureichenden Grund, der diese Tatsache erklärt, d. h. keinen Grund, warum die Welt ist und nicht vielmehr nicht ist. Zur Lösung dieser Frage mag folgendes helfen. In unserem sonstigen rationalen Leben argumentieren wir ausnahmslos auf der Basis, daß es, wenn etwas ist oder stattfindet, einen Grund dafür gibt, abgesehen davon, ob wir ihn erkennen können oder nicht. D. h. der ganze Vollzug unserer Vernunft beruht auf der Vorausset-

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zung, daß das Sein kein factum brutum, sondern intelligibel ist. Es stellt sich die Frage, warum diese Voraussetzung im Falle der Existenz der Welt überhaupt nicht gelten soll. Welches wäre der Grund für eine solche Behauptung bzw. Annahme? Kurzum, für Kant gilt: entweder ein conceptus proprius Dei (aber dann ist jeglicher Beweis, zumal a posteriori, überflüssig, wie Kant selbst in der R 3812 bemerkt), oder aber überhaupt keine Erkenntnis Gottes. Abs. 3 zieht aus dem oben festgestellten Paradox (wir müssen etwas Notwendiges annehmen, können aber kein Ding als an sich notwendig denken) eine Bestätigung der kritizistischen Lehre: Notwendigkeit und Zufälligkeit (vgl. A 80) betreffen nicht die Dinge selbst, denn sonst hätten wir den Widerspruch, daß in den Dingen das Notwendige vorliegt und nicht vorliegt. Beide Begriffe mit den ihnen entsprechenden Grundsätzen stellen eher "subjektive Prinzipien der Vernunft" dar, nämlich: 1) Zu allem Existierenden müssen wir ein Notwendiges suchen, bei dem die Erklärung vollendet wird; 2) wir dürfen diese Vollendung in der Erklärung der Erfahrung niemals hoffen. Gemäß den Ausführungen im Anhang zur transzendentalen Dialektik haben also diese Prinzipien eine heuristische Funktion: Sie sind Wege des immer weiter fortzusetzenden Findens (vgl. A 663, 671). Dieselben haben eine regulative Funktion (im Gegensatz zu einer konstitutiven), insofern sie uns dazu anleiten, die "systematische Einheit des Mannigfaltigen der empirischen Erkenntnis" nach und nach zustandezubringen (A 671). Das typisch Kantische "als ob" (vgl. den zweiten Teil des Anhanges zur transzendentalen Dialektik: A 669 ff) legt hier, wie auch in den folgenden Absätzen, den fiktionalistischen Standpunkt fest, mit dem die Frage nach der Wahrheit des höchsten Wesens umgangen wird zugunsten der immanenten Funktion, die das Ideal des höchsten Wesens in unserer wissenschaftlichen Welterkenntnis auszuüben hat. Abs. 4-5. Wenn alles Innerweltliche weiterer Erklärung offenstehen muß, dann muß das absolut Notwendige als ein "ens extramundanum" angenommen werden (vgl. A 561). Damit aber scheidet auch eine materialistische Interpretation des Urwesens aus, die Kant hier anhand der Auffassung von der Materie bei den Alten bespricht.

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Erstens, auch für die Materie, in ihrem Dasein betrachtet, gilt, daß wir ihre Existenz ohne Widerspruch verneinen können. Sie ist also nicht das gesuchte absolut Notwendige. Zweitens, die Materie ist wohl als Substrat der Erscheinungen, und in diesem Sinne "respektiv", ein Letztes und somit (in ihren Eigenschaften der Ausdehnung und Undurchdringlichkeit) "ein gewisses regulatives Prinzip". Wenn wir aber ihre Bestimmungen in sich selbst untersuchen, insbesondere die Undurchdringlichkeit (eine Handlung, die als Prädikabile der Kausalitätskategorie zugeordnet ist: A 82), so erweist sie sich als Wirkung einer anderen Ursache, also doch nicht als ein Letztes. Aus beiden Gründen ergibt sich, daß "die Materie ... zu der Idee eines notwendiges Urwesens, als eines bloßen Prinzips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sei". Das notwendige Wesen, auch in seinem Status eines regulativen Prinzips, muß außerhalb der Welt angesiedelt werden. Nur so können wir eine Erscheinung in der Welt von einer anderen ableiten, "als ob es kein notwendiges Wesen gäbe, und dennoch zur Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben, als ob ein solches, als oberster Grund, vorausgesetzt wäre". Abs. faßt das Resultat der "Entdeckung des dialektischen Scheins", in den die Vernunft gerät, wenn sie "das Ideal des höchsten Wesens" realisieren will, durch Gegenüberstellung der Termini: regulatives und konstitutives Prinzip zusammen. Dieses Ideal fungiert als regulatives Prinzip in unserer Naturforschung, insofern es als die Ursache betrachtet wird, die die systematische Einheit der Natur begründet. Durch eine transzendentale Subreption verwandeln wir es in ein konstitutives Prinzip, insofern wir es als eine ansichseiende transzendente Einheit denken. Diese Subreption erläutert Kant mit dem Ursprung unserer Vorstellung eines absoluten, in sich selbst bestehenden Raumes. An unserer Stelle äußert Kant die Ansicht, daß die Gottesidee (wie auch auf ihre Weise die zwei anderen transzendentalen Ideen) ein unentbehrliches regulatives Prinzip für die Erforschung der Natur ist (vgl. auch A 623, 815 f). In der Tat aber braucht die moderne Naturwissenschaft in ihrer grundsätzlich immer weiter zu führenden Suche nach einer allumfassenden Erklärung der Welt keine Idee des Unbedingten im Sinne Kants: weder die Idee Gottes noch die der

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Welt oder der Seele. Hier gilt das Diktum, das Laplace zugeschrieben wird: "Sire, ich bedürfte dieser Hypothese nicht." Die vorliegende Lehre von der Funktion der Gottesidee sowie überhaupt der Anhang zur transzendentalen Dialektik über den regulativen Gebrauch der transzendentalen Ideen zeugen davon, daß der Prozeß der Distinktion von Philosophie und Naturwissenschaft, der in der Neuzeit eingeleitet wurde, mit der KrV noch nicht abgeschlossen war. Die Experimentalvnseenschaft arbeitet in der Tat selber ihre Grundbegriffe und -prinzipien, wie auch ihre eigene Methode, aus. Sie braucht sie nicht von einer subalternierenden Wissenschaft, Philosophie genannt, auszuleihen. Um ihre Untersuchung zu betreiben, die sie methodologisch auf den Bereich der Erfahrung beschränkt, benötigt sie weder transzendentale Ideen noch transzendentale Fiktionen. Auch das Kantische "als ob" ist schon zuviel M. Dies bedeutet allerdings keine Disparatheit zwischen Philosophie und Naturwissenschaft. Die Verbindung beider wird nicht durch die regulative Funktion bestimmter philosophischer Begriffe zugunsten der empirischen Forschung hergestellt, sondern via Reflexion auf die Intentionalität des Subjektes. Die transzendentale Methode, die von der Philosophie thematisiert wird, indem letztere über die Struktur und Operativität der Intentionalität reflektiert, ist die Grundmethode in allen Sparten des Wissens, in denen sich der Vollzug der Intentionalität spezialisiert und differenziert. Die Festlegung der Methode und der Prinzipien in jeder Sparte ist aber Aufgabe der jeweiligen Spezialisten M.

"11 Vgl. E. AMCKES in seiner Ausgabe der KrV, 494. Vgl. Bernard LONEBGAN, Method in Theology, London 1972, Kap. I und S. 94-96.

XXI. Kapitel Von der Unmöglichkeit eines physikotheologischen Beweises Literatur Schlüter, D., Artikel "Gottesbeweis", in: Hist. Wb der Phil, 3, 820 f. Brugger, Walter S. J., Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979, 103-105. Kästner, Alexander, Versuch einer Geschichte des ieleologischen Gottesbeweises von der Renaissance bis zur Aufklärung, Leipzig (Dias.) 1907. Tonelli, Giorgio, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, Torino 1959, Kap. II: La polemica Kantiana contra la teleologia cosmologica (1754-1756). Klein, H. D., Kants Stellungnahme zum teleologischen Gottesbeweis, in: Philosophia Naturalis 11 (1969) 279-290. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principle di ragion sufßciente. Boyle, Maupertuis, Wolff, Kant. Milano 1971. Schramm, Matthias, Natur ohne Sinn? Das Ende des teleologischen Weltbildes, Graz 1985.

Einleitung 1. Zum Kontext der Kantischen Auseinandersetzung mit dem herkömmlichen Finalitätsbeweis verweise ich auf Kap. I, 4 und Kap. , 4. Außerdem sei hier an den locus classicus der christlichen Physikotheologie erinnert: "Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen [den Menschen] offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit" (Römerbrief l, 19 f). Kant hebt mit Nachdruck hervor, daß es sich um einen Gottesbeweis handelt, der "so alt ist wie die menschliche Vernunft" (EmBg, III. Abtig., Nr. 4) und "der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessen" ist (in unserem Abschnitt, Abs. 5).

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Der physikotheologische Beweis zur Zeit der Aufklärung unterscheidet sich von den verschiedenen Formen dieses Beweises in der scholastischen Tradition vor allem darin, daß der Kontext nicht mehr der metaphysische Kontext ist, in dem die causa finalis als eine der vier causae des Seienden überhaupt galt, sondern der naturphilosophische Kontext der Neuzeit, vielfach der Kontext des Mechanismus. Die Gesetze der Welt - zumindest der anorganischen Welt - sind mechanische Gesetze, die nur die Intelligibilität von Raum, Quantität und Bewegung ausdrücken. Entsprechend gilt als Grundanalogie, mit der die Welt verstanden werden soll, der Vergleich mit einer Maschine, näherhin mit einem Uhrwerk. Es war im englisch-Newtonianischen Milieu, wo zuerst die Verbindung von mechanischer Naturerklärung und Gottesbeweis aus der Finalität hergestellt wurde, und auch die Bezeichnung "Physicotheology" (Derham) entstand. In der organischen Welt, wo der Mechanismus keine Erklärung abgeben konnte, führte die positive Beobachtung und nähere Beschreibung der Komplexität und Zweckmäßigkeit der Lebewesen direkt zur Anerkennung einer künstlichen Anordnung durch eine höchste schöpferische Intelligenz. Auf verschiedene Weisen also lieferte die Naturwissenschaft der Zeit den Ansatz zu einer rationalen Erkenntnis Gottes. Demzufolge weisen die vielfältigen physikotheologischen Werke der Zeit einen naturwissenschaftlichen und -philosophischen Charakter auf. Die verschiedenen Aspekte und Arten von Erklärung der Natur schlagen sich in ebensoviele und mannigfaltige Unterarten von Physikotheologie um. Ein Zeugnis der enormen Verbreitung der Teleologie im Hinblick auf den Beweis Gottes bietet das Verzeichnis der Werke bei Johann August Eberhard: "Vorbereitung zur natürlichen Theologie", 1781 (XVIII, 576-578): Wasser, Feuer, Steine, Donner, Pflanzen, Insekten, Bienen, Fische usw. gelten als ebensoviele Anleitungen für die Menschen "zu Liebe und Bewunderung ihres Gütigsten, Weisesten, Mächtigsten Schöpfers", wie sich der berühmte Joh. Albrecht Fabricius im Titel einer seiner Physikotheologien ausdrückte. In bezug auf Kant ist seine hohe und nie erschütterte Einschätzung dieses Gottesbeweises zu bemerken, wie wir sie schon in der "Allgemeinen Naturgeschichte" und im EmBg (in der zweiten Abtig., wo Kant seine verbesserte Physikotheologie entwickelt und in

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der III. Abtig, im Zusammenhang seiner Kritik am dort sog. kosmologischen Gottesbeweis) angetroffen haben. Besonders bemerkenswert ist, daß sich diese Beurteilung auch im vorliegenden TheologieHauptstück durchhält, wo doch das eigentliche Thema die Kritik sämtlicher Gottesbeweise ist - im Unterschied zum Werk von 1762, in dem Kant noch eine positive Lösung des Gottesproblems durch die spekulative Vernunft intendierte '. Die Stellungnahme Kants zum physikotheologischen Beweis ist durch ein Doppeltes gekennzeichnet2. Erstens, durch die "rationalistische" Forderung, die Natur intelligiblen und nicht-transzendenten Gesetzen unterzuordnen. Zweitens, durch die Absicht, den Gottesbeweis aus der Finalität auf eine solidere Basis zu stellen als eine leichte, willkürliche und anthropomorphisierende Teleologie mit ihren umstrittenen Implikationen von Optimismus. Die auffallend zwiespältige Einschätzung des Beweises bei Kant ist übrigens nicht so weit von der Wolffs entfernt. Mit seiner ausgedehnten ideologischen Betrachtung der Natur, wie Wolff sie vor allem in seiner Teleologie von 1727 (Vernünftige Gedanken von den Absichten der natürlichen Dinge") ausgearbeitet hatte, hat er wohl einen entscheidenden Anlaß zu allerlei, nicht selten übertriebenen und anthropomorphisierenden Teleologien gegeben. Er selbst aber war in der Anwendung teleologischer Motive zwecks eines rationalen Gottesbeweises eher zurückhaltend. Er lehnte für den streng wissenschaftlichen Bereich das teleologische Argument ab, bestritt aber ihm zugleich eine Bedeutung für weitere Kreise nicht, vor allem im Sinne einer Bestätigung dessen, was wir auf Grund des Kontingenzbeweises oder der Hl. Schrift von Gott schon wissen *. 2. Die zweckmäßig geordnete Natur, die Kant in seiner Behandlung des physikotheologischen Beweises im VI. Abschnitt des Theologie-Hauptstückes vor Augen hat, ist in erster Linie die anorganische Natur, und speziell die Natur, wie sie sich den astronomischen und astrokosmologischen Untersuchungen der damaligen Zeit offenbarte.

1 1 3

Vgl. SCHMUCKER, Kants vorkritische Kritik, 6. Vgl. TONKLU, Elementi, 46. Vgl. vor allem Wolffs Vorrede zur deutschen Übersetzung des Hauptwerkes von Nieuwent\jt, 1731, in Woura "Gesammelten kleinen Schriften", I 515 f; und A. BISSINGEH, Die Struktur der Gotteserkenntnis. Studien zur Philosophie Chr. Wolffs, Bonn 1970, 230-234.

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Erst in der "Kritik der teleologischen Urteilskraft" ist Kant auf das Phänomen des Organischen eingegangen und dabei zu einem inneren Organisationsprinzip der Lebewesen gelangt. In der "Allgemeinen Naturgeschichte" und noch ausdrücklicher in der II. Abtig, des EmBg hat Kant zwar eine Zweckmäßigkeit in den Lebewesen anerkannt; aber was deren weltimmanente Begründung anbelangt, hat er jeweils eine andere Position eingenommen. Für die "Naturgeschichte" reichen die allgemeinen mechanischen Gesetze zur Bildung der Lebewesen aus, aber eine solche mechanische Erzeugung und Funktionierung ist für unseren Verstand zu kompliziert, als daß wir sie durchschauen können (A XXXIV f = I 230). Für den EmBg sind dieselben Gesetze überhaupt nicht imstande, die Künstlichkeit der organischen Bildungen hervorzubringen (A 96 f = II 114; A 78-83 = II 106-108) ". Jedenfalls tritt die Finalität der Lebewesen im VI. Abschnitt des TheologieHauptstücks eher zurück; im Mittelpunkt stehen auch hier, wie schon in den zwei früheren Behandlungen der Physikotheologie, Finalität und Ordnung in der anorganischen Natur, die auf den notwendigen mechanischen Gesetzen der Materie beruhen. 3. Wie liefert nun die Finalität im jetzt zur Untersuchung stehenden Abschnitt die Grundlage für einen Gottesbeweis? Diese Frage führt zur überraschenden Feststellung, daß von dem zunächst einmal "klarsten und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessenen" Gottesbeweis aus der Beschaffenheit der Natur (Abs. 5) doch recht schwierig ist, so wie Kant ihn hier rekonstruiert und kritisiert, den eigentlichen springenden Punkt bzw. den medius probationis genau zu ermitteln. Zwecks einer Klärung dieser Frage möchte ich zuerst die verschiedenen Stränge in der vorliegenden Fassung des physikotheologischen Beweises voneinander trennen. a) Man kann Ordnung und Zweckmäßigkeit im Sinne einer äußerlichen oder künstlichen "Form" (vgl. Abs. 10 in initio) der Welt nehmen. In diesem Falle liegt der Ansatzpunkt des Beweises in der zweckmäßigen Verknüpfung, mit der die verschiedenen Substanzen und Kräfte in der Welt von außen her zusammengesetzt worden sind. Im EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. l, hat Kant diesen Aspekt der Natur "zufallige Ordnung" genannt (A 101 = II 116) und in Nr. 2

4

Vgl. Kap. I, 2 am Ende; Kap. VI, 2; Kap. VIII, 2. Betrachtung.

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hervorgehoben, wie sehr naheliegend und lebhaft die Überzeugungskraft dieses Ansatzes im Hinblick auf die Existenz eines weisen und mächtigen Urhebers ist. Es ist dies "der leichteste Weg", der auf den Urheber der Natur führt (A 116 = II 123). Wir können ihn die reine Physikotheologie nennen. Kant bezeichnet ihn als die "gewöhnliche Physikotheologie". Allerdings findet sich eine solche zufällige Ordnung, nach der II. Abtig, des EmBg, vor allem im organischen Bereich, und zwar am deutlichsten in der Verbindung der verschiedenen Glieder, die sich in einem Organismus finden. Diese Ordnung ist nicht durch mechanische Gesetze erklärbar, sondern muß auf ein jeweils besonderes und unmittelbares Eingreifen Gottes zurückgeführt werden. Andererseits aber fehlen auch in der unbelebten Natur Beispiele künstlicher Anordnung nicht. Vgl. etwa in der III. Betrachtung, Nr. 2: die Verteilung der verschiedenen Stoffe auf der Welt (A 78 f = II 106). In unserem Abschnitt scheint es, daß Kant, im Unterschied zur zitierten Stelle des EmBg, eher die künstliche Ordnung in der unbelebten Natur vor Augen hat. Eine solche zufällige Ordnung der Natur kann von uns anhand der Kunstprodukte des Menschen verstanden werden, wie z. B. durch die Ordnung der verschiedenen Materialien, aus denen ein Haus besteht, oder durch die Zusammensetzung mechanischer Kräfte in einer Maschine (insbesondere in einem Uhrwerk) zur Hervorbringung von Zwecken, die dem Menschen zuträglich sind. Von der so verstandenen zufälligen Ordnung der Natur sucht der Beweis die Ursache und findet sie in einer Erstursache (Wirkursache!), die die Welt mit Intelligenz und Macht geordnet hat, wobei der Schluß in einem Analogie-Argument zu den Kunstprodukten des Menschen besteht, etwa in der Analogie zum Schluß von einer Uhr auf ihren intelligenten Erbauer. Für die Interpretation des hier erörterten Gottesbeweises im Sinne der "gewöhnlichen Methode der Physikotheologie" sprechen vor allem folgende Stellen im Abschnitt VI: Abs. 4 zu Beginn; Abs. 8, Nr. 2: "Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd..."; Abs. 9: Ähnlichkeit der Naturprodukte mit Produkten der menschlichen Kunst wie Häuser, Schiffe und Uhren; Abs. 10 zu Beginn: Die Zweckmäßigkeit so vieler Naturanstalten beweist bloß die Zufälligkeit der Form, aber nicht der Materie; Abs. 11: "zufällige Ein-

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richtung" der Welt. Ganz allgemein: Es ist die Art und Weise, wie Kant die Vorzüge dieses Beweises in den Abs. 5 und 6 hervorhebt (er ist "der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessen"), die nahelegt, daß Kant hier in erster Linie die "gewöhnliche Physikotheologie" vor Augen hat, die keine Weltweisheit braucht, wie er sie für seine eigene verbesserte Physikotheologie erfordert (vgl. EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. l gegen Ende). b) Man kann aber als Ansatz des Beweises auch die notwendige Ordnung in der Natur nehmen, wobei Kant notwendig in dem Sinne versteht, daß diese Ordnung von den mechanischen Gesetzen selbst stammt, die der Materie innewohnen und sie konstituieren. In diesem Falle "fließen Vollkommenheit, Harmonie und Schönheit der Natur... mit notwendiger Einheit aus den wesentlichsten Regeln der Natur ab" (5. Betrachtung, Nr. 2: A 106 = II 118). Eine solche Notwendigkeit hat Kant bereits in der Vorrede zur "Allgemeinen Naturgeschichte" einprägsam formuliert: "Die Natur kann auch selbst im Chaos nicht anders als regelmäßig und ordentlich verfahren" (A XXVIII f = I 228). Diese notwendige Naturordnung findet Kant in der anorganischen Natur. Sein Paradebeispiel dafür sind die vielen zweckmäßigen Anstalten der Luft (Luftkreis, Winde, Regen, Atemholen, Pumpwerke usw.: EmBg, A 59 f = II 97; A 106 f = II 118; "Allgemeine Naturgeschichte", A XV-XVIII = I 223 f), die alle von "einem einzigen Grunde, nämlich der Elastizität und Schwere der Luft" abhängen (EmBg, A 68 = II 101). Gerade weil sie "Folge aus allgemeinen Bewegun^sgesetzen" der Materie sind (A 109 = II 120), gibt es keinen Grund auf eine besondere Anstalt Gottes als ihre Erklärung zu rekurrieren. Kant hat diese eigene Version des Finalitätsbeweises "die verbesserte Methode der Physikotheologie" genannt. (II. Abtig., 6. Betrachtung). Der Beweisgang besteht in diesem Falle aus zwei Schritten: Ordnung und Zweckmäßigkeit werden zunächst auf das Wesen der Dinge selbst zurückgeführt, insofern sie aus den mechanischen Gesetzen der Materie hervorgehen; die Wesenheiten oder Möglichkeiten der Dinge aber haben ihren Realgrund in einem Urheber, der intelligent ist (denn das Prinzip einer ausgebreiteten Harmonie der Dinge selbst muß ein "verständiger Grund" sein: A 119 = II 124), der aber gerade deswegen auch Urheber des Grundstoffes der Naturdinge ist (A 125 = II 126 f).

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Eine Anspielung (aber nur eine Anspielung!) auf die verbesserte Physikotheologie findet sich im Abs. 10, wo Kant das Argument erwähnt, demzufolge "die Dinge der Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihrer Substanz nach, das Produkt einer höchsten Weisheit wären". In diesem Fall, bemerkt Kant, stützt sich der Beweis nicht mehr auf die "Analogie mit menschlicher Kunst". c) An zumindest zwei Stellen des vorliegenden Abschnittes weist Kant auf die Zufälligkeit (Kontingenz) der Weltdinge hin, ohne daß der Zusammenhang der Kontingenz mit der Zweckmäßigkeit der Dinge und die Funktion derselben im physikotheologischen Beweis genügend geklärt wird. So im Abs. 4, 2. Satz und im Abs. 14. Mit der Erwähnung der Zufälligkeit scheint die Argumentation eher in Richtung auf den bereits erörterten Kontingenzbeweis umgeleitet zu werden, als daß eine neue Version des physikotheologischen Beweises eingeleitet wird. Denn es wird nicht mehr aus der "besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt" argumentiert, sondern daraus, daß es irgendein empirisch erkanntes (kontingentes) Dasein gibt (vgl. A 590). Damit soll freilich nicht geleugnet werden, daß wir die Kontingenz der Dinge genau aus ihrem begrenzten Sosein erkennen, insofern eine begrenzte Intelligibilität keinen ausreichenden Grund für die Existenz eines Dinges hergibt'. Aber auf der Grundlage der Kontingenz im Existieren schließt der Beweis auf ein absolut notwendig Daseiendes abgesehen davon, ob das kontingent Seiende geordnet oder ungeordnet ist. Zur Kontingenz der Dinge im Rahmen des physikotheologischen Beweises ist ein Doppeltes zu bemerken *. Erstens, in seiner "Ratio praelectionum" (Sectio II, c. 3, § 45) lehnt Wolff den Gottesbeweis "a finibus rerum" ab, weil er sich in einen Zirkel verfängt. Später hat er im Aufsatz: "De methodo existentiam Dei ex ordine naturae demonstrandi" ("Horae subsecivae", Bd. II, 660-683) den Gottesbeweis aus der Naturordnung als eine andere ' Vgl. die Diskussion darüber im Kap. XVIII zum Abs. 8, vor allem am Ende. Aber dieses Argument gilt allgemein für sämtliche endlichen Intelligibilitaten, die das Wesen der Weltdinge ausmachen; d. h. es ist kein besonderes Argument aus der Intelligibilität 6der Zweckmäßigkeit als solcher. Zum selben Thema vgl. auch Kap. , l, b.

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Fassung des Kontingenzbeweises entwickelt. Denn das Prinzip "ubi datur ordo, ibi datur ordinans" gilt nur für eine kontingente Ordnung, und diese muß gegen die "Fatalisten" eigens bewiesen werden; dies tut Wolff, indem er zeigt, daß die Naturgesetze kontingent sind, weil sie nicht notwendig aus dem Wesen der Materie resultieren 7. Zweitens, in seiner "Summe einer philosophischen Gotteslehre", 102-129, arbeitet Walter Brugger den Finalitätsbeweis im Sinne einer Variante des Kontingenzbeweises aus, indem er zuerst die Kontingenz der Naturfinalität erweist. Denn die "Wesen, die in ihrem Wirken zielgeordnet sind, sind ihrem Sein nach kontingent" (ebd. 118). Der so verstandene physikotheologische Beweis sei deshalb kein bloßer Analogiebeweis (ebd. 126 f, 254). 4. Obwohl die Kritik unseres Abschnittes am physikotheologischen Beweis im wesentlichen die des EmBg wiederholt, ist die ausdrückliche und verhältnismäßig breite Kritik am gängigen Gottesbeweis als einem Analogieargument an unserer Stelle nachweislich ein Resultat der Lektüre der "Dialoge über natürliche Religion" Humes, die postum 1779 erschienen waren. In ihnen galt der Hauptangriff gegen den Finalitätsbeweis der Analogie als Mittel, um von der geordneten Welt auf eine schöpferische Intelligenz im Sinne des Theismus zu schließen. Kant konnte von der Veröffentlichung Kenntnis nehmen sowohl durch einen Auszug in den "Göttingischen Gelehrten Anzeigen" vom November 1779 als auch direkt durch die nicht veröffentlichte kürzende Übersetzung J. G. Hamanns, die er in der zweiten Hälfte von 1780 lesen durfte '.

Gliederung Abs. 1. Es bleibt nur noch der Weg von einer bestimmten Erfahrung her. Abs. 2-3. Zwei kritizistische Lehrstücke gegen den physikotheologischen Beweis. Abs. 4 legt den Beweis dar.

7 Einen Versuch, die Kontingenz des Weltganzen aus dessen finalistischer Einrichtung zu beweisen, hat Kant in der KU, | 75: B 336 = V 398 f unternommen. * Vgl. Dieter-Jürgen LOWISCK, "Kants KrV und Humes Dialogues Concerning Natural Religion", in: KS 56 (1965/66) 170-207; den. zum Problem der Analogie im physikotheologischen Beweis: "Kants gereinigter Theismus'', ebd. 505-613); Philip MERLAN, Hamann et les Dialogues de Hume, in: Revue de M&aphysique et de Morale 59 (1954) 285-289.

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Abs. 5-6 heben die Vortrefflichkeit des Beweises hervor. Abs. 7. Aber auch dieser Beweis bewirkt keine apodiktische Gewißheit Abs. 8. Die vier Hauptmomente des Beweises. Abs. 9. Vorbehalte gegen die im Beweis stattfindende Anwendung der Analogie. Abs. 10. Erste Widerlegung: Von der Zuialligkeit der Form der Welt aus gelangt man nur bis zu einem Weltbaumeister. Abs. 11-12. Zweite Widerlegung: Auf Grund der Proportion zwischen Ursache und Wirkung gelangt die Argumentation nicht zu einem ens infinitum et unicum. Abs. 13-15. Dritte Widerlegung: Der physikotheologische Beweis geht von der Zuialligkeit der Naturdinge aus und gelangt somit zum schlechthin notwendigen Dasein des ens realisshnum. Dafür aber mußte der ansatzweise physikotheologische Beweisgang zum kosmologischen und weiter zum ontologischen Beweis übergehen. Abs. 16. Der einzige Beweis Gottes aus spekulativer Vernunft ist also der ontologische - der selber aber unmöglich ist!

Abs. 1. Gemäß der Aufzählung aller möglichen "Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft" gegen Ende des III. Abschnittes bleibt nur noch ein Gottesbeweis zu überprüfen übrig, der von einer "bestimmten Erfahrung" der gegenwärtigen Welt, nämlich von der Erfahrung ihrer Anordnung, ausgeht. Zu beachten ist, wie der ontologische Gottesbeweis hier bezeichnet wird: Er beruht auf dem "Begriff von Dingen überhaupt". "Ding überhaupt" bedeutete damals "ens qua ens", wie aus dem Titel der deutschen Metaphysik Wolffs hervorgeht: "Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen [= spezielle Metaphysik], auch allen Dingen überhaupt [= Ontologie]". In der Tat geht der ontologische Beweis vom Begriff des ens summum aus. Noch bevor Kant den Beweis referiert, erhebt er gegen ihn zwei Einwände, die von der transzendental-idealistischen Lehre der KrV stammen. Abe. 2. Nach dem im ersten Buch der Dialektik über die transzendentalen Ideen Gesagten und nach der sensualistischen Grenzbestimmung in der Analytik ist die Antwort auf die Frage, ob der übrig gebliebene Beweisgang ans Ziel kommen kann, leicht. Denn keine Erfahrung ist einer transzendentalen Idee angemessen. Vgl. A 327, 336:

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Der Idee kann kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden. A fortiori gilt dies für die Idee eines notwendigen und allgenugsamen Urwesens. "Dem Begriff von einem Wesen, welches über die Natur hinaus zu suchen ist, korrespondiert keine uns mögliche Anschauung" (KU § 90: B 448 = V 463). Dieselbe Lehre wird an unserer Stelle durch zwei Gründe untermauert: 1) Wir können keinen genügenden Stoff (alle möglichen Realitäten, die im ens realissimum vorhanden sind) in der Erfahrung auftreiben. Vgl. KU § 90 gegen Ende; 2) Erfahrung gibt nur Bedingtes her, weil das durch Erfahrung Erkannte in die Gesetze empirischer Synthesis eingefügt ist. Abs. 3 greift ebenfalls zu einer Grundlehre des Kritizismus: Das Gesetz des Überganges von Wirkungen zu Ursachen (Grundsatz der Kausalität), ja alle Synthesis und Erweiterung unserer Erkenntnis (= alle synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes, die im zweiten Buch der Analytik dargelegt wurden) sind bloß auf Gegenstände der Sinnenwelt gestellt. Daraus folgt, daß wir durch die allein in der Erfahrung gültige Anwendung dieser Prinzipien immer noch in der Kette der Bedingten-Bedingungen stehen bleiben. D. h. wir erreichen kein transzendentes Wesen. Wenn wir aber vermeinen, ein intelligibles, transzendentes Wesen erreicht zu haben, so stellt sich heraus, daß wir in der Tat über keine Brücke für diesen Übergang verfügen. Dieser Einwand gegen das physikotheologische Argument ist offensichtlich derselbe wie der gegen die erste der vier "dialektischen Anmaßungen", von denen in V, Abs. 10 (A 609) die Rede gewesen ist. Auch die vierte Antinomie über ein notwendiges Wesen als Ursache der Welt (A 452 ff) argumentiert sachlich auf der Basis desselben Dilemmas wie hier. In diesem prinzipiellen Einwand kommt deutlich die nicht-kognitive Funktion der Verstandes- und Vernunfthandlungen zur Sprache, die in der KrV die korrelative und komplementäre Lehre zum Prinzip Anschauung von A 19 darstellt. Beide hier erörterten Absätze zeigen besonders deutlich den Sinn des Prinzips Anschauung als des Grundprinzips der KrV, von dem ich im Zusammenhang mit dem ersten Absatz des Theologie-Hauptstückes gesprochen habe: Was uns die Wirklichkeit vermittelt, ist die (sinnliche) Anschauung. Das Denken (Verstand und Vernunft) steht völlig im Dienst der sinnlichen Anschauung, ohne eine eigene reale Inhaltlichkeit (wenn auch in funk-

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tionalem Zusammenhang mit der Sinnlichkeit) beisteuern zu können. Von dieser Basis her, die die eigentliche Erkenntnislehre der KrV darstellt, ist eine Erkenntnis des Transzendenten a limine ausgeschlossen, ohne daß man sich die Mühe zu geben braucht zu ermitteln, wo genau der Versuch eines Denkweges zu Gott den falschen Schritt macht. Es gibt überhaupt keinen solchen Denkweg aus dem einfachen Grund, daß unser Denken (was Verstand und Vernunft tun) keine anschauungsmäßige Tätigkeit ist. Will man dieses Veto der KrV überwinden, so ist nach der Begründung der These zu fragen, dergemäß Erkennen ein Anschauen sei. Was ich und der Leser mit mir im Moment tun, ist keine Sache des Anschauens, sondern eher der Versuch, die Tätigkeit des Erkennens zu verstehen, die wir ausüben, nachdem wir zum Verstandesgebrauch gekommen sind, um womöglich ein fundiertes und somit wahres Urteil darüber zu fällen. Es ist wohl wahr, daß das, was im Erkennen selbstverständlich ist, das Anschauen ist, insofern wir spontan zum Modell des Sehens (das freilich als Erfahrung einen Bestandteil unserer Erkenntnis ausmacht) greifen, um uns ein Bild dessen zu machen, was die Erkenntnis ist. Aber das Prinzip Anschauung kommt der Annahme gleich, daß das, was im Erkennen selbstverständlich ist, das ist, was selbstverständlich das Erkennen ist. Es ist genau diese Annahme, die hindert, das rationale Urteil als das Wahrheits- und Wirklichkeitskriterium unserer Erkenntnis anzuerkennen (als das menschliche "Anschauen", will man sich des Bildes vom Sehen bedienen) *. Ist das rationale Urteil die Handlung, in der wir allererst die Wirklichkeit erkennen - zunächst die Dinge im Bereich der Erfahrung, von denen wir die Daten durch die Sinne bekommen können -, dann läuft die Frage nach Gott auf die Frage hinaus, ob wir einen genügenden Grund haben, um das Urteil "Gott ist" fällen zu können. Kurzum. Auf die Frage: "Welche Brücke kann die Vernunft alsdann wohl schlagen, um zu demselben [dem intelligiblen Wesen außer der Reihe der Naturursachen] zu gelangen?", würde ich antworten: Die Brücke wird von unserer intelligenten und rationalen Intentionalität geschlagen, da sie durch kein Immanenzprinzip beschränkt

9

Vgl. B. LONEBGAN, Insight, 416. Giovanni B. SALA, Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistische Version des Intuitionismus, in: Theologie und Philosophie 57 (1982) 330 f.

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ist. Sie ist weder im "Innenraum" des Bewußtseins noch im Bereich der Welt eingeschlossen, weil sie in der Tat nach dem fragt, was "ist" und als solches nicht bloß relativ zu unserem Bewußtsein gilt; sie fragt nach dem Ab-soluten, dem Sein, sei es das Sein einer an sich seienden Welt, sei es das Sein eines die Welt transzendierenden Wesens. Die Antwort auf eine solche Frage im Urteil hat evidentermaßen denselben Sinn wie die Frage selbst: Das "ist" des Tatsachenurteils bedeutet in allen Fällen das Transzendente im ersteren Sinn (das Sein), und wenn es um die Antwort auf die Frage nach Gott geht, so bedeutet das Urteil das Transzendente auch im zweiten Sinne (das Daseiende über die Grenzen unserer möglichen Erfahrung hinaus). Dies alles setzt voraus, daß man die intelligente und rationale Auffassung von der Wirklichkeit thematisiert hat, die in allen unseren Bemühungen um intelligente und begründete Antworten auf unsere Fragen nach der Wirklichkeit wirkt. "Sein ist all das, was durch ein intelligentes Erfassen und eine rationale Bejahung zu erkennen ist" " - sonst nichts! Die Brücke kann nicht von demjenigen eingesehen werden, der eine Disparatheit zwischen Intelligenz und Rationalitat einerseits und Wirklichkeit andererseits vertritt. Kants Lehre vom unerkennbaren Ding an sich hat ihren Ursprung genau in einer solchen Disparatheit. Abs. 4 legt das physikotheologische Argument dar. Der erste Satz schildert die Beschaffenheit der gegenwärtigen Welt eher in der Sprache des Erlebens als in derjenigen eines naturphilosophischen Aufweises. Heimsoeth belegt ausfuhrlich, wie hinter diesen kurzen Ausdrükken sowohl überlieferte und neu entstandene Formen physikotheologischer Argumentation als auch das persönliche Interesse Kants, vor allem im Bereich der Astrokosmologie, stehen ". Der zweite Satz beschreibt näher die Weltordnung als "eine Kette von Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmäßigkeiten im Entstehen oder Vergehen", geht dann aber in Richtung auf die Kontingenz der Welt in ihrem Dasein. D. h. von der zufälligen Ordnung der Dinge, wie Kant sie im EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. l, im Gegensatz zur notwendigen Ordnung umschrieben hat, geht er fast " LONERGAN, Insight, 391, 444, u. 0. 11 Vgl. HHMBOHH, Transzendentale Dialektik, 516-617.

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unmerklich zur Zufälligkeit der existierenden Dinge selbst über. Denn er sieht "das ganze All im Abgrund des Nichts versinken", falls es nicht eine "höchste Ursache" des Ursprungs und Bestehens der Welt "außerhalb diesem unendlichen Zufalligen" gäbe ". Das Folgende aber setzt die letztgenannte Linie nicht fort, sondern entwickelt eine reine Physikotheologie: Von der geschilderten Beschaffenheit der Welt (deren Inhalt und Größe - letztere in bezug auf alle möglichen Welten - wir allerdings nicht kennen!) schließt der Beweis auf ein ens perfectissimum. Von der so aufgefaßten Erstursache bemerkt Kant, daß 1) die Annahme einer einzigen Erstursache der lex parsimoniae entspricht. Vgl. A 649 f, 652.; 2) ihr Begriff widerspruchsfrei ist; 3) eine solche Vorstellung Gottes fördert als regulative Idee die Erforschung der Welt und wird umgekehrt von den Entdeckungen der Naturwissenschaft weiter bestätigt, wie der unmittelbar folgende Abs. ausführt. Abs. 5- heben die Vortrefflichkeit des physikotheologischen Beweises hervor. Zunächst gegenüber der Naturwissenschaft, für die er eine Leitfaden-Funktion ausübt (wie es überhaupt die transzendentalen Ideen nach dem Dialektik-Anhang tun), dann aber gegenüber der "abgezogenen Spekulation". Denn aus dem Blick auf die Natur wächst eine mächtige Überzeugungskraft zugunsten der Existenz eines obersten verständigen Urhebers heraus, die die Zweifel der Philosophen immer wieder besiegt. Bereits im EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. 2 hatte Kant unter den Vorteilen der gewöhnlichen Physikotheologie vor allem auf die Gewalt ihrer Überzeugungskraft hingewiesen, die imstande ist, praktische Konsequenzen für unseren Lebenswandel zu tragen, während die "angemaßte Richtigkeit eines metaphysischen Beweises" es nicht vermag.

u Für die gewöhnliche Physikotheologie bliebe die zufällige Ordnung der Welt ohne eine höchste intelligente Ursache unerklärt; sie würde argumentieren, daß ohne eine intelligente Erstursache die Welt ine Chaos der Unordnung fallen würde, aber nicht in das Nichts, bn letzten Teil des zweiten Satzes hat Kant eher die Kontingenz der Weltdinge in ihrer Existenz als die Kontingenz ihrer Ordnung vor Augen. Zu diesem Frontwechsel vgl. weiter oben, Einleitung, 3, c; auch Adickes in seiner Edition der KrV, 496. Im EmBg, Dl. Abtig., bei der Darlegung des Ansatzes des physikotheologischen Beweises, habe ich schon darauf hingewiesen, daß dort Kant an erster Stelle "deutliche Merkmale der Zufälligkeit" der Weltdinge nennt: A 197 = 159. Vgl. meine Ausführungen darüber im Kap. , 1. a) und b).

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Abs. 7. Nichtsdestoweniger kann auch das physikotheologische Verfahren keinen Anspruch auf "apodiktische Gewißheit" erheben; es kann also den Forderungen nicht genügen, die Kant am Anfang der III. Abtig, des EmBg an den Gottesbeweis gestellt hat. Dem physikotheologischen Beweis kann nur Glaubenskraft eingeräumt werden, die den Verstand wohl beruhigt, aber nicht zwingt 13. An unserer Stelle schreibt Kant dem ontologischen Beweis - dem einzig möglichen Beweisgrund! - die Funktion zu, den Mangel des physikotheologischen Beweises zu ergänzen. Letzterer braucht eine "fremde Unterstützung". Wozu? Der Duktus unserer Stelle scheint die Antwort nahezulegen: Damit diese Beweisart (eben der physikotheologische Beweis) uns zu einer "apodiktischen" Gewißheit fuhren kann. In der Tat aber meint Kant dies gar nicht, weil ja seine ganze Gottesbeweiskritik darauf abzielt, eine apodiktische, d. h. also eine spekulativ "zwingende" Gewißheit überhaupt auszuschließen. Die Ergänzung, die der ontologische Beweis dem physikotheologischen beisteuert, wird von Kant so verstanden, daß der zweite "nur zur Introduktion" des ersteren dient. Genau dies wird in Abs. 14-15 ausgeführt. Da nun bereits feststeht, daß der ontologische Beweis ungültig ist, kann er auf jeden Fall die gemeinte Ergänzung gar nicht leisten.

u Die oft erhobene Forderung nach einem "zwingenden" Beweis ist eine sehr zweideutige Sache. Es ist wohl wahr, daß Intelligenz und Rationalität einerseits und Wille andererseits verschiedene Momente im Vollzug unserer Intentionalität sind, und daß die Freiheit auszeichnendes Merkmal des willentlichen Moments ist. Dieser Unterschied zwischen Erkennen und Wollen hebt aber den Umstand nicht auf, daß Wahrheit und damit Erkenntnis m allen Fällen die persönliche Errungenschaft eines Subjekts ist infolge seiner Aufmerksamkeit auf die relevanten Daten, seiner Einsicht in dieselben und seiner hinreichenden Begründung des zu fällenden Urteils. In welcher Form und in welchem Maß das Subjekt vom erkenntnismäßigen Vollzug seiner Intentionalität eristentiell in Anspruch genommen wird, ist sehr verschieden je nach dem Bereich der Wirklichkeit, den es zu erkennen gilt. Von einem Zwang ("unbedingte Unterwerfung"), den ein Beweis auf jedermann ausüben sollte ohne persönlichen Nachvollzug mit all seinen Voraussetzungen auch personaler, kultureller und moralischer Art, kann keine Rede sein. Eine univoke Reduktion der rationalen Erkenntnis und des stichhaltigen Beweises auf das Modell der Mathematik, wie Kant zu Beginn der III. Abtig, des EmBg tut, ist durch nichts gerechtfertigt. Im Falle der Erkenntnis Gottes ist die existentielle Komponente von besonderer Bedeutung, da die Anerkennung, daß Gott existiert, die Anerkennung eines allumfassenden Sinnangebots einschließt, das uns unbedingt angeht. Hier gilt in besonderem Maße, daß die freie Entscheidung zugunsten der Wahrheit ein konstitutives Moment in der Erkenntnis derselben ist. Aus diesem Grund wird die Erkenntnis Gottes zu Recht Glaube genannt. Das aber bedeutet keinen Abstrich an ihrer inneren Rationalität, als ob die freie Entscheidung Ersatz fiär eine solche innere Rationalität oder Zusatz für mangelhafte Begründetheit wäre (vgl. Kap. , 5, 1)

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Was der hier zur Debatte stehende Beweis bewirken kann, ist ein "zur Beruhigung hinreichender ... Glaube". Nun aber ist die sonst ziemlich konstante Lehre Kants, daß es der sog. "moralische Gottesbeweis" ist, wie er ihn in allen drei Kritiken entwickelt, der den Glauben (als ein bloß subjektiv zureichendes Fürwahrhalten. Vgl. A 822, 828 f) begründet, ohne dafür einen spekulativen Beweis unterstützen zu müssen u. Allerdings kann man im Sinne Kants zugeben, daß der Mensch, gerade weil er einen auf moralischen Gründen beruhenden Glauben an Gctt hat, durch die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Natur ansprechbar ist und sie als einen Beweis der Existenz Gottes versteht. Abs. 8 wiederholt den physikotheologischen Gottesbeweis, indem er ihn in vier Hauptmomente zerlegt: 1. "In der Welt finden sich allerwärts deutliche Zeichen einer Anordnung nach bestimmter Absicht." "Absicht" ist der Terminus, mit dem Wolff den lateinischen "finis" (Zweck) widergibt. Seine deutsche Teleologie trägt den Titel: 'Ternünftige Gedanken von den Absichten der natürlichen Dinge." Die finalistische Anordnung erstreckt sich auf eine "unbeschreibliche Mannigfaltigkeit des Inhalts" und umfaßt eine unbegrenzte Größe (vgl. Abs. 4, Satz 4). 2. "Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd, und hängt ihnen nur zufallig an." Damit interpretiert Kant die Ordnung der Welt im Sinne einer künstlichen Form derselben, also im Sinne der "zufalligen Ordnung", die die Grundlage der gewöhnlichen Physikotheologie darstellt (EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. 1). Die weitere Beschreibung dieser zufälligen Anordnung als "vielerlei sich vereinigende Mittel", die "zu bestimmten Endabsichten ... zusammenstimmen", kann aber auch im Sinne der Finalität verstanden werden, die Kant z. B. in der Vorrede zur "Allgemeinen Naturgeschichte" herausgestellt hat, und die die Grundlage für eine verbesserte Physikotheologie liefert. Dort ist von der "vortrefflichen Über14 In III, Abs. 7 gilt dennoch der moralische Gottesbeweis als "praktischer Zusatz" (A 689) des an sich objektiv unzulänglichen Kontingenzbesweises. Vgl. auch KU, § 85: B 404 = V 438 f. Eine nochmalige Behandlung der Frage nach dem Verhältnis beider Beweise zueinander in der "Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie", Abs. 8: B 472-474 = V 478 f.

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einstimmung" von Dingen verschiedener Natur sogar zum Nutzen der Menschen und Tiere die Rede, bei der zwar das finalistische Resultat von den mechanischen Kräften der Natur stammt, aber die Übereinstimmung selbst der Kräfte nur durch eine "überlegte kluge Wahl" erklärt werden kann (A XXII = I 225). Nach diesem Verständnis ist die Anordnung den Dingen nicht "ganz fremd"; aber sie zeugt zugleich von einer tieferen "Zufälligkeit", die bis in die Materie mit ihren final abgestimmten Kräften hineinreicht. 3. "Es existiert also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die ... als Intelligenz, durch Freiheit die Ursache der Welt sein muß." Zu bemerken ist, daß Kant in dieser Rekonstruktion des Beweises mit der Intelligenz der Erstursache der Ordnung die Freiheit verbindet, wie auch schon im zweiten Hauptmoment angedeutet (die Dinge sind nach einem sie ordnenden Plan "gewählt" worden). In der Tat sieht die metaphysische Tradition die Freiheit im Zusammenhang mit der Intellektualität (vgl. Thomas von Aquin, De veritate, q. 24, a. 2; Summa Theol. I-II, q. 17, a. l ad 2). Als frei wird diese Erstursache von der "Fruchtbarkeit" einer "blindwirkenden allvermögenden Natur" abgehoben, also von einer "transzendentalen Physiokratie", wie letztere in der Anmerkung zur Thesis der III. Antinomie genannt wurde (A 449). 4. Die Einheit der Erstursache wird aus der einheitlichen Anordnung der Welt geschlossen, die, wie oft bei Kant, als ein Bauwerk vorgestellt wird. Wir haben also in der Physikotheologie dieselbe Argumentation wie im Gottesbeweis der Nova dilucidatio, wo die dynamische Gemeinschaft der Weltsubstanzen als "summae rerum omnium causae, i. e. Dei, et quidem unius, testimonium" galt (I, 414. Vgl. weiter oben Kap. V, 2). Allerdings wird bereits hier der diesbezügliche wunde Punkt des Beweises angedeutet. Von der geordneten Einheit des Weltalls als Ganzes wissen wir nur durch eine AnalogieExtrapolation ausgehend von dem systematischen Zusammenhang des Weltteils, wohin die naturwissenschaftliche Beobachtung bisher vorgedrungen ist. Von dieser Basis her können wir nur "mit Wahrscheinlichkeit" auf die Einzigkeit der Erstursache schließen. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß die entscheidende Eigenschaft der Weltursache im Sinne des Theismus, nämlich ihre Unendlichkeit (ens realissimum), in der oben stehenden Analyse des physi-

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kotheologischen Beweises nicht ausdrücklich erwähnt wird. Auf sie geht Kant in seiner zweiten Widerlegung ein. Abs. 9 geht noch nicht zur eigentlichen Kritik des Beweises über, meldet aber bereits Vorbehalte gegen die Anwendung der Analogie an, die in der (reinen) Physikotheologie stattfindet. Der Analogieschluß besteht darin, daß aus der Ähnlichkeit der Wirkungen die Ähnlichkeit der Ursachen abgeleitet wird. Als Ansatz nimmt Kant die "Naturprodukte" eher als die Natur selbst, wie sie dasteht, d. h. also die Natur, wie sie sich selbst hervorbringt und entwickelt. Die Naturprodukte sind nun den Produkten der menschlichen Kunst ähnlich, etwa den Häusern, Schiffen und Uhren I5. Beiläufig weist Kant auf einen Unterschied in diesem Ansatzpunkt hin: Die menschliche Kunst tut den vorgegebenen Materialien eine gewisse Gewalt an, insofern sie diese Materialien Zwecken unterordnet, die ihnen fremd sind, während die Natur sich als "freiwirkend" zeigt, insofern sie all ihre Produkte ungezwungen hervorbringt. Aus der Ähnlichkeit der Wirkungen schließt der physikotheologische Beweis auf die Ähnlichkeit der Ursachen. Nun ist der Mensch durch "Verstand und Wille" Erzeuger seiner Produkte; also muß die Erstursache der Natur ein verständiges und freies Wesen sein. Schwer zu interpretieren ist der Nebengedanke, den Kant zu der an sich schon abgeschlossenen Analogie-Argumentation hinzufügt: "Wenn sie [die natürliche Vernunft] die innere Möglichkeit der frei wirkenden Natur (die alle Kunst und vielleicht selbst sogar die Vernunft zuerst möglich macht) noch von einer anderen, obgleich übermenschlichen Kunst ableitet." Einerseits scheint der Satz eine Wiederholung der vorhin entwickelten Analogie zu sein, die bereits zum Schluß gekommen ist: "es werde eben eine solche Kausalität, nämlich Verstand und Wille [die Kausalität, aus der die menschlichen Produkte hervorgehen], bei ihr zum Grunde liegen". Andererseits scheint die Aussage in Klammern etwas hinzuzufügen, das die bisherige analogia proportionalitatis sprengt. Es ist nicht bloß von den "Naturprodukten" die Rede, sondern von der Natur, die alle Kunst (die technisch-praktische Kunst des Menschen?) und vielleicht sogar die Ver-

* Zum Vergleich der Welt mit einer Uhr griff die damalige mechanische Welteicht gerne. So z. B. Vfaav in seiner Deutschen Metaphysik: §§ 556, 565, 566.

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nunft (die moralisch-praktische Vernunft?) möglich macht. Der Mensch als intelligentes Wesen ist somit nicht mehr der terminus comparationis, um die Ursächlichkeit der Natur zu verstehen, sondern wird selber zu den Produkten der Natur gezählt, wobei dann die Konsequenz ist, daß der Terminus fehlt, mit dem die so wirkende Natur verglichen und verstanden werden kann ". Im Anschluß an die KU § 88, Abs. 3-5 meint Schmucker ", Kant wolle hier die Möglichkeit offen lassen, daß in der Erstursache die technisch-künstlerische und die moralisch-praktische Kausalität nicht wie bei uns verschieden sind, sondern in einer für uns nicht mehr vorstellbaren Weise verschmelzen, womit dem Weltprinzip nicht mehr die spezifisch moralische Kausalität formell zugesprochen werden könnte. Dieses Übergreifen der Physikotheologie auf den Menschen selbst mit der sich ergebenden Schwierigkeit für uns, einen bestimmten Begriff der Erstursache zu bilden, wird aber nicht weiter ausgeführt. Denn, so fährt Kant fort, es ist vernünftiger, bei einer Erstursache stehen zu bleiben, die durch Verstand und Wille handelt, als zu "unerweislichen Erklärungsgründen" zu greifen, wie etwa zur Analogie der Welt mit einem Tier und damit zu einer Weltseele wie bei der Stoa 18. Vgl. weiter VII, letzten Abs.; KU § 80: B 369 = V 419. Abs. 10. Im Anschluß an die Kritik der Analogie-Argumentation arbeitet Kant die Widerlegung des pyhsikotheologischen Gottesbeweises aus. Da seine Grundlage die künstliche Form der Welt, d. h. die "zufallige Ordnung der Natur" ist (EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung, Nr. 1), kann der Beweis "höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffes, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt [ist], aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, dartun". Es ist genau dieselbe Kritik, mit der bereits im EmBg, II. Abtig., 5. Betrachtung gegen Ende "die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Methode der Physikotheologie gewiesen" wurde 1 . In der III. Abtig., wo Kant den "kosmologischen" Gottesbesweis wi" Vgl. HEMSOBTH, Transzendentale Dialektik, 526. " Vgl. SCHMUCKES, Die Primären Quellen des Gottesglaubens (Quaestiones Disputatae, 34), uFreiburg 1967, 151-161. Vgl. weiter unten Kap. XXV, 6. Vgl. HHMSOHH, Transzendentale Dialektik, 526, Anm. 180. " Vgl. Kap. Vin, 5. Betrachtung.

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derlegt hat, wurde dagegen dieses Argument nicht angeführt. Es ist zu bemerken, daß die Auffassung Gottes als Weltbaumeister in der Aufklärung und im damaligen Deismus sehr beliebt und verbreitet war. Um das Urwesen im Sinne eines Weltschöpfers zu beweisen, mußte man von der Kontingenz der Substanzen in der Welt, nicht bloß von der Kontingenz ihrer akzidentellen Form, ausgehen. Wie eine solche tiefer reichende Kontingenz, die die Dinge in ihrem substantiellen Wesen betrifft, bewiesen werden kann, hat Kant eigentlich in seiner sog. verbesserten Physikotheologie schon dargetan. Der Kern dieses Beweises wird auch hier in einer hypothetisch-negativen Form wiederholt: Die Dinge der Welt sind an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung nach den allgemeinen Gesetzen der Materie selbst tauglich; sie sind also, "selbst ihrer Substanz nach, das Produkt einer höchsten Weisheit". Das verständige Prinzip der Ordnung erweist sich als mit dem Prinzip der Materie (und deshalb mit dem Prinzip der Substanz) identisch - der Weltbaumeister ist also zugleich Weltschöpfer. Damit wäre die "große Absicht, die man vor Augen hat, nämlich ein allgenugsames Urwesen zu beweisen", verwirklicht. Warum Kant diese seine Lösung der Hauptunzulänglichkeit der gewöhnlichen Physikotheologie hier nicht erwähnt (und eventuell dann mit einem eigenen Argument widerlegt), ist mir nicht klar "*. "Wollten wir die Zufälligkeit der Materie selbst beweisen, so mußten wir zu einem transzendentalen Argument unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen." Man ist geneigt, diese nochmalige Erwähnung der Zufälligkeit der Materie im selben Sinne wie hier oben zu verstehen, wo Kant von ihr und dem Weg gesprochen hat, wie sie zu beweisen wäre, nämlich durch einen anderen Beweisgrund als die "Analogie mit menschlicher Kunst" (der springende Punkt der gewöhnlichen Physikotheologie). Aber der Umstand, daß Kant von einem "transzendentalen Argument" spricht, läßt eher an die "metaphysische" Kontingenz der Weltdinge denken, die wir nach den Ausführungen in der Anmerkung zur vierten Antinomie von der Veränderung der Dinge allein nicht erkennen können (A 456460). Denn die Argumentation der "Allgemeinen Naturgeschichte" und

1

Vgl. Kap.

, 1. am Ende.

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des EmBg, die um die "notwendige Ordnung" der Natur kreisen, sind keine transzendentale Argumentation im Sinne von ontologischer Argumentation. Wäre jedenfalls dieser Beweis geleistet, so wäre der Grottesbeweis in der Tat im wesentlichen ein Kontingenzbeweis und nicht mehr ein Pinalitätsbeweis im Sinne der gewöhnlichen oder auch der verbesserten Physikotheologie (Vgl. Einleitung, 3, c). Abs. 11-12 entwickeln eine zweite Widerlegung. Der springende Punkt der ersten war der, daß von der Ordnung der Welt als einer zufalligen Form her nur ein Baumeister, aber kein Schöpfer erschlossen werden kann. Die neue Widerlegung geht näher auf den Schluß von der Beschaffenheit der Welt auf ihre Ursache ein und stellt heraus, daß dieser Schluß, abgesehen davon, daß auf diesem Weg keine Erstursache im Sinne des Theismus (Gott als Schöpfer ex nihilo) erreicht wird - der Hauptmangel der Physikotheologie -, auch unter anderen Aspekten nicht den bestimmten Begriff der Weltursache hergibt, den die Theologie braucht, nämlich den Begriff eines ens infmitum et unicum. Die vorliegende Kritik deckt sich mit der im EmBg, III. Abtig., Nr. 4, 2. Abs., die ich im Kap. XIII, 2. schon besprochen habe. Vor der zufälligen Einrichtung der Welt als geordnet und zweckmäßig kann nur "auf das Dasein einer ihr proportionierten Ursache" geschlossen werden, wobei die Ursache sich uns nur durch Prädikate erschließt, die relativ zu den endlichen Eigenschaften der Welt bzw. zu unserer begrenzten Fassungskraft sind: etwa die Prädikate "von sehr großer" Macht, Weisheit, usw. Zur Behauptung eines Verhältnisses der Welt in ihrer Größe, Ordnung und Einheit respektive zur AWmacht, höchsten Weisheit und absoluten Einheit fehlt uns die nötige Basis "; ja wir vermögen prinzipiell nicht ein solches Ver11 In der KpV A 250 = V 138 f gibt Kant näher an, wie ein solcher Ansatz zum vollkommensten Wesen sein sollte: "Durch Metaphysik aber von der Kenntnis dieser Welt zum Begriff von Gott und dem Beweise seiner Existenz durch sichere Schlüsse zu gelangen, ist darum unmöglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste mögliche Ganze, mithin zu diesem Behufe alle möglichen Welten (um sie mit dieser vergleichen zu können) erkennen, mithin allwissend sein müßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen Gott (wie wir uns diesen Begriff denken müssen) möglich war." Eine nochmalige Kritik des physikotheologischen Beweises in der "Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie" der KU B 475 f = V 480 beginnt mit der Aussage: "Der physiko-teleologische Beweisgrund reicht aber darum nicht zur Theologie zu, weil er keinen für diese Absicht hinreichend bestimmten Begriff von dem Urwesen gibt noch geben kann." Die

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hältnis einzusehen, fügt Kant im Abs. 12 hinzu. Nun aber muß der Begriff der Erstursache im Sinne Gottes "uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu erkennen geben" - er muß nämlich der Begriff vom vollkommensten Wesen sein **. Der Sprung von einer bloß relativen Qualifikation zu einer absoluten, den der physikotheologische Beweis tut (vgl. die Rekonstruktion des Beweises im Abs. 4, Satz 5: A 623), bleibt deshalb unbegründet. In der R 6110 um 1783/84 heißt es: "Keine Wahrscheinlichkeit kann einen Schluß von einer eingeschränkten Wirkung auf eine uneingeschränkte Ursache berechtigen." Außer Hume als möglichem Anreger Kants zu dieser Kritik M ist auch auf Wolff hinzuweisen, der mehrmals von einem "saltum" im Beweis aus der Ordnung der Welt gesprochen hat. So z. B. der in Theologie Naturalis I, § 8 am Ende; und in "De differentia nexus rerum", § 5: "quod finium nomine in rebus naturalibus celebratur, notionem quidem sapientiae admirandae, sed non perfectissimae seu absolute summae animo ingenerare aptum [est]." Es sei schließlich auf eine gewisse Ähnlichkeit dieser zweiten Widerlegung der Physikotheologie mit der Widerlegung des Kontingenzbeweises im Abschnitt III hingewiesen. Wie dort im Abs. 8 gesagt wurde, daß das notwendige Wesen kein unendliches Wesen (ens realissimum) zu sein braucht, so wird auch hier gesagt, daß die Erstursache der Welt keine unendliche Intelligenz, Macht, Weisheit, usw. zu besitzen braucht. Abs. 18-15. Die zweite Widerlegung hat eine Kluft zwischen der relativen Vollkommenheit der Erstursache, zu der der physikotheologische

Bestimmungen, zu denen er fuhrt, haben "nur komparativ für Eure Fassungskraft Bedeutung". * Am Ende des Abs. 11 schreibt Kant: "Wo es auf Größe (der Vollkommenheit) eines Dinges überhaupt ankommt, da gibt es keinen bestimmten Begriff als den, so die ganze mögliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realität ist im Begriff durchgängig bestimmt." Daß allein der Begriff vom allerrealsten Wesen den Gegenstand a priori durchgängig bestimmt, ist eine Lehre, die im Theologie-Hauptstück mehrmals vorkommt. Vgl. II, Abs. 8 (A 576); V, Abs. 4 (A 605 f>; V, Abs. 11 (A 611 0. Aber für die hier vorgelegte Kritik des physikotheologischen Beweises scheint sie keine Rolle zu spielen. Es geht ja darum, ob wir posteriori zu einer Erstursache im Sinne des allerrealsten Wesens gelangen können. * Vgl. Kap. , 2. b). Es geht hier um die Proportion zwischen Wirkung und Ursache (gegen den Schluß auf eine unendliche Ursache), nicht um den Analogie-Gedanken, von dem ich in Nr. 4 der Einleitung gesprochen habe (letzterer wird verwendet, um die Erstursache der Welt als intelligent und frei zu qualifizieren).

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Gang schlüssig gelangt, und der behaupteten absoluten Vollkommenheit derselben festgestellt. Ähnlich ging es auch schon der ersten Widerlegung, die eine Diskrepanz zwischen Weltbaumeister und Weltschöpfer herausstellte. Durch welches Mittel (ver)meinen die Physikotheologen, über diese Kluft kommen zu können? Die Antwort auf diese Frage veranlaßt eine tiefere Analyse des Beweises und eine entsprechende - die dritte - Widerlegung. Der Beweis gelangt nur bis zu einem Welturheber, dessen Größe, Weisheit und Macht nur relativ zu den endlichen Eigenschaften der Welt bestimmt werden können. Weil er nun auf dem empirischen Argumentationsweg nicht weiter kommen kann, kehrt er zur Zufälligkeit der Welt zurück **. "Von dieser Zufälligkeit allein" wird ein Kontingenzbeweis eingeleitet: "durch transzendentale Begriffe" * steigt er "zum Dasein eines schlechthin Notwendigen" auf genauso wie der erste Schritt des kosmologischen Beweises. Dieses ens necessarium wird dann anhand des Mittelbegriffes "durchgängige Bestimmung a priori" (vgl. V, Abs. 4: A 605 f) mit dem ens realissimum identifiziert. Also gelangen die Physikotheologen ans Ziel, indem sie zum kosmologischen Beweis überspringen, "und da dieser ein versteckter ontologischer Beweis ist", wie in V, Abs. 5 (A 606-608) erwiesen, so "vollführen" sie ihre Absicht "wirklich bloß durch reine Vernunft". Die Analyse Kants an der letztzitierten Stelle hat ja gezeigt, daß die Erfahrung, von der auch der kosmologische Beweis ausgeht, in der Tat keine Rolle für den eigentlichen Beweis spielt. Sind die Physikotheologen auf diesem Weg, oder Flug, zum "bestimmten Begriff" der Erstursache als "allbefassender Realität" gelangt, so setzen sie ihn in Verbindung zum "ganzen Feld der Schöp-

24 Der physikotheologische Beweis ist von der "zufälligen Ordnung der Natur" (EmBg, . Abtig., 5. Betrachtung, Nr. 1) ausgegangen, also von der akzidentellen Kontingenz der Welt. An unserer Stelle spricht Kant von der "gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben", wobei er aber - wie aus dem Folgenden hervorgeht - eine andere Art von Kontingenz meint als die Kontingenz, bei der die (gewöhnliche) Physikotheologie ansetzt, nämlich die Kontingenz der Weltsubstanzen als solcher, also eine Kontingenz, die die Existenz der Dinge selbst und nicht bloß ihre hinzukommende Ordnung betrifft. Wie von der empirisch feststellbaren Kontingenz in der Anordnung der Dinge die andere Kontingenz, nämlich die metaphysische, abgeleitet werden kann, erklärt Kant nicht. Vgl. weiter oben, Einleitung, 3, c. * Wohl durch das ontologisch verstandene Kausalitätsprinzip. Vgl. Abs. 4, gegen Ende des zweiten Satzes; auch V, Abs. 10, Nr. l (A 609).

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fang", als ob sie zur Erkenntnis Gottes von der Welt her gekommen wären und damit berechtigt wären, das transzendentale Ideal mittels Prädikaten aus der Erfahrung zu erläutern, d. h. näher zu bestimmen. Zu diesem logisch unbegründeten Verfahren kommt erschwerend hinzu, daß die Bestimmung des Gottesbegriffes anhand der Erfahrung kümmerlich und unter der Würde des in Frage stehenden Gegenstandes ist. Denn a) in der Erfahrung kann man keinen genügenden Stoff auftreiben. Vgl. Abs. 2; b) die Erfahrung der Sinnenwelt gibt nicht die Realitäten der praktischen Vernunft her, die doch zum Ideal der reinen Vernunft, und zwar in erster Linie gehören. Der Begriff Gottes ist nach Kant ursprünglich ein nicht zur Physik, sondern zur Moral gehöriger Begriff. Vgl. KpV A 249 ff = V 138 ff; KU § 86, Anmerkung: B 418 = V 447. In diesem Sinne ist der Rekurs auf die Natur unter seiner Würde **. Abs. 16 bestätigt die Behauptung im Abs. 7, Satz 2 ("Ich behaupte demnach ..."): Aus der dritten Widerlegung erhellt, daß auch die Physikotheologie, wie schon die Kosmotheologie, letztlich nur durch den ontologischen Beweis ans Ziel, nämlich zum erhabenen Satz: "Es ist ein Gott", kommt. Von den "drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft" (A 590) ist also der Beweis "aus lauter reinen Vernunftbegriffen" der einzig mögliche, insofern er allein beim ens realissimum anlangt - in Wahrheit aber ist er selber unmöglich, wie im Abschnitt IV bewiesen wurde.

" Vgl. HHMSOBTH, Transzendentale Dialektik, 630.

XXII. Kapitel Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft Nach der weiter oben angegebenen Einteilung * macht der Abschnitt VII den dritten Teil des Theologie-Hauptstücks aus. Sein Inhalt ist mannigfaltig: Terminologische Festlegungen, Nachgedanken und Präzisierungen zur nunmehr abgeschlossenen Kritik aller Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft. Der Inhalt des Abschnittes ist wenigstens zum großen Teil späteren Ursprungs.

Gliederung Abs. 1-4. Verschiedene Arten der Theologie. Abs. 5-6. Theoretische und praktische Erkenntnis und ihre respektiven Voraussetzungen. Abs. 7-9. Kritik am Kontingenzbeweis Einband des kritizistisch verstandenen Kausalprinzips. Abs. 10-12. Zweite Kritik der Gottesbeweise vom Standpunkt des Kritizismus. Abs. 13-15. Die transzendentale Theologie hat dennoch einen großen Nutzen, weil sie einen gereinigten Begriff Gottes liefert.

Abs. 1-4. Die hier entworfene Einteilung der Theologie ist freilich nicht die einzige bei Kant, kommt aber öfters, auch wenn mit Änderungen in der Unterteilung vor (vgl auch R 4113). Neben ihr findet sich auch eine Dreiteilung der Rationaltheologie: transzendentale, natürliche und moralische Theologie (R 3907; Metaphysik Pölitz: XXVIII 305), sowie die einfache Gegenüberstellung von theoretischer und moralischer Gotteserkenntnis (R 3818).

1

Kap. XV, 2., 3).

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theologia revelata [ Kosmotheologie (transzendentale Theol.< l Ontotheologie theologia rationalis") Physikotheologie natürliche Theologie S (^ Moraltheologie Der Offenbarungstheologie wird nach vorliegendem Schema die rationale Theologie entgegengesetzt im Unterschied zu den damaligen Autoren, die meistens von einer theologia naturalis als Gegenbegriff zu theologia revelata sprachen. So bei Baumgarten, Metaphysica §§ 800 ff. In der Metaphysik KZ macht Kant auf seine Abweichung vom "Autor" aufmerksam und will die natürliche Theologie für die Gotteserkenntnis aus der Natur vorbehalten wissen (XXVIII, 778. Dasselbe auch in XXVIII 595, 1140, 1240. Vgl. die Anmerkung dazu von G. Lehmann: XXVIII 1394 f). Die transzendentale Theologie denkt sich das Urwesen "vermittelst lauter transzendentaler Begriffe", d. h. ontologischer Begriffe (Prolegomena § 57: A 173 = IV 356. Vgl. auch hier II, Abs. 11 und VII, Abs. 15). Die natürliche Theologie denkt Gott "als die höchste Intelligenz" durch einen Begriff, den sie "aus der Natur (unserer Seele) entlehnt". Man könnte die Frage stellen, in welchem Sinne Kant hier die Seele (einen Fall von Natur!) als Ausgangspunkt für die Gotteserkenntnis nimmt. Denn einerseits soll der Ansatz empirisch bestimmt sein, um zu einem bestimmten Gottesbegriff fuhren zu können, andererseits hindert die Paralogismen-Lehre der KrV die Seele als "Intelligenz" einfach für den Gegenstand des inneren Sinnes zu halten *. Die Antwort auf die gestellte Frage liegt darin, daß wahrscheinlich die vorliegende Einteilung und die in ihr gemeinte natürliche Theologie vor und unabhängig von der transzendentalphilosophischen Wende sind. Schon Wolff beweist im zweiten Teil seiner Theologia Natu-

' Nach HHMSOETH, Transzendentale Dialektik, 532, geht es hier um das Ich-denke der transzendentalen Apperzeption. Aber für Kant ist diese erkenntnistheoretische Bedingung eine "gänzlich leere Vorstellung" (A 345 f) \

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ralis "existentia et attribute Dei ex notione entis perfectissimi et natura animae". Beide genannten Unterarten der Rationaltheologie werden hier in Zusammenhang mit dem Begriffspaar Deismus und Theismus gebracht. Der Deist vertritt eine transzendentale Theologie: Das höchste Wesen wird als ens realissimum aufgefaßt, das aber nicht näher bestimmt werden kann; mithin als eine Weltursache, von der wir nicht einmal wissen, ob sie notwendig oder frei Ursprung der Welt ist. Pur den Theisten dagegen vermag unsere Vernunft das höchste Wesen "nach der Analogie mit der Natur näher zu bestimmen", insbesondere als Welturheber durch Verstand und Freiheit (Zum Begriffspaar Weltursache und Welturheber vgl. auch die Religionsphilosophie Pölitz: XXVIII 1001). Die Termini Deismus, Deist* kamen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts auf, um die Grotteserkenntnis bzw. den Gottesglauben zu bezeichnen, der beim Bekenntnis zur natürlichen Religion stehenblieb (Suffizienz der natürlichen Religion). Die Wortbildungen Theismus und Theist sind späteren Datums und wurden zunächst promiscue mit Deismus und Deist verwendet. Erst Diderot versuchte, eine sachliche Unterscheidung einzuführen, und zwar in seiner Einleitung zur französischen Übersetzung von Shaftesburys "Inquiry concerning Virtue, or Merit" (1745). Auch Johann Joachim Spalding unterschied in der Vorrede zu seiner Übersetzung desselben Werkes (1747) zwischen Deist und Theist. Allerdings hat von diesen möglichen Quellen zu Kants Unterscheidung beider Termini in der KrV 4 eine Sinnverschiebung stattgefunden. Während die genannten Autoren die Bedeutung und damit auch den Unterschied der Termini auf der Grundlage der Distinktion von theologia rationalis bzw. naturalis und theologia revelata festlegten, so daß Charakteristikum eines Deisten in erster Linie das Absehen von einer übernatürlichen Offenbarung ist, bestimmt Kant dieselben Termini auf der Grundlage seiner Unterscheidung von rationaler und natürlicher Theologie, so daß seine Unterscheidung zu-

3 Zur verwickelten Geschichte des Begriffspaares Deismus/Theismus vgl. Günter GAWUCK in: Hist. Wb. der Phil. Z, 44-47 und den Beitrag von Michael ALBRECHT, "Der Deist und der Theist (KrV B 659-661)" in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses,4Bonn 1981, 475-488. und auch in den RR 3907, 3909, 4344, 4564, 6173, 6247; KU § 72 am Ende; XXVm 322, 794. Vgl. ALBHECHT, den in der vorigen Fußnote angeführten Aufsatz, 475.

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nächst als Variante innerhalb des Deismus erscheint. Die so verstandene Unterscheidung Kants hat sich in der Tat nicht allgemein durchgesetzt. Weitergewirkt haben dagegen in Kants Religionsphilosophie, vor allem in seiner Gottesbeweiskritik und moralischen Theologie, und durch ihn in der Folgezeit wesentliche Motive des Deismus der Aufklärung. Im Gegensatz zur Stellungnahme im EmBg (II. Abtig., 5. Betrachtung: A 116 f = II 122 f) nimmt Kant hier im Abs. 4 die Deisten (allerdings in einem anderen Sinn als in der Schrift von 1762) gegen den Vorwurf des Atheismus in Schutz, wobei vor allem Crusius gemeint sein dürfte (vgl. dessen Metaphysik § 236). Die transzendentale Theologie wird in Kosmotheologie und Ontotheologie unterteilt entsprechend der Benennung "transzendentale Beweise" für den ontologischen und den kosmologischen Beweis im Anhang zum Abschnitt V. Die hier und an mehreren Stellen der Vorlesungen gemeinte Ontotheologie ist nicht mit dem kantischen "ontotheologischen Beweis" (R 4647) im EmBg zu verwechseln '. Die natürliche Theologie wird in Physikotheologie und Moraltheologie unterteilt, je nachdem sie von der natürlichen oder von der sittlichen Ordnung der Welt ausgeht. In beiden Fällen werden nicht nur das Dasein, sondern auch die Eigenschaften ("höchste Intelligenz") * eines Welturhebers erkannt. In der Fußnote wird die Moraltheologie als "Überzeugung vom Dasein eines höchsten Wesens, welche sich auf sittliche Gesetze gründet", definiert. Damit nimmt Kant hier wieder, wie auch im Abs. 5, den moralischen Gottesbeweis vorweg, den er im II. Hauptstück der transzendentalen Methodenlehre ausführt. Abs. 5 distinguiert zunächst zwei Grundarten von Erkenntnis: die theoretische Erkenntnis, "wodurch ich erkenne, was da ist", und die praktische Erkenntnis, "dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll". Auf die Vernunft als das Vermögen der apriorischen Erkenntnis dessen, was notwendig ist, angewandt, ist "der theoretische Gebrauch

' Vgl. Kap. IV, Fußnote 1. * Dazu , Transzendentale Dialektik, 532: "Der Ausdruck «Intelligenz» enthält bei Kant faktisch immer auch praktische Bezüge (Willkür, wählende Absicht und Zwecksetzung)."

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der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als notwendig) erkenne, daß etwas sei; der praktische aber, durch den a priori erkannt wird, was geschehen soll" T. Wenn wir nun gewiß sind, daß etwas existiert oder geschehen soll, und dieses Existierende bzw. das Objekt des moralischen Sollens bedingt ist, dann fragt es sich, ob wir die Bedingung des erkannten Existierenden bzw. des Pflichtobjekts als schlechthin notwendig erkennen können. Noch vor der Antwort auf diese Frage, die offensichtlich auf die Problematik des Gottesbeweises zugeschnitten ist, distinguiert Kant zwei Arten von Bedingungen des Bedingten: Die Bedingung kann "schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postuliert (per thesin), im zweiten supponiert (per hypothesin)". Aber wovon hängt es ab, daß die Bedingung des Bedingten postuliert oder nur supponiert wird? Aus dem Kontext geht hervor, daß dies vom Bedingten abhängt. Die Bedingung eines Bedingten, das notwendig (!) ist, ist ebenfalls notwendig; die Bedingung eines Kontingenten ist selbst kontingent (beliebig). Zunächst wird der erste Fall erörtert, der Fall nämlich, wo wir gewiß sind, daß etwas sein soll. Es gibt Gesetze, die moralischen, die schlechthin notwendig sind, d. h. kategorisch gebieten *, deren Objekt also notwendig ist. Wenn nun diese Gesetze "irgendein Dasein, als Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft, notwendig voraussetzen", so muß "dieses Dasein postuliert werden". Dies wird von Kant nochmals erläutert im Sinne der schon besprochenen Distink7 Trotz dieser scheinbar klaren terminologischen Festlegung ist mir die Stelle in ihrem eigentlichen Sinn nicht deutlich. Dies schon wegen der Vieldeutigkeit des Terminus Vernunft bei Kant. Vgl. dazu etwa H. VADÜNGEB, Kommentar zu Kants KrV, Stuttgart 1881, I, 230 und B. EBDMANN, Historische Untersuchungen über Kants Prolegomena, Halle 1904, 8 f, Fußnote 6. Kant hat hier offensichtlich den Beweisgang vor Augen, der vom kontingent Seienden in der Erfahrung auf Gott schließt, und der im Abs. 6 tatsächlich ausgeführt wird (bzw. den moralischen Gottesbeweie, der vom moralischen Gesetz in uns ausgeht). Nun ist in diesem Falle von vornherein ausgeschlossen, daß die Vernunft a priori zur Erkenntnis Gottes als notwendigen Wesens gelangt. Der Ausgangspunkt der Vernunft zur angestrebten Erkenntnis ist ja das in der äußeren bzw. inneren (moralischen) Erfahrung Gegebene. Hinter dieser paradoxen Problemstellung steht das Kantische Grundprinzip, daß "Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit ... Kennzeichen einer Erkenntnis a priori" sind (B 4). Diesem Prinzip gemäß kann das Notwendige nur a priori erkannt werden. ' Vgl. die spätere Lehre vom kategorischen Imperativ in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", aber auch schon die Lehre vom Sollen in der Auflösung der dritten Antinomie: A 647 f.

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tion des Bedingten selbst: Wir haben hier ein notwendiges Bedingtes, also muß die entsprechende Bedingung als schlechthin notwendig postuliert werden. Mit Kants eigenen Worten: "... darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdings notwendig erkannt wird" *. Damit hat Kant den Kern eines moralischen Gottesbeweises umrissen, dessen Ausführung auf die spätere Methodenlehre verschoben wird. Gott wird als "die Bedingung der Möglichkeit" der "verbindenden Kraft" der moralischen Gesetze postuliert. D. h. also, so scheint es, daß das Sittengesetz uns absolut in Anspruch nimmt, hängt von einem höchsten Wesen ab, das Ursprung und Quelle der "verbindenden Kraft" des Sittlichen im Menschen ist. Wie dies genau gemeint ist, werden wir untersuchen im Kontext der ersten Fassung des moralischen Beweises in der transzendentalen Methodenlehre der KrV, auf die Kant selbst verweist 10. Abs. erörtert den zweiten Fall, nämlich die Bedingung des Kontingenten. Was wir durch Erfahrung als existierend erkennen, ist kontingent. Als solches hat es Bedingungen seiner Existenz. Wir "supponieren" eine letzte Bedingung des Bedingten; aber damit erkennen wir sie "nur als eine respektiv notwendige, oder vielmehr nötige ... Voraussetzung zum Vernunfterkenntnis des Bedingten". Wir haben hier dieselbe Lehre von der metaphysischen Erkenntnis und dieselbe Einschätzung dieser Erkennntis als nur subjektiver Gültigkeit, die wir schon besprochen haben, als es darum ging, Kants Weg vom ens realissimum im EmBg zum transzendentalen Ideal der

* Wir erkennen die moralischen Gesetze als notwendige Gesetze. Was heißt aber, sie werden priori als notwendig erkannt? Daß wir unter moralischen Gesetzen stehen, erkennen wir doch durch die innere Erfahrung, nämlich durch die Operativitat unserer Intentionalität, die sich als moralisch kundtut, sobald die nötigen biologischpsychischen Voraussetzungen in der Entwicklung der Person gegeben sind. u Vgl. auch R 6110, zweiter Teil, wo ebenfalls von den Voraussetzungen des spekulativen und des praktischen Vernunftgebrauchs die Rede ist. Dort umreißt Kant einen moralischen Gottesbeweis im selben Sinne wie hier. , Transzendentale Dialektik, 638 f, versucht unsere Stelle ohne weiteres im Sinne der Autonomie-Lehre als Grundprinzip der Ethik Kants zu interpretieren. Damit wäre a priori ausgeschlossen, daß Kant bezüglich des moralischen Gottesbeweises verschiedene Positionen im Laufe der Zeit eingenommen hat. Eine Entscheidung über diese Frage möchte ich einer eingehenderen Analyse der zeitlich getrennten Fassungen des moralischen Gottesbeweises in den drei Kritiken vorbehalten.

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KrV zu erhellen ". Die Begriffe und Prinzipien der Metaphysik sind synthetischer Natur, wobei das Prinzip vom zureichenden Grund eine zentrale Rolle einnimmt. Unsere Vernunft erkennt etwas als notwendig, indem sie es von einem anderen als seinem Grund ableitet. Vernunfterkenntnis ist eine Erkenntnis mittels des Prinzips vom Grunde. Aber damit erweist sich die synthetische Erkenntnis der Metaphysik (im Unterschied zur analytischen Erkenntnis der Logik) als eine spezifisch menschliche Erkenntnis, die nur subjektive Geltung hat, weil sie die Art und Weise ist, wie wir Menschen eine Wirklichkeit einsichtig machen, d. h. begreifen können. Nach dieser Lehre ist die letzte Bedingung, die absolut sein soll und damit von keinem anderen Grund abhängt, per definitionem unbegreiflich. Wir vermögen also keine objektiv gültige Erkenntnis von ihr zu erreichen 1S. Auf dem Hintergrund dieser vorkritizistischen Lehre erklärt sich die Aussage an unserer Stelle, die jegliche Erkenntnis des ens necessarium von der Welt her für unmöglich erklärt: "Die absolute Notwendigkeit eines Dinges im theoretischen Erkenntnis" kann niemals als die Notwendigkeit einer Ursache "in Beziehung auf ein Dasein, das durch Erfahrung gegeben ist" erkannt werden 13. Wenn überhaupt, dann nur "aus Begriffen a priori" - was Kant mit seiner Kritik am ontologischen Beweis bereits ausgeschlossen hat. In dieser Kritik des Kontingenzbeweises wird selbst der Übergang vom Kontingenten zum ens necessarium abgelehnt, den Kant sonst in seiner Rekonstruktion und Prüfung des Beweises in III, Abs. 2 und V, Abs. 3 konzediert hatte.

11 u

Vgl. Kap. XIV, 3. SCHMUCKEB, Kants vorkritische Kritik, 93, 99, 101. Vgl. KR 3946, 3952, 3985 ("Wir können nichts durch die Vernunft setzen, ohne es einem anderen zu subordinieren"), 3945. " Denn, so scheint Kant zu argumentieren, was "in Beziehung auf ein [anderes] Dasein" notwendig ist, ist nicht absolut, d. h. in sich selbst notwendig! Natürlich stimmt es, daß die Erkenntnis (d. h. der Erkenntnisakt!), zu der der Kontingenzbeweis führt, "nur bedingt ist", in dem Sinne daß "wir die Existenz Gottes annehmen müssen, wenn wir über die ersten Ursachen alles Zufälligen ... urteilen wollen" (Was heißt: Sich im Denken orientieren?: A 315 f = VIII 139). Jeglicher Erkenntnisakt ist kontingent u. a. auch deswegen, weil er davon abhangt, ob wir ihn vollziehen wollen. Darum aber geht es in der Diskussion über den Wert eines Kontingenzbeweises nicht! Es geht einzig und allein darum, ob ein kontingenter Vollzug unserer Intentionalität ein absolut Daseiendes erreichen kann. Vgl. auch das im Kap. XDC zum Abs. 2 Gesagte über die Art und Weise, wie wir den analogen Begriff einer ab-soluten Realnotwendigkeit bilden.

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Unsere Stelle übernimmt im wesentlichen die Kritik am Kontingenzbeweis, die Kant bereits am Ende der I. Abtig, des EmBg ("Beschluß", Abs. 3), und auch am Ende desselben Werkes geäußert hat. Dort hat Kant die Notwendigkeit einer ersten, unabhängigen Ursache zur Erklärung des kontingent Seienden eingeräumt, aber nicht die Existenz einer schlechterdings notwendigen Ursache. ". Eine ähnliche Kritik des Kontigenzbeweises kommt wieder im zweiten Teil des Anhangs zur transzendentalen Dialektik vor, Abs. 910: A 676-679. Aber dort wird die "Supposition" einer obersten Ursache mit der kritizistischen Lehre begründet und verstanden, daß nämlich die Vernunft ein höchstes Wesen als oberste Ursache braucht "bloß relativ, zum Behuf der systematischen Einheit der Sinnenwelt" (= regulativer Gebrauch der Vernunft). Aber auf dieses Wesen angewandt "verlieren" unsere Begriffe "alle Bedeutung". Abs. 7-9. Kant unterteilt die theoretische Erkenntnis (Erkenntnis dessen, was da ist) weiter in spekulative Erkenntnis: Erkenntnis eines Seienden über den Bereich unserer Erfahrung hinaus, und Naiurerkenntnis, die Gegenstände einer möglichen Erfahrung betrifft. Nun ist der Grundsatz der Kausalität ein Prinzip lediglich der Naturerkenntnis, wie die transzendentale Analytik in der zweiten Analogie der Erfahrung dargelegt hat. Dies bedeutet, daß er nur auf das empirisch Zufällige anwendbar ist, d. h. auf das, dessen Kontingenz ich durch zeitliches Anderswerden seines Zustandes erkenne (vgl. die Anmerkung zur Thesis der 4. Antinomie: A 456-460). Damit aber gelange ich immer nur zur Erkenntnis einer Ursache, die der

" Vgl. meine Ausführungen zur Parallelstelle im EmBg, Kap. . Dort auch einige RR, die angeben, in welchem Sinne die Bedingung des kontingent Seienden eine "respektiv nötige" ist: sie ist eine necessitas hypothetica antecedents bzw. consequentis. Vgl. auch die Anmerkung ADICKES' zu unserem Abs. in seiner Edition der KrV, 604: "Das ist eine ganz wertlose Begriflsklauberei, wenn etwas wirklich ist, so sind damit auch seine Bedingungen notwendige und absolut nicht willkürliche Voraussetzungen." Allerdings schießt Adickes Ober das Ziel hinaus, wenn er Kants Forderung, daß das absolut notwendige Wesen "von nichts außer ihm abhängig, also unbedingt sei" für eine "unbewiesene Annahme" halt. Die immer wiederkehrende Grundfrage bezüglich unserer Erkenntnis des absolut notwendigen Wesens ist die, ob ein objektiv und subjektiv bedingter Erkenntnisvollzug das Absolute erreichen kann. Die bejahende Antwort stützt sich auf ein Doppeltes: (a) auf die Unbegrenztheit unserer Intentionalitat und (b) auf den (bloß) analogen Begriff des Absoluten, den wir von der Welt her bilden. Also ist unsere Erkenntnis des Absoluten kontingent und analog. Diese These enthalt nun keinen Widerspruch!

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Wirkung zeitlich vorhergeht und die als zeitliche ebenfalls zum Feld der Erfahrung gehört l5. Nur in diesem Bereich erweist sich der Grundsatz als Prinzip einer synthetischen Erkenntnis. Derselbe Grundsatz ist kein synthetischer Satz (kein erkenntniserweiterndes Prinzip), wenn er als Prinzip der spekulativen Vernunft genommen wird. Er darf also angewandt werden weder auf das empirisch Zufallige (die Form der Welt), um auf eine Ursache zu schließen, "die von der Welt gänzlich unterschieden ist", und noch weniger auf das metaphysisch Zufällige ("das Zufällige überhaupt"), nämlich auf die Weltsubstanzen ihrem Dasein nach, um wiederum auf ein transzendentes Wesen zu schließen. Denn im letzteren Fall ist uns sogar der Ansatzpunkt unerkennbar, wie Kant an der schon zitierten Stelle der 4. Antinomie dargelegt hat. Kurzum: Der Grundsatz der Kausalität, der in der herkömmlichen Metaphysik den Sprung ins Transzendente begründet, ist nach kritizistischer Lehre außerhalb des Feldes der Erfahrung "ohne Gebrauch, ja selbst ohne Bedeutung". Mit dieser kritizistischen Lehre bestreitet Kant hier, im Unterschied zu seiner Kritik in den Abschnitten III und V, selbst dem ersten Schritt des Kontingenzbeweises jegliche Berechtigung. Abs. 10-12 erklären nochmals auf der Grundlage des Kritizismus mit seiner sensualistischen Grenzbestimmung alle Versuche der Rationaltheologie für "null und nichtig". Ihr Grundfehler liegt nicht in mehr oder weniger äußerlichen Fehlgriffen, die man verbessern könnte, sondern darin, daß sie gegen den einzig gültigen Gebrauch unserer Grundbegriffe und Grundsätze verstoßen. In diesem Zusammenhang bringt Kant einige besonders klare und einprägsame Formulierungen seines Kritizismus: "Denn alle synthetischen Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist" (Abs. 10). Und wieder im Abs. 11: "Alle synthetische Erkenntnis apriori ist nur dadurch möglich, daß sie die formalen Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt und alle Grundsätze sind also nur von imma-

" Es sei daran erinnert, daß das "Schema der Veratandesbegriffe", das ihre Anwendung ermöglicht, in einer "transzendentalen Zeitbestimmung" besteht: A 138 f.

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nenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Gegenstände empirischer Erkenntis, oder Erscheinungen." Zur weiteren Klärung und Bewertung dieses Kerns der KrV verweise ich auf die Diskussion zum ersten Abs. vorliegenden TheologieHauptstückes. Zum Gegensatz zwischen immanentem und transzendentem Gebrauch unseres Verstandes vgl. die erste Fußnote im Anhang der Prolegomena (A 204 = IV 373 f). Der objektiv gültige Gebrauch der Prinzipien unseres Verstandes ist deshalb immanent, d. h. auf den Bereich der Sinneserfahrung beschränkt, weil Verstand und Vernunft nach Kant völlig im Dienst der sinnlichen Anschauung stehen gemäß der programmatischen Aussage von A 19 1 . Transzendentales Prinzip der Objektivität der menschlichen Erkenntnis (das, was die Brücke vom Subjekt zum Objekt schlägt) ist nach der KrV die (sinnliche) Anschauung und nicht die unbegrenzte Dynamik unseres intelligenten und rationalen Fragens (Intentionalität). Die Herausforderung im Abs. 12, daß die "dogmatischen Verfechter jener sinnenfreien Vernunft" sich darüber rechtfertigen sollen, "wie man es anfangen wolle, sein Erkenntnis ganz und gar a priori zu erweitern, und bis dahin zu erstrecken, wo keine mögliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgendeinem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine objektive Realität zu versichern" ", hat Kant selber schon im Postulat der Wirklichkeit dahingehend beantwortet, daß "wo Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinu Vgl. Giovanni B. SALA, Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: eine sensualistiache Version des Intuitionismue, in: Theologie und Philosophie 67 (1982) 342347. " Man achte auf die Kantische Alternative: Entweder Erkenntnis eines Seienden am Leitfaden der Erfahrung oder Erkenntnis desselben a priori. Da nun die letztere nicht möglich ist ("weil eben darin die Erkenntnis der Existenz des Objekts besteht, daß dieses außer dem Gedanken an sich selbst gesetzt ist"), sind wir einzig auf die erstere Erkenntnisweise angewiesen. Das "tertium" wäre die Erkenntnis dessen, was prinzipiell außerhalb der Tragweite der Erfahrung liegt, aber als Erklärung desjenigen erkannt wird, was zum Bereich der Erfahrung gehört. Aber ein solches "tertium" setzt voraus, daß nicht die Erfahrung Kriterium der Wahrheit und Objektivität der menschlichen Erkenntnis ist. Auf Kants Frage, wie wir einem Begriff seine Realität versichern, ist zu antworten: durch das rationale Urteil als absolute Position der mentalen Synthesis. Infolgedessen reicht .unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge so weit wie unsere Fähigkeit zu urteilen. Die entscheidende Frage für die Gotteserkenntnis ist also die, ob wir einen zureichenden Grund haben, den Begriff eines transzendenten Welturhebers in einem Urteil zu setzen, nicht die, ob die Realität Gottes uns in einer Erfahrung gegeben werden kann. Damit aber rede ich einer "sinnenfreien Vernunft" keineswegs das Wort, weil der erforderte zureichende Grund allein in der Erkenntnis der Existenz der Welt zu finden ist; für dieses Urteil aber ist Erfahrung nötig.

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reicht, dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge" (A 226). Abs. 13-16. In diesem letzten Stück wendet Kant seine kritische Abwehr gegen die "dogmatischen Verfechter" der "sinnenfreien Vernunft" ins Positive, indem er den "großen Nutzen" der spekulativen Vernunft in ihrer versuchten transzendentalen Theologie hervorhebt. Dieser Nutzen gilt in doppelter Hinsicht: Erstens im Hinblick auf den Begriff Gottes. Die meisten Ausführungen in diesen Absätzen gehen auf diese Leistung der transzendentalen Theologie ein: Sie bestimmt den Begriff Gottes ontologisch "als den Begriff eines notwendigen und allerrealsten Wesens" - die zwei Qualifikationen, die im Theologie-Hauptstück immer wieder in Betracht kommen -, also Existenzweise und Wesen des "Urgrunds von Allem". Was hier gesagt wird, liegt auf der Linie dessen, was in II, Abs. 14 (A 580) vom transzendentalen Ideal galt. In einem damit werden sämtliche unzureichenden oder falschen Vorstellungen des Atheismus, Deismus oder Anthropomorphismus ausgeräumt und so ein "gereinigter Begriff' Gottes (Ende von Abs. 15) bereitgestellt für den Fall, daß wir doch die Existenz Gottes "anderswoher" schöpfen könnten, wie Kant hier zweimal (Abs. 13 und 15), auf die später zu liefernde Moraltheologie vorausdeutend, behauptet. Mehr noch, im Gegensatz zum Deismus faßt Kant auch die Möglichkeit ins Auge, daß wir dem höchsten Wesen Eigenschaften zusprechen, welche wir "ihren Folgen nach, als analogisch mit den dynamischen Realitäten eines denkenden Wesens, uns vorstellen", nämlich Verstand und Wille. Damit erhält der Begriff des höchsten Wesens ausdrücklich personenhafte Züge. Diese Vorausdeutung findet in der KpV, im Kontext des Postulats Gottes, ihre Ausführung: A 236 = V 131 Fußnote, und wieder in der KU, § 90 in einer Fußnote über die Analogie. Es sei auch auf die "Bemerkungen zu Jakob's Prüfung der Mendelssohn'schen Morgenstunden" von 1786 verwiesen, wo der Begriff Gottes als "das Scheidungsmittel alles Sinnlichen und der Erscheinung von dem, was durch den Verstand, als zu Sachen an sich selbst gehörig, betrachtet werden kann" (A LX = VIII 154) 1 . u

Eine allerdings allzu harmonieierende Sammlung von Texten über Kants Suche nach einem tragfahigen GottesbegrUT siehe in A. WDTTBB, "Der Gotteserweis aus prakti-

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Eine solche wichtige und sachlich richtige Lehre ist aber für die Transzendentalphilosophie unmöglich, wenn der Leser die Schranken ernst nimmt, innerhalb deren Kant unsere Erkenntnis eingezäunt hat derart, daß - wie er immer wieder ins Gedächtnis ruft - außerhalb des Feldes unserer möglichen Erfahrung sämtliche Begriffe weder Sinn noch Bedeutung haben. Vgl. beispielsweise die zum Abs. 6 zitierte Stelle A 676-679: Unsere Begriffe "verlieren alle Bedeutung" und im Abs. 8. Kurzum, "Das höchste Wesen bleibt für den bloß spekulativen Gebrauch der Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt". Der so verstandene und eingeschätzte Gottesbegriff aus "lauter transzendentalen Prädikaten" macht Kants eigene Erklärung des transzendentalen Scheins, der dem "transzendentalen Ideal" anhaftet, problematisch (im letzten Teil des Abschnittes II). Der andere Aspekt, unter dem die transzendentale Theologie der spekulativen Vernunft von Nutzen ist, betrifft die Existenz Gottes. Unter diesem Aspekt bezieht sich Kant - zumindest hauptsächlich auf eine Kritik sämtlicher Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft, die auf dem Kritizismus gründet (was in der Tat nicht der Hauptstrang des Theologie-Hauptstückes ist!). Eine solche Kritik bestreitet, daß wir auf dem Weg des spekulativen Gebrauchs der Vernunft zur Erkenntnis Gottes gelangen können, weil unsere objektiv gültige Erkenntnis überhaupt innerhalb der sinnlichen Erfahrung eingeschränkt ist. Wenn dem so ist, erweisen sich die Gegenbehauptungen der Atheisten nicht weniger als Anmaßungen als diejenigen der "dogmatischen Verfechter einer sinnenfreien Vernunft". Aus dieser PattSituation auf der Ebene der spekulativen Vernunft, die bereits in der Auflösung der vierten Antinomie (A 562) und in IV, Abs. 12 (A 601) angedeutet wurde und wieder in der Transzendentalen Methodenlehre, A 739 f, 830, zur Sprache kommt, kann und soll der praktischmoralische Gebrauch der Vernunft uns herausholen. Damit bekommt die ganze Kritik an der spekulativen Theologie, die Kant den Titel eines "Alleszermalmenden" eingebracht hat, positive Vorzeichen. Dies hat Kant selbst später in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV, edier Vernunft", in: K. KRBMBB (Hrsg.), Um Möglichkeit oder Unmöglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis heute, Leiden 1985, 124 f.

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also zu der Zeit, in der er mit seiner zweiten Kritik beschäftigt war, durch das berühmte Diktum ausgedrückt: "Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen" (B XXX).

Anhang: Die Gottesproblematik in der Antinomie der reinen Vernunft Literatur Erhardt, Franz, Kritik der Kantischen Antinomienlehre, Leipzig 1888. Cramer, Wolfgang, Gottesbeweise und ihre Kritik. Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt a. M. 1967, 132-142. Schmucker, Josef, Das Weltproblem in Kants KrV. Kommentar und Strukturanalyse des ersten Buches und des 2. Hauptstücks des zweiten Buches der transzendentalen Dialektik, Bonn 1990. Dieses angekündigte Werk konnte für die vorliegende Studie noch nicht verwendet werden.

1. Die Entstehungsgeschichte der KrV erklärt, warum im Antinomie-Hauptstück auch theologische Probleme behandelt werden Die drei Hauptstücke des zweiten Buches der transzendentalen Dialektik sind offenbar als Pendant zu den drei Teilen der metaphysica specialis gedacht, also als Kritik der rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie. Die Probleme einer philosophischen Gotteslehre fallen somit in den Bereich des Hauptstücks: "Das Ideal der reinen Vernunft". Nichtsdestoweniger wird das Gottesproblem auch im vorhergehenden Hauptstück behandelt: "Die Antinomie der reinen Vernunft". Denn der vierte "Widerstreit der transzendentalen Ideen" geht auf die Frage nach einem "schlechthin notwendigen Wesen" als Ursache der Welt ein; handelt also bereits vom ens necessarium, d. h. von dem, was, wie wir gesehen haben, den eigentlichen Schwerpunkt des Theologie-Hauptstücks bildet. Aber auch der dritte Widerstreit rührt zum Teil an ein Problem der philosophischen Gotteslehre, nämlich das Problem eines freien Ursprungs der Welt.

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Dieser auffallende Dispositionsfehler der transzendentalen Dialektik scheint durch die lange Entwicklung bedingt, durch die Kant bis zur Endredaktion seines Hauptwerkes hindurchgegangen ist. Wir haben im Kap. XIV gesehen, daß Kant bald nach der Veröffentlichung seines metaphysischen Werkes von 1762, das ganz der Gottesfrage gewidmet war, sich zu einer neuen Auffassung von Wesen und Methode der Metaphysik durchgerungen hat weit hinaus über die Frage nach dem, was das Mögliche ist, und nach seiner Begründung in einem notwendig Daseienden. Es ging ihm überhaupt um die Argumentationsweise der Metaphysik und um die Endbegriffe, zu denen die metaphysischen Fragen nach einer letzten Erklärung der Welt und des Ich führen (metaphysische Analyse) . Kant fand das Eigentümliche der metaphysischen Argumentation darin, daß sie in ihrem Versuch, das Gegebene zu analysieren, zu einer letzten Erklärung gelangt, die selbst gerade als letzte uns prinzipiell uneinsichtig bleibt. Die metaphysische Begründung führt also zu Grenzbegriffen, die problematisch sind, weil sie uneinsichtig sind. Solcherart sind sämtliche Begriffe der Realitäten, mit denen sich die rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie befassen, wie Kant sie in mehreren RR aufzählt: 3732, 3922, 3937, 3976, 3985, 4039, 4493. Die "necessitas entis absolute" und die "actio nulla ratione determinate" (R 3732) sind zwei davon. Nach der R 4039: "Der Begriff eines entis absolute necessarii ist ein conceptus terminator (weil wir alles Zufällige durch einen Grund als notwendig ansehen müssen und endlich die Bedingung wegfallen muß); und da die Bedingung der Verständlichkeit wegfallt, so ist er nach den Gesetzen der Vernunft nicht einzusehen, indem er in der Reihe möglicher Einsichten etwas ist in Verhältnis auf die Folgen und mit dem Nichts grenzt in Ansehung der Gründe. Der Begriff der Freiheit ist auch ein Grenzbegriff eines absoluten Anfanges ...". Die Begriffe der Metaphysik sind solche, die "durch sich selbst vollkommen sein" sollen; aber gerade diese Forderung der Vernunft widerspricht einer anderen fundamentalen Forderung derselben, daß sie nämlich als Vernunft nur durch die Rückführung eines Gegebenen oder Behaupteten auf ein anderes dieses sich begreiflich machen kann, wie es in der R 3985 heißt: "Wir

Vgl. Kap. XIV, 3.

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können nichts durch die Vernunft setzen, ohne es einem anderen zu subordinieren." In diesem Sinne ist Kant bereits in den 60er Jahren auf eine Antinomieproblematik gestoßen, die weit über die rein kosmologischen Probleme hinausgeht, wobei Antinomie den noch allgemeinen Sinn einer natürlichen Dialektik der Vernunft hat, die sich aus zwei gegensätzlichen Forderungen derselben ergibt, nämlich das Aufheben der Bedingung, die sie selbst verlangt (vgl. RR 3732, 3937, 4039). Aus diesem Grunde können die synthetischen Sätze, zu denen die analysis metaphysica gelangt, nur subjektive Geltung haben; sie vermitteln keine Einsicht in eine letzte Wirklichkeit, sondern zeugen vielmehr von den Verirrungen, in die die reine Vernunft gerät. In der R 4759, wo Kant von der "absoluten Synthesis" durch die Vernunft spricht, sagt er, daß die resultierenden Sätze "subjektiv notwendig sind als Prinzipien des Vernunftgebrauchs im Ganzen der Erkenntnis". Die allgemein vertretene These, die Benno Erdmann 1884 im Zusammenhang mit seiner Edition der Reflexionen Kants aufgestellt hat, daß nämlich die KrV aus der Antinomieproblematik herausgewachsen ist, und die im Brief Kants an Garve vom 21. DL 1798 eine ausdrückliche Bestätigung hat, muß dahin präzisiert werden, daß Kant zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung den Plan gefaßt hat, seine ganze Kritik an der metaphysica specialis als Antinomielehre zu behandeln M. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre hat Kant zwar die Probleme der rationalen Psychologie und Theologie ausgegliedert und zwei eigenen Hauptstücken zugewiesen, aber diese neue und angemessenere Gliederung seiner Kritik der Metaphysik nicht konsequent durchgeführt. Im Antinomien-Kapitel, das jetzt ein reines Kosmologie-Hauptstück hätte sein sollen - wobei Antinomie nunmehr den engeren Sinn von Widerstreit zweier kontradiktorischer Lehrstücke hat, die sich beide folgerichtig beweisen lassen -, sind Teile der früher zusammen behandelten pyschologischen und theologischen Probleme zurückgeblieben, nämlich diejenigen, die Kant im

" Vgl. Alfons KALTBB, Kants vierter Paralogismus, 1976, 83-86, 97, der sich auf die RR um die Mitte der 70er Jahre beruft; Kemp Smith in seinem Kommentar zur KrV, 436, und Giovanni B. SALA, "Bausteine zur Entstehungsgeschichte der KrV Kants", in: KS 78 (1987) 160 f.

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Zusammenhang mit den "conceptus terminatores" der reinen Vernunft namhaft gemacht hatte: die necessitas entis absolute und die actio nulla ratione determinata (R 3732). Oder, wie die R 3717 sich ausdrückt, das schlechterdings Zufallige (die freie Handlung) und das schlechterdings Notwendige; oder "der Begriff eines absolute necessarii" und "der Begriff der Freiheit" (R 4039), oder nach der R 4759: "Unbedingte Spontaneität der Handlung (libertas transscendentalis). Unbedingt notwendiges Dasein (necessitas absolute originaria)." Im folgenden soll kurz untersucht werden, inwiefern die dritte und vierte Antinomie es mit der Grottesproblematik zu tun haben und welche Elemente hier für eine Bejahung oder Verneinung der Existenz Gottes vorliegen.

2. Der theologische Sinn der Freiheitsantinomie Literatur Heimsoeth, Heinz, Zum kosmotheologischen Ursprung der Kantischen Freiheitsantinomie, in: Ders., Studien zur Philosophie Immanuel Kants. II (KS EH WO), Bonn 1970, 248-270.

Die dritte Antinomie handelt von der Frage, ob es in der Welt außer der Kausalität nach Gesetzen der Natur, die eine streng deterministische ist, noch eine "Kausalität durch Freiheit" gibt. Es ist prinzipiell die Frage nach der "Freiheit im Menschen", wie Kant selbst sich im zitierten Brief an Garve von 1798 ausdrückt (XII 257). Die in der Thesis bewiesene "transzendentale Freiheit" als "absolute Spontaneität der Handlung" aber ist solcherart, daß der Beweis der Freiheit im Menschen unter der Hand zum Beweis einer Freiheit wird, die sich als Ursprung der ganzen kausalen Verknüpfung in der Welt erweist. Dies aber kommt einem Beweis Gottes als freiem Schöpfer der Welt (oder zumindest als dem freien ersten Beweger) gleich. Der Grund dieses Überganges liegt in der Kantischen Konzeption der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, "eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen" (A 446). Da aber die ganze Natur ein einziges mechanisch wirkendes System, d. h. einen "durchgängigen Zusammenhang aller Begebenhei-

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ten" (A 536; auch 537) ausmacht, kann es in ihr kein Ereignis geben, das ein absolut erstes ist, insofern es mit keiner zeitlich vorhergehenden Erscheinung deterministisch zusammenhängt. Damit ist die freie Handlung, die "eine Reihe von suksessiven Dingen oder Zuständen von selbst" anfangt (A 448), ohne selber von einer anderen Begebenheit abhängig zu sein, ein schlechthin erster und allumfassender Anfang. Kant selbst räumt dies ein: "Nun haben wir diese Notwendigkeit eines ersten Anfangs einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich insofern dargetan, als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt erforderlich ist" (A 448). Die Grundperspektive der dritten Antinomie ist deshalb nicht der uns heute naheliegende Dualismus von Naturdeterminismus und Handlungsfreiheit des Menschen (moralische Freiheit), sondern der Dualismus von Naturdeterminismus und dynamischem Anfang der Welt überhaupt. In diesem Sinne spricht Kant von der "transzendentalen Idee der Freiheit" (A 448). Der Titel der hier oben angeführten Studie Heimsoeths weist genau auf diese eigene Perspektive Kants hin. Ist aber der Ursprung der Welt durch Freiheit gesichert, so ist es erlaubt, auch erste Anfange von Kausalverbindungen durch Freiheit auch innerhalb des Weltlaufes anzunehmen, d. h. "komparativ erste Anfänge". Letztere sind die freien und verantwortlichen Handlungen des Menschen M. Daß die These der dritten Antinomie von einer Kausalität durch Freiheit auf die These von einer freien Erstursache der Welt hinausläuft, erhellt u. a. auch daraus, daß Kant in der antiken Lehre von einem "ersten Beweger als einer frei handelnden Ursache" (A 450) eine Bestätigung der These sieht. Es wundert deshalb nicht, daß in den Vorlesungen über Metaphysik von Pölitz, näherhin im Kosmologie-Teil, der wie die ganze spezielle Metaphysik auf die Mitte der 70er Jahre zurückgeht, das Problem der Freiheit der Theologie zugerechnet wird: "Die Notwendigkeit der Natur kann aber nicht der Erklärungsgrund von allem allein

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Damit ist freilich die Grundaporie, wie eine und dieselbe Handlung des Menschen völlig frei und völlig determiniert sein kann, nicht behoben! Diese Handlung wäre frei, wenn sie einen absolut ersten Anfang in der Welt darstellen würde. Sie ist aber in der Tat selber determiniert, weil sie als ein bloß relativ erster Anfang mit zeitlich früheren Ereignissen zusammenhängt. Die Lehre vom doppelten Charakter im Menschen, auf den sich Kant in der Auflösung der dritten Antinomie beruft, bietet in der Tat keine Lösung.

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sein; der erste Grund des Entstehens muß durch Freiheit geschehen, weil nichts einen Grund zum Entstehen abgeben kann, als Freiheit, wovon in der Theologia rationalis ein Mehreres vorkommt" (XXVIII 200). In der Gotteslehre derselben Vorlesung heißt es: "Wir können Gott als die Ursache der Welt nicht anders annehmen, als durch Freiheit; denn nur durch Freiheit kann man anfangen zu handeln. Dieses ist das systema creationis oder productionis liberae, wo Gott eine Ursache der Welt, oder causa libera ist" (XXVIII 342). In der R 4493 um 1772 ist von drei Arten realen Verhältnisses die Rede; die erste ist die von Grund und Folge und zu ihr gehört der Begriff von "necessarium und sein oppositum: [letzteres ist] das absolute oder primum contingens Gibertas)".

3. Das Problem eines notwendigen Wesens in der vierten Antinomie Literatur Heimsoeth, Heinz, Metaphysische Gehalte in Kants vierter Antinomie, in: Ders., Studien zur Philosophie Immanuel Kants II (KS EH 100), Bonn 1970, 271-280. Baumanns, Peter, Kants vierte Antinomie und das Ideal der reinen Vernunft, in: KS 79 (1988) 183-200.

In der dritten Antinomie stand in der Reihe der veränderlichen Zustände in der Welt die Art ihrer Verursachung zur Debatte; in der vierten Antinomie steht die Daseinsart der Substanzen selbst im Zusammenhang mit der Daseinsart ihrer letzten Ursache zur Debatte (vgl. A 559). Von besonderem Interesse ist für uns die These des vierten Widerstreits, die ein "kosmologisches Argument" entwickelt, "um das Dasein eines notwendigen Wesens zu beweisen". Von den Veränderungen in der Welt, deren jede unter ihrer zeitlich vorhergehenden Bedingung steht, schließt das Argument über die vollständige Reihe der Bedingungen auf ein Absolutnotwendiges. Aber als rein kosmologischer Beweis läßt es unausgemacht, ob das notwendige Wesen "die Welt selbst, oder ein von ihr unterschiedenes Ding sei" (A 456).

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Wir haben hier also dieselbe Rekonstruktion des Kontingenzbeweises, die wir bereits im EmBg, III. Abtig, und im Theologie-Hauptstück der KrV, Abschnitt III und V, angetroffen haben. Der Beweis besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Schritten. Im zweiten Schritt soll die zuerst erschlossene absolut notwendige Existenz mit dem ens realissimum, also mit dem personalen transzendenten Wesen identifiziert werden, das wir meinen, wenn wir von Gott reden. Aber "um das letzte auszumitteln, dazu werden Grundsätze erfordert, die nicht mehr kosmologisch sind, und nicht in der Reihe der Erscheinungen fortgehen, sondern Begriffe von zufalligen Wesen überhaupt... und ein Prinzip, solche mit einem notwendigen Wesen, durch bloße Begriffe, zu verknüpfen, welches alles für eine transzendente Philosophie gehört, für welche hier noch nicht der Platz ist" (A 456) e. Was hält Kant hier der Identifikation des ens necessarium mit einem welttranszendenten vollkommenen Wesen entgegen? Der Text scheint auf zwei Argumentationswege hinzuweisen M. Erstens, im Abs. 3 der "Anmerkung zur vierten These" ist von der "Reihe von Erscheinungen und dem Regressus in derselben nach empirischen Gesetzen der Kausalität" die Rede. Es ist klar, daß auf der Grundlage der Lehre, derzufolge unsere Erkenntnis auf den Bereich der Erscheinungen beschränkt ist, und der Lehre vom Kausalitätsprinzip, wie es in der zweiten Analogie der Erfahrung dargelegt wurde, kein "Abspringen" über die Reihe der Erscheinungen hinaus möglich ist. Will man die Reihe der Ursachen, die zugleich eine regressive Zeitreihe ist, mit einer "obersten Bedingung" oder einer "schlechthin notwendigen Ursache" abschließen, so wird diese "in der Zeit angetroffen" und erweist sich somit als "das oberste Glied der Weltreihe" (Am Ende der Abs. 3 und 5). Zweitens, die Abs. 4 und 5 sehen den faux pas des kosmologischen Beweises nicht im Übergang von den Erscheinungen zu einem Ding an sich außer der Zeit, sondern eher im Übergang vom empi** Was Kant mit Argumentation anhand bloßer Begriffe meint, kann vielleicht erläutert werden durch die entsprechende Stelle zu Beginn der "Anmerkung zur Antithesis", wo Kant von Schwierigkeiten spricht, die "nicht auf bloße Begriffe ... gründen, und mithin nicht ontologisch sind" (A 457). ** Es ist mir nicht klar, ob Kant einen oder zwei Einwände erheben will: den einen auf der Grundlage der transzendentalidealistischen Grenzbestimmung und den anderen auf der Grundlage unseres Unvermögens, ein metaphysisch Kontingentes als solches zu erkennen. An sich sind es zwei verschiedenen Einwände.

Kritik aller Theologie aus spekulativer Vernunft

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risch Kontingenten, das wir in der Welt erkennen, zum metaphysisch KontingentenM. Ist dieser Übergang getan, dann ist gegen den Schluß auf ein metaphysisch transzendentes Wesen als Ursache der Welt nichts mehr einzuwenden. Nun richtet sich der Einwand Kants genau gegen diesen "Absprang": "die Sukzession entgegengesetzter Bestimmungen, d. i. die Veränderung, beweist keineswegs die Zufälligkeit nach Begriffen des reinen Verstandes und kann also auch nicht auf das Dasein eines notwendigen Wesens, nach reinen Verstandesbegriffen, fuhren" (A 460). M. a. W. die Weltdinge sind empirisch kontingent, insofern ihr Zustand veränderlich ist; könnten aber zugleich ihrem Dasein nach notwendig sein, d. h. notwendig existierende Substanzen! Es ist deshalb die metaphysische Kontingenz der Welt (daß sie so ist, daß sie auch nicht sein könnte und damit, daß sie den Grund ihrer tatsächlichen Existenz nicht in sich hat) im Unterschied zu ihrer rein physischen Kontingenz (d. h. daß in ihr Änderungen stattfinden, die als solche einer zeitlich vorhergehenden Ursache bedürfen, ohne daß wir auf diesem Weg zu einer Bedingung außer dieser empirisch-zeitlichen Verknüpfung gelangen können), die für Kant fraglich ist. Damit fehlt dem kosmologischen Argument die tragfähige Basis, um auf ein transzendent Daseinsnotwendiges zu schließen M.

M

Vgl. Kap. XVni, Kommentar zum Abs. 8. * Vgl. SCHMUCKER, "J. Moreaus Interpretation der Kantischen Gottesbeweiakritik: in «Le Dieu des philosophee»", in: Archiv für Geschichte der Philosophie 54 (1972) 46-61.

Vierter Teil Der moralische Grottesbeweis in den drei Kritiken und in der Religionsschrift

XXIII. Kapitel Der moralische Gottesbeweis in der transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft Literatur zum moralischen Gottesbeweis bei Kant Katzer, Ernst, Der moralische Gottesbeweis nach Kant und Herbart, Leipzig, Dies. 1877. Guttmann, Julius, Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwicklung (KS EH 1) Berlin 1906, 64-74. Kotsuka, Shinichiro, Die Gottesbeweise in der Philosophie Kants, Dies. Borna-Leipzig 1931, 89 ff. Whittemore, Robert, The Metaphysics of the Seven Formulations of the Moral Argument, in: Tulane Studies in Philosophy 3 (1964) 133-161. Walsh, W. H., Kant's Moral Theology, in: Proceedings of the British Academy. Bd 49, London 1963, 263-289. Den., Kant's Criticism of Metaphysics, Edinburgh 1975, § 39: The Moral Proof of God's Existence (229-236), § 40: Meaning and Truth in Moral Belief (236-241). Schmucker, Josef, Die primären Quellen des Gottesglaubens (Quaestiones disputatae, 34), Freiburg 1967, Kap. Ill: Das Kantische Postulat des Daseins Gottes als Lösung der Gottesfrage vom personalen Pol aus (142-180). Ders., Die positiven Ansätze Kants zur Lösung des philosophischen Gottesproblems, in: Kurt Krenn (Hrsg.), Die wirkliche Wirklichkeit Gottes, MünchenPaderborn 1974, 61-76. Wood, Allen W., Kant's Moral Religion, Ithaca and London 1970. Zeldin, Mary-Barbara, Principles of Reason, Degrees of Judgment, and Kant's Argument for the Existence of God, in: The Monist 54 (1970) 285-301. Dies., The Summum Bonum, the Moral Law and the Existence of God, in: KS 62 (1971), 43-54 (vgl auch in den Akten des 14. Internat. Kongresses der Philosophie, Wien 1970, Bd V, 533-534). Dies., Belief as a Requirement of Pure Reason: The Primacy of Kant's Moral Argument and Its Relation to the Theoretical Arguments, in: International Studies in Philosophy 6 (1974) 99-114. Ward, Keith, The Development of Kant's View on Ethics, Oxford 1972. Robinson, Jonathan, Hegel's Criticism of the Postulates of Practical Reason, in: Actes du Congres d'Ottawa sur Kant, Ottawa 1976, 234-252.

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Der moralische Gottesbeweis

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1. Das praktische Interesse der reinen Vernunft Die Vorausdeutung einer Moraltheologie im Sinne einer "Überzeugung vom Dasein eines höchsten Wesens, welche sich auf sittliche Gesetze gründet" (A 632a), die Kant im letzten Abschnitt des "Ideals der reinen Vernunft" mehrmals gemacht hat (Abs. 5, 14-15; und auch vorher, III, Abs. 9), wird im II. Hauptstück der transzendentalen Methodenlehre ausgeführt. Es ist hier nicht der Ort, die Entstehung der "transzendentalen Methodenlehre" als zweiten Teils der KrV nachzuzeichnen. Diese Teilfrage der Entstehung der ersten Kritik überhaupt liegt immer noch im Dunkeln auch deswegen, weil das betreffende Material im handschriftlichen Nachlaß Kants ziemlich spärlich ist. Vom Standpunkt des Inhalts aus läßt sich jedenfalls folgendes sagen: Die transzendentale Methodenlehre ist eine Sammlung verschiedener Abhandlungen über Themenkreise, die nicht direkt in den systematischen Plan der KrV paßten, die Kant aber als spezielle philosophische Prägen eigens behandeln wollte. Denn die Aufgliederung des Werkes - Ästhetik, Analytik und Dialektik - anhand der drei (HauptOVermögen unserer Erkenntnis war eigentlich nur für eine Erkenntnislehre und die entsprechende Seinslehre überhaupt zugeschnitten. Eines der Parerga zur Transzendentalphilosophie, das Kant besonders am Herzen lag, war dos praktische Interesse derjenigen reinen Vernunft, die er in seiner ersten (und zunächst einmal als einzigen gedachten) Kritik nicht berücksichtigen konnte. Ihm hat der Denker das zweite Hauptstück der transzendentalen Methodenlehre gewidmet unter dem mit dem Inhalt des Hauptstückes nur lose zusammenhängenden Namen vom "Kanon der reinen Vernunft". In diesem Hauptstück wird in groben Zügen eine Moralphilosophie und zusammen mit ihr eine "religionsphilosophische Skizze" entworfen '. "Der größte und vielleicht einzige Nutzen aller Philosophie der reinen Vernunft ist also wohl nur negativ", insofern das Resultat der Untersuchung unserer reinen Vernunft in der Elementarlehre der

1 Mit dieser Bezeichnung legte Albert SCHWBTTZEB den Gesichtspunkt fest, unter dem er im ersten Teil seiner Straßburger Doktorarbeit: Die Religionsphilosophie Kants von der KrV bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1899, das KanonHauptstack untersuchte.

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Der moralische Gottesbeweis

KrV war, daß diese Philosophie "als Disziplin zur Grenzbestimmung dient" (A 795). Es ist die "Grenze der Erfahrung", innerhalb deren allein unsere Vernunft in ihrem spekulativen Gebrauch zuständig ist. Trotzdem "ahndet" dieselbe Vernunft andere "Gegenstände", die ein großes Interesse für sie bei sich führen. Da aber diese Gegenstände auf dem Weg der Spekulation nicht zu erreichen sind, wird für die Vernunft vermutlich auf dem Weg "des praktischen Gebrauchs besseres Glück ... zu hoffen sein" (A 796). Im ersten Abschnitt des Kanon-Hauptstücks macht Kant die drei Gegenstände namhaft, denen das praktische Interesse unserer Vernunft gilt: "die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele, und das Dasein Gottes" (A 798). In ihnen liegt "der letzte Zweck des reinen Gebrauchs unserer Vernunft", wie die Überschrift des Abschnittes lautet (vgl. auch A 831, 852, B 7, 395a, usf.). Diese hier zum ersten Mal in der KrV erwähnte Trias wird im Umfeld der zweiten Kritik in den Vordergrund der Aufmerksamkeit Kants treten *. Aber schon jetzt stellt Kant die These auf, in der seine Grundeinsicht über den Menschen zum Ausdruck kommt, daß nämlich "die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur, bei der Einrichtung unserer Vernunft, eigentlich aufs Moralische gestellt ist" (A 801). An dieser Stelle läßt Kant die transzendentale Freiheit, d. h. die letzte Unabhängigkeit der Vernunft in ihrer Bestimmung des Willens als eine Frage fallen, die die Vernunft im praktischen Gebrauch nicht angeht (A 803) - sie betreffe "bloß das spekulative Wissen"! Infolgedessen sind die Fragen, denen "das praktische Interesse der reinen Vernunft" gilt, die nach Gott und einem künftigen Leben (A 803).

1

Im Abschnitt der KpV: "Über die Postulate der reinen praktischen Vernunft überhaupt" setzt Kant die drei transzendentalen Ideen aus der Dialektik der KrV (Seele, Welt und Gott) ohne weiteres den genannten drei Postulaten von Unsterblichkeit, Freiheit und Gott gleich (A 239 f = V 132 f), obwohl die Entsprechung der ersten zwei Paare zumindest nicht auf den ersten Blick einleuchtet. Man hat diese Postulate wegen ihrer fundamentalen Rolle die drei Dogmen, oder auch die drei Glaubensartikel der Aufklärung genannt. Vgl. "Das Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses der reinen praktischen Vernunft" in den Fortschritten der Metaphysik: A 115 = XX 298 f.

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2, Kommentar zum zweiten Abschnitt des "Kanons der reinen Vernunft" A] Der moralische Gottesbeweis Abs. 1-5. Der Ansatz zum Beweis liegt in den vielberufenen drei Fragen, in denen Kant "alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische)" vereinigt sieht: 1. Was kann ich wissen"! 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? Auf die vorangehende Elementarlehre mit ihrer sensualistischen Grenzbestimmung und insbesondere auf das Theologie-Hauptstück rückblickend stellt Kant fest, daß in Ansehung jener zwei vorher ermittelten Aufgaben (Gott und das künftige Leben) uns ein Wissen "niemals zuteil werden könne". Da aber das wissensmäßige oder theoretische Interesse nicht das einzige ist, von dem unsere Vernunft getrieben wird, untersucht Kant das moralisch-praktische, sowie das theoretisch-praktische Interesse unserer Vernunft, das sich in der zweiten bzw. dritten Frage ausdrückt, dahingehend, ob auf diesem Weg die zwei Probleme gelöst werden können, die im vorigen Abschnitt festgelegt wurden. Demzufolge wird der moralische Beweis von der Existenz Gottes und der Fortdauer unserer Existenz so angesetzt, daß zuerst die Frage nach dem Sollen (Abs. 6-9) und anschließend die Hoffnungsfrage in Angriff genommen werden (Abs. 10-13). Die Antwort auf die Hoffnungsfrage erweist sich als die positive Antwort auf die Frage nach der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit des Menschen. Die innere Verbindung der Sollens- und Hoffhungsfrage erhellt, wenn man den Sinn der dritten Frage expliziert. Sie fragt nämlich danach: "Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdann hoffen?" Die moralisch-praktische Komponente der Hoffhungsfrage fuhrt zur Beantwortung einer theoretischen, ja einer spekulativen Frage, d. h. zur "Erkenntnis" einer Wirklichkeit außerhalb der Erfahrung - was der Weg über das theoretische Wissen nicht vermochte s. Diese Verbin-

* Kant übernimmt hier Distinktion und Terminologie des VII. Abschnittes aus dem Theologie-Hauptstück, Abs. und 7: A 633-635. Dort hat er die theoretische Erkenntnis, "wodurch ich erkenne, was da ist" in spekulative Erkenntnis und Naturerkenntnis unterteilt, je nachdem der Gegenstand der theoretischen Erkenntnis außerhalb oder innerhalb unserer möglichen Erfahrung liegt.

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düng der Sollensfrage mit der Hoffnungsfrage wird erläutert mittels eines Parallelismus zur spekulativen Frage nach Gott, wie sie in der herkömmlichen Metaphysik gestellt wird: Die theoretiche Frage schließt darauf, daß etwas ist (Gott als oberste Ursache der Welt), weil etwas geschieht (es existiert die Welt, in der allerlei Geschehnisse stattfinden); die Frage nach der Hoffnung schließt darauf, daß etwas ist (Gott und Unsterblichkeit, die den letzten Zweck unseres moralischen Handelns, nämlich die Glückseligkeit, ermöglichen), weil etwas geschehen soll (unsere Handlungen gemäß dem Sittengesetz). Abs. 6-7. Die Erwähnung, daß "alles Hoffen auf Glückseligkeit geht", veranlaßt Kant, das Verhältnis des praktischen Gesetzes zur Glückseligkeit zu klären. Die Auffassung von der Glückseligkeit, die Kant hier vertritt, ist zunächst einmal empirisch: Die Glückseligkeit besteht in der Befriedigung aller unserer Neigungen, wobei diese Neigungen und die Naturursachen, "die ihre Befriedigung bewirken können", nur anhand der Erfahrung zu ermitteln sind. Die "praktischen Gesetze", die auf die Realisierung der so verstandenen Glückseligkeit abzielen, und für die deshalb die Glückseligkeit die Motivation darstellt, nennt Kant pragmatische Gesetze bzw. Klugheitsregeln 4. Ihnen werden die moralischen Gesetze gegenübergestellt. Beweggrund der ersteren ist die Glückseligkeit selber, der anderen die "Würdigkeit, glücklich zu sein". Die ersteren gebieten, bzw. raten, was zu tun sei, "wenn wir der Glückseligkeit teilhaftig werden wollen"; die anderen gebieten, "wie wir uns verhalten sollen, um nur der Glückseligkeit würdig zu werden", und zwar gebieten sie "schlechterdings", ohne Rücksicht auf empirische Zwecke und subjektive Motivationen. Ohne darauf den Leser aufmerksam zu machen, ja sehr wahrscheinlich ohne selber sich dessen klar bewußt zu sein, ist Kant durch den Begriff vom moralischen Gesetz zu einer anderen, nämlich zu einer rationalen Auffassung von der Glückseligkeit übergegangen. Von der so verstandenen Glückseligkeit sieht das moralische Gesetz nicht ab,

4 Vgl. bereits im Abs. 5 des vorigen Abschnittes: A 800. In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", 2. Abschnitt, wird Kant im Kontext seiner Lehre vom Imperativ die vorliegenden Andeutungen über das praktische Gesetz weiter entfalten und dabei drei Arten solcher Gesetze unterscheiden: die der Geschicklichkeit (technische Imperative), die der Klugheit (pragmatische Imperative) und die der Sittlichkeit (moralische Imperative): A 40-44 = IV 414-417.

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weil es mit ihr wesentlich zusammenhängt. Ausdrücklich heißt es im Abs. 11: "Das System der Sittlichkeit ist mit dem der Glückseligkeit unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden." · Abs. 8-9. Vom Faktum des moralischen Gesetzes geht Kant auf die Idee einer "moralischen Welt" über. Denn dem unbedingten Sollen des moralischen Gesetzes muß ein entsprechendes Können der gebotenen Handlungen entsprechen. D. h. die Prinzipien der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch haben objektive Realität: Sie sind Prinzipien wirklicher, d. h. realmöglicher Handlungen des Menschen. Die durch das Sittengesetz entstehende Welt ist eine moralische Welt, die zwar intelligibel ist, insofern sie vom Gesetz der reinen

5

Wir treffen bereits in dieser ersten Skizze einer Prinzipienlehre der Moral den am meisten fraglichen Punkt in der ganzen Ethik Kants an. So beredsam Kant ist, wenn es um die Einschärfung des moralischen Gesetzes als unbedingt gebietend, also als "kategorischer Imperativ", geht, so spärlich sind seine Ausführungen darüber, was wir tun sollen, nämlich die Auskunft über das Objekt des Sittengesetzes. Der ganze erste Abschnitt der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" entwickelt eine eindringliche Argumentation dahingehend, daß das Objekt unserer freien und verantwortlichen Handlungen sowohl als Materialobjekt (finis opens) als auch als Zweck (finis operands) keine Quelle der moralischen Qualifikation der Handlung darstellt. Damit bezieht Kant eine Position, die zu Recht Formalismus genannt wurde: ihr zufolge ist der Inhalt des moralischen Gesetzes aus der Form der Universalität desselben Gesetzes abzuleiten was sich freilich als ein unmögliches Unternehmen erweist. Dies ist aber, wie ebenfalle bekannt ist, nur die eine Hälfte der Ethik Kants. Denn mit dem Prinzip der Menschheit in der zweiten Formel des kategorischen Imperativs nach der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" geht Kant von einer inhaltsleeren Allgemeinheit des moralischen Gesetzes zu einer von der ersten Formel nicht ableitbaren "materialen Wertethik" über, in deren Mittelpunkt der Mensch als Person steht. Die ganze Problematik der Ethik Kants liegt nun darin, daß die zwei Hälften unvermittelt nebeneinander liegen. Denn für Kant ist das Prinzip der Allgemeinheit notwendiges und zureichendes Kriterium für die Moralität einer Handlung, so daß er in der Tat auf das MenschheitsPrinzip rekurriert (und rekurrieren muß !), um eine normative Ethik auszuarbeiten, gerade während er jegliches Objekt und Ziel von der Motivation der Handlung zugunsten des einzigen Allgemeinheit-Prinzips ausschließt. Hier stellt sich das erwähnte Problem folgendermaßen: Bestimmungsgrund unseres sittlichen Verhaltens soll nicht die Glückseligkeit (anders ausgedrückt: Die Vervollkommnung des Menschen) sein, sondern "die Würdigkeit, glücklich zu sein". Was sollen wir aber tun, um diese Würdigkeit zu erlangen? Kant würde antworten: Wir sollen das Sittengesetz um des Gesetzes willen einhalten. Aber, was gebietet dieses Gesetz? Solange wir dies nicht wissen, bzw. solange kein zureichendes Kriterium vorliegt, um dies zu ermitteln, können wir nicht danach handeln. Die Auskunft, Beweggrund des Sittengeeetzes sei allein "die Würdigkeit, glücklich zu sein", dient Kant offenkundig, dem sog. Eudaimonismus zu entgehen, läßt aber die Frage nach dem verpflichtenden Inhalt und Zweck unserer freien Handlungen unbeantwortet und damit auch die Frage, worin die genannte Würdigkeit besteht. Die Flucht nach vorne verfängt sich in einem Zirkelschluß.

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Vernunft abhängt, aber zugleich Einfluß auf die Sinnenwelt ausüben kann und soll, in der unser freies und verantwortliches Handeln stattfindet. Kant besteht hier auf der "systematischen Einheit", die die moralische Welt kennzeichnet. Es ist, wie im zweiten Teil des Beweises ausgeführt wird, die Einheit von Moralität und Glückseligkeit bzw. die Einheit sämtlicher Bedingungen eines moralischen Verhaltens des Menschen in der Welt. M. a. W. das moralische Gesetz gebietet unbedingt; also müssen die gebotenen Handlungen möglich sein. Dies aber setzt voraus, daß unsere Welt, in der wir zu handeln haben, letztlich eine intelligible Welt ist, in der Moralität und Natur übereinstimmen (weil, wie Kant im zweiten Teil des Beweises ausführt, die Moralität mit der Glückseligkeit und deshalb mit der Natur unzertrennlich verbunden ist). Eine solche Übereinstimmung ist aber ohne Gott und ein künftiges Leben nicht möglich. Abs. 10. Bisher hat Kant die moralisch-praktische Frage: "Was soll ich tun?" beantwortet. Das Besondere dieser Antwort liegt darin, daß sie eine wesentliche Verbindung von Glückseligkeit und Sittlichkeit statuiert, aber ohne daß die Glückseligkeit Bestimmungsgrund der sittlich guten Handlung wird (oder werden soll!). Kant faßt die Antwort in der Formel zusammen: "Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein." Diese Antwort führt von selbst zur anderen praktischen, aber zugleich theoretischen Frage, nämlich zur Hofihungsfrage: "Wie, wenn ich mich nun so verhalte, daß ich der Glückseligkeit nicht unwürdig sei, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch teilhaftig werden zu können?" Abs. 11. Kants Antwort auf diese Frage nimmt sich zunächst als eine reine Behauptung aus: "Ich sage demnach: daß ebensowohl, als die moralischen Prinzipien nach der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche notwendig sind, ebenso notwendig sei es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen Gebrauch anzunehmen, daß jedermann die Glückseligkeit in demselben Maße zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig gemacht hat." Hinter dieser zunächst einmal bloßen Behauptung steht, wie ich weiter unten ausführen werde, eine rationale Auffassung von der Sittlichkeit überhaupt; es steht, mit Kants Worten an unserer Stelle, die Einsicht, "daß das System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit

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unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden sei". Wie verhält es sich nun mit der Verwirklichung dieser Idee der reinen Vernunft? Abs. 12. In einer rein moralischen Welt, in der alle Handlungen vernünftiger Wesen gemäß den moralischen Gesetzen geschehen, würde sich die Verbindung von Moralität mit der ihr entsprechenden Glückseligkeit notwendigerweise ergeben *. In unserer Welt aber ist weder aus der Natur noch aus den freien Handlungen (die in der Tat nicht alle dem Sittengesetz gemäß geschehen) die notwendige Verbindung der Sittlichkeit (Glückswürdigkeit) mit der Glückseligkeit zu erwarten. Sie "darf nur gehofft werden, wenn eine höchste Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird". Abs. 13. Die soeben erwähnte höchste Intelligenz gilt also "als die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt, sofern sie [die Glückseligkeit] mit der Sittlichkeit ... in genauem Verhältnis steht". Kant nennt diese Intelligenz das Ideal des höchsten ursprünglichen Guts (moralische Vollkommenheit verbunden mit der höchsten Seligkeit); in ihm liegt der Grund der notwendigen Verknüpfung von Sittlichkeit und Glückseligkeit in einer moralischen Welt, der Grund also des höchsten abgeleiteten Guts. Eine solche moralische Welt, in der das höchste abgeleitete Gut Wirklichkeit ist, ist offensichtlich nicht unsere gegenwärtige Welt; sie ist also "eine für uns künftige Welt". Fazit: "Gott also und ein künftiges Leben, sind zwei von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auferlegt, nach Prinzipien eben derselben Vernunft nicht zu trennende Voraussetzungen". Damit ist der moralische Gottesbeweis, zusammen mit dem Beweis der Fortdauer des Menschen als Person, im wesentlichen abgeschlossen. Der Gedankengang des Beweises läßt sich nach folgenden Punkten artikulieren: 1. Es gibt moralische Gesetze, die unser Tun und Lassen als unbedingte Gebote bzw. Verbote bestimmen. 2. Die daraus

' Wie steht es aber in einem derartigen "System der sich selbst lohnenden Moralität" mit der Natur, von der ja unsere Glückseligkeit zum großen Teil abhangt, und die sich aber offensichtlich nicht nach unserer Moralität richtet? (Vgl. KpV A 204 f = V 113; A 224 = V 124).

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entstehende Sittlichkeit des frei handelnden Subjekts ist material identisch mit der Glücks Würdigkeit. 3. Sittlichkeit und Glückseligkeit des sittlich gut Handelnden sind also beide notwendig, d. h. sie sollen unbedingt verwirklicht werden, insofern beide wesentlich miteinander zusammenhängen. 4. Die Glückseligkeit setzt aber als Bedingung ihrer Möglichkeit die Existenz eines höchsten Wesens voraus, das den Ausgleich von Sittlichkeit und Glückseligkeit bewirkt, sowie auch ein künftiges Leben, in dem dieser Ausgleich stattfindet (= die Existenz einer intelligiblen, d. h. moralischen Welt). 5. Wie wir also im praktischen Gebrauch der Vernunft nach dem Sittengesetz handeln sollen, so müssen wir im theoretischen Gebrauch derselben Vernunft die Existenz Gottes und eines künftigen Lebens "annehmen", weil diese zwei Wirklichkeiten Voraussetzungen der unbedingten Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes sind. Der erkenntnistheoretische Status dieser "Annahme", zu der der moralische Gottesbeweis führt, wird weiter unten als "moralischer Glaube" erklärt (A 828). Indem wir die Glückseligkeit infolge unseres sittlichen Verhaltens hoffen dürfen, müssen wir die Wirklichkeit ihrer zwei Bedingungen annehmen. Daß es sich bei dieser "Annahme" nicht um ein Wissen handelt, hängt davon ab, daß der Ansatz dazu nicht ein Sein, sondern ein Sollen ist, das unserer Freiheit überantwortet ist.

B] Bestätigung des Beweises Abs. 14 bis 17 sowie auch Abs. 20 bestätigen den moralischen Gottesbeweis e contrario. Denn ohne die Annahme eines weisen Urhebers und Regierers der Welt "sieht sich die Vernunft genötigt ..., die moralischen Gesetze als leere Hirngespinste anzusehen, weil der notwendige Erfolg derselben, den dieselbe Vernunft mit ihnen verknüpft, ... wegfallen müßte". Abs. 17 wiederholt dieselbe Notwendigkeit "angemessener Folgen" (Abs. 14) aus der Einhaltung des moralischen Gesetzes: Es ist unmöglich (!), daß unser Lebenswandel sittlichen Maximen untergeordnet wird, "wenn die Vernunft nicht mit dem moralischen Gesetz ... eine wirkende Ursache verknüpft, welche dem Verhalten nach dem-

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selben einen unseren höchsten Zwecken genau entsprechenden Ausgang ... bestimmt. Ohne also einen Gott und eine ... gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstand des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfüllen" 7.

C] Moraltheologie und die Gottesbeweise aus spekulativer Vernunft Ab Abs. 18 bis Ende des Abschnittes arbeitet Kant den Gedanken weiter aus, daß "beide Stücke" unserer praktischen Idee, Sittlichkeit und Glückseligkeit, wesentlich verbunden sind. Von diesem Fall des Gutes, nämlich des "vollständigen" Gutes in der intelligiblen Welt als Fall von "systematischer Einheit der Zwecke" (A 813 f) - der Zwecke nämlich der Freiheit und der Natur im Hinblick auf die Glückseligkeit -, geht der Gedankengang zur Frage nach einer allumfassenden Zweckmäßigkeit über, die auch die Natur mit all ihren Gesetzen einbezieht. Haben wir von diesem Fall her einen Grund, die systematische Einheit des ganzen Weltalls (nämlich eine finalistische Einheit) zu vertreten, so wird der Physikotheologie dazu verhelfen, die Unzulänglichkeit ihres Ansatzpunktes zu überwinden *. Mehr noch, auch die transzendentale Theologie bekommt jetzt ihre Vervollständigung, wobei Kant eigentlich eher seine frühere Ontotheologie vor Augen hat: Die von der Moraltheologie her eingesehene "innere Möglichkeit der Dinge" kann nur in einer "höchsten ontologischen Vollkommenheit" gegründet sein (A 816). Dies bedeutet offensichtlich, daß unsere Gotteserkenntnis letztlich nicht auf der wahrge7

Vgl. auch die R 6858 aus der zweiten Hälfte der 70er Jahre: "Ohne Religion würde die Moral keine Triebfedern haben, die alle von der Glückseligkeit müssen hergenommen sein." Für weitere Stellenangaben bezüglich der Rolle der Glückseligkeit als Triebfeder zur Ausübung des Sittengesetzes vgl. M. ALBBBCHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 93, Anm. 293. * Genauer: eine ihrer Unzulänglichkeiten. In seiner Kritik am physikotheologischen Beweis hat Kant mehrmals darauf hingewiesen, daß die Einheit des Weltalls als Ansatz zum Beweis eines einzigen Urhebers nur eine fundierte Annahme, aber kein bewiesenes Faktum ist. Vgl. EmBg, III. Abtig, 4; KrV A 625 f.

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nommenen Ordnung und Einheit in der Welt beruht, sondern auf der praktischen Vernunft und auf der Möglichkeit dessen, was sie gebietet. Gerade deshalb wird diese Erkenntnis dem "moralischen Glauben" zugerechnet *. Die Moraltheologie hat vor der spekulativen Theologie den Vorzug, daß sie zum echten Begriff Gottes führt, dessen wichtigste Eigenschaften im Abs. 20 expliziert werden, insbesondere die Allgewalt und die Allwissenheit. In der KpV (A 249-252 = V 138-140. Vgl. auch KU, § 86, letzter Abs.; "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie", B 477 f = V 481 f; Religionsschrift, Vorrede zur ersten Aufl.: B VII f = VI 5) hat Kant die Lehre weiter ausgeführt, daß der Gottesbegriff wesentlich ein moralischer Begriff ist.

D] Eine systematische Überlegung zum moralischen Gottesbeweis in der Version der KrV Im Kanon-Hauptstück, zweiter Abschnitt, sieht Kant das Sittengesetz in einem wesentlichen Zusammenhang mit der Glückseligkeit als dessen "angemessenem Effekt" (Abs. 20. Vgl. auch Abs. 24). Voraussetzung dafür, daß dieser Effekt, der notwendig ist wie das Sittengesetz selbst, eintritt, ist ein "oberster Wille" bzw. eine "selbständige Ursache". Die Ursache des höchsten Guts, d. h. der "Glückseligkeit in dem genauen Ebenmaße mit der Sittlichkeit" (Abs. 19), ist deshalb dieselbe, die dem moralischen Gesetz "für uns verbindende Kraft geben kann" (Abs. 20). Damit hat Kant den Weg zu Gott über den praktischen Gebrauch der Vernunft beschritten, dessen Kern er bereits im Theologie-Hauptstück, Abschnitt VII, Abs. 5 festgelegt hatte, als er das Dasein Gottes als "Bedingung der Möglichkeit der verbindenden Kraft" des moralischen Gesetzes hinstellte (A 633 f) 10. Charakteristikum der vorliegenden Ausführung dieses Ansatzes sowie auch der späteren Fassungen des moralischen Gottesbeweises

' Johannes KBBN, Die Lehre von Gott, nach den Grundsätzen der kritischen Philosophie, Ulm 1796, 90. Zitiert nach M. ALBRECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 78, Anm. 248. u Vgl. auch in der R 6110 um 1783/84: "... moralische Gesetze muß ich anerkennen, mithin auch als unvermeidliche Hypothese das voraussetzen, ohne welches moralische Gesetze für vernünftige Wesen keine verbindende Kraft haben würden".

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ist, daß Kant das Dasein Gottes "postuliert", wie es an der zuletzt angeführten Stelle heißt, nicht direkt als Grund der unbedingten Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes, sondern als Grund des höchsten Guts, d. h. via jenes Zielobjektes (die Glückseligkeit), worauf der Sollensanspruch im Menschen wesentlich orientiert ist. Anders gesagt: Die Notwendigkeit, die Existenz Gottes anzunehmen, hängt mit dem Sittengesetz zusammen, insofern die Beobachtung des Gesetzes, also der moralische Wert, real identisch mit der Glückswürdigkeit ist. In der KrV fragt Kant nicht nach der Begründung der unbedingten Verbindlichkeit des Sittengesetzes, sondern nach der Verwirklichung dessen angemessenen "Ausgangs", nämlich des höchsten abgeleiteten Gutes. Aber dieser Ausgang wird so verstanden, daß ohne ihn die Verbindlichkeit des Sittengesetzes aufgehoben wird. Genau hierin liegt der springende Punkt und zugleich das Auszeichnende des moralischen Gottesbeweises nach der Fassung der ersten Kritik. Die Position Kants in der KrV bezüglich eines moralischen Gottesbeweises kann durch folgende Lehrstücke umrissen werden, in denen zugleich die treibenden Kräfte seiner künftigen Entwicklung enthalten sind: 1. Prinzipiell hält Kant in diesem Entwurf einer Fundamentalmoral an der These fest, daß das principium executionis (Ausübungsprinzip) der Sittlichkeit das moralische Gesetz allein ist (vgl. Abs. 6-7). Aber diese These leidet unter dem doppeldeutigen Begriff von der Glückseligkeit, auf den ich hingewiesen habe. Gemäß dem ersten, empirischen Begriff schließt Kant die Glückseligkeit als "Bewegungsgrund" des sittlichen Verhaltens aus. Gemäß dem zweiten, rationalen Begriff, demzufolge Sittlichkeit und "Würdigkeit, glücklich zu sein" material identisch sind, gilt die Glückseligkeit als wesentliche Bestimmung des Menschen, insofern dieser ein freies und verantwortliches Wesen ist (vgl. im Abs. 17: Die Sittlichkeit als Qualifikation des freien Handelns erfüllt "den ganzen Zweck" eines "vernünftigen Wesens" nicht). In dieser doppelten Auffassung von der Glückseligkeit liegt eine Spannung, die den moralischen Gottesbeweis tangiert, und die Kant später versuchen wird auszugleichen. Indem Kant darauf besteht, das reine Gesetz abgesehen von seinem Inhalt und Zweck sei Beweggrund der Sittlichkeit, bezieht er jene formalistische Position, die die Grund-

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legungsschriften zur Moral von 1785 und 1788 weiter entwickeln werden. Indem er zugleich dem Sittengesetz von der Verwirklichung der Glückseligkeit getrennt die Verbindlichkeit abspricht (vgl. hier weiter oben B]), bezieht er eine Position, die den Formalismus aufhebt. 2. Der zweite Begriff von der Glückseligkeit ist mit einer rationalen Auffassung von der Sittlichkeit verbunden. Die Sittlichkeit ist auf einen von der Vernunft a priori vorgegebenen bzw. anerkannten Zweck hingeordnet. Ein solcher Zweck ist sachlich mit der traditionellen "beatitudo" als letztem Zweck des Menschen identisch. 3. Infolgedessen ist die eigentliche und adäquate Motivation unseres sittlich guten Verhaltens die Verbindlichkeit des Gesetzes als des Gesetzes der Vervollkommnung des Menschen (Glückseligkeit). Beweggrund ist der unbedingte Sollensanspruch als Verpflichtung zum Guten, wobei das Gute das ist, was dem Menschen als Mensch in all seinen Komponenten betrachtet zuträglich ist. Die oben erwähnte Spannung liegt nun zwischen dem Ausschluß der Glückseligkeit von der Rolle eines Beweggrundes bzw. Zweckes des freien Handelns einerseits und der Einbeziehung der Glückseligkeit in die Sittlichkeit andererseits. Denn das erste Lehrstück drängt in Richtung auf den Formalismus und entzieht damit dem moralischen Gottesbeweis die Grundlage (wo kein materialer Zweck, da ist auch kein Grund, um Gott zu postulieren). Das zweite Lehrstück mit seiner rationalen Auffassung von Sittlichkeit und Wirklichkeit (sittlich guter Lebenswandel und Vervollkommnung des Menschen in seinem ganzen Wesen gehören letztlich zusammen) liefert die Basis für den Beweis, ist aber mit dem Formalismus unvereinbar. Die Zweideutigkeit der vorliegenden Position liegt also darin, daß Kant einerseits prinzipiell das Sittengesetz allein, ohne Rücksicht auf Glückseligkeit, als Beweggrund unseres Handelns statuiert; andererseits aber doch die unabdingbare Hinordnung des Sittengesetzes auf die Glückseligkeit in Anspruch nimmt als Grundlage für die notwendige Annahme der Bedingungen derselben Glückseligkeit (Gott und Unsterblichkeit).

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3. Der moralische Glaube Literatur Laos, Ernst, Kants Stellung in der Geschichte des Conflicts zwischen Glauben und Wissen. Eine Studie, Berlin 1882. Sänger, Ernst, Kants Lehre vom Glauben, Leipzig 1903. Ders., Neue Darstellung und Deutung der Lehre Kants vom Glauben, in: KS 12 (1907) 426-431. Rossman, Kurt, Über die Begrenzung von Glauben und Wissen in der KrV I. Kants, in: Beitrüge zur Kultur- und Rechtsphilosophie. Festgabe G. Radbruch, Heidelberg 1948. Holz, Harald, Philosophischer Glaube und Intersubjektivität. Zum Glaubensproblem bei L Kant und K. Jaspers, in: KS 68 (1977) 404-419. Hans-Olaf Kvist, Zum Verhältnis von Wissen und Glauben in der kritischen Philosophie I. Kants, Abo (Finnland) 1978. Sessions, William Lad, Kant and Religious Belief, in: KS 71 (1980) 455468.

Der letzte Abschnitt des Kanon-Hauptstücks: "Vom Meinen, Wissen und Glauben" bringt eine weit aufgefächerte Einteilung und Diskussion über die verschiedenen Arten von Erkenntnis. Von Interesse für uns sind die Ausführungen über den Glauben, näherhin über den moralischen Glauben. Glaube wird als ein Fürwahrhalten definiert, das objektiv unzureichend ist (ein "theoretisch unzureichendes Fürwahrhalten": Abs. 9), aber subjektiv für zureichend gehalten wird, indem es auf das praktische Interesse der Vernunft gegründet wird. Kant unterscheidet einen pragmatischen und einen moralischen Glauben, je nachdem ob das den Glauben begründende praktische Interesse beliebige oder notwendige Zwecke betrifft (Abs. 9). Diesen zwei Arten von Glauben wird eine dritte hinzugefügt, der doktrinale Glaube. Letzterer besteht in einem zwar bloß theoretischen Urteil, das aber im Interesse einer Erweiterung unserer spekulativen Erkenntnis gefallt wird; etwa der Glaube an Gott, wobei die Existenz Gottes als "Leitung in der Nachforschung der Natur" genommen wird (Abs. 13). Das Thema des "moralischen Glaubens" wird eigens in den Abs. 16-18 ausgeführt (A 828-830). Grundlage dieses Glaubens ist das Sittengesetz, kraft dessen "es schlechterdings notwendig ist, daß etwas geschehen muß", nämlich daß ich dem Sollensanspruch Folge leiste.

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Nun "hängt dieser Zweck" des moralischen Gesetzes "mit allen gesamten Zwecken zusammen" ", aber unter der Bedingung, daß "ein Gott und eine künftige Welt sei". Auf Grund der sittlichen Vorschrift werde ich deshalb "unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben, und ich bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könnte, weil dadurch meine sittlichen Grundsätze selbst umgestürzt werden würden". Wir haben hier genau dieselbe Position, die wir im vorigen Abschnitt im Kontext des moralischen Gottesbeweises angetroffen haben: Das Sittengesetz allein, getrennt vom höchsten Gut, d. h. getrennt vom Ausgang der Sittlichkeit und deren Voraussetzungen (Gott und künftiges Leben), stellt doch kein Ausübungsprinzip der Sittlichkeit dar. Im folgenden versucht Kant, den Status dieser "Erkenntnis" genauer anzugeben. Moralischer Glaube ist kein Wissen, weil das Wissen mitteilbar ist, insofern das Wissen seinen Grund im Objekt hat, das prinzipiell allen zugänglich ist ", während die Gewißheit des moralischen Glaubens "auf subjektiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht". Das Fazit des Kanon-Hauptstücks, in dem Kant einen Abriß des positiven Ertrags seines kritischen Unternehmens durch die Einbindung der Kritik der spekulativen Vernunft in das letztlich praktische Interesse der Vernunft entworfen hat, ist, daß die Aussichten der reinen Vernunft über die Grenzen der Erfahrung hinaus genau in den oben erwiesenen "zwei Glaubensartikeln" bestehen. Demjenigen, der entgegenhält, "so viel hätte auch wohl der gemeine Verstand ... ausrichten können", antwortet Kant mit einer Aussage, die programma-

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Mit dieser recht vagen Aussage meint Kant wohl die wesentliche Verbindung von Sittengesetz und höchstem Gut, wie aus dem vorigen Abschnitt hervorgeht. Außerdem spricht Kant an unserer Stelle (Abs. 16) von der "Einheit der Zwecke unter dem moralischen Gesetze". In der Tat enthält die Lehre vom höchsten Gut die Lehre, daß die gesamte Natur unter der Leitung des postulierten höchsten Wesens letztlich (in einer künftigen Welt) die Glückseligkeit des Menschen in genauer Proportion zu seiner Sittlichkeit herbeifuhren wird. Abs. 21 des vorigen Abschnittes sprach von der "systematischen Einheit der Zwecke" in einer moralischen Welt (A 815). a Vgl. Abs. 2, A 820. An dieser Stelle aber wird alles Fürwahrhalten im Sinne von Oberzeugung, d. h. ein Fürwahrhalten, das auf einem für jedermann gültigen Grund beruht (und dazu gehört nach der vorliegenden Einteilung auch der Glaube), als mitteübar definiert. In der Logik, Einleitung DC, dagegen wird der Glaube wegen seiner "bloß subjektiven Gründe" als eine nicht mitteilbare Oberzeugung definiert (IX 70). Zum Glauben vgl. auch die wichtigen Ausführungen in der KU § 91: B 462-464 = V 471-473 und hier unten Kap. XXIV, 6.

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tisch für seine Einstellung zum gemeinen Menschenverstand ist, was "die höchsten Zwecke unseres Daseins" anbelangt (B 395a), daß nämlich "die Natur, in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist, keiner parteiischen Austeilung ihrer Gaben zu beschuldigen sei, und die höchste Philosophie in Ansehung der wesentlichen Zwecke der menschlichen Natur es nicht weiter bringen könne, als die Leitung, welche sie [die Natur] auch dem gemeinsten Verstande hat angedeihen lassen" (A 830 f) 1S.

4. Die weitere Entwicklung in der Ethik und ihre Konsequenz für den moralischen Gottesbeweis Die weitere Entwicklung Kants im Bereich der Grundlegung der Ethik ging dahin, jegliches Element von Eudaimonismus und Heteronomie auszumerzen. Es ist hier nicht der Ort, diese Entwicklung nachzuzeichnen. Ich begnüge mich, mit einigen Hinweisen die Position zu klären, von der aus Kant eine Moraltheologie überhaupt entwerfen konnte im Sinne einer "Überzeugung vom Dasein eines höchsten Wesens, welche sich auf sittliche Gesetze gründet" (A 632a). Aus den Untersuchungen der letzten Jahrzehnte kann als gesicherte These angesehen werden, daß Kant bereits in der ersten Hälfte der 60er Jahre den Kern seiner Ethik festgelegt hatte, so wie sie in den ersten zwei Abschnitten der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der Analytik der KrV vorliegt. Neben der Lehre vom Sollen als unbedingter Verbindlichkeit ist das Prinzip der Übereinstimmung des allgemeinen Willens mit sich selbst zu erwähnen, das als rein formaler Bestimmungsgrund sowohl die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes als auch den Inhalt desselben begründet. Mit dieser Auffassung vom Sittengesetz als rein formalem Gesetz, bei der Kant das Rousseausche Staatsrechtsprinzip der volontä gonörale übernahm und verwandelte, verband sich konsequenterweise die Auffassung von der Autonomie als Grundzug des moralischen Gesetzes im Menschen.

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Vgl. in ähnlichem Sinne den letzten Abs. der Traume eines Geistersehers" sowie den Schhißabschnitt in der Dialektik der zweiten Kritik.

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Allerdings war dieser erste Entwurf der Ethik noch recht fragmentarisch und fast nur im Kontext anderer Themen. Es wundert deshalb nicht, daß Kant zunächst in der transzendentalen Methodenlehre der ersten Kritik, dann aber viel ausführlicher in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der KpV diesen Entwurf entfaltete und klärte. Aber gerade aus demselben Grund wundert es auch nicht, daß die ethische Position Kants im zweiten Teil der KrV noch zweideutig ist, insbesondere bezüglich des Begriffes der Glückseligkeit und des Objektes des Sittengesetzes. Die Grundlegungsschrift von 1785 mit ihrer ausführlichen Lehre vom Formalismus, der in der ersten Formel des kategorischen Imperativs gipfelt, und mit ihrer Lehre von der Autonomie des Willens als "oberstes Prinzip der Sittlichkeit" (A 87 = IV 440) stellte Kant vor die Notwendigkeit zu klären, inwieweit und in welchem Sinne das so verstandene moralische Gesetz uns ermöglicht bzw. uns nötigt, die Existenz Gottes anzunehmen. Denn der Formalismus trennt völlig die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes vom Objekt der freien und verantwortlichen Handlung, und zwar vom Objekt sowohl im Sinne dessen, was die Handlung direkt hervorbringt oder intendiert, und von dem sie spezifiziert wird (der sog. finis operis), als auch im Sinne dessen, was der Handelnde darüber hinaus sich als Zweck setzt und als zusätzlicher oder sogar alleiniger Grund der Handlung zur Konstitution derselben beiträgt (der sog. finis operantis). Die Argumentation Kants im ersten Abschnitt der "Grundlegung", die von der Lehre vom guten Willen als dem einzigen absoluten Wert auf das Prinzip der "allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt" schließt (A 17 = IV 402), verfolgt keinen anderen Zweck als die Ausschließung jeglichen Objekts von der Rolle einer Quelle der Moralität der Handlung. Der dort sog. "zweite Satz" enthält den Kern des Beweises: Der moralische Wert der Handlung stammt "bloß von dem [formalen] Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist". Oder, wie es kurz danach heißt, der unbedingte Wert der Handlung "kann nirgend anders liegen als im Prinzip des Willens, unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlungen bewirkt werden können" (A 13 f = IV 400).

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Die KpV wird drei Jahre später denselben Formalismus als den Kern der ethischen Prinzipienlehre bestätigen und weiter ausführen. Der erste Teil der "Analytik der reinen praktischen Vernunft", näherhin die ersten acht Paragraphen, argumentieren in vielen Windungen dahin, daß das moralische Gesetz nur ein rein formales Gesetz sein kann, wobei die gemeinte Form die der Allgemeinheit der Handlungen ist. Wenn deshalb ein Objekt (ein zu erreichender oder zu bewirkender Inhalt), was immer es auch sein mag, Bestimmungsgrund des Willens ist, so ist das sich ergebende praktische Prinzip moralisch schlecht. Das praktische Prinzip gehört in diesem Falle "unter das allgemeine Prinzip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit" (A 40 = V 22). Ganz im Sinne seines Formalismus schreibt Kant im Aufsatz von 1793: "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" folgendes: "Bei der Frage vom Prinzip der Moral kann die Lehre vom höchsten Gut... ganz übergangen und beiseite gesetzt werden" (A 213 f = VIII 280). Kant argumentiert durchgehend auf der Basis folgender Alternative: Was uns zum Handeln bewegt, sind entweder egoistische empirische Interessen oder aber die bloße Form des Gesetzes. Da nun aus den ersteren keine sittlich gute Handlung hervorgehen kann, so gerät Kants Begründung moralischer Normen in die Sackgasse eines leeren Formalismus. Nun aber ist die richtige Alternative zu den egoistischen Interessen m. E. nicht die bloße Form des Gesetzes (die Allgemeinheit), sondern die Wirklichkeit als metaphysisch gut, d. h. als der Achtung und Förderung wert je nach dem Maße, in dem etwas Wirklichkeit ist, näherhin die Wirklichkeit in ihrer Beziehung auf (zunächst) den Menschen als norma proxima moralitatis. Gerade dieses inhaltliche Prinzip schließt einen universalen Standpunkt ein, nämlich eine Forderung an alle vernünftigen Wesen, die einer freien Stellungnahme zur Wirklichkeit fähig sind. Von der ersten Formel des kategorischen Imperativs, in der Kant seine "Regel der Allgemeinheit" fixiert hat, ist der Übergang zum "Prinzip der Autonomie" (Grundlegung, A 88 = IV 440) in der dritten Formel nur kurz. Denn ein rein formales Prinzip, das auch die Rolle des Materialprinzips ausübt, ist schon deshalb von allem Vorgegebenen unabhängig. Gegen Ende des zweiten Abschnittes der "Grundlegung" nimmt Kant die Lehre von der Selbstgesetzgebung des Men-

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sehen wieder auf und bringt sie auf die Formel: "Die Autonomie des Willens als oberster Prinzip der Sittlichkeit" bzw. "das Prinzip der Autonomie ist das alleinige Prinzip der Moral" (A 87 f = IV 440. Vgl. auch KpV § 8). Im selben Kontext macht Kant klar, daß die Autonomie als Erklärung des Sollensanspruchs, unter dem der Mensch steht, als eine absolute zu verstehen ist; sie schließt konsequent jegliche Begründung der Eigengesetzlichkeit des Menschen in Gott (Theonomie) aus. Was war nun die Konsequenz dieser Radikalisierung des Formalismus und dieser Verabsolutierung der Autonomie für den Beweis Gottes, der sich auf das moralische Gesetz gründet? Im Aufsatz vom 1786: "Was heißt: Sich im Denken orientieren?" finden wir zum ersten Mal die Folge dieser Theorie des Sittlichen für die Moraltheologie ausgesprochen ":

14 Vgl. Eberhard Günter SCHULZ, Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik, Köln-Wien 1976, 167 f, Anm. 115, wo der Vf von den "Folgen der neuen Theorie Kants von Sittlichkeit und Freiheit [für die letztere verweist er vor allem auf den dritten Abschnitt der "Grundlegung". Gemeint ist die Lehre von der transzendentalen Freiheit und ihrem Verhältnis zur Moralität] für die Moralität" spricht. Allerdings sieht Schulz in seiner Darlegung der Entwicklung Kants nach 1781 zu wenig die Bedeutung des Formalismus gerade im Hinblick auf den moralischen Gottesbeweis. Ansonsten ist diese eingehende Quellenuntersuchung höchst lehrreich. Eines ihrer wichtigsten Resultate ist, daß sie die Inkonsequenzen Kants genau belegt, die bereits dessen Zeitgenossen zwischen dem Kanon-Hauptstflck der KrV und der "Grundlegung" bemerkt und ihm vorgeworfen hatten. Es war insbesondere der Tübinger Professor Johann Friedrich Flatt, der in seiner Besprechung der "Grundlegung" seine eigene Position, dergemäß die bloße Vorstellung des Sittengesetzes keine hinreichende Triebfeder zur Ausübung der Sittlichkeit liefert, mit der früheren Lehre Kants selbst untermauern wollte. Genau im Gegensatz zu dieser Lehre stand aber die Position, die Kant in der "Grundlegung" bezogen hatte. Dafür berief sich Flatt auf das, was Kant im Kanon-Hauptstuck geschrieben hatte: "da er [Kant] doch (KrV A 813) bei der Ableitung der natürlichen Theologie von der Moral dies als einen Hauptgrund gebraucht, daß ohne einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte, Welt die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung seien" (Schulz, ebd. 104 f). Schulz verfolgt die Entwicklung in der KpV und in der KU, wie Kant nämlich versucht hat, doch noch einen moralischen Gottesbeweis aufrechtzuerhalten, nachdem er die Verknüpfung von Sittengesetz und Existenz Gottes (als auch Fortdauer unserer Existenz) in der Weise, wie er sie im Kanon-Hauptstück verstanden, aufgegeben hatte. Zum Wandel in der Triebfeder-Lehre nach der KrV vgl. auch Dieter HKNHCH, Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: Die Gegenwart der Griechen im Neueren Denken (Festschrift Gadamer), hrsg. von D. Henrich, W. Schulz, K.-H. Volkmann-Schluck, Tübingen 1960, 106 f; M. ALBHBCHT, Kante Antinomie der praktischen Vernunft, 18, Anm. 11; 93, Anm. 293; 153, Anm. 472; 154, Anm. 474; L. W. BBCK, Kants KpV, 262.

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"Der reine praktische Gebrauch der Vernunft besteht in der Vorschrift der moralischen Gesetze. Sie führen aber alle auf die Idee des höchsten Gutes, was in der Welt möglich ist, so fern es allein durch Freiheit möglich ist: die Sittlichkeit; von der anderen Seite auch auf das, was nicht bloß auf menschliche Freiheit, sondern auch auf die Natur ankommt, nämlich auf die größte Glückseligkeit, so fei 11 sie in Proportion der ersten ausgeteilt ist. Nun bedarf die Vernunft, ein solches abhängiges höchstes Gut und zum Behuf desselben eine oberste Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut anzunehmen: zwar nicht um davon das verbindende Ansehen der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung abzuleiten ... ; sondern nur um dem Begriffe vom höchsten Gut objektive Realität zu geben, d. i. zu verhindern, daß es zusammt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet" (A 315 f = VIII 139). Es ist wichtig, die Spannung, die der zitierte Text enthält, genau zu erfassen. Einerseits behauptet Kant, das moralische Gesetz leite sein "verbindendes Ansehen" (vgl. die "verbindende Kraft" von KrV A 815 und 634!) nicht von der Wirklichkeit des höchsten Guts ab (und damit auch nicht von dessen Voraussetzung, nämlich der Existenz Gottes), andererseits aber räumt er ein, daß ohne die objektive Realität des höchsten Guts (und damit ohne die Existenz Gottes) die Sittlichkeit für ein bloßes Ideal gehalten wird (vgl. A 813: die "herrlichen Ideen der Sittlichkeit" ohne Gott und ein künftiges Leben sind unwirksam). Die Tendenz, die Moralität von ihrem Objekt (der Glückseligkeit im Sinne der Vervollkommnung des Menschen) zu trennen (= Formalismus) und damit auch die Autonomie des Menschen zu verabsolutieren, ist unübersehbar. Aber zu einer kohärenten Position mit all ihren Konsequenzen konnte sich Kant noch nicht durchringen ". Denn die logische Konsequenz von Autonomie und Formalismus ist, falls sie ernst genommen werden, keine andere als folgende, daß nämlich das Sittengesetz für uns verbindende Kraft behält, auch wenn es keinen Gott gibt (die Absolutheit der Pflicht als Eigengesetz-

" Wir werden sehen, daß auch in der dritten Kritik, wo Kant die ihm vorgeworfenen Aussagen aus der KrV ausdrücklich zurückzieht, die Spannung nicht völlig ausgeräumt wird ! Vgl. am Ende des Spinoza-Beispiels in der KU B 428 f = V 452 f.

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lichkeit des Menschen braucht ja keine Theonomie) und auch wenn die Einhaltung des Sittengesetzes nicht zur Glückseligkeit fährt (der Formalismus trennt ja völlig die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes vom Objekt oder Resultat der Handlungen). Wenn nun die absolute Autonomie des Menschen jegliche Verankerung des Sittengesetzes in Gott ausschließt, und wenn wegen des Formalismus die Ausrichtung des Sittengesetzes von seinem Wesen her auf die Glückseligkeit (Vollkommenheit) des Menschen verloren gegangen war, so blieb Kant nur ein Weg übrig, um das Sittengesetz mit Gott doch in Verbindung zu setzen, nämlich das Gebot aufzustellen: "Wir sollen das höchste Gut in der Welt befordern." Diesen Weg ist Kant in der KpV gegangen (vgl. A 225, 219 f = V 125, 122). Dieses unbedingte Gebot muß nun möglich sein. Da aber die Bewirkung der Glückseligkeit als Bestandteil des gebotenen höchsten Gutes nicht in unserer Macht steht, so müssen wir dazu die Existenz Gottes postulieren. Unter dieser Perspektive würde die Nicht-Existenz Gottes das Sittengesetz wohl nicht aufheben, sondern "nur" die Unrealisierbarkeit des (allumfassenden!) Objekts des genannten Gebotes nach sich ziehen. Was dies aber für Kant genau bedeutete, werden wir noch anhand seiner Texte zu klären haben. Eines aber ist sachlich bereits klar: Wenn das Sittengesetz als Eigengesetzlichkeit (Autonomie) den Menschen unbedingt verpflichtet, unabhängig davon, was aus seiner Einhaltung herauskommt (Formalismus), dann liefert es keine Grundlage, um die Existenz Gottes zu postulieren. D. h. Es gibt genau genommen keinen moralischen Gottesbeweis!

5. Die zwei möglichen Fassungen eines moralischen Gottesbeweises Es sind im Grunde nur zwei Fassungen eines moralischen Gottesbeweises möglich, insofern das Sittengesetz durch ein Doppeltes gekennzeichnet ist: 1) durch seine absolute Verbindlichkeit, 2) durch das Ziel, wohin es als Gesetz des freien Handelns tendiert.

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1) Die Version von der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes her Die erste Fassung fragt nach der Begründung der Verbindlichkeit. Es ist die am meisten bekannte Version des Beweises, an die wir spontan denken, wenn vom moralischen Gottesbeweis die Rede ist. Ihr Ansatz liegt im unbedingten Sollensanspruch, der sich im Gewissen kundtut: Sie fragt, worauf dieser Anspruch gründet. Näherhin ist es die Frage, ob ein endliches, bedingtes (kontingentes) Subjekt durch sich selbst oder durch andere bedingte Subjekte unbedingt beansprucht werden kann. Dieser Weg fuhrt zur Anerkennung, daß es ein absolutes Wesen geben muß, in dem Sein und Moralität ein und dasselbe sind, dessen Sein also der absolute Wert des guten Willens und das entsprechende Objekt (das Sein als gut) in einem ist. Gott wird als die letzte Begründung der Verbindlichkeit des Sittengesetzes im Menschen, oder, Kantisch gesprochen, des kategorischen Imperativs erkannt. Gott erschließt sich als der höchste Gesetzgeber. Eine solche Version des moralischen Gottesbeweises scheint Kant im Abschnitt VII, Abs. 5 des Theologie-Hauptstückes zu vertreten, wenn er das Dasein Gottes als "die Bedingung der Möglichkeit" der "verbindenden Kraft" der moralischen Gesetze postuliert (A 633 f). Ähnliches auch schon im Abs. 9 des III. Abschnittes (A 589) . Es handelt sich um einen durchaus rationalen Gottesbeweis, der als Pendant zum Kontingenzbeweis angesehen werden darf. Denn der Kontingenzbeweis im üblichen Sinne geht von der kontingenten materiellen Welt aus und fragt nach dem letzten Grund ihrer Existenz; der moralische Gottesbeweis geht von der kontingenten moralischen Wirklichkeit im Menschen aus (die nicht weniger Wirklichkeit ist als die materielle!) und fragt ebenfalls nach ihrem Grund. Deshalb ist das Resultat dieses zweiten Beweises eine nicht weniger rational gültige Erkenntnis als die Erkenntnis Gottes, die der Kontingenzbeweis im ersten Sinne uns vermittelt. Die rationale Geltung des moralischen Gottesbeweises hindert allerdings nicht, daß die Erkenntnis, zu der er führt (so wie auch u

An dieser letzten Stelle gilt Gott unzweifelhaft als principium executionis des moralischen Gesetzes. Denn ohne die Voraussetzung des höchsten Wesens würden "die Verbindlichkeiten ... ohne Triebfedern sein".

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schon die Erkenntnis auf dem Weg der Kontingenz der Welt!), auch als Glaube bezeichnet werden kann. Dies aus zwei Gründen. Erstens, weil unsere Erkenntnis des absolut transzendenten Wesens eine analoge Erkenntnis ist. Der Begriff Gottes, den wir bilden, um ihn dann infolge der Beweisführung in einem Urteil absolut zu setzen, wird von uns anhand der Welt, und ganz speziell anhand der geistigen Realität im Menschen gebildet ". In diesem Sinne besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Erkenntnis der Welt und der Erkenntnis Gottes, auch wenn in beiden Fällen die Erkenntnis durch ein rationales (= begründetes) Urteil stattfindet. Zweitens, weil beim Zustandekommen dieser Erkenntnis die Freiheit des Menschen eine unabdingbare Rolle spielt. Die Erkenntnis der Wirklichkeit überhaupt ist nicht das Resultat einer unpersönlichen Logik, sondern die Leistung eines intelligenten und rationalen Subjektes. Nun hängt der Vollzug des intelligenten und rationalen Momentes (= des erkenntnismäßigen Momentes) der Intentionalität vom freien und verantwortlichen Moment derselben ab, insofern derjenige, der erkennt, nicht eine abstrakte Intelligenz und Rationalität mit ihrer inneren Logik, sondern ein konkretes Subjekt ist, das im Vollzug des Erkenntnisprozesses aufgefordert wird, sich frei und verantwortlich an die inneren Gesetze der eigenen Intentionalität zu halten. Dies, was in allen unseren wahren Erkenntnissen stattfindet, gilt insbesondere im Falle der Erkenntnis Gottes, da ja die Bejahung Gottes der Bejahung eines absoluten Sinnes und Wertes gleichkommt, der unsere Existenz unbedingt angeht ". Im Falle der Erkenntnis Gottes gilt in besonderer Weise, daß die Freiheit ein inneres Moment in unserer Erkenntnis der Wirklichkeit ist 1 . Für eine solche rationale Erkenntnis ist der Terminus Glaube nicht unangemessen ".

17 u

Vgl. Kap. XXI zu Abs. 13-15 am Ende. "An einen Gott glauben heißt sehen, daß das Leben einen Sinn hat" (L. WrrroKNBTHN, Tagebücher, Eintragung vom 8. . 1916, in: Schriften, Frankfurt, 1960, Bd. I, 167.u Vgl. weiter oben Kap. XXI, die erste Fußnote zum Abs. 7. 10 Im dritten Abschnitt des Kanon-Hauptstücks, wo Kant den Begriff des moralischen Glaubens erläutert, besteht er eindringlich auf dem Zusammenhang zwischen gelebter Moralität und Glaube (an Gott und ein künftiges Leben): "Befestigt und vergrößert dieses Interesse [an der Moralität], und ihr werdet die Vernunft sehr gelehrig und selbst aufgeklärter finden, um mit dem praktischen auch das spekulative Interesse zu vereinigen" (A 829a f). Aber der Umstand, daß der intelligente und rationale Vollzug der Intentionalität (erkenntnismäßiger Vollzug) unter der Leitung des verantwortli-

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Da nun die Frage nach der Begründung des Sollensanspruchs sich uns unausweichlich aufdrängt, ist nicht verwunderlich, daß der sich daraus ergebende rationale Weg zu Gott auch bei Kant mehrmals vorkommt. Außer den schon erwähnten Stellen aus der KrV sei auch auf eine andere hingewiesen, die sich im letzten Abs. des zweiten Abschnittes des Kanon-Hauptstücks findet: "Wir werden, soweit praktische Vernunft uns zu führen das Recht hat, Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich [verbunden: Lesart Erdmann] sind" (A 819). Diese Aussage, die freilich nicht dem Duktus des Abschnittes entspricht, kann als Kurzfassung eines Gottesbeweises rein und direkt aus der unbedingten Verbindlichkeit des Sittengesetzes angesehen werden. Das Erste für uns ist der Anspruch des Gesetzes zum Tun und Lassen bestimmter Handlungen. Die Erklärung bzw. ontologische Begründung dieser geforderten freien und verantwortlichen Handlungen zeigt, daß ihre Verbindlichkeit nur göttlichen Ursprungs sein kann, daß sie also Gebote Gottes sind. Derselbe Gottesbeweis findet sich auch in mehreren RR, wenn auch mit verschiedenen Graden von Explizität: 4253, 4254, 6110 (ohne Gott haben die moralischen Gesetze "keine verbindende Kraft"), 6236. Auch im Opus postumum kommt der Gedanke einer Begründung der Pflicht in Gott mehrmals vor *. "Der Begriff von Gott ist der Begriff von einem verpflichtenden Subjekt außer mir" (XXI 15). "Der Realism der Idee von Gott kann nur durch den Pflichtimperativ bewiesen werden" (XXI 56). "Gott ist das Wesen, welches das reale Prinzip alles Pflichtbegriffes in sich enthält" (XXI 152). "Es ist ein Gott. Denn es ist eine Macht, die aber auch eine Verbindlichkeit für

eben Vollzugs derselben (moralischen) Intentionalitat stattfindet, bedeutet weder Ersatz für eine fehlende innere Rationalität des Erkenntnisprozesses selbst noch Zusatz für die mangelhafte Stichhaltigkeit desselben ! Dagegen KrV A 688 f. Vgl. Kap. XVIII, Kommentar zu den Abs. 7 und 9. 11 Vgl. bei A. WHITES, Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft, 145-147 eine reichliche Ansammlung von Stellen aus dem Opus postumum. Winter mochte aber diesen Gottesbeweis nicht als wesentlich verschieden vom Gottesbeweis unter Zuhilfenahme der Begriffe des höchsten Guts und der Glückseligkeit ansehen (vgl. hier unten Nr. 2), sondern als "eine Konzentration auf den immer schon zugrundeliegenden Kern des Gottesarguments'' (145).

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das Ganze vernünftiger Wesen bei sich fuhrt" (XXI 157). "Es ist ein Gott, denn es ist ein kategorischer Imperativ" (XXII 106). "Alle Menschenpflichten als göttliche Gebote vorzuschreiben liegt schon in jedem kategorischen Imperativ" (XXII 120). In dieselbe Richtung gehen auch die Stellen, an denen das Gewissen, insbesondere das schlechte Gewissen, als die Stimme eines transzendenten Richters erklärt wird. Vgl. KU § 86: B 416 = V 445 f; Metaphysik der Sitten, Tugendlehre § 13; Moralphilosophie Powalski: XXVII 197 ". Aber obwohl Kant den Beweis Gottes aus der Unbedingtheit der moralischen Verpflichtung kannte und mehrmals ausführte, ist nicht dieser der moralische Gottesbeweis, den er in allen drei Kritiken entwickelt und der dadurch, vor allem unter dem Namen "Postulat Gottes", eine große wirkungsgeschichtliche Bedeutung erhalten hat. Der Grund für Kants Abweichung von der gewöhnlicheren Version des Gottesbeweises aus der moralischen Verfassung des Menschen dürfte wohl seine Lehre von der Autonomie des Menschen sein. Die Art und Weise, wie Kant diese Autonomie des Gewissens verstand, schloß eine Begründung des Sollensanspruchs in einem transzendenten Gesetzgeber aus M.

2) Die Version vom Zielobjekt des moralischen Gesetzes her Die zweite Version des moralischen Gottesbeweises fragt nach der Realisierbarkeit des Zielobjekts, insofern das Sittengesetz das Gesetz der Verwirklichung der menschlichen Natur ist **. Es geht also um die Vervollkommnung des Menschen, oder, in der Sprache der Zeit, um seine Glückseligkeit als Resultat der Beobachtung des Sittengesetzes. Der Ansatz zur Gottesfrage im Kanon-Hauptstück leitet diese

" Vgl. Michael ALBRECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, § 17: "Die Frage nach Kants Vorlagen und der moralische Gottesbeweis", insbesondere 141-145. Es ist dies der Gottesbeweis "aus dem natürlichen Gewissenstrieb", wie CBUSIUS ihn nennt (Metaphysik § 232. Vgl. auch Ethik § 137). a Im Abschnitt über das Dasein Gottes als ein Postulat der praktischen Vernunft schreibt Kant: "hierunter wird nicht verstanden, daß die Annehmung des Daseins Gottes als eines Grundes aller Verbindlichkeit überhaupt notwendig sei (denn dieser beruht ... lediglich auf der Autonomie der Vernunft selbst)" (KpV A 226 = V 125 0M Vgl. weiter oben Nr. 2, D, 2. Abs.

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Version des Beweises ein. Denn, wie wir gesehen haben, liegt der Ansatz in der Frage: "Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdann hoffen?" (A 805). M. a. W. worauf zielt die unbedingte Forderung des Sittengesetzes ab? Der Hoffnungsfrage als Frage, die das praktische und theoretische Interesse der Vernunft zugleich ausdrückt, liegt die Einsicht zugrunde, daß die freie und verantwortliche Handlung des Menschen eine sinnvolle Handlung ist. Dies kann sie nur dann sein, wenn sie eine Wirklichkeit als Ziel hat, und zwar eine solche, die dem Menschen als Person zuträglich ist, ein bonum homini. Umgekehrt wäre eine Handlung, die zum Nichts tendiert, aus der also letztlich nichts herauskommt, bzw. für die es gilt, daß das Tun oder das Lassen auf genau dasselbe hinauskommt, eine sinnlose Handlung. Denn wo kein Zweck, da ist auch kein Sinn. Daß Kant diesen Weg zum Grottesbeweis gewählt hat, nachdem er sämtliche Beweise aus spekulativer Vernunft fallen gelassen hatte und zur Einsicht gekommen war, daß die moralische Verfassung des Menschen "ihn ohne Umschweife zu seinen wahren Zwecken führt", hängt gewiß damit zusammen, daß der Autonomie-Gedanke schon im Vordergrund seines Konzepts einer Grundlegung der Ethik stand. Es war ihm deshalb nicht möglich, vom moralischen Imperativ als solchem auf einen transzendenten Imperator zu schließen. Kant meinte jedoch denselben "moralischen Glauben" * vom Objekt des Sittengesetzes her begründen zu können. Demnach fragt er in der KrV nicht direkt nach der Begründung der verbindenden Kraft des moralischen Gesetzes, sondern nach der Verwirklichung seines angemessenen "Ausgangs", nämlich des höchsten abgeleiteten Guts **. Ausübungs* Träume eines Geistersehers, am Ende. Vgl. Kap. XIV, 5 zu Beginn. ** Die Kantische Version des moralischen Gottesbeweises kann auf folgende Kurzformel gebracht werden: "Wir müssen Gott als Bedingung der Möglichkeit zur Erlangung des Zieles eines schlechterdings gebietenden Gesetzes voraussetzen." Kant hat absichtlich den Umweg über das höchste Gut gewählt (was in der Tat auf den Umweg Ober die Glückseligkeit des Menschen hinauskommt), weil der direkte Weg über die absolute Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes die absolute Autonomie der praktischen Vernunft aufgehoben hätte. Aus diesem Grund halte ich die These Wnrrras für falsch, daß nämlich "der Begriff des höchsten Guts nicht zum eigentlichen Kern des Arguments [Kants] gehört, sondern eher als entbehrlicher systematischer Oberbegriff dient" (Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft, 148 Anm. 161). Was immer für die Version des moralischen Gotteebeweises in den Vorlesungen über Rationaltheologie aus den Jahren 1783-1784, auf die Winter sich beruft (sowie auch fur die Version, die ich selbst unmittelbar vorher, 5.1, belegt habe), gelten mag, gehört der Begriff des hoch-

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prinzip der Sittlichkeit ist, prinzipiell, das Gesetz allein als Gesetz der praktischen Vernunft, aber insofern es zugleich "Würdigkeit, glücklich zu sein" besagt, also insofern es mit der Glückseligkeit des Menschen zusammenhängt. Nach dieser Konzeption hängt der moralische Anspruch im Menschen wesentlich mit dem höchsten Gut zusammen, sodaß die Unrealisierbarkeit des letzteren die Sinnlosigkeit des Sittengesetzes nach sich zieht und damit die Verbindlichkeit desselben aufhebt. Das Sittengesetz ist von seinem Wesen her auf dieses Zielobjekt, näherhin auf die Glückseligkeit des Menschen gerichtet. Aber diese wesentliche Verbindung von Sittlichkeit und Glückseligkeit, die an sich einen tragfähigen Gottesbeweis begründet, hatte zur Folge, daß die Autonomie des Gesetzes als Gesetzes der menschlichen Vernunft allein nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Denn sollte die der Sittlichkeit proportionierte Glückseligkeit nicht realisierbar sein (und dies ist in der Tat der Fall, wenn es keinen Gott gibt), dann würde das Sittengesetz keine verbindende Kraft mehr haben, wie Kant im moralischen Beweis der KrV ausdrücklich anerkannt hat (Kanon-Hauptstück, zweiter Abschnitt, Abs. 17 und 20). Dies bedeutet aber, daß die verbindende Kraft des moralischen Gesetzes nicht von der menschlichen Vernunft (allein), sondern vom dem abhängt, der imstande ist, das höchste Gut zu verwirklichen. Bei näherer Betrachtung der zweiten Version des moralischen Beweises erhellt also, daß sie keine Alternative zur ersten Version darstellt. Denn unsere Vernunft kann nicht in voller Autonomie ge-

aten Guts zum Kern des Arguments, und zwar nicht bloß in der zweiten Kritik, sondern in allen drei. Auf dem historischen Hintergrund der verschiedenen Formen eines moralischen Gottesbeweises, die Kant vor Augen hatte oder hätte haben können, schreibt Albrecht, daß "die Begründung des moralischen Gottesbeweises in der KpV [aber dasselbe gilt, unter dieser Rücksicht, auch für die anderen Kritiken] aus dem Problem des höchsten Gutes in einem so hohen Maße Kants eigene Leistung gewesen zu sein scheint, daß es wohl nicht möglich sein dürfte, einen bis in die KpV hinein wirkenden Einfluß älterer Vorlagen ... festzustellen". Positiv sieht Albrecht die Eigenart des Beweises Kants darin, "daß er allein in der Annahme des Daseins Gottes (nicht auch der Unsterblichkeit der Seele) [letzteres gilt für die KpV mit ihrem besonderen Argument für die Unsterblichkeit, nämlich das Gebot der Heiligkeit] die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Tugend und Glückseligkeit sieht, ... daß er die Annahme des Daseins Gottes nicht mehr unmittelbar (mit Hilfe des Begriffe der Triebfeder) mit der Möglichkeit der Ausübung der Sittlichkeit verknüpft" (M. ALBHECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 146 f). Es bleibt aber die Frage, ob nich doch der Weg über das höchste Gut (und damit über die Glückseligkeit) mittelbar mit dem Weg über die Begründung der Verbindlichkeit selbst in Gott unzertrennlich zusammenhängt !

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bieten, wenn die Verwirklichung ihres Gebots auch von einem anderen Willen abhängt. Im Falle des höchsten Guts als des umfassenden Objekts des Sollens läuft der Beweis Gottes als Voraussetzung für die Verwirklichung des höchsten Guts, näherhin der Glückseligkeit in Proportion zur Tugend des Menschen, auf folgendes Dilemma hinaus: a) Entweder vertritt man einen wesentlichen Zusammenhang zwischen moralischem Gesetz und höchstem Gut; dann hat das moralische Gesetz verbindende Kraft nur, wenn das höchste Gut realisierbar ist, also doch abhängig von Existenz und Willen des höchsten Wesens. Dies war die Position Kants in der KrV. Diese Position mußte Kant aufgeben, sobald er die Lehre der absoluten Autonomie des Menschen als moralischen Wesens ausgeführt und damit das moralische Gesetz als Gesetz unserer reinen praktischen Vernunft zum alleinigen Beweggrund (principium executionis) des guten Willens gemacht hatte. b) Oder hält man die Verknüpfung zwischen moralischem Gesetz und höchstem Gut für nicht wesentlich; dann ist zwar die Autonomie in salvo, aber der angebliche moralische Gottesbeweis läuft darauf hinaus, die Existenz Gottes als Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts in dem Sinne vorauszusetzen, daß, auch wenn es keinen Gott gäbe und damit das höchste Gut unrealisierbar wäre, der unbedingte Sollensanspruch immer noch gelten würde. Wenn aber das moralische Gesetz so verstanden wird, daß es, wie immer sein Endresultat für den Menschen sein mag, den Menschen absolut in Anspruch nimmt, dann liefert es in der Tat keine Grundlage, um die Existenz Gottes zu postulieren - weder von seiner Verbindlichkeit her noch von seinem Ziel her (es hat in der Tat kein Ziel!). M. a. W. die Aufhebung des Junktims: Sittengesetz - höchstes Gut (bzw. Glückseligkeit) hebt den moralischen Gottesbeweis auf". Die zunächst einmal andere zweite Version des moralischen Gottesbeweises läuft also auf die erste hinaus: Wir vermögen Gott rational als Bedingung der Möglichkeit der Glückseligkeit zu postulieren, weil ein absolut gebietendes Gesetz nicht ohne Ziel sein kann; eine absolute Verbindlichkeit aber kann nur in einem absoluten Wesen gegründet sein.

Vgl. dieselbe Bemerkung bereits am Ende von Nr. 4.

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Es war sehr wahrscheinlich die Erarbeitung des Formalismus in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der Analytik der KpV, die Kant unmitttelbar dazu veranlagte, eine neue Version des moralischen Gottesbeweises zu entwickeln, in der Gott immer noch via höchstes Gut postuliert wird, aber aus einem anderen Grund als in der Version der KrV. Nach dem Entwurf im Aufsatz von 1786 ("Sich im Denken orientieren". Vgl. oben Nr. 4) finden wir diese zweite Version des Beweises in der Dialektik der KpV. Daß aber auch diese Version im Gegensatz zu Kants Prinzipienlehre stand, ist dem Philosophen nur allmählich klar geworden. Daher zeichnen sich seine späteren Fassungen des Beweises in der dritten Kritik und in der Religionsschrift durch wiederholte Versuche aus, Formalismus und Gottespostulat in Einklang zu bringen. Da nun ein solches Unternehmen sachlich unmöglich ist, wundert es nicht, daß Kant zwischen Bejahung der Existenz Gottes im Zusammenhang mit der Glückseligkeit des Menschen und Aufgabe dieser Voraussetzung mit der sich ergebenden völligen Nichtigkeit als Endresultat der moralischen Existenz des Menschen hin und her schwankt.

XXIV. Kapitel Der moralische Gottesbeweis in der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft Literatur Aus den bibliographischen Angaben zum moralischen Gottesbeweis zu Beginn des vorigen Kap. vgl. insbesondere: Beck, L. W., Kants KpV. Ein Kommentar, 232-244, 250-258. Albrecht, Michael, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, § 17: "Die Frage nach Kants Vorlagen und der moralische Gottesbeweis". Das Buch als ganzes ist durch eine gründliche Analyse wichtiger Abschnitte der Dialektik der zweiten Kritik und die Bearbeitung einer umfangreichen Sekundärliteratur für die verschiedenen Aspekte und Probleme des Kantischen moralischen Beweises von entscheidender Bedeutung. Casula, Mario, Studi kantiani sul trascendente, Milano 1963, III. Teil: "La fondazione del trascendente su basi morali: il mito del primato della ragion pratica" (165-218).

1. Eine praktisch begründete Metaphysik Der Kontext, in dem Kants zweite Kritik die Moraltheologie wiederaufnimmt, ist die Dialektik der reinen praktischen Vernunft. Es ist dies der Teil, in dem sich das eigentlich Neue der KpV gegenüber der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" findet. Mit seinem Werk von 1785 hatte Kant seine Theorie des Sittlichen vorgelegt, nämlich die sog. "kritische" Ethik. In der Tat aber, wie die Untersuchungen zur Entstehung der Ethik Kants in den letzten drei Jahrzehnten erwiesen haben ', ist diese Ethik in ihrem eigentümlichen Kern nichts anderes als die Ausarbeitung einer Position, die Kant während der ersten Hälfte der 60er Jahre in einer intensiven Auseinanderset1 Vgl. insbesondere die Analyse der vorkritischen Schriften Kants in J. SCHMUCKER, Die Ursprünge der Ethik Kants, Meisenheim am Glan 1961; und weiter oben Kap.

xxra, 4.

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zung mit Autoren der Zeit (Wolff, Crusius, Hutcheson und Rousseau) erreicht hatte. Denn um die Zeit der Veröffentlichung der "Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik" standen die Grundelemente der Ethik Kants bereits fest, unabhängig vom noch weit entfernten transzendentalen Idealismus der KrV: Der kategorische Imperativ, die unbedingte Verpflichtung durch ein rein formales Gesetz, die Autonomie, das moralische Gefühl als "empfundene Nötigung unseres Willens zur Einstimmung mit dem allgemeinen Willen" ("Träume eines Geistersehers", A 42 f = II 335). Daß Kant nur wenige Jahre nach der "Grundlegung" ein zweites Werk über die Fundamente der Moral verfaßte, nämlich die von Intention und Plan der KrV nicht vorgesehene KpV a, dürfte u. a. aus seiner Absicht zu erklären sein, die zahlreichen Einwände zu beantworten, die inzwischen gegen seine "Grundlegung", aber auch gegen die KrV (insofern letztere Positionen bezogen hatte, die Konsequenzen für eine Morallehre hatten) erhoben worden waren, sowie auch Mißverständnisse auszuräumen. In der Tat legt die Analytik der KpV dieselbe Theorie der Sittlichkeit wie die "Grundlegung" dar, klärt aber und entwickelt weiter mehrere Lehrstücke: z. B. das Sittengesetz als ein rein formales Gesetz (das Gesetz der Allgemeinheit) und seine Funktion als einziges Ausübungsprinzip der Moral. Einem der genannten Einwände ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Dialektik der zweiten Kritik zu verdanken, in der Kant, über die Theorie des Sittlichen hinaus, seine praktisch begründete Metaphysik vorlegte als "Ergänzung" bzw. Ersatz dessen, was er in der KrV der spekulativen Vernunft abgesprochen hatte. Denn die sensualistische "Grenzbestimmung" unserer Erkenntnis, die die KrV vorgenommen hatte, machte einen rationalen Zugang zu den metaphysischen Fragen unmöglich, insbesondere zu den Fragen nach den "höchsten Zwecken unseres Daseins" (B 395a) s. Kein Wunder des-

1 Trotz spaterer gegenteiliger Äußerungen Kants, etwa im Brief an Carl Friedrich Stfiudlin vom 4. 6. 1793 im Zusammenhang mit den drei (bzw. vier) Fragen, bei denen auch die erste Fassung des moralischen Gottesbeweises in der KrV angesetzt hatte. Erst nachtraglich hat eich Kant den Plan von drei Kritiken als sein "ganzes kritisches Geschäft" umfassend ausgedacht, wie er am Ende der Vorrede der dritten Kritik behauptet. Vgl. eine ähnliche Bemerkung zur Stellung der Religionsschrift im Gesamtwerk Kants bei Max WUNDT, Kant als Metaphysiker, Stuttgart 1924, 437. 1 Es sind die drei Gegenstände, denen nach dem Kanon-Hauptstück (bereits in der ersten Auflage!) das praktische Interesse unserer Vernunft gilt. An der zitierten Stel-

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halb, daß die Reaktion mehrerer Leser der ersten Kritik sich gegen diese Grundlehre der Kantischen Transzendentalphilosophie wandte. So war der Berliner Theologe Johann Joachim Spalding sehr beunruhigt darüber, das Kant "das absolute Unvermögen der spekulativen Vernunft" vertreten hatte, "das Dasein von etwas Übersinnlichem zu beweisen" 4. Die Dialektik der KpV, näherhin die Postulatenlehre, sollte nun in den Augen ihres Verfassers, "besser als alle Kontroverse ... die Ergänzung dessen, was ich der spekulativen Vernunft absprach, durch reine praktische und die Möglichkeit derselben [Ergänzung] beweisen und faßlich machen, welches doch der eigentliche Stein des Anstoßes ist, die jene Männer nötigt, lieber die untunlichsten, ja gar ungereimten Wege einzuschlagen, um das spekulative Vermögen bis aufs Übersinnliche ausdehnen zu können, ehe sie sich jener ihnen ganz trostlos scheinenden Sentenz der Kritik unterwürfen"'. Beide Ergebnisse, die Grenzbestimmung der KrV und die Ergänzung der KpV, bilden eine Einheit, für die Kant selbst gegen Ende des Dialektik-Teils der zweiten Kritik den klarsten Ausdruck gefunden hat: "Spekulative Einschränkung der reinen Vernunft und praktische Erweiterung derselben bringen dieselbe allererst in dasjenige Verhältnis der Gleichheit, worin Vernunft überhaupt zweckmäßig gebraucht werden kann" (A 255 = V 141).

2. Der Begriff vom höchsten Gut in der KpV Literatur zum höchsten Gut Spaemann, Robert, Artikel 'Gut, höchstes' in Hist. Wb der Phil. 3, 973976.

le - einem Zusatz der zweiten Auflage - heißt es: "Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.'' Dieselbe Trias als eigentliche Aufgabe der Metaphysik auch im § 91 der KU: B 466 = V 473. Vgl. Kap. 3 , 1. * Brief Spaldings an Kant vom 8. . 1788. ' Brief Kante an Christian Gottfried Schütz vom 25. VI. 1787. Dieselbe Idee von einer "Ergänzungs"-Funktion der praktischen Vernunft kommt wieder in der KpV A 220 f = V 122 (auch A 215 = V 119), in der KU, § 86: B 418 = V 447, sowie im Opus postumum, XXI 419 f, vor.

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Arnoldt, Emil, Über Kants Idee vom höchsten Gut (1874), in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Otto Schöndörffer, Bd. 2. Berlin 1907, 196-228. Döring, August, Kants Lehre vom höchsten Gut. Eine Richtigstellung, in: KS 4 (1900) 94-101. Miller, E. Morris, The Moral Law and the Highest Good, Melbourne 1928. Brugger, Walter S. J., Kant und das höchste Gut, in: ZphF 18 (1964) 5061. Hirsch, Eike Christian, Höchstes Gut und Reich Gottes in Kants kritischen Hauptwerken als Beispiel für Säkularisierung seiner Metaphysik, Heidelberg, Diss. 1969. Silber, John R., Kant's Conception of the Highest Good as Immanent and Transcendent, in: The Philosophical Review 68 (1959) 469-492. Dt: Immanenz und Transzendenz des höchsten Gutes bei Kant, in: ZphF 18 (1964) 386-407. Zur Bedeutung der Interpretation Silbers und zur Diskussion, die sich daran anschloß, vgL Albrecht (weiter unten), 48 f. Ders., The Importance of the Highest Good in Kant's Ethics, in: Ethics 73 (1962/63) 179-197. Dt: Die metaphysische Bedeutung des höchsten Gutes als Kanon der reinen Vernunft in Kants Philosophie, in: ZphF 23 (1969) 538-549. Murphy, Jeffrie G., The Highest Good as Content for Kant' Ethical Formalism. Beck versus Silber, in: KS 56 (1965/66) 102-110. Barnes, Weygandt Gerald, In Defense of Kant's Doctrine of the Highest Good, in: The Philosophical Forum NS 2 (1970/71) 446-458. Diising, Klaus, Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie, in: KS 62 (1971) 5-42. Dazu: Michael Albrecht, "Glückseligkeit aus Freiheit" und "empirische Glückseligkeit". Eine Stellungnahme, in: Akten des 4. Internat. Kant-Kongresses, Berlin 1974, H, 2, 563-567. Auxter, Thomas, The Unimportance of Kant's Highest Good, in: Journal of the History of Philosophy 17 (1979) 121-134. Yovel, Yirmiahu, The Highest Good and History in Kant's Thought, in: Archiv f. Geschichte d. Phil. 54 (1972) 238-283. Albrecht, Michael, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim 1978; § 7: "Das Problem des höchsten Gutes" (Zur Geschichte der Interpretation und Rezeption des Kantischen Begriffes); § 11: Die Lehre Kants vom höchsten Gut speziell in der KpV; § 12: "Der Sinn des synthetischen Charakters der Verbindung zwischen Tugend und Glückseligkeit (KpV A 198-203)"; § 18: In welchem Sinne das Sittengesetz von der Möglichkeit des höchsten Gutes abhängt. Siehe auch S. 236-238 Literatur zum höchsten Gut. Heidemann, Ingeborg, Das Ideal des höchsten Guts. Eine Interpretation des Zweiten Abschnittes im "Kanon der reinen Vernunft", in: Beiträge zur KrV 1781 * 1981, hrsg. von I. Heidemann und W. Ritzel, Berlin 1981, 233-305. Fischer, Norbert, Tugend und Glückseligkeit. Zu ihrem Verhältnis bei Aristoteles und Kant, in: KS 74 (1983) 1-21.

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Anderson-Gold, Sharon, Kant's Ethical Commonwealth: The Highest Good as a Social Goal, in: Internat. Phil. Quarterly 26 (1986) 23-32. Kramling, Gerhard, Das höchste Gut als mögliche Welt. Zum Zusammenhang von Kulturphilosophie und systematischer Architektonik bei I. Kant, in: KS 77 (1986) 273-288.

A] Höchstes Gut und Antinomie der praktischen Vernunft Die Kantische Version des moralischen Gottesbeweises hat, wie bereits im vorigen Kapitel ausgeführt, ihren Ansatz nicht in der unbedingten Verbindlichkeit des Sittengesetzes, sondern im höchsten Gut als dem umfassenden Gegenstand unserer freien und verantwortlichen Handlungen. In der Tat aber haben sich sowohl die Art und Weise, wie Kant das höchste Gut auffaßt, als auch die Rolle des höchsten Guts in der Ethik, speziell im moralischen Gottesbeweis, im Laufe der Jahre entwickelt und modifiziert, so daß es nicht möglich ist, sie auf eine einzige Formel zu bringen. Aus der neueren Sekundärliteratur verweise ich diesbezüglich auf die Studien von Silber, Düsing und insbesondere Albrecht. Hier beschränke ich mich auf einige Aspekte des Begriffes vom höchsten Gut in der KpV. Eine Konstante ist zu erwähnen, die sich in den wechselnden Äußerungen Kants zum höchsten Gut durchgehalten hat, daß nämlich, wie es in der R 6584 aus der Mitte der 60er Jahre heißt, "die Glückseligkeit und das Gute, Sittlichkeit, zusammen summum bonum ausmachen". Die Verbindung beider Bestandteile hat Kant zumindest seit der KrV mit Hilfe der Begriffe "Proportion" oder "Angemessenheit" ausgedrückt (vgl. A 809: "proportioniert", A 811: "angemessen", A 814: "Ebenmaße"). Schon aus dieser Definition erhellt, daß dieser Begriff, obwohl das höchste Gut sachgemäß unter den Begriff des Objektes oder Zieles der Moralität einzuordnen ist, die Schwierigkeit bzw. die Inkongruenz mit sich bringt, daß darin die Sittlichkeit selbst Bestandteil des höchsten Gutes ist und damit Bestandteil des Zielobjektes der Sittlichkeit! Aber eine solche Inkongruenz hat zur Folge, daß in den Augen Kants das höchste Gut "Bestimmungsgrund des reinen Willens" sein kann, ohne gegen das Prinzip der Autonomie zu verstoßen. Denn "in der Tat bestimmt das in diesem Begriffe schon

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eingeschlossene ... moralische Gesetz und kein anderer Gegenstand nach dem Prinzip der Autonomie den Willen" (KpV A 197 = V 110) '. Was nun die Glückseligkeit als Bestandteil des höchsten Gutes anbelangt, faßt Kant sie an den verschiedenen Stellen unterschiedlich auf: als empirisch oder aber als rational (und damit a priori bestimmbar), als innerweltlich oder auch als zukünftig. Auf diese interpretatorischen Probleme und die einschlägige Diskussion in der neueren Kant-Literatur soll hier nicht eingegangen werden. Von einem systematischen Standpunkt aus leitet die KpV den Begriff des höchsten Gutes vom Streben der Vernunft nach dem Unbedingten ab. In ausdrücklicher Parallele zur ersten Kritik heißt es zu Beginn des Dialektik-Teils der zweiten Kritik: Die Vernunft "sucht als reine praktische Vernunft zu dem Praktisch-Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfhis beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens, sondern ... [als] die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft, unter dem Namen des höchsten Gutes" (A 194 = V 108). Damit, so scheint es wiederum aus dem Parallelismus mit der ersten Kritik, ergibt sich eine Dialektik in diesem Begriff wie schon in den Totalitätsbegriffen der reinen spekulativen Vernunft (den transzendentalen Ideen), zu deren Lösung der folgende Dialektik-Teil hinarbeiten soll. In der Tat aber ist dies nicht der Fall T. Nicht aus der

• An dieser Stelle spricht Kant geradezu vom "moralischen Gesetz" als Bestandteil desjenigen höchsten Guts, das "den ganzen Gegenstand einer reinen praktischen Vernunft" ausmacht: A 196 - V 109. Dies verdunkelt die Sache weiter, da sonst Tugend (Sittlichkeit) und Glückseligkeit die Bestandteile des höchsten Guts sind: A 198 = V 110. Denn genau gesprochen ist das moralische Gesetz kein Objekt, das wir bewirken oder erreichen können; durch Handlungen gemäß und wegen des moralischen Gesetzes bringen wir den Teil des höchsten Gutes hervor, der allein in unserer Macht steht: die Tugend. Durch den unausgesprochenen und naheliegenden Übergang von Sittlichkeit zu moralischem Gesetz vermag Kant, das höchste Gut als Motiv (oder Gegenstand) der Handlungen zu behaupten, indem er de facto das moralische Gesetz meint. Diese mehrdeutige und verwirrte Begriffsbildung hat für Kant den Vorteil, daß er seinen Formalismus aufrechterhalten kann, ohne den wunden Punkt desselben frei legen zu müssen. Er spricht ja von einem Objekt und Ziel der Handlungen: dem höchsten Gut. Aus derselben unklaren Konzeption des höchsten Gutes vermag Kant immer noch auf das höchste Gut als Endzweck unserer Handlungen hinzuweisen, auch im Falle, daß die Glückseligkeit unrealisierbar ist, weil ja die Sittlichkeit einen solchen Endzweck der sittlich guten (!) Handlungen darstellt. Es sind diese einige der Probleme, die sich aus dem Formalismus im Zusammenhang mit der Lehre vom höchsten Gut stellen. Auf ahnliche Fragen weisen auch L. W. BECK in: Kants KpV 226-228 und M. Albrecht in: Kants Antinomie der praktischen Vernunft 159 f, 164 f hin. 7 Vgl. ALBBECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft 94 f.

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Suche nach dem Unbedingten als solchem ergibt sich ein Widerstreit im Gebrauch der praktischen Vernunft, sondern aus den sachlichen Gründen, die die Verwirklichung des höchsten Gutes betreffen, wie Kant in den Abschnitten I und II des zweiten Hauptstücks der Dialektik ausführt. Außerdem handelt es sich nicht um eine Antinomie im strengen Sinne zweier einander widersprechender Gesetze, und auch nicht zweier einander widersprechender Sätze. Sachgemäß handelt es sich um eine Dialektik im Sinne eines Mißverhältnisses von rationaler Forderung und tatsächlicher Erfüllung. Jedenfalls ist die systematische Verbindung des Begriffes vom höchsten Gut mit einer Antinomie der praktischen Vernunft und damit mit einer Dialektik derselben das Eigentümliche der Lehre Kants vom höchsten Gut in der KpV. Eine solche Lehre stellt aber ein Moment in der lebenslangen Beschäftigung Kants mit dem Begriff des höchsten Gutes dar. Sie wurde bald durch eine andere, und zwar angemessenere Deutung des höchsten Gutes abgelöst. Schon in der KpV spricht Kant gelegentlich vom höchsten Gut als dem "durch die Vernunft allen vernünftigen Wesen ausgesteckten Ziel aller ihrer moralischen Wünsche" (A 207 = V 115), oder als dem "letzten und vollständigen Zweck" in der Bestimmung des Willens (A 216 = V 120). An der bekannten Stelle, wo Kant zum ersten Mal seine Definition der Religion gibt, wird das höchste Gut als "das Objekt und der Endzweck der reinen praktischen Vernunft" umschrieben: A 233 = V 129. Diese Sichtweise findet in der dritten Kritik ihre Explizierung. Die erneute Version des moralischen Gottesbeweises im Anhang zur Kritik der Ideologischen Urteilskraft, § 87, setzt beim höchsten Gut als "Endzweck" des Gebrauchs unserer Freiheit nach dem moralischen Gesetz an (B 423 = V 450) '. Im Aufsatz von 1793 über den "Gemeinspruch" erörtert Kant die Einwände Garves bezüglich der Rolle des Objektes zur Bestimmung des guten Willens. Kant versucht dabei, seinen Formalismus zu verteidigen, räumt aber zugleich die * Auch im darauffolgenden § 88 heifit es: "weil ein als Pflicht aufgegebener Endzweck ... und eine Natur ohne allen Endzweck ..., in welcher gleichwohl jener Zweck wirklich werden soll, im Widerspruch stehen" (B 439 = V 468). Und in der Preisschrift für das Jahr 1791 über die Fortschritte der Metaphysik: "Dieser Endzweck der reinen praktischen Vernunft ist das höchste Gut, sofern es in der Welt möglich ist" (A 104 = XX 294). Die Fassung des moralischen Gottesbeweises in der Religionsschrift von 1793 steht unter dem systematischen Begriff vom "höchsten in der Welt möglichen Gut" als "Endzweck" frei handelnder Wesen: B XI = VI 7 Anm.

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Notwendigkeit eines Objektes des Willens ein, nämlich des höchsten Gutes, das als "die Idee des Ganzen aller Zwecke" (A 212a = VIII 280) definiert wird. Der Totalitätsgedanke der ersten Kritik sowie auch der Zweckgedanke werden hier verwendet *. B] Die Verknüpfung beider Bestandteile des höchsten Gutes Zu Beginn des zweiten Buches der Dialektik entwickelt Kant den Begriff des höchsten Gutes, den er im ersten Buch durch die Vernunftidee des Unbedingten eingeführt hatte. Er unterscheidet zwischen höchstem Gut im Sinne von bonum supremum oder originarium: Tugend und höchstem Gut im Sinne von bonum consummatum oder perfectissimum: das Ganze aus Tugend und Glückseligkeit. Nur die Tugend ist ein unbedingtes Gut. Der Anfang der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" mit ihrer Schilderung des guten Willens als des einzigen absoluten Wertes und die Analytik der KpV, zweites Hauptstück, haben diese Grundeinsicht der Ethik ausgeführt. An der letzteren Stelle heißt es: Nur der Wille, dessen Maxime dem Gesetz gemäß ist, "ist schlechterdings in aller Absicht gut und die oberste Bedingung alles Guten" (A 109 = V 62). Aber nur die Tugend zusammen mit der Glückseligkeit ist das vollkommenste Gut. Wichtig bei der vorliegenden Begriffsbestimmung des höchsten Gutes ist, daß Tugend "als die Würdigkeit, glücklich zu sein" qualifiziert wird. Damit anerkennt Kant die materiale Identität von moralischem Wert der Person und ihrer Glückswürdigkeit. Tugend und Glückswürdigkeit sind formal zwei verschiedene Begriffe, aber der erstere impliziert den zweiten. Eine solche Identität gilt, so fahrt Kant fort, "selbst im Urteile einer unparteiischen Vernunft, die jene [die Person] überhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet. Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht teilhaftig zu sein, kann mit dem vollkommensten Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte, ... gar nicht zusammen bestehen" (A 199 = V 110).

• Vgl. ALBHECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft 85, Anm. 267.

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Mit dieser mehrmals geäußerten Idee, daß Glückseligkeit unabdingbar zur Sittlichkeit gehört in der Beurteilung einer "unparteiischen Vernunft" (A 224 = V 124), oder daß die Vernunft ein solches Urteil "parteilos" fällt (Religionsschrift B IX = VI 6) 10, will Kant sagen, daß die Verbindung von Sittlichkeit und Glückseligkeit von der Vernunft gefordert wird, oder, negativ, daß die Vernunft keine endgültige Trennung von Sittlichkeit und Glückseligkeit gutheißen kann. Anders gewendet: Die Vernunft anerkennt, daß Sittlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt, und umgekehrt, daß die Wirklichkeit der Sittlichkeit gegenüber nicht gleichgültig ist, d. h. also daß die Wirklichkeit letztlich moralisch ist ". Daß die Lehre von Tugend als Würdigkeit, glücklich zu sein, die Kant hier und wieder in A 232 = V 129 und A 234 = V 130 zum ersten Mal in einem Druckwerk übernimmt, keinen Eudaimonismus in negativem Sinne bedeutet (die sog. Lohnmoral), wie die ältere Kantforschung dem Philosophen vorgeworfen hat, erhellt auch schon aus der alternativen Lehre von einer endgültigen Trennung beider Bestandteile des höchsten Gutes. Denn eine solche alternative Lehre kommt einer völligen Sinnlosigkeit des sittlichen Handelns gleich: Wo kein endgültiger Zweck, da ist auch kein endgültiger Sinn. Wie kann nun der Mensch absolut in Anspruch für bestimmte Handlungen genommen werden, wenn diese Handlungen und ihr Gegenteil letztlich auf dasselbe alles nivellierende Nichts hinausgehen? Die vermeintlich höhere, weil völlig uneigennützige Moral (vgl. z. B. A 266 = V 147; auch KU B 427 = V 452) entlarvt sich als Verneinung der personalen Würde des Menschen, dessen Freiheit und moralischer Ernst der endgültigen Absurdität des Nichts ausgeliefert wird. Daraus erhellt, daß absolute Verbindlichkeit des Sittengesetzes, höchstes Gut als Ziel des Gesetzes und Horizont der Transzendenz (Theonomie) wesentlich zusammenhängen IZ.

10 Die Anspielung auf den "unbeteiligten Beobachter", auf den in der Theorie des Sittlichen öfters rekurriert wird, ist unverkennbar. 11 Es leuchtet ein, daß damit sachlich dasselbe gemeint ist wie die traditionelle metaphysische Lehre von den Transzendentalien: ens et bonum convertuntur. Zur "Würdigkeit, glücklich zu sein" vgl. auch den ersten Schritt in der ersten Version des moralischen Gottesbeweises: KrV, A 806 (Abs. 7). u Auf diese Grundeinsicht werden wir mehrmals im Laufe der Überlegungen Kants zum moralischen Gottesbeweis in der zweiten und dritten Kritik zurückkehren müssen. Vgl. schon Kap. , 5. 2) am Ende; Kap. XXV, Nr. 5 ebenfalls gegen Ende.

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Gerade weil Tugend von ihrem Wesen her Glückswürdigkeit besagt, ist die Tugend zwar das unbedingte Gut, aber für sich allein "noch nicht das ganze und vollendete Gut, als Gegenstand des Begehrungsvermögens vernünftiger endlicher Wesen; denn um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert" (A 198 = V 110). Da nun das höchste Gut aus beiden einander zugeordneten Komponenten besteht, der Sittlichkeit und der ihr angemessenen Glückseligkeit, stellt Kant die Frage, ob die Verknüpfung beider analytisch nach dem Identitätsprinzip, oder synthetisch nach dem Kausalitätsprinzip zu verstehen sei. In Abhebung von den "Koalitionsversuchen" der alten Schulen der Epikureer und Stoiker, die die Einheit beider Bestandteile im höchsten Gut analytisch auffaßten (dabei aber sich darin trennten, welcher als Grundbestandteil den anderen nach sich zieht), beruft sich Kant auf seine Theorie des Sittlichen in der Analytik dahingehend, daß Tugend und Glückseligkeit "ganz verschiedene Elemente des höchsten Guts sind" (A 203 = V 112). Da andererseits aus der Analytik und auch aus der hier angegebenen Definition des höchsten Gutes feststeht, daß die Stoiker "die Tugend als Bedingung des höchsten Guts ganz richtig gewählt" haben (A 228 = V 126), so ist Kant bemüht, das Mißverständnis der Stoa abzuwehren, mit der Befolgung des moralischen Gesetzes sei schon die Glückseligkeit als Selbstzufriedenheit im Besitz der Tugend gegeben 1S. Die Ablehnung einer analytischen Verknüpfung kommt auf die Anerkennung des Eigenwertes der Glückseligkeit hinaus: letztere ist nicht allein der innerliche Zustand des tugendhaften Gewissens, sondern eine Wirklichkeit, die den ganzen Menschen betrifft: "Glückseligkeit ist der Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, dem es im Ganzen seiner Existenz alles nach Wunsch und Willen geht, und beruht also auf der Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens" (A 224 = V 124). Trotz Schwankungen bei der Begriffsbestimmung meint Kant also mit Glückseligkeit die Vervollkommnung des Menschen nach der Ganzheit seines Wesens. Ein Wesen, dessen Zweck restlos erfüllt ist, ist ein Wesen, das seine Vollkommenheit ganz erreicht hat.

u

Zur Absetzung Kants von der Stoa vgl. auch A 228 f = V 126 f.

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Die Auffassung vom synthetischen Charakter der Verbindung zwischen Tugend und Glückseligkeit wirft die Frage auf, wie die Tugend als Ursache die Glückseligkeit als Wirkung hervorbringt, wie also das höchste Gut "praktisch möglich ist" (A 203 = V 112).

3. Die Dialektik der praktischen Vernunft Die Antwort auf die hier oben gestellte Frage führt, laut den Überschriften der Abschnitte I und II des zweiten Buches der Dialektik, zur Entdekung und Auflösung einer "Antinomie der praktischen Vernunft". Dies bedeutet, nach Kants Konzeption der Antinomie in der ersten Kritik, daß unsere Vernunft durch "gültige und notwendige Gründe" zu zwei einander widersprechenden Lehrsätzen geführt wird, die aber "in der Erfahrung weder Bestätigung hoffen, noch Widerlegung fürchten dürfen". Die Quelle dieses "natürlichen und unvermeidlichen Scheins" liegt darin, daß wir dabei unsere Vernunft über die Grenze der Erfahrung hinaus bis zu einem Unbedingten "auszudehnen wagen" (KrV A 420-422). In der Tat aber, wie im vorigen Abschnitt 2 unter A] bereits angedeutet, ist es nicht die Suche der reinen praktischen Vernunft nach dem Unbedingten, die die Vernunft zu einer Antinomie führt in dem präzisen Sinne von "Widerstreit der Gesetze (Antinomie) der reinen Vernunft" (KrV A 407). Die reine praktische Vernunft enthält keineswegs solche widerstreitenden Gesetze und verleitet gar nicht zu einander widersprechenden Behauptungen. Es ist vielmehr die genannte Frage nach der Verwirklichung des höchsten Gutes, die eine Dialektik zwischen Forderung der praktisch-moralischen Vernunft und tatsächlichem Vermögen des Menschen aufdeckt. Der architektonische Rahmen, den Kant von der ersten Kritik übernimmt, erweist sich als eine von außen her aufgezwungene Perspektive, die das Verständnis der in der Überschrift des zweiten Buches angekündigten "Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffes vom höchsten Gut" eher erschwert. Wir sind deshalb auf sachliche Überlegungen angewiesen, die um die Verwirklichung des notwendigen Gegenstandes des Willens kreisen. Bezüglich dieser Verwirklichung stellt Kant zunächst zwei widerstreitende Sätze auf, die in der synthetischen Verknüpfung von Sitt-

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lichkeit und Glückseligkeit jeweils die eine Komponente als Ursache der anderen behaupten. Thesis: Das Streben nach Glückseligkeit ist Bewegursache zu Maximen der Tugend. Antithesis: Tugend ist wirkende Ursache der Glückseligkeit (KpV A 204 = V 113). Die Thesis vertritt eine Lehre, die in einem offenkundigen Gegensatz zur Moralphilosophie Kants steht. Die ganze Analytik der KpV hat ja aufs entschiedenste die Glückseligkeitsethik abgelehnt M. Aus diesem Grunde erweist sich die These als "schlechterdings unmöglich" und wird deshalb als falsch zurückgewiesen und in der darauffolgenden Lösung der Antinomie auch nicht mehr erwähnt. Die Antithesis geht von der Tugend aus (als geübter Tugend!) und behauptet, sie bringe Glückseligkeit hervor. Sie stellt eine Aufforderung an die Wirklichkeit, aber nicht infolge einer Erfahrung, sondern auf Grund einer Vernunftidee, nämlich der Sinnhaftigkeit der Freiheit unter dem unbedingten Anspruch des moralischen Gesetzes 15. Da nun der Weltlauf (die Natur) 14 Allerdings in einer unseligen Vermischung mit dem Pormalismus. Der Kampf gegen den Eudamonismus in der Ethik drückt sich in so undifferenzierten und radikalen Aussagen aus, weil Kant immer wieder die Frage nach Objekt und Ziel der sittlichen Handlung und damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit des moralischen Anspruchs verdrängt. Die Rolle des Objektes als Beweggrund des Willens wird allzu undifferenziert dem "Prinzip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit" zugerechnet (A 40 = V 22). Eine solche Sittenlehre, die rein von aller Glückseligkeitslehre entwikkelt wird (A 165 = V 92), grenzt immer wieder an eine Lehre, die die moralische Existenz zur Sinnlosigkeit verdammt. u Gegen Ende des I. Abschnittes erläutert Kant die Verbindung der "Beobachtung der moralischen Gesetze" mit der Glückseligkeit im höchsten Gut folgendermaßen: "Da nun die Beförderung des höchsten Guts, welches diese Verknüpfung in seinem Begriffe enthält, ein a priori notwendiges Objekt unseres Willens ist und mit dem moralischen Gesetze unzertrennlich zusammenhängt, so muß die Unmöglichkeit des ersteren auch die Falschheit des zweiten beweisen. Ist also das höchste Gut nach praktischen Regem unmöglich, so muß auch dos moralische Gesetz, welches gebietet, dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein". Hier sieht Kant immer noch einen wesentlichen Zusammenhang zwischen moralischer Existenz und Glückseligkeit als Zweck genau wie im Kanon-Hauptstück der KrV. Dies heißt also, daß die Geltung des moralischen Gesetzes von dem Zweck abhängt, der durch die Einhaltung des Gesetzes zu erreichen ist. ALBRECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, § 18, versucht in einer langen und sehr verwickelten Analyse mehrerer diesbezüglicher Aussagen Kants, den Vorwurf zu entkräften, hier laufe Kants Position wieder auf Heteronomie hinaus. Zugegeben, daß einzelne Aussagen Kants oft eine eigene, jeweils anders gelagerte Interpretation erfordern, scheint mir, daß die bewegenden Kräfte des Dialektik-Teils folgende zwei sind. Die eine ist die Einsicht in den genannten wesentlichen Zusammenhang von moralischem Gesetz und Glückseligkeit als Zweck im Sinne der Vervollkommnung des Menschen als Person. Dies ist die Einsicht in die Sinnhaftigkeit des moralischen Gesetzes, wie Albrecht S. 163 ff richtig anerkennt. Die andere treibende Kraft ist die Auffassung von der Autonomie der praktischen Vernunft (die aufs engste mit dem Formalismus zus mmenhängt), die Kant dazu verleitet, sich gegen die genannte Einsicht zu sträuben. Kant

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"sich nicht nach moralischen Gesinnungen des Willens ... richtet", so besagt die Antithesis etwas, das "auch unmöglich ist" (A 204 f = V 113). Aber, so fahrt Kant im darauffolgenden II. Abschnitt fort, die Behauptung, daß "Tugendgesinnung notwendig Glückseligkeit hervorbringe, ist nicht schlechterdings, sondern ... nur bedingterweise falsch", solange nämlich wir ausschließlich die mechanisch-deterministische Kausalität in der Sinnenwelt betrachten - die einzige, die die KrV kennt. "Da ich aber nicht allein befugt bin, mein Dasein auch als Noumenon in einer Verstandeswelt zu denken, sondern sogar am moralischen Gesetz einen rein intellektuellen Bestimmungsgrund meiner Kausalität (in der Sinnenwelt) habe, so ist es nicht unmöglich, daß die Sittlichkeit der Gesinnung einen wo nicht unmittelbaren, so doch mittelbaren (vermittelst eines intelligibelen Urhebers der Natur) und zwar notwendigen Zusammenhang als Ursache mit der Glückseligkeit als Wirkung in der Sinnenwelt habe, welche Verbindung in einer Natur, die bloß Objekt der Sinne ist, niemals anders als zufallig stattfinden und zum höchsten Gute nicht zulangen kann" (A 206 f = V 114 f). Gegen die irreführende Auskunft Kants im I. Abschnitt schlägt sich die "Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut" (A 198 = V 110) allein in der Antithesis nieder. Sie liegt darin, daß die Vernunft das höchste Gut als Ziel der moralischen Anstrengung eines vernünftigen Wesens, also als "wahres Objekt" eines "moralisch bestimmten Willens" (A 207 = V 115), einsieht, daß aber andererseits die Tugend dieses Ziel (genauer: die Glückse-

meint nun in der KpV die Lösung dieser Spannung darin zu finden, daß er die Beförderung des höchsten Gutes (mit seinen zwei Bestandteilen) zur Pflicht macht. Durch dieses Gebot soll einerseits der Zusammenhang von Sittengesetz und Glückseligkeit aufrechterhalten werden (denn dieses besondere Gebot des Sittengesetzes schreibt die Verwirklichung des höchsten Gutes vor, von dem die Glückseligkeit ein Bestandteil ist), andererseits aber soll das moralische Gesetz als solches von demselben Zusammenhang entlastet und damit die absolute Autonomie des Menschen als moralischen Wesens in salvo gesetzt werden. Wir werden sehen, daß damit keine tragfähige Lösung erreicht wird. In der Tat pendeln die Ausführungen Kants hin und her zwischen Aufhebung der Autonomie, jedesmal wo er die erste Richtung konsequent denkt, und Aufhebung der Sinnhaftigkeit der sittlichen Forderung, wo er die zweite Richtung nach ihrer Dynamik sich entfalten läßt. Ober diese Spannung geht die ganze Dialektik nicht hinaus aus dem einfachen Grund, weil eine Lösung sachlich nicht möglich ist, solange die Grundkonzeption des Formalismus und der Autonomie nicht einer Revision unterzogen wird.

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ligkeit als Bestandteil von ihm) nicht herbeifähren kann wegen der Disparatheit von Naturkausalität und gutem Willen bzw. von unserer Kausalität in der Sinnenwelt und unserer moralischen Gesinnung. Es ist die Dialektik zwischen Moralität und Wirklichkeit - solange unsere Sicht der Wirklichkeit sich auf die Sinnenwelt beschränkt: die Welt unserer Erfahrung und der Naturwissenschaft. Aber dieselbe Moralität öffnet die Sicht auf eine andere Wirklichkeit: die intelligible Welt der Freiheit, die wir kraft des moralischen Gesetzes als real behaupten können. Es muß aber auf eine Zweideutigkeit hingewiesen werden, die die hier ausgearbeitete "Kritische Aufhebung der Antinomie der praktischen Vernunft" betrifft. Wir sahen bereits, daß nach Kant die Antithesis falsch ist, solange nur der Kausalität in der Sinnenwelt Rechnung getragen wird. Daraus ergibt sich - so scheint es -, daß die Zwei-Welten-Lehre, mit der Kant in der KrV die Antinomie überhaupt gelöst hat, insbesondere die dritte Antinomie von Naturnotwendigkeit und Freiheit, auch die Antinomie löst, die in der oben zitierten Antithesis steckt. Die Zwei-Welten-Theorie sichert ja außer der Naturkausalität die Möglichkeit einer "Kausalität aus Freiheit" (KrV A 532-558). Der Parallelismus von spekulativer und praktischer Vernunft bezüglich einer Dialektik, mit dem Kant den Dialektik-Teil der zweiten Kritik eingeleitet hat, und der Duktus seiner Argumentation in den ersten beiden Abschnitten des zweiten Buches über die Antinomie, legen tatsächlich einen Parallelismus sowohl im Ursprung der Antinomie (die Suche nach dem Unbedingten) als auch in deren Auflösung (durch die Zwei-Welten-Theorie) nahe. In der Tat aber ist es nicht so. Weder im Ursprung der Antinomie (wie ich im vorigen Abschnitt unter A] schon bemerkt habe) noch in deren Lösung liegt ein Parallelismus zwischen der ersten und der zweiten Kritik vor. Die Zwei-Welten-Lehre kann wohl in einem gewissen Sinne als Lösung des dritten Widerstreits der spekulativen Vernunft gelten; aber bezüglich der praktischen Vernunft sichert sie bloß die Möglichkeit von Freiheit und Sittengesetz im Menschen (was durch das "Faktum der Vernunft" in der Analytik der KpV sowieso schon feststeht!). Letzteres aber ist keine Lösung der Dialektik, die in der Antithesis steckt, sondern wirft erst recht das Problem der Verbindung beider Welten (Freiheit und Natur) im höchsten Gut auf. M. a. W. sind wir frei und

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verlangt das Wohlverhalten ein Wohlbefinden, so stellt sich die Frage, wie die von der Vernunft erforderte moralische Anstrengung die Glückseligkeit in genauer Proportion zur Sittlichkeit zustande bringen kann angesichts der allzu deutlichen gegenteiligen Erfahrung in dieser Welt. Die eigentliche Lösung der Dialektik beruht zwar schließlich auf der Zwei-Welten-Theorie, aber nicht in der vom vorliegenden Text zunächst nahegelegten Weise, sondern in einer indirekten Weise. Denn die sittliche Erfahrung öffnet uns einen Zugang nicht nur zu einer Welt, in der es das Unbedingte des Sittengesetzes und der Freiheit gibt, sondern auch zum Absoluten eines Welturhebers, dem als höchstem moralischem Wesen selbst die Natur untersteht. Mit den schon zitierten Worten Kants: "Die Sittlichkeit der Gesinnung [hat] einen wo nicht unmittelbaren, so doch mittelbaren (vermittelst eines intelligibelen Urhebers der Natur) und zwar notwendigen Zusammenhang als Ursache mit der Glückseligkeit als Wirkung in der Sinnenwelt ..." (A 207 = V 115). Daß wir frei sind, ist Bedingung der Moralität. Daß aber die Moralität einen absoluten Anspruch an unsere Freiheit stellen kann, ist seinerseits durch die reale Möglichkeit des höchsten Gutes, näherhin der Glückseligkeit, bedingt. Letzteres ist durch die Existenz Gottes bedingt. Der Schlußabsatz desselben Abschnittes klärt weiter, wie dieser "mittelbare Zusammenhang" von Sittlichkeit und Glückseligkeit via "Urheber der Natur" zu denken sei. Der erste Bestandteil des höchsten Guts, nämlich die Sittlichkeit (genauer die Heiligkeit!), liegt "unmittelbar in unserer Gewalt", setzt aber als Bedingung seiner Möglichkeit einen unendlichen Fortschritt im moralischen Wert und damit eine unendliche Fortdauer des Menschen als Person voraus. Der zweite Bestandteil, die Glückseligkeit, ist nicht in unserer Gewalt; der Grund seiner Möglichkeit ist vielmehr in dem zu suchen, "was uns Vernunft als Ergänzung unseres Unvermögens ... darbietet" (A 215 = V 119). Damit sind die Weichen zur Behandlung der Postulate der Unsterblichkeit und Gottes gestellt, wobei das Entscheidende zur Lösung der Dialektik im zweiten Postulat liegt. Es geht ja darum, die Kluft zwischen Tugend (deren Wesen und Möglichkeit bereits aus der Analytik feststeht) und Glückseligkeit auszufüllen - eine Aufgabe bzw. Forderung, mit der weder die Natur noch wir selber als freie Wesen fertig werden können.

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4. Gott als Postulat der reinen praktischen Vernunft Nachdem Kant bereits im IV. Abschnitt des zweiten Buches der Dialektik über den ersten Bestandteil des höchsten Gutes, nämlich die Heiligkeit als "Vollständigkeit" der Sittlichkeit 1 , die Unsterblichkeit der Seele "erwiesen" hat, geht er im V. Abschnitt kraft des anderen Bestandteils zum Dasein Gottes als einem Postulat der reinen praktischen Vernunft über. Der eigentliche Beweis wird im Abs. 2 ausgeführt, dem sich im Abs. 3 Überlegungen zum 'Yernunftglauben" anschließen. Das übrige des Abschnittes befaßt sich mit der einschlägigen Lehre der griechischen Schulen und des Christentums und mit dem Zusammenhang von moralischem Gesetz und Religion. Das Postulat kann in folgende Schritte gegliedert werden: 1. Die Glückseligkeit als Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt "beruht auf der Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens". Zu dieser Definition des zweiten Bestandteiles des höchsten Guts ist ein Doppeltes zu bemerken. Erstens, Glückseligkeit gehört zum "ganzen Zweck" des Menschen, d. h. also zum Endziel seines Wesens. Damit sind wir beim zweiten möglichen Ansatz zu einem moralischen Gottesbeweis, von dem ich im Kap. XXIII, Nr. 5, gesprochen habe, nämlich beim Zielobjekt des Sittengesetzes als Gesetz der Verwirklichung der menschlichen Natur. Aber die Verwirklichung der Glückseligkeit, fügt Kant hinzu, verlangt die "Übereinstimmung der Natur" zur genannten wesentlichen Bestimmung des Menschen. Zweitens, die Verwirklichung der Glückseligkeit verlangt zugleich die Übereinstimmung der Natur "zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens". D. h., so würde ich diese nicht allzu klare Angabe Kants interpretieren, daß die Natur die Glückseligkeit (Vervollkommnung) des Menschen herbeiführt, hängt nicht nur davon ab, daß die Glückseligkeit letztes Ziel des Menschen ist, sondern

u Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser Maximalbegriff des höchsten Gutes (die Sittlichkeit wird als "völlige Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Gesetz" genommen: A 219 = V 122) nur im Kontext des Postulats der Unsterblichkeit verwendet wird als Basis, von der aus ein unendlicher Fortschritt in der Sittlichkeit und damit eine nie zu Ende gehende Existenz des Menschen postuliert werden kann. Vgl. BECK, Kants KpV, 247.

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auch von der tatsächlichen Moralität des Menschen und deshalb von dem Grunde, der den freien Willen des Menschen bestimmt. An die Erwähnung der subjektiven Bedingung der Glückseligkeit schließt Kant, wieder mit einer eher vagen Aussage, den Verweis auf sein formalistisches Verständnis des Sittengesetzes an: Das moralische Gesetz gebietet "durch Bestimmungsgründe", die vom letzten Zweck der menschlichen Existenz (und damit auch von der Realisierbarkeit desselben durch die Natur!) "ganz unabhängig sein sollen" ". 2. Der Mensch als frei und verantwortlich handelndes Wesen ist nicht "Ursache der Welt und der Natur selbst". Infolgedessen liegt weder im moralischen Gesetz (als rein formalem Gesetz) noch im Menschen (als nicht Herr über die Natur) ein Grund vor zu einem notwendigen Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und ihr proportionierter Glückseligkeit des Menschen. 3. Bis jetzt war von der Glückseligkeit (Vollkommenheit) als Endzweck des Menschen die Rede, insofern der Mensch ein freies und verantwortliches Wesen ist und von der Unfähigkeit des moralischen Gesetzes als Gesetz der menschlichen Existenz, diesen Zweck herbeizuführen. Daraus folgt, so scheint mir, daß die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes die Existenz Gottes postuliert, weil sonst das Sittengesetz uns absolut zu einem bestimmten freien Verhalten verpflichtet, das doch das unabdingbare Ziel der Freiheit nicht erreichen kann, das also letzlich zum selben Ergebnis führen würde wie ein "unmoralischer" Lebenswandel: das völlige, alles nivellierende Nichts. Nun ist es absurd, zum Nichts hin absolut in Anspruch genommen zu werden. Wir befinden uns offensichtlich auf demselben Weg wie im Kanon-Hauptstück der KrV: Aus dem wesentlichen Zusammenhang von moralischem Gesetz und Glückseligkeit, und weiter aus dem darin implizierten Zusammenhang von moralischem Gesetz und Existenz Gottes, ergibt sich, daß die Existenz Gottes Bedingung der Verbindlichkeit des Sittengesetzes ist. Damit aber sind wir bei jenem " Die Schwierigkeit gegen ein zufriedenstellendes Verständnis des Textes liegt darin, daß die Diskrepanz der Natur zur Verwirklichung der Glückseligkeit als wesentliches Ziel des Menschen in allen Fällen besteht: Sowohl im Falle, daß das Sittengesetz als rein formal von jeglichem Ziel der menschlichen Handlung absieht (so Kant), als auch im Falle, daß das Sittengesetz genau als das Gesetz der Verwirklichung des Menschen und damit als wesentlich mit dessen Ziel verbunden aufgefaßt wird. Denn in jedem Fall gilt, daß die Natur in der Welt unserer Erfahrung sich nicht nach der Moralität des Menschen richtet - wie immer auch diese Moralität erklärt wird.

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ersten Ansatz zu einem moralischen Gottesbeweis ", den Kant wegen seiner Auffassung von der Autonomie des Menschen vermeiden will. Diesem Dilemma: Geltung des Sittengesetzes bei gleichzeitiger Aufhebung der Autonomie des Menschen - Aufrechterhaltung der Autonomie des Menschen bei gleichzeitiger Zwecklosigkeit und damit Sinnlosigkeit des Sittengesetzes meint Kant entgehen zu können, indem er ein besonderes Gebot aufstellt: "Wir sollen das höchste Gut ... zu befördern suchen." Von einem solchen Gebot ist in der Dialektik der KpV wiederholt die Rede. So am Ende des Abschnittes I heißt es: "Das moralische Gesetz ... gebietet, dasselbe [das höchste Gut] zu befordern" (A 205 = V 114). Gegen Ende des Abschnittes II: Es ist ein Gebot der reinen praktischen Vernunft, zur Hervorbringung des höchsten Guts alles Mögliche beizutragen (A 214 f = V 119). Gegen Ende unseres Absatzes: "Nun war es Pflicht für uns, das höchste Gut zu befördern" (A 226 = V 125). Weiter unten: "... das höchste Gut, welches zum Gegenstande unserer Bestrebung zu setzen uns das moralische Gesetz zur Pflicht macht" (A 233 = V 129). Im Abschnitt VIII: "Ein Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft ist auf einer Pflicht gegründet, etwas (das höchste Gut) zum Gegenstande meines Willens zu machen, um es nach allen meinen Kräften zu befördern" (A 257 = V 142). In der Vorrede zur 1. Aufl. der Religionsschrift heißt es: "Das moralische Gesetz will, daß das höchste durch uns mögliche Gut bewirkt werde" (B ES = VI 5). Nach diesen Aussagen ergibt sich der Zusammenhang von Sittlichkeit und höchstem Gut nicht (mehr) aus dem Wesen der Sittlichkeit selbst, insofern das Gesetz der menschlichen Existenz das Gesetz der Vervollkommnung dieser Existenz ist, sondern aus einem besonderen Gebot desselben Sittengesetzes. In einer Fußnote lesen wir: "Es ist Pflicht, das höchste Gut ... wirklich zu machen; daher muß es doch auch möglich sein" (A 259 = V 144). An all diesen Stellen wird von der behaupteten Pflicht zur Hervorbringung des höchsten Guts die Konsequenz gezogen, daß das höchste Gut, weil geboten, dehalb auch möglich sein muß, ohne näher anzugeben, wie diese Möglichkeit aufzufassen ist. Dies geschieht im nächsten Schritt des Beweisganges.

» Vgl. Kap.

, 5. l

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4. "Also wird auch das Dasein einer ... Ursache der gesamten Natur, welche den Grund ... der genannten Übereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit enthalte, postuliert." Man beachte den Verlauf der Argumentation. Kant hat unmittelbar vorher von einer Pflicht gesprochen, das höchste Gut zu verwirklichen. Nun besteht zwar das höchste Gut aus zwei Teilen; wenn aber Kant im dritten Schritt von einem Gebot spricht, dessen Gegenstand das höchste Gut ist, denkt er gewiß an einen Teil desselben, nämlich die Glückseligkeit1B. Denn daß wir nach dem Sittengesetz handeln und damit Tugend verwirklichen sollen, steht aus der Analytik bereits fest, ohne auf den Begriff des höchsten Gutes zu rekurrieren. Infolgedessen gilt auch, daß Kant, wenn er im vierten Schritt eine transzendente Ursache postuliert, die das gesollte höchste Gut auch verwirklicht, in der Tat an eine Ursache der Glückseligkeit denkt, da ja die zureichende Ursache der Tugend der freie Mensch selber ist. 5. In einem letzten Schritt wird die postulierte Ursache dahingehend expliziert, daß sie göttliche Eigenschaften aufweist und deshalb Gott ist. Denn sie muß ihre Kausalität über die Natur zur Hervorbringung der Glückseligkeit nach dem Maß ausüben, nach dem die Menschen tatsächlich um des Gesetzes willen gehandelt haben. Sie muß deshalb mit Intelligenz und Willen ausgestattet sein und genau als solche Ursache der Natur sein. 6. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Gutes (der Gegenstand eines unbedingt gebietenden Gesetzes muß möglich sein!) zugleich das Postulat der Wirklichkeit des höchsten ursprünglichen Gutes, d. h. Gottes. Die Voraussetzung der Existenz Gottes ist mit unserer Pflicht, das höchste Gut zu befördern, unzertrennlich verbunden. Mit Kants eigenen Worten: "Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen." Die hier angewendete Terminologie: höchstes abgeleitetes Gut höchstes ursprüngliches Gut wurde bereits im moralischen Gottesbeweis der KrV benutzt: A 810 f. Im dazwischen liegenden Aufsatz von 1786: "Was heißt: Sich im Denken orientieren?" sprach Kant vom u Dies wird übrigens ausdrücklich im 1. Abs. gesagt: "Eben dieses Gesetz muß auch zur Möglichkeit des zweiten Elemente des höchsten Gute, nämlich der jener Sittlichkeit angemessenen Glückseligkeit ..., nämlich auf die Voraussetzung des Daseins einer dieser Wirkung adäquaten Ursache führen, d. i. die Existenz Gottes als zur Möglichkeit des höchsten Guts ... notwendig gehörig postulieren" (A 223 f = V 124).

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höchsten abhängigen und höchsten unabhängigen Gut (A 316 = VIII 139). Zu bemerken ist im Kontext des vorliegenden moralischen Gottesbeweises auch die Verwendung des Begriffspaares: Möglichkeit Wirklichkeit, das an den "Einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" erinnert, wo das Dasein (Wirklichkeit) Gottes als Grund der realen Möglichkeiten der Dinge bewiesen wurde.

5. Das Gebot, das höchste Gut zu befordern Der springende Punkt der oben dargelegten Fassung des moralischen Gottesbeweises liegt im Gebot: Wir sollen das höchste Gut verwirklichen. Denn die Erfüllung dieses Gebotes erlaubt Kant, über das Unvermögen des Menschen und das Mißverhältnis zwischen Tugend und Glückseligkeit in dieser Welt hinaus, die Existenz Gottes zu postulieren. Nun aber lassen sich gegen ein solches Gebot schwere Bedenken anführen M. Erstens aus der Theorie des Sittlichen in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der Analytik der KrV. Kant hat nämlich den kategorischen Imperativ durch die Form und nicht durch irgendwelchen Inhalt definiert, ja er hat jeglichen Inhalt als Bestimmungsgrund des Willens ausdrücklich ausgeschlossen 21. Es fragt sich M Vgl. L. W. BECK, Kant's KpV, 227 und 234, und M. ALBRECHT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 168 ff zu Beck. 21 ALBBECHT, Kants Antinomie der praktischen Vrnunft, 162, spricht von der "durchgehenden Tendenz der KpV, die unbedingte Nötigung durch das praktische Gesetz gerade dadurch auszudrücken, daß bei dessen Definition die Möglichkeit wie immer beschaffener Objekte gänzlich unberücksichtigt bleibt". Der Anfang der Dialektik bestätigt vollends diese Tendenz: "Das moralische Gesetz ist der alleinige Bestimmungsgrund des reinen Willens. Da dieses aber bloß formal ist ..., so abstrahiert es als Bestimmungsgrund von aller Materie, mithin von allem Objekt des Wollene. Mithin mag das höchste Gut immer der ganze Gegenstand einer reinen praktischen Vernunft, d. i. eines reinen (!) Willens sein, so ist es darum doch nicht für den Bestimmungsgrund desselben zu halten, und das moralische Gesetz muß allein als der Grund angesehen werden, jenes und dessen Bewirkung oder Beförderung sich zum Objekt zu machen" (A 196 = V 109). Man beachte: Das höchste Gut als Ganzes ist Gegenstand eines reinen Willens, darf aber nicht durch seinen Inhalt den Willen motivieren. Es fragt sich, warum der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft, d. h. das "durch die Vernunft allen vernünftigen Wesen ausgesteckte Ziel" (A 207 = V 115), keine Quelle der Moralität unserer freien Handlungen darstellen kann. Der Konflikt zwischen den

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deshalb, auf Grund welchen Kriteriums dieser Gegenstand (die Glückseligkeit) hier zu einem verpflichtenden Zweck gemacht wird. Zweitens, es ist ungereimt, ein Gebot aufzustellen und im selben Atemzug einzuräumen, wir vermögen dieses Gebot nicht zu erfüllen. Dazu schreibt Beck S. 227: Dieses Gebot "existiert gar nicht. Wenigstens existiert es nicht als ein eigenes Gebot, unabhängig vom kategorischen Imperativ, und dieser wird unabhängig von ihm entwickelt. Denn angenommen, ich tue alles, was in meinen Kräften steht (und mehr kann kein sittliches Gebot von mir verlangen), um das höchste Gut zu befördern, was wird da von mir verlangt? Nichts anderes als aus Achtung vor dem Gesetz zu handeln, und dies kannte ich bereits. Ich kann überhaupt nichts tun, um Glückseligkeit und Verdienst miteinander auszugleichen, - dies ist die Aufgabe eines moralischen Weltenlenkers, nicht eines Arbeiters im Weinberg. Meine Aufgabe ist es nicht. Meine Aufgabe ist, die eine Bedingung des höchsten Gutes zu realisieren, die in meiner Macht steht (vgl. A 259 = V 143 Anm.). Es fuhrt zu ernsthaften Schwierigkeiten, wenn Kant sagt, es gebe ein Gebot, das höchste Gut zu verwirklichen, wenn dies etwas anderes ist als das Gebot, seine Pflicht zu erfüllen." Hier ist der Ort für eine umfassende Überlegung zum moralischen Gottesbesweis Kants, der beim Begriff vom höchsten Gut ansetzt. Ich habe schon weiter oben darauf hingewiesen, daß für das Kantische Postulat Gottes der Begriff vom höchsten Gut eine wesentliche Rolle spielt M. Nun führen sämtliche Überlegungen über den Begriff des höchsten Gutes, mit denen Kant den moralischen Gottesbeweis der KpV einleitet, logischerweise zu einem Gottesbeweis, der sich im wesentlichen mit dem der ersten Kritik deckt. Dies bedeutet aber, daß dieser Ansatz zu einer Position führt, die sich letztlich weder mit dem Formalismus (Ausschluß jeglichen Objektes aus der Rolle einer Quelle der Moralität) noch mit der Autonomie der reinen praktischen

zwei Seelen der Ethik Kante kommt hier dramatisch zu Tage. Sehr wichtig ist auch die letzte Aussage des Zitats: Es ist das Gesetz selber, also ein Gebot, das das höchste Gut zum Objekt unserer freien Handlungen macht, und umgekehrt gebietet nicht das Sittengesetz, das zu wollen, was von sich aus schon Objekt der menschlichen Natur ist. Infolgedessen ist das Gesetz (und nicht das Objekt) "Grund", d. h. Bestimmungsgrund des guten Willens. Hierin liegt der Kern des Formalismus in der Ethik mit seinem "Paradoxon" bezüglich des Begriffes von Gut und Base, d. h. bezüglich des Objektes (A 110 = V 62 f). » Kap. , Nr. 5, 2.

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Vernunft (Ausschluß der Theonomie), wie Kant sie inzwischen in den ersten zwei Abschnitten der "Grundlegung" und in der Analytik der KpV geklärt bzw. radikalisiert hat, vereinbaren läßt. Wie schon angedeutet ", verschafft sich Kant dennoch einen eigenen Ansatz, der weder gegen den Formalismus noch gegen die Autonomie verstoßen soll, indem er ein Gebot ad hoc aufstellt, das die Verwirklichung des höchsten Gutes zur Pflicht macht. Damit meint Kant die inhaltlichen Gründe, die das höchste Gut mit der Existenz Gottes verbinden, unter den rein formalen Grund der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes stellen bzw. auf ihn letztlich zurückführen zu können. M. a. W. wir dürfen, ja sollen die Existenz Gottes als Bedingung der Möglichkeit des höchsten Gutes postulieren, weil es unsere Pflicht ist, (d. h. Pflicht der autonomen Vernunft!), das höchste Gut zu verwirklichen **. Weil nun das Postulat Gottes auf diesem (partikulären!) Gebot beruht **, würde logischerweise die Verneinung der Existenz Gottes nicht die Aufhebung der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes überhaupt (das sich damit als kein autonomes Gesetz erweisen würde) nach sich ziehen, sondern "nur" die Aufhebung dieses einzelnen Gebotes (weil unrealisierbar) bei gleichzeitiger absoluter Geltung des Sittengesetzes als solchen. Genau diese Distinktion, die Kant bereits im "Sich im Denken orientieren" (A 315 f = VIII 139) vorgenommen hatte **, und die an einer entscheidenden Stelle der KU (B 425 = V 451) wiederholt wird, bestätigt, daß der Ansatz zum Gottesbeweis im genannten Gebot liegt und nicht im höchsten Gut als von sich aus und damit wesentlich mit dem Sittengesetz verbunden, wie es in der KrV noch der Fall war.

" Vgl. Kap. , Nr. 4 am Ende. " Mit Bezug auf die allem Anschein nach programmatische Aussage Kants gegen Ende des I. Abschnittes in der Dialektik über den "unzertrennlichen" Zusammenhang von moralischem Gesetz und höchstem Gut (A 205 = V 114) interpretiert (bzw. deutet um !) deshalb ALBBBCOT diesen Zusammenhang dahingehend, daß "Kant die Abhängigkeit des Sittengesetzes von der Möglichkeit des höchsten Gutes [nicht durch die wesentliche Ausrichtung des Sittengesetzes auf das höchste Gut, sondern] durch den Gedanken begründet, daß das moralische Gesetz «gebietet», das höchste Gut «zu befördern»." Kants Antinomie der praktischen Vernunft 162. Vgl. weiter oben Fußnote 15. * Hierin liegt der springende Punkt der neuen Version des Postulats Gottes im Unterschied zur KrV. " Vgl. Kap. , 4, und Kap. XXV, 6 zum Abs. 8.

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Diese tour de force, zu der die eigene Theorie des Sittlichen Kant in seinem Bemühen zwang, die metaphysischen Wirklichkeiten (in erster Linie die Existenz Gottes) auf dem Weg der praktischen Vernunft zu sichern, verrät aber immer wieder ihren wunden Punkt und zwar an zwei Stellen. Entweder beim Ausgangspunkt selbst. Denn immer wieder drückt sich Kant so aus, daß er in der Tat weiterhin an die wesentliche Verknüpfung des Sittengesetzes mit dem höchsten Gut als seinem unabdingbaren Ziel denkt und sie auch bejaht" (d. h. also der Ansatzpunkt des Postulats ist nicht das genannte Gebot ad hoc). Oder aber beim Endergebnis des durch das partikuläre Gebot des höchsten Gutes begründeten Gottespostulats. Denn obwohl die Verneinung der Existenz Gottes logisch nur die Aufhebung dieses Gebotes mit ihrem partikulären (!) Objekt nach sich zieht, räumt Kant ein, daß dies de facto die Absurdität des Sittengesetzes überhaupt und damit die Aufhebung desselben in toto nach sich zieht. Dies bedeutet aber wiederum die Anerkennung des wesentlichen Zusammenhanges des moralischen Gesetzes mit dem höchsten Gut als Objekt des Gesetzes (gegen den Formalismus) und die Abhängigkeit der verbindenden Kraft des Gesetzes von der Existenz Gottes (gegen die Autonomie). Die Ausführungen Kants in der KpV (und in der KU) pendeln hin und her zwischen der eigenen Fassung des Postulats Gottes (unter der Perspektive des Formalismus und der Autonomie) und der dagegen laufenden Logik der Sache. Welche der beiden Pole dieser Dialektik jeweils vertreten wird, oder zu welchem der beiden Pole die Argumentation steuert, hängt vom Interesse und näheren Argumentationsziel an der jeweiligen Stelle ab.

" So wird z. B. in A 240 = V 133 das höchste Gut einfachhin als "Objekt unseres Willens" und in A 244 = V 135 als "das notwendige Objekt der reinen praktischen Vernunft" bezeichnet; nach A 249 = V 138 ist das höchste Gut das Objekt eines moralisch bestimmten Willens. Vor allem ist der schon besprochene Text am Ende des I. Abschnittes der Dialektik nicht umzudeuten, sondern vielmehr als Ausdruck einer Einsicht gelten zu lassen, der sich Kant trotz der gegenteiligen Logik seiner Theorie des Sittlichen nicht entziehen konnte. Diesem Text gemäfi ist das höchste Gut in seinen beiden Bestandteilen "ein a priori notwendiges Objekt unseres Willens und hangt mit dem moralischen Gesetz unzertrennlich zusammen", derart, daß die "Unmöglichkeit" des höchsten Gutes die "Falschheit" des moralischen Gesetzes zur Folge haben würde (A 206 = V 114). Vgl. Fußnote 15 und 24.

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Der moralische Gottesbeweis

Die verwickelte Textanalyse Albrechts im § 18 (152 ff) M, um das "strikte gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen höchstem Gut und Sittengesetz" (165), so wie Kant sie im I. Abschnitt behauptet (A 205 = V 114), zu relativieren, so wie auch um dem Gebot: "Wir sollen das höchste Gut befördern" einen Sinn abzugewinnen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des rein formalen Charakters des Sittengesetzes, hat zwar das Verdienst eines Versuchs, den verschiedenen und schwer auf einen Nenner zu bringenden Aussagen Kants in ihrem jeweiligen Eigensinn Rechnung zu tragen, löst aber das Grundproblem des Postulats Gottes nicht. Sie dokumentiert bloß das wiederholte Bemühen Kants, Formalismus und Inhaltlichkeit des Sittengesetzes in Einklang zu bringen. An diesen Stellen wird das Objekt bzw. der Zweck des moralischen Gesetzes bald auf die Seite des "Bedürfnisses", bald auf die Seite der "Folge" verschoben (Albrecht 161 f), um die Rolle des Bestimmungsgrundes ausschließlich der Form des Gesetzes vorzubehalten. Die Frage aber bleibt: Kann das moralische Gesetz auch dann verpflichten, wenn prinzipiell das Bedürfnis nicht zu erfüllen ist bzw. die Folge ausbleibt? Wenn ja, dann muß man auch die Sinnlosigkeit sittlichen Handelns vertreten; wenn nein, dann wird die Autonomie zurückgenommen. Albrechts Aussage: "das moralische Gesetz kann nur dann «falsch» sein, wenn eine Bestimmung des Willens durch «die bloße gesetzgebende Form der Maximen allein» (A 51) nicht möglich ist; es kann aber nicht «falsch» sein, wenn das höchste Gut unmöglich ist" (162), bietet keine Lösung des Grundproblems, formuliert es nur! Ebensowenig kann die Auskunft Schmuckers als Lösung gelten, wenn er, wohl im Anschluß an Aussagen Kants (vor allem KU § 91, Fußnote auf S. B 461 f = V 471), die Frage nach dem Zusammenhang von Sittengesetz und höchstem Gut auf die Ebene des theoretischen Vernunftgebrauchs verschiebt und dann bemerkt, daß die theoretische Vernunft den positiven Beweis nicht erbringen kann, daß das höchste Gut unmöglich ist ". Angesichts des Anspruches des Sittengesetzes an vernünftige Wesen scheint doch, daß die Beweislast dem Gesetz selbst zufallt.

"10 Vgl. weiter oben Fußnote 16. Vgl. SCHMUCKES, Die primären Quellen des Gottesglaubens, 167-170; auch hier weiter unten Kap. XXV, Anm. 14.

Die Kritik der praktischen Vernunft

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Eine Lösung des hier erörterten Dilemmas, d. h. ein wirkliches tertium datur, ist mir aus der Sekundärliteratur zur Ethik Kants nicht bekannt. Die Autoren argumentieren entweder auf der Linie der reinen Form und der Autonomie des Sittengesetzes oder auf der Linie des Inhaltes und des Zweckes desselben Gesetzes, oder auch auf beiden nebeneinander, verdecken aber den letzten Ausgang des jeweiligen Gedankenweges (der erstere führt nicht auf die Anerkennung der Existenz Gottes, der andere führt zwar zum Postulat Gottes, gibt aber die Autonomie preis), indem sie stillschweigend den Ausgang des anderen alternativen (!) Weges als gegeben in Anspruch nehmen. Ich stimme mit Becks Ansicht überein, daß es keinen Sinn hat, die Verwirklichung der Glückseligkeit zu gebieten, die nicht in unserer Macht steht, zumal da, wie Kant mehrmals behauptet, das moralische Gesetz weiterhin unbedingt gelten würde, auch wenn dieses Gebot, falls Gott nicht existiert, unrealisierbar wäre. Andererseits, wie ich bereits bemerkt habe *", steckt gerade in dieser bedenklichen Aussage die eigentliche vis probandi eines moralischen Gottesbeweises, nämlich die Einsicht in die Sinnhaftigkeit des moralischen Gesetzes: Die Wirklichkeit ist dem moralischen Wert nicht disparat oder gleichgültig. Es gibt eine letzte Übereinstimmung, ja Einheit von Sein und Sollen: Das Sein ist sinnvoll, wertvoll, und umgekehrt ist das sittlich Gute nicht dem alles (Gut und Böses) nivellierenden Nichts anheimgestellt *'.

6. Postulate und Vernunftglaube An den moralischen Gottesbeweis schließt sich im Abs. 3 eine erste Erörterung des erkenntnismäßigen Status der dadurch erschlossenen

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Vgl. z. B. Kap. , 2 D; hier 2 B. Daß Kant die Glückseligkeit als unverzichtbaren Bestandteil des höchsten Guts hinstellt, ist, genau gesehen, alles andere als "den ganzen Glückseligkeiteschwindel" durch das "Hinterpförtchen" wieder hereinlassen. Daß Kant die Sinnhaftigkeit unseres sittlichen Handelns allem zum Trotz nicht aufgeben konnte, bedeutet wahrhaftig kein "echmähliches" Ende des "Mannes des kategorischen Imperativs". Vgl. E. ADICKBS, Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems, in: KS l (1897) 396. Zur angeblich höheren Moral ohne Zweck siehe hier oben 2 B und Kap. XXV, Nr. 5 zum Abs. 8 (absurdum practicum).

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Der moralische Gottesbeweis

Existenz Gottes an. Die moralische Notwendigkeit, das Dasein Gottes anzunehmen, sei eine subjektive Notwendigkeit, d. h. ein Bedürfnis. Dies wird weiter dahin erläutert, daß die objektive Notwendigkeit (Pflicht), das höchste Gut hervorzubringen, mit sich bringt, daß wir die Möglichkeit des höchsten Gutes postulieren müssen. Nun aber findet unsere Vernunft diese Möglichkeit "nicht anders denkbar als unter Voraussetzung einer höchsten Intelligenz, deren Dasein anzunehmen also mit dem Bewußtsein unserer Pflicht verbunden ist, obzwar diese Annehmung selbst für die theoretische Vernunft gehört" (A 227 = V 126). Kant will diese Annahme der theoretischen Vernunft im Hinblick auf das Objekt der praktischen Vernunft Glauben, näherhin Vernunftglauben nennen (in Abhebung von einer Hypothese, die zur Erklärung eines Seienden, nicht eines Sollens dient). Derselbe Terminus kommt auch in A 260 = V 144 und A 263 = V 146 vor. Das hier angeschnittene Thema wird im Abschnitt VI: "Über die Postulate der reinen praktischen Vernunft überhaupt" weiter ausgeführt. Kant bespricht dort die "drei notwendigen Bedingungen" zur Befolgung der Vorschrift des reinen Willens: Unsterblichkeit, Freiheit und Gott. Solche notwendigen Bedingungen werden in der KpV im Unterschied zur ersten Kritik Postulate genannt. Demnach sind die Postulate der reinen praktischen Vernunft "Voraussetzungen in notwendiger praktischer Rücksicht, erweitern also zwar nicht die spekulative Erkenntnis, geben aber den Ideen der spekulativen Vernunft im allgemeinen (vermittelst ihrer Beziehung auf das Praktische) objektive Realität" (A 238 = V 132) M. "Postulat" besagt sachlich dasselbe wie "Ternunftglaube" als subjektive Notwendigkeit, eine Wirklichkeit anzunehmen; nur daß der letztere den subjekthaften Aspekt, während das erstere den objekthaften Aspekt der Annahme hervorhebt. Unter Absehung von Kants Schwankungen bei der Begriffsbestimmung an den verschiedenen

a Zur Definition von Postulat vgl. auch in der Vorrede der KpV die Fußnote A 22 f = V 11: Die postulierte Möglichkeit (!) von Gott und Unsterblichkeit zur Befolgung praktischer Gesetze sei eine "subjektive, aber doch wahre und unbedingte Vernunftnotwendigkeit''; im Abschnitt über die Unsterblichkeit, A 220 = V 122: Postulat der praktischen Vernunft ist ein theoretischer, aber unerweislicher Satz, der mit einem notwendig geltenden praktischen Gesetz zusammenhangt; im Abschnitt Vffl, A 268 = V 143: Die Postulate betreffen die "in der Natur der Dinge liegenden Bedingungen der Möglichkeit des höchsten Guts", d. h. sie sind Bedingungen dafür, daß der reine Wille dem Vernunftgebot gehorchen kann.

Die Kritik der praktischen Vernunft

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Stellen können wir mit Beck (Kants KpV, 241) den Begriff vom Postulat folgendermaßen umschreiben: Ein gegebener praktischer Satz kann auch für die Praxis nicht gültig sein, wenn nicht auch ein theoretischer Satz anerkannt wird. Letzterer wird aus einem moralischen Grund angenommen (aus einem "Bedürfnis der Vernunft"), aber trägt zu unserer Erkenntnis der Wahrheit nichts bei. Ein solcher theoretischer Satz ist das, was Kant unter Postulat der reinen praktischen Vernunft meint. Die Ausführungen Kants im Postulatenabschnitt und weiter im Abschnitt VII: "Wie eine Erweiterung der reinen Vernunft in praktischer Absicht, ohne damit ihre Erkentnnis als spekulativ zugleich zu erweitern, zu denken möglich sei" und im Abschnitt VIII: "Vom Fürwahrhalten aus einem Bedürfhisse der reinen Vernunft" sind nichts anderes als Variationen zum Thema Vernunftglauben, bzw. wiederholte Versuche, den erkenntnismäßigen Zwitterstatus der postulierten Wirklichkeiten zu klären. Denn ein Postulat der praktischen Vernunft enthält de facto zwei Behauptungen: Daß wir um die postulierten Objekte nicht wissen, zugleich aber, daß die betreffenden Begriffe wahr und damit ihre Objekte wirklich sind. Je nachdem ob der erste oder der zweite Bestandteil des Postulats in den Vordergrund rückt, muß man von einem bloß fiktiven Charakter oder aber vom Wahrheitscharakter der postulatorischen Metaphysik Kants sprechen w. Besonders aufschlußreich sind die ersten zwei Absätze des VII. Abschnittes. Das praktische Gesetz verbürgt den drei Vernunftbegriffen von Freiheit, Unsterblichkeit und Gott "objektive Realität". Die für die theoretische Erkenntnis sonst "problematischen Begriffe" werden wegen der praktischen Vernunft "für solche erklärt, denen wirklich Objekte zukommen" (A 242 = V 134). Durch das praktische Ge-

" Im späteren Aufsatz: "Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie" schreibt Kant über Gott als Postulat: "An ihn moralisch-praktisch glauben, heißt ... so zu handeln, als ob eine solche Weltregierung wirklich wäre" (A 406a = VHI 397). Ähnlich drückt sich Kant in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik aus: Die Postulatenlehre ist "kein Beweis von der Wahrheit dieser Sätze, ... mithin keine objektive Belehrung von der Wirklichkeit der Gegenstände derselben ..., sondern nur eine subjektiv-, und zwar praktisch-gültige, und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob wir wüßten, daß diese Gegenstände wirklich wären" (A 116 f = XX 298). Dieses "Als ob" anstatt der Wahrheit mit ihrer transsubjektiven Tragweite enthält ein voluntaristisches Moment: "Ich will, daß ein Gott ... sei, ich beharre darauf und lasse mir diesen Glauben nicht nehmen" (KpV A 268 = V 143). Vgl. Kap. XVÜI zu den Abs. 7 und 9.

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Der moralische Gottesbeweis

setz, nämlich das Gebot, das höchste Gut zu befördern, "werden wir angewiesen, daß sie [die zunächst transzendenten Gedanken] Objekte haben". Die theoretische Vernunft wird "genötigt, daß es solche Gegenstände gebe, einzuräumen" (A 243 f = V 135). All dies aber bedeutet keine Erkenntnis unserer theoretischen Vernunft, d. h. keine Erkenntnis schlechthin. Durch den praktischen Gebrauch unserer Vernunft sind wir also darauf angewiesen, daß die zur Debatte stehenden "transzendenten Gedanken" "Objekte haben". Dies aber, fugt Kant hinzu, "ist auch noch nicht Erkenntnis dieser Objekte" (A 243 = V 135). Der Grund ist, daß uns von diesen Objekten keine Anschauung möglich ist, wie Kant mehrmals an unserer Stelle wiederholt. Man kann die Position Kants zum erkenntnismäßigen Status der Objekte des moralisch begründeten Glaubens folgendermaßen umschreiben: Wir wissen um die Wirklichkeit der postulierten Objekte, also um die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele, nicht; diese Objekte sind aber wahr, d. h. wirklich. Tatsächlich schreibt Kant: "die Realität der Begriffe, die zum Behuf der Möglichkeit des höchsten Guts gehören, [ist] hinreichend gesichert, ohne gleichwohl durch diesen Zuwachs die mindeste Erweiterung der Erkenntnis nach theoretischen Grundsätzen zu bewirken" (A 246 = V 136) M. Über diese Spannung von einem "Zuwachs" der theoretischen Erkenntnis durch das praktische Vermögen und doch keine Erkenntnis der transzendenten Objekte gehen die langen und repetitiven Ausführungen Kants nicht hinaus. Es erhellt, daß das sachliche Problem, das all diesen widerstreitenden Aussagen zugrundeliegt, das Erkenntnisproblem schlechthin ist, die Frage also nach dem Kriterium unserer Erkenntnis der Wirklichkeit. Ich habe mehrmals darauf hingewiesen, daß Kants Lehre von der Erkentnis in ihrem Kern ein sensualistischer Intuitionismus ist, für den das Wesen der Erkenntnis in einer sinnlichen Anschauung besteht (die allein uns die Wirklichkeit vermittelt), während das Denken (durch die Begriffe des Verstandes und die Ideen der Vernunft) völlig im Dienst der Anschauung steht, ohne einen eigenen Realinhalt beisteuern zu können. Unter dieser Voraussetzung kann uns ein "übersinnlicher Gegenstand" (A 243 = V 34 Vgl. auch die schon zitierte Stelle aus der Vorrede der KpV, die von einer "subjektiven, aber doch wahren ... Vernunftnotwendigkeit" spricht (A 23 = V 11).

Die Kritik der praktischen Vernunft

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135) per definitionem nicht gegeben werden. Also ist uns eine Erkenntnis von ihm nicht möglich M. Andererseits kann Kant nicht umhin, gegen die Logik seiner eigenen Erkenntnistheorie einzuräumen, daß die theoretische Vernunft durch die praktische Vernunft "einen Zuwachs bekommt" (A 242 = V 134), insofern sie einen zureichenden Grund erhält, die Existenz bestimmter transzendenter Wirklichkeiten zu behaupten. Aber weder diese rationale (d. h. begründete) Behauptung noch die darauffolgende (!) Anwendung der Kategorien auf diese Objekte (A 245 f = V 136) geben eine Erkenntnis derselben her. Die fraglichen Objekte werden uns ja nicht in einer Anschauung vermittelt! Kurzum, in der Erkenntnislehre Kants fehlt die Thematisierung jener intelligenten und rationalen Intentionalität, in deren abschließendem Vollzug durch das rationale Urteil unsere Erkenntnis der Wirklichkeit stattfindet. Hat man das rationale Urteil als Wahrheits- und Wirklichkeitskriterium eingesehen, so kann man weiter zwischen eigentlicher Erkenntnis des uns proportionierten Seienden (dessen Daten uns durch die Erfahrung gegeben werden) und analoger Erkenntnis des transzendenten Seienden unterscheiden, wobei die erfahrungsmäßige Komponente der letzteren nicht die des bejahten und damit erkannten Seienden selbst ist. Aber in beiden Fällen handelt es sich um eine Erkenntnis der Wirklichkeit. Daß wir Gott "nur" durch ein rationales Urteil erkennen, ist kein Grund, um diesem Akt den Status einer Erkenntnis zu bestreiten, da ja alle unsere Erkenntnisse der Wirklichkeit erst und nur im rationalen Urteil stattfinden.

38 Ich empfinde es als eine regelrechte Eskamotage, wenn SCHMUCKES, Die primären Quellen des Gottesglaubens, 168, erklärt, Kant bestreite die Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes, weil er einen "strengen Begriff des Wissens zugrundelegt". Der Sensualismus, der das Sein zu jener Sinnlichkeit korreliert, die der Mensch mit den Tieren gemeinsam hat, wird im Handumdrehen zur strengen Erkenntnistheorie geadelt!

XXV. Kapitel Teleologie und moralischer Grottesbeweis in der Kritik der Urteilskraft Literatur Marc-Wogau, Konrad, Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft, Uppsala-Leipzig 1938, Vierte Studie: Der moralische Gottesbeweis, 246-318. Lenfers, Dietmar, Kants Weg von der Teleologie zur Theologie. Interpretationen zu Kants Kritik der Urteilskraft, Köln 1965. Schmucker, Josef, Die primären Quellen des Gottesglaubens, Freiburg 1967, Kap. III: Das Kantische Postulat des Daseins Gottes als Lösung der Gottesfrage vom personalen Pol aus (142-180). Düsing, Klaus, Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie, in: KS 62 (1971) 5-42 (insbesondere 34 ff). Schüßler, Ingeborg, Ethique et Theologie dans la Critique de la Facult de Juger de Kant, in: Revue de Theologie et de Philosophie, 118 (1986) 337-372.

1. Das Problem der Zweckmäßigkeit in der KU Die KU nimmt die Frage nach Gott im Anhang zur Kritik der teleologischen Urteilskraft wieder auf. Indem die dritte Kritik die Finalität in der Natur systematisch untersucht, liefert sie auch den geeigneten Kontext für die Physikotheologie. Wir haben gesehen, daß im Denken Kants der physikotheologische Beweis, trotz aller Vorbehalte, stets eine wichtige positive Rolle gespielt hat. Aber für die Physikotheologie konnte die erste Kritik von sich aus keinen passenden Ansatz bereitstellen, da ihre mechanische Betrachtung der Natur den Begriff des Zweckes ignoriert. Es würde hier zu weit gehen, wollten wir die vielschichtige Lehre der KU von der Zweckmäßigkeit in der Natur untersuchen und damit auch die verschlungenen Fäden verfolgen, die von dieser Lehre her zur Wiederaufnahme der Gottesfrage gegen Ende des Buches führen. Hier soll lediglich dem Hauptstrang nachgegangen werden, der sich bis in die Physikotheologie des § 85 erstreckt und darüber hinaus in die Ethikotheologie des § 86 und in

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den moralischen Grottesbeweis des § 87. Damit werden wir Kants Position zur Gottesfrage in seiner letzten Kritik ermitteln. Kant hat sich in der "Allgemeinen Naturgeschichte" und in der II. Abtig, des EmBg eingehend auf die zweckmäßige Einrichtung der Welt berufen, vor allem im Hinblick auf seine eigene verbesserte Physikotheologie; er hat aber keine Theorie von der Finalität entwikkelt und keine Erklärung ihres erkenntnistheoretischen Status gegeben. Die realistische Sichtweise seines vorkritischen Denkens erübrigte es ihm, letztere Frage aufzuwerfen. Der Kontext ändert sich in der KU; denn Thema der "Kritik der teleologischen Urteilskraft" ist primär die Untersuchung derjenigen organischen Natur, von der Kant in den vorkritischen Schriften sich mit der Auskunft begnügt hatte, daß sie mechanisch nicht zu erklären ist. Auch in der KrV war die ganze organische Natur außerhalb des Gesichtskreises Kants geblieben, insofern er durch die transzendentalidealistische Wende sich vornahm, die Naturwissenschaft als Mechanik überhaupt zu begründen. Das Phänomen der Lebewesen zu erklären ist das Vorhaben, das Kant im zweiten Teil seiner KU, einschließlich des langen Anhanges, verfolgt. Dazu führt er das "Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur" als das Prinzip der "reflektierenden Urteilskraft" ein (Einleitung, V). Diese neu entdeckte Funktion der Urteilkraft erschließt eine Mittelposition zwischen dem Realismus, für den das Objekt unsere Erkenntnis bestimmt, und dem Idealismus, für den die Urteilskraft selbst das Objekt bestimmt (bestimmende Urteilskraft). Letzteres gilt nun lediglich für die allgemeinen (transzendentalen) Naturgesetze, aber nicht für die besonderen Naturgesetze, die gerade die Gesetze sind, die sich in ihrer Mannigfaltigkeit als final geordnet erweisen. Infolgedessen nimmt die Zweckmäßigkeit in der Natur einen "dritten" ontologischen Status zwischen Ding an sich und Erscheinung ein. Genau gesagt soll die reflektierende Urteilskraft mit ihrem Prinzip der Zweckmäßigkeit zur Lösung mehrerer Problemkreise angewandt werden: zum Phaenomen des Schönen (ästhetische Urteilskraft), zu den besonderen oder partikulären Naturgesetzen, zur Natur als einem einheitlichen System und zu den organischen Lebewesen (teleologische Urteilskraft). Hier beschränke ich mich auf die Funktion der Urteilskraft zur Erklärung der Zweckmäßigkeit in der Natur. Mit dem Zweckbegriff als transzendentalem Prinzip der reflektierenden Urteilkraft will Kant sagen, daß wir einerseits der Natur ihre

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Der moralische Gottesbeweis

zweckmäßig geordneten besonderen Gesetze nicht vorschreiben, daß wir aber andererseits dieselben nicht einfach a posteriori von der Natur ablesen, sondern daß wir uns selbst vorschreiben, wie wir die Natur zu untersuchen haben. Wir sollen nämlich an die Natur so herangehen, "als ob gleichfalls ein Verstand (wenngleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte" (KU B XXVII = V 180). Das Bedenkliche an dieser Lehre von der Finalität der Natur, worauf viele Autoren hingewiesen haben ', ist, daß sie die Finalität als ein unbegreifliches, glückliches "Klappen" einer zunächst einmal subjektiven Anweisung für unsere Untersuchung der Natur hinstellt, von dem weder gefolgert werden kann, daß die Natur in sich selbst zweckmäßig geordnet ist, noch, daß das transzendentale Subjekt selbst die final geordneten Gesetze in die Natur hineinlegt (letzteres ist die transzendentalidealistische Lösung des Konformitätsproblems in der KrV). Das typisch Kantische "Als ob" läßt die Frage nach dem seinsmäßigen Status der Finalität in der Natur in der Schwebe: "Die Natur wird durch diesen Begriff [der Zweckmäßigkeit] so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte" (B XXVIII = V 180 fj.

2. Von der inneren Zweckmäßigkeit in der Natur zum Menschen als Endzweck der Schöpfung In der Analytik des zweiten Teils der KU (§§ 62-68) erklärt Kant die Möglichkeit (die Form) der Organismen, indem er sie unter den Begriff der inneren Zweckmäßigkeit bringt: Ein organisiertes Naturprodukt ist das, "in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist" (§ 66: B 295 f = V 376). Die innere Zweckmäßigkeit der organischen Naturdinge bringt nun die Annahme einer Ursache nach sich, die diese Dinge absichtlich nach einem Entwurf geschaffen hat.

1

Vgl. Giovanni B. SALA, Das Apriori in der Erkenntnis. Zu einem Grundproblem der Kantischen Kritik, in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, Bonn 1981, vor allem 779 f.

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Die Lehre von einer inneren Zweckmäßigkeit führt aber auch zum Begriff einer äußeren Zweckmäßigkeit, die die Existenz eines Dinges betrifft: Indem wir ein Naturding als Mittel zu einem anderen bzw. als Zweck für etwas anderes verstehen, machen wir die Existenz dieses Naturdings begreiflich. Unter die äußere Zweckmäßigkeit fallen sowohl die Organismen (für die auch die innere Zweckmäßigkeit gilt) als auch die unbelebten Naturdinge. Letztere weisen nur in bezug auf die organischen Wesen eine Mittel-Zweck-Beziehung auf, so daß ihre Existenz nur im Hinblick auf die Lebewesen erklärbar ist (vgl. § 82). Im § 67, in dem die Teleologie auf das Weltganze ausgeweitet wird, heißt es: Der Begriff der Naturzwecke "führt notwendig auf die Idee der gesamten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwekke ... und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr in ihren Gesetzen nichts, als was im ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten" (B 300 f = V 379). M. a. W. die Existenz eines jeden Naturdinges muß als Mittel bzw. als Zweck für die Existenz anderer Naturdinge angesehen werden, so daß die ganze Natur ein zweckmäßiges System bildet. Da andererseits die (untermenschlichen) Naturprodukte keine unbedingten Zwecke sind, stellt sich die Frage nach der äußeren Zweckmäßigkeit der Natur im ganzen. Kant beantwortet diese Frage in zwei Schritten. a) Wenn wir zunächst noch bei der Betrachtung der Natur verbleiben, so zeigt sich, daß der letzte Zweck der Natur im Menschen allein zu finden ist. "Endlich ist die Frage: wozu sind diese [Raubtiere, und überhaupt das Tierreich] samt den vorigen Naturreichen gut? Für den Menschen, zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn sein Verstand von allen jenen Geschöpfen machen lehrt; und er ist der letzte Zweck der Schöpfung hier auf Erden, weil er das einzige Wesen auf derselben ist, welches sich einen Begriff von Zwecken machen und aus einem Aggregat von zweckmäßig gebildeten Dingen durch seine Vernunft ein System der Zwecke machen kann" (§ 82: B 383 = V 426 f). Der Mensch als Kulturwesen nimmt die Stelle des höchsten Gliedes in der Kette der bedingten Zwecke der Natur ein, also die Stelle des "letzten Zwecks der Natur als eines teleologischen Systems", wie die Überschrift des § 83 lautet. "Nur die Kultur kann der letzte Zweck sein, den man der Natur in Ansehung der Menschengattung beizulegen Ursache hat", wobei die Kultur als "die Hervorbrin-

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gung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwekken überhaupt (folglich in seiner Freiheit)" definiert wird (KU, B 391 = V 431). In Beziehung auf den Menschen "machen alle übrigen Naturdinge ein System von Zwecken aus" (B 388 = V 429). Im Menschen kommt die ganze zweckmäßige Einrichtung der Natur zu sich selbst, weil er allein sich einen Begriff vom Zweck machen kann. Da aber der Mensch unter dieser Rücksicht keinen höheren Zweck als die relativen Zwecke der Naturdinge hat, die er zu einem ihm dienstbaren System vereinigt, deshalb gehört er so gesehen noch der Natur als ihr höchstes Stück an. Damit ist die Frage nach dem Wozu der Natur selbst als ganze noch nicht beantwortet. b) Dazu ist ein weiterer Schritt nötig: Vom letzten Zweck in der Natur zu einem unbedingten Zweck, den wir mit Kant Endzweck der Schöpfung nennen können. Von ihm handelt der § 84: "Von dem Endzwecke des Daseins einer Welt, d. i. der Schöpfung selbst." Dieser Endzweck muß außerhalb der Natur in etwas Übersinnlichem gesucht werden. Es ist der Mensch, aber jetzt insofern er Träger der Sittlichkeit ist. Denn das moralische Gesetz als absolut autonomes Gesetz macht, daß der Mensch "in der Ordnung der Zwecke von keiner anderweitigen Bedingung als bloß seiner Idee abhängig ist" (B 397 f = V 435). Nur das Subjekt eines unbedingten Gesetzes qualifiziert sich zum absoluten Endzweck der Schöpfung. "Wenn nun Dinge der Welt, als ihrer Existenz nach abhängige Wesen, einer nach Zwekken handelnden obersten Ursache bedürfen, so ist der Mensch der Schöpfung Endzweck; denn ohne diesen wäre die Kette der einander untergeordneten Zwecke nicht vollständig gegründet, und nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjekte der Moralität, ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht, ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist" (B 398 f = V 435 f). Die Untersuchung Kants über die Zweckmäßigkeit in der Natur endet somit im Menschen, in dem die physische Teleologie, d. h. die Teleologie der Natur als solcher, in eine moralische Teleologie einmündet. Die Teleologie in der Natur findet im Menschen als moralischem Wesen ihr Telos und wird somit zu einer moralischen Teleologie. Nur die moralische Teleologie schließt die Kette der formalen (inneren) und der äußeren Zweckmäßigkeit in der Welt ab, indem sie über die materielle Welt hinaus weist. Damit hat Kant einen Ansatz

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gewonnen sowohl zur P%sifcotheologie als auch zur Der Gedankengang in den letzten Paragraphen der KU zielt darauf ab, einen Zusammenhang zwischen den Überlegungen der physischen Teleologie und dem moralischen Gottesbeweis herzustellen, und damit zwischen zwei Gottesbeweisen, die Kant bisher als zwei einfachhin getrennte Wege zur Erkenntnis Gottes behandelt hatte. Dabei fallt aber die Beurteilung der Physikotheologie in der KU merklich anders als in den vorigen Schriften aus: Die physische Teleologie erweist sich nur als eine Vorstufe zur moralischen Teleologie. Die Frage nach Gott in der KU stellt sich präzis als Frage, ob die moralische Existenz des Menschen in der Welt gerade wegen der Hinordnung der Natur auf das verantwortliche Handeln des Menschen das Dasein Gottes voraussetzt. Damit sind wir wieder beim Begriff des höchsten Guts (Verbindung von Sittlichkeit und Glückseligkeit, d. h. Natur), den wir im vorigen Kapitel erörtert haben; diesmal aber im Kontext der Frage nach dem Endzweck der Welt.

3. Die neue Fassung des physikotheologischen Beweises Literatur Kraft, Michael, Thinking the Physico-Teleological Proof, in: International Journal for Philosophy of Religion, 12 (1981) 65-74.

Von der vorhergehenden Untersuchung über die Zweckmäßigkeit in der Welt geht Kant zur Gottesfrage über, wobei die zwei Arten der Teleologie zwei verschiedene Zugänge zum höchsten Wesen, also zwei Theologien liefern - oder zu liefern scheinen. Erstens die Physikotheologie. Sie versucht, von den empirisch erkennbaren Zwecken der Natur, einschließlich der Kultur des Menschen, auf eine oberste Ursache der Natur und ihre Eigenschaften zu schließen. Zweitens die Moraltheologie (Ethikotheologie), die versucht, vom moralischen Zweck vernünftiger Wesen in der Natur, damit aber von einer übersinnlichen Wirklichkeit, die Endzweck der ganzen Schöpfung ist, auf die oberste Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen (§ 85, erster Abs.). Die Physikotheologie wird an drei Stellen des Anhangs zur Kritik der teleologischen Urteilskraft behandelt.

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a) § 85. Von der Physikotheologie Der traditionelle Beweis wird hier als bekannt vorausgesetzt, so daß Kant sofort zur Kritik schreitet. Der Hauptstrang dieser Kritik ist kritizistischen Charakters, daß nämlich zum Schluß von der Natur auf ihre Ursache uns nur "die Maxime der reflektierenden Urteilskraft" zur Verfügung steht. Vermöge dieses Prinzips kann die Physikotheologie "zwar den Begriff einer verständigen Weltursache als einen subjektiv für die Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens allein tauglichen Begriff von der Möglichkeit der Dinge, die wir uns nach Zwecken verständlich machen können, rechtfertigen, aber diesen Begriff weder in theoretischer noch praktischer Absicht weiter bestimmen" (B 401 f = V 437). Diese Subjektivierung der teleologischen Argumentation entspricht offenkundig der Subjektivierung des Zweckbegriffes in der KU. Denn, so wird in der Einleitung VIII erklärt: Die Zweckmäßigkeit in der Natur "ist gar kein Begriff vom Objekt, sondern nur ein Prinzip der Urteilskraft, sich in dieser ihrer [der Natur] übergroßen Mannigfaltigkeit Begriffe zu verschaffen (in ihr orientieren zu können): so legen wir ihr [der Natur] doch hierdurch gleichsam eine Rücksicht auf unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks bei" (B L = V 193). Da weiter das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit, mit dem die reflektierende Urteilskraft operiert, ein Prinzip zur Erforschung der Natur ist, bleibt die angebliche Phyikotheologie in der Tat "immer nur eine physische Teleologie [keine Theologie!], weil die Zweckbeziehung in ihr immer nur als in der Natur bedingt betrachtet wird ..., mithin den Zweck, wozu die Natur selbst existiert (wozu der Grund außer der Natur gesucht werden muß), gar nicht einmal in Anfrage bringen kann" (B 402 = V 437). Neben dieser kritizistischen Lehre von der Zweckmäßigkeit, die das Hauptargument gegen den herkömmlichen physikotheologischen Beweis hergibt, nimmt Kant hier (Abs. 6, 8-9), sowie an zwei anderen Stellen des Anhangs (§ 90, Abs. 1; "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie", Abs. 10), auch seine frühere Kritik aus dem EmBg und der KrV wieder auf: Einheit (Einzigkeit) und unendliche Vollkommenheit der Erstursache können nicht auf der Basis der Beschaffenheit der Welt bewiesen werden. Denn der theoretische Gebrauch der Vernunft verlangt, nach dem Prinzip der Proportion zwischen Wirkung und Ursache, "zu Erklärung eines Objekts der Erfahrung diesem nicht

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mehr Eigenschaften beizulegen, als empirische Data zu ihrer Möglichkeit anzutreffen sind" (B 404 = V 438). Bei genauerer Betrachtung erhellt, daß die Idee von einem höchsten Wesen und die Überzeugung seiner Existenz auf dem praktischen Vernunftgebrauch beruhen, der allein das Mangelhafte der Physikotheologie zu "ergänzen" vermag (B 404 = V 438 f) *. Die Quelle der Überzeugung von der Existenz Gottes hat sich offenkundig von der Teleologie der Natur zur Teleologie des Menschen als freien und verantwortlichen Wesens verlegt. Das Fazit zum Schluß des Paragraphen lautet: "Also ist die Physikotheologie eine mißverstandene physische Teleologie, nur als Vorbereitung (Propädeutik) zur Theologie brauchbar, und nur durch Hinzukunft eines anderweitigen Prinzips, auf das sie sich stützen kann, nicht aber an sich selbst, wie ihr Name es anzeigen will, zu dieser Absicht zureichend" (B 410 = V 442).

b) § 90. Von der Art des Fürwahrhaltens in einem teleologischen Beweis des Daseins Gottes Der Abschnitt verfolgt das Ziel, näher zu bestimmen, zu welcher Art von Erkenntnis die Physikotheologie fuhrt. Kant spricht immer noch von der "populären Brauchbarkeit" dieses Beweises, hält aber seine Beweiskraft für nichts mehr als einen "heilsamen Schein" (B 445 f = V 462). Auch hier weist Kant auf die Schwäche der natürlichen Theologie hin, insofern sie gegen das Prinzip der Proportion zwischen Wirkung und Ursache auf eine einzige und unendliche (vollkommenste) Weltursache schließt. Besonders zu tadeln findet Kant den Umstand, daß der Beweis die physische Teleologie (von der allein er angeblich ausgeht) mit der moralischen Teleologie vermengt, um doch zu einer moralischen Erstursache zu gelangen. Kant stellt in diesem Paragraphen eine Stufenleiter der verschiedenen Grade von Fürwahrhalten durch den theoretischen Vernunftgebrauch auf: logisch-strenger Vernunftschluß, Schluß nach Analogie, wahrscheinliche Meinung, Hypothese. Im Hinblick auf den Be-

* Über diese Ergänzungsfunktion des moralischen Beweises zugunsten des physikotheologischen vgl. im Kap. XXI das zum Abs. 7 Gesagte.

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Der moralische Gottesbeweis

weis des Daseins des Urwesens als einer Gottheit (oder der Seele als eines unsterblichen Geistes) vermag unsere Vernunft nicht einmal den mindesten Grad von Fürwahrhalten, nämlich eine Hypothese, zu erreichen, da letztere das Wissen um die reale Möglichkeit der in Frage stehenden Wirklichkeit voraussetzt. Besonders zu beachten ist, daß Kant sich ausdrücklich auf die Erkenntnislehre der ersten Kritik beruft und sie im Sinne eines sensualistischen Intuitionismus versteht bzw. bestätigt: Wir sind keiner Erkenntnis des höchsten Wesens fähig, weil "dem Begriff von einem Wesen, welches über die Natur hinaus zu suchen ist, keine uns mögliche Anschauung korrespondiert" (B 448 = V 463). Dieser These, daß die Erkenntnis wesentlich in der (sinnlichen) Anschauung besteht, entspricht - worauf ich im Laufe dieser Studie mehrmals hingewiesen habe - die völlige Indienstnahme unseres Verstandes durch die Anschauung: Die Prinzipien des Verstandes "gelten lediglich für die Natur als Gegenstand der Sinne" (B 448 = V 464), d. h. um jene Wirklichkeit intellektuell zu buchstabieren, die uns die Sinne vermitteln (vgl. KrV, A 314). Auf dieser Grundlage ist eine Erkenntnis Gottes durch den theoretischen Vernunftgebrauch a limine ausgeschlossen *. Wir sind nicht einmal berechtigt, die reale Möglichkeit eines übersinnlichen Wesens anzunehmen, "da hierzu keine von den erforderlichen Bedingungen einer Erkenntnis nach dem, was in ihr auf Anschauung beruht, gegeben ist" (B 453 = V 466).

c) "Allgemeine Anmerkung zur Teleologie" In diesem Schlußabschnitt des ganzen Werkes geht Kant nochmals auf die drei möglichen Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft und auf den moralischen Gottesbeweis ein. Davon sind die Abs. 5-10 (B 470-476 = V 476-480) dem physikotheologischen Beweis gewidmet. Von den empirisch feststellbaren Zwecken der Natur her, abgesehen vom Endzweck des Daseins der Welt, der nur ein moralischer Zweck sein kann, kann man zwar den Begriff einer verständigen Ursache bilden, aber keinen Begriff eines höchsten Wesens

' Vgl. meine systematischen Überlegungen am Ende des Kap. XXIV.

Die Kritik der Urteilskraft

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im Sinne Gottes, wobei die konstitutiven Merkmale einer Gottheit, die Kant immer wieder erwähnt, Einzigkeit, Vollkommenheit (Unendlichkeit) und Moralität sind. Auch hier weist Kant darauf hin, daß der gemeine Verstand leicht dazu verleitet wird, physische und moralische Teleologie zu vermengen und so der Physikotheologie den Anschein eines stichhaltigen Beweises zu geben. Wenn man dagegen die Prinzipien beider Beweisarten voneinander sauber scheidet, so erhellt, daß "der moralische Beweisgrund vom Dasein Gottes" ein eigener Beweis ist, der den Mangel der Physikotheologie eigentlich nicht ergänzt, sondern "ersetzt"! Der Weg über die physische Teleologie, der über die Kausalität nach Zwecken in der Welt geht, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf moralische Zwecke und damit auf den Endzweck der Schöpfung. Aber "der moralische Beweis ... würde daher doch immer in seiner Kraft bleiben, [auch] wenn wir in der Welt gar keinen oder nur zweideutigen Stoff zur physischen Teleologie anträfen" (B 472 f = V 478). Da sich nun in der Welt reichlicher Stoff zur physischen Teleologie bietet, dient diese dem moralischen Argument zur Bestätigung. Aber die physische Teleologie "ist nicht erforderlich, um den moralischen Beweis darauf zu gründen", noch dient der moralische Beweis dazu, den physikotheologischen Beweis zu einem richtigen Beweis zu ergänzen. "Zwei so ungleichartige Prinzipien als Natur und Freiheit können nur zwei verschiedene Beweisarten abgeben" (B 474 = V 479). Der von der ganzen Anlage der Kritik der teleologischen Urteilskraft zunächst angestrebte Zusammenhang von physischer Teleologie und Ethikotheologie scheint sich zum Schluß völlig aufzulösen zugunsten der Eigenständigkeit und Suffizienz des moralischen Gottesbeweises.

4. § 86. Die Ethikotheologie Auf der Linie einer teleologischen Betrachtung der Welt weitet nun der § 86 die physische Teleologie, die lediglich bis zu einer verständigen, aber noch nicht als Gott bestimmbaren Erstursache gelangen konnte, zu einer regelrechten EÜakotheologie aus. Was diesen letzten Schritt zu einem Gottesbeweis ermöglicht, ist die hinzukommende Betrachtung der moralischen Teleologie im Menschen. Dafür beruft sich Kant auf das, was er im § 84 über den Menschen als Endzweck

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Der moralische Gottesbeweis

der Schöpfung gesagt hat. Nur als Subjekt der Moralität, d. h. als desjenigen "guten Willens" iahig, der zu Beginn der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" seine klassische Schilderung erhalten hat, hat das Dasein des Menschen einen absoluten Wert und hat das Dasein der Welt in Beziehung auf diesen Wert einen Endzweck. Damit sind die Zwecke in der Welt "einem unbedingten obersten, d. i. einem Endzweck" untergeordnet (Abs. 3). Über die "notwendige Beziehung der Naturzwecke auf eine verständige Weltursache" hinaus (Abs. 4: Physikotheologie) haben wir somit "ein Prinzip, die Natur und Eigenschaften dieser ersten Ursache als obersten Grundes im Reiche der Zwecke zu denken und so den Begriff derselben zu bestimmen" (ebd.). Wir sind jetzt berechtigt, in ihr die transzendentalen Eigenschaften, nämlich Allwissen, Allmacht, Allgegenwart, Ewigkeit usw., einschließlich der moralischen, zu denken. "Auf solche Weise ergänzt (!) die moralische Teleologie den Mangel der physischen, und gründet allererst eine Theologie" (Abs. 5). In diesem Sinne legt die Ethikotheologie die Physikotheologie zugrunde und führt sie zu Ende. Es gilt aber auch, daß die Beziehung der Welt wegen der moralischen Zweckbestimmung des Menschen auf eine oberste Ursache für sich allein hinreichend ist, die Existenz dieser obersten Ursache als Gottheit zu beweisen. Die Entdeckung von Zwecken in der Natur infolge der bereits gewonnenen Überzeugung von der Existenz Gottes hätte dann die Funktion, diese Überzeugung zu bestätigen (Abs. 6)". Die darauf folgende "Anmerkung" weist aber auch auf Grunderfahrungen der menschlichen Existenz hin wie Dankbarkeit, Gehorsam gegen das moralische Gesetz oder schlechtes Gewissen wegen Übertretung des Gesetzes, die zeigen ("ohne alle Rücksicht auf theoretischen Beweis", insbesondere auf den physikotheologischen), daß der Mensch als moralisches Wesen und damit als Endzweck der Schöpfung auf eine höchste moralische Intelligenz verweist, die Ursache von Mensch und Welt ist. Damit wird der ursprünglich moralische Charakter des Gottesbegriffes bestätigt, von dem bereits in der KpV A 249-252 = V 138-140 die Rede gewesen ist. Dieselbe Bestätigung

4

Von einer so aufgefaßten Beziehung der Physikotheologie zur Ethikotheologie ist auch weiter unten in der "Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie" die Rede, wie ich schon in Nr. 3 c) ausgeführt habe.

Die Kritik der Urteilskraft

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wieder in der "Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie", B 477 = V 481'. Das Auszeichnende der hier vorgelegten Ethikotheologie ist, daß sie einen moralischen Gottesbeweis entwickelt, ohne auf den Begriff des höchsten Gutes (und in ihm auf die Glückseligkeit) zu rekurrieren. Es ist vielmehr die Moralität selbst, wodurch der Mensch eines unbedingten Wertes fähig und damit Endzweck der ganzen Schöpfung ist, die den medius probationis hergibt. Diese Version des moralischen Gottesbeweises gehört insofern zu einem teleologischen Gottesbeweis, als die Zweckmäßigkeit überhaupt "nach Beschaffenheit unserer Vernunft" (Abs. 4) eine verständige Ursache verlangt. Die Ausrichtung der gesamten Natur auf den Menschen als moralisches Wesen ermöglicht, über eine noch unbestimmte Intelligenz hinaus auf eine höchste moralische Intelligenz, die eine solche Welt entworfen und geschaffen hat, zu schließen. Allerdings kündigt sich gegen Ende des Abschnittes ein Gedanke an, der auf einen moralischen Gottesbeweis hinweist, der die schon untersuchte Version beider vorhergehenden Kritiken wieder aufnimmt. Es heißt nämlich: "Wozu noch kommt" - damit scheint Kant einen Nachgedanken anzudeuten -, "daß wir, nach einem allgemeinen höchsten Zwecke zu streben, uns durch das moralische Gesetz gedrungen, uns aber doch und die gesamte Natur ihn zu erreichen unvermögend fühlen; daß wir, nur sofern wir danach streben, dem Endzweck einer verständigen Weltursache ... gemäß zu sein urteilen dürfen; und so ist ein reiner moralischer Grund der praktischen Vernunft vorhanden, diese Ursache ... anzunehmen, wo nicht mehr, doch damit wir jene Bestrebung in ihren Wirkungen nicht für ganz eitel anzusehen und dadurch sie ermatten zu lassen Gefahr laufen" (B 417 f = V 446). Bisher war lediglich davon die Rede, daß der Mensch Endzweck der Schöpfung ist, jetzt scheint Kant sagen zu wollen, daß er auch einen höchsten Zweck (einen Endzweck) hat, für dessen Verwirklichung er aber eine verständige Weltursache annehmen darf (oder soll?). Mit dieser neuen Überlegung hat sich Kant den Übergang zur Wiederaufnahme des moralischen Gottesbeweises aus der KrV und der KpV verschafft. Diese Wiederaufnahme findet im folgen-

' Vgl. Kap.

, 2 C am Ende.

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Der moralische Gottesbeweis

den Paragraphen statt unter einer Überschrift, die eigentlich dasselbe bedeutet wie die hier benutzte Redewendung "Ethikotheologie" *.

5. § 87: "Von dem moralischen Beweis des Daseins Gottes" Der Kern der vorliegenden Fassung des moralischen Gottesbeweises liegt in Abs. 4-7. Die vorangehenden Überlegungen zielen darauf ab, den früheren Gottesbeweis aus dem Kanon-Abschnitt der KrV und das Postulat Gottes der KpV in die Perspektive der Teleologie zu stellen. Wir finden in uns selbst eine moralische Teleologie, nämlich das moralische Gesetz mit seiner a priori notwendigen Zweckbestimmung. Da nun unsere praktische Vernunft "in der Zweckbeziehung ihr selbst das oberste Gesetz sein kann" (Abs. 3), braucht diese Teleologie "keine verständige Ursache außer uns" (Abs. 1). Damit will Kant verhüten, daß sein moralischer Gottesbeweis als eine Begründung der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes in einem transzendenten Wesen mißverstanden wird - was gegen das Grundprinzip der Autonomie wäre. Aber diese moralische Teleologie betrifft uns als Weltwesen. Die Gegenstände in der Welt, in der wir das Sittengesetz einzuhalten haben, sehen wir als mögliche Mittel für unsere Handlungen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die moralische Teleologie uns nötige, "über die Welt hinauszugehen und zu jener Beziehung der Natur auf das Sittliche in uns ein verständiges oberstes Prinzip zu suchen, um die Natur auch in Beziehung auf die moralische innere Gesetzgebung und deren mögliche Ausführung uns als zweckmäßig vorzustellen" (Abs. 1). Kurzum, es ist die Frage, wie sich die Natur zu unserer autonomen Gesetzgebung verhält, da wir in der Welt nach dem moralischen Gesetz zu handeln haben. Um diese Frage zu beantworten, bezieht sich Kant auf die schon vorgetragene Lehre, daß der Mensch unter moralischen Gesetzen sich selbst ursprünglich einen absoluten Wert verschaffen kann und damit in der teleologischen Ordnung Endzweck ist. Endzweck, der in der Ideologischen Ordnung das Dasein der kontingenten Welt erklären ' Zu Beginn des § 85 kommen Moraltheologie und Ethikotheologie als Synonyma vor.

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kann, ist deshalb nur der Mensch. D. h. die verständige Ursache der Welt hat die ganze untermenschliche Schöpfung im Hinblick auf den Menschen als moralisches Wesen geschaffen. Damit ist der Ansatz zu einem moralischen Gottesbeweis gegeben, der nicht von der Verbindlichkeit des Sittengesetzes ausgeht, sondern von der Möglichkeit der freien und verantwortlichen Handlungen in der Welt. Die bisherige Argumentation scheint jedoch die Scylla der Autonomie umgangen zu haben, nur um an der Charybdis des Formalismus zu scheitern, insofern sie das moralische Gesetz anscheinend vom Endzweck abhängig macht, und es damit an einen Inhalt bindet. Deshalb beginnt der eigentliche Beweis im Abs. 4 mit der Aussage, daß "das moralische Gesetz, als formale Vernunftbedingung des Gebrauchs unserer Freiheit, uns für sich allein verbindet, ohne von irgendeinem Zwecke als materialer Bedingung abzuhängen". Was uns absolut in Anspruch nimmt, ist das moralische Gesetz als das "formale Prinzip des Wollens", das in der "allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt" besteht, "unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlungen bewirkt werden können", wie Kant sich in dem wichtigen Text des ersten Abschnittes der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" geäußert hat, wo er zum ersten Mal seinen Formalismus systematisch darlegte (vgl. A 17 = IV 402 und A 13 f = IV 399 f). Obwohl aber das moralische Gesetz nicht das Gesetz des Objektes, insofern es gut ist, darstellt, d. h. obwohl seine Verbindlichkeit nicht im objektiven Gut gründet, schreibt das moralische Gesetz dennoch vor, ein Objekt anzustreben bzw. hervorzubringen. In der Tat fährt der Abs. 4 folgendermaßen fort: Das rein formale Gesetz "bestimmt uns doch auch, und zwar a priori, einen Endzweck, welchem nachzustreben es uns verbindlich macht, und dieser ist das höchste durch Freiheit mögliche Gut in der Welt". Der Zweck also, den der Formalismus vom Sittengesetz getrennt hat, insofern er keine Quelle der moralischen Qualifikation der freien Handlung darstellt, wird doch auf dem Weg eines Gebotes des Sittengesetzes selbst wieder eingeholtT. Wir sind erneut beim Ansatz des Postulats Gottes 1 Natürlich stellt sich die Frage, warum das rein formale Gesetz uns a priori zur Pflicht macht, diesem Zweck nachzustreben. Durch rein formale Gesichtspunkte, etwa den der Allgemeinheit oder der Verallgemeinerung, läßt sich diese Frage nicht beantworten. Wir sind hier mit dem Grundproblem der Ethik Kants überhaupt konfrontiert: dem Übergang vom Formalismus zu einer inhaltlichen Wertethik. Mit diesem Problem

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Der moralische Gottesbeweis

in der KpV, nämlich beim Gebot, das höchste Gut zu befördern. Abs. 5 nennt die zwei Bestandteile des höchsten Gutes: Glückseligkeit und Sittlichkeit anhand der (nur hier in diesem Sinne verwendeten) Termini: subjektive und objektive Bedingung. Abs. 6 weist auf die schon mehrmals besprochene Unstimmigkeit zwischen praktischer (moralischer) Notwendigkeit und physischer (Un)Möglichkeit des genannten Endzweckes hin, "wenn wir mit unserer Freiheit keine andere Kausalität ... als die der Natur verknüpfen". Abs. 7. Folglich müssen wir einen moralisch handelnden Welturheber annehmen, der die Natur schließlich zur Hervorbringung einer der Sittlichkeit angemessenen Glückseligkeit lenkt, damit wir uns den Endzweck vorsetzen können, den uns das moralische Gesetz zu verwirklichen gebietet. Die Notwendigkeit des höchsten Gutes als Endzweck des moralischen Gesetzes bringt die Notwendigkeit mit sich, die Existenz Gottes anzunehmen. Der Abs. 8 nach den drei Sternchen ist von fundamentaler Bedeutung in der Entwicklung des moralischen Gottesbeweises bei Kant. Denn hier wird in aller Ausdrücklichkeit die Position vertreten, daß die Gültigkeit des Sittengesetzes, d. h. also seine unbedingte Verbindlichkeit, nicht von der Annahme der Existenz Gottes abhängt; nur die Beabsichtigung des zu bewirkenden Endzwecks (Zusammentreffen der Glückseligkeit des Menschen mit seiner Sittlichkeit) müßte aufgegeben werden, falls es keinen Gott gibt bzw. falls jemand zu dieser Überzeugung gelangt. Dieselbe Distinktion wird auf der letzten Seite des Werkes mit folgenden Worten formuliert: "Die Moral kann zwar mit ihrer Regel [dem kategorischen Imperativ], aber nicht mit der Endabsicht, welche eben dieselbe auferlegt, ohne Theologie bestehen" (B 482 = V 485). Diese Distinktion, mit der Kant versucht, die Lehre vom höchsten Gut (die Lehre von einem Zweck und damit von einem Sinn der moralischen Existenz) mit seiner Lehre von Autonomie und Formalismus

ringt Kant immer wieder in beiden Schriften zur Grundlegung der Ethik, ohne ss lösen zu können. Es ist ja sachlich unlösbar, solange man den Formalismus konsequent nimmt. Die Lehre vom höchsten Gut ist ein, und zwar der wichtigste Versuch Kants, die zwei widerstreitenden Hälften seiner Ethik (die um die erste Formel des kategorischen Imperativs und die um die zweite) einer Einheit zuzufahren.

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in Einklang zu bringen, findet sich zum ersten Mal in der Abhandlung von 1786: "Was heißt: Sich im Denken orientieren?": "Der reine praktische Gebrauch der Vernunft besteht in der Vorschrift der moralischen Gesetze. Sie fuhren aber alle auf die Idee des höchsten Gutes, was in der Welt möglich ist, so fern es allein durch Freiheit möglich ist: die Sittlichkeit; von der anderen Seite auch auf das, was nicht bloß auf menschliche Freiheit, sondern auch auf die Natur ankommt, nämlich auf die größte Glückseligkeit, so fern sie in Proportion der ersten ausgeteilt ist. Nun bedarf die Vernunft, ein solches abhängiges höchstes Gut und zum Behuf desselben eine oberste Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut anzunehmen: zwar nicht um davon das verbindende Ansehen der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung abzuleiten ... ; sondern nur, um dem Begriffe vom höchsten Gut objektive Realität zu geben, d. i. zu verhindern, daß es zusammt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet" (A 315 f = VIII 139) ". Dieselbe Distinktion war sachlich bereits in der KpV gegeben, wo Kant zwischen der absoluten Verbindlichkeit des Sittengesetzes überhaupt und der Verbindlichkeit des partikulären Gebotes: Wir sollen das höchste Gut befördern (A 225 = V 125) unterschieden hatte. Nur die letztere Verbindlichkeit galt als vom Postulat Gottes abhängig. In der KU findet diese Lösung ihre endgültige Klärung und auch eine entsprechende sprachliche Fixierung. Dazu sei folgendes bemerkt: 1) Mit dem an unserer Stelle hervorgehobenen "Nein!" nimmt Kant seine Lehre im Kanon-Hauptstück der KrV ausdrücklich zurück. Namentlich die Aussage von A 811: Ohne die Austeilung der Glückseligkeit gemäß der Sittlichkeit sind die "moralischen Gesetze als leere Hirngespinste anzusehen" und die in A 812 f: Ohne einen Gott sind die Ideen der Sittlichkeit keine "Triebfedern des Vorsatzes * Diese Stelle wurde schon im Kap. XXIII, 4 zitiert und im Kap. XXIV, 5 wurde auf sie wieder hingewiesen. Man beachte die unerwartete Kehrtwendung gegen Ende des Passus: "d. i. zu verhindern, daß ...". Nachdem Kant aufs entschiedenste Verbindlichkeit des Gesetzes und Realisierung des höchsten Gutes getrennt hat, äußert er doch die Befürchtung, daß die Unrealisierbarkeit des letzteren zur Folge haben könnte, daß die ganze Sittlichkeit für "ein bloßes Ideal" gehalten werde - was offensichtlich an das "leere Hirngespinst" der KrV A 811 erinnert. Dieselbe Unsicherheit kommt immer wieder zum Vorschein, wo Kant diese "Lösung" des Problems vorlegt.

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und der Ausübung", d. h. kein principium executionis der sittlichen Handlungen. Bedingung für diese Zurücknahme einer Lehre, die gegen die Autonomie und den Formalismus verstößt, ist die inzwischen erfolgte radikale Trennung von Sittengesetz und Objekt oder Zweck desselben. Damit pariert Kant den gegen ihn (vor allem durch Flatt) erhobenen Einwand einer Inkonsequenz zwischen dem behaupteten rein formalen Charakter des Sittengesetzes in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der KpV (der kategorische Imperativ als alleiniges principium executionis) und seiner früheren Position in der transzendentalen Methodenlehre der ersten Kritik e. Zugleich erteilt Kant hier seinen Anhängern, die in der Beurteilung seiner Ethik nicht über die Lehre von 1781 hinausgegangen waren, eine Absage. Gemeint dürften vor allem Johann Schultz und Reinhold sein l°. 2) Es ist angebracht, auf den Text Kants näher einzugehen, um genau zu ermitteln, wie Kant die genannte Distinktion auffaßt und ausdrückt. Kant spricht hier von einem "Endzweck in der Welt" n, der durch die Befolgung des moralischen Gesetzes zu bewirken ist. Der Endzweck ist durch die Natur der Weltwesen selbst als endlicher Wesen in sie gelegt (B 425 f = V 451). Derartige Äußerungen sprechen eigentlich zugunsten eines wesentlichen Zusammenhanges des höchsten Gutes (näherhin der Glückseligkeit) mit dem moralischen Gesetz überhaupt. Andererseits ist Kants ausdrückliche Absicht hier, die Verbindlichkeit des Gesetzes als unabhängig von der Realisierbarkeit des höchsten Gutes gelten zu lassen, weil eine solche Abhängigkeit die Autonomie des moralischen Gesetzes aufheben würde. Das höchste Gut kann also nicht Endzweck des Sittengesetzes sein (denn das Gesetz bleibt in Kraft, auch wenn dieser Endzweck null und

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Vgl. Kap. , Nr. 4, Fußnote 14. " Vgl. E. G. SCHULZ, Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik, 166 f, 81, 86 f, 156. 11 In meiner Auseinandersetzung mit dem Begriff des höchsten Gutes gehe ich nicht auf das Problem ein, was es heißt, daß das Sittengesetz das höchste Gut in der Welt als Endzweck hat, oder daß wir das höchste Gut in der Welt befördern sollen. Mit dieser Qualifikation "in der Welt" hängt dann das Problem zusammen, ob und wie die Natur die Glückseligkeit des Menschen in Proportion zur Sittlichkeit hervorbringen kann. Es würde zu weit fuhren, diesen obskuren Aspekt des Kantischen höchsten Gutes zu erörtern, sowie auch seine Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele, wie sie im einschlägigen Postulat der Dialektik der KpV gemeint ist. Für die Gottesproblematik genügt es, daß es sich um einen Endzweck des moralischen Gesetzes handelt, dem der Mensch aus eigener Kraft nicht gerecht werden kann.

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nichtig ist) und kann auch nicht uns von der praktischen Vernunft als Ursprung des Sittengesetzes überhaupt auferlegt werden. Kant kann dieses Junktim nicht meinen aus dem einfachen Grund, weil er gerade Verbindlichkeit und Befolgung des Sittengesetzes nicht vom höchsten Gut abhängig machen will. Wenn er deshalb sagt: "Diesen [Endzweck] ... zu befördern, wird uns durch das moralische Gesetz geboten" (B 426 = V 451), kann er nur ein partikuläres Gebot meinen, dessen Unrealisierbarkeit eben dieses Gebot aufhebt, sonst nichts! Was Kant bisher argumentativ dargelegt hat, verdeutlicht er im letzten Absatz des Paragraphen mit dem Beispiel eines rechtschaffenen Atheisten (etwa Spinoza) u, dessen Maxime Kant als die eines tätigen Verehrers des moralischen Gesetzes eindrucksvoll beschreibt. Das Endresultat seiner "uneigennützigen" Befolgung des Sollensanspruches kann unter der genannten Voraussetzung der Nichtexistenz Gottes kein anderes sein als "ein weites Grab", das alle Menschen "(redlich oder unredlich, das gilt hier gleichviel) verschlingt und sie, die da glauben konnten, Endzweck der Schöpfung zu sein, in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie zurückwirft, aus dem sie gezogen waren" (B 428 = V 452). Dieser Schlußakt der Einzelexistenz sowie der Weltgeschichte wird unerschrocken als vereinbar mit der Unbedingtheit des Sollensanspruchs angesehen. Die unbedingte Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes gilt, wegen des rein formalen Charakters desselben, auch für eine völlig sinnlose Existenz (eine Existenz, die dem Nichts zugeht, entbehrt jeglichen Sinnes). Aber im nachhinein IS scheint Kant seiner Position nicht mehr so sicher zu sein. Denn gegen Ende des Abs. äußert er die Befürchtung, daß doch "die Nichtigkeit des ... Endzweckes" der moralischen Gesinnung Abbruch tun könnte, insofern dem Menchen die Absurdität aufgehen würde, absolut zum Nichts hin in Anspruch genommen zu werden. Deswegen "muß" der rechtschaffene Mensch, "das Dasein eines moralischen Welturhebers, d. i. Gottes annehmen". Damit aner-

u Anscheinend war dieses Beispiel damals geläufig. Man findet es auch bei WOLW, Theologia Naturalis , § 501: "famosissimus atheus"; vgl. auch § 715. u Vgl. weiter oben Fußnote 8.

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kennt Kant de facto sein Bemühen um eine Begründung der Moralität "etsi Deus non daretur" als gescheitert M. Was hier dramatisch durch das Beispiel'des Spinoza geschildert wurde, stellt keine einzelne Aussage Kants dar. In einer Reihe von Reflexionen und Vorlesungen spricht Kant unumwunden vom "absurdum practicum", das in seiner Lehre von der prinzipiellen Trennung von moralischem Sollen und menschlicher Glückseligkeit (Vervollkommnung des Menschen) enthalten ist: R 4256: "Wenn man Gott leugnet, so ist der Tugendhafte ein Narr und der kluge Mann ein Schelm." R 5477: "... Die bloße Würdigkeit [glücklich zu sein] kann nicht bewegen ohne Hoffnung, daß sie auch des Zweckes teilhaftig machen

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Dieselbe Distinktion zwischen Verbindlichkeit des Sittengesetzes und Verwirklichung des vom Gesetz auferlegten Zweckes wie im Abs. 8 des § 87 und denselben Fortgang in der Argumentation wie im Spinoza-Beispiel treffen wir nochmals im § 91, Fußnote B 461 f = V 471: Das moralische Gesetz ist ein rein "formales praktisches Prinzip", das die "Unterordnung meiner Handlungen unter das Prinzip der Allgemeingültigkeit" vorschreibt, "unangesehen der Objekte des Begehrungsvermögens (der Materie des Wollene), mithin irgend eines Zweckes". Deshalb ist der "moralische Wert", der in der Befolgung des Sittengesetzes besteht, "gänzlich in unserer Gewalt". "Allein die Absicht, den Endzweck aller vernünftigen Wesen (Glückseligkeit, soweit sie einstimmig mit der Pflicht möglich ist) zu befördern, ist doch eben durch das Gesetz der Pflicht auferlegt." Nun sieht unsere spekulative Vernunft ein, daß diese Absicht unausführbar ist, wenn es keinen Gott gibt. Bis soweit verläuft die Argumentation in dem uns schon bekannten Gedankengang. Die Folge davon ist, gemäß der Intention Kants mittels der hier zur Debatte stehenden Distinktion, die Preisgabe der Glückseligkeit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Verbindlichkeit des Sittengesetzes als rein formalen Gesetzes. Aber auch hier wird Kant malgi- lui von der Logik der Sache überwältigt. Die Aufgabe der "Absicht" zieht die Aufgabe des moralischen Gesetzes nach sich, die sich als "bloße Täuschung" entlarvt - womit Autonomie und Formalismus über Bord geworfen werden ! (Vgl. den schon besprochenen Text aus der Dialektik der KpV: Die "Unmöglichkeit" des höchsten Guts beweist die "Falschheit" des moralischen Gesetzes: A 206 = V 114, im Kap. XXIV, Nr. 3, Fußnote 15; Nr. B, Fußnote 27). Und doch glaubt Kant in einem Handstreich alles in das System zurückführen zu können. Ohne Gott keine Realisierung der "Absicht". Gibt es einen Gott? Die spekulative Vernunft vermag nicht eine bejahende Antwort zu liefern; deswegen ist Kant zur praktischen Vernunft hinübergegangen. Aber auch der moralische Gottesbeweis nach der Kantischen Fassung fährt zu nichts, weil die Verbindlichkeit des Sittengesetzes als rein formalen Gesetzes auch ohne Gott in Kraft bleibt und die Undurchführbarkeit des Endzweckes den Gültigkeitsanspruch des Sittengesetzes nicht tangiert. Als Schluß der ganzen Geschichte hören wir jetzt, daß die spekulative Vernunft die Nicht-Existenz Gottes nicht positiv beweisen kann ! Infolgedessen dürfen wir die Existenz Gottes annehmen. Aber aus welchem Grund? Dies ist die Frage ! Die spekulative Vernunft findet ja keinen stichhaltigen Grund; die praktische Vernunft kommt als autonome Vernunft mit ihrem formalen Gesetz durchaus ohne Gott aus - wie Kant immer wieder behauptet, wenn er sich an die Logik seiner Prämissen hält. Vgl. auch Kap. XXIV vor dem Ende von Nr. 6 eine ähnliche verzweifelte Lösung Schmuckere.

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werde; also ist es eine notwendige moralische hypothesis, eine andere Welt anzunehmen. Wer sie nicht annimmt, verfallt in ein absurdum practicum." In der Metaphysik Pölitz heißt es: "Nehme ich keinen Gott an; so habe ich ... nach Grundsätzen gehandelt, wie ein Narr... Nimmst du die moralischen Gesetze an, und handelst rechtschaffen; so hängst du einer Vorschrift nach, die dir keine Glückseligkeit erwerben kann, und die Tugend ist nur eine Chimäre; also verfällst du in ein absurdum pragmaticum und handelst als ein Tor" (XXVIII 320). In der Metaphysik Volckmann: "Wenn kein Gott und eine andere Welt ist, so muß ich entweder sehr standhaft die Tugendregeln befolgen, aber alsdenn bin ich ein tugendhafter Phantast, denn ich ginge der Glückseligkeit nach ohne zu hoffen, ihrer teilhaftig zu werden" (XXVIII 385 f) ». Die existenzielle Frage nach der Sinnhaftigkeit der menschlichen Freiheit unter dem moralischen Anspruch, da wo das moralische Gesetz vom Guten als Zweck und Sinn desselben und als Rechtfertigung seines Anspruchs an uns getrennt wurde, läßt sich schließlich nicht verdrängen, auch nicht durch scheinbar hochherzige Gesinnungen. Nur das Sein als gut begründet eine Verbindlichkeit, d. h. es ist zu achten und zu fordern. Der gute Wille läßt sich nicht vom Sein als gut trennen. Nur das höchste Gut vermag, an den Menschen mit einem absoluten Anspruch heranzutreten. Die Trennung von sittlichem Anspruch und Gutem untergräbt die Würde des Menschen, indem sie ihn einer endgültigen und unwiderruflichen Nichtigkeit ausliefert. Nun aber vermag das Nichts einem freien Wesen keine Verpflichtung aufzuerlegen! Da andererseits die Verbindung von Tugend und Glückseligkeit letztlich nur durch Gott hergestellt werden kann, wie Kant richtig gesehen hat, ist die Wahrung der Würde des Menschen als freien und verantwortlichen Wesens nur im Horizont der Transzendenz möglich ".

" Vgl. weitere Stellenangaben bei M. ALBBBCRT, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 153 (Anm. 472) und 165 (Anm. 525) und bei A. WDTTBB, Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft, 168 f. Zum Thema absurdum practicum vgl. auch Allen W. WOOD, Kanfs Moral Religion, 25-34. u Vgl. Kap. XXIV, Nr. 2 B und 5 am Ende.

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Der moralische Gottesbeweis

6. § 88. Eine dritte Behandlung des moralischen Gottesbeweises § 88 rollt das Problem eines moralischen Gottesbeweises unter der Überschrift: "Beschränkung der Gültigkeit des moralischen Beweises" von neuem auf. Diese Überschrift ist insofern gerechtfertigt, als Kant hier nicht bloß den Weg über den Begriff des höchsten Gutes bis zur Behauptung der Existenz Gottes wieder beschreitet, sondern auch, im Unterschied zur vorangehenden Version eines moralischen Gottesbeweises, die Frage nach der Gültigkeit dieses Denkweges ausführlich behandelt und dabei zu einer erheblichen Einschränkung dieser Gültigkeit kommt. Diese dritte Ausführung des Gottesbeweises steht völlig im Kontext der Kritik der teleologischen Urteilkraft. Zunächst ist die Rede davon, daß die praktische Vernunft nicht nur Quelle des moralischen Gesetzes ist, d. h. des Prinzips, das unseren Handlungen zur Regel dient, sondern auch ein Objekt derselben Handlungen bestimmt, einen Endzweck: das größte Wohl der Vernunftwesen verbunden mit der Sittlichkeit als Bedingung. Das höchste Gut wird hier Leibnizianisch "das Weltbeste" genannt. In diesem Endzweck hängt ein Teil, nämlich die Glückseligkeit, von der Natur ab. "Zur objektiven theoretischen Realität" dieses Endzweckes wird deshalb erfordert, daß auch die Welt einen Endzweck hat. Denn wenn die Welt einen Endzweck hat, können wir ihn nicht anderswo als im moralischen Endzweck der vernünftigen Wesen selbst setzen ein Endzweck kann ja nur ein moralischer sein. Es ist also die Frage, ob die objektive Realität dieses (moralischen) Endzweckes der Schöpfung, wenngleich nicht apodiktisch für die bestimmende Urteilkraft, so doch hinreichend für die theoretischreflektierende Urteilskraft dargetan werden könne. Gefragt ist ein theoretischer Beweis der Wirklichkeit des höchsten Gutes als Endzweckes der Schöpfung und damit ein theoretischer Beweis des Daseins Gottes, insofern die Existenz Gottes Bestandteil für den Beweis der Wirklichkeit des höchsten Gutes ist. Noch bevor der Beweis entwickelt wird, kündigt Kant an, daß auch ein so eingeschränkter Beweis (durch ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft) weit mehr beansprucht, als die spekulative Vernunft zu leisten vermag. Der Beweis selber erfolgt in zwei Schritten:

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Erster Schritt (Abs. 3-4). Ausgangspunkt sind die zweckmäßigen Produkte der Natur. Wenn wir nun einen Grund haben, eine oberste verständige Ursache dieser Naturprodukte anzunehmen, dann muß diese oberste Ursache derart sein, daß sie nach einem Endzweck handelt, weil wir nur so die Existenz der Welt begreiflich machen können, wie wir weiter oben in Nr. 2 gesehen haben. Aber der Endzweck ist ein Begriff der praktischen Vernunft allein; unsere theoretische Vernunft kann ihn weder von der Erfahrung gewinnen noch für die Erklärung der Erfahrung anwenden. Es ist das moralische Gesetz als das Gesetz der praktischen Vernunft, das uns auffordert, einen Endzweck (das höchste Gut) anzustreben, der aber ohne Beitritt der Natur nicht verwirklicht werden kann. In diesem Sinne haben wir einen moralischen Grund anzunehmen, daß die Natur mit unserem Endzweck übereinstimmt, d. h. also, daß auch sie einen Endzweck hat, nämlich den Endzweck, den das moralische Gesetz dem Menschen auferlegt. Abs. 5. Der erste Schritt ist bis zu einem moralischen Endzweck der Schöpfung gelangt und hat damit eine moralische Teleologie statuiert. Daß nun die so verstandene Schöpfung nicht nur einen verständigen (wie wir zur Möglichkeit der Dinge als Zwecke beurteilen müssen), sondern auch einen moralischen Urheber hat, ist ein weiterer Schluß (zweiter Schritt des Beweises), den die Urteilskraft nach einem Begriff der praktischen Vernunft fallt, also (?) ein Urteil der reflektierenden Urteilskraft (im Unterschied zur bestimmenden). Die Logik der Argumentation Kants ist mir nicht ganz durchsichtig. Sie scheint folgende Distinktion vornehmen zu wollen: 1) Von der Natur als zweckmäßig geordneter schließen wir auf eine Erstursache, die mittels des Verstandes wirkt (= Physikotheologie). Dies wäre ein Schluß der fÄeorefiscÄ-reflektierenden Urteilskraft. Der "reflektierenden", weil der Ansatz in der Zweckmäßigkeit liegt, die sich nur der reflektierenden Urteilskraft wegen ihres transzendentalen Prinzips (die formale Zweckmäßigkeit) erschließt. Der "theoretisch"(-reflektierenden) Urteilskraft, weil die Zwecke aus den Daten der Natur gewonnen wurden (freilich im Sinne der reflektierenden Urteilskraft: Anhand des eigenen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft stellen wir uns die Natur so vor, als ob eine mit Verstand wirkende Erstursache sie nach Zwecken geschaffen habe).

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2) Von der Natur als auf einen Endzweck geordneter schließen wir weiter auf eine Erstursache, die nicht nur verständig, sondern auch moralisch ist (also Gott). Dies ist ebenfalls ein Schluß der reflektierenden Urteilskraft, insofern der Ansatz dazu in der Zweckmäßigkeit der Schöpfung liegt. Da aber in diesem Falle der Begriff des Zweckes (der Endzweck) vom vernünftigen Wesen her gewonnen wurde, insofern es als intelligibles Wesen mit dem moralischen Gesetz ausgestattet ist, handelt es sich in diesem zweiten Schritt des Beweises nicht mehr um einen Schluß der theoretisch-reflektierenden Urteilskraft zugunsten unserer Erkenntnis der Natur. Wird nun der Schluß nicht durch die theoretisch-reflektierende Urteilskraft gefällt, so können wir auch nicht sagen: Die Erstursache der Welt ist ein moralisches Urwesen 1T. Gerade weil das Urteil über den moralischen Welturheber das der reflektierenden Urteilskraft anhand eines nicht-theoretischen Begriffes ist, kann sein Sinn nicht der sein, daß der Welturheber nach einer moralisch-praktischen Kausalität wirkt, die von der technischpraktischen unterschieden ist (letztere dient zur Erklärung der Zwekke in der Natur), so wie dies bei uns Menschen der Fall ist. Vielmehr " Die Argumentation setzt voraus, daß die theoretisch-reflektierende Urteilskraft Urteile fällt, die einen objektiven Sinn haben, d. h. besagen, was die Natur und ihre Kausalität ist. Dies ist es in der Tat, was Kant mit seiner Theorie der reflektierenden Urteilskraft meint, die ja keinen anderen Zweck verfolgt, als die Natur in den Phänomenen (die Lebewesen) zu begreifen, die die mechanische Sichtweise nicht in den Blick bekommt. Aber dieses Urteil über die Naturprodukte als zweckmäßige Produkte ist in seinem objektiven Sinn doch stark subjektiviert durch die "Als ob"-Klausel, die auf dem Zweckbegriff überhaupt lastet. Es ist deshalb recht schwierig, die subjektive Objektivität der final eingerichteten Natur von der Subjektivität der Natur als auf einen Endzweck gerichtete zu unterscheiden. Und schon vorher war es schwierig, die Objektivität der Naturerkenntnis durch die bestimmende Urteilskraft, die mittels der Kategorien operiert (wobei die Kategorien zum transzendentalen Subjekt gehören), von der objektiven Erkenntnis der reflektierenden Urteilskraft zu unterscheiden, die zugestandenermaßen mit einem Zweckbegriff operiert, der ein Begriff des Subjektes für seine eigene Reflexion auf die Natur ist. Im § 90, Abs. 2, hat Kant den Beweis der reflektierenden Urteilskraft für einen solchen erklärt, der, "was der Gegenstand ... für uns (Menschen überhaupt) nach den uns notwendigen Vernunftprinzipien seiner Beurteilung sei", angibt (B 446 = V 462 f). Kurzum, hat man unsere objektiv gültige Erkenntnis prinzipiell auf die Erscheinungen eingeschränkt (KrV), sieht man nicht ein, was für verschiedene Seinsstufen im Bereich unserer Erkenntnis von Objekten als Erscheinungen noch unterschieden werden können. Für die Problematik vorliegender Paragraphen scheinen drei Seinsstufen in Frage zu kommen, die folgenden drei Erkenntnisarten entsprechen, nämlich 1) der bestimmenden Urteilskraft (objektive Erkenntnis im Sinne der KrV), 2) der reflektierenden Urteilskraft anhand des Zweckbegriffs (theoretische Erkenntis der Natur), 3) der reflektierenden Urteilskraft anhand des moralischen Begriffes vom Endzweck (keine theoretische Erkenntnis).

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kann der Sinn dieses Urteils nur der sein, daß "nach der Beschaffenheit unseres Vernunftvermögens wir uns die Möglichkeit" der Zweckmäßigkeit der Natur, insofern diese auf die Verwirklichung des Objektes des moralischen Gesetzes (des höchsten Gutes) bezogen ist, nicht anders als durch einen moralischen Welturheber begreiflich machen können (Abs. 5 am Ende). In diesem zweiten Schritt des Beweises, wo es um die Bestimmung der Erstursache geht, die den Endzweck der Schöpfung (das höchste Gut) erklären soll, schwebt Kant der Gedanke eines irgendwie überpersonalen schöpferischen Weltprinzips vor, in dem technisch-praktische und moralisch-praktische Kausalität in einer "höheren" Einheit aufgehoben sind 18. Auf ein solches Weltprinzip hat die KrV bereits im Abs. 9 ihrer Kritik des physikotheologischen Beweises hingewiesen. Dort sprach Kant von einer freiwirkenden Natur, die nicht als Kausalität durch Verstand und Wille gedacht wird, sondern als "dunkler unerweislicher Erklärungsgrund" - etwa die stoische Weltseele (A 626). Die Sachfrage ist nun, ob man die oberste schöpferische Ursache einer Welt, die auf einen moralischen Endzweck hingeordnet ist, unter Anwendung der Analogie als in sich selbst geistigpersonales Wesen und damit als ein formal sittliches Prinzip denken muß, oder ob man es auch als höheres apersonales Universalprinzip vorstellen könne. Ist aber eine Seinsstufe höher als die geistig-personale überhaupt denkbar und möglich? 1 . Die übrigen Überlegungen des Paragraphen (Abs. 6 ff) bestätigen zusammen mit der "praktischen Realität" unserer Idee "eines höchsten moralisch-gesetzgebenden Urhebers", daß wir seine Eigenschaften "nur nach der Analogie denken können". Aber das AnalogieVerfahren hat hier den Sinn, "welchen Begriff wir uns nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen von demselben [Welturheber] zu machen, und ob wir seine Existenz" im Hinblick auf den uns auferlegten Endzweck anzunehmen! haben (B 435 = V 456), ohne

" Kant hat ja ohne Einwände anerkannt, daß der Welturheber "verständig" ist; er gibt ebenfalls zu, daß der Welturheber als moralisch handelnd gedacht werden muß. Wogegen Kant sich sträubt, ist die Behauptung, daß der Welturheber ein moralisches Wesen ist. Er muß also einer "höheren" (!), uns völlig unbekannten Natur sein, die nicht formell, sondern nur virtuell moralisch ist. " Vgl. SCHMUCKES, Die primären Quellen des Gottesglaubens 153 f, 158-160.

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allerdings ihm Existenz und Eigenschaften theoretisch (!) beilegen zu können **. Die abschließende "Anmerkung" hebt mit Nachdruck hervor, daß die Vorstellung eines Ausgangs des Weltlaufes im Einklang mit dem moralischen Verhalten des Menschen, d. h. also der Gedanke des höchsten Gutes als Endzweck der Schöpfung, eine Ureinsicht ist, auf die der Mensch gekommen ist, lange bevor er sich Gedanken über die Zweckmäßigkeit der Natur machen konnte. Gerade diese Vorstellung eines moralischen Endzwecks hat den Menschen allererst zur Anerkennung einer "nach moralischen Gesetzen die Welt beherrschenden obersten Ursache" geführt. Mit dieser dritten Behandlung des moralischen Gottesbeweises hat Kant nochmals unterstrichen, daß es sich dabei um keinen theoretisch gültigen Beweis handelt, der uns Aussagen über Gott selbst ermöglichen könnte ". Auch der Versuch, das medium probationis, nämlich das höchste Gut als Endzweck des Menschen, über den Endzweck der Welt in die Teleologie einzubeziehen und damit durch eine moralische Teleologie einen theoretisch gültigen Gottesbeweis der reflektierenden Urteilskraft zu entwickeln, hat sich als aussichtslos erwiesen. All die Aussagen, die sich auf die moralische Theologie begründen, besagen immer nur etwas über uns selbst und unsere moralische Aufgabe in der Welt. Gott als transzendentes Wesen bleibt ein "Postulat" der reinen praktischen Vernunft. Seine Existenz und seine moralische Qualifikation sind für uns moralische Wesen über allen Zweifel erhaben - von ihm selbst aber "wissen" wir gar nichts M.

" Dasselbe im § 90, Ziffer 2: Nach einer Analogie denken wir das Unbekannte durch das Bekannte, aber wir können das so Gedachte dem Unbekannten in eich selbst nicht beüegenl Weiteres in B 480 f = V 483 f. " Es bleibt also beim Resultat des § 87, d. h. bei einem bloß moralischen Gottesbeweis: Wegen des moralischen Gesetzes und um desselben willen nehmem wir an, "es sei ein Gott" (B 424 = V 450). ** Und doch: "Man vermißt dadurch nicht das Mindeste in der Vorstellung der Verhältnisse dieses Wesens zur Welt, sowohl was die theoretischen als praktischen Folgerungen aus diesem Begriffe betrifft. Was es an sich selbst sei, erforschen zu wollen, ist ein ebenso zweckloser als vergeblicher Vorwitz" (B 461a = V 465).

XXVI. Kapitel Der moralische Gottesbeweis in der Religionsschrift Das Thema eines moralischen Gottesbeweises anhand des Begriffes des höchsten Gutes hat Kant drei Jahre später in seiner "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" wieder aufgenommen. Die ersten drei Absätze der Vorrede zur ersten Auflage des Werkes entwickeln den Übergang von der Moral zur Religion, d. h. genauer zum Gottesglauben.

1. Gott als Bedingung der Möglichkeit der notwendigen Folge unserer Willensbestimmung Den Beginn macht eine entschiedene Behauptung der Autonomie des 'Menschen: Der Mensch bindet sich selbst durch seine Vernunft an seine eigenen unbedingten Gesetze, so daß er kein Wesen über sich braucht - weder als principium diiudicationis noch als principium executionis der moralischen Gesetze. Diese Gesetze der reinen praktischen Vernunft verbinden "durch die bloße Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der darnach zu nehmenden Maximen"; infolgedessen bedarf die praktische Vernunft keines materialen Bestimmungsgrundes, d. h. keines Zweckes '; ja sie soll, "wenn es auf Pflicht ankommt, von allen Zwecken abstrahieren". Aber der zweite Absatz holt den Zweck als konstitutiven Bestandteil einer freien und verantwortlichen Handlung wieder herein. Denn wenngleich die sittlich gute Willensbestimmung keiner vorhergehenden Zweckvorstellung als Beweggrund bedarf, so braucht sie doch einen Zweck als notwendige Folge ihrer moralischen Maxime, einen "finis in consequentiam veniens". Dies wird aus zwei Gründen 1 Keines finis opens (keines Objektes), aber auch keines finis operantis, d. h. keiner Absicht, die der Handelnde außer dem Gehorsam gegen das moralische Gesetz bei der Bewirkung des Objektes verfolgt.

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erklärt, auch wenn in der Argumentation Kants die zwei Gründe nicht sauber unterschieden werden. Erstens, eine Willensbestimmung kann ohne Zweckbeziehung nicht stattfinden. Zweck wird hier von Kant offensichtlich im Sinne des Gegenstandes der Handlung genommen 2: Ohne einen bestimmten Gegenstand, den es zu bewirken oder zu erreichen gilt, wird unsere praktische Vernunft wohl wissen "wie", aber nicht "wohin", d. h. was sie zu tun habe. M. a. W. das Absehen vom Objekt hebt die Handlung selbst auf 3. Zweitens, die Vernunft kann nicht gegenüber dem Resultat ihres Rechthandelns gleichgültig sein. M. a. W. das freie und verantwortliche Handeln tut nicht nur etwas, sondern findet auch im Hinblick auf etwas statt. Als allumfassendes Objekt bzw. als Zweck aller unserer Handlungen führt Kant das "höchste Gut in der Welt" ein, das die formale Bedingung aller Zwecke (die Pflicht) und, was von dieser Bedingung abhängt (die Glückseligkeit), enthält. Zur Verbindung beider Elemente dieses notwendigen Zweckes unserer Handlungen, d. h. zur Verwirklichung des höchsten Gutes müssen wir "ein höheres, moralisches, heiligstes und allvermögendes Wesen", Gott, annehmen. Im übrigen Teil des 2. Abs. führt Kant aus, daß der genannte Endzweck "von der Vernunft gerechtfertigt werden kann"; denn es ist das moralische Gesetz selbst, das die Verwirklichung des höchsten Gutes will, und zwar so, daß dieses Urteil von der Vernunft "parteilos" gefällt wird 4. Damit ist der moralische Gottesbeweis anhand des Begriffes des höchsten Gutes (wie in den drei Kritiken) beendet.

1 Im ersten Abs. unserer Stelle scheint Zweck eher im Sinne eines (zusätzlichen) finis operantis genommen zu werden. Andererseits sagt Kant dort ganz allgemein: Die Moral "bedarf überhaupt gar keines materiellen Bestimmungsgrundes der freien Willkür" - was als Gegensatz zur "bloßen Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit" (auch) das Objekt als finis opens meinen muß. Das Fehlen einer klaren Distinktion zwischen finis operis der Handlung (Objekt) und finis operantis (Zweck des Handelnden im eigentlichen Sinne) erschwert zusätzlich das Verständnis dieser und mehrerer anderen Stellen Kants. 1 Dies ist in der Tat der entscheidende Einwand gegen den Formalismus in der Ethik. 4 Vgl. Kap. XXIV, 2 B.

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2. "Es ist ein Gott" als synthetischer Satz a priori, der aus der Moral hervorgeht Nichtsdestoweniger hat Kant dem dritten Abs. eine lange Fußnote angehängt, in der er den Beweis wieder aufrollt - diesmal aber durch sein eigenes Begriffsmittel vom synthetischen Urteil a priori. Denn der Satz: "Es ist ein Gott, mithin es ist ein höchstes Gut in der Welt, wenn er (als Glaubenssatz) bloß aus der Moral hervorgehen soll, ist ein synthetischer Satz a priori", insofern er als Existenzialsatz über den Begriff der Pflicht hinausgeht. Wie ist nun dieser Satz möglich? Kant arbeitet die Antwort anhand des Zweckbegriffes aus. Ihm geht es also darum zu zeigen, wie sich aus der Moral der Existenzialsatz vom Dasein Gottes ergibt, d. h. um einen moralischen Gottesbeweis. Zuerst werden drei zusammenhängende Termini definiert: Zweck ist Gegenstand einer unmittelbaren Begierde zum Besitz einer Sache. Objektiver Zweck ist ein uns von der bloßen Vernunft aufgegebener Zweck. Endzweck ist die notwendige und zureichende Bedingung aller Zwecke. Da Kant hier die Glückseligkeit nur in Beziehung auf die sinnliche Natur des Menschen definiert, stuft er sie als den subjektiven Endzweck ein. Das höchste in der Welt mögliche Gut ist dagegen der objektive Endzweck, der uns "durch die reine Vernunft" aufgegeben ist. Der entsprechende normative Satz: Wir sollen uns das höchste Gut zum Endzweck machen, ist deshalb ein synthetischer Satz a priori, denn er tut dem Begriffe der Pflicht eine Folge derselben (die Glückseligkeit?) hinzu, und zwar auf Grund der reinen Vernunft. Nach diesen terminologischen und sachlichen Bestimmungen, mit denen Kant die Gottesfrage in sein Lieblings-Begriffsmittel der synthetischen Urteile a priori hineinzuzwängen versucht, folgt der eigentliche Gottesbeweis. Im Anschluß an den hier oben besonders hervorgehobenen rein formalen Charakter der moralischen Gesetze (aus denen der synthetische Satz a priori von der Existenz Gottes gewonnen werden soll) schreibt Kant: Die Gesetze "gebieten schlechthin, es mag auch der Erfolg derselben sein, welcher er wolle, ja sie nötigen sogar, davon gänzlich zu abstrahieren, wenn es auf eine besondere Handlung ankommt ..., ohne uns einen Zweck (und Endzweck) vorzulegen und aufzugeben, der etwa die Empfehlung derselben und die Triebfeder zur Erfüllung unserer Pflicht ausmachen müßte. Alle Menschen könn-

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ten hieran auch genug haben ... Was brauchen sie den Ausgang ihres moralischen Tuns und Lassens zu wissen, den der Weltlauf herbeiführen wird? Für sie ist's genug, daß sie ihre Pflicht tun, es mag nun auch mit dem irdischen Leben alles aus sein". Die hier eingeschärfte moralische Haltung und Verhaltensweise des Menschen entspricht offenkundig dem Spinoza-Beispiel in der KU, wo der letzte Akt der personalen Geschichte und der Weltgeschichte "der Schlund des zwecklosen Chaos der Materie" ist (B 428 = V 452). Kant schreckt nicht vor der völligen Sinnlosigkeit zurück, zu der seine Konzeption des Ethischen folgerichtig führt: Das rein formale Gesetz, dessen Verbindlichkeit nicht vom Guten als Objekt stammt s , nimmt den Menschen absolut zum Nichts hin in Anspruch! Nach dem bisher Ausgeführten ist also der synthetische Satz: "Es ist ein Gott" vom moralischen Gesetz her nicht zu begründen! Aber auch hier, wie bereits am Ende des § 87 der KU und in der besprochenen Fußnote des § 91 *, macht Kant gegen die Logik seines Systems, aber von der Logik der Sache gleichsam bezwungen, eine ebenso radikale wie unerwartete Wendung: "Nun ist's aber eine von den unvermeidlichen Einschränkungen (?!) des Menschen und seines ... praktischen Vernunftvermögens, sich bei allen Handlungen nach dem Erfolg aus denselben umzusehen, um in diesem etwas aufzufinden, was zum Zweck für ihn dienen und auch die Reinigkeit der Absicht beweisen könnte." Damit hat Kant doch wieder den Zweck hereingeholt und sich so die Grundlage verschafft, um die Existenz Gottes zu beweisen bzw. zu postulieren als Bedingung der Möglichkeit des "Erfolges" der moralischen Handlungen des Menschen. Eine systematische Überlegung über die Motive, die Kant angibt, um den Zweck der freien und verantwortlichen Handlungen des Menschen mit dem Sittengesetz in Verbindung zu setzen, ist hier angebracht. Ist nämlich die Notwendigkeit des Zweckes auf die "Einschränkungen des Menschen" zurückzuführen oder auf die metaphysi* Denn das moralische Gesetz gebietet, auch wenn der Ausgang des Lebens das völlige Nichts ist ! Es sei nochmals auf die Grundfrage der ganzen Problematik hingewiesen: Kann es einen realen Unterschied geben zwischen guten und bösen Handlungen, zwischen Moral und Unmoral, wenn schließlich das freie Handeln des Menschen auf das Nichts zugeht? Wo der Ausgang der Handlungen gleichgültig zu denselben ist, verlieren die Handlungen selbst jeglichen Wert und Sinn. Es bleibt nur noch die leere Form des Handelns um des Handelns willen, bzw. die zum Nichts verdammte Freiheit. • Vgl. weiter oben, Nr. 5.

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sehe Struktur der freien Handlungen, insofern sie Handlungen des Willens als rationalen Strebens sind? Nach Aristoteles ist der Zweck, "das, weswegen" etwas ist oder geschieht, eine causa, ja die erste causa überhauptT. Der Umstand, daß der Handelnde sich ein objektives Gut als Zweck vorsetzt, verstößt in keiner Weise gegen das Sittengesetz, da ja das Sittengesetz genau das Gesetz des Guten und zum Guten hin ist. Kant selbst scheint hier einzuräumen - gegen seine sonstigen Äußerungen -, daß gerade der Zweck, den der Handelnde verfolgt, falls er das höchste Gut ist, die "Kernigkeit" seiner Absicht beweisen kann. Nachdem Kant anerkannt hat, daß der Zweck (sowohl im Sinne des Objektes als auch im Sinne des finis operantis) doch unabdingbar zur menschlichen Handlung gehört, spricht er davon, daß das moralische Gesetz sich "zu Auftiehmung des moralischen Endzwecks der Vernunft unter seine Bestimmungsgründe" erweitert *. Damit hat er den synthetischen Satz a priori, "mache das höchste in der Welt mögliche Gut zu deinem Endzweck" als sittlich richtigen Imperativ aufgestellt. Von diesem Ansatz her ist der Weg zum Postulat Gottes frei: "Wenn nun aber die strengste Beobachtung der moralischen Gesetze als Ursache der Herbeiführung des höchsten Guts (als Zwecks) gedacht werden soll, so muß, weil das Menschenvermögen dazu nicht hinreicht, die Glückseligkeit in der Welt einstimmig mit der Würdigkeit, glücklich zu sein, zu bewirken, ein allvermögendes moralisches Wesen als Weltherrscher angenommen werden, unter dessen Vorsorge dieses geschieht, d. i. die Moral führt unausbleiblich zur Religion."

7 Natürlich ist hier die Endlichkeit des Menschen insofern mitbeteiligt, als die Wesen, die in ihrem Wirken zielgeordnet sind, ihrem Sein nach kontingente und deshalb endliche Wesen sind. W. BRÜGGES in seiner Summe einer philosophischen Gotteslehre, 118, erläutert diesen Zusammenhang von final gerichtetem Wirken und Endlichkeit folgendermaßen: "Wesen, die eine Zielstruktur ihres Wirkens haben, sind in der bloßen Grundverfassung ihres Seins noch unvollständig und auf die Vervollständigung durch ein zielbezogenes Wirken hingeordnet" (vgl. Kap. XXI, Einleitung, 3 c). Daraus aber folgt nichts gegen den Zweck als wesentlichen Bestandteil einer bewußten und freien Handlung. Der Zweck ist prinzipiell kein Hindernis gegen die reine Moralität der Handlung, sondern verleiht der Handlung ihren Sinn. ' Der Endzweck ist also Bestimmungsgrund des Gesetzes ! Das Gesetz ist principium executionis nicht (nur) in seiner "bloßen Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit", wie es im ersten Abs. der Vorrede hieß, sondern (ebenso) in seinem Inhalt.

Personen- und Literaturregister Schriften, die nur in den Literatur-Abschnitten vorkommen, werden hier unten nicht aufgelistet. Die Angabe: S. gefolgt von arabischen Ziffern verweist auf die Seiten vorliegenden Bandes, wo die einschlägige Schrift angeführt wird. Im Verlauf des Buches verweise ich sowohl auf die Schriften Kants in der Akademie-Ausgabe als auch auf die Kompendien, die Kant für seine Vorlesungen benutzte (Baumgarten, Eberhard u. a.), und die in der Akademie-Ausgabe wieder gedruckt sind, einfach durch eine römische (Band) und eine arabische Ziffer (Seite). Die Zeitschrift "Kant-Studien" wurde mit der Signatur KS kenntlich gemacht; die Ergänzungshefte derselben mit KS EH. Adickes, Erich, Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Mit einer Einleitung und Anmerkungen, Berlin 1889. S. 227, 253, 258, 306, 320, 351. Ders., Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems, in: Kant-Studien l (1897) 9-59, 161-196, 352-415. S. 421. Ders., Vorwort und Anmerkungen zu "Kant's gesammelte Schriften" (Akademie-Ausgabe), III. Abtig.: Handschriftlicher Nachlaß (Bd. XIV-XVIII). S. 8, 37. Albrecht, Michael, Kants Antinomie der praktischen Vernunft (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 21, hrsg. von Yvon Beiaval u. a.), Hildesheim 1978. S. 3, 377, 378, 386, 392, 394, 402, 404, 408, 416, 418, 420, 445. Ders., Der Deist und der Theist (KrV B 659-661), in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, Bd. I. l, 475-484, Bonn 1981. S. 346. Andersen, Svend, Ideal und Singularität. Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie (KS EH 116), Berlin 1983. S. 108, 233. Anselm von Canterbury, Proslogion, in: Sancti Anselmi Cantauriensis Archiepiscopi Opera Omnia, Bd. I, hrsg. von Bernard Geyer, Seccorii 1938. S. 271. Aristoteles, De anima, hrsg. von R. D. Hicks with Translation, Introduction and Notes, Cambridge 1907. S. 62.

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Personen- und Literaturregister

Hume, David, Dialog über natürliche Religion (postum 1779), hrsg. von Günter Gawlick, Hamburg 41968. S. 328. Ders., An Enquiry concerning Human Understanding, dt: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hrsg. von Raoul Richter, Leipzig 61907. S. 193 f. Kalter, Alfons, Kants vierter Paralogismus. Eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zum Paralogismenkapitel der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, Meisenheim am Glan 1975. S. 358. Kant, Immanuel, Kant's Gesammelte Schriften, begonnen von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademie-Ausgabe), 1. Abtig. (Bd. I-K): Werke; 2. Abtig. (Bd. X-XIII): Briefwechsel; 3. Abtig. (Bd. XTV-XXIII): Handschriftlicher Nachlaß, Berlin 19021955; 4. Abtig. (Bd. XXIV-XXDC): Vorlesungen, Berlin 1966 if. Die Kritik der reinen Vernunft, die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft werden mit folgenden Abkürzungen zitiert: KrV, KpV, KU. Wegen häufiger Benutzung werden die Stellen aus den drei Kritiken und aus den "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können" (Riga 1783) hier unten nicht angegeben. - Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurteilung der Beweise, deren sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen, Königsberg 1747. S. 86, 94. - Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, Königsberg 1755. S. passim; vor allem Kap. II-V. - Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt, Königsberg 1755. S. passim; vor allem Kap. I. - Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfalle des Erdbebens, welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Teil der Erde erschüttert hat, Königsberg 1756. S. 197. - Neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde, Königsberg 1756. S. 26. - Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, Königsberg 1759. S. 98, 160.

Personen- und Literaturregister

461

- Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, Königsberg 1763 (Abkürzung: EmBg). S. passim; durchgehend im zweiten Teil. - Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen, Königsberg 1763. S. 74, 134, 202, 244. - Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, Berlin 1764. S. 41, 125, 201. - Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Königsberg 1764. S. 314. - Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1764/65. S. 213. - Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, Königsberg 1766. S. 5, 102, 176, 213, 259, 267, 383, 393, 397. - De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, Königsberg 1770. S. 7, 28, 92 ff, 114, 136, 195, Kap. XIV. 4, 224, 246, 315. - Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Riga 1785. S. 348, 372, 380, 384, 385 f, 396, 397, 403, 416, 417, 436, 439, 442. - Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786. S. 18, 275, 284. - Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakob's Prüfung der Mendelssohn'schen Morgenstunden oder aller spekulativen Beweise für das Dasein Gottes, Königsberg 1786. S. 354. - Was heißt: Sich im Denken orientieren?, in: Berlinische Monatsschrift 1786, 304-330. S. 350, 386, 396, 415 f, 418, 441. - Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Königsberg 1790. S. 3. - Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Berlinische Monatsschrift 1793, 201-284. S. 385, 403. - Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793, S. 6, 234 f, 378, 396, 403, 414, Kap. XXVI. - Das Ende aller Dinge, in: Berlinische Monatsschrift 1794, 495-522. S. 314. - Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, in: Berlinische Monatsschrift 1796, 387-426. S. 423. - Die Metaphysik der Sitten in zwei Teilen, Königsberg 1797. S. 56, 275, 392.

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Personen- und Literaturregister

- Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen, Königsberg 1800. S. 240, 301, 306. - Welches sind die Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, Königsberg 1804. S. 165, 251, 257, 268, 271, 284, 303, 313, 403, 423. - Briefe: Brief an Lambert vom 31. 12. 1765. S. 11, 162, 202, 215. Brief an Mendelssohn vom 8. 4. 1766. S. 202. Brief an Marcus Herz nach dem 11. 5. 1781. S. 216. Brief an Christian Gottfried Schütz vom 25. 6. 1787. S. 399. Brief von Johann Joachim Spalding vom 8. 2. 1788. S. 399. Brief an Carl Friedrich Stäudlin vom 4. 5. 1793. S. 398. Brief an Christian Garve vom 21. 9. 1798. S. 217, 358, 359. - Opus postumum. S. 7 f, 391, 399. - Reflexionen zur Metaphysik (Bd. XVII-XVIII: RR 3489-6455). S. passim. - Reflexionen zur Moralphilosophie, Rechtsphilosophie, und Religionsphilosophie (Bd. XIX: RR 6456-8112). S. 69, 377, 401. - Vorlesungen über Logik (Bd. XXIV). S. 194, 240, 264. - Vorlesungen über Moralphilosophie (Bd. XXVII). S. 392. - Vorlesungen über Metaphysik und Rationaltheologie (Bd. XXVIII). S. passim. Kemp Smith, Norman, A Commentary to Kant's "Critique of Pure Reason", London 21923. S. 227, 358. Kern, Johannes, Die Lehre von Gott, nach den Grundsätzen der Kantischen Philosophie, Ulm 1796. S. 378. Lana, de, Francesco, Prodrome, Brescia 1670. S. 230. Leibniz, Gottfried Wilhelm, Die Philosophischen Schriften, hrsg. von C. I. Gerhardt, Berlin 1875-1880. Nachdruck Hildesheim 1978. - De la demonstration cartäsienne de l'existence de Dieu (du R. P. Lamy), 1701 (Bd. I). S. 47, 48, 79. - Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (Bd. IV). S. 272, 283. - Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Bd. IV). S. 272. - Monadologie (Bd. IV). S. 75 f, 80-82, 272, 300. - Nouveaux Essais sur l'entendement par l'Auteur du Systeme de l'Harmonie PrSestablie (Bd. V). S. 272. - Essais de Theodicee sur la bonto de Dieu, la liberte de ITiomme et l'origine du mal (Bd. VI). S. 35, 300.

Personen- und Literaturregister

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- Principes de la Nature et de la Grace, fondos en raison (Bd. VI). S. 42, 50, 300. - De rerum originatione radicali, 1697 (Bd. VII). S. 171. - Quod ens perfectissimum existit, 1676 (Bd. VII). S. 272. - Ders., Confessio philosophi. Ein Dialog, hrsg. von Otto Saame, Frankfurt a. M. 1976. S. 50. Leinsle, Ulrich Gottfried, Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik, Augsburg 1985. S. 17. Ders., Reformversuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus, Augsburg 1988. S. 17. Lessing, Gotthold Ephraim, Collectanea, in: Sämtliche Schriften, hrsg. von Karl Lackmann, Leipzig 1900. Bd. XV. S. 229 f. Lienhard, F., Die Gottesidee in Kants opus postumum, Bern 1923. S. 8. Locke, John, An Essay concerning Human Understanding, hrsg. von Peter H. Nidditch, Oxford 1975. S. 49, 203 f. Lonergan, Bernard J. F., S. J., Insight. A Study of Human Understanding, London 1957. S. 60, 111, 169, 292, 331, 332. Ders., Grace and Freedom. Operative Grace in the Thought of St. Thomas Aquinas, London 1971. S. 143. Ders., Verbum. Word and Idea in Aquinas, 111., Notre Dame, 1967. S. 62, 108. Ders. Method in Theology, London 1972. S. 3, 320. Ders., Metaphysics as Horizon, in: Collection (Collected Works of Bernard Lonergan, Bd. 4, edited by Frederick E. Crowe and Robert M. Doran), Toronto 1988, 188-204. S. 63. Ders., Cognitional Structure, Ebd., 205-221. S. 61, 63. Ders., Erkenntnisstruktur, in: Theologie im Pluralismus heutiger Kulturen (Quaestiones disputatae 67), hrsg. von Giovanni B. Sala, Freiburg 1975, 88-108 (dt. Übersetzung von Cognitional Structure). S. 61, 233. Löwisch, Dieter-Jürgen, Kants Kritik der reinen Vernunft und Humes Dialogues Concerning Natural Religion, in: Kant-Studien 56 (1965/66) 170-207. S. 328. Ders., Kants gereinigter Theismus, Ebd., 505-513. S. 328. Maier, Anneliese, Kants Qualitätskategorien (KS EH 65), Berlin 1930. S. 45, 70, 135, 246, 250, 290.

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Personen- und Literaturregister

Malebranche, Nicolas, Meditations chrotiennes et motaphysiques, in: Oeuvres completes, hrsg. von Henri Gouhier und Andr6 Robinet, Paris 1959, Bd. X. S. 29. Maupertuis, Pierre Louis, Moreau de, Essai de cosmologie, Amsterdam 1744, in: Oeuvres, hrsg. von Giorgio Tonelli, Hildesheim 1974, Bd. I. S. 24, 31, 148. Meier, Georg Friedrich, Metaphysik, Halle 21765. S. 134. Mendelssohn, Moses, Morgenstunden, oder Vorlesungen über das Dasein Gottes (1758), in: Gesammelte Schriften (Jubiläumsausgabe), hrsg. von Fritz Bamberger u. a., Stuttgart 1974, Bd. III. S. 1. Menzer, Paul, Kants Lehre von der Entwicklung in Natur und Geschichte, Berlin 1911. S. 150. Merlan, Philip, Hamann et les Dialogues de Hume, in: Revue de Metaphysique et de Morale 59 (1954) 285-289. S. 328. Newton, Isaac, Opera quae exstant omnia, hrsg. von Samuel Horsley, London 1779-1785. Nachdruck Stuttgart 1964. - Philosophiae naturalis principia mathematica (Bd. II). S. 18. - Optics or, A Treatise of the Reflections and Colours of Light (Bd IV). S. 29. Nieuwentijt, Bernhard, L'existence de Dieu, demontroe par les merveilles de la nature traite de la structure du corps de ITiomme, des elements, des astres et de leurs divers effects (1727). Dt: Erkenntnis der Weisheit, Macht und Güte des göttlichen Wesens aus dem rechten Gebrauch der Betrachtungen aller irdischen Dinge dieser Welt zur Überzeugung der Atheisten und Ungläubigen (Übersetzung von Wilhelm Conrad Baumanns, 1732). S. 197. Paolinelli, Marco, Fisico-Teologia e principio di ragion sufficiente. Boyle, Maupertuis, Wolff, Kant, Milano 1971. S. 32, 85, 103, 134, 156, 197. Parker, Samuel, Tentamina physico-theologica de Deo, London 1655. S. 197. Finder, Tillmann, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit. Untersuchungen zur Vorgeschichte der "transzendentalen Theologie", (Diss.) Berlin 1969. S. 24, 37, 38, 59 f, 70, 75, 78, 80, 88, 98, 101, 118, 126, 238 f. Ray, John, Three Physico-Theological Discourses, London 31713. S. 197.

Personen- und Literaturregister

465

Reimarus, Hermann Samuel, Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion in zehn Abhandlungen auf eine begreifliche Art erklärt und gerettet, hrsg. von Günter Gawlick, Göttingen 1985. S. 197 f. Resewitz, Friedrich Gabriel, Rezension von Kants Einzig möglichem Beweisgrund, in: Briefe, die neueste Literatur betreffend, XVIII. Teil, Berlin 1764, 69-102. S. 103. Rohs, Peter, Kants Prinzip der durchgängigen Bestimmung alles Seienden, in: Kant-Studien 69 (1978) 170-180. S. 238, 243. Russell, Bertrand, Why I am not a Christian and Other Essays on Religion and Related Subjects, New York "1967, 3-23. S. 49. Sa/ , Giovanni B., S. J., Das Apriori in der menschlichen Erkenntnis. Eine Studie über Kants Kritik der reinen Vernunft und Lonergans Insight, Meisenheim am Glan 1971. S. 61. Ders., L'origine del concetto. Un problema kantiano e una risposta tomista, in: Rivista di filosofia Neo-scolastica 66 (1974) 975-1017. S. 276. Ders., Das Apriori in der Erkenntnis. Zu einem Grundproblem der Kantischen Kritik, in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses, L, Bonn 1981, 772-780. S. 428. Ders., Kants Lehre von der menschlichen Erkenntnis: Eine sensualistische Version des Intuitionismus. Historische Untersuchung und systematische Überlegungen zum zweihundertjährigen Jubiläum der Veröffentlichung der Kritik der reinen Vernunft, in: Theologie und Philosophie 57 (1982) 202-224, 321-347. S. 61, 168, 233, 292, 331, 353. Ders., Intentionalität contra Intuition, Ebd., 59 (1984) 249-264. S. 61, 233, 299, 313. Ders., Buchbesprechung zu Schmuckers "Die Ontotheologie des vorkritischen Kant", Ebd., 58 (1983) 114-118. S. 123. Ders., Bausteine zur Entstehungsgeschichte der Kritik der reinen Vernunft Kants, in: Kant-Studien 78 (1987) 153-169. S. 11, 214, 358. Ders., Die transzendentale Logik Kants und die Ontologie der deutschen Schulphilosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 95 (1988) 18-53. S. 2, 241, 274. Schmucker, Josef, Die Ursprünge der Ethik Kants in seinen vorkritischen Schriften und Reflexionen, Meisenheim am Glan 1961. S. 138, 213, 397.

466

Personen- und Literaturregister

Ders., Die Originalität des ontotheologisehen Arguments gegenüber verwandten Gedankengängen bei Leibniz und in der Schulphilosophie der Zeit, in: Kritik und Metaphysik (Festschrift für Heinz Heimsoeth), hrsg. von Friedrich Kaulbach und Joachim Ritter, Berlin 1966. S. 79, 80. Ders., Die Frühgestalt des ontotheologischen Arguments in der Nova Dilucidatio und ihr Verhältnis zum "Einzig möglichen Beweisgrund" von 1762, in: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, hrsg. von Heinz Heimsoeth, Dieter Henrich und Giorgio Tonelli, Hildesheim 1967. S. 63. Ders., Die primären Quellen des Gottesglaubens (Quaestiones disputatae, 34), Freiburg 1967. S. 328, 420, 425, 449. Ders., Das Problem der Kontingenz der Welt. Versuch einer positiven Aufarbeitung der Kritik Kants am kosmologischen Argument (Quaestiones disputatae, 43), Freiburg 1969. S. 142, 228, 242, 276, 277, 304, 308. Ders., Wolfgang Cramers Widerlegung der Gottesbeweiskritik Kants, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970) 287-301. S. 129, 142. Ders. Joseph Moreaus Interpretation der Kantischen Gottesbeweiskritik in "Le Dieu des philosophes", Ebd., 54 (1972) 37-88. S. 66, 263, 363. Ders., On the Development of Kant's Transcendental Theology, in: Proceedings of the Third International Kant's Congress, hrsg. von Lewis White Beck, Dordrecht 1972, 495-500. S. 253. Ders., Die Ontotheologie des vorkritischen Kant (KS EH 112), Berlin 1980. S. 37, 44, 47, 71, 72, 77, 78, 93, 98, 121, 122, 123, 129, 139, 195, 199, 209, 253. Ders., Kants kritischer Standpunkt zur Zeit der Träume eines Geistersehers, im Verhältnis zu dem der Kritik der reinen Vernunft, in: Beiträge zur Kritik der reinen Vernunft 1781 * 1981, hrsg. von Ingeborg Heidemann und Wolfgang Ritzel, Berlin 1981. S. 202, 217. Ders., Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise. Ein Schlüssel zur Interpretation des theologischen Hauptstücks der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, Jahrgang 1983, Nr. 2), Wiesbaden

Personen- und Literaturregister

467

1983. S. 47, 50, 54, 55, 56, 57, 58, 65, 72, 93, 109, 117, 124, 129, 148, 150, 166, 195, 202, 203, 206, 209, 212, 243, 249, 323, 350. Schneeberger, Guido, Kants Konzeption der Modalbegriffe, Basel 1952. S. 109. Schopenhauer, Arthur, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung, in: Sämtliche Werke, hrsg. von A. Hübscher, Leipzig 1937, Bd. I. S. 48. Schulz, Eberhard Günter, Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik. Eine Untersuchung ihrer Grundlagen, ihrer Berücksichtigung durch Kant und ihrer Wirkungen auf Reinhold, Schiller und Fichte, Köln 1975. S. 386, 442. Schweitzer, Albert, Die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Freiburg 1899 (Neudruck Hildesheim 1974). S. 369. Silber, John R., Kant's Conception of the Highest Good as Immanent and Transcendent, in: The Philosophical Review 68 (1959) 469492. Dt: Immanenz und Transzendenz des höchsten Gutes bei Kant, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 18 (1964) 386-407. S. 400, 401. Spalding, Johann Joachim, Vorrede zur Übersetzung von Shaftesburys "Inquiry concerning Virtue, or Merit", Berlin 1747. S. 346. Spinoza, Benedict Baruch, Opera, hrsg. von Carl Gebhardt, Heidelberg o. J. - Renati Descartes principiorum philosophiae Pars I. et II. (Principle philosophiae Cartesianae), (Bd. I). S. 137 f. - Ethica ordine geometrico demonstrate, (Bd. II). S. 48. Thomas von Aquin, Werke (Marietti-Ausgabe), Turin 1948 ff. - Summa Theologiae, Turin 1952. S. 46, 52, 62, 63, 64, 116, 130, 142, 171, 258, 276, 280, 292, 296, 336. - Liber de veritate Catholicae Fidei contra errores seu Summa contra Gentiles, Turin 1961. S. 64, 130, 276. - De Veritate, Quaestiones disputatae, Vol. I, Turin 1949. S. 336. - De Potentia, ebd. Vol. II, Turin 1949. S. 116, 130, 276. Tonelli, Giorgio, Kant, dall'estetica metafisica all'estetica psicoempirica. Studio sulla genesi del criticismo (1754-1771) e sulle sue fonti. "Memorie della Accademia delle Scienze di Torino", Torino 1955. S. 197.

468

Personen- und Literaturregister

Ders., Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Zweckmäßigkeit in der Kritik der Urteilskraft, in: Kant-Studien 49 (1957) 154166. S. 258. Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768, Torino 1959. S. 18, 24, 28, 31, 41, 42, 45, 47, 71, 77, 80, 197, 214, 239, 323. Ders., La näcessite' des lois de la nature au XVIIP siecle et chez Kant en 1762, in: Revue d'Histoire des Sciences et de leurs applications 12 (1959) 225-241. S. 32. Ders., Einleitung zu Chr. Aug. Crusius, Die philosophischen Hauptschriften, Bd. I, Hildesheim 1969. S. 40. Vaihinger, Hans, Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum hundersten Jubiläum derselben, Stuttgart 1881/1892 (Neudruck der 2. Auflage Stuttgart 1922, Aalen 1970). S. 348. Voltaire, Elements de la Philosophie de Newton, in: Oeuvres completes, Paris 1869, Bd. V. S. 24. Waschkies, Hans-Joachim, Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Amsterdam 1987. S. 19, 33. Weitenkampf, Johann Friedrich, Lehrgebäude vom Untergang der Erden, Braunschweig 1754. S. 34. Whiston, William, A New Theory of the Earth (Nova telluris theoria), London 1696. S. 34 f. Winter, Alois, Der Gotteserweis aus praktischer Vernunft. Das Argument Kants und seine Tragfähigkeit vor dem Hintergrund der Vernunftkritik, in: Um Möglichkeit oder Unmöglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis heute, hrsg. von Klaus Kremer, Leiden 1985, 109178. S. 4, 8, 354 f, 391, 393 f, 445. Wittgenstein, Ludwig, Tagebücher, in: Schriften, Frankfurt 1960, Bd. I. S. 390. Wolff, Christian, Gesammelte Werke, hrsg. von Jean Ecole u. a., Hildesheim 1962 ff. - Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt [Deutsche Metaphysik], Halle und Frankfurt "1751 (I. Abtig., Bd. II). S. 47, 75 f, 78, 87, 94, 107, 112 f, 116 f, 138, 177, 179, 274, 302, 329, 337.

Personen- und Literaturregister

469

- Vernünftige Gedanken von den Absichten der natürlichen Dinge, den Liebhabern der Wahrheit mitgeteilt [Deutsche Teleologie] Frankfurt und Leipzig 21726 (I. Abtig., Bd. VII). S. 29, 323. - Von der Erkenntnis Gottes und seiner Eigenschaften überhaupt, aus Betrachtung der Welt, Marburg 1731, in: Gesammelte kleine philosophische Schriften, Bd. I (I. Abtig., Bd. XXI. 1). S. 197, 323. - Philosophia prima, sive Ontologia, methodo scientifica pertractata, qua omnis cognitionis humanae principia continentur, Frankfurt und Leipzig 21736 (II. Abtig., Bd. III). S. 42, 49, 50, 73, 78, 85, 109, 113, 171, 241, 274, 302, 303. - Cosmologia generalis, methodo scientifica pertractata, qua ad solidam, inprimis Dei atque naturae, cognitionem via sternitur, Frankfurt und Leipzig 21737 (II. Abtig., Bd. IV). S. 30, 32, 94, 112, 300. - Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata. Pars Prior, integrum Systema complectens, qua existentia et attribute Dei a posteriori demonstrantur, Frankfurt und Leipzig 1739 (II. Abtig., Bd. VII). S. 47, 48, 49, 87, 94, 116, 163, 171, 177, 299, 302, 341. - Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata. Pars Posterior, qua existentia et attribute Dei ex notione entis perfectissimi et natura animae demonstrantur, Halle 21741 (II. Abtig., Bd. VIII). S. 48, 79, 271, 273, 282, 345 f, 443. - De differentia nexus rerum sapientis et fatalis necessitous, nee non systematis harmoniae praestabilitae et hypothesium Spinosae luculenta commentatio, in qua simul genuine Dei existentiam demonstrandi ratio expenditur et multa religionis naturalis capita illustrantur, Halle 1724 (II. Abtig., Bd. K). S. 272, 300, 341. - De methodo existentiam Dei ex ordine naturae demostrandi, in: Horae subsecivae Marburgenses, Bd. II, Frankfurt 1731 (II. Abtig., Bd. XXXIV. 2). S. 30, 327 f. - Ratio praelectionum Wolfianarum in mathesin et philosophiam universam et opus Hugonis Grotii de jure belli et pacis, Halle 21735 (II. Abtig., Bd. XXXVI). S. 30, 155, 163, 273, 327. Wood, Allen W., Kant's Moral Religion, Ithaca/London 1979. S. 445. Wright, Thomas, An Original Theory or New Hypothesis of the Universe, London 1750. S. 21.

470

Personen- und Literaturregister

Wundt, Max, Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1924. S. 398. Ders., Die deutsche Schulmetaphysik des XVII. Jahrhunderts, Tübingen 1939. S. 17. Ders., Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945. S. 17.

KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE GÜNTER ZÖLLER

Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realität" und „objektive Gültigkeit" in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. XII, 322 Seiten. 1984. Ganzleinen DM 92,ISBN 3 110098113 (Band 117) GISELA HELENE LORENZ

Das Problem der Erklärung der Kategorien Eine Untersuchung der formalen Strukturelemente in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. X, 241 Seiten. 1986. Ganzleinen DM 88,ISBN 3 110110318 (Band 118)

VILEM MUDROCH

Kants Theorie der physikalischen Gesetze Groß-Oktav. X, 194 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 68,ISBN 3 11010808 9 (Band 119) WALTER PATT

Transzendentaler Idealismus Kants Lehre von der Subjektivität der Anschauung in der Dissertation von 1770 und in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. XII, 326 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 98,ISBN 3 110108917 (Band 120) GREGOR BÜCHEL

Geometrie und Philosophie Zum Verhältnis beider Vernunftwissenschaften im Fortgang von der Kritik der reinen Vernunft zum Opus postumum Groß-Oktav. XVI, 425 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 144,ISBN 3 11011284 l (Band 121) Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE JOSEF SCHMUCKER

Die Ontologie des vorkritischen Kant Groß-Oktav. X, 307 Seiten. 1980. Ganzleinen DM 120,ISBN 3 11008130 X (Band 112) PETER SCHULTHESS

Relation und Funktion Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Philosophie Kants Groß-Oktav. XII, 399 Seiten. 1981. Ganzleinen DM 84,ISBN 3 110084392 (Band 113) MONIKA SÄNGER

Die kategorische Systematik in den „metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre' Ein Beitrag zur Methodenlehre Kants Groß-Oktav. XII, 259 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 72,ISBN 3 110088835 (Band 114) CARL BRAUN

Kritische Theorie versus Kritizismus Zur Kant-Kritik Theodor W. Adornos Groß-Oktav. XII, 311 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 88,ISBN 3 110095416 (Band 115) SVEND ANDERSEN

Ideal und Singularität Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie Groß-Oktav. XII, 278 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 72,ISBN 3 11009649 8 (Band 116) Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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